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German Pages [774] Year 2007
Geschichte des frühen Christentums Band I
Martin Hengel Anna Maria Schwemer
Jesus und das Judentum
Mohr Siebeck
Martin Hengel, geboren 1926; 1959 Promotion; 1967 Habilitation; 1972–1992 Professor für Neues Testament und Antikes Judentum in Tübingen; Direktor des Instituts für Antikes Judentum und hellenistische Religionsgeschichte in Tübingen; seit 1992 emeritiert. Anna Maria Schwemer, geboren 1942; 1994 Promotion; 1997 Habilitation; Geschäftsführerin der »Philipp-Melanchthon-Stiftung. Theologisch-Philosophisches Kolleg«, Professorin für Neues Testament an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen.
ISBN 978-3-16-149359-1 / eISBN 978-3-16-158228-8 Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2007 Mohr Siebeck Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Martin Fischer in Tübingen aus der Times Antiqua belichtet, von GuldeDruck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden.
Vorwort Der erste Band der geplanten Geschichte des frühen Christentums enthält eine knappe Beschreibung des Judentums im Mutterland zwischen 63 v. und 70 n. Chr., an die sich eine Darstellung des Wirkens Jesu anschließt. Das Christentum hat seinen Ursprung im palästinischen Judentum und ist viel stärker von diesem geprägt, als die Forschung in früheren Jahrzehnten wahrhaben wollte, auch hat der galiläische Jude Jesus von Nazareth durch seine Wirksamkeit und sein Schicksal den Weg der Kirche auf entscheidende Weise bestimmt. Beides ergibt sich aus unseren wichtigsten Quellen, den vier Evangelien, und bedarf keiner Rechtfertigung mehr. Der Einfluß der seit über dreihundert Jahren in Syrien und Palästina wirksamen hellenistischen Zivilisation ging auch am jüdischen Volk nicht vorbei. Die »Hellenisten«, die die Heidenmission begründen, kommen aus Jerusalem, auch haben die Botschaft und die Passion Jesu den ehemaligen Pharisäer Paulus nachhaltiger beeinflußt, als man lange Zeit angenommen hatte. Da die historische Rückfrage nach Jesus von Nazareth seit dem 18. Jahrhundert umstritten ist und auch in Zukunft bleiben wird, haben wir der eigentlichen geschichtlichen Darstellung ausführliche Überlegungen zum Gang der Forschung und zu den Quellen vorangestellt, die darlegen, daß es sich bei derselben um nicht mehr als »Annäherungsversuche« handeln kann, die freilich sehr deutliche Konturen dieser einzigartigen Gestalt sichtbar werden lassen. Ein besonderer Schwerpunkt bildet das bis heute weithin verkannte Problem des messianischen Anspruchs Jesu, ohne den wir die Berichte der Evangelien nicht verstehen können. Den immer noch so beliebten »unmessianischen Jesus« hat es nie gegeben. Das zeigen der Vergleich Jesu mit Johannes dem Täufer, seine Verkündigung in »Vollmacht«, seine »Krafttaten«, die Leidensgeschichte mit ihrer Anklage, er sei »der König der Juden«, und die Entstehung der frühesten Christologie, die ihren letzten Grund in Jesu Wirken und Weg besitzt. Der vorliegende Band wird von beiden Autoren gemeinsam verantwortet. Die Mitautorin hat dabei u. a. vor allem Teil I »Das Judentum« und § 12 »Die poetische Form der Verkündigung Jesu« verfaßt. Zu danken haben wir der DFG, die für zwei Jahre die Mittel für eine geprüfte wissenschaftliche Hilfskraft zur Verfügung stellte, weiter den Freunden und Kollegen Helmut Merkel und Fritz Neugebauer für die Lektüre des Manuskripts und wertvolle Hinweise. Für das Schreiben von Texten in den Computer danken
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Vorwort
wir den Herren Dipl. theol. Sung-Hyun Kim und Jens Wagschal, außerdem für das Mitlesen der Korrekturen Frau Monika Merkle, Frau Dr. Anne Käfer und Herrn Dipl. theol. Christoph Schaefer. Unser besonderer Dank gilt Dr. ClausJürgen Thornton für die sorgfältige Erstellung des Registers und das mehrfache Lesen der Korrekturen.
Tübingen, im August 2007
Martin Hengel Anna Maria Schwemer
Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V Abgekürzt zitierte Literatur und Hilfsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIII
Vorbemerkungen § 1 Der zeitliche und inhaltliche Gesamtrahmen einer Geschichte des frühen Christentums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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§ 2 Judentum und frühes Christentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
I. Das Judentum § 3 Das Judentum unter römischer Herrschaft im 1. Jahrhundert vor und nach Christus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 3.1 Judäa als römischer Klientelstaat und als Provinz . . . . . . . . . . . . 39 3.1.1 Zur Vorgeschichte: Von Pompeius bis zur Herrschaft Herodes’ I. (63–4 v. Chr.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 3.1.2 Die Söhne des Herodes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 3.1.3 Die Präfekten (6–41 n. Chr.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 3.1.4 Agrippa I. (41–44 n. Chr.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 Exkurs: Die Caligula-Krise (38–41 n. Chr.) . . . . . . . . . . . . . 84 3.1.5 Die Zeit der Prokuratoren (44–66 n. Chr.) . . . . . . . . . . . . . . 93 Exkurs: Endzeitliche Profeten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 3.1.6 Agrippa II. (52–92/93 n. Chr.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 3.1.7 Der erste jüdische Krieg (66–73 n. Chr.) . . . . . . . . . . . . . . . 108 § 4 Die jüdischen »Religionsparteien« in Palästina: Pharisäer, Essener, Sadduzäer, Zeloten, Samaritaner und andere Gruppen . . . . . . . . . . . . 122 4.1 Die jüdischen Parteien in den »Sektenkatalogen« des Josephus und ihre Parallelen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122
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4.2 Die Modifizierung des Parteienbildes durch die Funde aus Qumran . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 4.3 Zur Geschichte der Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 4.3.1 Zum samaritanischen »Schisma« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 4.3.2 Zur Geschichte der Essener, Pharisäer und Sadduzäer . . . . 148 4.4 Zur sozialen Bedeutung der Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 Exkurs: Priesterschaft und Tempeldienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 Exkurs: Das Verhältnis der Frauen zu den Religionsparteien . . . . 160 4.5 Eschatologie und messianische Erwartung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161
II. Vorfragen zur Person und Geschichte Jesu § 5 Zur Frage nach Jesus von Nazareth . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 5.1 Die notwendige Einbeziehung der Person Jesu in eine frühchristliche Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 5.2 Das Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 § 6 Die Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 6.1 Zur Quellenlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 6.2 Frühchristliche Jesuszeugnisse außerhalb der Evangelien . . . . . . 198 6.3 Außerchristliche Zeugnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 6.4 Die synoptischen Evangelien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 6.4.1 Markus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 6.4.2 Die Logienüberlieferung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 6.4.3 Lukas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 6.4.4 Matthäus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 6.5 Johannes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 6.6 Apokryphe Evangelien und Agrapha . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 § 7 Die historische Rückfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 7.1 Jesusbiographie, mündliche Überlieferung, Augenzeugenschaft, Autorität und Verschriftlichung . . . . . . . . . . 244 7.2 Die Kriterien der Rückfrage nach Weg, Wort und Wirken Jesu . . 262
III. Jesus der Galiläer und Johannes der Täufer § 8 Jesus der Galiläer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 8.1 Galiläa und die Galiläer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 8.2 Nazareth . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 8.3 Die Familie Jesu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283
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8.4 Der Davidssohn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 8.5 Der Beruf und die soziale Herkunft Jesu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 § 9 Johannes der Täufer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 9.1 Die Quellen zu Johannes dem Täufer und der Vergleich ihrer Inhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 9.1.1 Josephus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 9.1.2 Die Evangelien und der Täufer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 9.1.2.1 Markus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 9.1.2.2 Lukas und Matthäus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 9.1.2.3 Johannes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 9.2 Der Tod des Täufers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 9.3 Zum religionsgeschichtlichen Hintergrund Johannes’ des Täufers 312 § 10 Jesus und sein »Vorläufer« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 10.1 Die Taufe Jesu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 10.2 Jesu Auftreten in Galiläa, die Versuchungserzählung und seine Trennung vom Täufer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 10.3 Gemeinsamkeiten Jesu mit der Täuferpredigt und Unterschiede: Der Bußruf an Israel und die Nähe des Gerichts . . . . . . . . . . . 325 10.4 Jesu Wirksamkeit als Wanderprediger und die stabilitas loci des Johannes am Jordan . . . . . . . . . . . . . . . . 329 10.5 Der Wundertäter und die Täuferanfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 10.6 Die Liebe Gottes zum Sünder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 10.7 Die Jünger und der Ruf zur Freiheit und Freude . . . . . . . . . . . 335 10.8 Der Täufer als der letzte Rufer und die messianische Vollmacht Jesu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337
IV. Jesu Auftreten und Verkündigung § 11 Zum geographisch-historischen Rahmen des Wirkens Jesu . . . . . . 343 11.1 Galiläa als Ausgangspunkt des Wirkens Jesu und die Frage der Chronologie Jesu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 11.2 Orte und Wege Jesu in Galiläa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 11.3 Jesus auf heidnischem Gebiet, in Samarien und sein Weg in die Passion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 11.4 Jesus als »Lehrer« und »Herr« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 11.5 Die Berufung von Jüngern und die Nachfolge Jesu . . . . . . . . . 360 11.6 Die Einsetzung der Zwölf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 11.7 Die Aussendungsüberlieferung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372
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§ 12 Die poetische Form der Verkündigung Jesu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 12.1 Der Parallelismus membrorum, die Rhetorik und das Problem der Rückübersetzung ins Aramäische . . . . . . 380 Exkurs: Zur Rückübersetzung ins Aramäische . . . . . . . . . . . . . 383 12.2 Weisheits‑ und Profetenspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 12.3 Die Gleichnisse Jesu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396 § 13 Jesu Verkündigung vom Reich Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 406 13.1 Gegenwart oder Zukunft des Reichs? Die falsche Alternative 406 13.2 Die »sich realisierende« Gottesherrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . 411 13.3 Gottes Herrschaft und Gottes Gebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 418 13.4 Die Gottesreichsgleichnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 422 13.5 Die Zukünftigkeit des Reichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423 13.6 Gottesherrschaft und messianische Vollmacht Jesu . . . . . . . . . 427 § 14 Der Wille Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431 14.1 Hören, Tun und Sein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431 14.2 Das doppelte Liebesgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433 14.3 Demut und Dienst, Nachfolge und Lohn . . . . . . . . . . . . . . . . . 437 14.4 Das Gericht und die Scheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 442 14.5 Der messianische Charakter der Auslegung des Gotteswillens 446 § 15 Die Vaterliebe Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 452
V. Jesu Vollmacht und messianischer Anspruch §16 Der profetisch-messianische Wundertäter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461 Exkurs: Die Wundererzählungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461 16.1 Die Heilungen Jesu als Zeichen seiner messianischen Vollmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 464 16.2 Glaubensforderung und Wunder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 472 16.3 Zum traditions‑ und religionsgeschichtlichen Problem der Wunder Jesu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 477 16.4 Zur Beurteilung der Wundergeschichten . . . . . . . . . . . . . . . . . 483 Exkurs: Das Fortwirken der Wundererfahrung und die Frage der Augenzeugenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 492 § 17 Profet oder Messias? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 498 17.1 Jesus als der »messianische Profet« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 498 17.2 Die Ich-Worte Jesu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 501 17.3 Das Messiasgeheimnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 506
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17.3.1 Das Wredesche Fragezeichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 506 17.3.2 Schweigegebote und Jüngerunverständnis . . . . . . . . . . 510 17.3.3 Das eigentliche Messiasgeheimnis . . . . . . . . . . . . . . . . 518 17.4 Das Problem der Hoheitstitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 526 17.4.1 Der Menschensohn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 526 17.4.1.1 Die Worte vom gegenwärtigen Wirken des Menschensohnes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 534 17.4.1.2 Die Worte vom kommenden Menschensohn . . 536 17.4.1.3 Die Worte vom leidenden Menschensohn . . . . 540 17.4.2 Der Sohn des Vaters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 542 17.4.3 Jesus, der »Messias Israels« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 544
VI. Die Passion Jesu § 18 Die letzten Auseinandersetzungen in Jerusalem . . . . . . . . . . . . . . . . 551 18.1 Der Einzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 551 18.2 Zur Chronologie der letzten Tage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 555 18.3 Tempelreinigung und Vollmachtsfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 557 18.4 Kampfgespräche in Jerusalem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 561 § 19 Die Vorbereitung der Passion Jesu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 570 19.1 Das historische und theologische Problem . . . . . . . . . . . . . . . . 570 19.2 Die Gegner Jesu: Todesbeschluß und Verrat des Judas . . . . . . . 575 19.3 Die Salbung in Bethanien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 580 19.4 Das letzte Mahl als Passamahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 582 § 20 Gethsemane, die Verhaftung und das Verhör Jesu . . . . . . . . . . . . . . 587 20.1 Gethsemane und Verhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 587 20.2 Das Verhör Jesu vor dem »Synhedrium« . . . . . . . . . . . . . . . . . . 591 20.2.1 Der Hannasclan und die jüdische Kapitalgerichtsbarkeit 591 20.2.2 Der Verhandlungsbericht Mk 14,53–65 . . . . . . . . . . . . . 595 § 21 Der gekreuzigte Messias . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 601 21.1 Die Verhandlung vor Pilatus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 601 21.1.1 Die Auslieferung an den Präfekten und das Gerichtsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 601 21.1.2 Die Anklage und Verurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 604 21.1.3 Geißelung und Verspottung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 608 21.2 Der Gang zur Richtstätte und die Kreuzigung . . . . . . . . . . . . . 611 21.3 Die Grablegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 619
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VII. Das Zeugnis von der Auferstehung Jesu § 22 Das Zeugnis von der Auferstehung Jesu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 625 22.1 Das älteste Zeugnis: 1 Kor 15,3–8 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 626 22.2 Das leere Grab und die Erscheinungen des Auferstandenen . . . 641 22.2.1 Die Grabberichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 641 22.2.2 Erzählungen über Christophanien . . . . . . . . . . . . . . . . . 644 Rückblick und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 653 Stellenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 655 Autorenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 716 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 724
Abgekürzt zitierte Literatur und Hilfsmittel Abkürzungen richten sich nach S. M. Schwertner, Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete, 2., überarbeitete und erweiterte Auflage, Berlin/New York 1992 (TRE) und die der biblischen Bücher und antiken Quellen in der Regel nach RGG 4. Aufl. Darüber hinaus werden folgende Abkürzungen verwendet: Bauer / Aland, WB
W. Bauer / K. u. B. Aland, Griechisch-deutsches Wörterbuch zu den Schriften des Neuen Testaments und der frühchristlichen Literatur, 6. völlig neu bearbeitete Aufl., Berlin/New York 1988. BDR, Grammatik F. Blass / A. Debrunner / F. Rehkopf: Grammatik des neutestamentlichen Griechisch, 16. durchgesehene Aufl. Göttingen 1984. DNP Der Neue Pauly. Enzyklopädie der Antike, hg. v. H. Cancik und H. Schneider, Stuttgart/Weimar 1996 ff. Haelst J. van Haelst, Catalogue des papyrus littéraires juifs et chrétiens, Paris 1976. Hengel, KS I–V s. Mehrfach zitierte, mit Kurztitel genannte Literatur (Judaica et Hellenistica; Judaica, Hellenistica et Christiana; Paulus und Jakobus; Studien zur Christologie; Jesus und die Evangelien) Krauss, Lehnwörter S. Krauss, Griechische und lateinische Lehnwörter in Talmud, Midrasch und Targum (1899), Nachdruck 1964. LACL Lexikon der antiken christlichen Literatur, hg. v. S. Döpp u. a., Göttingen 1988 ff. LSJ H. G. Liddell / R. Scott / H. S. Jones, A Greek-English Lexicon, Oxford 91940 (Reprinted with a revised supplement 1996). Jastrow, Dictionary A Dictionary of the Targumim, the Talmud Babli and Yeru shalmi, and the Midrashic Literature, compiled by M. Jastrow I.II, New York 1903 (Nachdruck beider Bände in einem, Israel ohne Jahreszahl). Rengstorf, Konkordanz A Complete Concordance to Flavius Josephus, ed. by K. H. Rengstorf, Leiden 1973–1983. Schürer s. Mehrfach zitierte, mit Kurztitel genannte Literatur. Sg. Sondergut (jeweils von Mt, Mk und Lk). STAC Studien und Texte zu Antike und Christentum, Tübingen, hg. v. C. Markschies u. a. Stern, GLAJJ s. Mehrfach zitierte, mit Kurztitel genannte Literatur.
XIV
Abgekürzt zitierte Literatur und Hilfsmittel
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Abgekürzt zitierte Literatur und Hilfsmittel
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Abgekürzt zitierte Literatur und Hilfsmittel
XIX
–: Paulus und Jakobus. Kleine Schriften III, WUNT 141, Tübingen 2002 (= KS III). –: Der unterschätzte Petrus. Zwei Studien, Tübingen 2006. –: Probleme des Markusevangeliums, in: Das Evangelium und die Evangelien, hg. v. P. Stuhlmacher, WUNT 28, Tübingen 1983, 221–266 = ders., Jesus und die Evangelien. Kleine Schriften V, WUNT 211, Tübingen 2007, 430–477 (= KS V). –: Rabbinische Legende und frühpharisäische Geschichte. Schimeon b. Schetach und die achtzig Hexen von Askalon, AHAW.PH 2/1984, Heidelberg 1984. –: »Setze dich zu meiner Rechten!«. Die Inthronisation Christi zur Rechten Gottes und Psalm 110,1, in: Le Trône de Dieu – Der Thron Gottes, hg. v. M. Philonenko, WUNT 69, Tübingen 1993, 108–194 = ders., Studien zur Christologie. Kleine Schriften IV, WUNT 201, Tübingen 2006, 281–367 (= KS IV). –: Der Sohn Gottes. Die Entstehung der Christologie und die jüdisch-hellenistische Religionsgeschichte, Tübingen 21977 = ders., Studien zur Christologie. Kleine Schriften IV, WUNT 201, Tübingen 2006, 74–145 (= KS IV). –: Studien zur Christologie. Kleine Schriften IV, WUNT 201, Tübingen 2006 (= KS IV). –: Studies in the Gospel of Mark, London 1985. –: Der vorchristliche Paulus, in: ders. / Ulrich Heckel (Hg.), Paulus und das antike Judentum. Tübingen-Durham-Symposium im Gedenken an den 50. Todestag Adolf Schlatters (19. Mai 1938), WUNT 58, Tübingen 1991, 177–293 = ders., Paulus und Jakobus. Kleine Schriften III, WUNT 141, Tübingen 2002, 68–184 (= KS III). –: Die Zeloten. Untersuchungen zur jüdischen Freiheitsbewegung in der Zeit von Herodes I. bis 70 n. Chr., AGAJU 1, 2. verbesserte und erweiterte Aufl. Leiden / Köln 1976. Hengel, M. / R. Deines: E. P. Sanders’ »Common Judaism«, Jesus und die Pharisäer, in: M. Hengel, Judaica et Hellenistica. Kleine Schriften I, 392–429 (= KS I). Hengel, M. / A. M. Schwemer: Der messianische Anspruch Jesu und die Anfänge der Christologie. Vier Studien, WUNT 138, Tübingen 2001. — (Hg.): Königsherrschaft Gottes und himmlischer Kult im Judentum, Urchristentum und in der hellenistischen Welt, WUNT 55, Tübingen 1991. –: Paulus zwischen Damaskus und Antiochien. Die unbekannten Jahre des Apostels, WUNT 108, Tübingen 1998. Horbury, W.: Herod’s Temple and ‘Herod’s Days’, in: Templum Amicitiae. Essays on the Second Temple. FS für Ernst Bammel, hg. v. W. Horbury, JSNT.S 48, Sheffield 1991, 103–149. –: Messianism among Jews and Christians. Biblical and Historical Studies, Edinburgh 2003. –: Der Tempel bei Vergil und im herodianischen Judentum, in: Gemeinde ohne Tempel. Community without Temple, hg. v. B. Ego u. a., WUNT 118, Tübingen 1999, 149–168. Horst, P. W. van der: Philo of Alexandria. Philo’s Flaccus. The First Pogrom, Philo of Alexandria Commentary Series 2, Leiden / Boston 2003. Ilan, T.: Integrating Women into Second Temple History, TSAJ 76, Tübingen 1999. –: Lexicon of Jewish Names in Late Antiquity. Part I, TSAJ 91, Tübingen 2002. Jastrow, M., Dictionary: s. o. unter Abkürzungen. Jensen, M. H.: Herod Antipas in Galilee, WUNT II / 215, Tübingen 2006. Jeremias, J.: Abba. Studien zur neutestamentlichen Theologie und Zeitgeschichte, Göttingen 1966. –: Die Abendmahlsworte Jesu, Göttingen 41967. –: Die Gleichnisse Jesu, (Zürich 1947) Göttingen 111998.
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Vorbemerkungen
§ 1 Der zeitliche und inhaltliche Gesamtrahmen einer Geschichte des frühen Christentums 1. Der zeitliche Ausgangspunkt für eine Geschichte der Anfänge des Christentums ist nach einhelligem Urteil aller vier Evangelisten das Auftreten Johannes des Täufers; der Beginn der öffentlichen Wirksamkeit Jesu hängt aufs engste mit seiner Person zusammen. Die Geburts‑ und Kindheitsgeschichten in den beiden ersten Kapiteln von Lukas und Matthäus entziehen sich trotz ihrer theologischen Bedeutsamkeit der historischen Darstellung. Es läßt sich bestenfalls daraus erschließen, daß Jesus noch vor dem Tode des Königs Herodes (4 v. Chr.) geboren wurde. Der Evangelist Lukas verbindet darum seine einzige exakte chronologische Angabe über das Wirken Jesu mit dem Erscheinen des Täufers in einem Jer 1,1 f. (LXX) nachempfundenen Synchronismus verschiedener Machthaber, der mit Kaiser Tiberius beginnt, und verlegt dasselbe auf dessen 15. Jahr, das heißt auf das Jahr 27 oder 28 n. Chr. Tiberius wurde am 19. September 14 n. Chr. Princeps; seine Regierungszeit ist von da ab zu rechnen. Es besteht keinerlei Grund, Lukas hier grundsätzlich zu mißtrauen, das Auftreten Johannes des Täufers im Jahr 26 anzusetzen und etwa den Tod Jesu bereits in das darauffolgende Jahr 27 zu verlegen. Wer die Nachricht Lk 3,1 f. grundsätzlich verwirft, muß auf den Versuch einer genaueren Chronologie der christlichen Anfänge Lk 3,1 f.: Genannt werden noch Pontius Pilatus, der Präfekt Judäas (s. u. S. 80–83); die Herodessöhne und Tetrarchen Herodes (Antipas) und Philippus (s. u. S. 73–76) mit genauer Angabe ihrer Gebiete, der Tetrarch Lysanias von Abilene (s. dazu Schürer I, 567 ff.) und die Hohenpriester Hannas und Kaiaphas (s. u. S. 79). Vgl. noch Lk 1,5 die Geburt des Täufers (und Jesu, s. Mt 2) zur Zeit des Königs Herodes, sowie Lk 2,1 f. die Geburt Jesu zur Zeit der Steuerschätzung unter Augustus und Cyrenius (P. Sulpicius Quirinius), dem Statthalter Syriens. Diese Statthalterschaft fällt freilich erst auf 6 n. Chr., als Judäa in eine römische Provinz verwandelt und darum ein Census durchgeführt wurde; s. Schürer I, 258 f.399–427. Der Evangelist hat sich hier geirrt. Lukas legt auf die historische Verankerung von Jesu Wirken in der Weltgeschichte großen Wert; vgl. Apg 18,2.12; 26,26 etc. Seine historischen Angaben sind viel präziser als die von gebildeten christlichen Autoren des 2. Jahrhunderts wie Justin (apol. I, 31,3 f.; dial. 103,3 f.) oder Irenäus, epideixis 74; vgl. adv. haer. 2,22,4 f. unter Berufung auf Joh 8,57. So aber G. Lüdemann, Paulus, der Heidenapostel I: Studien zur Chronologie, FRLANT 123, Göttingen 1980, 67 u. ö., und W. Schneemelcher, Urchristentum, 37 f. Ebenso unwahrscheinlich ist die Spätdatierung von N. Kokkinos ins Jahr 36; s. dazu u. S. 82 Anm. 231. Zum Todesjahr Jesu s. Riesner, Paulus, 31–52. Auch die Altersangabe von »ca. dreißig Jahren« Lk 3,23 macht einen zuverlässigen Eindruck; s. jedoch u. S. 344 Anm. 6.
Vorbemerkungen
überhaupt verzichten. Da Pilatus erst im Sommer 26 nach Palästina kam, wäre Jesus beim ersten Passafest, an dem der Präfekt teilnahm, hingerichtet worden. Dagegen spricht nicht nur die Passionsgeschichte – Pilatus zeigt sich darin mit den jüdischen Verhältnissen vertraut, er hat also schon eine längere Verwaltungserfahrung –, sondern auch der von Pilatus verursachte blutige Zwischenfall, den Lk 13,1 ff. schildert. Wenn damals Pilatus »das Blut von Galiläern mit dem Blut ihrer Opfertiere gemischt hat«, so wird es sich wahrscheinlich um ein Ereignis an einem Rüsttag zum Passafest gehandelt haben, als die Festpilger ihre Passalämmer zur Schlachtung zum Tempel brachten. Die Präfekten kamen ja in der Regel nur zu Hauptfesten, vor allem jedoch zum Passafest nach Jerusalem. Der Vorfall bestätigt die verschiedenen Nachrichten des Josephus wie der Evangelien, daß dieses Fest immer besonders von Unruhen bedroht war. Der erste Band unserer Darstellung umfaßt so die Zeit der Wirksamkeit des Täufers etwa ab 27/28 n. Chr. und die Jesu, der nach den Synoptikern am 15. Nisan, dem ersten Tag des Passafestes, vermutlich des Jahres 30, hingerichtet wurde. Das heißt, es handelt sich bei Jesu öffentlichem Wirken um einen relativ kurzen Zeitraum von kaum mehr als eineinhalb bis zwei Jahren, von dem freilich einzigartige weltgeschichtliche Wirkungen ausgegangen sind. Aus dieser knappen Frist ist uns eine für antike Verhältnisse erstaunlich ausführliche Überlieferung erhalten, in der historische Erinnerung und spätere Deutung oft untrennbar miteinander verschmelzen. Diese wenigen Jahre und die mit ihnen verbundenen Traditionen haben die Welt mit ihren Auswirkungen wie keine andere vergleichbare Zeitspanne in der Antike verändert. Auf sie konzentriert sich der Inhalt unseres ersten Bandes. Denn der Versuch einer »Darstellung« des Wirkens Jesu läßt sich nicht ohne Schaden von einer Geschichte des werdenden frühen Christentums abtrennen. Die Verbindung mit Jesus hat seine Jünger geprägt, die ganze Überlieferung über ihn wurde von ihnen weitergegeben, geformt und ausgestaltet. Die Träger der mündlichen Tradition – allen voran Petrus – waren, wie später die Evangelisten, maßgebliche Gemeindeglieder mit Autorität, auch die Urkirche wurde in der Gestaltung ihres Lebens und Glaubens zu einem guten Teil von Jesusüberlieferung bestimmt. Diese blieb immer im Urchristentum lebendig. Darum soll der erste Band bei der Behandlung Johannes’ des Täufers und des Wirkens und der Passion Jesu je und je auch die spätere Überlieferungsgeschichte der Jesustradition in der Urgemeinde im Blick behalten. Selbstverständlich gehört zu diesem Band auch eine knappe Darstellung der politischen, sozialen und vor allem der religiösen Verhältnisse Josephus,
bell. 2,169 f.; ant. 18,35; vgl. Schürer I, 383–387. S. 69.558. Zum Todestag Jesu und zur Chronologie, die sich bei Johannes über mehr als zwei Jahre erstreckt, s. u. S. 555 ff. S. u.
§ 1 Der zeitliche und inhaltliche Gesamtrahmen
im seit der Makkabäerzeit unruhigen jüdischen Palästina, die insbesondere die Zeit der Hasmonäer, Herodes’ I. (37–4 v. Chr.) und seiner Nachfolger und dann das Schicksal Judäas als einer römischen Provinz von 6 n. Chr. bis zum Ausbruch des Jüdischen Krieges 66 n. Chr. umfaßt. 2. Als zweite Epoche kann man die vierzig Jahre zwischen der Entstehung der Urgemeinde nach Ostern und der Zerstörung Jerusalems 70 n. Chr. bezeichnen. Sie ist die eigentliche Zeit des »Urchristentums«, der zu Recht die Bezeichnung »apostolische Zeit« zukommt, denn sie ist beherrscht von der Wirksamkeit der »ersten Generation«, deren führende Männer, Jakobus, der Bruder Jesu, Petrus und Paulus, noch vor 70 hingerichtet wurden. Der Begriff »apostolische Zeit«10 erscheint erstmals in Eusebs Kirchengeschichte und umfaßt für ihn die Entstehungszeit der im Neuen Testament versammelten, seiner Ansicht nach echten »apostolischen« Schriften.11 Die dahinterstehende Anschauung geht auf die Anfänge des 2. Jahrhunderts zurück. Schon der Apologet Justin spricht gegen 15mal von den Evangelien als »Erinnerungen der Apostel«12 und weiß, daß ihre Verfasser »Apostel oder Nachfolger der Apostel waren«, und Irenäus betrachtete die große Mehrzahl der im Neuen Testament enthaltenen Texte als »apostolische« Schriften.13 Man wird dieses traditionelle Verständnis jedoch einschränken müssen, denn mit Ausnahme der echten Paulusbriefe, des Markusevangeliums und vielleicht des Jakobusbriefes sind alle neutestamentlichen Schriften nach 70 entstanden, sie gehören der zweiten bzw. dritten Generation, das heißt strenggenommen der sogenannten »nachapostolischen Zeit«, an. Die Vgl.
Schneemelcher, Urchristentum. Becker, Das Urchristentum als gegliederte Epoche, SBS 155, Stuttgart 1993, 12.121. Gegen die Kritik von Schneemelcher, Urchristentum, 7 f. ist heute damit keine Wertung im Sinne einer »Zeit der einen, ungeteilten reinen Kirche« mehr verbunden. Ihm folgt mit wenig überzeugenden Argumenten S. Alkier, Urchristentum. Zur Geschichte und Theologie einer exegetischen Disziplin, BHTh 83, Tübingen 1993, der den Begriff des Urchristentums überhaupt in Frage stellen will. Seinen Vorschlag, ihn durch den des »Frühchristentums« zu ersetzen (264 f.), halten wir für wenig sinnvoll. Er macht nur aus einem X ein Y. Das »frühe Christentum« erstreckt sich im Grunde bis zum Duldungsedikt des Galerius 311 n. Chr. Man kann von der Sache her zutreffende Periodenbegriffe nicht deshalb verbieten, weil sie zuweilen auf falsche Weise verwendet wurden. Daß bei aller Vielfalt im 1. Jahrhundert doch ein Bewußtsein von der »Einheit« der neuen Glaubensbewegung bestand, zeigen Texte wie 1 Kor 15,1–11, der Abbaruf Gal 4,6, Röm 8,16 und Mk 14,36, die Kollektenreise des Paulus nach Jerusalem trotz Bedrohung (Röm 15,26 ff.) und die Tatsache, daß die Kirche des 2. und 3. Jahrhunderts (ohne staatlichen Schutz) nicht in zahllose Gruppen und Sekten aufgesplittert wurde. S. u. S. 8.10. 10 H.e. 3,31,6: o´ üpostolikoÑ cr·noi; das Adjektiv üpostolik·“ begegnet uns schon bei IgnTrall inscr. 11 Alle ohne Jakobus, 3. Johannes, 2. Petrus, Judas und Apokalypse. 12 ûApomnhmone‚mata tùn üpost·lwn, s. apol. I, 66,3; 67,3 und dreizehnmal zwischen dial. 100,4 und 107,1. Das für den heidnischen Leser als Bezeichnung einer Schrift schwerverständliche e§aggfilion verwendet er nur dreimal: apol. I, 66,3 (Plural); dial. 10,2; 100,1. 13 Dial. 103,8; Hengel, Gospels, 20.221 f. Anm. 83; vgl. Irenäus, adv. haer. 1,3,6; 5 praef. J.
Vorbemerkungen
sieben echten Briefe des Apostels Paulus sind so die einzigen im vollen Sinne des Wortes »apostolischen« Zeugnisse, die wir besitzen. Denn sie allein haben einen »apostolischen« Verfasser. Hinzu kommt vielleicht noch Jakobus, der Bruder Jesu, denn der ihm zugeschriebene Brief könnte doch von ihm selbst stammen.14 In dieser zweiten Epoche zwischen 30 und 70 treten aus der größeren Zahl der Jünger Jesu und der frühen Glieder der Gemeinde nur vier »apostolische Gestalten« deutlicher hervor: Petrus, Paulus, Johannes und der Herrenbruder Jakobus; die beiden letzten stehen – was ihre Bezeugung in den frühen Quellen anbetrifft – deutlich hinter den zuerst Genannten zurück. Am besten kennen wir Paulus durch seine sieben echten Briefe, die frühesten christlichen Originalzeugnisse, geschrieben etwa zwischen 50 und 62. Er ist im Blick auf die im Neuen Testament erhaltenen Schriften theologisch gesehen der »Apostel« schlechthin. Das persönliche und theologische Profil der anderen ist bei weitem nicht so klar erkennbar. Die späteren Väter des 2. und 3. Jahrhunderts nennen ihn daher oft einfach ¨ üp·stolo“. Die Apostelgeschichte des Lukas, die Paulus freilich nur in 14,4.14 zusammen mit Barnabas – ausnahmsweise – den Aposteltitel gibt (sonst reserviert sie diesen für die Zwölf), widmet ihm über die Hälfte ihres Umfangs und schenkt uns überhaupt erst die Möglichkeit, die »Geschichte« dieser ersten entscheidenden 30–40 Jahre der neuen, sich rasch nach dem Wirken Jesu ausbreitenden messianischen Bewegung in groben Umrissen und sehr bruchstückhaft zu erfassen. Ihr eigentliches Ziel ist die Darstellung der Mission des Paulus zwischen Damaskus (bzw. Jerusalem) und Rom,15 ihren Inhalt könnte man daher mit der Formel »Von Jesus zu Paulus« umschreiben. Gleichwohl ist ihr Titel »Taten der Apostel« (pr›xei“ üpost·lwn) alt. Die wie das Evangelium einem sonst unbekannten Angehörigen der Oberschicht, Theophilos, gewidmete, für die ersten 200 Jahre des Christentums ganz ungewöhnliche Schrift wurde wohl kaum titellos verbreitet.16 Die »Taten« beziehen sich vermutlich auf die beiden beherrschenden Gestalten des Werkes, einmal Paulus, den einzigartigen »Heidenmissionar«, und vor ihm Petrus, den Sprecher der Jünger in den Evangelien, den ersten Auferstehungszeugen und Anführer der Zwölf in Apg 1–12.17 Das unter Gottes Leitung stehende, erfolgreiche Wirken dieser beiden führenden Männer, die nach Meinung des Autors für die Urkirche entscheidende Bedeutung besaßen, soll in diesem exzeptionellen Werk – in bewußter Aufeinanderfolge und strenger Auswahl bei eigenwilliger Gestaltung des Stoffs – erzählt werden. Die dritte Gestalt, von der wir viel weniger wissen, der Bruder Jesu, Jakobus, war 14 Hengel, KS III, 511–548; Stuhlmacher, Theologie II, 59 ff. Der Brief wird unter dieser Voraussetzung am ehesten verständlich. 15 Vgl. Röm 15,19. 16 S. u. S. 232. 17 S. dazu Hengel, Petrus, 21–58.
§ 1 Der zeitliche und inhaltliche Gesamtrahmen
Leiter der Urgemeinde im jüdischen Palästina etwa ab der Agrippaverfolgung 42/43 n. Chr. Für die Judenchristen wird er zum eigentlichen Haupt der neuen eschatologischen Bewegung. Das sehr ungleiche Gewicht dieser drei Gestalten in der neutestamentlichen Überlieferung zeigt sich an einem Zahlenvergleich: Simon Petrus (bzw. Kephas) erscheint im Neuen Testament, vor allem durch die Evangelien, ca. 180mal, Saulus-Paulus immerhin 173mal, Jakobus, der Bruder Jesu, dagegen nur 11mal. Dies entspricht nicht seiner ursprünglichen Bedeutung, sondern ist ein Zeichen für die Einseitigkeit der uns verfügbaren Traditionen, die zugleich auf die Verdrängung des palästinischen Judenchristentums hinweist, das vor dem Ausbruch des Jüdischen Krieges 66 n. Chr. in der jungen Kirche zunächst eine große, ja vielleicht die entscheidende Rolle spielte, jedoch schon in allen vier Evangelien, die etwa zwischen 69/70 und dem Beginn des 2. Jahrhunderts entstanden sind, und in der Apostelgeschichte zurücktreten muß. Das bedeutet, daß die uns erhaltene frühchristliche »apostolische« Tradition bereits weitgehend von den der Heidenmission zugewandten judenchristlichen Autoren bestimmt ist, die am palästinischen Judenchristentum, den Brüdern Jesu18 und am Wirken des Zwölferkreises nur noch ein reduziertes Interesse hatten. Dieses Beispiel zeigt, wie einseitig unser Wissen ist. Als vierten kann man noch den Zebedaiden Johannes19 nennen; er hat schon in der Apostelgeschichte nur eine Statistenrolle als der zweite nach Petrus. Paulus erwähnt ihn lediglich einmal als letzte der »drei Säulen« in Gal 2,9 beim Apostelkonzil. Daneben wäre nach den Paulusbriefen und der Apostelgeschichte als fünfter Barnabas zu erwähnen, Gefährte der Jünger in Jerusalem und später Missionskollege des Paulus in Antiochien und im südöstlichen Kleinasien. Bei diesen ersten drei bzw. fünf Gestalten handelt es sich unbezweifelbar um besondere, ja einzigartige Autoritäten, die für die Entwicklung der frühesten Kirche grundlegend waren. Eine offene Frage bleibt dabei, ob der Zebedaide Johannes mit dem ihm seit dem 2. Jahrhundert zugeschriebenen Corpus Johanneum zusammenhängt.20 Die auffallende Hervorhebung dieser Männer der ersten »apostolischen« Generation in unseren Quellen macht deutlich, wie sehr das früheste Christentum und seine Traditionen nicht in erster Linie – wie oft vermutet wurde – von anonymer »volkstümlicher Überlieferung« geprägt wurden, sondern von maßgeblichen Autoritäten und theologisch schöpferischen Persönlichkeiten. Das kann man für die »apostolische Zeit« an der Gestalt des Paulus und seinem Verhältnis zu den von ihm gegründeten Gemeinden erkennen, es gilt aber natürlich erst recht für die das Urchristentum begründende Zeit der eineinhalb bis zwei 18 Die »Brüder Jesu« erscheinen im Neuen Testament korporativ in neun Texten, teilweise in negativem Kontext; s. u. S. 288–291. 19 Das Brüderpaar Jakobus und Johannes erhält in den Synoptikern, freilich mit großem Abstand, die zweitwichtigste Rolle nach Petrus. S. u. S. 368. 20 S. Hengel, Johanneische Frage.
Vorbemerkungen
Jahre, in der Jesus selbst und vor ihm Johannes der Täufer wirkten. Diese für Simon Petrus, den engeren Jüngerkreis (und indirekt wohl auch für die Brüder Jesu) als die im eigentlichen Sinne »entscheidende« Zeit der Gemeinschaft mit ihrem Meister bereitete alle späteren Entwicklungen vor. Das wurde in früheren Darstellungen der christlichen Frühgeschichte gar zu leicht vergessen, besonders wenn man sie erst mit den – für uns weithin unbekannten – Entwicklungen in der Zeit nach Ostern beginnen läßt.21 Das Ende der »apostolischen Zeit« im strengen Sinne wird darum angezeigt durch den Tod der drei erstgenannten Männer: Alle drei starben den Märtyrertod kurz vor Ausbruch des Jüdischen Krieges 66 n. Chr., Paulus und Petrus in Rom vermutlich in der neronischen Verfolgung 64/65 n. Chr. und der Herrenbruder Jakobus ca. 62 n. Chr. in Jerusalem.22 Eine freilich umstrittene Nachricht bei Papias spricht davon, daß auch die beiden Söhne des Zebedäus, nach Petrus die wichtigsten Jünger im Zwölferkreis, von den Juden getötet wurden; bei Jakobus, dem Sohn des Zebedäus, geschah dies sehr früh, wohl 42/43 n. Chr. durch Herodes Agrippa I.,23 bei seinem Bruder Johannes wissen wir nicht, wann sich dies ereignet haben soll, vielleicht noch in Jerusalem, wahrscheinlicher aber erst in Kleinasien.24 Die Katastrophe des Jüdischen Krieges (66–73), die im August / September 70 zur Zerstörung Jerusalems führte und durch die das palästinische Judenchristentum seine bisher dominierende Bedeutung verlor, bildete dann den Schlußstein dieser frühesten, im eigentlichen Sinne »apostolischen« Epoche. Das Markusevangelium im Jahr 69/70 ist eine Antwort auf diese Krise, dasselbe gilt vielleicht auch von einer hypothetischen Urform der Johannesapokalypse, die als ganzes Werk freilich nach Irenäus erst gegen Ende der Herrschaft Domitians (81–96) entstanden sein soll.25 Selbst das relativ bald nach der Zerstörung Jerusalems etwa zwischen 75 und 85 verfaßte Doppelwerk des Arztes Lukas, eines ehemaligen Reisebegleiters des Paulus, ist noch ganz von der Situation und den Ereignissen vor 70 geprägt. Es enthält auch zusammen mit dem etwas älteren Markus den wichtigsten Beitrag zur »Geschichte« Jesu. Man kann diese zweite Zeitspanne einer Geschichte des frühen Christentums – die der »apostolischen Zeit« bzw. der Entstehung und Ausbreitung der »Urgemeinde« nach dem Wirken Jesu zwischen ca. 30 und 70 – selbst wieder in zwei Perioden einteilen. Die erste umfaßt die ersten ca. 13 bis 18 Jahre und endet mit der Verschärfung der Situation in Judäa durch die Verfolgung unter 21 S. u.
S. 171 ff. sein indirekt gegen Paulus gerichteter Brief echt ist, wäre dieser gegen 60–62 entstanden; vgl. o. S. 6 Anm. 14. 23 Apg 12,1 f. 24 Hengel, Johanneische Frage, 36.88–92.119. 25 Adv. haer. 5,30,3 = Euseb, h.e. 5,8,6 f. Schon Justin schreibt in dial. 81,4 um 160 n. Chr. dieselbe dem »Johannes, einem der Apostel Christi«, zu. Domitian wurde am 18. September 96 n. Chr. ermordet. 22 Falls
§ 1 Der zeitliche und inhaltliche Gesamtrahmen
Agrippa I. ca. 42/43 n. Chr. bzw. mit dem Apostelkonzil etwa 48/49 n. Chr.,26 das die endgültige Anerkennung der gesetzeskritischen Mission durch die Gemeinden in Jerusalem und Judäa durchsetzte und den Weg zur »weltweiten« Mission freigab. Bis zu diesem Zeitpunkt war die urchristliche Mission weitgehend auf Palästina, Syrien und Kilikien sowie die Insel Zypern und angrenzende Gebiete Kleinasiens beschränkt gewesen und hatte darüber hinaus wohl lediglich in Rom Fuß gefaßt.27 Diese wenigen Jahre bis 48 n. Chr., über die wir ganz fragmentarisch in Apg 1–15 bzw. Gal 1 und 2 informiert sind, sind die eigentliche »Frühzeit« des Urchristentums in statu nascendi, die den zweiten Band unserer Untersuchungen umfassen soll. Wegen der spärlichen Quellenhinweise sind sie auch der dunkelste und umstrittenste Zeitraum, in dem freilich das eigentlich Entscheidende in Ausbreitung und Lehrentwicklung bereits geschehen ist,28 denn in ihr haben sich jene Grundzüge der christlichen Botschaft ausgebildet, die uns im ganzen Neuen Testament und dann im 2. Jahrhundert begegnen und schon in den Paulusbriefen vorausgesetzt werden. Zu ihnen gehört bereits die »Heidenmission«, die sich freilich zunächst vor allem auf die Gewinnung von »Gottesfürchtigen« am Rande der Synagogen konzentriert. Im Blick auf die christliche Lehre hat sich in diesen knapp 13 bis 18 Jahren mehr ereignet als in den Jahrhunderten danach.29 Dies gilt vor allem für das Zentrum der neuen Botschaft, die Christologie in ihrer Einheit mit der Soteriologie. Schon Paulus verkündigt in seinen Missionsgemeinden ganz selbstverständlich eine Hochchristologie, die die göttliche Würde des präexistenten Christus, seine Schöpfungsmittlerschaft und Menschwerdung einschließt. Diese Christologie muß der Apostel schon in der Zeit seiner kilikisch-syrischen Wirksamkeit, etwa zwischen 36 und 48 n. Chr., gelehrt haben. Ähnliches gilt unseres Erachtens auch vom spezifisch paulinischen Evangelium, seinem Gesetzesverständnis, seiner Anthropologie und Rechtfertigungslehre. Er hat sein »Evangelium« nach Gal 1,11–17 durch »eine Offenbarung Jesu Christi« doch wohl in zeitlichem Zusammenhang mit seiner Bekehrung vor Damaskus – spätestens drei Jahre nach dem Urgeschehen – empfangen.30 Die Grundlagen seines Evangeliums, das er als der erfolgreichste Heidenmissionar verkündigt, sind nicht erst das zufällige Produkt späterer Entwicklungen. 26 Apg
12; Gal 2,10 ff. und Apg 15. S. dazu Hengel / Schwemer, Paulus, 270 ff.389 ff.394. dazu Röm 1,13; 15,22 mit 15,18 f. und 1 Kor 15,10; Gal 1,21; 2,1; s. auch Hengel / Schwemer, Paulus, 389–394. 28 S. dazu Hengel / Schwemer, Paulus, 429–461. 29 M. Hengel, Christologie und Chronologie, in: Neues Testament und Geschichte. Historisches Geschehen und Deutung im Neuen Testament. FS für Oscar Cullmann zum 70. Geburtstag, hg. v. H. Baltensweiler und B. Reicke, Zürich / Tübingen 1972, 43–67 = KS IV, 27–51; ders., Sohn Gottes, 9 ff. = KS IV, 74 ff. 30 Hengel / Schwemer, Paulus; M. Hengel, KS III, 213–239. 27 Vgl.
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Vorbemerkungen
Die zweite Periode der »apostolischen« Zeit mit ca. 20–25 Jahren ist die Ära der großen Missionsreisen des Paulus nach dem inneren Kleinasien, Makedonien, Griechenland, der Provinz Asia und als Gefangener nach Rom, wo er 60 n. Chr. eintraf und zwei Jahre als Gefangener weilte.31 Vermutlich kam er zunächst noch einmal frei und hat, wie er schon lange plante, Spanien besucht.32 Dann wäre er nach seiner Rückkehr nach Rom bei der neronischen Verfolgung 64/65 n. Chr. hingerichtet worden. Aber auch Petrus hat während dieser ganzen Periode überwiegend außerhalb Judäas als Missionar, Seelsorger und Organisator gewirkt und wurde wahrscheinlich in derselben Verfolgung in Rom gekreuzigt.33 Die judenchristliche Gemeinde in Palästina wurde durch die Steinigung des Jakobus und anderer führender Christen 62 n. Chr. und den Ausbruch des Jüdischen Krieges schwer erschüttert.34 Mit der Zerstörung Jerusalems 70 n. Chr. hörte sie auf, eine maßgebliche Rolle zu spielen. An ihre Stelle tritt relativ rasch die römische, jetzt schon überwiegend heidenchristliche Gemeinde. Der dritte Band unserer Geschichte soll diese zweite Periode der »apostolischen« Ära, die von den Nachrichten über Paulus beherrscht wird, bis zur Zerstörung Jerusalems und den daran anschließenden ersten Teil der »nachapostolischen Zeit« bis zum Ende der flavischen Epoche bzw. der Anfangszeit Trajans, dem Corpus Johanneum, 1. Clemens, Ignatius und den Pastoralbriefen umfassen, das heißt auch die erste Hälfte der »dritten Epoche«. 3. Diese dritte Epoche läßt sich mit einem gewissen Recht als die »nachapostolische« bezeichnen. 1905 schrieb Rudolf Knopf sein großes, auch nach rund hundert Jahren nicht überholtes Werk »Das nachapostolische Zeitalter« mit dem Untertitel »Geschichte der christlichen Gemeinden vom Beginn der Flavierdynastie bis zum Ende Hadrians«35, das heißt von ca. 69 n. Chr., dem Regierungsantritt Vespasians, der als römischer Befehlshaber in Judäa von seinen Legionen zum Kaiser ausgerufen wurde, bis ca. 138 n. Chr., dem Todesjahr Hadrians. Auch in dieser dritten Zeitspanne kann man wieder mit zwei Perioden rechnen. Die erste ist die Zeit der flavischen Kaiser von Vespasian über Titus bis Domitian, der 96 ermordet wird, bzw. bis zur Anfangszeit Trajans (98–117). In ihr wurde die Mehrzahl der großen neutestamentlichen Schriften, darunter alle 31 Apg
28,30 f. 15,24.28; 1 Clem 5,7; ActVerc 1 (AAAp Lipsius I, 45 f.); Canon Mur. 38 ff. in NTApo5 I, 28 f. Unseres Erachtens setzen Texte wie Mk 13,10; 14,9; Lk 24,47; Apg 1,8 dieses Wissen voraus. Erst die Pastoralbriefe haben diese Tradition zugunsten einer erneuten Reise des Paulus in den Osten zum Teil wieder verdrängt. 33 Joh 21,18 f.; 1 Clem 5; AscJes 4,2 f.; Dionysios v. Korinth um 160 nach Euseb, h.e. 2,25,8: »Sie haben zu gleicher Zeit in Rom den Märtyrertod erlitten.« Irenäus, adv. haer. 3,1,1, vgl. 3,3,1; vgl. auch IgnRöm 4,3; ActVerc 35–40 (AAAp Lipsius I, 88 ff.); Tertullian, Scorp. 15,3. 34 Josephus, ant. 20,200 f.; Euseb, h.e. 3,5,3: die Flucht nach Pella. 35 Tübingen 1905. Er schrieb das Werk als dreißigjähriger Privatdozent und starb allzu früh (*26. 10. 1874 – †19. 1. 1920). 32 Röm
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vier Evangelien in der zeitlichen Reihenfolge Markus, Lukas, Matthäus und Johannes, geschrieben. Es kommt darin zur endgültigen, schmerzhaften Trennung zwischen Synagoge und Kirche, obwohl das judenchristliche Element und seine Traditionen zusammen mit der Septuaginta auch in der Kirche des 2. Jahrhunderts weiterhin wirksam blieben. Diese Entwicklung war begleitet von einem immer gespannter werdenden Verhältnis zur römischen Herrschaft. Gleichzeitig werden innerkirchliche Krisen, die Auseinandersetzung mit einem ethisch indifferenten oder aber rigoros asketischen Enthusiasmus, einer doketischen Verwerfung der wahren Menschheit Christi und eine erste Stufe in der Ausformung eines festen kirchlichen Amtes sichtbar. Es ist zugleich eine Zeit schöpferischer Verarbeitung der »apostolischen« Botschaft. Innerhalb von zweieinhalb Jahrzehnten, etwa von 75 bis kurz nach 100 n. Chr., entstehen mindestens fünf oder sechs zum Teil sehr verschiedene, großartige theologische Entwürfe (in zeitlicher Reihenfolge): (1) das Doppelwerk des Lukas, sein Evangelium und – mit einem gewissen zeitlichen Abstand – die Apostelgeschichte zwischen 75–85, dessen Bedeutung für unser Wissen um die christliche »Urgeschichte«, das heißt Jesus und die »Urgemeinde«, gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann, (2) der anonym überlieferte Hebräerbrief etwa zur gleichen Zeit,36 (3) das Matthäusevangelium um 90–100, (4) der erste Petrusbrief um 95–100, (5) das Corpus Johanneum (Evangelium und drei Briefe), das wohl kurz nach 100 veröffentlicht wurde, und (6) etwa gleichzeitig die Johannesapokalypse, wobei die Frage umstritten ist, inwieweit zwischen dem johanneischen Corpus und der Apokalypse trotz aller großen Unterschiede nicht doch ein gewisser historischer Zusammenhang besteht.37 Zumindest die frühesten Zeugen des 2. Jahrhunderts haben diesen Zusammenhang behauptet. Uns scheint dies nicht unmöglich zu sein. Diese Texte bilden zusammen mit den früheren sieben echten Paulusbriefen und dem Markusevangelium den wesentlichen Inhalt des Neuen Testaments. Auch der erste Clemensbrief und das Corpus Paulinum, das heißt die Sammlung der echten und unechten Paulusbriefe Kolosser, Epheser, 2. Thessalonicher inklusive des Hebräerbriefs, der uns dadurch erhalten blieb, daß der unbekannte Herausgeber um 100 ihn in dieses Corpus einfügte38 – doch ohne die noch späteren Pastoralbriefe39 –, gehören noch in die Endzeit dieser Periode. Es war eine hohe 36 Hier
sind wir nicht sicher, ob er nicht doch noch vor 70 anzusetzen ist, da die Zerstörung des Tempels nicht einmal angedeutet wird und 1. Clemens und die Sammlung der Paulusbriefe um 100 ihn voraussetzen. Lukas und den Hebräerbrief verbindet bei allen großen theologischen Unterschieden der Hinweis auf die »Augen-« und »Ohrenzeugen«, s. Lk 1,2 und Hebr 2,3; vgl. auch Apg 1,21 f. und Joh 15,27. 37 J. Frey, Johannesapokalypse, in: Hengel, Johanneische Frage, 326–429. 38 Er könnte etwa zwischen 60 und 66 entstanden und an eine Gemeinde im Osten gerichtet sein. S. o. Anm. 36 und u. S. 204 Anm. 51. 39 Vielleicht war der Verfasser des Epheserbriefes der Herausgeber dieser Sammlung; vgl. den Epheserbrief mit dem theologisch übereinstimmenden und wohl von diesem stammenden
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Vorbemerkungen
Zeit theologischen Denkens, wobei die Verfasserpersönlichkeiten jetzt teilweise zugunsten der einzigartigen apostolischen Autoritäten der Vergangenheit, auf die sie sich beriefen und die man bereits zum Teil »pseudepigraphisch« als Verfasser nannte, im dunkeln blieben. Nur das Doppelwerk des Lukas, 1. Clemens und unseres Erachtens das Corpus Johanneum wurden während dieser rund 30 Jahre unter dem eigenen Verfassernamen verbreitet. Der dritte Band soll etwa diesen Zeitraum von etwas mehr als 50 Jahren vom Apostelkonzil bis zum Anfang des 2. Jahrhunderts enthalten. Auch in ihm spielt die theologisch begründete Autorität der Autoren, die sich noch als Apostelschüler betrachten konnten, bzw. auch der hinter ihnen stehenden maßgeblichen Gemeinden wie etwa Rom40 oder Ephesus eine entscheidende Rolle. Ein gewisser Umbruch hin zum zweiten Teil dieser dritten Epoche, den man cum grano salis trotz des früheren Mißbrauchs des Wortes auch schon als eine Zeit des »Frühkatholizismus«41 bezeichnen könnte, wird durch den ersten Clemensbrief (entstanden wohl zwischen 96, dem Tode Domitians, und der Frühzeit Trajans um 100) offenbar. Es ist eine Ära, in der Gegensätze aufbrechen: Das endzeitliche Bewußtsein und die damit verbundene Naherwartung traten zumindest teilweise zurück – andererseits entstand in eben dieser Zeit die (Endfassung der) Apokalypse –, man versuchte, sich schrittweise mit dem römischen Staat zu arrangieren, dessen Druck wesentlich stärker wurde, und legte größeres Gewicht auf die innere Ordnung und Organisation der Gemeinden verbunden mit einem gegenüber der heidnischen Umwelt strengen und zugleich sozial-solidarischen Ethos sowie auf die Ausbildung der traditionell werdenden kirchlichen Ämter als Garanten für die Erhaltung der sich jetzt formierenden idealen und autoritativen »apostolischen Tradition«. Dieser Prozeß gipfelt in der allmählichen Durchsetzung des monarchischen Bischofsamtes, das in den Ignatiusbriefen so stark betont wird, weil es in den Gemeinden selbst noch umstritten war.42 Das freie Wirken des Geistes wurde mehr und mehr durch die Amtsträger und die Bindung an die Tradition kontrolliert, eine Entwicklung, sekundären Zusatz Röm 16,25–27. Er hätte dann in diesem Brief gezeigt, wie er im Anschluß an den wesentlich älteren Kolosserbrief Paulus verstanden haben will. 40 1. Clemens; Hebr 13,24; IgnRöm praescr.; Irenäus, adv. haer. 3,3,2. 41 Der Begriff wurde eine Zeitlang polemisch mißbraucht. Vgl. etwa E. Käsemann zum 2. Petrusbrief, in: ders., Versuche I, 135: Er sei »vom Anfang bis zum Ende ein Dokument frühkatholischer Anschauung und wohl die fragwürdigste Schrift des Kanons.« In »Paulus und der Frühkatholizismus« (in: Versuche II, 239–252) führt Käsemann seine Polemik freilich ad absurdum, weil er beim Apostel selbst eine Menge frühkatholischer Elemente findet. Völlig unqualifiziert verwendet den Begriff S. Schulz, Die Mitte der Schrift. Der Frühkatholizismus im Neuen Testament als Herausforderung an den Protestantismus, Stuttgart 1976. Zur Kritik an einer fragwürdigen Verwendung des von E. Troeltsch eingeführten Begriffs s. F. Hahn, EvTh 38 (1976), 340–357 und S. Alkier, RGG4 3, 402. 42 H. Chadwick, The Silence of Bishops in Ignatius, HThR 43 (1950), 169–172; ders., The Church in Ancient Society, Oxford 2001, 65–83 (77 ff.).
§ 1 Der zeitliche und inhaltliche Gesamtrahmen
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die nicht ohne erhebliche Widerstände verlief. Beispiele dafür bieten neben den Ignatiusbriefen die etwa zeitgleichen Pastoralbriefe, der Polykarpbrief, der Hirte des Hermas, die Zwölfapostellehre und – gewissermaßen als Antipoden – die Tradition über die kleinasiatischen Profetinnen, auf die sich in der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts der aufkommende Montanismus berief.43 Gleichzeitig begann, da immer mehr Gebildete den Weg in die Kirche fanden, eine neue Zeit des theologischen Nachdenkens und Experimentierens. »Religionsphilosophische« Zirkel entwickelten sich am Rande großer Gemeinden zu theologischen Laboratorien, die, beeinflußt durch den mittelplatonischen »Zeitgeist«, nicht mehr nur an der Christologie, Soteriologie und am Ethos, sondern auch an der Protologie und Seelenlehre interessiert waren, zugleich aber auch mit »wissenschaftlichen« philologischen Methoden begannen, die heiligen Texte der Septuaginta und die Evangelien und Paulusbriefe auszulegen. Der immer stärker werdende popularphilosophische Einfluß begünstigte bei ihnen eine doketische Christologie, die die volle Menschlichkeit Christi verleugnete, und führte zu ersten Ansätzen von »gnostisierenden« Bildungen. Der Begriff »Gno sis« erscheint erstmals in 1 Tim 6,20 um 115 n. Chr. als Bezeichnung einer noch nicht klar umrissenen »Häresie«. Lukas konnte dagegen den Begriff aºresi“ noch neutral im Sinne von »Religionspartei« verwenden. Ab dem Beginn des 2. Jahrhunderts wird jedoch »Häretiker« im Sinne von »Sektierer« zur polemischen Bezeichnung derer, die vom wahren »apostolischen« Glauben abweichen.44 Deutlichere Umrisse erhalten die verschiedenen gnostischen Gruppen freilich erst in den ersten beiden Büchern des fünfteiligen Werkes von Irenäus, dem seinerseits wieder eine verlorengegangene Streitschrift Justins zugrunde liegt.45 Die Pastoralbriefe und die sieben Briefe des Ignatius46 zeigen auch die ersten Ansätze zu einem monarchischen Episkopat, der – wohl vom Vorbild des Herrenbruders Jakobus beeinflußt – vom Osten in den Westen vordringt. Der in Rom um 120–130 entstandene »Hirte des Hermas« kennt einen solchen noch nicht und bezeugt gleichzeitig auch das Fortleben eines apokalyptischen, stark jüdisch geprägten, ethisch ausgerichteten christlichen Profetentums. 43 Vgl.
etwa Apk 2,20; Euseb, h.e. 3,39,9; 5,17,3 f.; 5,24,2. Auch Justin, dial. 82,1 (vgl. Euseb, h.e. 4,18,8) spricht noch vom Wirken des profetischen Geistes. 44 Tit 3,10 fordert dazu auf, Kontakte mit »Häretikern« zu meiden. 2 Petr 2,1 spricht von »verderblichen Häresien«. Lukas gebraucht den Begriff noch im Sinne von jüdischer »Religionspartei« und sieht in den Christen eine solche wie die Sadduzäer und Pharisäer Apg 5,17; 15,5; 24,5.14; 26,5; 28,22. Negativ erscheint der Begriff dagegen IgnEph 6,2; IgnTrall 6,1. Im Sinne von schlechter »Denkungsart«, Lehre s. Herm sim IX,23 (100),5; Justin, dial. 17,1: Die Christen sind in jüdischen Augen eine aºresi“ ±qeo“ etc. 45 S. Irenäus, adv. haer. 4,6,2 = Euseb, h.e. 4,18,9: gegen Marcion; vgl. Justin, apol. I, 26,8: »Syntagma gegen alle Häresien«. 46 Ignatius schreibt zwischen 110 und 114, da Trajan im Sommer 114 zum Partherkrieg in den Osten aufbricht, Pastoralbriefe ca. 110–120.
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Vorbemerkungen
Damals besaß Rom noch keinen monarchischen Bischof, ja, selbst bei Justin um 150 ist das noch nicht eindeutig der Fall. 1. Clemens und Hermas bezeugen dort eine pluralistische Leitung durch Presbyter.47 Die Didache beleuchtet das Leben ländlicher südsyrischer Gemeinden, der Barnabasbrief um 135 die Verschärfung der Auseinandersetzung mit dem Judentum bei gleichzeitiger Übernahme eines jüdischen »ethischen« Katechismus, der »Lehre von den zwei Wegen«, der uns auch in der Didache begegnet. Es ist zugleich die Zeit, in der die spätesten neutestamentlichen Schriften entstehen: die Pastoralbriefe um ca. 115, die zeitlich zwischen der Apostelgeschichte (ca. 80–85) und den romanhaft erzählenden Paulusakten (um 180) stehen, der Judasbrief, der den vielleicht doch echten Jakobusbrief voraussetzt und selbst wieder den zweiten Petrusbrief beeinflußt, der etwa bis 130 entstanden sein mag. Er ist der späteste Text des neutestamentlichen »Kanons«, der jünger ist als eine ganze Reihe der den »apostolischen Vätern« zugerechneten Werke. Er setzt schon die Sammlung der Paulusbriefe und den Kampf um ihre rechte Auslegung voraus. Die Entstehung der 27 Schriften des Neuen Testaments beginnt mit dem ersten Thessalonicherbrief um 50 und umfaßt so etwa einen Zeitraum von rund 80 Jahren. Als eine kanonartige, autoritative Schriftensammlung, die wohl im Gottesdienst verwendet wurde, jedoch noch ohne 3. Johannes, Jakobus, Judas und 2. Petrus, erscheint diese Sammlung freilich erst bei Irenäus um 180, wobei betont werden muß, daß die apologetische und antihäretische Literatur vor Irenäus, die solche Texte gekannt haben könnte, weithin verlorengegangen ist. Das heißt, die Sammlung kann wesentlich älter sein. Der Begriff »Kanon« selbst taucht erst im 4. Jahrhundert auf, und der völlige Abschluß des neutestamentlichen Corpus für die griechische Kirche geschieht viel später durch den 39. Osterbrief des Athanasius 367 n. Chr. Am Ende dieser dritten Epoche steht so die klare Herausbildung einer »neutestamentlichen Schriftensammlung«, die neben die schon anerkannte Sammlung der heiligen Bücher des »Alten Bundes«48 in griechischer Sprache tritt. Die Übersetzung der »Siebzig«, die »Septuaginta«, umfaßte für Justin alle »alttestamentlichen« Schriften und ist für ihn durchweg profetische Weissagung auf Christus hin. Ein wesentlicher Schritt in die Richtung auf ein »Neues Testament« wird zum erstenmal deutlich sichtbar bei Marcion, der seiner von ihm gegründeten Sonderkirche mit dem um die Hälfte verkürzten, »gereinigten« Lukasevangelium und den ebenfalls »gereinigten« Paulusbriefen (noch ohne die Pastoralbriefe) als »Aposteltext« so etwas wie ein absolut verbindliches
47 Apol. I, 67,4 nennt nur einen Vorsteher (¨ proest„“) als Prediger beim Sonntagsgottesdienst. 48 Zur Bezeichnung s. Melitos Schriftenverzeichnis bei Euseb, h.e. 4,26,14.
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Schriftencorpus gab.49 Marcion setzt schon eine Sammlung von vier Evangelien voraus und grenzt sich davon ab. Er brauchte eine eigene, separate autoritative »Heilige Schrift«, weil er das ganze Alte Testament verwarf. Als Gegenbewegung wird in der »Großkirche« ein umfangreiches »Apostolikon« mit den Paulusbriefen einschließlich der Pastoralbriefe, der Apostelgeschichte, der »Katholischen Briefe«, mit 1. Petrus und den Johannesbriefen geschaffen, das uns als Corpus bei Irenäus um 180 als in der Kirche allgemein anerkannt begegnet.50 Wesentlich früher schon finden sich Hinweise auf das Markus‑ und das Matthäusevangelium, die Apokalypse und wohl auch auf 1. Johannes und 1. Petrus in den vor allem durch Euseb erhaltenen Fragmenten und Nachrichten über das fünfbändige Werk des Papias zur Zeit Hadrians (117–138), der versuchte, noch einmal ältere mündliche jesuanische und apostolische Traditionen zu sammeln. Die Fragmente des Papias zeigen freilich bereits die erhebliche Verwilderung der mündlichen Tradition. Auch sein Zeitgenosse Polykarp setzt in seinem Brief an die Philipper die synoptische Evangelientradition, die Paulusbriefe, 1. Petrus und die Johannesbriefe voraus. Justin um 150 kennt schon alle vier Evangelien und nennt sie »Erinnerungen der Apostel«. Er weiß, daß die Verfasser »Apostel und Apostelschüler« sind, und berichtet von ihrer Lesung wie auch der der alttestamentlichen Schriften im Gottesdienst als einer gefestigten, selbstverständlichen Tradition.51 Gegen Ende dieses Zeitraumes wird die Judenschaft in Judäa im Bar Kochba-Aufstand (132–136) vernichtet, durch den das gesetzestreue Judenchristentum noch einmal schwer beeinträchtigt und allmählich in die »ebionitische« Häresie abgedrängt wurde. Die römische Neugründung Aelia Capitolina anstelle Jerusalems erhielt jetzt eine rein heidenchristliche Gemeinde. 4. Eine grundlegende Veränderung wird in dieser Zeit im Aufkommen der apologetischen Literatur sichtbar. Sie durchbricht, analog zu manchen »gnostischen« Schriften, die literarische Mauer hin zur gebildeten Oberschicht. Bisher hatte nur Lukas mit seinem Doppelwerk einen Versuch in diese Richtung unternommen. Seine Widmung an Theophilos war eine absolute Ausnahme gewesen, jetzt werden derartige literarische Konventionen häufiger. Die erste Apologie soll ein gewisser Quadratus 124 oder 129 n. Chr. dem Kaiser Hadrian vorgelegt haben, von der nur bei Euseb ein kleines Fragment erhalten ist.52 Der nächste 49 Er streicht bei seiner »Reinigung« alle Hinweise auf den minderwertigen »gerechten Gott« (Tertullian, adv. Marc. 2,29,1) des Alten Testaments, das für ihn keine Bedeutung für den christlichen Glauben hat. 50 Die Bezeichnung des 1. Johannesbriefes als kaqolikÉ †pistolfl erscheint wahrscheinlich in der Auseinandersetzung um den Montanismus in Kleinasien gegen Ende des 2. Jahrhunderts, s. Euseb, h.e. 5,18,5 und Hengel, Johanneische Frage, 102 Anm. 18. 51 Apol. I, 66,3; 67,3; dial. 103,8; s. auch o. S. 5 Anm. 12 und Hengel, Gospels, 20.221 f. Anm. 83. 52 Euseb, h.e. 4,3.
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Vorbemerkungen
bekannte Apologet, Aristides, schreibt unter Hadrian oder Antoninus Pius, und Justin, dessen Werk trotz großer Lücken in wesentlichen Teilen erhalten ist, zur Zeit des letzteren und Mark Aurels, unter dem er den Märtyrertod erleidet. Seine beiden Apologien entstehen wahrscheinlich kurz nach 150. Deutlich ist weiter die immer stärker betonte Abgrenzung vom Judentum. Gegen Ende des Bar Kochba-Aufstandes (132–136) entsteht der Barnabasbrief, in dieselbe Zeit verlegt Justin seinen Dialog mit dem nach Kleinasien geflüchteten Juden Tryphon, das Werk selbst hat er etwa um 160 verfaßt. Ein Vorläufer wohl aus der Zeit bald nach dem Bar Kochba-Aufstand ist der verlorengegangene Dialog des Judenchristen Jason mit dem alexandrinischen Juden Papiscus von Ariston von Pella.53 Weitere einflußreiche Apologeten sind Melito von Sardes, Tatian, ein Schüler Justins, der eine »Harmonie« aus den vier Evangelien herstellte, Athenagoras und Theophilos von Antiochien, ein Zeitgenosse des Irenäus. Zeitlich parallel zu den Apologeten werden auch jene zum Teil immer umfangreicher werdenden »religionsphilosophischen« Schriften verfaßt, deren Autoren gebildete christliche Intellektuelle waren, die spätestens seit Irenäus als »Gnostiker« verurteilt wurden. Zwischen 130 und 140 lehrt der christliche Denker Basilides in Alexandrien einen platonisierenden, spekulativen Paulinismus und schrieb auch eine Art von Kommentar zur Evangelienüberlieferung;54 fast gleichzeitig, etwa ab 138, finden wir Valentin – aus Alexandrien kommend – in Rom als freien christlichen Lehrer mit erheblichem kirchlichem Einfluß.55 Bereits geraume Zeit vor Marcion um 144, den großen religionsphilosophischen »Systembauern«, die man seit Irenäus und Clemens Alexandrinus der christlichen »Gnosis« zurechnete, und den Apologeten war die Abfassung der »neutestamentlichen«56 Schriften, die selbst noch nicht »gnostisch« beeinflußt sind, endgültig abgeschlossen; es beginnt die Zeit ihrer Wirkung und ihrer Auslegung. Den ersten in Fragmenten erhaltenen Kommentar zu einer ganzen neutestamentlichen Schrift, dem Johannesevangelium, verfaßte in der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts auf einem hohen philologischen und philosophischen Niveau Heracleon, wohl ein Schüler Valentins.57 Der große, in seiner Bedeutung für das Neue Testament freilich gern überschätzte, überwiegend gnostische 53 F.-R. Prostmeier, LACL, 51 f. Daß Justin diesen Dialog nicht kannte, scheint uns unwahrscheinlich zu sein. 54 Vgl. W. Löhr, Basilides und seine Schule, WUNT 83, Tübingen 1996. 55 Dazu Chr. Markschies, Valentinus Gnosticus? Untersuchungen zur valentinianischen Gnosis mit einem Kommentar zu den Fragmenten Valentins, WUNT 65, Tübingen 1992. 56 Die Bezeichnung erscheint erst später bei Tertullian und Clemens von Alexandrien. Melito von Sardes um 170 spricht erstmals von den »Büchern des Alten Testaments« (bei Euseb, h.e. 4,26,14); s. o. S. 14 Anm. 48. 57 S. die glänzende Untersuchung von A. Wucherpfennig, Heracleon Philologus, WUNT 142, Tübingen 2002, die zeigt, daß Heracleon für Origenes ein ernsthafter Diskussionspartner war und man ihn erst retrospektiv als »Häretiker« bezeichnen kann.
§ 1 Der zeitliche und inhaltliche Gesamtrahmen
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Quellenfund koptischer Texte aus Nag Hammadi beleuchtet die Vielfalt der gnostischen und pseudepigraphischen Produktion, trägt aber durch den diffusen Charakter seiner Schriften enttäuschend wenig zur Lösung der nach wie vor offenen Frage der Entstehung dieser kirchlichen Bewegung und ihrer Geschichte in der christlichen Frühzeit bei. Am wichtigsten sind die evangelienähnlichen Texte wie das Thomas‑ oder Philippusevangelium. Viele der Traktate mögen eher dem 3. als dem 2. Jahrhundert angehören. Auffallend ist, daß die Namen der großen Schulgründer wie Satornil, Basilides, Karpokrates, Valentin oder Ptolemaios dort gerade nicht erscheinen. Neben das »apologetische« und »religionsphilosophische« Schrifttum tritt ab der Mitte des 2. Jahrhunderts eine reiche »volkstümliche« Literatur, die »apo kryphen Apostelakten«, die sich nur oberflächlich die Apostelgeschichte zum Vorbild nehmen und viel eher der fiktiven antiken Romanliteratur entsprechen; die wirkungsvollste ist die Clemens von Rom zugeschriebene Grundschrift der judenchristlichen, antipaulinischen Pseudoclementinen, in denen Jakobus und Petrus, der gegen Simon Magus kämpft, im Mittelpunkt stehen. Hinzu treten »apokryphe« Schriften nach Art der Evangelien wie das Thomas‑ und Petrusevangelium oder die – antignostische – Epistula Apostolorum, die Gespräche des Auferstandenen mit seinen Jüngern enthält, eine Gattung, die sonst besonders bei Gnostikern beliebt ist, die sie bekämpfen will. Weiter sind zu nennen die mit dem jüdischen Erbe verbundenen Apokalypsen, etwa eines Petrus oder Paulus oder die ältere Ascensio Isaiae, und ähnliche Offenbarungsschriften, wobei zum Teil jüdische Corpora wie die Sibyllinen, die Testamente der Zwölf Patriarchen, die Vita Adae et Evae oder die Vitae Prophetarum christianisiert und weiterentwickelt werden. Die Trennung vom Judentum hat das Interesse am jüdisch-apokalyptischen Schrifttum nicht abgeschwächt, sondern eher gefördert, wie auch die zahlreichen christlichen Interpolationen in diesen Schriften zeigen. Es ist die Kirche des 2. Jahrhunderts, die in theologischen Zentren wie Rom oder Alexandrien das jüdisch-hellenistische Schrifttum, beginnend mit der Septuaginta unter Einschluß ihrer »Apokryphen«, den Werken Philos und Josephus’ übernommen, weiter überliefert und damit erhalten hat. Das Judentum des 2. Jahrhunderts hat dagegen diese Literatur fast völlig abgestoßen und zum Teil erst später wieder aus christlichen Quellen übernommen. 5. Die Geschichte des »Urchristentums« im weiteren Sinne, mit anderen Worten die Geschichte Jesu, der »apostolischen« und »nachapostolischen« Zeit, umfaßt so etwa 100/110 Jahre von ca. 30 – ca. 130/140 n. Chr. Am Ende dieses Zeitraums steht der Versuch, sich noch einmal durch Sammlung mündlicher Tradition oder die persönliche Berufung auf Traditionsträger der »Anfänge« zu versichern: so bei Papias, Quadratus, aber auch bei philosophisch geprägten Lehrern wie Basilides und Valentin, die sich auf namentlich genannte Schüler eines Paulus und Petrus beriefen. Bei aller Hervorhebung von »Perioden« erweist
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Vorbemerkungen
sich die frühe Geschichte des Christentums als ein durchgehendes, historisch fruchtbares und sinnerfülltes Kontinuum. Aufgrund der Bruchstückhaftigkeit der erhaltenen Quellen können wir diese Kontinuität oftmals nur sehr unvollkommen darstellen. Die wirklich schweren, klar aufweisbaren Brüche kommen zumeist von außen und sind eher gewaltsamer Art, so etwa der Tod der drei führenden Köpfe der ersten Generation als Märtyrer in den sechziger Jahren und die bald darauf erfolgende Zerstörung Jerusalems, die der judenchristlichen Gemeinde ihren bisher entscheidenden Einfluß raubte und Rom zum neuen Mittelpunkt der Kirche werden ließ. Auch die Ausstoßung Marcions aus der Gemeinde in Rom und die Gründung einer marcionitischen Gegenkirche um 144 n. Chr. könnte man als einen tiefgreifenden, jedoch unumgänglichen »Gewaltakt kirchlicher Disziplin« bezeichnen. Die zeitliche Grenze bis ca. 100 n. Chr., die durch die Entstehung der Mehrzahl der kanonischen Schriften58 gezogen wird, wurde nicht als solche empfunden, eher war der Wechsel von der zweiten zur dritten Generation spürbar, verbunden mit dem härteren Zugriff des Staates seit dem späten Domitian und Trajan. Die »neutestamentliche Wissenschaft« hat allzulange unter der Überbetonung der theologisch und kirchlich notwendigen, aber – historisch gesehen – fragwürdigen Grenze des Kanons und der Idealisierung der scheinbar allein wirklich theologisch »interessanten« Autoren wie Paulus und Johannes als Vertreter des wahren »Urchristentums« gelitten. Traditionell gewordene Begriffe wie »Urchristentum«, »apostolische« und »nachapostolische« Zeit oder »Frühkatholizismus« sind durchaus auch heute noch brauchbar, sie sollten aber nicht mehr in wertendem Sinne verwendet werden. In Wirklichkeit ist das 2. Jahrhundert für die Entstehung des »Neuen Testaments« als Schriftensammlung grundlegend, weil gerade in ihm bis hin zu Irenäus in Lyon um 180 und wenig später bis zu Tertullian in Karthago und Clemens in Alexandrien diese Schriften sich kraft ihres Inhalts in der Kirche durchsetzten. Auffallend ist dabei, daß weder Irenäus noch das große literarische Werk Tertullians einen nennenswerten Einfluß von »neutestamentlichen Apokryphen« zeigen. Diese werden vielmehr von beiden bereits entschieden abgelehnt. Selbst für Clemens sind die für die Kirche »autoritativen« Schriften klar festgelegt, auch wenn er entsprechend der geistigen Situation in Alexandrien und um der Diskussion mit gnostisierenden christlichen Religionsphilosophen willen hin und wieder auch »zweifelhafte« Texte zitiert. Die drei großen Quellencorpora dieser Autoren, die an Umfang alles übertreffen, was sich sonst aus dem 2. und 1. Jahrhundert an christlichen Schriften erhalten hat, bieten zugleich eine wichtige Basis für einen abschließenden Rückblick auf die frühere Zeit der »christlichen Anfänge« und die erstaunliche Entwicklung der Kirche im 2. Jahrhundert. Das in ihnen geschilderte theologische Denken und kirchliche 58 Außer
den Pastoralbriefen, Judas und 2. Petrus.
§ 1 Der zeitliche und inhaltliche Gesamtrahmen
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Leben geht ja ganz auf Voraussetzungen zurück, die sich im Laufe des 1. und 2. Jahrhunderts herausgebildet haben, und ihre theologischen Entwürfe sind auch zu einem guten Teil von dorther zu verstehen. Sie waren von Jesus und den Aposteln zeitlich nicht weiter entfernt als wir von F. Schleiermacher, F. C. Baur und A. Ritschl, wobei die letzten 150 Jahre schnellebiger waren als die griechisch-römische Gesellschaft. Darum können sie den sinnvollen Abschluß einer Geschichte der frühesten Kirche bilden. Von jetzt an beginnt noch lange vor Konstantin die Geschichte der Reichskirche. Mit diesen drei Theologen und einem Ausblick auf ihr literarisches Werk soll der geplante vierte Band schließen: Er reicht vom Beginn der »dunklen Zeit« nach Ignatius bis zu den Anfängen des 3. Jahrhunderts. 6. Was wir aus jenem Zeitraum von ca. 150–170 Jahren erfahren, ist wenig und viel zugleich. Es ist zuwenig, um eine auch nur einigermaßen kontinuierliche Geschichte der Entwicklung der neuen Bewegung im 1. und 2. Jahrhundert sichtbar werden zu lassen. Unsere beiden Hauptquellen, die Apostelgeschichte des Lukas und die ersten sechs Bücher der Kirchengeschichte Eusebs, sind für eine durchgehende Darstellung der Gesamtzusammenhänge viel zu bruchstückhaft. Das gilt erst recht von den Fragmenten der fünf Bücher Hypomnemata des Hegesipp, dem wir vor allem Nachrichten über das Judenchristentum und die ersten Bischofslisten verdanken. Der Versuch einer Darstellung des Werdens der Kirche kann in der Regel nur in ganz groben Linien durch Verbindung einzelner Punkte, das heißt aber nur mit vielen Lücken und unter ständiger Verwendung von Arbeitshypothesen, unternommen werden. Wir wissen – im Vergleich zu anderen religiösen und philosophischen Bewegungen in der Antike – insgesamt dennoch relativ viel über einzelne Zeitabschnitte und Personen, etwa über das Wirken Jesu oder die paulinische Mission, und vor allem wissen wir erstaunlich viel über einzelne theologische Entwürfe, etwa des Paulus, des Johannes, des Ignatius, Justins und Melitos, von Irenäus, Tertullian und Clemens Alexandrinus ganz zu schweigen. Für antike Verhältnisse ist die Entstehung des Christentums und die Geschichte seiner ersten 150–170 Jahre geradezu exzellent bezeugt. Dies gilt dank des lukanischen Doppelwerks und der Paulusbriefe vor allem für die entscheidenden ersten 40 Jahre bis zur Zerstörung Jerusalems. Am dunkelsten sind die ganz frühen zehn Jahre zwischen 30 und 40 und dann wieder der spätere Teil der »nachapostolischen« Epoche etwa zwischen Ignatius und Justin. Hier erhält unser Wissen jedoch wertvolle Ergänzungen durch römische Quellen wie den Pliniusbrief und die Antwort Trajans,59 ein Edikt Hadrians60 und die durch Euseb erhaltenen Fragmente eines Papias oder Hegesipp. Überhaupt begleitet Euseb mit den Büchern I–VI seiner einzigartigen Kirchengeschichte unseren 59 Ep. 10,96 f. 60 Justin,
apol. I, 68. S. dazu Hengel, KS I, 358–391.
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Vorbemerkungen
ganzen Weg. Es ist bedauerlich, daß bisher kein Kirchenhistoriker sich dazu entschließen konnte, zu diesem Grundtext einen ausführlichen, brauchbaren Kommentar zu schreiben. Die Darstellung der theologischen Entwürfe aufgrund der einzelnen Schriften ist an sich die Aufgabe einer »Theologie des Neuen Testaments« und dann der frühen Dogmengeschichte, wobei die erstere in der Regel heute als eine Art von »Geistesgeschichte des Urchristentums« in der Form der Entfaltung seiner Glaubensgedanken und mit Ansätzen zur hermeneutischen Umsetzung für die Gegenwart dargestellt wird. Diese übliche Aufteilung des Stoffes in eine Literaturgeschichte (bzw. Einleitung ins Neue Testament), eine Darstellung der Theologie des Neuen Testaments und den Versuch einer Geschichte des Urchristentums war jedoch immer in der Gefahr, einseitig, abstrakt und statisch zu werden, wenn sie nicht zugleich auch die verschiedenen geschichtlichen Situationen in Raum und Zeit und die handelnden Personen und ihre Gesprächspartner im Blick hatte. Darum lassen sich die Entwicklung des theologischen Denkens, die – sehr fragmentarischen – biographischen, sozialen und politischen Details und die Literaturgeschichte nicht auseinanderreißen. Immer war die Autorität von einzelnen theologischen Lehrern, Autoren, Schulgründern und Bischöfen von wesentlicher Bedeutung. Man kann daher die Erwähnung dieser Persönlichkeiten nicht völlig ausschalten, auch wenn wir biographisch meist ganz wenig über sie wissen. Das zeigt schon ein Blick auf die ersten sechs Bücher von Eusebs Kirchengeschichte, der versuchte – gestützt auf die große Bibliothek seines Lehrers Pamphilus in Caesarea –, die ersten rund 270 Jahre des Werdens der Kirche zu beschreiben und ohne den eine Geschichte des frühen Christentums gar nicht geschrieben werden könnte. Freilich kommt bei ihm die eigentliche Darstellung des theologischen Denkens gegenüber biographischen und »kirchenpolitischen« »Fakten« und der zitierten Literatur bis hin zu den aufgelisteten Buchtiteln und kurzen Literaturreferaten und ‑zitaten zu kurz. Er ist auch allzusehr im wertenden Schema von Orthodoxie und Häresie gefangen. Demgegenüber sind die Darstellung der historischen Besonderheiten und theologischen Charakteristika der einzelnen Schriften und ihrer Autoren, das heißt der Hauptquellen unseres Wissens, und die daraus erschlossenen Profile ihrer Glaubensgedanken wichtigster Teil einer Darstellung der christlichen Frühgeschichte. Vor allem das theologisch-christologische Denken und seine Ausformung und Entwicklung erweisen sich dabei als die eigentliche bewegende Kraft in dieser Anfangszeit. Sie bleiben es auch in den nächsten Jahrhunderten. Davon zeugen die großen Konzile des 4. und 5. Jahrhunderts und die damit verbundenen christologischen Streitigkeiten.
§ 2 Judentum und frühes Christentum 1. Daß das Urchristentum auf jüdischem Mutterboden gewachsen ist, bezweifelt heute wohl kein christlicher Theologe mehr. Fraglich wird dieser Konsens jedoch, wenn man nur ein Wörtchen hinzusetzt: daß es ganz aus dem Judentum hervorging. Denn diese Grundthese, daß das frühe Christentum historisch gesehen vollständig ein Kind des Judentums ist, widerspricht einer Ansicht, die einst Hermann Gunkel formulierte und die sich über die religionsgeschichtliche Schule und dann vor allem durch Rudolf Bultmann und seine Schüler in der neutestamentlichen Wissenschaft weithin durchgesetzt hat, daß nämlich das Christentum eine synkretistische Religion mit vielerlei Wurzeln sei. An seiner Wiege hätten neben dem Judentum auch eine vorchristliche, überwiegend pagane Gnosis, die griechischen und orientalischen Mysterien, Magie, Astrologie, heidnischer Polytheismus, »Theioi andres« und ihre Mirakel, hellenistische Popularphilosophie und anderes mehr Pate gestanden. Das Schlagwort »Synkretismus« hat das Verständnis der christlichen Anfänge nicht gefördert, wie überhaupt dieses beliebte Etikett weder dem Judentum in Mutterland und Diaspora noch den christlichen Anfängen im 1. Jahrhundert n. Chr. gerecht wird. Erst gewisse spätere gnostische Strömungen etwa seit dem zweiten Drittel des 2. Jahrhunderts wie die Lehre der Simonianer oder die »Naassenerpredigt« und dann vor allem den Manichäismus im 3. Jahrhundert kann man als durch »Religionsmischung« ganz bewußt »synkretistisch« ausgestaltete religiöse Bildungen bezeichnen. Das frühe Christentum – zumindest des 1. Jahrhunderts – gehört noch nicht dazu, es sei denn, man gebraucht den Begriff zu undifferenziert und allgemein. Denn fremden religiösen Einflüssen waren zuerst Israel und dann das Judentum seit den frühesten Anfängen auf H.
Gunkel, Zum religionsgeschichtlichen Verständnis des Neuen Testaments, FRLANT 1, Göttingen 1903, s. vor allem 88 und 95 das Fazit: »Das Christentum ist eine synkretistische Religion«; R. Bultmann, Das Urchristentum, Zürich 21952, 146 ff.: Die Mysterienreligionen; 152 ff.: Die Gnosis; 163 ff.: Das Urchristentum als synkretistisches Phänomen: »So ist das hellenistische Christentum keine einheitliche Größe, sondern aufs Ganze gesehen ein merkwürdiges synkretistisches Gebilde, in sich Spannungen und Gegensätze enthaltend« (165). Das gilt in Wirklichkeit ebenso vom Judentum und im Grunde von allen bedeutsamen antiken Religionen. K. Prümm SJ legte 1972 eine umfangreiche Studie vor mit dem Titel: Gnosis an der Wurzel des Christentums? Grundlagenkritik der Entmythologisierung, Salzburg 1972. Seine grundsätzliche Kritik ist zu einem guten Teil zutreffend und wurde seinerzeit leider kaum wahrgenommen.
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Vorbemerkungen
vielfältige Weise ausgesetzt gewesen; man könnte daher immer von »Synkretismus« reden. Aber dadurch ist im Laufe der Geschichte die religiöse Identität des Judentums in Anziehung und Abstoßung nur gewachsen, und dies gilt gerade für die hellenistische Zeit, in der die religiöse Überfremdung der jüdischen Religion am größten gewesen sein soll. Gewiß hat das Judentum damals zahlreiche fremde Einflüsse in sich aufgenommen, aber es hat sie, wie schon zuvor das babylonische Exil und die Perserzeit zeigen, entweder integriert oder abgestoßen und ist durch sie in seiner inneren Kraft nur stärker geworden. Das ergibt sich – um nur ein Beispiel zu nennen – etwa aus der Anziehungskraft der griechisch sprechenden Synagoge auf Nichtjuden und aus der großen Zahl von heidnischen Gottesfürchtigen, die sich in den jüdischen Gebetshäusern versammelten. Dieses selbstgewisse Identitätsbewußtsein würden wir für Qumran, die Pharisäer oder die jüdische Apokalyptik in gleicher Weise behaupten wie für die Literatur der Septuaginta oder Philo von Alexandrien. Ein schönes Beispiel bietet die Apologie des Josephus Contra Apionem. Die von H. Gressmann in seinem berühmten Aufsatz »Die Aufgaben der Wissenschaft des nachbiblischen Judentums« überbetonten »synkretistischen Elemente« betreffen mehr das pagane Interesse am Judentum als dieses selbst. Das Judentum und das mit diesem noch eng verbundene frühe Christentum waren – im Vergleich zu ihrer heidnischen Umgebung – gerade keine »synkretistischen Religionen«, es sei denn, man faßt den Begriff »synkretistisch« ganz allgemein für »fremde religiöse Einflüsse« aller Art auf, und dann wird er zu generell und damit nichtssagend. 2. Von dieser Grundthese aus folgern wir: Was an bleibenden »paganen Einflüssen« im frühen Urchristentum vermutet wurde, kann durchweg auf jüdische Vermittlung zurückgehen. Nirgendwo läßt sich eine direkte, nicht über jüdisches Milieu vermittelte bleibende Beeinflussung durch heidnische Kulte oder nichtjüdisches paganes Denken nachweisen. Was man im Neuen Testament gemeinhin als »hellenistisch« bezeichnet, stammt in der Regel aus jüdischen Quellen, die sich freilich der »religiösen Koine« der hellenistischen Zeit weder entziehen wollten noch konnten. Denn nur dadurch, daß sie an der religiösen Sprache und Vorstellungswelt ihrer Zeit partizipierten, konnten sie auch »attraktiv« auf Fremde wirken und die Wahrheit ihrer speziellen Botschaft überzeugend vertreten. Das gilt ebenso später für die Christen. Das Judentum hat entsprechend in der Diaspora und bei seinen führenden Köpfen im Mutterland sehr rasch die die Welt beherrschende griechische Sprache einschließlich ihrer religiösen Begrifflichkeit akzeptiert, ähnlich wie man es bereits im babylonischen Exil und in der Perserzeit mit dem Aramäischen getan hatte. Dabei ist zu beachten, daß auch Eretz Israel zur Zeit Jesu und der Apostel seit über 300 Jahren unter »griechischem« Einfluß stand und man von daher mit Fug und ZAW
43 (1929), 1–32. S. dazu Hengel / Schwemer, Paulus, 132–139.251–260.
§ 2 Judentum und frühes Christentum
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Recht das ganze Judentum des 1. und 2. Jahrhunderts n. Chr. als »hellenistisches« bezeichnen kann, das in vielfältiger Weise durch die Ausstrahlung – und die Auseinandersetzung mit – der »hellenistischen« Zivilisation geprägt war. Das reicht bis nach Qumran, wo man an sich griechisch-heidnisches Wesen schroff ablehnte. Das Wort »hellenistisch« taugt daher sowenig wie »synkretistisch« zu klaren Differenzierungen. Jerusalem, die weltberühmte Pilgerstadt, besaß seit den Tagen der Hasmonäer und des Herodes eine »hellenistische« Kultur eigenen Charakters. Es war dort ein »jüdischer Hellenismus« zu Hause, der sich wesentlich von dem Alexandriens unterschied, weil er stärker vom Buchstaben der Tora, vom Heiligen Land und dem Tempel gekennzeichnet und weniger »philosophisch« als »juristisch-exegetisch« geprägt war. Es bedarf für eine differenzierte historische Würdigung schärferer Kennzeichnungen, als es uns Schlagworte wie »synkretistisch« oder »hellenistisch« vermitteln können. Hinzu kommt, daß auch die sogenannte »jüdisch-hellenistische« Diaspora alles andere als eine Einheit bildete. Die Juden in Syrien oder Rom standen stärker unter »palästinischem« Einfluß als etwa die Juden in Alexandrien und Ägypten, und im parthischen Babylonien dachte man anders als im lateinischen Karthago. Zu beachten sind weiter die sozialen Unterschiede. Die Herodianer und priesterlicharistokratischen Boëthusäer in Jerusalem und erst recht die sehr reiche Familie Philos von Alexandrien waren viel stärker »hellenisiert«, das heißt, sie besaßen eine höhere Bildung als die durchschnittlichen Juden. Das antike Judentum war in den Jahrhunderten um die Zeitenwende reicher und kreativer, als allgemein angenommen wird. 3. Diese jüdischen »Fundamente« der neuen messianischen Bewegung des Urchristentums hängen damit zusammen, daß die große Mehrheit der neutestamentlichen Autoren Judenchristen waren, die zum größeren Teil entweder aus dem palästinischen Mutterland stammten oder aber mit diesem verbunden waren. Das letztere gilt vor allem für Paulus, den frühesten christlichen Autor; weiter wären Johannes Markus, der älteste Evangelist, der unbekannte schriftgelehrte Verfasser des Matthäusevangeliums, der Autor der Johannesapokalypse und der des Corpus Johanneum zu nennen. Der Verfasser des vierten Evangeliums und der Briefe, der wohl mit dem »Alten« des zweiten und dritten Briefes identisch ist, kam unseres Erachtens aus der Jerusalemer Aristokratie. Lukas, »der geliebte Arzt« (Kol 4,14), war wohl ein Gottesfürchtiger, bevor er Christ und später ein Reisebegleiter des Paulus wurde. Sein in der frühchristlichen Literatur einzigartiges Doppelwerk zeigt unter allen nichtjüdischen M. Hengel, Judentum und Hellenismus; ders., Qumran und der Hellenismus, in: KS I, 258–294. S. dazu M. Hengel, KS I, 1–90 (57–63.71 f.); ders., Jerusalem als jüdische und hellenistische Stadt, in: KS II, 114–156. M. Hengel, Johanneische Frage, 321 ff.
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Vorbemerkungen
Autoren der Antike mit Abstand die beste Kenntnis des Judentums in der Diaspora wie im Mutterland. Der unbekannte Verfasser des Hebräerbriefes muß ein rhetorisch versierter Judenchrist gewesen sein, der die alexandrinische Kunst allegorischer und typologischer Exegese meisterhaft handhabte, und auch der Verfasser des 1. Clemensbriefes in Rom scheint dem Schriftgebrauch der Synagoge und ihrer Liturgie noch recht nahegestanden zu haben. Die Septuaginta ist für ihn eine große Paradigmensammlung für die kirchliche Ordnung. Es bleiben hier nicht mehr viele Schriften im Neuen Testament übrig, die man mit größerer Wahrscheinlichkeit »Heidenchristen« zuschreiben kann. Daß der – sehr deutlich – antipaulinische Jakobusbrief kaum aus einer heidenchristlichen Feder stammen kann, liegt nahe; ähnliches darf für den dem Bruder des Jakobus zugeschriebenen Judasbrief gelten. Es bleiben für »Heidenchristen« so noch vielleicht der Epheserbrief, die sehr späten Pastoralbriefe, der etwas frühere 1. Petrusbrief um ca. 100 n. Chr. und der wesentlich spätere 2. Petrusbrief, der seinerseits wieder vom Judasbrief abhängig ist. Weiter ist zu beachten, daß das Urchristentum die ersten rund zwanzig Jahre fast ausschließlich auf Palästina und Syrien / Kilikien beschränkt war und Syrien die größte jüdische Diaspora im Römischen Reich besaß. Es griff nur zögernd auf weitere Teile des Reiches über, nicht zuletzt durch das weltweite Missionsprogramm des ehemaligen Pharisäers Paulus aus Tarsus. Diese palästinisch-syrische Frühgeschichte mit Jerusalem als Mittelpunkt hat das Urchristentum, das zeigen die Evangelien, die Paulusbriefe und die Apostelgeschichte, tief geprägt. In der Bestreitung des jüdischen Charakters des Urchristentums wirkt noch der alte latente Antijudaismus des deutschen Idealismus nach, der meinte, im Gange der »Erziehung des Menschengeschlechts« habe mit der Entstehung des Christentums das Judentum seine religiöse Daseinsberechtigung verloren. Vor allem F. C. Baur und seine Schüler haben in ihrer schroff wertenden Unterscheidung zwischen dem palästinischen Judenchristentum und dem von Paulus inaugurierten universalistischen Heidenchristentum dem jüdischen Kolorit der meisten neutestamentlichen Schriften zuwenig Verständnis entgegengebracht und die Forschung lange Zeit in eine einseitige Richtung gewiesen. Es ist freilich bezeichnend, daß die nicht minder apologetisch ausgerichteten älteren jüdischen Darstellungen des Christentums wie die von Graetz, Perles, Elbogen, dem frühen Leo Baeck und anderen die verfehlten extremen Spätdatierungen der neutestamentlichen Schriften in der Baurschule gerne übernahmen, sich mit den alten Tübingern auf die notorische historische Unzuverlässigkeit und die heidnische Beeinflussung der neutestamentlichen Schriften beriefen und ihnen einen ernstzunehmenden historischen Quellenwert weitgehend absprachen. Es war das Verdienst von Lightfoot, Zahn, Harnack und Schlatter, hier die historischen Orientierungsmarken wieder auf verläßliche Weise neu gesetzt zu haben, und von ihnen haben ein deutsch-amerikanischer Vertreter
§ 2 Judentum und frühes Christentum
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der Reform wie Kaufmann Kohler und ein israelischer Historiker wie Joseph Klausner gelernt, in dieser Frage wesentlich vorsichtiger zu sein. Denn diese rigorose destruktive Skepsis raubt den jüdischen wie erst recht den christlichen Historikern wertvolle Hinweise für die jeweils eigene Geschichte, weil die Frühgeschichte der neuen messianisch-universalistischen Bewegung immer noch auch ein Stück jüdischer Geschichte blieb. 4. Die Verwurzelung des Urchristentums im Judentum wird zudem an der grundlegenden Bedeutung der jüdischen heiligen Schriften für die neue, endzeitlich-messianische Bewegung sichtbar. Sie betrifft deren Gottesdienst, aber auch die Ausgestaltung der Lehre in allen Bereichen von der Christologie bis zur Ethik. Vor allem die Auseinandersetzung mit den anderen jüdischen Gruppen war geprägt durch die Diskussion über bestimmte Texte der Schrift. Diese polemisch geführte Diskussion setzte sich dann in der Alten Kirche fort. Da »die Schriften« im frühen Christentum nicht zuletzt als profetische Weissagung auf die endzeitliche Erfüllung durch das Kommen des Messias Jesus verstanden wurden, konnte man sie später unter Umständen einfach als »die Profeten(schriften)« bezeichnen. Die Formel »Bücher des Alten Testaments« erscheint zuerst bei Melito von Sardes in der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts in seinem Brief an Onesimus und bezieht sich dabei auf die Bücher der Hebräischen Bibel. Auch wenn der christliche Septuagintakanon im Vergleich zu dieser umfangreicher war, stand dieselbe, wie die philologische Arbeit eines Origenes oder Hieronymus zeigt, als letzte Autorität im Hintergrund. Bei der Entwicklung der Christologie spielten außer zahlreichen messianisch gedeuteten »profetischen« Texten vor allem »die messianischen Psalmen« eine besondere Rolle, da sie als Christushymnen, die man auf Jesus hin deutete, gesungen werden konnten. Sie haben vermutlich die geistgewirkte christologische Hymnendichtung der neuen Gemeinde angeregt, ähnlich wie sich etwa in Qumran die alttestamentliche Liederdichtung fortsetzte. Weitere Übereinstimmungen mit den Qumran-Essenern bestehen darin, daß beide Gemeinschaften dieselben Bücher am meisten schätzten: die Psalmen, Jesaja, Deuteronomium, Genesis, Exodus, die zwölf Profeten, Jeremia und Daniel. Die Hochschätzung dieser Bücher entsprach ihrem theologisch-religiösen Gehalt und einer Tendenz im palästinischen Judentum. In der Diaspora wurde dagegen, wie Philo zeigt, vor allem der Pentateuch zitiert. Diese grundlegende Bedeutung der jüdischen »Heiligen Schriften« für das frühe M. Hengel, Die Septuaginta als von den Christen beanspruchte Schriftensammlung bei Justin und den Vätern vor Origenes, in: ders., KS II, 335–380. S. dazu M. Hengel, Hymnus und Christologie, in: Wort in der Zeit. Festgabe für Karl Heinrich Rengstorf zum 75. Geburtstag, hg. v. W. Haubeck und M. Bachmann, Leiden / Köln 1980, 1–23 = KS IV, 185–204 und ders., Das Christuslied im frühesten Gottesdienst, in: Weisheit Gottes – Weisheit der Welt. Festschrift für Joseph Kardinal Ratzinger zum 60. Geburtstag, hg. v. W. Baier u. a., EOS Buch 185, Bd. 1, St. Ottilien 1987, 357–404 = KS IV, 205–258.
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Vorbemerkungen
Christentum begründet die trotz aller Spannungen und Kämpfe einzigartige und bis heute gültige Verbindung zwischen Christentum und Judentum. Auch die Methoden der Schriftauslegung des zeitgenössischen Judentums blieben in ihrer Vielfalt im frühen Christentum erhalten. Mit der Auslegung in Qumran und im apokalyptischen Judentum verbindet dieses vor allem der endzeitliche Gegenwartsbezug (1 Kor 9,10; 10,11; Röm 4,23 f.; 15,4; Hebr 11,39 f.; 1 Petr 1,10–12) auf die Zeit der Erfüllung der profetischen Verheißungen. 5. Ebenso zeigt das in den Paulusbriefen in verschiedenen Variationen fast stereotype »den Juden zuerst …« den jüdischen Charakter der neuen Bewegung. Das »zuerst« in Röm 1,16 ist nicht einfach »eine faktisch wertlose Konzession an das ›auserwählte Volk‹«, sondern weist auf den in Gottes Väterverheißung begründeten »heilsgeschichtlichen« Vorrang hin, der dann in Röm 9–11 entfaltet wird: Allein Israel wurden die »Offenbarungsworte Gottes« (tÅ l·gia toú qeoú, Röm 3,2) anvertraut, allein Israel wurde durch die Tora als dem »Zuchtmeister auf Christus hin« bis zu dessen Kommen »bewacht und eingeschlossen« (Gal 3,23 f.). Ein ähnlicher Gedanke begegnet uns in den Evangelien, wenn Jesu Sendung zuerst auf Israel eingeschränkt wird (Mk 7,24 ff.; Lk 1,32 f.; 2,11.34; 24,19–21; Mt 10,5 f.; 15,24; vgl. Apg 1,6; Joh 1,41.49 etc.). Erst der Auferstandene sendet die Jünger zu allen Völkern. Damit wird Israel keineswegs ganz vom Heil ausgeschlossen, es ist vielmehr in diesem »machet zu Jüngern alle Völker« (Mt 28,19) mit enthalten. Auch in der Apostelgeschichte setzt – gegen die historische Wirklichkeit – die Heidenmission erst relativ spät ein (vgl. Apg 10,1–11,24; 13,16–48). In Wirklichkeit beginnt sie wohl schon in Damaskus (Apg 9,20 ff.) mit den »Gottesfürchtigen« in den Diasporasynagogen. Darum sucht Paulus später bei seinen Missionsreisen wohl von Anfang an gerade die Synagogen auf, bis er aus ihnen vertrieben wird. Er möchte dort Juden und gottesfürchtige Heiden ansprechen, findet aber besonders bei letzteren Widerhall. Diese Phase missionarischer Verkündigung, die sich an Juden und Gottesfürchtige wandte, hat sich wohl bis zum Ausbruch des Jüdischen Krieges im Jahr 66 n. Chr. hingezogen. Nur wer das Alte Testament wie die einstige Tübinger Schule eines F. C. Baur mit den Augen Marcions las, konnte diesen bei Lukas relativ eindeutigen Tatbestand als unhistorisch kritisieren. Der »Völkerapostel« ist zunächst vor allem der Missionar dieser Gottesfürchtigen in den Synagogen, die rechtlich noch als Heiden galten, aber mit den jüdischen Grundlehren und der Septuaginta schon vertraut waren. Darum kann er die Kenntnis der jüdischen Schriften und den Umgang mit ihnen in seinen Missions Röm 1,16; 2,9 f.; vgl. 3,1 f. Vgl. auch die Voranstellung der Juden Röm 3,9.29; 9,24; 10,12; 1 Kor 1,22 f.; 9,20 f.; 10,32; 12,13; Gal 3,28, vgl. Kol 3,11 sowie grundsätzlich Röm 9–11 und 15,8–12. So H. Lietzmann, An die Römer, HNT 8, 31928, 30. (Marcion hat dieses prùton nicht umsonst weggelassen.)
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gemeinden schon voraussetzen und so virtuos mit Schriftzitaten argumentieren. Gegenüber der großen Attraktivität der jüdischen Synagogen in den heidnischen Städten auch für Heiden – man kann hier durchaus von einer erfolgreichen jüdischen religiösen »Propaganda« unter Griechen und Römern sprechen – bildet die urchristliche Mission etwas Neues, weil sie auf der endzeitlichen Sendung durch den auferstandenen Messias beruht, die die Frist zur Umkehr zwischen Erhöhung und Parusie missionarisch ausfüllt, um sein Kommen als Richter und Weltvollender vorzubereiten. Hier handelt es sich um einen radikal neuen Zug in der antiken Religionsgeschichte des Mittelmeerraums, der im eschatologischen Universalismus der alttestamentlichen Profeten begründet ist und in der paganen Welt keine Parallele hat. 6. Aufgrund dieser komplexen Sachverhalte läßt sich auch die unter Schmerzen vollzogene Trennung der Synagoge und der neuen enthusiastisch-messianischen Jesusbewegung nicht eindeutig auf ein festes und dazu noch gar frühes Datum festlegen. Es war vielmehr ein langer und komplizierter Prozeß. Das »Christentum« als eine ganz »neue Religion« der antiken Welt trat nicht völlig unvermittelt in die Arena der Geschichte. Die Bezeichnung für diese anstößige endzeitliche Sekte, die sich dann in der Geschichte durchsetzte, »Christianoi«, das heißt im Grunde »Messiasleute«, war auch keine Selbstbezeichnung, sondern wurde dieser von außen in Antiochien beigelegt (Apg 11,26). Das heißt, diese typisch lateinische Form eines Parteinamens, die uns auch bei den ßHrwdiano‡ (Mk 3,6; 12,13) begegnet, war im griechischsprachigen Osten geläufig, wurde dort aber vor allem in Kreisen verwendet, die Rom nahestanden. Im Neuen Testament erscheint diese dem Griechischen fremde Wortform Cristiano‡ = Christiani nur dreimal,10 und zwar immer in Beziehung nach außen. Erst der Heidenchrist und Märtyrer Ignatius um ca. 114 n. Chr. verwendet das Wort häufiger und stellt erstmals das Christentum, den Cristianism·“, dem Judentum, dem ûIoudaÂsm·“, gegenüber.11 Bezeichnend ist, daß bei ihm gleichzeitig die gegenwartsbezogene Martyriumserwartung den Blick auf das nahe Weltende fast ganz verdrängt hat. Erst jetzt, in den ersten Jahrzehnten des 2. Jahrhunderts, wurde die Trennungslinie zwischen Mutter und Tochter endgültig gezogen. Fast gleichzeitig schreibt Plinius an Trajan über sein Vorgehen gegen die Christiani als einer superstitio prava et immodica, wenig später spricht Sueton von ihnen als superstitio nova et malefica, das heißt, diese römischen Autoren sehen in den Christiani eine neue, potentiell gefährliche religiöse Bewegung. Tacitus berichtet dagegen ausdrücklich, daß diese exitiabilis superstitio in Judäa begann, von Pilatus unterdrückt wieder auflebte und von dort nach Rom gelangte. Sie 10 S.
noch Apg 26,28 und 1 Petr 4,16. S. dazu Hengel / Schwemer, Paulus, 340–351. hat Cristiano‡ ca. siebenmal und die Entgegensetzung Cristianism·“ – ûIou daÂsm·“ viermal. 11 Ignatius
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Vorbemerkungen
war für ihn, den Juden‑ und Christenhasser, die schlimmste kriminelle Form der jüdischen superstitio.12 Die jüdische Bezeichnung nôsrîm / nasôrājjā / Nazoraioi ist dagegen von der Herkunft Jesu aus dem galiläischen Nazareth abzuleiten und entspricht einem palästinisch-jüdischen Brauch, Träger häufiger Namen zusätzlich nach ihrer Herkunft zu bezeichnen. Dieser jüdische »Parteiname« war ursprünglich ein Beiname Jesu. Es ist bezeichnend, daß beim Prozeß gegen Paulus der vom Hohenpriester Ananias bestellte Ankläger von der (jüdischen) »Sekte der Nazoräer« spricht,13 während König Agrippa II. das Wort »Christianos«14 gebraucht. Für den Hohenpriester ist nach Lukas Paulus also ein »Anführer« einer innerjüdischen »Hairesis«. Wenig später läßt Lukas Paulus sich selbst als einstigen Anhänger der Pharisäer, das heißt »der strengsten ›Hairesis‹ unserer Religion« bezeichnen.15 Er gibt damit den historischen Tatbestand für Christen und Pharisäer zutreffend wieder: Beide, Pharisäer und »nôsrîm«, sind von außen betrachtet bei Lukas verschiedene jüdische »Haireseis«. Auf jüdischer Seite finden wir ein Indiz für die Trennung darin, daß der verbreitete jüdische Name Ješû a‛, die Kurzform von J ehôšû a‛, bei den Tannaiten etwa seit Beginn des 2. Jahrhunderts völlig verschwindet, während er bei Josephus noch 22mal erscheint und auch in den Dokumenten aus den Fluchthöhlen der Bar KochbaZeit noch relativ häufig ist: Das einfache Volk reagierte langsamer als die rabbinischen Lehrer, die den jetzt fluchbeladenen Namen nicht mehr nennen wollten und zur ursprünglichen, längeren Form J ehôšû a‛ zurückkehrten. Auch die Einführung und Durchsetzung der vieldiskutierten »Verfluchung der Häretiker« im Achtzehnbittengebet ist wohl erst ins frühe 2. Jahrhundert zu verlegen. Sie bezieht sich vor allem auf die Judenchristen, umgekehrt verstand sich die mehr und mehr selbständig werdende Kirche als das »wahre Gottesvolk«, das »wahre Israel«, und nach außen dann konsequent als das »dritte Geschlecht« oder »Volk« neben Griechen und Juden. Die jetzt allmählich vorherrschenden Heidenchristen hatten für das Judentum sowieso nie zu »Israel« gehört. 7. Das heißt aber, daß die in den neutestamentlichen Schriften sichtbaren, zum Teil heftigen Auseinandersetzungen zwischen der messianischen Sekte der »nôsrîm«, der »Nazarener-Leute«, und den verschiedenen jüdischen Gruppen in Judäa, Pharisäern, Schriftgelehrten, Sadduzäern, Priesteraristokratie und Herodianern, und dann später mit den Synagogengemeinden in der Diaspora von Syrien bis Rom zunächst einen innerjüdischen Familienstreit darstellen. Richard L. Rubinstein spricht in seinem Buch »My Brother Paul« im Blick auf die harten Sätze des Paulus 1 Thess 2,14–16 von einem »family dispute« 12 Plinius
minor, ep. 10,96,8; Sueton, Nero 16,2; Tacitus, ann. 15,44,3. 24,5: ™ tùn Nazwra‡wn aºresi“, vgl. 24,14. 14 Apg 26,28. 15 Apg 26,5. 13 Apg
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und erklärt dazu, »his harshness was not unlike that of the members of the Community of the Scrolls«16. Es ist ein altes biblisches Motiv, der Streit der Brüder begegnet uns schon in zentralen Texten im Alten Testament: bei Joseph und seinen Brüdern, bei »Rebecca’s children«17, und (paradigmatisch für den Verlauf der damit beginnenden Menschheitsgeschichte) mit tödlichem Ausgang bei Kain und Abel. Selbst das Verhältnis Jesu zu seinen Brüdern war nicht problemlos.18 Die These vom Streit zwischen Geschwistern gilt selbst dort noch, wo wie bei Johannes nicht nur gegen bestimmte Gruppen, Schriftgelehrte und Pharisäer oder Hohepriester, polemisiert wird, sondern »die Juden«, gemeint sind die Führer und Sprecher des Volkes, direkt auf das schärfste angegriffen werden. Es geht um die – für die neue, enthusiastische Bewegung schwer begreifliche – Ablehnung des »Messias«, des »Gottessohnes« und »Königs Israels« im eigenen Volk,19 in dem Gott selbst zu Israel und damit zu allen Menschen kam: Dieser Höhe des Anspruchs entsprach die Heftigkeit der Auseinander setzung in und mit dem eigenen Volk.20 Der Familienstreit kann dazu führen, daß einzelne Glieder sich gegen die Mehrheit der eigenen Familie wenden und unter Umständen ausgestoßen werden (vgl. Joh 9,22; 12,42; 16,2). Kein neutestamentlicher Autor konnte wissen, daß mit der messianischen Bewegung der Nazoräer oder Christianoi eine neue Religion mit einer langen Geschichte neben den Juden und gegen sie entstand und daß sie gar nach Jahrhunderten die Macht im Reiche gewinnen würde. Zunächst war sie eine unterdrückte, ja verfolgte »Sekte«. Die Formulierung vom »dritten Geschlecht« oder »Volk« neben Juden und Heiden begegnet uns im Neuen Testament gerade noch nicht, sondern erst bei den Apologeten des 2. Jahrhunderts, zuerst im Kerygma Petri und bei Aristides. Tertullian lehnte sie ab. Man lebte ja im Bewußtsein der Erfüllung der endzeitlichen Verheißungen der heiligen Schriften und verstand sich zunächst in keiner Weise als eine neue Religion, sondern erwartete vielmehr für Israel und die Welt den baldigen Anbruch der Gottesherrschaft und damit verbunden die Wiederkunft des gekreuzigten, von den Toten auferstandenen, zur Rechten Gottes erhöhten Messias und Gottessohnes Jesus von Nazareth, das heißt des von den Profeten geweissagten Erlösers und Richters des Gottesvolkes und zugleich aller Völker. 8. Das heißt, was die Nazoräer vom übrigen Israel trennte, waren gewiß enthusiastisch-eschatologische, aber dennoch in ihren einzelnen Zügen, ihren »Bausteinen«, urjüdische Glaubensinhalte. Gerade das Trennende, die »Chri16 New
York etc. 1972, 115. der vielsagende Titel des Buches von A. F. Segal, mit dem Untertitel Judaism and Christianity in the Roman World, Cambridge (Mass.) / London 1986. 18 Vgl. Joh 7,5 oder Mk 3,21. S. u. S. 288 ff. 19 Joh 1,41.49; 20,31. 20 Joh 4,22; vgl. jedoch auch 8,44.47. 17 So
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Vorbemerkungen
stologie«, hatte durchaus in ihren Elementen jüdischen Charakter und war in keiner Weise »synkretistisch« mit paganen, dem Judentum fremden Elementen durchsetzt. Auf andere Weise hätte die urchristliche Predigt in den ersten – entscheidenden – 20 Jahren von den noch überwiegend jüdischen Hörern in Judäa und Syrien überhaupt nicht verstanden werden können. Neu war dagegen der Gesamtentwurf, das apostolische Christuszeugnis, das Paulus 1 Kor 15,1–11 als das »Evangelium« beschreibt, das nach 15,11 von allen Zeugen und Aposteln verkündigt wird und das er in Phil 2,6–11 in poetischer Form vorträgt. 1 Kor 15,3 f. bezeugt, daß dieses Evangelium von Sühnetod und Auferstehung Christi die anerkannte Glaubensgrundlage des Urchristentums bildete, und zwar in Judäa wie in Syrien oder in den paulinischen Missionsgebieten rund um die Ägäis. Diese neue Botschaft vom Glauben an den gekreuzigten Messias und Herrn Jesus und von seinem Heilswerk mußte Ärgernis und Widerspruch erregen.21 Die Polemik einzelner neutestamentlicher Autoren von Paulus über Lukas und Matthäus bis hin zu Johannes gegenüber den traditionellen jüdi schen Kontrahenten und deren Gegenreaktion war auch nicht schärfer als die der Essener gegen »Ephraim« und »Manasse«, das heißt gegen Pharisäer und Sadduzäer, mögen auch die theologischen Differenzen mit der neuen messianischen »Sekte« wegen ihrer speziellen Christologie und Soteriologie noch größer gewesen sein. Scharfe, verletzende Polemik findet sich auch bei anderen jüdischen Gruppen. Wir dürfen nicht vergessen, daß es zwischen Pharisäern und Sadduzäern zur Zeit Johannes Hyrkans und Alexander Jannais und dann wieder zwischen Zeloten und Friedenswilligen in den Jahren vor und nach Ausbruch des Jüdischen Krieges zu blutigen Auseinandersetzungen kam, wobei das letzte Motiv dieser Kämpfe kein soziales, sondern ein religiöses war und in ihnen auch die kontroverse Eschatologie eine Rolle spielte. Die Rabbinen warfen später den Eiferern vor 70 und Bar Kochba vor, sie wollten das Ende »herbeidrängen«. Mußte nicht auch die Botschaft vom bereits gekommenen Messias, den man für die Gegenwart als universalen Heilsbringer und Richter verkündigte und dessen nahes Wiederkommen man erwartete, phänomenologisch gesehen als ein Ausdruck gefährlicher endzeitlicher Ungeduld oder auch anstößiger Utopien erscheinen? 9. Das heute zum Teil mit heftigen Vorwürfen gegen die urchristlichen Autoren verbundene Thema des »Antijudaismus im Neuen Testament« hat gewiß eine relative Berechtigung im Blick auf die verhängnisvolle Wirkungsgeschichte einzelner Texte, die freilich erst Jahrhunderte später einsetzte. Zunächst war jedoch die jüdische Mutter durchaus stärker als die ungebärdige Tochter. Im 1. Jahrhundert n. Chr. hat nicht die »Kirche« die »Synagoge« verfolgt, sondern umgekehrt je und je die »Synagoge« die »Kirche«. Während die neue Bewegung 21 1 Kor
1,23; Gal 5,11; Phil 3,18.
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nach ihrer Ausstoßung aus der Synagoge rechtlich völlig ungesichert war und ab dem Ende des 1. Jahrhunderts von den Organen der Reichsverwaltung teilweise blutig verfolgt werden konnte, stand das jüdische Ethnos mit seiner traditionellen Religion, wenn wir von den drei großen Aufständen 66–73, 115–117 und 132–136 n. Chr. absehen, unter dem Schutz der in religiösen Fragen relativ toleranten Politik Roms. Im Blick auf die urchristlichen Autoren selbst, die, das gilt sogar noch für Johannes,22 die nahe Parusie des Messias und Gottessohnes Jesus erwarteten, ist daher der Vorwurf des Antijudaismus anachronistisch und zeugt von einem ungeschichtlichen Denken, das die gegenüber späteren Epochen völlig verschiedene damalige historische Situation verkennt. Die jungen Gemeinden blickten auf das nahe Ende und das Kommen des Weltenrichters und Erlösers – des zu Gott erhöhten jüdischen Messias Jesus aus Nazareth. Sie, die selbst unter dem doppelten Druck der mißtrauischen Staatsbehörden und der einflußreichen und selbstbewußten jüdischen Muttergemeinden, die über die enthusiastischen Eskapaden der neuen – immer noch jüdischen – Bewegung verständlicherweise empört waren, standen, konnten nicht wissen, welcher Mißbrauch mit ihren polemischen Texten Jahrhunderte später getrieben werden würde. Der »Familienstreit« zwischen den urchristlichen Gemeinden und der Synagoge, oder sagen wir besser: den verschiedenen Autoritäten eines stärker »normativen Judentums«, war nicht heftiger als andere Auseinandersetzungen in den an inneren Kämpfen reichen 300 Jahren zwischen dem Beginn der makkabäischen Erhebung und dem Bar Kochba-Aufstand. Aber zugleich gilt: Familienstreitigkeiten sind verletzender und nachhaltiger als alle anderen. Sie schmerzen so sehr, weil man sich so nahesteht. Das gilt auch für die späteren innerjüdischen und innerkirchlichen Auseinandersetzungen, im Grunde selbst heute noch. Dieser Streit wurde so heftig und schmerzhaft ausgetragen, weil es immer auch um die religiöse Wahrheitsfrage, um Gottes heiligen Willen ging und weil dies von beiden Seiten sehr ernst genommen wurde: Gerade das Ernstnehmen der Wahrheitsfrage ist alttestamentlich-jüdisches Erbe. 10. Das Auffallende an diesem Streit war, daß er von Anfang an klare Konturen besaß und sich auf zentrale religiöse Anliegen des Judentums konzentrierte, auf Fragen des Glaubens, der Hoffnung und der Lebenspraxis. Es ging um das Verhältnis von messianischer Erlösung und traditioneller Geltung von Heiligtum und Tora. Die beiden letzten Größen, gewissermaßen das bisherige Herzstück des jüdischen Glaubens, waren schon in Zusammenhang mit dem radikalen hellenistischen Reformversuch unter Antiochus IV. Epiphanes nach 175 v. Chr. bedroht gewesen, als die Identität Israels als des »Volkes der göttlichen Erwählung und des Eigentums« auf dem Spiele stand. Seither hatte es bei jedem wirklichen und vermeintlichen Angriff auf diese ihm von Gott anvertrauten 22 Vgl.
Joh 21,22 f.; 1 Joh 3,2 f.
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Vorbemerkungen
Güter allergisch, ja erbittert reagiert und sich – zumindest im Mutterland – in seiner Mehrheit noch schärfer von den »Völkern der Welt« abgesetzt, obwohl es sich durchaus nicht jedem fremden Einfluß entzog. Das war damals eine verständliche, ja notwendige Reaktion. In der neuen messianischen Bewegung, in der Jesus als der gekreuzigte Messias und von den Toten auferweckte Befreier von Sünde und Tod verkündigt wurde, hatte es den Anschein, als würden diese höchsten Güter Israels wieder in Frage gestellt, freilich unter völlig anderen Vorzeichen als über 200 Jahre zuvor. In der Zeit Antiochus’ IV. strebten die jüdischen »Hellenisten« der Oberschicht die Assimilation an die Völker und die »Säkularisierung« des Tempels an und bedrohten so die Reinheit des jüdischen »Monotheismus«. Jetzt war der »Monotheismus« nicht mehr bedroht, die neue Bewegung lehnte selbst jede Form des »fremden Dienstes«, das heißt des Polytheismus und des heidnischen Libertinismus, aufs schärfste ab. Ihre Motive waren ganz andere: Nun wurde die direkte Heilsbedeutung von Heiligtum und Tora zumindest partiell im Zeichen der anbrechenden Gottesherrschaft und der messianischen Erlösung fragwürdig, wobei man zugleich die universale eschatologische Erfüllung der Väterverheißungen und profetischen Weissagungen proklamierte. Vertrauen, Emunah, und Hoffnung richteten sich nicht mehr primär auf den Israel am Sinai übergebenen heiligen Text und die eigene Möglichkeit des gehorsamen Tuns, sondern auf eine von den heiligen Schriften Israels verheißene, Gott entsprechende Person, in der sich gewissermaßen der Gebetsruf von Jes 63,19 (LXX 64,1) erfüllte: »Ach, daß du den Himmel zerrissest und führest herab …«. Was in Ex 19,11 und Ps 18,10 im Blick auf das »Herabfahren« Gottes auf den Sinai gesagt worden war, wurde jetzt in vollem Sinne »leibhaftige« Wirklichkeit: Gott selbst kommt in einem Menschen, dem von den Profeten verheißenen Davidssproß, am Ende der Zeit zu seinem Volk; der himmlische Vater sendet den Sohn wie in der jüdischen Weisheitstradition eines Sirach oder der Sapientia die Chokhma, die göttliche Weisheit, die die Gottesmänner Israels inspirierte; dieser nimmt als Gottesknecht und leidender Gerechter die Schuld aller stellvertretend auf sich und entsühnt sie durch seinen Tod am Fluchholz:23 eine Botschaft, die die Hörer faszinieren und abstoßen konnte. Selbst die Vorstellungen von »Mittlerschaft« zwischen Gott und Mensch und »Inkarnation« konnten an alttestamentlich-jüdische Vorbilder anknüpfen, so an die Auslegung von Gen 1,26 f.; 18,1–33; Ex 23,20–23; 24,9–11; Lev 26,11; Ps 8,5 f.; 45,7 f.; 89,27 f.37; 110; Dan 7,9–14 (besonders in der Septuaginta-Ver sion) und – nicht zuletzt – Jes 53.24 Auch das zeitgenössische Judentum wußte – um mit einer paulinischen Formulierung aus 1 Kor 2,10 zu sprechen – um 23 Gal
3,13; vgl. Dtn 21,23; 27,26; Apg 5,30; 10,39; 13,29; 1 Petr 2,24. Sohn Gottes; ders., Zur Wirkungsgeschichte von Jes 53 in vorchristlicher Zeit, in: KS II, 72–114. 24 Hengel,
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die Spuren der »Tiefen Gottes« (tÅ b›qh toú qeoú), die nach Paulus allein der Geist (der das apostolische Zeugnis wirkt) erforscht und offenbar macht. In der späteren jüdischen Mystik lebten derartige Vorstellungen wieder auf. Gewisse, zwar noch sehr unvollkommene »vestigia trinitatis« finden sich so schon im Alten Testament und in der jüdischen Umwelt des Neuen Testaments, hier wäre neben der präexistenten Weisheit bzw. Tora an den philonischen Logos, an 11Q Melchisedek, an den Menschensohn der Bilderreden des äthiopischen Henochbuches und an das Gebet Josephs zu denken. 11. Auch diese neue »himmelstürmende« messianische Bewegung der »Nazoräer«, die zugleich die endzeitliche Gabe des profetischen Geistes für sich in Anspruch nahm, konnte sich so auf wesentliche Glaubensaussagen Israels berufen und tat dies – auch in Eretz Israel – nicht ohne Erfolg. In diesem zentralen Punkt der Person des Messias Jesus, des m ešîhā ješû a‛, »CristÖ“ ûIhsoú“«, und der durch ihn gewirkten universalen Erlösung liegt das eigentlich Neue, in die Zukunft Weisende und das heißt zugleich Gefährliche der enthusiastisch-messiani schen »aºresi“ tùn Nazwra‡wn«25. Ihr »Rädelsführer« Paulus wird von dem im Auftrag des Hohenpriesters und des Synhedriums sprechenden Rhetor Tertullus nach Lukas in verständlichem Zorn als »Anstifter zum Aufruhr unter allen Juden« bezeichnet. Man könnte das Neue schlagwortartig, im Blick auf unseren frühesten Autor, eben diesen Paulus, etwas überpointiert mit der Formel »Messias contra Tora« bezeichnen. Für diese Bewegung waren nicht mehr Mose und das Gesetz vom Sinai Mittler zwischen Gott und seinem erwählten Volk, sondern der Messias Jesus, der Bringer des neuen endzeitlichen Bundes von Jer 31,31–34.26 Bezeichnete Gal 3,19 noch Mose als »Mittler« der Tora am Sinai, so wird im Hebräerbrief Jesus zum »Mittler des Neuen Bundes«27 und im 1. Timotheusbrief zum »Mittler zwischen Gott und den Menschen«28. Paulus kann daher »Christus das Ende des Gesetzes, zur Gerechtigkeit für jeden, der glaubt«29, nennen. Gleichzeitig wird die Tora von ihm nicht mehr exklusiv als das jüdische Gesetz verstanden, sondern, ausgehend vom ersten Gebot als Gottes heiligem Willen für alle Menschen, als ein Gesetz, das durch das Gewissen selbst in den Herzen der Heiden wirksam ist.30 Neben das erste Gebot des Dekalogs in Verbindung mit Dtn 6,4 tritt das Liebesgebot Lev 19,18. In dieser zugespitzten Form, die schon auf Jesus zurückgeht, dient es nach Paulus dazu, die absolute, schuldhafte Unfähigkeit des Menschen aufzuweisen, Gottes heiligen Willen zu erfüllen, das heißt, es wirkt, recht verstanden, – heilsame – Erkenntnis der 25 Apg
24,5, vgl. 24,14. Jer 33,14.25 f. 27 Hebr 8,6; 9,15; 12,24. 28 1 Tim 2,5. 29 Röm 10,4. 30 Röm 2,14 ff. 26 Vgl.
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Vorbemerkungen
Sünde.31 Ein solcher Gegensatz mußte pharisäisch geschulten Juden gewiß absurd erscheinen, er fand aber sonderbarerweise, dies zeigt schon die Steinigung des Stephanus, der nach der Anklage Apg 6,13 ständig »Worte gegen diesen heiligen Ort und das Gesetz redete«, einen nicht unbeträchtlichen Widerhall – selbst unter einzelnen Juden in Jerusalem. Die Folge war die Vertreibung der jüdischen »Hellenisten« aus der Metropole Judäas, die dann in den syrischen Synagogen zu Missionaren der neuen messianischen Botschaft wurden; ja sogar der angeblich so gesetzestreue Herrenbruder Jakobus und andere Judenchristen werden von Hannas II. vermutlich im Jahre 62 als »Gesetzesbrecher« (Æ“ paranomhs›ntwn) durch Steinigung hingerichtet, ein Vorgehen, das selbst pharisäischen Protest auslöste.32 12. Ein zentrales Hoffnungsgut der neuen messianisch-universalen Bewegung wurde bald die Erfüllung der auf vielfältige profetische Verheißung gründenden weltweiten endzeitlichen Bekehrung der Völker zu dem einen wahren Gott Israels und der Abrahamsverheißung (Gen 12,3) in der Form der Bekehrung zu Gottes Gesalbtem, der, das ist das Besondere, schon gekommen war. Wie aber sollte diese geschehen, wenn die Tora, wie es im Aristeasbrief (139) heißt, Israel gegenüber den Völkern »mit undurchdringlichen Wällen und eisernen Mauern« umgab und wenn diese Mauer nach Mischna Avot 1,1 selbst wieder mit einem Zaun geschützt werden mußte? Selbst Paulus kann von dieser – durchaus auch schützenden – »einschließenden« Funktion der Tora in Gal 3,23 f. (vgl. Röm 3,1 f.) sprechen, freilich nur bis zur Sendung des Sohnes in die Welt, das heißt bis zum »Kommen des Glaubens«. Es wird hier eine Grundaporie im profetischen Glauben des Alten Israel sichtbar. Die Völkerverheißung konnte nur volle Wirklichkeit werden, wenn die Schranken, die das jüdische Volk von den bekehrten, an den einen wahren Gott glaubenden »Völkern der Welt« trennten, in irgendeiner Weise aufgehoben wurden. Das geschah in der eschatologisch motivierten urchristlichen Mission, die dabei zunächst vor allem die zahlreichen Gottesfürchtigen der Diasporasynagogen Syriens ansprach. Das heißt, die endzeitlich begründete »Sendung zu den Völkern« konnte an die Attraktivität der synagogalen Predigt anknüpfen. Dabei schuf die Erwartung der baldigen Parusie des Erlösers und die Gewißheit der schon jetzt wirksamen Gegenwart der Gottesherrschaft †n Cristù, »in Christus«, in wachsender Distanz zu der irdischen, politisch exklusiven Existenz des jüdischen Volkes, ein neues, eschatologischuniversales Bewußtsein: »Denn in Christus seid ihr alle Söhne Gottes durch den Glauben. … Es ist weder Jude noch Grieche, weder Sklave noch Freier, weder Mann noch Frau, denn ihr seid alle einer in Christus Jesus« (Gal 3,26.28). Oder Phil 3,20: »Aber unser Staatswesen (pol‡teuma) ist im Himmel, und von dort 31 Röm 32 Apg
3,19 f. 6–9; Josephus, ant. 20,200 f.
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erwarten wir als Erlöser den Herrn Jesus Christus …«. Entsprechend sagt Paulus Gal 4,26: »Aber das obere Jerusalem (im Himmel) ist frei, und sie ist unsere Mutter«. Nach Apk 21,1–22,5 kommt die heilige Stadt aus dem Himmel herab in eine erneuerte Schöpfung (vgl. Jes 65,17) und nimmt als der Ort von Gottes und Christi Gegenwart alle Glaubenden, Juden und Heiden, in sich auf. 13. Dieses Neue war zugleich das unerhört Anstößige, weil es – unter endzeitli chem Anspruch und bei Paulus, dem einstigen pharisäischen Schriftgelehrten, mit sublimer theologischer Begründung – letztlich die Existenz Israels als allein erwähltes Volk, das heißt als politisch-religiöse Einheit, grundsätzlich getrennt von den Völkern der Welt, unter Umständen in Frage stellen konnte. Zumindest wurde dies Paulus zum Vorwurf gemacht. Man beschuldigte ihn offenbar, er verführe Juden zum Abfall »von Mose« (Apg 21,21.28). Dies trifft in dieser Weise, wie Röm 9–11 zeigt, nicht zu. Erwählt sind für ihn alle Glaubenden aus Juden und Heiden, und wenn er nach Röm 11,26, das an Mischna San 10,1 (»Ganz Israel hat Anteil an der kommenden Welt«) erinnert, aufgrund der Väterverheißung daran festhält, daß mit dem Kommen des Messias ganz Israel durch Gottes Gnade gerettet wird, so entspricht dem, daß am Ende der Weltgeschichte alle Völker im Zeichen des Evangeliums zu Gott zurückfinden, damit seine Gnade allein über alle Mächte des Bösen, Sünde, Tod und Teufel, triumphiere. Die messianische Erwartung des Paulus war hier unseres Erachtens durchaus realistisch-konkret, sie vollendete sich jedoch nicht durch die eigene politische Aktion wie bei den Zeloten, sondern allein durch Gottes Handeln in der Parusie des Erlösers (Röm 11,26 f.), und Israel wird für ihn dabei zum großen Paradigma der Gnade, der freien Erwählung durch Gott und der »Rechtfertigung des Gottlosen« (Röm 4,5), die der einstige Pharisäer und Verfolger an sich selbst erfahren hatte. Entsprechend schließt der letzte Satz des »dogmatischen« Teils des Römerbriefs mit dem lapidaren Satz: »Denn Gott hat alle unter den Ungehorsam beschlossen, damit er sich über alle erbarme« (Röm 11,32).33 Wir könnten hinzufügen: in Christus, dem Messias und Gottessohn, der zum Heil Israels und der Völker in die Welt gesandt wurde.34 Darauf kann für Paulus nur noch der hymnische Lobpreis folgen: das soli Deo gloria als die allein mögliche menschliche Antwort auf Gottes Gnade. Könnte man sich einen »jüdischeren« Abschluß eines theologischen Traktats denken als diesen an den Psalmen orientierten Lobpreis: »Oh welch ein Reichtum beider, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes …«, der mit den Worten endet: »Ihm sei Ehre in Ewigkeit! Amen«? Die unmittelbar darauffolgende Paränese gründet dann auf der Erfahrung von Gottes Barmherzigkeit und will zu einem dankbaren neuen Leben »in Christus« anleiten, indem sie den Menschen als Antwort auf die empfangene Gnade Gottes zur Hingabe seines 33 Es
ist einer der wichtigsten Sätze des ganzen Neuen Testaments. 15,8–12. Zum hymnischen Lobpreis s. Röm 11,33–36.
34 Röm
36
Vorbemerkungen
Lebens und zum »vernünftigen Gottesdienst« führt: Röm 12,1 ff. Hier könnten wir von einer neuen, durch Gottes Geist gewirkten, endzeitlich-universalen Form der jüdischen kawwanāh sprechen. So betrachtet weisen Jesus und die von ihm ausgelöste weltweite Bewegung auf eine historisch verständliche, man könnte cum grano salis auch sagen legitime Möglichkeit in der Entwicklung des Judentums während der Spätzeit des Zweiten Tempels hin, die – auf einer profetisch-apokalyptischen Sicht der alttestamentlichen Tradition gründend – einen ganz anderen Weg einschlug als der rabbinische Zweig, der sich nach der Katastrophe der Tempelzerstörung formierte und den weiteren Weg des Volkes bestimmte. Zugleich wird deutlich, daß eine Darstellung Jesu und des Urchristentums nur auf dem Hintergrund des Judentums seiner Zeit sinnvoll ist und gewissermaßen ständig von diesem begleitet werden muß. Dabei steht zunächst das palästinische Mutterland im Mittelpunkt, denn Jesus und die erste Generation seiner Anhänger stammten von dort oder waren zumindest mit diesem eng verbunden. Darum soll dieses, seine Geschichte und seine religiösen Bewegungen, am Anfang unserer Darstellung stehen.
I. Das Judentum
§ 3 Das Judentum unter römischer Herrschaft im 1. Jahrhundert vor und nach Christus 3.1 Judäa als römischer Klientelstaat und als Provinz Die Werke des Josephus bilden die einzige durchgehende historische Erzählung über die Zeit der römischen Herrschaft seit der Unterwerfung Judäas durch Pompeius 63 v. Chr. und der Niederwerfung des jüdischen Aufstands 66–73 n. Chr. Man kann diese Epoche nur darstellen, wenn man ihm folgt. Aber auch er hat Lücken, gerade für die Zeit der Präfekten vor Pontius Pilatus, weil seine Quelle Nikolaos von Damaskus von da ab entfällt. Josephus hat weiter sehr deutliche Tendenzen: Im »Bellum Judaicum«, in den Jahren 75–79 direkt nach dem Krieg geschrieben, stellt er ebenso dessen Vorgeschichte dar, entlastet das eigene Volk zuungunsten der Zeloten, ebenso entlastet er die römische Verwaltung nach der Verbannung des Archelaos 6 n. Chr. und der Verwandlung Judäas in eine römische Provinz, um freilich den letzten Prokurator Gessius Florus als Mitschuldigen an der Katastrophe um so mehr zu belasten. Die spätere, ausführlichere Darstellung dieser Zeit in den »Antiquitates Judaicae«, die er in den Jahren 93/94 veröffentlicht hat, ist meistens zuverlässiger und weniger prorömisch. Sein eigenes Verhalten zu Beginn des Aufstandes 66–67 n. Chr., als er militärischer Führer in Galiläa war, rechtfertigt er ausdrücklich in seiner »Vita«, einem Anhang zu den Antiquitates. Sein spätestes Werk, eine Apologie des Judentums, seiner uralten Religion und seiner Gesetze, die, weil er sich unter anderem gegen die Angriffe des alexandrinischen Judenfeindes Apion wandte, den Titel »Contra Apionem« trägt, ist nicht nur eine wichtige S. dazu Boffo, Iscrizioni; Michel / Bauernfeind, Josephus; Siegert, Josephus; Mason, Life of Josephus; Gabba, History, 94–167; Goodblatt, Monarchic Principle; Hengel, Zeloten; ders., KS I–III; ders., Judentum und Hellenismus; ders., Judaism; Hengel / Schwemer, Paulus; Klausner, Jesus, 169–307; Kokkinos, Dynasty; Millar, Roman Near East; Pucci Ben Zeev, Rights; Riesner, Paulus; Schalit, Herodes; Schürer I–III / 2; Schwartz, Agrippa; Stern, GLAJJ. Zu Textausgaben und neuerer Literatur vgl.: I. Wandrey, Art. Josephos, DNP 5, 1998, 1088–1091; T. Rajak, Art. Josephus, RGG4 4, 2001, 585 ff. Eine kommentierte und übersetzte Gesamtausgabe in zehn Bänden erscheint jetzt bei Brill (leider ohne griechischen Text): Flavius Josephus. Translation and Commentary, ed. by S. Mason, Leiden etc. Zu Nikolaos s. u. S. 51.
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I. Das Judentum
Quellensammlung von griechisch-hellenistischen Zeugnissen über die Juden und den antiken Antijudaismus, sondern auch eine unentbehrliche Beschreibung jüdischer Gesetzesauslegung und Gebräuche. Seine Zahlenangaben sind oft schwankend und vergreifen sich in der Größenordnung, aber sie sind nicht generell unzuverlässig. Wir erhalten von ihm gewiß ein einseitiges Bild, aber ohne dieses Bild wäre allzu vieles in den Evangelien historisch unverständlich. Das Milieu, aus dem er kommt und für das er schreibt, ist mit dem des Lukas verwandt, es war ein hellenisiertes Judentum, von einem Kreis heidnischer Sympathisanten umgeben. Josephus – ein nationalbewußter Priester aus Jerusalem – gehörte zur judäischen Aristokratie und schrieb seine Werke als Freigelassener des flavischen Kaiserhauses in Rom; dabei ist interessant, wie sehr er sich als Apologet des Judentums von griechischer und römischer Kultur beeinflussen ließ, ähnlich wie der hochgebildete Galiläer Justus von Tiberias, mit dem er konkurrierte. Gegen die neuere Sekundärliteratur, die ja Josephus vor allem als Rhetoriker und Tendenz-Schriftsteller sehen will, ist er als Historiker ernst zu nehmen. Abgesehen von ihm und Philo von Alexandrien besitzen wir nur noch zufällige Hinweise aus den griechisch-römischen Schriftstellern für diese Zeit, so von Strabo, Tacitus, Cassius Dio u. a. Vor allem die historischen Apologien »Legatio ad Gaium« und »In Flaccum« des philosophischen Exegeten Philo über die Caligula-Krise und ihre Vorgeschichte 38–41 n. Chr. schildern nicht nur die Vorgänge in Alexandrien und Rom, sondern beleuchten auch die Verhältnisse unter den herodianischen Herrschern und Präfekten in Judäa und ergänzen die Darstellung des Josephus, der diesen jüdischen Aristokraten aus der Diaspora hoch schätzte. Unter den jüdischen Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit sind als Quellen besonders aufschlußreich die Makkabäerbücher, die Psalmen Salomos, aber auch stärker legendäre Erzählungen und last not least vor allem die Textfunde aus Qumran. Die rabbinischen Nachrichten sind dagegen stark tendenziös gefärbt. Ohne die Korrekturen durch Josephus wäre ihre Beurteilung durch das Fehlen jedes historischen Zusammenhangs unmöglich, denn sie würden ein völ Vgl. dazu C. Gerber, Ein Bild des Judentums für Nichtjuden von Flavius Josephus. Untersuchungen zu seiner Schrift Contra Apionem, AGJU 40, Leiden etc. 1997. S. die Sammlung von Stern, GLAJJ. Zum rhetorisch eingefärbten Herodesbild des Josephus s. jetzt T. Landau, Out-Heroding Herod. Josephus, Rhetoric and the Herod Narratives, AJEC (AGAJU) 63, Leiden / Boston 2006. Josephus, ant. 18,259 f. Vgl. G. Veltri, Art. Philo, RGG4 6, 2003, 1286 ff. Vgl. die ältere Beschreibung der Quellen bei Schürer I, 17–122; III.1/2; dazu Hengel, KS II, 176–192. Weiter Mittmann-Richert, Einführung. Zu J. Neusners zunächst berechtigter Kritik an der älteren Forschung, aber dann immer radikaler werdenden Ablehnung der Verwendung rabbinischer Texte für die historische Darstellung vor 70 n. Chr. vgl. Deines, Pharisäer, 536 ff.
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lig falsches Bild ergeben. Das Judentum hat sich nach 70 n. Chr. radikal gewandelt, und die Rabbinen waren nach der Katastrophe an einer Darstellung ihrer Geschichte nicht mehr interessiert. Sie sahen ihre Aufgabe in der halachischen, gesetzlichen, und haggadischen, moralisch-theologischen, Schriftauslegung.
3.1.1 Zur Vorgeschichte: Von Pompeius bis zur Herrschaft Herodes’ I. (63–4 v. Chr.) Die Religionsnot unter Antiochus IV. Epiphanes und der erfolgreiche makkabäische Freiheitskampf im 2. Jahrhundert v. Chr. bedeuteten einen tiefen Einschnitt in der Geschichte und im Selbstverständnis des jüdischen Volkes. Aufgrund des Niedergangs des Seleukidenreiches und seiner allmählichen Auflösung konnte das kleine Judäa unter der Führung der makkabäischen Freiheitskämpfer seine politische Selbständigkeit in einem Jahrzehnte dauernden wechselhaften Aufstand nach über 400 Jahren Fremdherrschaft erringen und sein Herrschaftsgebiet so weit ausdehnen, daß es um 100 v. Chr. dem alttestamentlichen Ideal vom Land des Zwölfstämmevolkes nahekam. Den Erfolg dieses Freiheitskampfes sollte von Anfang an ein Bündnis mit Rom sichern.10 Judas Makkabäus hatte nach seinem Sieg über Nikanor11 im Frühjahr 161 v. Chr. eine Gesandtschaft nach Rom geschickt, die ein Friedens‑ und Waffenbündnis mit dem römischen Senat schloß,12 das gegen den seleukidischen Herrscher Demetrius I. gerichtet war, wie dem gleichzeitigen Schreiben an diesen zu entnehmen ist, dem der drohende Vorwurf des Senats galt: »Warum hast du dein Joch unseren Freunden, den verbündeten Juden, auferlegt? Wenn
sie noch weiter gegen dich Klage führen, werden wir ihnen Recht verschaffen und dich zu Wasser und zu Land bekämpfen.«13 Zur hellenistischen Reform in Jerusalem und der Religionsnot unter Antiochus IV. Epiphanes, die den Aufstand auslöste: E. Bickermann, Der Gott der Makkabäer, Berlin 1937; Hengel, Judentum und Hellenismus. Vgl. zu den religiösen Auswirkungen der Verfolgung, den Martyrien und der Auferstehungshoffnung, sowie der Entstehung der Religionsparteien unten § 4. 10 Die römische Republik hatte schon in der Schlacht bei Magnesia (190 v. Chr.) den seleukidischen Herrscher Antiochus III. besiegt, und der anschließende Friedensschluß von Apamea (188 v. Chr.) vollendete seine Niederlage, denn der Seleukide verlor jeden Anspruch auf Griechenland und Kleinasien und mußte eine gewaltige Summe als Kriegsentschädigung aufbringen, die die Finanzen des Staates schwer belastete und vermutlich auch in Palästina zu Steuererhöhungen führte. Antiochus IV. Epiphanes (s. dazu unten) wuchs als Geisel in Rom auf. 11 Vgl. 1 Makk 7,43 ff. 12 1 Makk 8,17–30; vgl. 2 Makk 4,11. 13 1 Makk 8,31 f.; vgl. 1 Makk 12,1–4; 14,16–19. Zum Problem der Echtheit der Urkunden s. Schürer I, 171–173; vgl. weiter Justin, Epitome von Pompeius Trogus 36,3,9; Pompeius Trogus datiert die »Freiheit« in die Zeit des Demetrius I.: A Demetrio cum descivissent, amicitia Romanorum petita primi omnium ex Orientalibus libertatem acceperunt, facile tunc Romanis
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Der Vertrag der Römer mit dem Volk der Juden stand auf einer Bronzetafel in Rom, und eine Abschrift erhielten die Jerusalemer.14 Im Selbstbewußtsein der jüdischen Bevölkerung garantierte er vor allem die Freiheit vom seleukidischen »Joch«, nicht so sehr die Anerkennung der Hegemonie Roms, denn die Römer waren damals noch fern. Sie zeigten freilich nach den siegreichen Auseinandersetzungen mit Antiochus III. (192–188 v. Chr.) bereits lebhaftes Interesse an den Vorgängen in Syrien, intervenierten mehrfach gegenüber den Seleukiden. Schon Antiochus IV. war bei seinem siegreichen 2. Ägyptenfeldzug vom römischen Feldherrn Popillius Laenas aufgrund eines Senatsbeschlusses zum Rückzug und zum Verzicht auf seine Ansprüche auf Ägypten gezwungen worden.15 Rund hundert Jahre später wurde durch das Ende des Seleukidenreiches Syrien zur römischen Provinz,16 und der jüdische Hasmonäerstaat in Palästina kam als Anhängsel Syriens unter römische Oberherrschaft. Pompeius hatte nach der endgültigen Unterwerfung des Mithridates VI. 65 v. Chr. in Armenien Tigranes besiegt und das von diesem besetzte hellenistische seleukidische Kerngebiet Syrien, Kilikien und Phönizien »befreit«. Er schickte seinen Feldherrn Scaurus in das südliche Syrien, um die Verhältnisse zu ordnen. Als dieser nach Damaskus kam, hatten zwei Unterfeldherrn, Lollius und Metellus, die hellenistische Polis bereits von der Herrschaft der Nabatäer befreit; Scaurus zog daher weiter nach Judäa, wo die beiden Söhne des hasmonäischen Hohenpriester-Königs Alexander Jannai (103–76 v. Chr.) und der Königin Alexandra Salome (76–67 v. Chr.) nach deren Tod um das Erbe stritten. Alexandra hatte schon bei ihrem Regierungsantritt den älteren Hyrkan II. zum Hohenpriester eingesetzt und sich zugleich mit den bisher antihasmonäischen Pharisäern verbündet; dadurch gelang es ihr, den Bürgerkrieg zu beenden, den ihr verstorbener Mann König Jannai lange Zeit mit den Pharisäern und ihren Anhängern geführt hatte. Noch zu Lebzeiten hatte sie Hyrkan auch zum Erben der Königswürde bestimmt,17 mußte sich aber zunehmend mit dem Machtstreben ihres jüngeren Sohnes Aristobul II. auseinandersetzen, der sich auf die bisherigen Anhänger seines Vaters – den de alieno largientibus. »Als sie von Demetrius abgefallen waren, erbaten sie die Freundschaft von den Römern, und sie empfingen als erste von allen aus dem Orient die Freiheit, wobei die Römer damals leicht wegschenkten, was ihnen nicht gehörte.« (Text bei: Stern, GLAJJ I, 336). 14 Vgl. Josephus, ant. 12,415–419. Josephus unterstreicht, daß dies der erste Vertrag zwischen Römern und Juden war. Nach 1 Makk 8,22 gelangten dagegen Bronzetafeln nach Jerusalem. Zum Streit um die Authentizität des Vertrags in 1 Makk s. Schürer I, 171 ff. 15 Ausführlicher dazu Schürer I, 151 f.171. Diese Vorgänge wurden in Judäa aufmerksam registriert, s. Dan 11,30. 16 Durch Pompeius 64 v. Chr., offiziell im Jahr 58 v. Chr.; 27 v. Chr. wurde es durch Augustus zur kaiserlichen Provinz und unterstand einem Legaten; s. dazu Millar, Roman Near East, 31: »the ›provinces of Caesar‹ were the military areas … Syria … was a military area, and one in which at all times comparatively large military forces were stationed.« 17 Josephus, bell. 1,120.
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sadduzäischen Adel – stützte. Nach Salomes Tod brach offener Krieg zwischen den Brüdern aus, Hyrkan II. wurde von Aristobul II. besiegt und entthront. Doch der ehrgeizige Aristokrat und idumäische Magnat Antipater,18 dem die Verwaltung des judaisierten Idumäa unterstand und der politischer Berater des unfähigen Hyrkan II. geworden war, rief in dessen Namen die Nabatäer zu Hilfe19 und belagerte zusammen mit ihnen den von Aristobul II. gehaltenen Jerusalemer Tempelberg. Der Streit war so erbittert, daß bei dieser Belagerung ein charismatischer Wundertäter, Onias, aus rabbinischen Texten als Choni der Kreiszieher bekannt, von einer wütenden Menge gesteinigt wurde, weil er sich weigerte, Aristobul zu verfluchen, und Gott bat, das Vorhaben der streitenden Brüder nicht gelingen zu lassen.20 Beide, Hyrkan und Aristobul, suchten nun den römischen Feldherrn Scaurus für ihre Partei zu gewinnen. Scaurus begünstigte Aristobul, so daß dieser das Heer von Hyrkan und Antipater vernichtend schlagen konnte. Als Pompeius 64 v. Chr. in Damaskus eintraf, machten die Brüder ihre jeweiligen Ansprüche vor diesem geltend. »Hier hörte er (Pompeius) von der Sache der Juden und ihrer Herrscher, die gegen-
einander kämpften …, während das Volk (≤qno“) gegen beide war, weil sie nicht von einem König beherrscht werden wollten. (Sie sagten,) nach ihrem väterlichen (Gesetz) gehorchten sie den Priestern des bei ihnen verehrten Gottes, aber diese beiden, die zwar Abkömmlinge von Priestern seien, wollten das Volk in eine andere Herrschaftsform überführen, damit sie zu (einem Volk von) Sklave(n) würden.«21
Die wohl von Pharisäern angeführte Abordnung des Volkes lehnte die Königsherrschaft, die schon seit Alexander Jannai bzw. seinem Bruder Aristobul I. (104–103 v. Chr.) bestand, grundsätzlich als nicht konform mit dem jüdischen Gesetz ab.22 Pompeius ging auf dieses ›Volksbegehren‹ nicht ein, ermahnte 18 Josephus, bell. 1,123: »Dieser war von Geburt Idumäer, um seiner Herkunft, seines Reichtums und sonstiger Überlegenheit willen der erste Mann in seinem Volk.« Zu Antipater und seiner Familie, die ursprünglich aus Askalon kam und dessen Vater bereits unter Jannai und Alexandra Salome Idumäa verwaltete, s. Kokkinos, Dynasty, 94–139. Vermutlich war der Vater Antipaters bei der Zwangsjudaisierung Idumäas durch Johannes Hyrkan (135–104 v. Chr.) zum Judentum übergetreten. Die Quelle des Josephus ist bei all diesen Vorgängen vor allem Nikolaos von Damaskus; vgl. u. S. 51. 19 Er selbst war mit einer Nabatäerin verheiratet, s. u. S. 52 Anm. 71. 20 Josephus, ant. 14,22–24. Zu den rabbinischen Überlieferungen s. Schürer I, 235 Anm. 6; vgl. Vermes, Jesus, 56 ff. 21 Josephus, ant. 14,41; s. dazu den Parallelbericht von Diodorus Siculus 40,2 (Text bei Stern, GLAJJ I, 185 ff.). Vgl. Hengel / Deines, Pharisäer, in: Hengel, KS I, 392–479, die 458 Anm. 181 auf den pharisäischen Standpunkt dieser Abordnung hinweisen. 22 Ob sie sich dabei auf den mit dem Volk (≤qno“) der Juden und dem römischen Senat geschlossenen Bündnisvertrag aus dem Jahr 161 v. Chr. beriefen (s. das senatus consultum in 1 Makk 8,23–30; vgl. 2 Makk 4,11; vgl. Josephus, ant. 12,415–419, dazu o. S. 42 Anm. 14) und sich deshalb unter römischen Schutz stellen wollten, wird aus dem Bericht in den Antiquitates nicht erkennbar. Im kürzeren Bericht des Bellum übergeht Josephus die Abordnung des Volkes.
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jedoch zum Frieden und warnte Aristobul vor Aufstand und Abfall von Rom, das heißt, der Repräsentant Roms sah sich selbstverständlich als Herrn des Ostens an, der jetzt durch Rom neu geordnet werden mußte.23 Er nahm Aristobul gefangen, als dessen Anhänger weder die zugesagten Zahlungen leisten noch Jerusalem übergeben wollten. Die Anhänger Aristobuls verschanzten sich wieder im Tempel, während Hyrkan die Stadt und den Königspalast Pompeius übergab.24 Nach zweieinhalbmonatiger Belagerung erstürmte Pompeius den Tempel, wobei viele Priester, die ihren Dienst versahen, getötet wurden,25 betrat das Innere des Heiligtums, raubte es jedoch nicht aus: »Nichts aber traf unter den Nöten damals das Volk so sehr wie die Tatsache, daß das
bis dahin nie gesehene Heiligtum von den Fremden bloßgelegt wurde: Pompeius betrat mitsamt seinem Gefolge den Tempel, wo hineinzugehen heiliges Recht nur dem Hohenpriester gestattet; er betrachtete, was darin war, Leuchter samt Lampen, Tisch, Opferschalen und Räuchergefäße … und den heiligen Schatz, an 2000 Talente. Weder diesen noch etwas anderes von den heiligen Kostbarkeiten rührte er jedoch an«.26
Den Hyrkan bestätigte Pompeius nur als Hohenpriester, nicht als Ethnarchen oder König, machte das Land tributpflichtig – in kurzer Zeit waren 10.000 Talente zu bezahlen – und trennte alle hellenistischen Städte ab, die in der Hasmonäerzeit erobert worden waren, übergab sie als »freie Städte« wieder ihren ehemaligen, zum Teil vertriebenen Bewohnern27 und schloß sie der Provinz Syrien an. Aristobul und seine Familie, aber auch zahlreiche Kriegsgefangene28 Die Nachricht des Diodor (s. vorherige Anmerkung) ist hier klarer und erwähnt den Bündnisvertrag mit dem Senat. 23 Auch das spricht dafür, daß die Bündnis‑ und Beistandsverträge mit Rom nicht in Vergessenheit geraten waren. Vgl. 1 Makk 12,1.3 f. (der Hohepriester Jonathan und das Volk erneuern den Vertrag mit Rom); 1 Makk 14,16 ff. (Rom erneuert den Vertrag mit dem Hohenpriester Simon); Josephus, ant. 13,260–266 (Erneuerung des Vertrags mit dem jüdischen dömo“ – um 132 oder weniger wahrscheinlich um 105 v. Chr.); 14,247 ff. (Vertragserneuerung zugunsten des jüdischen ≤qno“ und des Hohenpriesters Johannes Hyrkan). 24 Josephus, bell. 1,142 ff.; ant. 14,59. 25 Josephus, bell. 1,150: »Da verharrten viele Priester, ob sie auch die Feinde mit dem Schwert in der Hand auf sich zukommen sahen, ruhig bei dem Gottesdienst, beim Ausgießen des Trankopfers wurden sie hingeschlachtet und bei der Darbringung des Räucherwerks, und so achteten sie ihre Rettung geringer als den Gottesdienst.« Vgl. ant. 14,65–68. 26 Josephus, bell. 1,152 f.; vgl. Strabo 16,40 (bei Josephus, ant. 14,71 ff.; Stern, GLAJJ I, 276); Tacitus, hist. 5,9. 27 Josephus, ant. 14,75 f. nennt Gadara, Hippos, Skythopolis, Pella, Dion, Samaria, Marisa, Aschdod, Jamnia, Arethusa und die Küstenstädte Gaza, Joppe, Dora und Stratons-Turm. PsSal 17,14–18 bezieht sich auf die unbarmherzige Eintreibung dieses Tributs in Jerusalem und die Steuerflucht der »Frommen« in die Wüste; zur »Anachoresis« in Judäa vgl. u. S. 100 Anm. 330. 28 Es handelte sich nicht zuletzt um Priester und Leviten, die den Tempel verteidigt und bis zum Eindringen der Römer den Kult aufrechterhalten hatten. Sie bildeten den Kern der jüdischen Diaspora in Rom. Zu deren Nachfahren als Freigelassene in Rom s. Philo, legat. 155 f.; zu Rückwanderern vgl. die Theodotos-Inschrift u. S. 156 Anm. 160. Vgl. auch PsSal 17,11 f.
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nahm Pompeius mit nach Rom, wo Aristobul im Triumphzug des Pompeius mitgeführt wurde.29 Josephus macht für dieses Unglück Jerusalems, die Entweihung des Tempels, den Verlust der Freiheit und die Unterwerfung unter Rom die beiden Brüder und ihren Bruderkrieg verantwortlich: »An diesem Unglück für die Jerusalemer waren Hyrkan und Aristobul schuld, die
gegeneinander Krieg führten. Denn wir verloren die Freiheit und wurden Untertanen der Römer.«30
Die Psalmen Salomos – verfaßt in frühherodianischer Zeit – beklagen diese Vorgänge aus pharisäischer Sicht: 2,1 ff.: »In seinem Übermut stürzte der Sünder (Pompeius) mit dem Widder ragende Mauern, … fremde Völker bestiegen deinen Altar, mit ihren Schuhen traten sie ihn nieder in Übermut, weil die Söhne Jerusalems das Heilige des Herrn befleckt … durch Gesetzlosigkeiten geschändet hatten.« 17,11 f.: »Der Gesetzlose (Pompeius) entblößte unser Land von seinen Bewohnern …, sandte sie fort bis zum Westen, und die Fürsten des Volkes machte er zum Spott.«
Pompeius ereilt danach die gerechte Strafe für seinen Frevel (PsSal 2,26 f.), aber auch die Hasmonäer werden für ihre Untaten bestraft werden, denn sie ergriffen das königliche »Diadem« aufgrund ihres Hochmuts und »verwüsteten Davids Thron« (PsSal 17,5 f.): »Du aber, o Gott, wirst sie niederwerfen und ihren Samen von der Erde wegnehmen,
indem sich gegen sie ein Mensch, der unserem Geschlecht fremd (üll·trion) ist, erhebt. Nach ihren Sünden wirst du ihnen vergelten, o Gott …« (PsSal 17,7 f.).
Die Psalmen Salomos sehen in der späteren Machtübernahme und dem Vorgehen des »Halbjuden« idumäischer Herkunft Herodes – der hier mit dem Fremden gemeint ist31 – gegen die Hasmonäer die gerechte Strafe Gottes, der »treu ist in allen seinen Gerichten« (17,10). Die römische Herrschaft der späten Republik war vor allem an einer effektiven, ja exzessiven Besteuerung der neuen Provinz interessiert, daneben auch an der Stärkung der hellenistischen Städte und ihrer Kultur, die nach dem Niedergang der Seleukiden, den die Römer selbst gefördert hatten, von den orientalischen »Barbaren«, Parthern, Armeniern, Nabatäern und Juden, bedroht worden waren. Zugleich lag den Römern wegen der wachsenden Parthergefahr an einer Befriedung der durch den Zerfall des Seleukidenreiches zersplitterten 29 Zum Triumph des Pompeius vgl. Diodorus Siculus 40,4 (Stern, GLAJJ I, 188 f.); Plinius, nat. hist. 7,98 (Stern, GLAJJ I, 483 f.); Appian, Mithridatica 117,571 ff.576 ff. (Stern, GLAJJ II, 182 f.). PsSal 17,12 erwähnt die Verspottung der jüdischen Fürsten. 30 Ant. 14,77. 31 Vgl. AssMos 6,2; Josephus, ant. 14,403: ™miioudaõo“ (vgl. dazu u. S. 52 Anm. 71). Zur pharisäischen Überzeugung, daß die Herrschaft des Herodes die gerechte Strafe Gottes sei, s. u. S. 49 Anm. 54.
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neuen Provinz Syrien. Gabinius teilte darum ca. 57 v. Chr. den jüdischen Reststaat in fünf Synhodoi, das heißt Verwaltungsbezirke, mit Jerusalem und Jericho als Sitz von Synhedrien in Judäa, Amathus in Peräa, Adora in Idumäa und Sepphoris in Galiläa, um für Ruhe und Ordnung und die geregelte Einziehung des Tributs zu sorgen.32 Gleichzeitig erhielt das Land eine »aristokratische« Verfassung,33 wie sie bei den Römern in den unterworfenen Provinzen auch sonst üblich war, denn im neuen römischen Klientelstaat stand zunächst Hyrkan II. nur als Hoherpriester an der Spitze, Verwaltung und Rechtsprechung lagen in der Hand der führenden lokalen Familien.34 Dafür, daß die ständigen Unruhen in Judäa, das den Verlust der Unabhängigkeit schwer ertragen konnte, nicht aufhörten, sorgten Alexander, der Sohn Aristobuls II., der der Gefangenschaft schon auf dem Weg nach Rom entkommen konnte, aber auch Aristobul selbst, nachdem er aus Rom geflohen war, und später sein Sohn Antigonos, die alle den Anspruch auf den Thron und das Hohepriesteramt, jeweils gestützt auf eine große Anhängerschaft im Volk, nicht aufgaben.35 Die römischen Legaten in Syrien, denen drei Legionen zur Verfügung standen, die jedoch wegen der Parthergefahr in Nordsyrien stationiert waren, mußten gegen sie in mehreren Feldzügen eingreifen.36 Mit einer klar prorömischen – realistischen – Haltung versuchten Antipater und Hyrkan, ihre Macht zu erhalten. Auch als Crassus, um seinen Partherfeldzug zu finanzieren, im Jahr 54 v. Chr. den Tempel ausraubte, scheint der Hohepriester nicht protestiert zu haben, der Tempelschatzmeister konnte mit viel Diplomatie gerade noch die kostbaren Tempelvorhänge retten.37 Die Befürchtung, daß die Römer – so wie einst die Babylonier – Stadt und Tempel zerstören oder wie Antiochus IV. letzteren entweihen würden, wird nach den Übergriffen von Pompeius und Crassus, denen weitere folgen sollten, latent in der Bevölkerung gewachsen sein.38 Aufgrund der Niederlage des Crassus 32 Vgl. Cicero, de prov. cons. 5,10 (Text und Kommentar bei Stern, GLAJJ I, 202 ff.); Cassius Dio 39,56,5 f. (Text bei Stern, GLAJJ II, 354 f.). Vgl. Gabba, History, 98 f.: »The arrangement imposed by Gabinius was ineffective, and must have lasted quite a short time. In 56 BCE Aristobulus himself, having escaped from Rome, gathered many followers and tried yet another revolt, once again crushed by Gabinius.« Vgl. weiter op. cit., 100. 33 Josephus, ant. 14,91; vgl. ant. 11,111. 34 Schürer I, 184–198; vgl. auch Goodblatt, Monarchic Principle, 30.110 f. 35 Josephus, ant. 14,93: »Viele Juden hatten sich Aristobul angeschlossen wegen seines alten Ruhms und weil sie immer Freude an revolutionären Umtrieben hatten.« Vgl. ant. 14,100 ff.: Aristobuls Sohn Alexander kommt zum zweiten Mal an die Macht, zwingt viele Juden zum »Abfall« und zieht mit einer großen Armee, jeden Römer tötend, durchs Land. Gabinius besiegt ihn am Tabor, zehntausend (m‚rioi – eine typisch übertriebene Zahlangabe) Juden kommen ums Leben. 36 Josephus, ant. 14,82–88.92–97.101 f.120. 37 Josephus, bell. 1,179; ant. 14,105–109. 38 Vgl. die Erwartung der endzeitlichen Zerstörung des Tempels in der Habakuk-Vita der Vitae Prophetarum (12,11): »Und über das Ende des Tempels sagte er vorher: ›Es wird von einem Volk aus dem Westen geschehen.‹ « Die endzeitliche Zerstörung Jerusalems hat nach
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bei Karrhae (53 v. Chr.) und dem Einfall der Parther in Syrien brachen erneut offene Unruhen in Galiläa aus, die Cassius Longinus niederschlug.39 Nach dem Tod des Pompeius unterstützten Hyrkan und Antipater Julius Caesar in dessen schwieriger Lage bei seinem Ägyptenfeldzug (48–47 v. Chr.) mit jüdischen Hilfstruppen in der Stärke von 1500 Mann40 und brachten die ägyptischen Juden auf Caesars Seite. Dieser scheint deshalb die Juden in seinem Machtbereich besonders begünstigt zu haben. Die Einteilung in fünf Synhodoi bzw. Synhedria durch Gabinius hatte der Befriedung des Landes nicht gedient41 und wurde darum von Caesar 47 v. Chr. im Zusammenhang mit einer Neuordnung des Gebietes wieder aufgehoben. Für ihre Bundesgenossenschaft beim Ägyptenfeldzug wurden Hyrkan und Antipater entsprechend belohnt: Hyrkan II. wurde zum Ethnarchen der Juden ernannt, das Amt sollten auch seine Nachkommen erhalten, weiter wurde ihm das erbliche Hohepriesteramt bestätigt.42 Antipater erhielt nicht nur das römische Bürgerrecht und persönliche Steuerfreiheit, sondern die Vollmacht zu regieren, in welcher Form er es für richtig halte; damit wurde er der eigentliche Herr im Lande.43 Die Juden wurden sowohl in Judäa wie in Kleinasien vom römischen Militärdienst befreit44 und sollten nach ihren hergebrachten Gewohnheiten leben, das heißt den Sabbat feiern und die Tempelsteuer einsammeln und nach Jerusalem transferieren dürfen. Caesar gewährte zudem Steuernachlaß in Judäa45 und gab außer Joppe, dem wichtigsten Hafen des Landes, auch den hasmonäischen Grundbesitz dieser Schrift der Profet Jona geweissagt (10,8). Vgl. Josephus, bell. 6,300–309; Joh 11,48; Mk 13,2. 39 Josephus, bell. 1,180; ant. 14,119 f. 40 Josephus, bell. 1,187, sowie ant. 14,128.139 wird 3000 angegeben, in ant. 16,52 (in der Rede des Nikolaos von Damaskus vor Agrippa) sind es 2000; in dem von Josephus zitierten Dekret Caesars ant. 14,193 heißt es jedoch vermutlich richtiger 1500. Vgl. dazu Pucci Ben Zeev, Rights, 40.48 f. 41 S. o. S. 46 Anm. 32. 42 Josephus, ant. 14,194 f.196.199.210. Ausführlich kommentiert die Dokumente (Briefe Caesars aus den Jahren 47–44 und entsprechende senatus consulta in ant. 14 und ant. 16, die Josephus zitiert): Pucci Ben Zeev, Rights; sie unterstreicht die Bedeutung dieser Dokumente zu Recht (373): »Along with Polybius, Appian and not many others, and along with his Jewish predecessors, Ezra and the authors of the books of the Maccabees, Josephus is one of the few ancient historians who quotes the text of documents. In spite of his apologetic bias in choosing them, in spite of his lack of attention to their content, and in spite of the fact that they are not original documents but copies (and often copies of copies) already translated into Greek, there is no doubt that his quotations constitute an enormous contribution to our knowledge of Jewish rights. More than that: they provide us with almost all the information available concerning Jewish rights in the first century BCE and in the first century CE.« 43 Josephus, ant. 14,143; vgl. bell. 1,194.199 f. 44 Josephus, ant. 14,227.228. In Judäa war dies mit der Befreiung von der Unterhaltung von Winterlagern verbunden. 45 Josephus, ant. 14,201.
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an Hyrkan zurück.46 Als Herodes jedoch 40 v. Chr. durch Octavian und Marcus Antonius zum König eingesetzt wurde, waren die Bestimmungen für Hyrkan und seine Kinder bereits wieder hinfällig geworden bzw. auf Herodes und seine Familie übergegangen.47 Josephus zitiert diese römischen Dekrete so ungewöhnlich ausführlich bis hin zum Edikt des Claudius an die Alexandriner und dem Brief des Petronius an die palästinische Hafenstadt Dora, die nach der Caligulakrise48 die jüdischen Rechte wieder garantierten, um seine jüdischen Volksgenossen in Judäa und der Diaspora gegen Ende des 1. Jahrhunderts n. Chr. davon zu überzeugen, daß sie – auch nach dem ersten jüdischen Krieg –, wenn sie sich der römischen Herrschaft gegenüber loyal verhielten, von dieser geschützt würden. Zugleich war es aber auch eine Mahnung an die Römer, von ihrer bisherigen guten Tradition ja nicht abzugehen.49 Es war seine feste Überzeugung – wie schon vor ihm die Philos von Alexandrien –, daß gerade die von Augustus und seinen Nachfolgern propagierte Pax Romana Rechtssicherheit und die freie Ausübung des jüdischen Kultes garantierte.50 Er hat damit die politische Situation Judäas durchaus realistisch gesehen. Antipater setzte zunächst seine beiden Söhne als Strategen, das heißt als militärische und zivile Befehlshaber, ein: Phasael in Jerusalem und den jüngeren Herodes in Galiläa. Dies gab Herodes die Gelegenheit zu seiner ersten Heldentat im Jahr 47 v. Chr.51 Der »Räuberhauptmann« Hiskia unterhielt eine Privatarmee, mit der er Raubzüge ins südliche Syrien unternahm. Herodes nahm ihn und seine Anhänger gefangen und ließ sie hinrichten. Daß Hiskia52 kein einfacher »Räuber« 46 Josephus, ant. 14,202–210. Dazu Pucci Ben Zeev, Rights, 80–92; Gabba, History, 100 f. 47 Damit verbunden war das Privileg, zum Senat zugelassen zu werden und innerhalb von zehn Tagen Antwort zu erhalten (Josephus, ant. 14,210). Vgl. die schnelle Anhörung des Herodes vor dem Senat, dessen Verfahren zur Ernennung zum König in sieben Tagen abgeschlossen war (Josephus, ant. 14,387). Dazu Kokkinos, Dynasty, 98 f. Anm. 54, der vermutet, Antipaters Familie habe bereits ähnliche Privilegien erhalten wie die Hyrkans. 48 S. dazu u. Exkurs S. 84–87. 49 Kaiser Domitian (81–96 n. Chr.) trieb den fiscus Iudaicus, die Zwei-Drachmen-Steuer, die alle Juden nach der Zerstörung des Jerusalemer Heiligtums und dem Ende des Jüdischen Krieges an den Tempel des Iuppiter Capitolinus in Rom bezahlen mußten, mit verschärfter Grausamkeit ein (Sueton, Dom. 12) und bestrafte Römer, die zum Judentum übertraten (Cassius Dio 67,14,2); vgl. Schürer III, 122 f. und u. S. 159 Anm. 177. 50 Vgl. P. Kehne, Art. Pax, DNP 9, 2000, 454 f. S. vor allem die zum Frieden mahnende Rede Agrippas beim Beginn des Aufstandes 66 n. Chr. (Josephus, bell. 2,345–401). Weiter u. S. 107 Anm. 375. Dieses Wissen spielt auch bei Paulus in Röm 13 eine Rolle, s. Hengel / Schwemer, Paulus, 95 f. Sie ist eine Voraussetzung der urchristlichen länderübergreifenden Mission. 51 Josephus, bell. 1,204–211; ant. 14,159 f.184. 52 Zu Hiskia und seiner Dynastie s. Hengel, Zeloten, 319–324; Freyne, Galilee, 211–216; Gabba, History, 101; vgl. u. S. 77 Anm. 208; S. 94 Anm. 299; S. 110 Anm. 386 u. ö. Zur Bezeichnung »Räuber« für alle Feinde der römischen Herrschaft bei Josephus, nicht nur für
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gewesen sein kann, zeigt auch das Nachspiel in Jerusalem, denn nicht nur die Vertreter des Priester‑ und Laienadels, die vornehmsten Juden, forderten von Hyrkan, Herodes zur Verantwortung zu ziehen, weil nur der Hohepriester und sein Synhedrium das Recht hätten, eine Kapitalstrafe zu vollziehen, sondern auch die Mütter der von Herodes Getöteten bedrängten den Hohenpriester täglich im Jerusalemer Tempel, er müsse Herodes vor Gericht stellen. Hyrkan gab nach, ließ jedoch Herodes – auf Wunsch des römischen Statthalters – entkommen.53 Das Gerichtsverfahren selbst artete wegen der Feigheit der Synhedristen angesichts des selbstbewußten Auftretens des Herodes mit einer bewaffneten Leibgarde zu einer Farce aus, nur der Pharisäer Samaias ergriff das Wort, beschuldigte die Ratsmitglieder und kündigte ihnen die künftige Herrschaft und Rache des Herodes an: Wegen ihrer Sünden könnten sie ihm nicht entkommen.54 Hiskia muß selbst der nationalbewußten Aristokratie angehört haben. Den Aufstieg verdankte Herodes zunächst dem Einfluß seines Vaters Antipater, später mehr und mehr seiner militärischen, politischen und ökonomischen Begabung, seinem skrupellosen Willen zur Macht und seiner konsequenten Loyalität den jeweiligen römischen Befehlshabern gegenüber. Als Cassius einen Tribut von 700 Talenten forderte, brachte Herodes in Galiläa die von ihm verlangte Summe als erster zusammen.55 Die Unruhen hörten nicht auf, denn nun sammelte Antigonos, der Sohn Aristobuls II., ein Heer, aber Herodes besiegte ihn in Galiläa.56 Nach dem Sieg bei Philippi übernahm Marcus Antonius die Herrschaft im Osten, er ernannte Herodes und dessen Bruder Phasael zu Tetrarchen und ließ in Tyrus die jüdische Gesandtschaft, die sich über Herodes beklagt hatte, hinBanditen, s. Hengel, Zeloten, 25–47; Schürer I, 441; II, 600.604. Hiskia war offenbar ein mächtiger antirömischer Parteigänger Aristobuls, der von Galiläa aus heidnisches Gebiet heimsuchte. Sein Sohn Judas spielte später eine Rolle bei den Aufständen nach dem Tod des Herodes I. 4 v. Chr. und ist wohl mit dem Begründer der zelotischen Freiheitsbewegung, Judas dem Galiläer, 6 n. Chr. identisch. Seit diesem Hiskia nennt Josephus fast stereotyp die Aufständischen gegen Herodes und die Römer »Räuber«. Er folgt darin seiner Quelle Nikolaos von Damaskus. 53 Josephus, ant. 14,170.177 ff. Herodes floh nach Damaskus, wurde dann aber vom römischen Statthalter als Präfekt über die Dekapolis und Samaria eingesetzt. Damit erhielt er ein offizielles römisches Amt. 54 Josephus, ant. 14,171–176. Samaias war es danach auch, der Herodes die Tore Jerusalems öffnete, als er es mit Sossius belagerte (vgl. ant. 15,3 f.). Diese Passage hat keine Parallele im Bellum, die dramatische Schilderung geht wohl auf Nikolaos von Damaskus zurück, den Josephus für seine ausführliche Geschichte des Herodes (ant. 14–17) ausschreibt. Vgl. o. S. 45 Anm. 31 zu PsSal 17,5–8.11; AssMos 6,2. 55 Josephus, bell. 1,220 f.; ant. 14,274. Nach bell. 1,225; ant. 14,280 versprach Cassius dem Herodes, ihn wegen seiner außerordentlichen Tüchtigkeit zum König von Judäa zu machen, wenn er Octavian und Antonius geschlagen habe. Doch Cassius und Brutus verloren die Schlacht bei Philippi 42 v. Chr. und fanden dort ihren Tod. 56 Josephus, ant. 14,297 ff.
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richten (41 v. Chr.).57 Herodes hatte den Parteiwechsel von dem Caesarmörder Cassius zu Antonius erfolgreich überstanden, aber der Parthereinfall in Judäa im Frühjahr 40 v. Chr.58 wendete das Blatt: Er mußte fliehen, die Parther plünderten Jerusalem, wie auch das umliegende Land, und zerstörten den einstmals idumäischen Hauptort Marisa, die Heimatstadt des Herodes. Sie nahmen Hyrkan II. und Phasael gefangen, Antigonos wurde mit ihrer Unterstützung Hoherpriester und König (40–37 v. Chr.). Er ließ seinem Onkel Hyrkan die Ohren abschneiden, damit er niemals wieder als Hoherpriester amtieren konnte, Phasael verlor das Leben.59 Herodes brachte zuvor sein Vermögen an einem unbekannten Ort im Süden, vermutlich in der mächtigen hellenistischen Polis Askalon, die niemals jüdisch geworden war,60 in Sicherheit, seine Anhänger und seine gesamte Familie, vor allem seine Verlobte Mariamne – die Enkelin Hyrkans –, rettete er in die als uneinnehmbar geltende Festung Masada und floh im Herbst 40 v. Chr. über Nabatäa und Ägypten nach Rom. Octavian und Marcus Antonius nahmen ihn freundlich auf und halfen ihm. Der Senat ernannte Herodes auf Vorschlag des Antonius zum König, weil er der geeignete Mann schien, die römischen Interessen im Partherkrieg zu vertreten und gegen den von den Parthern installierten Antigonos zu kämpfen.61 Ein König von Judäa konnte von nun an nur noch von Rom eingesetzt werden.62 Schon die Parther hatten Teile des Landes verwüstet, noch mehr litt die Bevölkerung unter dem drei Jahre dauernden Kampf zwischen Herodes und Antigonos. Weil er von römischen Truppen zunächst nur unzulänglichen Beistand erhielt, konzentrierte sich Herodes darauf, den Widerstand der »Räuber« in Galiläa zu brechen, das heißt der Anhänger des Antigonos, die lieber sterben wollten, als ›Sklaven‹ unter Herodes zu werden.63 Herodes und der mit seiner Unterstützung beauftragte römische Feldherr Sossius nahmen schließlich 37 v. Chr. Jerusalem 57 Josephus,
ant. 14,326.327 ff. bell. 1,248–273; ant. 14,330–369. 59 Josephus, bell. 1,270 ff.; ant. 14,366–369; er nahm sich das Leben bzw. versuchte es und wurde danach von einem Arzt des Antigonos vergiftet. An anderer Stelle betont Josephus dagegen, daß Phasael von den Parthern getötet wurde (bell. 1,484, s. dazu den Kommentar in der Ausgabe von Michel / Bauernfeind I, 421 Anm. 233; 2,46; 5,162; ant. 14,379; 17,257). Bei Julius Africanus hat sich die Nachricht des Justus von Tiberias erhalten, daß Phasael in der Schlacht gegen die Parther fiel; s. dazu Kokkinos, Dynasty, 159. 60 Vgl. Kokkinos, Dynasty, 100 Anm. 58. 61 Josephus, ant. 14,384 ff.: Herodes habe erwartet, der junge Hasmonäer Aristobul, Enkel von Hyrkan II., würde zum König ernannt werden. 62 Zur Anklage, Jesus habe sich zum König der Juden erklärt, die gegen ihn vor Pilatus vorgebracht wurde, vgl. Schwemer, Passion, 155 und u. S. 598.604 f. 63 Josephus, bell. 1,303–313; ant. 14,413–430. Die dramatischere Schilderung von der Vernichtung der »Räuber« in den Höhlen von Arbela in den Antiquitates (14,429: q›naton prÖ doule‡a“ ≠pomfinwn) verdankt Josephus vermutlich Nikolaos von Damaskus (oder den Memoiren des Herodes?), der betont, daß der König selbst anwesend war und trotz der Schmähungen, die der letzte der Helden gegen ihn ausstieß, diesem die Hand und freien Abzug bot. 58 Josephus,
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nach dreimonatiger Belagerung ein, gerade 26 Jahre nach der Eroberung durch Pompeius; dabei konnte Herodes nur mit Mühe Exzesse bei der Plünderung durch römische Soldaten verhindern. Antigonos, von Sossius als »Antigone« verspottet, wurde in Fesseln nach Antiochien geführt und von Marcus Antonius auf Wunsch des Herodes enthauptet.64 Für seine Beschreibung des Aufstiegs und der Herrschaft des Herodes verwendete Josephus in den Antiquitates ausführlich die Darstellung des Nikolaos von Damaskus, eines engen Freundes des Königs und Augenzeugen, ebenso die Memoiren des Herodes, aber auch eine antiherodianische priesterliche Quelle, von der er sich in seinem Urteil über den König stärker bestimmen ließ, denn Nikolaos habe, am Hofe des Königs lebend, diesem schmeicheln müssen.65 Nikolaos war der Erzieher der Kinder des Marcus Antonius und der Kleopatra gewesen und kam vermutlich bald nach der Schlacht von Actium, dem Suizid von Antonius und Kleopatra und der Auflösung ihres Hofstaats zu Herodes. Er hätte nicht so viele Jahre am Hof verbracht und schließlich bei den Testamentsregelungen mitgewirkt, wenn Herodes nur ein primitiver orientalischer Despot gewesen wäre. Aus vornehmer damaskenischer Familie stammend, war Nikolaos nicht nur ein Historiker und Diplomat von Rang, sondern der führende Universalgelehrte seiner Zeit. In seinen philosophischen Anschauungen folgte er Aristoteles und vertrat auch dessen enzyklopädisches Bildungsideal. Herodes studierte mit ihm die Philosophen, aber sehr viel mehr war der König an der Historiographie interessiert.66 Seine Weltgeschichte in 144 Büchern begann Nikolaos in Jerusalem, und seine Darstellung des Augustus verfaßte er ebenfalls auf Anregung des Herodes. Josephus konnte auf diese Weltgeschichte bis hin zu den Unruhen nach dem Tod des Herodes in Palästina und den Streitigkeiten um dessen Testament zurückgreifen.67 Der langjährige Aufenthalt dieses großen Gelehrten in Jerusalem manifestiert auch die »Hellenisierung« der Oberschicht in der jüdischen Hauptstadt. Er muß dort eine umfangreiche Bibliothek besessen haben.
Nach der Eroberung Jerusalems ließ Herodes 45 Synhedristen und die Anhänger des Antigonos aus der reichen sadduzäischen Aristokratie töten und konfiszierte 64 Josephus, bell. 1,353; ant. 14,465–488. Zur Verspottung des Antigonos vgl. Hengel, Rabbinische Legende, 50. Zur Hinrichtung des Antigonos s. bell. 1,357; ant. 14,489–491; Strabo (bei Josephus, ant. 15,9–10); Cassius Dio 49,22,3 ff. (Text bei Stern, GLAJJ II, 359 ff.): Antonius ließ den Antigonos an einen Pfahl (staur·“) binden und geißeln – eine Strafe, die kein anderer König von den Römern erleiden mußte, bevor er getötet wurde. Ähnlich Plutarch, Vita Antonii 36,4 (Text bei Stern, GLAJJ I, 568). S. dazu u. S. 608–615 zur Hinrichtung Jesu als »König der Juden«. 65 Josephus, ant. 16,184; vgl. 14,9; nach 15,174 verwendete Josephus auch die Memoiren des Herodes. 66 Nikolaos von Damaskus, FGrH 90, F 135 (bei Stern, GLAJJ I, 248–250); vgl. dazu Kokkinos, Dynasty, 124. 67 Zu Nikolaos ausführlicher B. Z. Wacholder, Nicolaus of Damascus, UCPH 75, Berkeley 1962; Hengel, KS I, 60–63 u. ö.; ders., KS II, 141 ff. u. ö., s. Index s. v. (460); zur Bedeutung des Nikolaos als Augenzeuge vgl. Millar, Roman Near East, 41: »in the modern histori ography of the Roman Imperial system at this formative stage the contemporary evidence of Nicolaus has hardly played the role that it should.«
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ihr Vermögen.68 Er hatte noch während der Belagerung Jerusalems in Samaria die Hochzeit mit Mariamne, der Enkelin Hyrkans II. und Aristobuls, vollzogen. Diese Verbindung mit einer Hasmonäerin diente der dynastisch-politischen Legitimation – wie gerade der Zeitpunkt der Heirat kurz vor der Eroberung Jerusalems verrät – und war wohl nicht nur von Hyrkan, sondern auch schon von Antipater angestrebt worden.69 Die Heirat brachte freilich weder die erhoffte Stärkung der rechtlichen Position des Königs noch das Wohlwollen des Volkes,70 denn die Rivalität und Feindschaft zwischen der neuen und der alten Dynastie, die auf eine über hundert Jahre dauernde, zum Teil glanzvolle Geschichte zurückblicken konnte, führte zu unentwegten Intrigen am königlichen Hof, an dem die Schwester des Herodes, Salome, eine besondere Machtposition hatte. In den Augen der Hasmonäer blieb Herodes als ehemaliger Privatmann idumäischer Herkunft trotz der Bekehrung seines idumäischen Großvaters zum Judentum ein »Halbjude« und nicht ebenbürtig.71 Mit dieser Heirat legte Herodes selbst die Wurzel »seines häuslichen Unglücks«72, denn seine Eifersucht und der Widerstand der schönen, stolzen Frau, die ihm den Mord an ihrem Bruder und Großvater nicht verzieh, sondern offen vorwarf und deren Haß auf den König ebenso groß gewesen sein muß wie seine leidenschaftliche Liebe, führten zur Hinrichtung Mariamnes 29 v. Chr.73
68 Josephus,
bell. 1,358; ant. 15,5 f. ant. 14,300.467; bell. 1,344: Er erlaubte sich die Hochzeit während der Belagerung. Mariamnes Vater war Alexander, der Sohn Aristobuls I., ihre Mutter Alexandra, die Tochter Hyrkans II. Hyrkan II. hatte das Mädchen Herodes versprochen, als dieser Stratege in Galiläa war. Der Bruder des Herodes, Pheroas, heiratete später die jüngere Schwester Mariamnes, die jedoch um 20 v. Chr. starb; vgl. Kokkinos, Dynasty, 211; gegen Schalit, Herodes, 66, der für eine Liebesheirat des Herodes plädierte und die politischen Beweggründe allein auf der Seite Hyrkans und von Mariamnes Mutter Alexandra sah. 70 Josephus, ant. 20,248: »Herodes heiratete … Mariamne, weil er sich das Wohlwollen des Volkes verschaffen wollte im Andenken an Hyrkan.« 71 Die Mutter des Herodes war »Araberin«, das heißt Nabatäerin, sein Vater gehörte zu den seit zwei Generationen zum Judentum übergetretenen Idumäern, das heißt, Herodes war wie sein Vater Antipater rechtlich gesehen Jude. Vgl. weiter Josephus, bell. 1,313; ant. 14,430.489; vgl. bell. 1,478. Schon Antigonos verspottet Herodes als Halbjuden (Josephus, ant. 14,403); Josephus, selbst stolz auf seine eigene priesterliche und hasmonäische Abkunft, teilt diese Ansicht; vgl. ant. 14,403; 17,192. Herodes dagegen legte der jüdischen und nichtjüdischen Welt seiner Zeit gegenüber Wert darauf, als Jude zu gelten. Nikolaos von Damaskus rekonstruierte für ihn einen Stammbaum, der seine Herkunft auf jüdische Vorfahren im babylonischen Exil zurückführte (Josephus, ant. 14,9), was Josephus als Priester natürlich als Lüge durchschaut. Vgl. Hengel, KS I, 63; Kokkinos, Dynasty, 101 f. Man berief sich gegen ihn auf Dtn 17,15: »Du darfst keinen Ausländer, der nicht dein Bruder ist, über dich setzen.« Vgl. mSot 7,8 zu Agrippa I.; Schürer I, 447; u. S. 90 Anm. 277. 72 Josephus, bell. 1,431.665: †n dÇ toõ“ kat’ oèkon ütucfistato“. Vermutlich nach Nikolaos von Damaskus. 73 Josephus, ant. 15,229 ff. Die Angabe in bell. 1,441–444 korrigiert Josephus in ant. 15,87. 69 Josephus,
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Mit insgesamt zehn Ehen und einem ›orientalischen‹ Harem, zu dem auch Knaben gehörten, demonstrierte Herodes seine Macht und seinen Reichtum.74 Zunächst ließ er nur seine Söhne, die er mit Mariamne gezeugt hatte, in Rom erziehen, das heißt, er bereitete sie auf die Nachfolge vor, später dann auch die der Samaritanerin Malthake. In seiner Familienpolitik setzte er auf die dynastische Stärkung durch Verwandtenehen unter den Nachkommen Hyrkans II. und seiner Familie. Bei seiner Schwester und den Töchtern legte er Wert auf Eheschließung nach jüdischem Recht.75 Heiratsanwärter, die sich nicht der Beschneidung unterziehen wollten, lehnte er ab.76 Der Streit seiner Söhne um die Nachfolge, an einem Hof voller Haß und Intrigen, überschattete seine letzten Regierungsjahre. Die beiden Söhne der Hasmonäerin Mariamne ließ er gegen den Rat des Nikolaos in Sebaste strangulieren, nachdem er sie nach jahrelangen gegenseitigen Verdächtigungen und Versöhnungen der Verschwörung und des Mordplans überführt glaubte.77 Sein ältester Sohn Antipater, der hinter diesen Intrigen stand und den natürlichen Tod des Vaters nicht abwarten konnte, starb fünf Tage vor dem König; er wurde hingerichtet, weil er seinen Vater hatte vergiften wollen.78 Zu Beginn seiner Regierung bereiteten Herodes die Feindschaft und die Begehrlichkeit der Kleopatra Schwierigkeiten; sie hätte gern neben der Dekapolis und dem palästinischen Küstenstreifen Judäa und Nabatäa ihrem Reich einverleibt und damit das ptolemäische Reich des 3. Jahrhunderts v. Chr. in Palästina wiederhergestellt, aber Antonius gab ihren Wünschen nicht völlig nach. Immerhin erhielt sie unter anderem 34 v. Chr. auch ein »Filetstück« des Herodes, die Balsamplantagen bei Jericho, für die Herodes jährlich die beträchtliche Summe von 200 Talenten zu entrichten hatte.79 74 Polygamie war nach jüdischem Recht dem König erlaubt (vgl. Josephus, bell. 1,477; mSan 2,4: 18 Frauen darf er haben); abgelehnt wurde sie von den Essenern (CD IV 21; V 2–6; 11QT 57,17 ff.). Kein anderes Mitglied seiner Familie hatte jedoch (gleichzeitig) derart viele Frauen wie Herodes; s. dazu Kokkinos, Dynasty, 143 ff.211.244 f. 75 Dies blieb auch später Brauch bei den herodianischen Herrschern; vgl. Hengel / Schwe mer, Paulus, 120 Anm. 494. 76 Kokkinos, Dynasty, 182 ff. rechnet zu Unrecht mit einer Ablehnung des Sylläus (Josephus, ant. 16,225) aus politischen Gründen, die religiösen, die Josephus anführt, seien vorgeschoben. Aber dazu hat Josephus gegenüber seinen heidnischen Lesern keinen Grund. Die Schwester des Herodes, Salome, konnte hoffen, durch diese Heirat Königin in Nabatäa zu werden. Zum Verhältnis von Juden und Nabatäern s. Hengel, KS III, 193 ff. 77 Nikolaos (FGrH II, A 90, F 136; Stern, GLAJJ I, 251 f.); Josephus, bell. 1,513–551; ant. 16,300–394; Kokkinos, Dynasty, 214 f.; zu Sebaste vgl. u. S. 55. 78 Josephus, bell. 1,661–664; ant. 17,182–187; vgl. Schalit, Herodes, 642; Kokkinos, Dynasty, 501 Index s. v. »Antipater II«. 79 Josephus, bell. 1,360–362; ant. 15,79.95 f.106 f. Vgl. zu den Schenkungen des Antonius an Kleopatra Schalit, Herodes, 772–781; weiter Gabba, History, 114: Schon aus diesem Grunde wird Herodes nach der Schlacht von Actium gern die Seite gewechselt haben und zu Octavian übergegangen sein.
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Aus nichtpriesterlicher Familie stammend konnte Herodes die beiden höchsten Ämter nicht in Personalunion vereinen. Er setzte, um die Hasmonäer und ihren Anhang in der Priesterschaft zu entmachten, Hananel (37–36 v. Chr.) aus Babylonien – vermutlich war er zadokidischer Herkunft – als Hohenpriester ein,80 was auf heftigen Widerstand bei seiner Schwiegermutter Alexandra81 und seiner Frau stieß, die die erblichen Ansprüche von Mariamnes Bruder auf dieses Amt geltend machten und mit Kleopatra konspirierten. Vermutlich gab Herodes diesem Drängen aus politischem Kalkül nach einem Jahr nach, weil er einsehen mußte, daß ein so radikaler, plötzlicher Wechsel, solange es einen legitimen Anwärter aus hasmonäischer Familie gab, ihm mehr Schwierigkeiten als Nutzen brachte. Er ernannte Aristobul, den Bruder der Mariamne, zum Hohenpriester, doch dann ließ er den jungen Mann, der gerade erst siebzehn Jahre alt war, nachdem dessen erster öffentlicher Auftritt beim Laubhüttenfest enthusiastischen Beifall beim Volk hervorgerufen hatte, bei einem vorgetäuschten Badeunfall ertränken.82 Bei der Neubesetzung des Amtes umging er wieder den palästinischen Priesteradel und berief Jesus, Sohn des Phiabi, aus Alexandrien.83 Insgesamt setzte Herodes sieben Hohepriester ein und begünstigte später den reichen Clan des Boëthos, der ebenfalls aus Alexandrien stammte und wohl ebenfalls zadokidischer Herkunft war.84 Der erste aus dieser Familie war Simon, Sohn des Boëthos, der der Schwiegervater des Herodes durch dessen Heirat mit seiner Tochter, der zweiten Mariamne, wurde.85 Mit dieser bewußt antihasmonäischen Besetzungspolitik des höchsten jüdischen politisch-religiösen Amtes brach Herodes mit der erblichen Amtsnachfolge und der lebenslangen Amtsführung, die nach den Wirren des makkabäischen Befreiungskampfes auch beim neuen Geschlecht der Hasmonäer selbstverständlich geworden war.86 Die hochpriesterlichen Familien 80 Josephus,
ant. 15,22.34.39 ff.56. Tochter Hyrkans II., ließ Herodes dann 28 v. Chr. hinrichten. Josephus, ant.
81 Alexandra,
15,251. 82 Josephus, bell. 1,437; ant. 15,53–56. Vgl. Kokkinos, Dynasty, 212. Josephus verwendet für »ertränken« bapt‡zesqai, vgl. dazu u. zu Johannes dem Täufer S. 313 ff. 83 Josephus, ant. 15,322. Zu seiner Dynastie vgl. u. S. 80 Anm. 226 und S. 106 Anm. 370. Möglicherweise hingen diese alexandrinischen Priesterfamilien mit der zadokidisch-oniadischen Priesterschaft des Tempels von Leontopolis zusammen, der um 160 v. Chr. von dem nach Ägypten geflohenen Onias IV. gegründet worden war; s. Schürer I, 168; III, 47 f.145– 147. Herodes hätte damit dynastische Gegner der Hasmonäer als Hohepriester nach Jerusalem geholt. 84 Alle Brüder der zweiten Mariamne scheinen als Hohepriester amtiert zu haben; vgl. Kokkinos, Dynasty, 218. Zum sagenhaften Reichtum dieser Familie s. Hengel, KS I, 25 u. ö.; s. Index in: ders., KS II, 454 s. v. Zum Clan des Boëthos vgl. u. S. 80 Anm. 226 und S. 88 Anm. 267. 85 Josephus, ant. 15,320–322; 17,78; 18,109; 19,297. Nach Josephus war Simon zu diesem Amt gekommen, weil Herodes die schöne Tochter heiraten wollte. 86 Vgl. Schalit, Herodes, 312. Ausnahmen bildeten – analog zum Niedergang der Oniaden – der Streit zwischen Hyrkan II. und Aristobul und die Absetzung Hyrkans II. durch Antigonos.
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selbst betrachteten dabei jedes ihrer Mitglieder, das amtiert hatte, lebenslang als Hohenpriester, daher der Plural ürciereõ“ bei Josephus, in den Evangelien und in der Apostelgeschichte. In der Folgezeit setzten sich vier reiche Familien an der Spitze durch, die miteinander konkurrierten.87 Wie unsicher die Lage jedoch zunächst noch war, verrät der Justizmord an Hyrkan II. Bevor Herodes 30 v. Chr. nach Rhodos aufbrach, um Octavian88 als dem Sieger von Actium seine Aufwartung zu machen, ließ er Hyrkan im Alter von ca. 71 Jahren – vorgeworfen wurde ihm eine Konspiration mit den Nabatäern – hinrichten, denn obwohl dieser selbst durch seine Verstümmelung keine Aussicht auf das hochpriesterliche Amt mehr hatte, kam Hyrkan aus jüdischer Sicht immer noch rechtmäßig die Königsherrschaft zu.89 Augustus, der schon die Einsetzung des Herodes als Klientelkönig unterstützt hatte, bestätigte ihn nach Actium 31 v. Chr. als König von Judäa, stärkte im folgenden Jahr seine Stellung und gab Herodes Jericho zurück, weiter die einst von Pompeius »befreiten« hellenistischen Städte Gadara, Hippos, Samaria und die Küstenstädte Gaza, Anthedon, Joppe und Stratons-Turm,90 die damit wieder unter die Herrschaft eines jüdischen Königs kamen, der freilich die hellenistische Zivilisation schätzte. Samaria gründete Herodes neu mit dem Namen Sebaste zu Ehren des Kaisers mit einer ganz überwiegend heidnischen Bevölkerung, die er hier ansiedelte, und stattete es im Laufe der Zeit großzügig aus.91 Aus Sebaste und Caesarea bezog er seine treuesten Truppen neben den Söldnern aus Kilikien und Kleinasien. Weil er in dieser nichtjüdischen Stadt keinen Aufruhr in der Bevölkerung und unter den Soldaten zu fürchten hatte, ließ er später hier die Söhne der Mariamne hinrichten.92 Mit seiner Neugründung von Stratons-Turm als Caesarea (Maritima) 22 v. Chr.93 verband er eine großartige Hafenanlage, eine der größten in der Antike 87 Vgl.
u. S. 80 Anm. 226. Beinamen Augustus nimmt er 27 v. Chr. an. 89 Josephus, bell. 1,433 f.437; vgl. ant. 15,164. Josephus sagt, Hyrkan sei damals 81 Jahre alt gewesen (ant. 15,178), doch seine Eltern heirateten erst 103 v. Chr., er kann also nur etwas über 70 gewesen sein. 90 Josephus, bell. 1,396; ant. 15,217. Vgl. die Schwierigkeiten des Herodes mit den Gadarenern, die ihn vor Augustus wegen »Grausamkeit« anklagten, s. Josephus, ant. 15,351–358. Augustus nimmt es daher später dem Archelaos weg und unterstellt es, als wichtiger Ort der Dekapolis, dem Statthalter von Syrien (ant. 17,320). 91 Josephus, bell. 1,403; ant. 15,292–298. 92 Vgl. o. S. 53 Anm. 77. Josephus, bell. 1,551; zum Protest des altgedienten Soldaten Tiron gegen die Hinrichtung, den dieser selbst und weitere Soldaten mit dem Tod bezahlen mußten, s. Josephus, bell. 1,544 ff.550; ant. 16,375 ff. 93 Die Stadt war eine phönizische Gründung. Ihren neuen Namen erhielt sie zu Ehren des Augustus. Der Ausbau des Hafens dauerte zwölf Jahre; s. Josephus, bell. 1,408–415; ant. 15,331–341. Zu dem Palast des Herodes, der später den Präfekten und Prokuratoren als 88 Den
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überhaupt, gesichert durch Wellenbrecher, Molen und mächtige Leuchttürme, die Drusus und Tiberius, den Söhnen der Livia, der Gattin des Augustus, gewidmet waren.94 Im Zentrum der Stadt errichtete er einen Augustus‑ und Roma-Tempel; insgesamt beziehen sich die einzelnen Widmungen im Bauprogramm an die Familie des Kaisers aufeinander.95 Der sichere Hafen sollte sein Königreich Judäa dem Welthandel öffnen, den Festpilgern aus der Diaspora einen bequemen Zugang verschaffen und so das Land wirtschaftlich fördern.96 In Caesarea führte Herodes alle vier Jahre abzuhaltende musische und athletische Wettkämpfe nach griechischem, aber auch Gladiatorenspiele und Tierhetzen nach römischem Vorbild ein.97 Auch sein eigener Palast entsprach in seiner Anlage dem Repräsentationsbedürfnis eines römisch-hellenistischen Königs.98 Es war kein Wunder, daß die römischen Präfekten, später Agrippa I. und die Prokuratoren danach, sich diese Stadt zur Residenz wählten und im ehemaligen Palast des Herodes als »praetorium«99 wohnten und nicht das religiös strenge Jerusalem, wo zu viele gesetzliche Einschränkungen zu beachten waren. Caesarea war überwiegend von »Praetorium« diente, Augustus-Tempel, Theater, Stadion und Hippodrom vgl. M. Broshi, The
Archaeology of Palestine 63 BCE-CE 70, in: The Cambridge History of Judaism III, ed. by W. Horbury etc., Cambridge 1999, 16–18; Netzer, Architecture, 94–118. 94 Josephus, bell. 1,412; ant. 15,336 erwähnt den Drusus-Turm als den größten. Pilatus renovierte den Tiberius gewidmeten Turm, wie der Inschrift, die später sekundär im Theater verbaut wurde, zu entnehmen ist. Zur Rekonstruktion der Inschrift s. die überzeugende Lesung von Alföldy, Pontius Pilatus (106 f.): [NAUTÍ]S TIBERIÉUM [‑ PO]NTIUS PÌLATUS [PRAEF]ECTUS IUDAE[A]E [REF]É[CIT] »Für die Schiffer hat das Tiberieum Pontius Pilatus, der Präfekt Judäas, wieder erbaut.« Die Inschrift ist ungewöhnlich angeordnet, weil sowohl die »Nutznießer« wie das »Objekt der Stiftung« vor dem stiftenden Präfekten genannt werden. Pilatus wollte vermutlich seine Kaisertreue demonstrieren (op. cit., 106). Schon unter Herodes brachte die Gesamtanlage des Hafens und der Stadt mit ihren Widmungen zum Ausdruck, daß »(d)ie Sicherheit der Schiffahrt und der damit verbundene Wohlstand des Reiches … dem Kaisertum zu verdanken (sei)« (op. cit., 102). Vgl. dazu den Zuruf der Seeleute aus Alexandrien gegenüber Augustus, Sueton, Aug. 98,2. 95 Zur Kolossalstatue des Augustus, »die nicht kleiner war als die des Olympischen Zeus, die ihr als Vorbild diente, und der anderen der Roma, die mit der der Hera in Argos wetteiferte« (Josephus, bell. 1,414), s. auch Millar, Roman Near East, 355. 96 Zum ökonomischen Nutzen vgl. Gabba, History, 122 f. 97 Josephus, ant. 16,137 f.; bell. 1,415. 98 Zu den Grabungsberichten vgl. A. Lichtenberger, Die Baupolitik Herodes des Großen, Wiesbaden 1999, 122 ff.; Netzer, Architecture,106–112. Vermutlich ›pendelte‹ Herodes noch stärker als die späteren Machthaber im Lande zwischen Caesarea und Jerusalem. 99 Vgl. Apg 23,35 (vielleicht auch Phil 1,13) zur Gefangenschaft des Paulus im »Praetorium des Herodes« in Caesarea. Vgl. auch Millar, Roman Near East, 69. Der Evangelist Philippus wählte das überwiegend heidnische Caesarea als freiwilligen Aufenthaltsort und gründete dort vermutlich eine Gemeinde. Petrus bekehrt dort den Centurio Cornelius und seine Familie (Apg 8,40; 10; 21,8).
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hellenisierten Syrern100 besiedelt, hatte jedoch eine bedeutende, selbstbewußte jüdische Minderheit, auch der Anteil der Samaritaner war nicht klein. Es muß ein Vergnügen gewesen sein, in dieser schönen neuen Stadt zu leben, aber die jüdische Bevölkerung fühlte sich dabei von Anfang an benachteiligt, da ihnen nicht die gleichen Bürgerrechte wie den »Griechen« eingeräumt wurden. Ihre Synagoge stand auf einem Grundstück, dessen Zugang in heidnischem Besitz war, und es gelang der jüdischen Gemeinde nicht, das Areal zu erweitern. Das führte zu schweren Auseinandersetzungen, die nach Josephus im Jahre 66 den Jüdischen Krieg auslösten.101 Herodes und später seine Söhne Antipas und Philippus waren die ersten und in dieser Zeit die einzigen Herrscher im Osten, die sich mit Städteneugründungen im griechisch-römischen Stil hervortaten. Die Ausrichtung auf Rom und das Kaiserhaus verraten die Namen Caesarea, Sebaste und später Autokratoris, Tiberias, Julias und Caesarea Philippi.102 In Jerusalem errichtete Herodes ein Theater, ein Stadion und ein Amphitheater, aber anders als die hellenisierten jüdischen Aristokraten zur Zeit Antiochus’ IV. um 175 v. Chr. kein Gymnasium mit Ephebie.103 Das Bauprogramm des Herodes umfaßte den Ausbau hasmonäischer Festungen und Paläste und weitere Neugründungen. Er verstärkte die Festung im Nordwesten des Jerusalemer Tempelareals und gab ihr den Namen Antonia, erweiterte die Hasmonäerpaläste in Jerusalem und Jericho, erneuerte aber auch Festungen wie Masada und Machärus.104 Diese Baupolitik diente nicht nur seiner eigenen Sicherheit und Prachtentfaltung und der Urbanisierung des Landes, sondern beschäftigte Tagelöhner, landlos gewordene Bauern und Handwerker über Jahrzehnte. Da diese Bauten des Herodes vor allem in den Jahren ab 24 v. Chr. einsetzen, könnten sie eine Reaktion auf die Hungersnot und die Seuchen in den Jahren 25–24 v. Chr. sein, als der König aus eigenen Mitteln Getreide in Ägypten kaufen mußte, um 100 Josephus, bell. 2,266 spricht von »Syrern«, sie selbst bezeichneten sich wohl als »Griechen«. 101 Josephus, bell. 2,266–270.284–292. Die reichen Juden in Caesarea beanspruchten in diesem Zusammenhang, die Stadt sei die ihre, denn ihr Gründer sei ein jüdischer König gewesen (bell. 2,266). Zur Isopoliteia vgl. A. Kasher, Jews and Hellenistic Cities in Eretz Israel, TSAJ 21, Tübingen 1990, 260 ff. Vgl. auch u. S. 108 f. 102 Vgl. Millar, Roman Near East, 354 f.; Horbury, Tempel bei Vergil, 157. 103 Josephus, ant. 15,267–279. Da diese Neuerungen auch auf Widerstand stießen, gab er teilweise nach und ließ die Abbildungen von Menschen wieder entfernen. Auf Gymnasium und Ephebie scheint er verzichtet zu haben wegen der Vorgänge unter dem Hohenpriester Jason nach 175 v. Chr. zur Zeit der hellenistischen Reform. Vgl. dazu Hengel, KS II, 145. Mit Gymnasien versah Herodes dagegen die heidnischen Städte Tripolis, Damaskus und Ptolemaïs (Josephus, bell. 1,422). 104 Zum Bauprogramm des Herodes und den neueren archäologischen Ausgrabungen s. auch D. W. Roller, The Building Program of Herod the Great, Berkeley u. a. 1998; E. Netzer, Die Paläste der Hasmonäer und Herodes’ des Großen, Mainz 1999; A. Lichtenberger, Baupolitik (S. 56 Anm. 98); jetzt Netzer, Architecture, passim.
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das Schlimmste zu verhindern.105 Josephus beschreibt zahlreiche Bauprojekte des Königs, darunter auch viele außerhalb seines Landes. Letztere sollten seinen Einfluß in den Städten im Osten des Reiches stärken.106 Die archäologischen Funde bestätigen diese Nachrichten über den unerhörten Bauluxus des Königs, der selbst die Bauten des Augustus in Rom übertraf. An der Südgrenze Galiläas, in der großen Ebene, gründete Herodes die »Reiterstadt« Gaba, in der er Veteranen aus seiner Armee ansiedelte.107 Von Augustus erhielt er 23 v. Chr. die Gebiete Trachonitis, Batanea und Auranitis östlich des Jordans, klassische Räubergegenden, die Herodes durch die Niederlassung von jüdischen Militärsiedlern aus Babylonien in der Batanea auch für die Pilger aus Babylonien auf ihrem Weg nach Jerusalem sicherte.108 Augustus übergab bei seinem Besuch in Syrien 20 v. Chr. auch das Gebiet des Zenodorus, Ulatha und Paneas mit ihrer Chora, an Herodes; offensichtlich dachte er, die Gegend zwischen der Trachonitis und Galiläa wäre von dem jüdischen König – aufgrund seines eigenen Interesses an Ruhe in diesem Gebiet – besser unter Kontrolle zu halten als vom römischen Legaten im entfernten Antiochien.109 Dieser Landgewinn stärkte Herodes’ Position. Er war der wichtigste Klientelkönig im Osten des Römischen Imperiums. Sein Reichtum muß immens gewesen sein: Die Familie besaß seit jeher Ländereien in Idumäa, sein Vater Antipater hatte über beträchtliche Mittel verfügt und diese als Finanzverwalter Hyrkans II. weiter vermehrt, die Konfiszierung des Vermögens und der Ländereien seiner Gegner nach der Eroberung Jerusalems hat Herodes ebenfalls einiges eingebracht,110 und mit dem Besitz der königlichen Domänen der Hasmonäer, aber auch mit dem Ertrag der Kupferminen in Zypern und den Steuereinkünften aus syrischen Städten konnte er sein Vermögen weiter vermehren.111 Jedenfalls traute er sich zu, daß er sein größtes Bauprojekt mit eigenen Mitteln durch105 So
auch Gabba, History, 122 Anm. 135. Vgl. Josephus, ant. 15,299–316. bell. 1,401–428; besonders bedenkt er dabei Städte in Syrien, Kleinasien und Griechenland, wo viele Juden wohnten (etwa Kos, Rhodos etc.). Auch als Stifter für die Olympischen Spiele erwies er sich als Wohltäter der »gesamten Oikumene« (bell. 1,426 f.). Vgl. auch u. S. 62 f. Vgl. Hengel / Schwemer, Paulus, 92.415. 107 Josephus, bell. 3,36; ant. 15,294; vgl. vita 118 f., wo er von den Getreidevorräten der Königin Berenike, Schwester Agrippas II., in den »Dörfern« bei Bet Schearim berichtet; die herodianische Familie besaß also um 66/67 n. Chr. Ländereien in der Küstenebene. 108 Josephus, ant. 17,23–31. 109 Josephus, bell. 1,400; ant. 15,359 f. Zur Auseinandersetzung des Herodes mit den Nabatäern in den Jahren 12–9 v. Chr., die die Räuberbanden in der Trachonitis unterstützten (Josephus, ant. 16,271–299.335–355), s. Millar, Roman Near East, 40 f. Die Römer griffen selbst militärisch nicht ein. Herodes siedelte danach eine Kolonie von 3000 Idumäern und jüdischen Reitern aus Babylonien in der Trachonitis an, um das Gebiet zu sichern. 110 Auch wenn die »Schenkungen« des Herodes an Marcus Antonius in dieser Zeit beträchtlich waren (Josephus, bell. 1,358; ant. 15,5.75). 111 S. dazu Schalit, Herodes, 257–262; Gabba, History, 118–124. 106 Josephus,
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führen könnte:112 die prächtige Renovierung und Vergrößerung des Jerusalemer Tempels (20–19 v. Chr.), die Herodes nach Josephus mit einer Rede an das Volk ankündigte: »Ich glaube, ich habe durch den Willen Gottes das jüdische Volk zu einem Wohlstand
geführt, wie es ihn früher nicht gab. … Da ich aber jetzt durch den Willen Gottes herrsche und eine lange Zeit des Friedens, großes Vermögen und beträchtliche Einkünfte zur Verfügung stehen und – was das Wichtigste ist – die Römer, die sozusagen die ganze Welt beherrschen, wohlwollende Freunde sind, werde ich versuchen, das durch Not und Versklavung in früherer Zeit Versäumte gutzumachen und Gott (zum Dank) für die empfangene Herrschaft dieses vollkommene Werk der Frömmigkeit zurückzuerstatten.«113
Der Tempelbau gehörte seit alters zu den Pflichten des Königs; dadurch, daß Herodes das innere Heiligtum an seinem Krönungstag wieder einweihte, verhielt er sich wie ein hellenistischer Monarch und unterstrich zugleich seine Legitimität als Nachfolger Salomos.114 Wenn Herodes seine Herrschaft, Frieden und Wohlstand als Voraussetzungen nennt, ruft er den Tempelbau Salomos bei seinem Volk in Erinnerung und schließt sich gleichzeitig dem römischen Programm der »Pax Augusta« und der »Frömmigkeit« des Princeps an.115 Eine Friedenszeit von nicht einmal zwei Dekaden mag heute kurz erscheinen, sie 112 Josephus,
ant. 15,380; 17,162. In späteren Jahren wurde gewiß auch der Tempelschatz herangezogen; vgl. Josephus, ant. 20,220. Berühmt waren Stiftungen und Spenden wie das Nikanortor von einem reichen Juden aus Alexandrien. Die Erneuerung des (Hadad‑)ZeusTempels in Damaskus wurde ganz aus Mitteln des Tempelschatzes und aus Spenden finanziert (SEG 2 [1924], Nr. 828; 829; 830; 832); s. dazu Hengel / Schwemer, Paulus, 99. 113 Josephus, ant. 15,383.387. Auch hier dürfte die Quelle Nikolaos von Damaskus sein. 114 Josephus, ant. 15,421.423: »Der Naos wurde von Priestern in einem Jahr und sechs Monaten erneuert. Das ganze Volk wurde von Freude erfüllt und opferte Gott Dank in erster Linie für die Schnelle (der Bautätigkeit) und dann auch für die Bereitwilligkeit des Königs, indem sie feierten und die Neugründung priesen. … Durch … den verabredeten Termin fiel (der Tag), an dem der Bau des Tempels (vollendet wurde), und der Tag des Herrschaftsantritts des Königs, den sie jährlich zu feiern pflegten, zusammen, aus diesem zweifachen Grund wurde es ein besonders hochfeierliches Fest.« S. dazu Horbury, Herod’s Temple, 113, der auch bemerkt, daß Josephus die Profetie des Esseners Menachem, der Herodes die Königswürde ankündigt, nicht zufällig direkt vor den Beschluß des Herodes zum Tempelneubau gestellt hat (Josephus, ant. 15,373–379). 115 Zum Motiv des Friedens vgl. die mit dem Prinzipat des Augustus (30/27 v. Chr.) beginnende Ära des inneren Friedens, die »Pax Augusta«, die die Zeit der Bürgerkriege ablöste. Die Ara Pacis Augustae in Rom wurde dann aufgrund des Senatsbeschlusses vom 4.7. 13 »gelobt«; vgl. C. Höcker, Art. Ara Pacis Augustae, DNP 1, 1996, 941 ff. Zur Verbindung der Pax Augusta mit dem herodianischen Judentum s. Horbury, Tempel bei Vergil, 157: »Zuerst gab es auch in Judäa unter Herodes – wie in Rom … unter dem princeps – Frieden nach den civilia bella. Ferner konnte ein königstreuer Herodianer behaupten, daß, wie Rom die äußeren Feinde, vor allem die Parther, so auch Herodes Parther und Araber besiegt habe. … Schließlich ist zu bedenken, daß, ebenso wie Augustus …, so auch Herodes in Judäa ein Vertreter der eusebeia war, vor allem als Erbauer von Tempeln für Augustus und Roma, aber auch für den Gott Israels.« Horbury zeigt, wie dieses Programm von Vergil mit Anspielung auf Herodes (palmae
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war aber für die Untertanen des Herodes nach den vorhergehenden ständigen Turbulenzen und den Bürgerkriegen seit der Zeit Alexander Jannais, ja seit der Entweihung des Tempels durch Antiochus IV. 167 v. Chr., spürbar und konnte für viele als ein unerwartetes ›Gottesgeschenk‹ erscheinen.116 Seinen Sieg über die Feinde und die eingetretene Friedenszeit demonstrierte Herodes mit dem Anbringen von »barbarischen« Beutestücken und erbeuteten Waffen aus dem Krieg mit den Nabatäern rings um das Tempelgebäude.117 Seine Siege waren Zeichen göttlicher Hilfe. Offiziell beanspruchte die gesamte Renovierung nur neuneinhalb Jahre, wobei das eigentliche Tempelgebäude schon nach eineinhalb Jahren fertiggestellt war.118 An den riesigen Säulenhallen des äußeren Vorhofs Idumaeae, vgl. dazu u. S. 68) gefeiert wird. Vgl. weiter ders., Herod’s Temple, 103–149. Zur positiven Auswirkung der Pax Romana s. Hengel, KS II, 140 f.144. S. auch das Enkomium auf Augustus bei Philo, legat. 144 f., der dessen Beendigung der Bürgerkriege preist: »So wäre fast das gesamte Menschengeschlecht ausgelöscht, durch das gegenseitige Abschlachten völlig zum Verschwinden gebracht worden, wenn (es) nicht den einen Mann und Führer (gegeben hätte), den Augustus, den man zu Recht den Abwehrer des Unglücks nennt (ülex‡kakon, vgl. Homer, Ilias 10,20). Dieser ist der Caesar, der die überall tobenden Stürme besänftigte, der die Krankheiten, die Griechen und Barbaren in gleicher Weise (befallen hatten), heilte, die auf sie hereinbrachen von Süden und Osten, stürmten bis zum Westen und Norden, um die dazwischenliegenden Länder und Meere mit unerwünschtem (Unheil) zu übersäen.« Das loyale Verhalten und die Dankbarkeit gegenüber den Herrschern der augusteischen Zeit zeigen auch die Namen der Synagogen in Rom. Die jüdischen Inschriften in der Stadt (aus dem 3. und 4. Jahrhundert n. Chr.) erwähnen am häufigsten – achtmal – die Synagoge der Augustesier, wahrscheinlich zurückgehend auf Freigelassene des Augustus, s. D. Noy, Jewish Inscriptions of Western Europe. Vol. 2. The City of Rome, Cambridge 1995, 539 f. (Index); vgl. den jeweiligen Kommentar. Aber auch die Synagoge der Agrippesier (nach Marcus V. Agrippa, dem Freund und Schwiegersohn des Augustus) ist mindestens dreimal belegt, ebenso die der Vernaklesier (»der am Ort Geborenen«?) und die der Volumnesier viermal (abgeleitet von Volumnius, dem Prokurator von Syrien 8 v. Chr.). 116 Das mag zumindest für die Stadtbevölkerung gelten. Vgl. Alexandra Salome, sie herrschte nur neun Jahre, dennoch blieb ihre Regierungszeit als eine goldene Zeit des Friedens in pharisäisch-rabbinischer Erinnerung. S. dazu Schürer I, 231 f.; Hengel, Rabbinische Legende. Vgl. u. S. 151 f. zu ihrem Verhältnis zu den Pharisäern. 117 Josephus, ant. 15,402: skúla barbarik›; Augustus hatte in diesem Jahr die Waffen und römischen Feldzeichen von den Parthern zurückerlangt; vgl. Horbury, Herod’s Temple, 109: »it is likely that ›barbarian spoils‹ are meant to recall the Herodian Jewish contribution to this vaunted achievement of the Augustan peace.« Gleichzeitig hatte Herodes mit seinem Sieg über die Araber / Nabatäer die Hasmonäer übertroffen. Vgl. die ›letzten Worte‹ des Herodes (Josephus, ant. 17,162): »In den 125 Jahren ihrer Regierung waren die Hasmonäer nicht imstande, etwas derartiges zur Ehre Gottes zu vollbringen.« Das Anbringen von Waffen im Jerusalemer Tempel entsprach salomonischem Vorbild: Der Zusatz der Septuaginta zu 1 Kön 14,26 erwähnt die goldenen Speere, die David erobert hatte und die im Heiligtum aufbewahrt wurden; bei Josephus, ant. 8,259 sind es goldene Schilde, von Salomo angefertigt, und eroberte goldene Köcher Davids, die von Schischak bei der Plünderung des Tempels geraubt werden. 118 Vgl. o. S. 59 Anm. 114; während dieser Zeit soll es nur nachts geregnet haben (Josephus, ant. 15,425; vgl. Sifra, Behuq 1,1; WaR 35,10; bTaan 23a).
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(»der Heiden«) hat man jedoch weiter gebaut, und diese Arbeiten wurden erst in den Jahren 62–64 n. Chr. abgeschlossen, wobei manches schließlich unvollendet blieb, wie die Ausgrabungen gezeigt haben.119 Bei diesem Bauprojekt nahm Herodes penibel Rücksicht auf die jüdischen Reinheitsbestimmungen; deshalb arbeiteten im innersten Tempelbereich nur Priester, die entsprechend handwerklich ausgebildet wurden, und der König vermied es, diesen Bereich selbst zu betreten. Auch die griechischen Warninschriften, die Nichtjuden mit der Androhung der Todesstrafe das Betreten des inneren Tempelbezirks untersagten, sind Zeichen für den Respekt des Königs gegenüber der Tora bezüglich der Reinheit des Heiligtums.120 Die großen Substruktionen, mit denen das Plateau auf dem Tempelberg erweitert wurde, ließen sich auch mit anderen Arbeitern ausführen. Beschäftigt wurden unter anderem selbst Handwerker und Architekten aus Griechenland und Rom, sowohl beim äußeren Vorhof wie beim Stadt‑ und Palastbau.121 Herodes renovierte den alten, zweiten Tempel und vergrößerte ihn, zugleich schuf er etwas Neues. Der eigentliche Naos blieb klein, der Priestervorhof, der Vorhof der Israeliten und der der Frauen erhielten keine kolossalen Ausmaße, aber der »Vorhof der Heiden« wurde überproportional erweitert. Seine Außenmaße betrugen im Norden 315 m, im Osten 470 m, im Süden 280 m, im Westen 488 m. Die Idealmaße eines Quadrats122 ließen sich auf dem Gelände des Tempelbergs nicht erreichen, aber durch die Aufschüttungen und Stützungsmauern gewann man eine große Plattform für den riesigen Vorhof, der für die Pilgerscharen aus Palästina und der Diaspora an den großen Wallfahrtsfesten bestimmt war. Der Vorhof wurde so zur »Agora« Jerusalems und war auf seiner Ostseite, »der Halle Salomos«, der Ort der Predigt Jesu und der Apostel.123 Die großartige Erneuerung des Jerusalemer Heiligtums wurde zum Vorbild für die des Zeus-Tempels in Damaskus und des Bel-Tempels in Palmyra, wobei der Jerusalemer Tempel die anderen, wenig später erneuerten an Ausmaß wegen der Vorhöfe weit übertraf; er soll überhaupt der größte 119 Joh 2,20 spricht von 46 Jahren Bauzeit, das heißt bis in die Zeit Jesu; Mk 13,1 rühmt die Pracht des Gebäudes. Vgl. weiter D. Bahat, The Herodian Temple, in: The Cambridge History of Judaism III, ed. by W. Horbury etc., Cambridge 1999, 38–58. E. Netzer, Architecture, 137–178. 120 Die Römer haben diese Bestimmung in Friedenszeiten eingehalten, s. Josephus, bell. 6,125 f. Zu den Funden von zwei Inschriftentafeln s. Boffo, Iscrizioni, 283–290 Nr. 32. 121 Einen jüdischen Architekten kennen wir durch seine aramäische Ossuarinschrift; s. Beyer, Texte, 344: »Der Tempelbaumeister Simon«. 122 Vgl. Ez 40,47; 42,16–20; 45,2: äußerer Umfang 500 Ellen im Quadrat; die Tempelrolle aus Qumran (36,?-38,11; 38,12–40,5; 40,5–45,6) bestimmt den äußeren Umfang für den inneren Hof ca. 300 auf 300 Ellen, den mittleren ca. 508 auf 508 und den äußeren ca. 1640 auf 1640; s. dazu deutsche Übersetzung und Kommentar von J. Maier, Die Tempelrolle vom Toten Meer, UTB 829, München 1978, 25–49.67–72.99–102 = Fig. 2 (S. 126) (= 3. völlig neu bearbeitete und erweiterte Aufl. München / Basel 1997); vgl. Steudel, Texte, 70 f.74–91. 123 Joh 10,23; Apg 3,11; 5,12; s. u. S. 560.
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Einzeltempel in der Antike gewesen sein.124 Der herodianische Tempel machte Jerusalem berühmt, er wurde von Plinius d. Ä. gepriesen, aber auch noch der babylonische Talmud hält fest: »Wer niemals den Bau des Herodes gesehen hat, hat niemals ein schönes Gebäude gesehen in seinem Leben«.125 Herodes erneuerte das Davidgrab in Jerusalem, das auf eine Gründung Salomos zurückgeführt wurde,126 und errichtete ein Grabmonument, das als »Sühnmal« interpretiert wurde, aber, von Herodes doch vermutlich zu Ehren des Gründers der Stadt gebaut, den Einwohnern und den Festpilgern als eine Art jüdisches Heroon die alte glanzvolle Vergangenheit in Erinnerung rief.127 Auch die mächtige Umfassungsmauer, die Herodes in Hebron über den Patriarchengräbern in der Höhle Machpela errichtete, sollte wohl die Wallfahrt dorthin für die Pilger noch attraktiver machen und die »Frömmigkeit« des Königs bezeugen. Abraham und Isaak waren ja die gemeinsamen Stammväter von Esau / Edom und Jakob / Israel. Josephus erwähnt die Grabmäler, aber nicht, daß der haram von Herodes errichtet wurde, ebensowenig spricht er von dessen Baumaßnahmen im Abrahamheiligtum in Mamre.128 Wie Hyrkan II. setzte sich Herodes als Schutzherr und Wohltäter für die Juden in der Diaspora ein. Die weit verbreitete jüdische Diaspora steigerte seine einzigartige Bedeutung im ganzen römischen Reich, vor allem aber in den östlichen 124 Dazu Hengel / Schwemer, Paulus, 98 f.; Ådna, Tempelmarkt, 32–71 (das ägyptischhellenistische Kaisareion als architektonisches Vorbild für die Tempelerweiterung); Netzer, Architecture, 275 f.: Die stoa basileia an der Südseite des Tempels wurde von Herodes erbaut, um Gäste und Pilger zu empfangen. Sie diente nicht dem Herrscherkult. 125 bBaba Batra 4a; bSukka 51b. Vgl. Mk 13,1: Die Jünger sagen zu Jesus: ¥de potapoÑ l‡qoi kaÑ potapaÑ o¢kodoma‡. Lukas liebt das Heiligtum mehr als die anderen Evangelisten (s. dazu auch u. S. 121.231). Er läßt sein Evangelium im Tempel beginnen (1,8–23) und enden (24,53). Seine Kindheitsgeschichte berichtet von der Darstellung Jesu im Tempel (2,22–38) und vom Aufenthalt des Zwölfjährigen im Haus seines »Vaters« (2,49) zur Unterweisung bei den schriftgelehrten Lehrern (2,42–49). Während die Person des Königs in bBaba Batra 3b negativ beurteilt wird, fällt auf den Tempel kein Schatten, und der Name des Königs als Erbauer wird ausdrücklich erwähnt. S. dazu Horbury, Herod’s Temple, 115–118. Vgl. Plinius, nat. hist. 5,70 (Stern, GLAJJ I, 469): … Hierosolyma, longe clarissima urbium Orientis non Iudaeae modo. »… Jerusalem, die bei weitem berühmteste Stadt des Ostens, nicht nur Judäas.« 126 VitProph 1,7; s. Schwemer, Prophetenlegenden I, 146–152. 127 In Apg 2,29 wird Petrus nicht zufällig das Grab Davids den Festpilgern in Erinnerung rufen. Zum ´lastflrion mnöma, dem Sühnmal des Herodes, s. Josephus, ant. 16,182 f.: Herodes habe seinen Grabfrevel mit diesem Denkmal gesühnt, Nikolaos von Damaskus verschweige diesen Vorfall. Nach VitProph 23,1–2 liegt die Blutschuld für den Mord am Profeten Sacharja ben Jojada (2 Chr 24,20 f.) weiterhin ungesühnt auf dem Haus Davids, deshalb kündigen Vorzeichen das Ende des Tempelkultes an; vgl. A. M. Schwemer, Prophetenlegenden II, 283–321. Mittmann-Richert, Einführung, 162.167 f., bringt deshalb die Erwähnung des Sühnmals bei Josephus mit dem Mord an Sacharja ben Jojada in Verbindung. 128 Josephus, bell. 4,531 ff.: p›nu kalö“ marm›rou kaÑ filot‡mw“ e¢rgasmfina. Vgl. O. Keel / M. Küchler, Orte und Landschaften der Bibel …, II, Zürich etc. 1982, 688– 691.701 f.
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Provinzen und in Rom selbst. Josephus berichtet darüber im Zusammenhang der Reise des Herodes mit Agrippa nach Kleinasien und Griechenland, nachdem dieser vorher Jerusalem besucht und im Tempel Opfer dargebracht hatte.129 Nikolaos von Damaskus hielt in seinem Auftrag in Jonien vor Agrippa zugunsten der dortigen Juden eine große Rede, in der dieser die Vorzüge der römischen Weltherrschaft und die Loyalität der Juden in Palästina und in der Diaspora, aber nicht zuletzt auch die des Königs und seines Vaters Antipater erfolgreich pries.130 Die Bauten des Herodes in heidnischen Städten galten nicht nur der Ehre des Kaiserhauses, sondern auch dem Ansehen der jüdischen Minderheiten in der Diaspora und ihres Schutzherrn in Jerusalem, so etwa das Theater in Damaskus oder die Prachtstraße in Antiochien am Orontes: Der Ruhm des Herodes als Euergetes sollte den hier besonders zahlreichen jüdischen Bewohnern zugute kommen, die ein solch »philanthropisches« Oberhaupt besitzen.131 Nicht nur mit seiner Baupolitik brachte der König eine »Blüte des Hellenismus«132 in römischem Gewand für sein Land. An seinem Hof lebten neben Nikolaos von Damaskus noch andere griechisch gebildete Gelehrte. Die Förderung von Wissenschaft und Kunst wirkte sich durch die lange Regierungszeit des Königs auf die griechische Sprachkenntnis und Bildung der Ober‑ und Mittelschicht aus, erreichte, wie die zahlreichen griechischen (und wenigen lateinischen) Ossuarinschriften133 zeigen, breitere Schichten und gab einen zusätzlichen Ansporn für die Rückkehr von Diasporajuden. Die Theodotos-Synagoge in Jerusalem, die in oder bald nach seiner Regierungszeit erbaut wurde, verdankte ihre Gründung einem aus dem römischen ›Exil‹ zurückgekehrten Priester, wurde von dessen Enkel (?) Theodotos, Sohn des Vettenus, vollendet und
129 Josephus, ant. 16,12 ff.55 im Jahr 15 v. Chr.; vgl. dagegen die Zustimmung des Augustus, als sein Enkel Caesar Caius, der Sohn des Agrippa, weder dem Apis in Ägypten noch dem Jerusalemer Tempel seine Reverenz erwies (Sueton, Aug. 93; bei Stern, GLAJJ II, 110 f.). 130 Josephus, ant. 16,27–61; 16,27 f.: »Damals, als sie in Jonien waren, kam eine große Menge von Juden, die die (dortigen) Städte bewohnen, und ergriff die Gelegenheit und sprach offen aus, in welcher Notlage sie seien, weil es ihnen nicht möglich sei, ihre eigenen Gesetze zu halten, sondern sie gezwungen würden, an ihren heiligen Tagen vor Gericht zu erscheinen …, ihnen das zurückgelegte Geld für Jerusalem geraubt worden sei, sie Militärdienst und Leiturgien leisten müßten und dafür die heiligen Gelder aufwenden müßten, obwohl sie (von diesen Verpflichtungen) befreit seien, weil ihnen die Römer immer gestattet hätten, nach ihren eigenen Gesetzen zu leben.« Vgl. dazu Schalit, Herodes, 426 ff.; Josephus zitiert hier die Darstellung des Nikolaos wörtlich mit einigen eigenen Ergänzungen, vgl. Pucci Ben Zeev, Rights, 390 f. Vgl. zu Hyrkan II. o. S. 47 f. 131 Vgl. Horbury, Herod’s Temple, 120 f.135. 132 Zum Höhepunkt des hellenistischen Einflusses unter Herodes s. Hengel, KS I, 1–90 (63). 133 In und um Jerusalem sind ca. 40 % auf Griechisch verfaßt. Die Inschriften stammen vor allem aus der Zeit zwischen Herodes I. und der Zerstörung Jerusalems 70 n. Chr.
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diente zum Studium des Gesetzes, daneben zur Unterbringung von Pilgern.134 Jerusalem wurde für Diasporajuden attraktiv; sie kamen einerseits wie Hillel aus Mesopotamien, aber auch aus dem griechisch sprechenden Westen. Der Pilgerbetrieb brachte zudem beachtlichen Wohlstand nach Jerusalem, der sich etwa an den Privatbauten aus herodianischer Zeit ablesen läßt und weite Teile der Stadtbevölkerung betraf, die eher friedlich und prorömisch war als die einfache Landbevölkerung, die eine hohe Abgabenlast zu tragen hatte. Die hellenistisch-römische Prägung Jerusalems während der langen Regierungszeit des Königs erreichte so nicht nur die Oberschicht, sondern erstreckte sich auch auf breitere Schichten. Wenn die Römer diese Oberschicht stärker unterstützt und vor allem nach dem Tod Agrippas I. (im Frühjahr 44 n. Chr.) die herodianische Dynastie in Jerusalem und im jüdischen Kernland an der Macht gelassen hätten, statt zunehmend die politische Leitung den jüdischen religiösen ›Empfindlichkeiten‹ gegenüber unsensiblen Prokuratoren anzuvertrauen, wäre es kaum zum ersten jüdischen Krieg gekommen, in dem auch Angehörige der Oberschicht in einem Akt »nationaler Verzweiflung« wie Hannas II. und Josephus135 sich dem Aufstand anschlossen. Die radikalen Zeloten hätten sich nicht durchsetzen können mit ihrem nach dem Vorbild der Makkabäer ausgerufenen Freiheitskampf, Jerusalem wäre nicht zerstört worden, und unter der Regierung herodianischer Klientelkönige, die mütterlicherseits von den Hasmonäern abstammten, hätten die Vorzüge der Pax Romana auch die »Frommen« überzeugen können.136 Es hätte sich in Judäa eine ganz eigene jüdisch-hellenistische Kultur ausgebildet, und vielleicht wäre ein »liberaleres«, »reformiertes« Judentum zur Weltreligion geworden137 und nicht die eschatologisch-messianische Bewegung der Christen. Josephus, den gebürtigen Jerusalemer, kennen wir als einen solchen Vertreter der jüdischen, hebräisch und griechisch gebildeten Priesteraristokratie. Paulus stammt aus der Diaspora und ist ein Vertreter der Mittelschicht, der seine pharisäisch-gelehrte Schriftausbildung in Jerusalem erhalten hat.138 Herodes führte Palästina zu wirtschaftlicher und kultureller Blüte, in größere kriegerische Auseinandersetzungen wurde er in späterer Zeit nicht mehr hin134 CIJ 1404. Vgl. Schürer II, 425; J. S. Kloppenborg Verbin, Dating Theodotos (CIJ II 1404), JJS 51 (2000), 243–280 (Lit.); Hengel, Proseuche und Synagoge = KS I, 171–195; ders., KS II, 437 Index s. v. »CIJ 1404«; ders., KS III, 34.61; der Vatername »Vettenus« spricht für einen Freigelassenen der gens Vettia; zur Inschrift s. auch Boffo, Iscrizioni, 274–282 Nr. 31. Vermutlich ist diese Synagoge identisch mit der der »Freigelassenen« in Apg 6,9; zur Mehrzahl von Synagogen in Jerusalem s. Apg 24,12. 135 S. dazu seinen Kommentar in ant. 20,257; dazu u. S. 108. 136 S. dazu Hengel, KS I, 63 und o. S. 48. 137 Darauf hofft Philo von Alexandrien, s. Mos. 2,41–44; praem. 152. 138 S. dazu M. Hengel, Der vorchristliche Paulus, in: Paulus und das antike Judentum, hg. v. M. Hengel und U. Heckel, WUNT 58, Tübingen 1991, 177–291 = KS III, 68–184.
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eingezogen.139 Der letzte römische Bürgerkrieg zwischen Marcus Antonius und Octavian ging an seinem Land vorbei. Sein eigenes großes Vermögen ist dokumentiert in seinem Testament. Zweimal gewährte er einen Steuernachlaß,140 bei seinen Münzprägungen verzichtete er aus Rücksicht auf das jüdische Bilderverbot auf bildliche Darstellung von Menschen und Tieren.141 Dennoch war und blieb er in weiten Teilen seines Volkes verhaßt; wohl aus diesem Grund ließ er die jüdische Bevölkerung bespitzeln, um Unruhen im Keim zu unterdrücken.142 Den heimtückischen Mord am jungen Hohenpriester Aristobulos, dem letzten aus hasmonäischem Geschlecht, konnte man nicht vergessen, ebensowenig die Tötung seiner hasmonäischen Gemahlin Mariamne und seiner von ihr geborenen Söhne, aber auch die zahlreichen anderen politischen Morde, die er – darin ein echter orientalischer Despot – im Interesse der Erhaltung seiner Macht beging.143 Einbrecher ließ er zur Bestrafung – gegen jüdisches Recht – als Sklaven an Heiden ins Ausland verkaufen, wodurch sie keine Aussicht auf Freilassung nach sieben Jahren hatten, das traf die unteren Schichten härter.144 Konfiszierte Landgüter verschenkte er an seine Günstlinge, die von ihm geförderte Domänenwirtschaft ließ selbständige kleine Bauern zu besitzlosen Pächtern herabsinken – das altisraelitische Ideal war dagegen der kleine Bauer.145 Die heidnischen Tempel, die er auf überwiegend nichtjüdischem Gebiet zu Ehren des Augustus errichten ließ, widersprachen den jüdischen Gesetzen. Seine Entschuldigung, daß er dies zu Ehren des Kaisers und wegen des guten Verhältnisses zu Rom tun müßte, ließ man nicht gelten,146 obwohl genau dies der Realität und seiner Stellung als 139 Für seine Auseinandersetzungen mit den Nabatäern zog er sich den Zorn des Augustus zu; aber Nikolaos vermittelte (Nikolaos, FGrH II, A 90, F 136; Text und Kommentar bei Stern, GLAJJ I, 250.255 f.; Josephus, ant. 16,271 ff.286–299). 140 Josephus, ant. 15,365; 16,64. 141 Eine bezeichnende Ausnahme bildete der »tyrische Schekel«, die Währung am Jerusalemer Tempel, in der auch die Tempelsteuer (vgl. Mt 17,24) bezahlt werden mußte: Diese in Tyrus geprägte Münze trug auf der einen Seite den Kopf von Melqart-Herakles und auf der anderen den ptolemäischen Adler. S. dazu L. Mildenberg, Schekel-Fragen, 171 f.: »die tyrischen Tetradrachmen und Didrachmen bildeten die einzige stabile, verfügbare und neutrale Großsilberwährung, weil den Hasmonäern und Herodianern von den seleukidischen und römischen Oberherrn nur das Recht zur Prägung bronzener Scheidemünzen eingeräumt worden war. … Vor dem Bellum Judaicum galten ökonomische Gesetze, von ideologischen Skrupeln war man weit entfernt. Mit dem Beginn des Krieges jedoch kam der Umschwung: es war von entscheidender Bedeutung für die Aufständischen, daß sie ihr eigenes Silbergeld schufen«. Zu den Aufstandsmünzen s. u. S. 117. 142 Josephus, bell. 1,570.573; ant. 15,285–289.366 f. 143 Josephus, ant. 15,9 f. (ein Zitat aus Strabo). 144 Josephus, ant. 16,1–5. Vgl. Schalit, Herodes, 231–251, der annimmt, daß es sich nicht nur um einfache Diebe gehandelt habe, sondern daß Herodes auch gegen aufständische ›Räuber‹ auf diese Weise vorging. 145 Vgl. Hengel, Zeloten, 329 f. Zur Domänenwirtschaft in den Gleichnissen Jesu s. u. S. 565. 146 Josephus, ant. 15,328 ff.
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römischer Klientelkönig entsprach, denn ein rex socius et amicus populi Romani war völlig von Rom – und das heißt in dieser Zeit dem persönlichen Wohlwollen des Kaisers – abhängig. Seine ganze Regierungszeit war ein beständiger Balanceakt zwischen der römischen Macht und der ihm weitgehend feindlich gegenüberstehenden jüdischen Bevölkerung. Den sadduzäischen Adel hatte er gleich zu Beginn seiner Regierung entmachtet, sein Verhältnis zu den Pharisäern war schwankend. Zunächst stützte er sich auf sie und förderte sie, doch als er um 20/19 v. Chr. seine Stellung gefestigt hatte und nach dem Besuch des Kaisers einen Treueeid auf sich und Augustus von seinen Untertanen verlangte, verweigerten diesen neben anderen Pharisäern auch die Gelehrten Pollion und Samaias; aus Rücksicht auf diese Gelehrten habe er ihre Eidverweigerung genauso wie die der Essener, die Herodes immer mit Respekt behandelt zu haben scheint,147 nicht bestraft.148 Nach der Darstellung, die Josephus über dasselbe Ereignis von Nikolaos von Damaskus übernimmt, verhängte Herodes dagegen eine Strafe, die zu Herodes’ großem Ärger seine Schwägerin, die Frau des Pheroas, für 6000 Pharisäer zahlte.149 Auch die »Adlerepisode« im Tempel hängt vermutlich mit dem wachsenden pharisäischen Widerstand gegen den König zusammen: Kurz bevor der krebskranke Herodes starb, dachten zwei Jerusalemer Gelehrte, die Zeit sei günstig, um den gesetzwidrigen goldenen Adler, mit dem er das Tempelgebäude geschmückt hatte, herunterzureißen. Als 40 Schüler der Aufforderung folgten, wurden sie ergriffen, und der König ließ sie lebendig verbrennen, nachdem sie ihm beim Verhör als Bekenntnis entgegengeschleudert hatten: »Wir (halten) die Vorschriften, die Moses auf Gottes Befehl … hinterlassen hat, für
wichtiger … als deine Anordnungen. Mit Freude werden wir den Tod erleiden und jede Strafe, die du uns auferlegst, da wir … aus Liebe zur Frömmigkeit den Tod und, was mit ihm zusammenhängt, ertragen werden.«150
Die letzten Jahre des Herodes standen so nicht nur wegen des Streits um die Nachfolge unter einem unglücklichen Stern, die »Eiferer«, die Josephus hier sprechen läßt, kündigen das Entstehen der zelotischen »vierten Partei« des Judas Galiläus an.151 Aber die Unruhen, die direkt nach Herodes’ Tod ausbrachen, 147 Der Essener Menachem soll Herodes als Schulkind die künftige Herrschaft profezeit und nach dessen Regierungsantritt ihm die Länge seiner Herrschaft mit zwanzig, ja dreißig und mehr Jahren angegeben haben. »Von da an hielt Herodes alle Essener in Ehren« (Josephus, ant. 15,373–378) – wohl kaum ein Hinweis auf ihren politischen Einfluß auf Herodes. Seine positive Stellung zu den Essenern hängt eher damit zusammen, daß er sie für politisch ungefährlich hielt und sie die Gegner der herrschenden Priesteraristokratie und der Pharisäer waren. 148 Josephus, ant. 15,370 f. Hier verwendet Josephus eine herodesfeindliche Quelle. 149 Josephus, ant. 17,42. Vgl. zu diesem Problem ausführlicher u. § 4. 150 Josephus, ant. 17,149–159 (159); vgl. bell. 1,648–653. 151 Zu den Märtyrern der Makkabäerzeit und ihrer Liebe zum Gesetz vgl. u. S. 160; zum »Eifer« der zelotischen Märtyrer s. Hengel, Zeloten, 61–79.154–234. Weiter u. § 4.
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zeigen, mit wieviel Geschick und politischer Verantwortung er bei aller persönlichen Grausamkeit und Willkür seinem Land nach rund hundert Jahren ständiger Kriege und nach dem jahrzehntelangen Bürgerkrieg während der 33 Jahre seiner Herrschaft zu Frieden und relativem Wohlstand unter römischer Oberherrschaft verhalf. Die mit Hilfe des Herodes aufgestiegene Oberschicht – besonders die neuen hochpriesterlichen Familien – profitierte davon natürlich stärker als die Unterschicht, die sich beklagte, er habe sie zu ständiger Fronarbeit angehalten.152 Das Urteil von Joseph Klausner: »Die Hasmonäer haben Palästina aufgebaut, Herodes und seine Söhne haben es zerstört«153,
ist verständlich im Munde eines glühenden Zionisten zu Beginn des 20. Jahrhunderts, der die Hasmonäer gegen eine verbreitete, zum Teil antijüdisch gefärbte Kritik in der damaligen Forschung verteidigen mußte, läßt sich aber bei neutraler Betrachtung der Vorgänge in den Zeiten der herodianischen und hasmonäischen Herrschaft kaum halten. Die Hasmonäerherrschaft führte zu Bruderzwist, Bürgerkrieg und dem Eingreifen Roms, Herodes brachte über 30 Jahre währenden Frieden. Deshalb hat Abraham Schalit dem Diktum Klausners mit guten Gründen widersprochen.154 In der Verteidigung seiner stets bedrohten Macht war Herodes nicht grausamer als Alexander Jannai, und auf seinem Weg zur Herrschaft ging er gegen seine Gegner nicht anders vor als etwa Augustus.155 Gewiß regierte er sein Land mit eiserner Hand, und die Hofintrigen beim Streit um die Nachfolge und die Hinrichtung von drei Söhnen des Herodes, insbesondere der beiden der Hasmonäerin Mariamne, könnten zur Legende vom Kindermord in Bethlehem geführt haben.156 In der Diaspora war Herodes vermutlich insgesamt volkstümlicher und beliebter, davon zeugen auch die Lampen, die die römischen Juden an »den Tagen des Herodes« aufstellten,157 152 Josephus,
ant. 15,366: †pit›ttwn d’ üeÑ g‡nesqai prÖ“ toõ“ p·noi“. Jesus, 179; vgl. noch vorwurfsvoller persönlich gegen Herodes S. 182: »alles, was die Makkabäer aufgebaut hatten, wurde zerstört von den Römern und von Herodes ›dem Großen‹, der nur mit ihrer Hilfe auf dem Throne Judäas saß.« 154 Schalit, König Herodes, Vorwort XXV–XXVI. 155 Herodes ließ, anders als Alexander Jannai, nach unseren Quellen (die vielleicht manches verschweigen) niemanden bei der Hinrichtung die lange Qual am Kreuz erleiden. Er mag sich damit bewußt von den Hasmonäern abgesetzt haben. Augustus soll 300 Senatoren und Ritter am Altar Caesars wie Opfertiere haben hinschlachten lassen (Sueton, Aug. 14). 156 Mt 2,16–18. Auch der Bericht, Herodes habe zahlreiche vornehme Juden im Stadion von Jericho gefangengehalten, die bei seinem Tod ermordet werden sollten, damit das ganze Land Trauer trage, mag ein übertriebener, halblegendärer Bericht sein (Josephus, bell. 1,659 f.666; ant. 17,180 f.193). 157 Persius, sat. 5,179–184 (Stern, GLAJJ 1, 436 f.); zum Problem, ob sich die Sitte einfach auf den Sabbat oder auf Herodes oder seine Nachkommen bezieht, s. Horbury, Herod’s Temple. 153 Klausner,
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und doch unterstützte die jüdische Bevölkerung in Rom nach seinem Tod die Forderungen der Abgesandten des Volkes nach direkter Herrschaft von Rom aus und der Ablösung der Söhne des Herodes (s. u. S. 69 Anm. 165). Das Prädikat »der Große« macht Herodes so leicht keiner seiner Vorgänger und Nachfolger – Agrippa I. und Agrippa II. führten es dann als Titel (basileÜ“ mfiga“) – streitig; das gilt für seine Friedenspolitik, die sich in der damaligen Situation nur mit den Römern und nicht nach außen mit den Parthern oder nach innen mit den Gesetzeseiferern erreichen ließ, und vor allem für seinen Tempelbau, der im Gegensatz zu seiner Person immer in gutem Andenken blieb.158 Für das Urteil der heidnischen Zeitgenossen über Herodes I. wird zumeist das bei Makrobius überlieferte Wortspiel des Augustus, es sei besser, das Schwein (ñ“) als der Sohn (u´·“) des Herodes zu sein, als Zeichen seiner Grausamkeit zitiert.159 Von nichtjüdischen, römischen und griechischen Autoren sind uns – abgesehen von Nikolaos von Damaskus – nur noch wenige Zeugnisse über Herodes erhalten,160 deshalb sollte man gerade die Rolle, die »Idumäa« als Bezeichnung für Palästina in der römischen Literatur erhält, nicht vernachlässigen. Sie läßt sich auch aus der Hochschätzung des barbarisch-orientalischen Herrschers im hellenistischen Stil aus römischer Sicht verstehen.161 Herodes starb kurz vor dem Passafest im Jahr 4 v. Chr. nach 33jähriger Herrschaft im Lande. In seinem definitiv letzten Testament, das auch gleich nach seinem Tode verlesen wurde, setzte er Archelaos, den Sohn der samaritanischen Malthake, als König über Judäa, Idumäa und Samarien ein. Dessen leiblicher Bruder Antipas erhielt Galiläa und Peräa und ihr Halbbruder Philippus die vorwiegend heidnischen Gebiete Gaulanitis, Trachonitis und Batanea. Herodes’ Schwester Salome wurde mit den Küstenstädten Jamnia, Aschdod und Phasaelis
158 Zur Würdigung des Herodes vgl. Schalit, Herodes, XXV–XXVI; vgl. auch das Vorwort von D. R. Schwartz zur 2. Auflage dieses Werks, VI–XIX; Schürer I, 294 ff.; Hengel, KS I, 55–63. 159 Makrobius, saturn. 2,4,11 (Stern, GLAJJ II, 665 f.). 160 Vgl. Plinius, nat. hist. 5,70 (Stern, GLAJJ I, 469; zitiert o. S. 62 Anm. 125). Josephus, ant. 16,150–159 setzt sich gegen seine überwiegende Tendenz, die von Nikolaos beeinflußt ist, mit dem vorwiegend positiven Bild auseinander, das sich »andere« von Herodes machten. Seine zwiespältige Natur sei qhri„dh“ (das heißt tierisch = tyrannisch) gewesen, seine Wohltaten seien in Wirklichkeit seiner Ruhmsucht entsprungen, das jüdische Volk liebe jedoch die Gerechtigkeit (tÖ d‡kaion) und nicht den Ruhm (d·xan). Er bringt damit seine eigene Meinung zum Ausdruck. 161 Vgl. Vergil, georg. 3,12 ff. (Stern, GLAJJ I, 316 f.), dazu Horbury, Herod’s Temple; weiter die Nachwirkung bei: Lucan, pharsalia 216 (Stern, GLAJJ I, 438–440); Valerius Flaccus, argonautica 1,12 (Stern, GLAJJ I, 504); Silius Italicus, punica 3,600 (Stern, GLAJJ I, 507); Statius, silvae 1,6,13; 3,2,138; 5,2,139 (Stern, GLAJJ I, 516–520); Martial, epigr. 2,2,5; 10,50,1 (Stern, GLAJJ I, 523.527); Juvenal, sat. 8,160 (Stern, GLAJJ II, 102); Aelianus, de nat. anim. 6,17 (Stern, GLAJJ II, 408 f.).
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bedacht, und dem Augustus vererbte Herodes große Summen.162 Das Volk stellte sofort an Archelaos Forderungen nach Steuernachlaß und Befreiung von Gefangenen, Bitten, denen Archelaos nachgab.163 Dennoch kam es beim Passafest zum Blutbad, denn Archelaos ließ eine große Zahl von Demonstranten unter Einsatz seiner gesamten Streitmacht, einschließlich Kavallerie, im Tempelbereich töten.164 Es handelte sich dabei um ein Nachspiel der »Adlerepisode«, denn die Angehörigen und Freunde der von Herodes Hingerichteten forderten zunächst von Archelaos im Gegenzug die Bestrafung der von Herodes Geehrten, eine Forderung, der Archelaos natürlich nicht nachkommen wollte. Beim Passafest wurde der Protest unter der Menge der Festpilger wesentlich verschärft, deshalb fürchtete Archelaos einen Aufstand und ging brutal gegen die Pilger auf dem Vorhof vor. Das Testament mußte jedoch zuerst vom Kaiser bestätigt und in Kraft gesetzt werden. Deshalb reiste Archelaos nach Rom, unterstützt von dem Freund des Herodes, Nikolaos von Damaskus, der jetzt sein Berater wurde. Zugleich bzw. wenig später begaben sich aber auch seine Brüder Antipas und Philippus, Salome und weitere Verwandte nach Rom. Später stieß eine Gesandtschaft von 50 Männern hinzu, die die Interessen des Volkes vertraten, Klagen gegen die Herrschaftsführung des Herodes und des Archelaos vorbrachten und von 8000 jüdischen Einwohnern Roms unterstützt wurden.165 Sie waren mit der Erlaubnis des Varus, der damals Statthalter in Syrien war, nach Rom gereist und sahen die bessere Lösung der politischen Probleme in der Unterstellung unter die direkte Herrschaft Roms, wie einst schon die Gesandtschaft an Pompeius (64 v. Chr.) in Damaskus. Nach ihrer Meinung zeigten die Unruhen nach dem Tod des Herodes und die Ermordung so vieler Unschuldiger durch Archelaos die Unfähigkeit dieser »Tyrannen«, das Land zu befrieden: »Sie wollten die Römer bitten, doch mit den Trümmern Judäas Erbarmen zu haben
und das, was vom Land noch übrig sei, nicht denen vorzuwerfen, die es grausam zerfleischen; sie sollten ihre Heimat doch mit Syrien vereinigen und durch besondere Statthalter verwalten lassen. Sie würden den Beweis erbringen, daß sie, die jetzt als aufsässig und kriegslustig verschrieen seien, ohne weiteres gerecht denkende Statthalter ertragen könnten. Die Juden beschlossen die Anklage mit dieser Forderung.«166
Es gab also immer noch eine starke nationale, antiherodianische Partei in Palästina, die eine hochpriesterliche Führung unter einem römischen Statthalter vorzog und der sich viele Juden in Rom anschlossen. Die römischen Juden zeigten 162 Josephus, bell. 1,668 f.; ant. 17,188–192. Salome vermachte ihr Gebiet testamentarisch an Livia. 163 Josephus, bell. 2,4; ant. 17,204 f. 164 Josephus, bell. 2,5–13.30; ant. 17,213–218. 165 Josephus, bell. 2,80–92; ant. 17,300 f.304–314. 166 Josephus, bell. 2,90 ff. (Übersetzung Michel / Bauernfeind I, 199).
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damit ihre besonders enge Verbindung mit Judäa, die auf die einst von Pompeius Verschleppten zurückging. Vermutlich sprach die judäische Gesandtschaft für den sadduzäischen Priesteradel und die Mehrzahl der Pharisäer. Augustus hörte sich alle Parteien an und bestätigte schließlich das Testament des Herodes mit einigen Abänderungen. Archelaos wurde nicht zum König, sondern nur zum Ethnarchen ernannt und mußte auf die hellenistischen Städte Gaza, Gadara und Hippos verzichten, die zur Provinz Syrien geschlagen wurden; Antipas und Philippus erhielten den Titel Tetrarch.167 Während in Rom diese Verhandlungen liefen, brachen in Palästina weitere Unruhen aus.168 In Jerusalem protestierten beim Wochenfest Pilgerscharen gegen die Beschlagnahme von Herodes’ Vermögen durch Sabinus, den Finanzbeamten (†p‡tropo“ = procurator) der Provinz Syrien, vor allem aber gegen seinen Angriff auf den Tempel, als er sich mit militärischer Gewalt Zugang zum Tempelschatz erzwingen wollte.169 So wurde innerhalb von nur 50 Tagen der Tempel zum zweiten Mal entweiht, denn am Passafest hatte Archelaos ja ein Blutbad unter den Festpilgern angerichtet (s. o. S. 69 Anm. 164). Zum Schutz des Tempels schlossen die bewaffneten Pilger Sabinus mit seiner Legion in Jerusalem ein. In Galiläa brach Judas, der Sohn des »Räuberhauptmanns« Hiskia, in den königlichen Palast in Sepphoris ein, raubte das Waffenarsenal aus und bewaffnete seine Anhänger. Im Bellum sagt Josephus, Judas habe alle diejenigen angegriffen, die nach der Herrschaft strebten, in den Antiquitates folgt er Nikolaos von Damaskus: Judas habe selbst nach der Königswürde gestrebt.170 In Peräa setzte sich Simon, ein »Sklave« (doúlo“)171 des Herodes, das Diadem auf und zerstörte mit seinen Anhängern die königlichen Paläste in Jericho und Ammatha. Gratus, der Befehlshaber der herodianischen Truppen, konnte mit Hilfe römischer Verstärkung Simon besiegen und enthaupten.172 Athronges, wie einst David ein ehemaliger Hirte, soll sich ebenso wie Simon allein durch bemerkenswerte Körpergröße und Kraft ausgezeichnet haben, aber ebenfalls Anspruch auf die Königswürde erhoben haben. Zusammen mit seinen vier Brüdern machte er Judäa unsicher, sie lieferten sich Kämpfe mit den königlichen und römischen Truppen. Bei Emmaus gelang es ihnen, einen römischen 167 Josephus, bell. 2,93–100; ant. 17,317–323. Lk 3,1.19; 9,7 = Mt 14,1; vgl. Apg 12,1 und u. S. 310 Anm. 81. Gadara und Hippos wurden Mitbegründer der Dekapolis, s. A. Lichtenberger, Kulte und Kultur der Dekapolis, ADPV 29, Wiesbaden 2003, 6–20.27 f.83 f. 168 Josephus, bell. 2,55–79; ant. 17,250–298. 169 Josephus, bell. 2,49 f. (die Soldaten raubten 400 Talente); ant. 17,261–264 (ein großer Teil des Tempelschatzes wurde von den Soldaten gestohlen, Sabinus beschlagnahmte öffentlich nur 400 Talente). 170 Josephus, bell. 2,56; ant. 17,272. 171 Das muß nicht unbedingt »Sklave« heißen, sondern kann auch einen Amtsträger des Herodes in Peräa bezeichnen, s. Kokkinos, Dynasty, 227 Anm. 79. 172 Josephus, ant. 17,273–277.
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Centurio und seine Nachschubkolonne zu überfallen; es dauerte längere Zeit, bis diese Revolutionäre, zum Teil vermutlich politische Messiasprätendenten, besiegt waren.173 Josephus konstatiert: »Judäa aber war voll von Räuberbanden, und um wen sich auch immer gerade Aufstän-
dische sammelten, der machte sich selbst zum König und drängte auf das Verderben des Staates.«174
Varus unterdrückte die Revolten, indem er mit drei Legionen und zusätzlichen Hilfstruppen aus Ptolemaïs, aber auch des Nabatäerkönigs Aretas IV., in das Land einrückte. Sepphoris in Galiläa brannte er nieder und verkaufte die Bewohner in die Sklaverei, ebenso verfuhr er mit Emmaus. Jerusalem blieb verschont, denn die Einwohner nahmen Varus auf und versicherten glaubhaft, sie wären zusammen mit den Römern von den Aufständischen belagert worden. Zweitausend Hauptschuldige ließ Varus in der Nähe von Jerusalem kreuzigen, die »Rädelsführer« schickte er nach Rom zur Aburteilung durch den Kaiser.175 Der Aufstand war ausgelöst worden durch die zweimalige Entweihung des Tempels. Die Unruhen ereigneten sich vor allem auf dem Lande, Jerusalem wurde durch die bewaffneten Festpilger hineingezogen, denn die Stadtbevölkerung blieb relativ friedfertig. Gegen die hellenistisch-römischen Luxusbauten des Herodes im offenen Land gingen die Aufständischen aus religiösen Gründen vor, denn sie widersprachen ihrer Meinung nach dem Gesetz. Die herrschende soziale Spannung zeigt sich darin, daß sich vor allem die ärmeren Schichten den selbsternannten Messiasprätendenten anschlossen. Deren Auftreten wiederum verrät die »übersteigerte Spannung der messianischen Naherwartung«, ein Erbe aus der Makkabäerzeit. Dabei verfolgten diese Prätendenten kein einheitliches Konzept, weder religiös noch strategisch.176 Es handelte sich vielmehr um eine emotionale Reaktion der einfachen Landbevölkerung auf die strenge Herrschaft des Herodes und auf die Übergriffe des Archelaos und der Römer. Die Unruhen hatten soziale und religiöse Gründe, beides läßt sich im Judäa des 1. Jahrhunderts v. und n. Chr. kaum trennen. Die wirtschaftliche Lage der einfachen Bevölkerung in Syrien oder Ägypten war eher schwieriger als in Judäa, dennoch hören wir dort nicht von vergleichbaren Unruhen.
173 Josephus, bell. 2,63 ff.; ant. 17,278–284. Die messianischen Ansprüche sind umstritten, aber unverkennbar; vgl. Hengel, Zeloten, 334 ff. 174 Ant. 17,285 (vgl. bell. 2,65); vermutlich übernimmt Josephus diese Passage und die Terminologie von Nikolaos von Damaskus, s. Hengel, Zeloten, 42. 175 Josephus, bell. 2,73; ant. 17,293. Vgl. zum militärischen Vorgehen Millar, Roman Near East, 41 f. Die Zahlen mögen – wie oft bei Josephus – übertrieben sein. 176 Hengel, Zeloten, 335 f.
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3.1.2 Die Söhne des Herodes Über die Regierungszeit des Archelaos (4 v.–6. n. Chr.) ist wenig bekannt, da mit ihm die Hauptquelle des Josephus, Nikolaos von Damaskus, abbricht. Sofort nach seiner Rückkehr aus Rom als Ethnarch rechnete er mit seinen Gegnern und den Aufständischen ab.177 Vermutlich spielt das Gleichnis von den Talenten in der lukanischen Fassung auf Archelaos an: Der Vornehme, der außer Landes geht, um die Königsherrschaft zu erringen, dem die Bürger aber eine Gesandtschaft hinterherschicken, die fordert, daß er nicht König werden solle, und der nach seiner Rückkehr blutige Rache an seinen Gegnern nimmt, paßt in den konkreten Einzelzügen am besten auf Archelaos. Es zeigt sich, wie sehr Lukas Details der jüdischen Geschichte in Palästina vertraut waren.178 Den Hohenpriester Joazar, Sohn des Boëthos, beschuldigte der Ethnarch der Konspiration, setzte ihn ab und ernannte zum Hohenpriester zunächst Eleazar aus der Familie Boëthos und dann Jesus, Sohn des Sethi, vermutlich war er ein Bruder des Hannas.179 Er prägte seine eigenen Münzen unter dem Dynastienamen »Herodes«. Das erklärt, warum im Neuen Testament sein Bruder Antipas und sein Neffe Agrippa I. ebenfalls den volkstümlichen Namen »Herodes« erhalten. Den von Simon zerstörten Winterpalast in Jericho errichtete er wieder und gründete nördlich davon Archelaïs. Wegen seiner Mißwirtschaft und Grausamkeit wurde er schon nach mehr als neun Jahren von Augustus abgesetzt und nach Lyon in Gallien verbannt, als ihn eine Gesandtschaft aus Judäa und eine aus Samarien vor dem Kaiser verklagten.180 Von Philippus,181 der über das vorwiegend von Nichtjuden besiedelte Gebiet der Gaulanitis, Trachonitis, Auranitis, Batanea und Paneas östlich des Jordans und des Sees Genezareth herrschte, erfahren wir bei Josephus ebenfalls wenig, aber nur Positives: Der Tetrarch kümmerte sich um sein Land, indem er sich nicht im Ausland aufhielt, sondern sein kleines Reich durchreiste, dabei seinen Richterstuhl mitführte und Recht sprach, womit er seinen Pflichten als Herrscher vorbildlich nachkam. In kriegerische Auseinandersetzungen ließ er sich nicht verwickeln. Er konnte, ohne Widerspruch von seinen vorwiegend heidnischen Untertanen befürchten zu müssen, Münzen mit seinem eigenen und dem Abbild der Kaiser prägen und war der erste jüdische Herrscher, der eine Frau, Livia /
177 Josephus,
bell. 2,64.111; vgl. ant. 17,339.342. 19,12–27. Die negative Beurteilung des Archelaos findet sich auch Mt 2,22. 179 Josephus, ant. 17,339.341; vgl. 20,249.251; dazu Kokkinos, Dynasty, 226 Anm. 78. 180 Josephus, bell. 2,111 ff.; ant. 17,342–348; in vita 5 erwähnt er das zehnte Jahr der Regierung des Archelaos. Für diesen scheint es bezeichnend, daß er seine einzige Neugründung nach sich selbst und nicht wie seine Brüder zu Ehren der Kaiser benannt hat. 181 Lk 3,1 erwähnt ihn im Synchronismus als Tetrarch von Ituräa und Trachonitis. 178 Lk
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Julia, auf Münzen darstellte.182 Paneas gründete er neu als Caesarea (Philippi), später erhob er Bethsaida zur Stadt Julias, benannt nach der Frau des Augustus und Mutter des Tiberius Livia / Julia. Philippus war beliebt, seine heidnischen Untertanen errichteten ihm zu Ehren Statuen,183 auch Kinder wurden nach ihm benannt, darunter jüdische wie Philippus, der Jünger Jesu, aus Bethsaida.184 Als er nach langer Regierungszeit 34 n. Chr. kinderlos starb, wurde sein Gebiet zunächst zur Provinz Syrien geschlagen, dennoch kam es zwischen Antipas und dem Nabatäerkönig Aretas IV. zu Grenzstreitigkeiten um sein ehemaliges Territorium.185 Nicht ganz so positiv ist das Bild, das wir von Antipas erhalten, dem Landesherrn Jesu, der 43 Jahre über Galiläa und Peräa herrschte.186 Er baute das zerstörte Sepphoris als Hauptstadt von Galiläa auf, in dem Herodes I. bereits einen Königspalast mit Waffenarsenal besaß und das beim Varusfeldzug schwer gelitten hatte. Dieses »Schmuckstück von ganz Galiläa« lag nur wenige Kilometer von Nazareth, dem Heimatort der Familie Jesu, entfernt. Antipas nannte es Autokratoris zu Ehren des Augustus und errichtete wahrscheinlich einen Vorgängerbau des hier ausgegrabenen großen Theaters, aber keine heidnischen Tempel.187 In Peräa gründete er Betharamphtha als Julias neu. Vermutlich erhielt er wie sein Bruder Philippus den Dynastienamen »Herodes« im Jahr 6 n. Chr., als Archelaos abgesetzt wurde.188 Im Jahr 19/20 n. Chr. gründete er Tiberias als hellenistische Polis, unter anderem, um seine guten Beziehungen zum Kaiser 182 F. Strickert, The First Woman to be Portrayed on a Jewish Coin, JSJ 33 (2002), 65–91. 183 Zur Inschrift in Si‛a / Seeia u. a. s. Kokkinos, Dynasty, 239. 184 Joh 1,44; 12,21; er wird in den Zwölferlisten immer als fünfter genannt (Mk 3,18; Lk 6,14; Mt 10,3; Apg 1,13). Ob der »Evangelist« Philippus (Apg 6,5), der in Samarien, später in Aschdod und Caesarea missionierte (Apg 8,26–40; 21,8 f.), nach diesem Herrscher genannt wurde, ist ungewiß. Ein anderes Beispiel ist der Anführer der jüdischen Reiter aus Babylonien und General Agrippas II. Philipp, Sohn des Jakimos, den Josephus vor allem in der Vita häufig erwähnt. Der Name blieb jedenfalls im Gebiet des Philippus über Jahrhunderte häufig, s. Kokkinos, Dynasty, 240. 185 S. dazu u. S. 75. 186 4 v. bis 39 n. Chr. Vgl. ausführlicher H. W. Hoehner, Herod Antipas, Cambridge 1972; Kokkinos, Dynasty, 229–235; M. H. Jensen, Antipas. 187 Josephus, ant. 18,27: pr·schma toú Galila‡ou pant·“, vgl. bell. 2,68; ant. 17,289. Zum Theater vgl. Freyne, Galilee and Gospel, 69, der den Bau durch Antipas nicht ganz ausschließt; für die spätere Datierung: E. Netzer / Z. Weiss, Zippori, Jerusalem 1994, 19: erbaut in der zweiten Hälfte des 1. Jahrhunderts n. Chr. oder noch eher nach dem 1. jüdischen Krieg; ebenso E. M. Meyers in: The Oxford Encyclopedia of Archaeology in the Near East, IV, Oxford 1997, 530; Chancey, Galilee, 74 f.; Reed, Archaeology, 119 f.; M. H. Jensen, Antipas, 154 ff. verweist jetzt auf das baldige Erscheinen der abschließenden Grabungsberichte, deren Ergebnisse dafür sprechen, daß es zwei Phasen des Theaterbaus gab und die kleinere, ältere Anlage auf Antipas zurückgehe. 188 Strabo, geogr. 16,2,46 (Stern, GLAJJ I, 299; vgl. den Kommentar 311) meint, auch Antipas und Philippus seien 6 n. Chr. nur knapp der Verbannung entgangen.
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zu demonstrieren und die Hellenisierung Galiläas und die Wirtschaft zu fördern, als neue Hauptstadt – wunderschön gelegen am See Genezareth in der Nähe von heißen Quellen – durch einen Synoikismos. Da die Stadt auf einem alten Gräberfeld errichtet wurde, mußte er die neuen Bewohner zum Teil zur Ansiedlung zwingen bzw. mit Wohltaten wie der Freilassung und Schenkung von Häusern und Ackerland anlocken. Josephus berichtet von einer sozial sehr gemischten Bevölkerung, aber es muß sich überwiegend um galiläische Juden gehandelt haben, deren Oberschicht griechisch sprach, dazu kam eine kleine Minorität von Heiden.189 Die Stadt bekam eine Verfassung nach griechischem Vorbild mit einem Stadtrat von 600 Mitgliedern, einem Archon und einem Vorstand von zehn führenden Männern, den Dekaprotoi.190 Mit Königspalast, Theater und Stadion sollte sie mit Jerusalem konkurrieren – die Prachtentfaltung am Hofe kritisierte Jesus im Zusammenhang mit seinem Urteil über Johannes den Täufer.191 Das Fehlen eines heidnischen Tempels belegt den vorwiegend jüdischen Charakter der Stadt, ebenso die Errichtung der großen Synagoge, die den Namen »Proseuche« wie die Synagogen in der Diaspora trug und mit ihrer mehrschiffigen Basilika mit der berühmten Synagoge in Alexandrien wetteiferte. Sie war das galiläische Gegenstück zum von seinem Vater so prächtig erneuerten Tempel in Jerusalem.192 Auf seinen Münzen bildete Herodes Antipas nur Pflanzenmotive, keine Menschen und Tiere ab,193 aber im Inneren seines Palastes verzichtete er nicht auf Tierdarstellungen, ihretwegen wurde der Palast von zelotischen Eiferern zu Beginn des ersten jüdischen Krieges niedergebrannt.194 Andererseits konnte er für die religiösen Interessen der Juden eintreten, denn als Pilatus Weiheschilde, vermutlich mit anstößigen Inschriften, in seinem Palast in Jerusalem aufstellte, wurde Antipas mit drei Brüdern bei diesem vorstellig und erreichte schließlich beim Kaiser, daß Pilatus sie aus der Heiligen Stadt ent-
189 Josephus, ant. 18,36–38. Nach Josephus, vita 67 wurde zu Beginn des Aufstandes die heidnische Minderheit von radikalen Zeloten umgebracht. 190 Zur boulfl s. Josephus, bell. 2,641; vita 169.284.300.313.381; zu deren ±rcwn s. bell. 2,599; vita 134.271.278.294. Zu den dfika prùtoi s. bell. 2,639; vita 296. 191 Lk 7,25; vgl. dazu u. S. 278. 192 Josephus, vita 277.280.293; vgl. tSuk 4,6 zur riesigen Doppelstoa in Alexandrien; weiter dazu Hengel, Proseuche und Synagoge = KS I, 171–195; ders., Hellenisierung = KS I, 65 f.; knappe Übersicht in: Siegert, Josephus, 174 f. Sie wird auch in der talmudischen Literatur erwähnt, s. Jastrow, Dictionary I, 303 f. Wenn M. H. Jensen, Antipas, 138 betont, nirgends werde ausdrücklich gesagt, daß der Bau von Stadion, Bädern und der großen Synagoge auf Antipas zurückgehe, sondern sie auch von Agrippa I., der fünf Jahre die Stadt besaß, oder von Agrippa II., der nicht viel länger die Stadt unter Kontrolle hatte, errichtet sein könnten, so unterschätzt er Antipas als Stadtgründer. 193 Vgl. M. H. Jensen, Antipas, 203–217.297–300. Zur Gründungsmünze von Tiberias und Jesu Kritik an Antipas s. u. S. 278 f. 194 Josephus, vita 65–67.
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fernen mußte.195 Wie sein Vater bemühte sich Antipas um den wirtschaftlichen Aufschwung, den Handel und die Urbanisierung.196 Galiläa und Peräa erlebten eine verhältnismäßig friedliche Periode, aber die sozialen Spannungen setzten sich fort. Religiöse Erneuerungsbewegungen betrachtete Antipas mit Argwohn, Johannes den Täufer ließ er hinrichten, weil er seine Kritik für politisch gefährlich hielt und Unruhen befürchtete.197 Jesus wollte er aus dem Land entfernen.198 Obwohl Jesus – nach unserem Wissen – in den Städten wie Sepphoris und Tiberias nicht öffentlich auftrat, vermutlich weil er den Zusammenstoß mit Antipas vermeiden wollte oder aber diese »hellenistischen« Städte ablehnte, hatte er dennoch Beziehungen zu Angehörigen des Hofes; so unterstützte ihn die Frau des Verwalters Chuza aus ihrem Vermögen, weil sie von ihm geheilt worden war.199 Das Verhältnis des Antipas zu Kaiser Tiberius blieb unbelastet. Unklug war dagegen seine Heirat mit seiner Schwägerin Herodias, denn sie widersprach dem Gesetz200 und verschlechterte die Beziehung zum Nachbarn, dem Nabatäerkönig Aretas IV. Antipas war vermutlich bereits von seinem Vater mit dessen Tochter verheiratet worden, um die politischen Beziehungen zu verbessern. Als Antipas seiner Schwägerin Herodias ein Eheversprechen gab, floh die Tochter des Aretas zu ihrem Vater. Dieser Vorgang lag schon längere Zeit zurück, als es wegen Grenzstreitigkeiten um ein Gebiet, das zuvor Philippus gehört hatte, im Jahr 36 n. Chr. nach dessen Tod zur kriegerischen Auseinandersetzung kam, in der dann Aretas das Heer des Antipas vernichtete: Diese Niederlage galt in der Volksmeinung als gerechte Strafe für die Hinrichtung Johannes des Täufers.201 Da sich Tiberius auf die Seite des Antipas stellte, sollte der römische Legat und syrische Statthalter Vitellius202 eine Strafaktion gegen den Nabatäerkönig unternehmen, die dann unterblieb, weil Tiberius am 16. 3. 37 n. Chr. starb. Mit dessen Nachfolger Caligula bekam Antipas Schwierig195 Philo, legat. 299 f.: Die Söhne des Herodes standen Königen in nichts nach. Nach Lk 23,12 wurden Antipas und Pilatus Freunde, obwohl sie vorher Gegner waren, weil Pilatus die Höflichkeit besaß, Jesus zuerst zu seinem Landesherrn als der richtigen Instanz zu schicken. Der Konflikt zwischen Antipas und Pilatus wird sich auf die Schildepisode beziehen. Vgl. auch u. S. 604. 196 S. dazu Freyne, Galilee and Gospel, 45–113; M. H. Jensen, Antipas, 242–251; vgl. u. S. 279. 197 Vgl. dazu u. S. 298. 198 Vgl. Lk 13,31 ff. den Rat der Pharisäer und Herodianer, Jesus solle das Land verlassen, weil ihm Antipas nach dem Leben trachte. Da Jesus sie wieder zu Antipas zurückschickt (»sagt diesem Fuchs …«), werden sie von diesem gekommen sein. S. dazu u. S. 352. 199 Lk 8,2 f. Dazu u. S. 257 Anm. 46. Vgl. den Tischgenossen (s‚ntrofo“) Manaen / Menachem des Antipas, der in Apg 13,1 in der Liste der christlichen »Profeten und Lehrer« in Antiochien am Orontes auftaucht. S. u. S. 276 f. 200 Er hatte die Frau seines Bruders zu dessen Lebzeiten geheiratet. Vgl. die Kritik Johannes des Täufers; dazu u. S. 310. 201 Josephus, ant. 18,109–115.116–119. Vgl. Hengel / Schwemer, Paulus, 182. 202 Er setzte im Jahr zuvor Pilatus und Kaiaphas ab, s. dazu u. S. 82.
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keiten, denn als seine ehrgeizige Frau Herodias es nicht ertrug, daß ihr Mann untätig blieb, als ihr Bruder und Neffe des Antipas, Agrippa I., das Gebiet des Philippus zusammen mit dem Königstitel erhielt, und mit ihrem Mann nach Rom reiste, um von Caligula ebenfalls die Königswürde zu erbitten, hatten beide keinen Erfolg. Agrippa durchkreuzte ihre Pläne, indem er Antipas bei Caligula verleumdete. Dieser ließ sich von ihm überzeugen, Antipas mußte ins Exil nach Gallien, und seine Frau folgte ihm.203
3.1.3 Die Präfekten (6–41 n. Chr.) Nach der Absetzung des Archelaos 6 n. Chr. war dessen Gebiet eine römische Provinz ›dritter Klasse‹ unter einem Präfekten aus dem Ritterstand204 geworden, der mit der militärischen Befehlsgewalt bis hin zum Fällen von Todesurteilen für Provinziale und römische Bürger ausgestattet,205 aber dem Statthalter in Syrien nach‑ und untergeordnet war. An der Spitze der jüdischen Aristokratie standen die Hohenpriester und ihre Familienmitglieder, die nun als von den Römern in Anspruch genommene lokale Instanzen wesentlich mehr Einfluß auf die Politik erhielten als unter Herodes. Der oberste Gerichtshof war deren »Synhedrium«, in dessen wechselnder Zusammensetzung der Laienadel und die schriftgelehrten Tora-Juristen neben den beherrschenden Priesteraristokraten ebenfalls eine gewisse Rolle spielten.206 Der Statthalter in Syrien, Quirinius, ließ zunächst einen Census in der gesamten Provinz (einschließlich der neuen Gebiete Judäa, Samaria und Idumäa) durchführen, bei dem die Anzahl und das Vermögen der Bevölkerung für die Erhebung der Kopf‑ und Grundsteuern eingeschätzt wurden.207 Es kam dadurch 203 Josephus,
bell. 2,181 ff.; ant. 18,240–255. vielseitigen Titel praefectus s. W. Eck, DNP 10, 2001, 241–249. Zur Klassifizierung der Provinzen s. Strabo, geogr. 17,3,25; vgl. Schürer I, 357 f.; Millar, Roman Near East, 44 f. Die Amtsbezeichnung praefectus ist gesichert durch die Pilatusinschrift (vgl. o. S. 56 Anm. 94) aus Caesarea Maritima, die im Theater sekundär verbaut wurde und ursprünglich die Renovierung des Tiberius gewidmeten Leuchtturms im Hafen dokumentierte; s. dazu Alföldy, Pontius Pilatus. Josephus und Tacitus sprechen anachronistisch von †p‡tropo“, procurator. Der Titel procurator ersetzte seit der Rückverwandlung Judäas in eine Provinz unter Claudius 44 n. Chr. den des früheren praefectus. Auch Ägypten als »privates« dominium des Augustus und Randgebiete wie Rätien, Noricum und Mauretanien unterstanden einem Präfekten aus dem ordo equester. 205 Josephus, bell. 2,117: mficri toú kte‡nein. Vgl. u. S. 593. 206 Josephus, ant. 20,251; vgl. Goodblatt, Monarchic Principle, 27 ff.215 f. (zur Funktion des Hohenpriesters als »nominal leader of the nation«); 108–130 (zur Diskussion um das Synhedrium, die Jerusalemer boulfl und das koin·n der Jerusalemer bei Josephus und im Neuen Testament). 207 Josephus, bell. 2,117 f.; ant. 18,1. Lk 2,1 ff. verlegt diesen Census in die Regierungszeit des Herodes. Lukas wird diesen Fehler aus seiner Quelle, der legendären Kindheitsgeschichte, übernommen haben. Vgl. dazu den Exkurs bei Schürer I, 399–427; zum inschriftlichen Beleg 204 Zum
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wieder zu Unruhen, denn Judas Galiläus, der Sohn des Hiskia, trat in Judäa mit einer profetischen Scheltrede auf und forderte, man dürfe den Römern keine Steuern zahlen und sich nicht versklaven lassen.208 »… Judas, der nicht wenige Juden überredet hatte, … die Steuerschätzung nicht vor-
nehmen zu lassen, als Quirinius mit der Schätzung beauftragt nach Judäa gesandt wurde.«209
Doch auf die eindringlichen Warnungen und das Zureden des Hohenpriesters Joazar, Sohn des Boëthos, hin ließ die Mehrheit die Schätzung über sich ergehen. Die Frage der Steuerzahlung an den Kaiser blieb, wie Mk 12,13–17 zeigt, auch später umstritten und behielt ihre religiöse und politische Bedeutung. Das Urchristentum hat sie, wie die Antwort Jesu zeigt, nie abgelehnt. Sie wird auch in den späteren neutestamentlichen Briefen gefordert. Die Jesusbewegung war von Anfang an keine politische Protestbewegung gegen Rom.210 Nach Apg 5,37 starb Judas Galiläus eines gewaltsamen Todes, und seine Anhänger wurden zerstreut.211 Er hatte zusammen mit dem Pharisäer Zadok eine eigene »Freiüber die Durchführung des Census im syrischen Apameia im Jahr 6/7 n. Chr. (iussu Quirini censum egi Apameae civitatis millium homin[um] civium) s. Boffo, Iscrizioni, 182–203 Nr. 23. Vgl. auch Millar, Roman Near East, 46 f., der zu Recht unterstreicht, daß sich der Protest des Judas Galiläus stärker gegen die Kollaborateure als gegen die Römer richtete und eine Parallele in den Unruhen in Gallien hat, wo Augustus 27 v. Chr. erstmals einen Census in einer Provinz durchführte. Zur religiösen Verurteilung des Census s. Hengel, Zeloten, 143–149. Zu den Verwaltungsfragen s. H. M. Cotton, Some Aspects of the Roman Administration of Judaea / Syria-Palaestina, in: Lokale Autonomie und römische Ordnungsmacht in den kaiserlichen Provinzen vom 1. bis 3. Jahrhundert, Schriften des historischen Kollegs, hg. v. W. Eck, Kolloquien 42, München 1999, 75–91. 208 Josephus, bell. 2,118; ant. 18,4–10. Judas ist wahrscheinlich identisch mit Judas, dem Sohn des Hiskia, der 4 v. Chr. in Sepphoris in Galiläa für Unruhe gesorgt hatte. Vgl. dazu o. S. 48 f. Anm. 52. S. Freyne, Galilee, 217 f., gab zu bedenken, wenn die beiden identisch seien, müßte Judas seine Meinung in der Zwischenzeit geändert haben: 4 v. Chr. messianischer Prätendent, vertritt er 6 n. Chr. die Alleinherrschaft Gottes. Daß dies kein Gegensatz sein muß, zeigt PsSal 17: »Gott ist unser König immer und ewig« ist der Kehrvers in einem Psalm, der um die endzeitliche Errichtung des davidisch-messianischen Königtums fleht. Vgl. dazu Hengel, Zeloten, 337 f. Auch sein Sohn oder Enkel Menachem zieht bei Ausbruch des Jüdischen Krieges 66 n. Chr. »wie ein König« (oïa dÉ basile‚“) in Jerusalem ein, Josephus, bell. 2,434; vgl. u. S. 110. 209 Josephus, bell. 7,253; vgl. ant. 18,4–9. 210 Vgl. Lk 20,20–26 und 23,2; Mt 22,15–22; Röm 13,6 f.; 1 Petr 2,13–19, vgl. Joh 18,36; s. u. S. 206 Anm. 59 und S. 620. 211 Apg 5,37 ordnet diesen Aufstand nach dem des Theudas ein; vgl. zu diesem Problem Bar rett, Acts I, 294 ff. Die alte Vermutung, daß Lukas die Schriften des Josephus gekannt habe und der Fehler sich daraus erklären ließe, hat Mason, Josephus, 299–304.324 f. u.ö. wieder aufgegriffen. Die einzige particula veri an dieser Annahme ist, daß Josephus und Lukas für ein ähnliches Milieu schreiben: Lukas für den »ehrenwerten Theophilos« (wer auch immer hinter diesem Eponym »Gottlieb« stecken mag) und Josephus für Epaphroditus, möglicherweise der reiche Freigelassene Neros, der sein Sekretär a libellis war und von Domitian 95 n. Chr. verbannt und hingerichtet wurde, das hängt mit der Datierung der Antiquitates, Vita und Contra
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heitspartei« gegründet, der Josephus keinen Namen gibt, die sich vermutlich jedoch die religiöse Bezeichnung »Eiferer« gab. Sie entstammten dem radikalen Flügel der Pharisäer, rebellierten mit ihrem Eifer für die Einzigkeit Gottes und sein Gesetz gegen die römische Herrschaft und lösten mit ihrem fanatischen Streben nach »Freiheit« den ersten jüdischen Krieg mit seinen katastrophalen Folgen aus. Vorbild waren dabei der gewaltsame Eifer des Priesters Pinchas für das Gesetz (Num 25) und die erfolgreiche Erhebung der Makkabäer.212 Sicher war ihr Handeln eschatologisch motiviert, denn die römische Herrschaft als das »vierte Reich« nach Dan 7 stand im Gegensatz zu Gottes Herrschaft und wird durch sie abgelöst. Von den frühen Präfekten berichtet Josephus sehr wenig. Sie haben von Anfang an in Caesarea am Meer im ehemaligen Palast des Herodes residiert,213 kamen aber zu den hohen Festen nach Jerusalem. Sie übernahmen die fünf aus Palästina rekrutierten nichtjüdischen Kohorten à 600 Mann als Auxiliartruppen, die vorher Archelaos und Herodes zur Verfügung standen, dazu etwas Reiterei und Garnisonen in den herodianischen Festungen; über römische Legionen hatte nur der Statthalter von Syrien an der Parthergrenze zu gebieten.214 Das heißt, die Besatzungstruppe war relativ gering und in ihrer Tendenz judenfeindlich. Bei größeren Unruhen mußte der Statthalter Syriens mit seinen Legionen eingreifen. Zur Verwaltungsaufgabe der Präfekten gehörte vor allem der Einzug von Steuern, dabei wurden Boden‑ und Kopfsteuer direkt an die Römer bezahlt – in Form von Naturalien bei der Bodensteuer und als Geldabgabe bei der Kopf‑ bzw. Vermögenssteuer. Andere Steuern wurden von Steuerpächtern eingetrieben.215 Die Steuerlast wird nicht niedriger als unter Herodes gewesen sein, aber auch nicht höher als in anderen römischen Provinzen. Sie wurde erhöht durch die religiösen Abgaben für den Tempel.216 Weiter gehörten Straßen‑ und Wasserleitungsbau zu ihren Aufgaben, aber auch die Rechtsprechung, in der sie mit den lokalen Behörden zusammenarbeiteten, sich jedoch vor allem die KapitalApionem zusammen. Beide werden mit kr›tiste angeredet. Vgl. Hengel / Schwemer, Paulus, 116; weiter dazu u. S. 232 Anm. 175. 212 Zu Judas und dem Programm der Zeloten vgl. Josephus, ant. 18,4 ff.23–25; bell. 2,433 f.651; 4,160.302 ff. Zum Ganzen s. Hengel, Zeloten; vgl. weiter u. S. 126. 213 Schürer I, 361. 214 Josephus, ant. 17,355; 18,2; vgl. Tacitus, ann. 12,23,1 (Text bei Stern, GLAJJ II, 75 f.); weiter Schürer I, 360.362–366. Millar, Roman Near East, 44 f. In Jerusalem war ständig eine Kohorte in der Antonia stationiert; vgl. Schürer I, 366. 215 Zum System der Steuerpacht vgl. F. Herrenbrück, Jesus und die Zöllner, WUNT II / 41, Tübingen 1990. Vgl. zum Census H. M. Cotton, Roman Administration (S. 77 Anm. 207). 216 Tacitus, ann. 2,42,5 berichtet von einer Bitte der Provinzen Syrien und Judäa an Kaiser Tiberius im Jahr 17 n. Chr. um Nachlaß der Steuern: »Die Provinzen Syrien und Judäa baten, erschöpft von den Lasten, um eine Verringerung des Tributs« (Stern, GLAJJ II, 67 f.). Vitellius reduzierte die Abgaben von Früchten auf dem Jerusalemer Markt bei seinem Besuch im Jahr 36 (Josephus, ant. 18,90).
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gerichtsbarkeit vorbehielten. Die Hohenpriester wurden nun von den römischen Präfekten ernannt, und das hochpriesterliche Gewand, das seit Hyrkan in der königlichen Burg und von Herodes I. entsprechend in der Antonia aufbewahrt wurde, ging jetzt ganz selbstverständlich mit dem Besitz der Festung in die Verfügungsgewalt der Präfekten über, so daß es jeweils an den hohen Festen vom römischen Präfekten an die Priester übergeben wurde, bis Vitellius 37 n. Chr. diesen Brauch auf jüdische Bitten hin abschaffte und den hochpriesterlichen Ornat in die Hand der Priesterschaft gab.217 Quirinius setzte den aus der Familie des Boëthos stammenden Hohenpriester Joazar, der ein zweites Mal amtierte (vgl. o. S. 72), gleich nach Abschluß des Census ab, obwohl er ihm einen wertvollen Dienst erwiesen hatte, weil sich dieser mit seiner romfreundlichen Haltung im Volk unbeliebt gemacht hatte, und ernannte Hannas I., Sohn des Sethi (6–15 n. Chr.).218 Dieser Hannas war das Oberhaupt der einflußreichsten und mächtigsten hochpriesterlichen Familie, die – nationalbewußt und sadduzäisch eingestellt – es verstand, bis zum Schicksalsjahr 66 n. Chr. ihren Einfluß bei den römischen Oberherren und den Nachkommen des Herodes I. geltend zu machen.219 »Dieser ältere Hannas, so sagt man, sei besonders glücklich gewesen. Denn er hatte
fünf Söhne, und diese erlangten alle das Hohepriesteramt vor Gott. Er selbst war der erste, der diese Ehre erhielt und sich ihrer lange Zeit erfreute. Das geschah mit keinem anderen unserer Hohenpriester.«220
Entsprechend wird Hannas sowohl im Synchronismus Lk 3,2 wie in Apg 4,6 und in der Passionsgeschichte des Johannes als Oberhaupt dieser Familie genannt, deren Mitglieder die Anführer der Partei der Sadduzäer waren.221 Zu diesen fünf Söhnen des Hannas I. kommt sein Schwiegersohn Joseph Kaiaphas hinzu, der Hohepriester der Leidensgeschichte Jesu.222 Das Haus des Hannas erwies sich auch später als besonders christenfeindlich. Über die frühen Präfekten ist wenig bekannt: Unter Coponius entweihten Samaritaner mit Totengebeinen den Jerusalemer Tempel am Passafest, die Priester trugen daraufhin Sorge für eine größere Sicherheit des Tempelbezirks. 217 Josephus,
ant. 18,90–95. Schwartz, Agrippa, 64 vermutet, daß Vitellius so vorging, weil es in dieser Zeit keinen vom Kaiser ernannten Präfekten in Judäa gab. Der Brauch selbst wird auf Herodes zurückgehen. Wahrscheinlich war diese Übergabe zumindest unter den Präfekten und Prokuratoren jeweils mit einer entsprechenden Zahlung verbunden. 218 Josephus, ant. 18,3.26. Vgl. dazu Hengel, Zeloten, 143.337. 219 Die rein aramäisch-hebräischen Ossuarinschriften, die sich von Mitgliedern dieser Familie erhalten haben, sprechen für eine solche relativ »nationalbewußte« Einstellung; vgl. Hengel, KS II, 325 ff. 220 Josephus, ant. 20,198. 221 Vgl. Apg 5,17; vgl. dazu Hengel, KS II, 325; weiter dazu u. § 4. 222 S. dazu u. S. 576; daß er Schwiegersohn des Hannas war, erfahren wir nur aus Joh 18,13.
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Der Vorgang demonstriert den Haß zwischen beiden Volksgruppen.223 Auf Coponius folgten Marcus Ambivulus (9–12 n. Chr.), Annius Rufus (12–15 n. Chr.) und Valerius Gratus (15–26 n. Chr.),224 von denen wir bei Josephus nicht mehr als die ungefähre Dauer ihrer Amtszeit erfahren und welche Hohenpriester sie ein‑ und abgesetzt haben. Gratus wechselte die Hohenpriester zunächst jährlich, setzte Hannas I. ab, ernannte Ismael, Sohn des Phiabi (15–16 n. Chr.), dann Eleazar, Sohn des Hannas I. (16–17 n. Chr.), danach Simon, Sohn des Kamith (17–18 n. Chr.). Mit Joseph Kaiaphas (18–36 n. Chr.) verstand er sich wohl besser, bzw. dieser war reich genug, um entsprechend hohe jährliche Bestechungsgelder zu zahlen, und er beließ ihn im Amt.225 Obwohl unter den römischen Präfekten die Hohenpriester häufig wechselten, hatten sie mehr Macht als unter Herodes I. Die Stärke lag freilich mehr beim Clan und seinem Reichtum als bei den einzelnen Familienmitgliedern. Deutlich wird unter den römischen Präfekten und Prokuratoren auch die Vorrangstellung der Familie des Hannas, die zwischen 6 und 66 n. Chr. (vor allem bis 41) eine einzigartige Machtposition erhielt, vermutlich weil ihre Mitglieder es besser als die anderen verstanden, den Ausgleich zu schaffen zwischen den römischen Oberherren und dem Wohlwollen des Volkes.226 Erst bei Pontius Pilatus (26–36 n. Chr.), der ihm zeitlich nähersteht, berichtet Josephus ausführlicher; seine Schilderung wird ergänzt durch die Bemerkungen Philos. Vermutlich kam es erst unter Pilatus zu schwereren Konflikten, die dieser aus seiner Verachtung des jüdischen Volkes heraus selbst provozierte. Deshalb werden die Nachrichten über ihn bei Josephus und Philo detaillierter – Josephus schreibt ja mit dem Ziel, den jüdischen Aufstand gegen Rom aus seinen Ursachen zu erklären; für Philo ging es darum, die Vorgeschichte der Pogrome in Alexandrien und die Caligula-Krise zu erhellen. Wahrscheinlich zu Anfang seiner Präfektur ließ Pilatus nachts heimlich seine Soldaten die römischen Standarten 223 Josephus, ant. 18,29 f.; der Herausgeber und Übersetzer L. H. Feldman vermutet eine Lücke im Text (Josephus, Vol. IX, LCL Nr. 433, 27 Anm. c); vielleicht erfahren wir deshalb nichts über die Reaktion des Präfekten. 224 Josephus, ant. 18,31–35. 225 Josephus, ant. 18,34. Kaiaphas hatte von allen Hohenpriestern das Amt am längsten inne. 226 Zur Befugnis der vier hochpriesterlichen Familien (Phiabi, Boëthus, Hannas und Kamith) und ihrem Sitz im Synhedrium als oberstem Gericht vgl. Schürer II, 215.232 f. Zu Hannas und Kaiaphas vgl. Hengel, KS II, 322–334. S. besonders auch das Spottlied auf diese Familien aus der unruhigen Zeit vor Ausbruch des Jüdischen Krieges (bPes 57a): »Wehe mir vor der Familie des Boëthos, wehe mir vor ihren Knütteln; wehe mir vor der Familie des Hanin, wehe mir vor ihrem Getuschel; wehe mir vor der Familie des Kathros, wehe mir vor ihrem Schreibrohr; wehe mir vor der Familie Ismael ben Phiabi, wehe mir vor ihrer Faust. Sie selbst waren Hohepriester, ihre Söhne waren Schatzmeister, ihre Schwiegersöhne waren Tempelherren, ihre Diener schlugen das Volk mit Stöcken.«
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mit den Kaisermedaillons, die von den Juden als Götterbilder verstanden werden konnten, nach Jerusalem hineinbringen. Die große Menge führender Juden, die gegen diesen Gesetzesbruch mehrere Tage lang friedlich in Caesarea vor Pilatus protestierte und um die Entfernung der Bilder bat, bedrohte er schließlich mit seinen Soldaten, gab aber angesichts ihrer Todesbereitschaft nach.227 Von einem ähnlichen, späteren Vorfall berichtet Philo: Pilatus habe Weiheschilde ohne Bilder, aber wohl mit Inschriften zu Ehren des Tiberius im Palast in Jerusalem aufstellen lassen und diese erst auf den ausdrücklichen Befehl des Kaisers hin entfernt. Gegen diese Verletzung der jüdischen Gesetze (p›tria ≤qh) hatten vier Söhne des Herodes, die herodianische Familie und die Führungsspitze des Volkes zunächst an Pilatus appelliert: Es entspreche nicht dem Willen des Tiberius, das Volk zum Aufstand zu reizen. Von Natur aus stur, unflexibel und voller Verachtung für die Juden, reagierte Pilatus erst, als die jüdische Beschwerde beim Kaiser Erfolg hatte.228 Als Pilatus für die Ausbesserung bzw. Erweiterung einer Wasserleitung nach Jerusalem Geld aus dem Tempelschatz verwendete, stieß dies ebenfalls auf heftigen Protest in der Bevölkerung, den er niederknüppeln ließ.229 Wann Pilatus »das Blut der Galiläer mit dem ihrer Opfertiere mischte«, gemeint sein kann nur ein Passafest, läßt sich nicht mehr sicher feststellen, es muß sich jedoch um einen Vorfall vor dem Todespassa Jesu im Jahr 30 gehandelt haben.230 Der Prozeß Jesu, den Markus historisch am zuverlässigsten schildert, zeigt den Präfekten bereits recht vertraut mit jüdischen Sitten und Gewohnheiten, läßt seine Verachtung für seine jüdischen Untertanen und zugleich seine Komplizenschaft mit Joseph Kaiaphas erkennen.231 Das 227 Josephus, bell. 2,169–174; ant. 18,55–59: »Pilatus, erstaunt über die Stärke ihrer Gesetzestreue, entfernte sofort die Bilder aus Jerusalem und brachte sie nach Caesarea zurück« (ant. 18,59). Nach Euseb, dem. ev. 8,2,122 f., hat nicht nur Philo, sondern auch Josephus berichtet, Pilatus habe die Standarten im Tempel aufgestellt. 228 Philo, legat. 299–305; vgl. o. S. 74 f. Philo erwähnt in diesem Zusammenhang auch die Bestechlichkeit und andere schlechte Charakterzüge des Pilatus; zu dessen Verhalten im Prozeß Jesu s. u. S. 607. Vielleicht spielte bei den Medaillons und Inschriften die Formel dei filius, die auch auf den Kaiserdenaren erscheint, eine Rolle. S. o. S. 74. 229 Josephus, bell. 2,175 ff.; ant. 18,60 ff. 230 Lk 13,1; vgl. dazu o. S. 4 und u. S. 277 f. 231 Alle Versuche, die Hinrichtung Jesu in die Anfangszeit des Pilatus zu datieren, scheinen deshalb fragwürdig. Aber auch die Spätdatierung bei Kokkinos, Dynasty, 196 Anm. 82; 301 (u. ö.) ins Jahr 36 ist unwahrscheinlich; vgl. schon ders., Crucifixion in A. D. 36: The Keystone for Dating the Birth of Jesus, in: Chronos, Kairos, Christos: Nativity and Chronological Studies Presented to Jack Finegan, hg. v. J. Vardaman and E. M. Yamauchi, Winona Lake 1989, 133–163. Die Hinrichtung Johannes des Täufers muß nicht erst im Jahr 35 erfolgt sein, direkt vor der kriegerischen Auseinandersetzung zwischen Antipas und Aretas IV. Aus Josephus, ant. 18,116–119 wird deutlich erkennbar, daß es sich um einen ›Nachtrag‹ handelt: Die Volksmeinung verstand die Niederlage des Antipas im Jahr 36 als Strafe für seinen Justizmord am Täufer ca. 29. Zwischen der Hinrichtung des Herrenbruders Jakobus und der Zerstörung Jerusalems lagen auch ca. acht Jahre, dennoch versteht die judenchristliche Legende sie als direkte Folge (Hegesipp bei Euseb, h.e. 2,23,18: kaÑ e§qÜ“ O§espasianÖ“ poliorkeõ
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»Testimonium Flavianum« – zwar nur in christlich interpolierter Form erhalten, aber an dieser Stelle sicher nicht christlich ›verbessert‹, sondern in Einklang mit
der sonstigen Sprache des Josephus – entspricht hier genau den Angaben bei Markus (15,1): »Auf Anzeige (†nde‡xei) der vornehmsten Männer bei uns verurteilte ihn Pilatus zum Tod am Kreuz.«232
Um so mehr fällt auf, daß in den Quellen nirgendwo berichtet wird, daß Pilatus und seine Nachfolger die junge, von Jesus ausgehende messianische Bewegung verfolgt habe. Pilatus hat das Hohepriesteramt während seiner Amtszeit nie einem anderen übertragen und wurde fast zeitgleich mit Kaiaphas von Vitellius abgesetzt, das heißt doch sicher, daß die beiden gut, ja zu gut harmonierten. Das brutale militärische Vorgehen des Pilatus gegen samaritanische Anhänger eines Profeten, der diesen die verborgenen heiligen Tempelgeräte Moses im Berg Garizim zeigen wollte,233 führte schließlich zu seinem Sturz. Tiberius beließ in der Regel römische Beamte in den Provinzen lange im Amt. Er soll dazu die Fabel des Aesop von den Fliegen zitiert haben. Während seiner Regierungszeit sandte er nur zwei Präfekten, Gratus und Pilatus, nach Judäa. Doch mit diesem Vorfall, dem auch vornehme Samaritaner zum Opfer fielen, schien Pilatus das Maß endgültig überschritten zu haben. Er wurde von Vitellius abgesetzt und zur Verantwortung nach Rom gesandt.234
a§to‚“). Schon Lukas deutet es an, und Matthäus erklärt deutlich die Zerstörung Jerusalems als Strafe für die Kreuzigung Jesu. Vgl. besonders die stichhaltigen Argumente zur Datierung der Kreuzigung Jesu von R. Riesner, Paulus, 37 f., gegen die Spätdatierung von Kokkinos. S. dazu ausführlich u. S. 346. 232 Josephus, ant. 18,64. Vgl. zu dieser vielbehandelten Stelle und den verschiedenen Überarbeitungshypothesen: Theissen / Merz, Jesus, 74–82 und S. Bardet, Le Testimonium Flavianum. Examen historique, considérations historiographiques, Paris 2002; weiter u. S. 206 Anm. 58. Zu ≤ndeixi“ als rechtlichem Terminus bei Josephus s. Schwemer, Passion, 140. 233 Die Samaritaner erwarteten statt des davidischen Messias einen eschatologischen Profeten aufgrund von Dtn 18,15 ff.; s. u. S. 147 Anm. 120. 234 Josephus, ant. 18,85–89. Über sein weiteres Schicksal wissen die Pilatusakten Legendäres zu berichten, vgl. Schürer I, 387. Justin, apol. I, 35,9 und 48,3 verweist bereits auf angebliche »Akten des Pilatus«, die die in der Apologie angesprochenen Kaiser, Antoninus Pius, Mark Aurel und Lucius Verus, informieren können. S. auch NTApo5 I, 395 ff. Die Legende beginnt schon bei Matthäus, der – gegen jüdische Vorwürfe – mit entsprechender Polemik beginnt, Pilatus weißzuwaschen. Unter anderem läßt er die Frau des Pilatus zugunsten von Jesus eingreifen (Mt 27,19). Zur jesusfreundlichen Tendenz des Pilatus in den Apokryphen s. W. Bauer, Leben Jesu, 188–198. Zur Fabel von den Fliegen s. Josephus, ant. 18,174–178: Ein Verwundeter habe gebeten, die Fliegen von seinen Wunden nicht zu verscheuchen, denn die alten hätten sich am Blut schon satt getrunken, würden sie vertrieben, kämen neue hungrige und würden seine Schmerzen erneuern.
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Danach beauftragte Vitellius einen seiner Vertrauten, Markellus, mit der Verwaltung Judäas (†pimelhtfl“), die militärische Verantwortung soll ein ebenfalls sonst unbekannter Maryllus (´pp›rch“) von Caligula erhalten haben.235
3.1.4 Agrippa I. (41–44 n. Chr.) Bald nach seinem Regierungsantritt ernannte Gaius Caligula den mit ihm persönlich befreundeten Enkel von Herodes I. und der Hasmonäerin Mariamne, Agrippa, zum König über das einstige Gebiet des Herodes Philippus und vielleicht bereits über die Tetrarchie des Lysanias (37 n. Chr.).236 Nach der Verbannung des Herodes Antipas (39 n. Chr.) erhielt Agrippa auch das Gebiet dieses Onkels und schließlich von Kaiser Claudius (41 n. Chr.) nach der Ermordung Caligulas am 24.1. 41 als Dank für seine erfolgreichen Vermittlungsbemühungen zwischen Senat und Prätorianern dann fast das gesamte Reich seines Großvaters.237 Unter Claudius nennt er sich auf Münzen und Inschriften »der Große«, ein Titel, den er vom römischen Senat erhalten hatte und den ihm Josephus ebenfalls gibt.238 Auf den Inschriften seines Sohnes, Agrippas II., erscheint er als »Freund des Kaisers« und »Freund der Römer«.239 Die Herrschaft Agrippas I. 41–44 n. Chr. unterbrach die Abfolge der Präfekten in Judäa.240
235 Josephus, ant. 18,89.237. Als Namensform ist in den Josephus-Handschriften M›rkello“ und M›rullo“ bzw. M›rillo“ überliefert, ein Römer würde dagegen eher Marullus heißen; es ist umstritten, ob es sich um dieselbe Person handelt; vgl. Kokkinos, Dynasty, 284 gegen Schwartz, Agrippa, 62–66. Philo, legat. 199 erwähnt Herennius Capito als Steuereinnehmer von ganz Judäa, der sich dort in unerträglicher Weise bereichert habe; nach Josephus ist Capito jedoch der reiche Steuereinnehmer nur von Jamnia, das heißt dem ehemaligen Gebiet der Salome, das diese Livia vermacht hatte. Vgl. u. S. 84 Anm. 241 zu Capito und Agrippa. 236 Josephus, ant. 18,237; vgl. Philo, Flacc. 25: »Gaius Caesar übergibt Agrippa, dem Enkel des Königs Herodes, die Königsherrschaft über ein Drittel des Gebiets seines Großvaters, dessen Ertrag sein Onkel, der Tetrarch Philippus, geerntet hatte.« Vgl. Flacc. 40 die Titel »König«, »Freund des Kaisers« und »vom römischen Senat mit prätorianischen Ehren geehrt«. Dazu van der Horst, Philo, 114 ff.131 f. 237 Josephus, ant. 19,274 f.; bell. 2,215 f. Das hier erwähnte Bündnis zwischen Agrippa und dem Kaiser, Senat und Volk von Rom ist in der Form eines Händedrucks dargestellt auf der Münze Y. Meshorer, Ancient Jewish Coinage. Addendum I, INJ 11 (1990–91), 123 Nr. 10– 10a; vgl. 124 Nr. 11–11a; 14–14a; s. auch Kokkinos, Dynasty, 297 f. Zur ¨m·noia, »Eintracht«, zwischen Juden und Rom vgl. den Vorwurf des Titus, den ihm Josephus, bell. 6,216 kurz vor der Tempelzerstörung in den Mund legt: Er habe den Juden Frieden und Unabhängigkeit angeboten, »doch sie ziehen der Eintracht (¨m·noia) den Aufruhr (st›si“) vor.« 238 BasileÜ“ mfiga“. Y. Meshorer, Ancient Jewish Coinage. Addendum I, INJ 11 (1990– 91), 124 Nr. 11–11a; 12; Josephus, ant. 17,28; 18,110.142; 20,104; vgl. weiter Schwartz, Agrippa, 136. 239 S. u. S. 104 Anm. 357. 240 Vgl. Schwartz, Agrippa, passim; Kokkinos, Dynasty, 271–304.
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Schon seine Ernennung zum Nachfolger des Philippus durch Caligula rief Erstaunen und Neid hervor.241 Als Agrippa auf der Reise in sein Herrschaftsgebiet im Sommer 38 in Alexandrien eintraf, verspottete der alexandrinische Pöbel den neuen jüdischen König mit dem Ruf »marin«, »unser Herr« in syrischer (das heißt aramäischer) Sprache, und einer Königstravestie zur Volksbelustigung im Theater,242 wenig später kam es zur Entweihung von Synagogen durch die Aufstellung von Kaiserstatuen und zu einem blutigen Pogrom, Unruhen, die sich auch auf Palästina auswirkten. Der Kaiserkult erschien dem Pöbel als ein probates Mittel, um seinem Haß auf die jüdische Bevölkerung Luft zu verschaffen, dies gilt auch für das palästinische Jamnia, nachdem es dort zur Zerstörung eines Kaiseraltars gekommen war,243 und vermutlich ebenso für Antiochien am Orontes.244 Die Reaktion des Kaisers auf diese Vorfälle brachte Palästina an den Rand des Krieges.
Exkurs: Die Caligula-Krise (38–41 n. Chr.) Schon Herodes I. hatte in Caesarea Maritima einen Tempel zu Ehren des Kaisers mit den Statuen des Augustus und der Roma und in Sebaste ebenfalls einen Augustustempel errichtet,245 aber Jerusalem selbst und die überwiegend jüdischen Gebiete seines Reiches blieben frei vom öffentlichen Herrscherkult mit seinen bildlichen Manifestationen. Bis zum Ausbruch des ersten jüdischen Krieges wurden täglich zwei Lämmer und ein Stier 241 Vgl.
Josephus, ant. 18,239. Vgl. o. S. 76 zur Reaktion seiner Schwester Herodias. Agrippa hatte – in Rom aufgewachsen – zielstrebig nach dem Tod seiner Mutter Berenike, einer Nichte des Herodes, darauf hingearbeitet, zu einer seiner Herkunft gemäßen Herrschaft zu kommen und seine Finanzprobleme durch regelmäßige Einkünfte zu regeln, weshalb er sich in seinen jungen Jahren in Rom am kaiserlichen Hof aufhielt und als verschwenderischer, großer Herr auftrat, solange sein Vermögen reichte. Anfang der dreißiger Jahre begab er sich ohne Mittel nach Palästina, häufte dort weitere Schulden an, wobei seine Versuche, politischen Einfluß zu gewinnen, scheiterten. Er floh vor seinem Gläubiger Herennius Capito (s. o. S. 83 Anm. 235) über Alexandrien nach Rom. Im Jahr 36 kam er, versehen mit einem Kredit des Alabarchen Alexander, dem Bruder Philos, dort an. Tiberius hielt weiterhin nichts von seinen Ambitionen, Agrippa mußte auf den Nachfolger Caligula setzen, weshalb ihn Tiberius einkerkerte. Caligula befreite ihn aus dem Gefängnis und setzte ihm direkt danach das königliche Diadem auf. S. Josephus, ant. 18,143–237 und o. S. 83 Anm. 236. 242 Philo, Flacc. 34.36–39.41. Vgl. van der Horst, Philo, 128–133; Hengel / Schwemer, Paulus, 198 f. zur Anrede »Herr« an Agrippa; weiter die Verspottung Jesu durch die judenfeindliche Soldateska acht Jahre früher, s. dazu u. S. 610 Anm. 45. Zur Bezeichnung vgl. 1 Kor 16,22 und Did 10,6 den urchristlichen Gebetsruf »maranatha«; s. u. S. 583 Anm. 61. 243 Den Streit in Jamnia schürte der Steuereinnehmer Herennius Capito, der unter anderem einen Haß auf Agrippa I. hatte, weil ihm dieser seine Schulden nicht zahlen wollte, und der diesen Vorfall übertreibend in einem Brief an Caligula schilderte, s. Philo, legat. 199–202. Josephus, ant. 18,257–260 erwähnt die Beschuldigungen des alexandrinischen Judenfeindes Apion vor Caligula: »Dieses Volk allein weigert sich, (den Kaiser) mit Standbildern zu ehren und bei seinem Namen zu schwören« (258). 244 Vgl. Hengel / Schwemer, Paulus, 277–286. 245 S. o. S. 55 ff.
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auf Kosten des Kaisers (so Philo) bzw. des Volkes (so Josephus) für das Wohlergehen des Herrschers und des römischen Volkes geopfert.246 Die Einstellung dieses Opfers durch die jüdische Priesterschaft wurde als offizielle Kriegserklärung betrachtet, denn mit dem Opfer für den Kaiser in Jerusalem bezeugten die Juden ihre Loyalität gegenüber dem Herrscherhaus und Rom. Das Opfer für das Wohlergehen des Kaisers und nicht für den Kaiser selbst als Gott war in der frühen Kaiserzeit auch in Griechenland und Ägypten keine Ausnahme, der Kaiserkult wurde lokal geregelt und nicht zentral verordnet.247 Das Gebet für das jeweilige Herrscherhaus bildete in den jüdischen Synagogen der Diaspora schon seit der Perserzeit eine Selbstverständlichkeit. Der jüdische, bildlose Kult konnte aus römischer Sicht neutral beschrieben, ja sogar von einzelnen philosophisch Gebildeten als vorbildlich gerühmt werden.248 Augustus und Tiberius hatten den Herrscherkult eher abgelehnt und eingeschränkt, doch Caligula forderte, zu Lebzeiten als Gott anerkannt zu werden, in einer besonders für seine jüdischen Untertanen unerträglichen Weise: »Er sagte nicht nur, sondern er glaubte, er sei ein Gott (qe·“)«.249
Nach den Vorfällen in Alexandrien und Jamnia befahl Caligula im Sommer des Jahres 39 n. Chr., seine Kolossalstatue im Jerusalemer Tempel aufzustellen und diesen umzuwandeln in ein Heiligtum des DiÖ“ ûEpifanoú“ … Nfiou Gai?ou, des »als neuer Zeus erschienenen Gaius«.250 Bei den Juden rief dieses Vorhaben die Erinnerung an die Religionsnot und Schreckenszeit unter Antiochus IV. Epiphanes wach und zugleich die seit der 246 Josephus, bell. 2,197; c. Ap. 2,77 f.196 f.; Philo, legat. 157.232.317. Der Unterschied in den Angaben mag daher rühren, daß beide unterschiedliche Aspekte betonen, die Kosten aber in Wirklichkeit aus den Steuern aufgebracht wurden: s. Schürer II, 312; Pucci ben Zeev, Rights, 472. Opfer für den König erwähnen schon Esr 6,9–10 und Aristeas 45. Die Synagogeninschriften aus Ägypten belegen deren Errichtung zu Ehren der Ptolemäer, s. W. Horbury / D. Noy, Jewish Inscriptions of Graeco-Roman Egypt, Cambridge 1992, 19 f. Nr. 13 (Alexandria, 1. Jahrhundert v. Chr.); 35 Nr. 22 (Schedia, 3. Jahrhundert v. Chr.); 40 ff. Nr. 24 und 25 (2. Jahrhundert v. Chr.) u. ö.; vgl. auch Pucci Ben Zeev, Rights, 479. 247 S. die Belege bei Pucci Ben Zeev, Rights, 474–481: »The imperial cult constituted an act of homage more than an act of worship« (476). 248 Vgl. das Lob Varros (1. Jahrhundert v. Chr.) für die archaische, anikonische Verehrung des jüdischen Gottes: Frag. 18 (überliefert bei Augustin, de civ. Dei 4,31; vgl. Stern, GLAJJ I, 209; B. Cardauns, M. Terentius Varro. Antiquitates Rerum Divinarum. Teil I: Die Fragmente, AAWLM.L, Wiesbaden 1976, 22). 249 Philo, legat. 162; vgl. Josephus, bell. 2,184; ant. 18,256; zur römischen Kritik am paranoischen Verhalten des Kaisers s. Sueton, Calig. 19: Caligula überbrückte den Golf von Baiae mit einer Schiffsbrücke, die er mit einer Erdschicht befestigte und ausbaute wie die Via Appia, auf der er hin und her zog, das heißt wie ein Gott das Meer gangbar machte. Er ließ berühmte Götterstatuen nach Rom kommen und setzte ihnen seinen Kopf auf, ließ sich anbeten und mit täglichen Opfern von »Flamingos, Pfauen, Auerhähnen, numidischen Hühnern, Perlhühnern und Fasanen« ehren. Nachts lud er die Mondgöttin auf sein Lager ein und führte mit Jupiter Gespräche unter vier Augen (Sueton, Calig. 22). 250 Philo, legat. 346. Vgl. u. S. 86 Anm. 256. In den frühchristlichen Quellen fand dieser Vorgang keinen direkten Niederschlag, s. Hengel / Schwemer, Paulus, 276 ff.; zu den antijüdischen Unruhen in Antiochien in dieser Zeit s. op. cit., 281–284. Die auf Wellhausen zurückgehende These, in Mk 13 handle es sich um ein ›Flugblatt‹ aus dieser Zeit, ist wenig wahrscheinlich. Der Text verweist auf die Antichristerwartung zur Zeit des Jüdischen Krieges; vgl. auch 2 Thess 2,5–12. Es mag jedoch sein, daß die Caligulaepisode die Ausbildung des
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Eroberung durch Pompeius schwelende und durch neue Vorfälle immer wieder bestätigte Befürchtung, daß die Römer den Tempel entweihen und Jerusalem zerstören würden. Caligula beauftragte den Statthalter Syriens, Petronius; dieser sollte mit der Hälfte der am Euphrat stehenden Truppen das Unternehmen durchsetzen.251 Petronius war nicht glücklich über diesen Auftrag, setzte auf Zeit, bezog aber mit seinen Truppen das Winterlager in Ptolemaïs vor den Toren Galiläas.252 Er ließ Künstler in Sidon mit der Herstellung der Statue beginnen und informierte zunächst die Spitze der jüdischen Aristokratie über den Befehl des Kaisers.253 Die Bewohner Jerusalems, ja des ganzen Landes, begaben sich im Frühjahr 40 n. Chr. zu Petronius nach Ptolemaïs, als dieser nach dem Befehl des Kaisers in Judäa einmarschieren sollte, und erklärten ihre Bereitschaft, eher zu sterben, als diesen Frevel zuzulassen. Erst nach ihrem Tode könne der Befehl ausgeführt werden.254 Philo ver mutet, Petronius habe mit der jüdischen »Philosophie« sympathisiert oder sich zumindest einige Kenntnis über die Religion eines beträchtlichen Teils seiner Untertanen verschafft, denn dieser ließ die Arbeiten an der Statue nur langsam vorangehen, bat aber rasch den Kaiser brieflich um Zeitaufschub, denn zunächst müßte die Ernte eingebracht werden, damit die Provinz gerüstet sei für den Besuch Caligulas im Zusammenhang mit seiner für das nächste Jahr erwarteten Ägyptenreise.255 Doch der Kaiser verlangte die schnelle Durchführung seines Befehls und damit die Fertigstellung seiner Statue. Agrippa, der sich vermutlich seit dem Herbst 39 n. Chr. in Rom aufhielt und nichts vom Befehl des Kaisers und von der Korrespondenz zwischen Caligula und Petronius wußte, erfuhr dies erst bei einer Begegnung mit dem Kaiser im September 40 – zusammen mit der Information, daß auch er persönlich in Ungnade gefallen sei wegen der jüdischen Weigerung, eine Zeusstatue im Jerusalemer Tempel aufzustellen.256 Die Darstellung Philos von der Erschütterung Agrippas ist dramatisch, aber als die eines Zeit‑ und Augenzeugen257 nicht unglaubwürdig, der Wortlaut von Agrippas diplomatischem Brief an den Kaiser war dagegen sicher wesentlich vorsichtiger als die lange Bittschrift, die Philo ihm zuschreibt.258 Agrippa wird dem Kaiser den Respekt von Augustus und Tiberius »Gottesfeindmotivs«, das an sich schon auf Antiochus IV. zurückgeht, im Judentum und Ur-
christentum gefördert hat. 251 Philo, legat. 188.198.207; vgl. Josephus, ant. 18,262: viele Auxiliartruppen und zwei Legionen. 252 Philo, legat. 213: Petronius setzte die Sache vorsichtig in Gang. Er respektierte damit die Befreiung Judäas von Winterlagern, s. dazu o. S. 47 Anm. 44. Mit der Wahl des Winterquartiers in Ptolemaïs hielt er sich jedoch in Bereitschaft; s. Josephus, ant. 18,262 f.: Caligula befahl, im Frühjahr den Feldzug zu beginnen (polemeõn), wenn der Widerstand nicht aufhören würde. 253 Philo, legat. 222 ff. 254 Philo, legat. 225–242; 236: üpoqan·ntwn tÖ †p‡tagma genfisqw. 255 Philo, legat. 245–253. Zur Antwort des Kaisers s. legat. 254–260. 256 Nach Philo, legat. 265 wirft Caligula Agrippa vor: »Deine guten und tüchtigen Volksgenos sen, die allein im gesamten Menschengeschlecht Gaius nicht für einen Gott halten wollen, scheinen mir nun wegen ihrer Weigerung zu sterben. Als ich befahl, im Tempel ein Standbild des Zeus aufzustellen, versammelten sie die gesamte Bevölkerung der Hauptstadt und des Landes und zogen aus, angeblich als Bittflehende, in Wirklichkeit aber, um meinen Befehlen entgegenzuwirken.« 257 Philo hielt sich als Leiter der alexandrinisch-jüdischen Gesandtschaft 39/40 n. Chr. in Rom und Puteoli auf und beschreibt die Vorgänge in Legatio ad Gaium. S. dazu Schürer III / 2, 816. 258 Philo, legat. 276–329. Agrippa wollte weder seine Herrschaft noch das Wohlwollen des
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gegenüber dem jüdischen Kult als Vorbild angeführt und sich selbst als Schutzherrn des Tempels betrachtet haben, aber sicher nicht so ungeschickt gewesen sein, diesem vorzuhalten: Er selbst sei der Abkömmling von Priestern und Königen (durch seine Großmutter Mariamne war er Nachfahre der Hasmonäer, was ihn aus jüdischer Sicht legitimierte), und der Tempel in Jerusalem, seit alters ohne Gottesbild, sei der des allein wahren Gottes. Agrippa wird auch kaum indirekt für das jüdische Volk das römische Bürgerrecht und direkt Freiheit und Steuernachlaß gefordert haben.259 Daß Agrippa – wie Philo und die alexandrinisch-jüdische Gesandtschaft – erst so spät von diesem Befehl erfahren hat, scheint verwunderlich und hängt wohl mit dem Feldzug Caligulas in Gallien und Germanien zusammen. Caligula verbrachte den Winter 39/40 in Lyon und kehrte nach verschiedenen militärisch sinnlosen Operationen zu einem »kleinen Triumph« am 31. 8. 40 nach Rom zurück.260 Agrippa traf jedenfalls den größenwahnsinnigen Kaiser nach dessen Rückkehr im September 40 und erreichte, daß dieser seinen Befehl zurücknahm und ein entsprechendes Schreiben an Petronius sandte.261 Von diesem Wohlwollen kam Caligula jedoch schnell wieder ab, als er den Bericht des Petronius von dessen Verhandlungen in Tiberias las. Petronius hatte sich im Spätsommer nach Tiberias in Agrippas Hauptstadt begeben, wo er sich mit den Vertretern Agrippas und dessen Verwandten beriet, um einen Krieg zu vermeiden.262 Der Widerstand der Bevölkerung blieb so unerschütterlich, daß sie im Herbst die Aussaat verweigerte. Petronius versprach, dem Kaiser zu berichten, und zog sich mit den in Ptolemaïs stehenden Truppen nach Antiochien zurück. Der Kaiser antwortete darauf mit dem Suizidbefehl an Petronius, doch dieser erhielt die Nachricht vom Tod des Kaisers, der am 24. Januar 41 n. Chr. ermordet wurde, früher als das Todesurteil.263 Die Intervention Agrippas hatte keinen durchschlagenden Erfolg, entscheidend war die Klugheit des Petronius, der keine Truppen einsetzte, obwohl die jüdischen Massen sich ihm nicht völlig unbewaffnet – wie Josephus nicht müde wird zu betonen – entgegenstellten.264 Hätte sich Petronius nicht so klug verhalten, wäre es schon im Jahr 40 zum ersten jüdischen Krieg gekommen und nicht erst 66. Diese Krise, die nicht nur Palästina, sondern auch die jüdische Diaspora erschütterte, wurde erst mit dem Mord an Caligula und den friedenstiftenden Maßnahmen des Claudius beendet.265 Kaisers verlieren, aber er mußte, auch um seine Ansprüche auf Judäa nicht ganz zu verlieren, die Interessen aller Juden am Jerusalemer Tempel und seinem speziellen Kult vertreten. 259 So jedoch Philo, legat. 287.290, der damit seine eigenen Wünsche Agrippa zuschreibt. 260 Cassius Dio 59,24,1 erwähnt, Agrippa sei im Winter 39/40 bei Caligula gewesen; Kokkinos, Dynasty, 285 Anm. 74 nimmt deshalb an, Agrippa habe Caligula nach Gallien und Germanien begleitet als einer der amici, die Sueton, Calig. 45,1, nennt, und das Epigramm des Philipp von Thessalonike beziehe sich auf die Gastfreundschaft während dieses Feldzuges (Stern, GLAJJ I, 375 f.). Das bleibt alles sehr ungewiß. Josephus, ant. 18,289–297 setzt voraus, daß sich Agrippa in Rom aufhielt. 261 Philo, legat. 333 f.; Josephus, ant. 18,301 f. 262 Josephus, ant. 18,273–288; bell. 2,193–202. 263 Josephus, ant. 18,304–309. Vgl. bell. 2,203. 264 Vgl. Tacitus, hist. 5,9,2: sub Tiberio quies; dein iussi a C. Caesare effigiem eius in templo locare arma potius sumpsere, quem motum Caesaris mors diremit (»Unter Tiberius herrschte Ruhe. Danach, als sie auf Befehl des Kaisers Gaius sein Bild im Tempel aufstellen sollten, ergriffen sie lieber die Waffen. Diesen Aufstand beendete erst der Tod des Kaisers.«). Vgl. ann. 12,54,1. Dazu den Kommentar von Stern, GLAJJ II, 51. Weiter Josephus, ant. 18,302. 265 Zu den Edikten des Claudius (CPJ Nr. 153; Josephus, ant. 19,280–285 und 286–291) vgl. Schürer I, 398.
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Als Agrippa im Frühsommer 41 in sein durch Claudius wesentlich vergrößertes Herrschaftsgebiet zurückkehrte, mußte er vor allem für die Stabilisierung der Verhältnisse sorgen. Er hielt zunächst einen triumphalen Einzug in Jerusalem, brachte Opfer dar und weihte die goldene Kette, die er von Caligula im Jahr 37 erhalten hatte, als Weihgeschenk im Tempel.266 Theophilos, den Sohn des Hannas, setzte er nun als Hohenpriester ab und ernannte Simon Kantheras aus dem Haus Boëthos. Möglicherweise geschah dies schon im Jahr 38. In diesem Fall hätte ihn schon damals Caligula zum Schutzherrn des Tempels ernannt. Jedenfalls begünstigte er zunächst das Haus des Boëthos und nahm sich dabei die Politik seines Großvaters Herodes I. zum Vorbild.267 Den Jerusalemern erwies er seine »Liebe« durch einen Steuererlaß, und als in Dora junge Leute die Synagoge mit einem Kaiserbild schändeten, legte er als Schutzherr der jüdischen Diaspora sofort bei Petronius Beschwerde ein, der die Bevölkerung von Dora entsprechend zurechtwies.268 Agrippa, der ja auch von den Hasmonäern abstammte, war in seinem Herrschaftsbereich auf Ausgleich und Frieden bedacht. Dies gilt auch für die rivalisierenden hochpriesterlichen Clans, die er durch eine Politik des divide et impera in Schranken hielt. So ernannte er statt Simon Kantheras bald wieder ein Mitglied der Hannasfamilie, Matthias, Sohn des Hannas, und kurz vor seinem Tod Anfang 44 n. Chr. mit Elionaeus, Sohn des Kantheras, wieder einen aus dem Clan Boëthos.269 266 Dieses
Weihgeschenk wird man analog zu den »barbarischen Waffen« anzusehen haben, die Herodes im Tempel anbringen ließ (vgl. o. S. 60 Anm. 117), es diente dann gewissermaßen als ein Siegeszeichen über den gottlosen Kaiser. Es besteht kein Grund dazu, wie Schwartz, Agrippa, 12–17.32.68 f. annimmt, diese Weihung ins Jahr 38 vorzuverlegen. S. auch Kokkinos, Dynasty, 282 f., der in der Weihung der Kette eine »compensation« für den versuchten Frevel des Kaisers sieht. Zu der heidnischen Stifterinschrift aus el Mushennef in der Auranitis, die für Agrippas glückliche Rückkehr aus Rom dankt (OGIS Nr. 418: ≠pÇr swthr‡a“ kur‡ou basilfiw“ ûAgr‡ppa …) und von der Errichtung eines Zeus-Apollon-Heiligtums aufgrund eines Gelübdes berichtet, s. Hengel / Schwemer, Paulus, 199. 267 Vgl. o. S. 54 Anm. 84. Josephus, ant. 19,297 f.: Josephus betont, daß die Familie des Boëthos damit wieder die gleiche hohe Zahl erreichte wie der Hohepriester Simon, Sohn des Onias, mit seinen drei Söhnen. Diese drei Söhne waren Onias III., Jesus-Jason (s. S. 57 Anm. 103) und Onias-Menelaos, die letzten zadokidischen Oniaden, die in Jerusalem als Hohepriester amtierten (vgl. ant. 12,237–240). Jason und Menelaos waren die hellenistischen Reformer, die die Krise unter Antiochus IV. auslösten. Vermutlich ging die Familie des Boëthos auf den Sohn Onias’ III., Onias IV., der nach Ägypten fliehen mußte (ant. 12,387) und dort einen JHWH-Tempel errichtete, zurück (vgl. o. S. 54 Anm. 83). Theophilos war 37 n. Chr. von Vitellius eingesetzt worden (ant. 18,123). Sein Name erscheint auf einer Ossuarinschrift, s. Rahmani, Catalogue, 258 f. Nr. 871: »Yohana, Tochter des Yohanan, Sohn des Thophlos, des Priesters«. Zu seinem Sohn Yohanan / Johannes s. Apg 4,6. Wenn Agrippa schon 38 n. Chr. Schutzherr des Tempels wurde, kann man mit der Ernennung Simon Kantheras’ schon in diesem Jahr rechnen, vgl. Hengel, KS II, 328; Hengel / Schwemer, Paulus, 377 f. Für diese Annahme sind die literarkritischen Scheidungen von Schwartz, Agrippa, 11–38 nicht nötig. 268 Josephus, ant. 19,299–311. 269 Josephus, ant. 19,313–316; zur Ernennung des Elionaeus s. ant. 19,342.
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Die in Apg 12,1–19 erwähnte Hinrichtung des Zebedaïden Jakobus und die Inhaftierung des Petrus fallen wahrscheinlich in diese Zeit (Passafest 43 n. Chr.), als wieder ein Mitglied der Familie des Hannas, die nationalbewußter als die aus Alexandrien stammende des Boëthos war,270 das höchste Amt innehatte. Nach Lukas hatte Agrippa einige Mitglieder der Urgemeinde »mißhandeln« und den Zebedaïden mit dem Schwert hinrichten lassen. Als er sah, daß dies den »Juden« gefiel, ließ er auch Petrus festnehmen, wollte seine Hinrichtung jedoch auf die Zeit nach dem Passafest und der darauffolgenden Woche der ungesäuerten Brote verschieben. Das Vorgehen Agrippas gegen führende Mitglieder der Urgemeinde in Jerusalem wird kaum seinen eigenen Interessen entsprungen sein, sonst hätte er die Christen nachdrücklicher verfolgt und das Verfahren nach der Flucht des Petrus nicht einfach mit der Hinrichtung der Wachen beendet.271 Nach dem Bild, das Josephus von Agrippas Regierung – wohl einer biographischen Quelle folgend – zeichnet, war diese bestimmt durch Milde,272 den Wunsch, seinen Untertanen – seien es Juden oder Heiden –, wo er konnte, einen Gefallen zu tun, und den sorgfältigen Bedacht auf Ausgleich zwischen den Parteien. Dazu gehörte, wie schon betont, daß er die beiden mächtigsten hochpriesterlichen Familien abwechselnd mit dem höchsten Amt versah. Die Urgemeinde in Jerusalem war besonders der Familie des Hannas ein Dorn im Auge: Kaiaphas, der Schwiegersohn des Hannas, war der amtierende Hohepriester, den Jesus beim Verhör mit seiner »Blasphemie«273 provozierte und der ihn zur Hinrichtung an Pilatus auslieferte. Für den andauernden Haß besonders dieses hochpriesterlichen Clans sprechen weiter die Verhörschilderungen Apg 4,5 ff. und 5,17 f. und die Hinrichtung des Herrenbruders Jakobus durch Hannas II. ca. 62 n. Chr.274 270 S.
dazu Hengel, KS II, 149.322–334. Vgl. o. S. 79 Anm. 219. Schwartz, Agrippa, 122 ff. vermutet politische Gründe, die Zebedaïden hätten den Zeloten nahegestanden; R. Riesner, Paulus, 109 f. sieht die Gründe für die Verfolgung in den eigenen messianischen Ansprüchen des Königs und dem Beginn der Heidenmission; er datiert die Verfolgung zu früh auf das Passafest 41, als Agrippa noch gar nicht im Lande sein konnte. Auch müßte man dann von einem weiteren Vorgehen Agrippas gegen Christen hören. S. dazu Hengel / Schwemer, Paulus, 369–383. Die Verfolgung unter Agrippa I. und die Flucht des Petrus bedeuteten einen tiefen Einschnitt in der Geschichte der Urgemeinde, s. dazu Hengel, Petrus, 15.125; A. M. Schwemer, Verfolger. 272 Als Beispiel der königlichen Milde führt Josephus, ant. 19,332–334 sein Verhalten gegenüber einem Schriftgelehrten an, der Agrippas rein jüdische Abstammung bzw. seine rituelle Reinheit bezweifelt und gefordert hatte, ihn vom Besuch des Tempels auszuschließen. 273 Mk 14,60–64; vgl. Schwemer, Passion, 149 f. mit Verweis auf den Rechtsgrundsatz (bei Josephus, c. Ap. 2,194): »Wer dem Hohenpriester ungehorsam ist, muß vom Hohenpriester, wie wenn er sich gegen Gott vergangen hätte (üsebùn), bestraft werden«, der wohl von Ex 22,27 abgeleitet wurde; vgl. Apg 23,5. 274 S. dazu Hengel / Schwemer, Paulus, 379 f. und u. S. 573. Zu Hannas II. als führendem Sadduzäer s. § 4. Das Martyrium des Stephanus (um ca. 32 n. Chr.) und die Vertreibung der »Hellenisten« aus Jerusalem werden dagegen nicht auf eine direkte Verfolgung durch Kaiaphas zurückgehen, sondern das Resultat der Auseinandersetzungen in den griechischsprachigen 271 D. R.
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Deshalb liegt es nahe, daß Agrippa mit seinem Vorgehen gegen die Urgemeinde dem Hannasclan einen Gefallen tun wollte und zugleich auf die Reaktion der Jerusalemer achtete. Für politisch gefährlich wird er diese Schwärmer genauso wenig gehalten haben wie die römischen Präfekten und späteren Prokuratoren, von denen es keiner für nötig hielt, in der Zeit zwischen 30 und 66 n. Chr. in Palästina gegen Christen vorzugehen.275 Die römische Herrschaft wurde von anderen, zelotischen Gruppen in Frage gestellt. Am ersten jüdischen Krieg beteiligten sich Christen nicht, die Urgemeinde floh bei Ausbruch des Krieges 66 n. Chr. nach Pella. Erst nach dem Kriege sollen die »Herrenverwandten« wie andere Juden wegen ihrer davidischen Herkunft in römischen Augen verdächtig geworden sein.276 Sowohl die biographische Quelle des Josephus als auch die spätere rabbinische Literatur277 rühmen die jüdische Frömmigkeit des Königs, auch Caligula wunderte sich über Agrippas abergläubische Sorge um das Jerusalemer Heiligtum, was freilich nicht so sehr als Zeichen seiner persönlichen Frömmigkeit, sondern eher als Indiz für seine Rücksichtnahme auf die verschiedenen Parteien zu werten ist und für seine Einsicht, daß mit der Errichtung eines Kaiserbildes im Jerusalemer Heiligtum die Toleranzgrenze überschritten und ein jüdischer Aufstand gegen Rom unvermeidlich geworden wäre. An pharisäischen Reinheitsbestimmungen hatte er kaum Interesse, aber er erfüllte seine politisch-religiösen Pflichten gewissenhaft und ostentativ.278 Nach dem Vorbild seines Großvaters betätigte sich Agrippa auch als Bauherr in den hellenistischen Städten mit ihrer jüdischen Diaspora; so soll er vor allem Synagogen Jerusalems sein, die von dem Hohenpriester gedeckt wurden. S. dazu Hengel, Zwischen Jesus und Paulus = KS III, 1–67 (38 f.). Der Hohepriester hatte nicht das Recht, eine Kapitalstrafe zu verhängen, seine Macht reichte auch nicht bis nach Damaskus, um von dort mißliebige Personen in Ketten nach Jerusalem zu bringen. Die konkreten Vorgänge, die Lukas schildert, sprechen für eine Lynchjustiz in einer Jerusalemer Synagogengemeinde, das Verhör durch den Hohenpriester selbst (der sich literarkritisch leicht vom Kontext abheben läßt) ist eine typisch lukanische Übertreibung. S. Bd. II. 275 Vgl. 1 Thess 2,14; auch die Apostelgeschichte spricht nur von Verfolgungen durch Juden. Vgl. auch Mk 13,9; Lk 12,11 f.; 21,12; Mt 10,17; 23,34. Dieser Tatbestand wird in der gegenwärtigen Forschung zuwenig beachtet. Er wirft auch ein Licht auf den Prozeß Jesu; s. u. S. 620. 276 Euseb, h. e. 3,12: Eine Verfolgung habe es in Palästina gegen »Herrenverwandte« gege ben, als Vespasian nach dem Sieg über die Aufständischen alle Nachkommen Davids aufspüren ließ. 277 mSota 7,8; ySota 7,7(8),22a: »Der König Agrippa stand auf, nahm (die Torarolle) in Empfang und las stehend. Und die Weisen lobten ihn deswegen. Und als er zu (dem Satz) kam: ›Du darfst keinen Fremden über dich setzen, der nicht dein Bruder ist‹ (Dtn 17,15), flossen Tränen aus seinen Augen. Da sprachen (die Umstehenden) zu ihm: Fürchte dich nicht, Agrippa, du bist unser Bruder!« (Übersetzung F. G. Hüttenmeister, Sota, ÜTY III / 2, Tübingen 1998, 181). 278 Josephus, ant. 19,331; zu Caligula s. Philo, legat. 268. S. dazu Hengel / Schwemer, Paulus, 377.
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Berytos (Beirut), das schon von seinem Großvater bedacht wurde und 15 n. Chr. eine römische Kolonie geworden war, begünstigt haben.279 Andererseits wollte er den Zusammenhalt der Klientelfürsten im Osten des Römischen Reiches, die zum Teil mit dem herodianischen Haus verwandt waren, stärken, um damit seinen eigenen politischen Einfluß zu vergrößern, und lud diese zu einem Treffen in seiner Residenz in Tiberias ein. Josephus nennt Antiochus von Kommagene, Samsigeramus von Emesa, Kotys von Kleinarmenien, Polemon von Pontus und seinen Bruder Herodes von Chalkis. Dies weckte jedoch den Argwohn des römischen Statthalters in Syrien, Marsus, der ein solches Einvernehmen als nicht den römischen Interessen entsprechend ansah.280 Er kam nach Tiberias und bereitete der illustren Versammlung ein abruptes Ende. Schon zuvor hatte Marsus Agrippa wegen des Baues der »dritten Mauer« in Jerusalem beim Kaiser denunziert.281 Agrippa I. starb nach ca. dreijähriger Herrschaft über nahezu das gesamte Gebiet seines Großvaters im Alter von nur 54 Jahren ganz unerwartet in Caesarea Maritima.282 Nach Apg 12,20–23 hatten ihn die Städte Sidon und Tyros um eine Audienz und Frieden gebeten, denen er aus ungenanntem Grund so zürnte, daß er ihnen die Versorgungslieferungen, zum Beispiel Getreide aus Galiläa, gesperrt hatte. Glanzvoll auftretend habe er sich vom Volk schmeicheln lassen: qeoú fwnÉ kaÑ o§k ünqr„pou, aus ihm spreche »die Stimme eines Gottes, nicht eines Menschen« (12,22), woraufhin ihn, so erzählt die lukanische Version, der Engel Gottes mit tödlicher Krankheit schlug, so daß er rasch von Würmern bei lebendigem Leib zerfressen starb. Ähnlich schildert Josephus das Ende Agrippas: Nicht ein Streit mit Sidon und Tyrus, sondern Spiele zu Ehren des »Caesar« seien der Anlaß dafür gewesen, daß Agrippa in einem völlig aus Silber gewobenen Gewand auftrat, das in der Morgensonne aufleuchtete, so daß ihn die »Schmeichler« einen Gott nannten.283 Da der König der Schmeichelei nicht 279 Josephus, ant. 19,335–337. Vgl. auch die Bauinschrift seiner Kinder Berenike und Agrippa II., dazu u. S. 104 f. Anm. 357. 280 Josephus, ant. 19,338–341. 281 Josephus, ant. 19,326 f. Diese Mauer sollte die Nordseite der Stadt sichern, wo Jerusalem keinen natürlichen Schutz durch Felsabhänge hatte. Josephus, bell. 2,218 f. betont: Wäre diese Mauer vollendet worden, wäre Jerusalem für die Römer uneinnehmbar gewesen. Ihr Bau sei wegen des vorzeitigen Todes Agrippas eingestellt worden. 282 Josephus, bell. 2,219; ant. 19,343.350 ff. Der genaue Zeitpunkt von Agrippas Tod läßt sich nicht mehr sicher feststellen, weil Josephus es versäumt, den Namen des Kaisers anzugeben, für dessen swthr‡a die Spiele stattfanden. Vermutlich starb er im Winter / Frühjahr 44 n. Chr. 283 Josephus, ant. 19,345: fwnÅ“ üneb·wn, qeÖn prosagore‚onte“, e§menfl“ te e¥h“, †pilfigonte“, e¢ kaÑ mficri nún Æ“ ±nqrwpon †fobflqhmen, üllÅ to§nteúqen kre‡tton› se qnhtö“ f‚sew“ ¨mologoúmen. Vgl. H.-J. Klauck, Des Kaisers schöne Stimme. Herrscherkritik in Apg 12,20–23, in: ders., Religion und Gesellschaft im frühen Christentum, WUNT 152, Tübingen 2003, 251–267, der sich zu Recht gegen die Vermutung von Mason wendet, Lukas verwende Josephus als Quelle (256 f.). In Wirklichkeit handelt es sich um eine volkstümliche
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widersprach, ergriff ihn eine Krankheit, der er – seine Hybris zutiefst bedauernd – erlag. Die Untertanen dankten Agrippa seine Wohltaten wenig. Seine nichtjüdischen Truppen, rekrutiert aus Caesarea und Sebaste, stellten die Statuen seiner Töchter in Bordellen auf,284 die jüdischen Untertanen reagierten auf seinen Tod nach kurzer Herrschaft mit der bei Lukas und Josephus erhaltenen Geschichte, daß er den Herrscherkult als Schmeichelei geduldet habe und eben deshalb den qualvollen Tod eines Gottesfeindes gestorben sei.285 Agrippa hinterließ einen Sohn, Agrippa (II.), den er längst als Nachfolger, wie aus seiner Münzprägung hervorgeht, vorgesehen hatte und der – wie schon sein Vater und die Söhne Herodes’ I. – in Rom erzogen wurde.286 Doch da Agrippa II. damals erst siebzehn Jahre alt war, soll ihn Claudius entgegen seinem ursprünglichen Vorsatz auf Rat seiner Freigelassenen und Freunde hin nicht zum Erben des Reiches seines Vaters eingesetzt, sondern Cuspius Fadus als Prokurator nach Judäa und in das gesamte ehemalige Königreich gesandt haben.287 Dies war, wie sich bald herausstellen sollte, ein verhängnisvoller politischer Fehler. Die herodianische Politik des Ausgleichs mit Rom bei gleichzeitiger Wahrung der jüdischen religiösen Identität und der »nationalen Interessen« wäre der einzige gangbare Weg gewesen, das jüdische Volk im Mutterland in die römische Herrschaft zu integrieren. Die ständig wechselnden Prokuratoren, die zum Teil kaiserliche Freigelassene und Günstlinge waren, waren dieser Aufgabe nicht gewachsen. Agrippa II. als Nachfolger seines Vaters und König von Judäa hätte wohl den Ausbruch des Jüdischen Krieges verhindern können. Erzählung aus mündlicher Tradition. Josephus und Lukas ergänzen sich hier. Die geschilderte Krankheit Apg 12,23 ist die göttliche Strafe für den Gottesfeind, s. Barrett, Acts I, 591 f. 284 Nach Josephus, ant. 19,356 ff. ist es die gesamte Bevölkerung dieser Städte; daß Agrippa I. im »heidnischen« Caesarea Statuen seiner Töchter überhaupt aufstellte, ist eines der Indizien für seine kaum der pharisäischen Gesetzesstrenge entsprechende, »liberale« Einstellung. Claudius wollte die antijüdischen Truppen wegen dieses Vorfalls nach dem Pontus strafversetzen lassen, s. Josephus, ant. 19,364 ff. Vgl. u. S. 95. 285 Apg 12,22 f.; Josephus, ant. 19,345–350 vermerkt jedoch auch die große Trauer des Volkes mit Fasten und Beten für den sterbenden König (349). Zum qualvollen Tod des Gottesfeindes vgl. Antiochus IV. (2 Makk 9,5–28); Judas (Mt 27,5; Apg 1,18; weiter gesteigert bei Papias mit den Motiven Eiter, Gestank und Würmer, s. Frag. III,2 in: Die Apostolischen Väter. Griechisch-deutsche Parallelausgabe …, neu übersetzt und hg. v. A. Lindemann und H. Paulsen, Tübingen 1992, 294); Herodes I. (Josephus, bell. 1,656 ff.; ant. 17,168 ff.); Titus (wird nach der jüdischen Legende von einer Mücke zu Tode gepeinigt, s. bGittin 56b); vgl. auch Laktanz, De mortibus persecutorum. 286 Zu den Münzen vgl. die Übersicht Schürer I, 471 Anm. 1; Y. Meshorer, Jewish Coins of the Second Temple Period, Tel-Aviv 1967, 138–141.141–151; ders., Ancient Jewish Coinage, New York 1982, II, 250–258; Kokkinos, Dynasty, 286. In einem Brief, den Josephus dem Claudius zuschreibt, bezeichnet ihn der Kaiser mit »mein (Freund) Agrippa, den ich erzogen habe und den ich bei mir habe«; Josephus, ant. 20,12. 287 Josephus, ant. 19,360–363. Vgl o. S. 64 zu dieser für das weitere Schicksal Palästinas verhängnisvollen Entscheidung.
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3.1.5 Die Zeit der Prokuratoren (44–66 n. Chr.) Judäa wurde nun wieder eine Provinz, an deren Spitze jetzt Prokuratoren aus dem Ritterstand bzw. kaiserliche Freigelassene standen. Cuspius Fadus (44–46 n. Chr.) legte zunächst den offenen Konflikt, der zwischen Juden in Peräa und der Stadt Philadelphia wegen Grenzstreitigkeiten ausgebrochen war, bei und verurteilte einen »Erzräuber«, der Idumäa unsicher gemacht hatte, zum Tode, so daß »von da an ganz Judäa durch die Sorgfalt und Klugheit des Fadus von Räubern gereinigt war.«288
Ebenfalls zu Beginn seiner Amtszeit verlangte er, daß das hohepriesterliche Gewand wieder unter römische Obhut in der Antonia kommen solle, willigte jedoch ein, daß eine jüdische Gesandtschaft diese Frage dem Kaiser zur Entscheidung vorlegte, der unter Berufung auf die Meinung des jungen Agrippa (II.) bestimmte, daß die durch Vitellius getroffene Regelung beibehalten werden sollte.289 Das Recht, die Hohenpriester einzusetzen, erhielt Herodes, König von Chalkis, der damit in der Nachfolge seines Bruders Agrippa I. zum Schutzherrn des Tempels ernannt wurde.290 Unter Fadus trat der »Pseudoprofet« Theudas auf, der eine große Menschenmenge mitsamt ihrem Besitz zum Jordan führte mit der Verheißung, daß sich der Fluß teilen und sich das Wunder des Einzugs unter Josua in umgekehrter Richtung wiederholen würde. Es ist der erste Zug in die Wüste unter einem der eschatologischen Profeten,291 von dem wir erfahren. Fadus verhinderte diesen »Exodus« und sandte eine Reitertruppe – die Anhänger des Theudas fielen im Kampf oder wurden gefangengenommen. Den Kopf des Theudas ließ Fadus zur Warnung als Trophäe nach Jerusalem bringen.292 Josephus bezeichnet ihn als g·h“,293 vermeidet es aber bewußt zu erwähnen, daß seine Anhänger natürlich bewaffnet waren. In der Gamalielrede erscheint Theudas in historisch falscher Reihenfolge vor Judas Galiläus (Apg 5,36 f.) als profetisch-messianischer Prätendent, die von ihnen ausgelösten Volksbewegungen werden mit der Jesu verglichen.294 288 Josephus,
ant. 20,5. ant. 20,6–14. 290 Josephus, ant. 20,15 f. 291 Doch vgl. die Bedeutung von Jes 40,3 für Johannes den Täufer, s. u. S. 300. Vgl. auch 1QS VIII 14, dazu u. S. 303 Anm. 36. 292 Josephus, ant. 20,97 ff. Vgl. dazu u. den Exkurs S. 98–101. 293 »Gauner, Betrüger, Zauberer, betrügerischer Wundertäter«; der terminus technicus fällt 20,97 zum ersten Mal in den Antiquitates; vgl. Hengel, Zeloten, 235 f.238 f. zu Theudas und zum Zug in die Wüste. 294 Vgl. Hengel, Zeloten, 236 Anm. 4. 289 Josephus,
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Sowohl Fadus wie seinem Nachfolger Tiberius Julius Alexander (46–48 n. Chr.) stellt Josephus im Bellum ein gutes Zeugnis aus: »Beide konnten in Ruhe über das Volk herrschen, weil sie seine ihm eigentümlichen Sitten nicht verletzten.«295
Daß es sich nur um eine relative Ruhe gehandelt haben kann – ähnlich wie beim pauschalen Urteil des Tacitus: sub Tiberio quies – im Vergleich mit den vorhergehenden und nachfolgenden Krisen, wird durch den ausführlicheren Bericht in den Antiquitates deutlich erkennbar. Für Tiberius Alexander, Sohn des Alabarchen Alexander und Neffe Philos und damit aus der jüdischen Hocharistokratie Alexandriens stammend,296 der um einer verheißungsvollen militärisch-politischen Karriere willen Apostat geworden war,297 bedeutete seine Amtszeit in Judäa eine kurze Zwischenstation.298 Er ließ zwei Söhne des Judas Galiläus, Jakobus und Simon, kreuzigen; auf die näheren Umstände geht Josephus nicht ein, aber sicher sollte dies der »Ruhe« des Volkes dienen und die politischen Umtriebe der »vierten Partei« unterbinden, die durch eine schwere Versorgungskrise in Palästina, die zu einer Teuerung der Lebensmittel führte und die die ärmeren Bevölkerungsschichten hart traf, angeheizt worden war.299 Die fromme Königin Helena von Adiabene, das zum Partherreich gehörte, die zusammen mit ihrem Sohn Izates zum Judentum übergetreten war, linderte mit dem Kauf von Getreide in Ägypten und von Feigen in Zypern die »große Hungersnot«, die sich bereits unter Fadus angebahnt hatte und längere Zeit anhielt300 und von der auch die christlichen Gemeinden in Judäa – und hier vor allem die in Jerusalem – betroffen waren.301 Schon unter Cumanus (48–52 n. Chr.) rächte es sich, daß Claudius die judenfeindlichen Auxiliartruppen, die in Caesarea und Sebaste angeworben wurden, 295 Josephus,
bell. 2,220. war der Sohn des jüdischen Rothschild seiner Zeit. Seine Familie besaß nicht nur das römische Bürgerrecht, sondern auch ritterlichen Rang. Sein Vater verwaltete das Vermögen der Antonia minor, der Mutter des Claudius (Josephus, ant. 19,276). Sein früh verstorbener Bruder Marcus hatte Berenike, die Schwester Agrippas II., geheiratet. Zu beiden s. R. D. Sullivan in: ANRW II.8, 1978, 932–935. 297 Josephus, ant. 20,100: toõ“ gÅr patr‡oi“ o§k †nfimeinen oñto“ ≤qesin. 298 Zu seiner Laufbahn vgl. Tacitus, ann. 15,28,3 (Stern, GLAJJ II, 86 f.) u. ö.; dazu Schürer I, 457 f. Anm. 8; III / 2, 815 Anm. 14. 299 Josephus, ant. 20,102; vgl. Hengel, Zeloten, 265.338.352 f.356; zur Dynastie des Judas Galiläus s. o. S. 48 Anm. 52; S. 77 Anm. 208 und u. S. 101 Anm. 335. 300 Josephus, ant. 20,101: mfigan lim·n, das heißt »große Teuerung«; vgl. ant. 20,51 f.; ant. 3,320 f. Zu den Versorgungskrisen unter Claudius vgl. Riesner, Paulus, 112–119; Hengel / Schwemer, Paulus, 365–369. Zur »Bekehrung« des Königshauses von Adiabene vgl. Hengel / Schwemer, Paulus, 108 f. Helena wurde in Jerusalem in einem prunkvollen Grabmal bestattet, das Pausanias (8,16,5) erwähnt und das heute noch sichtbar ist. 301 Apg 11,28 ff.: Die von dem Profeten Agabos angesagte limÖ“ meg›lh führt zu einer Hilfsaktion der »Jünger« in Antiochien für die »Brüder in Judäa«. S. dazu Bd. II. 296 Er
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nach ihren Ausschreitungen beim Tod Agrippas I. nicht nach Pontus strafversetzt, sondern auf ihre Bitten hin im Lande belassen hatte.302 Ein Soldat, der auf dem Dach der den Vorhof umgebenden Säulenhallen postiert war, provozierte mit einer obszönen Geste beim Passafest die Pilger im Tempel; der Prokurator besänftigte die Menge nicht mit der sofortigen Bestrafung dieser »Blasphemie«, sondern ließ, als Steine flogen, verstärkte Truppen aufmarschieren, so daß die fliehenden Festteilnehmer sich an den engen Tempeltoren und ‑treppen und in den Straßen der Stadt gegenseitig niedertraten.303 Beim nächsten Zwischenfall verhielt sich der Prokurator ganz anders: »Revolutionäre« Zeloten hatten einen kaiserlichen Sklaven, der vermutlich Abgaben transportierte, in der Nähe von Beth Horon überfallen und beraubt. Einer der Soldaten, die zur Strafaktion in die umliegenden Dörfer ausgesandt wurden, wo die Aufständischen Unterstützung gefunden hatten, zerriß dort eine Torarolle und verbrannte sie. Dieses Mal reagierte Cumanus auf die jüdische Beschwerde sofort mit der Hinrichtung des Schuldigen wegen des Sakrilegs.304 Wie sehr die Kühnheit der Zeloten inzwischen gewachsen war, zeigte sich, als ein galiläischer Festpilger in einem samaritanischen Grenzort, Ginai / Gema (das heutige Jenin), ermordet wurde.305 Da Cumanus die Schuldigen nicht bestrafte, griffen die in Jerusalem versammelten Pilger zur Selbsthilfe, riefen zu den Waffen auf und zerstörten unter der Führung von zelotischen Freischärlern, Eleazar ben Dinai306 und Alexander, samaritanische Dörfer. Cumanus griff mit seiner Heeresmacht ein und nahm viele gefangen. Die aus Jerusalem herbeigeeilten Volksführer baten die aufständische Bevölkerung inständig »in Sack und Asche«, die Waffen niederzulegen, und erreichten, daß die Leute nach Hause zurückkehrten und die »Räuber« sich in ihre Verstecke in der judäischen Wüste zurückzogen. Wieder war die Provinz wie während der Caligula-Krise an den Rand des Krieges gekommen. Die Folge dieser Zwischenfälle war eine fortschreitende Destabilisierung. »Viele (der Juden) wandten sich jedoch dem Räuberunwesen zu, weil sie (keine Strafe)
zu fürchten hatten. Die Raubzüge ereigneten sich im ganzen Land, wie auch (offene) Aufstände der Waghalsigeren.«307
302 Vgl.
o. S. 92 Anm. 284. bell. 2,224–227; ant. 20,108–112. 304 Josephus, bell. 2,228–231; ant. 20,113–117. Beim Verbrechen des Sakrilegs war das römische Recht unnachsichtig. Die Zerstörung einer Torarolle wog so schwer wie die Zerstörung von Götterbildern oder eines Tempels. 305 Josephus, bell. 2,232–246; in ant. 20,118–136 wurden mehrere Pilger getötet; vgl. Hengel, Zeloten, 353 ff. Vgl. auch u. S. 278. 306 Josephus, ant. 20,121; dieser ben Dinai gilt in der Mischna (mSota 9,9) noch als großer Mörder; in MShir 2,18 dagegen ist er einer, der Israel befreien wollte. Zu seiner Gefangennahme durch Felix s. u. S. 97 Anm. 315. 307 Josephus, bell. 2,238; vgl. ant. 20,124. Übersetzung Hengel, Zeloten, 354. 303 Josephus,
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Die Samaritaner baten den Statthalter in Syrien, Ummius Quadratus, um Bestrafung der Juden. Dieser führte ein Verhör in Samarien durch und ließ einige Hauptschuldige, Samaritaner und Juden, kreuzigen. In Judäa griff er noch strenger durch: Jüdische Aufständische ließ er sofort hinrichten, den Hohenpriester Ananias, Sohn des Nedebäus, und den Tempelhauptmann Ananos (Hannas) sandte er in Ketten nach Rom, aber auch Cumanus mit seinem Militärtribun Celer, dem Befehlshaber einer Kohorte, und samaritanische Vornehme mußten sich vor Claudius verantworten. Claudius entschied zugunsten der Juden, dabei war wieder Agrippa II. für sie eingetreten.308 Cumanus wurde verbannt, die Samaritaner hingerichtet und Celer auf Befehl des Kaisers nach Jerusalem zurückgebracht, in einem öffentlichen Schauspiel durch die Stadt getrieben und anschließend geköpft.309 Die römische Herrschaft versuchte, unparteiisch zu sein und durch strenges Vorgehen gegen Übergriffe auszugleichen, hatte dabei aber keine glückliche Hand. Nachdem Herodes von Chalkis (ca. 48/49 n. Chr.) gestorben war, erhielt Agrippa II. die Herrschaft über das Gebiet seines Onkels Herodes im Libanongebiet und dessen Privileg als Schutzherr des Tempels, die Hohenpriester einzusetzen.310 Im Jahr 53 n. Chr. verlieh ihm Claudius die Königswürde und das Gebiet der ehemaligen Tetrarchie des Philippus, aber über das jüdische Kernland Judäa, (den größeren Teil von) Galiläa, Idumäa, Peräa und Samarien herrschten weiterhin römische Prokuratoren.311 Auf Cumanus folgte Antonius Felix (52–59 n. Chr.),312 ein kaiserlicher Frei gelassener und Bruder des am Hof des Claudius mächtigen Pallas,313 vermutlich auf Bitte des Hohenpriesters Jonathan ernannt; unter ihm »nahmen in Judäa die Verhältnisse immer mehr eine Entwicklung zum Schlimmeren,
denn das Land war wieder von Räubern und Betrügern erfüllt, die das Volk in die Irre führten.«314 308 Josephus,
ant. 20,135; vgl. o. S. 93. bell. 2,246; ant. 20,136. Warum Celer so schändlich bestraft wurde, erklärt Josephus nicht, vermutlich war er der Führer der für die Sicherheit des Tempels während des Festes, an dem der Aufstand begann, verantwortlichen Kohorte, die besondere Grausamkeiten gegenüber den Juden begangen hatte. 310 S. ausführlicher u. S. 105 Anm. 360 f. 311 Vgl. dazu u. S. 105. 312 Felix heiratete die Schwester Agrippas II., Drusilla, nachdem er sie durch den jüdischen Magier Atomus überredet hatte, ihren Gemahl, König Azizos von Emesa, der zum Judentum übergetreten war, zu verlassen; eine »Gesetzesübertretung« Drusillas, die Josephus tadelt, s. ant. 20,142 f.; vgl. Tacitus, hist. 5,9; Sueton, Claud. 28. S. auch Apg 24,24–26 und u. S. 101 Anm. 336. 313 Claudius überließ die Verwaltung des Reiches weitgehend seinen Freigelassenen. 314 Josephus, ant. 20,160. Zum Charakter des Felix vgl. Tacitus, hist. 5,9: per omnem saevitiam ac libidinem ius regium servili ingenio exercuit (»mit aller Grausamkeit und Willkür übte er die königliche Macht mit Sklavengesinnung aus«; vgl. Stern, GLAJJ II, 21); ähnlich ann. 12,54 (Stern, GLAJJ II, 76 f.; dazu den Kommentar S. 78–82). 309 Josephus,
§ 3 Das Judentum unter römischer Herrschaft im 1. Jahrhundert vor und nach Christus
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»Räuber« und »Betrüger« umschreiben die religiös-politischen Unruhestifter in
ihrer ganzen Bandbreite von schlichten Banditen, gemäßigteren und radikalen Zeloten bis hin zu den jetzt häufiger auftretenden eschatologischen Profeten. Den »Räuberhauptmann« Eleazar ben Dinai, einen populären Zelotenführer, der sich zwanzig Jahre in den Verstecken und Höhlen der judäischen Wüste halten konnte und vermutlich nach der Kreuzigung der Söhne des Judas Galiläus durch Tiberius Alexander die Führung der radikalen Aufstandsbewegung übernommen hatte, lockte Felix mit der Zusicherung von Straffreiheit nach Caesarea und ließ ihn dann gefesselt nach Rom transportieren.315 Mit der Bemerkung: »Die Zahl der von ihm gekreuzigten Räuber und der Einwohner, denen eine Ver-
bindung mit diesen nachgewiesen werden konnte und die er darum bestrafte, stieg ins Ungeheure.«316
illustriert der Augenzeuge Josephus den wachsenden Rückhalt der Zeloten bei der jüdischen Landbevölkerung, die durch grausame Strafaktionen und durch zahlreiche Kreuzigungen nicht abgeschreckt, sondern in ihrem Haß auf die Römer bestärkt mehr und mehr auf die Seite der antirömischen »Freiheitsbewegung« gedrängt wurde. Die Befriedung des Landes durch die konsequente Bekämpfung der radikalen Unruhestifter samt ihren Sympathisanten und Unterstützern scheint Felix gegen Ende seiner Amtszeit aufgegeben zu haben. Im Gegenteil, er bediente sich nun selbst über einen bestochenen Mittelsmann der »Sikarier«, um den ehemaligen Hohenpriester Jonathan, Sohn des Hannas, ermorden zu lassen, der über gute Beziehungen nach Rom verfügte und der die Amtsführung des Felix getadelt hatte.317 Radikale Zeloten waren zu einer neuen Taktik übergegangen, sie beseitigten ihre Gegner nun nicht mehr nur auf dem Lande, sondern jetzt auch in Jerusalem, wo sie sich, »den Dolch im Gewande«, unter die Festpilger mischten und ihre Morde heimtückisch und ungestraft mitten in den Menschenmengen sogar im Tempelbezirk ausführen konnten.318 315 Josephus, ant. 20,161. Dazu Hengel, Zeloten, 356 f. Er wird von Josephus und in der talmudischen Literatur erwähnt. S. o. S. 95 Anm. 306. 316 Josephus, bell. 2,253; vgl. ant. 20,160. 317 Josephus, bell. 2,256; ant. 20,163 f. Vgl. Hengel, Zeloten, 357 f.; anders Gabba, History, 145. 318 Der Name sik›rioi ist ein Latinismus (sicarius, s. Georges, Lateinisches Handwörterbuch II, 2650: »Meuchelmörder, Bandit«) und leitet sich von der Waffe sica, »Dolch«, her. Es ist keine ursprünglich jüdische Gruppenbezeichnung und wird von Josephus im Bellum vor allem auf die Anhänger des Judas Galiläus bezogen. Josephus, bell. 2,254 ff.: »… in Jerusalem wuchs eine neue Gattung von Räubern empor, die sogenannten Sikarier. Am hellichten Tag und mitten in der Stadt mordeten sie Menschen, besonders an den Festen mischten sie sich unter die Menge und stachen mit kleinen Dolchen (xif‡dia = sica), die sie unter ihren Kleidern verborgen hatten, ihre Gegner nieder. … aber noch schlimmer als die Mordfälle selbst war die Furcht davor, denn
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I. Das Judentum
Exkurs: Endzeitliche Profeten Zugleich nahmen unter Felix und seinen Nachfolgern die »falschen« Profeten weiter zu, die ihre Scharen in die Wüste führten, denn »dort werde ihnen Gott Wunderzeichen zeigen, die die Freiheit ankündigen«.319
Die Hände dieser Volksverführer seien zwar reiner gewesen, da sie sich nicht mit Mord befleckten, aber sie hätten nicht weniger als die Sikarier zur Zerstörung Jerusalems beigetragen. Nach der apokalyptischen Vorstellung, daß die letzten Dinge wie die ersten geschehen werden,320 führten sie ihre Anhänger nach Osten über den Jordan in die Wüste, so wie einst die Israeliten von Mose geführt aus der Sklaverei in Ägypten durch das Schilfmeer in die Wüste gezogen waren. Diesen »Zug in die Wüste« wollten schließlich auch die letzten zelotischen Verteidiger der Oberstadt in Jerusalem einschlagen, als Titus sie zur Übergabe nach der Tempelzerstörung im Jahr 70 n. Chr. aufforderte: »Sie könnten die Übergabebedingungen von ihm nicht annehmen, da sie geschworen
hätten, dies nicht zu tun, sie bäten aber um freien Abzug mit Frauen und Kindern, denn sie wollten in die Wüste ziehen und ihm die Stadt überlassen.«321 Die Hoffnung, das endzeitliche Heil werde in der Wüste anbrechen, war durch die alttestamentliche Profetie vorgegeben und schon längere Zeit erneut lebendig.322 Josephus hütet sich, die Verheißungen dieser Profeten in wörtlicher Rede wiederzugeben. Allein ihre Ankündigungen hebt er hervor: daß die Volksscharen in der Wüste die tfirata kaÑ shmeõa, die Zeichen und Wunder, des Wüstenzuges Israels sehen würden als Zeichen der anbrechenden Freiheit. Eine eher die pharisäischen Erwartungen für die Endzeit, nicht direkt die zelotischen Hoffnungen spiegelnde Schrift, die Vitae Prophetarum, hat uns solche aus der alttestamentlichen Profetie erwachsenen und den alttestamentlichen Profeten zugeschriebenen endzeitlichen Weissagungen aus der Zeit vor 70 n. Chr. erhalten. Nach der Jeremia-Vita wird in der Endzeit das Volk vor dem Endfeind zum Sinai fliehen und dort von Mose und Aaron nach der »Erstauferstehung« der Gesetzeslade das Gesetz erneut erhalten. Der Profet Jona verheißt, so wie er einst Ninive den Untergang vorhergesagt hat, daß auch
jeder erwartete, wie im Krieg, stündlich seinen Tod.« Vgl. die Worterklärung von »sica« in ant. 20,186. Dazu Hengel, Zeloten, 47 f. u. ö. 319 Josephus, bell. 2,259; vgl. ant. 20,167 f. 320 Barn 6,13: »Der Herr spricht: Siehe, ich mache das Letzte wie das Erste.« Zum rabbinischen Grundsatz »Wie der erste Erlöser (Moses), so der letzte Erlöser (der Messias)« (QohR 1,28 u. ö.) vgl. J. Jeremias, Art. MwÊsö“, ThWNT IV, 864 f. 321 Josephus, bell. 6,351; vgl. 366 zum Schwur, sich nicht zu ergeben; dazu Hengel, Zeloten, 260 f. Die Verteidiger von Masada hatten Beziehungen nach Jerusalem; vgl. u. S. 111 Anm. 391. Der Besatzung von Machärus gewährten die Römer freien Abzug – vermutlich in die Wüste (Josephus, bell. 7,205 f.). 322 Vgl. o. S. 93 zu Theudas; ein analoger Fall war der samaritanische Profet, der im Jahr 35/36 die Tempelgeräte auf dem Garizim finden wollte (s. u. S. 147 Anm. 120). Vgl. auch das Zitat von Jes 40,3 in 1QS VIII 14 und zu Johannes dem Täufer u. S. 300. Weiter Hengel, Zeloten, 236–243.255–261 zu den verschiedenen Gründen des Rückzugs in die Wüste seit der Makkabäerzeit.
§ 3 Das Judentum unter römischer Herrschaft im 1. Jahrhundert vor und nach Christus
99
Jerusalem von den Feinden dem Erdboden gleichgemacht werden würde.323 In der Vita des Profeten Sacharja wußte dieser nicht nur vom Wiederaufbau des Tempels nach dem Exil, sondern auch davon, daß dieser in der Endzeit von einem Volk aus dem Westen, das heißt den Römern, zerstört werden würde, aber dann dort am Sinai, wo Mose schon das erste Heiligtum errichtete, der neue Tempel offenbart werden würde.324 Die Vitae Prophetarum rechnen nicht mit dem Auftreten neuer Profeten, sondern die Katastrophen der Endzeit brechen herein, so wie es einst die Profeten vorhergesagt haben. Die Führer des Volkes in der Endzeit werden wieder Mose, »der Erwählte Gottes« (VitProph 2,11), Aaron und Jeremia sein; der Messias spielt hier eine untergeordnete militärische Rolle, er wird nur der Herrschaft der Ptolemäer ein Ende setzen.325 Die neuen Profeten, die in den spannungsgeladenen, von endzeitlichen Hoffnungen erfüllten Jahrzehnten, als der zelotische Eifer für das Gesetz, der Kampf gegen alle heidnische Unreinheit und der Haß auf die römisch-heidnische Fremdherrschaft weiter zunahmen, vor und im ersten jüdischen Krieg auftraten, lassen sich zum Teil deutlich dem Typus des Mose redivivus in Erfüllung von Dtn 18,15 zuordnen, so der samaritanische Profet im Jahr 35/36, gegen dessen Gefolgschaft Pilatus vorging,326 oder Theudas, dessen Unternehmen Fadus zerschlagen hatte.327 Mit ähnlichen Versprechungen lockten in den fünfziger Jahren weitere Profeten die Volksscharen in die Wüste. Die Erwartung der Freiheit vom römischen Joch und die Ablehnung der römischen Oberherrschaft verband diese profetischen Bewegungen mit den Zeloten. Eben deshalb gingen die Prokuratoren auch gegen sie vor. Zelotische Freiheitskämpfer konnten sich mit ihren Anhängern über Jahrzehnte in unzugängliche Felshöhlen in der judäischen Wüste zurückziehen, deshalb gelang es zum Beispiel Felix nur mit List, einen Eleazar ben Dinai dingfest zu machen. Der Versuch eines Auszugs des Volkes analog zu dem Vorbild des Exodus unter Führung Moses’ mußte die Ordnung in der Provinz stören, deshalb sahen sich die Prokuratoren veranlaßt, auch hier militärisch einzuschreiten. Die markinische »Apokalypse« um 69/70 n. Chr. warnt vor der Verführung durch »Pseudomessiasse« und »Pseudoprofeten«, die »Zeichen und Wunder angeben, um die Erwählten zu verführen«, was Matthäus dann ergänzt mit der Warnung: »Auch wenn sie euch sagen, siehe (der Messias) ist in der Wüste, geht nicht hinaus; siehe in den Wüstenhöhlen (tame‡oi“), glaubt (es) nicht.«328 Diese Warnung scheint eine Erinnerung an das Schicksal jener Menschen zu sein, die sich von diesen Profeten und Volksverführern überzeugen ließen, sie würden ihnen in der Wüste
323 VitProph 10,8; zum Jona-Zeichen in Lk 11,29; 19,42–44; Mt 12,39; 16,4; vgl. Mittmann-Richert, Einführung, 169 f. 324 Entsprechend negativ beurteilt die Vita des Profeten Sacharja ben Jojada (vgl. 2 Chr 24,21) das Schicksal des zweiten Tempels: Der Mord am Profeten lastet weiter auf dem Haus Davids und auf dem Tempel, wo dieser Mord geschah, deshalb versagt die divinatorische Kraft der Priesterschaft in jeder Hinsicht. 325 Zu den Vitae Prophetarum s. A. M. Schwemer, Prophetenlegenden I.II; dies., Vitae Prophetarum, JSHRZ I / 7, Gütersloh 1997. 326 S. u. S. 147 Anm. 120. 327 Vgl. o. S. 93 Anm. 292. 328 Mk 13,22; Mt 24,26; vgl. Hengel, Zeloten, 238; ders., KS III, 406 Anm. 385.
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I. Das Judentum
»… das Geschehen von untrüglichen Wundern und Zeichen entsprechend Gottes Vor-
hersehung zeigen. Viele ließen sich in der Tat überreden und erhielten die Strafe für ihre Torheit, denn sie wurden zurückgeholt, und Felix bestrafte sie.«329 Felix ließ die Anhänger dieser Profeten hinrichten, denn mit ihrem oft bewaffneten Auszug revoltierten sie gegen Rom und entzogen sich ihren Pflichten als römische Untertanen, nämlich der Arbeit und damit der Steuerzahlung.330 Der »Ägypter«, das heißt ein Jude aus der ägyptischen Diaspora, war eine so eindrucksvolle und zunächst erfolgreiche Gestalt, daß er – wie Judas Galiläus und Theudas – nicht nur von Josephus, sondern auch von Lukas eigens erwähnt wird. »Einen noch größeren Schaden fügte den Juden der falsche Profet aus Ägypten zu,
… der sich selbst für einen Profeten ausgab und 30.000 Opfer seines Betrugs um sich sammelte. Er führte sie auf Umwegen von der Wüste auf den sogenannten Ölberg, von dort hätte er mit Hilfe seiner bewaffneten Leibwache gewaltsam in Jerusalem eindringen, die römische Besatzung überwältigen und sich zum Herrscher über das Volk machen können.«331 Weitere Details enthält der Parallelbericht in den Antiquitates: Dieser Ägypter erklärte, auf seinen Befehl würden die Mauern Jerusalems fallen – so wie einst die Jerichos. Die Zahlen sind hier etwas realistischer: Felix kam mit Fußtruppen und Reiterei diesem Messiasprätendenten zuvor, tötete 400 seiner Anhänger und nahm 200 gefangen. Der Ägypter selbst konnte fliehen, weshalb mit seiner plötzlichen Rückkehr gerechnet wurde.332 Im Bellum dagegen betont Josephus, »das ganze Volk« habe sich an der Abwehr beteiligt, was völlig unwahrscheinlich ist und die apologetische Tendenz des Historikers verrät. Vermutlich beschränkte sich diese Angabe auf den maßgeblichen Teil der Jerusalemer Bevölkerung, die aus der Pax Romana große Vorteile zog, denn nur diese garantierte die Bedeutung Jerusalems als internationale Pilgerstadt und den damit erworbenen Wohlstand. Die von den »Falschprofeten« zum Abfall von Rom Verführten konnten leicht vernichtet werden, während die »Räuber«, das heißt zelotische Freischärler, das Volk weiter zum Krieg gegen Rom aufhetzten und die Dörfer, die sich ihnen widersetzten, zerstörten.333 Selbst Lukas spielt auf diesen die Stadt erregenden Vorgang an. Nachdem die römischen Soldaten der Antonia den Paulus vor der drohenden Lynchjustiz der Menge gerettet hatten, fragte der Befehlshaber der Stadtkohorte Claudius Lysias den Apostel, verwundert über dessen Griechischkenntnisse, in Apg 21,38: »Dann bist du also nicht der Ägypter, der viertausend Sikarier in die Wüste geführt hat?« Seit der Eroberung durch Pompeius, bei der viele Priester umkamen bzw. versklavt wurden, bedrohten nicht nur die eigenen jüdischen Gesetzesbrecher, sondern auch die römischen Übergriffe den Tempel, was die Erwartung der endzeitlichen Erlösung in der Wüste wachsen ließ. Aber wie auf die Wüste konzentrierten sich die endzeitlichen Heilshoffnungen weiterhin auch auf das Heiligtum in Jerusalem, vor allem in der Zeit des 329 Josephus,
ant. 20,168. D. R. Schwartz, Studies in the Jewish Background of Christianity, WUNT 60, Tübingen 1992, 29–43 (35). Zur »Anachoresis« vgl. Hengel, Zeloten, 34.255. 331 Josephus, bell. 2,261 f. Die Zahl ist übertrieben. 332 Josephus, ant. 20,172: üfanÉ“ †gfineto; das konnte auf ein wunderbares Entrücktwerden und auf seine Wiederkunft gedeutet werden. 333 Josephus, ant. 20,172. 330 Vgl.
§ 3 Das Judentum unter römischer Herrschaft im 1. Jahrhundert vor und nach Christus 101
Aufstandes, als der Tempel unerwartet rasch in zelotische Hand geriet.334 Nach seiner Zerstörung durch die Römer richtete sich die eschatologische Hoffnung wieder auf die Wüste.335
Auf die Rechtsprechung des Felix wirft seine Verschleppungstaktik beim Prozeß des Paulus ein bezeichnendes Licht: Er läßt sich nach Lukas von den Anklagen des Hohenpriesters Ananias und seines Rhetors Tertullus nicht beeindrucken, zeigt sich dagegen nicht uninteressiert an der Person des Angeklagten, den er mehrmals – auch in Gegenwart seiner Frau Drusilla – anhört, wobei er ihn und die »Sekte« der Christen wie schon seine Vorgänger seit Pilatus als offensichtlich politisch ungefährlich einschätzt. Er behält ihn aber weiterhin in Haft in der Hoffnung auf eine größere Bestechungssumme und übergibt ihn schließlich, weil diese Hoffnung trügt, als Gefangenen an seinen Nachfolger Festus.336 Einige Priester, die Felix »aus geringem und hergeholtem Anlaß« verhaftet und nach Rom geschickt hatte, damit sie sich vor dem Kaiser verantworten sollten, konnte der junge Josephus als Führer einer jüdischen Gesandtschaft nach Rom im Jahr 63/64 n. Chr. mit Unterstützung durch Poppaea, die judenfreundliche Frau Neros, freibitten.337 Gegen Ende der Amtszeit des Felix brachen in Caesarea Maritima Unruhen aus; es kam zwischen den jüdischen und den »syrischen«, das heißt heidnischhellenistischen, Einwohnern zum Streit über Bürgerrechte.338 Wieder einmal flogen Steine, dabei griff Felix zugunsten der »Syrer« ein und ließ jüdische Häuser plündern. Doch auf Bitten der gemäßigten und vornehmen jüdischen Bewohner blies er den Einsatz des Militärs ab. Später, als bereits sein Nachfolger Festus sein Amt angetreten hatte, versuchte eine jüdische Gesandtschaft, sich bei 334 Hengel,
Zeloten, 246–251. bell. 6,351, s. o. S. 98. Aber die Hoffnung auf die Wiedererrichtung des Tempels starb keineswegs aus. In der Legende vom zelotischen Messiasprätendenten Menachem ben Hiskia (s. dazu u. S. 110) steht der Satz »Wenn um seinetwillen der Tempel zerstört wurde, wird er um seinetwillen wieder aufgebaut« im Zentrum. Vgl. A. M. Schwemer, Elija als Araber. Die haggadischen Motive in der Legende vom Messias Menahem ben Hiskija (yBer 2,4 5a; EkhaR 1,16 § 51) im Vergleich mit den Elija‑ und Elischa-Legenden der Vitae Prophetarum, in: Die Heiden, hg. v. R. Feldmeier und U. Heckel, WUNT 70, Tübingen 1994, 108–157; M. Himmelfarb, The Mother of the Messiah in Talmud Yerushalmi and Sefer Zerubbabel, in: The Talmud Yerushalmi and Graeco-Roman Culture III, ed. by P. Schäfer, TSAJ 93, Tübingen 2002, 369–389. 336 Apg 24,1–27. Lukas charakterisiert das Ehepaar Apg 24,24 f. (s. o. S. 96 Anm. 312): Paulus habe mit ihnen über Gerechtigkeit, (sexuelle) Enthaltsamkeit und das zukünftige Gericht gesprochen. 337 Josephus, vita 13–16. Vermutlich hatten es diese Priester, deren Frömmigkeit Josephus hervorhebt, versäumt, Felix mit Bestechung gnädiger zu stimmen. Ihr Vergehen wird nicht erläutert, wahrscheinlich hatten sie die Amtsführung des Felix – wie Jonathan – gerügt. Zur Übersetzung s. Siegert, Josephus, 27.29. 338 Josephus, ant. 20,173: ¢sopolite‡a. Ähnliche Spannungen gab es auch in Alexandrien und in Antiochien, vgl. Hengel / Schwemer, Paulus, 287 ff. 335 Josephus,
102
I. Das Judentum
Nero über das Vorgehen des Felix zu beschweren. Doch der Kaiser reagierte mit der Aberkennung des gleichen Bürgerrechts für die Juden, was mit eine Ursache für den Ausbruch des Krieges werden sollte.339 Porcius Festus (59 – ca. 62 n. Chr.) traf Judäa in einem sehr schlechten Zustand an. Es war voll von »Sikariern«340, die es wagten, sogar größere Dörfer niederzubrennen, wenn die Einwohner sie nicht in ihrem Kampf gegen die römische Oberherrschaft unterstützen wollten. »Festus … ging tatkräftig gegen die größte Landplage vor; er nahm viele Räuber gefangen und tötete eine ganze Anzahl von ihnen.«341
Aber auch gegen einen »Falschprofeten« und dessen Anhänger schritt er militärisch ein, denen dieser versprochen hatte, sie würden die Erlösung (swthr‡a) aus den üblen Zuständen der Gegenwart erlangen, wenn sie ihm in die Wüste folgten.342 Nach mehrmaligem Verhör, zu dem er auch Agrippa II. und seine Schwester Berenike als Fachleute für jüdisch-religiöse Fragen hinzugezogen hatte, sandte der Prokurator Paulus, der, nachdem er schon seit zwei Jahren als Gefangener in Caesarea auf seinen Prozeß gewartet hatte, jetzt an den Kaiser appellierte, im Herbst 59 nach Rom.343 Nach nur zwei Jahren starb Festus in der Provinz. Sein Nachfolger wurde Albinus (62–64 n. Chr.); bevor dieser in der Provinz eintraf, nutzte der Hohepriester und führende Sadduzäer Hannas II., jüngster Sohn von Hannas I., den wir aus der Leidensgeschichte kennen, die Sedisvakanz und ließ den Herrenbruder Jakobus und einige andere führende Judenchristen wegen Gesetzesbruchs344 steinigen. Gegen diese Amtsanmaßung – der Hohepriester und das von ihm widerrechtlich berufene Ratskollegium, das Synhedrium, besaßen nicht die Vollmacht der Kapitalgerichtsbarkeit345 – protestierten Pharisäer bei Agrippa II. und sandten Albinus eine Gesandtschaft nach Alexandrien entgegen, die diesen über den Vorfall unterrichtete. Der neue Prokurator reagierte empört. Hannas II. wurde deshalb nach nur dreimonatiger
339 Josephus,
ant. 20,182 ff. Schürer I, 467 folgt dagegen teilweise der Darstellung in bell. 2,270 f.284. 340 Josephus, ant. 20,186; vgl. dazu o. S. 97 f. Anm. 318. 341 Josephus, bell. 2,271. 342 Josephus, ant. 20,188. 343 Apg 25,1–27,1. Zur Datierung des Wechsels von Felix zu Festus, s. Y. Meshorer, Ancient Jewish Coinage, New York 1982, II, 183; vgl. M. Reiser, Numismatik und Neues Testament, Bib. 81 (2000), 472 zur Abfahrt des Paulus im Jahr 59; zum Verlauf der Schiffahrt s. ders., Von Caesarea nach Malta. Literarischer Charakter und historische Glaubwürdigkeit von Act 27, in: Das Ende des Paulus, hg. v. F. W. Horn, BZNW 106, Berlin / New York 2001, 49–74. 344 Josephus, ant. 20,200: Æ“ paranomhs›ntwn. Dazu Hengel, KS III, 551–557. 345 S. dazu u. S. 591–595 zur Frage im Prozeß Jesu.
§ 3 Das Judentum unter römischer Herrschaft im 1. Jahrhundert vor und nach Christus 103
Amtszeit von Agrippa abgesetzt,346 blieb aber weiterhin politisch einflußreich als ehemaliger Hoherpriester und Oberhaupt der sadduzäischen Partei. Albinus soll die korrupte Politik des Felix fortgesetzt haben: Hatte sich dieser heimlich bestechen lassen, so erpreßte Albinus ganz offen Geld, wo immer er es holen konnte: »Man kann sich keine Schlechtigkeit vorstellen, die er nicht begangen hätte. Nicht nur
bei der Ausführung seiner Amtsgeschäfte beraubte und plünderte er die Vermögen der einzelnen Bürger und belastete das ganze Volk mit Sonderabgaben, sondern er gab gegen Lösegeld auch die von den jeweiligen Behörden oder seinen Vorgängern wegen Raub Eingekerkerten ihren Familien zurück. Nur wer nicht zahlen konnte, wurde als Verbrecher in den Gefängnissen zurückgehalten.«347
Einen Unheilsprofeten jedoch, der vier Jahre vor Beginn des ersten jüdischen Krieges den Untergang der Stadt und des Tempels mit lautem Schreien ankündigte und den ihm die Volksführer zur Aburteilung übergeben hatten, ließ Albinus nach der Geißelung als einen Verrückten wieder laufen. Diese Erzählung ist eine wichtige Analogie zum Verständnis des Prozesses Jesu.348 Albinus soll sich von beiden Parteien haben bestechen lassen, den Zeloten und denjenigen, denen am Frieden lag. Auch der ehemalige Hohepriester Ananias, Sohn des Nedebäus,349 sicherte sich seine Machtstellung mit »Geschenken« an Albinus und an den amtierenden Hohenpriester Jesus, Sohn des Damnäus. Vom allgemeinen Verfall der Rechtssicherheit profitierten die hochpriesterlichen Familien, indem sie ihre Sklaven die den ärmeren Priestern zustehenden Zehnten von den Getreidetennen holen ließen und zugleich Privatbanden unterhielten, mit denen sie sich untereinander bekämpften.350 Ananias, Sohn des Nedebäus, behielt die Oberhand dank seines Reichtums, aber auch Mitglieder der herodianischen Familie betätigten sich als »Bandenführer«, indem sie sich starke Leibwachen zulegten.351 Als »Sikarier« den Sekretär des Tempelhauptmanns Eleazar, der selbst ein Sohn des Hohenpriesters Ananias war, entführten, konnten sie zehn von Albinus eingekerkerte Zeloten freipressen.352 346 Josephus,
ant. 20,197–203. Die o´ perÑ toú n·mou ükribeõ“ (201) waren offensichtlich antisadduzäische Pharisäer. 347 Josephus, bell. 2,272 f. 348 Josephus, bell. 6,305; vgl. dazu u. S. 578 zur Verhandlung Jesu vor Pilatus. 349 Eingesetzt von Herodes von Chalkis, amtierte er ca. 47–59 (Josephus, ant. 20,103.131; vgl. bell. 2,243). Er war der Hohepriester, der die Anklage gegen Paulus betrieb (Apg 23,2 ff.); er wurde von den Zeloten gleich zu Beginn des Aufstands ermordet (Josephus, bell. 2,429.441). Zu seinem Prozeß in Rom vor Claudius s. o. S. 96. Zu seiner bemerkenswerten Karriere s. Kokkinos, Dynasty, 324 Anm. 201. 350 Josephus, ant. 20,180 f. (schon unter Felix); 20,206 f.213 (unter Albinus); bell. 2,274 ff. erwähnt dagegen nur zelotische »Bandenführer«. S. o. S. 80 Anm. 226 das Spottlied gegen die führenden hochpriesterlichen Familien. 351 Josephus, ant. 20,214: Kostobar und Saulus. 352 Josephus, ant. 20,208 ff.; vgl. Hengel, Zeloten, 360 f.
104
I. Das Judentum
Als »Abschiedsgeschenk« an die Bevölkerung der Provinz leerte Albinus die Gefängnisse, indem er Gefangene, die eindeutig des Todes schuldig waren, verurteilte, alle anderen aber gegen eine entsprechende (Bestechungs‑)Summe freiließ: »Und so wurde das Gefängnis von Gefangenen gereinigt, das Land voll von Räubern.«353
Gessius Florus (64–66 n. Chr.) brachte schließlich das Faß zum Überlaufen, im Vergleich mit ihm schien Albinus ein Wohltäter, ein ügaq„tato“, zu sein. Da seine Frau mit der Kaiserin Poppaea befreundet war, wagte niemand, gegen ihn in Rom zu protestieren. Er plünderte ganze Städte aus und machte mit den Briganten gemeinsame Sache, sofern sie den Raub nur mit ihm teilten. Ihm gegenüber erreicht die rhetorisch sich steigernde Anklage des Josephus ihren Höhepunkt: »So kam es, daß aufgrund seiner Habgier alle Städte verödeten und viele Bürger im
Widerspruch zu den väterlichen Gesetzen in Provinzen mit fremder Bevölkerung auswanderten.«354
Damit brach auch die Rückwanderung aus der Diaspora, die in der Friedenszeit unter Herodes I. eingesetzt hatte, ab. Josephus unterstreicht die Raffgier der Prokuratoren übertreibend, um die Unausweichlichkeit des Aufstandes zu betonen und zu erklären, warum die Radikalen die Oberhand gewinnen konnten und sogar Mitglieder der bisher gegenüber Rom loyalen, wohlhabenden Oberschicht sich dem Befreiungskampf anschlossen (zu bell. 2,308 s. u.). Er versuchte damit, sein eigenes Volk zu entlasten. Auch die Jerusalemer Urgemeinde wanderte damals vor oder bei Ausbruch des Krieges aufgrund einer profetischen Weissagung nach Pella aus, einer hellenistischen Stadt in der Jordanebene, die die Aufständischen nicht erobern konnten.355
3.1.6 Agrippa II. (52–92/93 n. Chr.) Agrippa II. erhielt wie sein Vater zum Königstitel den Beinamen der »Große«356 und war ebenfalls ein treuer »Freund des Kaisers« und »Freund der Römer«.357 353 Josephus,
ant. 20,215. bell. 2,279; ant. 20,252–257; Schürer I, 470; vgl. B. Schröder, Die ›väterlichen Gesetze‹. Flavius Josephus als Vermittler von Halachah an Griechen und Römer, TSAJ 53, Tübingen 1996, 63 f. 355 Euseb, h.e. 3,5,2 f.: kat› tina crhsm·n (3), vgl. Schürer I, 498. Es besteht kein Grund, diese Angabe, die wohl vom Apologeten Ariston von Pella um 140 n. Chr. stammt, zu bezweifeln. 356 Vgl. Josephus, vita 33; weiter die nächste Anmerkung. 357 Josephus, vita 408. Die Inschrift OGIS Nr. 419 enthält seinen vollen Titel (Boffo, Iscrizioni, 334–337 Nr. 40): ûEpÑ basilfiw“ meg›lou ûAgr‡ppa Filoka‡saro“ E§seboú“ 354 Josephus,
§ 3 Das Judentum unter römischer Herrschaft im 1. Jahrhundert vor und nach Christus 105
Er wurde in Rom erzogen und hielt sich beim Tode seines Vaters am Hofe des Claudius auf.358 Als sein Onkel Herodes von Chalkis starb (ca. 48/49 n. Chr.), erhielt er dessen Herrschaft, war aber 51/52 wieder in Rom, als der Fall des Cumanus verhandelt wurde.359 Mit diesem Erbe war die Oberaufsicht über den Jerusalemer Tempel verbunden,360 das heißt, er hatte wie vor ihm sein Onkel das Recht, die Hohenpriester ein‑ und abzusetzen und die Bauarbeiten am Tempel zu genehmigen. Diese Kontrolle über den Tempel verschaffte ihm eine enge Beziehung zu Jerusalem, denn damit konnte er sich in die inneren Angelegenheiten der Provinz Judäa einmischen361 und sich zugleich als Vertreter der Interessen aller Juden betrachten. Claudius gab ihm in seinem 12. Regierungsjahr (52/53 n. Chr.) statt Chalkis ein viel bedeutenderes Gebiet, das die ehemaligen Tetrarchien des Philippus und des Lysanias umfaßte,362 und spätestens zu dieser Zeit wird sich Agrippa endgültig in den Osten begeben haben. Von Nero erhielt er zusätzlich die reichen galiläischen Städte Tiberias und Tarichäa (= Magdala) am See Genezareth, weiter das strategisch wichtige Gamala in der Gaulanitis und Julias in Peräa.363 Während sein Verhältnis zu Felix wohl eher kühl gewesen war,364 reiste er 59 n. Chr. mit seiner Schwester Berenike zur Begrüßung des Festus nach Caesarea Maritima, wo beide bei dieser Gelegenheit auch an einem Verhör des Paulus teilnahmen,365 vermutlich nicht nur aus Neugier des Königs und veranlaßt durch eine Geste der Höflichkeit des Prokurators, denn Agrippa II. war ja der Schutzherr des Heiligtums, in dem Paulus vor der Lynchjustiz einer aufgebrachten Menge nur durch das Eingreifen des römischen Befehlshabers der Antonia gerettet worden war. Man warf ihm vor, er habe gegen das Gesetz einen Heiden in den Tempel gebracht. Er wurde daher von der Tempelaristokratie vor Felix und Festus wegen Tempelschändung angeklagt und appellierte an den Kaiser, um eine Aburteilung in Jerusalem zu vermeiden. kaÑ Filorwma[‡]ou, toú †k basilfiw“ meg›lou ûAgr‡ppa Filoka‡saro“ E§seboú“ kaÑ [Fi]lorwma‡ou …; vgl. zu mfiga“ OGIS Nr. 420.422.425 u. ö. Boffo, Iscrizioni, 336 Anm. 9. Zu seinem Titel »k‚rio“« in OGIS Nr. 419 u. ö. s. Hengel / Schwemer, Paulus, 199; vgl. weiter den Exkurs zu Agrippa II. in Schürer I, 471–483; Kokkinos, Dynasty, 317–340. 358 Vgl. o. S. 92 Anm. 286 zu Josephus, ant. 20,9–12; zu seiner griechischen Bildung, die er wie alle Angehörigen des herodianischen Hauses besaß, s. Josephus, vita 359. 359 S. dazu o. S. 96. 360 Josephus, ant. 20,15 f.222. 361 Vgl. Kokkinos, Dynasty, 319. 362 Josephus, ant. 20,138; vgl. bell. 2,421. 363 Josephus, ant. 20,159; vgl. bell. 2,252. 364 Vgl. Josephus, ant. 20,143: Die Schwestern Drusilla (mit Felix verheiratet) und Berenike, die längere Zeit eine Machtposition am Hof ihres unverheirateten Bruders Agrippa II. einnahm, vertrugen sich nicht. 365 Apg 25,13–27; 26,1–32. Agrippa II. und Berenike erschienen zu der Verhandlung metÅ pollö“ fantas‡a“ (25,23), das heißt mit großem Hofstaat. Vgl. auch o. S. 102 Anm. 343.
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I. Das Judentum
Agrippa II. blieb unverheiratet und kinderlos. Seine Schwester Berenike lebte nach dem Tode ihres Onkels und Mannes Herodes von Chalkis bei ihm. Um dem Gerücht zu entgehen, sie habe ein inzestuöses Verhältnis mit ihrem Bruder, heiratete sie König Polemon von Kilikien ca. 64 n. Chr., den sie aber bald wieder verließ, denn wir finden sie zu Beginn des Aufstandes in Jerusalem und dann als Geliebte an der Seite des wesentlich jüngeren Titus.366 Auf Heirat mußten beide schließlich aus politischen Gründen verzichten.367 In Jerusalem besaß Agrippa II. neben Grundbesitz368 vor allem den hasmonäisch-herodianischen Palast, den er so ausbauen ließ, daß er von seinem Speisezimmer aus freien Blick in die inneren Tempelbezirke hatte und auf diese Weise seine Tempelaufsicht bekräftigen konnte. Darüber kam es zu einem Streit mit der Priesterschaft, die ihrerseits mit einer hohen Mauer dem König die Aussicht verbaute und zugleich den römischen Wachtposten, die während der Feste auf der westlichen Säulenhalle aufgestellt wurden, den Einblick in die Tempelhöfe unmöglich machte. Festus war nicht weniger erzürnt als Agrippa II., ordnete den Abriß der Mauer an, gab dann aber dem Gesuch der Hohenpriesterschaft statt, die eine Gesandtschaft mit dem Hohenpriester Ismael ben Phiabi und Helkias, dem Tempelschatzmeister, an der Spitze nach Rom sandte. Nero entschied aufgrund der Fürsprache seiner mit der jüdischen Religion sympathisierenden Frau Poppaea zugunsten der Priesterschaft.369 Um 59 n. Chr. hatte Agrippa II. Ismael ben Phiabi zum Hohenpriester (ca. 59–61 n. Chr.) ernannt, im übernächsten Jahr Joseph Kabi (ca. 61–62 n. Chr.), Sohn des Hohenpriesters Simon, dann Hannas II. (ca. 62 n. Chr. für drei Monate), dem Jesus, Sohn des Damnäus, nachfolgte (ca. 62–63 n. Chr.), der aber von Jesus, Sohn des Gamaliel, abgelöst wurde (ca. 63–64 n. Chr.); als letzter vor Ausbruch des Krieges erscheint Matthias, Sohn des Theophilos (ca. 65 n. Chr.).370 An sozialen Fragen war Agrippa offenbar nicht interessiert, denn er schritt nicht gegen die Beraubung der ärmeren Priester durch den ehemaligen 366 Josephus, ant. 20,145 f.; bell. 2,310–314 (dazu u. S. 109); Juvenal, sat. 6,156–160; Geliebte des Titus wird sie 70 n. Chr.; s. Tacitus, hist. 2,2. Zu Berenike vgl. Stern, GLAJJ I, 514 (Kommentar zu Quintilian, inst. 4,1,19); Schürer I, 474; Kokkinos, Dynasty, 329 f. 367 Sueton, Titus 7,1: insignem reginae Berenices amorem, cui etiam nuptias pollicitus ferebatur (»seine außerordentliche Liebe zur Königin Berenike, der er sogar die Heirat versprochen haben soll«); 7,2: Berenicen statim ab urbe dimisit invitus invitam (»Berenike schickte er sofort aus Rom weg, gegen seinen und ihren Willen«). Vgl. Cassius Dio 65,15,4. 368 Vgl. den »Weinberg des Agrippa« in ParJer 3,10, in dem Abimelech auf Geheiß des Profeten Jeremia außerhalb der Stadt deren Untergang »verschlafen« darf. 369 Josephus, ant. 20,189–196; 195 nennt er sie qeosebfl“, vgl. vita 16. Poppaea behielt Ismael ben Phiabi und Helkias als Geiseln an ihrem Hof. Ismael wurde später bei Ausbruch des Jüdischen Krieges in Kyrene enthauptet, bell. 6,114. Vgl. Kokkinos, Dynasty, 201. 370 Er berücksichtigte in rascher Folge die Familien Phiabi (Ismael), Kamith (Joseph), Boëthos (Jesus, Sohn des Gamaliel) und zweimal den Hannasclan (Hannas II. und Theophilos), nachdem er zunächst den mächtigen Ananias, Sohn des Nedebäus, im Amt belassen hatte. Vgl.
§ 3 Das Judentum unter römischer Herrschaft im 1. Jahrhundert vor und nach Christus 107
Hohenpriester Ananias ein, aber als Hannas II. den Bruder Jesu, Jakobus, und einige andere Christen hatte steinigen lassen, reagierte er sofort. Damit tat er der über die Hinrichtung des gesetzestreuen Jakobus empörten Partei der Pharisäer einen Gefallen und kam wohl gleichzeitig einem Eingreifen des neuen Prokurators zuvor, der Hannas II. ja auch als Gefangenen nach Rom hätte schicken können.371 So wie er die Priesterschaft mit seinem bequemen Aussichtsplatz über den Tempelbezirk hin verärgert hatte, brüskierte er sie mit Privilegien, die er den Leviten verlieh; diese durften nun ebenfalls wie die Priester weiße Leinenkleider tragen und bekamen in der Liturgie des Psalmgesanges mehr Selbständigkeit, ein Verstoß gegen die »väterlichen Gesetze«, den Josephus als Priester rügt und als einen der Gründe für die Tempelzerstörung angibt.372 Den Vorschlag, eine Tempelhalle des äußeren Vorhofs aus hasmonäischer Zeit, die auch aus dem Neuen Testament bekannte »Halle Salomos«, abzureißen und durch einen prächtigeren Neubau zu ersetzen, um die Bauarbeiter am Tempel weiterzubeschäftigen, lehnte er ab und ließ statt dessen die Straßen Jerusalems mit Marmor pflastern.373 Er vergrößerte seine Hauptstadt Caesarea Philippi und gründete sie neu als »Neronias«. Wie Vater und Großvater betätigte er sich auch als Bauherr und Wohltäter in den syrischen Städten. Die römische Kolonie Beirut erhielt ein weiteres Theater, zahlreiche Statuen, darunter Kopien berühmter alter Werke, sowie jährliche Spiele mit großzügigen Getreide‑ und Ölspenden an die Bevölkerung, was den Neid seiner jüdischen Untertanen in Palästina weckte.374 Während des jüdischen Aufstandes gegen Rom in den Jahren 66–73 befand sich Agrippa II. immer auf römischer Seite, seine Truppen kämpften zusammen mit denen des Vespasian und Titus gegen die jüdischen Aufständischen. Josephus legt ihm zu Beginn des Aufstandes eine Rede in den Mund, die mit dem Stichwort »Friede« beginnt und endet.375 Er läßt Agrippa die Vorzüge der Pax Romana preisen und die Geschichte des Volkes in Erinnerung rufen. Auch wenn diese Rede von Josephus konzipiert ist und im nachhinein die Katastrophe der Tempelzerstörung reflektiert, wird sie durchaus der Intention Agrippas entzur Zugehörigkeit zu den hochpriesterlichen Familien Schürer II, 231 f.234. Zur jährlichen Hohenpriesterfolge s. den Hinweis Joh 11,49. Sie traf jedoch für Kaiaphas nicht zu. 371 Vgl. den Fall des Ananias o. S. 96. 372 Josephus, ant. 20,216–218. Genauere Einzelheiten über diese Liturgiereform teilt Josephus nicht mit, er sagt nur, die Sänger hätten die Psalmen (æmnoi) auswendig vorgetragen. Zu den Tempelsängern s. auch mMid 2,5; mTamid 5,6; 7,4. 373 Josephus, ant. 20,219–222. Vgl. Apg 3,11; Joh 10,23: Ort der Lehre Jesu und der Apostel. 374 Josephus, ant. 20,212 spricht von mõso“, Haß. Zu den Bauten Herodes’ I. und Agrippas I. in Beirut s. Josephus, bell. 1,422; ant. 19,335 ff.; zur lateinischen (!) Inschrift in der römischen Kolonie Beirut (AE 1928 Nr. 82), die die Renovierung von Bauten ihres Großvaters durch »Regina Berenice« und Agrippa II. belegt, s. Boffo, Iscrizioni, 338–342 Nr. 41. 375 Josephus, bell. 2,345.401. Vgl. dazu u. S. 109 f.
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I. Das Judentum
sprechen. Beide kannten sich persönlich, und Josephus erwähnt stolz, daß er 62 Briefe vom König erhalten habe, die die Zuverlässigkeit seiner historischen Darstellungen bestätigten.376 Agrippa starb vermutlich erst um 92/93 oder 100 n. Chr.;377 er war der letzte der herodianischen jüdischen Könige, und sein Herrschaftsgebiet kam zur Provinz Syrien.
3.1.7 Der erste jüdische Krieg (66–73 n. Chr.) Im Rückblick geht Josephus am Ende seiner Antiquitates noch einmal auf die Ursache für den Ausbruch des Aufstandes ein und begründet damit zugleich seine eigene Teilnahme. Der Krieg erscheint dabei als suizidaler Akt der Verzweiflung: »Es war Florus, der uns zwang, den Krieg gegen die Römer aufzunehmen, denn wir hielten es für besser, gemeinsam als einzeln zugrunde zu gehen.«378
Den ersten Anlaß zum offenen Ausbruch des Krieges gab ein Vorfall in Caesarea Maritima im Mai 66 n. Chr., wo die Situation seit der für die Juden ungünstigen Entscheidung Neros bereits höchst angespannt war, als die Synagoge an einem Sabbat durch ein heidnisches Vogelopfer entweiht wurde. Der örtliche Reiterbefehlshaber konnte den Aufruhr nicht beenden, die jüdische Bevölkerung floh aus der Stadt. Die reichen, gemäßigten Juden, die schon zuvor mit einem »Geschenk« von acht Talenten versucht hatten, Florus günstig zu stimmen, begaben sich zu ihm nach Sebaste und baten ihn – an ihrer Spitze der wohlhabende Steuerpächter Johannes – um Hilfe, aber er ließ sie festnehmen. Um fehlende Steuerzahlungen einzutreiben, beschlagnahmte Florus gleichzeitig 17 Talente aus dem Tempelschatz – eine an sich noch überschaubare Summe379 –, wodurch es in Jerusalem zu Unruhen kam. Hier hörte er wieder nicht auf die Argumente der prorömischen aristokratischen Spitze des Volkes, sondern ließ die Stadt plündern und friedliche Einwohner, einschließlich Frauen und Kinder, töten.
376 Josephus, vita 364–367; vgl. 362: »Auch vielen anderen habe ich mein Geschichtswerk sofort übergeben, von denen einige gleichfalls am Krieg teilgenommen haben, darunter König Agrippa und einige seiner Verwandten.« 377 Für die Spätdatierung Kokkinos, Dynasty, 396–400; vgl. dagegen Schürer I, 473 Anm. 8; ausführlich Mason, Life of Josephus, XV–XIX. 378 Ant. 20,257; dem entspricht Tacitus, hist. 5,10,1: duravit tamen patientia Iudaeis usque ad Gessium Florum procuratorem (»Dennoch hielten die Juden in Geduld aus, bis Gessius Florus Prokurator wurde«). Vgl. den Kommentar bei Stern, GLAJJ II, 53 ff. In Buch 18–20 der Antiquitates vertritt Josephus dezidiert den jüdischen Standpunkt, der sich wesentlich von dem des Bellum, das er im Auftrag Vespasians und Titus’ geschrieben hatte, unterscheidet. 379 Vgl. Mt 18,24.
§ 3 Das Judentum unter römischer Herrschaft im 1. Jahrhundert vor und nach Christus 109 »Was das Unglück erschwerte, war die bis dahin unbekannte Grausamkeit der Römer;
denn Florus vollbrachte damals, was vor ihm noch keiner gewagt hatte: Er ließ Männer von ritterlichem Stand vor seinem Richterstuhl geißeln und ans Kreuz nageln, die zwar ihrer Abstammung nach Juden waren, aber eine römische Würde bekleideten.«380
Diese vornehmen Juden waren als römische Bürger, vermutlich aufgrund ihres großen Vermögens, in den Ritterstand erhoben worden und stammten entweder aus Jerusalem oder aus Caesarea. Möglicherweise handelte es sich um Rückwanderer aus Rom oder aus Alexandrien. Wahrscheinlich gehörte der Steuerpächter Johannes zu ihnen. Sie waren Glieder jener wohlhabenden, an sich prorömischen Schicht, die die Hellenisierung und Romanisierung Palästinas gegen die radikalen Kräfte gefördert hatte. Auch als Berenike, die Schwester Agrippas II., Florus um Mäßigung bat, erreichte sie nichts, sondern brachte nur ihr eigenes Leben in Gefahr.381 Schließlich gelang es den Hohenpriestern, zunächst noch einmal zu vermitteln und das Volk zu beruhigen, aber Florus ließ Truppenverstärkung bringen, um bis in den Tempelplatz vorzudringen und eine Verbindung zur Besatzung in der Burg Antonia herzustellen. Doch das »Volk« leistete Widerstand und beschoß die Soldaten von den Dächern, die in den engen Gassen wegen der Menschenmassen nicht vorrücken konnten. Die Aufständischen rissen die Säulenhallen ab, die die Burg Antonia mit dem Tempel verbanden, um Florus den Zugang zum Tempelschatz unmöglich zu machen. Florus zog nach Caesarea ab mitsamt den Truppen, die in Jerusalem gegen die Bevölkerung so brutal vorgegangen waren und geplündert hatten. Die Stadtoberhäupter und Berenike berichteten Cestius Gallus, dem Statthalter von Syrien, brieflich über die Vorgänge, und Florus beklagte sich seinerseits bei ihm über den Abfall der Provinz.382 Dieser griff jedoch nicht militärisch ein, sondern schickte nur seinen Legaten Neapolitanus nach Jerusalem, um die Situation zu beurteilen, der mit dem aus Alexandrien zurückkehrenden Agrippa II., nachdem sie bereits in Jamnia mit den Hohenpriestern über die Lage gesprochen hatten, zusammen in Jerusalem eintraf.383 Mit seiner Rede (vgl. o. S. 107) versuchte Agrippa, die Gemüter zu beruhigen, und mahnte, daß ein bewaffneter Volksaufstand gegen den Prokurator und die Verweigerung der Steuerzahlung unweigerlich zu einem aussichtslosen Krieg gegen Rom führen würden. Zumindest ein Teil des fehlenden Steuerbetrags 380 Josephus, bell. 2,308. Vgl. Hengel, Crucifixion, 26; weiter den in einem Senatsbeschluß inschriftlich festgehaltenen Vorwurf gegen Piso, er habe in Antiochien einen Centurio, der römischer Bürger war, kreuzigen lassen (Kopie A der Inschrift, Kol. II Z. 51 f.; Kopie B, Kol. I Z. 42); s. W. Eck u. a., Das senatus consultum de Cn. Pisone patre, Vestigia 48, München 1996, 13.26.42 f.170: »ein römischer Bürger wurde nur in Ausnahmefällen gekreuzigt«. 381 Josephus, bell. 2,309–314. 382 Josephus, bell. 2,333. 383 Josephus, bell. 2,334 f.338 f.
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I. Das Judentum
wurde rasch von den Wohlhabenden zusammengebracht, aber die Empörung über das Regiment des Florus hielt weiter an. Agrippa II. ließ es jedoch nicht zu, daß eine Gesandtschaft des Volkes zu Nero geschickt wurde, um die Klagen gegen Florus diesem vorzubringen, und weigerte sich auch, in Rom selbst gegen Florus zu protestieren.384 Schließlich wurde Agrippa von der Mehrheit der Stadtbevölkerung aus der Stadt verbannt.385 Menachem ben Juda ben Hiskia, einem Sohn (oder Enkel) von Judas Galiläus und (Ur‑)Enkel des »Räuberhauptmanns« Hiskia, gelang es überraschend, die Festung Masada am Toten Meer einzunehmen, die römische Besatzung niederzumachen und seine Anhänger aus dem dortigen Arsenal zu bewaffnen. »Wie ein König« zog er in Jerusalem ein.386 Gleichzeitig hatte ein jüngeres führendes Mitglied der Priesteraristokratie, der Tempelhauptmann Eleazar, gestützt auf die zahlreichen ärmeren Priester, gegen den Willen anderer Hoherpriester erreicht, daß das Opfer für den Kaiser eingestellt wurde: »Zur selben Zeit gelang es auch dem damaligen Tempelhauptmann Eleazar, Sohn des
Hohenpriesters Ananias, einem verwegenen jungen Mann, die im Tempel diensttuenden Hohenpriester zu überreden, sie sollten von Nichtjuden keine Gaben oder Opfer mehr annehmen. Damit war der Grund zum Krieg gegen die Römer gelegt: Denn so verwarfen sie das für diese und den Kaiser dargebrachte Opfer. Obwohl nun die Hohenpriester und die angesehenen Bürger dringend ermahnten, das gewohnte Opfer für die Herrscher nicht fallenzulassen, gaben diese Priester nicht nach, einerseits weil sie auf ihre zahlenmäßige Überlegenheit vertrauten – denn der aktivste Teil der Unzufriedenen hatte sich auf ihre Seite geschlagen –, vor allem aber, weil sie sich nach dem Tempelhauptmann Eleazar richteten.«387
Agrippa II. sandte auf Bitten der Friedenspartei hin 2000 Reiter aus den babylonisch-jüdischen Militärkolonien im Hauran, in Batanea und in der Trachonitis aus Sorge »um die Aufständischen und um die, gegen die der Krieg gerichtet war; er wollte einer-
seits den Römern die Juden als Untertanen erhalten, andererseits den Juden Heiligtum und Hauptstadt retten, im übrigen wußte er genau, daß ihm der Aufstand keinen Vorteil bringen könnte.«388
Der Bürgerkrieg ging jedoch weiter, die Aufständischen kämpften auch gegen die jüdischen Truppen Agrippas und brannten das Haus des wegen seines
384 Josephus, bell. 2,342 ff. – vermutlich auch wegen der Freundschaft der Frau des Florus mit der Kaiserin Poppaea, s. o. S. 104. 385 Josephus, bell. 2,406 f. 386 Josephus, bell. 2,408.433 f. Vermutlich erhob er messianische Ansprüche. 387 Josephus, bell. 2,409 f. Vgl. o. S. 85 Anm. 246 f. zur Bedeutung des Opfers für das Wohl des Kaisers. 388 Josephus, bell. 2,421.
§ 3 Das Judentum unter römischer Herrschaft im 1. Jahrhundert vor und nach Christus 111
Reichtums besonders verhaßten Hohenpriesters Ananias und den Palast des Königs nieder, auch »legten sie Feuer an das Archiv und beeilten sich, die Schuldverschreibungen der Gläubiger zu vernichten«.389
Hier wird deutlich, daß der Aufstand eine starke soziale Komponente besaß: Es war zugleich eine Erhebung der ärmeren Schichten und der Jugend gegen die bisher herrschende Jerusalemer Aristokratie. Menachem gewährte den jüdischen Truppen des Königs freien Abzug, die römischen Soldaten flüchteten in die Türme der Herodesburg. Er ließ den Hohenpriester Ananias, das Haupt der prorömischen Partei innerhalb der Hohenpriesterschaft, und seinen Bruder Ezechias hinrichten, wurde aber selbst, als er in »königlicher Kleidung« im Tempel in Begleitung von »bewaffneten Zeloten«390 zum Gebet erschien, vom Tempelhauptmann Eleazar, dem Anführer der den Tempel beherrschenden priesterlichen Aufständischen, und seinen Anhängern ergriffen und unter Foltern getötet. Offensichtlich kam es schon zu Beginn des Aufstandes zu einer tiefgehenden Spaltung der antirömischen Gruppen. Die anderen Gefolgsleute des Menachem konnten unter Führung seines Verwandten Eleazar, Sohn des Jair, in die als uneinnehmbar geltende Festung Masada am Toten Meer entkommen. Auf den weiteren Verlauf des Aufstands verloren sie damit jeden militärischen Einfluß.391 Die römischen Soldaten, die sich in die Türme der Herodesburg zurückgezogen hatten und denen freier Abzug versprochen worden war, wurden ermordet bis auf ihren Anführer, den 389 Josephus, bell. 2,427. Es scheint sich zugleich um einen Familienkonflikt zwischen Vater, dem Hohenpriester Ananias, und Sohn gehandelt zu haben. 390 Josephus, bell. 2,444. Diese erste Erwähnung der »Zeloten« – toÜ“ zhlwt›“ in absolutem Gebrauch mit Artikel und ohne Genitivattribut bezeichnet die »Eiferer (für das Gesetz)« – zeigt, daß »Eiferer« schon ein Ehrenname vermutlich für die von Judas Galiläus ausgehende Bewegung war, obwohl Josephus diese religiöse Bezeichnung später für eine priesterliche Aufstandspartei verwendet, die den »Sikariern« in Masada und anderen Aufstandsgruppen eher feindlich gegenüberstand. Der griechische Gebrauch von zhlwtfl“ in neutralem Sinne von »Anhänger« erfordert immer ein Genitivattribut. Die religiöse absolute Bedeutung »Eiferer« erscheint nur in jüdischen und christlichen Quellen, vgl. 4 Makk 18,12; Lk 6,15 = Apg 1,13 und bei den Parteinamen des Josephus. S. Hengel, Zeloten, 390.395–412 u. ö. 391 Josephus, bell. 2,447. In Masada wurden zahlreiche Aufstandsmünzen gefunden, der Zehnte und die Priesterhebe entrichtet, das heißt, es müssen weiterhin Beziehungen zu Jerusalem bestanden haben. Die Funde von Schriftrollen sprechen auch für Kontakte zu den Qumran-Essenern. Masada war die letzte Festung, die die Römer 73/74 n. Chr. eroberten. Die Besatzung beging Selbstmord, bevor die römischen Soldaten in die Burg eindrangen (bell. 7,389–401); Josephus (bell. 7,320–388) läßt Eleazar eine letzte, Sympathie und Verständnis für die zelotischen Freiheitskämpfer zeigende Rede halten. Zu den vornehmen, gebildeten Frauen, Verwandte des Eleazar, als Zeuginnen dieses Vorgangs, s. T. Ilan, Josephus and Nicolaus on Women, in: Geschichte – Tradition – Reflexion. FS Hengel, I Judentum, hg. v. P. Schäfer, Tübingen 1996, 228 f.
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I. Das Judentum
Centurio Metilius, der »versprach, Jude zu werden und selbst die Beschneidung auf sich zu nehmen.«392 Diese Vorgänge zu Beginn des Aufstandes werfen ein bezeichnendes Licht auf seine Ursachen, die politische, soziale, vor allem aber religiöse Aspekte hatten. Von allen längere Zeit von Rom unterworfenen Völkern haben sich die Juden im Mutterland (66–73/74 und 132–136 und 115–117 n. Chr. auch in Ägypten, der Kyrenaika und auf Zypern) am erbittertsten gegen die römische Herrschaft gewehrt. Das kann nicht vorwiegend »soziologisch« erklärt werden. Die Mißwirtschaft der Prokuratoren vor allem seit Felix und die sich steigernde Rücksichtslosigkeit des letzten, Florus, gegen die religiösen Anschauungen des Judentums bis hin zu seinem Eingriff in den Tempelschatz und der Vorfall in der Synagoge in Caesarea Maritima führten am Ende zum offenen Volksaufstand. Weder die Reinheit des Tempels noch die freie Religionsausübung gemäß der Vorschrift der Tora wollte man wehrlos weiter der heidnischen Willkür aussetzen. Darum mußte man nun nach dem Vorbild des Pinchas, des Profeten Elia und des Freiheitskampfes der Makkabäer im »Eifer« für Gott und sein Gesetz zu den Waffen greifen.393 Steuerverweigerung und die Ablehnung der römischen Fremdherrschaft, die sich jetzt konkret in der Einstellung des Opfers für den Kaiser äußerte, zusammen mit dem Ruf nach Freiheit und der Alleinherrschaft Gottes gehörten schon zum Programm des Judas Galiläus. Das Verbrennen der Schuldscheine und die Hinrichtung des Hohenpriesters Ananias beleuchten die soziale Lage, denn die durch die Unruhen im Land wachsenden Spannungen zwischen arm und reich brachten immer größere Teile der einfachen Bevölkerung vor allem auf dem Land, darunter auch die ärmeren Priester, auf die Seite der Aufständischen. Der Mord an dem Messiasprätendenten Menachem durch die Partei der priesterlichen Aufstandsgruppe um Eleazar, Sohn des Ananias,394 zeigt das Auseinanderbrechen der Aufstandsbewegung schon zu Beginn der Erhebung und weist zugleich auf die messianische Triebfeder hin, denn was die Aufständischen am meisten zum Krieg anstachelte (tÖ d’ †pôran a§toÜ“ m›lista prÖ“ tÖn p·lemon), war ein »zweideutiger Orakelspruch«, »den man ebenfalls in den heiligen Schriften gefunden hatte, daß zu jener Zeit aus
ihrem Lande einer die Herrschaft über den Weltkreis erhalten werde. Dies deuteten sie auf einen Angehörigen ihres Volkes, und viele weise Männer irrten sich in ihrer Auslegung. Der Gottesspruch offenbarte vielmehr die Herrschaft Vespasians, der in Judäa zum Kaiser ausgerufen wurde.«395 392 Josephus,
bell. 2,454. Das Ganze geschah auch noch an einem Sabbat (456). diesen Zusammenhängen s. Hengel, Zeloten, passim. 394 Er wollte wohl auch die Tötung seines Vaters rächen. 395 Josephus, bell. 6,312 f. Vgl. Tacitus, hist. 5,13,2 (Stern, GLAJJ II, 23 und den Kommentar: 61 f.); Sueton, Vesp. 4,5; 5,6 f.; vgl. auch Cassius Dio 64,9,1; 65,1,2–4 über ein ähnliches heidnisches Orakel auf dem Karmel. Es handelte sich in jüdischer Sicht vermutlich um 393 Zu
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Josephus und die römischen Historiker Tacitus und Sueton deuteten dieses Orakel auf Vespasian, der als römischer Feldherr in Judäa von seinen Legionen 69 n. Chr. zum Kaiser ausgerufen wurde. Da dieser Orakelspruch, die Bileam-Weissagung Num 24, jedoch von Anfang an die Aufständischen beflügelt hat, wird er auf Menachem sowie später im Krieg auf Simon bar Giora bezogen worden sein, wie er dann auch im Aufstand unter Hadrian auf Bar Kochba gedeutet wurde.396 Die rabbinische Literatur hat die Legende vom Messias Menachem überliefert und in variantenreich abgewandelter Form an ihn erinnert.397 Möglicherweise hätte der Aufstand ähnlich wie der Bar Kochbas – zunächst – einen anderen Verlauf genommen, wenn Menachem sich an der Spitze hätte halten und die verschiedenen zum Aufstand bereiten Gruppen vereinen können. Cestius Gallus führte nun im Herbst 66 die 12. Legion, wesentlich verstärkt durch syrische und nabatäische Auxiliartruppen, mit Belagerungsmaschinen gegen Jerusalem heran, beraten ließ er sich bei der Marschroute und bei der Verproviantierung von Agrippa II. Er schlug sein Lager im Nordosten der Stadt, dem Skopus, auf; es gelang ihm auch, die nördliche Vorstadt zu erobern, aber zu einer Belagerung der Stadt und ihres Tempelbergs sah er sich nicht imstande und zog den Rückzug vor.398 Das wurde seinem Heer zum Verhängnis, das in der Schlucht der Steige von Beth Horon von den Aufständischen von allen Seiten angegriffen und derart dezimiert wurde, daß Cestius Gallus nur durch eine List mit dem Rest seiner Legion nach Antipatris in der Küstenebene entkam. Er muß bald nach der Niederlage – vielleicht durch Selbstmord – gestorben sein.399 Josephus sieht im nachhinein im Rückzug des Cestius Gallus, dem es damals seiner Ansicht nach leicht hätte gelingen können, die Stadt wieder in römische Hand zu bekommen, eine der Ursachen für ihre Selbstzerstörung durch den Num 24,17–24: »Ein Stern wird hervorgehen aus Jakob«, aber auch Dan 7,13 f.; 9,27 mag eine Rolle gespielt haben. S. Hengel, Zeloten, 243–249. 396 Auch der Aufstand unter Trajan (115–117 n. Chr.) in Ägypten und der Kyrenaika stand unter der Führung eines messianischen Prätendenten, des »Königs« Lukuas. Vgl. Hengel, KS I, 314–343; W. Horbury, The Beginnings of the Jewish Revolt under Trajan, in: Geschichte – Tradition – Reflexion. FS M. Hengel, I Judentum, hg. v. P. Schäfer, Tübingen 1996, 283–304. Bar Kochba war messianischer Ehrenname, »Sternensohn« (Num 24,17; s. vorherige Anmerkung), sein eigentlicher Name war Simon bar Kosiba. 397 S. Schwemer, Elija (S. 101 Anm. 335), vgl. weiter o. S. 101. 398 Vgl. Gabba, History, 158. 399 Tacitus, hist. 5,10,1: fato aut taedio occidit (»er starb eines natürlichen Todes oder aus Lebensüberdruß«). An der Steige von Beth Horon wurden berühmte nationale Siege errungen: Jos 10,10 f.; 1 Sam 14,31; auch Judas Makkabäus gelang hier sein erster Sieg: 1 Makk 3,16.24; 7,39; vgl. Hengel, Zeloten, 290; ders., Historiker, 174. Im 1. Jahrhundert n. Chr. war es eine gefährliche Passage, wo räuberische Übergriffe leicht gelingen konnten (bell. 2,228; ant. 20,113; das erklärt den starken militärischen Begleitschutz, den Paulus auf dem Weg von Jerusalem nach Caesarea erhält, Apg 23,23 f.31 f.). Sie gehörte zu den Orten, an denen ein frommer Jude in späterer Zeit einen Segensspruch »im Gedenken an die Wunder Gottes« sprach (bBer 54a; vgl. mBer 9,1).
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I. Das Judentum
Bürgerkrieg innerhalb der Mauern und die Eroberung und völlige Vernichtung durch Titus.400 Der Sieg über Cestius Gallus wurde als großer Erfolg gefeiert401 und verführte zur Hoffnung, die verhaßten Römer ließen sich endgültig aus dem Lande treiben und besiegen: »Die Niederlage des Cestius (wurde) zum Unheil für unser gesamtes Volk; denn dar-
über wurden die Kriegswilligen noch kühner und wurden zuversichtlicher, die Römer letzten Endes besiegen zu können.«402
Dieser überraschende Erfolg erschien in den Augen der Radikalen als Auftakt für den eschatologischen Endkampf und als Bestätigung dafür, daß Gott auf seiten der Juden kämpfe.403 Vermutlich war er auch der Anlaß für die Gemäßigten wie Hannas II. und Josephus, sich dem Aufstand anzuschließen und ihn zu organisieren, um die radikalen Zeloten nicht an die Macht kommen zu lassen.404 Der jüdische Sieg über eine römische Legion weckte zugleich die Angst der heidnischen Bevölkerung in den umliegenden Gebieten vor den Aufständischen. Die Bewohner der hellenistischen Städte in Palästina und Syrien »ergriffen die bei ihnen ansässigen Juden und töteten sie samt Frauen und Kindern,
obwohl sie ihnen gar nichts vorzuwerfen hatten; denn diese hatten weder irgendeine Absicht gehegt, von den Römern abzufallen, noch einen feindlichen und hinterlistigen Gedanken gegen die Syrer selbst.«405
400 Bell. 2,531 f.539 f. »Hätte er bei der Belagerung nur etwas mehr Ausdauer gezeigt, dann wäre ihm die Stadt ohne weiteres in die Hände gefallen. Ich glaube aber, daß sich Gott schon damals wegen der verbrecherischen Menschen vom Heiligtum abgewandt hatte und er es verhinderte, daß der Krieg an jenem Tage ein Ende nahm« (2,539). 401 Josephus, bell. 2,554: Mit Beute beladen und Psalmen singend zogen die Sieger in Jerusalem ein. 402 Josephus, vita 24 (Übersetzung Siegert); vgl. bell. 2,540–555. 403 Zur Vorstellung der göttlichen Symmachie vgl. Hengel, Zeloten, Index 470 s. v. »Eingreifen Gottes«. Vorstöße gegen heidnische Städte wie Askalon, die man nach makkabäischem Vorbild unternahm, wurden nach ersten Mißerfolgen rasch aufgegeben, s. Hengel, Zeloten, 290 f. 404 Millar, Roman Near East, 366, vermerkt die schwer zu erklärende Wende der bisher eher prorömischen Oberschicht zu den Aufständischen. Vgl. auch Gabba, History, 158 zu den Gründen der Beteiligung der Volksspitze. Der nationalstolze und zugleich priesterlich-sadduzäische Hannas II. war vermutlich seit seiner Absetzung mit Agrippa II. und den Prokuratoren verfeindet. Josephus hatte sich 63/64 n. Chr. nach Rom begeben, um besonders gesetzestreue Priester aus römischer Gefangenschaft zu befreien, die schon von Felix »aus geringem und hergeholtem Anlaß« inhaftiert und zur Verantwortung nach Rom geschickt worden waren (vita 13–16). Agrippa II. war zudem ein schlechter Friedensstifter, denn er verstand es nicht wie sein Vater, seine Tempelaufsicht ohne Protest der Priesterschaft auszuüben. Vgl. o. S. 106. 405 Josephus, vita 25 (Übersetzung Siegert); vgl. bell. 2,457–480.559 ff.; 7,361–369. Vgl. Hengel / Schwemer, Paulus, 83.95.
§ 3 Das Judentum unter römischer Herrschaft im 1. Jahrhundert vor und nach Christus 115
Die militärische Organisation in Jerusalem übernahmen zunächst die eher gemäßigten »Hohenpriester und Pharisäer«, indem sie eine Art »Revolutionsrat«406 bildeten und versuchten, aus den verschiedenen »Banditen und Aufständischen« eine nationale jüdische Armee, die es ja seit der Hasmonäerzeit nicht mehr gab, mit besoldeten Truppen aufzustellen. Eleazar, Sohn des Ananias, wurde zu diesem Zweck nach Idumäa gesandt und Josephus zusammen mit zwei anderen Priestern nach Galiläa geschickt, um ein Heer zu sammeln und die Region auf den zu erwartenden Angriff der Römer vorzubereiten.407 In Galiläa intrigierten und bekämpften sich gegenseitig drei Parteien: einmal die radikalen Zeloten unter Führung des Johannes von Gischala, dann die Rom und dem König Agrippa II. treu Gebliebenen und drittens die gemäßigten Aufständischen, an deren Spitze sich Josephus stellte, der als Angehöriger der reichen Oberschicht – wie diese insgesamt – immer unter dem Verdacht stand, eigentlich ein heimlicher Parteigänger Roms zu sein. Das Bild, das Josephus als Augenzeuge im Bellum und in seiner Vita von den Unruhen im Galiläa der 60er Jahre zeichnet, verdeutlicht, daß die Evangelien das Wirken Jesu in der vergleichsweise ruhigen Zeit unter Herodes Antipas beschreiben; das ungefährdete »Wanderleben« Jesu und seiner Jünger in den galiläischen Dörfern, am See Genezareth, in dem Gebiet von Tyros, der Dekapolis und der Dörfer von Caesarea Philippi wäre in der späteren Zeit, als die jüdisch-heidnischen Feindseligkeiten das Klima vergifteten, so kaum mehr möglich gewesen.408 Markus berichtet hier um 70 über Vorgänge aus einer früheren, wesentlich ruhigeren Zeit.409 Nero sandte den erfahrenen Vespasian, der sich in Griechenland befand, als Oberbefehlshaber eines Heeres von drei Legionen und zusätzlichen Auxiliartruppen nach Judäa und machte dieses zu einer selbständigen Provinz.410 Wie erwartet eroberte Vespasian von Ptolemaïs aus im Frühjahr 67 zunächst Galiläa. Sepphoris verweigerte die Teilnahme am Aufstand und blieb Rom treu. Hier mag die Katastrophe unter Varus nachgewirkt haben. Josephus trat nach der 406 Josephus, bell. 2,562–565 nennt Joseph, Sohn des Gorion, und den ehemaligen Hohenpriester Hannas II. an der Spitze, die jedoch bald von Eleazar, Sohn des Simon, verdrängt wurden. 407 Josephus, vita 29: »(D)a schickten sie mich und zwei andere Priester, Ehrenmänner, Jo‛azar und Jehuda, damit wir die üblen Elemente zur Niederlegung der Waffen bewegten und belehrten, dass es besser sei, sie für die Elite des Volkes zur Verfügung zu halten. Sie hatten beschlossen, die Waffen für alle Eventualitäten bereit zu halten, jedoch zu warten, um zu erfahren, was die Römer tun würden.« Übersetzung Siegert, Josephus, 35; dazu den Kommentar S. 35 Anm. 43. 408 Vgl. auch Millar, Roman Near East, 342; Freyne, Galilee and Gospel, 187. 409 Mit Ausnahme von Mk 13; vgl. »sub Tiberio quies«, dazu o. S. 87 Anm. 264. In Rom war er zudem über die Vorgänge in Judäa und Galiläa schlecht informiert. 410 Josephus, bell. 3,69 f. übertreibend: insgesamt 60.000 Mann »ohne den Troß der Knechte«, die ebenfalls kriegerisch ausgebildet waren und im Kampf eingesetzt werden konnten.
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I. Das Judentum
Eroberung von Jotapata – zunächst als Gefangener – auf die römische Seite über. Er hatte bei seiner Gefangennahme unter Berufung auf seine priesterliche Profetengabe Vespasian die künftige Weltherrschaft angekündigt.411 Tiberias ergab sich ohne Kampf, Tarichäa (= Magdala), Gamala in der Gaulanitis und die Festung auf dem Tabor wurden erobert. Nach dem Fall von Gischala, das sich ergab, gelang es dem Zelotenführer Johannes und seinen Anhängern, gegen Ende des Jahres nach Jerusalem zu fliehen. Hier errichtete er ein »Schreckensregiment«, gestützt auf den radikalen Flügel der überwiegend priesterlichen Zeloten und die anderen aus den von den Römern beherrschten Gebieten Geflohenen, die »vom Land in die Stadt strömten«.412 Diese »strömten« nach Jerusalem nicht nur, weil es eine befestigte Stadt war, sondern vor allem auch im Vertrauen, daß Stadt und Tempel dank göttlichen Schutzes uneinnehmbar seien. Das Wunder, das sich bei der Belagerung durch Sanherib ereignet hatte, wurde unter eschatologischen Vorzeichen jetzt noch sehr viel eindeutiger erwartet. Die romfreundliche und gemäßigte Oberschicht, bestehend aus dem Laienadel und den hochpriesterlichen Familien, wurde weiter entmachtet, Prominente wurden ermordet oder ins Gefängnis geworfen.413 Als neuer Hoherpriester wurde Phanni (Pinchas), Sohn des Samuel, durchs Los – gewissermaßen ein Gottesurteil – bestimmt, der aus keiner der mit Herodes I. an die Macht gekommenen hochpriesterlichen Familien, sondern aus der einfachen Priesterschaft stammte. Nach rabbinischen Nachrichten soll er Steinhauer gewesen sein.414 Dies bedeutete nach der Einstellung des Opfers für den Kaiser gewissermaßen eine zweite »Tempelreinigung« durch die Zeloten, die im Tempel eingeschlossen wurden und gegen die Hannas II. das Volk in Jerusalem zu den Waffen rief. Doch den Zeloten im Tempel kamen Idumäer zu Hilfe, die von Johannes von Gischala gerufen worden waren und vor allem gegen die führenden Mitglieder der hochpriesterlichen Clans unter der Beschuldigung, sie wollten die Stadt den Römern übergeben, vorgingen.415 Unter anderem ermordeten sie Hannas II., und seine Leiche blieb hinausgeworfen über die Stadtmauer unbeerdigt liegen. Mit seinem Tode, so urteilt Josephus, »habe die Eroberung der Stadt begonnen und der Einsturz der Mauer, der Untergang
des jüdischen Staates habe mit jenem Tage eingesetzt, an dem die Bürger Jerusalems den Hohenpriester und Führer, auf dem ihr eigenes Heil beruhte, mitten in der Stadt
411 Josephus, bell. 3,399–402; vgl. 4,622–629 zur Freilassung des Josephus, nachdem Vespasian von den Truppen zum Kaiser ausgerufen wurde. In der rabbinischen Literatur wird diese Weissagung Jochanan ben Zakkai zugeschrieben (EkhaR 1,13). 412 Josephus, bell. 4,138; vgl. 4,121 ff. Vgl. Lk 21,20–24 die Warnung, nicht in die Stadt zu fliehen; Mk 13,14–19 stellt die Vorgänge von Rom aus ganz unrealistisch dar. 413 Josephus, bell. 4,135–146. 414 Josephus, bell. 4,147–150.153–157; tJoma 1,6 (Zuckermandel 180); vgl. Hengel, Zeloten, 181 Anm. 2; 224 ff. 415 Josephus, bell. 4,226.229.245.273.347.
§ 3 Das Judentum unter römischer Herrschaft im 1. Jahrhundert vor und nach Christus 117
hingeschlachtet sahen. … Wäre Ananos [Hannas II.] am Leben geblieben, so wäre sicherlich ein Vergleich (mit den Römern) zustande gekommen.«416
Das schreckliche Ende Hannas’ II. kommentiert er als Priester zunächst theologisch und gibt damit einen wichtigen Hinweis auf die religiöse Bedeutung des hochpriesterlichen Amtes,417 und dann als Politiker und Historiker. Seine Einschätzung der Situation erscheint gar nicht so falsch, einen solchen »Ausgleich / Friedensschluß« mit den Römern wollten die radikalen Zeloten um jeden Preis verhindern. Trotz der andauernden Wirren des Bürgerkriegs und der Machtkämpfe bildeten Jerusalem und die von den Römern zunächst nicht eroberten Teile Judäas für vier Jahre einen »freien« Staat; diese Freiheit dokumentieren die Aufstandsmünzen. Zum ersten Mal seit Beginn der römischen Herrschaft prägten Juden Silbermünzen (aus dem im Tempelschatz vorhandenen Silber) und nicht nur Kleingeld, was durch die stolzen Aufschriften zum Ausdruck gebracht wurde, die in althebräischer Schrift, nicht mehr in griechischer Sprache wie seit Herodes I. üblich, abgefaßt waren. Die wiedergewonnene Souveränität feierten die Münzlegenden »Schekel von Israel«, »Jerusalem ist heilig« und »das heilige Jerusalem«, was auf die von Fremden gereinigte Stadt und den besonderen göttlichen Schutz hinweist. Sie ersetzten die bisherige Tempelwährung, die tyrischen Tetradrachmen und Di drachmen, auf denen Melqart-Herakles – stilisiert als Alexander der Große – und der ptolemäische Adler prangten.418 Die im Wert geringeren Bronzeprägungen kündeten von der »Freiheit Zions« und der »Erlösung Zions«. Diese Jahre der ›Freiheit‹ verdankte Jerusalem im Grunde der vorsichtigen Strategie Vespasians, der im Blick auf die schon 68 n. Chr. sichtbar werdende Unruhe im Reich die Belagerung der Hauptstadt hinauszögerte419 und innerhalb von eineinhalb Jahren den größten Teil des übrigen Landes bis auf Jerusalem, seine nähere Umgebung und die Festungen Herodeion, Masada im Süden und 416 Bell.
4,316–318.321. Funktion des Hohenpriesters als ™gemán tö“ ¢d‡a“ swthr‡a“ in bell. 4,318 vgl. Hebr 2,10: Der wahre Hohepriester, Christus, ist der ürchgÖ“ tö“ swthr‡a“. Josephus betrachtet Hannas II., obwohl er nur drei Monate amtierte, als legitimen Hohenpriester und Anführer des Volkes (vgl. ant. 20,251: tÉn dÇ prostas‡an toú ≤qnou“ o´ ürciereõ“ †pep‡steunto, seit Beginn der Herrschaft der römischen Präfekten und Prokuratoren standen die Hohenpriester an der Spitze des Volkes). Zur prostas‡a vgl. Goodblatt, Monarchic Principle, 27 ff.215 f.; M. Hengel, Judentum und Hellenismus, 687 Index s. v. 418 Dazu Mildenberg, Schekel-Fragen, 170–175; vgl. o. S. 65 Anm. 141. Auch die neuen Münzbilder mit Kelch (vgl. »Kelch des Heils« Ps 116,13) auf der Vorderseite und Granatapfel auf der Rückseite sollten diese Münzen eindeutig von allen Vorgängern unterscheiden. Vgl. die Abbildungen bei Mildenberg, op. cit., 362 f. Tafel LI. Zu den Münzlegenden vgl. Schürer I, 605 f. 419 Josephus, bell. 4,366: »Auf der Seite der Römer glaubten alle Heerführer, die Zwietracht im Lager der Feinde sei ein unverhoffter Vorteil, sie verlangten ungestüm den Angriff auf die Stadt und drängten dazu Vespasian«. 417 Zur
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I. Das Judentum
Machärus im Osten eroberte, wobei er im ›Drei-Kaiser-Jahr‹ 69 n. Chr.420 nach der Ermordung Neros (9. Juni 68 n. Chr.) die Kampfhandlungen ganz einstellte und von der vorgesehenen Belagerung Jerusalems absah.421 Vespasian profitierte während dieser Zeit vom Bürgerkrieg, der in Jerusalem herrschte, denn aus den von ihm bedrohten bzw. eroberten Gebieten flohen Aufständische in die Stadt und kämpften gegeneinander um die Macht. Der Feldherr sagte sich: »Bleibe ich … an Ort und Stelle, so werde ich es mit weniger (Feinden) zu tun haben, da sie sich bei ihrem Bürgerkrieg selbst aufreiben.«422
Vespasian wurde von den Truppen im Juli 69 n. Chr. in Alexandrien und in Caesarea Maritima – in Übereinkunft mit dem Präfekten Ägyptens Tiberius Alexander und dem Statthalter in Syrien Lucinius Mucianus – zum Kaiser ausgerufen und wartete in Alexandria den siegreichen Marsch seiner Truppen in den Westen nach Italien und Rom bis zum Sommer 70 n. Chr. ab.423 Nach Jerusalem schickte er im Frühjahr 70 seinen Sohn Titus mit einem verstärkten Heer, um die Stadt zu erobern und den Krieg zu beenden. In Jerusalem bekämpften sich schließlich drei Aufstandsparteien: Ein mächtiger Gegner erwuchs dem Johannes von Gischala424 in Simon bar Giora, Sohn eines Proselyten, der zunächst während der Waffenruhe mit seinen zelotischen Anhängern Judäa und Idumäa beherrscht hatte, von Hannas II. zurückgedrängt worden war, dann aber im Frühjahr 69 n. Chr. auf Einladung des Hohenpriesters Matthias nach Jerusalem kam.425 420 In der Zwischenzeit kam es im römischen Westen zum Bürgerkrieg und mehrfachem Kaiserwechsel. Galba, der Nachfolger Neros, wurde von Otho ermordet, dieser von Vitellius, dem Befehlshaber der Legionen an der Rheingrenze, besiegt. Auf den römischen Bürgerkrieg weist das in Rom (im Jahr 69/70) entstandene Markusevangelium in 13,7 f. hin. 421 Josephus, bell. 4,491. Vgl. 4,550–555: Am 23. Juni 68 bricht Vespasian von Caesarea aus zu einem Heereszug nach Judäa und Idumäa auf, an dessen Ende »alle festen Orte bezwungen (waren) außer den von den Zeloten besetzten Burgen Herodeion, Masada und Machärus; Jerusalem stand jetzt als einziges Ziel den Römern vor Augen« (555). Vgl. bell. 4,588 ff.: Vespasian erfährt nach seiner Rückkehr nach Caesarea von den Wirren in Rom und der Ernennung des Vitellius, danach plant er seinen eigenen Aufstieg. 422 Josephus, bell. 4,369. Unter anderem vernichteten die Aufständischen in ihrem Bruderkrieg die Getreidevorräte; dazu Hengel, Zeloten, 401 f. und Index 470. 423 Tacitus, hist. 2,79,1 erwähnt die Proklamation Vespasians in Ägypten zum Autokrator; Josephus, bell. 4,592–621 die in Caesarea; vgl. Schürer I, 500; Millar, Roman Near East, 73 ff.; W. Eck, Art. Vespasianus, DNP 12,2, 2003, 126. Vespasian wurde zum Beherrscher des Ostens. Die flavische Propaganda arbeitete für diesen Dynastiewechsel nicht nur mit dem Orakel aus dem Orient (Tacitus, hist. 5,13,2), das für Josephus wahrscheinlich mit der Bileamsweissagung identisch war, sondern auch mit den Wundertaten des Vespasian im Serapisheiligtum in Alexandria; vgl. Tacitus, hist. 4,81,1–3; Sueton, Vesp. 7,2 f. Vgl. o. S. 112 f. Anm. 395. 424 Zu seiner ›Tyrannis‹, vor der viele Jerusalemer zu den Römern flohen, vgl. Josephus, bell. 4,389–397. 425 Josephus, bell. 4,573–577; 5,527–533. Er sollte die Tyrannei Johannes’ von Gischala, der priesterlichen Zeloten und der Idumäer beenden.
§ 3 Das Judentum unter römischer Herrschaft im 1. Jahrhundert vor und nach Christus 119 »Mit stolzer Herablassung willigte Simon ein, ihr Herrscher zu sein, und rückte in
die Stadt ein, um diese von den Zeloten zu befreien; dabei umjubelte ihn das Volk als seinen Retter (swtflr) und Beschützer (khdem„n). Er aber, nachdem er mit seiner Streitmacht hereingekommen war, dachte (nur) an die Stärkung seiner persönlichen Macht.«426
Simon war wie Menachem ein politischer Messiasprätendent; er hielt – jetzt mit den Idumäern verbündet – die Oberstadt und einen großen Teil der Unterstadt besetzt, während sich Johannes von Gischala mit seinen Galiläern in den Tempelbereich zurückziehen mußte.427 Eleazar, Sohn des Simon, und seine überwiegend priesterlichen Anhänger, die Josephus in der Regel »die Zeloten« nennt,428 spalteten sich zeitweise von der Gruppe um Johannes von Gischala ab,429 so daß es zu einem »Dreifrontenkrieg« kam, in dem die Bevölkerung am meisten litt.430 Diesem blutigen Streit (≤ri“) setzte erst die Belagerung durch Titus im Frühjahr 70 ein Ende.431 Bis zur Eroberung des Tempels bestärkten zelotische Profeten die uner schütterliche Zuversicht, daß Heiligtum und Stadt uneinnehmbar seien und Gott sie retten würde.432 Ihnen widersprachen Unheilsprofeten wie Jesus, Sohn des Ananias, der »sieben Jahre und fünf Monate lang« ohne Unterbrechung seine 426 Josephus, bell. 4,575 f. Vermutlich sind die Bronzeschekel mit der Aufschrift »Jahr 4« und »für die Erlösung Zions« von Simon geprägt worden; s. Hengel, Zeloten, 303. Für seine messianischen Ambitionen spricht auch sein Ende: Nach der Zerstörung des Tempels und der Eroberung Jerusalems durch die Römer tauchte er im Tempelbereich plötzlich in königlichem Ornat aus den unterirdischen Gängen auf und übergab sich den Römern. Zu seinem Ende s. u. S. 120 Anm. 439. 427 Josephus, bell. 4,577–584. 428 Vgl. o. S. 111 Anm. 390. 429 Josephus, bell. 5,5 ff.: Schon zu Anfang des Aufstandes hatte er seine »Zeloten« in den Tempelbezirk gebracht. 430 Josephus, bell. 5,2: st›sin … trimerö (vgl. 5,21); 5,14–20.27: »Das Volk wurde mitten darin wie ein großer Körper in Stücke zerrissen«. Vgl. Tacitus, hist. 5,12,3 f.: Tres duces …: extrema et latissima moenium Simo, mediam urbem Ioannes [quem et Bargioram vocabant], templum Eleazarus firmaverat. … Mox Ioannes, missis per speciem sacrificandi qui Eleazarum manumque eius obtruncarent, templo potitur. Ita in duas factiones civitas discessit, donec propinquantibus Romanis bellum externum concordiam pareret. »Es gab drei Anführer …: Die äußerste und längste von den Mauern hatte Simon besetzt, die mittlere Stadt Johannes, [den man auch Bargiora (eine offensichtliche Namensverwechslung) nannte,] den Tempel hatte Eleazar gesichert. … Bald bemächtigte sich Johannes des Tempels, indem er einige seiner Leute unter dem Anschein, sie wollten Opfer darbringen, schickte, die Eleazar und seine Gefolgsleute umbrachten. So war die Stadt nur noch in zwei Parteien gespalten, bis durch das Heranrücken der Römer der Krieg mit den äußeren Feinden die innere Eintracht herstellte.« Vgl. Stern, GLAJJ II, 23 und den Kommentar S. 59. 431 Josephus, bell. 5,71–74. Vgl. 5,98–105: Selbst während der Belagerung bekämpfen sich Johannes und Simon wieder gegenseitig. 432 Josephus, bell. 6,286: »Es gab damals überhaupt viele Profeten, die von den Tyrannen (das heißt Johannes von Gischala und Simon bar Giora) eingesetzt wurden und verkündeten, daß man auf die Hilfe Gottes warten solle, damit weniger Leute (zu den Römern) überliefen
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I. Das Judentum
Weherufe in der Stadt ausgestoßen hatte, bis er bei Beginn der Belagerung von einem Geschoß getroffen wurde.433 Auch Josephus, ein genialer Opportunist und inzwischen jüdischer Berater des Titus, verstand sich als profetischer Mahner wie einst der Profet Jeremia und suchte die Aufständischen in der Stadt zur Besinnung zu bringen.434 »Das elende Volk ließ sich damals von Verführern und Betrügern, die sich fälschlich als
Boten Gottes ausgaben, beschwatzen, den deutlichen Zeichen aber, die die kommende Verwüstung im voraus anzeigten, schenkten sie weder Beachtung noch Glauben.«435
So kam es, daß – als der Tempel schon brannte – die römischen Truppen auf eine Menge von 6000 stießen, die ein Profet in den Tempel geführt hatte, denn: »Gott habe den Befehl gegeben, zum Heiligtum hinaufzugehen, dort würden sie die Zeichen der Erlösung empfangen.«436
Vermutlich berief sich dieser Profet auf Dan 9,27, waren die Römer doch nach drei Monate langer Belagerung in den Tempelhof eingedrungen und das tägliche Opfer eingestellt worden.437 Es war auch kein Zufall, daß Titus – wahrscheinlich auf einen Hinweis seines »Beraters« Josephus hin – den Befehl zum endgültigen Sturm auf das Heiligtum am 10. Ab gab, dem Tag, an dem auch der Erste Tempel zerstört wurde.438 Simon bar Giora wurde als wichtigster Anführer im Anschluß an den Triumphzug der Sieger Vespasian und Titus in Rom ›rituell‹ hingerichtet.439 Johannes von Gischala blieb lebenslang in römischer Haft. In der Katastrophe des Jahres 70 sahen die frühen Christen die Erfüllung der Tempelweissagung Jesu (Mk 13,1 f.), die synoptische Apokalypse spiegelt in und diejenigen, die über Furcht und Gefängnis schon hinaus waren, durch Hoffnung ermuntert würden.« S. o. S. 116. 433 Josephus, bell. 6,300–309. Vgl. o. S. 103 Anm. 348 zu seiner Behandlung durch Albinus und u. S. 578 zu seiner Bedeutung für den Prozeß Jesu. 434 Zu seiner Rede bell. 5,362–419, vgl. Hengel, Zeloten, 247 f. 435 Josephus, bell. 6,288. 436 Josephus, bell. 6,285. Die Zahl ist wieder eine typische Übertreibung. 437 Josephus, bell. 6,93 f.; dazu Hengel, Zeloten, 248 f. 438 Vgl. Hengel, Zeloten, 249. Auch wenn Josephus immer wieder versichert, Titus habe das Heiligtum erhalten wollen, so wurde es sicher auf Befehl Titus’ (und Vespasians) zerstört; vgl. die Schließung des jüdischen Tempels in Leontopolis in Ägypten auf Befehl Vespasians (Josephus, bell. 7,421). S. auch Sulpicius Severus, Chronica 2,30,7: »… andere, auch Titus selbst, sagten, vor allem der Tempel müsse zerstört werden, wodurch die Religion der Juden und Christen vollständiger ausgerottet würde, denn diese Religionen – auch wenn sie sich gegenseitig widersprechen – gehen auf dieselben Gründer zurück; die Christen stammen von den Juden ab, sei die Wurzel ausgerissen, sei der Sprößling leicht zu vernichten.« Dazu M. Hengel, KS III, 418 f. 439 Die Form seiner Selbstauslieferung an die Römer bezeugt seinen messianischen Anspruch (Josephus, bell. 7,26–36), ebenso seine Hinrichtung (Josephus, bell. 7,118.154). Vgl. Hengel, Zeloten, 303 f. K. Bringmann, Geschichte der Juden im Altertum, Stuttgart 2005, 258 zeichnet ein verkehrtes Bild.
§ 3 Das Judentum unter römischer Herrschaft im 1. Jahrhundert vor und nach Christus 121
Mk 13 die endzeitlichen Erwartungen kurz vor der Zerstörung des Heiligtums, während Lukas und Matthäus auf sie zurückblicken, wobei Lukas, der sein Evangelium wohl bald nach der Katastrophe schreibt, persönlich tief davon betroffen ist und einzelne Vorgänge detailliert und sachlich richtig schildert.440
440 Vgl.
Hengel, Gospels, 189–194.
§ 4 Die jüdischen »Religionsparteien« in Palästina: Pharisäer, Essener, Sadduzäer, Zeloten, Samaritaner und andere Gruppen 4.1 Die jüdischen Parteien in den »Sektenkatalogen« des Josephus und ihre Parallelen Auch ein knapper Überblick über die Geschichte Judäas muß auf die Bedeutung der religiösen Parteien für die historische Entwicklung eingehen und bliebe ohne eine Darstellung von Pharisäern, Sadduzäern, Essenern, Samaritanern, aber auch der Zeloten, von denen schon ausführlicher die Rede war, unverständlich. In der Antike waren Religion und Staat nicht getrennt, und vor allem im Judentum, dessen innere Verfassung Josephus zu Recht nicht nur eine »Aristokratie«, an deren Spitze die Hohenpriester stehen, sondern eine »Theokratie« nennt, waren Politik und Religion, Gesetzesauslegung und das Streben nach der Macht, diese im Volk durchzusetzen, untrennbar miteinander verbunden. Josephus schildert mehrfach die grundsätzliche Dreiteilung der jüdischen Religionsparteien, die er für seine römisch-griechische Leserschaft nach älterem Vorbild als philosophische Schulrichtungen (a´rfisei“) beschreibt und lehrmäßig unterscheidet: Vgl. dazu Böhm, Samarien; Deines, Pharisäer; ders., Pharisees; Dexinger, Ursprung; J. Frey, Temple; Hengel, Zeloten; Hengel / Deines, Pharisäer, in: Hengel, KS I, 392–429; H. Lichtenberger / A. Lange, Art. Qumran, TRE 28, 1997, 45–79; J. P. Meier, Marginal Jew II, 289–613; Saldarini, Pharisees; Stemberger, Pharisäer; ders., Sadducees; Qimron / Strugnell, Miqsat Ma‛aśe ha-Torah; VanderKam, Qumranforschung. Ant. 20,251. C. Ap. 2,165. Das ist die ideale Verfassung, die Mose den Israeliten gab, und entspricht für Josephus der basile‡a toú qeoú, der in der Verkündigung Jesu ganz anders gefaßten zentralen Vorstellung von der »(Königs‑)Herrschaft Gottes«. Das Wort »Theokratie« erscheint in antiken Texten allein bei Josephus an dieser Stelle. Josephus, bell. 2,119. Vermutlich hat Nikolaos von Damaskus die jüdischen Religionspar teien schon als a´rfisei“ bezeichnet, denn Josephus, ant. 13,171 ff. verwendet wohl Nikolaos als Quelle. Vgl. u. S. 126 Anm. 24. S. auch Philo, hyp. (Euseb, praep. ev. 8,11). Die frühesten griechischen Autoren, Theophrast, Klearch von Soloi als Aristotelesschüler und Megasthenes, der seleukidische Gesandte in Indien, beschreiben die Juden positiv als »Philosophen«; vgl. Hengel, Judentum und Hellenismus, 464–473. Entsprechend begründet der jüdische Religionsphilosoph Aristobul (ca. 170 v. Chr.) seine Abänderung von »Zeus« in »Gott« in seinem
§ 4 Die jüdischen »Religionsparteien« in Palästina
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»Es treiben nämlich bei den Juden drei Gruppen Philosophie: Die Anhänger der ersten
heißen Pharisäer; die der zweiten Sadduzäer; die dritte Gruppe aber, die sich in der Tat (besonders) in der Heiligkeit übt, heißt Essener.«
Im Bellum äußert er sich – einer Quelle folgend – besonders ausführlich über die strenge Askese der Essener, die in ritueller Reinheit und Gütergemeinschaft in einem Gruppenverband leben, für den es rigorose Aufnahme‑ und Verhaltensregeln gibt und in dem die Priester die Leitung haben, über ihre Lehre von der Unsterblichkeit der Seele und über das »Schicksal«, das heißt die göttliche Deter mination.10 Er unterscheidet eine die Ehe verachtende Gruppe von solchen Esse nern, die sie für notwendig halten wegen der Nachkommenschaft, und erwähnt, Arat-Zitat damit, daß »alle Philosophen sich darüber einig sind, daß man von Gott heilige Begriffe haben müsse. Unsere Schule (aºresi“) dringt mit Recht am meisten darauf. Die ganze Einrichtung unseres Gesetzes ist nämlich auf Frömmigkeit, Gerechtigkeit, Enthaltsamkeit und die übrigen der Wahrheit gemäßen Güter ausgerichtet« (Euseb, praep. ev. 12,12,6–8). Wenige Sätze zuvor (u. ö.) geht er selbstverständlich davon aus, daß die griechischen Philosophen Pythagoras, Sokrates und Platon sich dem älteren Mose in ihren Ansichten teilweise angeschlossen haben, dessen »Schule« er selbst vertritt. Auch Lukas nennt Sadduzäer, Pharisäer und Judenchristen (Nazoräer) a´rfisei“ (Apg 5,17; 15,5; 24,5 u. ö.). Wahrscheinlich »die Abgesonderten«, s. R. Deines, Art. Pharisäer, DNP 9, 2000, 740. R. Deines, Art. Sadduzäer, DNP 10, 2001, 1204: »Der griech(ische) Name Saddukaíoi … geht vermut(lich) auf den Oberpriester Zadok z. Z. Davids zurück«; man glaubte, daß »in dessen Familie bis ins 2. Jh. v. Chr. die hohepriesterliche Würde erblich war.« »Fromme«, der griechische Name ist wohl die Wiedergabe von aramäischem hassaya (entspricht hebräischem hasîd) und war eine Fremdbezeichnung; die Qumran-Essener selbst nannten sich yahad (»Einung / Gemeinde«) bzw. »(der neue) Bund«; vgl. 1QS passim; CD VI 19; VIII 21; XIX 33; XX 12 u.ö. Philo, prob. 75 (vgl. auch hyp. 11,1) verweist mit Recht zur Herleitung des Namens auf die griechische Entsprechung ¨si·th“ und Ωsio“. Der aramäische Name von Qumran »Festung der Frommen« (msd hsdyn) ist auf einem Papyrus belegt (Murabba‘at 45,6; DJD IIa, 1961). S. auch 4QLevibar = 213a Frag. 3/4 Z. 6: »der Name der Frommen (šm hsyh) wird nicht ausgetilgt werden« = DJD 22 (Qumran Cave 4, XVII, 3), p. 33; dazu den Kommentar p. 35 unter Verweis auf das syrisch-aramäische hasjāh; s. dazu C. Brockelmann, Lexicon Syriacum, 21928, 245. Der Rahmen in 2,119 und 2,162 f. läßt dies erkennen, obwohl Josephus keine Quelle angibt. Vgl. Deines, Pharisees, 475 Anm. 110. S. Isser, The Samaritans and their Sects, in: The Cambridge History of Judaism III, ed. by W. Horbury etc., Cambridge 1999, 569 nimmt im Anschluß an M. Smith an, Josephus und Hippolyt hätten eine gemeinsame Quelle verwendet, die die Samaritaner als dritte ›Sekte‹ nannte; Josephus habe diese gestrichen und statt dessen den Essenerbericht eingefügt. S. auch Hengel, Zeloten, 73–76. S. dazu H.-J. Klauck, Gütergemeinschaft in der klassischen Antike, in Qumran und im Neuen Testament, in: ders., Gemeinde – Amt – Sakrament, Würzburg 1989, 69–100. 10 Josephus, bell. 2,120–161. Priester sprechen das Tischgebet vor und nach den Mahlzeiten, die in ritueller Reinheit eingenommen werden. Das Morgengebet Richtung Sonne soll den gebildeten Leser an Sokrates erinnern (Platon, Symp. 220d 4 f.); vgl. das Morgengebet 4Q408, das Gott preist, der den Morgen als Zeichen des Lichts geschaffen hat. Zur strengen Determination als hervorstechendem Zug der Essener vgl. VanderKam, Qumranforschung, 132; H. Lichten berger / A. Lange, Art. Qumran, TRE 28, 1997, 45–79 (Lit.). Sie hat eine gewisse Parallele in der Prädestinationslehre bei Paulus und Johannes.
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I. Das Judentum
daß Mitglieder dieser Partei in allen größeren Städten des Landes wohnen.11 In Jerusalem muß es eine bedeutende Niederlassung der Essener gegeben haben, die nicht ohne Einfluß auf das religiöse und geistige Leben der Stadt gewesen sein kann.12 Sie bemühen sich auch um »die Schriftwerke der Alten«, in besonderer Weise um geheimgehaltene, zusätzliche Offenbarungsschriften. Die überwältigenden, einzigartigen Schriftfunde (unter anderem Reste von über 900 Schriftrollen) in der essenischen Siedlung Qumran, auf der Nordwestseite des Toten Meeres, haben das von Josephus, aber auch durch andere antike Autoren wie Philo und Plinius gezeichnete Bild überraschend bestätigt und erweitert, zugleich aber eine Fülle neuer Fragen aufgeworfen.13 Wesentlich ist, daß Josephus seine Darstellung der jüdischen Religionsparteien in einer gewissen interpretatio graeca vorträgt, um sie seinen griechisch-römischen Lesern besser verständlich zu machen. Bei den Pharisäern hebt Josephus hervor, daß sie die »erste (das heißt bedeutendste) Schulrichtung«14 sind und sich durch die besondere »Genauigkeit«15 ihrer Gesetzesauslegung hervortun. Lehrmäßig unterscheiden sie sich von den Essenern dadurch, daß sie »dem Schicksal und Gott alles zuschreiben; Rechtes zu tun oder nicht, hänge zwar von den Menschen selbst ab, es helfe aber zu jedem Handeln das Schicksal mit.«
Jede Seele sei unsterblich, aber nur die Seelen der Guten gehen am Ende der Zeit in einen anderen Leib über, die der Schlechten werden in der Unterwelt bestraft.16 11 Josephus, bell. 2,124: »Es ist nicht eine einzige Stadt die ihre, sondern in jeder wohnen viele.« Zum Problem des »Zölibats« s. u. S. 161. 12 Josephus erwähnt das Essenertor (bell. 5,145), das an der Südwestmauer der Stadt liegt; vgl. Hengel, KS III, 136; ausführlich R. Riesner, Essener und Urgemeinde in Jerusalem, Gießen 21998, 2–30. 13 Zu den antiken Essenerberichten s. die Quellensammlung von A. Adam / C. Burchard, Antike Berichte über die Essener, 1961 (21972). Zu den Textfunden aus Qumran und zur Geschichte der Gemeinschaft vgl. den Überblick von H. Lichtenberger / A. Lange, Art. Qumran, TRE 28, 1997, 45–79. S. auch u. S. 137–141. 14 pr„th aºresi“: bell. 2,162; vgl. vita 10. Das heißt, sie sind für ihn die einflußreichste Gruppe, was völlig mit den neutestamentlichen Nachrichten übereinstimmt. 15 ükr‡beia: bell. 2,162; ant. 17,41; 19,332; vita 191; ükriboún: bell. 1,648; vgl. 1,108; ebenso kennzeichnet er sie als ükribfl“: bell. 1,110; ant. 20,201. Vgl. Apg 22,3; 26,5. 16 Josephus, bell. 2,162 f. Zum Schicksalsbegriff e´marmfinh bei Josephus, der dem der göttlichen Vorsehung (vgl. PsSal 9,4) entspricht, vgl. Schürer II, 393 ff. Nur bei den Pharisäern erwähnt Josephus die »leibliche« Auferstehung in einer für seine griechisch-römischen Leser verständlichen Form (vgl. auch c. Ap. 2,218). Das Zusammenwirken von göttlicher Prädestination und freiem Willen erscheint in der Geschichtstheologie des Josephus (s. dazu u. S. 130 Anm. 43), in den Psalmen Salomos (14,8 u. ö.), als deuteronomistisches Erbe, aber auch noch in der Maxime Aqibas (mAv 3,19): »Alles ist vorhergesehen, dennoch ist freie Wahl gegeben.« S. dazu Hengel, Judentum und Hellenismus, Index s. v. »Willensfreiheit«; G. Maier, Mensch und freier Wille, WUNT 12, Tübingen 1971. Zum pharisäischen Auferstehungsglauben s. Hengel,
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Die Sadduzäer dagegen lehnen die Vorstellung der Vorherbestimmung durch das Schicksal vollständig ab, denn Gott könne überhaupt nichts Böses tun, und »der Wahl des Menschen sei das Gute und das Schlechte anheimgegeben«.17
Von einem Weiterleben der Seelen nach dem Tode wollen sie nichts wissen; damit lehnen sie die – vor allem durch die Martyrien in der Religionsnot unter Antiochus IV. geförderte – Vorstellung von der Auferstehung der Toten grundsätzlich ab.18 Zur »philosophischen Lehre« gehört auch für Josephus einem antiken Konsens entsprechend selbstverständlich die ihr gemäße Lebenspraxis. Da nicht alle Angehörigen des jüdischen Volkes Mitglieder bzw. Parteigänger dieser »Schulen« sind, beschreibt Josephus nicht nur ihr Verhalten untereinander, sondern auch das nach außen den Volksgenossen gegenüber. Die Essener sind mehr als alle anderen Juden untereinander mit besonderer Liebe verbunden,19 trennen sich aber vom übrigen Volk ab durch ihre strengen Aufnahmeriten und Reinheitsbestimmungen. Sie bilden einen geschlossenen Gruppenverband, kein Außenstehender hat Zugang zu ihren gemeinsamen Veranstaltungen. Ein ›Novize‹ wird erst nach dreijähriger Prüfung und eidlicher Verpflichtung in die Mahlgemeinschaft aufgenommen.20 Auch die Pharisäer sind einander eng verbunden, bemühen sich aber zudem um Einigkeit zum Nutzen des Gemeinwesens,21 das heißt sie wollen ihr Toraverständnis dem ganzen Volk nahebringen. Die aristokratisch-priesterlichen Sadduzäer dagegen sind untereinander und ihren Volksgenossen gegenüber so schroff im Umgang wie zu Fremden.22 Dies entspricht der typischen Arroganz von Aristokraten. Begräbnis, 139–172 = KS IV, 406–439. Die Darstellung des Josephus entspricht seiner interpretatio graeca. S. auch Tacitus, hist. 5,5,3: animosque proelio aut suppliciis peremptorum aeternos putant: hinc generandi amor et mortis contemptus. »Die Seelen der durch Kampf oder Hinrichtung Getöteten halten sie für unsterblich, daher kommt ihre Liebe zur Fortpflanzung und ihre Todesverachtung.« 17 Josephus, bell. 2,164 f. 18 Vgl. Mk 12,18–27 parr.; Apg 23,6–9. 19 Josephus, bell. 2,119: fil›llhloi dÇ … tùn ±llwn plfion. 20 Josephus, bell. 2,137–142. Deshalb sah die ältere Forschung in den Essenern einen Mönchsorden und nach der Entdeckung der Siedlung in Qumran darin zunächst eine Art »Kloster«. Vgl. etwa H. Lietzmann, Geschichte der Alten Kirche I, 22 (24): »Die Essener sind ein richtiger Mönchsorden, der in den Städten und vornehmlich den Dörfern Palästinas seine Klöster angelegt hat.« Andere entdeckten Parallelen zu den Pythagoreern, s. Hengel, Judentum und Hellenismus, 445–453; ders., KS I, 258–294. Weiter VanderKam, Qumranforschung, 109 ff. 21 Josephus, bell. 2,166: Farisaõoi … fil›llhlo‡ te kaÑ tÉn e¢“ tÖ koinÖn ¨m·noian üskoúnte“. Mit tÖ koin·n bezeichnet er die Gesamtheit aller Bürger, die Nation, die Behörden und das Volk eines Gemeinwesens, nicht den Verein; s. die Konkordanz von Rengstorf, II, 509. 22 Bell. 2,166.
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I. Das Judentum
In den beiden »Sektenkatalogen« der Antiquitates ergänzt Josephus dieses Bild der geistigen Eliten und trägt vor allem im zweiten zu den Pharisäern und Sadduzäern einiges nach.23 Er berichtet über diese Dreiteilung der jüdischen »Philosophenschulen« historisch am richtigen Ort – und nicht aus literarischer Attitude – im Zusammenhang mit besonderen Krisensituationen: einmal beim Herrschaftsantritt des Makkabäers Jonathan als Hoherpriester24 und dann (wie im Bellum) im Kontext des Aufkommens der »vierten Partei«, die von Judas Galiläus um 6 n. Chr. ins Leben gerufen wurde, als dieser die Einwohner Judäas im Zusammenhang mit dem Census dazu aufrief, die Steuerzahlung an die Römer zu verweigern.25 Während Josephus im Bellum unterstreicht, daß dieser Judas ein Schriftgelehrter ganz eigener Prägung war, »dessen Schulrichtung in nichts den anderen Parteien glich«,26 äußert er sich in den ca. 15 Jahre später abgefaßten Antiquitates differenzierter: Judas aus Gamala in der Gaulanitis habe mit dem Pharisäer Zadok zusammen diese »vierte Partei« ins Leben gerufen, die in ihrer theologischen Lehrmeinung ganz mit den Pharisäern übereinstimme, sich von allen übrigen jedoch durch eine unbändige Freiheitsliebe unterscheide, die allein Gott als Herrn27 anerkenne, und deren revolutionäre »Neuerung und Umsturz« in besonderer Weise die Jugend angezogen habe und zum Aufstand gegen Rom und zur Katastrophe des ersten jüdischen Krieges führte.28 Das heißt, man kann in ihnen den revolutionären Flügel der pharisäischen Volkspartei sehen. Den religiös begründeten Parteinamen »Zeloten«, den Josephus hier nicht nennt, verwendet er bevorzugt für die radikalen priesterlichen Aufständischen im ersten jüdischen Krieg.29 Diese »vierte Partei« macht Josephus verantwortlich für die in die Katastrophe führende Radikalisierung des »Eifers« für das Gesetz im Kampf gegen das übermächtige Rom, dessen gegenwärtige Weltherrschaft nach seiner Sicht in Gottes Vorhersehung beschlossen ist. Rom ist für ihn wie für weite Kreise des Judentums und die Alte Kirche das vierte Weltreich nach Dan 2 und 7 und besitzt seine Macht nur bis zu der von Gott bestimmten Zeit. Die Zeloten rebellieren deshalb gegen Gottes Willen, wenn 23 Ant.
13,171–173; vgl. 18,11–22. 13,171–173 um 153/152 v. Chr.; vermutlich ist hier Nikolaos von Damaskus seine Quelle. Der historische Zeitpunkt ist richtig gewählt und wird von CD bestätigt; s. u. S. 148 f. Vgl. Saldarini, Pharisees, 119; gegen Stemberger, Pharisäer, 91, der meint: »Josephus [hat] eine zeitlose Notiz einfach redaktionell eingeschoben«. 25 S. dazu o. S. 76 f. 26 Bell. 2,118. Er bezeichnet ihn wie dessen Sohn Menachem (dazu o. S. 110 f.) als sofistfl“. 27 Ant. 18,23: ™gem·na kaÑ desp·thn. Vgl. bell. 2,118. S. dazu o. S. 77 f. 28 Ant. 18,4–10.23. Zum »Programm« des Judas vgl. Hengel, Zeloten, 93–150 und o. S. 78. Zur Spaltung der Pharisäer 6 n. Chr. bzw. vor Ausbruch des Krieges s. op. cit., 204–211.409 f. 29 Vgl. o. S. 111 Anm. 390. Dazu Hengel, Zeloten, 395–412. Für Josephus sind die Anhänger des Judas Galiläus und die von diesen ausgehenden »Sikarier« dieses auf den Hohenpriester und Sohn Aarons Pinchas (vgl. Num 25) gründenden Ehrennamens nicht würdig. 24 Ant.
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sie das Ende »herbeidrängen« wollen. Die religiös-soziale Komponente in ihrem Aufstand gegen die eigene Oberschicht und Rom interpretiert Josephus einseitig als Habgier und Mordlust, aber dennoch legt er effektvoll dem Anführer vor dem rituell vollzogenen Massensuizid auf der Festung Masada, Eleazar ben Jair, wohl ein Enkel des Judas Galiläus, einen – letztlich – von Sympathie getragenen »Schwanengesang« in den Mund.30 Die Pharisäer setzt er wiederum von den Sadduzäern und Essenern ab. Sie berufen sich in ihrer Gesetzesauslegung und Praxis auf ihre »Überlieferung der Väter«, die das Gesetz an geschichtliche Situationen anpaßte, während die Sadduzäer an der konservativen, wörtlichen und das heißt strengeren Gesetzesauslegung festhalten: »Die Pharisäer überliefern dem Volk gewisse Gesetzesbestimmungen aus dem väterlichen
Erbe, die nicht in den Gesetzen Moses aufgeschrieben sind, und deshalb verwirft sie die Gruppe (gfino“) der Sadduzäer, die sagen, man müsse jene Gesetze anerkennen, die niedergeschrieben sind, die aber aus der Überlieferung der Väter (müsse man) nicht einhalten. Über diesen Fragen kam es zwischen ihnen zu Streitigkeiten und schweren Differenzen. Die Sadduzäer überzeugten vor allem die Reichen, das einfache Volk gewannen sie dagegen nicht als Anhänger, vielmehr hatten die Pharisäer die Volksmenge als Bundesgenossen.«31
Josephus schildert hier den Grundkonflikt der beiden wichtigsten Parteien zwischen der Hasmonäerzeit und 70 n. Chr. Die Pharisäer haben Erfolg, weil sie dem Volk zugewandt sind mit dem Ziel, es im rechten Gehorsam gegenüber dem Gesetz zu erziehen. Mit Josephus sehen das Neue Testament und die späteren Rabbinen, als Erben der Pharisäer, in diesem Festhalten und Überliefern von außerbiblischer »Tradition der Väter« das Charakteristikum pharisäischer Lehre.32 Später betont Josephus noch einmal die grundsätzliche Bereitschaft der Pharisäer, diese Tradition auch mit Gewalt zu verteidigen, und den Erfolg, den sie aufgrund ihrer Lehren im Volk haben, ganz im Gegensatz zu den Sadduzäern: »Die Pharisäer leben einfach und geben nichts auf Luxus. Was ihre Lehre (¨ l·go“)
für gut hält und überliefert hat (parfidwken), dem folgen sie und halten die Befolgung dessen, was (die Lehre) vorschreibt, für etwas, wofür es sich zu kämpfen lohnt. Die Alten ehren sie und maßen sich nicht an, ihren Anordnungen zu widersprechen. … Die guten Seelen erhalten den Übergang zu einem neuen Leben. Wegen dieser Lehren besitzen sie beim Volk einen solchen Einfluß, daß sämtliche gottesdienstliche Ver30 Bell. 7,320–388; vgl. dagegen 7,262–274; dazu o. S. 111 Anm. 391; vgl. Hengel, Zeloten, 93 f.115.269 f. 31 Ant. 13,297 f.; Pharisäer: n·mim› tina parfidosan tù dflmw … †k patfirwn diadocö“, Sadduzäer: tÅ d’ †k parad·sew“ tùn patfirwn mÉ threõn. Zum Problem der mündlichen und schriftlichen Tora vgl. Hengel / Deines, Pharisäer, in: Hengel, KS I, 411–423; vor allem 426 f. z. St. Zur Polemik Jesu gegen die pharisäische par›dosi“ tùn patfirwn s. Mk 7,8–13 = Mt 15,3–6. 32 Mk 7,3.5.8–13; mAv 1,1 ff.
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I. Das Judentum
richtungen, die sich auf Gebete und die Darbringung von Opfern erstrecken, nur nach ihrer Auslegung ausgeführt wurden. Ein so herrliches Zeugnis der Vollkommenheit gaben ihnen die Bewohner der Städte, weil man glaubte, daß sie in Wort und Tat nur das Beste wollten.«33
Ihren Erfolg verdanken die Pharisäer neben ihrer Genauigkeit in der Auslegung des Gesetzes nach der Deutung des Josephus vor allem ihrer »Seelenlehre«, die entsprechend dem Geist der hellenistischen Zeit das Heil des Individuums entdeckt hat. Tempelkult und pharisäische Frömmigkeit gehören dabei zusammen, denn das Gesetz regelt den gottgewollten Vollzug des Kults im Heiligtum. Vermutlich ist in der Voranstellung der Gebete vor den Opfern auch ein Hinweis auf die Synagogengottesdienste zu sehen.34 »Die Lehre (¨ l·go“) der Sadduzäer läßt die Seele mit dem Körper zugrunde gehen und
erkennt keine Veränderung (der Vorschriften) an, sondern nur die Gesetze.35 Sie halten es für eine Tugend, sogar den Lehrern ihrer eigenen Schule zu widersprechen. Nur bei wenigen Männern ist diese Lehre anerkannt, doch sie gehören den besten Ständen an. Freilich richten sie so gut wie nichts aus, und wenn sie einmal genötigt sind, ein Amt zu bekleiden, schließen sie sich den Pharisäern an, weil die Massen sie sonst nicht ertragen würden.«36
Die »besten Stände« beziehen sich auf die Aristokratie, in erster Linie auf den Priester‑ und – mit geringerem Einfluß – den Laienadel der Großgrundbesitzer, meist ehemalige hasmonäische Militärführer und einflußreiche Sippenhäupter. Die kleine Zahl der Anhänger und die relative Einflußlosigkeit dieser Partei ist eine Folge des Zusammenbruchs der hasmonäischen Herrschaft. Sie wurden von Herodes verfolgt und gewannen erst wieder unter den römischen Präfekten in Jerusalem und im Tempel eine gewisse – politische – Macht. Ihr direkter Einfluß auf das Volk war nicht allzu groß.37 Zu den Essenern trägt Josephus nach, was er in seinem langen »Sektenreferat« im Bellum übergangen hat, etwa daß sie nur Votivgaben an den Jerusalemer Tempel schicken, aber dort nicht opfern, sondern ihre eigenen Riten haben. Diese Distanz zum Heiligtum wird auch durch die Qumranschriften bestätigt.38 33 Josephus,
ant. 18,12–15. Hengel / Deines, Pharisäer, in: Hengel, KS I, 430 Anm. 101. 35 fulakÔö … o§damù“ tinwn metapo‡hsi“ a§toõ“ À tùn n·mwn. Vgl. dazu B. Schröder, Die väterlichen Gesetze (S. 104 Anm. 354), 114 ff. 36 Ant. 18,16–17. 37 Vgl. Apg 4,1; 5,17. Josephus erwähnt die Parteizugehörigkeit von Personen selten, einmal wird Hannas II. als Sadduzäer bezeichnet (ant. 20,199). Aber die rabbinischen Nachrichten bestätigen das Bild in der Apostelgeschichte; vgl. M. Stern, Aspects of Jewish Society: The Priesthood and other Classes, in: S. Safrai / M. Stern etc. (Eds.), The Jewish People in the First Century, CRINT I / 2, Assen / Maastricht / Philadelphia 21987, 610 ff. 38 Der Essenerbericht in Josephus, ant. 18 berührt sich so deutlich mit den Ausführungen Philos, daß sich die Übereinstimmungen am besten erklären lassen, wenn beide eine ähnliche 34 Vgl.
§ 4 Die jüdischen »Religionsparteien« in Palästina
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In seiner Autobiographie, einem apologetischen Anhang zu den Antiquitates, wo Josephus sich vor allem wegen seiner Beteiligung am jüdischen Aufstand zu Anfang des Krieges gegen einen Konkurrenten, Justus von Tiberias, verteidigt39 und manche Hintergründe für die im Bellum eher summarisch mitgeteilten Vorgänge nachträgt bzw. korrigiert, berichtet er, daß er die drei Schulen selbst durchlief, um sich »für die beste entscheiden« zu können,40 sich dabei aber auch in jugendlicher Begeisterung gleichzeitig einem Asketen Bannus anschloß, der am Jordan lebte und sich nicht nur durch besondere Nahrungs‑ und Kleidungsaskese, sondern auch durch rituelle Waschungen kasteite.41 Nach Ablauf seines dreijährigen Studiums habe er sich mit 19 Jahren einer öffentlichen Laufbahn zugewandt und sich dabei für die »beste« Partei, die der Pharisäer, entschieden. Der Anschluß an eine Partei besteht für Josephus in der persönlichen »Wahl« (aºresi“) und in der Entscheidung des einzelnen, was zugleich die Berechtigung der Bezeichnung »Wahl« für die jeweilige Partei zeigt42 und zudem wieder die Bedeutung der Pharisäer erkennen läßt. Ihre Partei erscheint bei Josephus seit Alexandra Salome (s. o. S. 42) als die einflußreichste Gruppe in religiösen und politischen Fragen, und die Zeloten bildeten seit Judas Galiläus ihren »linksextremen Flügel«, der der nationalgesinnten Schule Schammais nahestand. Die selbstbewußte Schilderung des Josephus über seine Ausbildung und seinen Anschluß an die Pharisäer wurde in der Forschung nicht nur in Zweifel
Quelle verwendet haben, bzw. Josephus sich direkt auf Philo stützt; vgl. Schürer II, 562. Philo, prob. 75 und Josephus, ant. 18,18–22 erwähnen: die Anzahl 4000, die Ablehnung des Tieropfers, Landwirtschaft als vorwiegende Betätigung und die Ablehnung der Sklaverei; all dies fehlt in bell. 2,119–161. 39 Mason, Josephus, 130–137 wendet sich gegen diesen älteren Konsens der Forschung: Josephus biete in der Vita rhetorischem Brauch entsprechend sein eigenes Charakterbild. Vgl. die Einführung in seinen Kommentar: Life of Josephus, XLVIII ff. Der apologetische Charakter der Vita in der Spätzeit Domitians ist jedoch eindeutig. 40 Vita 10: oætw“ gÅr •/·mhn a´rflsesqai tÉn ür‡sthn, vgl. vita 10–12. 41 Er mag ein früher Vertreter der in späteren »Sektenkatalogen« erwähnten Tagtaufer, Hemerobaptisten, gewesen sein. Dazu K. Rudolph, The baptist sects, in: The Cambridge History of Judaism III, ed. by W. Horbury etc., Cambridge 1999, 471–500. Er ist eine gewisse Parallele zu Johannes dem Täufer; s. u. S. 315. 42 LSJ, s. v.: »system of philosophic principles, or those who profess such principles, sect, school«. Zu den Christen als jüdische aºresi“ vgl. Apg 24,5.14; 28,22. Zur Bedeutungsverschiebung des Begriffs vgl. o. S. 13 Anm. 44. Die Übersetzung von polite‚omai ist schwierig, nach vita 258.262 hat es eher die Nuance »ein öffentliches Amt ausüben«. Wahrscheinlich wurde Josephus mit 19 Jahren zum Priester geweiht; an einen regelrechten Parteieintritt ist dabei nicht zu denken, denn die Pharisäer bildeten einen offenen Gruppenverband. Ob einer Pharisäer war, entschieden sein Verhältnis zum Gesetz (vgl. Phil 3,5 f.) und seine Lebensweise. Die Gesetzesauslegung des Josephus ist pharisäisch; vgl. Hengel / Deines, Pharisäer, in: Hengel, KS I, 435 Anm. 113.
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gezogen,43 sondern auch als ein Sammelplatz von Allerweltstopoi gerügt.44 Dennoch bleibt er – auch angesichts der Funde aus Qumran (s. u. S. 137 ff.) – der wichtigste »Augenzeuge« für die neutestamentliche Zeit, und man sollte seine intime Kenntnis der jüdischen Religionsparteien angesichts der stereotyp erscheinenden Angaben in den »Sektenkatalogen« nicht unterschätzen, denn dadurch erhalten diese eine für seine Leser verständliche Form. Außer Paulus, der über seine vorchristliche Einstellung sagt: »in bezug auf das Gesetz Pharisäer«,45 ist Josephus der einzige antike Autor, den wir noch kennen, der sich selbst dieser Partei zuordnet. Sowohl Paulus wie Josephus geben zu erkennen, daß für die Bezeichnung »Pharisäer« in erster Linie eine intensive Bindung an das Gesetz kennzeichnend ist, das nach der mündlichen Tradition der Väter ausgelegt wird. Diese »väterliche Überlieferung« macht es möglich, die Auslegung der Gesetzesvorschriften den jeweiligen Umständen und Erfordernissen der Zeit anzupassen.46 43 Siegert, Josephus, 163 (wie Mason und Saldarini, Pharisees, 118 etc.): »Eine regelrechte Zugehörigkeit des Josephus zu den Pharisäern, die er auch sonst nirgends erwähnt, ist angesichts (seiner) … weithin kritischen Pharisäerdarstellungen … in Zweifel zu ziehen. … Nur insofern, als er politisch Einfluss nehmen wollte …, orientierte er sich am pharisäischen Partner.« So habe Josephus seine Sympathie den Essenern geschenkt, im Herzen sei er als Aristokrat Sadduzäer geblieben und habe sich wie diese nur aus ›Opportunismus‹ den Pharisäern in seiner öffentlichen Laufbahn angeschlossen. Doch so wie Josephus die drei Parteien lehrmäßig darstellt, gehörte er zu denen, die göttliche Providenz und freien Willen zusammenwirken lassen; vgl. etwa bell. 6,310: »Bedenkt man dies, wird man finden, daß Gott für die Menschen sorgt und ihrem Geschlecht auf vielfältige Weise die Rettung vorher bezeichnet, sie aber durch Unverstand und selbstgewählte Übel zugrunde gehen.« Damit erklärt Josephus nicht nur den Untergang des Jerusalemer Tempels; diese von ihrer Herkunft her deuteronomistische Sicht bestimmt seine Geschichtstheologie, wie die der Psalmen Salomos (s. o. S. 45 und 124 Anm. 16). Auch seine hohe Einschätzung des Danielbuches mit seinem apokalyptischen Weltbild, das die Sadduzäer entschieden ablehnten, und anderes lassen eine durchaus pharisäische Einstellung erkennen. Wenn der aus Jerusalem gesandten Vierergruppe (vita 189–207), die Johannes von Gischala unterstützen und Josephus als Befehlshaber in Galiläa absetzen sollte, neben einem Mitglied der hochpriesterlichen Familien drei Pharisäer angehörten, so bestätigt dies nicht nur die bekannte Rivalität unter den Aufstandsführern von Anfang an, sondern zeigt, wie gespalten auch die pharisäische Partei zu Beginn des Aufstands war, als sich Schammaiten und Hilleliten blutig bekämpften. Familienbande, alte Freundschaften und politische Neigungen wogen dabei schwerer als reine »Parteizugehörigkeit«. Zudem stand Josephus mit seinen »Winkelzügen« im Verdacht, den Römern zuzuneigen bzw. die Macht in Jerusalem an sich reißen zu wollen. Zur Spaltung der Pharisäer unmittelbar vor Ausbruch des Jüdischen Krieges s. Hengel, Zeloten, 204–211.365 ff. zu den radikal fremdenfeindlichen 18 Halachot der Schule Schammais, die zur Einstellung der Opfer für den Kaiser führten. 44 So Mason, Josephus, 58: »angefüllt mit rhetorischen Gemeinplätzen«; vgl. ders., Life of Josephus, 21. 45 Phil 3,5 f.: katÅ n·mon Farisaõo“ katÅ zölo“ di„kwn tÉn †kklhs‡an. Vgl. Gal 1,13 f.; Apg 22,3, dazu Hengel, KS III, 68–192 (130 ff.). 46 Deines, Pharisees, 492 f. Der »Prosbul« (Vorbehalt) Hillels (mGit 4,3; mShevu 10,3–7; bGit 36a–b) ist das bekannteste Beispiel dafür, wie das biblische Gesetz uminterpretiert wird, um unter anderen Verhältnissen (hier die Umstellung auf den Geldverkehr) seinen Sinn zu
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Man hat Josephus dafür kritisiert, daß er die jüdischen Religionsparteien in einem derart griechischen Gewand beschreibt.47 Aber warum sollte er nach der Katastrophe von 70 n. Chr. plötzlich mit der bewährten Form, diese Parteien einem heidnischen Lesepublikum vorzustellen, brechen?48 Josephus knüpft ebenso wie Philo und die frühjüdischen ›Apologeten‹49 an diese positiv eingeschätzte, werbewirksame Seite des Judentums an, wenn er die Religionsparteien seines Volkes als philosophische Schulen vergleichbar mit den Stoikern und Pythagoreern beschreibt.50 Jedem gebildeten Leser war zudem bewußt, daß auch die griechischen Philosophenschulen politisch aktiv gewesen waren. Auch bei erhalten. Mit diesem vor Gericht in die Urkunde eingetragenen Vorbehalt konnte ein Geldgeber verhindern, daß ihm sein Darlehen im Sabbatjahr mit dem Schuldenerlaß verlorenging. Die Alternative wäre die grundsätzliche Verweigerung von Darlehen mit katastrophalen sozialen Folgen gewesen. 47 Vgl. H. Lietzmann, Geschichte I, 20 (22): »Josephus macht sich mehrfach das Vergnügen, seinen Lesern von den ›Philosophenschulen‹ der Juden zu erzählen, und bringt dabei allerlei über Pharisäer und Sadduzäer vor, was nach Philosophie schmeckt, aber geeignet ist, das Verständnis für den wirklichen Gegensatz zu erschweren.« 48 In der Diaspora (und doch wohl auch in Rom) wurden die gottesdienstlichen Feiern in den Synagogen mit Gebet, Schriftlesung und vorwiegend ethischer Predigt als philosophische Veranstaltungen angesehen und wirkten als solche anziehend. Heidnische Kulte hatten nichts Vergleichbares zu bieten. Ebenso verfährt Philo bei seiner Beschreibung der Essener als vorbildliche Schüler Moses und wahre Philosophen (Philo, Quod omnis probus liber sit). S. auch seine Apologie des Judentums »Hypothetica« (Fragment erhalten bei Euseb, praep. ev. 8,11,1– 18). Das Verhalten des römischen Statthalters in Syrien, Petronius, während der Caligula-Krise erklärt sich Philo damit, daß er wohl nicht völlig ohne Kenntnis der jüdischen »Philosophie« gewesen sei, vgl. o. S. 86 Anm. 255. 49 Sie machten Abraham und Mose zu Philosophen, Gesetzgebern und Religionsstiftern, älter als die der Griechen, die ihre Weisheit von diesen übernommen haben; vgl. etwa Artapanos, Aristobul, Aristeasbrief und dann Philo (besonders in seiner Vita Mosis) und Josephus (etwa ant. 1,158 f.; c. Ap. 2,154). Vgl. Hengel, KS I, 210 f.241 f.250: »die Gewißheit des größeren Alters der eigenen Religion oder der Abhängigkeit der griechischen Denker von Mose und Abraham konnte das Vertrauen in die Wahrheit und Überlegenheit des eigenen Glaubens stärken und heidnische Sympathisanten anziehen.« In PsClem H 4–6 ist eine jüdische Apologie aus dem 2. Jahrhundert n. Chr. erhalten, die das Weiterleben der Vorstellung vom Judentum als barbarischer philosophischer Lehre belegt (4,8,1; 4,13,3: ¨ dÇ … ûIouda‡wn l·go“ e§sebfistat·“ †stin). Diese Anschauungen strahlten auch ins Mutterland aus. 50 Vita 12: Pharisäer = Stoiker; ant. 15,371: Essener = Pythagoreer; die Sadduzäer ordnet er weder den Epikureern noch den Kynikern zu. Während er die Kyniker gar nicht erwähnt, bezeichnet er die Epikureer als Leugner der göttlichen Providenz und Weltlenkung (ant. 10,278 ff.), die durch die Weissagungen Daniels widerlegt würden. Alexander läßt sich in Jerusalem durch das Danielbuch davon überzeugen, daß ihm der Sieg über die Perser verliehen sei (ant. 11,337). Eine epikureische Ansicht über Gott gebe es darum bei Juden ebensowenig wie eine atheistische (c. Ap. 2,180 f.). Dennoch erinnert seine Beschreibung der Sadduzäer an die Epikureer. Philo von Alexandrien folgt einer ähnlichen Tendenz wie Josephus, wenn er die jüdischen Therapeuten, eine mit den Essenern verwandte Gruppe am maronitischen See in Unterägypten, und die Essener in Palästina in den höchsten Tönen lobt; s. De vita contemplativa; Quod omnis probus liber sit; hyp. 11,1–18.
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diesen Philosophenschulen ging es nicht um bloße abstrakte »Theorie«, sondern vor allem um die rechte, ethische Lebensführung. Den Asketen Bannus ordnet er keiner der ›philosophischen‹ Eliten zu, sagt auch nicht, daß dieser ihn in die pharisäische Richtung gelenkt hätte. Auch über das Verhältnis von Johannes dem Täufer und Jesus von Nazareth zu den Parteien hören wir bei ihm nichts. Nur in seinem Bericht über Hannas II., den er hier ausdrücklich als Sadduzäer bezeichnet, und die Hinrichtung des Herrenbruders Jakobus wird erkennbar, daß es vor allem Pharisäer gewesen sein müssen, die auf den Justizmord an Jakobus und anderen Judenchristen empört reagierten.51 Daß die Auseinandersetzungen innerhalb der jüdischen Parteien, die Gründe, weshalb sie auf Unterscheidung insistierten, in ihrer verschiedenen Auslegung des ›mosaischen Gesetzes‹ lagen, erfahren wir bei Josephus genauer, wenn er auf konkrete Vorkommnisse zu sprechen kommt (s. u. § 4.3). In den synoptischen Evangelien werden die jüdischen Parteien im Grunde auf zwei reduziert: Die Gegner Jesu in Galiläa sind bei Markus vor allem Pharisäer: einmal im Verbund mit Herodianern, das heißt Parteigängern des Herrschers Herodes Antipas, und einmal mit Schriftgelehrten, die aus Jerusalem kommen (Mk 3,6; 7,1). Markus unterscheidet noch deutlicher zwischen Pharisäern und Schriftgelehrten als der spätere Matthäus, sieht aber in diesen die Führungsgruppe der Pharisäer, die dem Gesetzesstudium verpflichtet sind. Es mag sich dabei um »ideale Szenen« handeln, in denen Typisches geschildert wird, weil Jesu Verhalten den pharisäischen Protest hervorruft: Jesu Nähe zu Sündern und seine Sündenvergebung,52 seine unasketische Lebensweise, seine Freiheit gegenüber pharisäischen Reinheitspraktiken wie dem Waschen der Hände vor dem Essen53 und die Konflikte wegen seiner Heilungen am Sabbat54 werden hervorgehoben. Nur in Jerusalem erscheinen historisch sachgemäß die Sadduzäer, ihr Streitgespräch mit Jesus bezieht sich auf die Auferstehungsfrage.55 Das heißt, »ideale Szenen« können sehr wohl einen historischen Hintergrund haben. Als Gegner Jesu in der markinischen Passionsgeschichte wird mehrmals die Dreiergruppe der Hohenpriester, Ältesten und Schriftgelehrten, das heißt die Spitze der jüdischen Aristokratie im Synhedrium, genannt – bestehend aus dem amtierenden Hohenpriester zusammen mit Mitgliedern der hochpriesterlichen Familien, den Ältesten als dem Laienadel und den Schriftgelehrten als den juristischen Fachgelehrten. Sie schicken einige Pharisäer und Herodianer zu Jesus
51 Ant.
20,199–203; vgl. o. S. 103 Anm. 346 und u. S. 599. 2,16; Lk 7,36–50; vgl. 5,21.30; 15,2. 53 Mk 7,1–5; Lk 11,37 f. 54 Mk 2,23 f.27 f. parr.; 3,1–6 parr. Vgl. Doering, Schabbat, 398–478. 55 Mk 12,18–27 parr. Vgl. Apg 23,8. S. o. S. 561. 52 Mk
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mit der Fangfrage, ob man dem Kaiser Steuern zahlen dürfe.56 Die Hierarchen als die politisch mächtige Führungsgruppe werden in der Leidensgeschichte nicht expressis verbis den religiösen Parteien zugeordnet.57 Lukas macht im Evangelium und in der Apostelgeschichte weitere Angaben, die zeigen, daß er zuverlässige Überlieferung und zum Teil einzigartige Details kennt. Nur von ihm erfahren wir, daß Jesus die Gastfreundschaft von Pharisäern annimmt und strittige Fragen um die rituelle Reinheit beim Tischgespräch erörtert werden, daneben behält er in 12,1 die Warnung vor dem »Sauerteig der Pharisäer« bei.58 Dieses pharisäische Interesse an Jesus bei Lukas unterstreicht noch mehr als der markinische Bericht die Zugewandtheit der Pharisäer zum Volk. Es mag unter anderem mit der gemeinsamen eschatologischen Erwartung zusammenhängen. Wahrscheinlich kam die Familie Jesu aus pharisäischem Milieu (s. u. S. 285). Die erbitterten Gegner der Apostel und der Urgemeinde in Jerusalem sind ca. 35 Jahre lang die sadduzäischen Hierarchen, eher zurückhaltend und abwartend verhält sich dagegen das pharisäische Schulhaupt Gamaliel.59 Justin um 150 n. Chr. erwähnt als jüdische Sekten: Sadduzäer, Genisten, Meristen, Galiläer, Hellenianer, Pharisäer und Baptisten.60 Er geht in dieser rätselhaften Aufzählung von einer Siebenzahl aus. Unabhängig von ihm spricht Hegesipp um 170 mehrfach von sieben Parteien, die es zur Zeit Jesu im jüdischen Volk gegeben habe, und zählt auf: Essäer, Galiläer, Hemerobaptisten, Masbotheer, Samaritaner, Sadduzäer, Pharisäer.61 Mit »Galiläern« bezeichnen er und Justin wohl die Bewohner Galiläas und nicht die Zeloten, die Anhänger des Judas Galiläus.62 Tagtaufer und Masbotheer sind Taufsekten, bei Justin werden sie unter Baptisten zusammengefaßt. Die Samaritaner versteht Justin, der aus dem samaritanischen Neapolis stammt, nicht als eine jüdische Religionspartei, er betrachtet sie eher als ›Vettern‹, die wie die Juden den wahren Gott verehren und den Messias erwarten, aber wie diese nicht an Jesus glauben und in der Gefahr 56 Mk 12,13–17 parr.; vgl. schon 3,6. Im eigentlichen Prozeß gegen Jesus werden die Pharisäer nicht mehr genannt. 57 Vgl. dazu u. S. 575 ff. 58 Lk 7,36–39; 11,37–54; 14,1–6; 12,1, vgl. Mk 8,15. Die Interpretation ihrer wie Sauerteig alles durchdringenden Lehre und Erziehung im Gesetz als »Heuchelei« in 12,1 ist lukanische Zutat; Mk 8,15 warnt Jesus vor dem Sauerteig des Herodes (Antipas); Mt 16,6 ergänzt zusätzlich die Sadduzäer, von denen er keine richtige Vorstellung mehr hat; s. u. S. 561 Anm. 70. 59 Apg 4,1–23; 5,17–42. S. dazu u. S. 573. 60 Dial. 80,4; o´ genista‡ – scheinen nur hier belegt; o´ merista‡ erklärt Isidor von Sevilla (etym. 8,4,8) als: meristae appellati eo quod separent scripturas, non credentes omnibus prophetis, dicentes aliis et aliis spiritibus illos prophetasse. 61 Euseb, h.e. 4,22,7. Vgl. Hippolyt, haer. 9,18–30 (erwähnt aber die ›Taufsekten‹ nicht); PsClem R 1,53 f.; ConstAp 6,61; Epiphanius, ancoratus 13,3–15; haer. 16,1 ff.; 19,1–6; 53,1–9. Zu den Samaritanern s. Pummer, Samaritans. 62 Noch anders Hengel, Zeloten, 59 ff.; zu den Christen als »Galiläer« bei Epiktet (diss. 4,7,6) vgl. u. S. 210 Anm. 87 und Hengel, Leser, 106–110.
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sind, sich von Irrlehrern wie Simon Magus verführen zu lassen.63 Auf jeden Fall ist in diesen dunklen frühchristlichen Texten eine noch größere Vielfalt im palästinischen Judentum sichtbar, als uns der Parteienbericht des Josephus vermittelt. Die Belege über die jüdischen Parteien zur Zeit Jesu in der rabbinischen Literatur stammen zumeist aus der tannaitischen Periode, das heißt aus dem 2. Jahrhundert, scheinen also zeitlich nicht so weit entfernt. Die Erinnerungen an jene Zeit unterlagen jedoch einer inneren »Zensur«, die sie überformt hat.64 Dennoch kommen in den Diskussionen zwischen Sadduzäern / Boëthusanern und den »Weisen« über Gesetzesfragen und die Bestimmungen über die rituelle Reinheit charakteristische Züge der Sadduzäer zum Vorschein,65 von denen wir bei Josephus nur in genereller Form erfahren. So beschreibt er die Sadduzäer als »herzloser als alle anderen Juden, wenn sie zu Gericht sitzen«,66 und deutet indirekt an, daß dies auf ihr strenges, konservatives Strafrecht in Kapitalprozessen zurückzuführen ist. Die Fastenrolle – ein Kalender mit nationalen Feiertagen – verzeichnet als Festtag, an dem man nicht fasten darf, den 4. Tammus (Juni / Juli): »Am vierten Tammus wurde das Buch der Verordnungen (vermutlich ein sadduzäisches Strafgesetzbuch) aufgehoben.«67 Das abstrakt »ideale« Strafrecht der Mischna scheint dagegen in einigen Fällen den Sadduzäern eine menschlichere Haltung zuzuschreiben: Wer ein falsches Zeugnis abgelegt hat, darf nur gesteinigt werden, wenn auf dieses Zeugnis hin ein Todesurteil vollstreckt worden war. Die »Weisen« als Erben der Pharisäer verhängen jedoch über den Falschzeugen das (Todes‑)Urteil, sobald er sein falsches Zeugnis ausgesprochen hat.68 Die (pharisäische) Meinung der Weisen erscheint nur vordergründig »herzloser«, 63 Apol. I, 53,3–7. Vgl. Pummer, Samaritans, 27; zu seiner Herkunft s. Justin, apol. I, 1,1; zu Simon Magus und den Samaritanern s. apol. I, 26,3. 64 Vgl. Stemberger, Sadducees, 437 ff. zur Kontroverse zwischen Sadduzäern (Boëthusanern) und Pharisäern in der rabbinischen Literatur. Zur rabbinischen Zensur, die den haggadischen Stoff stärker umgeformt hat als den halachischen, vgl. Hengel, KS III, 133 ff.145 ff. u. ö. Daneben erscheint auch der allgemeine Begriff der mînîm, der »Häretiker«, der vor allem auch die Judenchristen miteinschließt. 65 Der »Lehrbrief« 4QMMT aus Qumran (s. dazu u.) zeigt, daß solche Kontroversen schon in der Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr. geführt wurden. 66 Ant. 20,199; vgl. ant. 13,294. 67 Megillat Taanit 12; vgl. Beyer, Texte, 356. Der Gedenktag bezieht sich eher auf ein Ereignis zur Zeit Alexandra Salomes als auf eines zu Beginn des ersten jüdischen Krieges; Stemberger, Sadducees, 437 läßt die Frage unentschieden. Die Fastenrolle verzeichnet Festtage, die an Ereignisse seit dem Aufstand der Makkabäer bis zum Beginn des Jüdischen Krieges erinnern; zu ihrem pharisäischen Charakter vgl. Beyer, loc. cit.; Deines, Pharisees, 484 ff.: Die Sicht der Festliste ist rigoros nationalistisch und antisadduzäisch, ein Dokument des radikalen Zweigs der Pharisäer, das heißt der Schammaiten und Zeloten. 68 mMak 1,6. Die Haltung der Weisen entspricht dem Vorbild Daniels in der Susannaerzählung. Vgl. zur sadduzäisch-pharisäischen Kontroverse in der rabbinischen Literatur D. Instone Brewer, Techniques and Assumptions in Jewish Exegesis before 70 CE, TSAJ 30, Tübingen 1992, 88–118.
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denn sie soll den unschuldig Angeklagten wirksamer schützen. Auch in einem anderen Fall scheint die pharisäisch-rabbinische Gesetzesauslegung auf den ersten Blick strenger: Nach sadduzäischer Meinung ist der Herr verantwortlich für die Taten seiner Sklaven, nicht nur für Unheil, das sein Vieh angerichtet hat. Die Pharisäer dagegen sehen den Herrn nur verantwortlich für sein Vieh, den Sklaven aber als zurechnungsfähigen Menschen mit eigenem, freiem Willen. Die sadduzäische Haltung entspricht der von konservativen, reichen Aristokraten, Grundeigentümern, die ihre Sklaven wie Vieh besitzen und eben deshalb dafür voll verantwortlich sind.69
Für die ablehnende Haltung der Sadduzäer gegenüber der Lehre von der Auferstehung der Toten und dem jenseitigen Lohn im Gericht (vgl. Jes 66,5 f.14 f.) könnte in der Notiz mAv 1,3 der religiöse Beweggrund im Ausspruch des Antigonos von Sokho (um 180 v. Chr.?) erscheinen: »Seid nicht wie Knechte, die dem Herrn unter der Bedingung dienen, eine Belohnung
zu erhalten, sondern seid wie Knechte, die dem Herrn nicht unter der Bedingung dienen, einen Lohn zu erhalten. Und Gottesfurcht sei über euch.«
In Avot deRabbi Natan A 5 wird dieses Diktum später fortgeführt und für den Beginn der sadduzäischen Bewegung zitiert,70 dabei entsteht der Konflikt nicht über der Bestreitung des Lohngedankens bei Antigonos, erst »über der Leugnung des Jenseits und der Auferstehung kommt es zum Zerwürfnis«.71 Auch in der rabbinischen Tradition bleibt für die Sadduzäer ihre Ablehnung der Auferstehung und ihr Reichtum kennzeichnend. In der zweiten Rezension werden Zadok und Boëthos zu direkten Schülern des Antigonos und nicht durch drei Generationen von ihm getrennt.72 Die legendäre Traditionslinie, die »Zadok« und »Boëthos« zu einem Paar macht, verkürzt historische Erinnerung in personalisierter Form; es bleibt auch unsicher, ob die Maxime des Antigonos den 69 mJad
4,7. Vgl. Stemberger, Sadducees, 437. von Sokho hatte zwei Schüler, die seine Worte lernten. Und sie lehrten (sie) Schülern, und (diese) Schüler (lehrten sie wiederum) Schülern. Sie standen auf und prüften … Allein, hätten unsere Väter gewußt, daß es eine andere Welt gibt und (daß) es die Auferstehung der Toten gibt, hätten sie nicht so gesprochen. Sie standen auf und trennten sich von der Tora, und von ihnen her verbreiteten sich zwei Sekten, die Sadduzäer und die Boethosäer; die Sadduzäer benannt nach Zadok, die Boethosäer benannt nach Boethos. Und sie benutzten silberne Gefäße und goldene Gefäße ihr Lebtag lang. Denn sie waren (zwar) ihnen (d. h. den Pharisäern) gegenüber nicht hochmütig; allein, die Sadduzäer sagen: Es ist bei den Pharisäern eine Tradition, daß sie sich selbst in dieser Welt kasteien, und in der kommenden Welt haben sie nichts.« Vgl. zur Übersetzung Avemarie, Tora, 363. Nach mAv 1,4 geht die legitime (pharisäische) Traditionslinie über die Schüler des Antigonos Jose ben Joezer und Jose ben Jochanan. Vgl. auch A. Schremer, The Name of the Boethusians, JJS 48 (1997), 290–299. 71 Avemarie, Tora, 366. 72 ARN B 10 (Schechter 26). S. dazu Avemarie, Tora, 367 f. Damit käme die in typisch rabbinischer Umformung gezeichnete Entstehung der Partei der Sadduzäer in makkabäischer Zeit dem durch Josephus und die Qumrantexte gewonnenen zeitlichen Ansatz nahe. Zur Familie des Boëthos, die von Herodes I. als Hohepriester eingesetzt wurde, s. o. S. 54 Anm. 84 und S. 88 Anm. 267. 70 »Antigonos
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religiösen Ernst der Sadduzäer im 1. Jahrhundert n. Chr. oder in früherer Zeit spiegelt.73 Immerhin erinnert sie an Kohelets weisheitliche Mahnung zur Gottesfurcht, seine Aufforderung zur rechten Lebensfreude im Gedenken an den Tod.74 In Avot deRabbi Natan kann sich ein Nachklang von sadduzäischer Theologie erhalten haben, die – wie Kohelet und Sirach zeigen – nicht in reiner Skepsis oder gar dem Atheismus endet, sondern die menschliche Erkenntnis in ihrer Begrenztheit ernst nimmt.75 Josephus gibt unseres Erachtens in den »Sektenkatalogen« und in der Vita die Situation der Parteien durchaus sachgerecht wieder, sein Bild entspricht in erstaunlicher Weise dem im Neuen Testament und in der frührabbinischen Literatur. Er bleibt so zu Recht neben den durch die Schriftfunde am Toten Meer erschlossenen reichen Quellen der Hauptzeuge für das Parteienbild im 1. Jahrhundert n. Chr., das ergänzt wird durch das Neue Testament, einzelne Apokryphen und Pseudepigraphen, archäologische Funde und die rabbinischen Nachrichten, während die späteren christlichen Sektenkataloge bei Justin, Hegesipp und Epiphanius teilweise rätselhaft bleiben.
73 Vgl. Stemberger, Sadducees, 441, der auf die Parallele in PsClem R 1,54 hinweist: Die Sadduzäer leugnen die Auferstehung dicentes non esse dignum ut quasi sub mercede proposita colatur deus. 74 Vgl. H. Gese, Zur Komposition des Koheletbuches, in: FS Hengel, I Judentum, hg. v. P. Schäfer, Tübingen 1996, 93.97: »Kohelet sieht positiv in der prinzipiellen Begrenztheit des menschlichen Erkennens die … Begründung der Furcht Gottes. … Das Wissen um die Grenze ermöglicht Freudigkeit.« Hengel, Judentum und Hellenismus, 236: »Nicht ganz ohne Grund, wenn auch historisch unrichtig, wurden … die Sadduzäer und Boethusäer auf spätere Schülergenerationen des Antigonos zurückgeführt, die den Lebensgenuß verteidigten, weil sie für die kommende Welt ohne Hoffnung waren.« 75 Da literarische Zeugnisse mit sadduzäischer »Tendenz« neben Kohelet, Sirach (mit Einschränkungen, das heißt ohne die späteren Ergänzungen) und 1. Makkabäer so selten sind, erhalten entsprechende Grabinschriften besonderes Gewicht. Die aramäischen und griechischen Inschriften im Jerusalemer Jason-Grab, einem reichen priesterlichen Familiengrab aus der Zeit um 100 v. Chr., das von Herodes I. ausgeraubt wurde (vgl. dazu o. S. 71 f.), sprechen dieselbe Sprache. Auf Griechisch: »Freut euch, ihr Lebenden, Brüder, u[nd] trinkt zusammen, n[iemand] ist unster[b](lich)«; im Aramäischen fällt der vierfache Friedenswunsch auf (µlv). Vgl. Hengel, Judentum und Hellenismus, 112.228.412 Anm. 688; W. Horbury, Jewish Inscriptions and Jewish Literature in Egypt, in: Studies in Early Jewish Epigraphy, ed. by J. W. van Henten and P. W. van der Horst, Leiden etc. 1994, 9–43: »The agreement on the finality of death between the majority of the inscriptions (in Ägypten) and the Greek Ecclesiasticus … suggests that a broadly Sadducaic position on death was influential among Jews in both Egypt and Judaea in the late Ptolemaic and early Roman periods.« Das mag vor allem für die priesterliche Aristokratie der Oniaden am Tempel von Leontopolis gelten. Zur Rekonstruktion der Jason-Inschriften s. N. Avigad, Aramaic Inscriptions in the Tomb of Jason, IEJ 17 (1967), 101–111; Beyer, Texte, 328 f.; Puech, Inscriptions funéraires, RB 90 (1983), 492 ff.; vgl. zur Diskussion J. S. Park, Conceptions of Afterlife in Jewish Inscriptions, WUNT II / 121, Tübingen 2000, 29 f.67–72.96 f. Nicht ohne Grund zitiert Paulus Jes 22,13 in 1 Kor 15,32; vgl. Koh 9,5.7, dazu 2,24; 3,12 ff.22; 5,17; 8,15.
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4.2 Die Modifizierung des Parteienbildes durch die Funde aus Qumran Die Qumranfunde haben die grundsätzliche dreifache Gliederung des Josephus bestätigt: Unter den Decknamen »Juda«, »Ephraim« und »Manasse« erwähnt der Nahum-Kommentar die Qumran-Essener, die Pharisäer und die Sadduzäer.76 Das einfache Volk steht unter dem Einfluß von »Ephraim« und wird deshalb vom Pescher mit dem Terminus »Einfältige von Ephraim« bezeichnet. Diese lassen sich verführen von denen, die »nach glatten Dingen suchen«, das heißt den pharisäischen Lehrern, die die Tora »heuchlerisch« auf eine »glatte«, die Gesetzesbestimmungen erleichternde Weise auslegen.77 In der Gegenwart hat »Juda« keinen Einfluß auf »die Einfältigen von Ephraim« und ist äußerlich gesehen den Pharisäern völlig unterlegen, aber in Zukunft, »wenn Judas Ruhm offenbar ist, werden die Einfältigen Ephraims aus ihrer Versamm-
lung fliehen und die verlassen, die sie verführen, und sich [der Gesamtheit Is]raels anschließen.«78
Dann wird der Rat derer, die »nach glatten Dingen suchen«, zugrunde gehen, dann werden die »Einfältigen« sich von den Essenern leiten lassen.79 Auch die Adelspartei der Sadduzäer, »die Großen Manasses, die Edlen«, die »Krieger und Helden des Kampfes« besitzen – also über die militärische Macht verfügen –, werden am Ende der Zeit die Herrschaft über Israel verlieren: »Seine Frauen, seine Säuglinge und seine Kinder werden in Gefangenschaft gehen, seine Helden und seine Edlen durch das Schwert [fallen].«80
76 Mit »Ephraim« und »Manasse« werden die Namen der abtrünnigen Nordstämme für die Gegner verwendet, Juda dient als Selbstbezeichnung, »Israel« heißt das gesamte Volk. Vgl. CD, dazu u. S. 148. Zum Problem dieser Interpretation vgl. Stemberger, Pharisäer, 104 f.; Deines, Pharisees, 476 f. 77 4QpNah Frag. 3–4 II, 8: »[Seine] Deutung bezieht sich auf die, die Ephraim verführen, die durch lügnerische Lehre … viele verführen, Könige, Fürsten, Priester und Volk zusammen mit Proselyten …«. Vgl. III, 3: »Seine Deutung bezieht sich auf die, die nach glatten Dingen suchen (dôrše ha-h alaqôt), deren böse Taten am Ende der Zeit ganz Israel offenbar gemacht werden.« »dôrše ha-h alaqôt« ist ein Wortspiel mit Anspielung auf Jes 30,10; Dan 11,32 ff. und steht vermutlich an Stelle von »dôrše ha-h alakhôt«, den Suchern nach erleichternden Halakhot. Vgl. 4QpJesc Frag. 23 10; 4QpNah Frag. 3–4 III, 3.7; 4QMidrEschat IX 12.13: »Sie sind die Gemeinschaft derer, die nach glat[ten] Dingen suchen, die … danach trachten zugrundezurichten [die Männer der Gemeinschaft] durch ihre Eifersucht und durch [ihre] Anfeindung …« (Text und Übersetzung: Steudel, Texte, 205); weiter D. Flusser, Pharisäer, Sadduzäer und Essener im Pescher Nahum, in: Qumran, hg. v. K. E. Grözinger u. a., WdF 410, Darmstadt 1981, 127 ff.; Deines, Pharisees, 476 f. 78 4QpNah Frag. 3–4 III, 4 f. 79 Deines, Pharisees, 476 Anm. 114: »To teach the ›simple‹ and to join … them together in the djy is the expressed purpose of the Qumran-community (see 11QPsa 18:3–4 …)«. 80 4QpNah Frag. 3–4 IV, 4.
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Zahlreiche Anspielungen auf die Zeitgeschichte in dieser Auslegung des Nahumbuches lassen es wahrscheinlich erscheinen, daß der Pescher die Situation nach dem Erscheinen der Römer unter Pompeius, sie werden kittim genannt, und der Plünderung des Tempels durch Crassus widerspiegelt und auf die Vergangenheit unter Demetrius III. Eukairos, Alexander Jannai – er heißt Zorneslöwe – und Königin Alexandra-Salome zurückblickt. Der erbitterte Streit wird vor allem mit den mächtigen Pharisäern geführt, deren Einfluß auf das Volk bei Gesetzesfragen in den Augen der Qumran-Essener als besonders gefährlich erscheint. Weil das Gesetz soteriologische Funktion besitzt, indem es den Kult und das persönliche Leben regelt, ist seine penible Interpretation lebenswichtig.81 Der Nahum-Pescher und andere essenische Texte wie auch Josephus und die Evangelien verbieten es uns, die Bedeutung der Pharisäer im 1. Jahrhundert v. und n. Chr. herunterzuspielen. Der wichtigste Fund aus Qumran für die Frühgeschichte der jüdischen Parteien (4QMMT) ist ein halachischer, das heißt das Ritualgesetz aufgrund der Auslegung von Pentateuch, Profeten, Psalmen – ein früher Beleg für den Kanon – behandelnder Lehrbrief, hinter dem die Autorität des Lehrers der Gerechtigkeit steht und der vermutlich an den Makkabäer Jonathan gerichtet ist, bevor dieser Hoherpriester wurde.82 Er bestätigt ebenfalls die grundsätzliche »Dreiteilung« des Josephus und gewährt zugleich ohne »griechisches Gewand« Einblick in die inneren Auseinandersetzungen in der Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr. Der Verfasser des Briefes schreibt »Wir« und richtet seine Darlegung des Ritualgesetzes, wozu 22 strittige Fälle als Beispiele, die sich vor allem auf rituelle Unreinheit und Opfer beziehen, aufgeführt werden, an eine Gruppe, die mit »ihr« (bzw. »du« und »dein Volk«) angesprochen wird. Die Ansichten einer dritten Gruppe, sie werden »sie« genannt, werden verworfen. Der Brief wirbt um die Zustimmung der angeredeten »ihr«-Gruppe zur eigenen Position in der Gesetzesauslegung und enthält im Gegensatz zu den späteren Pescher-Texten zur Parteienfrage keine scharfe Polemik.83 Man hatte zunächst noch auf eine Einigung gehofft. Aber die Absender betonen unmißverständlich:
81 Deines,
Pharisees, 493. IV 7–9; Qimron / Strugnell, Miqsat Ma‛aśe ha-Torah, 117–121; vgl. A. Lange in: H. Lichtenberger / A. Lange, Art. Qumran, TRE 28, 1997, 53 f.: »MMT ist … ein Brief priesterlicher Kreise an einen hasmonäischen Herrscher« (54). Qimron / Strugnell, op. cit., 121 datieren ihn in die Jahre 159–152 v. Chr. 83 Vgl. den Schluß des Schreibens, der unterstreicht: »Wir haben gesehen, daß du Weisheit und Kenntnis der Tora hast. Betrachte alle diese Dinge und suche Ihn, daß Er deinen Willen stärke …« (C 27–32); Qimron / Strugnell, Miqsat Ma‛aśe ha-Torah, 62 f. Zur Übersetzung vgl. auch J. Maier, Die Qumran-Essener: Die Texte vom Toten Meer II, München 1995, 375 f. 82 4Q171
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»Wir haben uns abgetrennt von der Menge des Volkes und von all ihrer Unreinheit …«,84
weil aus ihrer priesterlichen Sicht die Heiligkeit Israels, Jerusalems und des Tempels durch falsche Riten beim Tempeldienst und illegitime Heiraten verletzt wird. Der Tempel war wenige Jahre zuvor Ende 164 v. Chr. nach der durch die hellenistischen Reformer ausgelösten Krise von Judas Makkabäus gereinigt und neu geweiht worden; damit wurden zugleich Riten eingeführt, gegen die dieses Schreiben protestiert. Der Verfasser insistiert strikt darauf, daß die rituellen Gebote in Übereinstimmung mit dem wörtlichen Sinn der Schrift eingehalten werden müssen, und verurteilt alle Versuche, die Gesetzesausübung den Erfordernissen der Zeit anzupassen. Dabei vertreten die »wir«‑ und die »ihr«-Gruppe die spätere sadduzäische Position in der Gesetzesauslegung, während die Auffassung der mit »sie« abgelehnten Partei der pharisäischen Sicht entspricht.85 Damit zeigt 4QMMT, daß spätere Diskussionen in der Mischna bereits in der Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr. geführt wurden. In einer der sechs Handschriften wurde diesem Grundsatzdokument ein Kalender vorangestellt, der einem Sonnenkalender mit 364 Tagen folgt. Die verschiedenen in Qumran erhaltenen Kalender führen zum Teil den Solarkalender von 364 Tagen und den Mondkalender von 354 Tagen parallel auf, zusammen mit den diensttuenden Priesterordnungen, für die dann ein sechs Jahre umfassender Zyklus erreicht wird. Sie bezeichnen die Monate mit Kardinalzahlen und nicht wie die Priesterschaft in Jerusalem mit den dem seleukidischen Kalender entsprechenden Monatsnamen von Nisan bis Adar. Dieser »qumranische« Kalender vermeidet bewegliche Feste und dient dazu, den Sabbat in besonderer Weise zu heiligen, denn in ihm kann kein Jahresfest auf einen Sabbat fallen, und rituelle Festverpflichtungen und Sabbatruhe kommen nicht in Konflikt. Ein solcher idealer Kalender dient zudem dazu, die vollkommene Entsprechung zur himmlischen Ordnung mit dem Gottesdienst der Engel zu gewährleisten.86 84 C 7–8;
Qimron / Strugnell, Miqsat Ma‛aśe ha-Torah, 58 f., vgl. 133. Hier haben wir den ersten Beleg für vrp prš in der Bedeutung »sich abtrennen vom Volk«; er ist noch nicht als Parteibezeichnung für die Pharisäer festgelegt. Die spätere essenische Terminologie »Abweichen vom Weg des Volkes« (rws) nimmt biblische Sprache auf. 85 Zur Diskussion vgl. Qimron / Strugnell, Miqsat Ma‛aśe ha-Torah, 116 f.; Deines, Pharisees, 463–474. 86 Qimron / Strugnell, Miqsat Ma‛aśe ha-Torah, 203. Dem Kalender von 364 Tagen folgen auch 1. Henoch und das Jubiläenbuch; ebenso die Beschreibung des Gottesdienstes in Gemeinschaft mit den Engeln in den Sabbatopferliedern, die – auch wenn in chasidischen, voressenischen Kreisen entstanden – in Qumran besonders geschätzt wurden. Vermutlich handelt es sich bei den von den Qumran-Essenern tradierten Kalendern um ältere priesterliche Kalender, die im Jerusalemer Tempel während der hellenistischen Reform im Anschluß an den seleukidischen Kultkalender abgeändert wurden (Dan 7,25; 1 Makk 1,45–47.59; 2 Makk 6,7); vgl. J. C. VanderKam, 2 Macc 6:7a and Calendrical Change in Jerusalem, JSJ 12 (1981), 52–74. Dazu
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I. Das Judentum
In Fragen der rituellen Reinheit (und sekundär in der Frage um den richtigen Kalender) wollten die Frommen in Qumran keine Kompromisse eingehen, deshalb trennten sie sich von der Mehrzahl des Volkes und dem Kult im Jerusalemer Tempel. Sie verstanden sich selbst als ein »Allerheiligstes für Israel«, als einen Tempel von Menschen, um »zu sühnen für das Land« und »in der Wüste einen Weg für Gott zu bereiten« durch das Studium des Gesetzes in der letzten Zeit vor dem bald erwarteten Endgericht und endzeitlichen Heil für die Mitglieder des yahad, dem sich dann auch »Israel« angeschlossen haben wird.87 Während die Essener ihre Reinheitsforderungen überspitzten, so daß sie nur für einen (kleinen) Teil des Volkes praktikabel waren, und sie sich eben darum vom Jerusalemer Tempel, der für sie unrein war, trennen mußten, wollten die Pharisäer eine Heiligungsbewegung für das ganze Volk und Land sein. Die Heiligkeitsforderung war durch die Tora für ganz Israel und sein ihm von Gott geschenktes Land vorgeschrieben, eben deshalb insistierten die Pharisäer auf einer abgestuften Ausdehnung der Reinheitsbestimmungen, aber sie wollten damit nicht einfach generell priesterliche Vorschriften und Vorrechte auf alle Juden in Eretz Israel übertragen.88 Berührung mit den Sadduzäern gibt es nicht nur in der essenischen Gesetzesauslegung, denn in Qumran fanden sich auch Bibelhandschriften in paläohebräischer Schrift, die Rückschlüsse auf sadduzäische Schriftgelehrsamkeit erlauben.89 Die in den Höhlen von Qumran erhaltene »Bibliothek« hat insgesamt unser Wissen über das antike palästinische Judentum ungeheuer bereichert. Sie enthält außer den oben erwähnten Schriften unter anderem alle Texte des späteren kanonisierten Alten Testaments (abgesehen von Esther), dazu Apokryphen und Pseudepigraphen und andere Texte, die nicht von Qumran-Essenern verfaßt, aber von ihnen rezipiert wurden; so etwa die Tempelrolle, in der Gott in erster Person spricht und die den Entwurf eines idealen Jerusalemer Tempels und eine systematisierende Fortschreibung der Gesetze des Deuteronomiums bietet, oder die Kriegsregel, eine Ordnung für den eschatologischen Kampf der Söhne des Lichts gegen die Söhne der Finsternis. Diese Schriften wurden weiter M. Albani, Der 364-Tage-Kalender in der gegenwärtigen Forschung, in: Studies in the Book of Jubilees, ed. by M. Albani etc., TSAJ 65, Tübingen 1997, 79–126. 87 Die Bezeichnung yahad impliziert wie beim hellenistischen Verein die freiwillige Beitrittsgemeinschaft, s. u. S. 148 Anm. 125 und s. Hengel, KS I, 271–275. Zur Ablehnung des Jerusalemer Tempelkultes als unrein vgl. CD XI 17–21; 1QS IX 3 ff. u. ö.; das priesterliche Selbstverständnis kommt vor allem in den Sektenregeln zum Ausdruck. Jes 40,3 wird 1QS VIII 14 zitiert; zur Konzeption des »Tempels aus Menschen« im Midrasch zur Eschatologie s. u. S. 163. 88 Vgl. Hengel / Deines, Pharisäer, in: Hengel, KS I, 446–449: Sie »wollten … die dem ganzen Volk vorgeschriebene abgestufte Reinheit aus Schrift und Tradition erschließen und exemplarisch vorleben« (448). 89 E. Tov, The Socio-Religious Background of the Paleo-Hebrew Biblical Texts Found at Qumran, in: FS Hengel I, hg. v. P. Schäfer, Tübingen 1996, 353–374.
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nach älteren Quellen in Qumran im Sinne der eigenen Ideologie überarbeitet und aktualisiert. Es fanden sich aber auch Psalmen(sammlungen), die vorher zum Teil unbekannt waren, und Liturgien wie die Sabbatopferlieder, die den himmlischen Gottesdienst der Engel lobend beschreiben und vermutlich auf chasidisch-mystische Kreise zurückgehen. So enthält diese »Bibliothek« neben den genuin qumranischen Texten wie Gemeinderegeln, Psalmen und Gebeten, Kalenderfragmenten und Priesterordnungen, den frühesten Kommentaren zum Psalter und zu den Profetenbüchern, den sogenannten Pescharim, in denen die heiligen Schriften allegorisch auf die eigene Gemeinde in den letzten Tagen und die Endzeit gedeutet werden, außerdem Werke, die keine »Sektenerzeugnisse« sind, sondern Auskunft geben über die eschatologischen Erwartungen breiterer Kreise, auf die wir noch zurückkommen werden. Die Funde aus Qumran haben die grundsätzliche Dreiteilung der großen jüdischen Parteien des Josephus bestätigt, zugleich haben sie aber gezeigt, daß die von Josephus als Kriterien der Parteizugehörigkeit angegebenen unterschiedlichen Meinungen – einerseits über Vorhersehung und freien Willen, andererseits über das Geschick der Toten – zwar nicht falsch sind, aber nicht den Ursprung des Streits, der zum Dissens führte, darstellen. Entscheidend waren halachische Fragen der Reinheit, des Kultes und des Schriftverständnisses. Josephus gibt sowohl im Bellum wie in den Antiquitates eine »philosophische« Beschreibung der Parteien, in der er einen breiten Konsens des jüdischen Selbstverständnisses voraussetzt und es vermeidet, den für die nichtjüdischen Leser unverständlichen Streit um die rechte Gesetzesauslegung und die eschatologischen Hoffnungen seines Volkes zu erörtern.90 Auf die akute jüdische Endzeiterwartung konnte er in Rom schon aus politischen Gründen nicht eingehen. Daß er mit ihr vertraut war, ja sie im Grunde selbst teilte, zeigt seine auffallende Hochschätzung des Danielbuches. Ähnlich wie etwa zu gleicher Zeit Lukas war er nur aufgrund schmerzlicher historischer Erfahrung ein Gegner einer selbstzerstörerischen Naherwartung.
90 Qimron / Strugnell, Miqsat Ma‛aśe ha-Torah, 175 f.: »From MMT we learn the reasons for the schism … Josephus gives the impression that the sects were primarily divided over theological questions … He was concerned to produce an explanation that would make sense to his Greek (and Roman) readers. But the fact that only matters of practice are mentioned in MMT confirms the view that it was not dogma, but law that was apt to produce lasting schisms in Judaism.« Die Frage ist, ob man »dogma« und »law« so trennen kann, denn die Ansicht, daß nur das buchstäbliche Verstehen des »law« allein Gottes unverfälschtem Willen entspricht, ist selbst wieder »dogma«. Dies gilt auch für die durch den Sonnenkalender bestimmte Kultordnung. Auch die Gerichtsdrohung ist »dogma«.
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I. Das Judentum
4.3 Zur Geschichte der Parteien 4.3.1 Zum samaritanischen »Schisma« Neuere Ausgrabungen auf dem heiligen Berg der Samaritaner, dem Garizim, scheinen mehr Licht in das Dunkel des Entstehens der samaritanischen Religionsgemeinschaft91 gebracht zu haben. Die Ausgräber nehmen an, daß sich dort ein Heiligtum befand, das zur Zeit Nehemias gebaut wurde und an ältere jahwistische Traditionen anknüpfte.92 Dieser Tempel wurde im 4. und 3. Jahrhundert v. Chr. erweitert zu einem mit einer mächtigen Temenosmauer umgebenen Heiligtum auf dem Hauptgipfel im Zentrum einer hellenistischen Stadt, beide wurden zerstört gegen Ende des 2. Jahrhunderts v. Chr.93 Bereits der Davidide Serubbabel und der Hohepriester Josua sollen es abgelehnt haben, den Jerusalemer Tempel mit Unterstützung der von den Assyrern aus dem Zweistromland nach Samarien deportierten Oberschicht, die den Jahweglauben angenommen hatte, wieder zu errichten, was den Unwillen des »Volkes des Landes« erregte.94 Die Rivalitäten zwischen Jerusalem und Samaria verschärften sich wohl, als Nehemia persischer Statthalter von Judäa wurde. Der Streit zwischen ihm und dem persischen Statthalter von Samaria, Sanballat I., hatte zunächst wegen politischer Konkurrenz dazu geführt, daß auf dem Garizim der oben erwähnte Jahwe-Tempel errichtet wurde.95 Dieser wurde nicht nach Jerusalemer Vorbild gebaut, dennoch gibt es keinen Grund, lehrmäßige, halachische oder liturgische Differenzen als Ursache des Schismas anzusehen, 91 Zur heutigen Terminologie, die mit »Samaritaner« die Jahwe-gläubige Religionsgemeinschaft, deren kultisches Zentrum der Garizim ist und die mit den judäischen Anhängern des Zion Monotheismus, Pentateuch und Gesetzesobservanz gemeinsam haben, bezeichnet – im Unterschied zu den heidnischen Bewohnern des Gebietes von Samarien –, s. Dexinger, Ursprung, 83.100 (und passim), der zudem zwischen »Proto-Samaritanern« und »Samaritanern« nach der Zerstörung des Heiligtums auf dem Garizim unterscheidet; Böhm, Samarien, 7 f.; Pummer, Samaritans, 2; J. Zangenberg, Art. Samaritaner, DNP 11, 2001, 2 ff. 92 J. Naveh / Y. Magen, Aramaic and Hebrew Inscriptions of the Second-Century BCE at Mount Gerizim, ‛Atiqot 32 (1997), 9*–17* (10*); vgl. Y. Magen, Mount Gerizim – A Temple City, Qadmoniot 120 (2000), 74–118; E. Stern / Y. Magen, Archaeological Evidence for the First Stage of the Samaritan Temple on Mount Gerizim, IEJ 52 (2002), 49–57; N. Na’aman, Art. Samaria, RGG4 7, 2004, 816. 93 Vgl. J. Naveh / Y. Magen, Inscriptions (Anm. 92); zur Eroberung durch Johannes Hyrkan s. u. S. 146 Anm. 113. 94 Esr 4,1–5. Vgl. Dexinger, Ursprung, 96–100: »mit ≈rah µ[ (sind) die nicht deportierten Nordreich-Israeliten gemeint … Die berechtigte Abweisung der synkretistischen Kolonisten des Nordens … wird stillschweigend auf den Jahwe-gläubigen Bevölkerungsteil … = ProtoSamaritaner übertragen« (99 f.). 95 Vgl. R. Albertz, Religionsgeschichte Israels in alttestamentlicher Zeit II, GAT 8,2, Göttingen 21997, 589; Frey, Temple, 185: »… we may conclude, that … in the present case of temple rivalry, the political interests on both sides seem to have provided the most important reasons for the establishment of the Samaritan sanctuary.« Zu Sanballat s. u. S. 143 Anm. 97.
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da auch der Kult auf dem Garizim den rituellen Forderungen des Pentateuchs entsprach.96 Zugleich war die Ehegesetzgebung Nehemias, die der religiösen Restitution Judäas dienen sollte, gegen den Clan des »Horoniters« Sanballat (I.), dessen Schwiegersohn aus der Jerusalemer hohenpriesterlichen Familie stammte,97 und den des »Ammoniters« Tobias98 gerichtet, die ihren Einfluß in Jerusalem durch Einheirat in die hochpriesterliche Familie und den Adel stärken wollten, und gegen die entsprechende Hoffnung des judäischen Adels, mit dieser Heiratspolitik Einheit und Wohlstand der Gesamtnation zu fördern. Mit der samaritanischen Oberschicht wurde zugleich die Jahwe-gläubige Bevölkerung im Gebiet von Samarien vom Jerusalemer Kult ausgeschlossen, was den Bau eines Jahwe-Tempels auf dem Garizim notwendig machte.99 Josephus folgt durchgehend der im 1. Jahrhundert üblichen antisamaritanischen Polemik der Juden. Er datiert den allerersten Tempelbau auf dem Garizim und den Konflikt der Priesterschaft über 100 Jahre später unter Sanballat III. kurz vor die Zeit Alexanders des Großen100 und verbindet dies mit einem Schisma innerhalb der jüdischen Priesterschaft, ausgelöst durch eine »Mischehe«101: Manasse, der Bruder des Hohenpriesters Jaddua, heiratete während der Regierungszeit Dareius’ III. (336–330 v. Chr.) Nikaso, die Tochter des Statt 96 Frey, Temple, 185: »we have no reason to think that doctrinal, halakhic, or liturgical differences were the basic motivation for the Samaritans’ cultic separation.« 97 Neh 13,28 f.: »Von den Söhnen Jojadas, des Sohnes Eljaschibs, des Hohenpriesters, war einer ein Schwiegersohn des Horoniters Sanballat. Ihn jagte ich aus meiner Umgebung fort. Gedenke ihrer, mein Gott, daß sie das Priestertum und den Bund mit den Priestern und Leviten befleckten.« Auf diesen Schwiegersohn geht die Manasse-Tradition zurück. Sanballat I., der persische Gouverneur von Samarien, war Israelit, seine Familie gehörte wahrscheinlich zu den Rückkehrern aus dem Exil unter Serubbabel, die das Ostjordanland kolonisierten. Nehemia nennt ihn »Horoniter«, weil er aus dem Hauran stammte; Sanballat I. war Jahwe-gläubig und gab seinen Söhnen Jahwe-haltige Namen; s. dazu S. Mittmann, Tobia, Sanballat und die persische Provinz Juda, JNWSL 26/2 (2000), 1–50 (17–28). Für Josephus ist dieser Sanballat identisch mit seinem Nachfahren Sanballat III., den er unter Darius III. datiert und der ihm als ein (halb)heidnischer »Kuthäer« gilt (vgl. 2 Kön 17,24); von diesen Kuthäern stammten nach ihm die Samarier ab (ant. 11,302). Bei der Schilderung der Lösung der Mischehen unter Esra (ant. 11,145–153) folgt er der Darstellung von 1.(3.) Esdras und kommt so mit seinem Spätansatz von Sanballat nicht in Schwierigkeiten. 98 Neh 6,1 ff.; 13,4.7. Auch die Tobiaden, die uns in ptolemäischer Zeit wieder begegnen (s. Hengel, Judentum und Hellenismus, 487–495), waren »Israeliten«, das zeigt der Jahwe-haltige Name tôbijjā / Twb‡a“. Tobia war der von den Persern eingesetzte Gouverneur von Ammon, später waren die Tobiaden ptolemäische und seleukidische »Lehnsherren«. 99 S. dazu Frey, Temple, 185. 100 Josephus, ant. 11,321 f. Vgl. zur Analyse der von Josephus, ant. 11,302–347 verwendeten Quellen und Traditionen Dexinger, Ursprung, 102–127. 101 Josephus, ant. 11,302–324. Zur Interpretation von 2 Kön 17, wo die Kuthäer unter den von den Assyrern nach Nordisrael Deportierten genannt werden, in frühjüdischer Zeit vgl. Böhm, Samarien, 105–133.
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I. Das Judentum
halters Sanballat (III.) von Samarien. Sanballat soll sich von dieser Heirat gute Beziehungen zu Jerusalem versprochen haben.102 Aber die Ältesten in Jerusalem verlangten von Manasse, sich entweder von seiner Frau scheiden zu lassen oder auf seine hochpriesterlichen Rechte zu verzichten. Manasse wandte sich an seinen Schwiegervater, der ihm die Hohepriesterschaft in dem auf dem Garizim nach Jerusalemer Vorbild zu errichtenden Tempel versprach. Aber nicht nur Manasse war mit einer Samaritanerin verheiratet: »Da aber viele Priester und Israeliten durch solche Heiraten gebunden waren, befiel
eine große Verwirrung die Jerusalemer. Denn sie gingen alle über zu Manasse; Sanballat jedoch schenkte ihnen Geldmittel und Land zum Bewirtschaften und wies ihnen Siedlungen zu und unterstützte seinen Schwiegersohn in jeder Hinsicht.«103 »Im Unterschied zu Neh 13,28 geht es in der Manasse-Tradition … nicht um die
Mischehenproblematik an sich, sondern um die Bereitschaft mancher Jerusalemer Priestergruppen, ein Heiligtum außerhalb Jerusalems zu betreuen.«104 Im Bericht des Josephus über das Heiligtum auf dem Garizim sind verschiedene Vorgänge in einen zusammengeflossen: Der Tempel aus persischer Zeit und die Erweiterungen zu einem großen Heiligtumsbezirk unter Antiochos III. werden zu einem einzigen, unter Alexander dem Großen errichteten Tempel. Wie die im Kontext von Josephus erzählten wunderbaren Ereignisse beim Besuch Alexanders in Jerusalem und dessen Verehrung für den Hohenpriester Jaddua sind die Nachrichten über die Tempelgründung auf dem Garizim und über Alexanders Nachforschungen darüber, ob die Samaritaner wirklich Juden seien, stark legendär übermalt. Durch spätere Quellen wissen wir, daß Alexander 331 wegen eines Aufstandes Samaria zerstörte und durch eine makedonische Militärkolonie ersetzte. Sichem und die Tempelstadt auf dem Garizim wurden damit zu den Hauptorten der Samaritaner.105 Samaria selbst war dagegen von 102 Ant.
11,302 f. Man beachte den griechischen Namen. Die neugefundenen Münzen von
»Schomron« und die Siegelabdrücke der samaritanischen Dokumente von Wadi ed-Dāliyeh
zeigen schon vor Alexander einen erheblichen, von den phönizischen Metropolen abhängigen »hellenistischen« Kultureinfluß in der Stadt. Vgl. dazu Pummer, Samaritans, 187; Y. Meshorer / S. Qedar, The Coinage of Samaria in the Fourth Century B. C. E., Jerusalem 1991. Zu den Siegelabdrücken s. M. J. W. Leith, Wadi Daliyeh I (DJD XXIV), Oxford 1997. Letztere tragen schon vor Alexander völlig hellenistischen Charakter, noch mehr als die Münzen, die zum Teil auch persischen Einfluß zeigen. S. dazu Hengel, Judaism, 14–16. 103 Josephus, ant. 11,312. Einen späten Nachklang des Mischehenproblems finden wir in ParJer 8,1–9 (deutsche Übersetzung von B. Schaller, JSHRZ I / 8, Gütersloh 1998, 743–747), wo mit der endzeitlichen Umkehr der Samaritaner und ihrer ›Heimkehr‹ zum Zion gerechnet wird. In AscJes 3,1–12 werden sie nicht so positiv gesehen, der Widersacher Jesajas ist ein Samaritaner namens Belkira / Malkira. S. dazu P. W. van der Horst, Anti-Samaritan Propaganda in Early Judaism, in: ders., Jews and Christians in Their Graeco-Roman Context, WUNT 196, Tübingen 2006, 140–144. 104 Dexinger, Ursprung, 126 f. 105 M. Hengel, Juden, Griechen und Barbaren, SBS 76, 1976, 19 f.
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jetzt an eine heidnische Stadt und blieb es – bis auf die kurze Unterbrechung in der Hasmonäerzeit – auch unter römischer Herrschaft. Die Notiz des Josephus, daß der Tempel auf dem Garizim Alexanders kurze Herrschaft überdauerte und die Priesterstadt »Sichem« ein Zufluchtsort war für jeden Jerusalemer (Priester?), der beschuldigt wurde, Unreines gegessen, den Sabbat verletzt oder irgend etwas anderes gegen das Gesetz getan zu haben, spiegelt die andauernde Rivalität;106 dennoch werden die ersten Jerusalemer Priester, die den Jahwe-Kult auf dem Garizim unterstützten, sich »keineswegs als Apostaten verstanden« haben, und es kam auch nicht zu einem »endgültigen Bruch«.107 Gemeinsam blieben die Tora Moses und das Leben nach dem Gesetz. Die Änderungen im samaritanischen Pentateuch zeigen eine spätere Entwicklung,108 und der Streit, auf welchem Berg Gott anzubeten sei, wird noch im Johannesevangelium erörtert.109 Die Samaritaner bezeichneten sich selbst als »Israeliten, die zum heiligen Tempel auf dem Hargarizin Opfer bringen«,
wie die beiden Inschriften aus der samaritanischen Diaspora-Synagoge in Delos belegen.110 Die Auseinandersetzung in der ägyptischen Diaspora zwischen Juden und Samaritanern über das Alter des jeweiligen Heiligtums scheint längere 106 Josephus,
ant. 11,346 f. Albertz, Religionsgeschichte II (S. 142 Anm. 95), 589. 108 Mehrere Textfragmente aus Qumran (4QpaleoExa; 4Q158 Frag. 6–8; 4Q175 1–8) enthalten ebenfalls Erweiterungen im Dekalog im Anschluß an Ex 20,17; gemeinsam ist vor allem die Erweiterung durch Dtn 18,18 (»einen Profeten wie dich will ich ihnen erwecken …«), womit die für die samaritanische Eschatologie charakteristische Erwartung eines Mose redivivus als des endzeitlichen Erlösers auch für Judäa belegt ist. Die stärkere Betonung des Garizim durch die Einfügung von Dtn 27,2b–3a.4–7 als zehntes Gebot ist vermutlich im samaritanischen Pentateuch erst nach der Zerstörung durch Hyrkan erfolgt, wie umgekehrt die (jüdische) Verlegung des Garizim in die Nähe von Gilgal (Dtn 11,30). Die Gemeinsamkeiten zwischen den Qumranfragmenten und dem samaritanischen Pentateuch bezeugen die weiter bestehende enge Verbundenheit im 3. und 2. Jahrhundert v. Chr., die späteren Änderungen spiegeln die Auseinandersetzungen nach der hasmonäischen Eroberung. Vgl. Böhm, Samarien, 80.313–316. 109 Joh 4,20; vgl. zur jüdischen Polemik Tob 1,4–8; Sir 50,26: »das törichte Volk, das in Sichem wohnt«; Jub 30,5 ff.; TestLev 5–7; VitProph 5,2: Hosea, der Profet des Nordreichs, weist die abtrünnigen Samaritaner (vgl. Hos 14,1) auf ihre Übertretung der mit Jos 24,25 ff. übernommenen Pflichten hin, s. Schwemer, Prophetenlegenden II, 11–19; van der Horst, Anti-Samaritan Propaganda (o. S. 144 Anm. 103). 110 P. Bruneau, »Les Israélites de Délos« et la juiverie délienne, BCH 106 (1982), 462– 474.483 f., datiert die eine 250–175 und die andere 150–50 v. Chr. Der samaritanische Verfasser von Pseudo-Eupolemos, Frag. 1,15 (Euseb, praep. ev. 9,17,5 f.; C. R. Holladay, Fragments from Hellenistic Jewish Authors I: Historians, Texts and Translations 20. Pseudepigrapha Series 10, Chico 1983, 172) berichtet vom gastfreundlichen Empfang Abrahams durch Melchisedek in der Stadt beim Tempel Hargarizin, was übersetzt heiße »Berg des Höchsten«. Argarizin wird in der samaritanischen Literatur in einem Wort geschrieben; vgl. Holladay, op. cit., 183 Anm. 21. Während der ›Religionsnot‹ unter Antiochus IV. blieben die Samaritaner mit ihrer Bezeichnung der »gastfreundliche Zeus« (ZeÜ“ xfinio“: 2 Makk 6,2) für den höchsten Gott und 107 R.
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Zeit angedauert zu haben111 und zugleich erbittert über die jeweilige legitime Sukzession des Hohenpriesteramtes geführt worden zu sein.112 Kein Wunder, daß die Hasmonäer bei der ›Restitution‹ des Staates zu einer das gesamte Gebiet des Zwölfstämmevolks umfassenden Einheit diesem »Konkurrenzheiligtum« so rasch wie möglich ein Ende bereiten wollten. Von Johannes Hyrkan wurde die Stadt mit ihrem Tempel, die vermutlich nach dem Berg Hargarizin hieß, zerstört und konnte von Samaritanern nie wieder aufgebaut werden.113 Auch die Priesterstadt Sichem machte Hyrkan dem Erdboden gleich. Samaria wurde nach einjähriger Belagerung eingenommen.114 Hyrkan zerstörte so nicht nur das hellenistisch-heidnische Samaria, sondern auch die Kultzentren der samaritanischen Religionsgemeinschaft, um das Jerusalemer Kultmonopol und den Legitimationsanspruch seiner Dynastie auf das hohepriesterliche Amt durchzusetzen.115 Die hasmonäische Unterwerfung war folgenschwer, führte jedoch weder zu einer Identitätskrise der Samaritaner noch zu ihrem Anschluß an den Jerusalemer Tempel, aber es kam auch nicht zu einem völligen Bruch, wie die analogen religiösen Entwicklungen zeigen.116 Die Heirat Herodes’ I. mit der Samaritanerin Malthake und die Einsetzung ihrer Söhne als Nachfolger (s. o. S. 68 f.) haben den gewalttätigen Ausbruch religiöser Spannungen im 1. Jahrhundert n. Chr. eher wieder gefördert. Auf die nächtliche Verunreinigung des Jerusalemer Tempels mit Totengebeinen durch die Samaritaner117 und die späteren kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Juden und Samaritanern wegen der Ermordung eines bzw. mehrerer galiläischer Festpilger haben wir schon hingewiesen.118 Daß diese Jerusalempilger von Samaritanern nicht gern gesehen und aufgenommen wurden, wird nach der hasmonäischen Zerstörung der Bewahrung des traditionellen Kultes den Vorschriften des mosaischen Gesetzes treu, ganz anders als die radikalen hellenistischen Reformer in Jerusalem; s. dazu Hengel, Judaism, 16. 111 Josephus, ant. 12,10 spricht von st›sei“ und daß sie sich bekriegt hätten wegen der Frage, wohin die Opfergaben zu senden seien. 112 Josephus, ant. 13,74–79: Ptolemaios Philometor (180–145 v. Chr.) entscheidet den Streit zugunsten der Juden, die Sprecher der Samaritaner und ihre Anhänger werden zum Tode verurteilt. 113 Josephus, bell. 1,62 f.; ant. 13,254 ff. Josephus datiert diese Eroberungen ca. ins Jahr 128 v. Chr., nach den archäologischen Untersuchungen muß man sie später, ca. 107 v. Chr., ansetzen. Vgl. auch MegTaan 22. 114 Josephus, bell. 1,64; ant. 13,281. Zur Befreiung durch Pompeius und zu der Neugründung durch Herodes als »Sebaste« s. o. S. 55 Anm. 91. Zur Geschichte Samarias vgl. auch Böhm, Samarien, 46–54. Der Nachfolgeort von Sichem war vermutlich das Joh 4,5 erwähnte Sychar, vgl. Hengel, KS II, 300–308; Böhm, Samarien, 90–93. 115 Vgl. Böhm, Samarien, 84. 116 Zu den Miqwāot, den Anlagen für rituelle Tauchbäder, vgl. Böhm, Samarien, 82 f. 117 Josephus, ant. 18,29 f. datiert den Vorfall unter Coponius (6–8 n. Chr.). S. dazu o. S. 80 Anm. 223. 118 Josephus, bell. 2,232–246; ant. 20,118 berichtet dagegen vom Tod vieler Pilger. Vgl. o. S. 95 Anm. 305 zu diesem Vorfall.
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ihres Heiligtums verständlich.119 Ein Hinweis darauf begegnet uns in der Erzählung von der Zurückweisung Jesu und seiner Jünger in einem samaritanischen Dorf Lk 9,51–56, »weil er auf dem Wege nach Jerusalem war« (V. 53). Auch die Samaritaner ließen sich vom apokalyptischen Fieber anstecken. Der Zug zum Garizim unter Führung eines Profeten im Jahr 35/36 n. Chr., um die Tempelgeräte des Mose zu finden, diente doch wohl nicht nur dazu, die Legitimität des Berges gegenüber dem Zion unter Beweis zu stellen. Wieder wissen wir von diesem Vorfall nur durch die tendenziöse Darstellung des Josephus, aber die Betonung der Verheißung von Dtn 18,18–22 im samaritanischen Pentateuch macht es wahrscheinlich, daß dieser Profet sich als Moses redivivus, das heißt als samaritanischer ›Messias‹, sah.120 Die Samaritaner beteiligten sich am Aufstand gegen Rom, und auf der Festung Masada wurde ein liturgischer Text mit »Hargarizin« in samaritanischer Schreibweise gefunden.121 Die Verwechslung von Samaritanern und Sadduzäern bei den Kirchenvätern führte zu der sich hartnäckig haltenden Ansicht, auch die Sadduzäer hätten als heilige Schrift nur den Pentateuch angesehen.122 Der von Philippus getaufte samaritanische Simon Magus, der wegen seines Irrglaubens von Petrus zurechtgewiesen wurde – ein Konflikt, dessen Ausgang Lukas im Grunde offenläßt –,123 wurde im Laufe des 2. Jahrhunderts zu einem Häresiarchen: Nach Justin stammte er aus Gitta, »fast alle Samarier verehren ihn wie den ersten Gott«; Irenäus führt alle christlichen gnostischen Irrlehrer auf Simon zurück, er gilt als Lehrer des Gnostikers Menander, der aus dem samaritanischen Dorf Kapparetaia stammte und dessen Schüler Satornil in Antiochien gewirkt haben soll. Vermutlich beriefen sich christliche Gnostiker des 2. Jahrhunderts auf Simon sowie auch auf andere Negativgestalten.124 119 Lk 9,51–53; Joh 4,9; vgl. Josephus, bell. 2,232; ant. 20,118; vita 145.241.268 ff.317 ff. Dazu Böhm, Samarien, 216 ff. 120 Zu den politischen Zusammenhängen s. o. S. 82; der Terminus »Taheb«, der »Wiederher steller« als samaritanischer Messias, ist erst sehr viel später belegt, aber die samaritanische Dekalogerweiterung mit Dtn 18,18 und 27,4–7 verbindet den eschatologischen »Profeten wie Mose« und den Garizim (zur samaritanischen Messiaserwartung vgl. auch Joh 4,25 und Justin, apol. I, 53,6); dazu Böhm, Samarien, 81. Den davidischen Messias mußten die Samaritaner ebenso ablehnen wie das Heiligtum auf dem Zion. Dtn 18,15–22 spielt auch in Qumran eine gewisse Rolle; s. J. Zimmermann, Texte, 314 f.332–342.476 ff. und Index 512. 121 Josephus, bell. 3,307–315. Vgl. S. Talmon, A Masada Fragment of Samaritan Origin, IEJ 47 (1997), 220–232; Hengel, Judaism, 16. 122 So Böhm, Samarien, 78 mit Berufung auf J. Maier, Das Judentum. Von der biblischen Zeit bis zur Moderne, München 31988, 216; vgl. dagegen zu Recht Stemberger, Sadducees, 436. 123 Apg 8,9–13.18–24. S. dazu Avemarie, Tauferzählungen, 51–54.243–254 u. ö. 124 Justin, dial. 120,6; apol. I, 26,2; 56,2; Irenäus, adv. haer. 1,23,1–4. Irenäus macht Simon zum antiapostolischen Stammvater der gnostischen Häresie. Vgl. M. Hengel, Die Ursprünge der Gnosis und das Urchristentum, in: Evangelium – Schriftauslegung – Kirche. FS für Peter
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I. Das Judentum
4.3.2 Zur Geschichte der Essener, Pharisäer und Sadduzäer Wie bereits Wellhausen gesehen hat, steht die Entstehung der jüdischen Parteien im Zeichen der Hellenisierung des palästinischen Judentums und des damit »aufkommenden Individualismus …, der sich als persönliche Entscheidung zu einer bestimmten Frömmigkeitsform äußert«.125 Josephus setzt die Existenz der drei Parteien in der Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr. voraus: Zur Zeit des Makkabäers Jonathan (es ist an die Zeit nach dessen Sieg über Demetrios II. gedacht, ca. 146 v. Chr.) habe es »drei Parteien gegeben, welche über die menschlichen Verhältnisse verschiedene Lehren aufstellten«.126
Ihre Entstehung steht im Zusammenhang mit dem raschen Zerfall der antihellenistischen Front, die den makkabäischen Aufstand getragen hatte. Diese Chronologie wird durch die essenische Damaskusschrift bestätigt: »Und in der Zeit des Zorns, 390 Jahre nachdem er sie in die Hand Nebukadnezars, des
Königs von Babel, gegeben hatte, hat er sie heimgesucht und ließ aus Israel und Aaron eine Wurzel der Pflanzung sprießen, um das Land in Besitz zu nehmen … Und sie sahen ihre Sünde ein und erkannten, daß sie schuldige Männer waren. Aber sie waren wie Blinde und solche, die nach dem Weg tasten, 20 Jahre lang. Und Gott achtete auf ihre Werke … und erweckte ihnen den Lehrer der Gerechtigkeit, um sie auf den Weg seines Herzens zu führen.«127
Nach essenischer Zeitrechnung kommen wir mit der Zahl 390 ca. ins Jahr 170 v. Chr., in die Zeit der »hellenistischen Reform« und der sich anschließenden Religionsnot unter Antiochus IV.128 In dieser Krise leistete die religiöse Bußbewegung der Chasidim Widerstand gegen die hellenistische Überfremdung Stuhlmacher zum 65. Geburtstag, hg. v. J. Ådna u. a., Göttingen 1997, 212 ff.; K. Beyschlag, Simon Magus und die christliche Gnosis, WUNT 16, Tübingen 1974 und Bd. II. 125 Deines, Pharisäer, 47.546 (Zitat und Hervorhebung R. D.); vgl. Hengel, KS I, 79 f.159.168.270.308; zum Phänomen s. A. D. Nock, Conversion: the Old and the New in Religion from Alexander to Constantine, Oxford 1933. Auch die Essener sind ein »Verein«, dem sich die Mitglieder freiwillig aufgrund persönlicher »Umkehr« anschließen, s. o. S. 140 Anm. 87. Die Mitgliedschaft kann erst von Erwachsenen beantragt werden (1QS V 1.10; 1QSa I 6 ff.). Auf der anderen Seite wird dieser willentliche Entschluß auf Gottes Erwählung, die deterministisch verstanden wird, zurückgeführt. Hier besteht eine Analogie zu Paulus und Johannes. 126 Ant. 13,171: a´rfisei“. 127 CD I 5–11. Übersetzung E. Lohse, Die Texte aus Qumran, Darmstadt 21971, 67. Vgl. Hengel, Judentum und Hellenismus, 319 ff.327 f. 128 Hiermit kommen wir unabhängig von Josephus, aber mit ihm übereinstimmend, zu einer Datierung des »Schismas«. Vgl. auch u. S. 162 f. zur Datierung. Die »Reform« beginnt mit dem Regierungsantritt Antiochus’ IV. 175 v. Chr., die eigentliche Verfolgung mit Entweihung des Tempels und dem Aufstand des Judas Makkabäus 167 v. Chr.
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und unterstützte den Freiheitskampf unter Führung des Judas Makkabäus.129 Nach ca. zwanzig Jahren spaltete sich die Umkehrbewegung mit dem Auftreten eines Priesters, des profetisch-charismatischen Lehrers der Gerechtigkeit, dem Gott »alle Geheimnisse der Worte seiner Knechte, der Profeten, geöffnet hat«130, in die essenisch-qumranische Gruppe unter dessen priesterlicher Führung und in die der Pharisäer – unter Leitung des »Lügenmanns«, der ausgeschlossen wird vom »Rat der Gemeinschaft«131 –, die zunächst mit den Makkabäern verbündet blieben. Essener und Pharisäer besitzen eine gemeinsame Wurzel in dieser »Gemeinde der Frommen«, der Chasidim. Der Lehrer der Gerechtigkeit war zadokidischer Herkunft, das heißt, er stammte aus der alten, legitimen hochpriesterlichen Dynastie der Zadokiden, die durch die Reformer zur Zeit Antiochus’ IV. die Macht verloren hatte, aber leider erfahren wir in keiner Quelle seinen Eigennamen.132 Die in den Hodayot enthaltenen »Lehrerlieder« spiegeln die schweren Auseinandersetzungen mit Gegnern, aber auch sein Erwählungsbewußtsein: »Ich wurde zur Falle für die Übeltäter, aber zur Heilung für alle, die umkehren von
der Sünde … Du setztest mich als Signal für die Erwählten der Gerechtigkeit und zum Sprecher der Erkenntnis in wunderbaren Geheimnissen.« »Du hast mich gestellt (zum priesterlichen Dienst) in deinem Bund, und ich habe mich
geklammert an deine Wahrheit … Du setztest mich zum Vater für die Söhne der Gnade …« »Ich preise dich, Herr, denn du hast mich unterwiesen in deiner Wahrheit und in deinen wunderbaren Geheimnissen mir Wissen gegeben …«133
129 1 Makk 2,42: sunagwgÉ ûAsida‡wn; vgl. 7,13; 2 Makk 14,6; vgl. die »Einsichtigen« Dan 11,33 ff. Dazu Hengel, Judentum und Hellenismus, 319–381; ders., KS I, 165–170; J. Kampen, The Hasideans and the Origin of Pharisaism. A Study in 1 and 2 Maccabees, SCSt 24, Atlanta (Georgia) 1988, 45–150. Vgl. auch die Ableitung von ûEssaõoi bzw. ûEssönoi von aramäisch hsyh o. S. 123 Anm. 7. 130 1QpHab VII 3–5 deutet Hab 2,2 auf den Lehrer der Gerechtigkeit. Zu seiner Person s. G. Jeremias, Der Lehrer der Gerechtigkeit, StUNT 2, Göttingen 1963. 131 4QpPsa 37 (4Q171) IV 14; IV 18 f. Anders die »Groningen-Hypothese«: Von den Essenern spalteten sich die Frommen in Qumran ab, die somit zu einer Untergruppe der Essener werden; vgl. F. García Martínez / A. S. Van der Woude, A »Groningen«-Hypothesis of Qumran Origins and Early History, RdQ 14 (1989/90), 521–541; dazu J. Maier, Die Qumran-Essener: Die Texte vom Toten Meer III, München / Basel 1996, 21. 132 4QpPsa 37 II 18; III 15; IV 8: Der »Frevelpriester«, der vermutlich mit dem Hohenpriester Jonathan zu identifizieren ist, suchte ihn zu töten; hier wird auch die »Tora« erwähnt, die der Lehrer der Gerechtigkeit an den Frevelpriester gesandt hatte und die wohl 4QMMT entspricht. Vgl. die Darstellung der Diskussion bei VanderKam, Qumranforschung, 121–126. 133 1QHa X 7 f.; XV 19 ff.26 f. Zur Zählung und zur Abgrenzung der Lehrerlieder s. A. Lange in: H. Lichtenberger / A. Lange, Art. Qumran, TRE 28, 1997, 64. Dieser Lehrer wird im Habakuk-Pescher zum »Exegeten der Propheten schlechthin« (Steudel, Midrasch, 204).
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I. Das Judentum
Daß er sich in Jerusalem als Hoherpriester durchsetzen wollte (oder gar nach Alkimus 159–152 v. Chr. amtierte) und von dem aus der Priesterordnung Joarib stammenden Makkabäer Jonathan, der von Alexander Balas aus politischmilitärischen Gründen zum Hohenpriester ernannt wurde und im Kommentar zu Ps 37 als »Frevelpriester« bezeichnet wird, verdrängt wurde, ist angesichts des irenischen Schreibens 4QMMT wieder unwahrscheinlicher. Die scharfe Polemik gegen die Pharisäer in den Qumranschriften erklärt sich aus der gegenseitigen Nähe und der entgegengesetzten Lösung des Problems, wie das wahre, Gott wohlgefällige Israel zustande kommen soll. Die Essener erreichten die gottgewollte Heiligkeit in der elitären Separierung von aller Unreinheit in ihrer Gemeinschaft, im yahad, die Pharisäer dagegen sahen sich als eine Heiligungsbewegung für das ganze Volk. Das trug ihnen den essenischen Vorwurf des »Suchens nach glatten Dingen« ein, denn eine Kompromißfähigkeit, wie sie die Pharisäer an den Tag legten, konnte ihnen nur als »Lüge« erscheinen. Mit den Sadduzäern gemeinsam hatten die Essener die konservative, wörtliche Auslegung des Gesetzes. Analog zum samaritanischen »Schisma« haben diese erneuten Parteiungen ihren Ursprung vor allem in Spaltungen innerhalb der Priesterschaft als dem religiös-politischen »Geburtsadel« des jüdischen Volkes. Auch wenn die Pharisäer im 1. Jahrhundert n. Chr. als eine vorwiegend von Laien getragene Erneuerungsbewegung, die jedoch zahlreiche Anhänger in der einfachen Priesterschaft besaß, erscheinen, so haben sie doch neben den chasidischen priesterlich-schriftgelehrte Wurzeln.134 Schon unter Johannes Hyrkan kommt es zum Bruch zwischen Pharisäern und Hasmonäern. Der Konflikt entzündet sich am Zweifel an der Legitimität seines Hohenpriesteramtes, da seine Mutter eine Zeitlang seleukidische Kriegsgefangene gewesen war, und an der Frage, ob ein solcher Angriff auf den Hohenpriester eine Blasphemie darstelle, die mit dem Tode (so die sadduzäische Sicht) oder nur mit Fesseln und Schlägen (so die Pharisäer) zu bestrafen sei. Hyrkan verbündet sich daraufhin mit den Sadduzäern und schafft neue Gesetzesregelungen, die er zusammen mit den Pharisäern eingeführt hatte, wieder ab.135 Es 134 J.
Schaper, The Pharisees, in: The Cambridge History of Judaism III, ed. by W. Horbury etc., Cambridge 1999, 402–427, führt die Pharisäer etwas einseitig auf die Leviten zurück; dies mag in erster Linie für die Schriftgelehrten gelten; doch waren zumindest einige der pharisäischen Frühgestalten wie Jose ben Joezer, der Onkel des Alkimus / Yakim, Priester (mAv 1,4). Vgl. Deines, Pharisees, 494 ff. mit Anm. 183. Zu den Pharisäern als überwiegend aus Laien bestehender Bewegung vgl. Hengel, KS II, 63 f. 135 Josephus, ant. 13,288–298. Stemberger, Pharisäer, 98–103, hält den Bericht über den Bruch Hyrkans mit den Pharisäern für historisch fragwürdig, zum Bruch sei es erst unter Jannai gekommen. Doch diese Skepsis ist unberechtigt, s. Hengel / Deines, Pharisäer, in: Hengel, KS I, 462 ff.; sogar die rabbinische Tradition hält fest, daß Hyrkan am Ende seiner Regierungszeit von der Tora abfiel. Das Problem der Blasphemie gegenüber dem Hohenpriester erscheint auch im Prozeß Jesu; s. u. S. 592 Anm. 33 und S. 598.
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kommt daraufhin zum Bürgerkrieg, der sich zuspitzt unter Alexander Jannai, der 800 Pharisäer, die Demetrius III. Eukairos gegen ihn zu Hilfe riefen, wegen Landesverrats kreuzigen ließ.136 Doch auf dem Totenbett rät Jannai seiner Frau zur Versöhnung mit den Pharisäern, denn diese hätten großen Einfluß auf das Volk.137 Alexandra Salome kommt durch die Unterstützung der Pharisäer an die Macht, die nun ihrerseits blutige Rache an ihren Gegnern nehmen, denn »sie hatte zwar selbst den Titel Königin, die Macht lag aber bei den Pharisäern«.138 Sie führt auch die pharisäischen Gesetze »nach der väterlichen Überlieferung«, die ihr Schwiegervater Hyrkan abgeschafft hatte, wieder ein.139 Für diesen Machtwechsel besitzen wir als durchgehende Quellen die einseitigen Darstellungen des Josephus, der sich auf Nikolaos von Damaskus stützt. Hinzu kommen einzelne Bemerkungen in den Qumrantexten und in der rabbinischen Literatur. Der Nahum-Kommentar geißelt beide Parteien für diese Vorgänge,140 nennt aber ebenfalls die Namen der jüdischen Gegner nicht. Erst die rabbinischen Quellen führen den Machtwechsel auf Simeon b. Schetach zurück: »Und die Welt war verödet, bis Simeon b. Schetach kam und die Tora zu ihrer alten Bedeutung kam.«141
Die Mehrheit im Synhedrium und damit die Kapitalgerichtsbarkeit besaßen während der Regierungszeit Alexandras die Pharisäer, auch wenn der schwache Hyrkan II. den Vorsitz einnahm. Der Traktat Avot schreibt Ben Schetach und seinem Paargenossen Jehuda b. Tabai Maximen zu, die zur sorgfältigen Rechtspflege auffordern.142 Beim »Staatsstreich« scheinen die führenden Pharisäer jedoch rücksichtslos gegen ihre Gegner vorgegangen zu sein, die sich von dieser 136 Josephus,
ant. 13,380–383. 8000 Gegner Jannais flohen daraufhin ins Exil. ant. 13,401: d‚nasqai dÇ polÜ parÅ toõ“ ûIouda‡oi“ to‚tou“. Schon Johannes Hyrkan wollte seine Witwe zur Nachfolgerin einsetzen, was ihm mißlang. Im kürzeren Bericht des Bellum steht nichts von diesem Rat Jannais an seine Frau. Dort ergreift sie von sich aus die Initiative zu dieser Koalition. 138 Josephus, ant. 13,409; vgl. 410 f.; bell. 1,110–113. Sehr kritisch zur Darstellung der Königin bei Josephus jetzt T. Ilan, Silencing the Queen, TSAJ 115, Tübingen 2006. 139 Josephus, ant. 13,408; vgl. MegTaan 24: »Am achtundzwanzigsten Tebet (ca. 76/75 v. Chr.) setzte sich das (von Pharisäern beherrschte) Synhedrium zu Gericht.« 140 4QpNah Frag. 3–4 I, 2–8. Der »Zorneslöwe« Jannai wird dafür gescholten, daß er Menschen lebendig am Holz aufhängte, das heißt kreuzigte. Während der Herrschaft derer, »die nach glatten Dingen suchen«, wird Krieg und Bürgerkrieg nicht aufhören, aber »sie werden gewiß straucheln über den Rat ihrer Schuld« (II 4–10). Nach 11QT 64,13–18 war Kreuzigung die Strafe für Landesverräter. 141 bQid 66a; s. dazu Hengel, Rabbinische Legende, 38. Stemberger, Pharisäer, 106 tadelt mit Verweis auf Levine den Versuch, »das Schweigen des Josephus mit rabbinischem Material über Simeon ben Schetach aufzufüllen.« Auf die Argumente Hengels geht er nicht ein. 142 mAv 1,8: Jehuda b. Tabai fordert, Richter haben unparteiisch zu urteilen. »Simeon b. Schetach sagt: Befrage die Zeugen gründlich. Doch sei bei deinen Worten vorsichtig, damit sie nicht aus ihnen lügen lernen.« 137 Josephus,
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I. Das Judentum
Niederlage nie mehr wirklich erholten. In der rabbinischen Überlieferung haben sich diese Vorgänge aus der pharisäischen Frühzeit nur in polemischer Verschlüsselung erhalten.143 Die Gegenpartei des sadduzäischen Adels konnte sich zunächst nur unter der Führung von Alexandras jüngerem Sohn, Aristobul, vor der Königin beklagen, sie würden wie Vieh hingeschlachtet. Aber sie schaffte den Ausgleich, indem sie die Pharisäer in Jerusalem in ihrer Machtposition beließ, dem Adel jedoch eine Reihe von Festungen anvertraute. Damit beendete sie den Bürgerkrieg und herrschte in Frieden, ein Friede, der in der rabbinischen Literatur verklärt wurde, weil damals die »Tora zu ihrer (pharisäischen) Bedeutung kam«.144 Die volle politische Macht konnten die Pharisäer nur in den neun Jahren unter Alexandra Salome behalten, aber es ist zugleich nirgends in den Quellen davon die Rede, daß ihre Gesetzesregelungen außer Kraft gesetzt wurden, sie bestimmten weiterhin zumindest teilweise auch die Halacha des Jerusalemer Kults. Das essenische Interesse an den politischen Vorgängen beschränkt sich bei Josephus auf dynastische Profezeiungen.145 Diese Essener werden namentlich genannt im Unterschied zu den pharisäischen Führern der Frühzeit. Eine Ausnahme bilden hier Samaias und Pollion (= Schemaja und Abtaljon), die Josephus seiner Quelle Nikolaos folgend für den Aufstieg des Herodes I. zweimal nennt. Sie begrüßten zuerst dessen Herrschaft, da er ja gegen die Königspartei und den sadduzäischen Adel vorging, aber spätestens bei ihrer Eidverweigerung kam es zum Konflikt. Wieder erscheint eine Frau zur Unterstützung der Pharisäer, denn die Frau des Herodesbruders Pheroas zahlte die Strafe für 6000 pharisäische Eidverweigerer, während der König die essenische Verweigerung des Eides ohne Buße akzeptierte.146 Pharisäer, die Zugang zum Hof und seinem Harem hatten, kündigten gegen Ende der Herrschaft des Herodes der Frau des Pheroas an, ihre 143 Hengel, Rabbinische Legende, 54 ff. und passim. Der sadduzäischen Partei schadete weiter der Machtkampf zwischen Hyrkan II. und Aristobul, dann Herodes I., der sie wieder entmachtete und dezimierte und durch die neue hochpriesterliche Familie der Boëthusäer ersetzte. Zum Schicksal eines solchen Priesters vgl. die Grabinschrift des Abba u. S. 153 Anm. 150. 144 Vgl. bQid 66a. Josephus, ant. 13,411–418.432: †n e¢rflnÔh tÖ ≤qo“ dief‚laxen. 145 Josephus, ant. 13,311–313: Der Essener Judas habe den Mord Aristobuls I. an seinem Bruder Antigonos vorausgesehen. Dieser Mord – eingefädelt durch Aristobuls I. Frau Alexandra Salome (?) – ebnet Alexander Jannai den Weg zur Herrschaft (13,308.320), der dann Alexandra heiratete. Vgl. weiter die Vorhersagen für Herodes, s. o. S. 66 Anm. 147. Dagegen beschäftigten sich nicht nur die Profetenkommentare mit den Vorgängen, ein Kalenderfragment erwähnt Aemilius Scaurus, einen Hohenpriester und die Namen Jochanan und Schalomzion = Alexandra (4Q324a + b). Sogar ein Gebet für König Jonathan (Alexander Jannai?) hat sich erhalten, s. 4Q448; dazu E. Eshel / H. Eshel / A. Yardeni, A Qumran Composition Containing Part of Ps. 154 and a Prayer for the Welfare of King Jonathan and his Kingdom, IEJ 42 (1992), 199–229. Im Blick auf die dramatische jüdische Geschichte im 2. und 1. Jahrhundert v. Chr. sind jedoch bei der großen Zahl der Qumrantexte die historischen Anspielungen und die Nennung von Namen gering und häufig verschlüsselt. Sie zeigen die essenische Distanz zur Politik. 146 Zur Eidverweigerung s. o. S. 66.
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Nachkommen würden den (messianischen) Königsthron erhalten, und einem ihrer Eunuchen versprachen sie, er werde zeugungsfähig werden, wenn dieser künftige Wundertäter seine Herrschaft antrete. Die messianischen Untertöne sind nicht zu überhören.147 Nikolaos von Damaskus, dem Josephus diese Geschichte verdankt, bemerkt dazu erbittert: »Denn es gab eine Gruppierung von Juden, mächtig stolz auf ihre Genauigkeit in
der väterlichen (Überlieferung) und den Gesetzen …, denen waren die Frauen (am Hofe) ergeben, sie werden Pharisäer genannt. Diese hätten für den König sehr viel tun können, weil sie umsichtig waren, und doch waren sie in aller Öffentlichkeit darauf aus, ihn zu bekriegen und ihm zu schaden.«148
Nicht nur Alexandra Salome, auch die Frau des Pheroas begünstigte die Pharisäer, ja, der gesamte Harem des Königs wurde nach Josephus von ihnen beeinflußt.149 Herodes ließ die involvierten Pharisäer und ihre Anhänger hinrichten. Den Vertretern der Partei, die sich in die Nachfolgestreitigkeiten am Hofe einmischten, stehen die Schriftgelehrten und ihre Anhänger in der Adlerepisode gegenüber, was die Bandbreite der Pharisäer zeigt – einig waren sie sich zumindest in späterer Zeit im Haß auf den König. Die Sadduzäer konnten es unter Herodes nicht mehr zu Einfluß bringen, denn er dezimierte sie zu Beginn seiner Herrschaft als Parteigänger der Hasmonäer und demütigte sie mit der Berufung eines Ananel aus Babylonien und der Familien des Boëthos und Phiabi (aus Ägypten) ins höchste religiöse Amt.150 Erst unter den Präfekten wurden wieder dem palästinischen Priesteradel angehörige Hohepriester eingesetzt. Lehrmäßig, das heißt auch in Fragen des Ritualgesetzes, stimmten die aus Ägypten kommenden Hohenpriester mit der Partei der Sadduzäer überein, deshalb werden die Boëthusaner in der rabbinischen Literatur weitgehend mit ihnen identifiziert.
147 Josephus, ant. 17,42–45. Die Frau des Pheroas war vermutlich davidischer Abstammung; vgl. Kokkinos, Dynasty, 173. Zur endzeitlichen Hoffnung für die Eunuchen vgl. Jes 56,4 f.; Apg 8,26–40. Josephus übernimmt diesen für einige (!) Pharisäer ungünstigen Bericht, weil er in diesem Fall das Urteil des Nikolaos teilt. Die pharisäerkritische Überlieferung an einzelnen Stellen ist durchweg durch seine Quelle Nikolaos von Damaskus bestimmt. 148 Josephus, ant. 17,41: oï“ ≠pökto ™ gunaikwnõti“, Farisaõoi kaloúntai. Die Pharisäer werden als promhqeõ“ gekennzeichnet, was zumeist mit »mit der Gabe der Vorhersehung begabt« wiedergegeben wird, weil in 17,43 von ihrem »Vorherwissen« die Rede ist; doch promhqfl“ bedeutet hier »klug, umsichtig, vorausschauend«. 149 Auf die Frage, warum gerade Frauen sich Pharisäern anschlossen, werden wir zurückkommen müssen. S. u. S. 160 f. 150 Eine paläohebräische Grabinschrift (um die Zeitenwende) aus Jerusalem bezeugt das Schicksal eines exilierten Priesters: »Ich, Abba der Sohn des Priesters Eleas(ar) des Sohnes Aarons des Älteren, ich, Abba der Gedemütigte und Vertriebene, welcher in Jerusalem geboren wurde, nach Babylonien auswanderte und den Mattattj(a) den Sohn des Juda mitheraufbrachte (nach Jerusalem), – und ich begrub ihn in der Höhle, die ich durch Kaufvertrag gekauft hatte« (Übersetzung Beyer, Texte, 347).
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I. Das Judentum
Von den berühmtesten pharisäischen Lehrern dieser Zeit, Hillel und Schammai, schweigt Josephus. Der Streit zwischen ihren Schulen führte im Jahr 66 n. Chr. zur blutigen Durchsetzung der 18 Halakhot, streng heidenfeindlicher Bestimmungen, durch die Schammaiten gegen die Hilleliten. Das pharisäische Ziel »der Einigkeit zum Nutzen des Gemeinwesens« wurde nicht nur durch das Entstehen der »vierten Partei«, die wohl aus dem radikalen linken Flügel der Pharisäer herausgewachsen war und den Schammaiten nahestand, weit verfehlt.151 Ebenso spaltete sich die sadduzäische Priesteraristokratie, als der Tempelhauptmann Eleazar sich zum Verbündeten der Sikarier machte. Den gemäßigten, weltoffeneren Flügel bildeten die Hilleliten, zu denen die Familie des Gamaliel gehörte. Gamaliel II., der Sohn des Simon und Enkel Gamaliels I., wurde um 80–90 n. Chr. ›Nachfolger‹ von Jochanan ben Zakkai als Leiter der bedeutenden Gelehrtenschule in Jabne / Jamnia, das nach der Zerstörung Jerusalems zum geistigen Zentrum der jüdischen Erneuerung wurde.152 In der »Periode von Jabne« setzte nach der Katastrophe die Konsolidierung unter pharisäisch-schriftgelehrter Führung ein und wurde das Fundament für das rabbinische Judentum gelegt. Diese Erneuerung in Jabne betraf auch die Sammlung von älteren Gesetzesbestimmungen und den in der tempellosen Zeit notwendig gewordenen Gesetzesänderungen, die die gefährliche Spaltung in »zwei Torot« in den Schulen Hillels und Schammais überwinden sollte und die dann im Corpus der Mischna um 200 n. Chr. zusammengefaßt wurde.153 Auch die Einfügung des sogenannten »Ketzersegens«, der birkat ha-mînîm, in die 12. Benediktion des Achtzehnbittengebets fällt in die Jahrzehnte nach 70; sie richtet sich gegen alle Abweichler (mînîm), nicht zuletzt aber gegen Judenchristen.154 Eine Neuerung 151 Vgl. Josephus, bell. 2,166; dazu o. S. 125 Anm. 21. Zu ihren Begründern zählt Josephus neben Judas Galiläus den Pharisäer Zadok (s. o. S. 78 Anm. 212). Zu den 18 Halakhot s. Hengel, Zeloten, 204 ff.365–371.409 f. Vgl. die pharisäischen Gegner des Josephus (vita 197 ff.); die Kontroversen über Gesetzesfragen zwischen Beth Hillel und Beth Schammai werden auch nach 70 ausführlich diskutiert, aber in der Regel dem »liberaleren« Beth Hillel entsprechend entschieden. 152 Gamaliel I. wird Apg 5,34–39 und 22,3 als Lehrer des Apostels Paulus erwähnt, seinen Sohn Simon nennt Josephus, vita 190–194, als Führer der Pharisäer. Zu Jochanan ben Zakkai, Gamaliel II. und anderen bedeutenden frühen rabbinischen Lehrern und ihren Lehrhäusern s. Schürer II, 367–374. 153 Vgl. Stemberger, Einleitung, 12: »Die Neuorganisation einer jüdischen Selbstverwaltung entwickelte sich nur allmählich aus dem neuen Zentrum religiöser Gelehrsamkeit, Jabne: dort begann Jochanan ben Zakkai bald nach 70, jüdische Gelehrte vor allem aus pharisäischen und Schriftgelehrten-Kreisen, aber auch aus den sonst wichtigen Gruppen des zeitgenössischen Judentums um sich zu sammeln. Aus diesen Anfängen entwickelte sich langsam die neue jüdische Führung Palästinas, die das Judentum durch eine Zeit ohne Tempel und ohne Staat zu lenken imstande war: das Patriarchat mit seinem den Sanhedrin der Tempelzeit fortführenden Gericht und seiner Schule.« Dazu auch Hengel( / Deines), KS I, 437. 154 Vgl. dazu J. N. Carleton Paget, Jewish Christianity, in: The Cambridge History of Judaism III, ed. by W. Horbury etc., Cambridge 1999, 772 f.
§ 4 Die jüdischen »Religionsparteien« in Palästina
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war auch die Einführung der Ordination und die des Titels »Rabbi«; den Wandel des Selbstverständnisses spiegelt die Traditionskette in Avot und Avot deRabbi Natan: Jochanan ben Zakkai wird einerseits mit der pharisäischen Tradition verknüpft und zugleich zum Nadelöhr, denn auf ihn führte man alle rabbinische Schriftgelehrsamkeit zurück.155 Das Matthäusevangelium steht zwischen 90 und 100 n. Chr., wie Mt 23 zeigt, in erbitterter Auseinandersetzung mit dem sich in Jabne unter pharisäischer Führung erneuernden Judentum.156 Wie instabil die Lage noch war, zeigte sich im Bar Kochba-Aufstand (132–136 n. Chr.), wo ein so berühmter Lehrer wie Aqiba den Simon Bar Kosiba als den in Num 24 verheißenen Messias und »Sternensohn«, als »Bar Kochba«, begrüßte.157 Die Nachkommen des Gamaliel konnten sich erst an der Wende vom 2. zum 3. Jahrhundert n. Chr. mit Jehuda han-nāśî’, dem ersten »Patriarchen«, unter dem die Mischna redigiert wurde, endgültig an der Spitze durchsetzen und die volle Anerkennung durch die römische Herrschaft erlangen.
4.4 Zur sozialen Bedeutung der Parteien Im 1. Jahrhundert n. Chr. waren die geistigen Führer der Pharisäer Schriftgelehrte und die Mitglieder dieser Partei vorwiegend Laien. Das priesterliche Element tritt etwas zurück, obwohl Angehörige des Priesterstandes sich durchaus der pharisäischen Schule anschlossen.158 Die Gelehrtenschulen hatten ihren Sitz in Jerusalem. Dort begegnete sich das ›Establishment‹ aller Parteien, dort war es möglich, ihre verschiedenen Schulrichtungen zu studieren, wie man am Beispiel des Paulus und Josephus, aber auch des Johannes von Gischala, Jochanan ben Zakkai und anderen sehen kann. Mit dem Aufstieg der Pharisäer unter Alexandra Salome beginnen Änderungen in den religiösen Gebräuchen Palästinas, die sich archäologisch nachweisen lassen: Im Palast der Hasmonäer in Jericho wurde eine Synagoge entdeckt, die den Bediensteten und Angehörigen des Hofstaates diente,159 weitere Synagogen, die vor 70 n. Chr. gebaut wurden, fanden sich in Gamala, Magdala, Masada, Herodeion. Diese archäologischen Funde stimmen mit den literarischen Hinweisen bei Josephus und in den Evangelien überein. In Jerusalem sind die von Lukas erwähnten Synagogen durch die Theodotos-Inschrift belegt. Das 155 Stemberger,
Einleitung, 14 f. Hengel, Gospels, 197 f.; H.-J. Becker, Kathedra, 45–51 u. ö. 157 yTaan 4,8 68d, s. Hengel, KS I, 344–350 (348 ff.).379–391. 158 Vgl. Josephus, vita 12.197 f. 159 E. Netzer, A Synagogue from the Hasmonean Period Recently Exposed in the Western Plain of Jericho, IEJ 49 (1999), 203–221. In der Nähe soll sich ein Ritualbad befunden haben, angeschlossen an den großen Versammlungsraum sei auch hier ein Speisesaal wie in anderen Synagogen. Zur Diskussion um die Identifizierung s. Claussen, Versammlung, 185 f. 156 S.
156
I. Das Judentum
»Synagogeninstitut« ist erstmals in der ägyptischen Diaspora gegen Ende des
3. Jahrhunderts v. Chr. bezeugt, wo die Synagoge ursprünglich Gebet(sstätte) (proseucfl) hieß, wurde in Palästina aber erst nach den Gebietserweiterungen des hasmonäischen Staates eingeführt und erhielt dort die profan klingende Bezeichnung bet hak-k enäsät, das heißt Versammlung(sstätte), auf Griechisch sunagwgfl.160 Die treibende Kraft dahinter bildeten nicht die Priester, die hier eher eine Konkurrenz für den Tempel befürchteten, sondern die Pharisäer; in ihrem Interesse lag es, breite Schichten im Gesetz und in den Geboten zu unterrichten. Die Einführung der Synagoge im Mutterland hängt mit dem Machtzuwachs der Pharisäer in späthasmonäischer und herodianischer Zeit zusammen. Die wöchentliche Schriftlesung und die Auslegung der Gebote am Sabbat dienten der erforderlichen Kenntnis, um die Gebote und Riten überhaupt einhalten zu können, deren Befolgung das Volk heiligen und reinigen sollte. Priester sprachen den Schlußsegen wie im Tempel, wenn sie anwesend waren, aber anders als in den essenischen Versammlungen war ihre Mitwirkung nicht notwendig.161 Ebenso erscheinen seit der Mitte des 1. Jahrhunderts v. Chr. verbreitet Ritualbäder, Miqwāot, oft in Nachbarschaft zu den Synagogen oder zu Ölpressen, was pharisäischen Reinheitsbedürfnissen und ‑vorschriften entsprach. Die Essener in Qumran verfügten über besonders eindrückliche Miqwāot, gespeist aus einem ausgeklügelten, ›modernen‹ Wassersystem. Auch die Änderung der Begräbnissitten, die Zweitbestattung in steinernen Gebeinkisten, Ossuarien, die oft von Angehörigen namentlich beschriftet wurden, läßt sich am besten aus der pharisäischen Hoffnung auf die individuelle Auferstehung erklären.162 160 »Gebetsstätte« sollte weiterhin der Jerusalemer Tempel bleiben (vgl. Jes 56,7). Zur bezeichnenden Ausnahme in Tiberias s. o. S. 74 Anm. 192. Vgl. die Theodotos-Inschrift: »Theodotos, Sohn des Vettenos, Priester und Synagogenvorsteher (ü[r]cisunagwg·“), Sohn eines Synagogenvorstehers, Enkel eines Synagogenvorstehers, erbaute die Synagoge (sunagwg[fl]n) für das Vorlesen des Gesetzes und für die Lehre der Gebote und die Herberge und die Nebenräume und die Wasseranlagen zum Quartier für diejenigen aus der Fremde, die dieser Einrichtungen bedürfen. Die Synagoge haben gegründet seine Väter und die Ältesten und Simonides« (Boffo, Iscrizioni, 274–282 Nr. 31; s. auch o. S. 64 Anm. 134). Aufgrund der Datierung der Inschrift in die Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. weist die Gründung der Synagoge in die Zeit Herodes’ I. und geht wahrscheinlich auf Rückwanderer aus Rom bzw. Italien zurück, Freigelassene (liberti) der gens Vettia; vgl. Apg 6,9. Dazu Hengel, KS I, 20.24 f.; KS III, 1–67 (34 f.). Zu den galiläischen Synagogen in den Evangelien s. u. S. 350. 161 Vgl. Hengel, KS I, 171–195.428 ff. 162 Rahmani, Catalogue, 53: »The concept of ossilegium was apparently based on the ideas of personal and individual physical resurrection propagated by Hassidim in the second century BCE«; zu den floralen Verzierungen vgl. P. Figueras, Decorated Jewish Ossuaries, Leiden 1983; Deines, Steingefäße. Die oben S. 88 Anm. 267 erwähnte Ossuarinschrift der Johanna, Enkelin des Hohenpriesters Theophilos, verrät wieder etwas vom Einfluß pharisäischer Frömmigkeit auf Frauen. Das sogenannte Kaiaphas-Grab stellt kaum das Familiengrab unseres Kaiaphas dar, vgl. W. Horbury, The ›Caiaphas‹ Ossuaries and Joseph Caiaphas, PEQ 126 (1994), 32–47.
§ 4 Die jüdischen »Religionsparteien« in Palästina
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Weiter spricht das Aufkommen von Steingefäßen für »Wasser für die jüdische Reinigung« für die Durchsetzung pharisäischer Reinheitspraktiken.163 Steingefäße konnten – etwa bei Todesfällen – im Gegensatz zu Tongefäßen keine rituelle Unreinheit annehmen und mußten deshalb nicht vernichtet werden.
Exkurs: Priesterschaft und Tempeldienst Die Organisation der Priesterschaft am Zweiten Tempel geht in die spätpersische Zeit zurück. Priester wurde man durch Geburt, deshalb war es wichtig, die Stammbäume penibel zu führen und bei der Eheschließung von Priestern auf die rein israelitische Abstammung der jeweiligen Frau zu achten. Da diese jedoch nicht auf Frauen priesterlicher Abstammung beschränkt waren, gab es keine völlige Abgrenzung gegenüber dem übrigen Volk. Allein die Priester hatten das Recht, die Opfer im Tempel darzubringen, in das eigentliche Heiligtum hineinzugehen164 und Israel vor seinem Gott zu vertreten. Körperliche Fehler machten den Priester für den kultischen Dienst untauglich, aber schlossen ihn nicht von den der Priesterschaft zustehenden Einkünften aus.165 Etwa im Alter von 17–20 Jahren wurde der junge Priester in sein Amt eingeführt und nach den Vorschriften der Tora in einer siebentägigen Zeremonie eingeweiht: durch Reinigungsbad, Investitur mit den heiligen Gewändern, einer Reihe von Opfern, Besprengen mit Blut und Öl. Die »Hände wurden ihm gefüllt« als Zeichen seiner künftigen Pflichten. Um alle Priester am Kult zu beteiligen, gab es ein Rotationssystem, indem sich die 24 Priesterordnungen wöchentlich ablösten.166 Dabei war das Prestige der einzelnen Priesterordnungen unterschiedlich; Josephus etwa betont, daß er aus der ersten, Joarib, stammt, der auch die Hasmonäer angehörten.167 Den Priestern nachgeordnet im Tempelkult waren die 24 Dienstordnungen der Leviten, die wiederum in die Klasse der Sänger und der Tempelwächter aufgeteilt waren. Wie die 163 Joh 2,6; dazu Deines, Steingefäße, passim. Dagegen Doering, Schabbat, 511: »Die Verbindung, die Deines zwischen Steingefäßfunden und Pharisäismus sieht, bleibt suggestiv«, denn auch in Qumran und in den »Bar-Kochba-Höhlen« seien Steingefäße gefunden worden. Er isoliert die Steingefäße von dem Aufkommen von Synagogen, Miqwāot und Ossuarien. Die Frage ist jedoch, warum sich diese Gegenstände zusammen mit den Synagogen erst in herodianischer Zeit ausgebreitet haben. Unter Herodes I. hat sich der Pharisäismus im Volk durchgesetzt. Steingefäße waren für die noch rigoroser auf rituelle Reinheit bedachten Essener erst recht praktisch. 164 Nur am Passafest hielt sich die ältere Tradition, hier opferte jeweils der Familienvater, die Priester fingen das Blut auf und gossen es an den Altar. 165 Lev 21,21 f.; Philo, spec. leg. 1,81 f.117; Josephus, ant. 3,278; bell. 5,228; mZeb 12,1; mMen 12,10. Nach der jeweiligen Behinderung konnten Priester ihre Beinamen erhalten; unter den Vorfahren des Josephus finden sich »Simon, der Stotterer« und »Matthias, der Bucklige«. In der rabbinischen Literatur wird ein Hoherpriester »Joseph, Sohn des Stummen« erwähnt. Vgl. Schürer II, 229.243 Anm. 21. 166 1 Chr 24,7–18; vgl. dazu die Kalender mit Mischmarot aus Qumran bei García Martínez / Tigchelaar, Scrolls II, 679–707. 167 Josephus, vita 1 f. Der Vater Johannes des Täufers gehörte nach Lk 1,5 zur 8. Ordnung Abia, und auch seine Mutter gehörte zu den »Töchtern Aarons«, das heißt, sie war priesterlicher Herkunft. Zur Diskussion, ob »Joarib« erst mit den Hasmonäern an die Spitze in 1 Chr 24,7–18 gelangte, s. Schürer II, 250.
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I. Das Judentum
Priester bildeten sie eine ›Kaste‹ aufgrund von Geburt und Abstammung, aber auch sie konnten sich ihre Frauen aus dem Volk nehmen.168 Das Hohepriesteramt war bis Antiochus IV. im Besitz der Familie der Oniaden, denen man zadokidische Abstammung nachsagte, dann der Hasmonäer, die aus dem Klerus minor stammten. Seit Herodes und den Präfekten entfiel die Erblichkeit, und die Träger des höchsten Amtes wurden mit einer gewissen Willkür und teilweise in raschem Wechsel aus führenden Priesterfamilien ernannt. Die Investitur und Salbung des Hohenpriesters fand in der vorgeschriebenen Form im Tempel statt.169 Durch diese Weihe erhielt er besondere Reinheit und Heiligkeit. Am Opfergottesdienst nahm er an Sabbaten und Festen teil; nur er war berechtigt und verpflichtet, einmal im Jahr am großen Versöhnungstag das Allerheiligste des Tempels zu betreten, wo er Räucheropfer darbrachte und den Blutritus vollzog.170 An zweiter Stelle stand der Tempelhauptmann, strathgÖ“ toú ´eroú, der Befehlshaber der »Tempelpolizei«, die bei der Verhaftung Jesu eine Rolle spielte. Er war für die Ordnung im Tempelbezirk verantwortlich. Als Tempelstrategen fungierten die Söhne der Hohenpriester, auch das Amt des Tempelschatzmeisters, der die Finanzen, die heiligen Geräte und kostbaren Priestergewänder beaufsichtigte, war in der Hand hochpriesterlicher Familienmitglieder.171 Die Priesterordnungen traten zu ihrem wöchentlichen Dienst am Sabbat an. Den Morgengottesdienst vollzog die scheidende, den Abendgottesdienst die kommende Ordnung. Sie wurden begleitet von den entsprechend wechselnden Leviten und den Standmannschaften, den Laienvertretern des Volkes, die aus den Heimatorten der jeweiligen Priesterfamilien kamen. Nach dem Bad am frühen Morgen wurden die verschiedenen Arbeiten unter den Priestern ausgelost: Reinigung des Brandopferaltars von Asche, Schlachten, Zubereitung der Getreide‑ und Weinopfer, Holzbringen, Opferstücke zum Altar bringen, aber auch das Räucheropfer und die Versorgung des siebenarmigen Leuchters im vorderen Teil des Tempelhauses. Der wichtigste Teil ihres Dienstes war das tägliche Brandopfer (Tamid) am Morgen und am Abend, bei dem ein einjähriges Lamm zusammen mit Getreide‑ und Trankopfer auf dem Altar vor dem Tempelhaus verbrannt wurde, begleitet vom Gesang der Leviten. Das Volk nahm betend im Vorhof an der Feier teil und wurde von den fünf 168 Vgl. 1 Chr 25; Psalmgesang mit Instrumentalmusik begleitete das tägliche Opfer und die Festgottesdienste (Schürer II, 289 f.); die 24 Ordnungen der Tempelwächter waren für das Öffnen und Schließen der Tore und deren Bewachung sowie für die Kontrolle über den Zugang zu den verschiedenen Reinheitsbereichen zuständig. Zu den Warninschriften, die Heiden das Betreten der inneren Tempelhöfe verboten, s. Boffo, Iscrizioni, 283–290 Nr. 32. Zur Frühgeschichte der Leviten s. J. Schaper, Priester und Leviten im achämenidischen Juda, FAT 31, Tübingen 2000. Zu Konflikten zwischen Priestern und Leviten s. o. S. 107 Anm. 372. 169 Lev 8,1–36; 21,10 ff.; Ex 28,2–39.41 par. 170 Nach Lev 16 war er zum Opfergottesdienst nur an diesem Tag verpflichtet; Josephus, bell. 5,230–237 berichtet von seiner Teilnahme auch an Sabbaten und den großen Festen; am Versöhnungstag trug er ein archaisch-einfaches Leinengewand (Lev 16,4; Josephus, bell. 5,236; mJoma 3,7); vgl. Mischna Joma ausführlich zur siebentägigen Vorbereitung des Hohenpriesters, der Ernennung eines Stellvertreters, den besonderen Riten. 171 Zum strathg·“ s. Apg 4,1; 5,24.26; Josephus, ant. 20,131; bell. 2,409; zum gazof‚lax s. Josephus, ant. 11,136; 14,106 f. (tùn crhm›twn f‚lax ´ere‚“); 20,194 und zu den ihm untergebenen gazof‚lake“ ant. 15,408; 18,93; auch kleine Gaben waren in dem »Opferkasten« (gazoful›kion) willkommen (Mk 12,41–44); vgl. Schürer II, 277–284.
§ 4 Die jüdischen »Religionsparteien« in Palästina
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Priestern, die ihren Dienst im Inneren des Tempelhauses versehen hatten, am Ende mit dem Segen entlassen.172 Vor allem mit dem Tamidopfer war der Gedanke der kultischen Sühne verbunden, aber »das gesamte Opferwesen dient der Sühne, findet seinen Sinn in der dem Opfer an sich zukommenden sühnenden Funktion.«173 Am Sabbat wurden die Opfergaben verdoppelt und die Schaubrote ausgetauscht. An den großen Festen umfaßten die Opfergaben ein Vielfaches zusätzlich zu ihren je eigenen Riten. Weiter ist an das tägliche Brandopfer, bestehend aus zwei Lämmern und einem Stier, im Namen des Kaisers zu erinnern.174 Von diesen Brandopfern erhielten die Priester die Felle der Tiere. Zu diesen kollektiven regelmäßigen Opfern kommen die sehr viel zahlreicheren privaten Opfer, Mahlopfer, die obligatorisch oder freiwillig waren.175 An den drei großen Wallfahrtsfesten, dem Passa mit der Woche der ungesäuerten Brote, dem Wochenfest 50 Tage später und dem Festzyklus im Herbst (mit Neujahr, Versöhnungstag und dem Laubhüttenfest), kamen alle Priester und ein großer Teil der Bevölkerung des Mutterlandes nach Jerusalem. Aber auch aus der Diaspora in Ost und West kamen viele Festpilger. Zu den ursprünglich agrarischen Festen brachten die Pilger ihre Erstlingsfrüchte in feierlicher Prozession, die Priesterhebe und ihren Zehnten als Naturalabgaben an die Priester, wenn sie aber von weiter her kamen, in Form von Geld.176 Das bedeutendste regelmäßige Einkommen des Heiligtums war seit der Hasmonäerzeit die Tempelsteuer von einem halben tyrischen Schekel bzw. zwei Drachmen, von der das Tamidopfer und vieles andere finanziert wurde, zu der alle erwachsenen Juden verpflichtet waren und die auch von den Diasporagemeinden nach Jerusalem abgeführt wurde.177 Hinzu kamen Schenkungen und Votivgaben für den Tempel.
Die hohenpriesterlichen Familien verdankten ihren Wohlstand ihren ständigen Einnahmen aus dem Tempelkult, sie waren zudem reiche Grundbesitzer.178 Im 172 Ex 29,38–42; Num 28,3–8. Im Mischna-Traktat Tamid wird dieses tägliche Opfer besonders eindrücklich geschildert. Zur Auslosung als Gottesurteil vgl. Apg 1,26. 173 Gese, Theologie, 94. Vgl. B. Janowski, Sühne als Heilsgeschehen. Studien zur Sühnetheologie der Priesterschrift und zur Wurzel KPR im Alten Orient und im Alten Testament, WMANT 55, Neukirchen-Vluyn 1982. 174 Philo, legat. 157.232.317; die Essener lehnten im Gegensatz zu den Pharisäern das Opfer von Heiden ab (Qimron / Strugnell, Miqsat Ma‛aśe ha-Torah, 149 f.); zur Einstellung des Kaiseropfers als Kriegserklärung 66 n. Chr. s. Josephus, bell. 2,409–417; vgl. o. S. 85. 175 Philo, spec. leg. 1,168; Josephus, ant. 3,224. Schürer II, 268.295 f.308: »Needless to say, the numerous private offerings formed the bulk of the sacrifices« (296). Vgl. die Vorschriften für Sünd‑, Schuld‑ und Gemeinschaftsopfer Lev 3–7. Das Fleisch von Sünd‑ und Schuldopfern durfte nur von Priestern gegessen werden. Die Schlachtopfer bzw. Dankopfer waren Gemeinschaftsmahle, dabei erhielten die diensttuenden Priester die Brust und die rechte Schulter des Tieres, die sie mit ihren Familien essen konnten, das andere aßen die, die das Opfer dargebracht hatten. 176 Dazu Schürer II, 262 ff. Vgl. Josephus, vita 80: Die Galiläer möchten ihm als Priester gerne ihre Abgaben geben (vgl. auch 63). 177 Mt 17,24; Josephus, ant. 18,312; bell. 7,218. Die römische Herrschaft garantierte den sicheren Transfer dieser Steuer aus der Diaspora. Nach 70 n. Chr. mußte die Tempelabgabe von allen Juden als fiscus Iudaicus an den Tempel des Iuppiter Capitolinus in Rom gezahlt werden. 178 Josephus ist ein Beispiel dafür (vita 422). Sadduzäische Ansicht war, die Abgaben der Früchte des vierten Jahres (Lev 19,23 ff.) und den zweiten Zehnt der Priesterschaft zu geben,
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I. Das Judentum
Gegensatz dazu waren die Mehrzahl der niedrigeren Priester und die Leviten in der Gefahr der Verarmung, da sie wesentlich weniger von den Opfern und Abgaben profitierten; diese einfachen Landpriester werden oft nur einen kleinen Grundbesitz gehabt haben, andere mußten ihren Lebensunterhalt als Handwerker und Händler verdienen.179 Bei diesen einfachen Priestern ist der Anschluß an die Pharisäer und dann an die Zeloten wohl sehr viel häufiger vorgekommen als bei der den Tempel wirtschaftlich und politisch beherrschenden Priesteraristokratie. Auch die Kritik an dieser war nicht zuletzt im niederen Klerus verbreitet, am stärksten bei den von Priestern angeführten Essenern, die den offiziellen Kult als unrein ablehnten.
Exkurs: Das Verhältnis der Frauen zu den Religionsparteien Den Einfluß der Pharisäer auf die allzu »fromme« Königin Alexandra Salome beschreibt Josephus – Nikolaos folgend – negativ, und doch wirft er ein bezeichnendes Licht auf das Verhältnis dieser Partei zu Frauen und ihr Selbstverständnis als Laienbewegung. Nicht nur Alexandra unterstützte die Pharisäer, auch die Frau des Herodesbruders Pheroas, die Königin Helena von Adiabene und andere vornehme, reiche Frauen zeigten ihre Sympathie für diese Partei, obwohl sie ihrer Herkunft nach nicht aus diesem ›Milieu‹ stammten. Was machte sie attraktiv für Frauen? Josephus (bzw. Nikolaos von Damaskus) schreibt es, wenn er überhaupt darauf eingeht, der natürlichen Schwäche ihres Geschlechts zu, das zu übermäßiger Frömmigkeit neige. Tal Ilan meint, der Grund war, daß sie eine Oppositionspartei bildeten,180 aber das waren sie nur gegenüber Jannai und gegen den späteren Herodes. Wenn Frauen in der frühjüdischen Literatur hervorgehoben werden, dann wegen ihrer Frömmigkeit. Erinnert sei nur an die Mütter, die in der Religionsnot unter Antiochus IV. lieber den Märtyrertod starben als ihre Söhne unbeschnitten zu lassen, an die heldenhafte Mutter mit ihren sieben Söhnen in 2 Makk 7 und im 4. Makkabäerbuch. Esther, Judith und Susanna sind rein literarische Gestalten, werden aber von (proto)pharisäischen Autoren wegen ihrer Frömmigkeit gepriesen. Die Individualisierung der Frömmigkeit in dieser Zeit machte es möglich, daß Frauen sich ebenfalls für die Religionspartei entschieden, die sie am meisten anzog. Bei den Pharisäern geschah dies durch materielle Unterstützung, wenn die Frauen reich waren, und allgemein durch Einhaltung
während pharisäisch-rabbinische Auslegung sie den Besitzern zum Verzehr in Jerusalem überläßt. Vgl. Qimron / Strugnell, Miqsat Ma‛aśe ha-Torah, 164 f. 179 Josephus, ant. 15,390: Herodes I. stattet 1000 Priester mit priesterlichen Gewändern aus, damit sie beim Tempelbau arbeiten konnten, das heißt, sie besaßen nicht einmal die für ihren priesterlichen Dienst notwendigen Leinenkleider. Der König läßt diese dann als Handwerker ausbilden. Vgl. weiter tJoma 1,6 (Zuckermandel 180). Zu den schweren sozialen Spannungen vor allem in den Jahren vor dem Jüdischen Krieg s. o. S. 103 Anm. 350. 180 Vgl. Ilan, Integrating Women, 11–42 (37): »The Pharisees were an opposition party dur ing most of the Second Temple period; this may be the reason why women supported them.« Sie weist S. 79 auch auf die Frauen hin, die den zelotischen Messiasprätendenten Simon bar Giora begleiteten (Josephus, bell. 4,505), und auf die militärische Bedeutung, die dessen Frau gehabt haben muß (bell. 4,538).
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ihrer Reinheitsvorschriften.181 Da, wo Beitritt notwendig war, vollzogen sie diesen auch: Die Qumran-Essener, die an sich der Ehe distanziert gegenüberstanden, hatten einen verheirateten Teil und weibliche Mitglieder. Daß selbst eine Schriftgelehrte erwähnt werde, Frauen als Älteste neben Männern als Älteste, nicht etwa nur als die ältere Generation, genannt würden, ist wohl doch eine feministische Übertreibung.182 Nachdem der junge Mann mit zwanzig Jahren Mitglied des yahad geworden war, durfte er heiraten; seine Frau erhielt dabei die Pflicht, bei Gesetzesverstößen vor Gericht in der Gemeinde gegen ihn auszusagen, und das Recht, angehört zu werden. Die Loyalität gegenüber der »Sekte« stand über der ehelichen. Die Zugehörigkeit zum »Bund« war bei den Qumran-Essenern nicht mehr durch die Geburt gegeben, sondern durch den freiwilligen Eintritt; deshalb nannten sie sich »neuer Bund«, wie durch Jer 31,31 verheißen. Ein solcher Beitritt war auch Frauen (vermutlich über die Ehe) möglich.183 Die Ehelosigkeit bei Essenern ist nicht in ihrer angeblichen Misogynie begründet, sondern in ihrer strengen Askese aus Gründen der rituellen Reinheit und gespannten Naherwartung der Endereignisse.184
4.5 Eschatologie und messianische Erwartung Die Entstehung der apokalyptischen Endzeiterwartung läßt sich in der späten Fortschreibung der Profetenbücher (vor allem Jes 24–27.66; Sach 9,9 f.; 12; 14; Maleachi u.ö.) und des Psalters in Verbindung mit einer weisheitlich geprägten Gesamtschau der Welt und ihrer Geschichte verfolgen; die messianische Erwartung spiegelt sich zum Teil auch in der Übersetzung der Septuaginta, etwa im Psalter.185 Die frühesten erhaltenen Apokalypsen stellen Henoch (Gen 5,21–24) als den profetischen Weisen der Urzeit ins Zentrum: Das Buch der Wächter (1 Hen 1–36) entstand um die Mitte des 3. Jahrhunderts v. Chr. und schildert 181 S. die spätere Versicherung, daß (fast) alle sadduzäischen Frauen sich an die Reinheitsvorschriften der Pharisäer halten: bNid 33b; vgl. mNid 4,2. 182 4Q274 Frag. 1 I, 7; 4Q502 interpretiert Ilan, Integrating Women, 39 f. im Anschluß an E. M. Schuller nicht recht überzeugend in dieser feministischen Sicht. Doch vgl. dagegen die Frauen bei den Therapeuten, s. Philo, contempl. 32 f.68.83.87 f. 183 1QSa I 9–11; vgl. CD XVI 10 ff.; s. T. Ilan, Integrating Women, 40 ff. (hier auch zu Frauengräbern in Qumran). Zur Selbstbezeichnung s. o. S. 123 Anm. 7. 184 Misogynie unterstellt ihnen Josephus, bell. 2,121; ant. 18,21; vgl. Philo, hyp. 11,14 f.; Plinius, nat. hist. 5,17: sine ulla femina, omni venere abdicata. Zu frühjüdischen »Enkratiten« vgl. Schwemer, Prophetenlegenden I, 309–312. 185 Diese Fortschreibung setzt ein ab der Alexanderzeit in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts v. Chr. und nimmt universale messianische Aspekte auf. Vgl. H. Gese, Die dreifache Gestaltwerdung des Alten Testaments, in: ders., Alttestamentliche Studien, Tübingen 1991, 1–28; O. H. Steck, Der Abschluß der Prophetie im Alten Testament, BThSt 17, NeukirchenVluyn 1991; B. Janowski, Stellvertretung. Alttestamentliche Studien zu einem theologischen Grundbegriff, SBS 165, Stuttgart 1997, 65 f.; Schaper, Eschatology; Hengel, Judentum und Hellenismus, 319–381 (371 ff.): »Die Weisen erhielten prophetische Züge, und die Propheten wurden zu inspirierten Weisen« (375; im Original kursiv); ders., KS II, 1–71 (15 ff.20 ff.44 ff.). Vgl. Schwemer, Jesus, 176–182.
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I. Das Judentum
seine »Endzeitrede« als eine Offenbarung, die ihm durch seine Entrückung in den Himmel zuteil wurde: »Und es redete … Henoch, ein gerechter Mann, dessen Augen von Gott geöffnet
worden waren, und er sah eine Vision des Heiligen im Himmel, die mir die Engel zeigten. Von ihnen hörte ich alles … Aber nicht für dieses Geschlecht (war sie bestimmt), sondern für das ferne, das kommen wird. Über die Auserwählten redete ich, und über sie sprach ich die Bilderrede: Es wird der Heilige und Große heraustreten aus seiner Wohnstätte, und der Gott der Welt, und von dort wird er auf den Berg Sinai treten, und er wird erscheinen mit seinen Heerscharen … Und ein Gericht über alle und alle Gerechten wird stattfinden. Den Gerechten aber wird er Frieden schaffen und die Auserwählten wird er behüten, und Gnade wird über ihnen walten, und sie werden alle zu Gott gehören … und das Licht Gottes wird ihnen leuchten. Und siehe er kommt mit Myriaden von Heiligen, damit er Gericht über sie halte. Und er wird vertilgen die Frevler, und er wird alles Fleisch überführen wegen aller (Dinge), mit denen sie gegen ihn gehandelt haben, die Sünder und Frevler.«186
Das Endgericht führt zur Vernichtung alles Bösen und zur ewigen Seligkeit der Gerechten; es hat seine Entsprechung in der Urzeit, deshalb erscheint Gott wie damals auf dem Sinai. Profetische und weisheitliche Traditionen verbinden sich zu einer universalen Schau von Urzeit und Endzeit, über die Entstehung des Bösen und seine endzeitliche Vernichtung. Weisheit und Eschatologie dürfen seit der spätpersisch-frühhellenistischen Zeit nicht mehr als Gegensätze getrennt werden. Dies gilt auch für die Jesustradition. Mit dem Wächterbuch setzen die großen apokalyptischen Schriften im Judentum ein, die wie das Danielbuch um 164 v. Chr., die Sibyllinen, die Bilderreden, bis hin zu 4. Esra und syrischer Baruch zu Beginn des 2. Jahrhunderts n. Chr. zunehmend mit der Erwartung von Endgericht und heilvoller Endzeit auch die von Gottes messianischem Bevollmächtigten und Stellvertreter verbinden. In seinem Kapitel »Die religiösen und geistigen Strömungen« schrieb Joseph Klausner: »Das ganze Volk wartete auf das Kommen des Messias, doch war diese Erwartung nicht
bei allen gleich stark. Die leidenschaftlichsten Messianisten waren die Zeloten … Am kühlsten waren die Sadduzäer.«187
Lange bevor die Qumranfunde unser Bild von den jüdischen Messiaserwartungen entscheidend bereichert haben, war für Klausner »der Gedankenwelt Jesu« der »mythische und ethische Messiasglaube der Essäer am nächsten«. Die
186 1 Hen 1,2–9 (Übersetzung: S. Uhlig, Das äthiopische Henochbuch, JSHRZ V / 6, Gütersloh 1984, 507–510). Die Stelle wird im Neuen Testament in Jud 14 f. neben anderen Henochanspielungen zitiert. 187 Klausner, Jesus, 271.
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Pharisäer dagegen hätten ihren Glauben an den Messias »zu einem politischen und geistigen Ideal« ausgestaltet. Die eschatologischen Erwartungen der Essener sind jetzt gut dokumentiert. Ursprünglich rechneten sie mit dem Ende noch zu Lebzeiten des »Lehrers der Gerechtigkeit«. Analog zum Danielbuch gingen sie von zehn Jubiläen aus und setzten dann die Ankündigung des Endes durch Melchisedek(‑Michael), den gött lichen Bevollmächtigten und Erlöser des Gottesvolkes, in den Jahren 121–114 v. Chr. und sein Eintreffen im Jahr 72 v. Chr. an.188 Nach CD XX 13–15 kommt das Ende 40 Jahre nach dem Tod des »Lehrers«. Weil diese Termine verstrichen, setzte wie schon bei Daniel eine erneute intensive Schriftforschung ein, die sich in der Pescherauslegung niedergeschlagen hat. Die Gemeinde verstand sich als das eschatologische Israel, das in der letzten Zeit der Läuterung lebt, ja, die Endzeit ist bereits angebrochen, dafür wird der Terminus »letzte Tage« verwendet.189 An zahlreichen Stellen wird die Gemeinde als Tempel bezeichnet, im Midrasch zur Eschatologie bildet sie einen »Tempel aus Menschen«, in dem als Rauchopfer »Werke des Dankes« dargebracht werden. Dieser »Menschentempel« stellt wohl den ›eschatologischen‹ Interimstempel dar, der vom zukünftigen in 2 Sam 7,10 f. und Ex 15,17b–18 verheißenen wahren Tempel abgelöst wird: »2Das ist das Haus, das er für [sich errichten wird] am Ende der Tage, wie geschrieben
steht im Buch 3[des Mose (?): Das Heiligtum,] Jahwe, das deine Hände bereitet haben. Jahwe ist König für immer und ewig! (Ex 15,17b–18)… 5Jahwe [ist König] in Ewigkeit; beständig wird er über ihm erscheinen, und Fremde werden es nicht mehr verwüsten, wie sie vormals verwüsteten 6das Heilig[tum I]sraels wegen ihrer Sünde. Und er sagte, daß man ihm ein Heiligtum von Menschen bauen solle, damit (sie) darin seien für ihn Räuchernde 7vor ihm, Taten / Werke des Dankes. … 10[Und Jahwe ver]kündigt dir, daß er dir ein Haus bauen wird. Und ich werde ihm einen Nachkommen erwecken, und ich werde bestätigen den Thron seiner Königsherrschaft 11[in Ewig]keit. (2 Sam 7,11b–14a mit Auslassungen) Ich werde ihm Vater sein, und er wird mir Sohn sein. Dies ist der Sproß Davids, der auftreten wird mit dem Toraausleger, den [er aufstehen lassen wird] in Zi[on am] Ende der Tage.«190 188 11QMelch
II 6 f.: »Und er wird ihnen Freilassung ausrufen, um ihnen [die Last] all ihrer Sünden zu erlassen. Und diese Angelegenheit [wird gesche]hen in der ersten Woche des Jubiläums nach [den] neu[n] Jubiläen. Und der [Versöhnungs]t[a]g, d[as] ist das En[de] des zehnten [Ju]biläums.« Übersetzung von Steudel, Texte, 179; vgl. den Kommentar S. 268 Anm. 6 f. Zu Michael s. Dan 12,1 ff. 189 S. dazu Steudel, Midrasch, 161–164.197.202–207. J. Zimmermann, Texte, 105 f.: »Es handelt sich … sowohl um die auf das Ende hinführende Zukunft als auch um die eschatologisch qualifizierte Gegenwart der Gemeinde.« 190 4Q174 III 2–12 (Textrekonstruktion und Übersetzung Zimmermann, Texte, 102); vgl. zur Gemeinde als Tempel 1QS VIII–IX; Steudel, Midrasch, 166 f. meint gegen D. Dimant, in 4Q174 III 1–13 sei nicht von drei Tempeln (dem verunreinigten Jerusalemer, dem Menschentempel und dem eschatologischen, bereits im Himmel vorhandenen) die Rede, sondern der Menschentempel sei der eschatologische. Vgl. dagegen Zimmermann, Texte, 109: »wahrscheinlicher dürfte … der Vorschlag von Dimant sein, den eschatologischen Tempel als Gebäude Z. 2–4
164
I. Das Judentum
Die Auslegung vereint auf engem Raum die eschatologischen Themen: endzeitlicher Tempel,191 Verwirklichung der Königsherrschaft Gottes,192 davidischer und priesterlich-profetischer Messias. Königsherrschaft Gottes und Messias sind – ebenso wie in den pharisäischen Psalmen Salomos (besonders PsSal 17) – auch bei den Qumran-Essenern kein Gegensatz. Neben dem kriegerisch-königlichen Messias, den man freilich nicht als »Gesalbter« (māši ah), sondern als nāśî’ Führer / »Fürst« – so 37mal bei Ezechiel – bezeichnete, wird ein priesterlichprofetischer erwartet, wie in den (vermutlich essenischen) Testamenten der Zwölf Patriarchen.193 In 4Q175 (Testimonia) tritt die Erwartung eines Profeten wie Mose (Dtn 18,15–18) hinzu.194 An den Texten aus Qumran kann man die Entwicklung des terminus technicus »Messias« ablesen: Neben den alttestamentlichen »Gesalbten« der Vergangenheit erhalten auch die erwarteten Endzeitgestalten das Prädikat »Gesalbter«, das zunächst in erster Linie als funktionale Aussage und nicht von vornherein als »Hoheitstitel« verstanden werden darf.195 Der Titel »Gesalbter« muß dabei – wie später in den Evangelien – nicht unbedingt wörtlich genannt werden, da die Schriften von Mose bis Daniel eine ganze Reihe von äquivalenten »Titeln« bieten können. Der Midrasch zur Eschatologie ist sehr fragmentarisch erhalten, aber durch das Zitat von Daniel 12 mit dem rettenden Eingreifen des »Lichtfürsten« Michael wird auf den Endkampf verwiesen (IV 3–9), der ausführlich in der Kriegsrolle beschrieben wird: Das Ende kommt am »Tag der Rache« und mit dem »Krieg Gottes«, den in der Kriegsregel die Söhne des Lichts gegen die Söhne der Finsternis führen.196 von der Qumrangemeinde … (Z. 6–7) zu unterscheiden«. Zur Bezeichnung des davidischen Messias als »Sproß Davids« vgl. Jer 23,5; 33,15; Sach 3,8; 6,12. Das Motiv vom endzeitlichen Heiligtum, das mit der neuen Heilsgemeinde identifiziert wird, erscheint auch variantenreich bei Paulus (1 Kor 3,8–17), Eph 2,20–22 und 1 Petr 2,4 ff. auf christologischer Grundlage. Auch die »Tempelreinigung« durch Jesus Mk 11,15–17 parr. und sein Tempelwort im Prozeß Mk 14,58 parr. hat einen messianisch-eschatologischen Hintergrund, s. u. S. 561.597. 191 Vgl. dazu Tempelrolle; Neues Jerusalem; Kriegsrolle; s. L. H. Schiffman, The Qumran Community’s Withdrawal from the Jerusalem Temple, in: Gemeinde ohne Tempel, hg. v. B. Ego, A. Lange und P. Pilhofer, WUNT 118, Tübingen 1999, 279 f.: »the sectarians expected that the present-day Temple from which they abstained because of ritual disagreements would eventually be replaced by a perfect structure of divine creation.« Dazu studierten und überarbeiteten sie unter anderem ältere Werke wie Jubiläen, das aramäische Levi-Testament und die Quellen der Tempelrolle. 192 Himmlische(r) Tempel und Königsherrschaft Gottes bilden zentrale Themen in den Sabbatopferliedern aus Qumran. Vgl. dazu o. S. 139 Anm. 86. 193 4Q174 ist ein genuin qumranischer Text; zu den verschiedenen Aspekten der messianischen Erwartung in den Schriften aus Qumran s. Zimmermann, Texte, passim. 194 S. Zimmermann, Texte, 428 ff. zu 4Q175 und Index s. v. 512. Vgl. Schwemer, Jesus, 165–230 und o. S. 147. 195 Vgl. 11QMelch II 18, wo der »Geistgesalbte« (vgl. Jes 61,1 ff.) identisch ist mit dem »Freudenboten« von Jes 52,7 und sich vielleicht auf den Lehrer der Gerechtigkeit bezieht. 196 1QM VII 5; IX,5; XV 3. Vgl. Hengel, Zeloten, 277–296.
§ 4 Die jüdischen »Religionsparteien« in Palästina
165
»[Da]s ist eine Rettungszeit für Gottes Volk und eine Herrschaftsperiode für alle Män-
ner seines Loses, aber ewige Vernichtung für das ganze Los Belials … und es weicht die Herrschaft der Kittim, um Frevel niederzuzwingen ohne Rest, und kein Entrinnen gibt es [für (alle)] Finsternis[söhn]e.«197 »(N)achdem der Endkampf entschieden (ist), … wird eine neue Gemeinschaft mit Gott und seinen Engeln« und die Wiederherstellung der »Herrlichkeit«
Adams erwartet.198 Von der Auferstehung der Toten ist in Qumrantexten verhältnismäßig selten die Rede, was damit zusammenhängen mag, daß zumeist der Schluß einer Rolle nicht erhalten ist. Immerhin wurden Jesaja und Daniel in Qumran intensiv ausgelegt, das Jubiläenbuch studiert,199 ein Ezechiel-Apokryphon, das Ez 37,1–14 eschatologisch interpretiert,200 und vor allem ein Psalm rezipiert, in dem vom Messias die Rede ist und wo es heißt: »Dann wird er (Gott) Durchbohrte heilen, und Tote wird er lebendig machen, und
Armen wird er die Frohbotschaft verkündigen.201
Vermutlich haben sich im Laufe der zweihundertjährigen Geschichte der Qumran-Essener die Vorstellungen gewandelt. Für die von Josephus überlieferte Tradition, daß die Essener »in Übereinstimmung mit den Söhnen der Griechen« meinen, die Seelen der Guten erhielten einen vom Zephir umfächelten Ort jen197 1QM
I 5–9 zu Beginn der Kriegsregel; diese wurde in Qumran überarbeitet, und diese Stelle erklärt a) die von Josephus gerühmte Martyriumsbereitschaft der Essener im jüdischen Aufstand (bell. 2,152 f.), b) den Essener Johannes als Feldherrn und c) die Zerstörung der Siedlung in Qumran durch die kittim im Jahr 68 n. Chr. Die kittim sind die Griechen / Makedonen und später die Römer. 198 VanderKam, Qumranforschung, 141. Zum µda dwbk vgl. 1QS IV 23; 1QH XVII 15; CD III 20. Zu Jesus als neuem Adam in der Versuchungsgeschichte des Markus s. u. S. 323. 199 Leider sind in 4Q176 gerade fünf Zeilen fragmentarisch zu Jub 23,30 f. erhalten; auch in der äthiopischen Übersetzung ist der Text unklar, vermutlich ist vom Zwischenzustand, in dem die Gebeine in der Erde ruhen, der Geist aber bereits sich bei Gott freut, und der Endzeit, in der »der Herr heilen (wird) seine Sklaven, und sie werden sich erheben«, die Rede. 200 4Q385 (Deutero-Ezechiel) Frag. 2,7 f.: »Eine große Menge von Menschen wird auferstehen und Jahwe Zebaoth preisen, der [sie wiederbelebt hat].« Das direkt danach erwähnte Zeichen vom Neigen und Aufrichten eines Baumes (in der Antike ein weitverbreitetes Baumprodigium) ist auf den messianischen Herrscherwechsel zu deuten. Endzeitliche Totenauferstehung und Ankunft des Messias gehören zusammen. Zur Wirkungsgeschichte von Ez 37 vgl. Hengel, Begräbnis, 151 ff. 201 4Q521 Frag. 2 II, 12; H. Lichtenberger, Auferstehung in den Qumranfunden, in: F. Avemarie und ders. (Hg.), Auferstehung – Resurrection, WUNT 135, Tübingen 2001, 85: »Sollte es sich bei 4Q521 um einen von der qumran-essenischen Gemeinde verfaßten Text handeln, wäre er das einzige zweifelsfreie Zeugnis für den Glauben der Qumran-Essener an die Auferstehung, genauer: die Lebendigmachung der Toten.« Eine detaillierte Auslegung gibt Zimmermann, Texte, 343–389. Wegen der Verwandtschaft mit den Seligpreisungen, Lk 4,18–21; 7,18–23 und PsSal 17 wird es sich bei 4Q521 um einen verbreiteten Psalm handeln, s. Schwemer, Jesus, 210 f. Zum Verhältnis zur Verkündigung Jesu s. u. S. 332 f.
166
I. Das Judentum
seits des Ozeans, könnte man an die Bilderreden (1 Hen 37–71) erinnern.202 Die Bilderreden wurden in Qumran nicht gefunden, vielleicht handelt es sich bei ihnen um den Text einer Sondergruppe aus der Zeit zwischen Herodes und der Zerstörung Jerusalems (37 v.–70 n. Chr.): »… in jenen Tagen wird die Erde zurückgeben, was ihr anvertraut ist, und die Unterwelt wird das zurückgeben, was sie empfangen hat …«.203
Die Erde gibt den Körper zurück, die Unterwelt die Seele, so daß die Gerechten die neue Erde bewohnen können. Nach dem Endgericht gipfelt die ewige Seligkeit im messianischen Mahl im eschatologischen Tempel, in dem Gott über den Gerechten »wohnt«, nachdem sie das »Gewand der Herrlichkeit«, das heißt den Auferstehungsleib, erhalten haben: »Der Herr der Geister (= Gott) wird über ihnen wohnen, und sie werden mit jenem
Menschensohn speisen und sich (zur Ruhe) niederlegen und sich erheben von Ewigkeit zu Ewigkeit. … Und das wird euer Gewand sein: das Gewand des Lebens vom Herrn der Geister; eure Gewänder werden nicht alt werden, und eure Herrlichkeit wird nicht vergehen.«204
Im palästinischen Judentum setzt sich nicht die griechische, allein an Individuen gebundene und betont unkörperliche Vorstellung von der Unsterblichkeit der Seele durch, sondern die einer leiblichen Auferstehung, weil nur sie »die reale endzeitliche Restitution des ganzen Gottesvolkes als Einheit in der Herrschaft Gottes (und d. h. zugleich u. U. auch seines Gesalbten) überhaupt … möglich machte.«205 Auch die Erfüllung der Landverheißung und die Sammlung der »Zerstreuten« Israels erforderten die leibliche Auferstehung. Die Martyrien der frühen Makkabäerzeit ließen die Hoffnung auf die individuelle Auferstehung und auf die Restitution des Volkes durch Gottes Neuschöpfung im verheißenen Land wachsen. In der »Haggada«, genauer in der Eschatologie, waren Essener und Pharisäer durch ihr gemeinsames chasidisches Erbe eng verwandt. Die ursprünglich kollektive, auf das ganze Gottesvolk zielende Hoffnung, daß die im »Staube Ruhenden aufstehen werden«, findet sich zuerst in der kleinen Apokalypse Jes 26,19 und dann in Dan 12,1. Den Pharisäern nahestehende 202 Josephus,
bell. 2,155. Ihr eschatologischer Kampf zielte auf den Zion. Josephus mag in Rom schreibend gedacht haben, daß der eschatologische Zion so etwas wie die Inseln der Seligen für die Griechen sei. Es kann sich auch um eine interpretatio graeca handeln, die er einer Quelle entnommen hat. Nach Hippolyt, haer. 9,27,1 kennen die Essener einen den griechischen »Inseln der Seligen« entsprechenden Aufenthaltsort für die Seelen der Gerechten vor der leiblichen Auferstehung und dem Endgericht. Vgl. weiter Hengel, Begräbnis, 170. 203 1 Hen 51,1 ff. Vgl. weiter dazu u. § 22. 204 1 Hen 62,14–16; vgl. Apk 21,1–4.23–27; 22,1–5. Zum Mahl mit dem Menschensohn / Messias bei Jesus und im Urchristentum s. u. S. 413 f. 205 Hengel, Begräbnis, 150 = KS IV, 417.
§ 4 Die jüdischen »Religionsparteien« in Palästina
167
Schriften wie das 2. Makkabäerbuch, die Psalmen Salomos, aber auch die eher »essenisch« geprägten Testamente der Zwölf Patriarchen, sprechen ganz offen von der Hoffnung auf die leibliche Auferstehung.206 Der Patriarch Juda belehrt seine Söhne auf dem Sterbebett auch über die Rangfolge bei der Auferstehung; er und seine Brüder werden dann Herrscher über die Stämme Israels sein. Die messianischen Erwartungen waren im frühen Judentum vielfältig, aber nicht chaotisch. Es lassen sich drei Grundlinien feststellen, die unterschiedlich miteinander kombiniert werden konnten: Erwartet wurden der königliche Gesalbte aus dem Stamm David, der priesterliche Gesalbte »aus Aaron« und der endzeitliche gesalbte Profet nach Dtn 18,15–18.207 Wenn in der Forschung die messianischen Erwartungen im vorchristlichen Judentum bisher gerne auf ein Minimum reduziert wurden, so wurde dabei in der Regel die Septuaginta als frühester Kommentar zu den profetischen Texten zuwenig beachtet.208 Daß der jüdische Begriff des »Gesalbten« variabel war und nicht auf den eines königlichen Davididen eingeschränkt werden kann, haben die Qumranfunde gezeigt. Auch das Problem der »multiplicity of approaches«, das dazu neigt, Motive und Titel zu variieren und zu kombinieren, ohne den Bezug zur selben Sache aufzugeben, und das unserem analytisch scheidenden Vorgehen widerspricht, wurde zuwenig gesehen. Die messianischen Erwartungen in den Bilderreden des äthiopischen Henochbuches stehen den frühchristlichen zeitlich und sachlich am nächsten, aber gerade sie lassen sich nicht eindeutig einer der drei Parteien zuordnen, sondern sind ein Hinweis auf die Vielfalt und die Überschneidungen in den eschatologischen Vorstellungen der verschiedenen Gruppen. Die mythische Welt der alttestamentlich-jüdischen Zukunftserwartung war viel reicher und vielfältiger, als es die früheren Hauptquellen Josephus und die frührabbinische Literatur vermuten ließen. Daß wir diese Vielfalt nicht immer eindeutig einordnen können, zeigt zugleich wieder einmal, wie bruchstückhaft unser Wissen über das Judentum in der Zeit vor 70 n. Chr. auch nach den Qumranfunden ist. Eigenartige Gestalten wie Bannus, die Täuferbewegung oder die endzeitlichen Profeten, die ihre Scharen in die Wüste führten, lassen sich weder den Essenern 206 TestSim 4,2.7a; TestLev 18; TestJud 25,1: »zum Leben aufstehen«; 25,4: »Und die in Trauer starben, werden in Freude auferstehen … Und die um des Herrn willen starben, werden auferweckt werden zum Leben.« Das zeigt die enge Beziehung zwischen Martyrien und Auferstehungshoffnung ebenso wie die ›klassischen‹ Belege in Dan 12,1 ff.; 2 Makk 7. Vgl. dazu jetzt C. D. Elledge, Life after Death in Early Judaism, WUNT 208, Tübingen 2006; ders., Resurrection of the Dead: Exploring Our Earliest Evidence Today, und ders., The Resurrection Passages in the Testaments of the Twelve Patriarchs, in: J. H. Charlesworth u. a. (Hg.), Resurrection. The Origin and Future of a Biblical Doctrine, London / New York 2006, 22–52.79–103. 207 S. Schwemer, Jesus. 208 S. dazu schon Schaper, Eschatology, passim; W. Horbury, Jewish Messianism and the Cult of Jesus Christ, London 1998.
168
I. Das Judentum
noch den Pharisäern zuordnen. Ähnliches gilt von den Bilderreden des äthiopischen Henoch. Es gab drei Grundströmungen, aber viele Varianten. Neben den messianischen stehen die theokratischen Erwartungen, die aber ebenfalls wie in PsSal 17 miteinander verbunden werden konnten. Deutlich erkennbar wird die Verschärfung der Auseinandersetzungen um den »Eifer für das Gesetz« in den jüdischen »Sekten«, die von den Zeloten ausgingen, die Priester und Laien ergriffen und am Ende das Volk in verhängnisvoller Weise spalteten. Eben dieser Eifer für das Gesetz führte dann auch für die Judenchristen zur Verschärfung ihrer Situation in Jerusalem mit der Agrippa-Verfolgung ca. 43 n. Chr., der Flucht des Petrus (und anderer führender Jünger) und zur Stärkung des streng gesetzestreuen Flügels der neuen messianischen Gemeinde, die sich von jetzt an in der Heiligen Stadt, angeführt durch Jakobus den Gerechten, den Bruder Jesu, nur durch ihren betonten Toragehorsam behaupten konnte.209
209 S.
dazu Bd. II.
II. Vorfragen zur Person und Geschichte Jesu
§ 5 Zur Frage nach Jesus von Nazareth 5.1 Die notwendige Einbeziehung der Person Jesu in eine frühchristliche Geschichte Speziell in Deutschland war lange Zeit umstritten, ob eine Geschichte des frühen Christentums eine Darstellung des Wirkens Jesu und seiner Passion enthalten dürfe, da die Kirche erst mit Ostern und der Verkündigung des »Kerygmas« von Tod und Auferstehung Jesu beginne. Dafür spräche, daß die Urkirche selbst als Grundlage ihrer Botschaft, das heißt des »Evangeliums«, eben diese Geschichte Jesu in der Gestalt der vier Evangelien erzählte und diese bereits in der Mitte des 2. Jahrhunderts bei Justin als die wichtigsten schriftlichen Zeugnisse ihres Glaubens betrachtete, so daß sie im Gottesdienst verlesen wurden. Für den Apologeten Justin handelt es sich um einen selbstverständlichen, seit längerer Zeit geübten Brauch. Die Begründung der Kirche wurde mit dem ganzen Wirken Jesu verbunden. Dagegen hat man eingewendet, daß diese Texte alle im Lichte der Ostererfahrung geschrieben sind, daß sie nachösterliche Christologie in das »Leben Jesu« eintragen, das heißt die Existenz der Kirche und ihr »Kerygma« bereits voraussetzen, und daß die Jünger Jesu vor Ostern nach dem Zeugnis eben dieser Evangelien Jesu Botschaft nicht wirklich verstanden haben. Sowohl Markus als auch Johannes betonen dieses »Jüngerunverständnis« auf je eigene Weise. Jesu Wirken und Schicksal gehöre darum noch in eine Darstellung des zeitgenössischen Judentums. So beginnt Hans Conzelmann seinen Abriß des Urchristentums mit einer abwehrenden Vorbemerkung: »Leben und Lehre Jesu sind die Voraussetzung der Kirchengeschichte. Ihre Darstellung
gehört nicht in diese, sondern vor sie. Die Geschichte der Kirche beginnt nach dem Tod Jesu. Sie ist durch die Erscheinungen des Auferstandenen gestiftet, wie immer der Historiker sich diese erkläre.« Mk
1,1; 14,9. I, 67,3; vgl. 66,3. Schon vor ihm hatte der Apologet Aristides den Kaiser Hadrian (117–138) aufgefordert, die »evangelischen Schriften« zu lesen. S. dazu Hengel, Gospels, 247 Anm. 241. Mk 8,14–21.32 f.; 9,9.19.32; 10,32 etc.; Joh 2,22; 12,16; 14,26; 16,13; 20,9. S. u. S. 514 ff. Geschichte des Urchristentums, GNT 5, Göttingen 1969 (21971), 1 (Hervorhebung H. C.). Ähnlich W. Schneemelcher, Urchristentum. Auch F. Vouga geht in seiner eigenartigen Apol.
172
II. Vorfragen zur Person und Geschichte Jesu
Er tritt damit in die Fußstapfen seines Lehrers Rudolf Bultmann. Dieser leitete seine Theologie des Neuen Testaments mit dem Satz ein: »Die Verkündigung Jesu gehört zu den Voraussetzungen der Theologie des Neuen Testaments und ist nicht ein Teil dieser selbst.« Diese scharfe Trennung zwischen den jüdischen Vorbedingungen, zu denen die Person Jesu gehörte, und den Anfängen der Kirche bzw. den »neutestamentlichen Glaubensgedanken« selbst ist vom urchristlichen Selbstverständnis wie von der Geschichte des Judentums her fragwürdig. 1. Die synoptischen Evangelisten lassen den Anfang des Neuen mit der profetischen Bußpredigt Johannes des Täufers und der Taufe Jesu im Jordan beginnen, die als Einweisung des Gottessohnes Jesus in seine »messianische Aufgabe« verstanden wurde. Johannes setzt den synoptischen Bericht voraus und macht den Täufer zum ersten Zeugen für den menschgewordenen Gottessohn. Nach Jesu Taufe beginnt seine öffentliche Wirksamkeit, die dann sofort zur Berufung der ersten Jünger führt. Die Kindheitsgeschichten Lk 1 und 2 und Mt 1 und 2 sind dagegen »Vorgeschichte«, Markus und Johannes können darauf verzichten. Die Evangelien geben mit diesem Anfang einen in der Urgemeinde unangefochtenen Konsens wieder. Der Name Johannes des Täufers erscheint in allen vier Evangelien immerhin achtzigmal. Sollen wir uns von diesem urchristlichen Konsens verabschieden? 2. Im Blick auf eine Theologie des Neuen Testaments wäre zu fragen, ob der spätere Glaube der Jünger an die Auferstehung des gekreuzigten Messias Jesus als Gottes Heilstat nicht seine sachlich notwendige Vorform in einer Bindung an Jesu Wirken in Wort und Tat besaß, die den Glauben an seine messianische Sendung als des Verkündigers der Gottesherrschaft, und das heißt zugleich an seine einzigartige Vollmacht, mit einschloß, eine Vollmacht, die sein ganzes Wirken bis hin zu seinem Weg ans Kreuz bestimmte. Die Passion Jesu hängt ja unmittelbar mit seinem Bekenntnis zu dieser ihm von Gott gegebenen »messianischen Vollmacht« zusammen. Können wir die »Geschichte Jesu« wirklich aus einer »Frühgeschichte der Kirche« einfach ausschließen? Nur weil Ostern vorösterliche Erfahrungen und Erinnerungen bestätigte, kam es überhaupt zur Evangelienschreibung. »Geschichte des frühen Christentums«, UTB 1733, 1994, auf die Jesusfrage nicht weiter ein, sondern versteht die Geschichte des frühen Christentums als »Evolution eines deterministischen Chaos« (§ 3.2, S. 13–19) und beginnt mit 1 Kor 15,3–7 (23 ff.). A. J. M. Wedderburn, A
History of the First Christians, London / New York 2004, beginnt seine Darstellung mit den Ostererscheinungen und endet mit dem Jahr 70, weil er eine knappe Einführung für Studenten geben will (S. 16 f.). Tübingen 1958, 1; vgl. dazu u. S. 173 Anm. 10. Vgl. auch Apg 1,5.22; 10,37; 11,16; 13,24 f.; 18,25; 19,3 f. S. auch seine häufige Nennung bei Justin, dial. 49,3–7; 50,2 f.; 51,1–3; 52,3; 84,4; 88,2 f.6 f. Zum Täufer und Jesus s. u. S. 320–339.
§ 5 Zur Frage nach Jesus von Nazareth
173
3. Gründet die Kirche nicht außer im Ostergeschehen, dessen Form und Bedeutung ja gerade für die sich betont kritisch gebende Forschung heute so schwer greifbar und darum umstritten ist, nicht auch schon zuvor in der Berufung von Jüngern durch Jesus selbst? Könnte man nicht sagen, daß nicht – künstlich isolierte – spätere Ereignisse, sondern die messianische Sendung Jesu letztlich der Grund des christlichen Glaubens ist? Sie ist es doch, die Jesus veranlaßt, zwölf Jünger zu berufen, und sie bringt ihn, wie der ganze Prozeß zeigt, am Ende ans Kreuz und bewahrheitet sich nach Meinung der Jüngergemeinde in seiner Auferstehung. Daß Jesus erst durch die Auferstehung ganz gegen seine ursprüngliche Intention durch den Glauben der Urgemeinde zum »Messias« geworden sei, ist unseres Erachtens eine unhaltbare Hypothese, die die frühchristlichen Texte gegen sich hat. Auch wenn es durch die Katastrophe der Verhaftung und Hinrichtung Jesu zu einer elementaren »Glaubenskrise«, zu Jüngerflucht und Verleugnung kam, die durch die Auferstehungserscheinungen überwunden wurde, ist zu beachten, daß der Auferstandene zuerst von den von ihm berufenen Jüngern »gesehen wurde« und daß sie in ihm Jesus als ihren Meister wiedererkannten. Die Erscheinung vor dem bislang ungläubigen Verfolger Saulus ist ein Sonderfall, der von den Protophanien vor Petrus und den »Zwölfen« her erst möglich wird. Das heißt, Jesus begegnete zuerst nicht Unbekannten, sondern denen, die er selbst in seine Nachfolge berufen hatte. »Nachfolgen« im eigentlichen, wörtlichen Sinne konnte man ja zunächst nur dem irdischen, nicht dem zur Rechten Gottes erhöhten Christus. Ostern bestätigt so vorösterliche Erfahrung. 4. Der »Gehalt« von Jesu Lehre kann auch nicht einfach mit Bultmann als »reines Judentum, reiner Prophetismus« definiert werden,10 vielmehr war er unseres Erachtens seit seiner Taufe durch Johannes der von Gott berufene messianische Prätendent, dessen Auftreten den Anfang des Neuen,11 das heißt der eschatologischen Erfüllung, bringt, die die Urkirche nach ihrem Selbstverständnis als das endzeitliche Gottesvolk aus Juden und Heiden vom »Alten Bund« unterscheidet. Ein Logion Jesu, Lk 16,16, betont dies sehr deutlich: »Das Gesetz und die Profeten gehen bis Johannes. Von da ab wird die Gottesherrschaft verkündigt …«. Johannes der Täufer ist für Jesus zugleich der größte und der S.
dazu Hengel / Schwemer, Anspruch. S. u. § 17. 15,3 f.; vgl. 9,1 f.; Lk 24; Mt 28; Joh 20 f. und die Actareden. S. dazu u. S. 641 ff. Hengel, Nachfolge, 97 = KS V, 133. 10 Glaube und Verstehen I, 265. Bultmann spielt damit auf die bekannte Äußerung Wellhausens an: »Jesus war kein Christ, sondern ein Jude.« Er »verkündet keinen neuen Glauben, sondern lehrt den Willen Gottes tun.« Wellhausen, Einleitung, 102. »Reiner Prophetismus« ist freilich eine historisch unverständliche, idealisierende, moderne Kategorie. Mit den alttestamentlichen Profeten kann man Jesus nur bedingt vergleichen. S. schon Mk 8,28 f. Auch »reines Judentum« bleibt unverständlich. 11 Mk 1,14 f. 1 Kor
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II. Vorfragen zur Person und Geschichte Jesu
letzte Profet. Mit ihm hat die Zeit von »Gesetz und Profeten« ein Ende. Jesus fügt jedoch hinzu: »der kleinere aber in der Gottesherrschaft ist größer als er«.12 Das heißt, schon mit Jesu – messianischem – Wirken in Wort und Tat beginnt – rückblickend – für die Urgemeinde bereits das radikal Neue,13 der Anbruch der Gottesherrschaft, die untrennbar mit seiner Person und ihrer einzigartigen Vollmacht verbunden ist. Sie wird nach Ostern von den Jüngern als Herrschaft des gekreuzigten und zur Rechten Gottes erhöhten Jesus von Nazareth weiterhin mit dessen eigenen Worten verkündigt. Es ist nicht zuletzt Jesu Botschaft von der Gegenwart der Vaterliebe Gottes, seine Auslegung des wahren Gotteswillens und sein eschatologischer Ausblick, der die Verkündigung der Kirche auch nach Ostern prägt und ihr Leben und ihre Hoffnung gestaltet. Eben darum hat man Jesu Worte im Gedächtnis festgehalten und nach dem Ende der ersten Generation das messianische Wirken Jesu erzählende Evangelien und keine himmlischen Darstellungen des zur Rechten Gottes thronenden Christus verfaßt.14 Man kann Jesu Worte und Taten sowenig von der Kirche trennen, wie man sich eine Pflanze ohne Wurzeln denken kann. 5. Der von Bultmann und Conzelmann verwendete Begriff »Voraussetzung« ist irreführend. Historisch wesentliche Voraussetzungen der Kirche bzw. der neutestamentlichen Theologie gab es vielerlei: die alttestamentliche Schriftensammlung mit Tora, Profeten und Psalmen, aber auch die griechische Septuaginta, das apokalyptische und hellenistische Judentum so gut wie den Pharisäismus, die Essener von Qumran oder den römischen Reichsfrieden, ohne den es keine Heidenmission gegeben hätte. Im Gegensatz zu dieser Vielzahl von »Voraussetzungen«, unter denen das palästinische Judentum die wichtigste ist, sprechen die neutestamentlichen Quellen nur von einer – entscheidenden – »Voraussetzung«: der Wirksamkeit Johannes des Täufers als des profetischen »Elias redivivus« bzw. als des ersten Zeugen für Jesus. Eine Geschichte des frühesten Christentums muß darum, den Evangelien folgend, beim Auftreten des Täufers einsetzen und versuchen, das ganze Wirken Jesu einschließlich seiner Passion und der Entstehung der Auferstehungsüberlieferung zu behandeln. Ohne sie bliebe diese Geschichte ein Torso. Jesu Wirken und Leiden bilden nicht nur die »Voraussetzung«, sondern sind Wurzel und Grund, man könnte auch sagen: der historische und theologische Ursprung des frühen Christentums; beides läßt sich nicht trennen, sowenig wie man die Auferstehung Jesu von seiner Passion abtrennen kann. Lk 7,28 = Mt 11,11; s. u. S. 337 f. Mk 1,27; 2,21 f.; Lk 5,36–38; Joh 13,34; s. auch Mk 14,24 f. parr.; 1 Kor 11,25; 2 Kor 3,6 ff.; 5,17; Hebr 8,8; 9,15. 14 Hier macht nur die Apokalypse eine Ausnahme, die jedoch bewußt Jesus chiffriert als das geschlachtete Opferlamm (Apk 5,6–10; im ganzen erscheint ürn‡on in der Apokalypse 29mal) darstellt. 12
13 Vgl.
§ 5 Zur Frage nach Jesus von Nazareth
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6. Die im Grunde auf Wellhausen zurückgehende These, die von Bultmann zum Teil auch gegen den Protest vieler Schüler15 festgehalten wurde, deutet auf eine Fehlentwicklung der neutestamentlichen Disziplin in Deutschland hin. Dieser Protest der Schüler gegen den Meister erhielt freilich die einseitige Gestalt einer besonderen, angeblich »hermeneutisch« geprägten Jesusforschung und wurde von James M. Robinson als »A New Quest of the Historical Jesus«16 propagiert. Man berief sich dabei auf auffallende, ja einzigartige Züge seines Wirkens, wie die Zuwendung von Gottes Liebe zu den Sündern, seinen »Ruf zur Freiheit«17, seine Radikalisierung des Gotteswillens und der Gnade, die – den Begriff hatte schon R. Bultmann zugelassen – auf eine »implizite Christologie« hinweisen sollten. Ihre Ergebnisse waren so neu nicht und insofern auch fragwürdig, als sie die elementaren jüdischen Grundlagen des Wirkens Jesu und dessen intensiven Bezug auf die alttestamentlichen Texte zuwenig wahrnahmen und weiterhin den unseres Erachtens unübersehbaren messianischen Anspruch Jesu leugneten.18
5.2 Das Problem Wenn so die Darstellung Jesu Teil einer Geschichte des frühesten Christentums sein muß, erhebt sich die Frage nach Methode und Inhalt derselben. Seit der Aufklärungstheologie der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, insbesondere seit den von Lessing 1774–1778 veröffentlichten »Fragmenten eines Ungenannten« aus einem größeren Werk des Hamburger Orientalisten Hermann Samuel Reimarus (1694–1768), der vom englischen Deismus beeinflußt war, wurde diese Frage kritisch gestellt. Reimarus sah in Jesus und seinen Jüngern eine nationaljüdisch-messianische Bewegung mit politisch-theokratischen Absichten. Der neue Glaube habe sich nicht zuletzt mit Hilfe des Betrugs der Jünger durchgesetzt. Auf radikale Weise nahm der junge Tübinger Stiftsrepetent David Friedrich Strauß (1808–1874) in seinem epochemachenden »Leben Jesu« 1835/36 die Jesusfrage wieder auf, ein Buch, das wie ein Erdbeben wirkte.19 15 E.
Käsemann, E. Fuchs, H. Braun, G. Bornkamm und G. Ebeling. S. die Auseinandersetzung mit ihnen in: R. Bultmann, Verhältnis = ders., Exegetica, 445–469. 16 London 1959 (Nachdruck 1979); deutsche Übersetzung: Kerygma und historischer Jesus, Zürich / Stuttgart 21967. 17 E. Käsemann, Der Ruf der Freiheit, Tübingen 1968 (5. erweiterte Auflage 1972). 18 Zur neueren Forschungsgeschichte s. G. Lüdemann, Das Urchristentum, ThR 65 (2000), 121–179.285–349. Theissen / Merz, Jesus, 26 f. Vgl. weiter u. S. 182–185. 19 Bd. I, Tübingen 1835; Bd. II, Tübingen 1836 (LJ); Nachdruck Tübingen 1984; s. dazu W. G. Kümmel, Das Neue Testament. Geschichte der Erforschung seiner Probleme, München 21970, 105 ff.147 ff.; zu Reimarus s. H. Schulte, TRE 28, 470–473; zu D. F. Strauss s.
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II. Vorfragen zur Person und Geschichte Jesu
Die Frage nach der »Geschichte Jesu« war in den vergangenen 230 Jahren seit Lessing und Reimarus ständig und oft heftig umstritten, sie wurde und wird zum Teil extrem verschieden beantwortet. Zwar erhält man den Eindruck, daß die historisch ernstzunehmende Forschung einen gewissen Grundkonsens anstrebt, doch sind die Gräben und Vorurteile auch heute noch beträchtlich. Einigkeit besteht etwa seit dem Ende des 19. Jahrhunderts darin, daß sich ein »Leben Jesu« keinesfalls schreiben läßt, sowenig wie eine durchgehende Geschichte des frü hesten Christentums.20 Wir besitzen nur »Fragmente«, die freilich eindrücklich, ja einzigartig sind. Damit scheiterte der Versuch vieler Theologen des 19. Jahrhunderts, auf der Darstellung eines solchen »Lebens Jesu« eine tragfähige »Chri stologie« aufzubauen. Ein typisches Beispiel für diesen Versuch findet sich bei Bernhard Weiß (1827–1918), dem ersten Inhaber des 1876 begründeten neutestamentlichen Lehrstuhls in Berlin,21 der seinerseits wieder auf Schleiermacher zurückgeht. Weiß schreibt in seiner Autobiographie über sein 1882 erschienenes zweibändiges »Leben Jesu«22: »Keines meiner Werke habe ich mit solcher inneren Beteiligung gearbeitet.«
Um so mehr enttäuschte ihn das Ergebnis: T. K. Kuhn, TRE 32, 241–246; zu beiden A. Schweitzer, Geschichte der Leben-Jesu-Forschung, Tübingen 1913 (wird im folgenden zitiert als: GLJF), 14–26.79–122. 20 Diese Skepsis geht im Grunde auf D. F. Strauss zurück und wurde durch das eigene Jesusbild eines A. Schweitzer allzusehr überdeckt. Vgl. etwa die Urteile von J. Wellhausen, W. Bousset, W. Wrede und von Systematikern wie M. Kähler und W. Herrmann, dem Lehrer von K. Barth, und R. Bultmann. A. v. Harnack verteidigte bei seiner Habilitation schon 1874 die These: Vita Jesu scribi nequit (»Ein Leben Jesu kann nicht geschrieben werden«); s. A. v. Zahn-Harnack, Adolf von Harnack, 21951, 46 und zustimmend F. Loofs, Jesus Christus, 128 Anm. 1 im Zusammenhang mit seiner Kritik an dem Jesusbuch von P. Wernle. S. auch u. S. 190 Anm. 73. 21 K. Kupisch, Art. Berlin, RGG3 1, 1058. Sein Vorgänger August Twesten, der 1835 Nachfolger Schleiermachers in Berlin geworden war, hatte noch Philosophie und Dogmatik und neutestamentliche Exegetica gelesen. Schleiermacher selbst sah in seinen neutestamentlichen Vorlesungen einen besonders wichtigen Schwerpunkt seiner Lehre. Vgl. K. Nowak, Schleiermacher, UTB 2215, Göttingen 2001, 237–246: »Im Spektrum der theologischen Disziplinen behandelte Schleiermacher am häufigsten das Neue Testament« (237). 22 Das Leben Jesu, 2 Bde., Berlin 1882. Ein älteres, vergleichbares Werk ist Karl von Hase, Geschichte Jesu. Nach akademischen Vorlesungen, Gesammelte Werke 4. Band, Leipzig 21891 (S. VIII: Vorrede zur 2. Auflage) (774 S.). Der Verfasser sah keinen Anlaß, seine Vorlesung, die er 1823/24 erstmals in Tübingen gehalten hatte und nach hundert Semestern und immer neuen Überarbeitungen 1875 im Druck erscheinen ließ, grundlegend zu ändern; vgl. 768 f. S. etwa auch Willibald Beyschlag, Das Leben Jesu, Halle, Bd. I, 31893 (XLVIII + 482 S.); Bd. II, 21897 (482 S.). Das Opus magnum widmete er »meinen anhänglichen Zuhörern aus fünfundsechzig Semestern.« Die Gattung »Leben Jesu« war mit derartigen Werken im wahrsten Sinne des Wortes »erschöpft«. Untereinander haben sich diese Autoren bei aller Übereinstimmung gegenüber D. F. Strauss heftig kritisiert.
§ 5 Zur Frage nach Jesus von Nazareth
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»Die Rezensionen konstatierten nur, entweder daß ich zu liberal und ketzerisch, oder
daß ich zu konservativ und altgläubig sei. Auf meine eingehenden Untersuchungen über die Gesetze, nach denen sich in der Überlieferung Geschichtliches und Ungeschichtliches mischt, und meine darauf gegründete Quellenkritik, auf meinen Versuch, die dramatische Bewegung des Lebens Jesu darzustellen, ging keiner ein. Man hüllte sich in den Mantel einer vornehmen Skepsis und wies meine Ausführungen als willkürliche Kombinationen zurück.«23
Diese Professorenklage wird durch die herbe Kritik Albert Schweitzers verständlicher, daß der Autor in seiner alles erklärenden psychologisierenden Willkür selbst noch die Liberalen übertreffe, während er, wie die Konservativen, alle Gegensätze, »Schwierigkeiten und Anstöße mit dem Mantel christlicher Liebe zudeck(e), den er aus den überlieferten Sophismen zusammengewoben ha(be)«. Ironisch fügt Schweitzer hinzu:24 »Als dialektische Leistung … gehört sein Leben-Jesu zum Bedeutendsten, was neben Schleiermacher25 existiert.« Dieses Beispiel mag typisch sein für die Aporie einer Leben-Jesu-Forschung, die in den siebzig Jahren zwischen der vernichtenden Kritik eines David Friedrich Strauß26 und ihrem Schwanengesang durch das bekannte Werk Albert Schweitzers die Wahrheit des christlichen Glaubens durch das historisch zu eruierende religiöse Selbstbewußtsein Jesu zu begründen suchte. Um dieses grundsätzliche Problem gleich vorwegzunehmen: Der christliche Glaube läßt sich durch »historische Forschungsergebnisse«, die auf der Rekonstruktion vergangener Sachverhalte beruhen, und seien es die eindrucksvollsten »Jesusbilder«, in seinem Wahrheitsanspruch niemals zureichend »begründen«, sondern bestenfalls erläutern oder anschaulich machen, indem zum Glauben der Versuch eines geschichtlichen Verstehens hinzutritt. Unser Thema gehört so in das weite Feld der fides quaerens intellectum oder speziell einer fides quaerens 23 Bernhard Weiss, Aus neunzig Lebensjahren 1827–1918, hg. v. Hansgerhard Weiß, Leipzig 1927; Zitate: 179.181 f. Es folgt der selbstzufriedene Satz: »Dennoch hat das Buch bis zur vierten Auflage seinen Weg gemacht; es ist sogar ins Englische übersetzt worden.« 24 Schweitzer, GLJF, 216. Die erste Auflage von Schweitzers Werk erschien schon 1906 unter dem Titel »Von Reimarus zu Wrede«. Zu seinem eigenen, psychologisierenden Rekonstruktionsversuch s. ders., Das Messianitäts‑ und Leidensgeheimnis, Tübingen 1901 (31956). 25 Schleiermacher glaubte noch fest an die historische Ursprünglichkeit des Johannes evangeliums und seinen Vorrang gegenüber den Synoptikern und versuchte diese in seiner Leben-Jesu-Vorlesung 1832, die erst lange nach seinem Tode 1864 veröffentlicht wurde, zu verteidigen. D. F. Strauss antwortete sofort mit einer scharfen Kritik, die den bezeichnenden Titel trug: »Der Christus des Glaubens und der Jesus der Geschichte. Eine Kritik des Schleiermacher’schen Lebens Jesu«, s. Schweitzer, GLJF, 59–68. Noch Loofs, Jesus Christus, 72–120 versuchte mit Schleiermacher und gegen Strauss und Schweitzer vergeblich, den Geschichtswert des 4. Evangeliums im Vergleich mit den Synoptikern zu verteidigen. 26 In der 3. Auflage 1838/39 revidierte Strauss seine radikale Kritik und zeichnete ein »positiveres« Jesusbild im Sinne eines religiösen Genies, nahm aber später dieses Zugeständnis an seine Gegner zurück. S. auch u. S. 178 Anm. 27 zu seiner volkstümlichen Darstellung des »Leben(s) Jesu für das deutsche Volk bearbeitet«, 1864.
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II. Vorfragen zur Person und Geschichte Jesu
veritatem historicam. Denn wirklichen Glauben im Sinne der fiducia, das heißt »Vertrauen«, kann nur Gott selbst »begründen«, indem er uns mit seinem Wort anspricht, durch das uns Christus begegnet und unser selbstsüchtiges Herz überwindet. Hinter diese alte, frühchristliche und reformatorische Einsicht, die die dialektische Theologie eines Karl Barth (aber auch Rudolf Bultmanns) wieder ans Licht zu bringen versuchte, können wir nicht zurück. Die Alternative wäre, daß wir überhaupt darauf verzichteten, nach der Wahrheit des Glaubens zu fragen, da diese etwas anderes ist als die immer relativen, auf Analyse und Rekonstruktion beruhenden und darum je und je neu zu überprüfenden Forschungsergebnisse unserer historischen Wahrheitssuche. Man muß daher D. F. Strauß entschieden widersprechen, wenn er rückblickend auf sein – bei aller Frage nach der geschichtlichen Wahrheit letztlich doch destruktives – Lebenswerk und in der Auseinandersetzung mit Schleiermacher meinte, daß »der Entscheidungskampf der christlichen Theologie auf dem Felde des Lebens Jesu ausgefochten werden mußte«27. Dies ist nicht der Fall. Hier ging es um ein Scheingefecht, bei dem beide Parteien, die radikalen Kritiker wie die historisierenden konservativen und liberalen Verteidiger, unrecht hatten. Gleichwohl ist die historische Frage nach dem Menschen Jesus von Nazareth und den Anfängen des christlichen Glaubens von grundlegendem Interesse, und zwar für jeden gebildeten Menschen, durchaus nicht nur für den Christen oder gar nur für den Theologen, denn der Zimmermann aus Nazareth hat durch seine kurze Wirksamkeit und seine Passion die Weltgeschichte wie kein zweiter 27 Strauss, Glaube, 47. Vgl. ders., Leben Jesu für das deutsche Volk, 5: »Der Gedanke eines Lebens Jesu ist die Schlinge, in welche die Theologie unserer Zeit fallen und in der sie zu Falle kommen mußte. Sobald man mit der biographischen Behandlung Ernst machte, war es um den kirchlichen Christus geschehen: wollte man umgekehrt diesen festhalten, so mußte man auf die biographische Behandlung verzichten.« Ähnlich hätten auch Martin Kähler und Rudolf Bultmann formulieren können. Wie der liberale K. v. Hase, Geschichte Jesu (S. 176 Anm. 22), 768, der erbittert widersprach, mitteilte, hat der orthodoxe Lutheraner Hengstenberg hier Strauss lebhaft zugestimmt (s. dazu auch Schweitzer, GLJF, 108 f.). Nach K. v. Hase: »ein feiger Rath, der Strauß im Grunde recht gab.« Strauss fährt freilich fort: »Es (war) die Losung der neueren Zeit Alles (sic!) als fremd abzulehnen, was nicht menschlich und natürlich war. Sollte Christus überhaupt für diese Zeit noch eine Bedeutung haben, so mußte er ein solcher gewesen sein, der sich biographisch fassen ließ; es mußte mithin der Versuch gemacht werden, sein Leben auf demselben Fuß, nach demselben Pragmatismus, wie andere große Menschen zu behandeln.« Dem Geheimnis der Person Jesu und seiner – fast möchten wir sagen: analogielosen – Wirksamkeit wird Strauss auf diese Weise gerade nicht gerecht. Er kommt, wie sein populäres Buch zeigt, zu einer im Grunde äußerst banalen »Biographie« Jesu. Vgl. A. Schweitzers Urteil über seine und andere liberal-populäre Jesusdarstellungen (GLJF, 207): »Sie müssen … eine heroisch-phantastische Weltanschauung in eine vernünftige, bürgerlichreligiöse umdeuten.« Dieses »Leben Jesu für das deutsche Volk bearbeitet« von Strauss, das gegenüber dem epochemachenden Text von 1835/36 das eschatologisch-messianische Element bei Jesus wieder eliminierte, war für A. Schweitzer ein Rückfall (GLJF, 97.193 ff.) in eine »gewalttätige Vergeistigung des synoptischen Jesus« (198), die ihn mit Schleiermachers im gleichen Jahr posthum erschienenen Leben-Jesu-Vorlesung trotz aller Unterschiede verband.
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bewegt;28 aber auch der Christ will mehr über den Ursprung seines Glaubens wissen, damit er ihn in seiner Genese besser verstehen und gegenüber zahllosen unsinnigen Hypothesen nach außen vertreten kann. Dies gilt in gleicher Weise von einer Geschichte des frühesten Christentums, an deren Anfang der Nazarener steht. Diese Rückfrage nach Jesu Person und seiner analogielosen »Wirkungsgeschichte« mit den Mitteln historischer Methoden ist ein durchaus »profanes« Geschäft und keineswegs an ein weltanschauliches Bekenntnis gebunden. Sie wird jedoch kaum gelingen, wenn der Historiker, der »zurückfragt«, nicht ein gewisses positives Interesse an seinem Gegenstand hat und den Inhalt der Evangelien von vornherein für reine Fiktionen oder für baren Unsinn hält. Auf diese Weise würde er nur Zerrbilder produzieren. Auf der anderen Seite ist es zu bedauern, daß sich im 20. Jahrhundert kaum ein Althistoriker von Rang mehr mit Jesus und dem frühesten Christentum beschäftigt hat.29 In der Frage nach dem »historischen Jesus« haben die Historiker – zu unserem Schaden – die Theologen alleine gelassen. Diese sind freilich selbst daran schuld, weil sie den Gegenstand ihrer Forschungen allzusehr aus dem Konsens der althistorischen Forschung herausgelöst haben und nicht selten den Eindruck erwecken, daß sie den Kontakt mit dieser verloren haben. Rückblickend möchte man trotz aller fundamentalen Irrtümer der »LebenJesu-Forschung« zwischen David Friedrich Strauß (1835) und Albert Schweitzer (1906) sagen, daß dies eine glückliche Zeit gewesen sein muß, da man mit relativ leichten Varianten im Grunde zwischen zwei »Jesusbildern« wählen konnte: dem von den Synoptikern ausgehenden liberalen und dem alle vier Evangelien harmonisierenden konservativen. Der oben zitierte, zwischen beiden stehende Vermittlungstheologe Bernhard Weiß, der das Unvereinbare – mit Hilfe psychologisierender Kritik und harmonisierender Apologetik – zu vereinigen suchte, hatte sich die dritte – undankbarste – Möglichkeit ausgesucht. Er scheiterte an Scylla und Charybdis. Weit über D. F. Strauß hinaus gingen die radikalen Konsequenzen eines Bruno Bauer, der die Evangelien für völlig unhistorisch erklärte und sie auf einen »schöpferischen Urevangelisten« im Stile des Markus zurückführte. Nicht nur Jesus als Person, sondern das ganze Urchristentum einschließlich der Paulusbriefe wurden von ihm für Fiktion erklärt und auf das geistige Milieu der frühen Kaiserzeit, wie es uns etwa in den Schriften eines Josephus, Philo oder
28 F. Gogarten, Die Verkündigung Jesu Christi, Heidelberg 1948, 25: »Die Gestalt Jesu ist fast zwei Jahrtausende das verpflichtende und segnende Leitbild der abendländischen Menschheit gewesen. Ohne sie und die von ihr ausgehende Kraft wäre die Geschichte dieser zweitausend Jahre schlechterdings nicht zu denken.« 29 S. u. S. 189 Anm. 68.
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II. Vorfragen zur Person und Geschichte Jesu
Seneca begegnet, zurückgeführt.30 Der Versuch, die Ungeschichtlichkeit Jesu und anderer urchristlicher Gestalten zu erweisen, ist in den letzten 150 Jahren immer wieder unternommen worden und hat doch nur je und je die Unfähigkeit der Autoren erwiesen, kritisch mit antiken Quellen umzugehen und in historischen Kategorien zu denken. In der Regel war hier der Wunsch der Vater des Gedankens.31 Aber auch wenn kein vernünftiger Historiker mehr an der Geschichtlichkeit der Person Jesu zweifelt, so stößt man immer noch auf eine tiefgehende Skepsis gegenüber der Möglichkeit einer historischen Rückfrage, und zwar nicht selten aus »theologischen« Gründen. Mit dieser Skepsis werden wir uns ständig auseinanderzusetzen haben. Die radikale, destruktive Kritik ist häufig den Köpfen von Theologen entsprungen, die den Boden der geschichtlichen Wirklichkeit unter den Füßen verloren haben. Gegen sie spricht schon der historische common sense. Karl v. Hase erzählte unter Berufung auf einen Augenzeugen: »Napoleon hat auf dem Hofball in Weimar zur Zeit des Erfurter Congresses gegen Wie-
land geäußert, daß Jesus vielleicht nie gelebt habe. Der Kanzler Müller, der dabeistand, hat mir versichert, daß Napoleon dies nur … hinwarf, um zu hören, was der deutsche Gelehrte darauf sagen würde. Wieland antwortete: auf diese Weise könnte leicht nach einem Jahrtausend behauptet werden, Napoleon habe nie gelebt und die Schlacht von Jena sei nie geschlagen worden. Der Kaiser sagte: très bien! und ging lächelnd weiter.«32
Heute, rund drei Generationen nach der durch A. Schweitzer eingeleiteten Schlußphase der »Leben Jesu«-Literatur und nach einer ständig fortschreitenden Verfeinerung33 unserer Methoden, ist die Situation im Vergleich zum ausgehenden 19. Jahrhundert komplizierter und unübersichtlicher geworden. Es 30 S. dazu A. Schweitzer, der trotz grundsätzlicher Ablehnung zum Teil auch in positiver Weise auf seine Kritik eingeht (GLJF, 9 f.141–161; s. auch Index 652); zu Person und Werk s. J. Mehlhausen, TRE 5, 314–317; RGG4 1, 1167 f. Seine Kritik hat K. Marx und F. Engels und dann die spätere offizielle Auffassung der Sowjetunion von Jesus und dem Urchristentum tief beeinflußt. S. dazu den sowjetischen »Religionswissenschaftler« J. A. Lencman (Lenzmann), Wie das Christentum entstand, Berlin 1973 (Lizenzausgabe Peter Hammer Verlag, Wuppertal 1974). Vgl. etwa die Einleitung S. 5: »Das Wesentlichste (der Frage nach dem Urchristentum) … besteht darin, daß ihre wissenschaftliche Beantwortung die wichtigste Grundlage der kirchlichen Ideologie untergräbt, indem sie den Mythos über die göttliche Herkunft des Christentums entlarvt und die materiellen Wurzeln des Entstehens und des Sieges der einflußreichsten unter den drei sogenannten Weltreligionen bloßlegt.« 31 S. dazu die Übersicht bei H. Windisch, Problem. Besonders wirksam war A. Drews, Die Christusmythe, Jena 1909; einen neueren, nicht weniger abstrusen Versuch finden wir bei G. A. Wells, Did Jesus Exist?, London 21986. S. auch Loofs, Jesus Christus, und seine Auseinandersetzung mit W. B. Smith und A. Drews; s. Index und 3–31. 32 Geschichte Jesu (S. 176 Anm. 22), 11. Die Leugnung der Existenz Jesu geht auf C. F. Volney (1791) und Ch. F. Dupuis (1796) zurück, s. J. Schmid, LThK2 2, 1182 f. 33 Man ist versucht, zuweilen auch von »Überfeinerung« zu sprechen, die nicht mehr weiter, sondern in Sackgassen führt.
§ 5 Zur Frage nach Jesus von Nazareth
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war nicht zuletzt die religionshistorische Forschung, besonders im Bereich des antiken Judentums, die die Situation verschärfte, weil sie unsere zeitgeschichtlichen Kenntnisse vermehrte. So entdeckte der Sohn von Bernhard Weiß, Johannes Weiß, auf neue Weise den apokalyptisch-endzeitlichen Charakter der Reich-Gottes-Predigt Jesu, die nicht mehr wie in der herrschenden Ritschlschule im Sinne eines ethisch-religiösen, innergeschichtlichen Fortschritts verstanden werden durfte und dadurch für modernes Denken verfremdet wurde. Sein revolutionäres Buch erschien 1892, zehn Jahre nach dem »Leben Jesu« seines Vaters, der über die theologische Entwicklung seines Sohnes, das zeigt seine Autobiographie, nicht sehr glücklich war. Johannes Weiß hat zwar die Schärfe seiner revolutionären Thesen später etwas zurückgenommen, aber sie wirkten weiter in der religionsgeschichtlichen Schule und hier vor allem auf Albert Schweitzer, dessen Jesusbild ganz auf der unmittelbaren Naherwartung Jesu und der Offenbarung seines Messiasgeheimnisses gründete. Rudolf Bultmann übernahm die apokalyptische Naherwartung Jesu, leugnete aber in einer Verschärfung der Meinung Wredes das messianische Selbstbewußtsein Jesu. Da freilich Jesus nicht nur von der nahen Zukunft, sondern auch von der Gegenwart der Herrschaft Gottes in seinem Wirken sprechen konnte, blieb dieser Punkt bis heute umstritten.34 Weitere Fortschritte – und neue Probleme – brachte die rabbinische und aramaistische Forschung, die, zum Teil angeregt durch jüdische Gelehrte, auf zahlreiche sprachliche und sachliche Parallelen zwischen den Evangelien – und hier besonders Matthäus – und der talmudischen Literatur bzw. den aramäischen Übersetzungen des Alten Testaments, den Targumim, hinweisen konnte. Einen Höhepunkt erreicht für diesen Forschungszweig der monumentale Kommentar des Pfarrers Paul Billerbeck, der trotz mancher Kritik bis heute unüberholt die rabbinischen Texte für das Verständnis der Evangelien fruchtbar machte.35 34 Johannes Weiss, Die Predigt Jesu vom Reiche Gottes, 1892; 2. neubearbeitete Aufl. 1900; 3. Aufl. hg. v. F. Hahn, Göttingen 1964 = 2. Aufl. und Anhang »mit wichtigen Stücken aus der ersten Auflage«. Im selben Jahr erschien die 2., vielfach erweiterte Auflage von W. Baldensperger, Das Selbstbewußtsein Jesu im Lichte der messianischen Hoffnungen seiner Zeit, Straßburg 1892 (11888). Schon D. F. Strauss und F. C. Overbeck hatten auf die durch ihren Endzeitcharakter fremdartige Gestalt der Predigt Jesu hingewiesen. J. Weiss betont im Vorwort zur 2. Auflage (XI): »Die erste Auflage dieser Schrift ist entstanden als Ergebnis eines mich bedrängenden persönlichen Confliktes.« Denn »schon früh beunruhigte mich die deutliche Empfindung, dass Ritschls Gedanke vom Reiche Gottes und die gleichnamige Idee in der Verkündigung Jesu zwei sehr verschiedene Dinge seien.« »Weitere Studien haben mich überzeugt, dass die eigentlichen Wurzeln Ritschls bei Kant und in der Aufklärungstheologie liegen.« Zur Würdigung von J. Weiss s. A. Schweitzer, GLJF, 232 ff.; vgl. auch 236–259 die heftigen Auseinandersetzungen unter den Theologen nach den Schriften von Baldensperger und Weiss. 35 H. L. Strack / P. Billerbeck, Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch, Bd. I: Matthäus (1055 S.), München 1922; Bd. II: Markus, Lukas, Johannes, Apostelgeschichte (867 S.), 1924; Bd. III: Briefe, Apokalypse (857 S.), 1926; Bd. IV,1.2: Exkurse und
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II. Vorfragen zur Person und Geschichte Jesu
Diese Rückbindung Jesu ans Judentum schuf freilich neue Kontroversen. Nicht nur, daß sie nicht völlig unumstritten war – manche träumten zum Teil weiter von einem unjüdischen Jesus oder einem, der mit seinem Judentum (das man mit Gesetzlichkeit identifizierte)36 grundsätzlich brach –, es erhob sich noch stärker die Frage: Welches Judentum? Dafür einige neuere Beispiele: Im Jahr 1967 war Georg Strecker in einer scharfen Kritik der historischen Rückfrage nach Jesus von vier verschiedenen, einander widersprechenden jüdischen Jesusbildern ausgegangen, dem schon von Reimarus postulierten apokalyptisch-messianischen Typ, dem unapokalyptischen Weisheitslehrer, dem Vertreter einer radikalen Ethik, der den einzelnen zur Entscheidung ruft, und dem sozial motivierten Revolutionär. Deshalb sei auch der Historiker »zur weitgehenden Skepsis in Bezug auf die Möglichkeiten, das historische Phänomen Jesus zu erkennen, genötigt«37. Hier wäre zu fragen, ob wir durch eine solche strikte Aufteilung, die Zusammenhängendes als sich widersprechende »Typen« trennt, der Komplexität der Phänomene gerecht werden. Läßt sich eine Gestalt wie Jesus in einem einzigen, vom modernen Ausleger vorgefertigten »Typus« erfassen? Könnte nicht im Blick auf das Judentum zur Zeit Jesu jeder eine particula veri enthalten und gleichwohl für sich allein genommen falsch sein? In ganz anderer Weise hat D. J. Harrington 20 Jahre später sieben verschiedene Jesusbilder aufgezählt,38 die in englischen und amerikanischen Jesusbüchern zwischen 1967–1988 zur Darstellung gebracht wurden: 1. der politische Revolutionär,39 2. der Magier,40 Indices (1323 S.), 1928. Kein Kommentar hat die neutestamentliche Forschung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts so befruchtet wie der Billerbecks. Er trug über 16 Jahre lang die eigentliche Last dieser unvorstellbaren Arbeit. Daneben sind vor allem noch die Arbeiten von G. Dalman zu nennen: Die Worte Jesu, Leipzig 1898, 2. wesentlich erweiterte Aufl. 1930; JesusJeschua, Leipzig 1922. Hinzu kommen seine großen palästinakundlichen Arbeiten »Orte und Wege Jesu«, BFChTh 2,1, Gütersloh 1919; Darmstadt 41967 und »Arbeit und Sitte in Palästina«, 8 Bde., Bde. 1–7 Gütersloh 1928 ff., Bd. 8 Berlin / New York 2001. 36 S. u. S. 183 Anm. 46. 37 Die historische und theologische Problematik der Jesusfrage, EvTh 29 (1969), 453–476 = Eschaton und Historie. Aufsätze, Göttingen 1979, 159–182 (Zitat S. 174). 38 In der Presidential Address der Catholic Biblical Association 1986, veröffentlicht in CBQ 49 (1987), 1–13; vgl. auch Bible Review 3 Heft 1 (1983), 33–41, zitiert bei J. D. Crossan, Historical Jesus, XXVIIf. Vgl. jetzt die ausgewählte Liste zur Jesusliteratur zwischen 1991 und 2003 bei Bauckham, Jesus, 3. 39 S. G. F. Brandon, Jesus and the Zealots, New York 1967. 40 Morton Smith, Jesus. Eine aparte Variante zu diesem Buch ist die Darstellung Jesu als eines etwas zu spät gekommenen palästinischen Schamanen; s. R. Finne in der Forschungsbeilage der FAZ Nr. 48 vom 26.2. 1992 zu Ivan Bystrina, Das Erbe des Schamanismus in Palästina, in: Hungrige Geister und rastlose Seelen: Texte zur Schamanismusforschung, hg. v. M. Kuper, Berlin 1991, 181–213. Der Rezensent R. Finne bemerkt abschließend dazu: »Auch wenn die Gestalt Jesu für New-Age-Aficionados als Schamane ›urtümlicher‹ und somit interessanter wirken mag – authentischer wird sie dadurch nicht.« Auch B. Kollmann, Jesus
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3. der galiläische Charismatiker,41 4. der galiläische Rabbi,42 5. der Essener, 6. der Hillelit bzw. Protopharisäer43 und 7. der eschatologische Profet.44 Diese Unterschiede beziehen sich historisch ausschließlich »auf die verschiedenen jüdischen Hintergründe«, die die Autoren »ausgesucht hatten, um ihr Jesusbild unterzubringen«45. Das heißt, die Porträts variieren je nach den Staffagen, die um die rätselhafte Jesusgestalt herum aufgebaut werden, wobei diese Szenarien von der Auswahl der Texte und darum immer auch vom subjektiven, erkenntnisleitenden Interesse des Autors bestimmt werden. Das heißt aber, daß das Verfahren moderner Jesus-Autoren in diesem Punkt vom interpretierenden Eklektizismus der Evangelisten gar nicht so extrem weit entfernt ist, denn auch diese ließen sich schon bei der Auswahl der Traditionen für ihre »Jesusbiographien« unter anderem auch von ihren theologischen Tendenzen bestimmen. Positiv ist bei all diesen Versuchen zu werten, daß im Gegensatz zu vergangenen Zeiten deutscher Jesusforschung Jesus auf jeden Fall als Jude ernst genommen wird. Von einer angeblich nichtjüdischen Herkunft Jesu, einer grundsätzlichen Gegnerschaft zum Judentum oder einer Überwindung desselben ist nicht mehr die Rede.46 und die Christen als Wundertäter. Studien zu Magie, Medizin und Schamanismus in Antike und Christentum, FRLANT 170, Göttingen 1996, und ders., Neutestamentliche Wundergeschichten, Stuttgart 2002, erwägt schamanische Einflüsse. Zur Kritik an dieser unscharfen Begriffsverwendung s. auch W. Klein, Art. Schamane / Schamanin / Schamanismus, RGG4 7, 2004, 864 f. 41 Vermes, Jesus. 42 Bruce Chilton, A Galilean Rabbi and his Bible, in: ders., Jesus’ Use of the Interpreted Scripture of his Time, Wilmington (Delaware) 1984. 43 Harvey Falk, Jesus the Pharisee. A New Look at the Jewishness of Jesus, New York 1985. 44 Sanders, Jesus; ders., The Historical Figure of Jesus, London etc. 1993. 45 Crossan, Historical Jesus, XXVII; vgl. Harrington, Bible Review 3/1 (S. 182 Anm. 38), 36. 46 Abschreckende Beispiele bieten W. Grundmann, Jesus der Galiläer und das Judentum, Leipzig 21941; E. Hirsch, Das Wesen des Christentums, Weimar 1939, Anhang 158–165: Die Abstammung Jesu; vgl. auch R. Seeberg, Die Herkunft der Mutter Jesu, in: Festschrift für Nathanael Bonwetsch, 1918, 13–24. Letzterer behauptete, Maria sei eine galiläische Nichtjüdin gewesen. Dieser ganze Unsinn geht nicht zuletzt auf Houston Stewart Chamberlain, Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts, 2 Bde., München 1899, zurück, einen vielgelesenen, in verhängnisvoller Weise einflußreichen Autor und Schwiegersohn Richard Wagners. S. dagegen die kritische Bemerkung von H. L. Strack und P. Billerbeck im Vorwort ihres Kommentars, Bd. I: Das Evangelium nach Matthäus, München 1922, V. Mit einer ganz anderen Tendenz, jedoch nicht weniger antisemitisch, vertrat Ernst Haeckel den unjüdischen Jesus. S. dazu R. Deines, Jesus der Galiläer: Traditionsgeschichte und Genese eines antisemitischen Konstrukts
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II. Vorfragen zur Person und Geschichte Jesu
Diese Hervorhebung der jüdischen Herkunft Jesu entspricht vor allem der in Amerika betonten »third quest« nach dem historischen Jesus. Typisch dafür ist der Titel des überaus gründlichen, monumentalen Werkes von John P. Meier, A Marginal Jew. Rethinking the historical Jesus.47 Ausdrücke wie »new quest« oder »third quest« erwecken leicht den Eindruck wechselnder Moden.48 Die Entdeckung Jesu als Jude ist wesentlich älter: Einmal wurde das »Judentum« Jesu im ganzen 19. Jahrhundert zwar oft nicht verstanden und gewürdigt, aber unseres Erachtens von ernst zu nehmender theologischer Seite auch nie bezweifelt, und zum anderen hängt die Entdeckung des Juden Jesus aufs engste mit der »Heimholung Jesu ins Judentum« zusammen, in der Joseph Klausners eindrückliches Jesusbuch49 einen Markstein bildete.50 Daß man die Zahl der Jesus-Bilder noch beliebig vermehren könnte, zeigt John Bowden,51 der den Schwerpunkt seiner Übersicht auf die europäische Forschung seit A. Schweitzers Meisterwerk legt. Er nennt im Abschnitt unter dem Titel »The caleidoscopic Christ« als bloße Auswahl zehn solcher Bilder, von Lord Beaverbrooks »Divine Propagandist« bis zu Jesus Superstar, und es wäre wohl ohne zu große Mühe möglich, die Reihe noch lange fortzusetzen. Manchmal weiß man nicht mehr, ob es bei diesen Versuchen noch um ein wirkliches Portrait oder nur um eine Karikatur oder gar um ein bloßes Wunsch‑ und Spiegelbild der verschiedenen Autoren gehen soll. Neuere, »postmoderne« Spiegelungen dieser Art sind John Dominic Crossans »Peasant Jewish Cynic«52, Burton L. Macks »Jewish Socrates« oder Robert W. Funks Werk mit dem anspruchsvollen Titel »Honest to Jesus.«53 Funk ist auch der Inaugurator des »Jesus-Seminars«, bei Walter Grundmann, in: Walter Grundmann. Ein Neutestamentler im Dritten Reich, hg. v. R. Deines, V. Leppin und K.-W. Niebuhr, AKThG 21, Leipzig 2007, 45–134. 47 Vol. I: The Roots of the Problem and the Person, New York etc. 1991; Vol. II: Mentor, Message, and Miracles, New York etc. 1994 (1118 S.); Vol. III: Companions and Competitors, New York etc. 2001. 48 S. auch o. S. 175 zu dem »New Quest«. 49 Deutsche Fassung: Jesus von Nazareth. Seine Zeit, sein Leben und seine Lehre, 3. erweiterte Auflage, Jerusalem 1952. S. auch u. S. 501. 50 S. dazu Gösta Lindeskog, Die Jesusfrage im neuzeitlichen Judentum, Uppsala 1938 (Nachdruck Darmstadt 1973); s. auch ders., Das jüdisch-christliche Problem, HR(U) 9, Uppsala 1986, besonders 29–42. 51 Jesus. The Unanswered Questions, London 1988, 57 f. 52 J. D. Crossan, Historical Jesus; vgl. das Schlußwort 421 f. 53 S. den Anzeigentext von Harper Collins Publishers, San Francisco 1992, AAR / SBL Annual Meeting, S. 158 zu B. L. Macks Buch, The Lost Gospel. The Book of Q and Christian Origins: »reveals a Jewish Socrates mythologized in the New Testament Christ«; vgl. dagegen schon D. F. Strauss, Glaube, 73: »Ein Sokrates mit seiner rein vernünftigen Lehrweise würde galiläische Gemüther jener Zeit nicht an sich gefesselt haben.« Wer heute mit einem Jesusbuch Geld verdienen will, muß nach Möglichkeit als »revealer« auftreten und seine jesuanischen Wunschbilder mit neuen Enthüllungen verbinden. Zu dem Buch von R. W. Funk s. den Untertitel »Jesus for a New Millennium«, San Francisco 1996.
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in dem man durch Abstimmung der Teilnehmer über die Echtheit der Jesusworte urteilte und nur 18 % als authentisch anerkannte. Unter anderem wurden alle apokalyptisch-endzeitlichen Worte und damit alle Gerichtsaussagen verworfen. Das Werk dieses Seminars, Galileo Galilei, Thomas Jefferson und D. F. Strauß gewidmet, liefert so ein ›wahrhaft fortschrittliches, politisch korrektes Jesusbild‹. Mit der historischen Wirklichkeit hat es nur noch wenig zu tun.54 Nur eines darf bei diesem Wachsfigurenkabinett von neuesten Jesusbildern nicht mehr genannt werden, sondern ist nach Möglichkeit von ihm fernzuhalten: Jesus als der Christos, der Messias Israels, das heißt das »Jesusbild« der frühesten Gemeinde seiner Jünger und ältesten Zeugen, obwohl er doch in allen neutestamentlichen Texten, außer dem dritten Johannesbrief, so genannt wird.55 Zu Recht verweist John Bowden auf die berühmten Sätze von Albert Schweitzer:56 »So fand jede folgende Epoche der Theologie ihre Gedanken in Jesus, und anders
konnte sie ihn nicht beleben. Und nicht nur die Epochen fanden sich in ihm wieder: jeder einzelne schuf ihn nach seiner eigenen Persönlichkeit. Es gibt kein persönlicheres historisches Unternehmen, als ein Leben-Jesu zu schreiben.«
Schweitzer geht jedoch noch einen Schritt weiter: »Kein Leben kommt in die Gestalt, es sei denn, daß man ihr den ganzen Haß oder die
ganze Liebe, deren man fähig ist, einhaucht. Je stärker die Liebe, je stärker der Haß, desto lebendiger die Gestalt, die ersteht.«57
Hermann Samuel Reimarus, der Deist des 18. Jahrhunderts,58 war nach A. Schweitzer ein solcher »Hasser« gewesen, daß er Jesus und vor allem seine Jünger zu jüdischen Schwärmern bzw. Betrügern machte, und in gewisser Weise gilt dies für D. F. Strauß, der Jesus seiner übermenschlich-göttlichen Glorie entkleiden wollte. Die Würde, die das Urchristentum Jesus übergestülpt habe, sollte nach ihm Hegelscher Philosophie entsprechend der ganzen Menschheit gelten. Auf einen Irrweg gerät Schweitzer jedoch, wenn er meint: 54 The
Five Gospels, What Did Jesus Really Say? New Translation and Commentary by Robert W. Funk, Roy W. Hoover and the Jesus Seminar 1993, San Francisco 1997. Ergänzend erschienen auf derselben Basis 1998 »The Acts of Jesus« mit in gleicher Weise behandelter Erzählüberlieferung. Den krönenden Abschluß bildet die Zusammenfassung der vermutlich echten Stücke als »The Gospel of Jesus«, 2000: Man wird an die Methode Marcions bei der Herstellung seines gereinigten (Lukas‑) Evangeliums erinnert. 55 Nach R. Morgenthaler, Statistik, 107.156 erscheint Jesus 905mal, Christos 529mal, beide zusammen nach der Konkordanz von Aland 222mal; zum Problem s. Hengel / Schwemer, Anspruch, passim. 56 Jesus (S. 184 Anm. 51), 85; vgl. 207 = Schweitzer, GLJF, 4. Im Jahr 1969 begann M. Hengel mit diesem bekannten Satz seine Antrittsvorlesung in Erlangen: War Jesus Revolutionär?, CwH 110, Stuttgart 1970, 6 = KS V, 217. 57 Loc. cit. 58 S. o. S. 175 Anm. 19.
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II. Vorfragen zur Person und Geschichte Jesu
»Nicht die vernünftigen, jedes Detail des Textes gewissenhaft einwebenden Darstel-
lungen haben die Forschung vorwärts gebracht, sondern gerade die bizarren, mit den Texten gewalttätig verfahrenden Werke.«59
Er hat den Verfall einer gewissen Art von Jesusliteratur im 20. Jahrhundert nicht mehr weiter beobachtet, da er die 2. Auflage seiner »Geschichte der Jesu-Forschung« 1913 abschloß und bis zu seinem Tode dieses Thema im Grunde ruhen ließ. Gleichwohl soll nach ihm die sich auf diese Weise »sprunghaft vorwärts« bewegende »Erforschung des Lebens Jesu … für die Theologie die Schule der Wahrhaftigkeit« gewesen sein. Sein Nachsatz: »Ein so schmerzliches und entsagungsvolles Ringen um die Wahrheit, wie es in den
Leben-Jesu der letzten 100 Jahre beschlossen liegt, hatte die Welt noch nie gesehen und wird es nie mehr sehen«,60
klingt etwas zu sehr nach schriftstellerischer Rhetorik. Wurde im Streit um die Gesetzesfrage zwischen Paulus und der Urgemeinde oder in der Reformationszeit weniger »schmerzlich und entsagungsvoll« gerungen, und gilt dies nicht von vielen anderen Bereichen des geistigen Kampfes um die »Wahrheit des Evangeliums«? Man kann dieses pathetische Urteil für die Forschung des 20. Jahrhunderts keinesfalls mehr wiederholen. Schweitzer hat damit der subjektiven Freiheit, ja Willkür des jeweiligen Autors gar zu sehr grünes Licht gegeben. Bereits sein eigener Entwurf, der Jesu Weg biographisch ganz an die Enthüllung des markinischen Messiasgeheimnisses band und dabei selbst romanhafte Züge nicht scheute, sollte uns hier warnen. Ähnliches gilt von der radikalen Skepsis seines Kontrahenten William Wrede, die dieser im Blick auf seine Bezweiflung des messianischen Anspruchs Jesu selbst in einem Brief an Harnack knapp zwei Jahre vor seinem Tode widerrufen hat.61 Schweitzer beschließt mit seinem Werk zugleich eine Epoche, eben die der Leben-Jesu-Forschung; und was für sie zutreffend gewesen sein mag, kann heute in die Irre führen. Statt der von Schweitzer beschriebenen Motivation durch »Liebe« und »Haß« wäre darum wohl jene bewußt abwägende Distanz des Historikers gefordert, der weiß, daß er 59 GLJF,
9. 5. 61 S. H. Rollmann / W. Zager, Unveröffentlichte Briefe William Wredes zur Problematisierung des messianischen Selbstverständnisses Jesu, ZNThG 8 (2001), 274–322. Dazu Hengel, Messias, 17–34. Harnack hatte in seinem Lehrbuch der Dogmengeschichte, 41909, Bd. I, 68 Anm. 1 und 74 Anm. 1 Wredes Grundthese scharf abgelehnt (»Wrede’s tapferes, aber methodisch haltloses und letztlich unbrauchbares Buch«), aber seine Markus-Kritik doch teilweise akzeptiert: Das Evangelium ist »ein diffuses Konglomerat von Ueberlieferungen von ganz verschiedenem Wert« (68 Anm. 1). Die Bultmannschule hat die Bedeutung von Wredes Buch dann weit überschätzt. Es ist eine gewisse Zeit lang fast zu einem neutestamentlichen »Kultbuch« geworden. 60 GLJF,
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sich mit der Frage nach Jesu Wirksamkeit im jüdischen Galiläa 30 n. Chr. in eine völlig andere, ihm sehr fremde Welt begibt, daß seine Quellen, wie zumeist in der Antike, eine andere Blickrichtung besitzen und daher »problematisch« sind und daß er unter Zurückstellung aller eigenen theologischen oder emanzipatorischen Wünsche nach der geschichtlichen Wahrheit zu fragen hat, nach dem, wie Jesus damals auf seine Zeitgenossen wirkte und an was sie sich erinnerten, – auch wenn er dies nur sehr eingeschränkt, »annäherungsweise«, in abgestuften Graden der Wahrscheinlichkeit und bruchstückhaft erfassen kann. In einigen Punkten besteht dabei heute ein über mehr als 100 Jahre bewährter Grundkonsens: Bei den drei »Synoptikern« sind Lukas und Matthäus literarisch von dem älteren, kurz vor oder nach 70 entstandenen Markus abhängig, den sie zu einem guten Teil übernehmen und dem sie den Duktus ihrer Erzählung verdanken. Der Stoff, den die beiden größeren Evangelien gegen Markus gemeinsam haben und der überwiegend aus Jesusworten (Logien) besteht, wird seit Harnack gerne einer »Logienquelle« (Q) zugeschrieben,62 die freilich eine nicht mehr rekonstruierbare Hypothese bleibt, da der wesentlich spätere Matthäus auch Lukas verwendet hat. An sich müßte man schon wegen des großen Sonderguts beider Evangelien mit mehreren »Logienquellen« rechnen.63 Einmütigkeit besteht dagegen heute weitgehend wieder darin, daß Johannes, ganz von der eigenwilligen Christologie des Autors geprägt, nur relativ wenig zu einem gesicherten Wissen über Jesu Wirken beiträgt. Der Gegensatz zu den Synoptikern ist zu groß, er kann nicht mehr harmonisierend überbrückt werden. Das Problem hat die Alte Kirche seit dem 2. Jahrhundert, das heißt im Grunde von Anfang an, bewegt.64 Unsere wichtigsten Quellen sind daher Markus – dessen Geschichtswert nicht unumstritten ist – und die Logienüberlieferung, das heißt hier wieder besonders das Lukasevangelium. Matthäus folgt erst an dritter Stelle. Im Blick auf das »Sendungsbewußtsein« Jesu steht das vierte Evangelium gleichwohl trotz seines fraglichen Geschichtswertes als historisch ungelöstes, ja unlösbares Problem immer im Hintergrund.65 Wenn freilich der Versuch einer Darstellung der Wirksamkeit Jesu vornehmlich zum Spiegel für die eigene Subjektivität und ihre Wünsche würde, dann wäre jene radikal ablehnende, im Grunde ahistorische Haltung gerecht62 Sprüche
und Reden Jesu, Leipzig 1907. Der Versuch einer Wiederherstellung in: The Critical Edition of Q. Synopsis, ed. J. M. Robinson etc., Leuven 2000, schafft jedoch ein Kunstprodukt. Auffällig ist, daß die »Wiederherstellung« der Lukas-Zählung folgt und zuallermeist auf dem 3. Evangelisten gründet. Der Nachweis, daß Matthäus von Lukas wirklich völlig unabhängig ist, wurde überhaupt nicht versucht, ist aber eine Voraussetzung für die Q-Hypothese. Unseres Erachtens hat Matthäus Lukas gekannt und verwendet, s. u. S. 226–234. 63 Vgl. das pollo‡ Lk 1,1. S. dazu Hengel, Lukasprolog, und ders., Gospels, 169–207. 64 Dazu Merkel, Widersprüche; Hengel, Johanneische Frage, 26 ff.; ders., Gospels, 21 ff. 65 S. dazu Hengel, Johanneische Frage, 322 f.
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II. Vorfragen zur Person und Geschichte Jesu
fertigt, die die historische Nachfrage nach dem Menschen Jesus verwirft und sich wie einst Martin Kähler und seine zahlreichen Nachahmer in »das sturmfreie Gebiet« des »biblischen geschichtlichen Christus« (was immer darunter zu verstehen ist) zurückzieht.66 Kähler erhob mit seiner scharf formulierten und – Jahrzehnte später, ja im Grunde bis heute – wirkungsvollen Forderung zugleich den Anspruch, »eine Warnungstafel vor der angeblich voraussetzungslosen Geschichtsforschung aufzurichten, wenn sie eben aufhört Forschung zu sein und zum künstlerischen Gestalten fortschreitet«. Denn es »ist zumeist der Herren eigner Geist, in dem Jesus sich spiegelt«67. Daß selbst noch Schweitzer und viele seiner Vorläufer dieser Gefahr erlegen sind, ist keine Frage. Doch auch moderne »Jesusportraits« scheinen dieser über 115 Jahre alten Warnung (1892) recht zu geben, obgleich wir selbst weder das Verbot Kählers noch seine Forderung eines »sturmfreien Gebiets« anerkennen können, weil es im Bereich der Geschichte, in »Raum und Zeit«, keine »sturmfreien Zonen« gibt und weil die »historischen Annäherungsversuche« den »Christus des Glaubens« weder verdrängen noch ersetzen wollen und sollen. Grundlage des christlichen Glaubens ist das im Neuen Testament für sich sprechende »apostolische Zeugnis«. Die Frage ist, ob es nicht Wege gibt, die den extremen Subjektivismus, der zu freien expressionistischen oder auch »politisch korrekten« »Portraits« führt, vermeiden, die particulae veri einzelner »Jesus-Bilder« gleichwohl aufnehmen, sich insgesamt aber einer nüchtern abwägenden historischen Methode bedienen, wie sie in der althistorischen Forschung selbstverständlich ist und eine generelle 66 M. Kähler, Der sogenannte historische Jesus und der geschichtliche, biblische Christus, hg. v. E. Wolf, ThB 2, München 1953 (Nachdruck der 1. Auflage Leipzig 1882; »wesentlichere Umformulierungen der 2. Auflage [wurden] in Anmerkungen notiert« [12]). Die Formel vom sturmfreien Gebiet erscheint zweimal in der 2. Auflage: II, 201 f. = Nachdruck S. 78 f. Anm. a. Zur einstigen Diskussion um Kählers Schrift s. H. Scholz, Der gegenwärtige Stand der Forschung über den dogmatischen Christus und den historischen Jesus, ThR 2 (1899), 169–181.211–224. Zur späteren Kritik s. O. Michel, Der »historische Jesus« und das theologische Gewißheitsproblem, EvTh 15 (1955), 349–363 = ders., Dienst am Wort. Gesammelte Aufsätze, Neukirchen 1986, 135–147, der nun seinerseits wieder zu einseitig formuliert: »Die Nachfolge Jesu, der Glaube an den Auferstandenen und in der Gemeinde Gegenwärtigen sind nur möglich, wenn man die ganze Last der historischen Auseinandersetzung auf sich nimmt« (360 = 146). Wer kann diese Last wirklich in zureichender Weise auf sich nehmen? Wir können nur je und je versuchen, ihr mit unseren begrenzten Mitteln im Blick auf die schwierige Quellenlage und die kontroverse Forschung – einigermaßen – gerecht zu werden. Der Glaube ist, das kann nicht deutlich genug gesagt werden, nicht von den differierenden, immer wieder umstrittenen Ergebnissen dieser »Annäherungen« abhängig – auch wenn sie für ihn nicht einfach gleichgültig sind. 67 Op. cit. (Anm. 66), 29 f. Der letzte Satz, vom Verfasser gesperrt, spielt auf ein bekanntes Faustzitat an. Vgl. A. Schlatter, Atheistische Methoden in der Theologie, BFChTh 9, Gütersloh 1905, 229–250 (= ders., Zur Theologie des Neuen Testaments und zur Dogmatik. Kleine Schriften, ThB 41, München 1969, 134–150) über eine Theologie, die »vor ihre historischen Romane die Titel: ›Leben Jesu‹ oder ›Neutestamentliche Theologie‹ setzt« (230 f. = 139), und über »die profane, ›moderne Konjekturenfabrikation‹« (249 = 149).
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radikale Skepsis ausschließt. Es ist tief bedauerlich, daß sich abgesehen von Eduard Meyer und Joseph Klausner kein bedeutender Althistoriker intensiver mit den ersten Anfängen des Christentums befaßt hat;68 es mag damit zusammenhängen, daß wir Neutestamentler die Zugänge zu den Quellen so sehr mit unserer – oftmals sehr hypothetischen – Sekundärliteratur69 zugeschüttet haben, daß sich kein »Fremder« mehr heranwagt. Beide Arbeiten, die von J. Klausner, dessen Jesusbuch 1922 in Jerusalem auf Ivrit erschien,70 und die von Eduard Meyer,71 wurden von den Neutestamentlern seinerzeit zuwenig ernst genommen und sind eben darum heute noch lesenswert.72 68 Vgl. noch die populäre Darstellung von Michael Grant, Jesus, London 1977 und den eigenwilligen, interessanten Essay von Fergus Millar, Reflections on the Trial of Jesus, in: A Tribute to Geza Vermes, ed. by P. R. Davies and R. T. Wilson, JSOT.S 100, Sheffield 1990, 355– 381. Schon A. Schweitzer hat für das 19. Jahrhundert auf dieses Problem hingewiesen (GLJF, 6): »Das Problem des Lebens Jesu ist ohne Analogon in der Geschichtswissenschaft. Keine historische Schule hat jemals auf die Erforschung dieses Problems eingewirkt, kein Historiker von Fach jemals die theologische Wissenschaft gefördert. Jegliche Methode der historischen Forschung versagt an der Kompliziertheit dieser Verhältnisse. Die Maßstäbe der gewöhnlichen Geschichtswissenschaft reichen hier nicht zu, und ihr Verfahren läßt sich nicht ohne weiteres auf das Leben Jesu anwenden.« Beiden Sätzen möchten wir in dieser Verallgemeinerung nicht zustimmen. Wir erinnern nur an das Sokratesproblem oder an die Sprüche Heraklits. 69 Auch die Kritik arbeitet vielfach mit kaum begründbaren Hypothesen. Das zeigen nicht nur D. F. Strauss, die Tübinger Schule seines Lehrers F. C. Baur oder William Wrede, sondern auch die vielgerühmten grundlegenden Untersuchungen zur Formgeschichte (dazu u. S. 249–255) von Dibelius und Bultmann und erst recht viele Produkte der neuesten Jesusliteratur; s. z. B. o. S. 184 f. 70 S. dazu o. S. 184 Anm. 49. 71 Ursprung und Anfänge des Christentums. Erster Band: Die Evangelien, 1.–3. Aufl. Stuttgart / Berlin 1921; 4. und 5. Aufl. 1924. 72 Die vernichtende Kritik von K. L. Schmidt, Eduard Meyer und die Evangelienforschung, ChW 35/7 (1921), 114–120, geschrieben im Hochgefühl der neuentdeckten Formgeschichte, tat dem Werk Meyers Unrecht (Sp. 119): »So ist der Inhalt des Buches ein Versager«. In Wirklichkeit hat E. Meyer der schriftstellerischen »Absicht der urchristlichen Autoren«, vor allem des Markus, die die Formgeschichte vernachlässigte, völlig zu Recht »viel zu viel zu(geschrieben)« (120). Der Fortgang der Forschung hat ihn hier bestätigt. S. dazu etwa das Urteil des Altphilologen G. Zuntz, Ein Heide las das Markusevangelium, in: MarkusPhilologie, hg. v. H. Cancik, WUNT 33, Tübingen 1984, 205–222 (222): »Wer das Zweite Evangelium in diesem, ›unitarischen‹ Sinn zu verstehen sucht, dürfte sich bald durch die Erkenntnis eines Meisterwerks von erstaunlicher Originalität bereichert finden«. S. auch 47–71 zu seiner Frühdatierung um 40 n. Chr., die uns zu optimistisch erscheint. Vgl. das in ähnliche Richtung gehende, ebenfalls aus der Feder eines berühmten Altphilologen stammende Urteil von Wolfgang Schadewaldt, Die Zuverlässigkeit der synoptischen Tradition, ThBeitr 13 (1982), 201–223. Die radikale, »konsequente« Formgeschichte hat in eine unhistorische Sackgasse geführt. Es wurde damals zuviel einer neuen »Mode« geopfert. Ihre Urteile waren oft, ja in der Regel, nicht durch die »Form« der Überlieferung, sondern aufgrund des persönlichen Ermessens des Kritikers durch den Inhalt bestimmt. Gerade darin, daß E. Meyer noch nach den Autoren zu fragen wagte, hatte er recht. Die Kritik von M. Dibelius, DLZ 42 (1921), 225–235 unterschätzt dagegen die Bedeutung der Evangelisten als Autoren wie als Traditionsträger. S. auch u. S. 244–258.
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II. Vorfragen zur Person und Geschichte Jesu
Die Einsicht, daß wir kein »Leben-Jesu«, ja nicht einmal ein in sich widerspruchsfreies geschlossenes »Bild Jesu« zeichnen können, ist nicht erst eine Entdeckung der aufkommenden Formgeschichte, wir finden sie zum Teil pointiert zugespitzt schon bei D. F. Strauß und manchen »liberalen« Autoren des 19. Jahrhunderts. An ihr ist unbedingt festzuhalten.73 Um so auffallender ist es, daß das erfolgreiche Buch von Crossan wieder den Anspruch erhebt, »The Life of a mediterranean Jewish Peasant« darzustellen. Nun, vielleicht geschah dies um der besseren Verkäuflichkeit willen. Der selbstgewisse Klappentext »The Historical Jesus reveals the true Jesus – who he was, what he did, what he said« legt dies nahe. Selbst das Verhältnis des Juden Jesus zu seinem eigenen Volk läßt sich nicht mehr auf einfache Weise bestimmen, dazu kennen wir weder ihn noch das vielschichtige Judentum – man spricht ja heute im Zeichen eines modischen Pluralismus gerne von »Judaisms« – um die Zeitenwende genau genug. Denn einerseits »verhält« er sich zum Judentum nicht als ein Fremder: »Jesus war kein Christ, sondern Jude«, sagte Wellhausen lapidar.74 Man könnte auch sagen, er »verhielt« sich nicht zum Judentum, sondern lebte und wirkte ausschließlich in ihm.75 Und dennoch konnte der jüdische Historiker Joseph Klausner, der Be73 Zu D. F. Strauss s. Th. Ziegler, David Friedrich Strauß, 2 Bde., Straßburg 1908, 605 f.682 f. und D. F. Strauss, Glaube, 76 f.: »Die Evangelisten haben sein Lebensbild so dick mit übernatürlichen Farben überstrichen, … daß die natürlichen Farben … nicht mehr herzustellen sind. … Wer einmal vergöttert worden ist, der hat seine Menschheit unwiederbringlich eingebüßt. Es ist ein eitler Wahn, daß aus Lebensnachrichten, die, wie unsre Evangelien, auf ein übermenschliches Wesen angelegt, und noch außerdem durch streitende Parteivorstellungen und Interessen in allen Zügen verzerrt sind, sich durch irgend welche Operationen ein natürliches in sich zusammenstimmendes Menschen‑ und Lebensbild herstellen lasse« (Hervorhebung M. H. / A. M. S.). S. dazu das Strauss-Zitat (o. S. 178 Anm. 27) und auch K. Barth, Protestantische Theologie, 511 f.; s. bereits die Einsicht des jungen Harnack 1874 (o. S. 176 Anm. 20) oder von A. Hausrath, Jesus und die neutestamentlichen Schriftsteller, Berlin 1908, I, S. X: »Hundert Hypothesen bieten sich an, aber was ist die objektive Wahrheit? … Um ein Leben Jesu zu schreiben, nach den Forderungen der Geschichtswissenschaft, dazu sind unsere Quellen nicht reichlich genug und zu wenig durchsichtig.« Vgl. A. Jülicher, Neue Linien in der Kritik der evangelischen Überlieferung, Gießen 1906, 72; selbst H. J. Holtzmann äußert sich in späterer Zeit zurückhaltend: Das messianische Bewußtsein Jesu, Tübingen 1907, S. VI. Dies gilt erst recht für den Altmeister strenger historischer Kritik J. Wellhausen, Einleitung, 103, der von »ungenügenden Fragmenten« spricht. Die Frage ist freilich, ob unsere modernen Vorstellungen über ein »natürliches in sich zusammenstimmendes Menschen‑ und Lebensbild« das Maß aller Dinge sind und so auch für das Wirken des Galiläers gelten. Derartige uns befriedigende »Lebensbilder« lassen sich bei wirkungsmächtigen Gestalten der Antike oftmals gerade nicht mehr schreiben. Das Argument von Strauss leidet – nicht anders als das seiner liberalen und konservativen Gegner – an einer petitio principii. 74 Einleitung, 102; s. o. S. 173 Anm. 10. R. Bultmann hat diese These wiederholt aufgenommen, aber sachlich falsch beurteilt: Das ganze Urchristentum war jüdisch. Sie beruht auf einer für die Frühzeit des 1. Jahrhunderts falschen Alternative. 75 S. den zutreffenden Titel von J. H. Charlesworth, Jesus within Judaism, New York etc. 1988.
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gründer einer ernsthaften jüdischen Jesusforschung, den Satz schreiben: »Trotz alledem aber war etwas in ihm, aus dem sich ›Un-Judentum‹ entwickelte.«76 Es soll im folgenden – durchaus bescheiden – darum gehen, in ständigem Vergleich der Evangelientexte Spuren zu sichern, Grundlinien, Umrisse – fast könnte man sagen: holzschnitthaft – zu erkennen und nachzuzeichnen, auch wenn wir kein zusammenhängendes, eindeutig klares Bild seiner Persönlichkeit und seines Lebensverlaufs erhalten und mehr Fragen offenbleiben, als beantwortet werden können. Zum Teil handelt es sich um vernachlässigte, von einer verbreiteten Skepsis verkannte Spuren, auch sind die Umrisse uns nicht immer schon vertraut, sondern mögen uns je und je fremd, ja befremdend erscheinen. D. F. Strauß hat in seinem letzten Werk, Der alte und der neue Glaube (1872), einen wesentlichen Punkt in den ihm als Gegner des christlichen Glaubens gegebenen Grenzen richtig gesehen: »An wen ich glauben soll, an wen ich mich auch nur als ein sittliches Vorbild anschließen soll, vom dem muß ich vor allem eine bestimmte, sichere Vorstellung haben.« »Ein Wesen, das ich nur in schwankenden Umrissen sehe, das mir in wesentlichen
Beziehungen unklar bleibt, kann mich zwar als Aufgabe für die wissenschaftliche Forschung interessiren, aber praktisch im Leben mir nicht weiter helfen. Ein Wesen mit bestimmten Zügen, woran man sich halten kann, ist aber nur der Christus des Glaubens«, das heißt für ihn »der Legende, … eben nur für den Gläubigen, der alle Unmöglichkeiten, alle Widersprüche, die in diesem Bilde liegen, in den Kauf nimmt; der Jesus der Geschichte, der Wissenschaft, ist lediglich ein Problem, ein Problem aber kann nicht Gegenstand des Glaubens, nicht Vorbild des Lebens sein.«77
Er legt damit den Finger auf den großen Irrtum der von Schleiermacher ausgehenden, allzusehr an der Rekonstruktion eines »historischen Jesus« orientierten »liberalen« Christologie des 19. Jahrhunderts. Man muß freilich hinzufügen, daß Strauß nach seinem eigenen Urteil nicht primär Geschichtsforscher sein wollte: »Ich bin kein Historiker, es ist bei mir alles vom dogmatischen Interesse ausgegangen.«78 Er hatte ein »dogmatisches« Interesse daran, das traditionelle christliche Jesusbild zu zerstören, an den immer noch – für antike Verhältnisse 76 Jesus,
573 (Hervorhebung vom Autor); vgl. auch die Einleitung, 9: »Hätte Jesu Lehre nicht irgend etwas der jüdischen Weltanschauung Widerstreitendes enthalten, dann hätte niemals aus ihr eine neue Lehre, die dem Geiste des Judentums in solch hohem Maße entgegengesetzt war, hervorgehen können: ex nihilo nihil fit.« S. dazu F. Mussner, Das ›Unjudentum‹ in Jesus und die Entstehung der Christologie, in: ders., Die Kraft der Wurzel. Judentum – Jesus – Kirche, Freiburg i. Br. 1987, 137 ff. Man kann freilich fragen, ob Klausners modern nationalistisch bzw. zionistisch geprägte Vorstellung vom Judentum demjenigen um die Zeitenwende und seiner geistigen Vielfalt wirklich ganz entsprach. Dennoch sind seine kritischen Bemerkungen berechtigt. Vgl. auch M. Bockmuehl, This Jesus. Martyr, Lord, Messiah, Edinburgh 1994, 103–124. 77 Glaube, 79 (Hervorhebung M. H. / A. M. S.). 78 Brief vom 22.7. 1846, zitiert nach K. Barth, Protestantische Theologie, 492.
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– sehr deutlichen Umrissen der geschichtlichen Gestalt Jesu war er gegen Ende seines Lebens kaum mehr interessiert. Er war für ihn nur noch ein »Problem«, keine Person mehr. Der vom Pathos des Fortschrittsglaubens erfüllte destruktive Analytiker hatte den zurückschauenden, gewissenhaft vergleichenden und rekonstruierenden Historiker der Repetentenzeit verdrängt. Freilich war seine radikale Kritik gegenüber dem naiven Optimismus gerade auch der »progressiven« und »liberalen« Theologen damals notwendig und in gewissem Sinne heilsam. Das Ergebnis unseres historischen (durch die Quellenlage bedingt fragmentarischen) Rekonstruktions‑ oder besser Annäherungsversuches soll und kann darum – wir betonen es noch einmal – jedoch nie und nimmer Grundlage oder »Gegenstand des Glaubens« werden.79 Dies ist immer nur der wirkliche Jesus Christus, als der menschgewordene und »zur Rechten Gottes erhöhte« Gottessohn selbst, und niemals das Produkt unserer historischen Anstrengungen. Ein solcher Glaube aber gründet auf dem ganzen »apostolischen Zeugnis«, das uns im Neuen Testament überliefert ist, einschließlich des – weithin bewußt »eigenwillig-unhistorischen« – vierten Evangeliums und der Briefliteratur! Man könnte auch sagen: Glaubensgewißheit schenkt nur die Begegnung mit dem »Christus des Glaubens« in der Predigt der Apostel, eben diesen aber muß Strauß als »Legende« und »Mythus« verwerfen. Unser Annäherungsversuch stellt bei der Darstellung von Jesu Wirken und Passion eine theologische Entfaltung dieses »Christus des Glaubens« zunächst bewußt zurück. Ihm begegnen wir dann in der Urgemeinde. Daß dabei in der Frage nach der Entwicklung der Christologie schon bei Jesus selbst am Ende doch mehr als »lediglich ein Problem«, sondern durchaus deutliche »Umrisse« zutage treten, muß der Versuch erweisen. Es könnte sein, daß im Wirken Jesu bis hin zu seiner Passion Züge sichtbar werden, die mit einer inneren Konsequenz zum »Christus des Glaubens« hinführen.
79 Strauss,
Glaube, 79; s. dazu Th. Ziegler, Strauß (S. 190 Anm. 73), II, 683 f.
§ 6 Die Quellen 6.1 Zur Quellenlage Wir müssen jetzt gewissermaßen in die antike Welt eintauchen, die Gegenwart mit all unseren Wünschen und Fragen hinter uns lassen und zuerst nach den Quellen fragen. Hier macht uns wieder A. Schweitzer auf das gerne übersehene Faktum aufmerksam, »daß wir von wenigen Persönlichkeiten des Altertums so viele unzweifelhaft histori-
sche Nachrichten und Reden besitzen, wie von Jesus. Für Sokrates liegt die Sache viel ungünstiger: er ist uns von Schriftstellern geschildert, wobei der Schriftsteller selbst schöpferisch war. Jesus steht viel unmittelbarer da, weil er von literarisch unbegabten Christen dargestellt wird.«
Man wird diesen Optimismus im Blick auf die Worte »unzweifelhaft« und »literarisch unbegabten Christen« einschränken müssen. Die heute blühende literaturwissenschaftliche Betrachtungsweise und die Freude an der Entdeckung von »rhetorischen« und »narrativen Strategien« hat dazu geführt, daß man mehr denn je in den Autoren der Evangelien literarisch versierte Schriftsteller sehen will, die zum Teil mit raffinierten Techniken arbeiten und sich auf die Kunst einer aufs höchste gesteigerten dramatischen Darstellung verstehen. Radikale historische Skeptiker machen sie gar zu Verfassern von romanhaften Fiktionen. Vergessen ist die Zeit vor bald 90 Jahren, als ein so bedeutender Gelehrter wie M. Dibelius am Anfang seiner »Formgeschichte des Evangeliums« in – scheinbar – programmatischer Weise schrieb: »Die Verfasser (der synoptischen Evangelien) sind nur zum geringsten Teil Schriftsteller, in der Hauptsache Sammler, Tradenten, Redaktoren«, wobei das »Lukas-Evan Vgl.
Aufhauser, Zeugnisse; Klausner, Jesus, 15–87; W. Trilling, Fragen zur Geschichtlichkeit Jesu, Düsseldorf 1966, 51 ff.; Meier, Marginal Jew I, 56–111; Theissen / Merz, Jesus, 35–124; R. E. Van Voorst, Jesus outside the New Testament, Grand Rapids (Mich.) 2001; Dunn, Jesus, 141 f. GLJF, 6. Tübingen 1919; 21933, 2 f. Vgl. Bultmann, GST, 3 f.362–376: »Mk ist … noch nicht in dem Maße Herr über den Stoff geworden, daß er eine Gliederung wagen könnte« (375). In Wirklichkeit ist Markus sehr überlegt gegliedert. Zur weithin unberechtigten Kritik von K. L. Schmidt an Eduard Meyer und zu dem ganz anderen Urteil von Altphilologen wie Wolfgang Schadewaldt und Günther Zuntz s. o. S. 189 Anm. 72.
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II. Vorfragen zur Person und Geschichte Jesu
gelium von allen drei Synoptikern noch am meisten literarisches Gepräge (zeigt). Man kann daran ermessen, in welch geringem Grade vollends ›Markus‹ und ›Matthäus‹ als schriftstellerische Persönlichkeiten zu gelten haben«.
Diese These hat mehr als eine Generation lang den Markt der neutestamentlichen Exegese in Deutschland beherrscht und verführt. Die Wahrheit wird wohl zwischen den Extremen liegen, das heißt, daß auch Markus und Matthäus – unseres Erachtens bereits durch den mündlichen Vortrag als Lehrer, der letztlich hinter allen Evangelien steht – »wortgewandter« waren, als es die Väter der Formgeschichte in ihrer Entdeckerfreude wahrhaben wollten, und daß alle vier Evangelien einen hohen Grad an theologischer Reflexion erreichen, was nicht bedeuten muß, daß die sie bestimmende theologische Tendenz die geschichtliche Tradition weitgehend verdrängt habe. Das geschieht eindeutig erst im vierten Evangelium, das eigene Wege geht. Aber selbst hier wäre noch zu fragen: Sollte das Urchristentum – bis hin zu Johannes am Ende des 1. Jahrhunderts – theologisch wesentliche Grundgedanken nicht doch weitgehend aus dem Wirken und Weg Jesu selbst übernommen haben? Diese Frage wird uns durch den ganzen ersten Band begleiten. Dennoch hat A. Schweitzer Recht. Das zeigt nicht nur ein Vergleich des Jesusbildes der Synoptiker mit dem Sokrates der platonischen Dialoge, der Memorabilien Xenophons oder den Fragmenten eines Aischines und anderer »Sokratiker«, sondern auch mit späteren antiken Biographien aus der Feder Plutarchs, Lukians, Arrians und Philostrats. K. Döring, Der Sokrates des Aischines von Sphettos und die Frage nach dem historischen Sokrates, Hermes 112 (1984), 16–30. S. auch O. Gigon, Sokrates. Sein Bild in Dichtung und Geschichte, Sammlung Dalp 41, Bern / München 21979, 63 f.: »Die Chronik als Namen‑ und Tatsachenliste einerseits, die Anekdote andererseits sind (gegen Ende des 5. Jahrhunderts v. Chr.) … die beiden einzigen ursprünglichen Formen geschichtlicher Überlieferung. Die Biographie als die Darstellung eines einzelnen in sich geschlossenen und sinnvollen Lebenslaufes tritt erst einige Generationen nach dem Tode des Sokrates in die griechische Literatur ein.« Gigon kommt zu dem Urteil, »dass die Frage nach Persönlichkeit und Werk des geschichtlichen Sokrates praktisch vollkommen unbeantwortbar ist, weil wir überall nur auf Sokratesdichtung und nirgendwo auf Sokratesbiographie stossen« (16). Er möchte vielmehr von der Sokratesdichtung auf die Schöpfer dieser Dichtung zurückgehen, das heißt, was »für uns fassbar ist, ist nicht Sokrates als geschichtlicher Lehrer seiner Schüler, sondern Sokrates als zentraler Gegenstand einer philosophischen Dichtung« (16). Dennoch steht auch bei ihm der »Prozess und (… die) Hinrichtung des Sokrates im Jahre 399 … ausser jedem Zweifel« (21). Ein anderes Beispiel wären die großen rabbinischen Lehrer seit Hillel, von denen wir eine Fülle von Einzeltraditionen halachischer und haggadischer Art haben, die sich jedoch nicht »biographisch« zu einer Einheit verbinden lassen. S. dazu W. Bacher, Die Aggada der Tannaiten, I 21903; II 1890 (Nachdruck Berlin 1965/66) und die Untersuchungen von J. Neusner zu einzelnen Lehrern wie Jochanan ben Zakkai, Eliezer ben Hyrkanos etc. S. auch ders., The Rabbinic Tradition about the Pharisees before 70, Vol. I–III, Leiden 1971. Hier wäre vor allem auf seinen Demonax zu verweisen. Wobei dessen »Leben des Apollonius von Tyana« sehr viel mehr romanhafte als biographische Züge trägt und darin gerade nicht den synoptischen Evangelien gleicht; s. dazu jetzt
§ 6 Die Quellen
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Hinzu kommt, daß unsere historisch-biographische Quellenlage selbst bei antiken Persönlichkeiten, die unvergleichlich »machtvoller« waren als der Handwerker aus Nazareth, ebenfalls nicht unproblematisch ist, auch wenn wir über sie viel mehr historische Details wissen. Die früheste als Werk erhaltene, durchgehende Alexanderdarstellung eines Historikers ist die des Diodorus Siculus, der zur Zeit des frühen Augustus fast 300 Jahre nach dem Welteroberer schrieb; der wichtigste griechische Biograph Alexanders, Arrian, schreibt ca. 450 Jahre und Plutarch ca. 400 Jahre später, der bedeutendste lateinische Biograph Curtius Rufus war wohl ein Zeitgenosse Arrians in der Mitte des 2. Jahrhunderts oder noch später. Selbstverständlich verfügten sie wieder über zahlreiche ältere Quellen. Von den zeitgenössischen Alexanderhistorikern sind jedoch nur Zitate und Exzerpte erhalten, die in der Beurteilung des Welteroberers zum Teil extrem auseinandergehen. Dabei können gerade sie zeigen, daß die Legendenbildung um Alexander schon zu Lebzeiten begann. Sie reicht in vielen Sprachen und Verzweigungen bis ins Mittelalter. Robert Lane Fox beginnt seine große Alexanderbiographie mit dem Hinweis, daß man von keiner Persönlichkeit der Antike eine Biographie schreiben könne, außer über Augustin, Cicero und vielleicht Kaiser Julian, von denen wir zahlreiche Briefe oder andere autobiographische Zeugnisse besitzen; er schreibt dann aber ein Buch mit 568 Seiten über seinen Helden, mit der bezeichnenden Einschränkung: »This book is a search, not a story.« Das müßte auch über jeder ernsthaften Jesusdarstellung und über jeder Geschichte des frühesten Christentums stehen. Th. Schirren, Philosophos Bios. Die antike Philosophenbiographie als symbolische Form, Heidelberg 2005. Unseres Erachtens ist Philostrats Darstellung eine Art von philosophischem »Antievangelium«, verfaßt auf Wunsch der Kaiserin Julia Domna nach deren Tod 217, zu einer Zeit, als das Christentum großen Einfluß gewann. Hierokles tritt an der Wende vom 3. zum 4. Jahrhundert in direkt polemischer Form in seine Spuren, s. die Gegenschrift Eusebs, ed. E. des Places et M. Forrat, SC 333, Paris 1986. Eine Zusammenstellung und englische Übersetzung der Fragmente der 36 frühen Alexanderhistoriker (= Jacoby, FGrH 117–152) findet sich bei C. A. Robinson Jr., The History of Alexander the Great, Vol. I / II, 1953/1963 (Nachdruck New York 1977), I, 1: »Of the five extant historians whose complete accounts of Alexander survive, Arrian is the best by far.« Zu Person und Werk Arrians s. G. Wirth, KP 1, 605 f.; C. Hencke, DNP 2, 28 f. Er lebte etwa zwischen 85/90–170 n. Chr. und schrieb unter anderem eine Alexandergeschichte in sieben Büchern, wobei er sich bemühte, als Quellen vor allem die Werke der Augenzeugen heranzuziehen. Zur Legendenbildung s. Meyer, Ursprung I, 54 ff.159 (gegen Wellhausen). Hengel, Entstehungszeit, 17 f. Anm. 70–74. S. u. S. 490 ff. zur Wunderfrage. Das Problem ist, daß die hellenistische Geschichtsschreibung zwischen ca. 350 bis etwa zur Mitte des 1. Jahrhunderts v. Chr. (Diodorus Siculus) mit Ausnahme des Polybius nur ganz fragmentarisch erhalten ist. R. L. Fox, Alexander the Great, London 1973, 11. S. die deutsche Übersetzung der 2. Auflage: Alexander der Große. Eroberer der Welt, Stuttgart 2004. Er wendet sich gegen Autoren, »die der historischen Wahrheit zu sicher sind«. Es handle sich »um eine Suche«. Eine vollständige Darstellung des Lebens Alexanders sei unmöglich (s. das Vorwort XIX f.). Die deutsche Fassung hat XX und 805 S.
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II. Vorfragen zur Person und Geschichte Jesu
Schauen wir noch auf ein anderes, von Jesus extrem verschiedenes Beispiel aus näherliegender Zeit: Augustus war gewiß der politisch einflußreichste Herrscher in der Antike. Er stirbt nach 57jähriger politischer Wirksamkeit 14 n. Chr. Bewußt verbindet Lk 2,1 seine Person mit der Geburt Jesu. Wenn wir von der ganz knapp die eigenen Leistungen aufzählenden, an drei Orten fragmentarisch erhaltenen autobiographischen Inschrift der Res gestae divi Augusti absehen,10 stammt die erste uns ganz erhaltene biographische Darstellung von Sueton, der seine sehr selektiven Kaiserbiographien etwa zwischen 119 und 121 schrieb, mehr als 100 Jahre nach dem Tod des Augustus.11 Die kurze Zeit früher entstandenen Annalen des Tacitus behandeln in ihrem ersten Buch nur die allerletzte Zeit des Kaisers.12 Appian (ca. 100–180?) beschreibt nur den Bürgerkrieg, von der zeitgenössischen Biographie des Nikolaos von Damaskus, des Vertrauten des Herodes in Jerusalem (ca. 64 v.–10 n. Chr.), ist nur die Frühzeit Octavians bis 44 v. Chr. erhalten.13 Die ausführlichste Darstellung seiner Herrschaft ist uns in der Römischen Geschichte des Cassius Dio Cocceianus14 überliefert, sie entstand in den ersten Jahrzehnten des 3. Jahrhunderts. Vorzeichen, Träume und Wunder spielen schon bei Sueton und erst recht bei Cassius Dio eine wichtige Rolle. Die einzige erhaltene historische Darstellung eines Zeitgenossen ist der ganz knappe Geschichtsabriß des Velleius Paterculus, der, ca. 20 v. Chr. geboren, zur Zeit des Tiberius schreibt.15 Es wird durch diese Beispiele aus dem völlig anders gelagerten politischen Bereich deutlich, daß selbst die Überlieferung über die größten Herrschergestalten der Antike fragmentarisch, das heißt von der zufälligen Erhaltung der Quellen abhängig ist. Man muß natürlich hinzufügen, daß wir außer den oft nur bruchstückhaft erhaltenen Texten dieser Biographen und Historiker über Alexander und Augustus zahlreiche andere Hinweise durch Inschriften, Münzen und vor allem in der zeitgenössischen und späteren Literatur
S.
dazu positiv Melito von Sardes um ca. 160 bei Euseb, h.e. 4,26,7 f. Volkmann, Res gestae Divi Augusti, Berlin 31969; Text, Übersetzung und Kommentar bei E. Weber, Augustus, Meine Taten / Res Gestae Divi Augusti, Tusculum, München 21974. 11 K. Sallmann, DNP 11, 2001, 1084–1088. Er hatte als Sekretär Trajans (etwa ab 114) und Hadrians bis 121 a studiis, a bibliothecis und schließlich ab epistulis Zugang zum kaiserlichen Archiv mit ganz persönlichen Zeugnissen des Augustus. 12 Ein Werk über die Zeit des Augustus wollte er noch schreiben, kam aber nicht mehr dazu (ann. 3,24,3). 13 FGrH 90, F 125–130. Zu seiner Person s. o. S. 51. 14 Buch 46–56 (43 v.–14 n. Chr.). 15 Die 57 Jahre von der Ermordung Caesars 44 bis zum Tod des Augustus behandelt er in 66 ganz kurzen Kapiteln 2,59–124: ed. J. Hellegouar’h I / II, Paris 1982 (Coll. Budé). Daneben könnte man noch auf die Geschichte des Mittelmeerraums in 44 Büchern des Pompeius Trogus verweisen, die aber nur in einer knappen Epitome eines Justinus aus dem 3. Jahrhundert erhalten ist, die Augustus relativ selten und allein im Blick auf die Provinzen erwähnt. 10 H.
§ 6 Die Quellen
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finden.16 Dies gilt in besonderer Weise für den ersten römischen Princeps, der das Reich radikal veränderte. Aber selbst im Blick auf eine so ganz andere Gestalt wie Jesus von Nazareth haben wir außer den vier Evangelien noch die neutestamentlichen Briefe, die Apostelgeschichte und die Apokalypse, dazu die ganze frühchristliche Literatur mit entsprechenden Hinweisen von freilich zum Teil sehr verschiedenem historischem Wert. Hier wären ab dem 2. Jahrhundert vor allem die vielfältigen »apokryphen« evangelienähnlichen Texte zu nennen, beginnend mit dem heute weithin überschätzten Thomasevangelium, dazu die zahlreichen Jesuslogien unbekannten Ursprungs.17 Wenn man bedenkt, daß hier nicht von allseits bekannten, erfolgreichen Weltherrschern, sondern einem zunächst völlig obskuren galiläischen Handwerker mit ganz kurzer Wirkungszeit berichtet wird, und daß die frühesten uns erhaltenen literarischen Hinweise mit Paulus rund zwanzig Jahre und die ersten »Jesusbiographien« mit Markus ca. vierzig Jahre nach der Kreuzigung Jesu einsetzen, so erscheint die – an antiken Verhältnissen gemessen – breite und frühe Überlieferung doch als recht auffallend, selbst wenn sie überwiegend nichtauthentischen, legendären Charakter besitzen sollte. Sie ist ein Hinweis darauf, wie sehr dieser einfache Jude aus einem galiläischen Dorf schon seine Zeitgenossen im jüdischen Palästina und bald auch außerhalb desselben beeindruckt haben muß. Spätestens seit Claudius und Nero hat er auch die römische Welt »beunruhigt«. Der häufig gehörte Vorwurf, daß kein griechischer oder römischer Historiker vor dem Ende des 1. bzw. dem Anfang des 2. Jahrhunderts Jesus und seine Bewegung erwähnt habe, zeigt nur die Unkenntnis der antiken Quellensituation auf der Seite des Kritikers. Zwischen 30 und 120 sind uns keine Historiker erhalten, die über Christus und die Christen hätten schreiben können, außer Josephus, Tacitus und Sueton – und diese tun es! Im Blick auf die antike Religions‑ und Geistesgeschichte ist so die intensive Berichterstattung über Jesus in Wirklichkeit recht erstaunlich. Wir besitzen von ihm trotz seiner relativ kurzen Wirkungszeit mehr verhältnismäßig frühe Überlieferungen als von den meisten antiken Geistesgrößen. Von Mohammed, der 16 S. z. B. V. Ehrenberg / A. H. M. Jones, Documents Illustrating the Reigns of Augustus and Tiberius, Oxford 21949 und H. Mattingly, Coins of the Roman Empire in the British Museum, London 1983, I: Augustus to Vitellius. Zur Literatur s. Cicero, Horaz, Ovid, Properz, Tibull etc. Die große Augustusbiographie von J. Bleicken, Augustus, Berlin 1998, gibt in den Anmerkungen kurz die Quellen zu den einzelnen Kapiteln an. 17 S. die umfangreiche Sammlung von A. Resch, Agrapha. Ausserkanonische Schriftfragmente, Leipzig 21906 (Nachdruck Darmstadt 1967); J. Jeremias, Unbekannte Jesusworte, Gütersloh 31965; kritisch O. Hofius, Art. Agrapha, TRE 2, 103–110; ders. in: NTApo5 I, 76–79. Schon Dionysios von Korinth beklagt sich in seinem Brief an Bischof Soter von Rom um 170 über die vielfältigen Fälschungsversuche von »Schriften des Herrn« (tùn kuriakùn … grafùn), Euseb, h.e. 4,23,12. Vgl. auch Hengel, Gospels, 12–19.59–61.
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II. Vorfragen zur Person und Geschichte Jesu
632 starb, haben wir nur eine wesentlich spätere Biographie, die auf Ibn Ishaq († 768) zurückgeht, dessen Werk aber selbst verloren ist, jedoch von noch späteren Autoren, vor allem von Ibn Hisham († 834), 212 Jahre nach der Hijra, und dann von Buh–ăhri, dem Autor der ältesten Hadit-Sammlungen, 870 verarbeitet wurde. Alle späteren Darstellungen gründen darauf.18 Die nächste Parallele steht selbst schon ganz in christlicher Tradition: Zu den sensationellen Textfunden der jüngsten Zeit gehört der Kölner Manikodex, der eine teilweise in erster Person vorgetragene Vita Manis (216–276) enthält, die im ersten Drittel des 4. Jahrhunderts aus älteren Exzerpten zusammengestellt wurde, wobei die Namen der Gewährsmänner genannt werden. Auf diese Weise entstand eine »fast fugenlose Biographie«, die an Tatians Evangelienharmonie, das Diatessaron, erinnert, nur daß im Manikodex nie die Quellenangabe fehlt.19 Doch bildet für denselben (wie später wohl auch für Mohammed) die christliche Überlieferung selbst wieder ein gewisses Vorbild. Mani (und Mohammed) verstanden sich als Fortführer und Vollender des Werkes Jesu, als das »Siegel der Profeten«20, und ihre Wirksamkeit, und das heißt auch ihre »Biographien«, setzen in irgendeiner Weise die Evangelien voraus.
6.2 Frühchristliche Jesuszeugnisse außerhalb der Evangelien21 Wenn wir auf die urchristliche literarische Bezeugung Jesu schauen, so beginnt sie für uns ca. 20 Jahre nach seiner Kreuzigung mit einem Außenseiter und 18 Mohammed wurde um 570 geboren. Er starb 632, nur sechs Jahre vor der Eroberung Jerusalems durch die Muslime. Zum Problem s. R. Paret, Mohammed und der Koran, UB 32, Stuttgart 1957, 153: »Der Grundbestand des faktisch gesicherten Traditionsstoffes (läßt sich) nicht über die erste Hälfte des 8. Jh.s zurückdatieren.« Das heißt, er ist rund 100 Jahre jünger als der »historische Mohammed«. Freilich werden in der Mohammedbiographie eine Fülle von Überlieferungsträgern genannt. Man wird an die Bemühungen eines Papias erinnert. Der Islam wurde seit Mohammeds Auswanderung nach Medina 622 sehr rasch immer mehr zu einer militärisch überaus erfolgreichen politisch-religiösen Bewegung. Der Unterschied zur christlichen Frühgeschichte vor Konstantin könnte nicht größer sein. Das wird heute von vielen vergessen. 19 Der Kölner Mani-Kodex. Über das Werden seines Lebens, hg. v. A. Henrichs und L. Koenen, Papyrologica Coloniensia 14, Opladen 1988, XVf. 20 Vgl. C. Colpe, Das Siegel der Propheten, ANTZ 3, Berlin 1990, 15 ff.227 ff. Der Begriff erscheint erstmals bei Ps.-Tertullian, adv. Iud. 8,12, der im Zusammenhang mit Dan 9,24–27 Jesus als signaculum omnium prophetarum bezeichnet. 21 H. Köster, Synoptische Überlieferung bei den apostolischen Vätern, TU 65, Berlin 1957; W. Trilling, Fragen zur Geschichtlichkeit Jesu, Düsseldorf 1966; D. L. Dungan, The Sayings of Jesus in the Churches of Paul, Philadelphia 1971; B. Fjärstedt, Synoptic Tradition in 1 Corinthians. Themes and Clusters of Theme Words in 1 Corinthians 1–4 and 9, Uppsala 1974; P. Stuhlmacher (Hg.), Evangelium; Riesner, Jesus, s. Index s. v. »Paulus, Jesus-Überlieferung«; Theissen / Merz, Jesus, 35–41.51–69; Wenham, Paulus; Hengel, Mahl.
§ 6 Die Quellen
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ehemaligen Gegner, Paulus, der etwa um 50 seinen ersten uns bekannten Brief an die neugegründete Gemeinde in Thessalonich schreibt, in dem er von Tod und Auferstehung Jesu und vom rettenden Glauben an diesen Jesus als den Messias, Kyrios und Gottessohn spricht, der vor dem kommenden Zornesgericht Gottes bewahren wird.22 Paulus zitiert ein apokalyptisches »Wort des Herrn« über dessen Parusie und betont, daß der Herr »wie ein Dieb in der Nacht« komme;23 beides erinnert an apokalyptische Jesusworte bei den Synoptikern und wird auf Jesusüberlieferung24 zurückgehen. In mehreren der echten Paulusbriefe, die im folgenden Jahrzehnt geschrieben werden, finden wir Hinweise auf den Menschen Jesus: in der Erwähnung von Jesu Geburt durch eine (jüdische) Frau, seiner Unterstellung unter das mosaische Gesetz (Gal 4,4), in seiner Herkunft aus dem Judentum (Röm 9,5), genauer aus dem Geschlecht Davids (Röm 1,3), des Sohnes Isais (Röm 15,12),25 in seinem messianischen Dienst gegenüber Israel, dem eigenen Volk (Röm 9,3 ff.; 15,8),26 und vor allem in seinem Tod am Kreuz. Im 1. Korintherbrief wird zweimal auf autoritative Worte des Kyrios, das heißt Aussprüche Jesu, verwiesen. Einmal handelt es sich um das Verbot der Ehescheidung und Wiederverheiratung nach der Scheidung27 und zum anderen um das Gebot, daß die Verkündiger des Evangeliums von ihrer Verkündigungsarbeit leben sollen, das auf die synoptische Tradition von der Aussendung der zwölf Jünger hinweist.28 Bloße Anspielungen auf Logien der synoptischen Überlieferung ohne den Hinweis darauf, daß es sich um ein »Wort des Herrn« handelt, finden sich noch sehr viel häufiger, unter anderem mehrfach in der Paränese Röm 12,9–21; 13,8 ff. oder 1 Kor 13,2. Grundlegend ist für Paulus auch die Anrufung Gottes als »Vater«, ûAbba, als Zeichen der Gotteskindschaft, die auf die Gebetsanrede Jesu zurückgeht und wohl auch indirekt einen Hinweis auf das Vaterunser enthält, das mit dieser Anrede beginnt. Diese aramäische Akklamation demonstriert, wie auch das Maranatha, die Verbindung des Paulus mit der Jerusalemer Urgemeinde.29 Daß Paulus bei seiner Gemeindegründung die Passionsgeschichte erzählte und in seinen Gemeinden ihre Kenntnis selbstverständlich voraussetzt, ergibt sich aus 1 Kor 15,3–8 mit der »chronologischen« 22 1 Thess 4,14, vgl. 5,10; 1,10. Zum Thema Jesustradition bei Paulus vgl. R. Riesner, Paulus und die Jesus-Überlieferung, in: Evangelium – Schriftauslegung – Kirche (S. 147 Anm. 124), 347–365; s. auch ausführlich Wenham, Paulus; vgl. D. Häusser, Christusbekenntnis und Jesusüberlieferung bei Paulus, WUNT II / 210, Tübingen 2006. 23 1 Thess 4,15–17; 5,2, vgl. Lk 12,39; Mt 24,30 parr.; 24,43; Apk 3,3; 16,15. Zu den »Worten des Herrn« s. Hengel, Gospels, 61–65.131 ff. S. u. S. 240 f. 24 S. dazu Hengel, KS III, 346 ff. 25 Vgl. Jes 11,10; Mt 1,5 f.; Lk 3,32. 26 Vgl. Mk 10,45 = Mt 20,28; vgl. Lk 22,27; Jes 53,10 ff. 27 1 Kor 7,10 f. 28 1 Kor 9,14, vgl. Lk 10,7 = Mt 10,10b: »Der Arbeiter ist seines Lohnes wert.« S. u. S. 371 f. 29 Röm 8,15 f.; Gal 4,5 f.; Mk 14,36; s. auch S. 416. Dazu Hengel, Abba.
200
II. Vorfragen zur Person und Geschichte Jesu
Aufzählung von Tod, Begräbnis, Auferstehung und den Erscheinungen in zeitlicher30 Folge sowie aus dem Bericht über das letzte Mahl Jesu mit seinen Jüngern 1 Kor 11,23 ff. Paulus deutet mit dem Zitat der Herrenmahlsparadosis »der Herr Jesus in der Nacht, da er verraten (bzw. ausgeliefert) wurde, nahm er das Brot, dankte, brach es und sagte …« nicht nur auf seine Einführung des Herrenmahls31 bei der Gemeindegründung in Korinth hin, sondern zugleich auf seine Erzählung der Passionsgeschichte in ihrem zeitlich-historischen Verlauf. Sie enthielt ein konkretes Datum, sehr wahrscheinlich die Passanacht.32 Wir können so bei Paulus einen chronologischen Zusammenhang von drei Tagen, beginnend mit dem letzten Mahl Jesu in der Passanacht über den Verrat, die Kreuzigung und das Begräbnis bis zum Ostermorgen, erschließen.33 Denn ohne diesen Zeithintergrund hätte die Gemeinde weder diesen Text, an den Paulus sie erinnern will, noch seine Redewendung vom »Wort vom Kreuz«, 1 Kor 1,18, oder eine Formulierung wie 1 Kor 5,7 f. verstanden, wo er schreibt: »denn unser Passalamm wurde geschlachtet, Christus. Darum laßt uns feiern nicht mit dem Sauerteig …, sondern dem ungesäuerten Teig …«. Er erwähnt damit en passant in Korinth Wohlbekanntes, das heißt, man wußte dort auch von einer Kreuzigung Jesu in Jerusalem an einem Passafest, anderswo durften ja keine Passalämmer geschlachtet werden. Auch mit den »Machthabern dieses Äons«, 1 Kor 2,8, die Christus gekreuzigt haben, weil sie seine göttliche Würde (d·xa) nicht erkannten, sind zunächst einmal die politischen Mächte wie Pilatus und die Hohenpriester gemeint, die selbst wieder Handlanger dämonischer Mächte waren. In 1 Thess 2,14 f. sind es in einem emotional aufgeladenen paulinischen Text »die Juden«, die »Jesus und die Profeten getötet und uns verfolgt haben«. Das vielgehörte Argument, Paulus habe keine oder nur ganz wenig Jesustradition gekannt, ja gar nicht kennen wollen, weil er daran nicht interessiert war, da er nur das »Kerygma« vom gekreuzigten und auferstandenen Kyrios verkündigt habe, ist irreführend und beruht auf dem bei Theologen beliebten Mißbrauch des argumentum e silentio, denn in seinen wenigen uns erhaltenen, mehr oder weniger zufälligen und situationsbezogenen Briefen mußte er auf Dinge, die in der Gemeinde längst bekannt waren, nicht mehr eingehen. Auf welche Weise er seine Gemeinden gegründet hat, erfahren wir bei ihm bestenfalls in 30 S.
dazu Hengel, Begräbnis. Formulierung s. 1 Kor 11,20: kuriakÖn deõpnon. 32 Vgl. 1 Kor 5,6 ff. und Lk 22,8.14 f.: Ob er mit 1 Kor 5,5 indirekt auf den Vorgang Lk 22,3; Joh 13,2.27 anspielt? Vgl. auch 1 Kor 6,1.9 f. und Lk 22,28–30. Dazu Hengel, Mahl. 33 Das †n tÔö nuktÑ Ôî pared‡deto (1 Kor 11,23) deutet in erster Linie auf den nächtlichen Verrat des Judas hin. Die »Auslieferung« durch Gott (Röm 4,25; 8,32, vgl. Jes 53,6.12) steht dabei im Hintergrund. Man kann das pared‡deto wegen der eindeutigen Zeitangabe kaum auf die ganze Passion beziehen. Die zog sich über den darauffolgenden Tag bis zur »neunten Stunde« hin (Mk 15,33). Das besondere Ärgernis ist »der Verrat« durch den eigenen Jünger. Diese Zeitsequenz entspricht im Grunde 1 Kor 15,3–5. 31 Zur
§ 6 Die Quellen
201
kurzen Randbemerkungen.34 Der zeitlich geordnete Bericht über Jesu Wirken, seinen Tod und seine Auferstehung gehört in die uns nahezu völlig unbekannte gemeindegründende Predigt (1 Kor 15,1–8). Es ist unsinnig zu glauben, der Apostel (und die anderen Heidenmissionare) hätten einen gekreuzigten Juden und Staatsverbrecher35 aus dem abgelegenen Galiläa als Messias, Gottessohn und Weltversöhner verkündigen können, ohne seinen jüdischen und heidnischen Hörern vom Leben, Wirken und Sterben dieses Jesus und der damit verbundenen Erfüllung der profetischen Verheißungen36 zu berichten. Wenn Paulus nach 1 Kor 2,2 in Korinth von nichts anderem wissen wollte als vom gekreuzigten Jesus Christus, so schließt dies den Bericht über Jesu Passion und Tod selbstverständlich mit ein. »Das Wort vom Kreuz« (¨ l·go“ toú stauroú, 1 Kor 1,18) konnte ohne Erzählung der Passionsgeschichte überhaupt nicht verständlich verkündigt werden! Ähnliches gilt von dem »Evangelium« in 1 Kor 15,3 f., das er als allererstes (†n pr„toi“) verkündigt oder besser erzählt hat; denn diesem Text liegt in äußerst verkürzter formelhafter Gestalt eine – christologisch interpretierende – Erzählung zugrunde. In Korinth wie in allen anderen neugegründeten Gemeinden wird man Paulus über diese Vorgänge die Seele aus dem Leib gefragt haben. Zur Predigt des gekreuzigten und auferstandenen Christus, der nicht nur eine »mythische, himmlische Gestalt«, sondern gerade als der »gekreuzigte Messias«, der CristÖ“ †staurwmfino“,37 eine konkrete menschliche Person – freilich von schlechterdings einzigartigem, »göttlichem Rang« (Phil 2,6–9) – war, die einen grausamen und schändlichen, abstoßenden Tod erlitt, gehörten auch Aussagen über dessen Person, Wirken und Schicksal. Man sollte Paulus noch keinen Doketismus unterstellen, als habe er die Menschheit Jesu nicht ernst genommen. 2 Kor 5,16 darf man in diesem Zusammenhang nicht mehr zitieren. Hier geht es nicht um »Christus nach dem Fleisch« (katÅ s›rka) im Sinne des Menschen Jesus,38 das heißt, es handelt sich bei dem katÅ s›rka nicht um ein Attribut Christi, sondern darum, daß Paulus einst als Verfolger »Christus auf fleischliche Weise« erkannt, man könnte auch sagen »verkannt« hatte, mit anderen Worten um eine klare adverbiale Bestimmung.39 Man wird dies Paulus 34 1 Thess
1,6.9; 2,1 f.; 1 Kor 1,16; 2,1–5; Phil 4,15. 1 Kor 2,8 sowie Tacitus u. S. 208 Anm. 71. 36 1 Kor 15,3 f., vgl. Röm 1,1–4; 9,4 f.; 1 Kor 10,1–11; Gal 3,13 f. etc. 37 1 Kor 1,23; 2,2; Gal 3,1. Zum abstoßenden Charakter der Kreuzigung s. u. S. 611 ff. 38 So Röm 9,5: †x ón (das heißt Israel) ¨ CristÖ“ ¨ katÅ s›rka, man beachte die Nachstellung genomfinou †k spfirmato“ DauÑd katÅ s›rka in Röm 1,3. Auch Röm 1,3 ist eine positive Aussage, ebenso Röm 4,1 zu Abraham. Beide Sätze sind für ihn nicht bedeutungslos! 39 2 Kor 5,16: e¢ kaÑ †gn„kamen katÅ s›rka Crist·n. Selbst R. Bultmann, Theologie, 239 gibt zu, daß die adverbiale Bedeutung »wahrscheinlicher« sei, verwischt dann aber diesen klaren Hinweis durch eine unsinnige Umkehrung: »denn ein katÅ s›rka gekannter Christus ist eben ein CristÖ“ katÅ s›rka.« S. schon ders., Glauben und Verstehen I, 185.259: »Der alte Streit, ob ›dem Fleische nach‹ zu ›Christus‹ oder zu ›wenn wir gekannt haben‹ gehört, ist gleichgültig« (185). Paulus meint in diesem Zusammenhang gerade nicht eine »menschliche 35 Vgl.
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II. Vorfragen zur Person und Geschichte Jesu
immer wieder vorgehalten haben. Die Ereignisse lagen für den Briefschreiber ja nur ca. zwei Jahrzehnte zurück. Augenzeugen waren noch in größerer Zahl vorhanden. In 1 Kor 15,6 spricht er von einer Erscheinung Jesu vor etwa »500 Brüdern auf einmal, von denen die Mehrzahl bis heute lebt«. Paulus hat die führenden Jesusjünger persönlich gekannt. Er nennt zehnmal Kephas-Petrus40 und viermal Jakobus, Jesu Bruder, und je einmal Johannes, »die Zwölf« und »die Brüder des Herrn«.41 In Galatien und Korinth wußte man genau, wer diese Leute waren: Paulus muß dort relativ ausführlich davon berichtet haben, sonst hätte es zum Beispiel in Korinth keine »Kephaspartei« gegeben. Vermutlich hat auch Kephas-Petrus die Gemeinde in Korinth nach ihrer Gründung durch den Heidenapostel besucht und dort einen starken Eindruck hinterlassen.42 Sollte Paulus dort zwar über Kephas, Jakobus und die anderen Jünger in vielfacher Weise geredet, über den Menschen Jesus jedoch geschwiegen haben? Man muß davon ausgehen, daß Kephas-Petrus, der Apostel für die Judenmission und nach dem Konflikt in Antiochien (Gal 2,11 ff.) auch Kontrahent des Paulus, als ehemaliger Sprecher der Jünger Jesu und Augenzeuge in sehr viel reicherem Maße über Jesustradition verfügte, darin Paulus überlegen war und daß er, unter anderem auch deshalb, von den Gegnern des Apostels in Korinth mehr geschätzt wurde. Bei der Kephaspartei in Korinth geht es nicht um die Persönlichkeit«, die »vergangen ist«, sondern ein zutiefst sündiges Erkennen Jesu, das an dem gekreuzigten Messias Jesus Anstoß nimmt. Jesus wurde ja nicht aus einem Menschen in einen Gott verwandelt. Er ist für Paulus schon der menschgewordene präexistente und als der Gekreuzigte erhöhte Gottessohn und Messias (Gal 4,4; 1 Kor 8,6; Phil 2,6 ff.); wie könnte da das Menschsein Jesu für ihn gleichgültig sein! Dazu Hengel, KS III, 261–301. Hier zeigt sich das christologische Defizit Bultmanns. P. Althaus, Das sogenannte Kerygma und der historische Jesus, BFChTh 48, Gütersloh 1963, 20 weist diesen Mißbrauch von 2 Kor 5,16 mit Recht zurück. Zum adverbialen Gebrauch von katÅ s›rka im 2. Korintherbrief s. 1,17; 10,2. Selbst Theissen / Merz, Jesus, 100 wollen noch in 2 Kor 5,16 eine Abwertung des Rückgriffs auf den historischen Jesus sehen: Diese Fehlinterpretation ist offenbar nicht auszurotten. S. dagegen jetzt E. Grässer, Der zweite Brief an die Korinther, ÖTK 8,1, 2002, 220 f. gegen Bultmann und Schweitzer: »Dieser falschen Verwendung unseres Verses wehrt allein schon die für den Apostel selbstverständliche Identität von erhöhtem Herrn und irdischem Jesus.« Hinter dem Satz steht ein wirklicher Vorwurf gegen Paulus, den der Apostel entschieden zurückweist. Er könnte von jenem Kreis her kommen, der nach 2 Kor 11,4 einen anderen Jesus und ein anderes Evangelium verkündet, das heißt vermutlich Abgesandte der Petrusmission, s. Hengel, Petrus, 116 f.121 f. Zum Problem vgl. O. Betz in: ders., Jesus, der Herr der Kirche, WUNT 52, Tübingen 1990, 114–128. 40 Beide Namen, der aramäische und der griechische, sind ihm bekannt; vgl. Gal 2,8. Das heißt, er wird auch die Umstände der Entstehung dieses Namens gekannt haben. Vermutlich spielt er in 1 Kor 3,11 darauf an, s. Hengel, Petrus, 25 ff. 41 1 Kor 9,5; 15,6 f. vgl. Gal 1 und 2. 42 Auf diese Weise würde sich die »Kephaspartei« 1 Kor 1,12 am besten erklären; s. auch Dionysios von Korinth in seinem Brief an Soter von Rom um 170 bei Euseb, h.e. 2,25,8: »beide haben in unserer Stadt Korinth die Pflanzung (1 Kor 3,6 ff.) begonnen.« S. dazu jetzt Hengel, Petrus, 25 ff.37 ff.56.106–118.
§ 6 Die Quellen
203
Gesetzesfrage, wie F. C. Baur und seine Schule meinten, sondern wohl eher um die Christusbeziehung,43 bei der die »Kephas-Anhänger« Paulus gegenüber den Jerusalemer Aposteln und hier vor allem gegenüber Kephas-Petrus abwerteten, weil er kein wirklicher Jünger Jesu und Augenzeuge gewesen sei. Dennoch hat Paulus auf Jesuserzählung und ‑überlieferung bei seiner Gemeindegründung ganz sicher nicht verzichtet. Er hätte sonst seinen Zuhörern bei der Gründung neuer Gemeinden Jesus als den Gekreuzigten, den am Fluchholz »Gehenkten«44, der das Verdammungsurteil des Gesetzes beseitigt, überhaupt nicht verkündigen können. Auch die Missionspredigten vor Juden und Heiden in der Apostelgeschichte enthalten eine – kompakt-rudimentäre – Erzählung von Wirken, Tod und Auferstehung Jesu, eng verbunden mit dem alttestamentlichen Schriftbeweis.45 Dahinter steht ein gewisses, von der Situation her notwendiges Schema, das noch den Aufbau des Markusevangeliums beherrscht, wo der Schwerpunkt ebenfalls bei der Passion liegt. Die Actareden des Lukas sind vom Autor nach älteren Vorbildern so gestaltet, wie sie in der Missionspredigt vor Juden und Heiden üblich waren. Man hat hier mit Recht auf das bekannte Geständnis des Thukydides über die Schwierigkeit der exakten Wiedergabe von Reden aus dem Gedächtnis hingewiesen: Er habe sie so formuliert, »wie meiner Meinung nach ein jeder in seiner Lage etwa sprechen müßte«,46 wobei Lukas diese »Redeentwürfe« aus Raumgründen stark verkürzte. Interessant ist, daß er selbstverständlich in seinen Actareden und ‑dialogen voraussetzt, daß das Wirken und Schicksal Jesu in Judäa allgemein bekannt war, selbst bei Cornelius und seinem Freundeskreis47 und bei König Agrippa II.: Diese Ereignisse sind »nicht in einem Winkel geschehen«48. Er gibt hier die geschichtliche Wirklichkeit zutreffend wieder. 43 Vgl.
1 Kor 1,12 f.; 2 Kor 10,7; 11,23. 3,13; vgl. Lukas in Apg 5,30; 10,39; 13,29 und dazu Dtn 21,23. 45 Da Lukas im Evangelium eine ausführliche Darstellung gebracht hatte, konnte er sich in den Kurzpredigten der Apostelgeschichte längere Ausführungen ersparen. Um so erstaunlicher ist es, wieviel er dort über Jesus berichtet. Wahrscheinlich wurde in den Jahrzehnten vor seinem Werk von ihm und den anderen Missionaren in ähnlicher Weise gepredigt. Am ausführlichsten kommt dies zum Ausdruck in der Petruspredigt vor Cornelius, seiner Familie und seinen Freunden (Cornelius bildet eine Parallele zu Theophilos, Lk 1,3), Apg 10,24.34–43; vgl. auch Petrus in Jerusalem zu Pfingsten 2,22 f. und 3,13 ff.; 4,10; 5,30 f.: Bei den Ansprachen vor den Juden setzt er das Wirken Jesu situationsgemäß als bekannt voraus und stellt Passion und Auferstehung in den Mittelpunkt; eine wesentliche Rolle spielt dabei der Schriftbeweis. S. auch den Hinweis auf die Augenzeugenschaft der Jünger 2,32; 4,20. Zu Paulus s. 13,23–31. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Erfüllung der Väterverheißungen und der Passion. Zum Problem Hengel, Lukasprolog. 46 Hist. 1,22,1. 47 Apg 10,37: ≠meõ“ o¥date tÖ gen·menon Øöma kaq’ Ωlh“ tö“ ûIouda‡a“. 48 Apg 26,26. Das †n gwn‡a mochte für die Betrachtung von Rom aus gelten, aber nicht für Judäa und Syrien. 44 Gal
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II. Vorfragen zur Person und Geschichte Jesu
Das eigentliche Rätsel der paulinischen Predigt, die wir ja nicht direkt kennen – Gelegenheitsbriefe, wo alles in äußerster Breviloquenz und bloßen Andeutungen gesagt werden muß, sind etwas anderes als ein jahrzehntelang geübter, freier mündlicher Vortrag49 –, ist, wie schon kurze Zeit nach Ostern, als noch zahlreiche Augenzeugen lebten, der gekreuzigte Galiläer Jesus von Nazareth als der zur Rechten Gottes Erhöhte, ja selbst als präexistenter Schöpfungsmittler verkündigt werden konnte. Dieser Vorgang ist einzigartig in der antiken Religionsgeschichte. Die zweite Frage ist, ob diese fast explosionsartige Entwicklung der Christologie irgendwelche Anhaltspunkte im Wirken Jesu hat oder ob sie dieser völlig widerspricht. Das letztere glaube, wer mag. Wir glauben es nicht.50 Die bereits bei Paulus sichtbare Tendenz der gelegentlichen Andeutungen auf wohlbekannte Jesustradition setzt sich in späteren Briefen fort. Der Hebräer brief 51 spielt auf die Verkündigung Jesu und auf seine Hörer an, die seine Botschaft »an uns« weitersagten, und erwähnt dabei die damit verbundenen Wunder (2,3 f.). Der unbekannte Autor erweist sich damit (wie Markus und Lukas) als Angehöriger der zweiten Generation. Der Eingangssatz des Briefes, daß Gott, nachdem er einst auf vielfältige Weise durch die Profeten geredet hatte, »am Ende dieser Tage zu uns durch den Sohn geredet habe«, schließt selbstverständlich die Verkündigung des irdischen Jesus mit ein. Dasselbe gilt von Hebr 12,2, wo Jesus als »Urheber und Vollender des Glaubens« bezeichnet wird, der »das Kreuz erduldete und die Schande gering achtete«. Der auctor ad Hebraeos erwähnt sowohl Jesu tiefe Anfechtung angesichts des bevorstehenden Todes, das heißt die Gethsemaneszene (5,7), als auch seinen Tod außerhalb der Tore Jerusalems (13,12). Auch er hat die Passionsgeschichte gekannt. Der Erste Clemensbrief gegen Ende des 1. Jahrhunderts, der den Hebräerbrief kennt, beruft sich mehrfach auf Worte des Kyrios, die mit der synoptischen Tradition verwandt sind52 und die vermutlich aus der katechetisch 49 Ein Beispiel gibt Lukas Apg 20,7 ff., vgl. 13,16–41 und 19,9 die Lehrvorträge des Apostels in der von ihm gemieteten Schule des Tyrannos von Ephesus mit der interessanten »novellistischen« Ergänzung von Codex D. 50 S. dazu Hengel / Schwemer, Anspruch. Vgl. auch Hengel, KS III, 240–260. S. weiter u. S. 498–548: § 17 Profet oder Messias? 51 Er ist noch vor dem ersten Clemensbrief, der ihn verwendet (das sah schon Euseb, h.e. 3,38,1), und vor der Paulusbriefsammlung, die ihn aufnimmt, ca. 75–85 oder aber ca. 60–66 n. Chr. entstanden. Das Datum vor der Zerstörung Jerusalems halten wir mit E. Bickerman, Studies in Jewish and Christian History, Part three, AGAJU 9, Leiden 1986, 336–349 (338), der mit Theodoret von Kyros auf 13,10 verweist, für wahrscheinlicher. Der Sammler der Paulusbriefe nahm ihn doch wohl als traditionelles, anerkanntes Schreiben in seine Sammlung auf, vielleicht weil er wußte, daß der Brief von einem Paulusschüler (oder einer Schülerin) stammte; s. A. v. Harnack, Probabilia über die Adresse und den Verfasser des Hebräerbriefs, ZNW 1 (1900), 16–41. 52 1 Clem 13,1–7, vgl. dazu Lk 6,31.36–38; Mt 5,7; 6,12.14; 7,1.12; weiter Polykarp, Phil 2,3 und Clemens Alexandrinus, strom. 2,91; 1 Clem 46,7 f., vgl. Mk 14,21 und 9,42; Lk 17,1 f.;
§ 6 Die Quellen
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fixierten mündlichen Gemeindeparänese stammen, aber auch schon die Kenntnis eines schriftlichen Evangeliums, etwa des Markus, voraussetzen können. Der Jakobusbrief enthält – ohne Hinweis auf den Ursprung – vielfach paränetische Jesusüberlieferung, zum Teil in altertümlicher, vormatthäischer Form.53 Ähnliches gilt von den Briefen des Ignatius, der den Bericht über die Taufe Jesu durch Johannes aus dem Matthäusevangelium kennt, dreimal Pontius Pilatus und einmal den Tetrarchen Herodes (Antipas) erwähnt, um die Annagelung des Gekreuzigten weiß und eine Auferstehungsgeschichte mit Petrus und den Jüngern erzählt.54 Wenn 1 Tim 6,13 etwa zeitgleich mit Ignatius von dem »guten Bekenntnis« spricht, das Jesus vor Pontius Pilatus »bezeugt hat«, dann spielt er auf Jesu Bekenntnis zu seinem messianischen Auftrag vor dem römischen Präfekten vielleicht schon in der erweiterten Tradition an, die auch hinter dem vierten Evangelium55 steht. Auffallend ist, daß Ignatius und die Pastoralbriefe den Doppelnamen Pontius Pilatus kennen, der uns nur noch Lk 3,1,56 Apg 4,27 und Mt 27,2 begegnet, wobei Matthäus den Namen bei Lukas gefunden haben könnte. Es werden hier in den Briefen des Neuen Testaments und der Apostolischen Väter, mehr oder weniger zufällig, vor und später neben den Evangelien Spuren eines mündlichen Überlieferungsstromes sichtbar, der sich weit bis ins 2. Jahrhundert hinein nachweisen läßt, sich dabei mehr und mehr mit Traditionen aus schriftlichen Evangelien vermischt und – wie das Werk des Papias um 130 und die »apokryphen« Evangelien, etwa das Thomas‑ und Petrusevangelium, zeigen – allmählich verwildert.57
Mt 26,24; 18,6 f.; 1 Clem 24,5, vgl. Mk 4,3 parr.; s. auch das mit Mk 7,6 (Mt 15,8) verwandte Jesajazitat 29,13 in 1 Clem 24,5. S. D. A. Hagner, The Use of the Old and New Testaments in Clement of Rome, NT.S 34, Leiden 1973. 53 S. z. B. P. J. Hartin, James and the Q Sayings of Jesus, JSNT.S 74, Sheffield 1991. Chr. Burchard, Der Jakobusbrief, HNT 15 / I, Tübingen 2000, 17 f.: »Wer den Gehalt an Jesusüberlieferung hoch einschätzt, sollte … Jak zu den Quellen für die Jesusforschung rechnen« (18). Zur Datierung s. o. S. 8 Anm. 22 und Hengel, KS III, 511–548, der eine Echtheit des Briefes als antipaulinische Polemik erwägt. Seine Entstehung müßte dann etwa zwischen 60 und 62 n. Chr. liegen. 54 IgnEph 11,1 = Mt 3,7; Sm 1,1 = Mt 3,15; Pol 2,2 = Mt 10,16; Eph 14,2 = Mt 12,33; Pontius Pilatus: Magn 11,1; Trall 9,1; Pontius Pilatus, der Tetrarch Herodes (vgl. Lk 3,1; 23,6 ff.) und Annagelung: IgnSm 1,1 f.; Erscheinung des Auferstandenen: IgnSm 3,1, vgl. Lk 24,39–43 und Apg 1,4; 10,41. Vermutlich kannte er schon, wie auch die Pastoralbriefe, das lukanische Werk. 55 Joh 18,29–19,19; zum Stichwort martureõn s. 18,37. Dazu H. Stettler, Die Christologie der Pastoralbriefe, WUNT II / 105, Tübingen 1998, 118–122. 56 Dort wie bei IgnSm 1,1 f. zusammen mit dem Tetrarchen Herodes. Zu letzterem s. Lk 3,19; 9,7; Apg 13,1 und (von Lukas übernommen) Mt 14,1. 57 Dazu Hengel, Gospels, 57–73.116–141. Zum Thomasevangelium s. Schröter, Erinnerung.
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II. Vorfragen zur Person und Geschichte Jesu
6.3 Außerchristliche Zeugnisse58 Aufgrund der Tatsache, daß das Urchristentum zunächst für die römischen Behörden eine absonderliche jüdische Sekte von Schwärmern aus einer abgelegenen Provinz war,59 in der man erst allmählich eine Gefahr witterte, ist es verständlich, daß es in den uns erhaltenen jüdischen oder paganen römischgriechischen Quellen des 1. und 2. Jahrhunderts nur am Rande erscheint. Man hatte anderes zu berichten. Dennoch zeigt ein Vergleich mit anderen Persönlichkeiten der antiken Welt, die keine eigenen schriftlichen Zeugnisse hinterlassen haben, daß die Historizität Jesu erstaunlich gut bezeugt ist: Wenn seit der radikalen Tendenzkritik des vorigen Jahrhunderts, etwa bei Bruno Bauer und bis hin zu Augsteins »Jesus-Menschensohn«60, immer wieder die Geschichtlichkeit Jesu ganz oder halbherzig bezweifelt wurde, so deutet dies nur auf einen völligen Mangel an historisch-kritischem Denken hin. Gerne wird im Streit um Jesus die Behauptung aufgestellt, daß wir ja nur christliche, das heißt durchweg tendenziöse und daher unzuverlässige Zeugnisse besäßen, und dabei übersehen, daß es in den ersten 150 Jahren des Christentums61 für antike Verhältnisse eine beträchtliche Zahl sehr verschiedenartiger nichtchristlicher Zeugnisse gibt. Auch das Urteil von John Bowden, »that their information could easily be written on a postcard and they do not tell us anything of substantial interest«62, ist so etwas zu einseitig. In seinen um 93/94 veröffentlichten »Jüdischen Altertümern« (ûIoudaÂkÉ ürcaiolog‡a), deren 20 Bücher von der Weltschöpfung (Gen 1,1) bis zur Zeit unmittelbar vor Ausbruch des Jüdischen Krieges reichen, erwähnt der jüdische 58 Zum Testimonium Flavianum: Eisler, IHSOUS; Josephus LCL, Bd. IX (= Ant. 18–20), ed. L. H. Feldman, 1965, S. 48 f.; NTApo5 I, 387 f.; Bammel, Judaica, 186 ff. (mit nur drei kleinen Änderungen); L. H. Feldman, Josephus in Modern Scholarship (1937–1980), Berlin / New York 1984, 679–703.951 f.; Theissen / Merz, Jesus, 74–82; S. Bardet, Testimonium (o. S. 82 Anm. 232). Zu den anderen Zeugnissen s. Aufhauser, Zeugnisse; Windisch, Problem 1; Klausner, Jesus, 15–87; Theissen / Merz, Jesus, 73–99; Hengel, KS III, 418–426; ders., Leser. 59 In Judäa hielten die Römer sie mit Recht für politisch ungefährlich. Darum haben Pilatus und seine Nachfolger sie im Gegensatz zu den sadduzäischen Volksführern nicht verfolgt. Erst zu Beginn des 2. Jahrhunderts hören wir von einer Verfolgung von Christen in Judäa durch römische Behörden, s. Euseb, h.e. 3,32,1–3 nach Hegesipp: das Martyrium des Bischofs Symeon von Jerusalem unter einem Prokonsul Attikus, der ca. 99/100–102/103 in Judäa amtierte; vgl. Schürer I, 516. Eliezer ben Hyrkanos soll um 90 n. Chr. wegen des Verdachts, er sei ein Judenchrist, vor die römische Behörde zitiert worden sein, s. u. S. 213 Anm. 102 f. 60 Dazu M. Hengel, EvKomm 11 (1972), 666–670; und zur Neubearbeitung 1999 ders., ThBeitr 32 (2001), 158–163, beides jetzt in: Jesus und die Evangelien. KS V, WUNT 211, 306–315 und 316–322. In der Neubearbeitung schwächt Augstein seine These erheblich ab. S. auch o. S. 179 f. 61 Zu dem vergleichbaren Zeitraum s. o. S. 195–198. 62 Jesus, 34.
§ 6 Die Quellen
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Historiker, Jerusalemer Priester und kaiserliche Freigelassene Josephus63 zweimal die Person Jesu. Im letzten Buch ant. 20,200 berichtet er von der Hinrichtung des Jakobus, des Bruders »des sogenannten Christus«. Der Hohepriester Hannas II. (der Sohn des Hannas der Leidensgeschichte) habe Jakobus zusammen mit einer größeren Zahl von Judenchristen als »Gesetzesbrecher« zum Tod durch Steinigung verurteilen lassen.64 Mit der neutralen Formel toú legomfinou Cristoú weist Josephus zurück auf eine frühere Erwähnung im Zusammenhang seiner Darstellung der Wirksamkeit des Pilatus, das Testimonium Flavianum,65 das freilich umstritten war, da man es für eine Fälschung hielt. Heute, nach eingehenden sprachlichen Analysen, neigt man dazu anzunehmen, daß die ursprünglich eher negative Charakterisierung Jesu bei Josephus durch einen christlichen Abschreiber mit Hilfe leichter Retuschen in eine positive verwandelt wurde, das heißt, daß der wesentliche Bestand echt ist. Man hat mehrfach versucht, durch wenige Änderungen die ursprüngliche Form zu rekonstruieren, jetzt wieder G. Theißen im Anschluß an W. Bienert und R. Eisler.66 Für die Ursprünglichkeit einer solchen Jesusnotiz bei Josephus sprechen mehrere Argumente: so vor allem, daß der Jesus-Bericht des Josephus67 historisch zutreffend eingeordnet auf zwei Berichte von jüdischen Unruhen zur Zeit des Pilatus68 folgt. Jesus erscheint dadurch als Unruhestifter. Darüber hinaus lassen sich die christlichen »Korrekturen« leicht beseitigen. R. Eisler vermutete, daß man ein ursprünglich negatives sofistÉ“ ünflr in ein sofÖ“ ünflr verwandelt und aus einem üphg›geto, »er verführte«, ein positives †phg›geto gemacht hat. Josephus habe Jesus ursprünglich als einen Volksverführer dargestellt. Andere Formulierungen blieben unverändert, so der Hinweis auf seine »außergewöhnlichen Taten« (par›doxa ≤rga) und seine Tätigkeit als Lehrer (did›skalo“ ünqr„pwn), vor allem aber die entscheidende Aussage: »und als auf eine Anzeige unserer Volksführer Pilatus ihn zur Kreuzigung verurteilt hatte, hörten seine früheren Anhänger nicht auf …«. Ähnliches gilt von dem Schlußsatz: »Bis heute hat diese nach ihm benannte Sippschaft (tÖ fúlon) der Christianoi nicht aufgehört zu existieren.« Für die Echtheit dieses Grundbestandes spricht die Übereinstimmung mit dem Stil des Josephus. Daß Josephus nur wenig über 63 Zu
Person und Werk s. o. S. 39 ff. 62 n. Chr.; Hengel, KS III, 551 ff.; vgl. o. S. 102 f. 65 Ant. 18,63 f. 66 S. o. S. 82. Vgl. auch R. E. van Voorst, Jesus Outside the New Testament, Grand Rapids (Mich.) / Cambridge 2000, 103 f. 67 Ant. 18,63 f. 68 Ant. 18,55–62: die Kaisermedaillons in den Feldzeichen beim Einzug der Kohorten in die Antonia und die Inanspruchnahme des Tempelschatzes für die Wiederherstellung der Wasserversorgung von Jerusalem. Es folgen religiöse Betrügereien von Isispriestern und zwei Juden in Rom (18,65 ff.) mit der Kreuzigung der Schuldigen (18,79) und die Unruhen in Samarien, die zur Absetzung des Pilatus führen (18,85–87). 64 Ca.
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II. Vorfragen zur Person und Geschichte Jesu
Jesus und die Christen sagt, nimmt nicht wunder, er schweigt ebenso über den essenischen Lehrer der Gerechtigkeit wie auch über die berühmtesten frühen pharisäischen Lehrer Simeon ben Schetach, Hillel, Schammai oder Jochanan ben Zakkai.69 Etwa um 116/117 beschreibt Tacitus70 mit tiefer Verachtung für ihren »abscheulichen Aberglauben« die Verfolgung der »Chrestiani« durch Nero in Rom 64 n. Chr. Dabei geht er auch auf den Begründer dieses Aberglaubens ein: »Der Urheber der so benannten Sekte, Christus, wurde unter der Herrschaft des Tiberius
durch den Prokurator Pontius Pilatus mit dem Tode bestraft; für den Augenblick unterdrückt, brach dieser abscheuliche Aberglaube jedoch wieder hervor, nicht nur in Judäa, dem Ursprungsort dieses Übels, sondern auch in Rom, wo alle Abscheulichkeiten und Schändlichkeiten von überallher zusammenströmen und gefeiert werden.«71
Vermutlich hat Tacitus als römischer Prokonsul unter Trajan (112 n. Chr.) in der Provinz Asia die Christen näher kennengelernt und Prozesse gegen sie geführt. Er sieht in ihnen »Verbrecher, die die härtesten Strafen verdient haben«.72 Etwa gleichzeitig hat auch sein Freund Plinius in Bithynien / Pontus die dortigen Christen verfolgt. Wie Josephus setzt Tacitus selbstverständlich die Realität der Hinrichtung Jesu voraus, und er weiß, daß sie unter dem Prokurator Pontius Pilatus in Judäa geschah. Leider fehlen in den Annalen nicht nur die Bücher 7–10, die Zeit vom Tode des Tiberius (16.3. 37 n. Chr.) bis zur Mitte der Regierungszeit des Claudius (bis ca. 47), sondern auch der größte Teil des 5. Buches über die Jahre 29 bis Herbst 31. Es ist möglich, daß Tacitus darin kurz über den Tod Jesu und vielleicht auch über die Christen berichtet hatte und dieser Bericht so negativ war, daß diese Teile seines Werks nicht überliefert wurden. Nach Sulpicius Severus, der die bis auf Buch 1–5 verlorenen Historien ausschreibt, soll Titus im Kriegsrat für die Zerstörung des Tempels eingetreten sein, weil dadurch mit den Juden auch die Christen ausgerottet würden.73 69 Er nennt nur einen führenden Pharisäer Samaias aus der Frühzeit des Herodes ant. 14,172– 176 und dessen Schüler Pollion 15,3 f.370, s. o. S. 49 Anm. 54 und S. 66. Auch Gamaliel, der berühmteste Schriftgelehrte im zweiten Viertel des 1. Jahrhunderts und Lehrer des Paulus (Apg 22,3; vgl. 5,34), wird nur als Vater seines Sohnes Simeon bell. 4,159 und vita 190 genannt. Von seiner Bedeutung sagt er kein Wort. S. dazu o. S. 154 Anm. 152. 70 Ann. 15,44. 71 15,44,3: Auctor nominis eius Christus Tiberio imperitante per procuratorem Pontium Pilatum supplicio adfectus erat; repressaque in praesens exitiabilis superstitio rursum erumpebat, non modo per Iudaeam, originem eius mali, sed per urbem etiam, quo cuncta undique atrocia aut pudenda confluunt celebranturque. 72 15,44,5: sontes et novissima exempla meritos. Vgl. Schwemer, Passion, 134 ff. 73 Sulpicius Severus, Chronica 2,30,6 f.; s. dazu Stern, GLAJJ II, 64 ff. mit Kommentar. Hier ist die Frage, ob der Hinweis auf die Christen auf Tacitus zurückgeht oder von dem christlichen Autor hinzugefügt wurde. Letzteres muß nicht unbedingt der Fall sein. Die Christen betrachteten ja die Tempelzerstörung später eher als ein Positivum und als Strafe für die Juden. Vgl. dazu Hengel, KS III, 418 ff.
§ 6 Die Quellen
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Kurz zuvor, um ca. 110/111, schreibt der jüngere Plinius den berühmten Brief an Trajan.74 Er geht nicht weiter auf den Ursprung der Sekte ein, sondern betont nur, daß er bei den Verhören in den Christenprozessen erfahren hätte, daß diese an einem bestimmten Tag vor Tagesanbruch zusammenkommen, um Christus, als sei er ein Gott, Hymnen zu singen.75 Er selbst fordert von den Delinquenten, daß sie den Göttern opferten und diesen Christus verfluchten.76 In dem Brief wird als selbstverständlich vorausgesetzt, daß der Kaiser weiß, wer dieser Christus war. Die Verfluchung dieses gekreuzigten Staatsverbrechers entsprach der Staatsräson und war zugleich ein Zeichen dafür, daß der Delinquent mit diesem »verwerflichen, maßlosen Aberglauben«77 gebrochen hatte. Kurze Zeit nach Tacitus erwähnt auch Sueton78 die neronische Verfolgung der Christen, spricht aber nicht über den Begründer »dieses neuen und verfluchten Aberglaubens«79; sehr wahrscheinlich erwähnt er ihn jedoch schon vorher in seinem Claudiusbericht: Claudius habe die Juden, die auf Veranlassung eines gewissen Chrestos ständig Unruhen anstifteten, aus Rom vertrieben.80 Da Christus ein für griechische Ohren unverständlicher Name war,81 verstanden ihn griechische Hörer wegen des Itazismus, in dem éta als ¢ùta ausgesprochen wird, im Sinne von »Chrēstos«82, einem beliebten Sklavennamen. Tacitus schreibt deshalb in den Annalen 15,44,2 Chrestiani.83 Auch Tertullian, apol. 3,5, bestätigt diese Fehldeutung. Bei der Claudiusnotiz Suetons wird wohl auf Unruhen in den jüdischen Synagogengemeinden in Rom in der Zeit etwa um 47/49 n. Chr. angespielt, die durch das Eindringen der Christusbotschaft verursacht wurden und, wie Lukas in Apg 18,2 bezeugt, zur Ausweisung der Unruhestifter führten. Alle diese Nachrichten präsentieren uns zugleich das historische Grundproblem der Christologie: Wie konnte aus einem am Kreuz 74 Ep. 10,96.
carmenque Christo quasi deo dicere. maledicerent Christo; dasselbe fordert Bar Kochba von den Judenchristen bei Justin, apol. I, 31,6. 77 96,8: superstitionem pravam, immodicam. 78 Nero 16,3. 79 Superstitio nova ac malefica. Maleficus kann auch die Bedeutung von magisch haben. 80 Claud. 25,3, vgl. Apg 18,2; s. dazu ausführlich Riesner, Paulus, 139–180 und H. Boter mann, Das Judenedikt des Kaisers Claudius, Hermes.E 71, Stuttgart 1996. 81 Man kannte im Griechischen außerhalb der Septuaginta und verwandter Texte nur das Verbaladjektiv im Sinne von »aufstreichbar, aufgestrichen, gesalbt« bzw. das Substantiv im Neutrum »Salbe, Aufstreichmittel«. W. Grundmann, ThWNT IX, 485; vgl. LSJ, 2007; s. auch 1170: ne·cristo“ / on »newly plastered«. Als Bezeichnung einer Person im Sinne von »der Gesalbte« war es völlig unbekannt. S. dazu u. S. 633 Anm. 34. 82 »Der Brave, Brauchbare, Rechtschaffene«. 83 Ann. 15,44,2; vielleicht in leichter Ironie: Das Volk habe die wegen Verbrechen verhaßten (»propter flagitia invisos«) Chrestiani, das heißt ›Anhänger eines Rechtschaffenen‹ genannt. Zum Christustitel und ‑namen s. Hengel, KS III, 240–261; zu den »Christianoi« Hengel / Schwemer, Paulus, 340–356. 75 96,7: 76 96,5:
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II. Vorfragen zur Person und Geschichte Jesu
hingerichteten jüdischen Verbrecher ein Gott werden? Wie kommt es zu diesem »Skandalon«84 für Juden, Griechen und Römer? In der Mitte des 2. Jahrhunderts erfahren wir aus der Feder Lukians von dem in Palästina gekreuzigten »Sophisten« und den von ihm gegebenen Gesetzen,85 während der Arzt Galen mehrfach Moses und Christus als Lehrer nebeneinanderstellt, die beide für ihre Lehren Glauben fordern. Darüber hinaus betont er das ethische Leben und die Todesverachtung der Christen.86 Hier wie dort begegnen wir Christus als autoritativem Lehrer. Ein früheres Zeugnis ist das des Epiktet (ca. 50–130), der in seinen durch Arrian vermittelten Diatriben von den »Galiläern« spricht, bei denen Wahnsinn oder Gewohnheit und nicht Vernunft die Freiheit von Todesfurcht bewirkte. Dies deutet darauf hin, daß er wußte, daß die Christen auf einen Galiläer und seine galiläischen Schüler zurückgehen.87 Auch der Philosoph Numenios (zweite Hälfte des 2. Jahrhunderts), der sich unter anderem für jüdische Traditionen und die Septuaginta interessierte, soll nach Origenes, c. Celsum 4,51, eine Jesusgeschichte erzählt und allegorisch ausgelegt haben, freilich ohne Jesu Namen zu nennen. Viel zuwenig bedacht ist schließlich in der Forschung der wirkliche oder fiktive jüdische Gewährsmann des Celsus88 in dessen Schrift gegen die Christen um 170, der nicht nur alle Evangelien kennt,89 sondern so etwas wie ein jüdisches »Antievangelium« voraussetzt, der von der Verstoßung der Mutter Jesu wegen Ehebruchs mit dem Soldaten Panthera90 weiß, Jesus als Räuberhauptmann darstellt und von dessen Zauberkünsten berichtet, die er in Ägypten gelernt habe; es handelt sich um Überlieferungen, deren erste Spuren bei Matthäus angedeutet werden91 und die 84 Vgl.
1 Kor 1,23; vgl. Gal 5,11; 6,12; Phil 3,18 f. Peregr. 11–13.16. Vermutlich spielt er auch bei der Schilderung der Selbsttötung des Peregrinus Proteus in Olympia (167 n. Chr.) auf die Passionsgeschichte an. Peregrinus wird selbst in Palästina und Syrien eine Zeitlang Christ und Gemeindeleiter, legt die Bücher der Christen (das heißt wohl vor allem die Evangelien) aus und läßt sich im Gefängnis von ihnen versorgen. Dagegen bezeichnet »Alexander der Lügenprofet« die Christen als ±qeoi (Alex. 25.38). Auch im Philopseudes scheint Lukian christliche Wunder zu kennen; s. Hengel, Leser, 103. 86 W. den Boer, Scriptorum paganorum I–IV Saec. de Christianis Testimonia, Textus Minores II, Leiden 21965, 12; R. Walzer, Galen on Jews and Christians, Oxford 1949; Hengel, Leser, 101 f. 87 Diss. 4,7,6; Hengel, Leser, 106 ff. Zur man‡a vgl. Justin, apol. I, 13,4 und die Vorwürfe der amentia bei Plinius d. J., ep. 10,96,4 und der yilÉ par›taxi“ bei Mark Aurel 11,32. Zu den »Galiläern« s. Mk 14,70 = Lk 22,59 = Mt 26,69; vgl. Lk 23,6; Mt 26,71; Apg 1,11; 2,7; s. auch u. S. 345. 88 Vgl. Bammel, Judaica, 265–283; zu Celsus und der Jesustradition s. Cook, Interpretation, 26–31. 89 Auch der Jude Tryphon kennt die Lehren der Christen über Jesus, ja, er hat das Evangelium des Matthäus (und hier vor allem die Bergpredigt) gelesen (Justin, dial. 10,2) und ist von seinen rigorosen, unhaltbaren Forderungen beeindruckt. 90 Origenes, c. Celsum 1,32 f.69; weitere Belege u. S. 284 Anm. 53. 91 Mt 2,15; 28,11–15; vgl. auch Tertullian, de spectaculis 30,5 f. 85 Lukian,
§ 6 Die Quellen
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uns viel später phantastisch ausgemalt in den Toledot Jeschu begegnen.92 Bereits diese verschiedenartigen nichtchristlichen Nachrichtensplitter weisen auf einige wesentliche Grundlinien hin; sie könnten, auch wenn wir nur sie besäßen, in einer Enzyklopädie wie Pauly-Wissowa mehrere Spalten beanspruchen. Ein weiteres, weniger bekanntes Zeugnis ist der syrisch erhaltene Brief des Mara bar Sarapion, der freilich kaum vor der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts angesetzt werden darf, da sich keine frühere syrische Literatur nachweisen läßt.93 Wenn ihm ein griechischer Text zugrunde liegen sollte, könnte er älter sein. Der Verfasser schreibt darin an seinen Sohn, vermutlich im Zusammenhang mit dem Leiden der Bevölkerung von Samosata bei der Besetzung der Kommagene durch Vespasian 72 n. Chr., und erwähnt die Juden, die Verwüstung und Vertreibung erlitten, weil sie ihren weisen König töteten, so wie die Athener für den Tod des Sokrates bestraft wurden. Sokrates lebe durch Plato weiter und »der weise König der Juden wegen des neuen Gesetzes, das er gegeben hat«. Der Brief ist von einem Stoiker geschrieben, der dem Christentum positiv gegenübersteht.94 Nach dem christlichen Universalgelehrten und Chronographen Julius Africanus, der Bibliothekar des Kaisers Alexander Severus war, soll der samaritanische (?) Freigelassene des Tiberius, Thallos, in seiner Weltgeschichte die durch ein Wunder bewirkte Finsternis bei der Kreuzigung Jesu auf natürliche Weise als Sonnenfinsternis erklärt haben. Da diese Identifikation auf einer Konjektur bei Josephus beruht, ist sie jedoch kaum tragfähig.95 Phlegon von Tralles, ein an Wundergeschichten interessierter Historiker und Freigelassener Hadrians (117–138 n. Chr.), identifizierte diese Finsternis vermutlich mit der am 92 Origenes, c. Celsum 1,28–2,79; s. dazu R. Bader, Der ALHQHS LOGOS des Kelsos, Stuttgart / Berlin 1940, 52–84. W. Horbury, Jews and Christians in Contact and Controversy, Edinburgh 1998, 162–175; grundlegend jetzt Cook, Interpretation, 17–102. Zu den Toledot Jeschu s. Samuel Krauss, Das Leben Jesu nach jüdischen Quellen, Berlin 1902 (Nachdruck Hildesheim 1977); G. Schlichting, Ein jüdisches Leben Jesu, WUNT 24, Tübingen 1982. Zu Jesus in der talmudischen Literatur s. u. S. 212 f. 93 Sie beginnt erst mit Tatians Diatessaron und Bardesanes; s. A. Baumstark, Geschichte der syrischen Literatur, Bonn 1922; S. P. Brock, Art. Syrische christliche Literatur, RGG4 7, 2004, 2002 ff. 94 W. Cureton, Spicilegium Syriacum, London 1855, 43; Übersetzung bei Aufhauser, Zeugnisse, 2.5–11; vgl. Theissen / Merz, Jesus, 84–86, die den Brief zu früh ansetzen. Die Vertreibung der Juden aus ihrer Heimat könnte sich auch auf die Folgen des Bar Kochba-Aufstandes 132–136 beziehen. Das »neue Gesetz« weist auf Matthäus und die Apologeten hin. Mit Recht heben Theissen / Merz eine »deutliche Außenperspektive in der Bewertung Jesu und des Christentums« hervor (85, Hervorhebung G. T. / A. M.). 95 Jacoby, FGrH 256 F 1 = Syncellus, ed. A. Mosshammer, Bibliotheca Teubneriana, 1984, 391 und Josephus, ant. 18,167: conj. Hudson Q›llo“ statt ±llo“ Samare‚“, positiv Windisch, Problem 1, 285 ff.; Theissen / Merz, Jesus, 91. Mit Recht kritisch ist dagegen der Kommentar von Jacoby (FGrH, S. 635 ff.). Die Sonnenfinsternis wurde nach Origenes, c. Celsum 2,33.59 und anderen (s. FGrH 257, F 16) auch von Phlegon berichtet, der wahrscheinlich Lk 23,44 kannte. S. dazu Hengel, Leser, 110–115.
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24. 11. 29 n. Chr., das heißt im 15. Jahr des Tiberius, stattgefundenen Eklipse der Sonne. Er scheint nach Origenes zudem in konfuser Weise von eingetroffenen Voraussagen Jesu über Petrus (bzw. von Petrus) berichtet zu haben,96 während eine Generation später Celsus nur von den Wundern Jesu erzählt und diese dessen magischen Künsten zuschreibt. Phlegon könnte so der erste Heide sein, der eine Kenntnis von Aussagen der Evangelien besaß. Auch sein Zeitgenosse, der berühmte Rhetor M. Cornelius Fronto, der Erzieher Mark Aurels, erging sich in scheußlichen Anklagen gegen die Christen und hat dabei wohl deren Stifter eingeschlossen.97 Eine ganz andere Gattung sind die relativ zahlreichen – im einzelnen freilich nicht unumstrittenen, zum Teil verzerrten – talmudischen Jesuszeugnisse, deren älteste Traditionen ebenfalls bis in das Ende des 1. bzw. an den Anfang des 2. Jahrhunderts zurückgehen können.98 Wir nennen nur die wichtigsten Beispiele. Sie sind alle verständlicherweise schroff antichristlich. Jesus erscheint als eine »Unperson«, deren Namen man gerne umschreibt: Er sei, wie der Gewährsmann des Celsus behauptete, der uneheliche Sohn Marias, sein Vater sei ein gewisser Panthera gewesen.99 Nach einer alten Tradition (Baraita) aus dem babylonischen Talmud100 »wurde Jesus, der nôsrî,101 von einem jüdischen Gerichtshof verurteilt und am Vorabend des Passafestes gesteinigt und aufgehängt, … weil er Zauberei getrieben, Israel verleitet und abtrünnig gemacht hat«. Auch fünf Jünger Jesu, Matthai, Naqaj, Neser, Buni und Thoda, seien hingerichtet worden. Der berühmte und eigenwillige frührabbinische Lehrer Eliezer ben Hyrkanos soll etwa um 90 n. Chr. von der römischen Behörde angeklagt worden sein, er sei Judenchrist, 96 C. Celsum 2,14 = FGrH 257, F 16d: »im 13. oder 14. Buch der Chroniken … gestand er Christus das Vorauswissen (pr·gnwsin) über gewisse zukünftige Ereignisse zu; er brachte freilich Dinge, die Petrus betrafen, mit solchen, die sich auf Christus beziehen, durcheinander (sugcuqe‡“), er bezeugt aber, daß das von Jesus gesagte Wort wörtlich eingetroffen sei.« Es ist vermutlich der früheste Hinweis eines heidnischen Autors auf einen Evangelientext, vgl. Mk 8,31 ff.; 14,29 f.; Joh 13,36 ff.; 21,18 ff. Nach Photius, bibl. 97,1–5 (FGrH 257 T 3) war er ein erbärmlicher Schreiberling, der vor allem an sensationellen Orakeln interessiert war. In seinem Milieu konnten auch die Evangelien Aufmerksamkeit erregen. Möglicherweise hat er über die Passion Jesu oder das Martyrium des Petrus berichtet. S. dazu Hengel, Leser, 110–115. 97 Minucius Felix, Oct. 9,6; 31,2 (Fronto wurde etwa zwischen 100 und 110 im afrikanischen Cirta geboren). Zur selben Zeit traten die ersten christlichen Religionsphilosophen und Apologeten auf und bezeugten das Interesse der Gebildeten an der neuen Religion. Die Streitschrift des Celsus ist wohl eine Antwort auf dieselben. 98 Strack, Jesus; Klausner, Jesus, 17–66. Dagegen urteilt J. Maier, Jesus von Nazareth in der talmudischen Überlieferung, EdF 82, Darmstadt 1978, extrem negativ und damit apologetisch und ohne wirkliches historisches Verständnis für diese eigenartigen Texte. Grundlegend jetzt Schäfer, Jesus. 99 S. o. S. 210 und u. S. 283–291 zur Familie Jesu. Zum Namen Panthera s. auch Celsus (o. S. 210 Anm. 90) und u. S. 283 f. Anm. 52 f. zur Familie Jesu. 100 bSan 43a; Strack, Jesus, 18* § 1a) und 43*f. § 13. S. dazu Schäfer, Jesus, 63–74. 101 Nôsrîm war die gängige jüdische Bezeichnung für die Christen, abgeleitet von dem Herkunftsort Jesu, Nazareth. H. H. Schaeder, ThWNT IV, 879–884. S. u. S. 280 f.
§ 6 Die Quellen
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da er früher positive Kontakte mit Judenchristen, besonders einem Jakob aus Sichnin, besaß102 und unter anderem eine Gesetzesauslegung des Jesus ben Panthera positiv beurteilt habe.103 Aus etwas späterer Zeit, um 100 n. Chr., stammt die Nachricht, daß ein berühmter Rabbi seinen Neffen, der von einer Schlange gebissen worden war, lieber sterben lassen wollte, als daß er duldete, daß ein (anderer?) charismatischer Judenchrist, Jakob aus Kefar Sama, den Verletzten im Namen des »Jeschua ben Panthera« heile.104 Die – klügere – Frau des Eliezer ben Hyrkanos, Imma Shalom, die Schwester R. Gamaliels II., der zwischen 90 und 110 die höchste schriftgelehrte Autorität und Haupt des Lehrhauses von Jabne war, soll zusammen mit ihrem Bruder einen (judenchristlichen) »Philosophen«, der sich auf Mt 5,17 berief, der Bestechlichkeit überführt haben.105 Diese Erzählungen über bekannte frührabbinische Lehrer mögen legendären Charakter haben, sie geben uns jedoch, ausgehend von einer erbitterten Feindschaft, einen Einblick in das teilweise zunächst immer noch ambivalente Verhältnis einzelner tannaitischer Lehrer zum Judenchristentum und zu Jesus selbst. Diese zufälligen, überwiegend polemischen außerchristlichen Nachrichten über Jesus und das früheste Christentum machen an sich schon die Historizität Jesu gewiß. Er erscheint als umstrittener jüdischer Lehrer, der von Pontius Pilatus wegen Verbrechen gegen den römischen Staat bzw. als falscher Profet und Verführer hingerichtet wurde und eine allseits bekannte, gemeingefährliche Sekte begründete. Die bis heute nicht verstummende Polemik, bei der Jesusüberlieferung handle es sich um Fälschungen früher christlicher Kreise, scheitert schon an der Vielfältigkeit dieser nichtchristlichen Traditionen, die ursprünglich reicher waren, aber weitgehend verlorengingen, weil man sie auf christlicher Seite nicht überlieferte. Dies gilt zum Beispiel auch für die kaiserlichen Erlasse gegen Christen.106 Man muß bedenken, wie wenig die antike Welt zunächst an den Vorgängen im abgelegenen Galiläa oder Judäa interessiert war. Weiter muß man beachten, daß man in den Kreisen der Gebildeten über 200 Jahre lang die 102 Klausner, Jesus, 48 f., vermutet hier (zu Unrecht) den Herrenbruder Jakobus; doch könnte es sich um einen späteren Herrenverwandten handeln. Hegesipp nennt einen Jakobus als Großneffen Jesu und Enkel des Jesusbruders Judas (nach einem Fragment aus der Kirchengeschichte des Philippus von Side, Text bei E. Preuschen, Antilegomena, Gießen 1905, 111 Z. 17), der wegen seines Zeugnisses vor Domitian zusammen mit seinem Bruder Zoker bei den Judenchristen in Galiläa hoch angesehen war. Vgl. Euseb, h.e. 3,20,1–6; 3,32,5 f. S. u. S. 290 f. zur Familie Jesu. 103 tChul 2,24; bAZ 17a; Strack, Jesus, 23*f. § 4. Die Jesus-Halacha leitet dieser Jakob nach dem Babli mit der Formel ein: »So lehrte mich Jesus der nôsrî (Tosefta: ben Panterî).« Der Vorgang soll sich am oberen Markt in Sepphoris abgespielt haben. 104 tChul 2,22 f.; Strack, Jesus, 21* § 3; vgl. yShab 14,4; Strack, Jesus, 45* § 19. 105 bShab 116a / b; Strack, Jesus, 19*ff. § 2. 106 Nach Laktanz, inst. 5,11,19 sammelte Domitius Ulpianus am Anfang des 3. Jahrhunderts im 7. Buch seines Werkes »De officio proconsulis« die rescripta principum nefaria gegen die Christen. Diese Sammlung ist uns – verständlicherweise – nicht erhalten.
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Existenz der Christen gerne totschwieg. Dies gilt auch für die talmudische Tradition. Noch der wichtigste Verfasser einer Römischen Geschichte in griechischer Sprache, Cassius Dio (um 200–230), nennt die Christen, die zu seiner Zeit schon eine große Rolle spielten, nie, sondern spielt nur indirekt auf sie an. So, wenn er in einer Rede des Mäcenas den Kaiser Augustus auffordern läßt, gewaltsam gegen subversive neue Gottheiten vorzugehen.107 Aber derartige Phänomene finden wir in der antiken Welt öfter: Der Begründer der jüdischen Freiheitsbewegung, Judas der Galiläer, wird nur von Josephus und der Apostelgeschichte erwähnt, in den sonstigen antiken und talmudischen Texten überhaupt nicht. Die erhaltenen römischen Quellen schweigen auch über den jüdischen Führer im Aufstand von 132–136 n. Chr., der über drei Jahre lang das römische Reich erschütterte; seinen Namen Simon bar Kosiba bzw. Kochba kennen wir nur aus christlichen (Justin und Euseb) und talmudischen Quellen, aus Aufstandsmünzen und jetzt durch Originalzeugnisse aus den Schriftfunden der Wüste Juda.108 Man muß die verstreuten, frühen heidnischen und jüdischen Nachrichten über Jesus auf dem Hintergrund der für die Alte Geschichte üblichen fragmentarisch-zufälligen Quellensituation sehen. Sie ist im Blick auf den galiläischen Handwerker aus Nazareth und seine Bewegung erstaunlich gut.
6.4 Die synoptischen Evangelien109 Mag also die Bezeugung Jesu und der Christen an antiken Maßstäben gemessen so schlecht nicht sein, es bleibt die Frage nach der Vertrauenswürdigkeit unserer Hauptquellen: Kann man die synoptischen Evangelien noch mit gutem Gewissen zuverlässige Texte nennen? Auch hier erhebt wieder D. F. Strauß, angeblich im Interesse einer »rein-historischen Betrachtung … der Urgeschichte des Christenthums«, seine kritische Stimme. Er schreibt in seinem abschließenden »Bekenntnis« zwei Jahre vor seinem Tode 1872: »Unter den Theologen, die in der Wissenschaft zählen, ist heute keiner mehr, der
irgend eines unserer vier Evangelien für das Werk seines angeblichen Verfassers, überhaupt eines Apostels oder Apostelgehülfen hielte. Die drei ersten sammt der Apo107 52,36,1–3:
Er soll seine Untertanen zwingen (ün›gkaze), die »göttliche Macht (tÖ qeõon) nach der väterlichen Tradition zu verehren« und der Verbreitung »neuer Gottheiten« (kain› tina daim·nia) zu wehren, da diese den Staat bedrohten. S. auch o. S. 209. 108 P. Schäfer, Der Bar-Kochba-Aufstand, TSAJ 1, 1981; L. Mildenberg, The Coinage of the Bar Kokhba War, Aarau / Frankfurt am Main 1984; Hengel, KS I, 344–350 und 379–391. 109 Kümmel, Einleitung; P. Vielhauer, Geschichte der urchristlichen Literatur. Einleitung in das Neue Testament, die Apokryphen und die Apostolischen Väter, Berlin / New York 1975. Hengel, Probleme; ders., Entstehungszeit; ders., Evangelienüberschriften (alle drei Studien zusammen in: ders., KS V, 430–567); ders., Bergpredigt = KS II, 219–292; ders., Gospels; U. Schnelle, Einleitung in das Neue Testament, Göttingen 42002.
§ 6 Die Quellen
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stelgeschichte gelten als tendenziöse Compilationen aus dem Anfang, das vierte, seit Baur’s epochemachender Forschung als eine dogmatisirende Composition aus der Mitte des zweiten Jahrhunderts nach Christus.«110
Doch dieses siegessichere Selbstvertrauen der radikalen Tübinger Schule war unbegründet; sie hat sich in der Entstehungszeit der vier Evangelien gründlich geirrt, diese liegt etwa zwischen 70 und 100/110 n. Chr., das heißt nur ca. 40–70/80 Jahre nach dem Wirken Jesu. Und Gelehrten wie A. Ritschl, H. J. Holtzmann, A. v. Harnack, M. Dibelius oder auch H. Lietzmann, die in der Verfasserfrage längst nicht mehr so radikal dachten wie die Tübinger, von Bischof J. B. Lightfoot, Th. Zahn und A. Schlatter ganz zu schweigen, kann man die Wissenschaftlichkeit schwerlich absprechen. Gerade in diesem entscheidenden Punkt, der Datierungs‑ und Verfasserfrage, ist die Hyperkritik in eine Sackgasse geraten. Die beiden frühesten Evangelien, nach Markus und nach Lukas, die noch nicht Aposteln zugeschrieben werden, stammen unseres Erachtens von den Autoren, deren Namen sie tragen. Im 2. Jahrhundert hätte man sie apostolischen Verfassern, das heißt einem Petrus und Paulus zugeschrieben. Nichtapostolische Evangelienautoren waren nach Matthäus und Johannes unmöglich geworden, darum häufen sich jetzt die Pseudepigrapha. Die Baur-Schule hielt trotz ihres generellen Spätansatzes der Evangelien entsprechend der altkirchlichen Tradition an der Matthäuspriorität fest, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts fast nur noch von ganz konservativen Gelehrten wie Th. Zahn und A. Schlatter vertreten wurde und heute kaum mehr Anhänger besitzt. Daß Markus das älteste Evangelium ist und Lukas und Matthäus von ihm literarisch in erheblichem Maße abhängig sind, wird allgemein anerkannt. Auch Johannes setzt zumindest Markus und Lukas voraus.111 In allen Einzelfragen besteht aber auch heute noch eine ungebrochene Meinungsvielfalt. Dies gilt sowohl für die Frage nach den Autoren, ihrer Herkunft und ihrer Datierung, wie auch – abgesehen von der Verwendung des Markusevangeliums – von ihren Quellen, ihrem Verhältnis zum Judentum und überhaupt ihrem theologischen Ort. Wir können im folgenden nur versuchen, unsere eigene Meinung darzustellen und zu begründen.
110 Glaube,
41. Vgl. dagegen das Urteil Justins, dial. 103,8. den Evangelientiteln und ihren Autoren s. Hengel, Evangelienüberschriften, und ders., Gospels. Es gibt natürlich immer wieder Versuche von Gelehrten, die alten Baurschen Thesen aufzuwärmen. Sie konnten sich aber nicht durchsetzen. Zum vielverhandelten synoptischen Problem s. die neueren Einleitungen zum Neuen Testament, so A. Jülicher / E. Fascher, Einleitung7, 274–370; W. G. Kümmel, Einleitung20, 13–120; Ph. Vielhauer, Geschichte (S. 214 Anm. 109), 263–280; U. Schnelle, Einleitung (S. 214 Anm. 109), 185–303; C. R. Holladay, A Critical Introduction to the New Testament, Nashville 2005, Vol. I und II, 41–268: eine gründliche Darstellung des ganzen Problems. 111 Zu
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6.4.1 Markus 1. An erster Stelle steht heute unangefochten Markus, entstanden in der unsicheren Zeit des Bürgerkriegs kurz vor der Eroberung Jerusalems durch Titus im August / September 70 n. Chr. Jerusalem war noch nicht zerstört, sein Untergang wurde freilich erwartet, aber nicht durch die Römer, sondern durch den Antichrist (vgl. Mk 13,14), der mit dem Nero redivivus identifiziert wurde; mit ihm beginnt die letzte eschatologische Bedrängnis vor der Parusie des Menschensohns.112 Josephus bezeugt, daß bei Ausbruch des jüdischen Aufstandes »viele die zukünftigen Katastrophen voraussahen und offen beklagten. … Schon vor dem Anmarsch der Römer erweckte der Zustand der Stadt den Eindruck, als sei sie dem Untergang geweiht.«113 Die zahlreichen, in einer griechischen Schrift auffallenden, nur noch mit dem Hirten des Hermas vergleichbaren Latinismen114 wie auch die völlige Unkenntnis über die wahren kriegerischen Vorgänge in Judäa zwischen 66 und 70 n. Chr. weisen auf eine Entstehung in Rom hin, wo man über die wirklichen Ereignisse in der aufrührerischen Provinz vor allem nach Ausbruch des Bürgerkriegs 68 und im Dreikaiserjahr 69 nicht mehr gut informiert war.115 Die Entstehung in Rom bezeugt indirekt Irenäus in seinem wohl aus dem römischen Gemeindearchiv stammenden Evangelienbericht, der unter römischer Perspektive verfaßt ist, wobei er sachlich richtig hervorhebt, daß das Evangelium erst nach dem Tode des Petrus und Paulus, die im Zusammenhang mit der neronischen Verfolgung 64/65 n. Chr. starben, entstand.116 Expressis verbis bezeugen die römische Herkunft wenig später Clemens Alexandrinus und die frühesten Evangelienprologe.117 Sehr wahr112 Mk 13,14–23, s. Hengel, Entstehungszeit, 21–43. Nero war am 19.6. 68 ermordet worden. Damit begann der römische Bürgerkrieg, der über 18 Monate andauerte. Zum Neroredivivus‑ und zum Antichristmotiv s. G. C. Jenks, The Origins and Early Development of the Antichrist Myth, BZNW 59, Berlin / New York 1991, der freilich das Nero-redivivus-Motiv zu spät und den deuteropaulinischen Text 2 Thess 2,1–17 zu früh ansetzt. Mk 13 und dieser Text ergänzen sich. 113 Josephus, bell. 2,649 f., vgl. Mk 13,1 f. Vgl. die Flucht der Christen nach Pella aufgrund eines Profetenspruchs Euseb, h.e. 3,5,3. 114 P. Dschulnigg, Sprache, Redaktion und Intention des Markus-Evangeliums, SBB 11, Stuttgart 21986, 265–268; Hengel, Entstehungszeit, 43 ff.; ders., ZNW 60 (1969), 182–198 = KS V, 177–193; ders., Gospels, 78 f.258 f. 115 Lukas weiß wenige Jahre später sehr viel besser Bescheid. 116 Irenäus, adv. haer. 3,1,1. Thornton, Zeuge, 10–54. Zum Tod des Petrus und Paulus s. 1 Clem 5; Dionysios v. Korinth nach Euseb, h. e. 2,25,8 und Tertullian, Scorp. 15,3. S. dazu H. Lietzmann, Petrus und Paulus in Rom, AKG I, Berlin / Leipzig 21927; Hengel, Gospels, 65 ff.78–115; ders., Petrus, s. Index S. 256 s. v. Martyrium. 117 Euseb, h.e. 2,15,1 f. und etwas abweichend h.e. 6,14,5–7 aus dem 6. Buch der verlorengegangenen Hypotyposen; s. auch die lateinische Übersetzung derselben zu 1 Petr 5,13, abgedruckt in der Synopse von Aland, 15. rev. Aufl., erweiterter Druck 2005, 555; zu den ältesten Evangelienprologen 548 f. und davon abhängig die monarchianischen Prologe 554 f.
§ 6 Die Quellen
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scheinlich verdanken wir diesem Evangelium den für die vier kanonischen und für spätere apokryphe Evangelien üblich gewordenen Titel »Evangelium nach« (E§aggfilion kat›) mit Verfassernamen, der ein absolutes Novum darstellt. Den Anstoß zu diesem ungewöhnlichen Buchtitel gab Mk 1,1 »Anfang des Evangeliums von Jesus Christus« (ûArcÉ toú e§aggel‡ou ûIhsoú Cristoú) und der siebenmalige redaktionelle Gebrauch des Wortes im Werk. Mk 1,1 und vor allem 14,9 zeigen, daß Verkündigung des Evangeliums und Erzählung von Jesusgeschichte für den Evangelisten identisch sind. Da drei der Evangelien, Markus, Matthäus, Johannes,118 vor allem für die gottesdienstliche Lesung geschrieben wurden, benötigten sie (wie die Bücher der Septuaginta) vom Augenblick ihrer Verbreitung an in den Gemeinden einen Titel, denn den Hörern mußte ja angesagt werden, welche Schrift gelesen wurde. Hätte man die Evangelien anonym verbreitet, wäre notwendigerweise, wie bei vielen Apokryphen, eine Titelvielfalt entstanden, da sie in den Gemeinden ad hoc verschiedene Titel erhalten hätten. Die Evangelientitel sind jedoch in der frühen Zeit vom 2. bis zum 4. Jahrhundert völlig einheitlich bezeugt. Die Titel mit Johannes (dazu einmal mit Lukas) finden wir auf den beiden Bodmerpapyri P66 und P75 um 200. Auch die Evangelientitel der Vetus Latina, der altlateinischen Übersetzung, gehen noch auf das 2. Jahrhundert zurück. Für Irenäus, Clemens Alexandrinus und Tertullian gegen Ende des 2. Jahrhunderts sind sie ganz selbstverständlich. Das heißt aber, daß die Verfasserangaben aller Evangelien ernst zu nehmen sind und erklärt werden müssen. Man kann sie nicht als sekundäre Zusätze abtun, denn eine spätere einheitliche Entstehung läßt sich nicht sinnvoll erklären.119 2. Der Autor Markus war sicher kein anonymer Heidenchrist, wie heute gerne behauptet wird, sondern ein griechisch und aramäisch sprechender Judenchrist aus Palästina, der sich im Lande und dessen Gebräuchen, vor allem aber in Jerusalem, auskannte, und es besteht kein zureichender Grund, seine Identifikation mit dem Johannes Markus der Apostelgeschichte zu bezweifeln.120 Dasselbe gilt von der vieldiskutierten Notiz des Papias, die dieser dem »Alten« Johannes verdankt und deren Inhalt daher weit ins 1. Jahrhundert zurückreicht, daß nämlich Markus Dolmetscher des Petrus gewesen sei und daher sein Evangelium auf
118 Nur
Lukas ist, wie der Prolog ausweist, ein Sonderfall. S. dazu Hengel, Lukasprolog. dazu Hengel, Evangelienüberschriften; ders., Gospels, 78–106. S. jetzt auch B. Mutschler, Das Corpus Johanneum bei Irenäus von Lyon, WUNT 189, Tübingen 2006, 249–254.264 f.273 f. und Index 623 s. v. »Evangelienüberschrift«. 120 Apg 12,12.35; 15,37.39; Phlm 24; Kol 4,10; 2 Tim 4,11; 1 Petr 5,13. Vgl. Lietzmann, Geschichte I, 35. S. auch Hengel, Probleme, 244 f.; ders., Gospels, 260 f. Anm. 324–330. Der Evangelientitel weist diesen Markus als eine bekannte Persönlichkeit und Autorität aus. Die Gemeinden wußten, wer er war. 119 S.
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II. Vorfragen zur Person und Geschichte Jesu
Petrusüberlieferung gründe. Dies wird zu Unrecht als apologetische Legende verworfen. Für die Tradition sprechen folgende Gründe:121 a. Markus wird darin als Verfasser mehr kritisiert als verteidigt, da sein Evangelium nicht die richtige (chronologische und sachliche) Ordnung besitze und nicht auf Augenzeugenschaft beruhe, sondern ungeordnete Überlieferung aus zweiter Hand bringe. Vermutlich mißt der Johannesschüler Papias das zweite Evangelium mit dem Maße des vierten. Unabhängig von der Papiasnotiz begegnet uns das Schülerverhältnis Markus – Petrus auch in 1 Petr 5,13, einem Text, der etwa um 100 n. Chr. ebenfalls in Rom entstanden ist. b. Petrus spielt im Evangelium als Jünger die beherrschende Rolle, in ganz auffallender Weise am Anfang, in der Mitte und am Ende, das heißt, seine Person bestimmt wesentlich den durchdachten Aufbau des Werkes. In seinem relativ kurzen Evangelium erwähnt Markus Petrus 25mal, das heißt so oft wie Matthäus, der 70 % umfangreicher ist und für den die Autorität des Petrus ebenfalls wichtig ist (Mt 16,17–19). Johannes und Jakobus, die Söhne des Zebedäus, werden von Markus dagegen nur zehnmal genannt und fast immer zusammen mit Petrus. Weiter steht dieser stets an der Spitze der Jüngerlisten und ist mit einer Ausnahme alleiniger namentlich genannter Gesprächspartner Jesu unter den Jüngern.122 Einzigartig ist die mit seinem Namen verbundene inclusio: Er ist in 1,16 der erste Jünger, der unmittelbar nach dem öffentlichen Auftreten Jesu (und betont zweimal) genannt wird, und in 16,7 – in unnötiger Weise – der letzte. Der Engel befiehlt den Frauen: »sagt es seinen Jüngern und Petrus«.123 Der Name des Simon Petrus ist so bewußt an den Anfang und das Ende gestellt. Wir sehen darin eine klare Signatur dafür, welchem Jünger sich der Evangelist verpflichtet weiß.124 c. Dieses Wissen um die Autorität des Petrus, die hinter dem zweiten Evangelium steht, war auch ein Grund dafür, daß Lukas, für den Markus der wichtigste Autor unter den »vielen« Quellen (Lk 1,1) war, und nach ihm der unbekannte Verfasser des Matthäusevangeliums den Markusaufriß für ihre »Jesusbiographien« übernahmen, wobei der letztere, ein selbstbewußter theo121 Hengel, Johanneische Frage, 76–95; ders., Gospels, 65–68.253 f. Anm. 274–284; ders., Petrus, 19.60.74.167. Anders – freilich wenig überzeugend – Theo Heckel, Vom Evangelium des Markus zum viergestaltigen Evangelium, WUNT 120, Tübingen 1999, 219–265; weiter R. Bauckham, Jesus, 202–239 (»Papias on Mark and Matthew«). 122 Hengel, Gospels, 83 f.; ders., Petrus, 40 f. Nur Mk 9,38 spricht Johannes Jesus an. Zu den Jüngerlisten s. Bauckham, Jesus, 93–113. 123 Dieser Punkt wird in den neueren Kommentaren und Untersuchungen nicht beachtet. Er könnte zusätzlich noch ein indirekter Hinweis auf die Protophanie des Petrus sein, aber nur für die, die darum wußten. Markus selbst macht darüber keine Andeutung. Vgl. dazu jetzt Bauckham, Jesus, 155–182 (»The Petrine Perspective in Mark«). 124 Hengel, Gospels, 82. Die zweite Signatur sind die rätselhaften Verse 14,51 f., die am besten verständlich würden, wenn der Autor, Markus, damit auf sich selbst hinwiese. Aus dem Evangelium lassen sich beide Signaturen nicht erklären. S. u. S. 590.
§ 6 Die Quellen
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logischer Lehrer, sich in erstaunlicher Weise von Markus leiten läßt und nicht nur bis auf wenige Umstellungen und gewisse Kürzungen dessen Aufbau und Stoff, sondern auch rund 80 % des Wortlauts übernimmt, selbst bei Lukas sind es noch ca. 65 %.125 Markus ist für Matthäus und Lukas Autorität, weil er sich auf Petrustradition gründet. 3. Das zweite Evangelium, der erste durchgehende erzählende Bericht über Jesu Wirksamkeit vom Auftreten des Täufers bis zur Entdeckung des leeren Grabes, wurde nicht von einem unbedeutenden Anonymus geschrieben, sondern von einem in der Urkirche bekannten Lehrer, der selber Autorität besaß und sich auf eine noch größere Autorität berufen konnte. Nur so läßt sich seine Wirksamkeit in der frühesten Zeit erklären, obwohl es dann im 2. Jahrhundert rasch vom ersten Evangelium verdrängt wurde, das in vollkommenerer Form brachte, was die Kirche brauchte, und sich durch den Titel »Evangelium nach Matthäus« den Anschein einer apostolischen Herkunft gab. Auch der noch etwas spätere Johannes setzt Markus voraus. Der Apostelschüler Markus mußte von nun an hinter diese zurücktreten, doch die mit ihm verbundene Autorität des Petrus, die im 2. Jahrhundert außer durch Papias noch durch Justin und Irenäus (bzw. das römische Archiv) und Clemens Alexandrinus126 bezeugt wird, hat verhindert, daß sein Evangelium, obwohl von Matthäus fast ganz inkorporiert, so wie vermutlich mit dem Namen Matthäus verbundene ältere Logiensammlungen, verlorenging.127 Von den etwa 28 vorkonstantinischen Evangelienfragmenten auf Papyrus im Nestle-Aland128 enthalten 15 Johannes, elf Matthäus, sechs Lukas und nur einer Markus, nämlich der Sammelcodex P45 mit allen vier Evangelien und der Apostelgeschichte. Es erscheint wie ein Wunder, daß Markus erhalten blieb. Offenbar hat man im Verlauf des 2. Jahrhunderts die späteren, Aposteln zugeschriebenen Evangelien nach Matthäus und Johannes mehr geschätzt als die früheren der Apostelschüler Markus und Lukas.129
125 S. Kümmel, Einleitung, 30: »In den mit Mt und / oder Lk gemeinsamen Abschnitten finden sich von 10650 Worten des Mk 8189 auch bei den beiden anderen Evv. (7040 bei Lk und 7678 bei Mt). Mt und Lk treffen sich also in dem allen dreien gemeinsamen Stoff weitgehend bei Mk« (nach S. de Solages). Nach der Zählung von Morgenthaler, Statistik, ist der Anteil des Matthäus an Markus noch größer, bei Lukas geringer: 8555 bzw. 6737 zu 11078. 126 Justin, dial. 106,3; Irenäus, adv. haer. 3,1,1; Clemens Alexandrinus bei Euseb, h.e. 2,15,1 f. und 6,14,5 ff., vgl. 1 Petr 5,13. Zum römischen Archiv s. Thornton, Zeuge, 29.45.48–55. 127 S. u. S. 224 Anm. 149 und S. 227 Anm. 156. 128 Editio vicesima septima revisa 2001, p. 684–690. Vermutlich leisteten sich die großen Gemeinden wie Rom, Ephesus, Antiochien und Alexandrien schon früh, das heißt schon in den ersten Jahrzehnten des 2. Jahrhunderts, eine Sammlung aller vier Evangelien. Irenäus setzt sie selbstverständlich voraus; sie ist aber schon bei Justin mit seinen üpomnhmone‚mata tùn üpost·lwn vorgegeben, s. apol. I, 66,3; 67,3 und vor allem dial. 103,8; 106,1–107,1 u. ö. 129 Zur Wirkungsgeschichte von Matthäus und Johannes im 2. Jahrhundert im Vergleich mit den anderen Evangelien s. auch Byrskog, Story; É. Massaux, Influence de l’Évangile de saint
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II. Vorfragen zur Person und Geschichte Jesu
4. Der Irrtum der Leben-Jesu-Forschung des 19. Jahrhunderts bis hin zu A. Schweitzer war, daß sie glaubte, die Abhängigkeit von Petrustradition sei ein Garant für eine »historische« Zuverlässigkeit und Markus enthalte eine in zeitlicher Folge fortschreitende biographische Erzählung über die Wirksamkeit Jesu von ca. einem Jahr. Man stellte sich die »Augenzeugen«, die – wie der Lukas-Prolog zeigt130 – gewiß eine große Rolle spielten, auf zu moderne Weise vor. Markus gibt aber, das hat die Form‑ und Redaktionsgeschichte gezeigt, keinen historisch-biographischen Bericht, wie ihn sich moderne Historiker wünschen, sondern er schreibt eine kerygmatische Jesusbiographie, das heißt, er erzählt Jesusgeschichte als Prediger auf paradigmatische Weise als »Evangelium«. Wenn er, was man ihm gerne zuschreibt, eine neue literarische Gattung geschaffen hat, so ist es diese Form der »kerygmatischen Biographie«. Der Predigtcharakter seines Werkes kommt in einem aus theologischen Gründen dramatisch gestalteten, von seiner Christologie her bestimmten Aufbau zum Ausdruck, der bis in Einzelheiten hinein durchdacht ist. Dennoch schreibt er keine – wie heute ebenfalls behauptet wird – religiöse Fiktion, sondern verarbeitet weitgehend »Tradition«, man könnte auch sagen, nach theologischen und missionarischen Gesichtspunkten ausgewählte und geformte »Erinnerung«, bis hinein in die sogenannten »redaktionellen« Summarien und Rahmenstücke. Denn welcher vernünftige Exeget wollte bezweifeln, daß Jesus zuerst predigend und heilend Galiläa durchwanderte, Fischer am See Genezareth berief, daß er die Volksmenge anzog, so daß sie ihm nachfolgte, daß er mit Schriftgelehrten und Pharisäern stritt und die Menge und die Jünger, die er berufen hatte, belehrte, am Ende aber in Jerusalem gekreuzigt wurde? Der – grobe – Aufbau seines Evangeliums ist sachlich zutreffend: Am Anfang steht das Auftreten des Täufers und Jesu Taufe, dann folgt eine längere Wirksamkeit in Galiläa mit dem Zentrum in Kapernaum, ab c. 5 tritt er zuweilen auch in das Galiläa umgebende heidnische Gebiet über, erst ab 10,1 finden wir ihn dann in Judäa und Peräa und mit 11,1 beginnt die letzte Woche in Jerusalem, die in der Passion Jesu ab c. 14 kulminiert. Sie ist sein theologisches Ziel. Man könnte sagen, daß erst durch die eigentliche »Leidensgeschichte« Mk 14,1–16,8 der Bericht des Markus im strengen Sinne zum »Evangelium« wird. Geographisch gesehen schreibt er ein jedoch – historisch zu Recht – überwiegend galiläisches Evangelium, auch die Jünger stammen von dort,131 allen voran ihr Sprecher Simon Petrus: »Wahr-
Matthieu sur la littérature chrétienne avant saint Irénée, Louvain / Gembloux 1950; Köhler, Rezeption; Hengel, Johanneische Frage; ders., Gospels und Nagel, Rezeption. 130 1,2, vgl. 1 Kor 15,5 und Hebr 2,3. S. dazu Hengel, Lukasprolog. 131 Eine Ausnahme ist vielleicht Judas Iskariot, s. u. S. 370 Anm. 144 und S. 579. Der Ort Q erijjôt liegt im südlichen Judäa. Seine Herkunft von dort ist jedoch unsicher.
§ 6 Die Quellen
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haftig, auch du gehörst zu ihnen, denn auch du bist ein Galiläer.«132 Dies fällt um so mehr auf, da Galiläa in den urchristlichen Quellen außerhalb der Evangelien keine Rolle mehr spielt. Schon Lukas und Johannes schränken seine Bedeutung gegenüber Jerusalem ein, die Apostelgeschichte des Lukas nennt es nur noch dreimal, davon zweimal im Rückblick auf die Jesusbewegung.133 Auch in der profanen paganen Literatur hat es ganz geringe Bedeutung. Sollte dieser geographisch so ungewöhnlich strukturierte Bericht des Markus, der die späteren Berichte entscheidend beeinflußt, mit Historie nichts zu tun haben? 5. Weiter wäre es naiv zu glauben, daß Markus ohne jedes Bewußtsein des zeitlichen Abstandes zu Jesus, ohne jedes »geschichtliche Bewußtsein«, schreibt und nur die Probleme seiner Gegenwart erörtert. Sein Verständnis von »Geschichte« darf nur nicht mit unserem modernen, kritischen gemessen werden. Die zeitliche Distanz zum vergangenen Jesusgeschehen, die ja nur ca. 40 Jahre – ein überschaubarer Zeitraum – beträgt, tritt an zahlreichen Punkten deutlich hervor.134 Er weiß, daß die Situation Jesu und seiner Jünger in Galiläa, wie er sie darstellt, nicht einfach identisch war mit der der Gemeinden, die er in der kritischen Zeit des Jüdischen Kriegs und des römischen Bürgerkriegs ansprechen will. Schon für ihn ist die in der Vergangenheit liegende Zeit Jesu, auf die er sich bewußt beschränkt, einzigartig und maßgebend. In ihr – nicht in der bedrohlichen Gegenwart – wurde das Heil begründet.135 Nur an einzelnen Punkten, etwa in Mk 2,20 und in 9,1, in der gedrängten »Kirchengeschichte« 13,5–13 oder in 14,9 führt er seine Zuhörer bis in die unmittelbare Gegenwart der Gemeinde mit ihren schweren Turbulenzen.136 Auch daß er andere Christologien oder gar »Häresien« zurückweist, wird nirgendwo sichtbar, dies begegnet uns erst im späteren Matthäus, wenn dieser vor falschen Profeten warnt,137 und 132 Mk 14,69 f. Matthäus, der in geographischer Nähe von Galiläa schreibt (s. u. S. 236 Anm. 194), ergänzt sachkundig (Mt 26,73): »denn deine Sprache verrät dich.« Vgl. Apg 1,11; 2,7; 10,37. Zu den zu Unrecht oft bestrittenen geographischen Kenntnissen des Markus s. F. Lang, Über Sidon mitten ins Gebiet der Dekapolis. Geographie und Theologie in Markus 7,31, ZDPV 94 (1978), 145–160; Hengel, Historiker, 147–183 (s. besonders Anm. 19). S. auch u. S. 274 f. zu Galiläa. Man darf nicht vergessen, daß damals Landkarten ganz selten und die wenigen (etwa für das Militär) nicht gut waren. 133 Einmal in Apg 9,31 zum Frieden, den die christlichen Juden in Judäa, Galiläa und Samaria um ca. 36 n. Chr. vor der Agrippaverfolgung hatten, außerdem in 10,37; 13,31, wo Lukas die galiläische Herkunft betont. Zum Ganzen s. Bd. II. 134 S. die immer noch grundlegende Untersuchung von Roloff, Kerygma, und ders., Das Markusevangelium als Geschichtsdarstellung, EvTh 29 (1969), 73–93; E. E. Lemcio, The Past of Jesus in the Gospels, SNTS.MS 68, Cambridge 1991, 30–48; vgl. auch Hengel, Entstehungszeit = Studies in the Gospel of Mark, 1–30. 135 S. o. S. 217 zum Begriff »Evangelium«. 136 S. Hengel, Entstehungszeit. 137 Mt 7,15, vgl. die Verdoppelung der Markusvorlage 13,22 in Mt 24,11.24: Hier handelt es sich bei Markus um eine eschatologische Weissagung für die Zeit der messianischen Wehen.
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II. Vorfragen zur Person und Geschichte Jesu
noch stärker im Corpus Johanneum.138 Markus will den Gemeinden, in denen sein Werk im Gottesdienst vorgelesen wird (vgl. 13,14), zeigen, wer Jesus wirklich war (und ist),139 worauf ihr Heil gründet140 und welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind.141 Man sollte sein Werk auch nicht – das gilt ebenso für die anderen Evangelien – einfach einer bestimmten »Gemeinde« zuschieben. Von der »markinischen Gemeinde« wissen wir nichts. Markus hat sein – revolutionäres – Werk nicht für seine »persönliche Einzelgemeinde« geschrieben, ja, es ist sehr fraglich, ob es eine solche gab, denn als »Apostelschüler« war er gewiß ein vielgereister Mann, er schrieb als erster »Evangelist« vielmehr vermutlich in Rom für die ganze Kirche.142 Sein Evangelium ist auch kein Kollektivprodukt, sondern verdankt sich einem autoritativen Lehrer, hinter dem wieder eine ältere, überragende Autorität steht. Da man eine solche Neuschöpfung nicht aus dem Ärmel schüttelt, mag es eine Vorgeschichte haben und, wie schon Herder sah, im gottesdienstlichen Vortrag erprobt und gewachsen sein.143 Das Urchristentum war eine dynamisch-missionarische Bewegung, in der – wie in der Antike überhaupt – die mündliche Lehre im Mittelpunkt stand und nicht die schriftliche Mitteilung. Auch hat, wer das nahe Ende erwartet, Wichtigeres zu tun, als Literatur zu produzieren und zu zitieren. Deshalb begegnen uns vor Marcion und Justin so wenige »Evangelienzitate«. Die erste und zweite Generation waren vom lebendigen, aber zugleich im Gedächtnis haftenden mündlichen Wort bestimmt. Das gilt selbst teilweise noch, wie Papias zeigt, für die erste Hälfte des 2. Jahrhunderts. Auch später befruchten sich das im Gottesdienst verlesene und ausgelegte Wort und die katechetische mündliche Lehre noch gegenseitig.144 S. Byrskog spricht darum in seiner Studie über die Evangelientradition im Kontext der Oral History der Antike vom Phänomen der »re-oralization«.145 Man hat auch bis weit ins 2. Jahrhundert hinein die Evangelien weniger exakt zitiert, als vielmehr »katechetisch aufbereitet« aus dem Gedächtnis angeführt. 6. Ob sich Markus bereits auf schriftliche Quellen stützte, bleibt unklar und ist umstritten. Er mag auf eine ältere Passionserzählung zurückgegriffen haben, dies legt 1 Kor 11,23 ff. nahe, ein Text, der zeigt, daß schon Paulus mehr als Bei Matthäus wird dies zu einem Ereignis der Kirchengeschichte, das – wie die Eroberung Jerusalems zeigt – schon vor geraumer Zeit eingetreten ist und sich zum Weltende hin verschärft. 138 Hengel, Johanneische Frage, 467 Index s. v. Doketismus. 139 Vgl. 4,41 die Frage nach der Sturmstillung: t‡“ ±ra oñt·“ †stin; 140 Vgl. Mk 1,11; 2,5.19; 8,31; 9,7; 10,45; 14,22–24. 141 Vgl. Mk 8,29 f.34. 142 Mk 13,10; 14,9; s. dazu Hengel, Gospels, 96 ff.106 ff.; R. Bauckham (ed.), The Gospel for All Christians, Grand Rapids (Mich.) / Edinburgh 1998, 49–70. Erst später macht man ihn, nachdem er sein Evangelium in Rom geschrieben hatte, zum ersten Bischof in Alexandrien: Euseb, h.e. 2,24; vgl. 2,16. 143 Hengel, Gospels, 96.269 Anm. 397; ders., Probleme, 256 Anm. 78. 144 Papias nach Euseb, h.e. 3,39,4: die Bevorzugung der fwnÉ zùsa kaÑ mfinousa. 145 Story, 138 ff.254 f.; s. auch den Index 384 unter orality – re-oralization.
§ 6 Die Quellen
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20 Jahre früher über eine verwandte Leidenstradition verfügte, die aber noch mündlich war. Offen bleibt dabei auch, wieweit Markus dabei eigene oder fremde Notizen verwendete und wieweit die angeblichen vormarkinischen »Sammlungen« von anderen stammen oder von ihm selbst zusammengestellt wurden. Auch eigene Aufzeichnungen können als »Quelle« bezeichnet werden. Sicher scheint es, daß die Autorität des Evangelisten in diesem wahrhaft epochemachenden Werk, das eine neue, wirksame literarische Gattung schuf, mit der Autorität des Petrus zusammenhängt. Zwischen der Abfassung seines Werkes in Rom etwa 69/70 n. Chr. und dem Martyrium des Petrus am selben Ort liegen nur fünf bis sechs Jahre, das heißt, die Gestalt des Petrus, des Märtyrers und wichtigsten Propagators von Jesustradition im Westen, samt seiner überragenden Autorität war den meisten Gemeinden noch unmittelbar gegenwärtig. Erst im ca. 30 Jahre späteren Johannesevangelium hat sich die Situation geändert. Im 4. Evangelium wird der rätselhafte Lieblingsjünger zum Konkurrenten des Petrus. Und trotzdem tritt dieser auch dort noch an entscheidenden Punkten deutlich hervor.146 Man muß zwischen Jesus und Markus durchaus nicht eine Vielzahl von schriftlichen Quellen, anonymen Tradenten und kreativen Gemeinden einschieben. Hier wurde viel vermutet und wenig bewiesen. Dagegen ist trotz aller Traditionsgebundenheit die eigene theologische und schriftstellerische Leistung des ältesten Evangelisten bei diesem Wagnis, ein »Evangelium Jesu Christi, des Sohnes Gottes« als fortlaufende Erzählung vom Auftreten des Täufers bis zur Flucht der Frauen vom Grab zu schreiben, um so höher einzuschätzen. 7. Die Tatsache, daß sein Evangelium vornehmlich das enthält, was in der älteren Logienüberlieferung, die dann von Lukas und Matthäus verarbeitet wird, weitgehend zurücktritt, nämlich die Passionsgeschichte, Wundererzählungen, biographische Anekdoten und Streitgespräche, legt nahe, daß er diesen Überlieferungsstrom bzw. entsprechende Textsammlungen kannte und eklektisch daran partizipierte, jedoch jetzt bewußt die nach dem Tod der maßgeblichen ersten Generation notwendig gewordene Jesusgeschichte als erzählendes, kerygmatisch bestimmtes Komplement, das in der Passion kulminierte, hinzufügte. Die Dialektik zwischen eigener theologischer Gestaltung und geschichtlicher Traditionstreue in seinem Evangelium bringt Ernest Best auf überzeugende Weise zum Ausdruck: »In the way in which he has placed the tradition in his total context supplying audience,
place, time, and sequence and in the summaries … he has been quite obviously creative. But in the way in which he has preserved the material which existed before him he has
146 Z. B. Joh 1,41–44; 6,68; 13,6–11.36 ff.; 21,15–19 u. ö. Vgl. Hengel, Johanneische Frage, 210–219; ders., Petrus, Index S. 252 s. v. Lieblingsjünger.
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II. Vorfragen zur Person und Geschichte Jesu
been conservative … Mark appears to have had a positive respect for the material he used; this is not to say that he was attempting to write ›history‹«.147
Dieser letzte Satz bedarf der Präzisierung: Geschichte, ›history‹, gewiß nicht im modernen Sinne, wohl aber in der Form einer am alttestamentlichen Episodenstil orientierten Geschichtserzählung des heilbringenden Wirkens Jesu von der Taufe durch Johannes bis zur Klimax der Kreuzigung und zum Auferstehungszeugnis des angelus interpres gegenüber den Frauen. Es handelt sich um eine Erzählung, die die ganze Heilsbotschaft in sich faßt und darum e§aggfilion genannt werden kann, ja muß, ein Begriff, den vor ihm nicht nur Paulus, sondern unseres Erachtens auch Petrus, der Lehrer des Markus, als Inbegriff seiner Verkündigung gebraucht hatte.148
6.4.2 Die Logienüberlieferung 1. Sie ist die wichtigste Quelle für Jesu Verkündigung, bildet aber als solche keine nachweisbare literarische Einheit. Wir können sie nur noch sehr fragmentarisch aus Lukas und Matthäus erschließen, zunächst aus dem ihnen beiden gemeinsamen Stoff, der über Markus hinausgeht, dann aber auch aus dem »Sondergut« von Lukas und Matthäus, das ihr weitgehend zuzurechnen ist. Das bedeutet aber, wir kennen weder ihren genauen Wortlaut noch ihre verschiedenen Teile und Formen noch ihren exakten Umfang als Ganzes. Dementsprechend sind nahezu alle mit ihr verbundenen Fragen in der Forschung umstritten. In der Regel nahm man bisher für den über Markus hinausgehenden gemeinsamen Stoff eine einzige von Lukas und Matthäus verwendete schriftliche »Quelle« an, die man mit dem Buchstaben Q abkürzte und mit der sich zahlreiche Hypothesen, etwa über mehrere Redaktionsschichten mit abweichenden Theologien oder über »Gemeinden« von Q mit verschiedenen Christologien, verbinden. Diese Hypothesen sind weithin auf Sand gebaut.149 Von Anfang an 147 Mark’s Preservation of the Tradition, in: The Interpretation of Mark, ed. by W. Telford, Philadelphia 1985, 119–133 (128). 148 Vgl. Apg 15,7; 1 Petr 4,17; vgl. Hengel, Gospels, 78–115. Zum ganzen Problem s. die grundlegende Untersuchung von Byrskog, Story. Daß Markus ein historiographisches Werk vergleichbar mit den großen Werken hellenistisch-römischer Historiker und als Reaktion auf den ersten jüdischen Krieg in Syrien entstanden sei, versucht E.-M. Becker, Das Markus-Evangelium im Rahmen antiker Historiographie, WUNT 194, Tübingen 2006, zu zeigen. Kritisch zu Eve-Marie Beckers unhaltbarer These schon K. Backhaus, Rez. von: Die antike Historiographie und die Anfänge der christlichen Geschichtsschreibung, hg. v. Eve-Marie Becker, ThRv 102 (2006), Sp. 32. Jetzt weist auch Bauckham, Jesus, 118 zu Recht wieder darauf hin, daß die historiographischen Werke der Antike, die überlebt haben, vom sozialen Status und vom Stil her ein völlig anderes Niveau haben als die Evangelien. 149 Die von J. M. Robinson / P. Hoffmann / J. S. Kloppenborg in langwieriger, mühsamer Arbeit verfaßte Synopse »The Critical Edition of Q«, Leuven 2000 ist gewiß in vielerlei Weise nützlich, bringt aber als Konstruktion von Q die Gefahr einer unkritischen Verwendung mit
§ 6 Die Quellen
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hatte man gesehen, daß die Übereinstimmung zwischen den Q zugeschriebenen Texten bei Lukas und Matthäus zum Teil stark variiert, so daß man mindestens mit zwei verschiedenen Formen der Quellen QLk und QMt rechnen mußte. Auch schien die Verarbeitung von Q bei beiden Evangelisten grundverschieden zu sein. Während Matthäus diesen »Q-Stoff« vornehmlich in fünf großen thematischen Redeblöcken, zum Teil mit der Redetradition von Markus und seinem eigenen Sondergut vermischt, über sein Evangelium verteilt hat, wobei er diese Reden gleichzeitig kräftig durch seine eigene Theologie prägte (c. 5–7; 10; 13; 18; 23–25), scheint Lukas diese Logientradition in Anordnung und Wortlaut insgesamt wesentlich besser erhalten zu haben. Sie reicht dort von der Täuferpredigt in Lk 3 bis zur apokalyptischen Rede über das Kommen des Menschensohns in Lk 17 und begegnet vor allem zusammen mit Sondergut in den beiden großen »Einschaltungen«, die den Erzählfaden des Markus bei Lukas unterbrechen.150 Dies führte mit Recht zu der Annahme, daß Q gar keine abgeschlossene literarische Einheit im strengen Sinne sei, sondern eher eine offene Sammlung, deren Gestalt nicht mehr zureichend fixierbar ist, zumal sie in verschiedenen Versionen verbreitet war. Alle Versuche, Redaktionsschichten und eine stufenweise Entwicklung der Quelle und ihrer Theologie zu erkennen, werden dadurch fragwürdig. 2. Ihr Inhalt besteht überwiegend aus Spruchkompositionen, Einzelsprüchen und Gleichnissen weisheitlich-ethischen und profetisch-apokalyptischen Charakters, wobei man zwischen beidem nicht streng trennen kann. Auch eine Abgrenzung des »Q-Stoffes« gegenüber dem beiden Evangelien, Lukas und Matthäus, eigentümlichen reichen »Sondergut« bleibt unklar, denn man muß ja immer damit rechnen, daß ein Evangelist aus dieser »Quelle« Stücke übernahm, die der andere verschmähte.151 Alle Evangelien konnten einen gewissen Umfang nicht überschreiten und waren daher gezwungen, auszuwählen und zu kürzen. sich. Es hätte genügt, den gemeinsamen Wortbestand zu kennzeichnen, so vorbildlich bei F. Neirynck, Q Synopsis, The Double Tradition Passages in Greek, Leuven 1988; vgl. auch den von J. M. Robinson veranlaßten, aufschlußreichen Institutsdruck Pap. Q, Claremont (Calif.) 1985. Jetzt besteht die Gefahr, daß dieser künstlich hergestellte Text zitiert wird wie der NestleAland und eine Sicherheit vorgaukelt, die in keiner Weise besteht. Die jüngste Untersuchung von M. Casey, Aramaic Approach, nimmt alte aramäische Quellen an, die Lukas und Matthäus in verschiedenen griechischen Übersetzungen vorlagen. Das heißt, Q war in seiner sekundären griechischen Gestalt keine einheitliche Einzelquelle mehr. Markus habe bereits eine andere aramäische Quelle verwendet. Die »Hypothese Q« ist sehr viel komplexer und komplizierter, als allgemein angenommen wird. Casey kommt damit der Wirklichkeit näher als die heute oft als viel zu einfach vorgestellte Q-Hypothese. Auf jeden Fall muß man mit verschiedenen »Logienquellen« rechnen, die nicht zuletzt wegen ihres fragmentarischen, vorläufigen Charakters verlorengingen. 150 Lk 6,20–8,3; 9,51–18,14; s. u. S. 355–357. Der kleinere Block wurde zwischen Mk 3,19 und 20, der größere zwischen Mk 9,50 und 10,1 eingefügt. 151 Ähnlich verfahren sie selbst bei dem für sie grundlegenden Markus-Stoff.
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II. Vorfragen zur Person und Geschichte Jesu
Vor allem Matthäus tut dies energisch, wobei er häufig Markus wegen der hinter diesem stehenden Autorität des Petrus den Vorzug gibt. Hinzu kam, daß der gemeinsame, Q zugerechnete Stoff nicht nur Logien und andere Redestücke enthielt, sondern auch einige Erzählungen wie den Hauptmann von Kapernaum und die Versuchungsgeschichte, die man unseres Erachtens zu Unrecht auch Q zurechnete. Es ist so völlig unbewiesen, daß es sich wirklich nur um eine »Quelle« handelte. Lukas hat ja neben Markus sicher noch mehrere »Quellen« herangezogen.152 Ähnliches muß man auch bei einem so umsichtigen Autor wie Matthäus vermuten. Das würde nahelegen, daß beide mehrere Logiensammlungen verwendet haben, wobei es sich teilweise um stark veränderte Versionen einer älteren, ursprünglich aramäischen Sammlung handeln könnte. Da das Evangelium des Lukas, der etwa zwischen 75 und 80 schreibt, ca. 10–15 Jahre älter ist als Matthäus, der die Neukonstituierung des Judentums in Palästina unter pharisäischer Führung in der Schule von Jabne (ab ca. 90 n. Chr.) voraussetzt und, wie Mt 23 zeigt, in scharfer Auseinandersetzung mit diesem steht,153 muß man damit rechnen, daß letzterer auch das Werk des auctor ad Theophilum gekannt und zum Teil ausgeschrieben hat. Das ist vor allem in jenen Stücken naheliegend, in denen Lukas und Matthäus wörtlich übereinstimmen. Bei einer ganzen Reihe von Texten des Lukas-Sondergutes läßt sich andererseits leicht erklären, warum der selbstbewußte, anonyme judenchristliche Schriftgelehrte dieselben von dem Paulusschüler Lukas nicht übernommen hat, da sie nicht in sein historisch-theologisches Konzept paßten. Bei anderen scheint die Vorlage so völlig verschieden gewesen zu sein, daß man nicht mehr von einer Quelle sprechen kann.154 Ein weiterer Vorteil dieser Hypothese der Bekanntschaft des Matthäus mit Lukas ist, daß das störende, bisher unlösbare Problem der sogenannten »minor agreements«, das heißt der gar nicht so wenigen Texte, in denen Lukas und Matthäus im Markusstoff gegen Markus übereinstimmen, wegfällt. Hier hat Matthäus den Bericht des Markus, dem er überwiegend folgt, von Lukas her korrigiert oder ergänzt.155 152 Vgl.
das pollo‡ im Prolog 1,1, das durchaus ernst zu nehmen ist und sich nicht nur auf Markus und Q bezieht. 153 Vgl. Hengel, Gospels, 196 ff. und u. S. 235. 154 Zur Weglassung s. etwa Lk 15,8–32; 16,1–31; 17,10–19; 18,1–14 etc.; die Annahme verschiedener Vorlagen gilt z. B. für die Texte, für die man bei Lukas eine »paulinisierende« Tendenz vermuten kann, weiter für alle Samaritanertexte wegen Mt 10,5 etc. Das Gleichnis Mt 18,12–14 steht in einem völlig anderen Kontext und ist so verändert, daß man sich fragen muß, ob Matthäus es nicht aus einer ganz anderen Quelle hatte als Lk 15,3–7; vgl. auch Mt 25,14–30 mit Lk 19,11–17 und Mt 22,1–14 mit Lk 14,15–24. 155 Hengel, Gospels, 169–207. So übernimmt Mt 22,35 eine polemische Einleitung zur Frage nach dem größten Gebot aus Lk 10,25 (nomik·“ und [†k]peir›zwn a§t·n), weil er der positiven Darstellung des Schriftgelehrten in Mk 12,28 nicht zustimmen kann. Vgl. auch Mt 26,68 = Lk 22,64 den Zusatz gegen Markus t‡“ †stin ¨ pa‡sa“ se; oder Mt 26,75 = Lk 22,62 gegen Mk 14,72: kaÑ †xelqán ≤xw ≤klausen pikrù“, s. u. S. 234 f. Das Problem sah schon
§ 6 Die Quellen
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3. Auf die Ursprünge der schriftlichen Logientradition könnte ein rätselhafter Satz bei Papias hinweisen, der wohl wie die Nachricht über die Entstehung des Markusevangeliums auf den Presbyter Johannes, das heißt eine Gestalt des 1. Jahrhunderts, zurückgeht: »Matthäus hat in hebräischer (das heißt aramäischer) Sprache die (Herren‑)Worte zusammengestellt, und jeder übersetzte sie, wie er dazu fähig war.«156 Dieser Satz kann sich unmöglich auf unser griechisches Matthäusevangelium beziehen, das, etwa zwischen 90 und 100 n. Chr. entstanden, bereits ein apostolisches »Pseudepigraphon« ist, sondern deutet wohl auf eine alte aramäische Sammlung von Jesusworten (und Anekdoten) hin, die aus der Jerusalemer Gemeinde als dem frühen Zentrum des palästinischen Judenchristentums stammen mag und die dann von verschiedenen urchristlichen Missionaren je nach Fähigkeit ins Griechische übersetzt wurde. Ein Steuerpächter mußte schreiben können, bei den anderen Jüngern war das nicht sicher. Dies könnte die Existenz verschiedener abweichender Logiensammlungen erklären, die sowohl von Lukas wie später auch von Matthäus und wesentlich später vielleicht auch noch im Thomasevangelium verwendet wurden. Die Berufung auf »Worte des Kyrios« reicht ja bis weit ins 2. Jahrhundert hinein.157 Da man aber oft damit rechnen muß, daß Matthäus in der Logientradition auch auf Lukas zurückgreift, sind diese Versionen nicht mehr rekonstruierbar. Lukas wird so zur Hauptquelle der in der Logientradition fragmentarisch erhaltenen Verkündigung Jesu. Es ist auch einsichtig, daß die von »Apostelschülern« verfaßten Evangelien des Markus und Lukas älter sind als die einem Apostel zugeschriebenen eines Matthäus oder Johannes. Das erste Evangelium mag dabei seinen Verfassernamen von dem Autor der ersten aramäischen Sammlung der Logien Jesu erhalten haben. Nach ihm, im 2. Jahrhundert, wurden Evangelien oder evangelienähnliche Schriften in der Regel nur noch Verfassern mit apostolischer Autorität zugeschrieben.158 E. v. Dobschütz, Matthäus, 345 ff. Es ist eigenartig, daß trotz der minor agreements in der Forschung der letzten 200 Jahre so wenig auf die Wahrscheinlichkeit einer gewissen Abhängigkeit des Matthäus von Lukas hingewiesen wurde. Bereits C. G. Wilke, Der Urevangelist oder kritische Untersuchung über das Verwandtschaftsverhältnis der ersten drei Evangelien, Dresden / Leipzig 1838, 685–693 hatte eine solche vermutet, s. M. Hengel, Gospels, 303 f. Anm. 663. Th. Zahn, der an eine Priorität des aramäischen Matthäus glaubte, nahm an, daß der griechische Übersetzer um 90 n. Chr. Markus und Lukas verwendete (Das Evangelium nach Matthäus, 41922, 19). In jüngster Zeit s. R. V. Huggins, NT 34 (1992), 1–22 und E. Aurelius, NTS 47 (2001), 428–441. Die Gläubigkeit gegenüber der traditionellen Q-Hypothese ist immer noch sehr groß. 156 Euseb, h.e. 3,39,16: Matqaõo“ mÇn oên ßEbrai?di dialfiktw tÅ l·gia sunet›xato, ™rmflneusen d’ a§tÅ Æ“ én dunatÖ“ ∫kasto“. 157 Hengel, Gospels, 61–65.131–140. 158 Die Alternative war, daß Evangelien später auch bestimmten ethnischen oder judenchristlichen Gruppen zugeschrieben wurden: der Ägypter, der Hebräer, der Ebioniten etc. Aber das bleibt die Ausnahme. Das angebliche »Evangelium nach Basilides« (Origenes, In Lucam
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II. Vorfragen zur Person und Geschichte Jesu
Die Sprache der Logientradition ist insgesamt ein ordentliches, semitisierendes Koine-Griechisch. Der Annahme eines aramäischen Sprachhintergrunds steht nichts im Wege. Es würde genügen, daß die Übersetzer, Abschreiber und schließlich der »Endredaktor« Lukas die Jesusworte und Geschichten in ein passables griechisches Sprachgewand kleideten. Andererseits achtete Lukas bei den Jesusworten stärker darauf, den Wortlaut zu erhalten, als beim Erzählungsstoff, und Matthäus versuchte sogar je und je, einzelne typische Sprachformen der Verkündigung Jesu einschließlich des Parallelismus membrorum nachzuahmen oder wiederherzustellen. 4. Abzulehnen ist die heute gerne vertretene Hypothese, am Anfang habe nur eine weisheitlich-paränetische Logiensammlung gestanden, die dann später durch sekundäre profetisch-apokalyptische Worte angereichert worden sei. Hier ist der Wunsch der Vater des Gedankens. Denn damit beseitigt man das für den modernen Menschen Anstößige in der Verkündigung Jesu und schiebt es der späteren Gemeinde zu: Einen humanen »galiläischen Kyniker« oder »jüdischen Sokrates« findet man sympathischer.159 Auch ihre Einordnung in eine angebliche Gattung der l·goi sofùn, die von der altorientalischen Weisheit bis zu den byzantinischen Gnomologien reicht,160 ist historisch so erhellend (oder auch nichtssagend) wie die Näherbestimmung der Mischna als Rechtssammlung zwischen dem Codex Hammurapi und dem Corpus Iuris Civilis Justinians. In Wirklichkeit ist sie gerade nicht die Sammlung der Worte irgendeines »Weisen« (unter vielen), sondern die einzigartige Sammlung der Worte des einen endzeitlichen »Weisen« schlechthin, das heißt des Menschensohn-Messias Jesus.161 Ein Vergleich mit Kohelet, Sirach oder den Proverbien zeigt, daß trotz mancher formaler Parallelen viele Logien Jesu in ihrer Radikalität der aus empirischer Lebenserfahrung stammenden universal-praktischen Weisheit des alten Orients eher widersprechen. Es ist die Eschatologie bzw. der Bezug auf die Gottesherrschaft, die der Logienüberlieferung ihre Prägnanz und provokative Schärfe gibt, eine Schärfe, die ähnlich wie beim Täufer auf dem apokalyptischen Hintergrund des Wirkens Jesu beruht. Gottes Herrschaft ist im Anbruch, und sein Gericht steht vor der Tür. Darum überwiegt in ihnen der oft scharf zugespitzte antithetische Parallelismus. Das Motiv zu derartigen Sammlungen können wir aus Homiliae, ed. Rauer, GCS 49, 21959 = H. Merkel, Die Pluralität der Evangelien, TC 3, Bern etc. 1978, 8 Z. 38) ist wohl eine polemische Bezeichnung des Origenes für eine Sammlung von Evangelientexten des Basilides und kein wirklicher Titel. Wir können darüber nur Vermutungen anstellen. 159 So bei Crossan und in der amerikanischen Q-Forschung; zu Mack s. o. S. 184 Anm. 53. 160 S. dazu etwa J. M. Robinson, LOGOI SOPHON: Zur Gattung der Spruchquelle Q, in: H. Köster / J. M. Robinson (Hg.), Entwicklungslinien durch die Welt des frühen Christentums, Tübingen 1971, 70–106. 161 S. Hengel, Jesus, 81–131.
§ 6 Die Quellen
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PsSal 17,43 entnehmen, wo es vom Messias als Bringer der Gottesherrschaft (17,3) heißt: »Seine Worte sind mit Feuer geläutert
mehr als das feinste, kostbare Gold, in Versammlungen wird er die Stämme des geheiligten Volkes richten, seine Worte sind wie Worte der Heiligen (das heißt der Engel) inmitten der geheiligten Völker.«
Solche Worte des Messias mußten darum festgehalten und als festgeformte, »verbindliche Lehre«162 weitergegeben werden. Man könnte auch mit allen drei Synoptikern sagen: »Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen.«163 Daß die Passionsgeschichte in der Logientradition fast ganz fehlt, könnte vielleicht damit zusammenhängen, daß sie bereits in einer vormarkinischen Form – einer ganz anderen, erzählenden Gattung zugehörig – existierte und daß Jesus in Galiläa von einem zukünftigen Leiden expressis verbis kaum gesprochen hatte. Der Hinweis auf die Passion fehlt jedoch auch hier nicht ganz. So fordert Jesus als Lehrer Lk 14,27 = Mt 10,38 zur Kreuzesnachfolge auf und spricht in Lk 12,50164 deutlich von seinem Tod und der damit verbundenen Anfechtung. Auch daß dieser Überlieferungskomplex weitgehend das Produkt judenchristlicher Profeten in Palästina sei,165 die im Namen des erhöhten Herrn sprechen, halten wir für unwahrscheinlich. In der Regel reden urchristliche Profeten getrieben vom Geist,166 auch erscheint in der Logientradition nirgendwo expressis verbis der »Erhöhte«, der, zur Rechten Gottes, vom Himmel aus spricht, auch spätere eindeutige Gemeindesituationen werden in diesem Traditionsgefüge kaum sichtbar.167 Diese Logienüberlieferung enthält anders als Markus gerade 162 Vgl. Mt 28,20; 11,29: m›qete üp’ †moú; Apg 2,42; 4,20; 10,36 f. etc. Zur poetischdidaktischen Form der Predigt Jesu s. u. § 12. 163 Mk 13,31 = Lk 21,33 = Mt 24,35; vgl. aus der Logientradition Lk 16,17 und Mt 5,18, wo die Lukas-Fassung sicher die ursprünglichere ist. Hier geht es um das Gesetz, das freilich dem Neuen, der Gottesherrschaft, Raum geben muß. 164 Matthäus hat das Logion weggelassen, vielleicht, weil er es anstößig fand, und ein Jesuswort geformt, das in die Aussendungsrede paßt (10,34–36; vgl. Lk 12,49–52). Vgl. auch noch Lk 13,31–33. S. u. S. 352. 165 Diese häufig vertretene Ansicht hat vor allem F. Neugebauer, Geistsprüche und Jesuslogien, ZNW 53 (1962), 218–228 widerlegt. 166 Vgl. Apg 11,28; 13,2; 21,10 f.; Apk 14,13; vgl. 1 Kor 12,8; 14,1.29 ff. 167 Die vielgeäußerte Meinung, man habe geistgewirkte Profetenworte als Anweisungen des Erhöhten später dem Irdischen in den Mund gelegt, ist in der Regel unbegründet. Der Erhöhte war ja in den geistgewirkten Worten der Profeten in jedem Gottesdienst – wie ihn Paulus etwa in 1 Kor 14 schildert –, das heißt ständig gegenwärtig. Bei der immer neuen Präsenz des Geistes im Gottesdienst mußten Profetenworte gerade nicht festgehalten und weitertradiert werden, sondern wurden in jeder neuen Situation spontan geäußert. Weiter zeigen die erhaltenen Geistsprüche in der Apostelgeschichte und der Apokalypse, daß man sehr wohl zwischen dem Geist und dem – der Gemeinde entzogenen – irdischen Jesus unterschieden hat. Apg 21,11 sagt der
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II. Vorfragen zur Person und Geschichte Jesu
keinen eindeutigen Hinweis auf die Auferstehung und Erhöhung Christi! Zusammen mit Stücken aus dem reichen Lukas-Sondergut, das ebenfalls aus ihr stammen wird, bildet sie die wichtigste Quelle für die Verkündigung Jesu.
6.4.3 Lukas Es ist ein Glücksfall, daß der zweite uns bekannte Evangelienautor, Lukas, aufgrund seiner höheren Bildung im Interesse seines Adressaten und angeleitet durch hellenistische und jüdische Vorbilder, versuchte, eine nach antikem Verständnis historische Biographie zu schreiben. Hinzu tritt die für die Kirche bis Eusebs Historia Ecclesiastica einzigartige »Apostelgeschichte«. Wir können Lukas für sein Doppelwerk, das sachlich zusammengehört (vgl. Apg 1,1), nicht genug danken. Zwar hat Franz Overbeck seinen Versuch, eine »Jesusbiographie« und eine an Petrus und Paulus orientierte frühchristliche »Missionsgeschichte« zu verfassen, als »eine Taktlosigkeit von welthistorischen Dimensionen« bezeichnet,168 weil Lukas, der »geliebte Arzt« und Paulusbegleiter,169 als der erste literarisch gebildete Autor des Urchristentums seiner Zeit weit voraus war und damit dem romantischen Overbeckschen Ideal einer naiven unverfälschten Ursprünglichkeit widersprach. Neuere Exegeten haben dem Urteil Overbecks, das gegen die Vorliebe Harnacks170 für den auctor ad Theophilum gerichtet Profet Agabos zu Paulus nicht: »dies sagte Jesus«, sondern: »dies sagt der heilige Geist«. Apk 2,7 heißt es: »Wer Ohren hat zu hören, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt«, 14,13: »ja, der Geist spricht: Sie werden ruhen von ihren Mühen …«. Auch die Parakletsprüche in den Abschiedsreden bei Johannes unterscheiden deutlich zwischen Jesus und dem Geist. Daß einzelne Worte des Erhöhten in die synoptische Tradition eingedrungen sind, ist eher die Ausnahme, dieselben sind durch ihren christologischen Kontext leicht erkennbar, vgl. aus dem Sondergut Mt 18,20 und dazu mAv 3,2 ein Wort des Märtyrers der Bar Kochba-Verfolgung R. Chanina ben Teradjon: »Wenn zwei (beieinander) sitzen und Worte der Tora sind zwischen ihnen, so weilt die Shekhina unter ihnen.« 168 Christentum und Kultur. Gedanken und Anmerkungen zur modernen Theologie, hg. v. C. A. Bernoulli, Basel 1919 (Nachdruck Darmstadt 1963), 78. 169 Kol 4,14; Phlm 24. Sonst erscheint er nur noch in dem späten Text 2 Tim 4,11, wo die Kenntnis der Apostelgeschichte vorausgesetzt wird; vgl. 2 Tim 3,11 mit Apg 13 und 14, weiter 2 Tim 2,5 mit Apg 16,1 f. Durch das auffallende Lob des Markus 2 Tim 4,11 bringt PseudoPaulus den Bruch Apg 13,13 und 15,38 wieder in Ordnung. Zur Person s. Hengel / Schwemer, Paulus, 9–40. Zu Lukas dem Arzt vgl. Alexander, Preface, 176 ff. und auch A. Weissenrieder, Images of Illness in the Gospel of Luke, WUNT II / 164, Tübingen 2003, 330–346.374: »Nur von Lukas ist in verschiedenen Überlieferungen bezeugt, dass er als Arzt gewirkt habe.« 170 S. seine nach wie vor grundlegenden Arbeiten: Lukas, der Arzt, Leipzig 1906; Die Apostelgeschichte, Leipzig 1908. Im Gegensatz zu dem letztlich fruchtlosen Kritizismus Overbecks hat Harnack den historischen Ort des Doppelwerkes zutreffend bestimmt. Die Bedeutung Harnacks als Erforscher des Neuen Testaments sollte wieder neu erkannt werden, s. dazu Chr. Markschies, Adolf von Harnack als Neutestamentler, in: Adolf von Harnack, Theologe, Historiker, Wissenschaftspolitiker, hg. v. K. Nowak und O. G. Oehler, Göttingen 2001, 365–395. Zur neueren Actakritik s. E. Grässer, Forschungen zur Apostelgeschichte,
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war, in Verkennung der theologischen und literarischen Leistung des Lukas voreilig zugestimmt. In Wirklichkeit hat Lukas der Kirche einen ungeheuren Dienst erwiesen. Erst er hat uns die wichtigsten Teile der Verkündigung Jesu erhalten, Matthäus angeregt, ihm darin zu folgen, und darüber hinaus in der Apostelgeschichte den historischen Zusammenhang der Urgemeinde mit der paulinischen Mission sichtbar gemacht. Das Anliegen des Lukas wird dann wieder von den Apologeten und den Vätern des 2. und 3. Jahrhunderts bis hin zu Euseb aufgenommen. Als Autor der zweiten Generation beruft er sich im Prolog auf ältere Quellen. Zu den »vielen«, auf die er sich bezieht, zählen an erster Stelle Markus, der seinerseits wieder auf der Paradosis des »Augenzeugen und Dieners am Wort« Petrus gründet, weiter wohl mehrere »Logiensammlungen«, seine Sonderquelle zur Passionsgeschichte und eine Vorlage zur legendären, judenchristlich geprägten Vorgeschichte. Eine besondere Rolle spielen bei ihm Überlieferungen von Frauen, beginnend mit der Mutter Jesu.171 Beide Werke, das Evangelium und die Apostelgeschichte, zeigen, daß er umsichtig recherchiert und einen Sinn für »altertümliche« Traditionen entwickelt hat, wenn man dieses Wort bei dem relativ kurzen Zeitraum von ca. 50 Jahren zwischen Jesus und seiner Gegenwart verwenden darf. 2. Das Doppelwerk dürfte etwa zwischen 75 und 85 entstanden sein, wobei zwischen Evangelium und Acta trotz ihres inneren Zusammenhangs ein gewisser Zeitraum liegt.172 Ein wesentlich späterer Ansatz verbietet sich aus mehreren Gründen: Einmal steht Lukas wie kein anderer neutestamentlicher Autor im Evangelium noch unter dem unmittelbaren Eindruck der Zerstörung Jerusalems. Die Katastrophe, die er konkreter als alle anderen Evangelisten schildert und die ihn selbst, der Jerusalem und den Tempel liebt,173 besonders bewegt, kann nicht allzu lange zurückliegen. Zum anderen schreibt er noch in einer Zeit relativer Toleranz der römischen Behörden, wie sie für die frühere Flavierzeit vorauszusetzen ist. Der Autor hofft, daß sich auch höhere römische Magistrate und Glieder der Oberschicht dem Evangelium zuwenden und daß die christliche Verkündigung WUNT 137, Tübingen 2001 und M. Hengel, Der Jude Paulus und sein Volk, ThR 66 (2001), 338–368. 171 S. dazu Hengel, Lukasprolog. Vgl. Lk 8,2 f.; 10,38–42; 24,6–10. Lukas gebraucht das Stichwort gunfl im Evangelium 41mal, Matthäus nur 29mal, Markus 16mal und Johannes 17mal; cflra neunmal, Markus dreimal und Matthäus und Johannes überhaupt nicht. Ausführlich dazu Bauckham, Gospel Women, 47–76.110–165.279–283 u.ö. 172 Dies ergibt sich aus dem Gegensatz von Lk 24 und Apg 1,1–11. Zur Datierung von Evangelium und Apostelgeschichte s. Hengel, Gospels, 187–205. Matthäus ist wesentlich später, s. u. S. 232 Anm. 176 und S. 235 Anm. 188–190. 173 Das ist bereits ein Merkmal seiner Sondergutüberlieferung und mag mit der Tendenz von Traditionsgaranten zusammenhängen, die ihn wesentlich beeinflußt haben. Das Besondere an ihm ist, daß er von sehr verschiedenen Seiten, von Paulus und der Jerusalemer Überlieferung, beeinflußt wurde.
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geduldet wird.174 Von der Unterdrückung von Sympathisanten für den jüdischen und christlichen Glauben in der Oberschicht durch den späten Domitian und den Verfolgungen zur Zeit Trajans ist noch nichts zu spüren. Der »hochwohlgeborene Theophilos« gehört selbst zur Oberschicht und wird vermutlich beiden Werken ihre Titel gegeben und für ihre Verbreitung gesorgt haben. Der sprechende Name könnte ein Deckname sein; die Anrede deutet auf eine höhergestellte Persönlichkeit, möglicherweise ritterlichen Standes, hin.175 Weiter ist das Bild der Gemeinde und vor allem des Judentums, das Lukas gibt, ganz an den Zuständen in Palästina vor 70 orientiert, über die er auf erstaunliche Weise informiert ist. Er schreibt in einem ähnlichen Milieu, wie wir es von Josephus kennen. Das alles wäre um 90 oder 100 kaum mehr möglich gewesen. Die Erholung und Entwicklung des Judentums nach 70 hin zum Rabbinat, die für das Verständnis von Matthäus grundlegend ist, wird bei ihm noch nicht sichtbar,176 dazu ist sein Evangelium zu früh verfaßt. Schließlich und endlich hätte er, wäre ihm Matthäus bekannt gewesen, sicher dieses eindrucksvolle Werk mit seinen großen Reden verwendet, sein Evangelium hätte damit eine wesentlich andere Gestalt gewonnen. Eine zuweilen immer noch vertretene Abhängigkeit des Lukas von Matthäus ist daher unmöglich. 3. Auch bei seiner theologischen Tendenz wird die Rücksicht auf den Angesprochenen sichtbar. Daß er nach der von der jüdischen messianischen Naherwartung ausgelösten Katastrophe von 70 gegenüber allem »eschatologischen Fieber«, das zum Teil auch die Christen ergriffen hatte, zurückhaltend ist, kann man nur zu gut verstehen. Es zeugt von historischem Unverstand, wenn man ihm dies zum Vorwurf macht. Die Rücksicht auf den Empfänger erklärt auch seine äußerliche Zurückhaltung gegenüber einer expressis verbis vorgetragenen Sühne‑ und Kreuzestheologie, obwohl er die Notwendigkeit des Leidens um des Glaubens willen betont und der Tod und die Auferstehung Jesu zusammen 174 Zur Zerstörung Jerusalems s. Hengel, Gospels, 189–194; zur »Oberschicht« s. Apg 8,26–40; 10; 13,7–12; 18,12–16; 23,25 ff.; 24,24 ff.; 26,30 ff.; 28,31. 175 Die analoge Anrede an die ritterlichen Prokuratoren Felix und Festus Apg 23,26; 24,3; 26,25 ist kein Zufall. In Ägypten wurden die ritterlichen Präfekten und Gouverneure der Unterprovinzen, die Epistrategen, in Briefen so angeredet. Vgl. auch die Widmung des Josephus an den Epaphroditus, den reichen Freigelassenen Neros, c. Ap. 1,1; vgl. 2,1, der ihn nach ant. 1,8 gedrängt hatte, die jüdischen Altertümer zu schreiben, die ihm Josephus nach vita 430 widmete, und der als »besonderer Liebhaber der Wahrheit« auch für die Verbreitung des Buches unter Gleichgesinnten sorgte: c. Ap. 2,296. Die Anrede kr›tiste erscheint in der frühchristlichen Literatur nur noch im Diognetbrief. Dort ist sie zusammen mit dem Beginn †peidfl und dem Hinweis auf die Lernbegierde des Adressaten eine leise Anspielung auf Lk 1,1. 176 Vgl. etwa die Polemik Mt 23 und die Tatsache, daß Matthäus die in seiner Markus-Vorlage mehrfach erscheinende Anrede »Rabbi« gegenüber Jesus nur noch dem Verräter Judas in den Mund legt (26,25.49). Sein Sprachgebrauch setzt die Ordination der Schriftgelehrten und die Reservierung des Titels »Rabbi« vornehmlich für sie voraus (23,7 ff.). Das ist kaum vor 90 geschehen. S. dazu u. S. 359 f.
§ 6 Die Quellen
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gesehen die zentrale soteriologische Rolle spielen. Dies zeigt sich zum Beispiel in dem zweifachen ≠pÇr ≠mùn (Lk 22,19 f.), in seiner Schilderung des Abendmahls über Paulus (1 Kor 11,24 f.) und Markus (14,22–24) hinaus, auch das betonte ≤dei paqeõn tÖn Crist·n (24,26) ist vom Leiden des Gottesknechtes zu verstehen.177 Auf der anderen Seite steht ein starkes Streben nach Harmonisierung, das mit seinem apologetischen Interesse zusammenhängt und Konflikte eher verschweigt. So verabschiedet er Petrus mit seiner »paulinisierenden« Rede Apg 15,7–11 und kann dessen Auseinandersetzung mit Paulus Gal 2,11 ff. übergehen. Auch betont er wie kein anderer Evangelist die Liebe Gottes zu den Sündern, ja in Lk 5,8 ff.; 15 und 18,9–14 die »Rechtfertigung des Gottlosen«. Im letztgenannten Gleichnis zeigt sich, daß er trotz aller »Abweichungen«, die ihn als theologisch selbständigen Denker ausweisen, Schüler und Reisebegleiter des Paulus war. Er hat sich freilich durch seinen Kontakt mit der Jerusalemer Gemeinde (s. Apg 21) und seinen Aufenthalt im jüdischen Palästina, verbunden mit seinem besonderen Interesse für die Jesustradition, theologisch von Paulus ein Stück weit entfernt und wurde durch die kritische kirchliche Situation nach 70 bewußt zum ausgleichenden »Vermittlungstheologen«.178 Er wußte sich darum Paulus und Petrus verpflichtet, obwohl in der Apostelgeschichte am Ende doch der Missionar Paulus das Feld beherrscht.
6.4.4 Matthäus Der strenge und selbstbewußte Verfasser des ersten Evangeliums, ein unbekannter christlicher Schriftgelehrter, konnte das ca. 10–15 Jahre ältere Lukasevangelium als das Werk eines Paulusschülers nicht mehr ignorieren, er hat jedoch als Gerüst seines theologisch bis ins letzte ausgefeilten Werkes nicht Lukas, sondern den mit Petrus verbundenen Markus vorgezogen, da auch für ihn selbst die Autorität des »Felsenmannes« grundlegend war. Allein er gibt dem Namen Kephā’-Petros eine einzigartige ekklesiologische Deutung (16,16–19). Freilich haben seine über die Markus-Vorlage hinausgehenden Petrustraditionen weitgehend sekundären Charakter.179 Neben Markus und Lukas verfügt er auch über eine ihm zum Teil schriftlich vorliegende Logientradition, daher ist es beim Redenstoff in der Regel schwer zu entscheiden, ob er aus der lukanischen Vorlage oder direkt aus einer seiner »Logienquellen« oder aus beidem schöpft. Eine besondere, aus der katechetischen Unterweisung180 erwachsene »Quelle« 177 Vgl. Lk 9,22; 13,33 f.; 17,25; 22,37 = Jes 53,12, vgl. Apg 8,32 f. = Jes 53,7 ff.; Lk 24,44; dazu U. Mittmann-Richert, Sühnetod. 178 Hengel / Schwemer, Paulus, 15–18.23 f.35; M. Hengel, ThR 66 (2001), 338–368; ders., Lukasprolog; ders., Petrus, 126 ff. 179 Mt 14,28 f.; 16,17–19; 17,24; vgl. auch 15,15; 18,21. S. dazu M. Hengel, Petrus. 180 Mt 5,1 f.; 13,52; 28,20.
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II. Vorfragen zur Person und Geschichte Jesu
mag zum Beispiel der »Bergpredigt« zugrunde liegen, die wesentlich umfangreicher ist als die »Feldrede« des Lukas.181 Auch der Redestoff des Sonderguts kann aus seiner spezifischen Logientradition stammen. Auf eigene – mündliche? – Quellen weisen auch die Vorgeschichte Mt 1 und 2 und sein über Markus hinausgehender Auferstehungsbericht182 hin. Beide Texte zeigen zugleich eine starke Prägung durch die matthäische Theologie. Sie ist bestimmt durch eine Christologie, die Jesus als messianischen Erlöser und Lehrer darstellt, der als »Sohn Davids« nicht nur die ganze Schrift »erfüllt« (5,17 ff.), sondern durch sein Wirken und Sterben die von Gott geforderte »Gerechtigkeit«183 bringt, das wahre Gottesvolk von der Macht der Sünde befreit184 und es entschieden zum missionarischen Dienst und zum Tun des wahren Gotteswillens, den Jesus selbst auslegt, verpflichtet.185 Darum stellt er mehr als alle anderen Evangelisten Gottes drohendes Gerichtsurteil in den Vordergrund.186 Es ist sein Jesusbild, das bis in die Neuzeit hinein das Verständnis Jesu als ethischer Lehrer und strenger Richter geprägt hat. Dennoch sollte seine klare Soteriologie nicht zugunsten einer moralisierenden Auslegung übersehen werden. An systematischer und die Überlieferung gestaltender Kraft ist er bei aller Traditionstreue Markus und Lukas überlegen, dagegen waren sie die lebendigeren Erzähler. Vor allem die Texte der Markus-Vorlage hat er – aus Raumgründen – oft gekürzt und novellistische Züge herausgestrichen. Zusammen mit dem Evangelium nach Johannes ist sein Werk am zeitlichen Ausgang des Neuen Testaments der »Wegzeiger«, der der werdenden Kirche kraftvoll den Weg in die Zukunft wies.187 Die auffallenden ›minor agreements‹ zwischen Lukas und Matthäus erklären sich durch die von uns vorausgesetzte Bekanntschaft des Matthäus mit Lukas, ähnlich wie man auch eine theologisch 181 Vgl. Mt 5–7 mit Lk 6,20–49 bei zum Teil ähnlicher Reihenfolge. Die Feldrede des Lukas könnte als älterer Text dazu einen Ausgangspunkt bilden. 182 Mt 28,8–20. Bei der Vorgeschichte fällt auf, wie stark er den »gerechten« (1,19) »Nährvater« Joseph in den Vordergrund stellt – im Gegensatz zu Lukas, der in c. 1 und 2 sich ganz auf die Mutter Jesu konzentriert. Mt 1 und 2 erscheint wie ein zum Teil korrigierendes Komplement zu der Vorgeschichte des Lukas. Dasselbe gilt auch für seinen kürzeren Auferstehungsbericht. Sowohl die Vorgeschichte (1,18 ff.) wie die Legende von den Grabeswächtern 27,62–66; 28,4.11–15 setzen antichristliche jüdische Jesuslegenden voraus, die sich mit dem Bericht des jüdischen Gewährsmannes bei Celsus berühren; s. o. S. 210 Anm. 88–91. 183 Mt 3,15; 5,6.20. 184 Mt 1,21; 20,28; 26,28. 185 Mt 5,13 ff.; 28,18 ff.; vgl. 7,12.21 f.; 9,13 und 12,7 (= Hos 6,6); 22,39 f.; 25,40. 186 Vgl. Lk 13,28 und das bei Matthäus sechsfach vervielfältigte Drohwort: 8,12; 13,42.50; 22,13; 24,51; 25,30. Matthäus liebt derartige Wiederholungen von Formeln, s. E. v. Dobschütz, Matthäus, 339–342. Er sieht in dem Autor vielleicht allzu kühn den »durch die Schule der Rabbinen gegangene(n) Judenchrist(en)«, ja den »konvertierte(n) jüdische(n) Rabbi« (343). Das »Rabbinat« war zur Zeit des Matthäus erst in statu nascendi. 187 Zur Theologie und christologischen Soteriologie des Matthäus, insbesondere zu seinem Verständnis von dikaios‚nh und n·mo“, s. jetzt grundlegend Deines, Gerechtigkeit.
§ 6 Die Quellen
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»distanzierte« Kenntnis bei Johannes gegenüber den älteren synoptischen
Evangelien – hier besonders Markus und Lukas – annehmen muß, die gewisse wörtliche Parallelen verständlich macht. Ob Johannes das spätere Evangelium nach Matthäus noch gekannt hat, bleibt dagegen ungewiß. Beide Evangelien kommen sich zeitlich relativ nahe. Was die Datierung des ersten Evangeliums anbetrifft, so wird in ihm die Verwandlung der Pharisäer in die absolut beherrschende religiöse Gruppe im palästinischen Judentum unter Führung der Schriftgelehrten, das heißt die Konsolidierung des sich neu formierenden Rabbinats in Jabne durch den Einfluß von R. Gamaliel II., bereits vorausgesetzt.188 Die anderen Gruppen, Sadduzäer und Herodianer, sind dagegen bedeutungslos geworden. Die Gegner Jesu werden stereotyp als die Einheit von »Schriftgelehrten und Pharisäern«189 verstanden, und man spürt, daß der Evangelist als (juden‑)christlicher Schriftgelehrter (13,52) in intensiver Auseinandersetzung mit ihnen steht. Dies zusammen mit der Tatsache, daß bei Matthäus im Vergleich mit Lukas die Zerstörung Jerusalems durch die größere zeitliche Entfernung und die Erholung des Judentums in Palästina wieder zurücktritt und daß er sich in Sprache und Vorstellungen am meisten mit der rabbinischen Überlieferung berührt, weist auf eine spätere Entstehungszeit, etwa zwischen 90 und 100 n. Chr., hin. Es ist kein Zufall, daß das reiche Sondergut des Lukas im Blick auf die alte Jesustradition viel ergiebiger ist als das des Matthäus, dessen Erweiterungen zumindest teilweise legendär sind,190 doch besitzt auch er wertvolle Sondergutüberlieferung, vor allem in den Gleichnissen: so in Mt 13, vom Unkraut im Weizen, vom Schatz im Acker, der Perle und dem Fischnetz, in c. 18 vom Schalksknecht und dem bedingungslosen Vergeben, in c. 20 von den Arbeitern im Weinberg und in c. 25 von den klugen und törichten Jungfrauen und das Gleichnis vom Weltgericht.191 Die Logienüberlieferung ist dementsprechend bei Lukas häufiger 188 S. dazu Lk 11,39–52, die Vorlage seiner Polemik gegen die Schriftgelehrten und Pharisäer in Mt 23. Dazu H.-J. Becker, Kathedra, und Hengel, Gospels, 195 ff. Auch die Katastrophe von 70 liegt viel weiter zurück als bei Lukas. In vergleichbarer Weise finden wir diese einseitige Betonung der Pharisäer als Vertreter der Jesus feindlichen »Juden« beim spätesten Evangelisten Johannes. 189 Matthäus verwendet diese Formel stereotyp zehnmal; Lukas hat die Sequenz in seinem etwas größeren Evangelium nur dreimal. Die Schriftgelehrten sind die Führungsgruppe der Pharisäer. 190 Vgl. etwa in der Leidensgeschichte Mt 26,51–54; 27,3–10.19.24 f. Wir finden hier die ersten Ansätze einer sich entwickelnden Pilatuslegende: 27,51b–53.62–66; 28,2–4.11–15. Legendarisch sind wohl auch seine gegenüber Markus zusätzlichen Petrustraditionen. S. auch o. S. 234 Anm. 186 zum Gerichtsgedanken. E. v. Dobschütz, Matthäus, 347 vermutet eine Ansetzung zwischen 90–110 oder rund um 100. 110 wird zu spät sein, da IgnEph 11,1 Mt 3,7 und IgnSm 1,1 Mt 3,15 voraussetzt. 90–100 dürfte zutreffen. Lukas datiert Dobschütz dagegen richtig in die Zeit zwischen 70 und 90 oder rund um 80. 191 Z. B. Mt 13,24–30.44–50; 18,23–35; 20,1–16; 21,18–21; 25,1–13.31–46.
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II. Vorfragen zur Person und Geschichte Jesu
in einer älteren Form und Reihenfolge erhalten als bei Matthäus, umgekehrt ist bei diesem die Verkirchlichung fortgeschritten und die Gemeindedisziplin weitergebildet: Nur er bringt Ansätze zu einer Gemeindeordnung, nur bei ihm erscheint zweimal der den Evangelien sonst fremde Begriff †kklhs‡a.192 Alte Jesusüberlieferung findet sich auch im Sondergut seiner Gleichnisse und in der Bergpredigt. Weiter ist es einsichtig, daß das erstmals »pseudepigraphisch« einem Apostel zugeschriebene Evangelium später entstand als die Schriften von Apostelschülern wie Markus und Lukas. Das 2. Jahrhundert will ihm folgend vor allem Apostel als Evangelienautoren haben. Vermutlich hat der unbekannte Autor und jüdisch-christliche Schriftgelehrte193 in einer der hellenistischen Städte des südlichen Syriens oder in Palästina selbst194 den Namen des Apostels Matthäus, der nur bei ihm zweimal mit dem Beinamen »der Zöllner« erscheint und dabei an die Stelle des Zöllners Levi der Markus-Vorlage getreten ist,195 übernommen, weil dieser als Sammler der ältesten Logientradition galt. Dies könnte die schon oben zitierte Nachricht bei Papias196 erklären, daß Matthäus die Logien in hebräischer, das heißt aramäischer Sprache verfaßt habe. Unseres Erachtens war die älteste aramäische Logiensammlung mit dem Namen dieser sonst nicht hervortretenden Autorität aus dem Zwölferkreis verbunden. Dann hätte es sich auch hier nicht einfach um »anonyme« Jesusüberlieferung gehandelt, sondern um Traditionen, hinter denen ein Jünger Jesu stand. Es war der betont judenchristliche Charakter des ersten Evangeliums zusammen mit der klaren Darstellung Jesu als Lehrer, ja als neuer Gesetzgeber in den großen Reden (s. vor allem 5,17–48), und dem Anspruch eines apostolischen Ursprungs, das seit dem 2. Jahrhundert und bis in die Gegenwart hinein den Anschein erweckte, Matthäus sei das älteste Evangelium.
192 Mt 16,18 im Felsenwort zu Petrus und in 18,17 bei seiner Anweisung zur Gemeindezucht. Bei Markus erscheint der Begriff noch nicht; Lukas bringt ihn erst in der Apostelgeschichte ab 5,11, dann aber häufig, 29mal. Das heißt, Lukas unterscheidet noch deutlicher zwischen der Zeit Jesu und der Zeit der Gemeinde: Auch der trinitarische Taufbefehl und die Sendung der Jünger am Ende Mt 28,19 f. deuten auf eine spätere Entstehung hin. Zur Disziplin s. die große Gemeinderede c. 18. 193 Mt 13,52. Vermutlich hat er seine schriftgelehrte Schulung ursprünglich in einem jüdischen Lehrhaus erhalten; s. o. S. 234 Anm. 186. Darum hat er, wie der erste Band von Billerbeck zeigt, die meisten rabbinischen Parallelen. S. dazu M. Hengel, Bergpredigt, in: ders., KS II, 219–292. 194 Mt 4,24 f. ist die einzige Stelle, die Syrien mit dem Wirken Jesu in Verbindung bringt. Das ist kein Zufall. 195 Mt 9,9; 10,3. Dagegen nennen Mk 3,18; Lk 6,15; Apg 1,13 nur den Namen Matthäus unter den Zwölfen ohne den Zusatz ¨ tel„nh“. 196 Euseb, h.e. 3,39,16. S. o. S. 227.
§ 6 Die Quellen
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6.5 Johannes197 Völlig anders geartet ist das Johannesevangelium, das als Quelle für die JesusTradition nur bedingt in Frage kommt. Denn beim vierten Evangelium hat die »Übermacht« der Christologie des eigenwilligen Autors die geschichtliche Wirklichkeit umgeformt bzw. verdrängt. Es wird in der kirchlichen Überlieferung seit dem Valentinschüler Ptolemäus und dann wieder seit Irenäus dem Zebedaiden Johannes, das heißt dem Apostel aus dem Zwölferkreis, zugeschrieben.198 Die wirkliche Verfasserschaft – der rätselhafte, namenlose Lieblingsjünger soll nach 21,24 f. das Ganze geschrieben haben – wird in dem Zusatzkapitel ja bewußt verhüllt, denn dieser wird auch in Joh 21,2 nicht identifiziert. Dahinter steht unseres Erachtens ein überragender theologischer Lehrer, Johannes von Ephesus, identisch mit dem »Presbyter Johannes« und »Jünger des Herrn« bei Papias, Irenäus und Polykrates von Ephesus in seinem Brief an Viktor von Rom um 190.199 Dies entspricht der Einleitung des 2. und 3. Johannesbriefes: ¨ presb‚tero“. Papias erwähnt diesen »Presbyter Johannes« mehrfach als seinen wichtigsten Tradenten. Vermutlich war er ein ganz junger Augenzeuge und Jesusanhänger aus der Jerusalemer Aristokratie und Schüler des Zebedaiden Johannes.200 Möglicherweise sind darum im Evangelium, das seine Schüler herausgaben (21,24), beide, Johannes der Zebedaide und der Alte, zu einer Person verschmolzen.201 Der Autor, das heißt der »Alte Johannes«, schreibt sein Evangelium in deutlichem Gegensatz zur petrinisch geprägten synoptischen Tradition, die er (mündlich und schriftlich) nur zu gut kennt202 und die ihm nicht mehr ausreicht, das wahre Wesen und den Weg des Mensch gewordenen Gottessohns angemessen darzustellen. Es ist verständlich, daß Schleiermacher und seine ihm geneigten Zeitgenossen, die die einzigartige urbildliche »stetige Kräftigkeit 197 Dodd, Historical Tradition; R. E. Brown, The Gospel according to John I, AncB 29, New York etc. 1966, XLI ff.; Hengel, Johanneische Frage; Nagel, Rezeption; Theissen / Merz, Jesus, 49 ff.; H. Thyen, Das Johannesevangelium, HNT 6, Tübingen 2005; C. E. Hill, The Johannine Corpus in the Early Church, Oxford 2004. 198 S. dazu und zum Folgenden Hengel, Johanneische Frage, 18 ff.37 f.; Justin, dial. 81,4 nennt den Apostel Johannes als Verfasser der Apokalypse. Die Herkunft vom Zebedaiden wurde noch von Schleiermacher (s. o. S. 177 Anm. 25) und Loofs, Jesus Christus, nachdrücklich vertreten. 199 Euseb, h.e. 3,39,4. Auch bei Irenäus und Polykrates von Ephesus wird er noch stereotyp »Jünger des Herrn« bzw. »der an der Brust des Herrn lag« und nicht Apostel genannt. 200 Vgl. Joh 18,15; Hengel, Johanneische Frage, 321 ff. Zum Lieblingsjünger s. noch 13,23 ff.; 19,26 ff.35; 20,2–8; 21,7 ff.20–24. 201 Hengel, Johanneische Frage, 313–320. 202 Sicher kennt er Markus und Lukas. Er verwendet und kritisiert sie. Darüber hinaus ist er mit der mündlichen Tradition vertraut. Zur Verwendung derselben s. M. Theobald, Herrenworte.
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II. Vorfragen zur Person und Geschichte Jesu
des Gottesbewußtseins« Jesu zur Grundlage des Glaubens machen wollten, sich gegen die Synoptiker gerade auf das Johannesevangelium stützten und dies für die treueste Darstellung Jesu hielten. Unter den Hammerschlägen eines D. F. Strauß ist diese Hypothese zerbrochen.203 Auch hier bleibt eine letzte Unsicherheit, etwa in der Frage: Wie ist das Vollmachtswort über die einzigartige, die Offenbarung bestimmende Einheit von Vater und Sohn Lk 10,22 (= Mt 11,27) aus der Logienüberlieferung einzuordnen? Weist es nicht doch zu Johannes hinüber?204 Es könnte so etwas wie eine Brückenfunktion zum vierten Evangelium besitzen. Selbst R. Bultmann äußerte 1925 die kühne Vermutung, »daß das Auftreten und die Verkündigung Jesu vielleicht viel stärker im Zusammen-
hang der gnostisch-täuferischen Bewegung stand, aus der das JohEv zu verstehen ist, als es die synoptische Tradition erkennen läßt. Die Urgemeinde, aus der die synoptische Tradition stammt, … dürfte vielleicht eine judaisierende Reaktionserscheinung darstellen, für die … Petrus verantwortlich gemacht werden mag.«205
Auch wenn man dies bezweifelt, bleibt historisch gesehen das Rätsel des Johannesevangeliums eine offene, ja unlösbare Frage. Von einer »Rejudaisierung« der Urgemeinde in den Synoptikern sollte man freilich nicht sprechen: Die Jesusbewegung war ganz und gar jüdisch, und auch der Verfasser des vierten Evangeliums ist Judenchrist. Die in jüngster Zeit wieder geäußerte Vermutung, das vierte Evangelium sei älter als die Synoptiker,206 ist abwegig. Es ist eindeutig das späteste der vier Evangelien. Das wußte schon die frühe Kirche seit Irenäus und Clemens Alexandrinus, die sich hier auf ältere Tradition stützen.207 An einzelnen Punkten mag das vierte Evangelium, das von der geographischen Perspektive Jerusalems aus geschrieben ist, die synoptische Tradition korrigieren, etwa darin, daß die Dauer der Wirksamkeit Jesu länger war als nur ein Jahr, obwohl die Angabe des vierten Evangeliums, das von ca. zwei bis drei Jahren spricht, wieder zu lang ist.208 Weiter könnte man bedenken, daß es eine »täuferische« Übergangszeit vor dem öffentlichen Auftreten Jesu in Galiläa gab, da er 203 S. o.
S. 177 Anm. 25. Zu einem Deutungsversuch s. u. S. 542. 205 Exegetica, 102 = ZNW 24 (1925), 144. 206 So John A. T. Robinson, The Priority of John, London 1985; K. Berger, Am Anfang war Johannes. Datierung und Theologie des vierten Evangeliums, Stuttgart 1997. 207 Irenäus, adv. haer. 3,1,1; Clemens Alexandrinus bei Euseb, h.e. 6,14,7 nach dem 6. Buch der Hypotyposen: tÖn mfintoi ûIw›nnhn ≤scaton … pne‚mati qeoforhqfinta pneumatikÖn poiösai e§aggfilion. Vgl. auch die Evangelienprologe und den Canon Muratori bei Aland, Synopsis, 549.554 f. und Euseb, h.e. 3,24,5–13, ein Text, der Widersprüche zwischen den Synoptikern auszugleichen versucht und der zumindest teilweise auf eine ältere Quelle zurückgeht. S. dazu C. E. Hill, JThS 49 (1998), 582–629, der allzu optimistisch Papias vermutet. Wir würden eher Origenes oder Clemens Alexandrinus als Quelle vermuten. S. auch Merkel, Widersprüche, 64 f. 208 Johannes rechnet mit wenigstens drei Passafesten: 2,13.23; 6,4; 11,55 (12,1; 13,1). S. u. S. 308.343. 204
§ 6 Die Quellen
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seine ersten Jünger aus dem Täuferkreis erhielt, ja daß er vielleicht zuerst selbst taufte, daß die Auseinandersetzung, die am Ende in Jerusalem zu seinem Tod führte, nachhaltiger und länger war, als Markus berichtet, und daß auch gewisse historische Details aus der Passionsgeschichte ernst zu nehmen sind.209 Aber all das bleibt relativ unsicher. Denn insgesamt tritt der Geschichtswert des Johannes hinter Markus, der Logientradition, dem Lukas‑ und dem Matthäus-Sondergut zurück. Allein auf ihn kann man sich nur selten stützen und muß dies jeweils begründen. Dies wird besonders deutlich in der scharf ausgeprägten Hochchristologie des vierten Evangelisten, die die des Paulus voraussetzt. Er steht bei aller großen Selbständigkeit doch zugleich auf den Schultern desselben.210 Man erhält den Eindruck, als habe Johannes – sehr viel stärker als die Synoptiker – ganz bewußt das Bild des erhöhten Herrn in den irdischen Jesus hineinprojiziert. Die eigene christologische Ausformung der Jesustradition und ältere Überlieferung verbinden sich teilweise im Johannesevangelium so nahtlos, daß man zwischen Tradition und Interpretation kaum mehr unterscheiden kann.211 Sein hieratischer Stil ist völlig einheitlich, so daß D. F. Strauß vom »ungenähten Rock Christi« sprechen konnte.212 Er verbietet uns die auch heute noch immer beliebten Quellenhypothesen und Scheidungen von Redaktionsschichten. Die traditionsgeschichtlich und literarisch gewiß komplizierte Vorgeschichte des Evangeliums und des dahinterstehenden eindrucksvollen Lehrers und seines Kreises läßt sich nicht mehr rekonstruieren, wir können darüber nur noch mehr oder weniger unsichere Vermutungen äußern. Die theologische Sprache des Evangelisten (und Briefschreibers) ist dabei identisch mit der Sprache Jesu im Evangelium. Jesus verkündigt sich im vierten Evangelium selbst als den vom Vater in die Welt gesandten präexistenten Gottessohn. Wer ihn sieht, sieht den Vater.213 Diese Redeform der »Offenbarungsreden« unterscheidet sich wesentlich von den Logien und Gleichnissen der Synoptiker, obwohl auch bei Johannes die 209 Zu historischen Details M. Hengel, Das Johannesevangelium als Quelle für die Geschichte des antiken Judentums, in: ders., KS II, 293–334; nach wie vor grundlegend Dodd, Historical Tradition. S. auch u. S. 600. 210 Hengel, Johanneische Frage, 160.299; vgl. J. Wellhausen, Das Evangelium Johannis, 1908, 121: »Johannes fußt auf Paulus.« Er vertritt ein klares »solus Christus, sola fide, sola gratia«. Möglicherweise standen sich Teile der Urgemeinde und Paulus theologisch doch näher, als gemeinhin angenommen wird. S. dazu 1 Kor 15,11 und den Abbaruf in den paulinischen Gemeinden. 211 Darum bemüht sich besonders Theobald, Herrenworte. Daß schon die Jünger Jesu theologisch in eigener Verantwortung sprechen konnten und sich zugleich als die Stimme ihres Herrn betrachteten, deutet Lukas in der Aussendungsrede Lk 10,16 an; s. u. S. 374 Anm. 172; Hinweis von F. Neugebauer. 212 S. Hengel, Johanneische Frage, 9 Anm. 1; vgl. 226–252. S. jetzt auch den Kommentar von H. Thyen (o. S. 237 Anm. 197). 213 Joh 14,9. Gegen 27mal ist formelhaft von der Sendung des Sohnes durch den Vater die Rede.
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II. Vorfragen zur Person und Geschichte Jesu
älteren Logien‑ und Gleichnisformen noch zuweilen durchschimmern; freilich sind sie meist in den Text eingeschmolzen. Auch von den sieben ausgewählten Wundern Jesu werden vier von den Synoptikern nicht berichtet. Sie sind für Johannes »Zeichen«, die die göttliche Würde Jesu zum Ausdruck bringen, und gehen nicht auf eine gesonderte literarische Quelle zurück, sondern stammen aus mündlicher Tradition (bzw. aus Markus) und sind integraler Bestandteil des Evangeliums. Sie weisen über sich selbst hinaus und wollen auf das zentrale »Zeichen«, die Auferstehung Jesu, hinführen. Die große Freiheit in der Darstellung der Selbstverkündigung Jesu gewinnt der Evangelist dadurch, daß er betont, die Jünger hätten Jesu Worte und Zeichen vor Ostern nicht oder unzureichend verstanden und erst der Geist als Gabe des Auferstandenen, der in den Abschiedsreden verheißene »Paraklet«, werde sie »belehren«, »erinnern« und »in alle Wahrheit führen«.214
6.6 Apokryphe Evangelien und Agrapha215 Im Vergleich mit unseren Hauptquellen, den vier kanonischen Evangelien, und hier wieder besonders den drei ersten, den Synoptikern, haben die apokryphen Evangelientexte und ‑fragmente für eine »Annäherung« an den »historischen Jesus« durchweg nur sekundäre Bedeutung. Sie sind, was die eigentliche »Geschichte und Lehre Jesu« anbetrifft, mit den Synoptikern in keiner Weise gleichwertig. Letztere sind auch eindeutig die ältesten Zeugen. Dies gilt auch für die sogenannten »Agrapha«, die »nichtkanonischen Jesusworte«, die wir in einzelnen späteren neutestamentlichen Handschriften, in patristischen, ja selbst in islamischen Texten finden,216 und genauso für die Texte von Nag Hammadi, mit Ausnahme vielleicht des Thomasevangeliums. Es mag in den Agrapha vereinzelte Logien geben, die möglicherweise auf Jesus zurückgehen könnten. Aber Zu den shmeõa vgl. Joh 2,18–22. Zu den nur von Johannes berichteten Wundern s. 2,1–10; 5,2–9; 9,1–12; 11,1–44a. Zum Parakleten s. 14,26; 16,13 ff., vgl. 14,16; 15,26; 16,7 ff.; s. auch 20,22. Zu den Wundern s. auch u. S. 492–497. 215 A. Resch, Agrapha, Leipzig 21906 (Nachdruck Darmstadt 1967); Theissen / Merz, Jesus, 48–72; NTApo5, Bd. I. Evangelien; Klauck, Apokryphe Evangelien (zur Zeit die beste deutsche Darstellung des Problems). Zur Verarbeitung älterer Herrenworte im 4. Evangelium s. M. Theobald, Herrenworte. Theobald spricht von »kreative(n) Fortschreibungen der Worte Jesu« (41). 216 Zu den ›Agrapha‹ s. Klauck, Apokryphe Evangelien, 16–34. Einzelne Texte finden wir schon im Neuen Testament. Ein typischer Fall ist Apg 20,35 in der Paulusrede in Milet. Man könnte aber auch schon 1 Thess 4,15 ff. dazurechnen, weiter Zusätze in Evangelienhandschriften wie Codex D zu Mt 20,28; Lk 6,4; 22,28 etc. Die islamischen Texte, die dringend einer monographischen Untersuchung bedürften, finden sich bei M. Asín y Palacios, Logia et Agrapha Domini Jesu, PO 13,3, Paris 1919, 347–431; PO 19,4, Paris 1926, 528–624. 214
§ 6 Die Quellen
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wirklich wahrscheinlich machen kann man dies kaum.217 Damit widersprechen wir nachdrücklich den heute beliebten Versuchen, neue außer‑ und vorsynoptische Quellen zu finden, oder besser: zu erfinden. Ein typisches Beispiel ist die »Quellenmagie« von J. D. Crossan:218 Mit einer fast divinatorischen Gabe, gepaart mit historischer Unbekümmertheit, postuliert er acht evangelienartige Quellen aus dem ersten »Stratum«, der Zeit zwischen 30 und 60, darunter die Urschrift des Thomasevangeliums und Papyrus Egerton 2, die beide aus den fünfziger Jahren stammen sollen, zwei apokryphe Papyrusfragmente219 aus dem 3. und 4. Jahrhundert, die sich gegenüber Markus eindeutig als sekundär erweisen, das sogenannte Hebräerevangelium,220 von dem wir nur sieben Väterzitate besitzen und das ebenfalls schon in den fünfziger Jahren in Ägypten entstanden sei, eine angeblich Johannes und Markus gemeinsame Wundersammlung und ein apokalyptisches Szenario, das hinter Mt 24 und Didache 16 stehen soll.221 Die letzte »Quelle«, ein sogenanntes »Cross Gospel«, das im Petrusevangelium verarbeitet und wieder »in the fifties … possibly at Sepphoris in Galilee« verfaßt worden sei und das die einzige Quelle zu den Passionsgeschichten der kanonischen Evangelien darstellen soll,222 ist eine reine Phantasmagorie. Im Petrusevangelium, von dem wir ein größeres Fragment aus der Leidensgeschichte besitzen, spricht der führende Jünger Jesu in erster Person. Das geschieht in keinem der älteren Evangelien.223 Es stellt in Wirklichkeit ein judenfeindliches, phantasievoll-mirakulöses Werk aus der Mitte des 2. Jahrhunderts dar, das bereits alle vier Evangelien verwendet.224 Diese wundersame Evangelienvermehrung Crossans 217 S. das kritische Urteil von O. Hofius, Art. Agrapha, in: TRE 2, 1978, 103–110. Zur koptischen Bibliothek von Nag Hammadi s. die englische Übersetzung: The Nag Hammadi Library in English. Translated and Introduced by Members of the Coptic Gnostic Library Project, ed. by J. M. Robinson, Leiden etc. 31988; deutsche Übersetzung: Nag Hammadi Deutsch. Bd. 1: NHC I,1–V,1; Bd. 2: NHC V,2–XIII,1, BG 1 und 4, hg. v. Hans-Martin Schenke u. a., GCS.NF 8.12, Berlin / New York 2001.2003. 218 Historical Jesus, 427–434. 219 Zu P. Egerton s. Klauck, Apokryphe Evangelien, 36–40. Zu P. Vindob. G 2325, 3. Jahrhundert n. Chr. = van Haelst, Nr. 589, vgl. Mk 14,26–30: Die Textform des Logions ist eindeutig sekundär gegenüber Markus. Zu P. Oxy 10.1224, 4. Jahrhundert n. Chr. = van Haelst, Nr. 587, vgl. Mk 2,16 f.; Mt 5,44; Mk 9,40; vgl. dazu NTApo5 I, 85 f.; Text bei Aland, Synopsis, 63.84.248. Auch dieser Text ist im Vergleich mit Mk 2,16 f.; Lk 6,26 (Mt 5,44) und Mk 9,40 sekundär. 220 Zum Problem der judenchristlichen Evangelien s. Klauck, Apokryphe Evangelien, 53–76: Sie reichen bis ins Mittelalter, zum Hebräerevangelium s. 55–62. S. auch J. Frey, Die Scholien nach dem »jüdischen Evangelium« und das sogenannte Nazoräerevangelium, ZNW 94 (2003), 122–137. 221 Die Didache kennt ihrerseits Matthäus, s. Köhler, Rezeption, 19–55 (51 ff.55). 222 Vgl. auch J. D. Crossan, The Cross That Spoke: The Origins of the Passion Narrative, San Francisco 1988. 223 Vgl. dagegen 2 Petr 1,16–18 oder das Kindheitsevangelium des Thomas, s. NTApo5 I, 353. 224 M. G. Mara, Évangile de Pierre, SC 201, Paris 1973; Klauck, Apokryphe Evangelien, 110–118; Hengel, Gospels, 12–20. Ab circa 130 häufen sich Petrusapokrypha, s. 2. Petrus, Kerygma Petri, Petrusapokalypse, Petrusevangelium und in der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts die Urschriften der Petrusakten und der Pseudoclementinen.
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II. Vorfragen zur Person und Geschichte Jesu
setzt sich im zweiten »Stratum« zwischen 60 und 80 fort. In diese Zeit sollen fünf weitere apokryphe Evangelienschriften fallen: das Ägypterevangelium, das von Morton Smith entdeckte »Secret Gospel of Mark« (das wir für eine tendenziöse Fälschung halten),225 POxy 5.840,226 die zweite Schicht des Thomasevangeliums, eine Dialogsammlung, die in den Dialog des Erlösers von Nag Hammadi eingefügt ist,227 und die Semeiaquelle, die dem vierten Evangelium zugrunde liegen soll.228 Neben diesen 14 neu datierten evangelienartigen Quellenschriften aus der Zeit zwischen ca. 60–80 stehen als »kanonische Texte« nur die echten Paulusbriefe, Kolosser, die Logienquelle und das Markusevangelium. Kein Wunder, daß eine solche Flut von »neuen Quellen« den Autor zu einem ganz neuen »Leben Jesu« von fast 500 Seiten inspirierte.
Wir tun wohl gut daran, bescheidener zu sein. Das Thomasevangelium wird heute in 114 Logien eingeteilt, die zu mehr als der Hälfte in »synoptischem« Stil verfaßt sind, zum anderen aus »gnostisierenden« Worten bestehen. Es ist in seiner griechischen Urform in einem längeren Prozeß entstanden, der gegen Mitte des 2. Jahrhunderts abgeschlossen war. Das älteste griechische Papyrusfragment ist etwa um 200 anzusetzen. Die koptische Übersetzung, die stark vom sahidischen Evangelientext beeinflußt ist, stammt erst aus dem 4. Jahrhundert. Gegenüber den synoptischen Parallelen zeigen die Logien des Thomasevangeliums deutlich eine weiterentwickelte Form mit einer stark typisierten, enthistorisierten, entjudaisierten und einer von allen eschatologischen Zügen »gereinigten« Gestalt, zuweilen verbunden mit einer asketisch eingefärbten Interpretatio gnostica, der schon die Einleitung, »diese sind die geheimen Worte, die Jesus der Lebendige sprach«, entspricht. Eben diese Züge machen das Thomasevangelium bei manchen Gelehrten so beliebt. Sicherlich ist es diejenige frühchristliche Schrift, die moderner Esoterik am nächsten steht.229 Bei den nichtsynoptischen Logien, 225 M. Smith, Clement of Alexandria and a Secret Gospel of Mark, Cambridge (Mass.) 1973; H. Merkel, ZThK 71 (1974), 123–144; ders. in: NTApo5 I, 89–92 (Lit.); B. D. Ehrman, Lost Christianities. The Battles for Scripture and the Faiths We Never Knew, Oxford 2003, 68–89. S. C. Carlson, The Gospel Hoax. Morton Smith’s Invention of Secret Mark, Waco (Tex.) 2005. 226 4. / 5. Jahrhundert = van Haelst, Nr. 585; NTApo5 I, 81 f. 227 Es handelt sich unseres Erachtens um einen ganz späten gnostischen Text, der unter Umständen erst im 3. Jahrhundert entstanden ist und eine entwickelte Gnosis voraussetzt. 228 Ihre Existenz ist völlig hypothetisch; s. Hengel, Johanneische Frage, 246–248; gegen sie spricht die stilistische Einheit des vierten Evangeliums. Man könnte mit Overbeck von einem »Gelehrtenhomunculus« sprechen. 229 Text mit Übersetzung: H.-G. Bethge, Appendix I. Das Thomasevangelium, in: K. Aland, Synopsis, 517–546. Griechische Fragmente, die zum Teil fragwürdig sind, auch bei D. Lührmann, Fragmente apokryph gewordener Evangelien in griechischer und lateinischer Sprache, MThSt 59, Marburg 2000, 106–131 (POxy 1.654.655). S. M. Fieger, Das Thomasevangelium. Einleitung, Kommentar und Systematik, NTA NF 22, Münster 1991, Einleitung 1– 16 (6): »Wie die Analyse dieser einzelnen Logien zeigen wird …, handelt es sich nicht um eine von den kanonischen Evangelien unabhängige und selbständige Evangelienüberlieferung … Das ThEv greift auch nicht auf die Logienquelle Q selbst zurück, denn fast immer dann, wenn sich die Spuren der Redaktionsarbeit einzelner Evangelisten mit einiger Sicherheit ausmachen
§ 6 Die Quellen
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die unter anderem bisher unbekannte Gleichnisse enthalten, kann man im einen oder anderen Fall eine Authentizität annehmen; es ist jedoch schwierig, dies im Einzelfall befriedigend zu begründen. Unser Wissen um den historischen Jesus vergrößern sie kaum. Das Werk ist interessant für die spätere nachsynoptische Formung der Jesustradition in einem Milieu, das typisch für Tendenzen des 2. Jahrhunderts ist: »Man überfordert das EvThom, wenn man es zu einem den Synoptikern ebenbürtigen
oder gar überlegenen Zeugen für die Jesusüberlieferung emporstilisiert. Erst von dieser Bürde, die es nicht tragen kann, befreit, gibt es den Reichtum an Inhalten und Einsichten preis, den es für uns durchaus bereithält.«230
Die frühen apokryphen Evangelien sind im Blick auf das theologisch experimentierende gnostisierende oder auch volkstümliche Christentum des 2. Jahrhunderts interessante Zeugnisse. Um der historischen Annäherung an Jesus willen müssen wir jedoch auf sie verzichten und uns mit den synoptischen Texten als der einen wesentlichen Hauptquelle zufriedengeben. Wir haben keine besseren.
lassen, ist auch im ThEv eine Kenntnis dieser redaktionellen Veränderungen festzustellen.« S. schon W. Schrage, Das Verhältnis des Thomasevangeliums zur synoptischen Tradition und zu den koptischen Evangelienübersetzungen, BZNW 29, Berlin 1964, 2–11 (8): »Tatsächlich wird sich … bei der Einzelanalyse ergeben, daß die Möglichkeit einer von den Synoptikern unabhängigen Tradition in dem einen oder anderen Falle zwar nicht auszuschließen ist, im übrigen aber Th primär nicht auf eine vor und hinter unseren Evangelien liegende Überlieferungsschicht zurückgeht.« Klauck, Apokryphe Evangelien, 142–162, kommt aufgrund der Tatsache, daß der älteste griechische Text, POxy 1, etwa um 200 zu datieren ist, auf eine Entstehung ca. 120–140 in Syrien. S. weiter Schröter, Erinnerung. Gegenüber dieser Sachlage bedeuten die Ausführungen von Crossan und von H. Koester, Ancient Christian Gospels, London 1990, 81–113 einen Rückschritt. Völlig unsinnig ist es, mit Crossan, Historical Jesus, 427, aufgrund von Logion 12 (um des Herrenbruders Jakobus willen sind Himmel und Erde erschaffen) eine Entstehung vor dessen Steinigung 62 n. Chr. unter der Ägide des Jakobus in Jerusalem anzunehmen. Einen derartigen Größenwahn sollte man Jakobus nicht zumuten. Auch Mt 16,16 ff. dürfte kaum zu Lebzeiten des Petrus, das heißt vor 64 n. Chr., formuliert worden sein. Matthäus entstand erst ca. 90–100 n. Chr. S. Hengel, Petrus, 21–44. 230 Klauck, Apokryphe Evangelien, 162.
§ 7 Die historische Rückfrage 7.1 Jesusbiographie, mündliche Überlieferung, Augenzeugenschaft, Autorität und Verschriftlichung 1. In nicht wenigen Untersuchungen zu den Evangelien konnte man lesen, daß diese – vielleicht mit Ausnahme des Lukas – in keiner Weise »historisch erzählende« Werke oder gar »Biographien«, sondern reine Glaubenszeugnisse und Mittel der Verkündigung sein wollten, so daß darum auch die Frage nach ihrem historischen Gehalt an ihrer Intention vorbeigehe. Die Folge dieser Meinung, die mit der Kritik an der liberalen Jesusforschung des 19. Jahrhunderts und mit der neuentdeckten Formgeschichte zusammenhängt, war, daß die protestantische Synoptikerexegese etwa ab 1920 teilweise unter einem akuten Geschichtsverlust litt und die synoptischen Texte oft nur noch redaktionsgeschichtlich-kerygmatisch auf die jeweilige Theologie ihres Autors bzw. nach dem Aufkommen des linguistisch ausgerichteten »literary criticism« in den siebziger Jahren nach dessen narrativer Strategie befragte. Die Hochflut von redaktionsgeschichtlichen bzw. jetzt literaturwissenschaftlichen Untersuchungen in den letzten Jahrzehnten hat hier ihren Grund. In Wirklichkeit wollen jedoch alle drei synoptischen Evangelien ein zeitlich zurückliegendes Geschehen, das heißt die Geschichte Jesu, erzählen, die freilich fundamentale Bedeutung für die Gegenwart der Autoren hat, denn was darin erzählt wird, war schon für Markus e§aggfilion. Alle, selbst Johannes, sind sich dabei des Unterschiedes zwischen der Jesuszeit und der späteren Zeit der Gemeinde durchaus bewußt. Sowohl Markus wie Johannes betonen, daß die Jünger vor Ostern Jesu Wirken, Würde und Weg nicht wirklich verstanden haben. Die Evangelien tragen keinen zeitlosen Kult-Mythos vor, sondern schließen sich im Grunde an die alttestamentliche Erzählung der
Jeremias, Theologie, 13 ff.; Roloff, Kerygma; M. Hengel, Kerygma oder Geschichte, in: ThQ 151 (1971), 323 ff. = KS V, 289–305; ders., Geschichtsschreibung; ders., Probleme; G. N. Stanton, Jesus of Nazareth in New Testament Preaching, London 1974; Byrskog, Story; Dunn, Setting. Zum folgenden Text s. die etwas erweiterte englische Fassung von M. Hengel in: The Written Gospel, ed. by M. Bockmuehl and D. A. Hagner, Cambridge 2005, 70–96; zur Augenzeugenschaft vgl. jetzt Bauckham, Jesus. S. o. S. 172 ff.
§ 7 Die historische Rückfrage
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»großen Taten Gottes« gegenüber seinem Volk Israel an, die jetzt im Wirken
und Sterben Jesu überboten, ja vollendet wurden, weil Israels Geschichte in ihnen ihre gottgewollte Erfüllung und ihr Ziel erreicht hat. Jesus und sein Werk erscheinen dabei als die unvergleichlich größte und abschließende Tat Gottes, als »eschatologisches Geschehen«, jedoch in Raum und Zeit, das heißt in Galiläa und Judäa zur Zeit Johannes des Täufers, des Pilatus und Herodes Antipas und zugleich als Anfang des Endes der Geschichte. In den Evangelien werden Geschichte und Endzeiterwartung nicht als absoluter Gegensatz empfunden. Man könnte mit gewissem Recht von einer – einmaligen – zielgerichteten »Endgeschichte« sprechen, die erzählt werden mußte. So sind die Evangelien zwar vom modernen Standpunkt aus keine Biographien, mit den antiken Biographien lassen sie sich dagegen durchaus vergleichen und wurden auch in der Antike so verstanden. Selbst bei Plutarch, dem bedeutendsten antiken Biographen, sucht man zuweilen vergeblich nach einer echten chronologischen Ordnung des Stoffes, und bei Sueton ist das die Regel. Auch dort werden Aussprüche und Anekdoten aneinandergereiht, auch dort fehlt ein Eingehen auf die psychologische Entwicklung des Helden, vielmehr entspricht dieser von Anfang an einem festgeprägten Bild. Weder das Werden noch die Vollständigkeit, sondern das Idealtypische steht im Vordergrund, jeder Teil hat dabei das Ganze im Blick. Plutarch hat wenigstens zwei Biographien, die man als »Passionsgeschichten mit ausführlicher Einleitung« bezeichnen könnte. Eine antike Biographie, die aus Anekdoten und oftmals polemischen Sprüchen besteht, aber mit dem selbstbestimmten Tod des Helden schließt und diesen als Vorbild vor Augen stellen will, ist Lukians Demonax, die Schilderung eines kynischen Philosophen aus Zypern (ca. 70–170), der in Athen lebte, dort sehr angesehen war und in hohem Alter durch Nahrungsverweigerung starb. Die Motivation der Sammlung und Weitergabe der synoptischen Tradition war von Anfang an, die einzigartigen Worte und Taten des Messias Jesus bis hin zu seinem Sühnetod am Kreuz und dem Wunder seiner Auferstehung für die Missionspredigt und den katechetisch-paränetischen Unterricht der Gemeinde, die erinnernde Feier des Herrenmahls und die kontroverse Diskussion nach außen festzuhalten. Vgl.
Apg 2,11: tÅ megaleõa toú qeoú. LXX: Dtn 11,2; Ps 71 (LXX: 70),19; 106 (LXX: 105),21; Sir 18,4; 33 (LXX: 36),7. Mk 1,14 f.: peplflrwtai ¨ kair·“. Vgl. Lk 16,16; Gal 4,4. In Cato minor (95–46 v. Chr.) behandeln c. 58–73 den letzten Aufenthalt in Utica ca. 47/46, bei Eumenes (362/61–316 v. Chr.) konzentrieren sich c. 10–18 auf den letzten vierjährigen Abwehrkampf gegen Antigonos. Zu der Formel s. M. Kähler, Jesus, 59 f. Anm. 1. S. dazu K. Funk, Untersuchungen über die lukianische Vita Demonactis, Ph.S 10, 1907, 558–674. H. Cancik, Bios und Logos. Formgeschichtliche Untersuchungen zu Lukians »Leben des Demonax«, in: ders. (Hg.), Markus-Philologie, WUNT 33, Tübingen 1984, 115–130 (Lit.).
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II. Vorfragen zur Person und Geschichte Jesu
2. Jesus und seine unmittelbaren Jünger haben keine uns erhaltenen schriftlichen Zeugnisse hinterlassen. Die Zuschreibungen von Evangelien an Autoren aus dem Kreis der Zwölf sind nicht historisch. Dies gilt für Matthäus, den Zebedaiden Johannes wie für die späteren »apokryphen« Evangelien. Die »Logien«, die Matthäus nach Papias »in hebräischer (das heißt aramäischer) Sprache« aufgeschrieben haben soll, waren noch kein Evangelium und sind uns nicht erhalten. Einen Sonderfall bildet der »Alte Johannes«, den Papias und die kleinasiatische Überlieferung als »Jünger des Herrn« bezeichnen und der dann ab der Mitte des 2. Jahrhunderts mit dem Zebedaiden Johannes identifiziert wurde. Aber dieser Jerusalemer gehörte nicht zum engsten Kreis der Jünger Jesu, und in dem Bild, das er von Jesus entwirft, wird die historische Gestalt Jesu durch die Hoheit des zum Vater erhöhten gottgleichen Sohnes überstrahlt. Das heißt, selbst der Anspruch auf Augenzeugenschaft bedeutet durchaus noch nicht »historische« Zuverlässigkeit. Auch ein Augenzeuge könnte aufgrund seiner durch Ostern und die Geisterfahrung begründeten tieferen christologischen Einsicht ein Bild von Jesus zeichnen, das der »historischen Realität« nach unserem Verständnis nicht mehr entspricht. Dieses Fehlen von ganz frühen literarischen Zeugnissen ist nur zu gut verständlich: Wer das Ende der »alten, bösen Welt« in relativer Nähe erwartet, war an einer literarischen »Aufarbeitung« von Geschichte für die Nachwelt kaum interessiert. Es ist darum kein Zufall, daß die literarische Darstellung von Jesusgeschichte erst mit Markus nach dem Tode der großen Zeugen der ersten Generation in den sechziger Jahren einsetzt. Sammlungen von Logien Jesu können mehrere Jahrzehnte älter sein, aber sie waren keine geschlossenen literarischen Werke, sondern eher für Erweiterungen offene Texte in Notizbuchform für Missionare, das heißt Texte, deren Entstehungsgeschichte wir nicht mehr durchschauen. Die Forschung hat hier allzuviel Phantasie investiert. Bestenfalls können wir aufgrund der Papias-Notiz vermuten, daß der älteste aramäische Prototyp dieser Sammlungen mit dem Namen des Zöllners Matthäus verbunden war.10 Auf der anderen Seite ist von Jesu Wort und Tat schon zu Lebzeiten eine ungeheure Wirkung ausgegangen. Bereits die von Jesus ausgesandten »Zwölf« haben seine Botschaft verbreitet, und die Führer des Volkes hielten diese für so S. o.
S. 237 zu Johannes und S. 218 zu Petrus. Vgl. auch das Zerrbild von leichtgläubigen
»Augenzeugen« in Lukian, Philopseudes und am Ende von De morte Peregrini, 39 f. Lukian läßt
hier die Kenntnis christlicher Traditionen erkennen, vgl. 13–16. S. auch u. S. 257 zu fiktiven Augenzeugen. Zum Problem s. auch Bauckham, Jesus. Schriftgelehrte apokalyptische Autoren wie der unbekannte Verfasser des Danielbuches oder der Johannes der Apokalypse bilden eine Ausnahme. Die Jerusalemer Urgemeinde war gerade keine »schriftgelehrte« apokalyptische Bewegung. S. dazu M. Sato, Q und Prophetie, WUNT II / 29, Tübingen 1988. 10 Bei Euseb, h.e. 3,39,16. S. o. S. 227.236.
§ 7 Die historische Rückfrage
247
gefährlich, daß sie ihn im Verein mit dem römischen Präfekten rasch und entschlossen »unschädlich machten«. Zu dieser Wirkung gehörte auch, daß seine Hörer damals schon seine Worte und Taten verbreiteten.11 Daß dies selbst bei Gegnern geschah, zeigen »die Pharisäer und einige der Schriftgelehrten«, die nach Mk 7,1 ff. aus Jerusalem nach Galiläa kamen, um der Jesusbewegung auf den Zahn zu fühlen, oder die »falschen Zeugen« im Prozeß Jesu.12 Die Evangelisten betonen die nachhaltige Wirkung Jesu auf das Volk zu Recht. Sie ist eine Voraussetzung für die relativ rasche Ausbreitung der Jesusbewegung nach Ostern auch außerhalb Galiläas, etwa in Jerusalem selbst bis hin zur Entstehung der dortigen Hellenistengemeinde, wie sie uns Lukas in Apg 2–6 schildert. 3. Nach Ostern bedurften die Missionare im Mutterland und erst recht in der griechisch sprechenden Diaspora konkreter Informationen über die »Worte und Taten des Herrn«13, das heißt die wesentlichen Bestandteile seines Wirkens, für ihre gemeindegründende Predigt, denn sie mußten ihren Hörern erzählend bezeugen, was dieser von Gott erhöhte gekreuzigte Messias getan und gesagt hatte. Zum Glauben an einen stummen und tatenlosen Erlöser, an einen bloßen Namens‑ und Titelträger, kann man sowenig aufrufen wie zum Vertrauen auf einen anonymen Gekreuzigten. Sie verkündigten eine zu anstößige Botschaft, »ein Ärgernis für die Juden und Unsinn für die Griechen« (1 Kor 1,23), als daß sie nicht Eindeutiges über diesen Jesus hätten berichten müssen, zumal ihnen von ihren Gegnern energisch widersprochen wurde. Missionspredigt war nur argumentativ möglich, und dazu gehörten die Worte und Taten Jesu. Man stritt – das zeigen noch Justins Dialogus und der Jude des Celsus – nicht nur über alttestamentliche »Weissagungen«, sondern auch sehr konkret über die Person Jesu, etwa darüber, daß er kein Betrüger, Magier oder Besessener war. Darum mußte Justin auf die »Erinnerungen der Apostel« zurückgreifen. Das heißt aber, der verkündigte Jesus Christus war mehr als ein bloßer »mathematischer Punkt«. Man konnte ihn nicht nur auf eine »historische« Kreuzigung und eine »mythische« Auferstehung und Erhöhung einschränken, denn er ließ sich nicht auf das
11 Vgl.
Mk 1,45; 3,8; Mt 4,24 f.; 9,26; 14,1; Lk 4,14.37; 6,17 f. u. ö. 14,56 ff. = Mt 26,60 ff. Zum Problem s. H. Schürmann, Die vorösterlichen Anfänge der Logientradition, in: ders., Traditionsgeschichtliche Untersuchungen zu den synoptischen Evangelien, Düsseldorf 1968, 39–65. 13 Zur Wendung s. Papias nach Euseb, h.e. 3,39,15: tÅ ≠pÖ toú‘ kur‡ou À lecqfinta À; pracqfinta; vgl. Apg 1,1; Polybios 2,56,10 über die Aufgabe des Historikers: tùn dÇ pracqfintwn kaÑ Øhqfintwn katû ülflqeian a§tùn mnhmone‚ein p›mpan; Josephus, c. Ap. 1,55: Josephus rühmt sich als Augenzeuge des jüdischen Krieges: tùn lecqfintwn À pracqfintwn o§dû ¨tioún ügnoflsa“. Gellius, noct. Att. 14,3,5 nennt Xenophons Memorabilien dictorum atque factorum Socratis commentarii; vgl. Quintilian, inst. 9,2,59; Tacitus, ann. 3,65,1; Petronius, sat. 1,3: omnia dicta factaque. Es handelt sich um eine bei Historikern und Rhetoren geläufige Redewendung. 12 Mk
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II. Vorfragen zur Person und Geschichte Jesu
ominöse bloße »Daß seines Gekommenseins« Rudolf Bultmanns reduzieren.14 Ohne die Erzählung von Jesusüberlieferung, die dann in den ältesten Evangelien ihren Niederschlag fand, wäre das formelhafte »Kerygma« für die Kirche von Anfang an unverständlich gewesen. Der gekreuzigte Messias Jesus von Nazareth mußte, wenn er verkündigt werden sollte, zugleich »vor Augen gemalt«15, das heißt durch lebendiges Erzählen gegenwärtig gemacht werden. In allen vier Evangelien wird so notwendigerweise »erzählt«, wobei Markus und Lukas der historischen Wirklichkeit am nächsten stehen. Daß in den Briefen davon relativ wenig erscheint, hängt damit zusammen, daß diese weitgehend Gelegenheitsschreiben sind und bestimmte Probleme der Gemeinden ansprechen, aber auch damit, daß für die Gattung »Brief« die Erzählung eine sekundäre Rolle spielt. Die gemeindegründende Predigt ist in den Briefen nur spurenweise in äußerster Abbreviatur erhalten.16 Das heißt aber, die urchristlichen Sendboten waren von Anfang an auf Jesuserinnerung angewiesen, zunächst durchaus auch auf ihre eigene Erfahrung mit ihm. Doch zugleich begann man, solche Erinnerungen auszutauschen und vermutlich bald in mehr oder weniger freier Notizenform für den persönlichen Gebrauch festzuhalten: so Grundformen der Leidensgeschichte, aber auch eine Vielfalt von Jesusworten und ‑taten. Die Frage ist, wie sehr der kerygmatische 14 Die
Formel erscheint in: Das Evangelium des Johannes, KEK 111950, 189 zu 5,19: »daß seine Verkündigung nur das eine Wort vom Daß seines Gekommenseins als dem eschatologischen Geschehen sein kann.« Sie gilt nicht einmal für das vierte Evangelium, das über Jesus nicht wenige »Fakten« berichtet. S. ders., Zu J. Schniewinds Thesen, in: Kerygma und Mythos, hg. v. H. W. Bartsch, 1948, 148; vgl. ders., Verhältnis, 9 f. (= Exegetica, 449 f.), dort jedoch die bezeichnende Einschränkung S. 13 f. (454), »daß die Kompetenz der ›Einleitungswissenschaft‹, also die historisch-kritische Analyse der Synoptiker unter der Frage nach der objektiv feststellbaren Geschichte Jesu, soweit reicht, daß sie jenes im Kerygma behauptete Daß gegenüber einer etwaigen Skepsis an der Historizität Jesu bestätigen und auch bis zu einem gewissen Grade mit einiger Wahrscheinlichkeit illustrieren kann«. Der Nachsatz: »Was sie aber nicht vermag, ist, den Beweis dafür zu erbringen, daß die historische Kontinuität zwischen Jesus und dem Kerygma sachliche Übereinstimmung ist« (S. 13 f. = 454 f.), beruht auf einem fundamentalen Irrtum. Die »sachliche Übereinstimmung« gründet für das Urchristentum in der personalen Identität des Menschen Jesus (als des menschgewordenen Gottessohns), der in Jerusalem gekreuzigt wurde, mit dem erhöhten Herrn, die auch dessen ganze »profetischmessianische« Wirksamkeit mit einschloß. Um dieser für die Urgemeinde grundlegenden Identität und Kontinuität willen mußte sie das ›Evangelium‹ als ›Geschichte Jesu‹ erzählen und Evangelien schreiben. Weil Bultmann in der Christologie letztlich nur eine seine existentiale Interpretation im Grunde störende mythische Spekulation sah, die auf der Parusieverzögerung beruhte, konnte er diesen Zusammenhang nicht verstehen. S. schon Glauben und Verstehen I, 265: »Nicht das Was, sondern das Daß seiner (das heißt Jesu, M. H. / A. M. S.) Verkündigung ist das Entscheidende.« Kann man beides wirklich trennen? Mit Recht kritisch: Käsemann, Versuche II, 49–52.57 und G. Strecker, Die historische und theologische Problematik der Jesusfrage, EvTh 29 (1969), 470. 15 Gal 3,1: als der Gekreuzigte, gewiß. Dazu gehört aber auch, was zur Kreuzigung führt: vgl. 1 Kor 2; 11,23 f. und 15,3 ff. S. Hengel, Mahl. 16 S. o. S. 200 f.
§ 7 Die historische Rückfrage
249
kirchliche Gebrauch und das eigene sich wandelnde theologische und apologetische Interesse die Überlieferung bei der Auswahl und im mündlichen Vortrag verwandelt hat. Die Veränderungen – insbesondere die Verkürzungen und Vereinfachungen – waren hier beträchtlich. Von der Fülle, über die man am Anfang verfügte, ist das meiste verlorengegangen. 4. Diese mündliche Überlieferung vor der schriftlichen Fixierung versuchte die mit dem Ende des I. Weltkrieges aufkommende Formgeschichte zu erfassen. Angeregt durch den Alttestamentler Hermann Gunkel und die volkskundliche Forschung, ging es ihr (in den Spuren Herders) darum, durch die Analyse der synoptischen Evangelien die Formen der vorliterarischen Überlieferung und deren Entwicklung herauszuarbeiten und daraus ihren Sitz im Leben der Gemeinde und häufig auch ihre sekundäre Entstehung zu erschließen. Als Träger dieser mündlichen Überlieferung galt nun nicht mehr der Apostel, Profet oder Lehrer, der der Gemeinde als Autorität gegenübersteht, sondern diese selbst als schöpferisches Kollektiv, das die Überlieferung nicht nur formte, sondern oftmals neu schuf. Der vielgebrauchte unscharfe Begriff der »Gemeindebildung« wurde jetzt in der Evangelienkritik beherrschend, obwohl er in der Regel wenig darüber sagt, worauf es eigentlich ankäme, nämlich wann, wo und warum eine Tradition »gebildet« wurde. Es wird hier nur die »Hypothese« einer jesuanischen Herkunft durch die Hypothese einer nachösterlichen Fiktion, die »Gemeindebedürfnissen« gerecht werden soll,17 ersetzt. Im Grunde könnte man natürlich die ganze Jesustradition als »Gemeindebildung« bezeichnen, denn diese wurde von Gliedern »der Gemeinde« in der Erinnerung festgehalten, ins Griechische übersetzt, geformt und immer wieder in neue Situationen hinein verkündigt. Man sollte diesen vagen Begriff entweder beim Gebrauch näher bestimmen oder auf ihn verzichten. Der schlichte Gegensatz: authentische Jesustradition – Gemeindebildung vereinfacht das komplexe Geschehen allzusehr. Er ist so irreführend wie die heute beliebte Antithese von »Faktizität« und »Fiktionalität«. In jeder Erzählung ist beides vorhanden. Selbt die reine »Fiktion« gründet irgendwie auf Beobachtung von Fakten. Ausgangspunkt war – nach dem Protagonisten Martin Dibelius – die Meinung, daß es sich bei den synoptischen Evangelien um »Klein-Literatur« handle, bei der »die Persönlichkeit des Autors in den Hintergrund tritt«, eine Literatur, die weitgehend aus anonymem »Sammelgut« zusammengesetzt ist, das sich ursprünglich in »kleinen Einheiten« darstellte und das im Kollektiv der Gemeinde
17 Es ist eigenartig, daß wir kein Gemeindelogion besitzen, das das Problem der beschneidungsfreien Missionspredigt gegenüber den Heiden durch ein Jesuswort entscheiden läßt. Die bald so umstrittene Beschneidung wird nur bei Johannes dem Täufer und Jesus erwähnt (Lk 1,59; 2,21). Man hat nicht je nach »Bedürfnis« Jesuslogien produziert.
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II. Vorfragen zur Person und Geschichte Jesu
nach bestimmten »formbildenden Gesetzen«18 gestaltet und erweitert wurde. R. Bultmann hat diesen ganzen Stoff analysiert und nach seinen »Formen« in der mündlichen Überlieferung aufgeteilt,19 wobei er weniger aufgrund der Form, sondern aufgrund des Inhalts häufig radikale Urteile über die Echtheit fällte, etwa indem er nahezu den ganzen Erzählstoff, insbesondere alle Wundergeschichten, die er der »hellenistischen Gemeinde« zuwies, aber auch fast alle Streitgespräche als unhistorische Gemeindebildungen erklärte, ebenso alle Worte, in denen Jesus in 1. Person auf seine Sendung hinweist. Sein Vorgehen zeigt, daß er weitgehend Ermessensurteile fällte, die vom »Vor-Urteil« des Auslegers zeugen. 5. Dabei wurde der Erzählstoff viel kritischer beurteilt als die Wortüberlieferung, die sich im synoptischen Vergleich als fester geprägt erweist. Andererseits haften trotz der variablen Erzählform auffallende Erlebnisse besser im Gedächtnis als der Wortlaut gehörter Verkündigung; es sei denn, diese wurde mehrfach wiederholt, was für die Predigt Jesu wahrscheinlich war. Unverständlich ist, daß das Geschehen, das sich am tiefsten in der Erinnerung eingeprägt haben müßte, die Leidensgeschichte, bis auf kümmerliche Reste dem Messer der Kritik zum Opfer fiel.20 Diese neue radikale Betrachtungsweise fand nach dem I. und noch mehr nach dem II. Weltkrieg in Deutschland aus folgenden Gründen begeisterten Beifall: a) weil sie durch die Betonung der Predigt und des Gottesdienstes bei der Formung des Stoffes der dialektischen Wort-Gottes-Theologie entsprach, die vor allem am Verkündigungscharakter der urchristlichen Überlieferung interessiert war; b) weil diese zugleich die liberale »Leben-Jesu-Forschung« des 19. Jahrhunderts, die die Evangelien teilweise als »Biographien« im modernen Sinne mißverstanden hatte und die auf dem durch historische Rekonstruktion gewonnenen »Jesusbild« ihre »moderne« Christologie aufbauen wollte, ad absurdum führte. In dem Maße, wie das theologische Denken etwa seit den achtziger Jahren sich wieder in positiver Weise dem 19. Jahrhundert zuwandte, gewann auch die historische Jesusforschung erneut an Interesse.21 18 Die Formgeschichte des Evangeliums, 1. Aufl. Tübingen 1919, 1–4 = 2. Aufl. 1933, 1–8. Vgl. seine Besprechung von R. Bultmanns Geschichte der synoptischen Tradition, 1. Aufl. 1921, in DLZ 1922, 128–134 (129). S. auch R. Bultmann, Die Erforschung der synoptischen Evangelien, Berlin 51966, 20 (= Glauben und Verstehen IV, Tübingen 1965, 12) und die Überschrift von § 4: »Die Gesetze volkstümlicher Erzählungs‑ und Überlieferungsweise«. S. dazu u. S. 255 f. 19 Geschichte der synoptischen Tradition, FRLANT 29, Göttingen 11921; 2. neubearb. Aufl. 1931; 31957; 41958; 51961 (= GST). 20 S. dazu Hengel / Schwemer, Anspruch, 45–63.133–163. 21 Ein typisches Beispiel ist das vorzügliche Lehrbuch von Theissen / Merz, Jesus. G. Theissen, ein Schüler des radikal-kritischen Ph. Vielhauer, der über viele Jahre hinweg mit diesem das Ergänzungsheft zu R. Bultmann, Geschichte der synoptischen Tradition, bearbeitete, scheint hier eine gewisse »Bekehrung« erlebt zu haben. S. auch seine anregenden
§ 7 Die historische Rückfrage
251
c) In den Spuren von Wellhausen und Wrede hatte vor allem K. L. Schmidt noch vor Bultmann und Dibelius die unhistorische Gestalt des redaktionellen Rahmens bei Markus nachgewiesen, der jeden Versuch eines »Lebens Jesu« unmöglich mache.22 Entsprechend scharf fiel seine Kritik gegenüber dem Versuch des Althistorikers E. Meyer aus, eine Darstellung Jesu aufgrund des ältesten Evangeliums nach Markus zu schreiben.23 d) Weil dahinter ein gewisses, mit der dialektischen Theologie verbundenes und bei Bultmann offensichtliches Desinteresse an allen historischen Realitäten, die als »objektivierende« und »vorfindliche« bruta facta nicht theologisch relevant sein durften, stand, verstärkt durch das Bestreben, die eigene »Wissenschaftlichkeit« mittels einer möglichst radikalen Kritik zu erweisen und jede irgendwie »apologetisch« erscheinende geschichtliche Fragestellung zu vermeiden.24 An sich konnte die formgeschichtliche Fragestellung für die Exegese der synoptischen Texte fruchtbar werden, weil durch sie die Entwicklung und Ausgestaltung der einzelnen Texteinheiten durchsichtiger wurde. So hat Joachim Jeremias in seiner Monographie zu den Gleichnissen Jesu wie auch seiner Darstellung der Verkündigung Jesu reichen Gebrauch davon gemacht,25 da mit ihrer Hilfe die Entstehung synoptischer Texte je und je besser analysiert werden konnte; fragwürdig war jedoch ihre Absolutsetzung und der Versuch, allein aufgrund formgeschichtlicher Beobachtungen grundsätzliche negative Urteile über die Echtheit weiter Teile der synoptischen Überlieferung zu fällen, Urteile, die häufig eher den Eindruck von Dekreten als durch historisch-philologische Argumente gewonnenen Einsichten machten. Vorarbeiten unter dem Titel: Lokalkolorit und Zeitgeschichte in den Evangelien. Ein Beitrag zur Geschichte der synoptischen Tradition, NTOA 8, Fribourg / Göttingen 1989, in dem sich die »Wende« deutlich vorbereitete. Zum 19. Jahrhundert s. o. S. 175–192. 22 Der Rahmen der Geschichte Jesu, Berlin 1919 (Nachdruck Darmstadt 1964). Den Beobachtungen von K. L. Schmidt ist einerseits weitgehend recht zu geben: »Aber im ganzen gibt es kein Leben Jesu im Sinne einer sich entwickelnden Lebensgeschichte, keinen chronologischen Aufriß der Geschichte Jesu, sondern nur Einzelgeschichten, Perikopen, die in ein Rahmenwerk gestellt sind« (317). Auf der anderen Seite muß auch er zugeben, daß in den Perikopeneinleitungen des Markus »noch die Trümmer eines Itinerars vor(liegen)« (317). Leider fragt der Vf. nicht weiter, woher Markus die geographischen und sonstigen zahlreichen sachlich-historischen Angaben aus seinem Rahmen und den damit verbundenen »Sammelberichten« bezieht. Auch beim »Rahmen« ist in freierer Weise »Erinnerung« bzw. »Tradition« im Spiele. Auch ist der »grobe Rahmen« bei Markus historisch durchaus zutreffend: s. o. S. 220. 23 S. dazu o. S. 189 Anm. 72. 24 Zur Ablehnung »objektivierenden Denkens« überhaupt zugunsten der »existential interpretierten Geschichtlichkeit« s. Hengel, KS III, 413 ff. Schon Kähler, Jesus, 43 (= 2. Aufl. 105 f.) polemisierte gegen die von der »Geschichtswissenschaft« gewonnenen »bruta facta, die als totes Gestein am Beginn der Entwicklung des Christentums lägen«. Hier wird der Sinn historischer Forschung mißverstanden und verzerrt. 25 Gleichnisse, 19–115; ders., Theologie.
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II. Vorfragen zur Person und Geschichte Jesu
6. Inzwischen hat die neuere literaturwissenschaftliche Forschung gezeigt, daß die Evangelisten gerade nicht »nur zum geringsten Teil Schriftsteller« und »in der Hauptsache Sammler, Tradenten, Redaktoren« waren. Schon Markus ist ein durch die Gestaltung des Stoffes theologisch argumentierender dramatischer Erzähler. Freilich wäre es genauso falsch, ihn, wie es in jüngster Zeit gerne geschieht, zum Autor eines ersten »Jesus-Romans« zu machen.26 Markus will – wir sagten es schon – nicht nur durch seine Erzählung von Jesusgeschichte das Evangelium verkündigen, er tritt mit seinem neuen, revolutionären Werk als bereits in der Kirche bekannte Autorität auf und wurde von Gemeinden, die sein Evangelium verwendeten, auch als solche anerkannt. Darum wurde dasselbe von Anfang an nicht anonym verbreitet. So wie die alttestamentlichen Schriften alle Titel hatten, die vor der Lesung im Gottesdienst genannt wurden – der Hörer mußte ja wissen, wessen Text verlesen wurde –, so auch die neuen Schriften der Gemeinde des Messias Jesus.27 Der Titel wies auf die Autorität des Verfassers hin. Die echten Paulusbriefe – die einzigen sicheren schriftlichen Zeugnisse vor Markus –, vor allem Galaler‑ und 1. Korintherbrief, und die Apostelgeschichte betonen die hervorgehobene Position der einzelnen Apostel und Lehrer; diese waren auch die Tradenten und Gestalter der Jesustradition, zu denen die Gemeinden aufschauten,28 allen voran Kephas-Petrus.29 Einzelne Briefpassagen30 zeigen, wie sehr die Vergangenheit der letzten 20–25 Jahre und die Person der großen Autoritäten in den Gemeinden präsent waren. Sollte dies nicht auch für die »Jesus-Geschichte« gelten? Das Gewicht einer Überlieferung war nicht zuletzt von der Autorität des Tradenten bzw. des Autors abhängig. Dieses Grundproblem wurde in der Formgeschichte übersehen. 7. Die Schwäche von Bultmanns Position hat sein formgeschichtlicher Mitstreiter Dibelius in zwei Rezensionen deutlich gemacht:
26 Dibelius, Formgeschichte, 2; zu Markus als genialem Erzähler s. den Altphilologen Günther Zuntz, Markusevangelium (S. 189 Anm. 72), 222: »ein Meisterwerk von erstaunlicher Originalität« – im Gegensatz zum Urteil der formgeschichtlichen Schule, er sei ein »bloßer Kompilator«. Zuntz schätzt gleichwohl den Geschichtswert des Evangeliums nicht gering ein und kommt zu einer ganz frühen Datierung schon um ca. 40 n. Chr.: s. ders., Wann wurde das Evangelium Marci geschrieben?, in: Markus-Philologie, hg. v. H. Cancik, WUNT 33, Tübingen 1984, 47–71. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam auch Schadewaldt, Zuverlässigkeit (s. o. S. 189 Anm. 72); dazu die biographische Einleitung von Maria Schadewaldt, 198–200. 27 Zum Alten Testament vgl. Mk 1,2 (mit falschem Profetennamen); 7,6; 12,35; Lk 3,4; 4,17; 20,42; 24,44; Apg 1,20; 8,28; 13,33; Mt 3,3 etc. Titellose Schriften waren im Gottesdienst nicht verwendbar. S. dazu Hengel, Evangelienüberschriften; ders., Gospels, 38–54. 28 1 Kor 1,12; 9,1 ff.; 15,1–11; Gal 1 und 2. 29 S. dazu Bultmanns eigenes Urteil, o. S. 238. Zu Kephas bei Paulus s. Hengel, Petrus, 78–129. 30 Man denke nur an Gal 1,15 ff. und 2,1 ff.11 ff.; 1 Kor 1,12 ff.; 9,1 ff.; 15,1–11; vgl. auch einzelne Namen der Liste Röm 16.
§ 7 Die historische Rückfrage
253
»Es muß mit allem Nachdruck ausgesprochen werden, daß die Skepsis B.s in allen
Fragen der Geschichtlichkeit nicht notwendig mit formgeschichtlichen Maßstäben zusammenhängt, sondern mit seiner Vorstellung von der Art der urchristlichen Gemeinde sowie mit der Betonung des Unterschiedes zwischen palästinensischem und hellenistischem Christentum.« Man könnte hier auch auf das Zurücktreten der »Hochchristologie«, die schon bei Paulus wesentlich ist, hinweisen.
Eben dieser Unterschied, ja Gegensatz, ist in den vergangenen Jahrzehnten stark relativiert worden. Die »hellenistische Gemeinde« hat – wie Apg 6 zeigt – ihren Ursprung in Jerusalem, und die zahlreichen Traditionsträger wie Markus, Barnabas, Philippus, Paulus u. a. könnte man »Gräkopalästiner« nennen, die Verbindungen zu beiden Gemeinden hatten bzw. zwischen ihnen standen. Dabei sind, wie Dibelius mit Recht betont, die Unterschiede der Gemeinden »minder bedeutsam für die formgeschichtliche Fragestellung. Denn die Evangelien
zeigen aufs deutlichste, wie gering der Einfluß neuer theologischer Gedanken auf den Evangelienstoff im Grunde war; sonst hätten Kyriosglaube und Sakramentstheologie sich viel stärker geltend machen müssen.«31
Das heißt, die zwischen ca. 70 und 100 n. Chr. entstandenen synoptischen Evangelien haben, verglichen mit der gleichzeitigen theologischen Entwicklung (Epheser, Hebräer, 1. Petrus, 1. Clemens, Pastoralbriefe, Ignatianen), einen auffallend »konservativen«, immer noch am jüdischen Palästina orientierten Charakter, ganz gleich, ob sie in Rom (Markus), vielleicht in Griechenland (Lukas)32 oder im südlichen Syrien bzw. Palästina (Matthäus) entstanden sind. Typisch dafür ist etwa, daß bei Markus (und von diesem abhängig in den Jüngerkatalogen) der durch Agrippa I. im Jahr 43 hingerichtete Zebedaide Jakobus vor dem ihn überlebenden Johannes33 immer an erster Stelle steht, obwohl er danach für die Gemeinde keine Bedeutung mehr besaß; erst Lukas stellt an drei Stellen um, beläßt es aber an anderen Stellen bei der alten markinischen Ordnung.34 Für ihn hatte der Zebedaide 31 M. Dibelius, DLZ 3. Folge 3 (1932) Heft 24, Sp. 1105–1111 (1109) zur 2. Auflage; s. auch DLZ (1922) Heft 7/8, Sp. 128–134, zur 1. Auflage der »Geschichte der synoptischen Tradition«: Dibelius’ Protest richtet sich unter anderem gegen die »Überschreitung der Grenzen rein formgeschichtlicher Methode« und gegen die radikale Skepsis in Echtheitsfragen, hinter der ein »uneingeschränkter Subjektivismus« steht, »der auf dem Mangel an kongenialer Einfühlung beruht«. Historische Urteilskraft war nie Bultmanns Stärke. Das zeigt auch seine Kritik an H. Lietzmann, Geschichte der Alten Kirche, Bd. I und II, in ZKG 53 (1934), 624–630 und 58 (1939), 260–266, jetzt abgedruckt in R. Bultmann, Theologie und Kritik, hg. v. M. Dreher und Klaus W. Müller, Tübingen 2002, 293–299.377–384. An den meisten Stellen, wo Bultmann ihn kritisierte, hat Lietzmann historisch recht behalten. 32 So der älteste Evangelienprolog, s. Aland, Synopsis, 549; vgl. Jülicher / Fascher, Einleitung7, 312. 33 Apg 12,1 f. S. o. S. 89; vgl. Mk 10,35. 34 Mk 1,19.29; 3,17; 5,37; 9,2; 10,35.41; 13,3; 14,33; Matthäus nennt die beiden nur noch dreimal beim vollen Namen, dreimal spricht er von den »Söhnen« des Zebedäus. Umstellungen in Lk 8,51; 9,28; Apg 1,13, vgl. 12,2; alte Ordnung in Lk 5,10; 6,14; 9,54. In der Apostel-
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II. Vorfragen zur Person und Geschichte Jesu
Johannes, der seinen Bruder Jakobus wohl längere Zeit überlebte, als Traditionsträger Bedeutung erlangt, ein Zug, der durch Gal 2,9 bestätigt wird, wo Johannes als letzte der drei »Säulen« nach dem Herrenbruder Jakobus und Kephas-Petrus genannt wird. Daß umgekehrt die palästinische Gemeinde selbst, die seit eben dieser Verfolgung durch Agrippa I. bis zur Steinigung Jakobus’ des Herrenbruders um 62 n. Chr. unter dessen Leitung stand, ab Anfang der vierziger Jahre keinen Einfluß mehr auf die synoptische Tradition nahm, zeigt sich daran, daß Jakobus und die anderen Brüder Jesu in den Evangelien keinerlei positive Rolle spielen. Die Evangelisten wußten, daß sie zur Zeit Jesu noch nicht zu dessen Anhängern gehört hatten.35
8. Gewiß, man kann sagen, daß die ganze synoptische Überlieferung, wie sie uns in griechischer Sprache vorliegt, erst in griechisch sprechenden Gemeinden ihre endgültige literarische Form erhielt, aber damit ist noch kein Urteil über die Historizität der Überlieferungen gefällt. Dibelius weist hier auf ein Zugeständnis Bultmanns hin: »So wenig also die einzelnen Streitgespräche historische Berichte über einzelne Ereig-
nisse des Lebens Jesu sind: der allgemeine Charakter dieses Lebens und Wirkens wird in ihnen auf Grund geschichtlicher Erinnerung richtig wiedergegeben sein.«36
Der Rezensent bemerkt dazu, daß »dieses Urteil … natürlich auch anderen Stoffgruppen gegenüber« gelten müßte, und nennt ausdrücklich die Wundergeschichten.37 Darüber hinaus wäre hier vor allem anderen die Leidensgeschichte zu erwähnen. Man wird noch weiter als Dibelius gehen und sagen müssen, daß derartige generelle Urteile, wie sie Bultmann – in einer Aversion gegenüber der Konkretheit und Kontingenz der geschichtlichen Vorgänge – gerne fällt, in der Regel irreführend sind. Das Problem ist, daß wir, aus Mangel an vergleichbaren Quellenaussagen, die Geschichtlichkeit einzelner Ereignisse nicht beweisen können und daß für das persönliche Ermessen ein allzu großer Spielraum bleibt. Um so wichtiger wäre es, nach ihrer Plausibilität bzw. Wahrscheinlichkeit zu fragen. Das setzt unter anderem eine gute Kenntnis des zeitgenössischen geschichte stellt er Johannes neben Petrus: 3,1–4.11; 8,14 ff. Jakobus läßt er zurücktreten; vgl. aber 12,1 f. 35 Mk 6,3 = Mt 13,55: an erster Stelle der vier Brüder Jesu; s. u. S. 289; vgl. auch den negativen Hinweis Joh 7,5; s. weiter Apg 1,14; 12,17; 15,13; 21,17: Lukas hat ihn auf der Jerusalemreise des Paulus selbst kennengelernt. Erst EvThom 12 hebt ihn hervor; s. dazu Hengel, KS III, 557 ff. 36 GST, 52 (Hervorhebung M. H. / A. M. S.). Bultmann fährt fort: »Und wie sich solche Erinnerung in Ortsangaben erhalten hat …, ohne daß die lokale Fixierung eines einzelnen Gesprächs damit historisch ist, so kann die Überlieferung auch sonst geschichtliche Erinnerung verwertet haben, z. B. in der Angabe über die Stellung der Verwandten Jesu zu ihm Mk 3,21 … oder über seinen Verkehr mit Zöllnern« (Hervorhebung M. H. / A. M. S.). Abgesehen davon, daß hier anstelle des »kann« ein »muß« stehen sollte, hängt diese Erinnerung jedoch nicht am anonymen Kollektiv von Gemeinden, da diese ja vom jüdischen Palästina keine Ahnung hatten, sondern an den Augenzeugen und autoritativen Tradenten. 37 Zu diesen s. u. S. 464–472.
§ 7 Die historische Rückfrage
255
Judentums und seiner sozialen und politischen Umwelt voraus, ein Bereich, der Bultmann und seine Schule nicht so sehr interessierte. 9. Ein Fehlurteil, das die formgeschichtliche Forschung von Anfang an in die Irre führte, war die Behauptung, es gebe eindeutige »Gesetze« der mündlichen (und schriftlichen) volkstümlichen Überlieferung,38 die auch die »Geschichte der synoptischen Tradition« bestimmt haben müßten. Dagegen hatte schon E. Fascher protestiert.39 Kurz und bündig tut dies E. P. Sanders: »There are no hard and fast laws of the development of the Synoptic tradition. On all
counts the tradition developed in opposite directions. It became both longer and shorter, both more and less detailed, and both more and less Semitic … For this reason, dogmatic statements that a certain characteristic proves a certain passage to be earlier than another are never justified. … For this reason, we must always give room for human differences and be alert to the editorial tendencies of each particular writer.«40
38 S. schon K. L. Schmidt, Die Stellung der Evangelien in der allgemeinen Literaturgeschichte, in: EUCARISTHRION. Festschrift Hermann Gunkel zum 60. Geburtstag, 2. Teil, Göttingen 1923, 88 f. = ders., Neues Testament – Judentum – Kirche. Kleine Schriften, ThB 69, München 1981, 79 unter Berufung auf W. Bousset; vgl. weiter Dibelius, Formgeschichte, 1 ff. und Bultmann, GST, 11921, 2–4, der in der 2. Auflage etwas zurückhaltender urteilt (S. 1–8 [7]), aber um so definitivere Urteile fällt. 39 Die formgeschichtliche Methode, BZNW 2, Gießen 1924, 25.84.94.142 ff.225: »… aber man wird nicht sagen können, daß Bultmann ›die Gesetze des Tradierens‹ – wie er sie in der Einleitung nennt (Bultmann, GST1, 3) – klar herausgearbeitet hätte und als Frucht der Analyse darböte. Er redet von Motiven aller Art, die auf den Stoff eingewirkt haben, aber sie sind nicht ›die Gesetze des Tradierens‹. Wo er von Gesetzen spricht …, da hat man eher den Eindruck, ein Rezept des Analytikers vor sich zu haben« (143). Leider wurde die Kritik Faschers in Bultmanns 2. Auflage nicht berücksichtigt. S. auch J. Schneider, Der Beitrag der Urgemeinde zur Jesusüberlieferung im Lichte der neuesten Forschung, ThLZ 87 (1962), Sp. 401–412 (406). Später wendet sich E. Güttgemanns, Offene Fragen zur Formgeschichte des Evangeliums, BEvTh 54, München 1970, 152 f. gegen die Möglichkeit der Aufstellung »einer in allen Fällen anzuwendenden formgeschichtlichen Gesetzmäßigkeit« (Hervorhebung vom Vf.). Der Ansatz von Bultmanns radikaler Kritik war von Anfang an fragwürdig, zum einen aus methodischen Gründen, zum anderen, weil ein falsches Bild des Urchristentums dahinterstand: s. seine 2. Auflage 1931, 6: »so sehr schwebt mir bei meinen Analysen ein freilich noch vorläufiges Bild von der urchristlichen Gemeinde und ihrer Geschichte vor, das seine Bestimmtheit … eben durch die Untersuchung gewinnen soll.« Hier handelt es sich um eine verhängnisvolle petitio principii, durch die sich seine irreführende Auffassung vom Urchristentum noch mehr verfestigte: »Deshalb spielt auch in meinen Untersuchungen die Rücksicht auf das eine Hauptproblem des Urchristentums, das Verhältnis des palästinensischen und des hellenistischen Urchristentums eine wesentliche Rolle« (loc. cit.; Hervorhebungen M. H. / A. M. S.). Eben dieses Verhältnis hat er – grundlegend – falsch bestimmt. Zur Kritik an Bultmanns Methode s. auch die eingehenden Analysen von E. Baasland, Theologie und Methode. Eine historiographische Analyse der Frühschriften Bultmanns, Wuppertal / Zürich 1992. 40 The Tendencies of the Synoptic Tradition, MSSNTS 9, Cambridge 1969, 272 (Hervorhebungen vom Vf.). Zustimmend G. Theissen, Wundergeschichten, 175 f.: Er spricht daher nur noch von »Tendenzen der Überlieferung«.
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II. Vorfragen zur Person und Geschichte Jesu
Das heißt, formgeschichtliche Urteile im Bereich der vorliterarischen Überlieferung bleiben sehr unsicher. Einigermaßen festen Boden erhalten wir erst, wenn wir Texte vergleichen können. Das »we must always give room for human differences« gilt daher natürlich ebenso schon für die urchristlichen Lehrer und Tradenten der mündlichen Überlieferung. Es handelt sich bei ihr nicht so sehr um ein einseitig »kollektiv-gesetzmäßiges«, sondern eher um ein relativ freies, personengebundenes Geschehen, das mit der theologischen Kompetenz, und das heißt der Autorität der Traditionsträger als Augenzeugen und Lehrer, zusammenhängt. 10. Ein weiterer, in der Formgeschichte vernachlässigter Faktor ist darum die an ein Individuum gebundene persönliche Erinnerung, die das Beobachtete und Gehörte über Jahrzehnte festhalten kann. Sie ist eng verbunden mit den Berichten der »Augenzeugen«.41 Erinnerung hat zunächst einmal der einzelne für sich, was zur Folge hat, daß viele »einzelne« dann »Erinnerungen austauschen« und so ihren »Erinnerungsschatz« ergänzen und kontrollieren können. Häufig weiß man auch noch nach vielen Jahren, von wem man eine bestimmte Anekdote (etwa über einen Gelehrten) gehört hat. Man kann solche Anekdoten ohne schriftliche Aufzeichnung im Gedächtnis »speichern« und lebenslang bewahren, wobei bei gleichbleibender Pointe sich im Erzählen der Wortlaut je und je leicht ändern kann. Auch die Namen von Traditionsträgern können im Gedächtnis bleiben.42 Bei Markus wird mehrfach auf einzelne Namen als mögliche Garanten von Erinnerung verwiesen, etwa Simon von Kyrene, der Vater des Alexander und Rufus, die der römischen Gemeinde zur Zeit des Markus offenbar noch bekannt waren.43 Lukas und Matthäus lassen dagegen die Namen der beiden Söhne weg. Andere Gestalten sind Joseph von Arimathia, der geheilte Blinde Bartimaios 41 Lk 1,2: kaqá“ parfidosan ™mõn o´ üp’ ürcö“ a§t·ptai kaÑ ≠phrfitai gen·menoi toú l·gou. Zur Bedeutung der Autopsie für antike Ärzte s. L. Alexander, Preface, 34–41; zur historischen Konvention: Hengel / Schwemer, Paulus, 20 f.; zu Prolog und Augenzeugenschaft s. Hengel, Lukasprolog; Bauckham, Jesus. 42 Verbreitet sind z. B. charakteristische Anekdoten über Adolf Schlatter (1852–1938). Sie laden aufgrund ihrer Originalität zum Sammeln ein. Aus der Berliner Universität der zwanziger Jahre konnte man schöne »Apophthegmata« von Elias Bickermann hören, der 1898 geboren wurde, 1921 nach Berlin kam und 1981 starb. Von seiner Jugend in St. Petersburg und der schrecklichen Zeit zwischen 1917 bis zu seiner Emigration 1921 berichtete er dagegen nie! S. dazu M. Hengel, Elias Bickermann. Erinnerungen an einen großen Althistoriker aus St. Petersburg, in: Hyperboreus. Studia Classica 10 (2004), 171–177. Eine Anekdote über den späten F. C. Baur († 1860) erzählte der Tübinger Neutestamentler O. Bauernfeind, er hörte sie von seinem Lehrer Eduard von der Goltz (1870–1939) und dieser wieder von seinem Vater Hermann (1835–1906), der Baurs Apokalypsevorlesung besucht hatte. Er habe bei Apk 13,17 zur Zahl 666 bemerkt: »Und do sagt der Hengstenberg in Berlin, des sei i(ch).« Wir könnten nicht wenige Anekdoten erzählen, die 80–100 Jahre zurückreichen und auf kontrollierter mündlicher Überlieferung beruhen. 43 Mk 15,21; vgl. Röm 16,13; s. u. S. 614.
§ 7 Die historische Rückfrage
257
in Jericho oder der Synagogenvorsteher Jairus in Kapernaum.44 Die wenigen Namen, die Markus, außer den Zwölfen, vor allem im Zusammenhang mit der Passion Jesu nennt, deuten auf diesen entscheidenden Punkt hin. Hier sollten wir die namentlich aufgeführten Frauen nicht vergessen. Maria Magdalena steht in den Frauenlisten in der Regel an der Spitze; dies zeigt ihre Bedeutung, die nur noch mit der des Petrus verglichen werden kann.45 Wenn bei Lukas und Matthäus die weiteren Frauennamen variieren, so könnte dies mit Auseinandersetzungen über ihre »Autorität« als Traditionsgarantinnen zusammenhängen. Wo die Jünger versagen, treten sie und andere ein.46 Schon dieser Tatbestand macht es unmöglich, in der Passionsgeschichte des Markus reine Fiktion zu sehen.47 Man darf bei Nennung von Namen nicht grundsätzlich von novellistischer Ausmalung sprechen. Im Gegenteil, die Tradition hat zunächst eher die Tendenz, Namen verschwinden zu lassen.48 Hier sollte das die Situation der Jünger Jesu und der Urgemeinde gemäße Phänomen der oral history stärker zum Verständnis der Jesustradition herangezogen werden.49 In den – synoptischen – Evangelien geht es nicht primär um literarische Fiktion, vielmehr erheben sie den Anspruch, ein wirkliches Geschehen der Vergangenheit in der Form von »Geschichten« über Worte und Taten von Jesus darzustellen, das letztlich auf Augenzeugen gründet, auch wenn es je und je zum Zweck missionarischer Verkündigung und Lehre im Gottesdienst neu ausgestaltet wurde.50 Daß umgekehrt in einer literarischen Fiktion ein erfundener Augenzeuge eine zentrale Rolle als Traditionsgarant spielt, zeigt die Figur des Damis in Philostrats romanhafter Vita des Apollonius von Tyana. Unseres Erachtens kannte Philostrat die Evangelien und verfaßte sein Werk als eine Darstellung der wahren griechischen philosophischen Religion 44 Mk 10,46 ff.; Mt 20,30 (vgl. 9,27) macht daraus zwei anonyme Blinde; auch Lk 18,35 läßt den Namen weg; vgl. noch Lk 10,38 ff.; 19,1–10. Zu Joseph von Arimathia s. Mk 15,43; und zu Jairus Mk 5,22 = Lk 8,41. Mt 9,18 läßt Namen und Titel weg. Das könnte mit seiner »antisynagogalen Aversion« zusammenhängen. Namen müssen so nicht immer Zutat sein. Sie können in der Vereinfachung der Überlieferung auch eliminiert werden. Zum Problem von Augenzeuge, Erinnerung und Erzählung s. Byrskog, Story. 45 M. Hengel, Maria Magdalena. 46 S. Mk 15,40. Daß die Namen der Frauen etwas variieren, zeigt nur, daß es ein größerer Kreis war, in dem dann später bestimmte Ansprüche vertreten wurden. Vor allem Johanna, die Frau des herodianischen Finanzministers Chuza, darf man bei Lukas als Traditionsträgerin betrachten (8,3; 24,10). S. dazu Bauckham, Gospel Women, 110–113.186–194 u.ö. 47 S. dazu Schwemer, Passion, 153–162. 48 So zum Teil bei Matthäus und Lukas; vgl. o. Anm. 44. 49 S. dazu D. P. Henige, Oral Historiography, London 1982; J. Vansina, Oral Tradition as History, London 1985 und den Sammelband »Vergangenheit in mündlicher Überlieferung«, hg. v. J. v. Ungern-Sternberg und H. Reinau, Colloquium Rauricum I, Stuttgart 1988. Dort S. 1 f. Anm. 1 die wesentliche Abgrenzung: »Nicht hierher gehört die Erforschung der in den erhaltenen Epen … dargestellten Verhältnisse …, ebenso – bei Überschneidungen im einzelnen – das weite Feld der Beziehungen und Wechselwirkungen zwischen Mündlichkeit und Literatur.« 50 S. dazu Byrskog, Story.
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II. Vorfragen zur Person und Geschichte Jesu
gegen den wachsenden Einfluß der Christen (s. o. S. 195 Anm. 6). Vielleicht sollte der fiktive Damis in seinem Werk an die Stelle der Jünger und des Petrus treten, die freilich keine Fiktionen waren. 11. Diese Einwände gegen eine im Grunde geschichtsfeindliche Skepsis verschaffen uns jedoch keine wirkliche »historische Sicherheit« im einzelnen. Die kann es in diesem Überlieferungsmilieu kaum geben. Wirklich »zwingend beweisen«51 läßt sich nur relativ wenig. Gerade die Untersuchungen der ›oral history‹, die sich in der Regel über drei Generationen erstreckt, das heißt einen Zeitraum, den die ca. 40–70 Jahre zwischen dem berichteten Geschehen und den synoptischen Evangelien noch wesentlich unterschreiten, haben gezeigt, daß mündliche, aus der Erinnerung stammende Überlieferungen selbst bei Augenzeugen oft auch fehlerhaft sind. Diese können – ohne Kalenderkontrolle – meist größere chronologische Zusammenhänge nicht festhalten, sondern behalten und verarbeiten ähnlich wie die Evangelien Einzelepisoden und knappe Szenen, Anekdoten, Gleichnisse und kürzere Sprucheinheiten. Dies gilt schon für unser eigenes Gedächtnis, das oft versagt, wenn wir frühere Erlebnisse genau datieren wollen. Der Rahmen der Evangelien, in den alles eingefügt wird, muß darum häufig sekundär sein; das bedeutet jedoch nicht, daß er immer unhistorisch ist.52 Auch die zusammenfassenden Rahmenerzählungen etwa bei Markus und Lukas können sehr wohl wertvolle Fakten und Charakteristika enthalten,53 wie auch sogenannte »ideale Szenen« auf ein wirkliches Geschehen hinweisen können, indem sie verschiedene ähnliche Ereignisse in einer paradigmatischen Szene zusammenfassen. 12. Ein weiteres Problem bildet die Kluft zwischen der aramäischen Muttersprache Jesu und den griechischen Evangelien. Da nichtliterarische, einfache Griechischkenntnisse, das heißt Zwei‑ bzw. Dreisprachigkeit, im jüdischen Palästina einschließlich Galiläas relativ verbreitet waren54 und sich bereits in Jerusalem eine griechisch sprechende Gemeinde bald nach Ostern gebildet hat, kann man annehmen, daß diese sprachliche Transformation früh begann. Auch die Ausbreitung der neuen Bewegung in die griechisch sprechenden Städte 51 Die
Forderung, etwas »zwingend zu beweisen«, erscheint viel zu häufig in der neutesta mentlichen Literatur und weist auf mangelndes historisches Problembewußtsein hin. Oft müssen wir uns mit begründeten, plausiblen Hypothesen zufriedengeben. 52 S. z. B. Guy P. Merchal, Memoria, Fama, Mos Maiorum, in dem Sammelband »Vergangenheit« (o. S. 257 Anm. 49), 291–320 und Rainer Wirk, Vergangenheit in mündlicher Überlieferung. Einige Aspekte Neuerer Geschichte, in: op. cit., 331–344. S. auch o. S. 245 Anm. 6 zu Lukian. 53 Dies begegnet uns auch in vielen Summarien der Apostelgeschichte. 54 Aramäisch, Hebräisch als religiöse Sprache und Griechisch, unter Umständen auch Latein, so wohl bei Paulus als römischem Bürger, der nicht nur nach Rom, sondern auch nach Spanien reisen will. Zur Sprachensituation in Palästina s. Hengel, Judentum und Hellenismus, 108–114.191–195; ders., KS I, 1–90.
§ 7 Die historische Rückfrage
259
Palästinas, Phöniziens und Syriens geschah rasch und war nur möglich, weil dort missionierende Sendboten ihre Botschaft in griechischer Sprache verkündigten. Um ca. 32/33 n. Chr. finden wir sie schon in Damaskus. Vermutlich war ein Teil der frühesten Anhänger Jesu zweisprachig und konnte daher das, was man gehört und gesehen hatte, auch in einfachem Griechisch vortragen. Das mag bereits für Kephas-Petrus, Andreas, Philippus55 oder Johannes gegolten haben. Auch Markus, in Jerusalem literarisch besser ausgebildet als die galiläischen Fischer, gehörte in dieses Milieu.56 13. Weiter bestimmten der kerygmatische Zweck, apologetische Interessen und die Entwicklung des christologischen Denkens über einen längeren Zeitraum von mehreren Jahrzehnten hinweg die Auswahl und Formung des sich allmählich reduzierenden zuverlässigen Überlieferungsstoffes. Dabei mußten Unterschiede auftreten, auch konnte sekundäres Gut einfließen. Es bedeutete einen gewissen Unterschied, ob ein Evangelium im südlichen Syrien an der Grenze Palästinas wie Matthäus oder in Rom wie Markus geschrieben wurde und ob die Gemeinde überwiegend judenchristlich oder heidenchristlich war. Um so mehr muß die Übereinstimmung der synoptischen Evangelien, die an ganz verschiedenen Orten und in einem Zeitraum von ca. 20–30 Jahren entstanden sind, auffallen. Sie zeigt, daß man insgesamt mit der Jesusüberlieferung sorgfältig umging, selbst noch bei Matthäus nach 90 n. Chr., dem theologisch profiliertesten synoptischen Autor. Bei aller eigenwilligen Gestaltungskraft hat er den Wortlaut seines oft stark verkürzten Markus-Stoffes weitgehend erhalten. Ähnlich ist auch sein Umgang mit Lukas und dem aus der Logientradition stammenden Material. Es war diese konservative Haltung zusammen mit der geographischen Nähe zu Palästina, die jüdisch-rabbinische Prägung, der stark judenchristliche Einfluß und dazu die falsch gedeutete Überlieferung vom »hebräischen« Matthäus, die dem – späteren, pseudepigraphischen – ersten Evangelium auch in der modernen Forschung bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts – scheinbar – größere Authentizität vor den anderen Evangelien gab. 14. Schließlich haben auch die Wünsche, Fragen und Anstöße der Hörer (mehr als der Leser) auf die Gestaltung der Evangelien und ihrer vorausgehenden Überlieferung eingewirkt. In den urchristlichen Gottesdiensten wurde diskutiert und gefragt.57 So geht Lukas bei seinem Bericht sicher vielfach auf die Erwartungshaltung des »hochwürdigen Theophilos« und seines Kreises ein, nicht zuletzt, indem er Unangenehmes verschweigt, während Markus in Rom 55 Vgl. Joh 12,20 ff.: Griechische Festpilger kommen in Jerusalem zu Philippus und wollen Jesus sehen, dieser sagt es Andreas, und beide gehen mit diesem Wunsch zu Jesus. Für Johannes wird hier wie schon in c. 4 der erste Schritt zur Mission bei Nichtjuden angedeutet. 56 Hengel, Hellenisten, in: ders., KS III, 1–67. Ders. / Schwemer, Paulus, 43–60. S. Bd. II. 57 1 Kor 14,29 ff.35; vgl. Apg 19,9; 20,7.
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II. Vorfragen zur Person und Geschichte Jesu
noch von der Erfahrung der neronischen Verfolgung geprägt sein mag, wo wir zum ersten Mal von der Kreuzigung von Christen hören. Auch die Erschütterungen des römischen Bürgerkriegs haben ihn beeinflußt. Matthäus steht dagegen in Auseinandersetzung mit der wiedererstarkten Synagoge in Palästina, ähnlich wenig später Johannes in Kleinasien. Im Gegensatz zu einer überwiegend »formalistischen« Betrachtungsweise sollten wir uns mehr als bisher um eine möglichst präzise Einordnung der Evangelien und ihrer Traditionen in Zeit und Raum bemühen und bereit sein, deutliche Indizien wie etwa die Latinismen bei Markus, die Betroffenheit des Lukas durch die Tempelzerstörung oder die Auseinandersetzung des Matthäus mit den rabbinischen Lehrern zur Kenntnis zu nehmen.58 Wesentlich scheint uns auch zu sein, daß die Verfasser der Evangelien durchweg schon ältere Lehrer mit Autorität und keine Neophytoi oder gar unbekannte »Heidenchristen« waren und nicht gebannt auf ihre jeweilige begrenzte Gegenwart und die akuten Gemeindeprobleme schauten, sondern einen größeren Zeitraum überblickten. Als solche wollten sie das grundlegende Heilsgeschehen vor 40 bis 70 Jahren jeder auf seine Weise zur Sprache bringen. Dabei brachten sie auch die Erfahrungen ihrer vermutlich sich über Jahrzehnte erstreckenden Missions‑ und Lehrtätigkeit mit ein. 15. Auf der anderen Seite bleiben unsere Möglichkeiten der Rekonstruktion eingeschränkt. Schon Droysen wandte sich in seiner Historik gegen den Irrtum, daß wir von »dieser oder jener vergangenen Zeit ein Abbild geben« könnten. »Denn es könnte nur ein Bild der Phantasie sein, da das, was abzubilden wäre, nicht mehr vorhanden ist, sondern nur in unserer Vorstellung sein kann.« Die Aufgabe des Historikers »kann nur darin bestehen, daß wir die Erinnerungen und Überlieferungen,
die Überreste und Monumente einer Vergangenheit so verstehen, wie der Hörende den Sprechenden versteht, daß wir aus jenen uns noch vorliegenden Materialien forschend zu erkennen suchen, was die so … Handelnden … wollten … Aus den wie immer lückenhaften Materialien suchen wir sie, ihr Wollen und Tun, die Bedingungen ihres Wollens und die Wirkungen ihres Handelns zu erkennen«59.
Eben das ist auch die – durchaus begrenzte – Aufgabe der Rückfrage nach Jesus und seiner Jüngergemeinde als geschichtlichen Gestalten vor 2000 Jahren. In anderem Zusammenhang betont Droysen in ähnlicher Weise, daß »(d)ie objektiven Tatsachen … in ihrer Realität unserer Forschung gar nicht vor(liegen)
… Was geschieht, wird erst durch die Auffassung als zusammenhängender Vorgang, als ein Komplex von Ursache und Wirkung, von Zweck und Ausführung, kurz als Eine Tatsache begriffen und vereinigt, und dieselben Einzelheiten können von andern anders 58 S. Hengel, Entstehungszeit, zu Markus und ders., Gospels, 186–207 zu Lukas und Matthäus. 59 J. G. Droysen, Historik, hg. v. R. Hübner, 7. unv. Aufl. Darmstadt 1972 (1932), 26 (Hervorhebung M. H. / A. M. S.).
§ 7 Die historische Rückfrage
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aufgefaßt, sie können von andern mit andern Ursachen oder Wirkungen oder Zwecken kombiniert werden.«
Darum gilt, daß »alle Quellen, wie gut oder schlecht sie sein mögen, Auffassungen von Geschehnissen«60 sind, ganz gleich, ob sie von einem Augenzeugen oder erst in späterer Zeit niedergeschrieben wurden. Dies gilt auch für unsere eigene Erinnerung. Darum muß die historische Forschung immer zugleich kritische Forschung sein, die weiß, daß ihr der direkte Zugang zu den Ereignissen verwehrt ist und daß sie von den »Auffassungen« der ältesten Autoren auszugehen hat. Die fundamentalistische Polemik gegen die »historisch-kritische Methode« weiß nicht, was geschichtliches Erkennen ist. Sie kann darum auch die auf den Glauben bezogene Realität der Heilsgeschichte nicht wahrnehmen. Mit gutem Recht warnt Droysen davor, aus den Quellen mehr herauszulesen, als was sie aussagen können, weil diese ja niemals das ganze reale Geschehen, sondern immer nur gewisse (freilich häufig wesentliche) Ausschnitte in der Form von Vorstellungen wiedergeben können. In gleicher Weise warnt er vor einer Überschätzung der Augenzeugenschaft, da auch der Augenzeuge nur eine Auffassung von einem Vorgang als Erinnerung in sich trägt, und schließlich vor einem falschen »objektiven« Verständnis von Faktizität, in dem das erkennende und berichtende Subjekt eliminiert ist.61 16. Da wir von Jesus keinerlei unmittelbare Selbstzeugnisse besitzen, sondern nur Nachrichten darüber, wie er auf andere wirkte, was sie aus seinem Munde hörten und von seinem Tun beobachteten, ist uns der unmittelbare Zugang zu seinem Denken und Selbstverständnis verwehrt. Wir können bestenfalls Vermutungen darüber anstellen. Der psychologisierende Zugriff zu seinem »Persongeheimnis« bleibt uns verschlossen. Das wirkliche »innere Leben Jesu« (W. Herrmann), die »stetige Kräftigkeit seines Gottesbewußtseins« (Schleiermacher) können wir mit den Mitteln der Historie nicht erfassen. Wir begegnen nur den durch Dritte vermittelten, fragmentarischen Zeugnissen über seine Botschaft (einschließlich der Selbstaussagen), sein Wirken und Leiden.62 Auch sein in der Forschung so umstrittener messianischer Vollmachtsanspruch63 läßt sich 60 Op.
cit., 133 f. (Hervorhebungen M. H. / A. M. S.). Die Art und Weise, wie gerade kritisch erscheinende Theologen – abwertend – von »objektiven historischen Fakten« oder »bruta facta« sprechen, zeigt, daß sie den an die Subjekte gebundenen Charakter historischer »Auffassungen« noch nicht wirklich begriffen haben. 61 Loc. cit. Zu dem zu Unrecht verdrängten Begriff der »Heilsgeschichte« s. M. Hengel, ›Salvation History‹: The Truth of Scripture and Modern Theology, in: Reading Texts, Seeking Wisdom, ed. by D. F. Ford and G. Stanton, London 2003, 229–244. Eine Biblische Theologie, die diesen Namen verdient, kann auf die hinter dem Begriff stehende Sache nicht verzichten. Zur Augenzeugenschaft auch S. 246. 62 E. Trocmé gab darum seinem Jesusbuch den schönen Titel: Jésus de Nazareth, vu par les témoins de sa vie, Paris 1971. 63 Hengel / Schwemer, Anspruch, passim.
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II. Vorfragen zur Person und Geschichte Jesu
nur durch diese äußeren Zeugnisse erschließen. Man sollte daher bei Aussagen über Jesu »Selbstbewußtsein« vorsichtig sein. Darum muß jeder Versuch einer »Jesuspsychologie« scheitern. Zahllose Fragen, die der neugierige Historiker an ihn richten möchte, bleiben unbeantwortbar. Die »unanswered questions«, von denen John Bowden spricht, bleiben unser Schicksal.64 Gleichwohl ist das, was uns in der Brechung der synoptischen Evangelien überliefert ist, von so faszinierender Eindrücklichkeit, daß man der Frage nicht ausweichen kann: Was für ein Mensch muß er gewesen sein: t‡“ ±ra oñt·“ †stin (Mk 4,41)?
7.2 Die Kriterien der Rückfrage nach Weg, Wort und Wirken Jesu65 D. F. Strauß unterstreicht seine schon oben (S. 190) erwähnte Skepsis gegenüber einer historischen Rückfrage nach Jesus, die zu befriedigenden Ergebnissen führen könnte, mit dem Zusatz: »Wir müßten zur Controle Nachrichten über dasselbe Leben besitzen, die von einem
natürlich-vernünftigen Gesichtspunkt aus abgefaßt wären, und dergleichen besitzen wir in diesem Falle nicht.«66
Es fragt sich, ob es nicht Kriterien für eine historische Kontrolle der Überlieferung gibt, auch wenn sich der Wunsch des Aufklärers Strauß nach »Nachrichten …, die von einem natürlich-vernünftigen Gesichtspunkt aus abgefaßt« sind, nicht erfüllen läßt, da solche »wunschgemäßen« Nachrichten nicht nur in der Antike relativ selten sind, sondern auch beim späteren Strauß der »natürlich-vernünftige Gesichtspunkt« ein einseitig-persönliches, aufgeklärt-materialistisches Gepräge hat. Über die Kriterien ist in den letzten 100 Jahren viel nachgedacht worden. Man könnte diesem Thema wie Theißen / Winter67 eine ganze Monographie widmen. Es kann sich darum hier nur um Vorbemerkungen handeln, zumal die »Kriterien« ihre Brauchbarkeit erst im Vollzug historischer Arbeit und nicht in abstrakten Erwägungen erweisen. Man darf sie auch nicht mit stringenten »Beweismitteln« verwechseln; sie haben lediglich argumentativen Charakter bei den Versuchen, sich der Person Jesu anzunähern. Man sollte sie eher als Entscheidungshilfen bei strittigen Fragen verstehen. Keinesfalls geht es um zwingende Beweise für die Authentizität von Jesusworten und ‑taten, sondern um »Plausibilitätskriterien« für die Unterscheidung von Graden der Wahrscheinlichkeit. Der große Theodor 64 S.
den Titel seines Buches: Jesus. The Unanswered Questions, London 1988. Kriterienfrage. 66 Glaube, 77. 67 Theissen / Winter, Kriterienfrage. S. schon die kritischen Überlegungen von Neugebauer, Menschensohn, besonders 23 ff. 65 Theissen / Winter,
§ 7 Die historische Rückfrage
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Mommsen, der gewiß kein historischer Skeptiker war, vertrat schon in seiner Dissertation die These: historiam totam esse hypotheticam.68 Das sollten wir nie vergessen. 1. Zunächst ist hier von den für uns ältesten Quellen auszugehen: Markus, der Logientradition bei Lukas (und zum Teil bei Matthäus) und den wenigen Hinweisen in den echten Paulusbriefen. Was in diesen Quellen übereinstimmend bezeugt wird, wird seinen Ursprung bei Jesus selbst haben. Dabei kann es sich um so verschiedene Überlieferungen wie die Kreuzigung des »Messias« Jesus als »König der Juden« in Jerusalem, das Mahl in der letzten Nacht, den Verrat durch einen Jünger, das Verbot der Wiederverheiratung Geschiedener, die Sendung der Jünger und die Zuwendung Jesu zu Sündern oder auch den Gebetsruf Abba handeln.69 2. Dieses Argument wird noch verstärkt, wenn Überlieferungen in unterschiedlichen, jedoch für die Verkündigung Jesu spezifischen Gattungen, Redekompositionen, Einzelsprüchen, Gleichnissen, Streitgesprächen, und dann wieder in der Erzähltradition erscheinen. Hier wären Jesu Nähe und Differenz zum Täufer, die Berufung der Jünger, seine Freundschaft mit Zöllnern und Sündern wie auch seine Auseinandersetzung mit Pharisäern, Schriftgelehrten und den führenden Priestern in Jerusalem, die Konzentration des Gotteswillens auf die konkrete Tat der Nächstenliebe, die Forderung der Vergebungsbereitschaft, Gottes liebevolle Zuwendung zu den Verlorenen, seine Gerichtsdrohung, die Kraft des vertrauensvollen Glaubens, vor allem aber seine besondere Vollmacht im Zusammenhang mit der rätselhaften Rede vom »Menschensohn« und seine Reich-Gottes-Verkündigung zu nennen, in der er sowohl von der Gegenwart wie von der ganz nahen Zukunft der Gottesherrschaft sprechen konnte. 3. Ein weiteres Kriterium ist das jüdisch-palästinische und noch mehr das galiläische Kolorit einer Tradition. Die griechischsprachige Jesusüberlieferung muß den jüdisch-palästinischen Raum relativ früh verlassen haben, denn das gesetzesstrenge Judenchristentum, das die Heidenmission kritisch beurteilt und das nach der Verfolgung durch Agrippa I. (ca. 43 n. Chr.) mehr und mehr an Gewicht gewann, spielt nur noch beim spätesten Synoptiker Matthäus eine gewisse, auf die vergangene Zeit Jesu bezogene Rolle,70 der Herrenbruder Jakobus und die anderen Herrenverwandten fehlen im Gegensatz zu Petrus und den Zebedaiden als Autoritäten ganz.71 Auf der anderen Seite lassen sich aber auch eindeutige 68 Th. Mommsen, Ad legem de scribis et viatoribus et de auctoritate commentationes duae, Kiliae 1843, These 9: »Niebuhrii cum splendorem tum errores in eo positos esse, ut historiam totam esse hypotheticam sive ignoraret sive negaret« (Hervorhebung M. H. / A. M. S.). 69 S. o. S. 199 ff. 70 Vgl. Mt 10,5 f.23; 15,24; 23,2 f. und dagegen 28,18 ff. 71 Die Brüder Jesu werden lediglich Mk 6,3 = Mt 13,55 f. beim Namen genannt; Apg 1,14 spricht nur allgemein von »der Mutter und den Brüdern Jesu«; Joh 7,2–5 weist auf ihren Unglauben hin. S. auch u. S. 635 f.
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II. Vorfragen zur Person und Geschichte Jesu
typisch heidenchristliche Lehren und Riten in synoptischem Material nicht nachweisen. Die aktive Heidenmission erscheint in den Sendungsbefehlen der Auferstehungsgeschichte und in den synoptischen Apokalypsen,72 aber kaum in der synoptischen Einzelüberlieferung. Hier stoßen wir eher auf Zurückhaltung.73 Es fehlen die ausgebildete Hochchristologie mit Präexistenz und Schöpfungsmittlerschaft, Hinweise auf die christliche Taufe,74 eine ausgeführte Ekklesiologie, die Erwähnung späterer Ämter und eine massive Zuwendung Jesu zu den Nicht juden. Dies fällt um so mehr auf, als sich der Schwerpunkt der urchristlichen Bewegung aus ländlichen Gebieten rasch in die Städte zu verlagern beginnt: Jerusalem, Damaskus, Caesarea, die phönizischen Städte, Antiochia und Tarsus, ja selbst Rom sind Stationen, die schon in den ersten zehn bis fünfzehn Jahren erreicht und für die weitere Entwicklung maßgeblich werden, während Galiläa in der Apostelgeschichte bald verschwindet und in der Briefliteratur überhaupt nicht mehr erscheint.75 Wo uns daher Traditionen mit ländlich galiläischem Gepräge, unter Umständen noch mit konkreter Ortsangabe, begegnen, sind wir dem ursprünglichen Geschehen nahe. An galiläischen Dörfern wie Chorazin, Bethsaida, Nain, Magdala oder Kapernaum oder an der Landschaft bzw. am Ort Genezareth war man in den Diasporagemeinden nicht mehr interessiert. Auch die Gleichnisse spiegeln überwiegend ein galiläisch-ländliches Milieu wider. Man könnte mit ihrer Hilfe, Josephus und talmudischen Hinweisen eine kleine Sozialgeschichte Galiläas schreiben.76 Die Evangelisten schauen im Bewußtsein einer geographisch-zeitlichen Distanz auf die Anfänge in Galiläa zurück. Für ihre Gegenwart hat diese entlegene jüdische Kleinprovinz keine Bedeutung mehr. Heidenchristen waren an ihr nicht mehr interessiert.77 4. In diesem Zusammenhang sind auch sprachliche Argumente zu nennen, die vor allem Gustaf Dalman und sein Schüler Joachim Jeremias78 herausgearbeitet haben. Dazu gehört die traditionelle jüdisch-palästinische Spruchform des Parallelismus membrorum, die von dem »Hellenisten« Lukas schon teilweise 72 Lk
24,47; Apg 1,8; Joh 20,21, vgl. 17,20 f. und 21,16 f.; Mk 13,10 parr.; 14,9 par. Mk 7,24–30 = Mt 15,21–28 (24); Mt 10,5 f.23, vgl. 5,47; 6,7; 18,17; Joh 4,22. 74 Abgesehen von Mt 28,19 f.; vgl. dagegen Joh 3,22; 4,1 f. S. u. S. 308 Anm. 72. 75 Apg 1,11; 2,7; 9,31, vgl. schon Gal 1,22 und 1 Thess 2,14: Hier mag in dem ûIouda‡a Galiläa mitenthalten sein. S. u. S. 345 Anm. 8. Vgl. auch Hengel / Schwemer, Paulus, 52–54. 76 S. dazu u. S. 273 ff. die maßgeblichen Arbeiten von S. Freyne und jetzt Chancey, Galilee. Vgl. auch die große, heute immer noch lesenswerte Studie von G. Dalman, Orte und Wege Jesu, BFChTh, 2. R. 1. Bd., Gütersloh 31924 (ergänzter Nachdruck Darmstadt 41967) und jetzt die gründliche sozialgeschichtliche Untersuchung von J. S. Kloppenborg, Tenants. 77 Vgl. Apg 10,37: ürx›meno“ üpÖ tö“ Galila‡a“. Mit einem von Theissen / Winter, Kriterienfrage, 180 ff. geprägten Begriff könnte man hier von »Kontextplausibilität« (183 ff.) sprechen. 78 G. Dalman, Die Worte Jesu, Bd. I, Leipzig 1898 (21930; Nachdruck Darmstadt 1965); ders., Jesus-Jeschua, Leipzig 1922; Jeremias, Theologie, 13–45. Es ist unseres Erachtens immer noch das beste Buch zur Verkündigung Jesu. Ausführlich s. u. S. 376–404. 73 Vgl.
§ 7 Die historische Rückfrage
265
aufgelöst wird. Hervorzuheben ist hier der scharf zugespitzte antithetische Parallelismus. Weiter zu erwähnen sind auffallende Sprachformen, wie das analogielose ümÉn lfigw ≠mõn,79 die häufige Rede vom »Menschensohn« oder von »diesem Geschlecht«: Hier stehen wir der eigenwilligen Sprache Jesu nahe, gerade weil sie auch, das zeigt Matthäus, nachgeahmt werden konnte. Die in einem griechischen Literaturwerk exzeptionellen lexikalischen Aramaismen80 müssen hier genannt werden. Die Namen Kephas, Boanerges und Aufforderungen wie tālîtā’ qûm oder effata, aramäisch: ’eppatah, und die Gebetsanrede Abba können wir als verba ipsissima betrachten, gerade weil sie in ihrer aramäischen Form, außer Abba, keinen unmittelbaren kerygmatischen Hintersinn besitzen, wohl aber trefflich das ursprüngliche Milieu des Wirkens Jesu illustrieren. 5. Als methodische Sonde, von der aus man zu weiterer Jesustradition vorstoßen kann, ist auch das am häufigsten erwähnte und immer wieder neu diskutierte Kriterium der »Unableitbarkeit« oder der »Unähnlichkeit« zu nennen.81 Es wurde vor allem von P. W. Schmiedel (1851–1935) hervorgehoben, der auf das Vorbild des Profan-Historikers verwies: »When a profane historian finds before him a historical document which testifies to the
worship of a hero unknown to other sources, he attaches first and foremost importance to those features which cannot be deduced merely from the fact of this worship, and he does so on the simple and sufficient ground that they would not be found in this source unless the author had met with them as fixed data of tradition. The same fundamental principle may safely be applied in the case of the gospels, for they also are all … written by worshippers of Jesus.«
Dieses Kriterium sei unabhängig von der Quelle, aus der der zu beurteilende Text stamme.82 Das heißt, wenn eine Jesusüberlieferung der nachösterlichen 79 Sie erscheint nicht in original jüdischen, sondern nur in späteren christlichen Texten bzw. Ergänzungen: Die längere Version A des Testaments Abrahams, die in 8,7 die Formel Gott gegenüber Michael als Botschaft an Abraham in den Mund legt, und in 18,10 und 20,2 die Doppelformel ümÉn ümÉn lfigw soi im Munde des Todes gegenüber Abraham, ist eine christliche erweiterte Fassung mit vielen späteren Zusätzen im Gegensatz zur Version B, in der die Formel noch völlig fehlt; s. A. M. Denis, Introduction aux Pseudépigraphes Grecs d’Ancien Testament, SVTP 1, Leiden 1970, 36. 80 S. dazu Rüger, Aramaismen, 73–84; Beyer, Texte, 130.673; Hengel, Abba. 81 Zum Begriff s. J. Gnilka, Jesus von Nazaret. Botschaft und Geschichte, HThK Suppl. III, Freiburg 1990, 29 f. unter Verweis auf M. Lehmann, Synoptische Quellenanalyse und die Frage nach dem historischen Jesus, BZNW 38, Berlin 1970, 174–186; s. auch F. Lentzen-Deis, Kriterien für die historische Beurteilung der Jesusüberlieferung in den Evangelien, in: Rückfrage nach Jesus, hg. v. K. Kertelge, QD 63, Freiburg 1974, 78–117 (97 ff.), Lentzen-Deis spricht hier von »Ausgrenzungskriterien«, und F. Mussner, Methodologie der Frage nach dem historischen Jesus, in: op. cit., 118–147 (132). Zum Unableitbarkeitskriterium s. auch Merkel, Gottesherrschaft, 131 ff. Anm. 75 (weitere Literatur) und jetzt ausführlich Theissen / Winter, Kriterienfrage. 82 Art. Gospels, EB(C) II, 1901, 1761–1891 (1872). Vgl. W. Heitmüller, Art. Jesus Christus, RGG1 3, 1912, 359–361: »Zugrundezulegen ist das Material, das etwa dem Glauben,
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II. Vorfragen zur Person und Geschichte Jesu
urchristlichen Jesusverehrung und damit den Tendenzen, die zur Entstehung der Christologie führen, (bzw. überhaupt urchristlichen Überzeugungen) zuwiderläuft oder zumindest von ihnen unabhängig ist, spricht dies in besonderer Weise für ihre Ursprünglichkeit, weil sie dem Gefälle der Traditionsentwicklung widerstrebt. Dieses Kriterium kann bei der Prüfung von Einzelüberlieferungen hilfreich sein und als Sonde dienen, um Aussagen der synoptischen Überlieferungen mit Jesus zu verbinden. R. Bultmann und in noch schärfer formulierter Eindeutigkeit E. Käsemann haben zu dem Widerspruch zu urchristlichen Anschauungen auch noch den zum zeitgenössischen Judentum hinzugefügt: Käsemann geht – darin ganz Schüler Bultmanns – davon aus, daß durch die kritische Forschung »die historische Glaubwürdigkeit der synoptischen Tradition auf der ganzen Linie zweifelhaft« geworden sei und daß »wir … für die Herausstellung authentischen Jesusgutes weithin noch einer wesentlichen Voraussetzung, nämlich des Überblicks über das älteste urchristliche Stadium, und fast gänzlich ausreichender und stichhaltiger Kriterien ermangeln.« Dann aber räumt er doch ein: »Einigermaßen sicheren Boden haben wir nur in einem einzigen Fall unter den Füßen, wenn nämlich Tradition … weder aus dem Judentum abgeleitet noch der Urchristenheit zugeschrieben werden kann, speziell dann, wenn die Judenchristenheit ihr überkommenes Gut als zu kühn gemildert oder umgebogen hat.«83 Man kann freilich Judentum und Urchristentum nicht in dieser Weise trennen. Dazu ist unsere Kenntnis der vielfältigen Strömungen im zeitgenössischen Judentum Palästinas – das sollte uns durch die reichen Qumranfunde voll bewußt werden – ganz fragmentarisch und zufällig. Was wissen wir – außerhalb der Evangelien – von den religiösen Anschauungen der galiläischen Landbevölkerung zwischen der Zeitenwende und 70 n. Chr.? Jesus war Jude und lebte in einer ganz und gar jüdischen Umwelt. Es genügt daher bei den »Annäherungsversuchen«, auf die Differenzen zwischen der Jesustradition und deutlichen Tendenzen der nachösterlichen Jüngergemeinde und der aus ihr hervorwachsenden Urkirche zu achten, deren führende Köpfe bis gegen das Ende des 1. Jahrhunderts ebenfalls jüdisch waren. der Theologie, der Sitte, dem Kultus der Urgemeinde zuwiderläuft oder wenigstens nicht völlig entspricht. Zu solchen Stücken dürfen wir unbedingtes Zutrauen haben« (361). S. dazu Loofs, Jesus Christus, 123 ff., der mit Recht die Grenzen dieser Regel betont. Zu Schmiedel s. Theissen / Winter, Kriterienfrage, 60.83 ff. 83 Problem, 144 = ders., Versuche I, 205. Vgl. dazu die berechtigte Kritik von Jeremias, Theologie, 14: »Man muß geradezu sagen, daß die Art und Weise, wie heute vielfach das ›Unähnlichkeitskriterium‹ als Schibboleth benutzt wird, eine schwerwiegende Fehlerquelle enthält und den historischen Tatbestand verkürzt und entstellt, weil sie die Zusammenhänge zwischen Jesus und dem Judentum nicht in den Griff bekommt.« S. dazu auch Theissen / Winter, Kriterienfrage, 69 ff.183 ff.
§ 7 Die historische Rückfrage
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Der letzte Satz Käsemanns ist dagegen bedeutsam und spielte schon in der alten liberalen Forschung eine wesentliche Rolle: daß nämlich das Judenchristentum anstößige Aussagen und Verhaltensweisen Jesu »als zu kühn gemildert oder umgebogen hat«. Hier begegnen wir einem weiteren Kriterium, welches das der »Unähnlichkeit« noch präzisiert: 6. Schon Schmiedel verwies auf die Bedeutung von Texten, die wegen ihrer Anstößigkeit umgeformt oder verdrängt wurden. Hier könnte man zum Beispiel Mk 3,21 über den Konflikt Jesu mit seiner Familie nennen:84 Er wird bei Lukas und Matthäus eliminiert, ebenso das Heilen Jesu durch scheinbar »magische« Praktiken, zum Beispiel durch Speichel oder besondere Berührungen des kranken Organs, wie sie noch bei Markus erzählt werden.85 Bei Matthäus, der ja sonst dem für ihn »autoritativen« Werk des Markus weithin folgt, heilt Jesus nur durch das Wort. Auch die Schilderung der Anfechtung Jesu in Gethsemane wird bei Matthäus abgemildert und bei Johannes beseitigt; andere Aussagen, etwa daß Jesus in Nazareth wegen des Unglaubens seiner Mitbürger und Verwandten nicht heilen konnte86 oder seine Reaktion Mk 10,18 in der Szene vom »Reichen«, der Jesus als »guten Meister« anredet, was dieser zurückweist, weil Gott allein gut sei, werden entschärft. Überhaupt wird man aufgrund des synoptischen Vergleichs – ein Glück, daß Markus erhalten blieb – sagen können, daß Texte, die abstrakter, theologisch stärker durchgeformt und christologisch weiterentwickelt sind, eher als sekundäre Bearbeitungsstufen zu verstehen sind. Das zeigt sich vor allem bei einem Vergleich zwischen der synoptischen und der johanneischen Tradition. 7. Das »Unähnlichkeitskriterium« mag ein Ausgangspunkt für die forschende Sonde sein, es kommt für sich genommen nur zu völlig unzureichenden, da punktuellen Ergebnissen. Eine Gestalt wie Jesus, die noch zu Lebzeiten eine Volksbewegung auslöste, die sich – in veränderter Form – nach seiner Passion, das heißt dem Ende seiner unmittelbaren Wirksamkeit, rasch in Judäa und Syrien ausbreitete, kann nicht in erster Linie negativ bestimmt werden. Im Zusammenspiel aller Kriterien ist ein kohärentes Netz von aufeinander bezogenen Jesustraditionen zu schaffen, durch das die Umrisse seines auffallenden, ja in gewisser Weise »analogielosen« Wirkens greifbarer werden und das auch die Möglichkeit an die Hand gibt, die erstaunlichen nachösterlichen Entwicklungen in der Jesusgemeinde, insbesondere die Entstehung der Christologie, zureichend zu erklären.87 Man könnte hier vom Kriterium der Kohärenz sprechen. 84 S.
dazu auch R. Bultmann o. S. 254 Anm. 36 und u. S. 289. 7,33 f.; 8,22–26. S. auch u. S. 478. 86 Mk 6,5; s. u. S. 287. 87 S. dazu Neugebauer, Menschensohn, 11 f.16 und seine Auseinandersetzung mit den radikalen Thesen Vielhauers. 85 Mk
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II. Vorfragen zur Person und Geschichte Jesu
8. Sosehr man E. Käsemann darin recht geben kann, daß »(w)ir … nicht mehr die Zuverlässigkeit der synoptischen Überlieferung über Jesus im allgemeinen voraussetzen (können)«, ist die daraus gezogene Konsequenz irreführend: »Auf Grund der formgeschichtlichen Arbeit hat sich unsere Fragestellung derart zu-
gespitzt und erweitert, daß wir nicht mehr die etwaige Unechtheit, sondern gerade umgekehrt die Echtheit des Einzelgutes zu prüfen und glaubhaft zu machen haben. Nicht das Recht der Kritik, sondern ihre Grenze ist heute zu beweisen.«88
Hier wird die Möglichkeit der Formgeschichte überschätzt. Käsemann muß selbst ihr Versagen am entscheidenden Punkt einräumen, da sie als formales Instrument nur »um den Sitz im Leben von Erzählungsgattungen, nicht jedoch um das bemüht ist, was man historische Individualität nennen mag«89. Aber auf die historische Besonderheit Jesu wie auch seiner Zeugen kommt es vor allem an. Das heißt, die Formgeschichte läßt uns bei der Grundfrage: t‡“ ±ra oñt·“ †stin (Mk 4,41) im Stich, da sie rein formal nach der Gestalt der mündlichen Überlieferung fragt und es problematisch bleibt, wo sie wirklich überzeugend einen »Sitz im Leben« für die Bildung von Traditionsstücken dingfest machen kann, die über die banale Zuweisung an den Gottesdienst der Gemeinde oder die Missionspredigt hinausgehen. Die Evangelien bieten uns eben nicht »primär das urchristliche Kerygma und bloß darin eingebettet einzelne Worte und Taten Jesu«90, sondern beides so miteinander verschmolzen, daß man hier mit dem Vor-Urteil »primär« und »sekundär« allein schwerlich weiterkommt. Man könnte auch umgekehrt historisch-genetisch sagen: Am Anfang war eine Fülle von Jesuserinnerung und ‑überlieferung, während das klar definierte Kerygma erst schrittweise nach Ostern ausgebildet wurde und in formelhafter Verkürzung vor allem in der Briefliteratur erscheint. Auch haben wir weite Passagen, zum Beispiel in der Logientradition oder dem Sondergut des Lukas, wo vom nachösterlichen »Kerygma« äußerlich gesehen wenig zu finden ist. Was ist etwa in dem Komplex Lk 16,1–31 vom – christologischen – Kerygma expressis verbis zu entdecken? Könnte dieses ganze Kapitel, vielleicht abgesehen von 16,16, nicht auch von einem jüdischen Außenseiter stammen, und scheint das Fazit 16,29 ff.:
88 Problem, 142 = Versuche I, 204; vgl. loc. cit.: »Allein radikale Kritik vermag deshalb … den uns damit [das heißt dem von Käsemann diagnostizierten ›allgemeinen Chaos‹] gestellten Aufgaben gerecht zu werden. Dabei wird unter radikal natürlich nicht der wilde Drang zum Extrem, sondern die Aufgeschlossenheit allein gegenüber der Sachproblematik verstanden.« Diese ist freilich niemals »radikal«, sondern nur als sachgemäße, historisch überzeugende, plausible »Kritik« möglich. Wir würden vielmehr nach unserem Sprachgefühl den verhängnisvollen und verbreiteten »wilden Drang zum Extrem« als »radikal« bezeichnen. 89 Problem, 143 = Versuche I, 204. 90 Loc. cit.
§ 7 Die historische Rückfrage
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»Sie haben Mose und die Profeten, auf die sollen sie hören … Tun sie dies nicht, werden sie auch nicht gehorchen, wenn einer von den Toten auferstünde«
dem christlichen Kerygma nicht eher zu widersprechen? In Wirklichkeit sind sowohl die Gründe für wie gegen »die Echtheit des Einzelgutes zu prüfen und glaubhaft zu machen«. Bei einem solchen Abwägen kommt man nicht selten über Grade der Wahrscheinlichkeit kaum hinaus oder muß bei einem non liquet stehenbleiben. Es geht auch nicht um »Grenze« und »Recht der Kritik«, denn dieses Abwägen ist immer schon »historisch-kritisch«. Kr‡nein heißt ja »beurteilen«. »Kritisch« sind darum alle historischen Urteile, ganz gleich ob pro oder contra Echtheit, die überzeugend begründet sind. Mit dem Begriff »beweisen« sollte man dagegen vorsichtig sein. Ein wirklicher »Beweis«91 im Blick auf ein historisches Phänomen ist nur aufgrund von Indizien zu führen, die in uns relativ fremden, zufällig erhaltenen antiken Texten oft nicht in gewünschter Weise zu finden sind. Für das Urchristentum sind uns zu unmittelbarer Evidenz führende, archäologische Originalquellen wie Inschriften, Papyrusdokumente oder Münzen nicht gegeben; es geht bei der Frage nach Jesus vielmehr um in ihrer »Authentizität« allein durch spätere Handschriften überlieferte literarische Quellen, die ca. 40–70 Jahre nach dem berichteten Geschehen entstanden sind. Auch wenn deren handschriftliche Bezeugung besser ist als bei irgendeinem anderen Textcorpus in der Antike und zum Teil ins 2. Jahrhundert zurückreicht, so bleibt am Ende doch nur die Auseinandersetzung um die Einzelüberlieferungen, deren Echtheit zur Diskussion steht. Entscheidend ist je und je das Gewicht der historisch-philologischen Argumente nach beiden Richtungen. Hier hat es sich die »radikale« Kritik in ihrer Argumentation häufig zu leicht gemacht, so daß man den Eindruck erhält, als seien bei ihr Wunsch und Willkür oder mit Käsemann »der wilde Drang zum Extrem« am Werke, vielleicht, weil man dies für wissenschaftlich hält. Nicht nur die strittige Authentizität von Überlieferungen müßte begründet werden, sondern auch ihre spätere Entstehung in »der Gemeinde«. Was wissen wir aber über die einzelnen urchristlichen Gemeinden zwischen 30 und 100 und ihr Verhältnis zur Jesustradition? 10. Vielleicht müßten beide Seiten, »konservative« und »radikale Kritiker«, bescheidener werden und zugeben, daß sie beide oft mit nur eingeschränkt begründbaren Vermutungen arbeiten. Die neutestamentliche Disziplin ist immer bis zu einem gewissen Grade »Vermutungswissenschaft«, da sie nur eine relativ schmale Textbasis – 680 Seiten Nestle-Aland – besitzt, mit der sich zahllose Hypothesen verbinden, ein Tatbestand, der mit der ungeheuren Wirkungs91 Heute spricht man gern von »zwingendem Beweis« und übersieht, daß gerade dieser im Bereich der Antike aufgrund der fragmentarischen Quellen oft nur sehr schwer zu führen ist. S. o. S. 258.
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II. Vorfragen zur Person und Geschichte Jesu
geschichte und Bedeutung der kanonischen Texte zusammenhängt. Dabei sind wir bei unserem Annäherungsversuch aufgrund der – wieder an antiken Maßstäben gemessen – eher positiven Quellenlage durchaus davon überzeugt, daß wir von der Person Jesu, ihrem Wirken in Wort und Tat und ihrem Leiden insgesamt deutliche Umrisse erhalten, weil unsere ältesten Quellen Markus, die Logientradition und das ausgewählte Sondergut von Lukas und Matthäus hier oft in erstaunlicher Weise übereinstimmen und sich so ein plausibles Gesamtbild ergibt, das gerade nicht aus den ganz anderen religiösen oder auch sozialen Bedürfnissen der späteren Gemeinden und ihrem »Kerygma« erklärt werden kann. Alle Versuche einer letztlich geschichtsfeindlichen, ihrerseits »dogmatistisch befangenen Kritik« seit D. F. Strauß, die tiefe Prägung, die die ältesten Quellen durch die lebendige Erinnerung an Jesus empfangen haben, mit Hilfe der Hypothese einer ungehemmt kreativen »Gemeinde« zu eliminieren, sind im Grunde gescheitert. Die Aufgabe einer »historischen Annäherung« an Jesus und die früheste Gemeinde wird trotz aller Bestreitung von »radikal-skeptischer« wie »fundamentalistischer« Seite ihr Recht und ihre Notwendigkeit behalten.
III. Jesus der Galiläer und Johannes der Täufer
§ 8 Jesus der Galiläer 8.1 Galiläa und die Galiläer Jesus war ein galiläischer Jude, und dasselbe gilt von dem Kreis seiner frühesten Anhänger. Um sie zu verstehen, müssen wir einen Blick auf ihre Heimat werfen. Deren Bedeutung war nicht unumstritten, doch hat sich hier ein breiter Konsens aufgebaut. Walter Bauer hatte die Meinung vertreten, das abgelegene und rings von den Gebieten »hellenistischer« Städte eingeschlossene Galiläa sei synkretistisch-paganen Einflüssen gegenüber besonders aufgeschlossen gewesen. Seine Hypothese wurde von Schmithals und anderen aufgegriffen und mit Jes 8,23, der Formel vom »Galiläa der Heiden«, begründet. Noch abwegiger war die im Dritten Reich von einzelnen angesehenen Theologen vertretene Anschauung, in Galiläa hätte es indogermanische Völkerreste gegeben und Jesus sei nicht semitischer Herkunft gewesen. In Wirklichkeit gab es nach der Zerstörung des Nordreiches durch die Assyrer 722 v. Chr. in Galiläa immer eine israelitische Minderheit, die sich mit dem Tempel in Jerusalem verbunden wußte und sich in nachexilischer Zeit zum Judentum bekannte. Die Lage dieser galiläischen Juden war besonders exponiert, weil sie durch Samarien vom jüdischen Kernland getrennt waren und die Samaritaner als »häretische« Juden der Kultusgemeinde in W. Bauer, Jesus der Galiläer, in: ders., Aufsätze und kleine Schriften, Tübingen 1967, 91–108 = Festgabe für Adolf Jülicher, Tübingen 1927, 16–34; A. Alt, Galiläische Probleme, in: ders., Kleine Schriften II, München 1953, 363–455 (gegen Bauer); Bill. I, 153–189; Dalman, Orte, c. 3–12; S. Freyne, Galilee; ders., Jesus; ders., Galilee and Gospel; W. Bösen, Galiläa als Lebensraum und Wirkungsfeld Jesu, Freiburg u. a. 1985; Theissen, Lokalkolorit; Reed, Archaeology; Chancey, Galilee; Dunn, Jesus, 293–311.315–323. Gegen eine einseitig negative sozialgeschichtliche Darstellung Galiläas wendet sich mit Recht K.-H. Ostmeyer, Armenhaus oder Räuberhöhle, ZNW 96 (2005), 147–170; s. jetzt Kloppenborg, Tenants. Jesus der Galiläer (o. Anm. 1). Paulus und Jakobus, FRLANT 85, Göttingen 1963, 25 f. Die Urgemeinde sei nicht in Jerusalem, sondern »im synkretistisch durchsetzten« Galiläa der Heiden (25 f. Anm. 1) entstanden. Dort sei auch das »gesetzlose Christentum« zu suchen, das Paulus »in der Nähe von Damaskus« verfolgt habe. Gegen derartige Spekulationen, die auch in den USA übernommen worden waren, s. jetzt J. L. Reed, M. A. Chancey und J. D. G. Dunn. Vgl. Mt 4,15. Das Jesajawort bezieht sich auf das bereits von Israel abgetrennte Galiläa der Assyrerzeit unmittelbar vor 722, dem Ende des Nordreichs. S. dazu o. S. 183 Anm. 46.
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III. Jesus der Galiläer und Johannes der Täufer
Jerusalem feindlich gegenüberstanden. Ferner lag Galiläa ca. 100–130 km nördlich der jüdischen Metropole, ganz im wirtschaftlichen und kulturellen Einflußbereich der phönizisch-hellenistischen Städte Tyrus und Sidon an der Küste. Die jüdischen Bauern fühlten sich von diesen heidnischen Handelsstädten nicht nur ausgebeutet, sie mußten auch gegenüber nichtjüdischen, stärker hellenisierten Nachbarn um die Erhaltung ihres Volkstums und ihrer Religion kämpfen, und sie waren eben aus diesem Grunde nicht »Synkretisten«, sondern in stärkerem Maße konservative jüdische »Nationalisten« als etwa die Mehrheit der Stadtbevölkerung von Jerusalem, die von der Pax Romana profitierte. Wir stoßen in Galiläa auf eine typische Grenzlandsituation mit starkem ethnisch-religiösem Selbstbehauptungswillen, ja zum Teil Fremdenhaß. Als dann die Hasmonäer Aristobul und nach ihm Alexander Jannai etwa seit 100 v. Chr. Galiläa und die östlich des Sees Genezareth gelegene Gaulanitis eroberten, wurde das Land, das nur zum kleineren Teil von einer jüdischen Minderheit, überwiegend aber von Heiden besiedelt war, durch die Zwangsbeschneidung bzw. Vertreibung der heidnischen Ituräer und Kanaanäer und die zielstrebige Siedlungspolitik der Hasmonäer zu einem geschlossenen jüdischen Siedlungsgebiet. Es blieb jedoch von heidnischen Stadtgebieten umschlossen, da Pompeius nach der Eroberung Jerusalems 63 v. Chr. die von den Hasmonäern unterworfenen hellenistischen Städte in Palästina und im Ostjordanland wiederherstellte. Im Süden zwischen Jordansenke und Megiddoebene lag die wichtige Festung Skythopolis (das alte Beth-Schean), die besonders mit dem Dionysoskult verbunden war; in der Megiddoebene gründete Herodes die Reiterstadt Gaba, eine Militärkolonie und Festung, die den Zweck hatte, eben das widerstrebende jüdische Galiläa zu bewachen. Im Westen am Meer lag als wichtigster Ausfuhrhafen das phönizische Ptolemaïs-Akko, unter den Ptolemäern und Seleukiden die Hauptstadt der Provinz »Syrien und Phönizien« bzw. Koilesyrien, sie bildete militärisch den Schlüssel zum galiläischen Bergland, ja zu ganz Judäa. Von hier aus sind die Römer immer wieder dort einmarschiert. Weiter nordwestlich schlossen sich die großen Stadtgebiete von Tyrus und Sidon an, die direkt an Galiläa grenzten. Im Norden lag an den Jordanquellen unterhalb des Hermon Paneas, das der Herodessohn Philippus zu seiner Hauptstadt machte und in Mk 7,26 spricht von der heidnischen Bittstellerin im Gebiet von Tyros als einer ßEllhn‡“, Surofoin‡kissa, Mt 15,22 von einer gunÉ Canana‡a. Markus schreibt von einem römischen, Matthäus von einem jüdisch-palästinischen Standpunkt aus, s. o. S. 216.236. Zu den neuen jüdischen Siedlungen s. Freyne, Galilee and Gospel, 60.67 f.128.177–182: »Hasmonean colonisation from the south … (would seem) as the most likely hypothesis for explaining the dominant Jewish element in first-century Galilee« (179); vgl. 247. Teilweise mag es sich um Militärsiedlungen gehandelt haben, darum der starke hasmonäische Rückhalt in der Provinz. 4 v. Chr. Varus; 39 n. Chr. Petronius; 66 Cestius Gallus; 67 Vespasian. S. o. S. 71.86.115.
§ 8 Jesus der Galiläer
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Caesarea Philippi umbenannte. Auf dem Ostufer des Sees Genezareth befand sich die hellenistische Polis Hippos und im Südosten über dem Jarmuktal die Festung Gadara, die wie Hippos und Skythopolis dem Zehnstädtebund, der sogenannten Dekapolis, angehörte. Galiläa selbst, aufgeteilt in das nördliche, gebirgige Ober‑ und das südliche, fruchtbare Untergaliläa, war dagegen rein ländliches Gebiet, auf dessen Territorium es zunächst keine wirklichen »Städte« mit griechischen Stadtrechten gab. Ein dritter Landesteil war die heiße Jordansenke und das Westufer des Galiläischen Meeres (200 m unter NN). Der Umfang der Provinz betrug in Nord-Süd-Richtung etwa 50 km und ca. 35–40 km von West nach Ost. Auf ca. 1600 km2 lebten ca. 300.000 Einwohner. Zwar wird dieses kleine, abgelegene, von »Barbaren« bewohnte Gebiet von den griechischen und römischen Autoren der Antike nur relativ selten erwähnt,10 wir sind jedoch darüber auffallend gut durch Josephus unterrichtet, der nach Ausbruch des Jüdischen Krieges 66 von der Jerusalemer »Aufstandsregierung« dort zum Befehlshaber der Aufständischen ernannt worden war und 67 nach der Einnahme Jotapatas durch Vespasian römischer Kriegsgefangener wurde. So soll es nach ihm11 204 Städte und Dörfer besessen haben, das heißt, es war relativ dicht besiedelt, aber die Angabe des Josephus in bell. 3,43, daß der kleinste Ort mindestens 15.000 Einwohner habe, ist eine der bei ihm üblichen Übertreibungen, die seine eigene Bedeutung als Provinzhauptmann hervorheben soll. Der einzige Ort, der in vorchristlicher Zeit die Bezeichnung »Stadt« im griechischen Sinne verdient hätte, Sepphoris, nur ca. 5 km nordwestlich von Nazareth, wurde von Varus 4 v. Chr. wegen eines Aufstandsversuchs verwüstet, die Einwohner wurden in die Sklaverei verkauft. Herodes Antipas hat den Ort als Hauptstadt wiederaufgebaut. Die zweite Stadt Galiläas, Tiberias am See Genezareth, war eine Neugründung des Antipas zu Ehren des Kaisers, erbaut von 17 bis 22 n. Chr. und später seine Residenz. Er gab ihr durch einen zwangsweisen »Synoikismos« eine gemischte jüdisch-heidnische Bevölkerung, in der die Juden jedoch weit überwogen. Bei der Landbevölkerung war diese mit hellenistischen Stadtrechten ausgestattete Gründung verpönt. Es hieß, Antipas habe sie auf einem Gräberfeld erbaut und der Ort sei deshalb rituell unrein. In den Evangelien spielen beide Städte keine Rolle. Sepphoris wird in den Evangelien überhaupt nicht erwähnt, Tiberias nur bei Johannes am Rande.12 Jesus hat offenbar die hellenisierten Städte gemieden. Wenn Städte aus benach Mk
8,27 = Mt 16,13: Kaisare‡a … Fil‡ppou. S. dazu u. S. 520. dazu den Index bei Stern, GLAJJ III, 121 f. 11 Josephus, vita 235. In der Vita beschreibt er vor allem apologetisch sein Wirken als Führer der Aufständischen in Galiläa. Das Bild, das Josephus von Galiläa gibt, wird jetzt ergänzt durch die Ergebnisse der Archäologie; s. dazu S. Freyne und die jüngsten gründlichen Arbeiten von Chancey, Galilee, und Reed, Archaeology. 12 Joh 6,23: Schiffe kommen von Tiberias; vgl. auch 6,1; 21,1 zur Bezeichnung des Sees. Zu beiden Städten s. Schürer II, 172–176 und 178–182. 10 S.
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III. Jesus der Galiläer und Johannes der Täufer
barten heidnischen Gebieten genannt werden – Caesarea Philippi, Tyrus und Sidon –, so wird bei Markus immer nur gesagt, daß er sich in den Stadtterritorien aufgehalten habe, nicht in der Polis selbst.13 Der Gegensatz zwischen Land und Stadt war in der Antike sehr viel stärker ausgeprägt, als wir uns dies heute vorstellen können. In den größeren Städten wohnten die Grundbesitzer, die von der Verpachtung ihrer Domänen lebten, die Kaufleute und die Handwerker. Dort gab es Schulen und alle Arten von Bildungsmöglichkeiten und Vergnügungsstätten. Der gebildete Städter schaute voller Verachtung auf den ungebildeten, einfachen Bauern herab, der als landloser Pächter oder als kleiner Landwirt sich und seine große Familie draußen im offenen Land oft nur mühsam ernährte, da er hohe Pachtbeträge und Steuern aufbringen mußte. Noch schlechter gestellt waren die Tagelöhner, die sich als Gelegenheitsarbeiter verdingen mußten.14 Galiläa erscheint zwar bei Josephus durch seine wesentlich höhere Regenmenge im Vergleich mit dem judäischen Bergland, durch sein mildes Klima und den Fleiß seiner Bewohner als ein wirtschaftlich blühendes Land, aber dieses ideale Bild zeigt nur die eine Seite. Auch nach der hasmonäischen Eroberung und Zwangsjudaisierung und erst recht durch die Politik Herodes’ des Großen (40–4 v. Chr.) blieb ein großer Teil Galiläas »Königsland« im Besitz des jeweiligen Landesherrn, das heißt zur Zeit Jesu Krongut des Herodes Antipas, später des römischen Kaisers. Hinzu kam eine nicht geringe Zahl von Großgrundbesitzern, die zum Teil ihren Besitz für ihre Dienste gegenüber dem Landesherrn erhalten hatten. Die ortsfesten Bauern bearbeiteten die Krongüter und Domänen in Erbpacht gegen entsprechend hohe Abgaben bis zu 30, ja 50 % des Ertrags. Das soziale Milieu Galiläas mit seinen Großdomänen und Gutsherren bzw. Gutsverwaltern, seinen Landpächtern, Kleinbauern, Tagelöhnern und Sklaven, mit Schuldhaft und Geldverleihern, die auf Zinsen ausleihen, ist in den Gleichnissen Jesu ständig gegenwärtig einschließlich der dazugehörigen sozialen Auseinandersetzungen. So handelt es sich zum Beispiel beim Gleichnis von den bösen Weingärtnern Mk 12,1 ff. um eine extreme soziale Konfliktsituation:15 Ein ortsfremder Gutsbesitzer läßt durch Pächter ein Weingut anlegen, und diese weigern sich, dem abgesandten Sklaven den Pachtanteil am Erstertrag abzuliefern. Den schließlich ausgesandten Sohn töten sie, um sich selbst in den Besitz des Weingutes zu bringen. Daß Jesus Beziehungen zur Führungsschicht Galiläas besaß, zeigt sich daran, daß Lukas unter seinen Anhängerinnen, die ihn und seine Jünger »aus ihrem Vermögen« unterstützten, eine Johanna, die Frau des †p‡tropo“ des Herodes (Antipas), das heißt eines »Vermögensverwalters« des Tetrarchen, nennt. Unter den judenchristlichen »Profeten« in Antiochien erscheint Menachem 13 Darum
kùmai, Mk 8,27, bzw. Ωria 7,24.31. Mt 20,1–15. 15 Hengel, Gleichnis; zum Großgrundbesitz zur Zeit Jesu s. die Beispiele S. 19 ff.; Kloppenborg, Tenants. S. auch u. S. 543. 14 Vgl.
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(Manafln), ein früherer Freund (s‚ntrofo“) des Landesherrn. Der Synagogenvorsteher Jairus und der königliche Beamte bzw. Centurio in Kapernaum passen ebenfalls gut in dieses Milieu.16 Die Jesusbewegung wirkte auch in die galiläische Oberschicht hinein. Durch ihre Grenzlandsituation wie auch durch den sozialen Gegensatz zwischen Stadt und Land waren die Galiläer weder nachweisbar vom »synkretistischen syrischen Hellenismus« beeinflußt noch in besonderer Weise zur Kollaboration mit ihren heidnischen Nachbarn geneigt. Seit der Eroberung Judäas durch Pompeius 63 v. Chr. erwiesen sie sich immer wieder als freiheitsbewußte Juden, die bereit waren, bis zum Letzten gegen die fremden Unterdrücker zu kämpfen. Als Herodes 39 v. Chr. in Ptolemaïs landete, um mit römischer Hilfe sein Königreich zu erobern, leisteten ihm gerade die Galiläer den allerhärtesten Widerstand. Auch im Jahr 66/67 n. Chr. waren Galiläer die einzigen außerhalb Jerusalems, die in verschiedenen kleinen, schlecht befestigten Städten wie Jotapata oder Gamala in der Gaulanitis sich bis zum kollektiven Suizid heldenhaft verteidigten.17 Nicht nur Judas, der Begründer der zelotischen Bewegung im Zusammenhang mit der Verwandlung von Judäa in eine römische Provinz 6 v. Chr.,18 stammt aus Galiläa bzw. der im Osten angrenzenden Gaulanitis, sondern auch Johannes von Gischala, neben Simon bar Giora der wichtigste Anführer der Verteidiger von Jerusalem im Jahre 70, war ein Galiläer. Mit seinem galiläischen Anhang verhalf er den Radikalen gegenüber der gemäßigten Friedenspartei in Jerusalem zum Sieg. Es ist verständlich, daß die Jerusalemer Oberschicht bei galiläischen Demagogen und eschatologischen Schwärmern mißtrauisch war und unter Umständen allergisch reagierte.19 Daß es auch unter Antipas und der Prokuratorenherrschaft bei der leicht entflammbaren Unruhe der Galiläer zu Zwischenfällen kam, zeigt Lk 13,1 f., 16 Lk 8,3; vgl. Lk 24,10; Apg 13,1; zum »Tetrarchen« s. Lk 3,1.19; 9,7 und u. S. 310 Anm. 81. Das †p‡tropo“ entspricht dem lateinischen procurator; s. auch Mt 20,8. Es kann sich aber auch um ein politisches Amt handeln. Die ritterlichen Statthalter in Judäa bezeichnet Josephus gerne als †p‡tropo“: bell. 2,117 (Coponius); 169 (Pilatus); 220 (Cuspius Fadus); 247 (Felix) etc. In Wirklichkeit hatten sie vor Claudius den Titel praefectus, s. o. S. 76 Anm. 204. Zu Jairus s. Mk 5,22 = Lk 8,41. Mt 9,18 läßt den – unseres Erachtens ursprünglichen – Namen weg und spricht von einem ±rcwn. Zum Centurio s. Lk 7,2 ff., der ihn zu einem Gottesfürchtigen macht, für den die »Ältesten« von Kapernaum eintreten: »er liebt unser Volk und hat selbst für unser Volk eine Synagoge gebaut«. Mt 8,5 ff. verkürzt den lukanischen Bericht. Nach Joh 4,46 handelt es sich um keinen Offizier, sondern einen Beamten des Antipas (basilik·“). Zu s‚ntrofo“ s. Bauer / Aland, WB, 1587. 17 S. o. S. 116. Man könnte sie mit den Sikariern in Masada vergleichen, s. zu Jotapata: Josephus, bell. 3,336–339.361–391; Gamala: bell. 4,78–83; Masada: bell. 7,389–406. 18 S. dazu Hengel, Zeloten, Index s. v. Galiläa, Judas Galiläus und Johannes von Gischala, sowie Apg 5,37 und Lk 2,1: Lukas ordnet freilich den Census zeitlich falsch ein; s. o. S. 76 f. und u. S. 281 Anm. 38. 19 S. o. S. 77 und u. S. 279.
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wo von Galiläern die Rede ist, die Pilatus auf dem Tempelvorplatz samt ihren Opfertieren (vermutlich handelte es sich um Passalämmer) niedermetzeln ließ, weiter der Bericht des Josephus über die Folgen der Ermordung eines galiläischen Festpilgers auf der Durchreise im samaritanischen Ginea20 in der Mitte der vierziger Jahre. Dieser Mord provozierte Grenzkämpfe zwischen Juden und Samaritanern, die am Ende fast zum offenen Krieg mit Rom führten. Daß Herodes Antipas, der Sohn König Herodes’ des Großen und der Samaritanerin Malthake, trotz seiner nicht ungeschickten Politik bei der Landbevölkerung wenig beliebt war, hatte nicht so sehr soziale als religiöse Gründe: Sein Lebensstil war zu freizügig. Über der gesetzwidrigen Heirat mit Herodias, seiner Nichte und der Frau eines Halbbruders, kam es nach Markus zum Konflikt mit dem Täufer, nach Josephus ließ er diesen in der Festung Machärus, fernab von Galiläa, hinrichten, weil er den Einfluß des profetischen Predigers auf die Volksmassen fürchtete. Bei Markus geschieht dies im Zusammenhang mit einer orientalischen Hofintrige; nach dem Tode des Täufers ist er über das Auftreten Jesu beunruhigt.21 Dem Scharfsinn von Gerd Theißen verdanken wir die Deutung eines Bildwortes Jesu aus der Täuferrede von Lk 7,24 f. = Mt 11,7 f.: »Was gingt ihr in die Wüste hinaus zu sehen,
ein Schilfrohr, das vom Winde bewegt wird, einen Menschen, gekleidet in Luxusgewänder? Siehe doch, die Luxusgewänder tragen, sind in den Königspalästen.«
Er machte uns darauf aufmerksam, daß auf den ersten Münzen von Tiberias, der von Antipas gegründeten, im Volk unbeliebten neuen Hauptstadt, die bei den Synoptikern nicht erwähnt wird, der Kolben eines Schilfrohrs und der Name des Tetrarchen erscheint.22 Das »Schilfrohr (k›lamo“), das vom Winde bewegt wird«, erklärt sich so am besten als verächtlicher Hinweis auf den opportunistischen Herrscher, wahrscheinlich handelte es sich dabei um seinen volkstümlichen Spottnamen aufgrund dieser Münze.23 Dadurch würde der Parallelismus membrorum zu den Menschen in Luxusgewändern, die in Königspalästen wohnen, sinnvoll. Wir haben hier einen jener seltenen Fälle, wo ein Jesuswort durch einen archäologischen Fund, die ersten Tiberiasmünzen, 20 Der heutige arabische, konfliktreiche nördliche Grenzort Jenin; vgl. bell. 2,232 = ant. 20,118. Im Bellum ist es nur ein Opfer, in den Antiquitates sind es mehrere. Derartige Widersprüche sind bei Josephus nicht selten. S. o. S. 50 Anm. 59; S. 52 Anm. 73; S. 100.129. 21 S. o. S. 75 und u. S. 310 ff. 22 Theissen, Lokalkolorit, 26–43. Y. Meshorer, Jewish Coins of the Second Temple Period, Tel Aviv 1967, 133, Nr. 63–65. Jahr 24 = 19/20 n. Chr. vgl. Pl. IX. 23 Zum negativen Bild vgl. Jes 36,6; 4 Reg 18,21: tÉn Ø›bdon tÉn kalam‡nhn, auf den man sich nicht stützen kann, der vielmehr die Hand durchbohrt. Vgl. auch Lk 13,31 f., wo Jesus Herodes Antipas als »Fuchs« bezeichnet.
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verständlich wird. Jesus stellt hier dem letzten und größten Profeten, Johannes, dessen Mörder, »das wankelmütige Schilfrohr« Herodes Antipas, gegenüber. Jeder Hörer wußte, wer damit gemeint war. Dennoch scheint das Land unter seiner Herrschaftszeit in – relativer – Ruhe gelebt zu haben, was dem einfachen Volk zugute kam. Antipas versuchte, auch durch die Städtegründungen Sepphoris und Tiberias, Galiläa für die hellenistisch-römische Kultur aufzuschließen; die Landbevölkerung wird ihm diesen Versuch kaum gedankt haben. Auf jeden Fall war das Regiment des jüdischen Herrschers geschickter als das der römischen Präfekten vom Schlage eines Pilatus oder später eines Cumanus, Felix, Albinus oder Florus. Aber auch Antipas mußte immer um die Sicherheit seiner Herrschaft besorgt sein, darum ließ er Johannes den Täufer hinrichten, und wahrscheinlich hat er auch Jesus nachgestellt.24 Im Jahre 38 wurde er von seinem Neffen und Schwager Agrippa I. bei Caligula denunziert, er halte Waffen verborgen, um einen Revanchekrieg gegen die Nabatäer vorzubereiten, und nach Gallien verbannt.25 Sein Bruder Archelaos hatte als Tetrarch von Judäa und Samaria schon unter Augustus 6 n. Chr. ein ähnliches Schicksal erlitten. Es gehörte auch zum Gegensatz von Stadt und Land, daß die kultivierte Bevölkerung in Jerusalem auf die ungebildeten, bäuerischen Galiläer aus dem Norden mit einer Mischung von Hochmut und Mißtrauen herunterschaute. Noch in rabbinischer Zeit, als Galiläa zum Zentrum des Judentums geworden war, spottete man über seinen Dialekt, der hamor, den Esel zum Reiten, hamar, den Wein zum Trinken, ‛amar, die Wolle zur Kleidung, und ’immar, das Lamm zum Schlachten, durcheinanderbrachte, weil man zwischen den verschiedenen Gutturalen nicht unterscheiden konnte.26 Es zeigt die Kenntnis der palästinischen Verhältnisse, wenn Petrus nach Matthäus im Hofe des Hohenpriesters durch seinen Dialekt verraten wird.27 War die galiläische Landbevölkerung so erfüllt von nationalem Eifer für das Gesetz und die Treue zum jüdischen Glauben, so verhielt sie sich gegenüber Neuerungen eher konservativ, vor allem wenn sie aus Jerusalem kamen. Darum war dort der Einfluß des Pharisäismus und seiner mündlichen Gesetzesauslegung vor 70 geringer als in Judäa und Jerusalem. Essener wird es dort kaum gegeben haben, deshalb werden sie in den Evangelien nicht erwähnt. Die Kupferrolle aus Höhle 3 von Qumran enthält bezeichnenderweise keinen Ort, der mit einiger Sicherheit nach Galiläa gehört.28 24 Mk
6,14.17–29 parr.; Lk 13,31 ff.; s. u. S. 352. ant. 18,247 ff. S. o. S. 76. 26 Bill. I, 156 f. bErub 53b (Baraita); vgl. bMeg 24b; bBer 32a; bErub 53a: »Weil die Galiläer auf ihre Sprache nicht acht hatten, behielt ihre Lehre nicht Bestand unter ihren Händen.« 27 Mt 26,73; vgl. Mk 14,70. 28 A. Wolters, The Copper Scroll. Overview, Text and Translation, Sheffield 1996; García Martínez / Tigchelaar, Scrolls I, 232–239. 25 Josephus,
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Der berühmte Zeitgenosse Jesu und des Paulus, Jochanan ben Zakkai, soll sich nach einer späteren Legende vor der Tempelzerstörung 20 Jahre in Arab in Galiläa aufgehalten haben, und man habe ihm dort während der ganzen Zeit nur zwei Fragen über die – pharisäische – Sabbathalacha vorgelegt. Er habe daher die Verwünschung ausgerufen: »O Galiläa, du verachtest die Tora, du wirst bald den Unterdrückern zum Opfer fallen.«29 Die rabbinische Torakasuistik war der dortigen Landbevölkerung zu abstrakt und subtil. Auf der anderen Seite war es ein dem Pharisäismus nahestehender Galiläer, der dem König Izates von Adiabene am Tigris vorhielt, es genüge keineswegs, nur den jüdischen Glauben anzunehmen, er müsse sich allen politischen Risiken zum Trotz beschneiden lassen.30 Das Desinteresse der Galiläer an gewissen Teilen der pharisäischen Halacha darf man keinesfalls als Laxheit gegenüber dem Gesetz und dem Glauben der Väter deuten. Ihr nationaler Konservativismus und ihre Grenzlage wird sie vielmehr der eschatologisch-messianischen Naherwartung gegenüber besonders empfänglich gemacht haben. So ist es kein Wunder, daß sowohl die Botschaft des Täufers als auch die Predigt Jesu dort auf fruchtbaren Boden fiel. Die in der älteren Literatur immer wieder geäußerte Vermutung, daß die esoterische Henoch-Apokalyptik und die in den Bilderreden des äthiopischen Henochbuches c. 37–71 dargestellte Menschensohnerwartung im Gegensatz zur Hoffnung auf einen davidischen Messias in Galiläa besonders verbreitet gewesen sei, hat keinen Anhalt in den Quellen. Gerade weil wir über Galiläa vor 70 n. Chr. außer durch Nachrichten des Josephus und der Evangelisten so wenig wissen, war die Versuchung, unbegründbare Hypothesen aufzustellen, besonders groß. Dies gilt auch für die Vermutung einer galiläischen Herkunft der Logienquelle und einer christologiefreien galiläischen Jesustradition (s. o. S. 228).
8.2 Nazareth War schon die Herkunft aus dem abgelegenen Galiläa für Jesus bei Juden und Griechen wenig schmeichelhaft, so erst recht die Verbindung mit seinem völlig bedeutungslosen Heimatdorf Nazareth,31 das weder im Alten Testament noch bei Josephus noch im Talmud erwähnt wird. Man hat daher vermutet, Jesu Herkunft 29 yShab 16,8, 15d; vgl. Lk 10,13. Galiläa wird erst nach 70 und noch mehr nach dem Bar Kochba-Aufstand 132–136, der zur Vernichtung der Judenschaft in Judäa führte, zum Hauptgebiet des palästinischen Judentums. 30 Josephus, ant. 20,43–45. Gleichwohl scheinen die Schriftgelehrten aus dem fernen Jerusalem ein gewisses Ansehen besessen zu haben. Dies zeigt der Erfolg der überwiegend pharisäischen Gesandtschaft aus Jerusalem in Galiläa nach Josephus, vita 190–203. S. Hengel / Deines, Pharisäer, in: Hengel, KS I, 475 f. 31 Zu den Schreibweisen des Ortsnamens s. Bauer / Aland, WB, 1077. Lk 4,16 und von ihm abhängig Mt 4,13 haben die aramäische Schreibweise Nazar›.
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aus dem Ort Nazareth sei erst sekundär aus der Bezeichnung Nazwraõo“,32 der angeblichen Bezeichnung einer vorchristlichen Täufersekte, abgeleitet worden, die sich »nasôrajjā«, das heißt »Observanten«, genannt haben sollen.33 In jüdisch-rabbinischen Texten werden dagegen Jesus als Ješû a‛ han-nôsrî und die Christen daher als han-nôsrîm bezeichnet, was eher auf einen Ortsnamen hinweist. Dieser wird in allen vier Evangelien und dann in der christlichen Tradition bis hin zum Onomastikon Eusebs bezeugt,34 weiter ist Nazareth (nsrt) jetzt auch durch eine Synagogeninschrift des 3. Jahrhunderts aus Caesarea belegt, in der die Heimatorte der 24 Priesterordnungen in Galiläa nach dem Bar KochbaAufstand aufgezeichnet sind. Der jüdische Dichter Eleazar ha-Kalir aus dem 7. Jahrhundert bestätigt diese Tradition. Darin wird Nazareth als Wohnort der Priesterordnung Ha-Pizzez (1 Chr 24,15) aufgeführt.35 Die Herkunft Jesu aus dem unbedeutenden galiläischen Dorf an der Südwestgrenze Galiläas läßt sich nicht ernsthaft bezweifeln. Ein Fälscher hätte einen bekannteren Ort ausgesucht. Nach Julius Africanus36 sollen noch später im 2. Jahrhundert Herrenverwandte dort gewohnt haben, Epiphanius bezeichnet es dagegen im 4. Jahrhundert als einen rein jüdischen Ort.37 Daß die Herkunft Jesu aus dem galiläischen Nazareth in der späteren Auseinandersetzung mit jüdischen Gesprächspartnern erhebliche Schwierigkeiten bereitete, zeigen die Geburtsgeschichten bei Lukas und Matthäus, wo jeweils unter verschiedenen Voraussetzungen die Geburt Jesu nach Bethlehem verlegt wird, um die Verheißung von Micha 5,1 zu erfüllen. Zu beachten ist, daß selbst bei Lukas und Matthäus die heilsgeschichtlich begründete Geburt in Bethlehem seine Herkunft aus Nazareth nicht verdrängen konnte, vielmehr jeweils verschieden erklärt wird.38 Ähnlich ist die Situation bei Jo32 So vor allem Mt 2,23; 26,71; Joh 18,5.7; Markus hat viermal Nazarhn·“. Lukas hat beides: im Evangelium 4,34; 24,19 Nazarhn·“, 18,37 und siebenmal in der Apostelgeschichte Nazwraõo“. Zum Problem s. H. H. Schaeder, ThWNT IV, 879–884 und Bauer / Aland, WB, 1077; Dalman, Orte, 115–125; H. P. Rüger, ZNW 72 (1981), 257–263. 33 Belege für eine derartige jüdische vorchristliche Taufsekte gibt es nicht. Nach Apg 24,5 klagt der Rhetor Tertullus vor Felix den Paulus als prwtost›thn … tö“ tùn Nazwra‡wn a´rfisew“, das heißt der Christen an. 34 Ed. Klostermann, GCS 11,1 (Eusebius III,1), p. 138 Z. 24 f.: Nazarfiq (Mt 2,23). Ωqen ¨ CristÖ“ Nazwraõo“ †klflqh, kaÑ NazarhnoÑ tÖ palaiÖn ™meõ“ o´ nún Cristiano‡. Darauf folgt eine genaue geographische Angabe des Dorfes. 35 M. Avi-Yonah, A List of Priestly Courses from Caesarea, IEJ 12 (1962), 137–139; H. P. Rüger, op. cit. (s. o. Anm. 32), 257 f. Die Übersiedlung von Priestersippen nach Galiläa war eine Folge der Tempelzerstörung bzw. des Bar Kochba-Aufstandes; Dalman, Orte, 65 ff. 36 Ep. ad Aristid. bei Euseb, h.e. 1,7,14: Anfang 3. Jahrhundert. 37 Haer. 30,11,7: Die Nachricht ist jedoch vom Kontext her fragwürdig. 38 Im lukanischen Bericht wohnen Maria und Josef in Nazareth und werden nur durch den Census des Augustus genötigt, nach Bethlehem zu wandern, da Josef Davidide war (Lk 2,1–4). Bei Matthäus sind beide in Bethlehem ansässig und werden erst ca. zwei Jahre nach der Geburt Jesu durch den Mordanschlag des Königs Herodes gezwungen, nach Ägypten zu fliehen, und lassen sich nach dem Tode des Königs auf göttlichen Befehl hin im galiläischen Nazareth
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hannes. Der Einwand Nathanaels: »Was kann aus Nazareth Gutes kommen?«39 und der der Juden: »Kommt etwa der Messias aus Galiläa? Sagt die Schrift nicht, daß der Messias aus dem Geschlecht Davids und aus Bethlehem, dem Dorf, wo David lebte, kommt?«40, zeigen, welches Gewicht das Argument einer »nichtbiblischen« Herkunft Jesu aus Galiläa auch später bei den jüdischen Gegnern besaß. Die frühesten Quellen, Markus und die Logienüberlieferung, aber auch Johannes lassen sich davon noch nicht beeindrucken. Abgesehen von den beiden Kapiteln Mt 1 und 2 und Lk 1 und 2 spielen die Herkunft aus Bethlehem (und die Jungfrauengeburt) im Neuen Testament keine Rolle mehr. Die Abstammung aus dem Geschlecht Davids ist dagegen von Anfang an bedeutsam.41 Eigenartig ist, daß Nazareth und seine weitere Umgebung als Ort der Wirksamkeit Jesu kein wesentliches Gewicht mehr hat, nur Lukas erwähnt einmal das ca. 10 km südöstliche Nain,42 Johannes nennt viermal das ca. 7 km nordöstlich gelegene Kana, während er Nazareth nur bei der Vorstellung Jesu durch Philippus gegenüber Nathanael erwähnt und damit dessen Ablehnung provoziert.43 Bei Markus und Matthäus wird lediglich Jesu Zurückweisung an seinem Heimatort erzählt, Lukas stellt diese durch ihn erweiterte Szene biographisch geschickt an den Anfang von dessen Wirken.44 Der Schwerpunkt des öffentlichen Auftretens Jesu liegt dann nach allen vier Evangelien übereinstimmend in Kapernaum am Nordwestufer des Sees Genezareth, gerade am entgegengesetzten Ende der Provinz als letztem größerem Ort vor der Grenze zur Tetrarchie des Philippus am Jordan, daher Sitz einer Militäreinheit und einer Zollstelle.45 Vermutlich wählte Jesus diese Gegend, weil er dort die ersten Anhänger fand. In diesem kleinen nieder, da der Herodessohn Archelaos Herrscher über Judäa geworden war (Mt 2,22 f.). Daß in Galiläa der Bruder des Archelaos Herodes (Antipas) regierte, kümmert Matthäus wenig. Er ist historisch nicht so gut informiert wie Lukas und sieht in dem ganzen Vorgang einen Akt der Schrifterfüllung (1,23). Die Schriftgrundlage für das Erfüllungszitat bleibt unklar. Es könnte sich auf den gottgeweihten »Nasiräer« Ri 13,5 (LXX: ™giasmfinon naziraõon) oder – wahrscheinlicher – auf den »Sproß« (MT: nesär) Jes 11,1 beziehen. 39 Joh 1,46. 40 Joh 7,40 ff.; vgl. 52. 41 S. u. S. 291–294. Bethlehem fehlt auch in den Apostolischen Vätern. Erst bei Justin taucht es wieder häufiger auf: apol. I, 34,1; dial. 78,1–8; 102,2; 103,3. Es erhielt eine wesentliche Rolle im Schriftbeweis. Für ihn, der Matthäus und Lukas am häufigsten zitiert, sind die Geburtsgeschichten beider Evangelien ein zentraler Bestandteil der christlichen Botschaft. In der Auseinandersetzung mit Tryphon steht mehrfach die Jungfrauengeburt und Jes 7,14 im Mittelpunkt. S. dazu Hengel, KS II, 347–352. Zur Jungfrauengeburt s. auch IgnSm 1,1. Ignatius setzt hier die Kenntnis von Lukas und Matthäus voraus. 42 Lk 7,11: Der Ortsname ist ursprünglicher Bestandteil der Erzählung. 43 Kana: Joh 2,1.11; 4,46; 21,2; Nazareth: 1,45 f. S. auch u. S. 362. 44 Mk 6,1–6; Mt 13,53–58; Lk 4,16–30. 45 Nazareth erscheint in den Evangelien elfmal und einmal in der Apostelgeschichte, vor allem als Ort der Herkunft Jesu, das heißt seltener als Kapernaum. Dieses erwähnt Josephus als k„mh in vita 403 (unveränderte Schreibweise); bell. 3,519 erscheint es als reiche Gegend. Die Synoptiker bezeichnen es mehrfach als p·li“. S. außerdem die zwei Belege im Midrasch
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Raum häufen sich die wenigen Ortsnamen, die die Evangelien nennen: Kapernaum wird sechzehnmal, Bethsaida siebenmal, Chorazin zweimal, Gennezar und das rätselhafte Dalmanutha einmal erwähnt. Letzteres ist vielleicht eine ganz frühe Verschreibung von Magdala, einem Ort, auf den auch der Beiname der Jüngerin Jesu, Maria Magdalena, hinweist.46 Matthäus und Johannes lösen die Spannung zwischen dem Heimatort Jesu und der Gegend seiner öffentlichen Wirksamkeit, aus der auch seine ersten Jünger stammen, durch den Hinweis auf eine Übersiedlung Jesu nach Kapernaum.47 Dort lassen ihn Markus und Lukas in der Synagoge auftreten;48 dort ist er »zu Hause«49. Das heißt aber, das Wirken Jesu in Galiläa hatte ein deutlich umrissenes geographisches Zentrum, auch wenn er als Wanderlehrer auftrat. Dies legt nahe, daß seine öffentliche Wirksamkeit sich wohl kaum über mehrere Jahre erstreckt hat, sondern relativ kurz war.
8.3 Die Familie Jesu50 Das früheste Evangelium nach Markus hat wie das späteste nach Johannes keine Kindheitsgeschichte. Da beide nur an der »messianischen Wirksamkeit« Jesu interessiert sind, berichten sie von Jesus erst im Zusammenhang mit Johannes dem Täufer.51 Bei der Einführung Jesu unmittelbar vor seiner Taufe durch Johannes erwähnt Markus allein den Herkunftsort »Jesus aus Nazareth in Galiläa«52, von seiner Familie und seinem bisherigen Beruf ist hier noch nicht die Rede. An detaillierteren biographischen Erzählungen hat er im Gegensatz zu Lukas und Matthäus zunächst kein Interesse. Erst die Schilderung des gescheiterten Auftretens Jesu in der Synagoge seines Heimatortes Mk 6,1–6 gibt dem EvanQohelet (Bill. I, 159 f.). Vgl. M. Fischer, Art. Kapharnaum, RAC 20, 2001, 43–56. Zum Auftreten Jesu in Galiläa s. u. S. 346–351. 46 Mk 8,10, s. dazu den Apparat bei Nestle-Aland ab 26. Aufl. und Jeremias, Abba, 87–90. Reed, Archaeology, 82–93 (zur Bevölkerungsdichte in den Dörfern); 182 ff.; weiter Dunn, Jesus, 317 ff. 47 Mt 4,13; Joh 2,12: hier zusammen mit seiner Mutter, seinen Brüdern und Jüngern. Er soll sich jedoch nur kurz dort aufgehalten und dann zum Passafest nach Jerusalem gezogen sein. Vgl. auch Apg 1,13 f. die Übersiedlung nach Jerusalem nach Ostern. 48 Mk 1,21 = Lk 4,31. 49 Mk 2,1: †n o¥kw; vgl. 3,20; 9,33. Dabei mag es sich um das Haus des Petrus gehandelt haben: Mk 1,29 ff. parr. 50 Zahn, Brüder, 225–363; Roloff, Kerygma, 159 ff.; Oberlinner, Brüder; Hengel, Jakobus; Bauckham, Jude; Meier, Marginal Jew I, 313–332. 51 S. u. S. 297.320 ff. 52 Mk 1,9: élqen ûIhsoú“ üpÖ NazarÇt tö“ Galila‡a“. Mt 3,13 läßt Nazareth weg und berichtet nur, daß Jesus von Galiläa an den Jordan kommt. Lk 3,21 verzichtet auf jede Herkunftsangabe. Beide Evangelisten haben ihre Leser darüber schon in der Vorgeschichte informiert. Joh 1,29 ff. erwähnt die Taufe Jesu selbst nicht, setzt sie aber voraus (1,32) und unterrichtet 1,45 f. über Jesu Herkunft.
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gelisten Anlaß, einige grundlegende Daten über Jesus und seine Familie zu erwähnen, die zeigen, daß Markus nicht nur ein »kerygmatischer Erzähler« war, sondern auch knapp und präzise »biographisch« informieren konnte. Für ihn hat diese Zurückhaltung theologische Gründe und kann nicht einfach auf Unwissenheit zurückgeführt werden. Die Vorgeschichte Jesu ist für ihn sachlich zweitrangig, weil sie für ihn noch nicht zum »Evangelium« gehört: Nur Jesu messianisches Wirken und Leiden will er als frohe Botschaft (1,1) berichten. Auf der anderen Seite weiß er, daß seine Hörer und Leser dennoch einige wesentliche Lebensdaten erfahren bzw. an sie erinnert werden wollen. Den Hörern im Gottesdienst waren ja die Grunddaten über Jesus in der Regel schon bekannt. Da er kein Wort zuviel sagen will, spricht Markus in 6,1 nur noch davon, daß Jesus in seinen »Heimatort« (patr‡“) kam. Den Namen des Ortes hat er ja schon in 1,9 erwähnt. Auffallend ist weiter, daß er Jesus dabei nur den Sohn Marias nennt und sein Vater Josef im Markusevangelium nicht erscheint. Man wird dies freilich nicht damit erklären dürfen, daß Jesus das uneheliche Kind eines römischen Soldaten namens Panthera war, wie Celsus und talmudische Quellen behaupteten,53 und ebensowenig damit, daß Markus hier indirekt auf die Jungfrauengeburt anspielen will. Es sind ja die Bewohner von Nazareth, die nach Markus Jesus so nennen. Die jüdische Historikerin Tal Ilan hat die nicht seltenen Fälle untersucht, in denen Juden in Verbindung mit dem Namen ihrer Mutter genannt werden, und kommt in einigen Fällen zum Ergebnis, »that this was, most likely, due to the greater prominence of the mother or the mother’s pedigree«54. Nun war für Markus die Mutter Jesu, die später mit ihren Söhnen 53 Origenes, c. Celsum 1,28 f.32 f.69: Dieser »Jude«, das heißt der »jüdische« Gewährsmann des Celsus, ist nach Origenes eine rhetorische Fiktion. Doch muß sich Celsus über die jüdische Polemik gegen Jesus im 2. Jahrhundert eingehend informiert haben. Er weiß aus dieser jüdischen Quelle, daß die Mutter Jesu, eine ganz arme Jüdin, von ihrem Verlobten, einem Zimmermann, wegen ihres Ehebruchs (moice‡a) mit einem Soldaten Panqflra verstoßen worden sei, daß sie das Kind herumirrend im Geheimen geboren habe. Jesus sei dann wegen seiner Armut nach Ägypten ausgewandert, wo er erfolgreich die Kunst der Zauberei erlernt habe. Celsus gründet sich hier auf ein jüdisches, mündliches oder schriftliches »Anti-Evangelium«, das schon im Matthäusevangelium vorausgesetzt wird. Der Vatername Panterā (oder Panderā) erscheint mehrfach in der rabbinischen Literatur: vgl. tChul 2,22–24. Strack, Jesus, § 3–5, S. 2–4 (21*–26*). Bei griechischen Autoren seit Epiphanius, haer. 78,7 (op. cit., 10*ff.) begegnet der Name P›nqhr als Beiname oder Name im Stammbaum. Zahn, Brüder, 266 ff. will diesen Namen auf Hegesipp zurückführen. Zum Ganzen s. jetzt Schäfer, Jesus, über die talmudischen Nachrichten. Neuerdings wird eine uneheliche Herkunft Jesu wieder von G. Lüdemann, Jesus nach 2000 Jahren. Was er wirklich sagte und tat, Lüneburg 2000, 60–62.879 f. u. ö. vertreten. Dagegen spricht schon die Erwähnung der großen Familie mit vier Brüdern und einer ungenannten Zahl von (mindestens zwei) Schwestern (Mk 6,3). Vermutlich ist panqflra eine Verstümmelung von parqfino“ durch Metathese, vgl. Jes 7,14, der Hauptbelegstelle für die Jungfrauengeburt aus der Septuaginta, über die, wie Justins Dialog mit Tryphon zeigt, mit Juden heftig gestritten wurde; s. Hengel, KS II, 347–352. 54 ›Man born of woman …‹ (Job 14,1). The phenomenon of men bearing metronymes at the time of Jesus, NT 34 (1992), 23–45 (44). Tal Ilan überlegt noch, ob diese Namensform wohl
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ein Glied der Gemeinde wurde, gewiß »of greater prominence«55. Dies wird noch bei Lukas und Johannes deutlich, die betont auf die Mutter Jesu hinweisen. Nur Matthäus, der das Lukasevangelium kannte, sucht diese Einseitigkeit dadurch auszugleichen, daß er in seiner Vorgeschichte vor allem Josef als fürsorglichen »Gerechten« hervorhebt, der nach Gottes Anweisung handelt.56 Vermutlich starb der Vater relativ früh,57 so daß die Mutter längere Zeit das Familienoberhaupt war. Das hieße zugleich, daß Jesus als der älteste Sohn schon früh zum Unterhalt der kinderreichen Familie durch seine Handarbeit beitragen mußte, zumal er unverheiratet geblieben war. Auch die Erregung der Familie über sein »Verrücktwerden«58 wäre dadurch besonders gut verständlich. Die entscheidende, historisch überaus wertvolle Aussage ist Mk 6,3, die erstaunte Frage der Einwohner von Nazareth: »Ist dies nicht der Bauhandwerker, der Sohn der Maria und Bruder des Jakobus, Joses, Judas und Simeon, und wohnen seine Schwestern nicht hier bei uns?« Die vier Brüder Jesu mit ihren – im zeitgenössischen Judentum häufigen – Namen sind an den Erzvätern und den Makkabäerbrüdern orientiert; man darf daher eine relativ gesetzesstrenge, »nationaldenkende«, wahrscheinlich von pharisäischem Geist beeinflußte Familie voraussetzen.59 Auch der Name ûIhsoú“ Ješû a‛, den der älteste Sohn erhielt,60 eine Kurzform von J ehôšû a‛ (JHWH hilft / rettet), weist in diese Richtung. J ehôšû a‛ (in der mit der sozial höheren Herkunft der Maria (nach Lk 1,5.36.39 ff. ist sie suggen‡“ der Priestertochter Elisabeth [vgl. u. S. 302 Anm. 31], und nach der späteren christlichen Tradition, etwa im Protevangelium Jacobi, ist sie ja aaronidischer Herkunft) zusammenhängen könne, s. jetzt mit vermehrten Belegen T. Ilan, Silencing the Queen, TSAJ 115, Tübingen 2006, 250–258. 55 Vgl. Apg 1,14; Joh 2,12; 19,27. 56 Mt 1,18–25; 2,13–23. Unseres Erachtens tut Matthäus dies in bewußtem Gegensatz oder zumindest als Ergänzung zum Bericht des Lukas. 57 Oberlinner, Brüder, 73–78, übersieht bei seiner etwas verworrenen radikalen Skepsis, daß die Evangelisten in jüdischem und antikem Milieu schreiben, wo die Person des Vaters in der Regel von größter Bedeutung ist. Daß Mk 6,3 so ungewöhnlich formuliert, erklärt sich am besten aus historischen Gründen. Vgl. auch 267 ff. und 282: Von einer »Verehrung« Marias als »Herrenmutter« ist im Neuen Testament expressis verbis nirgendwo die Rede. Der einzige Beleg für ™ mflthr toú kur‡ou mou ist die Frage der Elisabeth (Lk 1,43) und hat nicht so sehr mariologische als christologische Bedeutung. Wenn Josef noch gelebt hätte, warum wurde er nicht als »(Nähr‑)Vater des Herrn« erwähnt? Die Alternative einer Scheidung von Josef und Maria erscheint noch weniger plausibel, denn die Söhne und Töchter sind ja alle im Zusammenhang mit der Mutter genannt. 58 Mk 3,21; s. u. S. 289 Anm. 78. 59 Erst die spätere kirchliche Überlieferung mit Hieronymus macht aus den Brüdern »Vettern« Jesu; im 2. Jahrhundert sollen sie nach dem Petrusevangelium (Origenes, Comm. in Matth. 10,17; s. Aland, Synopsis, 196) und dem Protevangelium Jacobi aus einer ersten Ehe Josefs stammen. 60 Nach Lk 2,7 ist Jesus der »erstgeborene Sohn«. Auch Lukas weiß um die Existenz der Brüder Jesu (Lk 8,19–21; Apg 1,14), läßt sie aber bewußt ganz zurücktreten. Bei Jakobus (Apg 12,17; 15,13; 21,18) betont er seine Bedeutung, sagt aber nicht, daß er der Bruder Jesu ist. Nach Lk 1,31 geschieht die Namengebung auf Anweisung des Engels Gabriel gegenüber Maria; nach Mt 1,21 gebietet der »Engel des Herrn« dem Josef und erklärt den Namen soteriologisch:
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Septuaginta ûIhsoú“) wurde »profetischer« Nachfolger Moses und siegreicher Führer Israels bei der Landnahme. Der Name Ješû a‛ war, wie vor allem Josephus, Ossuarinschriften, Ostraka und Papyri zeigen, im palästinischen Judentum aus nationalen Gründen zwischen der Makkabäerzeit und dem Beginn des 2. Jahrhunderts n. Chr. außerordentlich beliebt. Dann bricht die Verwendung des Namens plötzlich ab. Er war zum Unwort geworden. Bei den Rabbinen fehlt er ganz. Hier tritt wieder J ehôšû a‛ an die Stelle der Kurzform.61 Diese Namensgebung der Söhne in der Familie von Josef und Maria in Verbindung mit der selbstverständlichen Geltung der pharisäischen Eschatologie bei Jesus und der Urgemeinde erklären, warum Pharisäer und ihre Schriftgelehrten zu seinen Gesprächspartnern gehörten. Dazu würde auch die später bezeugte Gesetzesstrenge des wichtigsten, erstgenannten Bruders Jakobus passen, der wegen dieser den Beinamen »der Gerechte« erhielt und gegen dessen Hinrichtung durch den Hohenpriester Hannas II. um 62 n. Chr. Pharisäer energisch protestierten.62 Markus setzt voraus, daß die vier Namen der Brüder Jesu in den Gemeinden bekannt sind, und nennt sie wegen ihrer späteren Bedeutung für die judenchristliche Gemeinde; die in Nazareth wohnhaften Schwestern bleiben anonym. Erst die Legende seit Epiphanius legt ihnen Namen bei.63 Daß die Nazarener Mk 6,3 betonen, »daß sie hier bei uns wohnen«, legt nahe, daß Markus davon ausgeht, daß sie in Nazareth verheiratet sind, während bei Maria und den Brüdern unklar bleibt, ob Nazareth noch ihr Wohnort ist. Zumindest Johannes weiß hier mit der Übersiedlung seiner Mutter und seiner Brüder nach Kapernaum mehr,64 während Matthäus nur von einer Übersiedlung Jesu dorthin spricht.65 Dies könnte mit den Schwierigkeiten, die die Familie wegen Jesu Wirken in Nazareth hatte, zusammenhängen. Vielleicht ist sie später, trotz der Spannungen, die es zwischen Jesus und ihr gab, nach Kapernaum nachgefolgt, um ihn wieder in den Familienverband einzubinden. Die Zurückweisung Jesu durch seine Dorfgenossen in Mk 6,1–6 soll demonstrieren, daß die, die ihm am nächsten stehen, ja mit ihm verwandt sind, seine Sendung nicht anerkennen wollen und sich mit ihm auf eine Stufe stellen. Die Fragen: »Woher hat dieser solches? Und was ist das für eine Weisheit, die ihm gegeben ist?«66 sind bewußt ambivalent formuliert. In seiner Antwort, die gerne »denn er wird sein Volk von seinen Sünden retten (s„sei)«. Der Name enthält bereits die
soteriologische Aufgabe Jesu. 61 T. Ilan, Lexicon, 126–133 zählt 103 Nennungen. Wir finden ihn noch in den Bar KochbaDokumenten. Zu den Rabbinen s. Bill. VI, 67–71. 62 Josephus, ant. 20,200 ff. Hengel, KS III, 549–577. 63 S. J. Blinzler, Die Brüder und Schwestern Jesu, SBS 21, 1967, 35 ff. Bauckham, Jude, 37–44. 64 Joh 2,12. 65 Mt 4,13, vgl. Lk 4,16.30 f. 66 Mk 6,2. Die besondere Weisheit des Jesusknaben hat Lukas in der eindrücklichen Sonder-
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auf ein Sprichwort zurückgeführt wird, das sich aber sonst nicht nachweisen läßt, vergleicht Jesus sich selbst – einzigartig in Markus – mit einem Profeten, der, man wird an Jeremia und die Männer von Anatoth67 erinnert, in seinem Heimatort abgelehnt wird. Auffallend ist die harte Aussage, daß er »wegen ihres Unglaubens« keine »Krafttat tun konnte« (Mk 6,5 f.). Das spricht, wie die genauen Angaben über die Familie, für die Authentizität der Erzählung. Lk 4,16–30 berichtet in novellistisch erweiterter, dramatisierter Form, daß Jesus im Synagogengottesdienst die Erfüllung von Jes 61,1 f. proklamiert und das Ansinnen der zweifelnden Zuhörer, wie in Kapernaum, so auch in Nazareth zu heilen, entschieden zurückweist. Die Folge ist eine erste Bedrohung des Lebens Jesu: Die empörten Nazarener wollen ihn einen steilen Abhang hinunterstürzen, »er aber schritt mitten durch sie hindurch«68. Damit wird bereits das Ende und Ziel seines Weges als Gottesknecht und Messias angedeutet. Aber »seine Stunde« war noch nicht gekommen.69 Lukas setzt bei der eigenwilligen Szene den Markus-Bericht und zusätzliche Traditionen voraus, gestaltet aber das Ganze zu einer neuen Erzählung, die für ihn grundsätzliche Bedeutung hat. Es ist eines jener zahlreichen Beispiele, in dem sich »Tradition« und theologische »Redaktion« nicht mehr scheiden lassen.70 Auch Markus selbst scheint seine eigene Formulierung von der Unfähigkeit Jesu (o§k †d‚nato), Wunder zu wirken, zu hart gewesen zu sein, so daß er sie mit dem Nachsatz, Jesus habe doch einige Kranke durch Handauflegung geheilt, wieder abschwächte. Matthäus macht aus diesem »Nichtkönnen« eine Strafe und beseitigt damit das Ärgernis: »Er wirkte nicht viele Wunder wegen ihres Unglaubens«.71 Auch bei der Angabe des Berufs nimmt er gegenüber der Markus-Vorlage eine apologetische Änderung vor: »Ist dieser nicht der Sohn des Bauhandwerkers? Heißt seine Mutter nicht Maria …?« Dadurch führt er den fehlenden Vater ein, auf dessen Person er in der Vorgeschichte größeren erzählung vom zwölfjährigen Jesus im Tempel hervorgehoben: 2,41–51 (46 f.) und dazu die Rahmung 2,40 und 52 mit dem Hinweis auf die wachsende sof‡a des jungen Jesus. Hier könnte es sich um eine Familientradition handeln. Eigenartig ist, daß weder in der Vorgeschichte des Lukas noch der des Matthäus die Geschwister Jesu erscheinen. Die Familie muß gegenüber dem Erstgeborenen ganz zurücktreten. 67 Mk 6,4; Jer 11,21–23; vgl. 1,1 und u. S. 289 Anm. 78. Zum ›Sprichwort‹ vgl. u. S. 468 Anm. 28. 68 Lk 4,30. 69 S. dazu Mittmann-Richert, Sühnetod. Zu dieser typisch johanneischen Formulierung s. am Anfang des Wirkens Jesu Joh 2,4, vgl. 7,30; 8,20; 12,23; 17,1. Auch Lukas stellt den Weg Jesu von Anfang an unter das Leidensgeheimnis; vgl. Lk 2,7b.34 f. 70 Vgl. Lk 22,53; Mk 14,41; Joh 2,4; 13,1; 17,1. 71 Mk 6,5; vgl. Mt 13,58. Dagegen erscheint der Satz der markinischen Fassung in der Evangelienharmonie Tatians (s. Éphrem de Nisibe, Commentaire de l’Évangile concordant ou Diatessaron, ed. L. Leloir, SC 121, 1966, 210) eingebaut in die Lukas-Erzählung; s. dazu Bauer, Leben Jesu, 361 ff.
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Wert legt als Lukas, der die Rolle der Mutter Jesu stärker hervorhebt. Zugleich schreibt er dem Vater den Beruf Jesu zu, der ihm wohl für den Gottessohn als unangemessen erscheint.72 Die Familie Jesu, auf die Mk 6,3 (und davon abhängig Mt 13,55) in einer innerhalb des Neuen Testaments einzigartigen Ausführlichkeit hinweisen, spielte in der späteren palästinisch-judenchristlichen Gemeinde eine beherrschende Rolle.73 Zunächst vor allem Jakobus, der nach der Verfolgung unter Agrippa I. ca. 42/43 n. Chr. bis zu seiner Steinigung um 62 n. Chr. das Haupt der Jerusalemer Gemeinde wird – sein Nachfolger soll nach der Zerstörung der Stadt ein Vetter Jesu, Symeon, Sohn des Klopas, geworden sein, der um 107 n. Chr. das Martyrium erlitten habe.74 Die spätere kirchliche Überlieferung macht Jakobus zum ersten Bischof in Jerusalem,75 und auch später scheinen die Herrenverwandten, die sogenannten desp·sunoi,76 in judenchristlichen Gemeinden eine besondere Ehrenstellung erhalten zu haben, die bis weit ins 2. Jahrhundert fortwirkte. Gregorius Barhebraeus berichtet in seiner Kirchengeschichte, daß in Seleukia am Tigris noch im 3. Jahrhundert drei Bischöfe aufeinanderfolgten, die sich rühmten, von Josef dem Zimmermann abzustammen: Abrisios, Abraham und Jakob.77 Diese spätere Bedeutung der Brüder und Verwandten Jesu steht in einem eigenartigen Gegensatz zu dem in allen vier Evangelien bereits angedeuteten Konflikt Jesu mit seinen Angehörigen. Markus bringt nicht nur die präzisesten Angaben über Jesu Herkunft, Beruf und Geschwister, sondern berichtet auch in knapper Form über diese Störung, wieder ein Zeichen für seine – relative – Zuverlässigkeit. Die Ablehnung Jesu durch die Verwandten und Bekannten in Nazareth ist so nur ein Pendant zu der von ihm zuvor geschilderten dramatischen 72 Mt 13,55; Zum textkritischen Problem s. Oberlinner, Brüder, 268 ff. Der MatthäusText hat, wie so oft, die spätere Überlieferung des Markus-Textes beeinflußt. Zur Bedeutung des Josef bei Matthäus im Gegensatz zu den anderen Evangelien und besonders zu Lukas s. Hengel, Gospels, 199 ff. Matthäus nennt ihn siebenmal, Lukas fünfmal, Johannes zweimal, Markus gar nicht. Vermutlich weiß schon Matthäus von den Verleumdungen über die Herkunft Jesu, die uns dann bei dem Juden des Celsus begegnen; darum hebt er die Rolle des »gerechten« Josef besonders hervor (1,18 ff.); s. o. S. 284 Anm. 53. 73 Nach 1 Kor 9,5 waren die Brüder Jesu verheiratet. Zu ihrer führenden Rolle s. Hegesipp bei Euseb, h.e. 3,32,6. 74 Euseb, h.e. 3,11 nach Hegesipp, verweist auf Lk 24,18; Joh 19,25; vgl. h.e. 3,32. In dem legendären Märtyrerbericht erreicht er das sagenhafte Alter Moses von 120 Jahren. Euseb datiert ins Jahr 107 n. Chr.; der Prokonsul Attikus, unter dem Symeon starb, wird jedoch etwas früher angesetzt, s. o. S. 206 Anm. 59. Zur Agrippaverfolgung s. Bd. II. 75 Hengel, KS III, 549–582. Die kirchliche Überlieferung seit Clemens Alexandrinus macht ihn zum ersten Bischof der Kirche überhaupt, der von allen zwölf Aposteln eingesetzt wurde. S. auch ders., Petrus, 13 f. 76 Julius Africanus, ep. ad Aristid. 5 = Euseb, h.e. 1,7,14. 77 Zahn, Brüder, 295 f.
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Auseinandersetzung mit seiner Familie: Hier stoßen wir zunächst auf die kurze Notiz Mk 3,21, die zeigt, daß Markus mehr weiß, als er sagt, und die – wegen ihrer Anstößigkeit – von Lukas und Matthäus gestrichen wird: »Und als es seine Angehörigen hörten, zogen sie aus, um sich seiner zu bemächtigen. Denn sie sagten: Er hat den Verstand verloren.«78
Man könnte sich vorstellen, daß sie ihn von Nazareth aus in Kapernaum aufgesucht haben. Nach seiner Rückkehr von Johannes dem Täufer war er ein anderer geworden. Offenbar wollte die Familie Jesus wieder »in ihre Obhut zurückbringen« und durch ihn »nicht weiter in Schande gebracht werden«. Die schroffe Ablehnung in Nazareth mußte ja die ganze Familie belasten.79 3,21 ist der Ausgangspunkt zu der Szene 3,31–35, in der sich Jesus seinen nächsten Angehörigen, Mutter und Brüdern, die ihn sprechen wollen, verweigert und seine Zuhörer, die im Hause rund um ihn sitzen, als wahre »Mutter und Brüder«80 bezeichnet. Man kann dies – wie viele der Erzählungen bei Markus – eine »ideale Szene« nennen, die dramatisch und kerygmatisch gestaltet ist; dennoch ist sie wegen ihres für einen palästinischen Juden, der das vierte Gebot nach dem ersten für das wichtigste hielt, überaus anstößigen Charakters und wegen der führenden Rolle der Brüder Jesu in der späteren Gemeinde sicher keine Erfindung, sondern geht ebenso wie die Nazarethszene auf wirkliche Ereignisse zurück. Dies wird bestätigt durch einen Wortwechsel aus dem Lukas-Sondergut.81 Auf eine Seligpreisung der Mutter Jesu durch eine Frau aus der Menge 78 KaÑ üko‚sante“ o´ par’ a§toú †xölqon kratösai a§t·n: ≤legon gÅr Ωti †xfisth. Auch der Profet Jeremia (12,6, vgl. 9,3) beklagt sich bitter über seine »Brüder und Angehörigen«. 79 Pesch, Mk I, 212; J. Gnilka, Evangelium nach Markus, EKK II, 148 betont einerseits zu Recht, daß »das Urteil ›Er ist von Sinnen‹ … nicht abgeschwächt werden« darf, behauptet dann aber, es habe keine historische Erinnerung eingefangen, sondern sei theologisch zu bewerten. »Die Tätigkeit des Offenbarers stößt auf Unverständnis, das selbst seine Familie miteinschließt.« Hier ist einerseits der Gegensatz »historische Erinnerung« und »theologische Bewertung« unsinnig, denn bei Markus wird natürlich durch die Auswahl und Anordnung des Stoffes alles »theologisch bewertet«, andererseits ist die Erklärung, daß »die Tätigkeit des Offenbarers auf Mißverständnis stößt«, ein Gemeinplatz, der diese äußerste Anstößigkeit der Stelle abschwächt. Sie paßt nicht in die spätere Gemeindesituation, in der die Mutter Jesu geachtet wurde und die Brüder Jesu in hohem Ansehen standen. Vgl. Apg 1,14; 1 Kor 9,5. Man sollte den markinischen Jesus auch nicht als »Offenbarer« bezeichnen. Das klingt nach interpretatio gnostica. 80 Parallelen: Lk 8,19–21; Mt 12,46–50. Nach dem Hebräerevangelium fordern die mater Domini et fratres eius Jesus auf, sich mit ihnen taufen zu lassen. Jesus weist dies wegen seiner Sündlosigkeit zunächst zurück. Zitiert von Hieronymus, c. Pelag. 3,2, s. Aland, Synopsis, 27. 81 Lk 11,27 f.; s. auch u. S. 362. Für die frühen Väter Irenäus, Tertullian und Origenes war Maria noch nicht »fehlerfrei«; s. dazu Bauer, Leben Jesu, 19 f. Nach Origenes, hom. XVII in Luc. (GCS 49 [35], ed. M. Rauer, 105 ff.) zu Lk 2,35 wird Maria wie die Jünger Jesu irre an ihrem Sohn. Er ist daher auch für ihre Sünden gestorben. Tertullian, de carne Christi 7 und adv. Marc. 4,19,6–13, argumentiert gegen Apelles und Marcion, die gegen die Realität der Menschlichkeit Jesu dessen Frage Mt 12,48 ins Feld führen, daß damals die Brüder und die Mutter Jesu
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antwortet Jesus: »Vielmehr selig sind, die Gottes Wort hören und bewahren.« Zwischen die beiden Episoden mit der Familie Jesu in 3,21 und 31 ff. hat Markus, erzählerisch geschickt, das noch schärfere Urteil der aus Jerusalem nach Galiläa herabgekommenen Schriftgelehrten eingefügt, die Jesus anklagen, er sei mit dem Dämonenfürsten Beelzebul, das heißt mit Satan selbst, im Bunde (3,22–30). Beide Anklagen, die der Familie und die der Schriftgelehrten, ergänzen sich. Die Ablehnung Jesu geht von den für die Juden wichtigsten »Autoritäten« aus: der eigenen Familie und den religiösen Führern des Volkes. Jerusalem war vor 70 das Zentrum der Schriftgelehrsamkeit und damit der religiösen Autoritäten im palästinischen Judentum.82 Daß Jesu Wirksamkeit als Lehrer und Wundertäter von seinen Brüdern – zunächst – abgelehnt wurde, wird unabhängig von der synoptischen Tradition durch Joh 7,5 bezeugt.83 Auch Äußerungen Jesu aus der Logientradition bestätigen sein kritisches Verhalten zu familiären Bindungen: so das jüdischen Frömmigkeitsvorstellungen widersprechende Verbot Jesu gegenüber einem potentiellen Nachfolger, zuerst den eigenen Vater zu begraben,84 weiter das radikale Nachfolgewort Lk 14,2685 und das Logion mit dem Zitat aus Micha 7,6 über den Streit in der eigenen Familie im Anschluß an das Bekenntnis Jesu, er sei gekommen, Spaltung zu bringen, das Matthäus mit einem wohl am hebräischen Text orientierten Satz schließt: »Die Feinde eines Menschen werden seine Hausgenossen sein.« Was Jesus hier von seinen Nachfolgern fordert, den Bruch mit den Angehörigen, hat er selbst vollzogen.86 Auf der anderen Seite ist es bezeichnend, daß nach dem Tode Jesu und den Auferstehungserscheinungen – eine wurde ja auch seinem Bruder Jakobus zuteil – die Familie Jesu sich ganz der neuen messianischen Bewegung anschloß, ja bald eine wesentliche Rolle darin spielte.87 Auch blieben bei den Jüngern, trotz der vorübergehenden Trennung – wie das Beispiel des Petrus zeigt –, auf die Dauer die Familienbande dennoch stabil. Nach Paulus waren »die übrigen noch nicht wirklich an ihn glaubten, »sondern ihn von seinem Werk abzuhalten versuchten«, so daß er sie zurückweisen mußte. 82 Vgl. Mk 7,1. S. auch o. S. 155. 83 Vgl. auch Joh 2,4 die schroffe Zurückweisung der Mitteilung seiner Mutter: »Laß mich in Ruhe, Frau!«; s. dazu W. Bauer, Das Johannesevangelium, HNT, 31933, 44 f. 84 Mt 8,21 f. = Lk 9,59 f., vgl. 61 f. Dieses Verbot geht weit über das Verbot JHWHs gegenüber Hesekiel, seine Frau zu beklagen, hinaus (Ez 24,15–27), eine Zeichenhandlung, die auf den Untergang Jerusalems hinweisen soll. Bei Jesus geht es um die radikale Freiheit für die Gottesherrschaft, s. u. S. 335 f. 85 Vgl. Mt 10,37 und Mk 10,29 = Mt 19,29 = Lk 18,29. 86 Lk 12,51–53 = Mt 10,34–36; Matthäus bringt das Zitat in deutlicherer Form, Lukas scheint mit seiner ausführlicheren Version ursprünglicher zu sein; vgl. Mk 13,12 = Mt 10,21. Zu Nachfolge und Familie s. Hengel, Nachfolge, und u. S. 359. 87 Vgl. Apg 1,14; 1 Kor 15,7; Gal 1,19; 2,9.12.
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Apostel, die Brüder des Herrn und Kephas« (das heißt Simon Petrus), alle verheiratet.88 Daß in allen vier Evangelien, im Gegensatz zur Hervorhebung des Petrus und in geringerem Maße der Zebedaiden bei den Synoptikern bzw. des Philippus und Thomas bei Johannes,89 die Brüder Jesu in der Zeit seines öffentlichen Wirkens keinerlei positive Rolle spielen, weist auf alte Überlieferung hin. Ihr Bild wird trotz ihrer zukünftigen Führungsrolle in der Jerusalemer Gemeinde nicht geschönt. Erst im späteren apokryphen Hebräer‑ und Thomasevangelium aus dem 2. Jahrhundert tritt der Herrenbruder Jakobus in auffallender Weise hervor.90 Diese offensichtliche Zurückhaltung der aus dem jüdischen Palästina kommenden älteren Evangelientradition gegenüber der Familie Jesu und besonders seinen Brüdern beruht auf der historischen Erinnerung, daß Jesus selbst, doch wohl aufgrund seiner messianischen Sendung, mit seiner Familie gebrochen hatte und seine Brüder diese Sendung zunächst ablehnten bzw. in anderem Sinne verstanden als Jesus. Was er aber selbst vollzogen hatte, forderte er auch von anderen. Daß Markus, der erste »Biograph« Jesu, in seinem Werk eine ganze Reihe zuverlässiger Grunddaten über Jesu geographische Herkunft, Familie, Beruf und Familienkonflikte bringt, schließt unseres Erachtens von vornherein aus, daß er darin überwiegend »theologische Fiktion« berichtet. Er konnte sich hier auf Petrustradition gründen.
8.4 Der Davidssohn Hegesipp bezeugt unter anderem auch, daß der Familie Jesu im jüdischen Palä stina davidische Abstammung zugeschrieben wurde.91 Dies entspricht einer breiten neutestamentlichen Überlieferung. Schon Paulus zitiert entsprechende Bekenntnisaussagen im Römerbrief, die auf die Anfänge der Christologie in der Urgemeinde zurückgehen,92 Markus hat die Bezeichnung u´Ö“ Dau‡d als Vgl. Mk 1,29 ff.; 1 Kor 9,5; s. Hengel, Petrus, 166–189. Markus und Johannes könnte man noch Andreas, den Bruder des Simon Petrus, nennen: Mk 1,16.29; 3,18; 13,3; Joh 1,40.44; 6,8; 12,22. 90 EvThom 12: Um Jakobus willen ist Himmel und Erde geschaffen; Hebräerevangelium nach Hieronymus, de vir. inl. 2 (Aland, Synopsis, 507): Jakobus ist erster Zeuge der Auferstehung; s. dazu Hengel, KS III, 549–582. Zahn, Brüder, 277 Anm. 1 glaubt, daß eine Severian von Gabbala zugeschriebene Nachricht, die als dritten Zeugen für das leere Grab neben den zwei Jüngern von Joh 20,2–10 Jakobus nennt, ebenfalls auf das Hebräerevangelium zurückgehe. 91 Bei Euseb, h. e. 3,19 f. (vgl. § 12). Danach sollen in Palästina »Häretiker« Nachkommen des Herrenbruders Judas als Abkömmlinge Davids bei den römischen Behörden denunziert haben. S. u. S. 294. 92 Röm 1,3: gen·meno“ †k spfirmato“ DauÑd katÅ s›rka, vgl. 15,12 das Jesajazitat 11,10 LXX und Röm 9,5. 88
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Anrede Jesu zweimal dem blinden Bartimaios in den Mund gelegt.93 Erst recht spielt sie bei Matthäus eine hervorragende Rolle; sie erscheint dort achtmal, bei Lukas dreimal.94 In beiden Evangelien beherrscht die Abstammung von David die Vorgeschichte. Vor allem aber bringen Lk 3 und Mt 1 zwei kunstvolle,95 bereits mit dem Vater des Josef auseinandergehende, gegenläufige und sich widersprechende Stammbäume, die die Familie Jesu auf David zurückführen. Matthäus hat die offizielle Königslinie von David bis Jechonja, die wohl gegenüber dem ungewöhnlichen Stammbaum bei Lukas eine Korrektur darstellt,96 Lukas eine sonderbare, im Grunde unerklärliche Nebenlinie.97 In dem schon erwähnten Zeugnis Hegesipps um 170 berichtet dieser von zwei Großneffen Jesu, Jakobus und Zoker, Enkel seines Bruders Judas, die als Davididen vor den Kaiser Domitian nach Rom gebracht wurden, eine Nachricht, die sicher einen historischen Hintergrund hat.98 Wir besitzen eine ganze Reihe von rabbinischen Hinweisen, daß auch zeitgenössische jüdische Familien ihren Stammbaum von David und anderen großen Gestalten des Alten Testaments ableiteten.99 Ein Ossuar aus Jerusalem um 70 hat die Inschrift: ‛l by(t) dwd »gehörend dem Haus (= Familie) Davids«100. Paulus beruft sich zum Beispiel nach Phil 3,5 ganz selbstverständlich auf seine Abstammung aus dem Stamm Benjamin. Diese verschiedenen Indizien machen es wahrscheinlich, daß sich schon die Familie Jesu mit ihrem Stammbaum auf David zurückführte. Die eigenartige Fassung 93 Mk 10,47 f. (vgl. Lk 18,38 f.): u´Ç DauÑd ûIhsoú, †lfihs·n me und u´Ç DauÑd †lfihs·n me; vgl. Mt 20,30 f.: Zwei Blinde rufen zweimal mit dem Zusatz k‚rie. Mk 10,51 hat dafür noch das betonte aramäische Øabboun‡. 94 S. dazu jetzt Deines, Gerechtigkeit, 469–500. 95 Matthäus 4x14, Lukas 7x11 Namen. 96 Mt 1,1–16 ausgehend von Abraham. Er endet mit Josef, dem Sohn des Jakob (bei Lk 3,23 des Eli). Josef wird Mt 1,20 »Sohn Davids« genannt. Das »Königtum« Jesu wird bei Matthäus gegenüber der Markusvorlage und Lukas hervorgehoben: Mt 1,1–16 (6–13); 2,2 ff.; 21,5; 22,7; 25,34.40 etc. Ähnliches gilt von Joh 1,49; 12,13.15; 18,33 ff.; 19,14 ff. u. ö., wobei freilich die Davidssohnschaft 7,42 nur angedeutet wird. 97 Lk 3,23–38: In umgekehrter Reihenfolge von Jesus und seinem (scheinbaren) Vater Josef ausgehend und bei Adam bzw. bei Gott selbst als dessen Schöpfer endend. Zwischen Jesus und Nathan, dem Sohn Davids (2 Sam 5,14; 1 Chr 3,5), hat Lukas 6x7 Namen, Matthäus mit der Königslinie 3x14, wobei drei Könige zwischen Joram und Usia ausgelassen sind, während Jechonja doppelt gezählt wird. Zu weiteren Unstimmigkeiten s. Luz, Mt I, 128–131; W. Bauer, Leben Jesu, 21–29: Sie haben die Textüberlieferung erheblich beeinflußt, Tatian löst die Schwierigkeit dadurch, daß er im Diatessaron die Genealogie wegläßt, ähnlich das Evangelium der Ebioniten nach Epiphanius, haer. 30,14. 98 Euseb, h.e. 3,20. Die Namen werden von Euseb ausgelassen, finden sich aber in Fragmenten der Kirchengeschichte des Philippus von Side; s. Zahn, Brüder, 239 ff.; E. Preuschen, Antilegomena (S. 213 Anm. 102), 111; Bauckham, Jude, 97–106. 99 Vgl. Jeremias, Jerusalem, 318 ff. 100 D. Flusser, in: The Israel Museum Journal 5 (1986), 37 ff.; Rahmani, Catalogue, Nr. 430 p. 173 f.
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desselben bei Lukas mag die ältere sein.101 Der Stammbaum des Matthäus, der der Königslinie folgt, erweist sich als schriftgelehrte, um der Stimmigkeit des 3x14er-Schemas102 willen fehlerhafte Konstruktion aus der Septuaginta. Die Harmonisierung beider Stammbäume bereitete schon der Alten Kirche unlösbare Schwierigkeiten. Der gelehrte Julius Africanus, Bibliothekar des Kaisers Alexander Severus (222–235) und Freund des Origenes,103 wollte den Widerspruch durch die Hypothese einer Leviratsehe beseitigen.104 Die Herkunft der Maria wurde zum Teil bis in die neuere Zeit hinein sowohl von David wie von Aaron abgeleitet.105 Durchgesetzt hat sich auch bei ihr in der Kirche die davidische Herkunft, obwohl Lukas diese Frage unbeantwortet läßt. Die frühkirchliche Spekulation erhielt hier ein weites Feld, in dem sie sich entfalten konnte. Ganz vereinzelt finden wir auch eine Ablehnung der Davidssohnschaft Jesu, so unter Berufung auf Ps 110,1 in dem antijüdischen Barnabasbrief.106 Doch dies ist die seltene Ausnahme, die die Regel bestätigt. Dagegen sollten weder die Frage Jesu an die Schriftgelehrten Mk 12,35–37 parr. noch Joh 7,40–43 in diesem antidavidischen Sinne gedeutet werden. Jesus weist bei Markus auf ein Paradox hin, das die Schriftgelehrten nicht verstehen, und auch Johannes demonstriert nur die Unwissenheit des Volkes107 im Blick auf die wahre Würde und göttliche Herkunft Jesu. Es besteht so kein wirklicher Grund, daran zu zweifeln, daß in der Familie Jesu die Tradition lebendig war, von David abzustammen. Die Genealogie bei Lukas könnte von dort stammen, aber auch sie macht den Eindruck einer Konstruktion. Das zeigt die Einfügung der unpassenden Namen ›Zorobabel‹ und ›Salathiel‹.108 Trotz aller offenen, ja unlösbaren Fragen mag der Satz A. Schweitzers eine particula veri enthalten: »Nach der bisherigen Anschauung machte die urchristliche Gemeinde den Herrn zum Davidssohn, weil sie ihn für den Messias hielt. Es wäre an der Zeit, daß man ernsthaft erwöge, ob nicht umgekehrt Jesus sich für den Messias hielt, weil er ein Davidssohn war.«109 Auf
101 S.
dazu die ausführliche Untersuchung bei Bauckham, Jude, 315–373. S. 292 Anm. 96 f. 103 Ca. 160–240 n. Chr. Zu seiner Person s. G. Broscio, LACL, 408 f.; F. Winkelmann, Art. Iulius Africanus, RAC 19, 508–518. Er wurde wohl in Aelia Capitolina, dem einstigen Jerusalem, geboren. 104 Euseb, h.e. 1,7,2–10; dazu Merkel, Widersprüche, 125 ff.132 ff. 105 Vgl. Lk 1,36 ihre Verwandtschaft mit der Priestertochter Elisabeth, der Mutter des Täufers (1,5). Origenes und Ephrem haben diese Ansicht bekämpft; s. Bauer, Leben Jesu, 8–17. 106 12,10 f. S. dazu F.-R. Prostmeier, Der Barnabasbrief, KAV 8, Göttingen 1999, 445 ff. Unseres Erachtens richtet sich die Polemik gegen Judenchristen, die sich entgegen der Vorstellung von Präexistenz und Menschwerdung auf die bloße Davidssohnschaft Jesu berufen. S. auch Irenäus, adv. haer. 4,33,4; 5,1,3. 107 Joh 7,40: Die Frage kommt von Hörern Jesu †k toú µclou. 108 Lk 3,27; vgl. 1 Chr 3,18 f. LXX; Esra 3,2; 5,2 und 1 Esra 4,13; 5,5.47 LXX. 109 GLJF, 395. 102 S. o.
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III. Jesus der Galiläer und Johannes der Täufer
jeden Fall handelt es sich bei der Tradition von der Davidssohnschaft Jesu um eine urchristliche Grundüberzeugung.110
8.5 Der Beruf und die soziale Herkunft Jesu Im Zusammenhang mit der für Jesu biographische Daten bedeutsamen Szene in Mk 6,1–6 erfahren wir auch seinen Beruf: Er ist »Bauhandwerker« im umfassenden Sinne,111 der mit Holz, Lehm, Stein, ja unter Umständen selbst mit Metall arbeiten kann, das heißt Zimmermann, Maurer, Tischler und Schlosser in einem. Er besaß damit einen Beruf, der großes handwerkliches Geschick erfordert. Dennoch stand der Handwerker in der sozialen Hierarchie der Antike nicht in hohem Ansehen. Justin berichtet aus einer apokryphen Quelle, als Jesus zur Taufe an den Jordan kam, sei er, »wie die Schriften verkündigen, unansehnlich (üeidfl“)112 erschienen und für einen Zimmermann gehalten worden, er stellte nämlich Zimmermannarbeiten her …, Pflüge und Joche«113. Celsus verbindet spottend den Zimmermannsberuf Jesu mit seiner Kreuzigung.114 Der athenische Rhetor Secundus (1. Jahrhundert n. Chr.) wurde von Zeitgenossen als »Holznagel« verhöhnt, weil er der Sohn eines Zimmermanns (tfiktono“ paõ“) war, und sein Schüler Herodes Atticus machte ihn durch einen Spottvers lächerlich.115 Jesus stammte nicht aus der untersten Schicht der landlosen Tagelöhner und Landpächter, sondern aus dem Handwerkerstand, das heißt aus der einfachen Mittelschicht, die das soziale Gefüge des frühen Christentums in den nächsten zwei Jahrhunderten überwiegend bestimmte. Demselben sozialen Milieu gehören nach der Nachricht Hegesipps aus dem 2. Jahrhundert die schon mehrfach erwähnten zwei Großneffen Jesu an, die Domitian nach Rom bringen ließ, da sie als Davididen politisch verdächtig waren. Sie wurden vom Kaiser ausgefragt und gaben an, eine Landwirtschaft von 39 Plethren (= ca. 10 Hektar) im Steuerwert von 9000 Denaren zu besitzen, die sie gemeinsam bearbeiteten und für die sie ihre Steuern entrichteten. Zum Beweis zeigten sie ihm die Schwielen an den Händen, und der Kaiser habe sie darauf voller Verachtung als ärmliche Leute116 nach Hause geschickt. Dementsprechend 110 Vgl.
noch Apg 2,30; 13,23; 2 Tim 2,8; Apk 5,5; 22,16; IgnEph 18,2; 20,2 u. ö. 6,3: tfiktwn. Das hebräische Äquivalent ist horeš / hārāš; aramäisch: naggār. Vgl. 2 Sam 5,11 und 1 Kön 7,14: Handwerker, die mit Holz, Stein und Erz arbeiten. 112 Vgl. Jes 53,3 LXX. 113 Dial. 88,8. 114 Zu Celsus s. Origenes, c. Celsum 6,36. 115 Philostrat, vit. Soph., p. 544 (LCL 134, ed. W. C. Wright). 116 Der Zorn des Kaisers richtete sich nicht gegen die Christen an sich, sondern vor allem gegen die senatorische Nobilität. Zu Hegesipp s. Euseb, h. e. 3,20,1–6; 3,32,5; vgl. o. S. 291 f. 111 Mk
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spottet der Christengegner Celsus über die primitive Herkunft Jesu und seiner Jünger; er redet darüber hinaus verächtlich von »Wollarbeitern, Schustern und Tuchwalkern«117, die als Lehrer auftraten und das soziale Bild der christlichen Gemeinden beherrschten. Andererseits fällt auf, daß Lukas und Johannes den Handwerkerberuf Jesu verschweigen und Matthäus nur noch vom Vater als »Bauhandwerker« spricht.118 Auch wenn ein geschickter Bauhandwerker in einem galiläischen Dorf sein geordnetes, relativ gesichertes Auskommen hatte, so mußte er doch in den Augen der antiken Welt als ungebildet und ungesittet gelten. Markus hat in diesem Punkt das Bild Jesu nicht geschönt, obwohl es nicht den »missionarischen Bedürfnissen« der späteren Gemeinden entsprach. Die generelle Skepsis, mit der Mk 6,1–6 bei maßgeblichen Forschern betrachtet wurde, ist ein Zeichen dafür, wie sehr hier der Sinn für die geschichtliche Lebenswirklichkeit verlorengegangen ist.119 Man könnte sich fragen, ob Jesus (und sein Bruder Jakobus) in der nahen Polis Sepphoris einen leichten Anhauch »griechischer Bildung« mitbekommen haben. Die jüdischen Bewohner dieser von Antipas nach der Zerstörung durch Varus 4 v. Chr. neu begründeten Polis schlossen sich dem Aufstand 66 n. Chr. bezeichnenderweise nicht an, sondern blieben Rom treu und erbaten römischen Schutz gegen ihre eigenen Volksgenossen.120 Dies weist auf einen gewissen »hellenistischen« Einfluß hin. Vermutlich sprach Jesus auch etwas Griechisch, wobei dies in den Evangelien etwa im Gespräch mit Pilatus, dem Centurio in Kapernaum, der Syrophönizierin121 oder bei den »Griechen«122 vorausgesetzt wird. Bei Markus ist Jesu Muttersprache eindeutig Aramäisch: Auch dies geht auf älteste Überlieferung zurück.123 Erst recht wird man Griechischkenntnisse bei seinem Bruder Jakobus annehmen dürfen.124 Für den langjährigen Leiter der Jerusalemer Urgemeinde war dies unabdingbar. Vielleicht hat Jesus auch mit 117 Origenes, c. Celsum 3,55; vgl. 1,28: Die Mutter Jesu habe sich ihren Lebensunterhalt mühselig als »Spinnerin« verdient. Jesus selbst sei wegen seiner Armut nach Ägypten ausgewandert und habe zunächst als Tagelöhner (misqarnflsa“) gearbeitet. 118 Mt 13,55: toú tfiktono“ u´·“. S. o. S. 288 Anm. 72. 119 S. dazu R. Bultmann, GST, 30 f. und dazu das Ergänzungsheft 41971, bearbeitet von G. Theissen / Ph. Vielhauer, 25 f. Der Doppelvers P. Oxy 1,30–35 (1,9–14) = EvThom Log. 31 (Aland, Synopsis, 50) ist unter Einfluß von Lk 4,23 aus Mk 6,4 f. gebildet, eindeutig sekundär und sicher nicht die Grundlage der Markuserzählung. S. o. S. 242 Anm. 229. Vgl. H.-J. Klauck, Apokryphe Evangelien, 156 f. 120 Josephus, bell. 3,30 ff., vita 30 ff. u. ö. Zur Geschichte der Stadt s. Schürer II, 172–176. S. o. S. 73. 121 ßEllhn‡“: Mk 7,26. 122 Joh 7,35; 12,20. 123 Dies zeigen schon die auffallend zahlreichen und korrekten lexikalischen Aramaismen. Den heidenchristlichen Missionsgemeinden hätte ein griechisch sprechender Jesus eher imponiert. Zu den aramäischen verba ipsissima Jesu s. o. S. 265 und u. S. 382.478. 124 Hengel, KS III, 511–548.
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III. Jesus der Galiläer und Johannes der Täufer
seinem Vater beim Wiederaufbau des nahen Sepphoris durch Antipas mitgearbeitet, der sich bis ins 2. Jahrzehnt der Zeitenwende hingezogen haben kann. Daß Jesus sich dort freilich von kynischen Wanderphilosophen belehren und »aufklären« ließ, ist zu weit hergeholt.125 In einer ganz überwiegend jüdischen Stadt werden kynische Lehrer kaum ein fruchtbares Wirkungsfeld gefunden haben, und in galiläischen Dörfern wären sie nur auf Unverständnis, ja Feindschaft, gestoßen.
125 Diese These wird vor allem durch F. G. Downing, Cynics and Christian Origins, Edinburgh 1992, 115–168 vertreten; s. besonders 143 ff.: Jesus and Cynics in Galilee in the Twenties CE. Gewisse Sachparallelen in der Logientradition begründen noch keine historische Abhängigkeit.
§ 9 Johannes der Täufer Der eigenartige Sachverhalt, daß drei Evangelien ihre Darstellung nicht mit Jesus, sondern mit dem Täufer Johannes beginnen, ist in der neueren Forschung zuwenig gewürdigt worden. Lukas verstärkt vielmehr diese Tendenz noch, indem er sein Werk mit der Verheißung der Geburt des Täufers einleitet und dessen Geburtsgeschichte kunstvoll mit der Jesu verflicht. Nur Matthäus beginnt mit dem Stammbaum und einer kürzeren Kindheitsgeschichte (c. 1 und 2), läßt dann aber einen relativ ausführlichen Täuferbericht folgen (c. 3). Offenbar hatten schon die frühesten Christen den Eindruck, daß der Täufer und Jesus bei allen großen, ja größer werdenden Unterschieden, bei allen Spannungen zwischen Täufergruppen und Jesus-Gemeinde untrennbar zusammengehören. Johannes war für sie wirklich der »Vorläufer« Jesu. Er ist die eigentliche »Voraussetzung« (s. dazu o. S. 172) der von Jesus ausgehenden messianischen Bewegung. Darum haben wir bei ihm einzusetzen.
9.1 Die Quellen zu Johannes dem Täufer und der Vergleich ihrer Inhalte 9.1.1 Josephus Unsere einzigen historisch ernst zu nehmenden Nachrichten über den Täufer (und seine Jünger) finden sich in den Evangelien, in der Apostelgeschichte und bei Josephus. Die späteren Berichte aus den Apokryphen, etwa dem Hebräer-
Bauer,
Leben Jesu, 101–109; W. Wink, John the Baptist in the Gospel Tradition, MSSNTS 7, Cambridge 1968; O. Böcher, Art. Johannes der Täufer, TRE 17, 1988, 172–181; J. Ernst, Johannes der Täufer, BZNW 53, Berlin 1989; Backhaus, Jüngerkreise; R. H. Webb, John the Baptizer and Prophet: A Socio-Historical Study, JSNT.S 62, Sheffield 1991; K. H. Rengstorf, ûIord›nh“, ThWNT VI, 1989, 608–623; H. Windisch, b›ptw ktl., ThWNT I, 1933, 527–538.544; J. P. Meier, Marginal Jew II, 19–233; M. Tilly, Johannes der Täufer und die Biographie der Propheten. Die synoptische Täuferüberlieferung und das jüdische Prophetenbild zur Zeit des Täufers, BWANT 137, Stuttgart 1994; Theissen / Merz, Jesus, 184–198; J. E. Taylor, The Immerser: John the Baptist Within Second Temple Judaism, Grand Rapids (Mich.) 1997; Dunn, Jesus, 348–371.
298
III. Jesus der Galiläer und Johannes der Täufer
evangelium oder den Pseudoclementinen, setzen diese voraus. Das heißt, wir haben keinen direkten Zugang zur Täufertradition mehr, sondern nur Texte, die ihn aus frühchristlicher Sicht oder aus der eines jüdisch-hellenistischen Historikers interpretieren. Trotz dieser fragmentarischen und »tendenziösen« Nachrichten ist es eigenartig, daß die Historizität des Täufers weniger bezweifelt wurde als die Jesu. Josephus berichtet über ihn im Zusammenhang mit der Niederlage des Herodes Antipas gegen den Nabatäerkönig Aretas IV. 36 n. Chr. Diesen Mißerfolg habe das Volk als Strafe Gottes für die Hinrichtung Johannes des Täufers betrachtet. Er sei ein »guter Mensch« (ügaqÖ“ ünflr) gewesen, der von seinen Volksgenossen »gerechtes Verhalten untereinander und Frömmigkeit gegenüber Gott« als Voraussetzung für die von ihm geübte Taufe gefordert habe. Diese bringe nicht »Sündenvergebung«, sondern diene nur der »Reinheit des Leibes«, nachdem »die Seele zuvor gereinigt worden sei«. Weil ihm die Volksmassen zuströmten und sich von seinen Predigten begeistern ließen, fürchtete Herodes, sein Einfluß auf die Menge könne zu einem Aufstand (st›si“) führen. Um dem zuvorzukommen, ließ er ihn gefangennehmen, in die Festung Machärus in Peräa an der Grenze zum Nabatäerreich bringen und dort hinrichten. Dadurch, daß Josephus den profetisch-apokalyptischen Charakter der Predigt des Täufers zugunsten ihres ethischen Gehalts unterschlägt, um so mehr aber die Furcht des Tetrarchen vor seiner politischen Wirkung auf das Volk, ja vor einem Aufstand hervorhebt, unterscheidet er sich von den neutestamentlichen Berichten. Aber die Leugnung der im damaligen jüdischen Palästina so lebendigen eschatologischen Erwartung wie auch die Betonung der Gefahr politischer Unruhen ist eine ständige Tendenz in seinem Geschichtswerk. Er sieht Johannes unter einer Perspektive, die die neutestamentlichen Darstellungen ergänzt. Auffallend ist seine entschiedene Zurückweisung des Motivs der Sündenvergebung durch die Taufe. Hier scheint er Meinungen zu widersprechen, die er in Rom, S. dazu Bauer, Leben Jesu, 101–115. 18,116–119. Josephus, ant. 18,116: ûIw›nnou toú †pikaloumfinou baptistoú. Der auffallende Beiname erscheint nur bei Josephus, Markus, Lukas und Matthäus; s. u. S. 300 Anm. 15. Zu Antipas s. o. S. 73–76. Josephus, ant. 18,117: baptism·“. Im Neuen Testament im Plural für rituelle Reinigung Mk 7,4; Hebr 9,10; nur Hebr 6,2 könnte der untypische Plural auf die Taufe hinweisen; sonst im frühchristlichen Sprachgebrauch einheitlich b›ptisma; s. u. S. 334 Anm. 88. Josephus kennt natürlich die eschatologische Erwartung, ja, er wird sie auf moderate Weise geteilt haben; s. ant. 4,114–117: das Bileamorakel; 10,276 f.280: die Weissagung Daniels und überhaupt die Hochschätzung des Danielbuches; bell. 6,312 f.: messianische Weissagungen, und dazu Hengel, Zeloten, 243 ff. Er konnte nur in Rom nicht offen darüber schreiben. Die Weissagung, die den Jüdischen Krieg ausgelöst haben soll, bezog er als crhsmÖ“ ümf‡bolo“ auf Vespasian. S. dazu o. S. 112 f.
Ant.
§ 9 Johannes der Täufer
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wo er schreibt, gehört haben wird. Dabei könnte es sich um die christliche Taufe oder um eine täuferische Interpretation der Johannestaufe handeln. Der früheste uns erhaltene Täuferbericht, der des Markusevangeliums, ist ja kurz vor 70 in Rom entstanden, und die 4. Sibylle, die bald nach dem Vesuvausbruch 79 n. Chr. in Italien verfaßt wurde, spricht ebenfalls im eschatologischen Kontext von einem Reinigen des Leibes »in immer strömenden Flüssen«, verbunden mit einer Aufforderung zu Umkehr, Bußgebet, Sündenvergebung und drohendem Feuergericht. In wesentlichen Punkten stimmt jedoch der Bericht des Josephus mit den urchristlichen Quellen überein. Dies gilt für den ungewöhnlichen Beinamen »der Täufer«, ¨ baptistfl“ – ein Wort, das erstmals in den Evangelien und bei Josephus auftaucht und auf einen grundsätzlichen Unterschied zwischen der Johannestaufe und den im Judentum alltäglichen, von den einzelnen selbst vollzogenen Tauchbädern zur rituellen Reinigung hinweist. Die Übereinstimmung betrifft weiter seine ethische Predigt und die Tatsache, daß die Taufe von Gott akzeptiert werden soll,10 die von ihm ausgelöste Massenbewegung, seine Hochschätzung beim Volk und die Hinrichtung durch Herodes Antipas aufgrund politischer Befürchtungen. Die Täufernotiz des jüdischen Priesters aus Jerusalem, kaiserlichen Freigelassenen in Rom und Zeitzeugen hat so »keinen geringeren Anspruch auf historische Würdigung als die biblischen Nachrichten«11.
Vgl.
Mk 1,4 = Lk 3,3; Apg 2,38; Röm 6,3 etc. Mk 1,4; 4 Sib 165–168. Zur Datierung der 4. Sibylle vgl. 130–140 den Vesuvausbruch 79 n. Chr. und die Erwartung des Nero redivivus. S. dazu H. Lichtenberger, Täufergemeinden und frühchristliche Täuferpolemik, ZThK 84 (1987), 36–57 (39 f.). Die Kritik von Backhaus, Jüngerkreise, 305 f. ist schwer verständlich. Der eschatologische Bezug weist doch auf ein einmaliges Geschehen hin, der von ihm vermutete christliche Einfluß in der 4. Sibylle ist aus zeitlichen Gründen unwahrscheinlich, und auf eine christliche Interpolation weist nichts hin. Die jüdische Proselytentaufe war um 79 n. Chr. noch nicht allgemeiner Usus. Sie wird erst in der Mischna bezeugt. Zur späteren Wanderung des Anhängers einer Taufsekte, die Sündenvergebung und Taufe verbindet, nach Rom und seine dortige Propaganda s. Alkibiades zu Beginn des 3. Jahrhunderts, bei Hippolyt, ref. 3,13,1–6. Er berief sich auf eine ältere elkesaitische Offenbarung aus dem 3. Jahr Trajans (100/101 n. Chr.). Vgl. auch Tacitus, ann. 15,44,3: Rom als der Ort, quo cuncta undique atrocia aut pudenda confluunt celebranturque (»Rom, wo alle Abscheulichkeiten und Schändlichkeiten von überallher zusammenströmen und gefeiert werden«), oder Juvenal, sat. 3,62: iam pridem Syrus in Tiberim defluxit Orontes (»schon lange ist der syrische Orontes in den Tiber geflossen«). S. dazu u. S. 313 f. 10 Josephus, ant. 18,117: kaÑ tÉn b›ptisin üpodektÉn a§tù (scil. qeù) faneõsqai. 11 Backhaus, Jüngerkreise, 268. Josephus wurde etwa 37/38 n. Chr. geboren und beendete seine Antiquitates etwa 93/94 n. Chr. Vgl.
300
III. Jesus der Galiläer und Johannes der Täufer
9.1.2 Die Evangelien und der Täufer 9.1.2.1 Markus Die frühesten und kürzesten Hinweise auf den Täufer erhalten wir unmittelbar vor 70 n. Chr. von Markus. Für ihn ist sein Auftreten und die Taufe Jesu der »Anfang des Evangeliums von Jesus Christus, des Sohnes Gottes«12, das heißt, schon Johannes und sein Wirken gehören in das Evangelium als dessen ürcfl. Das auf den einleitenden Satz folgende Schriftzitat13 soll beweisen, daß die endzeitliche Erfüllung der profetischen Verheißungen in Jesus Christus (1,1) bereits mit der Wirksamkeit des Johannes als des letzten Profeten begonnen hat.14 Er ist identisch mit dem »Boten«, der »den Weg des Herrn bereiten« soll, und die von Jesaja angekündigte »Stimme eines Rufers in der Wüste« ist die des Täufers,15 der in »der Wüste«, das heißt der Einöde des unteren Jordantales, auftritt und dort – damit fällt das entscheidende Stichwort – die »Bußtaufe zur Vergebung der Sünden« verkündigt.16 Es folgt die – übertreibende – Schilderung des Erfolgs seiner Taufverkündigung, »ganz Judäa und alle Bewohner von Jerusalem zogen zu ihm hinaus, ließen sich von ihm im Jordan taufen und bekannten ihre Sünden«. Nach diesem grundlegenden Sachverhalt und einem kurzen Hinweis auf seine auffallende Kleidung und ungewöhnliche Speise17 geht Markus sofort zur »messianischen Verkündigung« des Täufers vom Stärkeren über, der nach ihm kommt,18 und bereitet damit die unmittelbar folgende Taufe »Jesu aus Nazareth in Galiläa« vor.19 Darüber hinaus hat er nur noch wenige Hinweise. In 1,14 betont er, daß Jesus erst nach der »Dahingabe« des Täufers, das heißt nach seiner Verhaftung durch Herodes Antipas, öffentlich aufgetreten sei und das »Evangelium Gottes« verkündigt habe. Der Vorläufer muß dem Erfüller Raum machen. Im Stil einer dramatischen orientalischen Hof‑ und Intrigengeschichte wird später die Hin12 Mk 1,1: ûArcÉ toú e§aggel‡ou ûIhsoú Cristoú … S. dazu Hengel, Gospels, 172–174 und Index 328; H.-J. Klauck, Vorspiel im Himmel. Erzähltechnik und Theologie im Markusprolog, BThSt 32, Neukirchen-Vluyn 1997. Vgl. dazu Apg 1,22; 10,37 das zweimalige ürx›meno“ und die ausführliche Beschreibung in einer lukanischen Pauluspredigt Apg 13,24 f. 13 Mk 1,2 f. aus Mal 3,1; Ex 23,20; Jes 40,3 LXX. Markus schreibt irrtümlich das ganze Zitat Jesaja zu. Lukas bringt das Jesajazitat erweitert, Matthäus verkürzt und korrigiert dadurch. 14 Mk 9,11 f. = Mt 17,10 f.; Lk 16,16; Mt 11,12 ff., vgl. Mk 11,32 parr. 15 Mk 1,4: ¨ bapt‡zwn: substantiviertes Partizip; vgl. 6,14.24. In 6,25 und 8,28 hat Markus baptistfl“, so Matthäus und Lukas durchgehend. Johannes vermeidet das Substantiv; bei ihm hat der Täufer überhaupt keinen eigenen »Titel« mehr. Er ist – wie der Evangelist (Joh 19,35; 21,24) – nur noch »Zeuge« für Jesus: 1,6–8.15.19–34. 16 Mk 1,4: khr‚sswn b›ptisma metano‡a“ e¢“ ±fesin ®martiùn, Lk 3,3 übernimmt die Formel ganz; Matthäus läßt das »zur Vergebung der Sünden« weg, s. u. S. 313 Anm. 103. 17 Mk 1,6; s. u. S. 318 Anm. 123. 18 Mk 1,7 f.; s. u. S. 306. 19 Mk 1,9–11; s. u. S. 320 ff.
§ 9 Johannes der Täufer
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richtung des Täufers erzählt.20 Markus füllt damit die Lücke zwischen der Aussendung der Jünger durch Jesus und ihrer Rückkehr.21 Beim Abstieg vom Berg der Verklärung Mk 9,11–13 bezeichnet Jesus dann den Täufer als »Elias redivivus« und als Vorläufer im Blick auf seinen eigenen Leidensweg. In der letzten Auseinandersetzung in Jerusalem reagiert Jesus auf die Frage der höchsten jüdischen Autoritäten nach seiner eigenen Vollmacht bei der »Tempelreinigung« mit einer Gegenfrage nach der Herkunft »der Taufe des Johannes«, ob sie auf Gottes Befehl oder auf menschlicher Willkür beruhe. Die Volksführer weichen aus, weil sie die negative Reaktion der Menge fürchten, »die alle Johannes wirklich für einen Profeten hielten«.22 Zusammen mit dem zweimaligen Hinweis, daß das Volk in Galiläa nach dem gewaltsamen Tod des Täufers Jesus unter anderem auch für den von den Toten auferweckten Täufer gehalten habe,23 sind diese Nachrichten ein Indiz dafür, wie eng Markus den Zusammenhang zwischen der Täufer‑ und Jesusbewegung gesehen hat. Dies muß schon auf die Urgemeinde zurückgehen, ja, man kann annehmen, daß bereits Jesus selbst auf diese positive Verbindung hingewiesen hat. Die später, besonders bei Matthäus und Johannes,24 offenbar werdende Distanz fehlt dagegen noch bei Markus. Nur die Frage der Täuferjünger und der Pharisäer, warum die Jesusjünger im Gegensatz zu ihnen nicht fasten,25 die Jesus mit dem Hinweis auf die messianische Festfreude über die Gegenwart des Bräutigams beantwortet, deutet auf das grundsätzlich Neue hin,26 das Jesus bringt und das nicht ohne Schaden mit dem Alten vermengt werden darf. Seine Antwort entspricht im Grunde der Ansage des Messias-Menschensohns als des kommenden »Stärkeren« durch Johannes selbst.27 9.1.2.2 Lukas und Matthäus Bei Lukas finden wir zusätzliche Informationen über den Täufer. So ist er der einzige, von dem wir in seiner Vorgeschichte, wo er in c. 1 die Geburt des Täufers eng mit der des gleichaltrigen Jesus verbindet, Angaben über die Herkunft des Johannes erhalten. Seine Eltern sind ein Priesterehepaar, der Vater, 20 Mk
6,17–29 = Mt 14,3–12. 6,6b–13 und 30 f. 22 Mk 11,27–33 = Lk 20,1–8 = Mt 21,23–27. Lukas und Matthäus haben mehrere »minor agreements« gegen Markus, die zeigen, daß Matthäus auch Lukas eingesehen hat (s. o. S. 226). 23 Mk 6,14–16 wird dieser Glaube auch Herodes selbst zugesprochen, in V. 15 ist es überhaupt eine weitverbreitete Ansicht, wie V. 14b: ≤legon »man sagte«; vgl. 8,28. 24 S. u. S. 305.308.320. 25 Mk 2,18–20 = Lk 5,33–35 = Mt 9,14 f. 26 S. das darauffolgende drastische Gleichnis über den Gegensatz von alt und neu Mk 2,21 f. parr. 27 Mk 1,7 f. parr. 21 Mk
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III. Jesus der Galiläer und Johannes der Täufer
Zacharias stammt aus der Abteilung Abia, der achten der 24 Priesterklassen, die jährlich jeweils zweimal eine Woche im Tempel Dienst taten, wobei ihre Funktionen täglich durch das Los28 bestimmt wurden.29 Sein Vater vollzieht gerade das Räucheropfer im Tempel, als ihm der Gottesbote Gabriel das Wunder der Geburt eines Sohnes ankündigt.30 Auch seine Mutter Elisabeth soll aaronidischer Herkunft gewesen sein. Der Heimatort des Täufers lag im judäischen Bergland, Jerusalem war vor allem den führenden Priesterfamilien vorbehalten.31 Die legendäre Geburtsgeschichte des Johannes wird, wie auch die über seinen Tod bei Markus, letztlich auf Täuferüberlieferung zurückgehen und Lukas durch Judenchristen vermittelt sein; dabei ist anzunehmen, daß sich nach dem Tod des Täufers zumindest ein Teil der Täuferbewegung Jesus bzw. der nachösterlichen Gemeinde angeschlossen hat. Dieser Anschluß ist eine Voraussetzung für die Erhaltung der Täufertraditionen und des positiven Täuferbildes in der Urgemeinde. Der Bericht wurde, wie die ganze Vorgeschichte überhaupt, in erheblichem Maße durch den Evangelisten gestaltet, der sich hier als begnadeter Erzähler erweist; er enthält jedoch Züge, die dem Täufer einen Eigenwert zuschreiben, der kaum auf christliche Tradition zurückgeht. So etwa, daß er von Mutterleibe an Geistträger und Nasiräer ist,32 daß er »im Geist und in der Kraft Elias« Gottes Kommen selbst vorbereitet.33 Der Schlußsatz »und er war in der Wüste bis zum Tage seiner Beauftragung für Israel«, Lk 1,80, schlägt die Brücke zur historischen Zeitangabe und dem in profetischer Manier gezeichneten Auftreten des Täufers in 3,1 ff.34 Man sollte hier nicht seinen Aufenthalt bei den Essenern von Qumran in der Wüste am Toten 28 Lk 1,9: katÅ tÖ ≤qo“ tö“ ´erate‡a“ ≤lace toú qumiôsai. Zur Verlosung der Priesterfunktionen und den Priesterklassen s. Bill. II, 57 ff. und zum Räucheropfer 71–77: Lukas ist über die Vorgänge im Tempel erstaunlich gut unterrichtet. Vgl. Apg 1,26 der Losentscheid als Gottesurteil bei der Zuwahl des Matthias. 29 Lk 1,5; vgl. 1 Chr 24,7–19 (10); Neh 12,4.17, s. Bill. II, 54–68, zur Auslosung s. 57 ff.; zum besonders geschätzten Vollzug des Räucheropfers s. 71 ff.; zu Legenden über Visionen im Tempel s. Schwemer, Prophetenlegenden II, 308–315. Das Verzeichnis dieser Priesterabteilungen und der Kalender ihrer Dienstverpflichtung spielt eine große Rolle in Qumran, s. o. S. 157 Anm. 166. 30 Lk 1,5 ff.: Zacharias (= Sacharja) und Johannes sind häufige Priesternamen. 31 Lk 1,65: †n ΩlÔh tÔö‘ £reinÔö tö“ ûIouda‡a“; vgl. 39: Maria, die Mutter Jesu, besucht dort ihre Verwandte Elisabeth, s. o. S. 284 Anm. 54. 32 Lk 1,15; vgl. 7,33 parr. und 1,44. 33 Lk 1,16 f.; vgl. Mal 3,23 f.; Sir 48,10. Lukas läßt zwischen 9,36 und 37 Mk 9,11–13 = Mt 17,10–13 (vgl. Mt 11,14) die direkte Identifizierung des Täufers mit dem Elias redivivus weg und reduziert sie auf die Verheißung des Engels in Lk 1,17. Joh 1,25 leugnet dagegen jeden Zusammenhang. Das Benedictus scheint im Vergleich zu Lk 1,13–17 eher christlich beeinflußt zu sein; vgl. 1,67–69, vor allem wenn in V. 78 statt des Aorists †peskfiyato mit den wichtigsten alten Zeugen das Futur †piskfiyetai zu lesen ist. S. dazu U. Mittmann-Richert, Magnifikat und Benediktus, WUNT II / 90, Tübingen 1996, 46 f. u. ö. 34 Vgl. Jer 1,1 LXX u. ö., s. o. S. 3 Anm. 1.
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Meer nach einem frühen Tod seiner Eltern hineinlesen.35 Wesentlich ist, daß Lukas, der seine Erzählung mit einer Offenbarung im Tempel beginnt, den Bericht mit dem Aufenthalt des Helden in der Wüste enden läßt. Das verweist auf das Zitat aus Jes 40,3–5 in Lk 3,4 ff. und deutet zugleich auf eine tiefgreifende Veränderung hin: Der Priestersohn, eigentlich für den Tempeldienst bestimmt, wendet sich einem auf die Zukunft hin ausgerichteten, neuen endzeitlichen Dienst in der Einöde zu.36 Lukas und Matthäus bringen in nahezu gleichem Wortlaut ein eindringliches Beispiel der Umkehrpredigt des Täufers in der Form einer profetischen Scheltrede, die nicht den Heiden ringsum, sondern Israel das Gericht androht:37 »Schlangenbrut! Wer hat euch die Gewißheit gegeben, daß ihr dem kommenden Zorngericht entrinnen könnt?« Nur »echte Früchte der Umkehr« können noch retten. Das Vertrauen in die Abstammung von Abraham ist Selbstbetrug. »Die Axt ist schon an die Wurzel der Bäume gelegt«, jeden Augenblick kann sie zuschlagen.38 »Wer keine Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen.« Das bevorstehende Gericht ist ein Vernichtungsgericht. Die Lukas und Matthäus gemeinsame Gerichtsandrohung wird in der Regel der hypothetischen Quelle Q zugeschrieben. Da für Q hier jeder nachweisbare erzählerische Kontext fehlt39 und Lukas sicher die ursprünglichere Fassung hat, ist damit zu rechnen, daß Matthäus hier von Lukas abhängig ist, jedoch die Einleitung verändert hat. Während nach Lukas kontextgemäß die Volksmenge, die von Johannes getauft werden will, von diesem als »Schlangenbrut« angeredet wird, reduziert Matthäus das Publikum auf die Volksführer, die »Pharisäer und Sadduzäer«. Sie sind angespro35 Die Hauptniederlassung der Essener war ja nicht in Qumran – die dortigen baulichen Anlagen sind viel zu klein –, sondern sie lebten in Gemeinschaften in den größeren Städten Judäas, das heißt doch wohl nicht zuletzt in Jerusalem selbst: Josephus, bell. 2,124; Philo, hyp. 11,1 (Euseb, praep. ev. 8,11,1). In prob. 76 meint Philo, daß sie am Rande von Städten in Gemeinschaften, getrennt von der lasterhaften Welt, leben; s. auch 1QS VIII 13–16. Johannes lehrte mündlich, Schreibtätigkeit und Schriftstudien werden nirgendwo erwähnt. Für die Essener haben sie zentrale Bedeutung. 36 Das Zitat von Jes 40,3–5 in Lk 3,4 ff.; vgl. Mk 1,3 = Mt 3,3 und Lk 7,27 = Mt 11,10, das den Täufer als »Rufer in der Wüste« charakterisiert, hat eine völlig andere Bedeutung als in 1QS VIII 14 f., wo es auf die Glieder der essenischen Gemeinschaft bezogen wird, die aufgefordert werden: »In der Wüste bereitet den Weg des Herrn«, was dann wieder auf das »Studium der Tora« Moses bezogen wird. 37 Lk 3,7–9 = Mt 3,7–10. Man könnte auch mit »Teufelsbrut« übersetzen, s. Gen 3,1.13; Apk 12,9.15; 20,2. 38 Das heißt, auch der Grundstock wird zerstört, vgl. Ez 17,9; Mal 3,19; Hos 9,16; Am 2,9. Der Wurzelstock kann nicht mehr wie in Jes 6,13; 11,1; Hi 14,7 f. neu ausschlagen. Hinweis von F. Neugebauer. 39 Die von J. M. Robinson und anderen herausgegebene Critical Edition of Q, Leuven 2000, zeigt S. 4–21 keinen verifizierbaren sinnvollen Zusammenhang dieser völlig hypothetischen Quelle. Die Formel ™ per‡cwro“ (toú ûIord›nou) wird Mt 3,5 aus Lk 3,3 übernommen haben. Lukas hat das Wort noch mehrfach: 4,14.37; 7,17; 8,37; Apg 14,6; Matthäus nur noch einmal: 14,35; vgl. auch Mk 1,28. Matthäus ist hier von Lukas abhängig.
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III. Jesus der Galiläer und Johannes der Täufer
chen, nicht das Volk, das sich taufen läßt. Um eine engere Verbindung zwischen der Verkündigung des Täufers und der Jesu herzustellen, legt Matthäus diese schroffe Anrede des Täufers Jesus noch zweimal in den Mund, einmal gegen die Pharisäer und Schriftgelehrten und das andere Mal gegen die Pharisäer, die ihn des Bundes mit Beelzebul bezichtigen.40 Das heißt, die Feinde Jesu sind für Matthäus schon die des Täufers, und seine Gerichtsverkündigung entspricht der Jesu. Das Wort vom Baum ohne Frucht, der abgehauen und verbrannt wird, versetzt Matthäus auch in die Bergpredigt,41 umgekehrt legt er dem Täufer bereits die Zusammenfassung der Botschaft Jesu in den Mund: »Kehrt um, denn die Herrschaft der Himmel ist nahe.«42 Die Bußpredigt des Täufers wird so für Matthäus mit der Jesu sachlich identisch, nur bei der Heilszuwendung, der »Vergebung der Sünden«, ergibt sich ein grundlegender Unterschied.43 Bei Lukas finden sich dagegen als Sondergut noch konkrete ethische Mahnungen, die die erschrockene Frage der Zuhörer »was sollen wir tun?« beantworten: »Wer zwei Kleider hat, gebe dem, der keines hat, und wer zu essen hat, tue dasselbe.« Auch Steuerpächter, Zöllner und selbst Soldaten – hier wäre an die der jüdischen Tetrarchen Antipas und Philippus zu denken – erhalten auf ihre Fragen praktische Anweisungen.44 Ihnen entspricht die ethische Predigt des Täufers bei Josephus. Das Übel wird nicht in der Fremdherrschaft gesucht, das eigene mitmenschliche Verhalten muß geändert werden! Lukas kommt später in der großen Rede Jesu über den Täufer wieder auf die Zöllner zurück: »Das Volk und die Zöllner gaben Gott recht und ließen sich von Johannes taufen«, im Gegensatz zu den Pharisäern und Schriftgelehrten.45 Matthäus, der das Zöllnermotiv im Zusammenhang mit dem Täufer zweimal bei Lukas vorfand,46 wollte es doch nicht völlig übergehen und fügt daher später an die Frage Jesu über die Herkunft der Johannestaufe das Gleichnis von den zwei Söhnen an mit dem Fazit: »Die Zöllner und Dirnen« werden im Gegensatz zu den Jerusalemer Autoritäten Zugang zur Gottesherrschaft erhalten, denn sie glaubten Johannes, der »den Weg der Gerechtigkeit« predigte, während die Führer des Volkes, obwohl sie ihn aufgesucht hatten,47 ihm den Gehorsam verweigerten.48 40 Mt
23,33; 12,34. 7,19. 42 Mt 3,2 und Jesus in 4,17; vgl. Mk 1,15. 43 S. u. S. 305 Anm. 49 f. 44 Lk 3,10–14. Zur Frage der Zuhörer vgl. Apg 2,37; 16,30; 22,10: lukanische Stilisierung. 45 Lk 7,29 f.: †dika‡wsan tÖn qe·n, die beiden Verse sind vermutlich von Lukas formuliert: Das Verb dikaioún verwendet er noch sechs‑, üqetfiw fünf‑ und das Nomen boulfl zehnmal. 46 Lk 3,12 f.; 7,29. 47 Mt 21,32: ≠meõ“ dÇ ¢d·nte“ …, vgl. 3,7 vom Täufer: ûIdán dÇ polloÜ“ tùn Farisa‡wn kaÑ Saddouka‡wn. 48 Mt 21,28–32. Das Ganze wird von Matthäus formuliert sein und setzt wohl auch die Kenntnis von Lk 15,11–32, 7,29 f. und 7,39 voraus. 41 Mt
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Die Bußpredigt des Täufers und Jesu Ankündigung des Gottesreichs liegen für Matthäus ganz nahe beieinander. Beide lehren den »Weg der Gerechtigkeit«. Im Blick auf die Würde Christi und das von ihm gebrachte Heil wird jedoch der Unterschied deutlich. Während Markus und Lukas ohne Bedenken berichten, daß Johannes die »Bußtaufe zur Vergebung der Sünden« verkündigte,49 läßt Matthäus diesen entscheidenden Satz weg, versetzt das »zur Vergebung der Sünden« in seinen Abendmahlsbericht und ergänzt damit das Kelchwort seiner Markusvorlage.50 Johannes verkündigt zwar wie Jesus den bevorstehenden Anbruch der als Gericht verstandenen Gottesherrschaft und fordert zur Umkehr auf,51 das eigentliche Heil, das in der Sündenvergebung liegt, kann er aber nicht bringen; es wird erst durch Christi Tod und die christliche Taufe mit der trinitarischen Formel vermittelt.52 Der Täufer verkündigt für Matthäus nur ein Untertauchen im Jordan und das Bekennen der Sünden als Zeichen der Umkehr.53 Sein Wirken soll das Heil, das erst Jesus bringt, weil nur er »alle Gerechtigkeit erfüllen« kann,54 wirksam vorbereiten. Zwischen Mahnrede und Hinweis auf den kommenden Richter schiebt Lk 3,15 f. eine Reaktion des Volkes ein, die Matthäus nicht übernehmen kann, weil er sich auf die Gegner Jesu festgelegt hat. Voller Erwartung überlegt die Menge, ob Johannes nicht der Messias sei. Zur Zeit, als Lukas sein Evangelium schrieb – ca. 75–80 n. Chr. –, mögen Täuferkreise in Johannes eine messianische Gestalt gesehen haben.55 Gegenüber diesem Mißverständnis verweist der Täufer auf den kommenden Stärkeren, bei dem er nicht würdig ist, dessen Sandalenriemen zu lösen, das heißt niedersten Sklavendienst zu verrichten.56 Diese Diastase hat 49 Mk 1,4 = Lk 3,3, s. o. S. 300 Anm. 16. Matthäus spricht in 3,6 nur mit Mk 1,5 vom Sündenbekenntnis des Volkes. Lukas läßt dieses Motiv weg, bringt es jedoch im Benedictus 1,77 und in der Sendung durch den Auferstandenen 24,47; vgl. Apg 2,38; 5,31; 10,43; 13,38; 26,18: Der Gottesknecht bringt Sündenvergebung, s. Mittmann-Richert, Sühnetod. 50 Mt 26,28: tÖ perÑ pollùn †kcunn·menon e¢“ ±fesin ®martiùn. Vgl. dagegen Mk 14,24: tÖ †kcunn·menon ≠pÇr pollùn. 51 Mt 3,2; vgl. 4,17 und Mk 1,15. 52 Vgl. den in den Evangelien einzigartigen Taufbefehl Mt 28,19 f. und auch die soteriologische Deutung des Namens Jesu 1,21: a§tÖ“ gÅr s„sei tÖn laÖn a§toú üpÖ tùn ®martiùn a§tùn. 53 Mt 3,11: bapt‡zw †n ædati e¢“ met›noian ist ein einschränkender Zusatz zu seiner LukasVorlage 3,16. 54 Mt 3,15; vgl. 5,6.10.17.20 und dazu Deines, Gerechtigkeit, passim. 55 Ca. zwei Jahrzehnte später, in Joh 1,19–27, weist der Täufer derartige Ansprüche gegenüber einer Gesandtschaft aus Jerusalem ausdrücklich zurück. S. u. S. 307. Vgl. auch PsClem R 1,60,1: unus ex discipulis Iohannis adfirmabat Christum Iohannem fuisse et non Iesum (»einer der Jünger des Johannes versicherte, der Messias sei Johannes gewesen, nicht Jesus«); vgl. 1,54,8. 56 Lk 3,16, teilweise aus Mk 1,7 übernommen. Mt 3,11 spricht etwas distanzierter vom bloßen Abnehmen bzw. Wegtragen (bast›zein) der Sandalen. Seine weniger drastische Version ist nicht ursprünglicher und kein Hinweis auf die Existenz von Q. Zwischen Mt 3,7–10 und 11 liegt auch ein Bruch in den Adressaten. Das zweimalige ≠mô“ in V. 11 bezieht sich nicht mehr
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III. Jesus der Galiläer und Johannes der Täufer
ihre Entsprechung im grundlegenden Unterschied zwischen Johannes und der Gegenwart der messianischen Erfüllung in Jesu Wirken gemäß der Täuferrede Jesu.57 Der Stärkere tauft nicht mit Wasser, sondern »mit heiligem Geist und Feuer«. Hier mag das »mit dem heiligen Geist« eine eingefügte interpretatio christiana sein,58 denn die »Feuertaufe« bedeutete wohl ursprünglich das schon von den Profeten angekündigte Feuergericht, das der nach Johannes kommende »Stärkere« vollziehen wird. Wie der Bauer auf der Tenne mit seiner Worfschaufel den Weizen von der Spreu trennt, die verbrannt wird,59 wird er die Trennung unter den Menschen vollziehen. Der Richter bringt die Wahrheit und Lüge ihres Lebens ans Licht. Auch das Motiv des Gerichtsfeuers, das bei Lukas nur in der Täuferpredigt erscheint, wird dann bei Matthäus in vielfältiger Weise Jesus in den Mund gelegt. Ausgehend von der Täuferpredigt wird es typisch für die Gerichtstheologie des Matthäus, die dasselbe als »ewiges (Straf)feuer« versteht.60 Es kann bei dem vom Täufer angekündigten Richter nicht um Gott selbst gehen, hier würde das Bild vom Lösen der Sandalen sowenig passen wie der Komparativ »der Stärkere« und die Rede von seinem »Kommen nach ihm«. Gott ist inkommensurabel und trägt keine Sandalen. Es muß sich vielmehr um seinen Bevollmächtigten, den kommenden Menschensohn-Messias,61 handeln, der als Gottes Stellvertreter das Gericht vollzieht, aber zugleich als Erlöser der Frommen eine Heilsgestalt ist. Gericht und Heil bedingen sich gegenseitig. Dies legt den Schluß nahe, daß sich der Täufer wirklich als »Vorläufer« des Menschensohn-Messias verstand und daß die urchristliche Deutung seiner Person als Elias redivivus sehr wohl auf ihn selbst zurückgehen kann.62 Damit wird auch die Frage nach dem Anspruch Jesu akut, der nach ihm auftritt, sich ganz eng mit ihm verbunden weiß und sich doch grundsätzlich von ihm unterscheidet. auf die Volksführer, sondern auf die Menge: Sie läßt sich taufen. Das heißt, der spätere Matthäus ist hier inhaltlich von der älteren Lukas-Version abhängig. 57 Lk 7,28 = Mt 11,11; s. dazu u. S. 337 f. 58 S. dazu Apg 2,38; 11,16; vgl. 10,44–46; 19,2–6. Zum Verhältnis Taufe und Geist in der Urgemeinde s. Avemarie, Tauferzählungen. 59 Lk 3,17 = Mt 3,12; vgl. Lk 3,9 = Mt 3,10. 60 Mt 5,22; 7,19 = 3,10; 13,40 ff.50; 18,8 f. und 25,41: tÖ púr tÖ a¢„nion; vgl. Mk 9,43: tÖ púr tÖ ±sbeston; vgl. die Täuferpredigt Mt 3,12 = Lk 3,17 und Joh 15,6. Das Feuer Lk 12,49 bezieht sich nicht auf das Gerichtsfeuer, sondern auf das ganze messianische Wirken Jesu auf die Gottesherrschaft hin; s. u. S. 507. S. dazu F. Lang, Art. púr, ThWNT VI, 935 ff.941. 61 Vgl. Dan 7,13 f.; zum Menschensohn s. u. § 17.4.1; Lk 1,17 (dazu o. S. 302 Anm. 33). 62 Mk 9,11–13 = Mt 17,10–12; Mt 11,4. Vgl. Mal 3,19 f.22; Sir 48,10. Dafür spricht auch seine Taufstelle am Jordan, von wo Elia im feurigen Wagen entrückt wurde, und seine Kleidung. Vgl. Schwemer, Prophetenlegenden II, 245 f.; M. Öhler, Elia im Neuen Testament, BZNW 88, Berlin / New York 1997, 31–110, kommt zum Ergebnis (107): »Johannes der Täufer (hat) sein Wirken als Erfüllung der Eliaverheißung (verstanden)«. S. o. S. 300 Anm. 13 und u. S. 317 Anm. 119.
§ 9 Johannes der Täufer
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Die Funktion des Täufers wird erst durch die Frage nach seinem Verhältnis zu Jesus verständlich, und umgekehrt wirft bereits der Täufer ein Licht auf den Sendungsanspruch Jesu. 9.1.2.3 Johannes Das vierte Evangelium setzt die Kenntnis zumindest von Markus und Lukas voraus,63 widerspricht ihnen aber an entscheidenden Punkten, denn der Täufer hat für Johannes keine eigenständige Funktion mehr. Er ist nach seinen Aussagen gegenüber den jüdischen Autoritäten, die ihn verhören, weder Messias noch Elias noch der endzeitliche Profet von Dtn 18,15,64 sondern allein von Gott dazu gesandt,65 als der erste Zeuge für Christus, den menschgewordenen Gottessohn, »der nach ihm kommt« und doch »vor ihm war«, zu wirken.66 Selbst seine Tauftätigkeit dient nur noch dem Hinweis auf Christus, den Geisttäufer. Es sind zwei Jünger des Täufers, die durch sein Zeugnis zu den ersten Nachfolgern Jesu werden.67 Und doch enthält sein Bericht Hinweise, die historisch bedenkenswert sind. 1. Er informiert uns geographisch über Orte, an denen Johannes getauft hat: »in Bethanien, jenseits des Jordans«, das heißt in Peräa am östlichen Jordanufer, das zum Herrschaftsbereich des Herodes Antipas gehörte.68 Da dieser Ort für Origenes nicht mehr identifizierbar war, vertrat er die Lesart Bethabara.69 Daneben erscheint noch ein »Ainon nahe bei Salim«, dessen Lage unsicher ist.70 2. Das vierte Evangelium widerspricht den Synoptikern im Blick auf das zeitliche Verhältnis von Verhaftung des Johannes und Beginn der öffentlichen Wirksamkeit Jesu. Nach Markus und Lukas tritt Jesus in Galiläa erst nach der 63 Vgl. Joh 1,26 f. = Mk 1,7 f. und Lk 3,16. Ohne Kenntnis der synoptischen Täufertradition wird der Bericht des vierten Evangeliums unverständlich. 64 Joh 1,19 f.; 3,28. 65 Joh 1,6; 3,28: Ωti üpestalmfino“ e¢mÑ ≤mprosqen †ke‡nou, vgl. Mk 1,2; Ex 23,20; Mal 3,1 und Lk 7,27 = Mt 11,10. 66 S. die Häufung der Stichworte martur‡a und martureõn Joh 1,7.15.19.32.34; 3,26.32.33; vgl. 5,33.36 ff.: Jesus hat jedoch ein größeres Zeugnis als das des Johannes, nämlich das seines Vaters. Zu dem £p‡sw mou †rc·meno“ s. 1,15.27.30; es ist abhängig von Mk 1,7 = Mt 3,11. 67 Joh 1,33–37, denn »jener muß wachsen, ich aber muß abnehmen« (3,30). 68 Joh 1,28; vgl. 10,40. 69 So eine Reihe von jüngeren Handschriften. Bethabara liegt am westlichen Jordanufer ca. 6 km nördlich der Mündung und ist sicher irreführend. Die Lage von Bethanien am Jordan ist unbekannt. Zu den Traditionen über die Taufstelle vgl. O. Keel / M. Küchler, Orte und Landschaften der Bibel, II: Der Süden, Zürich u. a. 1982, 527–531; Meier, Marginal Jew II, 88 f. Anm. 123. 70 Joh 3,23: Die spätere Lokalisierung südlich von Skythopolis an der Grenze zu Samaria und nicht direkt am Jordan ist kaum zutreffend. Vielleicht steht bei dem Ortsnamen auch eine symbolische Bedeutung: »Quelle« und »Heil« dahinter. Johannes hat eine ganze Reihe von interessanten historisch-geographischen Angaben, die das jüdische Palästina zur Zeit Jesu betreffen, die wir so in den anderen Evangelien nicht finden; s. Hengel, KS II, 293–334.
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III. Jesus der Galiläer und Johannes der Täufer
Gefangennahme des Täufers auf.71 Gemäß Johannes überlappen sich die Tätigkeiten beider zeitlich. Jesus zieht als der von Johannes bezeugte Messias Jünger an sich und tut Wunder, ja, er tauft, und zwar in Judäa, und ist dabei erfolgreicher als der Täufer.72 Joh 3,24 korrigiert die Synoptiker ausdrücklich: »Johannes war noch nicht ins Gefängnis geworfen.« Entsprechend ist auch die Chronologie ausgeweitet. In die Wirksamkeit Jesu fallen wenigstens drei Passafeste, das heißt, sie zieht sich über mehr als zwei Jahre hin.73 Man hat daraus geschlossen, daß Jesus selbst ursprünglich Täuferjünger gewesen und dann als Konkurrent zum Täufer aufgetreten sei, nach dessen Verhaftung jedoch seine Tauftätigkeit aufgegeben habe. Derartige Vermutungen bleiben unsicher.74 Die Erzählung des vierten Evangeliums hat spätere Spannungen zwischen der palästinischen Gemeinde und den Täuferjüngern im Auge, wobei der johanneische Täufer gegenüber seinen Jüngern Jesus als dem wahren Heilsbringer, »der von oben kommt«, den absoluten Vorrang einräumt: »Er muß wachsen, ich aber muß abnehmen.«75 Die johanneische Täuferdeutung widerspricht damit dem Bericht von der zweifelnden Anfrage des Täufers an Jesus aus dem Gefängnis, ob er der »Kommende« sei, bei Lukas (und Matthäus).76 Für Johannes kann der Täufer als Zeuge für Jesu Sendung und Würde keine Ungewißheit mehr zeigen. Einerseits ist es durchaus möglich, daß Jesus schon einige Zeit vor der Verhaftung des Täufers auftrat, freilich wohl kaum in »Judäa« (Joh 3,22), sondern in Galiläa. Unwahrscheinlich ist dagegen, daß er zuerst im strengen Sinne längere Zeit »Jünger« des Täufers war und dann zu dessen »Rivalen« wurde; in diesem Falle müßte ja doch die Spur eines Bruches zwischen Lehrer und Schüler sichtbar werden. In den ältesten Quellen, Markus und der lukanischen Logienüberlieferung, ist dies jedoch nicht der Fall. Bei Johannes sind dagegen die Spannungen zur späteren Täufergemeinde offensichtlich.77 71 Mk 1,14 = Mt 4,12; Lukas setzt 3,19 f. diese Mitteilung als Schlußpunkt hinter seinen Bericht über die Verkündigung des Täufers noch vor die Taufe Jesu. 72 Joh 3,22.26; 4,1: bapt‡zei. Dies wird 4,2 korrigiert: »nicht Jesus selbst, sondern seine Jünger tauften«. Letzteres könnte ein korrigierender Zusatz oder eine sehr alte Glosse sein, die Textüberlieferung ist jedoch einwandfrei. Auch Petrus läßt Apg 10,48 die Taufe des Cornelius durch Mitarbeiter vornehmen. Paulus tauft selbst nur selten: 1 Kor 1,14–17. Schon der Täufer wird bei großem Massenandrang unter Umständen mit Hilfe seiner Jünger getauft haben; s. u. S. 313 Anm. 103. 73 Joh 2,13.23; 6,4; 11,55; 12,1; 13,1 u. ö. Die Kirchenväter rechneten mit bis zu vier Jahren. S. u. S. 344 Anm. 6. 74 »Ruf und Berufung ergreifen ihn im Umkreis des Täufers, jedoch nicht so, als würde er vom Täufer erwählt«: F. Neugebauer, Jesu Versuchung, Tübingen 1986, 3. 75 Joh 3,30. Vgl. seine zurückhaltende Beurteilung als bloße »brennende Öllampe« durch Jesus in 5,35; vgl. 1,8. 76 Lk 7,18 ff. = Mt 11,2 ff.: Auch hier scheint Matthäus weithin von Lukas abhängig. 77 Joh 3,22–27; das Bild in der Antwort des Täufers 3,29 spielt wohl auf Mk 2,19 an, s. dazu M. Hengel, Die »auserwählte Herrin«, die »Braut«, die »Mutter« und die »Gottesstadt«, in: La Cité de Dieu – Die Stadt Gottes, hg. v. M. Hengel, S. Mittmann und A. M. Schwemer,
§ 9 Johannes der Täufer
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3. Nach Joh 1,35–40 hat das Zeugnis des Täufers Jesus die ersten Jünger zugeführt, und zwar einen Unbekannten78 und Andreas, der den Messias Jesus seinem Bruder Simon bezeugt und diesen zu Jesus bringt.79 Hier werden nicht wie bei den Synoptikern Fischer am Ufer des Sees Genezareth von ihrer Arbeit weg in die Nachfolge gerufen, sondern Täuferjünger finden durch ihren Meister den Weg zum Messias. Nun ist es keine Frage, daß Jesus von der Botschaft und Person des Täufers tief beeindruckt war, sonst hätte er sich nicht von ihm taufen lassen und sich später so positiv über ihn ausgesprochen. Auch die enge Verbindung von Täufer‑ und Jesusbewegung ist in der Überlieferung fest verankert. Darum ist es wahrscheinlich, daß Angehörige des engsten Jüngerkreises zunächst dem Täufer nahestanden. Die Angaben über die Jüngerberufung durch Jesus selbst bei den Synoptikern und der Bericht des Johannes lassen sich jedoch nicht harmonisierend vereinigen. Der vierte Evangelist hat seine Überlieferung zu sehr von seinem christologischen Interesse her geformt, als daß man aus seinem bewußt abweichenden Bericht die ursprünglichen Vorgänge rekonstruieren könnte. Festzuhalten ist jedoch die überragende Bedeutung des Täufers und der von ihm ausgehenden Bewegung nicht nur für die Urgemeinde, sondern schon für den engeren Jüngerkreis und für Jesus selbst. Das zeigt sich daran, daß die Taufe »auf den Namen Jesu« zur Vergebung der Sünden, die nach Ostern rasch von der Urgemeinde als Initiationsritus eingeführt wurde, direkt von der Johannestaufe abhängig ist. Es ist so plausibel, daß erste Kontakte zwischen Jesus und führenden Gliedern seines späteren Zwölferkreises schon im Umfeld des Täufers stattgefunden haben.
9.2 Der Tod des Täufers Den Tod des Täufers erzählt Johannes nicht mehr. Er setzt ihn voraus und begnügt sich damit, ihn anzudeuten.80 Lukas, der Historiker, informiert präziser. Noch vor der Erzählung der Taufe Jesu schließt er seinen Bericht (3,19 f.) ab: Der
WUNT 129, Tübingen 2000, 260–263. Mk 2,18 f. und Lk 7,33 f. = Mt 11,18 f. deuten auf einen Unterschied, aber noch auf keinen Bruch hin. 78 Joh 1,37 ff.: Wahrscheinlich soll dieser Anonymus schon auf den anonymen Lieblingsjünger hinweisen; vgl. auch 18,15, dazu Hengel, Johanneische Frage, 216 f.313 ff. 79 Joh 1,40–42. S. u. S. 362 zur Jüngerberufung. 80 So in der Kombination von Joh 3,24.30: »Johannes war noch nicht ins Gefängnis geworfen« und »Er muß wachsen, ich aber abnehmen.« S. auch 5,35: »Er war eine brennende Öllampe« (aber diese ist verlöscht); vgl. 1,8.
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III. Jesus der Galiläer und Johannes der Täufer
Tetrarch81 Herodes ließ den Täufer einkerkern, weil dieser ihn wegen seiner Ehe »mit Herodias, der Frau seines Bruders, und wegen aller seiner (sonstigen) Übeltaten getadelt hatte.«82 Später bringt das wunderbare Wirken Jesu den Herrscher in Gewissensnöte,83 da manche behaupten, der Täufer, den er doch enthaupten ließ, sei von den Toten auferstanden.84 Die Folge ist, daß er diesen Wundertäter sehen will, was dann nach Lukas in der Leidensgeschichte geschieht.85 Damit ist für den ersten ›christlichen Historiker‹ alles Notwendige gesagt. Der Erzählfaden wird in 3,21 f. sofort wieder auf Jesus und seine Taufe zurückgeführt. Für die grausame orientalische Hofintrige, die zur Enthauptung des Täufers führt, ist in dem Werk, das dem vornehmen Theophilos gewidmet ist, kein Platz. Sie wirkt schon bei Markus, der sie in dramatischer Ausführlichkeit erzählt, wie ein Fremdkörper, und er hat Mühe, sie sinnvoll in sein Evangelium einzubinden.86 Matthäus verkürzt darum den Bericht rigoros und verknüpft ihn am Ende dadurch mit Jesus, daß er die Jünger des Täufers nach dem Begräbnis seines Leichnams zu Jesus kommen läßt, um diesem zu berichten. Sie werden so durch den Tod des Täufers zu Jesus geführt.87 Beide Evangelisten, Markus und Matthäus, machen das Schicksal des »Elias redivivus« Johannes zu einem Vorzeichen für den Leidensweg Jesu.88 In der markinischen Erzählung greift Johannes im Stile profetischer Kritik Herodes an, weil er Herodias, die Frau seines Bruders Philippus, gegen das Gebot des Gesetzes geheiratet hat: »Es ist 81 Nur Lukas spricht mehrfach historisch korrekt von »Tetrarchen«, ein Titel, den Augustus den Söhnen des Herodes gegeben hatte, weil er den Königstitel vermeiden wollte (s. o. S. 70): Lk 3,1.19; 9,7; Apg 13,1. Mk 6,14 nennt Herodes auf volkstümliche Weise basile‚“. In der Parallele Mt 14,1 wurde der Titel Tetrarch vermutlich aus Lk 9,7 übernommen, denn in der nachfolgenden Erzählung nennt Matthäus, Markus folgend, inkonsequenterweise den Herodes basile‚“: Mt 14,9 = Mk 6,22.25 f. 82 Lk 3,19 f.; vgl. Mk 6,17 f. = Mt 14,3 f. Die Enthauptung des Johannes berichtet Lk 9,9 knapp im Anschluß an Markus als Selbstbezichtigung des Herodes in einem Satz. 83 Vgl. Lk 9,7: dihp·rei, vgl. Mk 6,20. 84 Mk 6,14–16; Lk 9,7–9. 85 Lk 23,6–12; vgl. 13,31 f. An sich weiß Lukas über Herodes Antipas mehr zu berichten als die anderen Evangelisten, darunter sind wertvolle Einzeltraditionen: Lk 3,1.19; 8,3; 13,31: Er trachtet auch Jesus nach dem Leben, s. u. S. 352; Apg 13,1. Zur Leidensgeschichte s. die auffallende Sondertradition 23,7–12.15. IgnSm 1,2 bringt Pontius Pilatus und den Tetrarchen Herodes (Lk 3,1; 23,7 ff.) im Blick auf die Kreuzigung Jesu zusammen. Er scheint das Lukasevangelium gekannt zu haben; vgl. auch IgnSm 3,2. In EvPetr 1 f. läßt Herodes Jesus kreuzigen; vgl. AscJes 11,19: Die »Söhne Israels« übergeben Jesus »dem König« (= Herodes Antipas) zur Kreuzigung. S. dazu E. Norelli, Ascensio Isaiae. Commentarius, CChr.SA 8, Turnhout 1995, 575–580. 86 Mk 6,17–29 = Mt 14,3–12. Matthäus knüpft mit 14,12 an 11,2 an, wo der gefangene Täufer Jünger zu Jesus sendet, die die Messiasfrage stellen. 87 Mk 6,14–29 füllt mit dem Bericht die Lücke zwischen der Aussendung und Rückkehr der Jünger: Während Herodes den Täufer beseitigt, wird Jesu Botschaft vielfältig durchs Land getragen. Mt 14,1–12 läßt ihn auf die Ablehnung Jesu in Nazareth folgen. 88 Mk 9,12 f. und noch eindeutiger Mt 17,11–13.
§ 9 Johannes der Täufer
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dir nicht erlaubt, die Frau deines Bruders zu haben.«89 Herodes fürchtet jedoch diesen »gerechten und heiligen Mann«, während Herodias ihn töten will. Bei der Geburtstagsfeier des Tetrarchen im Kreis seiner Mächtigen verspricht Herodes, hingerissen durch den Tanz der Tochter der Herodias,90 dieser jeden Wunsch zu erfüllen. Sie erbittet, auf den Rat ihrer Mutter hin, das Haupt Johannes’ des Täufers, und Herodes muß widerwillig den Befehl zur Enthauptung geben. Aus dem Vergleich mit dem Bericht des Josephus ergeben sich freilich einige Unstimmigkeiten. Herodias,91 eine Nichte des Antipas, war nicht mit dem Tetrarchen Philippus, dessen Gebiet im Westen an Galiläa grenzte,92 sondern mit einem Halbbruder des Tetrarchen verheiratet, der als Privatmann in Rom lebte. Die ehrgeizige Herodias wollte Frau eines regierenden Fürsten werden und verdrängte die erste Gemahlin des Antipas, eine Tochter des nabatäischen Königs Aretas IV., die empört zu ihrem Vater zurückkehrte. Daraus erwuchs der Streit zwischen Antipas und Aretas, der ca. sieben bis acht Jahre später, nach dem Tod des Philippus,93 zum Krieg über dessen Erbe und zur Niederlage des Antipas führte, in der das Volk die Strafe Gottes für die Hinrichtung des Täufers sah.94 Nach Josephus wurde Johannes in der Festung Machärus an der Südwestgrenze von Peräa hoch über dem Toten Meer gefangengesetzt und getötet. In der Darstellung des Markus hat man eher den Eindruck, die Geburtstagsfeier des Tetrarchen habe in Galiläa stattgefunden, obwohl kein Ort genannt wird.95 Gemeinsam ist dem Bericht des Josephus und der Synoptiker, daß der Täufer nach einer gewissen Zeit der Gefangenschaft auf Befehl des Antipas umgebracht wurde und daß dies eine Folge seiner profetischen Kritik war, bei Josephus wegen seiner Wirkung auf das Volk, bei den Synoptikern wegen seiner Anklage gegen den Tetrarchen. Ein gemeinsamer Zug ist auch die Furcht des Fürsten, freilich mit unterschiedlicher Begründung: Nach Josephus befürchtet er durch den Einfluß des Täufers auf das Volk einen Aufstand, nach Markus scheut »der 89 Mk 6,18, vgl. Lev 18,16; 20,21. Darüber hinaus handelt es sich um einen Fall von Ehebruch. S. auch Nathan und David 2 Sam 12,1–12. Man könnte weiter auf das Verhältnis von Ahab und Isebel zu Elia verweisen; 1 Kön 18,16 ff.; 19,1 ff. 90 Ihren Namen Salome erfahren wir nur durch Josephus, ant. 18,136. Sie heiratet nach ihm den schon bejahrten Tetrarchen Philippus, der 33/34 n. Chr. stirbt: ant. 18,137; vgl. 18,106–108. Markus hat die Verwandtschaftsverhältnisse verwechselt. 91 Herodias war Tochter des von Herodes hingerichteten Aristobul (eines Halbbruders von Herodes Antipas) und Enkelin der Hasmonäerin Mariamne und Schwester Agrippas I., s. o. S. 75 f. und u. S. 312. 92 Vgl. Lk 3,1; der ›Historiker‹ läßt korrigierend in 3,19 den Namen des Philippus weg und spricht sachlich richtig nur von »seinem Bruder«. 93 Ca. 33/36 n. Chr., s. Josephus, ant. 18,106–108 und o. S. 75. 94 Josephus, ant. 18,110 f.136.148. Vielleicht wurde der Arabienaufenthalt des Paulus Gal 1,17 durch diesen Krieg beendet; vgl. auch 2 Kor 11,32 f.; s. Hengel / Schwemer, Paulus, 208 ff. 95 Nach Mk 6,21 sind unter anderem »die ersten Männer Galiläas« versammelt.
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König« im Gegensatz zu Herodias, die den unbequemen Bußprediger vernichten will, in ihm den Gottesmann, der ihn in Gewissensnöte bringt, und gibt widerwillig den Hinrichtungsbefehl, nach Matthäus hat er Angst vor dem Volk, das Johannes für einen Profeten hält.96 Eine eigenartige Übereinstimmung ergibt sich auch in der Charakterisierung der Herodias und des Herodes bei Markus und Josephus: Sie ist ehrgeizig, willensstark und stolz, Herodes eher ein schwankender, schwacher Charakter.97 Der dramatische Bericht bei Markus ist sicher nicht das Werk des Evangelisten, sondern stammt aus der volkstümlichen Täuferüberlieferung. Man darf ihn nicht als reine Fiktion betrachten.
9.3 Zum religionsgeschichtlichen Hintergrund Johannes’ des Täufers Die Gestalt des Täufers paßt wenig in das Bild des palästinischen Judentums vor 70 n. Chr. mit dem Tempel, der Priesterschaft und den verschiedenen »Religionsparteien«, wie es uns etwa durch Josephus überliefert ist. Sein Auftreten bleibt in vielem rätselhaft. Wir sehen an ihm, wie bruchstückhaft unser Wissen über die Zeit der Herrschaft der Präfekten und Tetrarchen ist. Eigenartig ist auch, daß ihn Josephus positiv darstellt, im Gegensatz zu anderen »charismatischen« Gestalten jener Zeit wie dem samaritanischen Profeten, Theudas oder dem namenlosen Ägypter, die ebenfalls eine Volksbewegung auslösten und getötet wurden.98 Dies mag ein Zeichen dafür sein, daß Johannes sowenig wie Jesus den gewaltsamen politischen Umsturz predigte; auf der anderen Seite kann kein Zweifel darüber bestehen, daß das Grundmotiv seines Auftretens die Erwartung jener radikalen Veränderung war, die der bevorstehende Anbruch der Gottesherrschaft mit sich bringen mußte. Matthäus hat sachlich recht, wenn er seine Verkündigung mit dem Satz einleitet, den Markus und auch er selbst Jesus in den Mund legen:
96 Josephus, ant. 18,118: de‡sa“ ßHr„dh“. Mk 6,20: †fobeõto tÖn ûIw›nnhn, e¢dá“ a§tÖn ±ndra d‡kaion kaÑ πgion; Mt 14,5: †fobflqh tÖn µclon. Matthäus streicht das Zögern des »Königs« und daß er Johannes gerne hörte. Bei ihm will auch Herodes den Täufer töten und nicht nur Herodias. Das Motiv der Furcht vor dem Volk taucht in ähnlichen Formulierungen bei den Streitgesprächen in Jerusalem wieder auf im Blick auf den Täufer und die Predigt Jesu: Mk 11,32 = Mt 21,26 = Lk 20,6; vgl. Mk 12,12 = Mt 21,46 = Lk 20,19; Lk 22,2; vgl. Mk 14,1 f. = Mt 26,5. 97 Josephus, ant. 18,110 f.136.240–255. Sie erweist sich als ebenbürtige Schwester des nicht weniger ehrgeizigen Agrippa, den Caligula zum König und Nachfolger des Philippus machte. Vgl. Lk 7,24 = Mt 11,7, Jesu Charakterisierung des Antipas als »Schilfrohr«; s. o. S. 278. 98 Der Samaritaner: ant. 18,85–87; Theudas: ant. 20,97 f.; vgl. Apg 5,36; der Ägypter: bell. 2,261–263; ant. 20,169–172; vgl. Apg 21,38. Zum Problem s. Hengel, Zeloten, 235–239. S. o. S. 93.99 f.
§ 9 Johannes der Täufer
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»Kehrt um, denn die Gottesherrschaft ist nahe.«99 Auch wenn Josephus – wie in
seinem Geschichtswerk überhaupt – aus apologetisch-politischen Gründen die endzeitliche Erwartung seines Volkes fast völlig unterschlägt, der Täufer war wie kaum ein anderer ein Exponent derselben. Um so mehr fallen viele einzigartige Züge bei ihm auf: Das gilt zunächst für den Beinamen »der Täufer«100, ¨ bapt‡zwn bzw. ¨ baptistfl“.101 Die vom Gesetz geforderten Tauchbäder zur Herstellung der rituellen Reinheit hatten in der auf den Tempel ausgerichteten Frömmigkeit des damaligen Judentums in Eretz Israel überragende Bedeutung. Sie mußten ständig nach jeder schwereren rituellen »Verunreinigung« und vor jedem Betreten des Tempels wiederholt werden. Bei den im Heiligtum diensttuenden Priestern und Leviten, aber auch bei den Essenern, die sich vom offiziellen Heiligtum distanziert hatten, geschah dies Tag für Tag und unter Umständen mehrfach. Dieses »Untertauchen« mußte jeder für sich selbst vollziehen, es war an keine liturgische Form gebunden und bedurfte keines »Täufers«.102 Die von Johannes verkündigte Taufe geschah dagegen – wie die spätere christliche Taufe – nur einmal und war an die Gegenwart einer zweiten Person, eben eines Täufers, gebunden. Von der späteren Proselytentaufe kann sie nicht abgeleitet werden, denn diese wurde im Judentum erst in den Jahrzehnten nach dem Ende des Tempels – vermutlich schon unter christlichem Einfluß – eingeführt, und auch in ihr ist keine Person eines »Täufers« notwendig. Sie ersetzte nur das für Proselyten vorgeschriebene erste Tauchbad vor der Opferdarbringung im Tempel. Daß die Johannestaufe dagegen mit der Person des »Täufers« verbunden war, macht Mk 1,5 deutlich: Die Vielen, die zu ihm kamen, »wurden von ihm im Jordan getauft, wobei sie ihre Sünden bekannten.« Das Sündenbekenntnis ist dabei Ausdruck der Umkehr (met›noia) und Voraussetzung der Sündenvergebung.103 Man kann 99 Mt 3,2; 4,17: Jesus; 10,7: die Jünger; vgl. Mk 1,15; Lk 10,9; s. o. S. 304 f. Das ≥ggiken könnte auch präsentisch übersetzt werden: »Die Gottesherrschaft ist da«, so wohl in Mk 1,15; s. u. S. 408 Anm. 11. 100 S. o. zu Josephus S. 298 Anm. 4. 101 Zu ¨ bapt‡zwn s. vor allem Mk 1,4; 6,14; baptistfl“: 6,25; 8,28; s. o. S. 300 Anm. 15. 102 Zu bapt‡zesqai in medialer Bedeutung »sich selbst untertauchen« s. 2 Kön 5,14 LXX von Naeman. Vgl. Jdt 12,7–9; Sir 34,25: baptiz·meno“ als Reinigung von Totenunreinheit durch Untertauchen. Dieses in der Tora vorgeschriebene rituelle »Untertauchen« geschah nach bestimmten gesetzlich geregelten äußeren Voraussetzungen, s. dazu den Mischnatraktat Miqwaot; vgl. Stemberger, Einleitung, 122; Deines, Steingefäße, s. Index 319 f. s. v. »Leichenunreinheit«, »Miqwaot«. 103 S. auch Mt 3,6. Matthäus übernimmt in 3,2 aus Mk 1,4 nicht die Formel b›ptisma metano‡a“ e¢“ ±fesin ®martiùn, sondern legt dem Täufer den Imperativ Jesu aus Mk 1,15 metanoeõte und den Hinweis auf die Nähe der Gottesherrschaft in den Mund. Zu Sündenbekenntnis und Vergebung s. 2 Sam 12,13: »David sprach zu Nathan: ›Ich habe gegen JHWH gesündigt.‹ Nathan antwortete David: ›So hat dir auch JHWH deine Sünde vergeben.‹« Vgl. Ps 51; Lk 5,8–10; Apg 19,18; Jak 5,15 f. Zum Sündenbekenntnis des Hohenpriesters und der
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vermuten, daß der Täufer nach einem kollektiven Sündenbekenntnis der Täuflinge die Sündenvergebung zusprach, die dann durch ein Untertauchen im Jordanwasser besiegelt wurde. Daß ein solcher Ritus auf Befehl eines Profeten bei todbringender Krankheit Rettung bringen konnte, zeigt das Beispiel des syrischen Feldherrn Naeman, der aufgrund einer Anweisung Elisas durch siebenmaliges Untertauchen vom Aussatz geheilt wurde.104 Reinigung durch Wasser und Sündenvergebung im eschatologischen Kontext erscheint darüber hinaus in der profetischen Weissagung.105 Über jüdische bzw. judenchristliche »Täufer« haben wir Hinweise aus dem 2. bis 4. Jahrhundert bei Justin, Hippolyt, Epiphanius u. a.,106 doch ist es fraglich, wieweit sie wirklich auf die erste Hälfte des 1. Jahrhunderts zurückgeführt werden können und ob sie mit der Johanneseinzelnen Israeliten am großen Versöhnungstag s. Bill. I, 113 f. Mk 1,5: †bapt‡zonto ≠p’ a§toú schließt die Mithilfe der Jünger bei den Massentaufen nicht aus; s. o. S. 308 Anm. 72. 104 2 Kön 5,14: »Er tauchte siebenmal im Jordan unter …, und sein Leib wurde gesund wie der Leib eines kleinen Kindes, und er wurde gereinigt.« MT: jitbol. Das Verb tābal = bapt‡zesqai erscheint nur hier im Alten Testament. Vgl. auch 2 Kön 6,1–7: Die Profetenjünger Elisas bauen sich am Jordan neue Wohnungen, dort ereignete sich das Wunder des schwimmenden Beils. Daß das Jordanwasser schon in der Mischna als ungeeignet zur Reinigung bei schwerer ritueller Unreinheit galt (mPara 8,10 – s. K. H. Rengstorf, ThWNT VI, 612), mag eine rabbinische Reaktion auf die Bevorzugung des Jordans in jüdischen Taufsekten sein. In den Paralipomena Jeremiae 6,23 (25) ist der Jordan der Ort der Prüfung der aus Babylonien zurückkehrenden Exulanten. Der Gedanke wird weitergeführt in 8,3–5, wo Gott Jeremia auffordert: »Steh auf, du und das Volk, und geht zum Jordan, und du sollst zum Volk sprechen: Wer den Herrn erwählt, der verlasse die Werke Babylons.« Darauf durchzieht das Volk den Fluß. Die Deutung dieser zwei Texte ist kontrovers; s. B. Schaller, JSHRZ I / 8, 736 f.743 f. Den Jordan als die Ostgrenze des verheißenen Landes durchzog Israel vor der Landnahme (Jos 3). Wer »den Weg des Herrn in der Wüste bereiten« wollte (Jes 40,3; s. o. S. 303 Anm. 36), mußte ihn in umgekehrter Richtung überschreiten wie ca. 44 n. Chr. der Pseudoprofet Theudas mit seinen Anhängern (Josephus, ant. 20,97 f.; vgl. Apg 5,36). In der Vita Adae et Evae 6–8 ist der Jordan der Ort eines vierzigtägigen Bußfastens Adams, der bis zum Hals im Wasser steht. Er will damit wieder den Zugang zum Paradies erhalten. In allen diesen Fällen ist der Jordan mit einem »rite de passage« verbunden. Es scheint im 1. Jahrhundert eine soteriologische Jordantypologie gegeben zu haben. Eben darum konnte später für die Rabbinen der Jordan keine religiöse Bedeutung mehr als Reinigungsort haben. 105 Jes 4,4; Ez 36,25; Sach 13,1; vgl. Ps 51,9; Jes 44,3 und dazu Num 8,7; 19,9–22. Bei dem vom Tempel ausgehenden Strom Ez 47,3 LXX ist von einem ædwr üffisew“ (»Wasser der Entleerung«) die Rede, das sich nach Osten, ins Tote Meer, das zu einer Süßwasserzone mit vielen Fischen wird, und nach Galiläa und Arabien ergießt. Es wird später auf die christliche Taufe gedeutet. Vgl. E. Peterson, Die ›Taufe‹ im Acherusischen See, in: ders., Frühkirche, Judentum und Gnosis, Rom u. a. 1959, 327. 106 Justin, dial. 80,4 zählt unter anderem baptista‡ auf. Hegesipp bei Euseb, h.e. 4,22,7 nennt verschiedene jüdische Gruppen, darunter neben »Masbotheern« (abgeleitet von der aramäischen Wurzel sb‛ [eintauchen, taufen]) vor allem »Hemerobaptisten«, die täglich untertauchen; dazu tJad 2,20 (Z. 684) twblj šhrjn, die jeden Morgen, bevor sie den Gottesnamen im Shema‛ aussprechen, ein Tauchbad nehmen; s. auch ConstAp 6,6,5 (Funk 315). PsClem H 2,23,1 bezeichnet sogar Johannes als ™merobaptistfl“, der wichtigste seiner 36 Jünger sei der Samaritaner Simon Magus (!) gewesen. S. auch Epiphanius, haer. 17 (Holl 214 f.); 19,5,7 (223): angeblich eine der sechs jüdischen »Sekten« vor 70. Zuverlässiges kann man aus diesen
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bewegung direkt in Verbindung gebracht werden dürfen. Die früher oft herangezogenen mandäischen Tauftraditionen sollte man beiseite lassen. Sie sind vom nestorianischen Taufritus beeinflußt und sehr viel später. Ein unmittelbarer historischer Bezug zu Johannes dem Täufer und seinen Jüngern läßt sich darin nicht nachweisen. Als zeitgenössische »Parallele« könnte man den Asketen Bannus bezeichnen, den der sechzehnjährige Josephus aufsuchte und bei dem er drei Jahre zugebracht haben will.107 Er lebte in der Einöde und nur von »Nahrung, die von selber wuchs«, trug nur »aus Baum(rinde) verfertigte Kleidung« und »badete Tag und Nacht oftmals im kalten Wasser wegen der Reinheit.« Wenn Josephus sich längere Zeit (vermutlich sporadisch) bei ihm aufhielt, um über die Kenntnis der drei bekannten jüdischen Religionsparteien Pharisäer, Sadduzäer und Essener hinaus rigorose Selbstzucht zu lernen und weitere religiöse Erfahrungen zu sammeln, muß Bannus auch andere Schüler gehabt haben. Die Parallele zum Täufer liegt in der schroffen Askese bei Nahrung und Kleidung und im Leben in der »Einöde« (†rhm‡a), aber nicht in der Tauchbadpraxis. Nach allem, was wir vom Judentum des 1. Jahrhunderts n. Chr. wissen, »kann die Jordantaufe nur als das unmittelbare und persönliche Werk Johannes des Täufers begriffen werden.«108 Das zeigt der erstmals bei ihm auftauchende Beiname, der auf eine aktive Taufverkündigung und einen Taufvollzug im transitiven Sinne hinweist, bei dem die Volksmenge als Zeichen ihrer Umkehr zum Tauchbad aufgefordert wurde, wobei der »Täufer« eine wesentliche Rolle spielte, etwa indem er ein Sündenbekenntnis forderte und eine Absolutionsformel sprach. Der ganze Vorgang wurde vermutlich als endzeitliche »Versiegelung«109 im Blick auf den drohenden Gerichtszorn Gottes und den kommenden Menschensohn-Messias als Weltenrichter verstanden. Man könnte bei diesem einmaligen Akt mit A. Schweitzer von einem »eschatologischen Sakrament« sprechen. Er ist nicht ein bloßes Symbol der Sündenvergebung, sondern ein »Gezeichnetwerden … zur
Nachrichten nicht gewinnen. S. dazu J. Thomas, Le mouvement baptiste en Palestine et Syrie, Gembloux 1935, 33–45. 107 Josephus, vita 11; s. dazu Siegert, Josephus, 26 f. Wahrscheinlich hat er ihn während dieses Zeitraums immer wieder aufgesucht. 108 K. H. Rengstorf, ThWNT VI, 614 (Hervorhebung vom Autor). 109 Zur Versiegelung als göttlicher Bestätigung bzw. Kennzeichnung des Gottesvolkes s. G. Fitzer, Art. sfrag‡“, ThWNT X, 946–954. Im rabbinischen Judentum verweist sie auf die Beschneidung, im frühen Christentum eindeutig seit dem Hirten des Hermas auf die Taufe (sim IX,16,4 [= 93,4]: ™ sfragÑ“ … tÖ ædwr †st‡n: »ins Wasser steigen sie tot hinab und lebendig empor«). In ParJer 6,23 (vgl. 8,2 f.) ist die Prüfung der Exulanten »aus dem Wasser des Jordans« das »Zeichen des großen Siegels«, s. o. S. 314 Anm. 104. Nach PsSal 15,6 tragen die Gerechten tÖ shmeõon toú qeoú … e¢“ swthr‡an. Vgl. V. 9 und schon Ez 9,4.6: das bewahrende shmeõon auf der Stirn.
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III. Jesus der Galiläer und Johannes der Täufer
Errettung«110, das freilich nicht einfach ex opere operato wirkt, sondern als Konsequenz zu einem ethischen Verhalten führen muß, das »Früchte« hervorbringt, »die der Umkehr würdig sind«.111 Angesichts des kommenden Richters und von Gottes Zorn gilt auch die bloße Berufung auf die Abrahamskindschaft nicht mehr: »Gott kann dem Abraham aus diesen Steinen Kinder erwecken.« Sollte damit angedeutet sein, daß sich Gott auch Nichtisraeliten zuwenden kann?112 Hier klingt ein Motiv an, das bei Jesus und Paulus wieder auftaucht, 113 aber schon in profetischen Texten des Alten Testaments eine Rolle spielt: Gott ist in seinem richtenden und erwählenden Handeln souverän.114 Noch ein weiterer Zug ist wesentlich: Das Wirken des Täufers setzt einen Konflikt mit dem Tempelkult und der diesen beherrschenden Priesteraristokratie voraus. Die Vergebung der Schuld war ja im Judentum an kultische Institutionen gebunden. Dies gilt vor allem für den hochpriesterlichen Ritus am großen Versöhnungstag, aber überhaupt für alle Opferarten, durch die »ein israelitischer Sünder … seine Sündensphäre am Heiligtum loswerden kann«115, wobei die Wirksamkeit des Opfers mit dem Willen zur Umkehr bzw. zur Wiedergutmachung verbunden sein mußte. Für den Täufer sind wie in Qumran, in apokalyptischen Texten und im Urchristentum alle Menschen, auch Israel selbst, »von Sünden befleckt, voll von Fehlern und von Schuld belastet«, und müssen darum »Gottes Gericht fürchten«.116 Wie in Qumran die Überwindung der Sündenmacht, die von Gott trennt, Umkehr, Eintritt in die Heilsgemeinde und vollkommenen Gesetzesgehorsam erfordert, aber ohne Bezug auf den offiziellen Kult in Jerusalem geschieht, so verkündigt der Täufer angesichts des nahenden Gerichts Rettung durch Umkehr, Jordantaufe mit Sündenvergebung und die Frucht eines neuen Gehorsams. Für den Priestersohn aus der Ordnung Abia spielte der Kult offenbar keine wesentliche Rolle mehr, und breite Volksmassen vertrauten seiner Bußpredigt mehr als dem offiziellen Opferdienst in Jerusalem und ließen sich von Johannes im Jordan taufen und Vergebung zusprechen, während ihn die religiösen Führer des Volkes ablehnten.
110 A.
Schweitzer, Reich Gottes und Christentum, hg. v. U. Neuenschwander, Tübingen 1967, 83. Zum Begriff des »eschatologischen Sakraments« s. auch A. Schweitzer, GLJF, 422 ff. und ders., Straßburger Vorlesungen, hg. v. E. Gräßer und J. Zürcher, München 1998, 88.149. 111 Lk 3,8 (vgl. Mt 3,8): poiflsate oên karpoÜ“ üx‡ou“ tö“ metano‡a“. 112 Lk 3,8 f. = Mt 3,9 f.; s. auch o. S. 303 Anm. 37 f. Es könnte sich um ein Wortspiel handeln: bānîm / b e najja – ’ abānîm / ’abnajjā. 113 Vgl. Lk 13,28 = Mt 8,11 f.; Lk 19,9; Joh 8,39 f.; Röm 4; Gal 3,6–9. 114 Vgl. Ex 32,9 f.; Am 9,7–10; Jer 2,9–25; 8,4–13. 115 K. Koch, Art. afj, ThWAT II, 867 f. 116 4 Esra 7,68 ff.; ähnlich 7,46.48; 8,35, Übersetzung nach J. Schreiner, Das 4. Buch Esra, JSHRZ V / 4, Gütersloh 1984, 351; weiter Paulus Röm 3,9–20.23 u.ö.
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Dabei konnte er an die alte Verbindung von profetischer Kultkritik und ethischer Forderung anknüpfen. Seine Botschaft und die damit verbundene Taufpraxis hat er wohl aus einer besonderen, ihm von Gott gegebenen profetisch-endzeitlichen Vollmacht abgeleitet. Lukas führt ihn daher wie einen alttestamentlichen Profeten ein (3,1 f.): »Im fünfzehnten Jahr der Herrschaft des Tiberius … erging das Wort des Herrn an Johannes, den Sohn des Zacharias …«. Daß er ein Profet sei, war, im Gegensatz zu den Jerusalemer Autoritäten, die Überzeugung der Volksmenge und in pointierter Weise auch die Jesu und der Urgemeinde.117 Hier erschien er als der letzte Profet. Eine Parallele dazu ist, freilich in einem ganz anderen Kontext, die Sammlung der Qumrangemeinde durch den Lehrer der Gerechtigkeit im 2. Jahrhundert v. Chr. Dies legt die Vermutung nahe, daß nicht erst die Urgemeinde und Jesus, sondern Johannes selbst sein Wirken im Lichte des letzten Wortes der Profetenbücher verstand:118 »Siehe, ich sende euch Elias, den Profeten,
bevor der Tag JHWHs kommt, der große und furchtbare.« »Siehe, ich sende meinen Boten, daß er den Weg vor mir bereite.«
Hinzu tritt die spätere Auslegung: »Von dir (Elias) steht geschrieben,
du stehst bereit für die Frist, um den Zorn zu beschwichtigen, ehe er entbrennt.«119
Auch in verschiedenen Qumranfragmenten finden sich Anspielungen, die auf eine lebendige eschatologische Eliaserwartung hinweisen.120 Die Autorität, mit der Johannes auftritt, und die Wirkung seiner eschatologischen Predigt auf das Volk würden sich am ehesten aus einem Zusammenhang mit der Erwartung des Elias redivivus erklären. Dies gilt um so mehr, als in der frühjüdischen Haggada Elia als priesterliche Gestalt hervorgehoben wurde.121 Mk 11,27–33 = Lk 20,1–8 = Mt 21,23–27, s. o. S. 173 f.337 ff. 3,23 und dazu 3,1. 119 Sir 48,10. Zu Elias s. J. Jeremias, Art. ûHl(e)‡a“, ThWNT II, 930–943: So »verdient die These Erwägung, daß der Täufer sich selbst als den wiederkehrenden Elias gewußt habe« unter Verweis auf Klausner, Jesus, 333 ff. (938). Jeremias lehnt zwar diese Vermutung unter Verweis auf Joh 1,21.25 ab, aber dieser Text, der den Synoptikern offen widerspricht, ist deutlich sekundär; s. o. S. 307. Dagegen deutet schon Lk 1,16 f. darauf hin, daß die Täuferüberlieferung ihren Meister zu Elias in Beziehung setzte; s. o. S. 302 Anm. 33. 120 Zimmermann, Texte, s. Index s. v. Elia 532 und 517 zu Mal 3,23. Vgl. besonders 4Q558, op. cit., 413–415 und 4Q521 fr. 2 III, 2; op. cit., 366–369. 121 Bill. IV, 462.781 f.789 ff.; Hengel, Zeloten, 167–175 zu seiner Identifikation mit Pinchas, dem Sohn Aarons, als himmlischem Hohenpriester, vgl. nächste Anmerkung. Zu Elia als Priester und endzeitlichem Richter in den Vitae Prophetarum s. Schwemer, Prophetenlegenden II, 227–234.241–246. 117
118 Mal
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III. Jesus der Galiläer und Johannes der Täufer
In diese Richtung weist auch die eigenartige Kleidung des Täufers Mk 1,6. Die nächste Parallele dazu ist die Tracht Elias: »ein Mann mit einem härenen Gewand und einem Ledergürtel.«122 Die sonderbare Speise »Heuschrecken und wilder Honig«123 ist einmal Ausdruck radikaler Sorg‑ und Bedürfnislosigkeit, die sich damit begnügt, was Gottes Schöpfung ohne menschliches Zutun in der »Wüste« gewährt.124 Zugleich war die schroffe asketische Haltung ein Zeichen permanenter Bußgesinnung. Der Täufer ging hier mit einem auffallenden »guten Beispiel« voran. Für die Täuferjünger war darum häufiges Fasten wesentlich, was zu einer Anfrage bei Jesus führt.125 Bezeichnend ist, daß Lukas den Hinweis auf die absonderliche Kleidung und Speise des Täufers streicht, weil er auf Theophilos eher abstoßend wirken könnte. Er begnügt sich mit Jesu Hinweis auf den radikalen Asketen 7,33, den Mt 11,18 noch verschärft. Im Blick auf die Taufe im Jordan zur Vergebung der Sünden ist zu beachten, daß das griechische b›ptein und sein Intensivum bapt‡zein unter anderem auch die negative Bedeutung »untergehen«, »ertrinken«, »überflutet werden« hat.126 Dies gilt ganz vereinzelt für die Septuaginta und vor allem für Josephus.127 Ohne 122 2 Kön 1,8; vgl. den Mantel Elias 1 Kön 19,13.19; 2 Kön 2,8.13 f. Dieser ist nicht einfach das Profetengewand, Sach 13,4, sondern seine einzigartige, wirkungsmächtige Kleidung. S. die Übereinstimmung von 2 Kön 1,8 LXX mit Mk 1,6 = Mt 3,4 und dazu Davies / Allison, Matthew I, 295 f. Der Täufer trat nicht als irgendein Profet oder namenloser ›Rufer in der Wüste‹ auf. Sein Wirken war von Anfang an mit alttestamentlich-apokalyptischen Assoziationen verbunden; s. auch Hengel, Nachfolge, 39 Anm. 71 = KS V, 76 Anm. 124. Man sollte nicht übersehen, daß im 1. Jahrhundert Elia als Hoherpriester der Endzeit verstanden werden konnte; s. J. Jeremias, ThWNT II, 934 f. und Hengel, Zeloten, 167–172. 123 Mk 1,6 = Mt 3,4, dazu Davies / Allison, Matthew I, 296 f. Zum Anstoß s. Lk 7,33 = Mt 11,18; zum Verzicht auf Weingenuß von Kindheit an wie bei den Nasiräern Lk 1,15. J. A. Kelhoffer, The Diet of John the Baptist, WUNT II / 176, Tübingen 2005, 10 ff. weist in seiner gründlichen Arbeit auf den Unterschied zwischen Mk 1,6c und Mt 3,4c hin: Bei Markus besteht die Möglichkeit, daß Johannes noch andere Speisen zu sich nimmt (én … †sq‡wn …); Matthäus spricht dagegen von seiner Nahrung (troffl); vgl. auch den Unterschied zwischen Lk 7,33 und Mt 11,18. 124 Vgl. zu Elia 1 Kön 17,3 f.; 19,4–8, weiter das Beispiel des Bannus, Josephus, vita 11: trofÉn dÇ tÉn a§tom›tw“ fuomfinhn. Für den judenchristlichen Enkratismus des 2. Jahrhunderts wurden die »Heuschrecken« anstößig, da sie nicht vegetarisch waren. Das Ebionäerevangelium nach Epiphanius, haer. 30,13,7 f. ersetzt sie offenbar durch einen »Kuchen in Öl« (†gkr‡“ statt ükr‡“). Das Diatessaron sprach deshalb von »Milch und Berghonig«, s. Bauer, Leben Jesu, 102 f.; Davies / Allison, Matthew I, 296 f. 125 Mk 2,18 ff. = Lk 5,33 ff. = Mt 9,14 ff.; vgl. Lk 7,33. Bei Markus fragen Täuferjünger und Pharisäer, bei Lukas die Pharisäer und die Schriftgelehrten im Anschluß an die vorhergehende Diskussion 5,30, bei Matthäus nur die Täuferjünger. Lukas und Matthäus möchten eine gemeinsame Aktion von Täuferjüngern und Pharisäern vermeiden. 126 LSJ, 305 f. S. dazu die Belege bei Bauer / Aland, WB, 265 f. unter bapt‡zw. 127 Vgl. z. B. Jes 21,4: ™ ünom‡a me bapt‡zei: Die Gesetzlosigkeit ertränkt oder durchtränkt mich; Hiob 9,31 Aquila: †n diafqorô bapt‡sei“ me. Ps 9,16, s. Field, Origenis Hexapla z. St.: ±llo“: †bapt‡sqhsan = (»die Völker«) versinken; Ps 68,5 z. St. Symmachus. Zu Josephus: bell. 1,437: Herodes läßt seinen Schwager, den jungen Hohenpriester Aristobul III., von
§ 9 Johannes der Täufer
319
Parallele ist jedoch die Formel b›ptisma baptisqönai, die wir im Munde Jesu in Mk 10,38 und Lk 12,50 finden in der außergewöhnlichen Bedeutung »den Untergang«, »die Todestaufe« erleiden, wobei das Substantiv b›ptisma überhaupt erst in urchristlichem Sprachgebrauch erscheint. Die frühesten Belege sind Röm 6,4 und Kol 2,12, wo beide Male das Motiv des Begrabenwerdens bzw. des Todes im Zusammenhang mit dem Substantiv begegnet.128 Es ist eigenartig, daß diese Formel b›ptisma baptisqönai im Sinne von der »Todestaufe« nur im Munde Jesu erscheint. Könnte sie auf täuferischen Sprachgebrauch zurückgehen und bedeuten, daß durch die Taufe im Jordan der sündige Mensch »untergegangen« ist? Dies würde der Johannestaufe einen tiefen Sinn geben und erklären, warum sie nach Ostern von den Christen, jetzt »im Namen Jesu«, weitergeführt wurde.
Galatern seiner Leibwache im Swimmingpool in Jericho ertränken; 2,556; 3,368.423.525.527; ant. 9,212; vita 15: der Untergang des Schiffes des Josephus in der Adria. 128 Das mittelhebräische bzw. aramäische Äquivalent wäre tebîlāh bzw. tebîlûtā’ / tîbbûlā’, s. Jastrow, Dictionary, 516 f.529: dipping, immersion, bathing.
§ 10 Jesus und sein »Vorläufer« 10.1 Die Taufe Jesu Ein grundlegendes Traditionsstück, das später Schwierigkeiten bereitete und darum ursprünglich ist, bildet die Taufe Jesu durch Johannes. Sie wird uns Mk 1,9–11 überliefert und von diesem abhängig in Mt 3,13.16 f. Dagegen hat Lk 3,21 f. nur einen knappen, von der Wirksamkeit des Täufers durch den Hinweis auf dessen Verhaftung abgesetzten Taufbericht. Obwohl das Urchristentum von Anfang an die messianische Sündlosigkeit Jesu postulierte, hielten die Synoptiker am Faktum der Taufe Jesu fest. Man war sich jedoch der theologischen Schwierigkeit dieses Vorgangs bewußt. Um die Anstößigkeit zu mindern, läßt Lukas die Gestalt des Täufers weg und schreibt: »als Jesus getauft worden war und betete.« Matthäus hat nicht nur den Hinweis getilgt, daß die Taufe »zur Vergebung der Sünden« geschah, er fügt auch 3,14 f. einen Dialog Jesu mit dem Täufer ein, wobei dieser den Wunsch Jesu zunächst zurückweist mit der Begründung, er, Johannes, müßte von Jesus getauft werden. Erst auf Jesu Erklärung: »Es ziemt uns, alle Gerechtigkeit (das heißt den ganzen heilvollen Gotteswillen) zu erfüllen«, willigt er ein. Das Johannesevangelium übergeht die Erzählung der Taufe Jesu, setzt aber das Geschehen voraus, und in dem apokryphen Hebräerevangelium weist Jesus die Aufforderung seiner Mutter und Brüder, sich gemeinsam taufen zu lassen, zurück: »Was habe ich gesündigt, daß ich hingehen soll, um von ihm getauft zu werden …?« Für Markus ist die Taufe Jesu zugleich die »Messiasweihe«. Jesus erhält unmittelbar nach dem Untertauchen den Geist Gottes und wird durch Gott selbst Das
Problem, daß diese Taufe zur Vergebung der Sünden geschah und ein Sündenbekenntnis voraussetzte, focht Markus nicht an; vgl. jedoch Paulus, 2 Kor 5,21; Röm 8,3 f. zur Sündlosigkeit Jesu. Die Sündlosigkeit war von Anfang an ein Grunddatum der Christologie. Lk 3,21: ûIhsoú baptisqfinto“ kaÑ proseucomfinou und läßt das ≠pÖ ûIw›nnou Mk 1,9 weg. In Mt 3,13 kommt Jesus zum Täufer, »um von ihm getauft zu werden«. Diese Szene wird noch im Ebionäerevangelium gesteigert; s. Epiphanius, haer. 30,13,7 f. = Aland, Synopsis, 27. Zur theologischen Bedeutung von Mt 3,15 für das Evangelium s. Deines, Gerechtigkeit, passim. Joh 1,32–34; Hieronymus, contra Pelag. 3,2 = Aland, Synopsis, 27.
§ 10 Jesus und sein »Vorläufer«
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angesprochen. Er allein sieht, daß sich der Himmel spaltet und der Geist Gottes »wie eine Taube« zu ihm (e¢“ a§t·n) herabkommt. Gleichzeitig ertönt eine Himmelsstimme: »Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen gefunden.« Die Anrede an Jesus als Gottessohn ist hier mit Ps 2,7 Ausdruck messianischer Erwählung. Sie wird mit dem Wort vom Gottesknecht Jes 42,1 verbunden: »Siehe mein Knecht, … mein Erwählter, an dem ich Gefallen gefunden habe: Ich habe meinen Geist auf ihn gelegt.« Als der Sohn, der Gesalbte Gottes und Gottesknecht ist Jesus der Geistträger schlechthin. Die exemplarische, unüberbietbare Begabung mit dem Geist gilt im Judentum sowohl für den »königlichen« wie für den »profetischen« Gesalbten. Es wäre falsch, hier einen Gegensatz konstruieren zu wollen. Daß diese ungewöhnliche Erzählung erhalten wurde, ja bei Markus, Matthäus und Lukas die hervorgehobene Bedeutung des Auftakts zur Wirksamkeit Jesu besitzt, hängt damit zusammen, daß sie – analog zu den Profetenberufungen des Alten Testaments – als Berufung Jesu in sein messianisches Amt verstanden wurde. Das heißt, die Tauferzählung berichtet die »Berufungsvision«, durch die Jesus seine Erwählung von Gott erfährt und für seine messianische Aufgabe bestimmt wird. »Ehe Jesus den Ruf an andere richtete, wurde er selbst berufen.«10 Die bewußte Beschränkung des Vorgangs auf Jesus durch das »er sah« und die Anrede nach Ps 2,7 »du bist …« bei Mk 1,10: eèden scizomfinou“ toÜ“ o§rano‚“. Lk 3,21 hat dafür ünewcqönai, vgl. Jes 64,1:
†Ån üno‡xÔh“ tÖn o§ran·n, und Mt 3,16 ist von ihm abhängig. Dasselbe gilt von baptisqe‡“ / baptisqfinto“ und †p’ a§t·n gegen Markus e¢“ a§t·n. Mk 1,11: vgl. Ps 2,7 und Jes 42,1; dazu 44,2. Codex D und andere westliche Zeugen bringen in Lk 3,22 den ganzen Vers Ps 2,7, ebenso Justin, dial. 88,8; 103,6. Das Ebionäerevangelium nach Epiphanius, haer. 30,13,7 f. kombiniert Ps 2,7 und Jes 42,1; s. Aland, Synopsis, 27. Zum Messias als paradigmatischem Träger des Geistes Gottes s. auch Jes 11,1–5; 61,1 ff. Von einer zusätzlichen Lichterscheinung bei der Taufe berichten Justin, dial. 88,3, zwei altlateinische Evangelienhandschriften in Mt 3,15, das Ebionäerevangelium nach Epiphanius und das Diatessaron; s. Bauer, Leben Jesu, 134 ff. Bauer referiert auch über die frühchristliche und gnostische Reflexion zur Taufe Jesu, die der Alten Kirche erhebliches Kopfzerbrechen bereitete (110–141). Zur Gottessohnschaft des davidischen Königs, die im Judentum auf den Messias bezogen wurde, s. Ps 2; Ps 89; 2 Sam 7, auch Mk 1,1: ûIhsoú Cristoú u´oú qeoú und wieder Mk 14,61; dazu Hengel, Sohn Gottes; zum Sohn Gottes in Qumran s. Zimmermann, Texte, s. Index 540 s. v. »Sohn Gottes«. Vgl. 1 Sam 10,1 ff.; Jes 11,2: »Auf ihm wird ruhen der Geist des Herrn« (ünapa‚setai †p’ a§t·n; vgl. Lk 3,22 = Mt 3,16 und Joh 1,32: ≤meinen †p’ a§t·n); Jes 61,1; vgl. 42,1; 44,2 und vor allem den mšyh hrwh, den »Geistgesalbten« in 11QMelch II 1, dazu Zimmermann, Texte, 389–412 (391 ff.410 f.), der sich auf den »Freudenboten« von Jes 52,7 und auf Daniel (9,26 oder 12,4) bezieht, hinter dem Jes 61,1 f. steht, ein Text, der auch für Jesus bedeutsam ist; s. u. S. 333 u. ö. 10 Neugebauer, Versuchung, 2. Dagegen widerspruchsvoll Hahn, Theologie I, 51: »Für ein ›Berufungserlebnis‹ Jesu läßt sich die Tauferzählung … nicht auswerten. Der Bericht über Jesu Taufe ist in seinen unterschiedlichen Fassungen viel zu stark christologisch überlagert. … Gleichwohl ist festzuhalten, daß die Taufe Jesu durch Johannes Voraussetzung seines eigenen Wirkens war.«
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III. Jesus der Galiläer und Johannes der Täufer
Markus bedeutet, daß dieser Vorgang allein Jesus betraf und die anderen nichts wahrnahmen. Sie steht so schon unter dem Vorzeichen des »Messiasgeheimnisses«.11 Es ist naheliegend zu vermuten, daß Jesus wirklich bei der Taufe durch Johannes ein visionäres Berufungserlebnis hatte, das seinem Leben eine völlig neue Richtung gab. Mit der Taufe Jesu im Jordan ist der Grund gelegt zu seinem öffentlichen »messianischen« Wirken. Spuren derartiger visionärer Erlebnisse Jesu bzw. des engsten Jüngerkreises begegnen uns in dem Jesuswort Lk 10,18, der Seewandelerzählung (Mk 6,49 f.), der Verklärungsgeschichte (9,2 ff.) und vielleicht auch im Versuchungsbericht.12 Die Jesustradition der Urgemeinde, die uns erstmals bei Markus begegnet, wußte, daß Jesu profetisch-messianisches Wirken hier seinen Ursprung besaß; darum hat sie die Taufe Jesu durch Johannes, trotz der damit verbundenen Schwierigkeiten, nicht verdrängt. An sich hätte Markus eine Beauftragung Jesu unmittelbar vor 1,15 ohne Hinweis auf die Taufe durch Johannes berichten können. Dem Evangelium würde ohne die Vorgeschichte vom Wirken des Täufers nichts fehlen. Aber das Gewicht dieses Ereignisses und die Bedeutung des Johannes für Jesus und das Urchristentum war zu groß. Man konnte und wollte sein Wirken als die ürcÉ toú e§aggel‡ou ûIhsoú Cristoú (Mk 1,1) nicht übergehen.
10.2 Jesu Auftreten in Galiläa, die Versuchungserzählung und seine Trennung vom Täufer Zwischen der Taufe Jesu und dem Beginn seines öffentlichen Wirkens in Galiläa liegt nach Mk 1,14 die Verhaftung des Täufers durch Herodes Antipas. Dadurch will Markus grundsätzlich zwischen der abgeschlossenen Wirksamkeit des Vorläufers und dem Auftreten des Messias trennen.13 Zur Überbrückung hat er zuvor die 40tägige Versuchung Jesu in der »Einöde« oder Wüste eingeschoben. Der eben 11 Erst beim zweiten Ergehen der Himmelsstimme Mk 9,7: »Dieser ist …«, vernehmen sie auch die Jünger. Matthäus verwandelt schon 3,17 das »Du« in ein »Dieser«, damit werden alle Anwesenden angesprochen. Lk 3,22 behält das »Du« bei, doch setzt das Herabkommen des Geistes in »körperlicher Gestalt wie eine Taube« voraus, daß sie von allen gesehen wird. Nach Joh 1,32 ff. sieht der Täufer »den Geist wie eine Taube vom Himmel herabkommen und auf ihm (das heißt Jesus) bleiben« und hört Gottes Zeugnis »dieser ist der, der mit heiligem Geist tauft«. Dadurch kann er selbst Jesus als »Gottes Lamm« (1,29.36) und als den »Auserwählten Gottes« bezeugen (1,34: ¨ †klekt·“; zur Diskussion um diese varia lectio s. Metzger, Textual Commentary, 200). 12 Lk 4,1–13; Mt 4,1–11; vgl. Mk 1,12 f. zu den Tieren und zum Dienst der Engel gegenüber dem hungernden Jesus. 13 S. o. S. 307 f. Lukas trennt noch schärfer: 3,19 f. Verhaftung; V. 21 f. Taufe Jesu; 4,1–13 Versuchung; 4,14 Rückkehr »in der Kraft des Geistes« nach Galiläa. Matthäus berichtet die Verhaftung des Täufers erst nach der Versuchung 4,12 f.; Jesus zieht sich darauf nach Galiläa zurück, verläßt Nazara und wohnt in Kapernaum, s. o. S. 280 Anm. 31 und S. 282 f.
§ 10 Jesus und sein »Vorläufer«
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empfangene Geist »treibt« ihn dorthin. Dahinter mag bei Markus die Vorstellung vom »neuen Adam« stehen: In der Wüste wirkt er den Tierfrieden, weist die Versuchung durch Satan zurück und wird von den Engeln wunderbar versorgt.14 Im Evangelium setzt sich dieses Motiv fort: Der Menschen(‑ und Gottes)sohn überwindet die Dämonen, Krankheit und Tod, vergibt Sünde, speist hungrige Menschen, stellt die gestörte Schöpfungsordnung der Ehe wieder her und verkündigt, ja verkörpert Gottes Gegenwart. Der Ruf in den messianischen Dienst beginnt mit einer übermenschlichen Bewährungsprobe, die nach biblischen Vorbildern gestaltet ist. Lukas und Matthäus sind Markus mit diesem Schema gefolgt, erzählen aber ausführlicher von der Versuchung.15 Vermutlich ist auch hier Matthäus von Lukas beeinflußt.16 Diese Versuchungsberichte sind aufgrund ihrer theologisch geformten Erzählstruktur nicht mehr auf einen »historischen Kern« befragbar. Vielleicht stand hier ein weiteres visionäres Erlebnis Jesu am Beginn seines Wirkens. Auch ein Rückzug in die Einsamkeit nach seiner Taufe wäre gut vorstellbar. Der Bericht reflektiert die Bestimmung des Weges des von Gott Bevollmächtigten. Die 40 Tage mit Fasten entsprechen der Offenbarungszeit Moses auf dem Sinai und der Wanderung des Elia zum Offenbarungsberg.17 Die Versuchungserzählung, von alttestamentlichen Zitaten und Anspielungen geprägt, ist kunstvoll komponiert und zeugt von jenem Dualismus, den Jesus mit weiten Teilen des Judentums und der Urgemeinde teilt. Das Stichwort »versuchen« findet sich bei den Synoptikern noch mehrfach im Zusammenhang mit den Gegnern, die Jesus eine Falle stellen wollen;18 in der kleinen Abschiedsrede Lk 22,28 ff. spricht Jesus davon, daß die Zwölf »mit mir in meinen Prüfungen ausgeharrt haben« und er ihnen daher die Teilhabe am Mahl in der Gottesherr14 Mk 1,12 f. Das harte Verb †kb›llein wird von Markus elfmal für Dämonenaustreibungen verwendet; Gen 3,24 umschreibt es die Verbannung aus dem Paradies, s. Bauer / Aland, WB, 477: »hinauswerfen, hinaustreiben mehr od(er) weniger gewaltsam«. Die Wüste ist für das Judentum nicht nur der Ort göttlicher Offenbarung wie bei Mose und Israel am Sinai, sondern auch der gottfeindlichen Mächte. Lk 11,24 = Mt 12,43; Lev 16,10; Tob 8,3; TgJer I Dtn 37,10; bSukka 52b; s. G. Kittel, ThWNT II, 655 Anm. 1; Davies / Allison, Matthew I, 154. Zum Motiv des »neuen Adam« s. R. Pesch, Mk I, 95 f.: mit reichen jüdischen Belegen. Zum Tierfrieden s. J. Dochhorn, Die Apokalypse des Mose, TSAJ 106, Tübingen 2005, 304 f. S. auch Ps 8,5–7; Jes 11,6–9; Hebr 2,5–8; 1 Kor 15,45 und u. S. 529 f.532 zum Menschensohn. 15 Vgl. Lk 4,1–13 = Mt 4,1–11; dazu Hebr 4,15. S. auch Neugebauer, Versuchung. 16 S. Hengel, Gospels, 166. Die Lukas-Version ist eindeutig die ursprünglichere. Sie hat – jüdischer Erwartung gemäß – ihren Höhepunkt im Beglaubigungswunder des GottessohnMessias auf der Tempelzinne vor dem Volk. Matthäus stellt um und setzt die Versuchung der Weltherrschaft ans Ende. Dies entspricht seinem Schluß 28,18 und bildet zu diesem eine kontrastierende inclusio. Ein Motiv dafür, daß Lukas die matthäische Ordnung umgestellt haben sollte, ist nicht erkennbar. 17 Ex 24,18; vgl. Elia in 1 Kön 19,5–8 mit dem Engelmotiv; Gen 7,12: die Dauer der Sintflut; Apg 1,3: Offenbarungszeit des Auferstandenen; zum Fasten Moses s. Ex 34,28; Dtn 9,9; Bill. I, 150 f. 18 Mk 8,11; 10,2; 12,15; Lk 10,25 u. ö.; vgl. 1 Kor 10,9.
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III. Jesus der Galiläer und Johannes der Täufer
schaft zusagt.19 Die Sache selbst begegnet uns wieder in Gethsemane, darum hat Lukas am Ende den Hinweis: »Der Teufel ließ ab von ihm bis zu gegebener Zeit« (Lk 4,13). Matthäus verstärkt in seiner Versuchungserzählung die Parallelen zur Passion und Auferstehung Jesu.20 Bei Johannes ist dagegen für eine Versuchung Jesu kein Raum mehr.21 Deutlich spricht aus der lukanischen Erzählung auch die kritische Auseinandersetzung der judenchristlichen Gemeinde mit dem politischen Messianismus im jüdischen Palästina, der seit dem Tode des Herodes 4 v. Chr. und dem Auftreten des Judas Galiläus beim Steuerzensus 6 n. Chr. aufblühte und sich nach dem Tode König Agrippas I. 44 n. Chr. noch verstärkte. Der Teufel fordert, Jesus solle die Weltprobleme lösen: Steine in Brot verwandeln und damit den Hunger beseitigen, ja, die Weltherrschaft übernehmen und sich Israel von der Tempelzinne aus durch ein Schauwunder als Messias diabolicus erweisen. »Brot und Spiele« beherrschen die Welt. Bei Johannes22 haben wir Hinweise darauf, daß Jesus und der Täufer eine gewisse Zeit nebeneinander wirkten, und weiter darauf, daß die ersten Jünger aus dem Täuferkreis kamen und zu Jesus übergingen. Möglicherweise hat hier Johannes in seine widersprechende Darstellung23 den Gegensatz zwischen der Tauftätigkeit der Täufergemeinde und der Christen eingetragen: Es bleibt jedoch wahrscheinlich, daß Jünger Jesu, wie Andreas,24 aber auch andere, aus dem Jüngerkreis des Täufers stammen. Dagegen, daß Jesus selbst längere Zeit ein Täuferjünger gewesen ist, spricht seine Berufungsvision bei der Taufe und seine betonte Selbständigkeit gegenüber dem Täufer.25 Wir durchschauen aber diese Übergangszeit zwischen der Taufe im Jordan und dem Wirken Jesu in Galiläa nicht mehr. Es mag hier vor dem ersten öffentlichen Auftreten eine Zeit der Selbstbesinnung und Selbstprüfung liegen, von der wir nur Andeutungen haben. Zu groß wird dieser Zeitraum nicht gewesen sein, wie überhaupt sich weder
19 Lk
22,28: ßUmeõ“ dfi †ste o´ diamemenhk·te“ met’ †moú †n toõ“ peirasmoõ“ mou. Für Matthäus ist in der Passionsgeschichte wesentlich, daß Jesus dort wieder jede wunderbare Selbsthilfe zurückweist: Mt 26,53; vgl. auch die Verspottungsszene 27,40, wo er gegenüber Markus ergänzt: e¢ u´Ö“ eè toú qeoú. S. dagegen den Erweis seiner göttlichen Allmacht im Sendungsbefehl 28,19 f. 21 Sie wird nur noch angedeutet und umgebogen in Joh 12,27 ff. In Gethsemane erfolgt sofort die Verhaftung 18,1 ff. 22 Joh 1,35 ff. und 3,22 ff.; 4,1 f. 23 Vgl. 3,22 und 4,1 f. Hier könnte vielleicht die Hand eines Schülers und Korrektors sichtbar werden; vgl. das »wir« Joh 21,24. Der Zusatz weist auf Diskussionen in der johanneischen Schule hin. 24 Joh 1,40. S. o. S. 309 und u. S. 359. 25 S. dazu etwas überscharf pointiert J. Ernst, War Jesus ein Schüler Johannes’ des Täufers, in: H. Frankemölle / K. Kertelge (Hg.), Vom Urchristentum zu Jesus. Festschrift J. Gnilka, Freiburg etc. 1989, 13–33. S. auch o. S. 308 Anm. 74 den Hinweis von F. Neugebauer. 20
§ 10 Jesus und sein »Vorläufer«
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die Wirksamkeit des Täufers noch die Jesu über einen allzu langen Zeitraum erstreckt haben kann. Beide forderten den tödlichen Konflikt heraus.26 Der grundlegende Unterschied zwischen Jesus und dem Täufer wird bei seinem Wirken in Galiläa deutlich, das Markus ab 1,15 ff. schildert. Johannes verlegt zwar dasselbe stärker nach Judäa, man wird jedoch mit den Synoptikern an dem Schwerpunkt in Galiläa kaum zweifeln können, zumal auch Joh 1,43 ff. und 2,1–12 von einem ersten Auftreten Jesu dort erzählt, freilich dann verschiedene Jerusalemreisen zu den großen Festen berichtet.27 Daß Jesus mehrfach Feste in Jerusalem besucht hat, wird dadurch nahegelegt, daß er nach Markus28 Freunde in Bethanien hatte, bei denen er übernachtete, und daß er in der Heiligen Stadt nicht unbekannt war.
10.3 Gemeinsamkeiten Jesu mit der Täuferpredigt und Unterschiede: Der Bußruf an Israel und die Nähe des Gerichts29 Alle vier Evangelisten verbinden Jesus aufs engste mit dem Täufer, ganz gleich, ob dieser als letzter endzeitlicher Profet, als Elias redivivus, Vorläufer und Märtyrer – so bei den Synoptikern – oder als erster Zeuge – so bei Johannes – erscheint. Matthäus legt ihm sogar dieselbe Botschaft in den Mund, mit der er, seine Markus-Vorlage verkürzend, Jesu Verkündigung zusammenfaßt: »Kehrt um, denn die Gottesherrschaft ist nahe.«30 Markus formuliert ausführlicher: »Die Zeit ist erfüllt und die Gottesherrschaft ganz nahe. Kehrt um und glaubt der frohen Botschaft!«31 Dies ist nach Mk 1,14 »Gottes frohe Boschaft« (e§aggfilion toú qeoú), weil Jesus an Gottes Stelle spricht und handelt, weil in ihm Gott selbst zu seinem Volk kommt. Mit der Aufforderung »kehrt um!« (metanoeõte) tritt Jesus nach den Synoptikern in 26 S. u.
S. 330.344.346. 2,13: Passa; 5,1: ungenanntes Fest, vermutlich Sukkot; 6,4: Passa in Galiläa (nicht in Jerusalem); 7,2: Sukkot; 10,22: Chanukka; 11,55 u. ö.: Todespassa. 28 Mk 11,11 f.; 14,3; vgl. 11,3; 14,13 ff. Jesus zeigt sich mit den Jerusalemer Verhältnissen vertraut. S. u. S. 346.556. 29 M. Reiser, Die Gerichtspredigt Jesu. Eine Untersuchung zur eschatologischen Verkündigung Jesu und ihrem frühjüdischen Hintergrund, NTA NF 23, Münster 1990; B. H. Gregg, The Historical Jesus and the Final Judgment Sayings in Q, WUNT II / 207, Tübingen 2005. 30 Mt 3,2 wörtlich gleichlautend bei Jesus: 4,17, die Vorlage ist Mk 1,15; vgl. auch die Verkündigung der Jünger Mt 10,7 = Lk 10,9. Zum Ganzen o. S. 304 f. Irenäus macht ihn, der mehr ist als ein Profet (Mt 11,9 = Lk 7,26), konsequenterweise zum ersten Apostel: adv. haer. 3,11,4. 31 Mk 1,15: peplflrwtai ¨ kairÖ“ kaÑ ≥ggiken ™ basile‡a toú qeoú: metanoeõte kaÑ piste‚ete †n tù e§aggel‡w. Zu piste‚ein †n vgl. Ex 14,31 (MT). Man kann sich fragen, ob das Perfekt ≥ggiken nicht mit »die Gottesherrschaft ist da« übersetzt werden könnte; vgl. Mk 14,42: »Siehe, mein Verräter ist da« und dazu u. S. 408 Anm. 11. 27 Joh
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III. Jesus der Galiläer und Johannes der Täufer
die Spuren des Täufers. Wie dieser wendet er sich an das ganze jüdische Volk, wie dieser entfacht er eine Volksbewegung, ja, man muß annehmen, daß viele, die von der Bußpredigt des Johannes gepackt worden waren, sich – mit der Gefangenschaft und Ermordung desselben – Jesus bzw. später der nachösterlichen Jesusbewegung zuwandten. Die Umkehrpredigt des Täufers hat Jesu Botschaft wirksam vorbereitet. Ein Vergleich zwischen beiden ist jedoch schwierig, da wir vom Täufer sehr viel weniger Überlieferungen besitzen. Wir kennen seine Verkündigung nur in äußerster – christlicher – Verkürzung und durch die wenigen Hinweise des Josephus. Dennoch bleibt ein solcher sinnvoll, weil trotz der eingeschränkten Quellenlage Gemeinsamkeiten und Unterschiede relativ deutlich hervortreten. In folgenden Punkten wird eine – begrenzte – Übereinstimmung sichtbar: Es geht auch bei Jesus 1. um die alles radikal verändernde »Nähe Gottes«, 2. um die endzeitliche Restitution des wahren Gottesvolkes, wobei die äußerlichen Vorrechte Israels in Frage gestellt werden können, 3. um Taten des Gehorsams als echte Früchte der Umkehr und 4. um die drohende Realität des Gerichts. Freilich wird die Umkehr‑ und Gerichtspredigt bei Jesus – im Gegensatz zu dem, was wir vom Täufer wissen – ganz umfaßt von der frohen Botschaft der grenzenlosen Liebe Gottes zum verlorenen Sünder. Auch eine sprachliche Beobachtung ist wesentlich: Abgesehen von Mk 1,15 und der Verkündigung der von Jesus ausgesandten Jünger Mk 6,12 kommen das Verb metanoeõn und das Substantiv met›noia bei Markus nicht mehr32 im Zusammenhang mit Jesus vor, in der Lukas und Matthäus gemeinsamen Überlieferung erscheint es – vom Täufer abgesehen – nur noch zweimal in der Scheltrede und Gerichtsdrohung gegenüber den galiläischen Städten und diesem Geschlecht.33 Piste‚ein und p‡sti“ ist im Vergleich dazu schon bei den Synoptikern wesentlich häufiger. Die Glaubensforderung scheint so für Jesus eine größere Rolle gespielt zu haben als der traditionelle, aus der profetischen Predigt des Alten Testaments stammende Begriff der Umkehr.34 Lukas zeigt auf der anderen Seite in seinem Sondergut eine gewisse Vorliebe für die Wortgruppe metanoeõn / met›noia und fügt sie zum Teil seinen Vorlagen hinzu.35 Er mag sie in seinem Sondergut häufiger vorgefunden haben, wobei sie dort einen besonderen Akzent erhielt, nämlich die Betonung 32 Wir
finden es nur zur Umschreibung der Taufe des Johannes im Jordan. 10,13 = Mt 11,21. S. dazu Sanders, Jesus, 106 ff. 34 S. auch u. § 16.2 zur Wundertradition. 35 Lk 5,32; 11,32; vgl. 17,3 f. Er hat das Verb im Munde Jesu neunmal, Markus einmal, Matthäus viermal, die Apostelgeschichte verwendet es fünfmal. Das Substantiv met›noia hat er im Evangelium fünf‑, in der Apostelgeschichte sechsmal, Markus ein‑, Matthäus zweimal. Johannes vermeidet Verb und Substantiv ganz. Daneben liebt Lukas das in der Septuaginta als Übersetzung von šûb / hešîb vorherrschende †pistrfifein: 1,16 f.; 22,32 und Apg 3,19; 9,35 u. ö. 33 Lk
§ 10 Jesus und sein »Vorläufer«
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der Freude im Himmel über den Sünder, der umkehrt.36 Seine Vorliebe für die Wortgruppe dürfte mit seiner Missionstheologie zusammenhängen, denn diese Tendenz setzt sich in der Apostelgeschichte fort.37 Auch Paulus gebraucht diese Wortgruppe im Gegensatz zu p‡sti“ und piste‚ein nur sehr zurückhaltend.38 Noch mehr schätzt Lukas das Verb e§aggel‡zesqai, mit dem er zusammenfassend auch einmal die Täuferpredigt bezeichnen kann.39 Für Markus ist dagegen das Substantiv e§aggfilion der Inbegriff der neuen frohen Botschaft Jesu (und später der Jesusgemeinde), die »Glauben«, das heißt vertrauensvollen Gehorsam schenkt. Die Schwerpunkte liegen so bei Jesus anders als beim Täufer. Folgende Punkte sind für beide bedeutsam, freilich auf verschiedene Weise: 1. Die endzeitliche Stimmung verbunden mit der Erwartung des – relativ – nahen Anbruchs der Gottesherrschaft bzw. der messianischen Zeit40 war seit der Makkabäerzeit in breiten Kreisen der jüdischen Bevölkerung im Mutterland und abgeschwächt auch in der Diaspora verbreitet. Diese »apokalyptische Hoffnung« ist nicht nur ein Grundmotiv der Entstehung des Urchristentums.41 Sie gilt für große jüdische Gruppen wie die Pharisäer vor 70, die Essener oder die antirömische Aufstandsbewegung. Das stärkste Indiz dafür ist die Hochschätzung des Danielbuches in diesen Bewegungen. Nur die »konservative« sadduzäische Aristokratie stand ihr ablehnend gegenüber. Ihre Erwartungen hatten oft eine starke politische Komponente, etwa die gewaltsame Befreiung vom Joch der Fremdherrschaft, diese mußte aber nicht immer im Mittelpunkt stehen. Beim Täufer und bei Jesus wird sie nach den uns überlieferten Quellen nicht sichtbar. Beide verbindet eine intensive Beziehung zur bedrängenden »Nähe« Gottes bzw. seines endzeitlichen Bevollmächtigten. Während jedoch der Täufer letzteren als den vor der Tür stehenden kommenden Richter verkündigt, sieht Jesus bereits in seinem eigenen »messianischen« Wirken Gottes Herrschaft selbst am Werk und
36 Lk
15,7.10; s. u. S. 328 f. und Glaube werden bei ihm nahezu identisch, beide sind bei ihm keine zu erbringende Leistung, sondern Gabe Gottes, ein Grundgedanke, der schon für die Verkündigung Jesu gilt. S. Mittmann-Richert, Sühnetod. 38 Verb: 2 Kor 12,21; Substantiv: Röm 2,4; 2 Kor 7,9 f. 39 Lk 3,18; vgl. auch 1,19 der Engel zu Zacharias. Lukas verwendet es im Evangelium 15mal und in der Apostelgeschichte 21mal, insgesamt öfter als die echten Paulusbriefe. Das Nomen e§aggfilion fehlt dagegen im Evangelium; wir finden es nur in der Apostelgeschichte im Mund des Petrus 15,7 und Paulus 20,24; s. Hengel, Gospels, 99 f. Bei Markus verkündigen nur Jesus und seine Jünger das e§aggfilion: 1,14 f.; 8,35; 10,29; 13,10; 14,9, an allen Stellen wohl redaktionell. Ihm folgt abgeschwächt Mt 4,23; 9,35; 24,14: tÖ e§aggfilion tö“ basile‡a“. Und nur in 26,13: tÖ e§aggfilion toúto: Hier könnte das schriftlich vorliegende Evangelium gemeint sein; s. Hengel, Gospels, 291 Anm. 549. Das Verb e§aggel‡zesqai fehlt bei Markus ganz. Matthäus hat es nur einmal in der Anspielung an Jes 61,1 in Mt 11,5 = Lk 7,22 aus der Logientradition. 40 Beides hängt zusammen: s. Dan 7,13; PsSal 17 f. und u. S. 410 f. 41 S. dazu Hengel, KS I, 314–343; KS III, 302–417. 37 Umkehr
328
III. Jesus der Galiläer und Johannes der Täufer
ist sich ihrer nahen Vollendung »in Kraft« gewiß.42 Der aufgeschlossene Hörer seiner Botschaft kann ihr Wirken schon jetzt wahrnehmen. 2. Der Täufer und Jesus erwarten durch die Gottesherrschaft die von den Profeten verheißene Restitution des wahren Gottesvolkes und wenden sich darum an ganz Israel; beide gründen keine exklusive Gemeinde eines »heiligen Rests« wie etwa die Essener von Qumran, man sollte auch noch nicht von einer »Kirche« sprechen. Jesus bereitet freilich deren Entstehung vor. Die durch Ostern konstituierte Jüngergemeinde setzt das – messianische – Wirken Jesu voraus und ist ohne dasselbe undenkbar. Sie berief sich ebensosehr auf Jesu einzigartige Worte und Taten wie auf Jesu Tod und Auferstehung. Beides bildet eine Einheit, sonst hätten die Evangelien nicht entstehen können.43 Daß sich Jesus aus der Vielzahl der Nachfolger zwölf auswählt,44 drückt seinen Anspruch gegenüber dem ganzen Zwölfstämmevolk aus. Auch der Täufer zieht Jünger an, vermutlich auch als Helfer bei Massentaufen. Die Berührungen mit Nichtjuden sind bei Jesus noch zufällig und zeugen von einer gewissen Distanz:45 Er sucht keine Kontakte mit Heiden, sondern vermeidet sie eher. Er kann jedoch Heiden und Samaritaner als Vorbild darstellen,46 weil die alten Heilsvorrechte Israels nicht mehr als selbstverständlich gelten. In ähnlicher Weise sagt auch Johannes der Täufer: Die leibliche Abstammung von Abraham gilt ohne Früchte der Umkehr nichts mehr.47 Im Unterschied zu diesem verweist Jesus auf seine Taten, die »Zeichen« der mit seinem Wirken bereits anbrechenden Herrschaft Gottes sind. 3. Daß Jesus wie der Täufer »gute Frucht der Umkehr« fordert,48 zeigt das Gleichnis vom unfruchtbaren Feigenbaum, Lk 13,6–9 (Sondergut). Der Gärtner erbittet vom Besitzer, der ihn umhauen lassen will, eine letzte Frist: »Ich will ihn umgraben und düngen, bringt er dann keine Frucht, hau ihn ab.« Das heißt, jetzt ist diese letzte Gnadenfrist. Wo die Früchte ausbleiben, wartet das Gericht. Freilich zeigt sich in der Umkehrpredigt Jesu auch eine Umwertung eines traditionellen Frömmigkeitsideals, das ihn vom Täufer unterscheidet. Er fordert den Verzicht auf jede fromme Selbstbetrachtung und jedes Rechnen mit Verdienst und Lohn. Die Umkehr nur eines Sünders ist nicht nur Grund zur Freude für die Engel im Himmel, Lk 15,7.10, sie ist auch Grund zur Freude unter den Menschen. Darum sind die so anstößigen Mahlzeiten Jesu mit Zöllnern und Sündern Freudenmahle, 42 Mk
9,1; s. dazu ausführlicher u. S. 423. S. 172. 44 Mk 3,16–19. S. dazu u. S. 365–371. 45 Es ist auffällig, daß diese Kontakte in den Evangelien eine so geringe Rolle spielen. Mk 7,24 ff.: die Syrophönizierin; Lk 7,1–10: der Hauptmann von Kapernaum. Joh 12,20 ist wie auch Joh 4,4–42 ein Hinweis auf die bald nach Ostern aktiv werdenden judenchristlichen »Hellenisten«. Vgl. auch Mt 10,5; s. u. S. 353. 46 S. u. S. 356 f. 443. 47 Lk 3,8 = Mt 3,9; s. o. S. 316. 48 Mt 3,10 im Vergleich mit 7,19. 43 S. o.
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vergleichbar mit dem Fest zur Heimkehr des verlorenen Sohnes, Lk 15,23 ff. Der Vater in seiner grenzenlosen Güte nimmt den Sünder an. Von alledem ist in der uns erhaltenen Täuferüberlieferung nichts zu spüren. Bei ihm und seinen Jüngern war vielmehr Bußgesinnung mit strenger Askese verbunden.49 4. Wesentlicher Bestandteil der Verkündigung beider ist die Androhung des bevorstehenden göttlichen Gerichts als die Kehrseite der Nähe Gottes. Jeder wird vor dem Menschensohn Rechenschaft über sein Leben ablegen müssen. Freilich tritt in der Verkündigung Jesu nach Markus und Lukas das Gerichtsmotiv vom Umfang her relativ zurück. Erst bei Matthäus wird es seiner Theologie entsprechend wesentlich verstärkt, ja vervielfältigt, wobei er wieder Motive aus der Täuferpredigt aufnehmen kann (s. u. S. 334 f.).
10.4 Jesu Wirksamkeit als Wanderprediger und die stabilitas loci des Johannes am Jordan Grundsätzlich verschieden ist die Form ihres Auftretens: Der Täufer wirkte in der wüstenartigen Jordanebene auf der Ostseite in Peräa,50 wohl an einem festen Ort unmittelbar am Fluß, denn er war auf fließendes Wasser angewiesen, und die Volksbewegung, die er ins Leben rief, hatte zur Folge, daß eine größere Zahl von Menschen aus dem ganzen jüdischen Palästina über einen gewissen Zeitraum hinweg zu ihm an den Jordan hinabzog. Von Wanderungen des Täufers selbst hören wir, abgesehen von den zwei Ortsangaben bei Johannes,51 nichts; er war ja an einen bekannten Taufplatz gebunden, das Volk mußte wissen, wo er zu finden war. Der Wirkungskreis Jesu war begrenzter. Zwar hatte auch er ganz Israel im Auge, doch beschränkt er sich nach Markus zunächst auf Galiläa. Als Ausgangspunkt dient ihm die Nordwestecke des Sees Genezareth mit dem Hauptort Kapernaum. Er unternimmt Fahrten auf dem See und zieht in seiner Heimatprovinz von Dorf zu Dorf, überschreitet sogar später deren Grenze in heidnische Gebiete. Am Ende stehen Jerusalem und die Reise dorthin. Von Wanderungen kreuz und quer durch Judäa wird dagegen nichts berichtet, auch nicht bei Johannes.52 Zwar 49 Mk
1,6 parr.; 2,18 parr.; Lk 7,33 par.; s. o. S. 318. entspricht seine Gefangensetzung in Machärus im Süden Peräas nahe der nabatäischen Grenze nach Josephus, ant. 18,119; s. o. S. 311. 51 Joh 1,28; 3,23; vgl. 10,40. 52 Die Nachrichten Joh 3,22 und 4,3 sind undurchsichtig; 10,40 und 11,54 ist als Flucht aus Jerusalem zu verstehen und hat eine gewisse Parallele im Ausweichen Jesu in die Grenzgebiete außerhalb Galiläas bei Markus. Markus berichtet lediglich 3,7, daß Jesus auch Zulauf aus Judäa hatte, und 10,1 (= Mt 19,1), daß er auf dem Weg nach Jerusalem nach Judäa kam. Lukas hat einen wesentlich größeren Reisebericht, jedoch mit wenigen konkreten Ortsangaben: 9,51–19,27. Es werden nur ein samaritanisches Dorf zu Beginn (9,52) und zweimal am Ende die Stadt Jericho genannt (18,35; 19,1). Zum Ganzen s. § 11 u. S. 346–357. 50 Dem
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III. Jesus der Galiläer und Johannes der Täufer
zieht auch Jesus viele Menschen an, doch zunächst kaum in dem Maß wie der Täufer.53 Man erhält so den Eindruck, als sei der Radius der geographischen Ausstrahlung Jesu trotz seiner Wandertätigkeit eher enger gewesen als der des Täufers mit seiner stabilitas loci am Jordan; auch der Bericht des Josephus über den Täufer setzt ja eine nachhaltige Wirkung im ganzen jüdischen Palästina voraus. Dies legt wieder die Vermutung nahe, daß die Zeit der öffentlichen Wirksamkeit Jesu (trotz der abweichenden Darstellung bei Johannes) eine kürzere war als die des Täufers. Der markinische Bericht gibt ihm etwas Kometenhaftes: ein rasches Aufstrahlen und dann das plötzliche Ende. Markus kommt hier der geschichtlichen Wirklichkeit am nächsten, auch wenn wir ihn nicht als historisch-geographischen Leitfaden betrachten dürfen. Die Überlieferung von der Aussendung der Zwölf, die vor allem in der Lukas und Matthäus gemeinsamen Logientradition einen eigenartig rigoros-unrealistischen Charakter besitzt,54 bedeutet eine Fortsetzung dieser Tendenz, die die Hörer an ihren Heimatorten aufsucht und nicht – wie der Täufer – zu sich an einen bestimmten Ort kommen läßt, um dort das »eschatologische Sakrament« der Taufe im Jordan zu vollziehen.
10.5 Der Wundertäter und die Täuferanfrage Während Joh 10,41 ausdrücklich feststellt, »Johannes tat kein Zeichen«, und auch die Synoptiker und Josephus ihn nicht als Wundertäter schildern,55 ist für die ganze Jesusüberlieferung seine Heilungs‑ und Wundertätigkeit neben seiner Verkündigung konstitutiv. Man muß diese als Wesenszug seines Wirkens betrachtet haben, sie setzt sich in der urchristlichen Wunderüberlieferung fort. Die Weherufe gegen die galiläischen Orte seines Wirkens,56 die sich in ihrer Schärfe kaum von der Gerichtspredigt des Täufers unterscheiden, deuten darauf hin. Dies ist ein Zug, der ihn deutlich vom Täufer unterscheidet. Dagegen finden wir bei 53 Mk
3,7 f. schildert die Wirksamkeit Jesu übertrieben, wenn er von einer »großen Menschenmenge aus Galiläa, Judäa, Jerusalem, Idumäa, von jenseits des Jordans und den Gebieten um Tyros und Sidon« schreibt. Hier mag er die Erfolge der nachösterlichen Mission mit im Auge haben. Matthäus steigert noch, wenn er in 4,24 ganz Syrien miteinbezieht (wohl ein Hinweis auf die Herkunft des Evangelisten) und in 4,25 die heidnische Dekapolis. Während Markus nur einmal von einer Menge aus Judäa spricht, wiederholt Lukas diese Angabe 4,44; 5,17; 6,17; 7,17. Schon er verlagert den Schwerpunkt der Wirksamkeit Jesu mehr nach Judäa, Johannes verstärkt diese Tendenz. Es besteht so die Neigung, die Ausstrahlung und »missionarische« Wirksamkeit Jesu zu vergrößern. 54 Lk 10,3–12; vgl. Mt 10,7–15. 55 Bestenfalls könnte man eine solche aus Lk 1,17a erschließen: »Und er wird vor ihm hergehen, im Geist und in der Kraft Elias.« In Mk 6,14 werden erst durch Jesus als dem »von den Toten erweckten« Johannes Wunder getan. Zum Problem u. S. 332 f. 56 Lk 10,13 f. = Mt 11,21 f. S. dazu u. S. 347.390.465 u. ö.
§ 10 Jesus und sein »Vorläufer«
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Jesu Wirken in Galiläa keine »sakramentalen« Handlungen mehr wie die Taufe des Johannes. Seine besondere Vollmacht erweist sich in aufsehenerregenden Krankenheilungen und anderen »Krafttaten«. Sie sind für ihn Zeichen für den gegenwärtigen Anbruch der Gottesherrschaft, der Hinwendung Gottes zu den Allerärmsten als endzeitliche Erfüllung profetischer Verheißungen,57 Ausdruck des Sieges über die Mächte des Bösen.58 Während der Täufer die Vergebung der Sünden nur als Folge der Bußtaufe verheißt, kann Jesus dem Gelähmten in einzigartiger Vollmacht selbst Vergebung zusprechen: Er wagte, um mit Ernst Fuchs zu reden, »an Gottes Stelle zu handeln«59, ein Verhalten, das den Zuschauern als Gotteslästerung erscheinen konnte. Das alles ist Ausdruck jener Vollmacht Jesu, die man nur noch als messianisch verstehen konnte, mit der er das schon in der Gegenwart wirksame Kommen der Herrschaft Gottes anzeigte. Dem entspricht, daß in den talmudischen Zeugnissen oder bei Celsus Jesus als Zauberer verleumdet wurde;60 nach Mk 3,2261 wird er angeklagt, er treibe die Dämonen mit Hilfe Beelzebuls, des obersten Teufels, aus, Joh 8,48 bezeichnet man ihn als einen von einem Dämon besessenen Samaritaner. Die Gegner Jesu denunzieren sein Wirken, das Gottes Kommen zu den Ausgestoßenen anzeigt, in polemischer Umkehrung als Epiphanie des Teufels. Johannes dem Täufer werden dagegen keine Wunder zugeschrieben, wohl aber wird bei ihm seine rigorose Askese als »Besessenheit« gedeutet.62 Der Elias redivivus, der angesichts des drohenden Gerichtszorns Gottes zur Umkehr ruft, ist nach unseren Quellen im Gegensatz zum Profeten Elia und seinem Schüler Elisa kein Wundertäter. Auch Josephus schildert ihn nur als ethischen Prediger, bei Jesus hebt er dagegen seine »wunderbaren Taten« (par›doxa ≤rga) hervor.63 Dieser Unterschied wird auch durch die Täuferanfrage64 bestätigt: Der gefangene Johannes soll Jünger zu Jesus mit der Frage geschickt haben: »Bist du der ›Kommende‹, oder sollen wir einen anderen erwarten?« Der ›Kommende‹ (†rc·meno“) bezieht sich auf die Ankündigung in der Täuferpredigt: »es kommt ein Stärkerer als ich«.65 Die Antwort Jesu lautet: 57 Vgl.
Jes 35,2–5; 58,6; 61,1; 4Q521 und u. S. 332 f. 11,20 = Mt 12,28; s. u. S. 429. 59 Mk 2,9. S. E. Fuchs, Zur Frage nach dem historischen Jesus. Gesammelte Aufsätze II, Tübingen 21965, 156: Jesu »Verhalten ist aber weder das eines Propheten noch eines Weisheitslehrers, sondern das Verhalten eines Menschen, der es wagt, an Gottes Stelle zu handeln«. 60 Zum Bild Jesu als Magier s. Morton Smith, Jesus; dazu J.-A. Bühner, Jesus und die antike Magie, EvTh 43 (1983), 156–175. 61 Vgl. Lk 11,15 = Mt 9,34 und 12,24. 62 Joh 10,41; zur Anklage gegen den Täufer s. Lk 7,33 = Mt 11,18: daim·nion ≤cei. 63 Ant. 18,63.117 f.; s. o. S. 298 f. und u. S. 462. 64 Lk 7,18 ff. = Mt 11,2 ff. 65 S. o. S. 300.301 Anm. 27 und S. 305 f. zu Mk 1,8 = Lk 3,16 = Mt 3,11; vgl. auch Mk 11,9 und Ps 118,25 f.; Hab 2,3; dazu A. C. Brunson, Psalm 118 in the Gospel of John, WUNT II / 158, Tübingen 2003, 112 f.121 f. 58 Lk
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III. Jesus der Galiläer und Johannes der Täufer »Gehet und verkündigt Johannes, was ihr sahet und hörtet:
Blinde sehen, Lahme gehen, Aussätzige werden rein, Taube hören, Tote stehen auf, und Armen wird die frohe Botschaft gebracht. Selig aber ist, wer sich nicht an mir ärgert.«
Diese ganze Szene wie auch die nachfolgende Täuferrede Jesu verbietet die Annahme, daß Jesus längere Zeit ein Täuferjünger gewesen ist; sie weist trotz seiner Hochschätzung gegenüber Johannes auf eine gewisse Distanz hin.66 Die Antwort Jesu läßt eine Reihe von jesajanischen Texten anklingen.67 In einem vieldiskutierten messianischen Text aus Höhle 4 von Qumran heißt es:68 1 »[Denn die Him]mel und die Erde werden auf seinen Gesalbten69 hören, 2 (und alles, w)as in ihnen ist, wird nicht abweichen von den Geboten der Heiligen. 3 Seid fest entschlossen, die ihr den Herrn in seinem Dienst sucht! 4 Werdet ihr nicht in diesen den Herrn finden, alle, die in ihrem Herzen harren? 5 Denn der Herr wird nach den Frommen sehen, und die Gerechten wird er beim Namen rufen.70 6 Und über den Armen wird sein Geist ›rütteln‹,71 und die Treuen erneuert er durch seine Kraft. 7 (Ja,) er wird die Frommen ehren auf dem Thron der ewigen Königsherrschaft.72 8 Er befreit die Gefangenen, er öffnet (die Augen) der Blinden, er richtet die Ge(beugten) auf.73 10 … wird er (sich) nicht verzögern. 11 Und wunderbare Dinge, die nicht geschehen sind, wird der Herr tun, wie (er geredet hat). 12 (Dann wird) er Erschlagene heilen, und Tote wird er lebendig machen; Armen wird er frohe Botschaft verkünden.74 66 S. o.
S. 301.320. auffälligsten ist Jes 29,18 f.; 35,5 f.; 26,19 und vor allem 61,1 f.; vgl. auch Lk 4,17–19 und Mk 7,37 = Mt 15,31. 68 4Q521 fr. 2 II. S. dazu Zimmermann, Texte, 343–389. Die Übersetzung folgt ihm (344 f.). Die Aufforderung an »Himmel und Erde«, das heißt die ganze Schöpfung, zu hören leitet in Jes 1,2 die durch den Profeten vermittelte Gottesrede ein und in Dtn 32,1 das »Lied des Mose«, in dem Gott selbst durch diesen abschließend zu seinem Volk spricht. 69 yšm‛w lmšhw: Mit großer Wahrscheinlichkeit muß hier der Singular gelesen werden. Defektive Schreibung beim Plural mit Suffix ist in den Qumrantexten ganz selten. Der Plural »seine Gesalbten« im Sinne von »seine Propheten« gäbe auch wegen des eschatologischen Kontextes keinen guten Sinn. 70 Vgl. Jes 43,1; 45,3. 71 trhp; vgl. Gen 1,2 und Dtn 32,11; Mt 5,3; Lk 6,20. 72 mlkwt ‛d; vgl. Lk 22,30; Mt 19,28, s. u. S. 367 Anm. 120. 73 Ps 146,7 f.; vgl. Jes 61,1c und Mt 11,28; Lk 4,18. 74 Jes 61,1. 67 Am
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13 … (Elend)e wird er (satt machen),75 (Vertrie)bene wird er führen – und Hunger(nde?) reich machen.«
Die Übereinstimmungen zwischen diesem Text und der Antwort Jesu an den Täufer sind auffallend. Dahinter stehen zum Teil dieselben alttestamentlichen Texte.76 Darüber hinaus könnte man das Motiv der »Befreiung«77 auf die Dämonenheilungen Jesu beziehen, die »Hungernden« auf die Speisungserzählungen und das messianische Mahl und die Aufforderung zum »Harren« auf die Erfüllung der Verheißungen und auf die Parusiegleichnisse.78 Auch die Teilhabe der Glaubenstreuen an der ewigen Gottesherrschaft (Z. 7) ist ein zentrales Motiv der Verkündigung Jesu. Die Tatsache, daß darin nach dem Hinweis auf die universale Wirkung der Botschaft des Gesalbten ab Z. 5 Gott selbst als der Handelnde erscheint, spricht nicht gegen den »messianischen« Charakter dieses eigenartigen Textes, der wie wohl kein anderer aus Qumran das eschatologische Wirken Jesu beleuchtet: Gott handelt durch seinen Bevollmächtigten für sein Volk.79 Auffallend ist weiter die Beziehung zu den Seligpreisungen und Jesu Antrittspredigt in Nazareth über Jes 61,1 f. nach Lk 4,17–21. Von den – uns bekannten – Elementen der Täuferverkündigung ist der Text dagegen durch einen Graben getrennt.80 Die Antwort Jesu auf die Täuferanfrage ist so in der Beleuchtung durch die wahrscheinlich wichtigste zeitgenössische Parallele 4Q521 nur als »messianischer Text« zu verstehen, sie enthält nicht nur eine implizite, sondern eine im Ansatz bereits explizite Christologie.
10.6 Die Liebe Gottes zum Sünder Die Klimax dieser Aufzählung »Armen wird die frohe Botschaft gebracht«81 weist zugleich auf den entscheidenden Unterschied zwischen der Verkündigung Jesu und der des Täufers hin. Der Täufer kündigt das drohende Gericht an und fordert die Umkehr und deren Früchte. Für Jesus sind nicht in erster Linie Drohung und 75 Zimmermann,
Texte, 347: Ergänzung nach Puech. 26,19: Totenerweckung; 35,5: Blindenheilung; 61,1: Heilsverkündigung gegenüber den Armen. 77 Vgl. Jes 61,1. Zum Einfluß dieser Stelle s. auch 11QMelch II 18 ff. und Lk 4,17–21. 78 Vgl. Lk 12,45; Mt 24,48; 25,5; vgl. auch Hab 2,3: lo’ j e’aher. 79 In Jes 61,1 f. handelt der Geistgesalbte Gottes, in Z. 5 und 12 von 4Q521 scheint Gott selbst der Verkündiger der frohen Botschaft gegenüber den Armen zu sein. 80 Lk 6,20 ff. und Mt 5,3–11. 81 Lk 7,22 (vgl. 4,18) = Mt 11,5: ptwcoÑ e§aggel‡zontai, Jes 61,1 und 4Q521 fr. II 2, Z. 12. Es handelt sich um einen starken Semitismus. Das aramäische Passiv von beśar hat die Bedeutung »fröhliche Botschaft erhalten«. S. J. Levy, Chaldäisches Wörterbuch über die Targumim, Leipzig 1867, 103. Im Griechischen ist e§aggel‡zesqai Medium, nicht Passiv. 76 Jes
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III. Jesus der Galiläer und Johannes der Täufer
Mahnung typisch – obwohl auch diese bei ihm gewiß nicht fehlen82 –, sondern für die Armen und Verlorenen die Verkündigung der Nähe, ja Gegenwart des Heils, der Zuspruch der barmherzigen Liebe Gottes. Er spricht in auffallender Weise die »verlorenen Schafe des Hauses Israel«83, das heißt Ausgegrenzte, »Zöllner und Sünder«84 an, so in der ersten Seligpreisung nach Lk 6,20: »Selig die Armen, denn euch gehört die Gottesherrschaft.«85 Dies ist im Präsens gesagt. Das Futur erscheint erst in den beiden folgenden Preisungen der Hungernden und Trauernden. Die ptwco‡86 sind die sozial Armen, die Kranken, die wegen ihrer Sünde Verachteten und Ausgestoßenen, zu denen aber auch die verhaßten Zöllner gehören, das heißt die »Randgruppen« der galiläischen Bevölkerung. Ihnen spricht er das Heil zu, ohne es an vorher zu leistende Bedingungen zu binden wie der Täufer. Er sagt nicht: »Selig seid ihr Armen, wenn ihr umkehrt«, er weiß vielmehr, daß dieser Zuspruch des Heils den Menschen verwandeln kann: Der Indikativ, die in Jesu Person schon jetzt wirksame Gegenwart der anbrechenden Gottesherrschaft, begründet den Imperativ und nicht umgekehrt. Schöne Beispiele finden wir vor allem im Lukassondergut, so in der Erzählung über den Obersteuerpächter Zachäus in Jericho87 oder über die große Sünderin.88 Von den Frommen wird er darum, ganz anders als der Täufer, dem man seine radikale Askese zum Vorwurf macht, wegen seiner Freundschaft mit Sündern diffamiert.89 Grundlegend ist das Verhalten des Vaters im Gleichnis vom verlorenen Sohn: Er eilt dem Sohn, den er von Ferne kommen sieht, entgegen und umarmt und küßt ihn, bevor dieser auch nur ein Wort äußern kann! Der Hirte sucht das verlorene Schaf, bis er es findet, und die Frau den verlorenen Denar: Das heißt, der Vater sucht in Jesus den Sünder auf, nicht umgekehrt. Der Sünder kann nur dadurch umkehren, daß er erfährt, daß der Vater ihn liebt. Und über solches Finden des Verlorenen ist Freude im Himmel.90 Die Heimkehr des verlorenen Sohnes wird als Freudenfest gefeiert.91 Die Brücke von Jesus zu Paulus führt vor allem über die lukanische Jesustradition, die historisch zuverlässig ist.92 Erst Matthäus nähert dagegen durch seine S. o. S. 325. 10,6; 15,24. Der Evangelist interpretiert mit dieser nur von ihm verwendeten Formulierung in zutreffender Weise das ganze Wirken Jesu; vgl. noch Mk 6,34 = Mt 9,36 und Lk 15,4. 84 Mk 2,15 f. = Lk 5,30 = Mt 9,10 f.; Lk 7,34 = Mt 11,19. 85 Mak›rioi o´ ptwco‡, Ωti ≠metfira †stÑn ™ basile‡a toú qeoú. Vgl. auch Mt 5,3. 86 Hier könnte man daran erinnern, daß auch bei den Qumran-Essenern die »Armen« (ûäbjonîm und ßanāwîm) zur Selbstbezeichnung wird. Die Jerusalemer Urgemeinde und später die Judenchristen übernehmen diese Bezeichnung; s. Bd. II. 87 Lk 19,1–10. 88 Lk 7,36–50; vgl. auch die sekundär eingefügte Ehebrecherin-Perikope Joh 8,1–11. 89 Vgl. Mt 11,18 f. = Lk 7,33 f. S. u. S. 336. 90 Lk 15,7.10. 91 Lk 15,22–25. 92 Lukas war der Reisebegleiter des Paulus; s. o. S. 8.23.233. 82
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Hervorhebung von Gericht und Verdammnis, die die einmalige Gerichtsdrohung der Logientradition »dort wird sein Heulen und Zähneklappern« versechsfacht,93 die Botschaft Jesu wieder an die des Täufers an. Die lange vorherrschende Darstellung Jesu nach dem Bild, das ihm Matthäus gab, mußte zu einem einseitigen, der Täuferpredigt verwandten Verständnis seiner Botschaft führen.
10.7 Die Jünger und der Ruf zur Freiheit und Freude94 Ein Unterschied ergibt sich weiter aus der Berufung der Jünger in die Nachfolge Jesu. Wie die Rabbinen nahm der Täufer Jünger auf, die zu ihm kamen, um von ihm zu lernen und wohl auch seine asketische Lebensweise nachzuahmen. Als Zeichen ihrer Bußgesinnung fasten sie wie die Pharisäer.95 Bei Jesus geht dagegen – wie bei den alttestamentlichen Profetenberufungen – die Initiative nicht vom Jünger, sondern von ihm selbst aus. Die Berufung bedeutet zugleich Erwählung. Er ruft einzelne aus ihren Berufen und Familien, daß sie ihm nachfolgen. In ähnlicher Weise hat Gott die Profeten des Alten Bundes seit Elisa und Amos aus ihrem Alltag herausgerufen. Der Nachfolger hat die Freiheit von der Familie und die Besitzlosigkeit mit Jesus zu teilen.96 Die Berufenen sollen die anbrechende Herrschaft Gottes – wie Jesus – in Wort und Tat ansagen.97 Von dem Täufer hören wir nicht, daß er seine Jünger als Boten ausgesandt hat. Dies würde seiner Taufpraxis widersprechen. Obwohl er Priester ist, zieht er auch nicht wie Jesus nach Jerusalem hinauf zu den großen Festen, sondern die Volksmenge kommt aus allen Teilen des jüdischen Palästina zu ihm an den Jordan hinab. Damit stehen wir bei einem weiteren Unterschied zum Täufer. Während der Täufer und seine Jünger als rigorose Asketen lebten, finden wir bei Jesus keine spezielle Betonung asketischer Züge. Die Freiheit von der Familienbindung, die er sich selbst auferlegt und die er auch vom Nachfolger fordert, ist nicht Selbstzweck und wird nicht durch die Forderung ständiger ritueller Reinheit wie in Qumran begründet, sondern ist motiviert durch die Freiheit für den Dienst der Ansage der Gottesherrschaft. Zwar gründet er selbst, wie der Täufer und später auch Paulus, keine Familie, doch wird die Ehe weder abgewertet noch gar verboten wie später bei den radikalen enkratitischen und gnostischen 93 Lk
13,28 = Mt 8,12; 13,42.50; 22,13; 24,51; 25,30. S. o. S. 329 und u. S. 444. Nachfolge. 95 S. o. S. 301 Anm. 25 und S. 318 Anm. 125. 96 Die besondere Betonung der Kreuzesnachfolge bei Markus könnte damit zusammenhängen, daß in Rom, wo das Evangelium entstand, wenige Jahre zuvor (64 n. Chr.) Nero zahlreiche Christen kreuzigen ließ. Tacitus, ann. 15,44,4: aut crucibus adfixi atque flammati. 97 Mk 1,17 = Mt 4,19; vgl. Lk 5,10; dazu Hengel, Nachfolge, 85 f. = KS V, 122 f. und u. S. 361. 94 Hengel,
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III. Jesus der Galiläer und Johannes der Täufer
Asketen im 2. Jahrhundert.98 Darum kennt er keine Nahrungsaskese, er läßt sich zu Bauernhochzeiten einladen, wo man tagelang feierte, so daß der Wein knapp wurde;99 ebenso gern geht er zu Gastmählern der verhaßten Zöllner und wird prompt von den Gegnern als »Fresser und Weinsäufer«, als »Kumpan der Zöllner und Sünder« beschimpft, während der Täufer wegen seiner radikalen Nahrungsaskese als Besessener diffamiert wird.100 Genauso läßt er sich aber auch von Pharisäern einladen.101 Dieselbe Freiheit gegenüber traditionellen Vorurteilen zeigt er auch in seinem Verhältnis zu den Frauen. Nicht nur Jünger, auch einzelne Frauen sind in seinem Gefolge. Galiläische Frauen, zum Teil aus seiner Verwandtschaft, ziehen auch mit im letzten Zug nach Jerusalem und werden Augenzeuginnen der Kreuzigung und des leeren Grabes.102 In der Täuferüberlieferung erscheinen sie nur am Rande, etwa in Mt 21,31 (a´ p·rnai). Daß auch sie getauft wurden, kann man nur aus plerophorischen Angaben wie Mk 1,5 oder Lk 3,7 erschließen. Die schroffe asketische Lebensweise hatten der Täufer und seine Jünger mit den Essenern und in abgeschwächter Weise mit den Pharisäern gemeinsam. Sie trennte sie jedoch von Jesus und seinen Nachfolgern. Die Antwort Jesu auf die Fastenanfrage Mk 2,18 f. verweist auf das radikal Neue, das die Zeit des Täufers von der Zeit Jesu scheidet. Es ist der Unterschied zwischen der Ankündigung des kommenden, rein zukünftigen und der Proklamation des jetzt anbrechenden Heils: »Wie können die Hochzeitsgäste fasten, solange der Bräutigam unter ihnen ist?« Die Metapher von der Hochzeit ist in den Gleichnissen Jesu Ausdruck für die Gottesherrschaft selbst: Der Bräutigam ist der, der sie bringt. Die Antwort Jesu deutet so auf den äußerlich verborgenen Anbruch des Gottesreiches in seinem Wirken hin. Es gibt hier keinen Raum für asketische Bußübungen mehr.
98 Zur Ehe des Petrus vgl. Mk 1,29–31 = Lk 4,38 f. = Mt 8,14 f.; 1 Kor 9,5; s. dazu Hengel, Petrus, 167–220. Zur radikalen Forderung der Ehelosigkeit im 2. Jahrhundert und einer entsprechenden Deutung von Evangelientexten s. Bauer, Leben Jesu, 323–328. So machen z. B. sys und Ephrem abhängig von Tatian aus der siebenjährigen Ehe der Hanna Lk 2,36 sieben Tage; s. Nestle-Aland, Novum Testamentum Graece, z. St. 99 Vgl. Joh 2,1–10; dazu Bauer, Leben Jesu, 316–322; bei Bill. I, 505 ff. kann man nachlesen, wie ausgelassen es bei derartigen Hochzeiten zuging: Man feierte sieben Tage, der Wein floß in Strömen. Es ist bezeichnend, daß man Jesus ein solches Wunder zuschrieb; s. dazu Hengel, Der »dionysische« Messias. Zur Auslegung des Weinwunders in Kana (Joh 2,1–11), in: ders., Jesus und die Evangelien. KS V, WUNT 211, Tübingen 2007, 568–600. 100 Lk 7,33 f. = Mt 11,18 f. Alle diese Texte brachten spätere, einer strengeren Askese geneigte Ausleger in Schwierigkeiten. 101 Lk 7,36 ff.; 11,37 ff.; 14,1 ff. Matthäus unterdrückt dieses Motiv. 102 Mk 15,40 f. = Mt 27,55 f.; vgl. Lk 23,49.55 f.; 24,1–11.22: Bei ihm scheint der Kreis der Frauen größer zu sein als bei Markus. Sie sollen auch seine Leidensweissagungen gekannt haben, vgl. 24,6–8. Zu Verwandten Jesu s. Joh 19,25.
§ 10 Jesus und sein »Vorläufer«
337
10.8 Der Täufer als der letzte Rufer und die messianische Vollmacht Jesu Es ist eigenartig, daß trotz dieser zum Teil grundsätzlichen Unterschiede zwischen der Wirksamkeit des Täufers und der Jesu dieser selbst wie auch später die Urgemeinde ein so positives Bild des Täufers zeichnen konnte. Zumindest in einzelnen Punkten scheint der Unterschied zwischen Jesus und dem Täufer kaum weniger schroff als der zwischen Jesus und den Pharisäern zu sein.103 Eines ist zugleich deutlich geworden: Die beliebte Zusammenfassung Jesu und des Täufers unter dem Oberbegriff des (eschatologischen) Profeten,104 bei der der Täufer mehr als Gerichts‑ und Jesus mehr als Heilsprofet erscheint, übersieht den grundlegenden qualitativen Unterschied, der beide trennt. Der Schlüssel zur sachgemäßen Unterscheidung ist in Jesu Verkündigung selbst zu suchen. Etwa in Lk 16,16: »Das Gesetz und die Profeten gehen bis Johannes, von da ab wird die Gottesherrschaft verkündet, und jeder drängt mit Gewalt hinein (kaÑ pô“ e¢“ a§tÉn bi›zetai).« Mit dem Nachsatz hat Lukas vermutlich einen sehr schwer zu deutenden Text aus der Logientradition interpretiert, den Matthäus möglicherweise in seiner ursprünglichen Form erhalten hat: »von den Tagen Johannes des Täufers bis jetzt an leidet die Gottesherrschaft Gewalt, und Gewalttätige reißen sie an sich«105. Dieser umstrittene Vers ist nicht negativ auf die Zeloten oder andere Gegner Jesu, sondern positiv zu deuten. »Gewalttätige« (biasta‡) sind die, die sich verhalten wie der Finder des Schatzes im Acker oder der Kaufmann mit der Perle im Gleichnis.106 Es sind die, die um der Gottesherrschaft willen und in der Nachfolge Jesu alles aufs Spiel setzen, die alles wagen, um das eine zu gewinnen. Entscheidend ist jedoch der lukanische Vordersatz: Die Zeit von »Gesetz und Profeten« reicht nur bis Johannes. Dann beginnt das radikal Neue, die Zeit der mit Jesu Wirken anhebenden Gottesherrschaft. Auch seine MatthäusParallele (11,13): »alle Profeten und das Gesetz haben bis Johannes geweissagt« zeigt, daß Jesus hier den Täufer noch zum Gesetz und den Profeten rechnet. Wenn Jesus ihn gleichzeitig in seiner Täuferrede mit »mehr als ein Profet«107 charakterisiert und betont, daß keiner unter den von Frauen Geborenen größer ist als er, so betrachtet er ihn als eine eschatologische Gestalt, die alle früheren Profeten überragt. Der Nachsatz Lk 7,28 = Mt 11,11b zeigt den Unterschied: »der Kleinere aber in der Gottesherrschaft ist größer als er.« Damit meint Jesus 103 Vgl. Mk 2,18 parr.; in Lk 5,33 verbinden die Täuferjünger ähnlich wie die Pharisäerschüler häufiges Fasten mit Gebeten; nach Lk 11,1 lehrt der Täufer seine Jünger beten. 104 Vgl. etwa J. Becker, Johannes der Täufer und Jesus von Nazareth, Neukirchen 1972. 105 Mt 11,12: ûApÖ dÇ tùn ™merùn ûIw›nnou toú baptistoú ∫w“ ±rti ™ basile‡a tùn o§ranùn bi›zetai kaÑ biastaÑ ®rp›zousin a§tfln. 106 Mt 13,44 ff. S. u. S. 416. 107 Lk 7,26 = Mt 11,9: periss·teron proffltou.
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III. Jesus der Galiläer und Johannes der Täufer
vermutlich sich selbst als den Jüngeren, der nach Johannes kommt und von ihm getauft wurde: Im Rückblick auf die Zeit der profetischen Weissagung ist der Täufer der letzte und größte, doch jetzt gelten mit der anbrechenden Gottesherrschaft neue, ganz andere Maßstäbe; die Parallele zur Antwort Jesu auf die Täuferanfrage: »Bist du, der da kommen soll …?« wie auch auf die Fastenfrage der Täuferjünger ist offensichtlich.108 Ist der Täufer als Elias redivivus größer als frühere Profeten, deren Reihe er abschließt, so ist Jesus selbst – dieser Schluß erscheint uns unausweichlich – der messianische Vollender.109 Nur in seinem messianischen Anspruch, der alle profetischen Vorbilder übersteigt, gewinnt – gerade im Vergleich mit dem Täufer – Jesu Verkündigung und Verhalten seine sinnvolle Einheit. Damit stehen wir beim eigentlichen Schlüssel der Wirksamkeit Jesu, den freilich die deutsche Exegese seit William Wrede – man möchte sagen fahrlässig – allzu häufig verloren hat.110 Nach dem Auftreten des Täufers war für einen weiteren eschatologischen Profeten im Grunde kein Platz mehr. Eigentlich hätte Jesus, wenn er ebenfalls als solcher auftrat, den Täufer als Verkünder von halben Wahrheiten oder der Unwahrheit zurückweisen müssen. Er tut es aber nicht, sondern preist ihn, verteidigt ihn und seine Taufe und stellt sich – in vollem Bewußtsein des Unterschiedes – an seine Seite, ja, er macht das diffamierende Urteil, das die Gegner über den Täufer und ihn fällen, zu einem Paradigma für deren kindische Torheit und versteht sich selbst mit diesem als Repräsentanten der göttlichen Weisheit.111 Dieser enge, ja einzigartige Zusammenhang des Täufers mit Jesus bei allen Differenzen erklärt sich am besten dadurch, daß schon er im Täufer den letzten Profeten in Israel vor dem Anbruch der Heilszeit, man könnte auch sagen, seinen Vorläufer, das heißt den Elias redivivus, sah112 und daß er sich selbst als denjenigen verstand, mit dem die Verheißungen der Profeten Realität wurden. Darum der Gegensatz zwischen der Gottesherrschaft und dem Täufer, darum seine Antwort auf die Täuferanfrage, in der er auf die Erfüllung der Verheißungen Jesajas in seinen Heilungswundern verweist und die in dem Zitat aus Jes 61,1 gipfelt: »und den Armen wird die frohe Botschaft verkündigt«.113 Hier in seiner frohen Botschaft, die den Armen »Befreiung« bringt, liegt der letztlich 108 S. o.
S. 174. dazu Neugebauer, Versuchung, 1: »Wäre es möglich, Messianität aufs äußerste zu formalisieren, so müßte man sagen: Messias ist der, nach dem ein anderer nicht mehr erwartet wird. Dies entspräche der Anfrage, die später vom Täufer aus Jesus erreicht: Bist du der Kommende, oder sollen wir auf einen anderen warten (Mt 11,3 par.)?« 110 S. dazu u. S. 498.506–518 und Hengel / Schwemer, Anspruch, passim und S. IX die vorsichtige Zurücknahme seiner These in einem Brief Wredes an Harnack ein Jahr vor seinem Tode. 111 Lk 7,31–35; vgl. Mt 11,16–19; s. dazu Hengel, Jesus, 88–91. 112 Mk 9,13 = Mt 17,12; 11,14; vgl. Lk 1,17; s. o. S. 302 Anm. 33. 113 S. o. S. 333 Anm. 81 und u. S. 412 u. ö. 109 S.
§ 10 Jesus und sein »Vorläufer«
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entscheidende Unterschied zum Täufer, der mit Bußruf und Taufe im Jordan das Kommen des »Stärkeren« vorbereitete. Beide verbindet der einen letzten eschatologischen Anspruch erhebende Charakter ihrer Botschaft, während sie der Inhalt derselben und ihr Verhalten eher trennt. Zugleich wird deutlich, daß man heute schwerlich hinter Johannes Weiß und Albert Schweitzer zurückgehen und Jesus zu einem nichteschatologischen Weisheitslehrer oder gar einem »jüdischen Sokrates« und »galiläischen Kyniker« ummodellieren kann. Die Frage ist freilich, wie und warum er das Kommen des Gottesreiches als Zentrum seiner Botschaft verkündigte. Wenn Conzelmann in seinem Artikel »Jesus Christus« in der dritten Auflage der RGG114 schreibt, »die Begriffe des Propheten und Rabbinen bezeichnen nur Teilaspekte und gerade nicht den Kern der Sache«, so wird man ihm gerne zustimmen. Wenn er dann aber fortfährt: »J[esus]. versteht sich als den letzten Rufer. Seine Stellung ist einzigartig, da nach ihm nichts mehr ›kommt‹ als Gott selbst«, so muß man einwenden: Verstand sich so nicht schon der Täufer, und hat ihn nach Markus und der Logientradition nicht auch Jesus selbst so gedeutet?115 Worin besteht dann der – doch grundlegende – Unterschied zum Täufer? Zwei aus der Sicht Jesu und der Urgemeinde eng aufeinander bezogene, »einzigartige« letzte Rufer neben‑ bzw. nacheinander konnte es ja kaum geben. Die historische Annäherung an Jesus spitzt sich hier zu auf das Verhältnis des galiläischen Wanderpredigers zu Johannes dem Täufer. Dabei werden drei Themenkreise bedeutsam: seine Reich-Gottes-Verkündigung mit ihrem »ethischen Gehalt«, seine Wirksamkeit als Wundertäter und der – besondere – messianische Charakter seiner Botschaft.116
114 RGG3
3, 633. S. dazu Hengel, Messias, 31 ff. Joh 1,6–8.15.19.32; 3,23–36 (vgl. 5,33 ff.) den Täufer zum ersten Zeugen für Jesus macht, führt er nur die synoptische Tradition in letzter Konsequenz weiter. 116 S. dazu u. §§ 13–17. 115 Wenn
IV. Jesu Auftreten und Verkündigung
§ 11 Zum geographisch-historischen Rahmen des Wirkens Jesu 11.1 Galiläa als Ausgangspunkt des Wirkens Jesu und die Frage der Chronologie Jesu Seitdem J. Wellhausen, W. Wrede und dann vor allem K. L. Schmidt den in der Jesus-Forschung lange Zeit anerkannten, scheinbar historisch gültigen »biographischen Rahmen« des Markusevangeliums zerbrochen haben, gilt es als selbstverständlich, daß wir keine Biographie Jesu mehr schreiben können. Dem ist gewiß zuzustimmen, wenn wir unter Biographie eine chronologisch fortschreitende Darstellung eines Menschenlebens bzw. eines entscheidenden Lebensabschnitts verstehen, durch die die innere und äußere Entwicklung des Helden, die Folge seiner Taten und damit zugleich sein Schicksal erklärt wird. Die Erzählung des Markus, auf der Lukas und Matthäus aufbauen, mit dem einen Besuch zum Todespassa in Jerusalem und der ca. einjährigen Wirksamkeit Jesu beruht in dieser einlinigen Form auf einer den historischen Sachverhalt vereinfachenden Konstruktion. Das hat man schon in der alten Kirche gesehen. Papias schreibt darum unter Hinweis auf eine Überlieferung des »Presbyters« Johannes, Markus habe die Taten und Worte Jesu o§ mÇn t›xei, nicht in der richtigen (zeitlichen) Ordnung, berichtet. Die Anlage des vierten Evangelisten, der das Markusevangelium kannte, widerspricht diesem nicht nur in seiner Christologie und Darstellung der Verkündigung Jesu, sondern auch in seiner Chronologie. Wir haben bereits mehrfach darauf hingewiesen, daß sich nach Johannes Jesu Wirken über drei Passafeste, das heißt über mehr als zwei Jahre, erstreckt. Nach Euseb und den späteren Vätern waren es fast vier Jahre. Jo Conzelmann,
Art. Jesus Christus, RGG3 3, 619–653; Freyne, Jesus; ders., Galilee and
Gospel. S. dazu o. S. 251. 1.: Joh 2,13.23; 2.: 6,4; 3.: 11,55; 12,1; 13,1 u. ö. Zum schwierigen Problem des Passafestes bei Johannes s. Bauer, Leben Jesu, 279 ff.: Strittig war 5,1, wo Irenäus, adv. haer. 2,22,3 ©ortfl als Passa deutet, während Origenes dies ablehnt. Der römische Presbyter Gaius sah den chronologischen Dissens zwischen Johannes und den Synoptikern als so schwerwiegend an, daß er noch gegen Ende des 2. Jahrhunderts das 4. Evangelium als eine Fälschung des Erzketzers Kerinth betrachtete; s. Hengel, Johanneische Frage, 26 f. Zu Papias s. Euseb, h.e. 3,39,15 und o. S. 237.
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IV. Jesu Auftreten und Verkündigung
hannes habe dabei den von den Synoptikern übergangenen Bericht der früheren Jahre vor der Verhaftung des Täufers »nachgeliefert«. Nach Johannes reist Jesus auch mindestens dreimal von Galiläa nach Jerusalem, und sein letzter Aufenthalt in Jerusalem dauert im Grunde vom Laubhüttenfest im Oktober über das Chanukkafest im Dezember mit zwei durch persönliche Bedrohung erzwungenen Unterbrechungen bis zum Todespassa. Es ist jedoch unseres Erachtens fraglich, ob diese radikale Korrektur der synoptischen Chronologie historisch zutreffender ist. Wir können die Zeit der öffentlichen Wirksamkeit Jesu nicht mehr exakt bestimmen. Die Frist von ca. einem Jahr bei Markus dürfte wohl etwas zu kurz sein, man wird zum Beispiel mehrere Reisen nach Jerusalem voraussetzen dürfen, da er auch nach Markus dort bekannt war. Johannes mag hier weiterreichende Traditionen besessen haben, sie sind bei ihm jedoch durch sein christologisches Erzählinteresse bis zur Undurchschaubarkeit verändert. Ihm lag daran, den Kampf Jesu mit seinen jüdischen Gegnern in Jerusalem, bei dem es um die Wahrheit seines göttlichen Sendungsanspruches und zugleich die Wesenseinheit mit dem Vater ging, in aller Schärfe darzustellen. An Galiläa und den Galiläern war er weniger interessiert. Eine gewisse Zwischenstellung nimmt Lukas mit seinem ungewöhnlich langen Reisebericht ein, den er mit der Joh
10,39–11,16 und 11,53–57. Zur Alten Kirche s. Schmidt, Rahmen, 1 ff.; Merkel, Widersprüche, 147 ff.; ders., Die Pluralität der Evangelien als theologisches und exegetisches Problem in der Alten Kirche, TC 3, 1978, 19 ff.; Euseb, h.e. 3,24,8–13: Johannes allein enthalte tÅ prùta tùn toú Cristoú pr›xewn (3,24,13). Joh 7,2–11,55; zu den zwei Unterbrechungen s. 10,40 f.: Jesus zieht sich nach Peräa zurück, wo Johannes taufte, und 11,54: nach Ephraim nahe der Wüste, dazu J. A. Soggin, BHH I, 420 f. Nr. 2. Auch sie läßt sich nur indirekt erschließen etwa durch den Hinweis auf das reife Getreidefeld Mk 2,23 parr. Die Zeit der Getreideernte fiel in die Zeit zwischen dem Passa‑ und dem Wochenfest. Die Dauer der Wirksamkeit Jesu bereitete schon der Alten Kirche von Anfang an einige Verwirrung; s. Bauer, Leben Jesu, 279–310. Bereits damals standen sich Vertreter einer einjährigen und einer mindestens zweijährigen Dauer gegenüber. Nach Clemens Alexandrinus (strom. 1,146) vertraten die Anhänger des Basilides und nach Irenäus (adv. haer. 1,3,3; 1,20,1; 1,22,1.3.5) die Valentinianer eine etwa einjährige Zeit, letztere unter Berufung auf Lk 4,19 »das angenehme Jahr des Herrn« (Bauer, Leben Jesu, 381 f.). Wegen der Bedeutung der Zahl zwölf legten sie Wert auf eine zwölfmonatige Predigt Jesu. Weitere Vertreter des einen Jahres waren die Doketen bei Hippolyt, die Aloger des Epiphanius, die Johannes ablehnten und daher nur eine Passafeier kannten, weiter die Pseudoclementinen, Clemens Alexandrinus, Tertullian, Julius Africanus, Laktanz u. a. Selbst die Meinung des Origenes scheint hier nicht einheitlich gewesen zu sein. Der johanneischen Deutung von wenigstens zwei oder drei bis vier Jahren folgen die von Johannes geprägten Autoren wie Tatian in seinem Diatessaron und Melito, fr. VI (Méliton, Sur la Pâque, ed. O. Perler, SC 123, 1966, 266: †n tÔö triet‡a metÅ tÖ b›ptisma). Irenäus nimmt dagegen aufgrund von Joh 8,57 (s. u. S. 345 Anm. 10) eine wesentlich längere Lebenszeit Jesu von 40–50 Jahren an (adv. haer. 2,22,6), obwohl dieser nach Lk 3,23 bei der Taufe 30 Jahre alt gewesen sei. Nach der Epideixis (c. 74) wurde er gemeinsam von Herodes, dem König der Juden, und Pontius Pilatus, dem Prokurator des Kaisers Claudius (!), zum Tode verurteilt.
§ 11 Zum geographisch-historischen Rahmen des Wirkens Jesu
345
Abweisung in einem samaritanischen Dorf beginnen läßt. Schon früh in seinem Bericht über Jesu Wirken erzählt er, daß Jesus »in den Synagogen Judäas« verkündigt habe, obwohl er ihn unmittelbar darauf am See Genezareth auftreten läßt, wo er den Petrus beruft. Lk 5,17 und 6,17 betonen, daß ihm die Menge aus ganz Judäa zuströmte und daß die Nachricht von seinem wunderbaren Wirken sich »in ganz Judäa und dem umliegenden (das heißt überwiegend heidnischen) Gebiet« (Lk 7,17) verbreitete. Das heißt, Lukas weitet die galiläische Wirksamkeit in den Süden aus, wobei er den Leser über die konkrete Geographie im unklaren läßt. Andererseits betont er ausdrücklich mehrfach, noch über Markus und Matthäus hinaus, die galiläische Herkunft Jesu und seiner Jünger. Offenbar liegt ihm daran, sowohl den galiläischen Ursprung Jesu und seiner Bewegung als auch seine Wirkung innerhalb ganz Judäas festzuhalten. Er hat sachlich nicht völlig unrecht, denn nach Ostern spielt Galiläa in den frühchristlichen Texten außerhalb der Evangelien keine wesentliche Rolle mehr. Der Historiker Lukas ist auch der einzige, der auf das Alter Jesu zu Beginn seiner Wirksamkeit hinweist. Er sei damals »ungefähr dreißig Jahre alt« gewesen. Diese Angabe hat alttestamentliche Vorbilder in Joseph und David und darf nicht als exakte Altersangabe mißverstanden werden.10 Im ganzen möchten wir bei aller Vorsicht drei Punkte betonen: 1. daß gegen Johannes mit Markus zeitlich gesehen der größere Teil des Wirkens Jesu in Galiläa sowie in den unmittelbar angrenzenden Gebieten und nicht in Judäa bzw. Jerusalem lag. Galiläa ist auf jeden Fall der Ausgangs‑ und Schwerpunkt seines Wirkens. Bei Lukas in der Apostelgeschichte, bei Epiktet und besonders bei Julian Apostata heißen die Christen Galilaõoi, Jesus selbst ist »der Galiläer«.11 2. Daß Jesus mit Johannes gegen Markus – wie jeder fromme palästinische Jude – mehrfach im Jahr zu Festen nach Jerusalem gezogen ist. Dies zeigen die Lk
9,51–19,27. Zum samaritanischen Dorf s. 9,52–56 und u. S. 355. 4,44; vgl. jedoch 4,14.31: Galiläa. S. auch o. S. 330 Anm. 53. Vielleicht meint Lukas hier das erweiterte »Judäa«, das Galiläa miteinschließt. Zur Berufung des Petrus s. 5,1–11. Lk 1,26; 2,4.39; 4,14; 22,59; 23,49.55; 24,6; Apg 1,11; 2,7 und das formelhafte ürx›meno“ üpÖ tö“ Galila‡a“ Lk 23,5 und Apg 10,37: An sich war Lukas mit der Geographie Judäas, vor allem des Küstengebiets, einigermaßen vertraut. Galiläa kennt er dagegen nicht; s. Hengel, Historiker, 147–183, und Böhm, Samarien. Petrus wird Mk 14,70 = Mt 26,69 im hochpriesterlichen Palast, vor der Verleugnung, als Galiläer bezeichnet. 10 Lk 3,23: kaÑ a§tÖ” én ûIhsoú” ürc·meno” ÆseÑ †tùn tri›konta, vgl. Gen 41,46: Joseph vor Pharao; 2 Sam 5,4: »David war dreißig Jahre alt, als er König wurde«. Wenn Jesus einige Jahre vor dem Tode des Königs Herodes geboren wurde, der 4 v. Chr. starb, hatte er schon das 30. Lebensjahr überschritten: s. Mt 2,3.7. 16.19; Lk 1,5. Derartige Zeit‑ und Altersangaben sind jedoch durchweg von relativ geringem historischem Wert. Joh 8,57 werfen »die Juden« Jesus vor, er »sei noch keine 50 Jahre« und behaupte, Abraham gesehen zu haben. Zur Bedeutung dieser Stelle für Irenäus s. o. S. 344 Anm. 6. 11 Apg 1,11; 2,7; vgl. Mt 26,69. Dazu Hengel, Leser, 106 ff. und o. S. 133. Lk
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IV. Jesu Auftreten und Verkündigung
Bethanienüberlieferung12 und die Samarientraditionen bei Lukas und Johannes,13 die auch auf eine Wanderung Jesu durch Samarien hinweisen. So könnte Jesus Jerusalem mit seinen Jüngern schon ein Jahr vor dem Todespassa zum Passafest und dann später wieder zum Laubhüttenfest besucht haben. 3. Daß die Zeit der Wirksamkeit Jesu relativ kurz war: mindestens ein Jahr, vielleicht eineinhalb, wohl kaum jedoch volle zwei Jahre. Sein Todesdatum war vermutlich der 15. Nisan, das heißt der erste Tag des Passafestes im Jahre 30. Wenn der Täufer nach Lk 3,1 f. »im 15. Jahr des Kaisers Tiberius« etwa gegen Ende 27 oder Anfang 28 n. Chr. aufgetreten ist und nach längerer Haft in der ersten Hälfte des Jahres 29 getötet wurde,14 so könnte Jesu öffentliches Wirken gegen Ende des Jahres 28 n. Chr. begonnen haben. Bei diesen hypothetischen Zeitangaben gehen wir davon aus, daß sowohl der Täufer wie dann auch Jesus auf die politischen und religiösen Machthaber so provozierend wirkten, daß man sie nicht allzu lange gewähren ließ. Zumindest nach der Hinrichtung des Täufers mußte Jesus auch mit dem Opfer seines eigenen Lebens gerechnet haben. Eine über zwei‑ bis dreijährige öffentliche Wirkungszeit, wie man sie aus Johannes herauslesen könnte, ist schon aus diesem Grunde unwahrscheinlich. Wieweit es Zeiten der Vorbereitung und des Übergangs gab, bleibt unsicher. Diese etwa ein bis eineinhalb Jahre der öffentlichen Wirksamkeit Jesu sind im Grunde die erfüllteste Zeit der Weltgeschichte überhaupt. Von keiner vergleichbar kurzen Zeitspanne aus dem Leben eines Menschen sind derartige, die Jahrtausende und die Kontinente überspannende Wirkungen ausgegangen, obgleich sich dieses Geschehen in keinem der damaligen Weltzentren, auch nicht in den Kreisen der Führungsschicht des römischen Reiches, sondern in dem weltvergessenen Winkel Galiläa und in dem von der griechisch-römischen Oberschicht so verachteten jüdischen Volk zutrug.
11.2 Orte und Wege Jesu in Galiläa Die Frage ist, ob wir über diese wenigen Angaben zum Rahmen der Geschichte Jesu hinaus noch einzelne Fixpunkte ausmachen können. Dies ist nur vereinzelt möglich. Wir haben im Zusammenhang mit Galiläa schon darauf hingewiesen.15 Ein solcher geographischer Punkt ist die Wirksamkeit Jesu an 12 Mk 11,11; 14,3 (dort wird Jesus bereits als wohlbekannt vorausgesetzt); vgl. 14,12–15.32; Joh 11,1 ff. 13 Lk 9,52; 17,16; Joh 4,4 ff. 14 Bei der Frage Jesu nach der Herkunft der Johannestaufe Mk 11,30 ff. scheint der Tod des Täufers nicht schon Jahre zurückzuliegen. Zur Chronologie Jesu s. Riesner, Paulus, 31–52, der jedoch mit Johannes für den 14. Nisan im Jahr 30 als Todesdatum plädiert. S. auch o. S. 1.81 f. 15 S. o. S. 273–283.
§ 11 Zum geographisch-historischen Rahmen des Wirkens Jesu
347
der Nordwestecke des Sees Genezareth, die durch die drei Orte Kapernaum, Chorazin und Bethsaida in einem Dreieck mit ca. 5 bis 6 km Seitenlänge umgrenzt wird: Kapernaum am Ufer des Sees, Chorazin nördlich davon in den Bergen und Bethsaida östlich an der Einmündung des Jordans, das schon zu dem Gebiet des Philippus gehörte. Er hatte dort wohl 30 n. Chr. eine nach der Frau des Augustus und Mutter des Tiberius (Livia) Julia Augusta genannte Polis Julias gegründet, die aber keine größere Bedeutung erlangte. Die scharfen Weherufe Jesu gegen diese drei Orte, an denen so viele »Erweise göttlicher Kräfte« (dun›mei“) geschehen waren,16 legen nahe, daß sie den Ausgangspunkt seines Wirkens bildeten. Für die spätere Gemeinde spielten sie keine Rolle mehr, und ihre Nennung in der Logientradition genügt nicht, um »Q« als eine Quelle der galiläischen Jesusgemeinden zu bezeichnen.17 Auch die ersten Jünger Jesu stammten aus dieser Gegend. Nach Joh 1,44 kommen Philippus wie auch das Brüderpaar Simon Petrus und Andreas aus Bethsaida. Andreas und Philippus fallen dabei durch ihre griechischen Namen auf.18 Nach Joh 12,20 f. werden gerade sie von den Griechen angesprochen, die Jesus sehen wollen. Johannes setzt selbstverständlich voraus, daß sie Griechisch sprechen. Weitere Hinweise finden wir in Mk 8,22 ff., der Erzählung vom Blinden aus Bethsaida, und zwischen der Speisungs‑ und Meerwandelerzählung Mk 6,45. Es ist der einzige Ort jenseits der Grenze Galiläas, der neben den galiläischen Kapernaum und Nazareth in allen vier Evangelien erscheint. Möglicherweise ist Simon Petrus nach seiner Heirat nach Kapernaum übergesiedelt; Mk 1,21.29 f. heilt Jesus dort die Schwiegermutter des Simon Petrus vom Fieber, und auch sein Haus scheint Jesus als Stützpunkt zur Verfügung gestanden zu haben. Nach seiner Übersiedlung dorthin (Mt 4,13; Joh 2,12) nennt es Mt 9,1 seine »eigene Stadt« (tÉn ¢d‡an p·lin). Noch zu Beginn des 2. Jahrhunderts n. Chr. bezeichnet eine rabbinische Nachricht19 Kapernaum als verrufene Wohnstätte von Judenchristen, hebräisch mînîm, Sektierern, die einen Gelehrtenschüler verhexten, so daß er am Sabbat auf einem Esel ritt und von seinem Onkel wegen dieses Skandals nach Babylonien abgeschoben werden mußte. Die Ausgrabungen unter einer byzantinischen Achteckkirche haben eine vorkonstantinische Hauskirche zu16 Lk 10,13 ff. = Mt 11,21 ff. Zu dem Ort s. Schürer I, 171 f. und den Bericht von R. Arav, New Testament Archaeology and the Case of Bethsaida, in: M. Becker / W. Fenske (Hg.), Das Ende der Tage und die Gegenwart des Heils. FS H.-W. Kuhn zum 65. Geburtstag, Leiden u. a. 1999, 75–99 (79 f.85 f.). Die Lebensweise der Bewohner war einfach, von »hellenistischer Zivilisation« ist wenig zu spüren. S. auch Hengel, Petrus, 19 f.65. 17 Außer Chorazin werden die beiden anderen Orte Kapernaum und Bethsaida häufiger bei Markus genannt. Die Logientradition weist so wie Markus auf die galiläische Wirksamkeit Jesu, nicht auf nachösterliche galiläische Gemeinden zurück. S. auch o. S. 280. 18 Philippus könnte seinen Namen nach dem Landesherrn, dem Tetrarchen Philippus, erhalten haben. Vgl. dazu o. S. 73 Anm. 184. 19 MidrQohR 1,8; Bill. I, 159.
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IV. Jesu Auftreten und Verkündigung
tage gefördert, die bis ins 2. Jahrhundert n. Chr. zurückreichen soll. Ob es sich dabei um das Haus des Petrus handelt, bleibt freilich noch ungewisser als die Frage nach dem Petrusgrab unter Sankt Peter in Rom.20 Außer den genannten drei Orten werden aus Galiläa die Dörfer Nain (nā‛îm = lieblich), Lk 7,11 ff., Kana, Joh 2,1 ff.,21 Genezareth, Mk 6,53, und vielleicht Magdala,22 Mk 8,10, ca. 5 km südwestlich von Kapernaum, erwähnt. Die neugegründete Polis Tiberias erscheint nur bei Joh 6,1.23 und 21,1 in Zusammenhang mit dem See und dem Bootswunder. Ein schwieriges Problem bildet die Erzählung vom Exorzismus in einem von Nichtjuden bewohnten Stadtgebiet am Ostufer des Sees Genezareth. Mk 5,1 und Lk 8,26 schreiben nach den besten Textzeugen »vom Gebiet der Gerasener«, was geographisch unmöglich ist, da das zur Dekapolis gehörende Gerasa ca. 50 km südöstlich des Sees im Ostjordanland liegt. Mt 8,28 spricht darum vom »Gebiet der Gadarener«23, was auch nicht zutreffen kann, da Gadara, ebenfalls eine bekannte Stadt der Dekapolis, zwar nur ca. 10 km vom Südende des Sees entfernt ist, aber mit seinem Stadtgebiet nicht an diesen grenzt. Die einzige heidnische Polis am Südostufer des Sees war Hippos Susitha.24 Origenes hat demgegenüber korrigierend die Lesart »Gergesener« (Gergeshnùn) vertreten und von einer »alte(n) Stadt« mit einem Felsabsturz zum See hin gesprochen, während Euseb Gergesa als »Dorf auf einem Berge am See von Tiberias« bezeichnet.25 Die meisten dieser Ortsangaben haben sich – wenn man vom Ausgangspunkt Kapernaum absieht – durch Zufall erhalten, außerhalb des Mutterlandes waren geographische Details aus Galiläa nicht mehr wichtig. Darum hat man auch keine weiteren Ortsnamen novellistisch hinzuerfunden, selbst in den »apo20 Reed, Archaeology,
142 f.158; Claussen, Versammlung, 181; Hengel, Petrus, 172 f. Joh 4,46; nach 21,2 soll es die Heimat des Nathanael gewesen sein. Zu den galiläischen Orten s. schon o. S. 282 f. 22 S. o. S. 264 Anm. 76. Markus hat die rätselhafte Bezeichnung Dalmanutha, Matthäus: Magadan. K. Seybold, ZDPV 116 (2000), 42–48 vermutet die Salmon-Mündung 2 km nördlich von Magdala. 23 Mk 5,1 = Lk 8,26: e¢“ tÉn c„ran tùn Gerashnùn (Mt 8,28: tùn Gadarhnùn), Mk: a* B D latt sa; Lk: P75 B D latt syhmg; Mt: B C Q al sys.p.h.. 24 Zu Gerasa, Gadara und Hippos s. Schürer II, 130–136.149–155. 25 Origenes, comm. in Joh 7,41 §§ 208–211 (SC 157, ed. C. Blanc, 288 f.); Euseb, onomasticon (GCS, ed. Klostermann, 74). S. dazu Th. Zahn, Lk, 760–764; Dalman, Orte, 190–193. Daß die in den Handschriften später überwiegende Lesart Gergeshnwn älter ist als die kritischen Bemerkungen des Origenes, zeigt sich daran, daß sie schon in alten Textzeugen erscheint, so bei Lk 8,26 in a und Q und in Mk 5,1 unter anderem in sys und in Ephrems Kommentar zum Diatessaron (SC 121, übers. von L. Leloir), 97: »au pays des Gergézéniens«. Es muß so offenbleiben, ob nicht schon Markus (und ihm folgend Lukas) den Namen des unbekannten Dorfes Gergesa mit dem wohlbekannten Gerasa verwechselt haben oder Markus nicht doch ursprünglich GERGESHNWN hatte und ein ganz früher Abschreiber dies in GERASHNWN verwandelte. In Mt 8,28 hat a GAZARHNWN. S. auch Klostermann, Mk, 47: Die Konjektur »Gergesa« ist älter als Origenes. 21 Vgl.
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kryphen« Evangelien des 2. Jahrhunderts nicht. Die Evangelien sind hier ebenso zurückhaltend und darum ähnlich zuverlässig wie bei Personennamen. Eine auffallende Rolle für die galiläische Wirksamkeit Jesu spielt der See Genezareth in allen Evangelien, am stärksten aber in Markus, der ihn zwischen 1,16 und 7,31 insgesamt 17mal als »(Galiläisches) Meer« erwähnt.26 Diese ungriechische Bezeichnung eines Binnensees als Meer ist biblischer Sprachgebrauch.27 Matthäus folgt hier ganz der markinischen Vorgabe, während Johannes den See nach der neuen Hauptstadt, die nur er erwähnt,28 »See von Tiberias« nennt. Der Grieche Lukas dagegen verwendet wie auch Josephus nur l‡mnh, Binnensee, einmal mit der näheren Kennzeichnung Gennhsarfit, aber sehr viel seltener als Markus und Matthäus.29 Diese auffallende Hervorhebung des »Galiläischen Meeres« in Markus und Matthäus bei der Darstellung der Wirksamkeit Jesu in seiner Heimatprovinz mag damit zusammenhängen, daß hinter dem zweiten Evangelisten der ehemalige Fischer Petrus als Gewährsmann steht, der auch für Matthäus eine grundlegende Autorität darstellt. Die erste Szene nach dem »Prolog« Mk 1,14 f. beginnt damit, daß Jesus »am Ufer des Galiläischen Meeres« entlanggeht30 und die als Fischer arbeitenden Brüderpaare Simon und Andreas und Jakobus und Johannes in seine Nachfolge ruft.31 Später zieht er sich mit seinen Jüngern vor der ihn bedrängenden Volksmenge, die aus ganz Eretz Israel und angrenzenden Gebieten gekommen ist, an den Strand zurück und bittet die Jünger, »daß sie für ihn ein Boot bereithielten wegen der Menge, damit sie ihn nicht erdrückten«32, und schließlich lehrt er die Menge vom Boot aus, während diese am Ufer seiner Rede »in Gleichnissen« zuhört.33 Er überquert auch mehrfach den See, der maximal 12 km breit ist,34 von West nach Ost und umgekehrt,35 bannt einmal durch seinen Ruf »schweige, verstumme« einen der gefährlichen, durch plötzliche Fallwinde aus dem Westen 26 In Mk 1,16 führt er es vor der Berufung der ersten Jünger als q›lassa tö“ Galila‡a“ ein und wiederholt diese Bezeichnung bei der letzten Nennung 7,31. 27 Num 34,11 (im Zusammenhang mit der Ostgrenze Israels): jām kinnärät: q›lassa Cenfireq; vgl. V. 12 das »Salzmeer«: q›lassa ™ ®lukfl (Num 34,3; Dtn 3,17; Jos 15,2.5). 28 Joh 21,1: tö“ qal›ssh“ tö“ Tiberi›do“; vgl. 6,1: tö“ qal›ssh“ tö“ Galila‡a“ tö“ Tiberi›do“. Johannes konzentriert den Hinweis auf den See ganz auf c. 6. Zur Stadt selbst s. 6,23 und o. S. 73 f. 29 Lk 5,1 f.; 8,22 f.33. Zu Josephus s. die Konkordanz von Rengstorf s. v. l‡mnh. 30 Mk 1,16: par›gwn parÅ tÉn q›lassan, vgl. die ähnlichen Formulierungen 2,13: †xölqen p›lin parÅ tÉn q›lassan bei der Berufung des Zöllners Levi; 4,1: ≥rxato did›skein parÅ tÉn q›lassan und 5,21: én parÅ tÉn q›lassan. 31 Mk 1,16–20 = Mt 4,18–22; Lk 5,1–11; vgl. auch Mt 17,27. 32 Mk 3,7–9 (Sondergut). 33 Mk 4,1 f. = Mt 13,1–3; vgl. Lk 5,1–3. 34 S. dazu W. E. Gerber, BHH III, 1751: Der See hat eine Fläche von 170 km2 und ist 21 km lang. 35 Mk 4,35 ff. parr.; 5,1.21; vgl. 6,32 f.45 ff.; 8,10.14 par.
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IV. Jesu Auftreten und Verkündigung
ausgelösten Stürme,36 ja, er soll seine Jünger bei stürmischem Wind um die dritte Nachtwache mitten auf dem See wandelnd überrascht haben, so daß sie ihn für ein Gespenst halten und vor Furcht aufschreien, bis er sie beruhigt und zu ihnen ins Boot steigt. Matthäus steigert das Wunder, indem er Petrus, von Jesus gerufen, diesem auf den Wellen entgegengehen, dann in Angst und Zweifel untergehen, aber von Jesus gerettet werden läßt.37 »Die ganze nördliche Hälfte des Seebeckens (wird) zu einem großen Schauplatz seiner Geschichte.«38 Auch in »Sammelberichten«, idealen Szenen und Wundererzählungen können dabei deutliche Spuren von Jüngererinnerung sichtbar werden. Eine ganz andere Stätte der Wirksamkeit Jesu, die Lukas am meisten hervorhebt, sind die galiläischen Synagogen als Ort seiner Lehre, vor allem die in seinem Hauptstützpunkt Kapernaum,39 aber auch im Heimatort Nazareth.40 Markus berichtet ganz allgemein im Anschluß an Jesu erstes Auftreten in Kapernaum: »Und er zog umher, predigte in ihren Synagogen in ganz Galiläa und trieb die Dämonen aus.«41 Derartige zusammenfassende redaktionelle Angaben sind historisch durchaus ernst zu nehmen. Dies zeigt schon der mehrfach berichtete Konflikt wegen Krankenheilungen am Sabbat in Synagogen.42 Die Synagoge hatte in Eretz Israel erst im 1. Jahrhundert v. Chr. in herodianischer Zeit Eingang gefunden, zuvor ließ die Gefahr der Konkurrenz zum Tempel diese Institution im Mutterland nicht zu. Man gab ihr dort auch nicht den Namen »Gebetsstätte« (proseucfl) wie in der Diaspora, wo solche proseuca‡ im ptolemäischen Ägypten schon gegen Ende des 3. Jahrhunderts v. Chr. inschriftlich bezeugt sind,43 die palästinisch jüdische Bezeichnung war bewußt das neutrale,
36 Mk
4,35–41 = Lk 8,22–25 = Mt 8,23–27; s. dazu Dalman, Orte, 196–198. 6,45–52 = Mt 14,22–33; vgl. Joh 6,16–21. Ein Vergleich zeigt, wie sich solche Wundererzählungen weiterentwickeln und wie sie theologisch ausgestaltet werden. Während Mk 6,52 die Furcht der Jünger bei der Erscheinung Jesu als Unverständnis und »Herzensverhärtung« tadelt, schließt Mt 14,33 die Erzählung mit der Proskynese der Bootsinsassen und dem Bekenntnis zu Jesus als »Sohn Gottes«. Johannes dagegen läßt sie, die zuvor noch 25/30 Stadien (ca. 4–5 km) vom Ufer entfernt waren, plötzlich wunderbar an ihr Ziel gelangen (6,21). Lukas übergeht die Erzählung zugunsten seines Reiseberichts: Man kann sich fragen, ob hier nicht die ursprüngliche Erzählung vom Bericht einer Erscheinung des Auferstandenen beeinflußt wurde; vgl. Joh 21,4.7. Möglicherweise liegt auch ein visionäres Jüngererlebnis zugrunde. 38 Dalman, Orte, 196. 39 Mk 1,21 ff.29 par. 40 Mk 6,2 = Mt 13,54; vgl. Lk 4,16–30. 41 Mk 1,39 = Mt 4,23; vgl. Lk 4,15. Nach dem Mißerfolg in Nazareth ersetzt Lukas »die Synagogen Galiläas« durch »Judäas« (4,44; s. o. S. 345 Anm. 8) und weitet damit Jesu Wirksamkeit auf das ganze jüdische Palästina aus. 42 Mk 3,1–6 parr.; Lk 13,10–17; vgl. Mk 1,21 ff. par. und Lk 14,1–6; s. u. S. 419. 43 Nach Jes 56,7 war der Tempel das wahre »Bethaus« (bêt t efillāh = oèko“ proseucö“); vgl. Mk 11,17 f., s. o. S. 155 f. und Hengel, KS I, 171–195. 37 Mk
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ja profane »Versammlungshaus«.44 Die frühen galiläischen Synagogen des 1. Jahrhunderts müssen, wenn man von der prachtvollen Basilika, die Herodes Antipas in Tiberias erbaute, absieht, schlichte, schmucklose »Versammlungs häuser« gewesen sein, wie sie etwa in Gamala im Golan entdeckt wurden. In Kapernaum liegt unter den Resten der großen synagogalen Basilika aus dem 4. / 5. Jahrhundert der Basaltfußboden eines älteren Baues, der vermutlich zur Synagoge des 1. Jahrhunderts gehört.45 Die Schilderungen vom Auftreten Jesu in den Synagogen Galiläas zeigen ihn als charismatischen Lehrer und Heiler mit einzigartiger Autorität: Die Zuhörer »waren tief beeindruckt (†xeplflssonto) von seiner Lehre, denn er lehrte sie wie einer, der Vollmacht besitzt, und nicht wie die Schriftgelehrten.«46
11.3 Jesus auf heidnischem Gebiet, in Samarien und sein Weg in die Passion47 Ein entscheidendes historisches Datum für Jesu Wirksamkeit war offensichtlich das gewaltsame Vorgehen des Herodes Antipas gegen den Täufer, vermutlich in der ersten Hälfte des Jahres 29. Gemäß Mk 1,14 und Lk 3,19 f. beginnt Jesus ja seine öffentliche Predigt erst nach der Verhaftung des Johannes, nach Joh 3,22 ff. überschneidet sich jedoch beider Wirken. Hier könnte Johannes den Markus mit Recht korrigiert haben. Jesus wird kaum so spät aufgetreten sein, wie es die synoptischen Evangelien darstellen. Der gewaltsame Tod des Johannes nach einer gewissen Zeit der Gefangenschaft brachte einen Einschnitt in sein Wirken, denn nach der Ermordung des Vorläufers hat der mißtrauische Landesherr Antipas 44 Bêt (ha)k enäsät = (oèko“) sunagwgö“; s. Jastrow, Dictionary, 650, auf Griechisch abgekürzt sunagwgfl. Das Wort erscheint schon in der Septuaginta häufig als Übersetzung von ‛edāh, der Versammlung Israels. ûEkklhs‡a = qāhāl war von Anfang an ein urchristlicher eschatologischer Gegenbegriff dazu, der freilich außer bei Matthäus (16,18; 18,17) in den Evangelien (noch) nicht begegnet; s. Bd. II. 45 Zu den palästinischen Synagogen vor 70 s. Claussen, Versammlung, 168–191, speziell zu Gamala 168 ff., wo der Bau »von vornherein als Versammlungsgebäude errichtet (wurde)« und die Identifizierung als Synagoge sicher ist, und 180 f. zu Kapernaum. Die Synagoge ist nur ca. 35 m von der oktogonalen Memorialkirche über dem »Haus des Petrus« entfernt: »Der Evangelist erweckt in Mk 1,29 eben diesen Eindruck benachbarter Gebäude« (181). Hinter dem ganzen Kapernaumbericht 1,21–39 wird Petrusüberlieferung stehen. S. auch 181 f. zu der Möglichkeit einer alten Synagoge in Chorazin. Zum Synagogenbau in Palästina s. jetzt D. Milson, Art and Architecture of the Synagogue in Late Antique Palestine, AJEC (AGAJU) 64, Leiden 2007. Die Mehrzahl der bekannten Synagogen stammt aus spätrömisch-byzantinischer Zeit und ist oft vom Kirchenbau beeinflußt. 46 Mk 1,22. Mt 7,28 f. setzt diesen Satz an das Ende der Bergpredigt. Vgl. Lk 4,32 und Mk 1,27: didacÉ kainÉ kat’ †xous‡an. Zur Vollmacht Jesu s. auch u. S. 358 f. 47 Jeremias, Theologie, 264 ff.; H. F. Bayer, Jesus’ Predictions of Vindication and Resurrection, WUNT II / 20, Tübingen 1986; Wilckens, Theologie I / 2, 2–18.
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IV. Jesu Auftreten und Verkündigung
sein Auge auch auf den sonderbaren neuen Wanderprediger Jesus geworfen, der ähnlich wie der Täufer das Volk in bedenklicher Weise anzog und nicht wie dieser im entfernteren Peräa, sondern in seinem Hauptterritorium Galiläa selbst wirkte. Lk 13,31 f. (Sondergut) warnen Pharisäer Jesus: »Gehe fort und verschwinde von hier, denn Herodes will dich töten!« Dieser antwortet: »Geht und sagt diesem Fuchs: Siehe, ich treibe Dämonen aus und vollbringe Heilungen heute und morgen, und am dritten Tage werde ich vollendet«.
Die Metapher vom schlauen Fuchs im Munde Jesu paßt zu der vom schwankenden Schilfrohr.48 Lukas bringt damit die Gewißheit Jesu zum Ausdruck, daß – im Gegensatz zum Täufer – sein Landesherr ihm nichts antun kann. Er erfüllt seinen gottgegebenen endzeitlichen Auftrag, der in »Dämonenaustreibungen und Heilungen« besteht, die hier auffallenderweise an der Stelle seiner Verkündigung des Gottesreiches stehen, vermutlich, weil sie besonderes Aufsehen erregten und auch den Tetrarchen neugierig machten (Lk 9,7 f.; 23,8). Seine Wanderschaft endet nach Gottes Willen erst in Jerusalem, dem Ort der alttestamentlichen Profetenmartyrien.49 Auch Markus berichtet über das Interesse des Herodes, den er nicht Tetrarch, sondern – volkstümlichem Brauch folgend – »König« (basile‚“) nennt, an Jesus, anschließend erzählt er das Martyrium des Täufers.50 Darauf folgen bei ihm Hinweise über Wanderungen Jesu außerhalb der Grenzen Galiläas – genannt werden die Stadtgebiete von Tyros und Sidon im Westen und Norden und der Dekapolis im Osten und Südosten51 – und in dem Gebiet von Bethsaida,52 das schon zur Gaulanitis, das heißt dem Gebiet des Philippus gehörte. Dieses Entweichen über die Grenzen Galiläas auf ganz oder überwiegend heidnisches Gebiet ist keine Erfindung des Evangelisten Markus. Es erklärt sich am besten so, daß Jesus sich nach dem Tode des Täufers den Nachstellungen seines Landesherrn entziehen wollte. Mit der späteren Heidenmission hat dieser Über48 Lk
7,24 f.; s. o. S. 278. Zum Bild s. Bill. II, 200 f. 13,33: Entscheidend ist das deõ me … pore‚esqai. Das Logion ist von Lukas stilisiert, enthält aber deutlich traditionelle Elemente. Zu den Profetenmartyrien s. Lk 13,34 = Mt 23,37; Lk 11,47 ff. = Mt 23,29 ff.; vgl. 1 Thess 2,14 f.; Apg 7,52. 50 Mk 6,14–29. Matthäus bezeichnet 14,1, Lukas folgend, Herodes als Tetrarchen. 14,8 nennt er ihn, von Markus abhängig, basile‚“. 51 Mk 7,24.31: Jesus verläßt das Stadtgebiet von Tyros und kommt (über das Gebiet von Sidon) zum Galiläischen Meer mitten durch (oder mitten in) das Gebiet der Dekapolis. Nach Josephus, ant. 18,153 grenzte das große Gebiet von Damaskus, das zur Dekapolis gehörte, am Antilibanon an das von Sidon. Auch Hippos am Ostufer des Sees von Genezareth war Mitglied des Zehnstädtebundes. Jesus wäre so in großem Bogen um Galiläa herumgewandert. Markus war kein solcher geographischer Ignorant, wie ihn die hyperkritische Forschung hinstellen wollte. Vgl. Hengel, Historiker, 150 f. 52 Mk 6,45; 8,22. Das Fischerdorf Bethsaida wird überwiegend jüdische, Julias dagegen ähnlich wie Tiberias eher eine gemischte Bevölkerung besessen haben, s. o. S. 73. 49 Lk
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tritt vom jüdischen Galiläa auf überwiegend heidnisches Gebiet dagegen noch kaum etwas zu tun. Die Leser außerhalb Palästinas kannten die geographischen Verhältnisse in und um Galiläa zuwenig, um einen solchen Bezug herzustellen. Die einzige Ausnahme ist der Besessene von Gerasa / Gergesa, dem Jesus verwehrt, daß er sich ihm anschließt, er solle vielmehr seinen Angehörigen mitteilen, was ihm »der Herr getan hat«, worauf dieser in der Dekapolis die Tat Jesu verkündigte, so daß sich »alle verwunderten«.53 Die heidnischen Bewohner des Ortes fordern Jesus dagegen auf, ihr Gebiet zu verlassen,54 so daß er mit dem Boot über den See nach Kapernaum zurückfährt. Hier könnte ein indirekter Hinweis auf die spätere Heidenmission vorliegen. Derartige geographische Notizen zeigen wieder, daß Markus, was den Rahmen seines Evangeliums anbetrifft, nicht völlig uninformiert war und darin historische Überlieferung verarbeitet hat. Gemäß Mk 8,22 heilt Jesus einen Blinden in Bethsaida und zieht dann – begleitet von seinen Jüngern – in 8,27 wieder nach Norden »in die Dörfer von Caesarea Philippi«, das heißt in das Stadtgebiet der Hauptstadt des Territoriums von Philippus am Fuße des Hermon.55 Offenbar meidet er, wie schon zuvor in Galiläa und Phönizien, die großen Städte – ganz im Gegensatz zur Tendenz der späteren urchristlichen Missionare. Es ist bezeichnend, daß Markus um 70 gegen die Entwicklung der letzten zwanzig Jahre seit dem Apostelkonzil noch von keiner eindeutig sichtbaren Vorbereitung der Heidenmission56 durch Jesus berichtet. Nach 7,27 hat ja Jesus die Bitte der Syrophönizierin im »Stadtgebiet von Tyrus«57 auf schroffe Weise zurückgewiesen: »Laß zuerst die Kinder satt werden. Denn es ist nicht gut, das Brot den Kindern zu nehmen und den Hunden vorzuwerfen.« Jesu Wirken konzentriert sich auch bei Markus auf sein eigenes Volk. Matthäus hat dieses Motiv später noch gesteigert. Jesus ist nur gesandt »zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel«58, auch verbietet er den Jüngern bei der Aussendung, in »eine Stadt der Samaritaner und auf den Weg zu den Heiden« zu gehen.59 Erst der 53 Mk 5,18–20 = Lk 8,38 f. Matthäus läßt diesen Satz weg, da sich Jesus bei ihm bewußt auf die Verkündigung für die Juden konzentriert. Zum Ort der Handlung s. o. S. 348 Anm. 25. 54 Mk 5,17 = Lk 8,37 = Mt 8,34. 55 Mk 9,2 läßt unmittelbar nach der Ortsangabe Caesarea Philippi Jesus mit drei Jüngern einen »hohen Berg« besteigen (vgl. 9,9). Man könnte hier an den Hermon denken als Berg zwischen Himmel und Erde mit Offenbarungsfunktion (1 Hen 6,4–6, vgl. 13,7; 2 Hen 18,4). 56 Diese erscheint erst in der Zukunftsweissagung Mk 13,10 und zu Beginn der Passionsgeschichte in 14,9. 57 7,24: e¢“ tÅ Ωria T‚rou, das heißt westlich von Galiläa. Mt 15,21 ergänzt schematisch: kaÑ Sidùno“, vgl. Mk 7,31. Nach Mk 3,8 kommt schon eine Menschenmenge von Tyros und Sidon zu ihm. Da beide Städte große Judengemeinden besaßen, bleibt unklar, ob Markus wie in 5,18 ff. Heiden meint. Vgl. auch das Jesuswort Lk 10,13 f. = Mt 11,21 f.: Das heißt, Jesus hat in den heidnischen Städten keine Wunder getan. 58 Mt 10,6 und 15,24 (Sondergut). 59 Mt 10,5.
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IV. Jesu Auftreten und Verkündigung
Auferstandene sendet nach ihm die Elf »zu allen Völkern«, damit sie diese »zu Jüngern machen«.60 Lukas und noch stärker Johannes berichten dagegen von einer Zuwendung Jesu zu den samaritanischen »Häretikern«.61 Der nach Markus mehrfache Übertritt auf nichtjüdisches Gebiet ist nicht einfach markinische Konstruktion, sondern hat historische Ursachen, die Markus in der ihm eigenen volkstümlichen Weise zur Sprache bringt: Herodes Antipas, der auf Jesus aufmerksam wird, sieht in ihm den Johannes redivivus: »Der Johannes, den ich enthauptet habe, ist auferweckt!«62 Das heißt, der gewaltsame Tod des Täufers wirft seinen Schatten auf den Weg Jesu. Auffallend ist dabei, daß Markus bei diesem Ausweichen auf überwiegend heidnisches Gebiet nichts von öffentlicher Volkspredigt berichtet. Sie beginnt erst wieder in der Nähe zu galiläischem Gebiet.63 So unscharf die geographischen Angaben bei Markus sein mögen, der nicht wie wir Landkarten kannte, es zeigen sich bei ihm doch Hinweise, die bereits in Galiläa eine sich anbahnende Krise andeuten. Jesus stößt auf Widerstand und Widerspruch. Dazu gehört auch die Szene bei Caesarea Philippi, wohin ihm keine »Volksmenge« folgt – von der ist nur noch in 8,1–9 die Rede –, sondern nur seine Jünger (8,27).64 Daß Markus hier das Messiasbekenntnis des Petrus im Namen der Zwölf mit der ersten von ihm selbst formulierten Leidensankündigung verbunden hat, ist nicht zufällig. Die Art der Darstellung entspricht seinem holzschnittartigen Stil und ist geprägt durch die theologische Dramatik seines Evangeliums: Es erreicht hier eine erste Klimax. Dies schließt jedoch historisch-geographisches Wissen nicht aus. Gemäß der Hypothese von A. Schweitzer und R. Otto soll die Hinrichtung »seines Vorläufers« Jesus veranlaßt haben, als leidender Gottesknecht den Opfergang nach Jerusalem anzutreten. Das wäre plausibel, es läßt sich für die galiläische Zeit jedoch nicht zureichend begründen; das Gegenteil freilich auch nicht. Auf jeden Fall muß Jesus seit der Hinrichtung des Täufers mit der Möglichkeit seines Todes ernsthaft gerechnet haben. Dem entspricht auch die Fortsetzung seiner oben erwähnten Antwort auf die Warnung der Pharisäer vor Herodes Antipas, Lk 13,32 f.: »Also muß ich heute und morgen und übermorgen umherziehen, denn es ist unmöglich, daß ein Profet sterbe außer in Jerusalem.« 60 Mt 28,19, vgl. 24,14 und 26,13 im Anschluß an die Voraussagen Jesu in Mk 13,10 und 14,9. 61 Lk 9,52 ff.; 17,16; vgl. 10,33 und 17,11; Joh 4,4–42. S. auch Apg 8,5, wo Philippus gerade das tut, was Mt 10,5 verbietet. S. dazu Böhm, Samarien, und Bd. II. 62 Mk 6,14 par.; anders Lk 9,9; s. o. S. 301 Anm. 31. 63 Vgl. z. B. Mk 8,1 ff. 64 Mk 8,27–33. Die markinische Verstockungstheorie (4,10–12.33 f.), die auf Jes 6,9 gründet und die der Evangelist mit der Interpretation der Rede Jesu in Gleichnissen als unverständliche Rätselrede verbindet, reflektiert diesen Widerstand, der sich für ihn auch in der Beelzebulanklage der Schriftgelehrten aus Jerusalem und dem Unverständnis seiner Familie (Mk 3,21–34) äußert. S. dazu u. S. 471 f.
§ 11 Zum geographisch-historischen Rahmen des Wirkens Jesu
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Jesus ist nicht als ein weltfremder Schwärmer blindlings in den Tod getaumelt. Dagegen sprechen Aussagen wie die Frage Jesu an die Zebedaiden Mk 10,38: »Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke, und mit der Taufe getauft werden, mit der ich getauft werde?« oder das Sendungswort Lk 12,50: »Mit einer Taufe muß ich getauft werden, und wie bin ich in Not, bis es vollbracht ist.« Auch der Hinweis auf das Leiden des Menschensohnes Mk 9,31 gehört wohl ursprünglich in diesen Kontext.65 Man wird so annehmen müssen, daß Jesus bei seinem letzten Zug zum Passafest nach Jerusalem, wo er das ganze Volk zu einer Entscheidung für Gottes Herrschaft aufrufen wollte, fest damit rechnete, verhaftet und hingerichtet zu werden. Umstritten ist, ob und wie er damit eine soteriologische Deutung verbunden hat. Wir besitzen immerhin zwei klare Aussagen Jesu, die an hervorgehobener Stelle darauf hinweisen, beide bei Markus, die Matthäus von ihm übernahm: Einmal Mk 10,45: »Der Menschensohn ist nicht gekommen, sich dienen zu lassen, sondern daß er selbst diene und gebe sein Leben als Lösegeld für viele«, und zum anderen Jesu Handeln beim Abendmahl, Mk 14,22 ff.66 Es ist nicht unwahrscheinlich, daß er seinen gewaltsamen Tod, den er im Grunde am Ende selbst provozierte, als Sühnopfer für sein Volk, dessen Führer sich ihm und seiner Botschaft verweigert hatten, verstanden hat. Auf jeden Fall haben die Jünger nach Ostern seinen Weg, auf dem sie ihn ja bis Gethsemane begleiteten, später in diesem Sinne verstanden und verkündigt. Im Gegensatz zu Markus, der Samaria und die Samaritaner nicht erwähnt, und zu Matthäus, der dieses zwischen Galiläa und Judäa liegende Gebiet nur einmal, in dem Verbot Jesu an die Jünger, eine »samaritanische Stadt zu betreten«, nennt,67 berichten Lukas und Johannes von Erlebnissen Jesu auf samaritanischem Gebiet. Auf der ersten Station des lukanischen Reiseberichtes, als Jesus »festentschlossen nach Jerusalem aufbrach«, weigern sich die Bewohner eines samaritanischen Dorfes, die jüdische Pilgergruppe nach Jerusalem aufzunehmen. Jakobus und Johannes, die »Donnersöhne« (Mk 3,17), fordern ihn auf, »Feuer vom Himmel fallen zu lassen«, er weist sie jedoch schroff zurück. Eine verbreitete Lesart fügt zur Aufforderung der Zebedaiden noch hinzu: »wie Elia tat«, sie könnte auf Marcion zurückgehen, der damit die beiden Jünger als törichte Anhänger des jüdischen »gerechten Gottes« charakterisiert. Dasselbe gilt von der nur in späten Handschriften überlieferten negativen Antwort Jesu: 65 Wir
folgen hier Jeremias, Abba, 209–229; ders., Theologie, 267–284; s. u. S. 540 f. die stärker »hellenisierte Fassung« 1 Tim 2,6 und das Wort von Jesus als Diener in der lukanischen Abschiedsrede 22,27 und in Röm 15,8; s. dazu ausführlich Stuhlmacher, Theologie I, 120–122.127–130.131–137; s. u. S. 437 f. Zum Abendmahl s. u. S. 586. 67 Mt 10,5: … e¢“ p·lin Samaritùn mÉ e¢sfilqhte, vgl. dagegen Lk 9,52: poreuqfinte“ e¢sölqon e¢“ k„mhn Samaritùn und Philippus in Apg 8,5: katelqán e¢“ [tÉn] p·lin tö“ Samare‡a“. 66 Vgl.
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IV. Jesu Auftreten und Verkündigung
»Wißt ihr nicht, zu welchem Geist ihr gehört? Der Menschensohn ist nicht gekommen zu vernichten, sondern zu retten«.68 In der zweiten Hälfte der »Reiseschilderung« spricht Lukas davon, daß Jesus mit den Jüngern »mitten durch Samarien und Galiläa« bzw. »zwischen« beiden
Gebieten in Richtung auf Jerusalem zieht und in einem Dorf zehn Aussätzige, darunter einen Samaritaner, heilt.69 Über den exakten Reiseweg macht sich Lukas keine weiteren Gedanken. Geographisch konkret wird er erst wieder 18,31 ff., wo er den Zwölfen zum letzten Mal ankündigt, daß er nach Jerusalem hinaufzieht, um dort zu leiden. Unmittelbar darauf nähert er sich – als letzter Etappe der Reise – Jericho.70 Im Gegensatz zu Markus und Matthäus berichtet Lukas nichts davon, daß Jesus durch Peräa, jenseits des Jordans, nach Süden reist,71 ihm liegt vielmehr – historisch zu Recht – daran, Jesus mit den Samaritanern in eine positive Verbindung zu bringen. Daneben erwähnt er in 17,11 Samarien als Einleitung zur nachfolgenden Heilung von zehn Aussätzigen, deren Klimax darin besteht, daß nur einer der Geheilten, der Samaritaner, das heißt ein »Fremder«,72 zurückkehrt, um Jesus zu danken und ihm zu huldigen. Dem entspricht die vorbildliche Haltung des barmherzigen Samaritaners Lk 10,30–37, der – im Gegensatz zu Vertretern des religiösen »Geburtsadels«, einem Priester und einem Leviten – trotz der damit verbundenen Lebensgefahr in der Wüste zwischen Jerusalem und Jericho einen Menschen rettet, der von Räubern überfallen und verletzt worden war. Johannes erzählt dagegen von einer Reise Jesu mit seinen Jüngern in umgekehrter Richtung von Judäa über Samarien nach Galiläa und der Begegnung Jesu am Jakobsbrunnen angesichts des heiligen Berges Garizim bei Sychar / Askar, vermutlich dem damaligen Hauptort der Samaritaner, dessen Bewohner als Folge dieser Begegnung am Ende Jesus als »Erlöser der Welt« bekennen. Der Evangelist verwandelt damit die von ihm dramatisch erzählte Szene, die Vertrautheit mit den örtlichen Verhältnissen zeigt, in ein Paradigma für die spätere universale Völkermission der Kirche.73 Auch für Lukas ist die Schilderung der Samaritanermission des »Hellenisten« Philippus 68 Lk
9,52–56 (Sondergut). Vgl. zu Elia das Zitat aus 2 Kön 1,10.12. Nach Sir 48,1 war Elia ein »Profet wie Feuer«. Zur Abhängigkeit der sekundär ergänzenden Textteile V. 55/56 von Marcion s. Harnack, Marcion, 204*. Die Abneigung der Samaritaner gegenüber galiläischen Jerusalempilgern konnte zu schweren Konflikten führen; s. o. S. 95. 69 Lk 17,11. Zu der ungewöhnlichen Formel diÅ mfison Samare‡a“ kaÑ Galila‡a“ s. jetzt ausführlich Böhm, Samarien, 260–263.271–274. Man wird bei Lukas keine zu genaue Kenntnis der Grenzen zwischen Samarien und Galiläa voraussetzen dürfen. Zwischen beiden Territorien lag die Ebene Jesreel, deren Zugehörigkeit nicht eindeutig war. Zu Lukas als »Geograph« s. Hengel, Historiker, 147 ff. 70 Lk 18,35 = Mk 10,46. Zu den Leidensankündigungen s. Lk 9,22 = Mk 8,31 = Mt 16,21 und bei Lukas noch 9,31; 17,25. 71 Mk 10,1 = Mt 19,1. 72 Lk 17,16: kaÑ a§tÖ“ én Samar‡th“, 17,18: ¨ üllogenÉ“ oñto“. 73 Joh 4,4–42. S. dazu Hengel, KS II, 297–308.
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und anschließend von Petrus und Johannes in Apg 8 eine Vorbereitung der Verkündigung der neuen Heilsbotschaft gegenüber den Nichtjuden. Vielleicht hat schon Jesus selbst gegen die spätere Darstellung des Matthäus die »häretischen« Samaritaner zu den »verlorenen Schafen des Hauses Israel« gerechnet.74 Man darf daher annehmen, daß die »Hellenisten« und die Jerusalemer Urgemeinde mit der für Juden ganz ungewöhnlichen Samaritanermission an ein Verhalten Jesu anknüpfen konnten und überzeugt waren, in der Intention Jesu zu handeln. Den von Markus vorgegebenen geographischen Faden der Reise Jesu nach Jerusalem nimmt Lukas so erst mit der dritten Leidensansage75 wieder auf und läßt Jesus anschließend gegen Markus schon vor seinem Einzug in Jericho einen Blinden heilen, damit er den Aufenthalt in der Stadt auf die für ihn theologisch bedeutsame Begegnung Jesu mit dem »Obersteuerpächter« Zachäus konzentrieren kann.76 Mit dem Einzug Jesu in Jerusalem von Osten her über Bethphage, Bethanien und den Ölberg beginnt dann für die Synoptiker der letzte Kampf und damit die Leidensgeschichte in weiterem Sinne.77 Aufs Ganze gesehen ist eine Rekonstruktion der »Orte und Wege« Jesu nur in groben Zügen, man könnte wieder sagen: nur als »Annäherungsversuch«, möglich. Eine Harmonisierung mit den oft widersprechenden Angaben bei Johannes, die zum Teil erstaunlich exakt klingen, aber sich kaum in einen historisch überzeugenden Rahmen eingliedern lassen, verbietet sich ebensosehr wie bei der Chronologie. Man wird auch gegen Johannes den geographischen und chronologischen Schwerpunkt des Wirkens Jesu nach Galiläa verlegen und die Dauer desselben nicht zu lange ausdehnen dürfen.
74 Mt 10,6; 15,24; Matthäus gebraucht dieses nur bei ihm überlieferte Logion im Sinne der Abgrenzung von Heiden und Samaritanern; vgl. auch Mk 6,34 = Mt 9,36. Zu Philippus s. Bd II. 75 Lk 18,31 ff. = Mk 10,32 ff. = Mt 20,17 ff. 76 Lk 18,35–43 = Mk 10,46–52; bei Mt 20,29–34 sind es zwei Blinde. Der Name Bartimaios wird nur von Markus überliefert. Schon Lukas läßt ihn weg. Zu Zachäos s. Lk 19,1–10 (Sondergut). 77 Mk 11,1 ff. = Lk 19,28 ff. = Mt 21,1 ff. Daß Markus (und von ihm abhängig Lukas) Bethanien nach Bethphage folgen läßt, ist geographische Nachlässigkeit, aus der man nicht auf eine völlige Unwissenheit des Evangelisten, der darum kein Jerusalemer gewesen sein könne, schließen kann. Markus führt hier erzählerisch das 2,8 km östlich von Jerusalem hinter dem Ölberg gelegene Bethanien ein, weil es für ihn als Übernachtungsort Jesu vor dem Passa Bedeutung hat. Jesus muß dort von früheren Besuchen her einen »Stützpunkt« besessen haben; s. Mk 11,1 f.; 14,3; vgl. auch Lk 24,50; Joh 11,1 ff.; 12,1–11. Matthäus korrigiert, indem er den Ort wegläßt. Der Einzugsbericht des Johannes hat ein ganz eigenes Gepräge, er verwandelt ihn in eine »Einholung« Jesu durch die Jerusalemer Bevölkerung: 12,18; s. u. S. 553.
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IV. Jesu Auftreten und Verkündigung
11.4 Jesus als »Lehrer« und »Herr« Die Evangelien schildern einhellig Jesus als Lehrer während der ganzen Zeit seiner Wirksamkeit bis hin zum letzten Mahl mit seinen Jüngern, das bei Lukas und Johannes mit einer Abschiedsrede verbunden ist. Die Orte und Umstände seines Lehrens sind vielseitig und stereotyp zugleich: auf ebenem Feld, in der Einöde, auf einem Berg, am Seeufer und von einem Boot aus, in einem Privathaus, auf der Wanderschaft, bei Gastmählern und zuletzt auf dem Tempelplatz in Jerusalem. Seine Zuhörer sind die Volksmenge – das griechische Äquivalent µclo“ erscheint in den Evangelien 148mal –, seine Jünger, aber auch einzelne im Dialog. Von einer schriftgelehrten Ausbildung hören wir – ganz im Gegensatz zu Paulus – nichts. Es ist seine messianische »Begabung« mit der Fülle des Gottesgeistes seit der Taufe durch Johannes, man könnte auch sagen: seine Bevollmächtigung als Gottessohn, die ihn für die Evangelisten ex officio zum Lehrer macht. Nur Lukas berichtet, beeinflußt vom Formschema der antiken Biographie, daß schon der Zwölfjährige im Tempel die Schriftgelehrten »durch seinen Scharfsinn und seine Antworten« »in Erstaunen versetzte« (2,46 f.). Markus betont dagegen unmittelbar nach der Berufung der ersten Jünger, daß am Sabbat in der Synagoge von Kapernaum die Zuhörer von Jesu Lehre tief beeindruckt waren, »denn er lehrte sie wie einer, der Vollmacht besitzt, und nicht wie die Schriftgelehrten« (1,22). Wenig später, nach einem Exorzismus, steigert er dies noch: »und sie waren erschrocken und diskutierten untereinander und sagten: Was bedeutet das? Eine neue Lehre in Vollmacht; auch gebietet er den unreinen Geistern, und sie gehorchen ihm!« (1,27). Sehr geschickt übernimmt Matthäus die markinische Beurteilung der Lehre aus 1,22 und setzt sie an das Ende der Bergpredigt (7,28), nur daß es jetzt nicht mehr die Zuhörer in der Synagoge, sondern die »Volksmassen« (µcloi) sind, die beeindruckt werden.78 Jesus besitzt in allen Evangelien uneingeschränkte, unübertroffene Lehrautorität gegenüber der Volksmenge, den Jüngern und einzelnen Personen. Darum gebietet er rückblickend Mt 23,8 in seiner antirabbinischen Polemik: »Einer … ist euer Lehrer (did›skalo“), ihr aber seid alle Brüder«, und bekräftigt dies noch einmal in 23,10, wobei er den Namen des einen Lehrers nennt: »Christus«. 78 Mk 1,22: kaÑ †xeplflssonto †pÑ tÔö didacÔö a§toú: én gÅr did›skwn a§toÜ“ Æ“ †xous‡an ≤cwn kaÑ o§c Æ“ o´ grammateõ“. Vgl. Lk 4,32: … Ωti †n †xous‡a én ¨ l·go“ a§toú. Mk 1,27: kaÑ †qambflqhsan πpante“ øste suzhteõn prÖ“ ©autoÜ“ lfigonta“, T‡ †stin toúto; didacÉ kainÉ kat’ †xous‡an …; vgl. Lk 4,36: Die ganze aus Markus übernommene Szene 4,31–37 steht in deutlichem Kontrast zu der unmittelbar vorausgehenden, Ärgernis erregenden Antrittspredigt in der Synagoge in Nazareth. Jesu Botschaft als Lehrer hat eine doppelte Wirkung: Sie kann Menschen erschüttern und verstocken. Der christliche Schriftgelehrte Matthäus grenzt in 7,28 die Kritik auf die jüdischen Schriftgelehrten ein, indem er ein a§tùn hinzufügt. Spätere Handschriften ergänzen »und die Pharisäer«.
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Die synoptische Wortüberlieferung kann, trotz ihres fragmentarischen Charakters, wenn wir die zeitgenössischen essenischen und pharisäischen Traditionen vergleichen, in weiten Teilen durchaus als »neue Lehre in Vollmacht« bezeichnet werden. Entsprechend häufig begegnen uns in den Evangelien die Verben did›skein und khr‚ssein, wobei auffällt, daß Markus, das älteste und kürzeste Evangelium, das uns nur relativ wenig von Jesu Lehre überliefert, beide Worte am stärksten hervorhebt. Von einem dialfigesqai Jesu ist dagegen im Unterschied zu Paulus in der Apostelgeschichte nicht die Rede.79 Auf das einfache Volk, das seine wahre – messianische – Würde nicht kennt, wirkt Jesus aufgrund seiner besonderen Lehrvollmacht nach den Synoptikern wie ein neuer Johannes der Täufer oder ein Elias redivivus bzw. wie einer der alten Profeten (Mk 8,28 parr.; Mt 6,14 par.). Der Lehrautorität Jesu entspricht die respektvolle aramäische Anrede »Rabbi«, die uns bei Markus dreimal und bei Johannes siebenmal begegnet – hier als bewußter Archaismus. Häufiger ist jedoch bei allen Evangelisten das griechische did›skalo“, zumeist als Anrede im Vokativ. Nur Johannes macht hier eine gewisse Ausnahme. Lukas, der aramäische Begriffe durchweg vermeidet, hat daneben sechsmal den vielseitigen Begriff †pist›th“, Meister, immer im Vokativ, der stärker die Autorität zum Ausdruck bringt und in der Septuaginta öfter erscheint als did›skalo“. »Rabbi« ist jedoch zur Zeit Jesu und des Markus noch nicht der feste Titel für den ordinierten Schriftgelehrten. Zu diesem wird der Begriff erst durch das Lehrhaus Gamaliels II. in Jabne gegen 90 n. Chr. Dagegen setzt Matthäus, der um diese Zeit schreibt, diese Bedeutung voraus. Er lehnt darum Mt 23,7 f. die Bezeichnung »Rabbi« für Christen ab und gebraucht diese Anrede nur noch im Munde des Verräters Judas gegenüber Jesus (26,25.49), um sie zu diskreditieren. Je einmal begegnet uns in einer hervorgehobenen Szene bei Markus (10,51) und bei Johannes (20,16) die Intensivform »Rabbûnî«, die Johannes mit did›skale übersetzt, während Lukas (18,41) und Matthäus (20,33, vgl. 9,28) dafür k‚rie bringen. Die Bedeutung »Herr« wird bei dieser Form dadurch nahegelegt, daß zahlreiche rabbinische Gebetstexte ribbôn (rabbûn) als 79 Bei
Markus beziehen sich zwischen 1,21 und 14,49 von 17 Belegen für did›skein 15 auf Jesus, einer auf die Jünger und einer auf die Schriftgelehrten; Lukas hat ebenfalls 17, Matthäus 14 und Johannes neun Belege. Bei khr‚ssein verschiebt sich das Verhältnis: Von 14 Belegen bei Markus beziehen sich nur vier auf Jesus, zwei auf den Täufer, zwei auf die ausgesandten Jünger, zwei auf Geheilte und zwei auf die nachösterliche Mission. Lukas und Matthäus haben je neun Belege, Johannes keinen. Daß der letztere Begriff stärker die nachösterliche Missionssprache beherrscht, zeigt der Vergleich mit den echten Paulusbriefen, die khr‚ssein 16mal und did›skein nur achtmal verwenden. Markus gebraucht daneben für Jesus auch das einfache (tÖn l·gon) laleõn, das bei den anderen Evangelisten, besonders aber bei Johannes, wesentlich häufiger ist. Lukas liebt daneben das vor allem von Jes 61,1 abhängige e§aggel‡zesqai. Zum dialfigesqai s. nur Mk 9,34 die Jünger, die darüber diskutieren, »wer der Größte sei«, und dagegen den lukanischen Paulus Apg 17,2.17; 18,4; 19,8 f.; 20,7.9; 24,9.12.
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IV. Jesu Auftreten und Verkündigung
Gottesanrede verwenden. Bereits Øabb‡, abgeleitet von rab, groß, kann allgemein die Konnotation »Herr« besitzen als Anrede an den Höhergestellten durch den Untergebenen; die vorherrschende Übersetzung »Lehrer« war nicht die einzig mögliche. Es ist ein Zeichen für die relative historische Zuverlässigkeit des zweiten Evangelisten, daß er den Vokativ k‚rie auf die Anrede der griechisch sprechenden Syrophönizierin (Mk 7,28) beschränkt, während sonst bei ihm did›skale (zehnmal) bzw. Øabb‡ vorherrschen. In den drei späteren Evangelien findet sich k‚rie auf Jesus bezogen sehr viel häufiger. Matthäus dagegen legt did›skale nur noch Fremden in den Mund, während k‚rie den Jüngern vorbehalten bleibt. Vermutlich wurde Jesus auch mit dem aramäischen marî, mein Herr, angesprochen. Daraus mag sich bald nach Ostern der Gebetsruf māranā’ tā’ entwickelt haben: Aus dem irdischen war ein himmlischer »Herr« geworden.80
11.5 Die Berufung von Jüngern und die Nachfolge Jesu Für alle vier Evangelisten hängen Jesu erstes Auftreten und die Gewinnung von Jüngern untrennbar zusammen. Zu seiner Wirksamkeit als Lehrer gehört, daß er sofort »Schüler«81 in seine Nachfolge ruft. Dies ist für die Evangelisten noch wichtiger als die Tatsache, daß Jesus die »Volksmassen«82 anzieht. Die Jünger bilden die Grundlage der Urkirche, nicht die wankelmütige Volksmenge. Markus und von ihm abhängig Matthäus lassen die Berufung der ersten Jünger als nächste Szene unmittelbar auf die Nachricht vom öffentlichen Auftreten Jesu in Galiläa nach der Verhaftung des Täufers folgen. Es gibt für sie kein Wirken Jesu ohne Jünger.83 Er geht am Ufer des »galiläischen Meeres« entlang, 80 Zu Øabb‡ / Øabboun‡ s. Dalman, Worte Jesu, 266–280; Bill. I, 916 f.; E. Lohse, ThWNT VI, 962–966; Heinemann, Prayer, 204–217. Zur Verbindung mit Herr / k‚rio“ W. Foerster, Herr ist Jesus, NTF R.2 Heft 1, Gütersloh 1924, 209–236: »So können wir den urchristlichen Kyrios-Sprachgebrauch, was die Sache und das Wort betrifft, bis in die Synoptiker zurückverfolgen« (233); s. auch ders., ThWNT III, 1083–1095; Hengel, Nachfolge, 46–48 = KS V, 84–86; ders. / Schwemer, Paulus, 169 ff.194–204.416 ff.; ders., Abba, 145–183 (168–170); L. W. Hurtado, Lord Jesus Christ, Grand Rapids (Mich.) 2003, 108–118. 81 Das Wort maqhta‡ (talmîdîm / talmîdajjā) findet sich im Neuen Testament 262mal, bei Markus 46mal, bei Lukas 37mal, bei Matthäus 73mal, bei Johannes 78mal und in der Apostelgeschichte 28mal, jedoch in der Briefliteratur nicht mehr und bedeutet bis auf ganz wenige Ausnahmen (Mk 2,18 parr.: des Täufers und der Pharisäer; vgl. noch Lk 7,18 f.; 11,1; Mt 14,12; Joh 3,25) immer die Jünger Jesu bzw. in der Apostelgeschichte die Christen. Es zeigt sich hier der durch Form und Tradition bedingte Unterschied zwischen den erzählenden Schriften und der argumentierenden Briefliteratur. 82 ∞Oclo“, oft auch Plural µcloi, ebenfalls vor allem in den Evangelien, der Apostelgeschichte und viermal in der Apokalypse, insgesamt 174mal. Das Wort findet sich im Plural als Lehnwort (’ôkhlôsîn) relativ häufig in der talmudischen Literatur und den Targumim; s. S. Krauss, Lehnwörter II, 18 f. 83 Mk 1,16–20 = Mt 4,18–22; vgl. Mk 1,14 f. = Mt 4,13–17.
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trifft auf Simon und Andreas, dessen Bruder, wie sie als Fischer ihre Netze auswerfen, und ruft sie an: »Auf, mir nach, ich werde euch zu Menschenfischern machen!«84 Wie Elisa auf den Anruf Elias, ihm zu folgen, das Pflügen abbricht, so verlassen beide Brüder ihre Netze und folgen ihm; ähnlich ergeht es einem zweiten Brüderpaar, Jakobus und Johannes. Hier betont Markus ausdrücklich, daß sie ihren Vater Zebedäus mit den Tagelöhnern im Boot zurückließen und Jesus nachfolgten. Für Markus und Matthäus ist dies im Grunde der Anfang der Gemeinde Jesu. Am Ende des ersten Evangeliums steht entsprechend in Mt 28,19 der Auftrag an die Elf, »alle Völker zu Jüngern zu machen« (maqhte‚sate), sie zu taufen und Jesu Gebote zu lehren. Lukas läßt dagegen nach einem kurzen Hinweis auf Jesu erfolgreiches Auftreten in Galiläa (Lk 4,14 f.) dessen Wirken mit dem ausführlich erzählten, durch das Zitat von Jes 61,1 f. messianisch bestimmten Auftreten in seiner Heimatstadt85 beginnen, das mit einem Anschlag auf sein Leben endet und damit zugleich auf das Ende seines Weges verweist. Erst dann berichtet er – jetzt dem Erzählfaden des Markus folgend –, daß Jesus in Kapernaum86 predigt und Heilungen vollzieht. Unter anderem betritt er dort das »Haus Simons« und heilt dessen Schwiegermutter. An die Stelle von »Simon und seinen Begleitern« tritt bei ihm die Volksmenge, die ihn bedrängt.87 Das heißt, er bereitet als versierter Erzähler die Berufung der ersten Jünger und hier an erster Stelle die des Simon (Petrus), die bei Markus (und Matthäus) unvermittelt geschieht, psychologisch durch die Heilungen Jesu vor. Gleichzeitig stellt er dessen schroffe Ablehnung in Nazareth in einen deutlichen Kontrast zu den Erfolgen in Kapernaum,88 die in der Gewinnung des Simon und der beiden Zebedaiden gipfeln. Auf Simons Bruder Andreas kann er dagegen verzichten. Dafür stellt er Simon ganz in den Mittelpunkt und berichtet von einem wunderbaren Fischzug, einem Motiv, das auch Joh 21,1–14 als Auferstehungserzählung erscheint.89 Dies hat zur Folge,
84 Mk
1,17 = Mt 4,19; zu dem deúte £p‡sw mou vgl. 2 Kön 6,19 LXX. Zum Ganzen s. Hengel, Nachfolge, 85 ff. = KS V, 122 ff. Zur »Berufung am See« s. Böttrich, Petrus, 51–59. Zum Vorbild Elia-Elisa s. 1 Kön 19,19–21 und Mk 1,20 parr. 85 Lk 4,14–30: Lukas nennt nur hier den aramäischen Ortsnamen Nazara, eine Bezeichnung, die Mt 4,13 von Lukas übernimmt und die nur an diesen beiden Stellen erscheint. Unbegründet ist es, hier ein Relikt der Logienquelle zu vermuten; so aber Robinson et al., Edition of Q, 42. 86 Lukas läßt jedoch schon Jesus 4,23 in Nazareth auf seine Heilerfolge in Kapernaum verweisen. Die Nazarener haben von der Jesus preisenden fflmh, die sich in Galiläa ausbreitet, gehört (4,14 f.). 87 Lk 4,31–44; vgl. Mk 1,21–39. 88 Sie werden in 4,23 vorweggenommen: »Das, was wir hörten, daß es in Kapernaum geschehen sei, tu auch hier in deiner Heimatstadt!« 89 Lk 5,1–11; vgl. auch EvPetr 60, der Text bricht dort leider ab.
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IV. Jesu Auftreten und Verkündigung
daß Simon Petrus90 sich ihm bestürzt zu Füßen wirft: »Gehe weg von mir, denn ich bin ein sündiger Mensch!« Jesus antwortet: »Fürchte dich nicht, von jetzt an sollst du Menschen fangen.«91 Darauf verlassen Simon und die beiden Zebedäussöhne ihre Boote und folgen ihm. Lukas hat in dem Bemühen, einen stimmigen, »historisch« folgerichtigen Bericht zu verfassen, und gestützt auf eine Sonderguttradition seine Markus-Vorlage radikal umgestaltet, mit einem Wunder verbunden und in eine Erzählung verwandelt, in der (ähnlich wie bei Paulus in der Apostelgeschichte) Bekehrung und Berufung des wichtigsten Jüngers im Evangelium zusammenfallen. Simon (Petrus) wird darin, gut paulinisch, als »gerechtfertigter Sünder« charakterisiert.92 Zugleich schafft Lukas mit dieser Szene einen kräftigen Gegensatz zur Verwerfung Jesu in seinem Heimatort. Die Nachfolger Jesu sind seine wahre Familie. Es ist bezeichnend, daß Lukas Nazareth nie mehr nennt und Jesu Familie im Evangelium nur noch einmal negativ erwähnt.93 Völlig anders verfährt das vierte Evangelium: Hier ist es das Zeugnis des Täufers, das Jesus die beiden ersten Jünger zuführt, so daß sie diesem nachfolgen.94 Es handelt sich um einen Unbekannten, wahrscheinlich den Lieblingsjünger95, und den Bruder des Simon, Andreas. Dieser bekennt gegenüber jenem: »Wir haben den Messias gefunden« und führt Simon zu Jesus, der ihm den Namen Kephas gibt, der später mit Pfitro“, »der Felsenmann«, übersetzt wurde.96 Daran schließt sich die Berufung des Philippus und des sonst unbekannten Nathanael an.97 Auch hier ist eine Harmonisierung der synoptischen Berufungsberichte mit Johannes unmöglich. Es mag sein, daß die ersten Jünger Jesu durch die 90 Lk 5,8. Im Gegensatz zu Markus läßt er den Doppelnamen bereits hier auftauchen. Die Namensverleihung erzählt er erst 6,14 in Parallele zu Mk 3,16. 91 5,10: üpÖ toú nún ünqr„pou“ ≤sÔh zwgrùn. Lukas mag diese Formulierung in seiner Quelle vorgefunden haben, die sich durch den Singular auf die Berufung Simons beschränkt. Er unterscheidet sich damit deutlich von der Berufungsformel Mk 1,17 = Mt 4,19. 92 Vgl. auch Lk 15,20 ff.; 18,13 f.; 19,5 f.; 22,31 f. Im Nachtragskapitel Joh 21,1–19 ist diese Bekehrungs‑ und Berufungsszene in eine Begegnung mit dem Auferstandenen verwandelt. Johannes kannte das Lukasvangelium. Unseres Erachtens erweisen solche und ähnliche Texte gerade des Sonderguts (z. B. Lk 7,36–50; 15; 17,7–10; 18,9–14; 19,1–10; 23,43) den Evangelisten als Paulusschüler. 93 Lk 8,19 ff. = Mk 3,31–35; Mt 12,46–50; vgl. noch zur Mutter Jesu Lk 11,27 f. Erst in Apg 1,14 erscheint die Familie Jesu wieder mit den Jüngern in Jerusalem. 94 Joh 1,29.35 ff.; vgl. 1,37: kaÑ °kolo‚qhsan tù ûIhsoú und V. 39. 95 S. dazu Hengel, Johanneische Frage, 216 f.314 f. und Joh 18,15. 96 1,41 f.: Das aramäische Kephas (kêfā’: Fels, Stein; s. Jastrow, Dictionary, 634 f.) begegnet nur noch in den Paulusbriefen: 1 Kor 1,12; 3,22; 9,5; 15,8; Gal 1,18; 2,9.11.14. Die spätere apokryphe Überlieferung macht Kephas zum Teil zu einem von Petrus unterschiedenen Jünger, der zu den 70 gehört haben soll: s. Bauer, Leben Jesu, 416 und 419, so. z. B. Clemens Alexandrinus nach Euseb, h.e. 1,12,2. Damit wurde der Anstoß von Gal 2,19 ff. abgeschwächt. S. auch Lipsius, Apostelgeschichten, Ergänzungsband (I), 211 Index s. v. Zur Bedeutung des Beinamens s. Böttrich, Petrus, 42–46; Hengel, Petrus, 21–44. 97 Joh 1,43–51. Zu Nathanael vgl. noch 21,2.
§ 11 Zum geographisch-historischen Rahmen des Wirkens Jesu
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Täuferbewegung zu ihm fanden und daß der Anfang seiner Wirksamkeit gegen den synoptischen Bericht noch in der Zeit vor der Verhaftung des Täufers liegt.98 Daß Jesus jedoch selbst im judäischen Jordangebiet mit seinen Jüngern in einer Art von Konkurrenz zum Täufer gewirkt und getauft haben soll, ist wenig wahrscheinlich.99 Eindeutig ist dagegen, daß die Initiative zur Berufung der Jünger von Jesus ausgeht und daß diese nicht – wie später bei den Rabbinen – aus eigenem Entschluß seine Schüler werden, sondern daß er sie aus ihren Berufen und ihren Familien heraus in seine »Nachfolge« ruft. Das wird durch weitere Berichte bei Markus und durch die Logienüberlieferung bestätigt. So ruft er dem Zollpächter Levi, Sohn des Alphäus, an dessen Zollstelle, wohl in dem Grenzort Kapernaum, ein unwiderstehliches »folge mir nach« zu: »und er stand auf und folgte ihm.«100 Auch von dem anonymen Reichen, der Jesus fragt, wie er das »ewige Leben erlangen« könne, fordert Jesus am Ende den Verzicht auf seinen Besitz und die Nachfolge.101 Um seiner »vieler Güter« willen kann dieser Jesu Aufforderung nicht entsprechen. In der sich anschließenden Diskussion läßt Markus Petrus sagen: »Siehe, wir haben alles verlassen und sind dir nachgefolgt«, und Jesus antwortet mit einer Verheißung: »Amen, ich sage euch: Keiner hat Haus oder Brüder oder Schwestern oder Vater oder Mutter oder Kinder oder Äcker um meinetwillen und um des Evangeliums willen verlassen, der nicht hundertfältig empfängt in dieser Zeit Häuser, Brüder und Schwestern … unter Verfolgungen, und im kommenden Äon das ewige Leben.« Die »ideale Szene« zeigt, wie sich ein Jesuswort mit der späteren Gemeindesituation, etwa nach der neronischen Verfolgung, verbunden hat.102 Eine schroffere, wohl ursprüngliche Fassung begegnet uns in der Logienüberlieferung nach Lukas: Gegenüber der Menge, die mit ihm zieht, sagt Jesus: »Wenn einer zu mir kommt und haßt nicht Vater und Mutter, Ehefrau und Kinder …, dazu auch sein eigenes Leben, kann er nicht mein Jünger sein. Wer nicht sein Kreuz trägt und hinter mir hergeht, kann nicht mein Jünger sein.«103 Die in die Nachfolge Berufenen sollen völlig frei sein, das ungesicherte, ja bedrohte Leben Jesu zu teilen, ihm, dem Wanderprediger, 98 Mk
1,14 = Mt 4,12; vgl. Lk 3,19 f. und dagegen Joh 3,24. 3,22–4,1. 100 Mk 2,14 = Lk 5,27 f.; vgl. Mt 9,9, der den Namen Levi durch Matthäus ersetzt (vgl. Mt 10,3) und damit einen Jünger aus dem Zwölferkreis zum Zöllner macht. Vermutlich weiß sich der unbekannte Verfasser von Matthäus in besonderer Weise von diesem Steuerpächter Matthäus abhängig. Dieser gibt dem Evangelium seinen Namen; s. o. S. 236. 101 Mk 10,17–22; vgl. Lk 18,18–23 (bei ihm ist der Bittsteller ein ±rcwn, das heißt wohl ein vornehmes Ratsmitglied) und Mt 19,16–22, der von einem »jungen Mann« (nean‡sko“, daher »der reiche Jüngling«) spricht (V. 22). 102 Mk 10,23–30 = Mt 19,23–29 = Lk 18,24–30. 103 Lk 14,25–27. Nach 1 Kor 9,5 blieb die Ehe des Petrus (vgl. Mk 1,29 f. parr.) bestehen, auch die anderen Apostel waren verheiratet. Mk 10,29 und Mt 19,29; 10,37 lassen im Gegensatz zu Lukas den Verweis auf die Ehefrau weg. S. u. S. 438. 99 Joh
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IV. Jesu Auftreten und Verkündigung
im eigentlichen Sinne des Wortes »nachzufolgen«, selbst bis zur Hingabe des eigenen Lebens, und sich damit ganz in den Dienst der anbrechenden Gottesherrschaft zu stellen. Lukas läßt das Doppelgleichnis vom Plan der Erbauung eines »Turms« (p‚rgo“), das heißt eines festungs‑ oder palastartigen Gebäudes, und eines Kriegszuges gegen einen mächtigen Feind folgen, die beide wohlüberlegt sein wollen, nämlich ob man die Mittel hat, sie erfolgreich auszuführen, und schließt mit dem Fazit: »So kann keiner von euch, der nicht auf alles, was er besitzt, verzichtet, mein Jünger sein.«104 Matthäus versetzt das Nachfolgewort aus der Logientradition in die Aussendungsrede Jesu und interpretiert zugleich das für griechische Ohren anstößig klingende »und haßt nicht« (o§ miseõ) christologisch: »Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, ist mein nicht wert, und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, ist meiner nicht wert.«105 Es ist verständlich, daß Jesu rigorose Forderung Streit in die Familien (einschließlich seiner eigenen) tragen und diese spalten konnte.106 Mk 13,12 parr. deutet diese Spaltung, die unter Umständen bis zur tödlichen Denunziation führen konnte, als Zeichen der endzeitlichen Not vor dem Ende. In drei sachlich zusammengehörenden, gerahmten Nachfolgesprüchen der Logientradition unterstreicht Jesus die abschreckende Unbedingtheit der Nachfolgeforderung. Einen, der ihm überallhin nachfolgen will, macht er auf seine Heimatlosigkeit aufmerksam. Im Gegensatz zu Füchsen und Vögeln »hat der Menschensohn keinen Ort, wohin er sein Haupt legen kann.« Einen direkten Bruch mit Frömmigkeit und Ethos verlangt er von einem anderen, den er zur Nachfolge auffordert, der aber zuerst das selbstverständliche Pflichtgebot erfüllen will, seinen Vater zu begraben. Jesus weist seine Bitte schroff zurück: »Laß die Toten ihre Toten begraben; du dagegen gehe und verkündige das Reich Gottes!« Lukas überliefert noch eine ähnliche dritte Episode, daß jemand Jesus nachfolgen, aber zuvor von seiner Familie Abschied nehmen möchte – ähnlich wie Elisa bei seiner Berufung durch Elia. Im Gegensatz zu dem »Feuerprofeten« weist Jesus auch diese Bitte zurück: »Keiner, der die Hand an den Pflug legt und zurückschaut, taugt für die Gottesherrschaft.«107 Hier wird deutlich, daß Jesus die Nachfolge als Dienst für die anbrechende Gottesherrschaft versteht, hinter 104 Lk
14,28–33 (Sondergut). Zu p‚rgo“ s. Spicq, Notes II, 774–777. 10,37. Das hebräische śāne’ kann als »ausdrücklicher Gegenbegriff zu ›lieben‹« verstanden werden: E. Lipin´ski, ThWAT VII, 828 und in bezug auf die Ehefrau auch »verschmähen, vernachlässigen« bedeuten. Auch das Wort vom Kreuztragen (10,38) ist analog formuliert: Das dreifache o§k ≤stin mou ±xio“ verstärkt zugleich den christologischen Bezug. Matthäus könnte den Lukas-Text in eine katechetisch eindrückliche Form gegossen haben. 106 Lk 12,52 f. und Mt 10,35. Die freie Anspielung auf Mi 7,6 ist bei Matthäus durch ein Zitat ersetzt, das am masoretischen Text orientiert ist. 107 Lk 9,57–62; Mt 8,18–22, vielleicht von Lukas abhängig, überliefert, entsprechend seiner Neigung zu kürzen, nur die ersten beiden Episoden und macht den ersten Bittsteller zu einem 105 Mt
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der alles, sogar Familienbindung und elementare Forderungen der Pietät, zurückstehen müssen. Er beruft zu diesem Dienst wie Gott die Profeten des Alten Testaments,108 das heißt die Berufung von Nachfolgern ist Ausdruck seiner messianischen Vollmacht, in der er es wagt, wie Gott selbst zu handeln.109
11.6 Die Einsetzung der Zwölf Diese Berufungen hat Jesus bei einzelnen ausgesprochen, wohl weil er sie für eine besondere Aufgabe im Auge hatte. Das heißt, seine »Nachfolger« sind von der wechselnden Volksmenge zu unterscheiden, die sich je und je ebenfalls bei ihm versammelte, um ihn zu hören, dann aber wieder in ihre Heimatorte zurückkehrte.110 Wie groß der Kreis dieser von Jesus persönlich in seine Nachfolge Berufenen war, wissen wir nicht. Da hier Namen auftauchen, die nicht zum Zwölferkreis gehören, wie der Zöllner Levi oder der nur von Johannes erwähnte Nathanael, und auch von anonymen Nachfolgern die Rede ist, wird ihr Kreis wesentlich größer und auch etwas fluktuierend gewesen sein. Lukas erzählt darum neben der Aussendung der Zwölf, die er von Markus übernimmt, von einer Sendung der 72, die wohl aus der Logienüberlieferung stammt. Sie erinnert an die 70 und zwei Ältesten aus Num 11,16 ff.26 ff., die den Geist empfangen, könnte aber indirekt auch auf die Sendung zu den 72 Völkern hindeuten.111 Jesus wird von einer größeren Anzahl von Galiläern nach Jerusalem begleitet, und Lukas spricht vor Pfingsten von ca. 120 Jesusanhängern in der Stadt einschließlich der elf Jünger sowie der Brüder und der Mutter Jesu.112 Nach Markus ruft Jesus in einem besonderen Akt aus einer größeren Zahl zwölf Männer zu sich als den engeren Kreis seiner Nachfolger, das heißt, er setzt sie als »die Zwölf« fast wie in ein »Amt« ein.113 Während Markus diese »Einsetzung der Zwölf« Schriftgelehrten, weil diese die stabilitas loci des Lehrers forderten. Zu Elia und Elisa s. 1 Kön 19,19–21. Zum Ganzen s. Hengel, Nachfolge, passim. 108 S. Hengel, Nachfolge, 81 f. 92 = KS V, 118 f. 129 f.; vgl. Ex 3,10; Ri 6,14; Am 7,15; Jer 1,5 etc. 109 Op. cit., 74–82 = KS V, 112–119. S. auch u. S. 427–430. 110 Vgl. Mk 5,19; 6,45; 8,2 f. 111 Lk 10,1. Die Lesart 72 ist als lectio difficilior und wegen ihrer alten Bezeugung gegenüber 70 unbedingt vorzuziehen. Sie findet sich in P75 B D und der altlateinischen und altsyrischen Überlieferung. Lukas, der Doppelungen nicht schätzt, hat sie gewiß nicht erfunden. Vgl. auch die 72 Übersetzer der Septuaginta nach dem Aristeasbrief, sechs aus jedem Stamm, die dieses Werk zum Wohl aller Menschen, die die göttliche Wahrheit suchen, ausführen. 112 Apg 1,15. Es ist 10 × 12, das heißt eine ganz generelle Zahl, weist aber auf eine größere Menge von Nachfolgern hin. 113 Mk 3,13–15: ünaba‡nei e¢“ tÖ µro“ kaÑ proskaleõtai o∆“ ≥qelen a§tÖ“ … kaÑ †po‡hsen d„deka. Der Berg als Ort der Offenbarung und Gottesnähe erinnert an Ex 24,9.15; vgl. auch Mk 6,46; 9,2 ff. Lukas übernimmt in 6,12 das Bergmotiv und interpretiert in 6,13
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IV. Jesu Auftreten und Verkündigung
als Kontrast zwischen dem ersten Todesbeschluß der Pharisäer und Herodianer und dem Bruch mit der Familie und die Beelzebulanklage einschiebt,114 stellt sie Lukas vor die Feldrede, die in erster Linie an die Jünger gerichtet ist:115 Beide Evangelisten betonen den Andrang der Menge, die Jesus nötigt, sich nach Mitarbeitern umzuschauen.116 Markus begründet dabei die Auswahl auf zweifache Weise: Die Zwölf sollen Gemeinschaft mit ihm haben und ihr Leben mit ihm teilen, aber Jesus will sie auch aussenden, daß sie die Botschaft vom anbrechenden Reich verkündigen und von ihm bevollmächtigt Dämonen austreiben. Die Aussendung der Zwölf berichtet Markus dann später in 6,7 ff. nach der Ablehnung Jesu in seiner Heimatstadt und vor der Hinrichtung des Täufers: Die Ausbreitung der neuen Botschaft von der mit Jesus verbundenen Gottesherrschaft läßt sich weder durch die Männer von Nazareth noch durch Herodes Antipas aufhalten.117 Matthäus dagegen stellt die Einsetzung der zwölf Jünger als »Boten« (üp·stoloi), einen Begriff, den er von Lk 6,13 übernimmt, an den Anfang seiner großen Aussendungsrede in c. 10. Von da ab tritt bei ihm die Belehrung der Menge mehr und mehr zurück und die Jüngerunterweisung in den Vordergrund. Johannes dagegen nennt die »Zwölf« nur zweimal am Rande, auch seine Jüngernamen stimmen mit dem Zwölferkatalog nur teilweise überein. Er geht auch hier ganz eigene Wege, die historisch nicht einzuordnen sind.118 Im ganzen hat hier Markus durchaus sachgemäß berichtet. Der Ruf einzelner Jünger in die Nachfolge geht der Einsetzung der »Zwölf« als besonderer Akt vorsachlich richtig: Jesus wählt aus seinen Jüngern zwölf aus. Der ganze Vorgang ist ein Offenbarungsgeschehen. Dann fügt Lukas seinem Apostelverständnis entsprechend hinzu: »die er Apostel nannte«. In Mk 3,14 ist dieses o∆“ kaÑ üpost·lou“ •n·masen trotz seiner guten Bezeugung ein früher Zusatz. Dagegen hat Markus die Bezeichnung o´ üp·stoloi 6,30 beim Bericht über die Rückkehr der Zwölf. Das heißt, schon er identifiziert die »Zwölf« mit den »Aposteln«. Hier mag es sich um alte Jerusalemer Tradition handeln, s. u. S. 635 und Bd. II. Zum Problem Böttrich, Petrus, 59–63; Frey, Apostelbegriff; ders., Paulus und die Apostel, in: Biographie und Persönlichkeit des Paulus, hg. v. E.-M. Becker und P. Pilhofer, WUNT 187, Tübingen 2005, 192–227 (203 f.). 114 Mk 3,6 ff.20–35. 115 In Lk 6,12 ff. berichtet er von Jesu anhaltendem nächtlichem Gebet »auf dem Berg«, an das sich bei Tagesbeginn die Auswahl der Zwölf aus der größeren Zahl der Jünger anschließt. Mit ihnen steigt er in die Ebene hinab (6,17), dort bedrängt sie eine »große Menge« von Jüngern und aus dem Volk, die geheilt werden. In V. 20 blickt Jesus »auf seine Jünger« und spricht sie mit drei Seligpreisungen V. 20b–22 an. Lukas hat hier seine Markus-Vorlage mit kräftigen Farben ausgemalt. 116 Mk 3,7–9.20; Lk 6,17–19. 117 Mk 6,7–12.30; vgl. 6,1–6 und 6,14–29. 118 Joh 6,67.70 f.; 20,24; in 21,2 nennt er sieben Jünger mit Petrus und Thomas an der Spitze, danach Nathanael, die beiden Zebedaiden und zwei namenlose Jünger, so daß man den Lieblingsjünger als Autor (21,24) nicht identifizieren kann. Sonst erscheinen im Evangelium noch der Lieblingsjünger, Andreas, Philippus, Judas Ischariot und der »andere« Jünger Judas (14,22). Zu den Jüngerlisten bei Johannes und anderen s. Hengel, Johanneische Frage, 80 ff. und 313 ff.
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aus. Sie deutet auf das Wachstum der Jesusbewegung in Galiläa hin und hat als messianische Zeichenhandlung symbolische Bedeutung, denn sie weist darauf hin, daß Jesu endzeitliche Botschaft und sein Wirken als Heiler und Exorzist sich an das Zwölfstämmevolk, das heißt ganz Israel, richten. Dem entspricht auch sein Auftreten beim Todespassa in Jerusalem. Er will das »Zwölfstämmevolk«119 für Gottes hereinbrechende Herrschaft gewinnen. Auch die später erfolgte Aussendung der Zwölf in Galiläa hat zeichenhafte Bedeutung. Ein für die moderne »aufgeklärte« Jesusdeutung anstößiges Logion bestätigt diesen Anspruch. In der kleinen Abschiedsrede nach dem Abendmahl sagt der lukanische Jesus zu seinen Jüngern: »Ihr seid es, die ihr mit mir ausgeharrt habt in meinen Anfechtungen (peirasmoõ“). So
übereigne ich euch das Reich, wie es mir mein Vater übereignet hat, damit ihr esset und trinket an meinem Tische in meinem Reich und sitzt auf zwölf Thronen und richtet die zwölf Stämme Israels.«120
Dieses Logion, das sich gut in die Tradition vom letzten Mahl Jesu mit den Zwölfen121 einfügt, unterstreicht den eschatologisch-messianischen Charakter der Einsetzung der Zwölf, die sicher nicht erst ein Vorgang in der Urgemeinde war.122 Die »Übereignung«123 erhält hier den Sinn einer Partizipation der Zwölf an der Richterfunktion Gottes. Die Formel o´ d„deka erscheint nicht nur in allen Evangelien und besonders hervorgehoben bei Markus, sondern auch in dem Auferstehungsbekenntnis 1 Kor 15,5, in Apg 6,2 und Apk 21,14.124 Stereotyp ist die Bezeichnung der Verräters Judas als »einer von den Zwölfen«. Die Schande, daß einer aus dem Kreis der engsten Vertrauten den Meister an Tempelbehörden 119 Zum Begriff s. Apg 26,7; 1 Clem 55,6. Der enge Zusammenhang zwischen den zwölf Stämmen und den zwölf Jüngern wird Apk 21,12.14 deutlich. S. auch Jak 1,1; Apk 7,5–8. 120 Lk 22,28–30. Mt 19,28 fügt den letzten Teil des Logions in die markinische Vorlage der Rede über den Lohn der Nachfolge ein und verbindet es mit dem Gericht des Menschensohns auf dem »Thron der Herrlichkeit«; s. Mt 25,31 f.; 16,27; vgl. dazu Dan 7,9–22; 1 Kor 6,2 ff.; Apk 20,4 ff. Unseres Erachtens hat Matthäus das aus dem Rahmen fallende Logion aus Lukas übernommen. Eine Zugehörigkeit zu Q ist ganz unwahrscheinlich. Zur theologischen Bedeutung dieses Textes bei Lukas s. Mittmann-Richert, Sühnetod. 121 Vgl. den Beginn des Passamahles Mk 14,17: kaÑ £y‡a“ genomfinh“ ≤rcetai metÅ tùn d„deka = Mt 26,20; Lk 22,14: kaÑ o´ üp·stoloi sÜn a§tù. Zum Mahl in der Gottesherrschaft s. Mk 14,25 = Mt 26,29 mit dem Zusatz meq’ ≠mùn. S. u. S. 415.532. 122 S. dazu etwa den in vielen Punkten durchaus unkritischen Kritizismus von G. Klein, Die zwölf Apostel, FRLANT 77 (NF 59), Göttingen 1961 und die noch phantasievollere Arbeit von W. Schmithals, Das kirchliche Apostelamt, FRLANT 79, Göttingen 1961, 56–76. Dagegen zu Recht Meier, Marginal Jew III, 125–197. 123 diat‡qemai – difiqeto, vgl. Josephus, ant. 13,407: tÉn basile‡an difiqeto, ist eng mit der Vorstellung einer testamentarischen Verfügung und dem Begriff diaqflkh verbunden; s. Bauer / Aland, WB, 381. Zur Partizipation an der Richterfunktion Gottes s. Dan 7,9 f.; Apk 20,4; 1 Kor 6,2. 124 Markus, das älteste Evangelium, gebraucht o´ d„deka am häufigsten, insgesamt zehnmal: 3,14; 4,10; 6,7; 9,35; 10,32; 11,11; 14,10.17.20.43.
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»auslieferte«, wurde nicht verdrängt, sondern in dieser Formel festgehalten.125
Innerhalb des Zwölferkreises gab es noch die kleinere Gruppe der drei engsten Vertrauten, die nach Markus zuerst berufen wurden: Petrus, Jakobus und Johannes, die beiden Zebedäussöhne, als vierter tritt teilweise Andreas hinzu.126 Die drei spielten später auch in der Urgemeinde hinter Petrus eine führende Rolle, wobei, da der Zebedaide Jakobus vermutlich 42/43 n. Chr. durch Herodes Agrippa I. hingerichtet wurde,127 nur noch Johannes in der Apostelgeschichte als zweiter Mann neben Petrus genannt wird.128 Es ist kein Zufall, daß in allen größeren und kleineren »Jüngerkatalogen« der Evangelien und der Apostelgeschichte Petrus an der Spitze steht.129 Er muß unter den Jüngern Jesu einen herausragenden Rang besessen haben, so daß er als ihr Sprecher erscheinen konnte, in einer Rolle, die dann durch die Protovision des Auferstandenen noch verstärkt wurde und sich in der Apostelgeschichte fortsetzt. Diese auffallende Rolle des Simon Petrus wird schon bei Paulus im 1. Korintherbrief und im Galaterbrief sichtbar. Kephas-Petrus ist die Gestalt aus der Urgemeinde, die er in seinen Briefen am häufigsten, insgesamt zehnmal, nennt. Das hängt gewiß auch damit zusammen, daß er für den Westen von Syrien bis Rom, ja für die Christen im ganzen römischen Reich der wichtigste Vermittler von Jesustradition wurde, weiter damit, daß nicht nur sein Schüler Markus das erste Evangelium schrieb, sondern auch Lukas und vor allem Matthäus – historisch zu Recht – diese Überlieferung von seiner hervorragenden Bedeutung weiterführten. Selbst Johannes und Paulus lassen diese noch deutlich erkennen.130 Die verschiedenen Hinweise auf Rangstreitigkeiten unter den Jüngern zeigen freilich, daß die Autoritätsfrage unter ihnen von Anfang an eine Rolle spielte.131 Deutlich wird sie in der Bitte der Zebedaiden um den Ehrenplatz in der Gottesherrschaft zur Rechten und Linken Christi »in seiner Herrlichkeit«132. Der marki125 Mk 14,10 = Mt 26,14; vgl. Lk 22,3; Mk 14,43 = Lk 22,47 = Mt 26,14. S. dazu u. S. 579. 126 Mk 1,16–19 parr. (mit Andreas); 5,37 par.; 9,2 parr.; 13,3 (mit Andreas); 14,33 par. 127 Apg 12,1 f., vgl. 1,13; s. u. S. 632. 128 Apg 3,1 ff.11; 4,13.19; 8,14. 129 Vgl. auch 1 Kor 15,5. Eine Ausnahme macht Gal 2,9: Hier mußte Kephas-Petrus dem Herrenbruder Jakobus weichen. In 1 Kor 1,12 haben wir eine Umkehrung: Die Klimax steht am Ende. Entsprechend steht bei Frauenkatalogen Maria Magdalena an der Spitze. Zum Problem s. Hengel, Maria Magdalena, 249 ff. 130 Dazu Hengel, Petrus, passim. 131 Lk 22,24: ûEgfineto dÇ kaÑ filoneik‡a †n a§toõ“, tÖ t‡“ a§tùn dokeõ eènai me‡zwn, vgl. Mk 9,33 f. = Lk 9,46; Mt 18,1; 23,11; Joh 13,12–17. Die frühchristliche Briefliteratur von Paulus bis zum 1. Clemensbrief zeigt, daß diese menschlich-allzumenschliche Frage im ganzen Urchristentum weiterwirkt. 132 Mk 10,35–45 = Mt 20,20–28: Dort wird die Bitte von ihrer Mutter geäußert, die für Mt 27,56 mit der Salome Mk 15,40 identisch zu sein scheint.
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nische Jesus verweist sie auf ihr zukünftiges Martyrium. Der vierte Evangelist gibt dagegen dem Lieblingsjünger den Platz an der Seite Jesu und versetzt ihn als maßgeblichen Zeugen unter das Kreuz. Er bestreitet damit die eindeutige Führungsrolle des Petrus, ohne dessen besonderen Auftrag zu leugnen, ja, der johanneische Jesus sagt diesem sein Martyrium voraus.133 Die Liste der Jüngernamen ist abgesehen von kleinen Unterschieden in der Rangfolge und einzelnen Zusätzen bei allen synoptischen Zeugen nahezu gleichlautend. Erst in der späteren »apokryphen« Überlieferung, vor allem wenn man Nathanael und Levi im Zwölferkreis oder einen Kephas als einen anderen, von Petrus unterschiedenen Jünger »integrieren« wollte, geriet man in unlösbare Schwierigkeiten.134 Der einzige wirkliche Gegensatz besteht darin, daß Markus, dem Matthäus folgt, an zehnter Stelle einen Thaddaios135 hat, während Lk 6,16 und Apg 1,13 von einem Judas, (Sohn des) Jakobus, sprechen.136 Da Judas neben Simon der verbreitetste Name in Judäa war und ein zweiter Judas auch schlecht in den Zwölferkreis paßte, haben Mk 3,18 und Mt 10,3 möglicherweise seinen gräzisierenden Beinamen Thaddaios überliefert. Die andere Möglichkeit wäre ein späterer Wechsel im Zwölferkreis. Es fällt jedoch auf, daß keine Namen von in der Urgemeinde bedeutsamen Personen, etwa der beiden Zuwahlkandidaten aus Apg 1,23 ff., Matthias und Joseph Barsabbas, eingefügt wurden. Dies weist auf das Alter und die relative Zuverlässigkeit der Liste hin. Dem entspricht auch, daß außer Petrus und den Zebedaiden (und in einem gewissen Abstand Andreas) die anderen Jüngernamen bei den Synoptikern, in der Apostelgeschichte und der urchristlichen Briefliteratur keine Rolle mehr spielen. Sie scheinen nur in der Frühzeit der Urgemeinde, etwa den ca. zwölf Jahren bis zur Agrippaverfolgung, eine größere Bedeutung besessen zu haben. Lukas identifiziert die Zwölf mit 133 S. schon die Zurückstellung seiner Berufung (im Gegensatz zu Markus; s. o. S. 362) Joh 1,35–42; 13,6–38; 18,15–18.25–27; 19,25–27; 20,3–10 und das ganze Kapitel 21: s. dort die einzigartige Beauftragung »Weide meine Schafe« 21,15–17 und zum Martyrium besonders 21,18 f. und 13,36. Zum Ganzen Hengel, Johanneische Frage, s. Index 475. 134 S. dazu Bauer, Leben Jesu, 415–421. 135 Codex D und einige altlateinische Zeugen haben bei Mk 3,18 statt Qaddaõo“ den ungewöhnlichen Namen Lebbaõo“, bei Mt 10,3 kommt noch Origenes hinzu. Die Mischform Lebbaõo“ ¨ †piklhqeÑ“ Qaddaõo“ hat Matthäus allein in späteren Majuskeln und im byzantinischen Reichstext. Die frühesten Majuskeln a, B, einige Minuskeln und die koptischen und die überwiegende Zahl der lateinischen Handschriften lesen jedoch das einfache Qaddaõo“; s. dazu Ilan, Lexicon, 284: »This form appears to be an Aramaization of the name Qeod·sio“ or Qe·doto“ or Qe·dwro“.« Es entspricht etwa dem Qeudô“ Apg 5,36; Josephus, ant. 20,97 f., s. op. cit., 286 s. v. Qe·dwro“. In der Liste der fünf Jünger Jesu bSan 43a erscheint ein Jünger mit dem Namen twdh. Der bisher unbefriedigend erklärte Name Lebbaõo“ (s. Luz, Mt II, 82 Anm. 1: »Die Sache bleibt rätselhaft«) stammt wohl aus der unglücklichen Korrektur eines frühen Abschreibers, der den Jüngernamen Leu‡“ Mk 2,14; vgl. Lk 5,27 in einer Qaddaõo“ entsprechenden gräzisierten Form in den Jüngerkatalog einbringen wollte; s. Ilan, Lexicon, 182 s. v. Levi Nr. 8. 136 Vgl. Joh 14,22: ûIo‚da“ o§c ¨ ûIskari„th“. S. dazu jetzt Bauckham, Jesus, 101 f.
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IV. Jesu Auftreten und Verkündigung
dem Kreis der Apostel;137 in Wirklichkeit war der letztere, wie 1 Kor 15,3–8; 9,1 ff. und Gal 1,15 ff. zeigen, wesentlich größer. Johannes legt noch einiges Gewicht auf die Namen Philippus und Thomas,138 beim ersten Evangelisten wird Matthäus zum Zöllner, er ersetzt den Namen Levi der Markus-Vorlage139 und gibt dem Evangelium den ersten »apostolischen« Verfassernamen.140 Die große Zeit der anderen Apostelnamen und ‑abenteuer beginnt erst ab der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts mit den »apokryphen« Evangelien, Apostelakten und verwandter Literatur.141 »Simon der Kananaios«142, der bei Markus und Matthäus an elfter Stelle steht, wird bei Lukas sachlich richtig mit »Simon, der der Eiferer genannt wird«, wiedergegeben. Es mag sich um einen Galiläer gehandelt haben, der ursprünglich der zelotischen Bewegung nahestand.143 Am Ende der Liste steht Judas Iskariot bei Markus und Matthäus mit dem Zusatz: »der ihn auslieferte«, bei Lukas: »der zum Verräter wurde«144. Auffallend ist schließlich, daß Jesus nach Markus seinen drei wichtigsten Jüngern Beinamen gibt, wobei Markus bei Simon allein die griechische Version Pfitro“ überliefert – die ursprüngliche aramäische Form Khfô“ (kêfā’) in der Bedeutung »Fels, Stein« erfahren wir nur durch Paulus, der dieselbe vorzieht, und durch Johannes.145 Bei welcher Gelegenheit Jesus dem Simon diese 137 Lk 6,13; vgl. 17,5; 22,14; 24,10; Apg 1,26; vgl. auch 2,37. Nur als Ausnahmen erhalten Paulus und Barnabas den Titel »Apostel« Apg 14,4.14. Lukas vertritt damit eine Ansicht der Jerusalemer Urgemeinde, s. Bd. II. 138 Philippus: 1,43–46; 6,5 ff.; 12,21 f.; 14,8; Thomas: 11,16; 14,5; 20,24–28. 139 Mt 9,9; vgl. Mk 2,14. 140 Mt 10,3; vgl. Mk 3,18, dort ohne Zusatz. 141 Bauer, Leben Jesu, 415–451: Die Mitarbeiter Jesu. Zu den Apostellisten s. ders. / M. Hornschuh in: NTApo3 II, 11 ff. Lipsius, Apostelgeschichten, passim; H.-J. Klauck, Apokryphe Apostelakten, Stuttgart 2005. Ein Vergleich zeigt, daß Petrus-Apokrypha gegenüber anderen Apostelnamen mit Abstand am häufigsten sind; s. zur späteren Petrusüberlieferung K. Froehlich, Art. Petrus II, TRE 26, 273–278; Hengel, Petrus, 42 f.48.206 ff. 142 Mk 3,18 = Mt 10,4. 143 Lk 6,15 an neunter Stelle: S‡mwna tÖn kalo‚menon zhlwtfln, Apg 1,3: S‡mwn ¨ zhlwtfl“; s. dazu Hengel, Zeloten, 61 ff.72 ff.; ¨ zhlwtfl“ gibt das aramäische qan’ānā’, status absolutus von qan’ān, eine Nebenform von qanna’ j, Eiferer, wieder. Vorbild dieser Eiferer war Pinchas: op. cit., 152 ff.160 ff. Der absolute Gebrauch des Wortes ist im Griechischen ungewöhnlich, er entspricht jedoch jüdischem Sprachgebrauch; s. 4 Makk 18,12 und die Partei der »Zeloten« bei Josephus ab bell. 2,444. 144 Mk 3,19; vgl. Mt 10,4; Lk 6,16. Der Beiname ûIskari„q (Markus und Lukas) bzw. ûIskari„th“ (Matthäus) wird nach einer Lesart in Joh 6,71 und 12,4 üpÖ Karu„tou häufig als Herkunftsbezeichnung seines Vaters Simon interpretiert: »der Mann aus Qerijjot« (’îš q erijjôt), vgl. Jos 15,25 im südlichen Judäa; vgl. mAv 1,4: Jose b. Joezer ’îš s eredāh (1 Kön 11,26) und 1,5 Jose ben Jochanan: ’îš J erûšālaim; weitere Beispiele bei Dalman, Worte Jesu I, 41 f.; ders., Jesus, 26. Die Deutung bleibt jedoch wie erst recht alle anderen Interpretationsversuche unsicher. M. Limbeck, NBL II, 243 f. übersieht die zahlreichen von Dalman beigebrachten Belege für ’iš mit Ortsnamen. 145 1 Kor 1,12; 3,22; 9,5; 15,5; Gal 1,18; 2,9–14; Pfitro“ hat er nur in Gal 2,7 f., vielleicht weil er hier aus dem Gedächtnis die »offizielle« Abmachung zitiert. Unseres Erachtens spielt
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Bezeichnung gab, wissen wir nicht. Während Johannes dies mit seiner Berufung verbindet, ist die Umbenennung für Matthäus eine Folge des Messiasbekenntnisses aus dem Munde des ersten Jüngers, auf das Jesus geantwortet habe: »Selig bist du, Simon Bariona; denn Fleisch und Blut haben dir dies nicht geoffenbart,
sondern mein Vater im Himmel. Und ich sage dir: Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen, und die Pforten des Totenreichs werden sie nicht überwältigen. Ich werde dir die Schlüssel des Himmelreichs geben, und was du auf Erden bindest, wird im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden lösest, wird im Himmel gelöst sein.«146
Matthäus, der über seine Markus-Vorlage hinaus auch sonst einige sekundäre Petrustraditionen bringt,147 hat hier ein Wort überliefert, das seine Endgestalt durch ihn erhielt, aber mit seinen Traditionen zum Teil auf die Urgemeinde zurückgehen wird. Es soll die einzigartige Autorität des Erstberufenen, ersten Zeugen der Auferstehung und Sprechers der »zwölf Apostel« hervorheben. Da der Begriff †kklhs‡a bei den Synoptikern nur hier Mt 16,18 und in der Gemeinderede 18,17 im Zusammenhang mit der Kirchenzucht erscheint und in 18,18 das Wort vom Binden und Lösen, das heißt der Vollmacht zur Sündenvergebung innerhalb der Gemeinde,148 allen Jüngern zugesprochen wird, dürfte insgesamt ein nachösterlicher Ursprung wahrscheinlich sein.149 Das Thomasevangelium überliefert später ein analoges, alle menschlichen Maßstäbe übersteigendes Logion Jesu über seinen Bruder Jakobus.150 Zeitpunkt und Grund für diese ungewöhnliche Namensgebung sind daher nicht mehr eindeutig feststellbar; auszuschließen ist jedoch eine nachösterliche Entstehung des Beinamens. Kephas-Petrus hat den Allerweltsnamen Simon rasch verdrängt. Weil ihm Jesus diesen Namen gegeben hat, wurde er nach Ostern früh zum Ehrennamen für den führenden Jünger in Jerusalem. Eine eher charakterlich-menschliche Charakterisierung stellt wohl die Bezeichnung der beiden Zebedäussöhne als »Donnersöhne« dar, die uns allein von Markus überliefert wird und sonst keine Rolle mehr spielt.151 Paulus 1 Kor 3,11 mit qemfilio“ auf die Bedeutung des Namens Kephas-Petros an. Zur Übersetzung in Joh 1,42 s. o. S. 362 Anm. 96. S. Hengel, Petrus, 25 ff.107 f. 146 Mt 16,17–19 (Sondergut). S. dazu Luz, Mt II, 450–483; Hengel, Petrus, 1–58. 147 Mt 14,28 ff.; 17,24 ff.; 18,21 f. 148 Vgl. auch Joh 20,23 und das entschiedene Vorgehen des Paulus 1 Kor 5,3 ff.12 f. 149 Vielleicht weist der Hinweis auf die »Pforten des Totenreichs« auf das Martyrium des Petrus in der neronischen Verfolgung hin, s. Hengel, Petrus, 9 f. Auf das Martyrium spielen auch Joh 21,18 f. und 13,36 an. 150 EvThom 12: Nach Jesu Weggang sollen die Jünger »zu Jakobus dem Gerechten gehen, um dessentwillen der Himmel und die Erde entstanden sind«. 151 Mk 3,17 (Sondergut): Boanhrgfi“ = u´oÑ brontö“, vgl. Justin, dial. 106,3: Petrus habe in seinen »Erinnerungen« (das heißt im Markusevangelium) von dieser Namensgebung berichtet. Zur aramäischen Namensform s. Rüger, Aramaismen, 76 f.: b enê regeš. Das Shwa mobile konnte mit oa wiedergegeben werden; s. Strabo 16,2,44: m esādā = Moas›da. Zur Charakterisierung der Zebedaiden vgl. Lk 9,54 (Sondergut); Mk 10,35 par.
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IV. Jesu Auftreten und Verkündigung
11.7 Die Aussendungsüberlieferung Alle drei synoptischen Evangelien überliefern, daß Jesus – noch in Galiläa152 – die zwölf Jünger aussandte, um zu predigen und zu heilen, ja, nach Markus und Matthäus werden diese zum Zweck der Sendung überhaupt erst als Gruppe eingesetzt.153 Markus hat den kürzesten, traditionsgeschichtlich jedoch eher sekundären Bericht,154 Lukas bringt zwei Erzählungen, zuerst aus Markus die Sendung der Zwölf und dann – schon auf dem langen Wege nach Jerusalem – aus der Logientradition die der 72,155 die für ihn bereits die nachösterliche Sendung zu den Völkern der Welt andeuten soll. In diese zweite Aussendungsrede hat er seine von Markus unabhängige Überlieferung eingearbeitet. Als Abschied von Galiläa stehen am Ende derselben Jesu Weherufe über die drei galiläischen Orte, die Schwerpunkte seines bisherigen Wirkens waren.156 Matthäus dagegen hat die markinische Vorlage, deren Jüngerliste und eigene Logienüberlieferung zu seiner zweiten großen Rede nach der Bergpredigt zusammengefügt,157 die den Blick auf die nachösterliche Sendung und Verfolgung der Jünger öffnet und den furchtlosen Bekennern und Nachfolgern göttlichen Lohn verheißt. Die knappe Darstellung des Markus stellt die Übertragung der Vollmacht zum Exorzismus auf die Jünger in den Vordergrund und berichtet von ihrer Umkehrpredigt, von Dämonenaustreibungen und von Heilungen durch Ölsalbung.158 In der zweifachen Erzählung des Lukas und bei Matthäus verkündigen sie dieselbe Botschaft wie Jesus selbst: »Die Gottesherrschaft ist zu euch gekommen.«159 Eigenartig sind dabei die Verpflichtungen im Verhalten, die Jesus den Ausgesandten auferlegt: Sie sollen auf alles verzichten, was für wandernde Boten eigentlich selbstverständlich wäre, weil es ihnen Sicherheit und Lebensunterhalt gewährt: Nach Markus dürfen sie immerhin noch einen Stab und Sandalen besitzen, nach der Logienüberlieferung wird ihnen auch dieses verboten,160 untersagt ist ihnen weiter: »Brot, Reisesack, Geld im Gürtel, zwei Gewänder.« Unterwegs dürfen sie niemand grüßen, wenn sie jedoch ein Haus betreten, hat ihr Friedensgruß eine fast physisch reale Wirkung. Er bleibt bei dem, der »ein Sohn 152 Mk
6,7 ff. = Mt 10,1.5 ff.; Lk 9,1 ff. Die lange Reise nach Jerusalem beginnt erst 9,51 ff. 3,14; Mt 10,1 ff.; s. o. S. 365 f. 154 Mk 6,6b–13. 155 Lk 9,1–6; 10,1–12; s. dazu o. S. 365 Anm. 111. 156 Lk 10,13–15; vgl. Mt 11,20–24; s. o. S. 347. 157 Mt 10,1–42. Auch hier läßt sich eine teilweise Abhängigkeit von Lukas nicht völlig ausschließen; vgl. z. B. gegen Markus in Lk 9,2; Mt 10,7 f. und Lk 9,5; Mt 10,14. 158 Mk 6,7.12 f.; vgl. schon die Vorwegnahme 3,14 bei der Einsetzung der Zwölf. Zur Ölsalbung der Kranken s. Jak 5,14, vgl. auch Lk 10,34. 159 Lk 10,9: ≥ggiken †f’ ≠mô“ ™ basile‡a toú qeoú, wiederholt in 10,11; vgl. 9,2: khr‚ssein tÉn basile‡an toú qeoú kaÑ ¢ôsqai. Mt 10,7 wiederholt fast gleichlautend Mt 4,17 und die Täuferbotschaft 3,2. 160 Mk 6,8 f.; vgl. dagegen Lk 10,4 und Mt 10,10, die Markus direkt widersprechen. 153 Mk
§ 11 Zum geographisch-historischen Rahmen des Wirkens Jesu
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des Friedens« ist, bei »Unwürdigen« kehrt er zum Jünger zurück.161 Der Realität des Segens entspricht das Gebot, wenn man in einem Ort abgewiesen wird, »den Staub desselben von den Füßen abzuschütteln«. Wer das Heilsangebot ablehnt, richtet sich selbst. Es wird einem solchen Ort am Tage des Gerichts schlimmer ergehen als Sodom und Gomorra.162 Nimmt man die Jesusboten in ein Haus auf, sollen sie nach Lukas essen, was man ihnen gibt, das heißt ohne nach den Reinheitsgeboten zu fragen. Der Arbeiter für »Gottes Ernte«163 ist »seines Lohnes wert«.164 Man kann diese rätselhaften Anweisungen an die ausgesandten Jünger weder einfach als spätere Verhaltensregeln für charismatische Wandermissionare noch als im ganzen jesuanisch betrachten. Erinnerung und nachösterliche Ausgestaltung sind hier, wie so oft, zu einer Einheit verschmolzen, die kaum mehr aufzulösen ist. Die markinischen Abschwächungen, die Stab und Sandalen erlauben, zeigen, daß Jesu rigoroses Gebot später nicht mehr als praktikabel erschien. Die zwei Aussendungen bei Lukas sind ein Versuch, den divergierenden Überlieferungen gerecht zu werden, wobei auch in Lk 10 nicht expressis verbis von Heidenmission die Rede ist. Gerade der schroffe, unrealistische Charakter dieser Gebote verweist auf einen einmaligen ostentativen Aussendungsakt Jesu in Galiläa, der zeitlich und räumlich befristet wie die Einsetzung der Zwölf als messianische Zeichenhandlung zu verstehen ist und den »charismatisch-enthusiastischen« Charakter des Auftretens Jesu beleuchtet. Die bedrängende Nähe, ja Gegenwart der hereinbrechenden Gottesherrschaft, zu der auch der siegreiche Kampf gegen die die Menschen versklavenden dämonischen Mächte gehört, begründet diesen ungewöhnlich erscheinenden Vorgang jener Aussendung der Zwölf mit seinen ganz unrealistisch klingenden, harten Anweisungen. Auf die begeisterte Rückkehr der 72: »Herr, auch die Dämonen sind uns untertan in deinem Namen« läßt Lukas Jesus mit einem visionären Bekenntnis antworten: »Ich sah den Satan wie einen Blitz vom Himmel stürzen. Siehe, ich habe euch die
Vollmacht gegeben, auf Schlangen und Skorpione zu treten, und über alle Macht des Feindes, und er wird euch in keiner Weise schaden. Doch nicht darüber freut euch, daß euch die Geister untertan sind, vielmehr freut euch darüber, daß eure Namen im Himmel eingeschrieben sind.«165 161 Lk
10,4–6; vgl. Mt 10,11–13. 10,14 f. = Mk 6,11; Lk 9,5 und 10,10 ff.; vgl. Mt 11,24. Diese Drohung erinnert an Jesu Gerichtsansage gegenüber den drei galiläischen Orten Chorazin, Bethsaida und Kapernaum, s. o. S. 330. Zum Abschütteln des Staubs s. Apg 13,51. Es handelt sich dort um eine zeichenhafte Handlung urchristlicher Missionare, die auf das Jesuswort zurückgeht. 163 Lk 10,2 = Mt 9,37. 164 Lk 10,7 = Mt 10,10b; vgl. 1 Kor 9,14 das Gebot des Kyrios, daß die Verkündiger des Evangeliums vom Evangelium leben sollen, und 1 Tim 5,18. Vermutlich steht ein Sprichwort dahinter. 165 Lk 10,17–20 (Sondergut). Zum Satanssturz vgl. Joh 12,31 und Apk 12,7 ff. D. Rusam, 162 Mt
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IV. Jesu Auftreten und Verkündigung
Das »Treten auf Schlangen und Skorpione« erinnert an Gen 3,15 und deutet auf die Überwindung der Macht Satans hin, der das erste Menschenpaar zum Ungehorsam verführte und damit alles Unheil in die Welt brachte. Die Jesusboten erhalten zugleich die Verheißung der ewigen Gottesgemeinschaft, von der Adam und Eva nach dem Fall ausgeschlossen wurden.166 Aus diesen Worten des lukanischen Sondergutes spricht eine Siegesgewißheit, die die eines traditionellen Profeten weit übertrifft und die nur aus der im Grunde »messianisch-enthusiastischen Gottesgewißheit« Jesu über die Ankunft des Reiches in seinem Wirken erklärt werden kann. Sie bestimmt die Berufung der Zwölf wie auch ihre Sendung. Er konnte sie dabei in der ihm eigenen Vollmacht aus Nachfolgern zu Mitstreitern für Gottes Herrschaft und den Sieg über Satan bzw. zu Erntehelfern Gottes machen: »Die Ernte ist groß, aber die Arbeiter sind wenige. Bittet den Herrn der Ernte, daß er Arbeiter in seine Ernte aussende.«167 Dieses letzte Wort zeigt den Zusammenhang zwischen Jesusüberlieferung und nachösterlicher Mission, die auf die Aussendung der Jünger durch Jesus zurückgreifen konnte.168 Ursprünglich war die »Ernte« eschatologische Metapher169 und auf die in Jesu Wirken gegenwärtige basile‡a bezogen. Ihr späterer missionarischer Gebrauch begegnet uns dann bei Johannes: Die Missionare sollen die Ernte der von Jesus ausgesäten Saat einbringen.170 In verwandter Gestalt erscheint das Motiv im Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg verbunden mit der Frage des gerechten Lohns.171 Lukas stellt ein in der späteren Überlieferung vielfach variiertes Logion an das Ende der Aussendungsreden: »Wer euch hört, der hört mich, und wer euch verachtet, verachtet mich. Wer aber mich verachtet, verachtet den, der mich gesandt hat.«172
NTS 50 (2004), 87–105 bezweifelt die Authentizität, weil es sich um ein Einzellogion handle. Es sei eine lukanische Explikation älterer Jesusüberlieferung. Dieses apokalyptische Logion paßt aber wenig zu Lukas, auch sprechen die Taufe und wohl auch die Versuchungs‑ und Verklärungsüberlieferung gegen die Behauptung, von Jesus seien keine visionären Erlebnisse überliefert. 166 Vgl. Gen 3,23 f.; Ps 91,13; Mk 3,22–27 parr., besonders Lk 11,20, s. dazu u. S. 429. 167 Lk 10,2 = Mt 9,37: Unseres Erachtens hat es Matthäus von Lukas übernommen und erzählerisch sehr geschickt mit Mk 6,34 (= Mt 9,36) kombiniert. Es paßt gut zur stark ausgeprägten lukanischen Missionstheologie. 168 S. dazu M. Hengel, Die Ursprünge der christlichen Mission, NTS 18 (1971/72), 13–38 (33 f.). 169 Mk 4,29; Mt 13,30; vgl. 2 Kor 9,6; Gal 6,8 f. 170 Joh 4,35–38; vgl. auch Paulus 1 Kor 3,6–9. 171 Mt 20,1–15; vgl. auch Lk 10,7 = Mt 10,10b. 172 Lk 10,16; vgl. Mt 10,40, wo das Logion mit dem Stichwort dficesqai an die Aussendungsüberlieferung (Mk 6,11; vgl. Lk 9,5) und an das Logion Mt 18,5 = Lk 9,48 = Mk 9,37 (vgl. Joh 13,20 und IgnEph 6,1) angeglichen ist. Es ist unwahrscheinlich, daß Lukas in seiner Vorlage sein Vorzugswort dficesqai (Evangelium 16mal; Apostelgeschichte 8mal) durch das bei ihm seltene üqeteõn (nur noch 7,30) ersetzt hat. Der Rekonstruktionsversuch von Robinson et al., Edition of Q, 188 zu Q 10,16 ist – wie so oft – irreführend. S. auch u. S. 388 Anm. 57.
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Die Botschaft vom Anbruch des Gottesreichs, die die Ausgesandten verkündigen, ist keine andere als Jesu Botschaft. Bereits ihre Aussendung setzt unseres Erachtens die erste Ausformung, ja, um seine Botschaft weitersagen zu können, ein Auswendiglernen von Kernsätzen der Verkündigung Jesu voraus.173 Zugleich wird die eschatologische Mittlerrolle Jesu zwischen dem ihn sendenden Gott Israels und der von ihm für die Gottesherrschaft in Dienst genommenen »Gemeinschaft« der Nachfolger und Jünger und damit auch ein Stück Kontinuität zwischen Jesu Handeln und der späteren Urkirche nach Ostern sichtbar. Vermutlich wird schon Jesus die »Boten« seine š elîhîn oder š elîhîm (griechisch üp·stoloi) genannt haben, ein aramäischer bzw. hebräischer Begriff, hinter dem ein Grundsatz semitisch-jüdischen Botenrechts steht: »Der Abgesandte (šālû ah) eines Menschen ist wie dieser selbst«,174 das heißt, er vertritt den Sender im Rahmen der ihm erteilten Vollmacht uneingeschränkt und rechtsgültig. Gewiß wird, vor allem in der späteren Matthäus-Fassung, eine nachösterliche Überformung durch die missionarische Situation der Gemeinden sichtbar;175 für die Ursprünglichkeit eines Grundbestands der noch nicht wie bei Markus entschärften Überlieferung spricht, daß diese rigorosen Anweisungen für die spätere urchristliche missionarische Praxis in dieser Form nicht mehr anwendbar waren. Sie weisen vielmehr auf einen relativ kurzen, zeichenhaften Vorgang hin, der mit dem eschatologisch-messianischen »Enthusiasmus« Jesu zusammenhängt. Was später zu Beginn des 2. Jahrhunderts die Didache über die wandernden »Profeten« (und »Apostel«)176 schreibt, hat einen wesentlich anderen Charakter. Ein weiteres Argument ist, daß bei dieser Aussendung allein die Gottesherrschaft und der Sieg über die Dämonen im Mittelpunkt stehen, während jede inhaltliche christologische Aussage, die auf die Zeit nach Ostern verweisen könnte, in der frühen Aussendungstradition vermieden wird.177 Um so mehr erhebt sich die Frage: Wer kann wider alle ältere profetische Tradition nicht nur zwölf Jünger als Reich-Gottes-Boten einsetzen, sondern diese auch mit eschatologisch begründeter Vollmacht aussenden und den Anbruch der Gottesherrschaft mit der 173 Zum
Problem s. H. Schürmann, Die vorösterlichen Anfänge der Logientradition, in: ders., Traditionsgeschichtliche Untersuchungen zu den synoptischen Evangelien, Düsseldorf 1968, 39–66; Riesner, Jesus, 453–475; Byrskog, Story, 104 f.162–165. Vgl. u. S. 377 Anm. 2. 174 mBer 5,5: šelûhô šäl ’ādām kemôtô; s. dazu K. H. Rengstorf, Art. üp·stolo“, ThWNT I, 415 f. Man hätte diesen eindeutigen Zusammenhang nie bezweifeln sollen. 175 So z. B. gerade in Mt 10,40 f., wo auf das dficesqai der Jünger als Sonderguttradition das des Profeten und des Gerechten und die Zusagen des entsprechenden Lohnes folgen: Es sind damit judenchristliche »Profeten« und »Gerechte« gemeint. Das Logion weist auf jenes Milieu hin, in dem Jakobus, der Herrenbruder, das Prädikat »der Gerechte« erhielt. S. dazu o. S. 286 Anm. 62; weiter Bd. II. 176 »Apostel« könnte sekundäre Zutat sein, s. Bd. II. 177 Diese wird erst in den Schlußsätzen Lk 10,16 und vor allem Mt 10,40–42 (vgl. Mk 9,41) angedeutet.
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IV. Jesu Auftreten und Verkündigung
Zerstörung der Macht Satans proklamieren? Wie schon der Vergleich Jesu mit dem Täufer stellt uns Jesu Ruf in die Nachfolge, seine Einsetzung der Zwölf und ihre so eigenartige, einmalige, zeichenhafte Aussendung vor die Frage nach dem messianischen Vollmachtsanspruch Jesu.
§ 12 Die poetische Form der Verkündigung Jesu Wir kennen die öffentlichen ›Lehrvorträge‹ Jesu und seine private Unterweisung an die Jünger nicht in ihrer ursprünglichen mündlichen Langform, sondern nur so, wie sich seine Hörer daran erinnerten – hier vor allem seine nächsten Anhänger –, und so, wie die Jünger seine Verkündigung wiederum in ihrer Predigt weitergaben. Seine Lehre hat sich vor allem als Sammlung von Einzelüberlieferungen in der Form von knappen, geschliffenen Aphorismen, Gnomen und Sentenzen im Rahmen von erzählten Szenen und von Streitgesprächen erhalten. Aber auch als etwas längere parallele Doppelstrophen, Reihen von Worten in Spruchkombinationen, als kurze Vergleiche, Bildworte, ausgeführte Gleichnisse und ausführlichere Beispielerzählungen blieb sie in Erinnerung und wurde zunächst in der frühesten Zeit in mündlicher Form tradiert. Jesus als ›Lehrer‹ und seine Jünger als ›Schüler‹ haben wir uns dabei nicht einfach analog zu den exklusiven Lehrhäusern rabbinischer Jurisprudenz und Schriftgelehrsamkeit oder den Schulen hellenistischer Städte vorzustellen, so daß Jesus etwa seine Jünger durch ständiges Wiederholen und Abfragen des Gelernten seine Worte auswendig lernen ließ. Die Botschaft vom anbrechenden Reich widersprach einer Vgl. dazu u. S. 380; anders dagegen die stolze ›Klage‹ des Apuleius von Madaura, Flor. 9,9 f. (Verteidigungsrede. Blütenlese, lat. u. dt. v. R. Helm, Berlin 1977, 176–178), seine Reden würden sofort mitgeschrieben und gelesen, so daß er sie für die schriftliche Veröffentlichung nicht mehr verbessern könne und sich deshalb schon beim Vortrag besonders anstrengen müsse. Die von F. Siegert edierten pseudo-philonischen Predigten »De Jona« und »De Sampsone« sind wahrscheinlich mitstenographierte, tatsächlich gehaltene Synagogenpredigten, s. F. Siegert, Drei hellenistisch-jüdische Predigten. Teil II, WUNT 61, Tübingen 1992, 7 f.38 f.; Casey, Aramaic Approach, 48 f. vermutet, daß auch Hörer Jesu sich auf Wachstafeln Notizen machen konnten; s. dazu u. S. 386. Das wird aber eher die Ausnahme gewesen sein, denn wieviele der galiläischen Hörer konnten schreiben? In diese Richtung tendieren Riesner, Jesus; Baum, Bildhaftigkeit. Eher als das schulmäßige Auswendiglernen bietet sich der Vergleich mit der frühjüdischen Weisheit an, die nicht nur in den Schulen und auf den Marktplätzen öffentlich gelehrt, sondern auch – gerade in der Oberschicht – bei Mahlzeiten und vor allem bei Symposien im privaten Rahmen gepflegt wurde. Hier spielten Belehrung in Lehr‑ und Spruchdichtung und das Lied eine wichtige Rolle. S. dazu T. Krüger, Kohelet (Prediger), BKAT XIX Sonderband, Neukirchen-Vluyn 2000, 30 ff. Jesus wird wegen solcher Mahlzeiten, etwa mit Zöllnern und Sündern, als ein »Fresser und Weinsäufer« beschimpft (Lk 7,34 par.). Bei den Zwölfen mag ihre Aussendung durch Jesus Anlaß gewesen sein, sich Logien und Gleichnisse wörtlich einzuprägen. Zum religiösen Lernen s. jetzt besonders die Beiträge von S. Byrskog, Das Lernen der Jesusgeschichte nach
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strengen pädagogisch ausgerichteten »Schulbildung«. Zudem sprach Jesus in eigenem Namen und in eigener Vollmacht im Gegensatz zu den späteren rabbinischen Gelehrten, die sich auf die Autorität ihrer Lehrer beriefen. Aber auch »(o)hne die Parallele zur hellenistischen und rabbinischen Memoriertechnik zu eng zu ziehen, läßt sich annehmen, daß Jesus von Nazareth grundlegende Einsichten rhetorisch gestaltet und in adäquaten Situationen erneut wiederholt hat«. Er rief den engsten Jüngerkreis in die Nachfolge und sandte diese Jünger aus, damit sie seine Botschaft von der Nähe bzw. vom Anbruch der Königsherrschaft Gottes verkündigen und Heilungswunder vollbringen sollten. Was der Lehrer und Meister der Volksmenge am Ufer des Sees sagte oder in den Synagogen lehrte, den Jüngern beim Tischgespräch und unterwegs von einem Ort zum andern mitteilte oder seinen Gegnern als schlagendes Argument entgegenhielt, hat sich dem Gedächtnis seiner Hörer wegen der Eindrücklichkeit seiner Person und wegen der Prägnanz und Bildhaftigkeit seiner Redeweise eingeprägt. Es ist die Einzigartigkeit der Lehrvollmacht Jesu, die traditionsbildend wirkt. Nur im Heilandsruf bei Matthäus fordert Jesus innerhalb der synoptischen Überlieferung direkt zum ›Lernen‹ von ihm auf: »Nehmt mein Joch auf euch und lernt von mir, denn ich bin gütig und von Herzen demütig« (11,29 Sondergut). Aber »Jesus ruft (auch hier) zur Nachfolge, nicht zum ›Lernen‹ in schulmäßigem Sinne auf.« Wie die personifizierte Weisheit lädt er ein, sein Joch, das heißt seine Gesetzesauslegung, anzunehmen: An seinem Vorbild können alle lernen, den synoptischen Evangelien (191–209) und H. Merkel, Der Lehrer Paulus und seine Schüler (235–252), in: B. Ego / ders. (Hg.), Religiöses Lernen in der biblischen, frühjüdischen und frühchristlichen Überlieferung, WUNT 180, Tübingen 2005. P. S. Alexander, Orality in Pharisaic-rabbinic Judaism at the Turn of the Eras, in: Jesus, ed. by Wansbrough, 183 betont mit gewissem Recht: »The rabbinic schools can be used to throw some light on the teaching tradition within the early Church.« Er unterschätzt jedoch den Umfang der Tradition, die auf Jesus zurückgeführt werden kann. Jesus war aber auch kein wandernder Sänger und dichtete keine Epen, deshalb ist der Vergleich mit homerischen Rhapsoden oder jugoslawischen Volkssängern und ihrer mündlichen Wiedergabe von Epen nicht sehr aufschlußreich. Wir können nicht einfach von jugoslawischer Folklore auf die Jesustradition zurückschließen. Die Überlieferung der Jesustradition spielte in den Gemeinden eine ungleich größere und wichtigere Rolle. Anders jetzt wieder T. C. Mournet, Oral Tradition and Literary Dependency, WUNT II / 195, Tübingen 2005, 135 f. mit Berufung auf die bekannten Untersuchungen von Lord. D. Dormeyer, Das Neue Testament im Rahmen der antiken Literaturgeschichte. Eine Einführung, Darmstadt 1993, 67 mit Verweis auf H. Schürmann und B. Gerhardsson. Vgl. Riesner, Jesus, 359 ff.; Dunn, Jesus, 557; Byrskog, Story (zur Bedeutung der Augenzeugen); dazu auch Baum, Bildhaftigkeit. Hengel, Jesus, 97 f. (Zitat 98). Die Parallelen bei Sir 6,24 ff.; 24,19–23; 51,34 zeigen bei aller formalen Ähnlichkeit auch den großen Unterschied. Die polemische Ausrichtung wird im Vergleich mit Lk 11,46 und Mt 23,4 sichtbar. Vgl. die Aufnahme innerhalb der Paränese von 1 Clem 13,1–4: m›lista memnhmfinoi tùn l·gwn toú kur‡ou ûIhsoú, o∆“ †l›lhsen did›skwn †pie‡keian kaÑ makroqum‡an …, s. auch Apg 20,35b.
§ 12 Die poetische Form der Verkündigung Jesu
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was es heißt, demütig und entgegenkommend zu sein. Jesus unterstreicht, daß es nicht bloß darauf ankommt, seine Worte zu hören und sich zu merken, sondern daß es vielmehr gilt, danach zu handeln und zu leben. Die Jünger haben sich an Jesus als »messianischen Lehrer der Weisheit« erinnert, weil seine Lehre gerade auch durch die Erfahrung von Kreuz und Auferstehung bestätigt und damit ganz einzigartig denkwürdig und unvergeßlich erschien, sowohl von ihrem besonderen Stil her wie von ihrem ungewöhnlichen Inhalt. Jesus konnte seine Verkündigung in Meschalim, Aphorismen, als eine Art von Lehrsummarien zusammenfassen, die er vermutlich unter anderem am Anfang und Ende seiner jeweiligen Reden bzw. von Redeabschnitten oder im Streitgespräch verwendete.10 Ebenso begegnen Gleichnisse gerne am Anfang und Ende von Reden, so etwa in einer frühjüdischen Predigt.11 Derartige »Kernsätze«, aber auch kunstvolle Spruchkompositionen wurden in der Phase der mündlichen Überlieferung nach Stichworten und Themen gruppiert weitergegeben, in der Logienüberlieferung bald nach Ostern auch schriftlich gesammelt und schließlich von den Evangelisten nach thematischer Ordnung zu längeren Reden wieder zusammengefügt, etwa bei Markus in seinem Gleichniskapitel und in der Endzeitrede. Am eindrücklichsten hat Matthäus seine großen Reden gestaltet. Sie lassen – am deutlichsten in der Bergpredigt – erkennen, daß sie Vgl. Mt 5,5; 21,5; dazu Luz, Mt II, 221. Vgl. auch die Worte des Messias in PsSal 17,36.43, s. o. S. 229. Lk 6,46; Matthäus wählt das in Lk 6,47–49 folgende Doppelgleichnis als Schluß für die Bergpredigt (7,24–27). Vgl. dazu u. S. 398. Vgl. Dunn, Jesus, 698: »memorable«. Justin nennt die Evangelien gegen 15mal entsprechend die üpomnhmone‚mata tùn üpost·lwn; in dial. 106,3 redet er wohl vom Markusevangelium als den »Erinnerungen« des Petrus; vgl. Hengel, Evangelienüberschriften, 34; ders., Gospels, 222 Anm. 85; Byrskog, Story, 276 mit Verweis auf Luise Abramowski. 10 Vergleichbar sind die in den alttestamentlichen Weisheitsbüchern gesammelten Sentenzen oder die des Pseudo-Phokylides aus der jüdischen griechischsprechenden Diaspora, aber auch die in den Pirqe Avot gesammelten Aussprüche der frühjüdischen Lehrer, von denen jedoch in der Regel nur jeweils eine Maxime mitgeteilt wird. In der alten Liste (1,1–2,8) werden dem berühmten Aqiba zunächst drei zugeschrieben (1,13 f.); auch »Rabbi«, Jehuda han-Nasi, erhält drei, Hillel dann noch einmal fünf (2,5–8). 11 Die pseudo-philonische Predigt »De Jona« endet mit mehreren Vergleichen in einer Gottesrede, wobei der letzte Vergleich mit der Mühe des Bauern beim Pflanzen und Bewässern von Bäumen an das Gleichnis Lk 13,6–9, das Bildwort des Täufers von der Axt, die schon an die Wurzel gelegt ist, und das qumranische Gleichnis 4Q302 Frag. 2 II (dazu u. S. 399) erinnert, das mit dem Satz schließt: »Denn einen Baum, der nutzlos ist, fällt man; bringt er aber Früchte, läßt man ihn stehen.« S. dazu die Übersetzung von F. Siegert, Drei hellenistisch-jüdische Predigten. Teil I, WUNT 20, 1980, 46 ff.; und den Kommentar in: ders., Predigten II (S. 377 Anm. 1), 214 f. Vgl. auch das »aesopische« Gleichnis am Ende des Dialogs »Hermotimos« von Lukian. Weiter u. S. 398 zur Beschreibung der rabbinischen Verwendung von Gleichnissen bei Hieronymus.
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bewußt für den missionarischen und katechetischen Gebrauch der Lehrer in den Gemeinden zusammengestellt sind.12 Zudem sind vermutlich dadurch, daß die Verkündigung Jesu mündlich geschah und zunächst auch so weitergegeben wurde und nicht etwa eine von ihm selbst oder einem seiner Jünger verfaßte ›Urkunde‹ am Anfang stand, sondern vor ihrer ›Verschriftlichung‹ durch die mündliche Predigt der Jünger geformt wurde, nicht wenige Varianten in den Details und Doppelüberlieferungen entstanden.13
12.1 Der Parallelismus membrorum, die Rhetorik und das Problem der Rückübersetzung ins Aramäische Niemand konnte in der Antike mit Erfolg öffentlich als Redner und Lehrer auftreten ohne ›Rhetorik‹, das heißt geformte Rede; dabei hatte auch die Prosarede ›poetische Form‹.14 Kein Redner verzichtete in der Antike auf die ›Redekunst‹, wenn er seine Hörer überzeugen wollte. Die spezielle poetische Form der Verkündigung Jesu hängt eng mit seiner aramäischen Muttersprache und den Regeln der semitischen Poetik zusammen. Diese wird vor allem durch den Satzparallelismus, den Parallelismus membrorum, bestimmt, eine Art ›Gedankenreim‹, den wir nicht nur in der alttestamentlichen Psalmendichtung, in den Prophetenworten und in der älteren und jüngeren jüdischen Spruchweisheit finden, sondern auch in der gehobenen hebräisch / aramäi schen Prosa.15 In dieser konnten zudem ungebundene Prosarede und stilisierte rhythmische Sprache ineinander übergehen.16 Die Elemente der semitischen Poetik – Parallelismus, Rhythmus, Paronomasie, Alliteration und Assonanz – fielen in der griechisch-römischen Welt in das Fach der Rhetorik, sie wurden
12 Deines, Gerechtigkeit, 446: »Die Bergpredigt enthält … missionarische Jünger-Ethik und gehört als Ganzes zum Genus der Aussendungs‑ und Beauftragungsrede.« 13 S. dazu Dunn, Setting; noch weiter geht Baum, Bildhaftigkeit, 16, der zu Unrecht annimmt, daß Matthäus und Lukas den »gemeinsamen Stoff nicht aus einer schriftlichen Quelle, sondern aus einer mündlichen Überlieferung geschöpft haben«. Schon Lukas ist von schriftlichen Quellen (1,1) und Matthäus wiederum zum Teil auch von Lukas abhängig. 14 Vgl. zur Bedeutung der Kunstprosa in der griechisch-römischen Welt A. Dihle, Art. »Pro sarhythmus«, DNP 10, 2001, 433–437. 15 Man unterscheidet den synonymen, antithetischen, synthetischen und klimaktischen Parallelismus. In den Worten Jesu bei den Synoptikern erscheint der antithetische am häufigsten; s. dazu die Aufstellungen von Jeremias, Theologie, 24–30. 16 K. Seybold, Art. Poesie, I.1 Altes Testament, RGG4 6, 2003, 1417; ders., Poetik, 55 ff. Ein Beispiel für die Nachahmung des Parallelismus der alttestamentlichen Prosa in einer frühjüdischen Schrift in griechischer Sprache ist Joseph und Aseneth, wo dieses Stilmittel extensiv verwendet wird. Um Aseneth als Ahnmutter aller Proselyten in den Kreis der Patriarchen(mütter) einzureihen, wird der Stil der Genesiserzählungen nachgeahmt.
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dort behandelt und nicht im Bereich der Dichtung.17 Die freie Rede gehörte auch im semitischen Sprachbereich zur ›Prosa‹, aber sie hat »natürlich [auch] andere Formelemente von rhythmischen Sequenzen und Wortspielen bis hin zu Parallelismen und chiastischen Strukturen«18 verwendet. Parallelismus und Chiasmus bilden die typischen Kennzeichen der hebräisch-poetischen Dichtung in Psalmen und Liedern ebenso wie in der Spruchdichtung der Weisheitsbücher und in den Profetenbüchern des Alten Testaments. Die griechische Übersetzung der Septuaginta behielt den Parallelismus membrorum bei, ja konnte ihn bei der Übersetzung zuweilen noch ›verbessern‹, indem die Übersetzer sinngemäß ergänzten, und ahmte durch rhythmisierte Prosa die hebräische ›Poesie‹ nach.19 Dasselbe läßt sich an der Übersetzung der frühjüdischen Weisheitsdichtung beobachten, etwa bei Jesus Sirach oder in den Proverbien. In den aramäisch verfaßten Teilen des Danielbuches spiegelt die griechische Übersetzung den Übergang von der Prosaerzählung zu poetisch, im Parallelismus membrorum abgefaßten doxologischen Passagen getreu wider.20 Sowohl für den semitischen Sprachbereich wie für den griechischen und auch sonst gilt: »Parallel geformte Sätze sind in Poesie und Prosa ein weitverbreitetes … Mittel, Verdeutlichungen oder Gegensätze wirksam auszudrücken.«21 Die griechisch-römische Rhetorik kannte ebenfalls die Wiederholung – die Gemination als einen strengeren Par17 S. dazu J. A. Fitzmyer, The Aramaic Background of the New Testament, in: ders., The Semitic Background of the New Testament (Combined Edition of: Essays on the Semitic Background of the New Testament and A Wandering Aramean; Collected Aramaic Essays), Grand Rapids (Mich.) / Cambridge (U. K. ) 1997, 16. 18 Seybold, Poetik, 56. 19 Vgl. A. Wifstrand, Epochs and Styles, ed. by L. Rydbeck and S. E. Porter, WUNT 179, Tübingen 2005, 127 f.: »The interest of the Hellenized Jews in Greek rhetorical form can also be seen in the Septuagint translation itself. It happens … that the material parallelisms in many sayings of the Proverbs in the Greek translation are emphasized by a formal parallelism not found in the original.« Die Septuaginta verzichtete jedoch auf die Übertragung in griechische Versmaße. Josephus spricht zweimal von hebräischen Hexametern: ant. 2,346 bezeichnet er die »Ode Moses« in Ex 15 als ein Enkomion auf Gott in Hexametern; in ant. 4,303 handelt es sich um das Moselied (Dtn 32), was zeigt, daß die hebräischen Langverse (im Doppeldreier 3 + 3) als den Hexametern des griechischen Epos entsprechend angesehen werden konnten. Augustin, De doctrina christiana 4,116 verweist darauf, daß Hieronymus in seinem Prolog zur Übersetzung des Hiobbuches hebräische Metren erwähnt (exametri versus sunt, dactilo spondeoque currentes; Vulgata I, ed. B. Fischer, Stuttgart 31983 [Nachdruck 1985], 731), die er nicht übersetzt. 20 Vgl. etwa Dan 2,23; dazu Segert, Poetic Structures, 1441. 21 BDR, Grammatik, 420 § 489. Vgl. etwa die ständigen gnomischen Parallelismen in Arrians Wiedergabe der Lehren Epiktets zur Moral. Zum Unterschied zwischen dem »hebräischen Parallelismus« als einem »Parallelismus des Gedankens« und dem »nationalgriechischen« als einem »Parallelismus der Form« s. schon E. Norden, Die antike Kunstprosa. Vom VI. Jahrhundert v. Chr. bis in die Zeit der Renaissance, (Nachdruck) Darmstadt 51958, 813–819 (816 f.). Weiter vor allem A. Wifstrand, Epochs (s. o. Anm. 19), 111–132, der den Unterschied an der Passahomilie des Melito von Sardes zeigt.
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allelismus mit gleich langen Kola – als Stilform in der gepflegten, kunstvollen Rede vor allem in der asianischen Rhetorik; hier diente dieses Stilmittel ebenfalls der Einprägsamkeit.22 Deshalb haben die Synoptiker – die Spruchdichtung Jesu zum Teil noch weiterführend23 – den Parallelismus für die Wiedergabe seiner Verkündigung in der Regel beibehalten und nicht gekürzt. Dabei stehen Markus und Lukas der jesuanischen Sprache zumeist näher als Matthäus, der den griechischen Stil glättet, verbessert und mit zusätzlichem Redeschmuck ›rhetorisiert‹, ein Zeichen dafür, daß Matthäus später verfaßt wurde. Jesus lehrte in aramäischer Sprache, aber die Überlieferung seiner Verkündigung hat es mit sich gebracht, daß wir sie bis auf wenige aramäische Worte und Wendungen nur noch in griechischer Übersetzung kennen. Diese Worte und Wendungen sind in der Ursprache vor allem durch Markus erhalten: »Abba« (Mk 14,36; vgl. Röm 8,15; Gal 4,6), taliqa koum (Mk 5,41), effaqa (Mk 7,34) und das letzte Wort Jesu am Kreuz elwi elwi lema sabacqani (Mk 15,34).24 Die Logien Jesu wurden verhältnismäßig früh ins Griechische übersetzt, vermutlich von Gräkopalästinern in der Urgemeinde in Jerusalem. Der griechischsprechende Gemeindeteil der Hellenisten brauchte die Lehre Jesu in seiner eigenen Muttersprache, aber erste Übertragungen durch Anhänger sind wohl schon zu Lebzeiten Jesu anzunehmen.25 Für solche frühen getreuen Übersetzungen sprechen 22 Quintilian, inst. 8,5,18 f.: Die Sentenz gewinnt an Wirkung durch Verdoppelung; schön sind Antithesen und Vergleich. Cicero, Orator 84 f.: Nur die ganz strengen Attizisten vermeiden parallele Satzglieder, Gleichklang von Endungen und Wortwiederholungen zur Hervorhebung. Auch Paulus verzichtet in seinen Briefen nicht auf solche Stilmittel, er verwendet den Parallelismus besonders häufig in den paränetischen Passagen, und an den Höhepunkten seiner Ausführungen wechselt er in rhythmisierte »hymnische« Form; Segert, Poetic Structures, 1457 verweist dazu auf 1 Kor 13; Reiser, Sprache, 74 f. nennt als Beispiel 1 Kor 15,42–44. Auf der anderen Seite behält Paulus in seiner Wiedergabe von Herrenworten nicht die semitische Spruchform bei und ahmt sie nicht nach. Nur in dem direkten Zitat der Herrenmahlsparadosis (1 Kor 11,24 f.) hält er sich an den Wortlaut; vgl. J. Schröter, Anfänge der Jesusüberlieferung, NTS 50 (2004), 65. 23 Matthäus übernimmt manche Parallelismen nicht aus seinem Markus-Text, auch Lukas kann kürzen (z. B. Lk 11,17); aber auf der anderen Seite verstärkt Matthäus den »Redeschmuck«. Petersen, Matthäus, 313–331 zeigt, daß Matthäus etwa in den Seligpreisungen Stilmittel wie »die vierfache Anapher und die vierfache Asyndese mak›rioi (5,3.4.6. 11), den dreifachen synthetischen Parallelismus und die dreifache Ellipse um mak›rioi (5,3.4.6) und schließlich … die dreifache Binnen-Anapher Ωti (5,3.4.6)« übernimmt, aber auf der anderen Seite diese übernommenen Stilmittel vermehrt und »zusätzlich(en) ›Redeschmuck‹ geschaffen« hat (325; Hervorhebung W. P.). Zudem kann man erkennen, daß Matthäus »bewußt rhetorische Stilmittel« (325) einsetzt, indem er etwa direkte Aussagen bei Lukas in rhetorische Fragen verwandelt (Lk 12,22–32 = Mt 6,25–34). Versucht er den Redestil Jesu in griechischem Sprachgewand nachzuahmen? 24 Vgl. H. P. Rüger, Art. Aramäisch II. Im Neuen Testament, TRE 3, 1978, 602–610; Schwemer, Jesu letzte Worte, 5–29; weiter dazu u. S. 478. Hinzu kommen aramäische Namen, s. Mk 3,17 ff.; 10,46, zum Teil mit Übersetzung. 25 Vgl. Reiser, Sprache, 161; Hengel, Jesus, 84.
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die zahlreichen Semitismen in den Logien. Weiter sind in den Worten und Reden Jesu in der synoptischen Tradition der semitische Parallelismus membrorum, die Strophenbildung, ebenso die Formen des Makarismus, des Weheworts, des tôb-Spruches und ähnliches an der griechischen Übersetzung deutlich erkennbar.26 Paronomasie und Alliteration aber lassen sich im Griechischen höchstens imitieren, sie sind wie Rhythmus und Reim nur bei der Rückübersetzung ins Aramäische festzustellen.27
Exkurs: Zur Rückübersetzung ins Aramäische Es gibt viele verschiedene Versuche der Rückübersetzung ins Aramäische, aber eine solche ist auch heute höchstens in Einzelfällen für längere Textsequenzen mit einiger Wahrscheinlichkeit möglich – sogar beim Vaterunser widersprechen sich die Experten. Obwohl es ratsam scheint, auf die aramäische Rekonstruktion von ipsissima verba zu verzichten, will man nicht allein beim Postulieren einer ipsissima intentio stehenbleiben.28 Als C. F. Burney im Anschluß an Gustaf Dalman die Worte Jesu ins Aramäische zurückübersetzte, bedauerte er zwar, daß Zeugnisse für das in Galiläa im 1. Jahrhundert gesprochene Aramäisch fehlen würden, aber er verwendete recht unbefangen das wesentlich spätere Aramäisch des Palästinischen Talmuds und der Midraschim für seine Retroversion. Er beschrieb wie andere vor ihm den Parallelismus29 und unterstrich die Häufigkeit des antithetischen in den Jesuslogien; er entdeckte rhythmische Formen analog zu den alttestamentlichen Propheten‑ und Weisheitsworten und stellte Beobachtungen zum Endreim an.30 Matthew Black und Joachim Jeremias haben Burneys Beobachtungen aufgenommen, korrigiert und weitergeführt. Black sammelte vor allem Beispiele für Alliteration, 26 Auch das Johannesevangelium scheint in diesem semitisierenden Griechisch mit Parallelismen geschrieben, weshalb Burney, Poetry, und andere mit einer Übersetzung aus dem Aramäischen rechneten. Burney übersetzte auch die Jesusworte des Johannesevangeliums ins Aramäische; den Unterschied zur synoptischen Überlieferung sah er allein im verschiedenen Adressatenkreis – der des johanneischen Jesus seien gebildete rabbinische Gelehrte. Dagegen zu Recht Segert, Poetic Structures, 1454: »The way in which these parallelistic thetic and antithetic relationships are expressed in John’s Gospel differs in many instances from the parallelistic style in the synoptic gospels. While the parallelism in Semitic or Semitizing tradition is based on the semantic synonymity or antonymity of the words used in these structures, in John’s gospel the antithesis is frequently expressed by the use of negative particles.« 27 Segert, Poetic Structures, 1437.1439.1445: »The rhythmical and phonetic devices – alliteration, rhyme, paronomasia – can be observed only in retranslations into Aramaic or Hebrew.« Vgl. 1448. 28 Zur ipsissima intentio vgl. Hahn, Theologie I, 40 mit Hinweis auf Thüsing; vgl. weiter Theissen / Winter, Kriterienfrage, 202–205. 29 Burney, Poetry, 71 f.: Am häufigsten läßt sich wie in der Weisheitsliteratur des Alten Testaments der antithetische Parallelismus feststellen. Zur Forschungsgeschichte ausführlich R. Meynet, Rhetorical Analysis. An Introduction to Biblical Rhetoric, JSOT.S 256, Sheffield 1998, 44–166. 30 Burney, Poetry, 100–146.147–175. In der synoptischen Überlieferung hielt er oft zu Unrecht die verkürzten geschliffenen Formulierungen des Matthäus für die ursprünglich jesuanischen.
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Assonanz und Paronomasie. Er warnte jedoch vor falscher Sicherheit bei der Rückübersetzung: »Bei den Rückübersetzungen ins Aramäische … kann in keinem einzigen Beispiel der
Anspruch auf Endgültigkeit oder absolute Gewißheit eines rekonstruierten Originals erhoben werden. Wo wir es jedoch mit allgemeinen Wörtern und Ausdrücken zu tun haben, besteht ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit, daß wir den ursprünglichen Urlaut haben.«31 Auch hier kann man nur von »Annäherungen« sprechen. Joachim Jeremias betonte im Anschluß an Burney und Dalman die Bedeutung des antithetischen Parallelismus und den Rhythmus, nahm die Beobachtungen von Black zur Paronomasie auf, beschrieb die Phänomene Hyperbel und Paradox, um dann zu den Kennzeichen der ipsissima vox, die auch für ihn nicht mit den ipsissima verba identisch ist, überzugehen: Gleichnisse, Rätselsprüche, Königsherrschaft, Amen-Worte und die Verwendung von »Abba«.32 Um den Rhythmus festzustellen, übersetzte er ins Aramäische, wobei er sich, mangels zeitlich näherstehender Quellen, vor allem auf das palästinisch-syrische Lektionar stützte: Die Verwendung von Zweihebern signalisiere »Zentralgedanken« der Botschaft Jesu,33 der Vierheber dagegen sei der Rhythmus der »Jüngerinstruktion«34. Der in der alttestamentlichen Weisheitsliteratur für den Maschal gebräuchliche Dreiheber, der dem jambischen Trimeter in der griechischen Gnomik entspricht, sei auch in den Worten Jesu der häufigste Rhythmus, der dem Gedächtnis das Einprägen erleichterte.35 Den Rhythmus des Klagelieds, das Qina-Metrum (3+2), beobachtete Jeremias »vornehmlich für Aussagen starker innerer Bewegung«; »die Häufung der Rhythmen« weise auf eine ausgesprochene »Eigenart Jesu« hin, zeige den semitischen Hintergrund und stelle zudem »ein beachtliches Altersindiz dar«.36 Im Vergleich mit den zahlreichen Jesuslogien und den geringen Resten von der Verkündigung Johannes des Täufers kennen wir nur noch ganz wenige aramäische Dicta – seien sie anonym tradiert oder bestimmten Personen zugeschrieben –, die zeitlich ins 1. Jahrhundert v. bis 2. Jahrhundert n. Chr. gehören, aber diese lassen deutlich erkennen, 31 M. Black, Die Muttersprache Jesu. Das Aramäische der Evangelien und der Apostelgeschichte, BWANT 115, Stuttgart / Berlin / Köln / Mainz 1982, 185. 32 Jeremias, Theologie, 19–46. 33 Jeremias, Theologie, 32; doch auch Jeremias rechnet mit »Doppelzweiern« und »einer Kette von Zweihebern« (31); alle seine Beispiele gehören unseres Erachtens eher zum »Vierheber«; so vor allem Lk 7,22 f. = Mt 11,5 f., wo wohl mit dem Rhythmus 2+2, 2+2, 2+2, 2+2+2 zu rechnen ist; vgl. dazu die Übersetzung ins Aramäische von Casey, Aramaic Approach, 105, der jedoch aus Prinzip auf Angaben zum Rhythmus verzichtet. 34 Jeremias, Theologie, 33. Vgl. das R. Aqiba zugeschriebene Dictum tMeg 4(3),16 (Zuckermandel 226), das im Rhythmus 4+4 bzw. 2+2, 2+2, 2+2, 2+2 gehalten ist: »Erweise (den Toten Ehre), damit man (sie auch) dir erweise! Geleite (die Toten), damit man (auch) dich geleite! Halte Totenklage, damit man (auch) dich beklage! Begrabe (andere), damit man (auch) dich begrabe!« Es handelt sich um einen Kettenspruch. Ähnlich ist der Rhythmus im Dictum Eliezers ben Hyrkanos (mSot 9,15); vgl. dazu die bei Beyer, Texte, 360 f. gesammelten aramäischen Dicta. 35 Jeremias, Theologie, 35: »Der Dreiheber … dient zum Einprägen markanter Worte und Sentenzen« (Hervorhebung J. J.). 36 Jeremias, Theologie, 36 f.
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daß sie im Parallelismus membrorum und rhythmisch verfaßt sind, auch Paronomasie und Alliteration u. a. kann man ohne Mühe feststellen. Der »Dreier« wird ebenfalls in einem der wenigen erhaltenen Beispiele für einen längeren ›Profetenspruch‹ in aramäischer Sprache aus frühjüdischer Zeit verwendet. Es handelt sich um ein Orakel über die Zerstörung des Jerusalemer Tempels, das verhältnismäßig alt sein kann, auch wenn es erst in der David-Apokalypse von Hekhalot Rabbati überliefert ist.37 Die Qina begegnet in der Samuel dem Kleinen zugeschriebenen Unheilsprofetie: »Simeon und Jischmael zum Schwert und seine Genossen zur Hinrichtung
und das übrige Volk zur Beute, und große Bedrängnisse werden sich in naher Zukunft ereignen.«38
Josephus überliefert die Unheilsprofetie des Jesus ben Hananja als wörtliches Zitat in griechischer Sprache; auch hier stellt man, wenn man ins Aramäische übersetzt, Rhythmus, Paronomasie und Reim fest. Die Rückübersetzung fällt in diesem Fall jedoch sehr viel leichter als bei Jesuslogien.39 So gering die Ausbeute an solchen aramäischen Texten ist, sollte man sie nicht – wie dies häufig geschieht – völlig übersehen. Sie stehen der Jesusüberlieferung näher als die Beschreibung der Schönheit Saras im Genesisapokryphon aus Qumran, das als »poetische« Parallele für die Sprache Jesu angeführt wird.40 Problematisch aus heutiger Sicht bleiben Rückübersetzungen für die Jesuslogien, weil wir das Aramäische im 1. Jahrhundert v. und n. Chr. trotz der Qumranfunde zuwenig kennen, um die farben‑ und formenreiche Sprache Jesu wiederzugeben, und uns gerade für das galiläische gesprochene Aramäische jener Zeit die Quellen fehlen.41 Zudem ist 37 S. dazu A. M. Schwemer, Irdischer und himmlischer König. Beobachtungen zur sogenannten David-Apokalypse in Hekhalot Rabbati §§ 122–126, in: M. Hengel / dies. (Hrsg.), Königsherrschaft, (309–359) 329–333.345 ff.: vermutlich eine frühe Reaktion auf die Tempelzerstörung. R. Boustan, From Martyr to Mystic, TSAJ 112, Tübingen 2005, 224 möchte dieses Orakel später datieren. 38 tSot 13,4 (Zuckermandel 319); der Rhythmus ist: 3+2, 3, 3+2; zu Text und Übersetzung vgl. auch Beyer, Texte, 362. 39 Wenn man diese formal und vom Vokabular her sehr einfachen Profetenworte (bell. 6,301.304.306.309) ins Aramäische retrovertiert, beobachtet man den Übergang von einem Doppelzweier zu einem Dreier und von einem Doppeldreier zu einem einfachen Dreier (2+2, 3, 3+3, 3); es handelt sich um ein zweistrophiges Orakel, jede Strophe wird mit einem Trikolon gebildet. Daneben führt Josephus schlichte Weherufe über Jerusalem an: »Eine Stimme vom (Sonnen‑)Aufgang, eine Stimme vom (Sonnen‑)Untergang, eine Stimme von den vier Winden, eine Stimme über Jerusalem und den Tempel, eine Stimme über Bräutigam und Braut, eine Stimme über das ganze Volk.« … (301) »Wehe dir Jerusalem!« (304.306) »Wehe wiederum der Stadt und dem Volk und dem Tempel!« (309) 40 So etwa Riesner, Jesus, 404; vgl. 399: Distichische und tristichische aramäische Poesie findet er auch in 11QPs 155; doch es handelt sich um einen hebräischen Psalm (zum Text vgl. García Martínez / Tigchelaar, Scrolls II, 1176). 41 Es unterschied sich vom Judäischen zumindest in der Aussprache, s. Mt 26,73; Casey, Aramaic Sources, 90 hält dies für keinen gravierenden Unterschied, denn er habe höchstens die Aussprache der Gutturale betroffen. Vgl. ders., Aramaic Approach, 36–39.
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die Vokalisierung weiterhin nicht so sicher, daß wir den Rhythmus immer eindeutig bestimmen könnten. Durch die Qumranfunde und aramäische Ossuarinschriften hat sich die Situation entscheidend verbessert, vor allem ließen sich manche früheren Irrtümer im Wortgebrauch bereinigen, aber die Frage, welche Texte für das Galiläische als Dialekt Jesu zur Rekonstruktion herangezogen werden können, wird weiterhin von den Fachleuten unterschiedlich beantwortet.42 Sogar für so bekannte ins Griechische einfach transliterierte Ausdrücke im Neuen Testament wie »Abba« und »Maranatha« fehlten bis in die neueste Zeit die entsprechenden eindeutigen aramäischen Belege aus der Zeit Jesu und der frühesten Kirche.43 Um die Fehler seiner Vorgänger44 zu vermeiden, ging M. Casey in den letzten Jahren methodisch einen anderen Weg. Er übersetzte nicht einfach einzelne Logien Jesu zurück ins Aramäische, sondern rekonstruierte die Quellen von Markus und Q als aramäische Textstücke des 1. Jahrhunderts n. Chr. Dabei wollte er keine schlichte Rückübersetzung bieten, sondern die Situation im damaligen Galiläa mit einbeziehen. Er rechnete zudem damit, daß sich die Jünger Notizen auf Wachstäfelchen machen konnten, denn Augenzeugen müßten diese Aufzeichnungen, die so nah am Geschehen seien, geschrieben haben.45 Diese Notizen hätten die Evangelisten dann erweitert und abgewandelt. Markus sei um 40 n. Chr. verfaßt und stehe der Lehre Jesu noch sehr nahe; Lukas und Matthäus hätten zum Teil verschiedene Übersetzungen verwendet. Trotz der scharfen Einwände von Casey gegen das Vorgehen der älteren aramaistischen Spezialisten bleiben weiterhin vor allem die Beobachtungen von Burney, Black und Jeremias grundlegend für die Suche nach der ipsissima vox Jesu. Caseys Hypothesen erscheinen dagegen relativ spekulativ.46
42 Vgl. J. A. Fitzmyer, Essays on the Semitic Background of the New Testament, London 1971; ders., A Wandering Aramean. Collected Aramaic Essays, Missoula 1979 (= Combined Edition 1997 [S. 381 Anm. 17]); Beyer, Texte, 54.62, der vor allem auf die Bedeutung der in griechischen Texten belegten galiläischen Ortsnamen für die Aussprache hinweist und die mittelaramäischen Inschriften und palästinische rabbinische Literatur zum galiläischen Dialekt rechnet; vgl. auch ders., Die aramäischen Texte vom Toten Meer. Ergänzungsband, Göttingen 1994. Anders dagegen Casey, s. u. 43 S. dazu Hengel, Abba. 44 Mit diesen geht er scharf ins Gericht, sie fänden viel zu viele Wortspiele und Parallelismen. Vor allem Burney wird dafür getadelt, daß er sogar mit dem Endreim rechne. Nur über Matthew Black äußert er sich etwas anerkennender (Casey, Aramaic Sources, 31; ders., Aramaic Approach, 9–12.21.24). 45 Casey, Aramaic Approach, 48 f. 46 Vgl. Dunn, Jesus, 225 f.; Reiser, Sprache, 64 Anm. 84 zum Griechischen des Markus und seiner Kritik an Casey.
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12.2 Weisheits‑ und Profetenspruch Der Reichtum der Formensprache in der Spruchdichtung Jesu wird immer wieder gerühmt.47 Wir besitzen von keinem jüdischen Lehrer dieser Zeit eine derart vielfältige Überlieferung.48 Er verwendete den synonymen Parallelismus, zum Beispiel: »Nichts ist verborgen, das nicht offenbar werden wird, noch geheim, das nicht bekannt und öffentlich wird.«49
Als Beispiel für den sehr häufigen antithetischen Parallelismus (mit Chiasmus und Anapher) bietet sich an: »Wer sein Leben retten will, der wird es verlieren;
Und wer sein Leben verliert um meinetwillen …, der wird es retten.«50
Aber auch der synthetische Parallelismus wird eindrücklich formuliert in einem rätselhaften Doppelwort: »Ich kam, Feuer auf die Erde zu werfen,
und wie wünsche ich, daß es schon entbrannt wäre. Mit einer Taufe muß ich getauft werden, und wie bin ich bedrängt, bis sie vollendet ist.«51 47 G. Theissen, Historische Skepsis und Jesusforschung. Oder: Meine Versuche über Lessings garstigen breiten Graben zu springen, in: ders., Jesus als historische Gestalt. Beiträge zur Jesusforschung, hg. v. A. Merz, FRLANT 202, Göttingen 2003, 347: »Auch wenn wir bei einzelnen Worten unsicher sind, ob sie wirklich von Jesus stammen oder nicht, so sind wir erstaunlich sicher, dass wir die Formensprache seiner Verkündigung kennen – also die einzigartige Kombination literarischer (mündlicher) Formen, Topoi und Strukturen, die mit Jesus verbunden ist. Wenn wir bei jeder Form der Jesusüberlieferung ein einziges Exemplar als authentisch nachweisen, haben wir das ganze Genre für Jesus nachgewiesen. … Obwohl wir unsicher sind, ob wir im Einzelnen die parole Jesu identifizieren können, kennen wir seine langue sehr gut. Wir wissen, dass Jesus Gleichnisse und Bildworte, Weherufe und Makarismen, Sentenzen und Mahnungen benutzt hat. Zu allen Formen gibt es Parallelen im sonstigen Judentum. Ihre Kombination aber ist einzigartig.« 48 M. Küchler, Frühjüdische Weisheitstraditionen. Zum Fortgang weisheitlichen Denkens im Bereich des frühjüdischen Jahweglaubens, OBO 26, Göttingen 1979, zählte 108 Aphorismen; D. E. Aune, Oral Tradition and the Aphorisms of Jesus, in: Jesus, ed. by Wansbrough, (211–265) 242–258 listet aus der kanonischen und späteren frühchristlichen Literatur 167 »Aphorisms« auf. Dormeyer, Das Neue Testament (S. 378 Anm. 4), 74 f., der sich nicht auf die Sentenzen beschränkt, rechnet mit »rund 170 Weisheitsworten …, die über die Synoptiker verstreut sind«. Zur Zahl der Gleichnisse s. u. S. 397 Anm. 97. Die hohen Zahlen allein für die Sentenzen entstehen jedoch dadurch, daß oft Doppelworte oder drei‑ und vierteilige Logien atomisierend in ihren einzelnen Elementen aufgezählt werden. Wir sollten Jesusworte nicht zu sehr zersplittern. Sie verlieren dadurch unter Umständen ihre Originalität. 49 Lk 8,17, vgl. Mk 4,22; Mt 10,26; dazu Burney, Poetry, 65. 50 Mk 8,35; dazu Burney, Poetry, 84 f. 51 Lk 12,49 f. Die figura etymologica b›ptisma baptisqönai drückt die Todesahnung Jesu aus und begegnet auch in Mk 10,38 f. Zu ihrer Bedeutung für die Johannestaufe s. o. S. 319.
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IV. Jesu Auftreten und Verkündigung
Dem schließt sich bei Lukas ein antithetischer Vers als dritter Parallelismus an: »Glaubt ihr, daß ich gekommen bin, der Erde Frieden zu schenken? Nein, sage ich euch, sondern Spaltung.«52
Die drei knappen jesuanischen Seligpreisungen in der lukanischen Feldrede, die ihre Entsprechung in den Weheworten haben, sind ebenfalls synthetische Parallelismen, sie werden von Matthäus in der Bergpredigt zu einer langen Reihe in Strophenform ohne Weheworte ausgestaltet.53 Das Gebot der Feindesliebe ist bei Lukas und Matthäus besonders eindrücklich durch synthetische Parallelismen geprägt und bildet zugleich die Spitze der Reihe der Antithesen bei Matthäus.54 Mit »Step-Parallelism« bezeichnete Burney die Anknüpfung mit Anadiplose, der Verdoppelung bzw. Anapher, die, besonders mit der Wiederholung des letzten Wortes, einen engeren chiastischen Parallelismus entstehen läßt: »Meint nicht, daß ich gekommen bin, das Gesetz und die Propheten aufzulösen, ich kam nicht (sie) aufzulösen, sondern (um sie) zu erfüllen.«55
Matthäus verwendet diese Form der Doppelung sehr gern, die dann auch bevorzugt bei Johannes begegnet. Vermutlich ist dieser Vers zumindest redaktionell von Matthäus gestaltet, falls er auf ein genuines Jesuswort zurückgehen sollte.56 Deutlicher und wohl authentisch finden wir diese Stilform in Lk 10,16: »Wer euch hört, der hört mich,
und wer euch verachtet, der verachtet mich, wer aber mich verachtet, der verachtet den, der mich gesandt hat.«57
Jesus liebte den Parallelismus und »verband seine weisheitliche Formensprache mit prophetischen Gattungen«58. Wir finden zahlreiche Worte, die den 52 Lk 12,51; Mt 10,34 stellt einen vollkommeneren Parallelismus her; vgl. Burney, Poetry, 90. Weiter dazu u. S. 503 f. 53 Lk 6,20–26 (V. 22 ist nicht authentisch, sondern wohl eine erweiternde Ergänzung, die sich auf die Situation der Urgemeinde bezieht); Mt 5,3–12; s. dazu die stilistische Analyse von Petersen, Matthäus, 135–157. Vgl. auch die Ausgestaltung der – jesuanischen – Weherufe gegen Pharisäer und Gesetzeskundige Lk 11,42–52 in Mt 23,2–39. 54 Lk 6,32 ff.; Mt 5,46 f.; s. dazu Petersen, Matthäus, 220 ff.224 ff., der die griechischen Stilfiguren beschreibt. Zu den Antithesen s. u. S. 446. 55 Mt 5,17; Burney, Poetry, 90–96; vgl. Deines, Gerechtigkeit, 257–287. 56 Vgl. Luz, Mt I, 229.235; Deines, Gerechtigkeit, 284 ff. 57 Die lukanische Fassung scheint älter und ursprünglicher zu sein als Mt 10,40–42, wo Lk 10,16 in Angleichung an Mk 9,37 aufgenommen und zusätzlich über den Lohn reflektiert wird, den der erhält, der einen Profeten bzw. einen Gerechten aufnimmt, und zur Gastfreundschaft ermahnt wird. Die Matthäus-Fassung wird so zu einer Gemeinderegel für die urchristlichen Wandermissionare. S. dazu o. S. 374 f. 58 Zitat aus G. Theissen, Die Jesusbewegung. Sozialgeschichte einer Revolution der Werte, Gütersloh 2004, 47; auf S. 47 f. stellt Theissen weisheitliche, profetische und königliche Motive in der Logienüberlieferung fest. Dies weist darauf hin, daß man im Blick auf Jesu Anspruch selbst weisheitliche, profetische und messianische Züge nicht einfach trennen kann.
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alttestamentlichen profetischen Gattungen entsprechen oder sie abwandeln.59 Weisheits‑ und Profetenworte bilden in der Jesusüberlieferung keinen Gegensatz, sie lassen sich auch schwer gegeneinander abgrenzen.60 Bereits die frühen ›Schriftprofeten‹ des Alten Testaments verwendeten nicht nur profetische ›Grundformen‹; sie gebrauchten unter anderem Redeweisen, die ursprünglich ihren »Sitz« in der Weisheit oder im Kult hatten.61 Die Ich-Worte Jesu, und hier besonders die Amen-Worte, überbieten die profetische Botenformel und bringen seinen messianischen Sendungsanspruch und seine Lehrautorität zum Ausdruck.62 Auch die »›weisheitlichen‹ Instruktionen« Jesu haben in der Logienüberlieferung »eine ausgesprochen eschatologische Prägung«.63 Wie eng Weisheits‑ und Profetenspruch bei Jesus auch thematisch zusammengehören, läßt sich am besten an dem Doppelspruch über die Königin von Saba und die Nineviten verdeutlichen: »Die Königin des Südens wird sich erheben (im Gericht)
gegen die Männer dieser Generation und wird sie verurteilen. Denn sie kam von den Enden der Erde, um die Weisheit Salomos zu hören, und siehe, hier ist mehr als Salomo! Die Männer von Ninive werden aufstehen beim Gericht gegen diese Generation und sie verurteilen. Denn sie kehrten auf die Predigt Jonas hin um, und siehe, hier ist mehr als Jona!«
Mit dem zweiteiligen, fast völlig parallel gehaltenen profetischen Gerichtswort über »dieses Geschlecht« verurteilt Jesus die Ablehnung seiner Botschaft durch seine Zeitgenossen und betont refrainartig, daß seine Weisheit die des berühmtesten Weisen (1 Kön 5,9–14) und seine Predigt die des erfolgreichsten profetischen Bußpredigers übertrifft.64 Eine etwas kompliziertere parallele Strophenbildung mit Achtergewicht läßt sich in Lk 17,26–30 (vgl. anders Mt 24,37 ff.) beobachten:
59 Zum Nachweis der profetischen »Mikrogattungen«, von der profetischen Ankündigung, dem Heilswort, Unheilswort, Scheltwort, Makarismus und Wehewort bis hin zu den profetisch-weisheitlichen Mahnworten in der Logienüberlieferung, s. M. Sato, Prophetie (S. 246 Anm. 9). Ich‑ und Amen-Worte wandeln den profetischen Botenspruch ab und ersetzen ihn. Vgl. u. S. 504 f. 60 Vgl. Hengel, Jesus, 86. 61 Vgl. C. Westermann, Grundformen prophetischer Rede, BEvTh 31, München 21964. 62 S. dazu u. § 17.2. 63 Schröter, Erinnerung, 469. 64 Lk 11,31 f. = Mt 12,41 f. Matthäus stellt sekundär um, weil er das Doppellogion an die Ablehnung der Zeichenbitte mit dem Verweis auf Jona anschließt, und verstärkt die Parallelität, indem er in jeder Strophe †n tÔö kr‡sei metÅ tö“ geneô“ ta‚th“ völlig form‑ und folgeidentisch schreibt. Er gleicht stärker dem griechischen formalen Parallelismus an.
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IV. Jesu Auftreten und Verkündigung »Und wie es geschah in den Tagen Noahs,
so wird es sein in den Tagen des Menschensohns: Sie aßen, sie tranken, sie heirateten, sie ließen sich heiraten bis zu dem Tag, als Noah in die Arche ging und die Flut kam und alle vernichtete. In gleicher Weise, wie es geschah in den Tagen Lots: Sie aßen, sie tranken, sie kauften, sie verkauften, sie pflanzten, sie bauten, an dem Tag, da Lot aus Sodom herausging, regnete es Feuer und Schwefel vom Himmel und vernichtete alle. Genau dasselbe wird sein an dem Tag, an dem der Menschensohn offenbar wird.«
In beiden Fällen verleiht die Strophenbildung der Gerichtsankündigung zusätzliches Gewicht.65 Auch im Weheruf über die galiläischen Orte des Wirkens Jesu läßt sich Zweigliedrigkeit feststellen: »Wehe dir, Chorazin, wehe dir, Bethsaida,
denn wenn in Tyrus und Sidon die Wunder geschehen wären, die bei euch geschehen sind, längst säßen sie in Sack und Asche und wären umgekehrt. Gewiß wird es Tyrus und Sidon im Gericht besser ergehen als euch. Und du, Kapernaum, steigst du bis zum Himmel empor? Bis in die Unterwelt wirst du hinabfahren.«66
Doppelstrophen begegnen jedoch nicht nur in der Gerichtsankündigung. In der Aufforderung zum »Nichtsorgen« entsprechen sich unter anderem zwei strophische Vergleiche: »Betrachtet die Raben,
denn sie säen nicht, und sie ernten nicht, sie haben keine Vorratskammer und auch keine Scheune, aber Gott ernährt sie. Um wieviel mehr unterscheidet ihr euch von den Vögeln? …
65 S. dazu T. W. Manson, The Teaching of Jesus, Cambridge 1963 (Nachdruck der 2. Aufl. 1935), 54 ff., der diese Strophenbildung als erster beobachtete. Die knappe Schilderung der alltäglichen Vorgänge zeigt den in weisheitlicher Poesie versierten Beobachter. 66 Lk 10,13–15; Mt 11,21–24 bietet einen vollständigen Parallelismus der Strophen, vergleicht Kapernaum mit Sodom und verleiht dieser Strophe das Achtergewicht. Hier könnte Matthäus die ursprüngliche Form erhalten haben.
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Betrachtet die Lilien, wie sie wachsen, sie mühen sich nicht, und sie spinnen auch nicht. Ich sage euch, nicht einmal Salomo in seiner ganzen Herrlichkeit war gekleidet wie eine von diesen. Wenn aber Gott das Kraut des Feldes, das heute ist und morgen in den Ofen geworfen wird, so kleidet, um wieviel mehr euch, ihr Kleingläubigen?«67
Eine solche Zweigliedrigkeit zeigt auch der Aufbau des Vaterunsers, sowohl in der lukanischen wie in der matthäischen Version: Lk 11,2–4 »Vater! Dein Name werde geheiligt! Dein Reich komme! Gib uns jeden Tag unser Brot für morgen! Und vergib uns unsere Sünden, wie auch wir unseren Schuldnern vergeben! Und laß uns nicht in Versuchung geraten!«
Mt 6,9–13 »Unser Vater in den Himmeln! Dein Name werde geheiligt! Dein Reich komme! Dein Wille geschehe! Wie im Himmel so auf Erden. Gib uns heute unser Brot für morgen! Und vergib uns unsere Schulden, wie auch wir unseren Schuldnern vergeben haben! Und laß uns nicht in Versuchung geraten, sondern erlöse uns vom Bösen!«
Bei Lukas hat sich die ursprüngliche Anrede Gottes mit »Abba« im griechischen Vokativ erhalten. Den beiden Du-Bitten bei Lukas entsprechen drei Wir-Bitten, was in der matthäischen Version strukturgemäß ergänzt wird, nun entsprechen sich symmetrisch jeweils drei Bitten. Die Schlußbitte ist wie die zusätzliche dritte Du-Bitte und die vorhergehende Wir-Bitte zweigliedrig mit Parallelismus membrorum. Auch wenn für die Rekonstruktion der aramäischen Fassung unterschiedliche Vorschläge gemacht werden, läßt sich als Rhythmus 2 + 2 in den parallelen Bitten erkennen, die Suffixe lassen den Endreim anklingen und spiegeln ihn noch in den Übersetzungen.68 Beide Evangelisten teilen das Gebet in der in ihrem Wirkungskreis üblichen Form mit.69 67 Lk 12,24.27 f. = Mt 6,26.28 ff. Vgl. dazu u. S. 420 f. Luz, Mt I, 473 Anm. 5 mit seiner Warnung davor, die ganze Perikope als ein mehrstrophiges Lehrgedicht zu betrachten, hat nur teilweise Recht. 68 Vgl. die Rückübersetzung von Mt 6,9–13 bei Burney, Poetry, 113.161, deren Korrektur bei Jeremias, Theologie, 188–196 (191), der die lukanische Form für ursprünglicher hält; P. Grelot, L’arrière-plan araméen du »Pater«, RB 91 (1984), 531–556, retrovertiert beide Versionen; vor allem bei der Brotbitte weicht er von Jeremias ab; Philonenko, Vaterunser, 69 ff. hält die dritte Bitte des Matthäus für ursprünglich und rechnet mit einer lukanischen Auslassung. Eine kurze Forschungsgeschichte bei H. Löhr, Studien zum frühchristlichen und frühjüdischen Gebet, WUNT 160, Tübingen 2003, 29–40. 69 Ausführlicher dazu u. S. 417 f.
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IV. Jesu Auftreten und Verkündigung
Der »Jubelruf« Jesu, ebenfalls ein Gebet,70 bei Lukas und in erweiterter Form bei Matthäus, erscheint schon rein formal recht interessant. »Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du all das den Weisen und Klugen verborgen, aber den Unmündigen offenbart hast. Ja, Vater, so hat es dir gefallen. Mir ist von meinem Vater alles übergeben worden; und niemand kennt den Sohn, nur der Vater, und niemand kennt den Vater, nur der Sohn und der, dem es der Sohn offenbaren will.«
Dem setzt Matthäus hinzu: »Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt. Ich werde euch Ruhe verschaffen. Nehmt mein Joch auf euch und lernt von mir; denn ich bin gütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seele. Denn mein Joch drückt nicht, und meine Last ist leicht.«71
Bei Lukas können wir zwei Strophen feststellen, die untereinander chiastisch verschränkt verbunden sind. Solche mehrfachen Chiasmen kennen wir von der Hymnen‑ und Psalmdichtung aus Qumran, auch dort läßt sich eine solche ›Zwiebelstruktur‹ beobachten, ebenso im Magnificat und im Benedictus. Unseres Erachtens spricht nichts dagegen, diesen poetischen Preis der Zuwendung Gottes des Vaters zu den Unmündigen letztlich auf Jesus zurückzuführen. Die früheste Christologie hatte ihren Anhalt nicht nur an impliziten Hinweisen auf die Würde und Vollmacht, die Jesus für sich in Anspruch nahm. Die Fortführung mit dem Preis des einzigartigen Verhältnisses von Vater und Sohn ist formal analog gebildet und wird gerne als nachösterliches Kommentarwort bezeichnet, obwohl es ein ganz eigenes Gepräge hat.72 Aber warum sollte es nicht auch auf ein Jesuswort, etwa in einem Vergleich, zurückgehen? Matthäus fährt fort mit einem Stück weisheitlicher Spruchdichtung aus seinem Sondergut, das an Jesus Sirach erinnert. Für den Evangelisten werden hier Jesus und Gottes Weisheit eins, und er formuliert sehr sorgfältig, die Form der Gesetzeskritik an dieser
70 Es ist neben Vaterunser und Gethsemanegebet, Mk 15,34 par. (= Ps 22,2) und Lk 23,46 (= Ps 31,6), das einzige überlieferte Gebet Jesu in den Synoptikern; Lk 23,34 fehlt in vielen alten Handschriften. 71 Lk 10,21 f.; Mt 11,25–30. 72 Luz, Mt II, 209; anders Jeremias, Theologie, 63 ff., der den semitischen Charakter der Sprache betont und das Logion auf ein Bildwort Jesu zurückführt; vgl. u. S. 542 f. Philonenko, Vaterunser, 13–15.110 hält Mt 11,25–30 für eine Einheit, die dem Vaterunser sehr nahe ist.
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Stelle spricht jedoch für jesuanische Herkunft der Tradition und fügt sich ein in seine Hinwendung zu den Sündern und Zöllnern.73 Rhythmisch geformt ist die Antwort Jesu auf die Frage des Täufers, die mit Anspielungen auf jesajanische Texte die messianische Zeit mit einem Heilswort schildert und in einem Makarismus gipfelt.74 Doppelgliedrig mit einem Gleichnis von spielenden Kindern und seiner anschließenden, in sich wieder streng parallel gehaltenen Deutung schildert Lk 7,31–35 = Mt 11,16–19 die Ablehnung des Täufers als verrückten Asketen und die Beschimpfung Jesu als »Fresser« und »Weinsäufer« durch die Zeitgenossen.75 Der Schlußsatz Lk 7,35 bildet die Klimax und rühmt analog zum Makarismus in Lk 7,23, daß der Weisheit Recht gegeben wird von allen ihren Kindern, das heißt vom Täufer, Jesus und den gerade zuvor genannten Zöllnern und Sündern.76 Mögen solche ›Spitzensätze‹, die den weisheitlich-messianischen Sendungsanspruch Jesu verdeutlichen, im engeren Jüngerkreis gefallen sein, so sprach Jesus häufig auch eine weitere Hörerschaft an. Er lehrte nicht primär nur seine Jünger, sondern wandte sich in seiner Unterweisung einem größeren Kreis von Anhängern zu, Sympathisanten, denen seine ethischen Mahnworte galten.77 Die lukanische Feldrede und die Bergpredigt sind als an Jünger und Volksmenge gerichtete Lehrverkündigung stilisiert. Jesus verwendete gegenüber den Jüngern und dem weiteren Kreis der Anhänger bevorzugt unter anderem das »traditionelle Lehrmittel des Maschal-Spruches oder der Sentenz«, das heißt des Sprichworts, die schon den Stil des »Lehrens« in der alttestamentlichen und frühjüdischen Weisheit bestimmte. Dabei diente seit alters der »kunstvoll stilisierte Maschal-Vers … vor allem der Haltbar‑ und Behältlichkeit«.78 Schon allein die Zahl der von Jesus überlieferten Sprichworte erscheint höchst erstaunlich.79 Obwohl Markus verhältnismäßig wenig Logienüberlieferung aufnimmt, reicht auch bei ihm die Bandbreite des Maschals von kurzen antithetischen Versen bis hin zu mehrgliedrigen Sprüchen. Aus zwei antithetischen Sätzen ist das Doppelwort im synthetischen Parallelismus gebildet: »Nicht die Gesunden brauchen den Arzt,
sondern die Kranken. 73 Hengel,
Jesus, 97 ff.; Deines, Gerechtigkeit, 262.400.404.652 u. ö. 7,22 f. = Mt 11,5 f.; Jeremias, Theologie, 31; s. weiter dazu o. S. 332 f. 75 S. dazu o. S. 336 und u. S. 535 Anm. 182. 76 Mt 11,19 spricht von den »Werken der Weisheit«, weil er Jesus und die Weisheit identifiziert. Dagegen kann Lk 7,35 durchaus auf Jesus zurückgehen. 77 Vgl. dazu D. Zeller, Jesu weisheitliche Ethik, in: Jesus von Nazaret – Spuren und Konturen, hg. v. L. Schenke u. a., Stuttgart 2004, (193–215) 194 f. 78 Seybold, Poetik, 294 f. Vgl. schon o. S. 384 Anm. 35. 79 Daß Jesus Sprichwörter gebraucht und solche selbst geprägt hat, war so geläufig, daß in Apg 20,35 der lukanische Paulus das griechische »Geben ist seliger als nehmen« als Herrenwort anführt; vgl. 1 Clem 2,1; Did 1,5. Zu den Zahlen s. o. S. 387 Anm. 48. 74 Lk
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Ich bin nicht gekommen, Gerechte zu berufen, sondern Sünder.« (Mk 2,17)
Das verbreitete Sprichwort vom Arzt mit der Gegenüberstellung von Gesunden und Kranken wird im Streitgespräch gedoppelt mit einem élqon-Wort. Erst die Doppelung mit dem Ich-Wort macht aus dem Arzt-Sprichwort eine typisch jesuanische Aussage. Der weisheitliche Aphorismus erhält Tiefe durch das ›profetische‹ Botenwort über die Aufgabe Jesu.80 Ein antithetischer Vers wird in Verbindung mit einer Begründung, die im synthetischen bzw. klimaktischen Parallelismus dazu stehen kann, in Mk 2,27 f. gebraucht. Die zugespitzte Antithese V. 27 mit chiastischer Wortstellung ist mit hoher Wahrscheinlichkeit ein authentisches Jesuswort: »Der Sabbat ist um des Menschen willen geworden81 und nicht der Mensch um des Sabbats willen.«
Aber bei der Folgerung, die bei Markus daraus gezogen wird: »Darum ist der Menschensohn Herr auch über den Sabbat« (Mk 2,28),
ist die Zusammengehörigkeit mit V. 27 und die Authentizität umstritten, das Logion kann aber wie andere Menschensohnworte durchaus von Jesus stammen. Lukas und Matthäus teilen allein diese Folgerung als eine wichtige christologische Aussage mit und verzichten auf den antithetischen Parallelismus mit seiner schöpfungstheologischen Argumentation, die wohl schon für Lukas nicht mehr nötig erschien, um die Souveränität Jesu gegenüber dem Sabbatgebot zu begründen.82 Die Aufhebung des Unterschieds zwischen rein und unrein formuliert Mk 7,15 grundsätzlich mit zwei parallelen antithetischen Sätzen:83 »Nichts, was von außen in den Menschen kommt, macht ihn unrein, sondern das, was aus dem Menschen herauskommt, das ist es, was den Menschen unrein macht.«
Mt 15,11 kürzt, glättet und schwächt diese zugespitzte Formulierung ab, Paulus spielt auf dieses Herrenwort sinngemäß an (Röm 14,14). Das knappe, anti80 S.
dazu u. § 17.2 »Die Ich-Worte Jesu«. ist als Passivum divinum zu verstehen, was eine Eigenart der Sprache Jesu darstellt; es verweist auf den Schöpfer. 82 Lk 6,5; Mt 12,8; Luz, Mt II, 229 meint: Keine der verschiedenen Erklärungen für die Auslassung von Mk 2,27 befriedigen. S. jedoch Doering, Schabbat, 422 f., der mit guten Gründen für die Möglichkeit einer ursprünglichen Zusammengehörigkeit von V. 27 und 28 plädiert: So wie der Sabbat von Gottes Schöpfung her für den Menschen (generisch) gemacht wurde, so dient er auch jetzt dem einzelnen, das heißt mir. Zu den rabbinischen Parallelen s. Bill. I, 623 f.; II, 5. Zur Menschensohnfrage s. u. S. 534 f. 83 W. Paschen, Rein und Unrein. Untersuchung zur biblischen Wortgeschichte, StANT 24, München 1970, 177: Bei der Rückübersetzung ins Aramäische läßt sich der Rhythmus feststellen. 81 †gfineto
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thetisch formulierte: »Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach« dient als Begründung für die Mahnung: »Wachet und betet, damit ihr nicht in Versuchung fallt« (Mk 14,38). Zwei paradoxe antithetische Stichen werden zu synthetischem Parallelismus mit Anapher und Epipher verbunden in Mk 10,43 f.: »[D]enn wer groß werden will unter euch, soll euer Diener sein; und wer der Erste unter euch sein will, soll aller Sklave sein.«
Der Gegensatz erinnert an das Logion von der eschatologischen Umkehrung der Ersten und der Letzten84 und bildet als Regel für die Jünger die Mitte in der Spruchreihe vom Herrschen und Dienen, die im Lösegeldwort gipfelt.85 Auch den Zahlenspruch finden wir bei Markus in einem Amen-Wort86 mit der Ankündigung an Petrus: »Amen ich sage dir, du wirst mich heute in dieser Nacht, bevor der Hahn zweimal kräht, dreimal verleugnen.« (Mk 14,30)
Die Spruchreihe Mk 9,42–50 gestaltet die scharfe Warnung vor den »Ärgernis« gebenden Handlungen, die am Eingehen in die Gottesherrschaft hindern, mit einem fünffach wiederholten kal·n †stin, »es ist besser«, in der Form von konditionalen tôb-Sprüchen.87 Die Zusammenstellung mag vom Evangelisten stammen, doch die drei Logien sind jesuanisch: Eingangs unterstreicht ein Sprichwort mit »wer auch immer« den Gerichtsernst (»wer auch immer einem dieser Kleinen, die glauben, Ärgernis gibt, dem wäre besser, wenn ihm ein Mühlstein an den Hals gehängt und er ins Meer geworfen würde«). Darauf folgt ein dreigliedriger synonymer Parallelismus: Hand, Fuß und Auge als Verführer haut man besser ab bzw. reißt es aus, als unversehrt im Höllenfeuer zu landen.88 Das abschließende Sprich‑, Bild‑ und Mahnwort, das erneut die Form des konditionalen tôb-Spruchs verwendet, in dem kal·n wieder komparativisch als »besser« zu verstehen ist, warnt die Jünger, »salzlos« zu werden. Sie sollen im 84 Lk
13,30 im antithetischen Chiasmus: kaÑ ¢doÜ e¢sÑn ≤scatoi oƒ ≤sontai prùtoi kaÑ e¢sÑn prùtoi oƒ ≤sontai ≤scatoi; vgl. Mt 19,30; 20,16. 85 Zur jesuanischen Herkunft der Spruchreihe vgl. O. Wischmeyer, Herrschen als Dienen – Mk 10,41–45, ZNW 90 (1999), 28–44. 86 Zu den Amen-Worten s. u. S. 504 f. 87 Der tôb-Spruch ist eine Untergattung des Sprichworts im Alten Testament, der mit tôb (= gut / besser) eingeleitet wird. Markus behält den Semitismus mit komparativem Sinn bei; die Parallelen haben zum Teil sumffirei. 88 Die Parallele in Mt 5,29 f. zeigt, daß es um sexuelle Verfehlung geht. Der »Fuß« gibt in diesem Zusammenhang als Euphemismus guten Sinn (s. HALAT3, 1106 A 4a) und ist Mt 18,6–9 dem Markus-Text folgend beibehalten. Bultmann, GST, 90 hielt den Satz über den Fuß für eine sekundäre Weiterbildung. Einen Vergleich der Stilmittel bei Markus und Matthäus bietet Petersen, Matthäus, 197–202. Er stellt bei Markus Hyperbeln, Personifikation, Anapher und Epipher fest.
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Hinblick auf das künftige Feuergericht gesalzen sein und untereinander Salz teilen (das Bild für die wechselseitige Gemeinschaft ist aus der Mahlgemeinschaft abgeleitet) und Frieden halten.89 Chiasmen, ein Wortspiel mit »Menschensohn« und »Mensch«, Weheruf und einen darauffolgenden tôb-Spruch finden wir vereint in der Ankündigung Jesu über seinen Verräter (Mk 14,21), in der Markus (bzw. die ihm vorliegende Tradition) die Meistersprache Jesu nachbildet und die so geschliffen formuliert ist, daß sie Matthäus ohne Verbesserungen übernimmt: »Der Menschensohn geht dahin, wie über ihn geschrieben steht;
wehe aber jenem Menschen, durch den der Menschensohn verraten wird, es wäre besser für ihn, wenn jener Mensch nicht geboren worden wäre.«90
Typische Formen der Spruchdichtung Jesu wurden nicht erst von Matthäus aufgenommen und weitergebildet, auch Markus und Lukas verfahren schon so. Dadurch ergibt sich das Problem, daß es nicht immer leicht fällt, zwischen der »Meisterprofetie« und den Worten zu unterscheiden, die im Sinne Jesu von späteren Tradenten, die sich noch an seine Sprechweise erinnerten, gestaltet wurden, um von ihm zu berichten.91
12.3 Die Gleichnisse Jesu Die Gleichnisse gelten als das eigentliche Zentrum der Verkündigung Jesu,92 und sie haben nach allgemeinem Forschungskonsens »fast ohne Ausnahme … einen echten, auf Jesus selber zurückgehenden Kern.«93 Terminologisch unterscheiden die Synoptiker wie das palästinische Judentum nicht streng zwischen Spruchdichtung und Gleichniserzählungen, beides kann parabolfl 89 Zur
Salzmetaphorik für die Jüngerschaft s. Deines, Gerechtigkeit, 201–217. Mk II, 352 verweist für die auffällig vielen Semitismen hier und im näheren Kontext auf Black, Muttersprache (S. 384 Anm. 31), 58.105.117.128.302, er hält V. 21 jedoch für »kaum authentisch«. Vgl. auch Hampel, Menschensohn, 258: »Markus hat Mk 9,31 in 14,21b im Blick auf den Tod des Judas redaktionell ausgestaltet.« Lukas kürzt und läßt den tôb-Spruch weg, während Matthäus sich Markus anschließt. In Mt 18,6–9 fügt Matthäus einen Weheruf redaktionell in die markinische Reihe der tôb-Sprüche ein. 91 Vgl. die optimistische Antwort von Theissen / Winter, Kriterienfrage, 245: Die »Wortüberlieferung … wurde von Jesu Nachfolgern überliefert … Es gibt daher eine gute Chance, daß die Worte Jesu von ihnen in seinem Geist überliefert wurden.« 92 Hahn, Theologie I, 67 ff.: »Auch wenn man nicht, wozu Jüngel tendiert, alle Rede Jesu ihrem Wesen nach als Gleichnisrede kennzeichnet, so wird man doch sagen können, daß die Gleichnisrede im Zentrum steht« (69). Theissen / Merz, Jesus, behandeln die Gleichnisse unter dem Titel »Jesus als Dichter«, die Spruchdichtung dagegen unter »Jesus als Lehrer«. Er ist in beiden Fällen beides! 93 Jülicher, Gleichnisreden, 11; seinem Urteil folgte die Forschung fast durchgehend. 90 Pesch,
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genannt werden.94 Diese breite Bedeutung entspricht dem hebräischen »māšāl«, aramäisch »mātāl / metal / matlā’«, von dem schon die Rede war, einem Terminus, der im Alten Testament und frühen Judentum für sorgfältig formulierte Texte verschiedenster Gattungen verwendet wurde,95 vom Sprichwort, Rätsel, der Sentenz bis hin zum Gleichnis und zur allegorischen Erzählung, ja zur apokalyptisch-profetischen Endzeitrede.96 Beide Formen der Verkündigung Jesu gehen ineinander über und lassen sich nicht strikt trennen. Der kurze Vergleich und das Bildwort können auch als »Sprichwort« eingeordnet werden. Dennoch zeigen die Synoptiker dadurch, daß sie Gleichnissammlungen zusammenstellen und Gleichnisse an bestimmten Stellen einsetzen, daß sie die Formen erkannten und unterschieden. So wie von Jesus eine einzigartige Fülle von Spruchdichtung überliefert wird, so ungewöhnlich ist die Anzahl der Gleichnisse, die ihm zugeschrieben werden. Markus teilt nur eine kleine Auswahl aus der Fülle (vgl. Mk 4,2.33) mit; rechnet man weiter die Lukas und Matthäus gemeinsamen Gleichnisse aus der Logienüberlieferung und ihr jeweiliges Sondergut hinzu, kommt man auf über 40.97 Lukas hat die meisten Gleichnisse aufgenommen, zugleich ist dieser Evangelist nicht nur der beste Gleichniserzähler, sondern auch unsere wichtigste Quelle für die Verkündigung Jesu. 94 Markus beginnt und beschließt sein Gleichniskapitel programmatisch mit dem Hinweis, daß Jesus die Menge vieles in Gleichnissen lehrte, ihm folgen Lukas und Matthäus; zum »Sprichwort« vgl. Mk 7,17; Mt 15,15; Lk 4,23; 6,39; Johannes gebraucht für Gleichnis statt dessen paroim‡a »Sprichwort«, »verhüllende Rede«. Josephus verwendet parabolfl nur ant. 8,44 für die Parabeln und Fabeln Salomos im Anschluß an 1(3)Kön 5,12 (LXX); Bildworte nennt er an dieser Stelle e¢k·ne“ »Bilder(reden)«. Jeremias, Gleichnisse, 11: Der māšāl bezeichnet »bildliche Rede aller Art«; Gerhardsson hat vorgeschlagen, die Gleichnisse der Synoptiker »narrative meshalim« zu nennen, s. B. Gerhardsson, Illuminating the Kingdom, in: Jesus, ed. by Wansbrough, 266 mit Verweis auf seine frühere Studie in: NTS 34 (1988), 339–342. 95 S. dazu HALAT3, 611 f. Das Verb hat im Alten Testament die Bedeutung »Spruch, Gleichnis machen, Spottverse sagen« und im Nifal »gleichgesetzt sein«, »gleich werden«; im Hifil »vergleichen mit (le)«, Hitpael »gleich werden«; als Nomen: »Spruch«, »Sprichwort«, »Weisheitsspruch«, »Spottlied«. Im gemeinsemitischen Hintergrund steht die Bedeutung »(ver)glei chen«. S. auch Jastrow, Dictionary, 855: »to speak metaphorically«, »to compare, to give an illustration«, bzw. »a truth substantiated by an illustration, wise saying; fable, allegory; example; mashal«; vgl. 862 zu aramäisch m etal. In Ez 21,5 ist der Profet für das Volk ein memaššel, einer, der immer in »Rätselsprüchen redet« (LXX: parabolfl †stin). In Mk 4,11b.33 f. steht diese einseitige, sachlich unzutreffende Vorstellung im Hintergrund. S. auch u. S. 471 f. 96 1 Hen 1,2 f. ist zu aramäisch y]hwltm in 4Q201 (García Martínez / Tigchelaar, Scrolls I, 398 f. übersetzen »his oracles«) die griechische Wiedergabe mit parabolfl belegt. 97 Die johanneischen Gleichnisse und Bildreden haben einen anderen Charakter. Jeremias, Gleichnisse, 242 zählt 41 Gleichnisse; H.-J. Klauck, Art. Gleichnis, NBL I, 1992, 853: Je nach Definition zählt man bis zu 100 Gleichnisse; C. Rose, Art. Gleichnis, CBL 1, Stuttgart 2003, 450 führt 43 an. Jülicher, Gleichnisreden I, 28 vermerkt dazu: »Kaum zwei Bücher, in denen die gleiche Zahl Parabeln gewonnen wird«. Zu der Zahl der »Weisheitsworte« Jesu s. o. S. 387 Anm. 48.
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Gleichnisse waren wohl wie die Fabel in der Antike ursprünglich eine rein mündliche Gattung. Wozu erzählte man im antiken Palästina Gleichnisse? Aufschlußreich erscheint eine Bemerkung des Hieronymus, obwohl sie die Situation gut dreihundert Jahre nach Jesus beschreibt: »Die Syrer, und ganz besonders die Palästiner, pflegen all ihren Reden Gleichnisse
anzufügen; so sollen die Zuhörer, was sie durch die einfache Darlegung nicht behalten können, mit Hilfe von Vergleichen und Beispielen behalten.«98
Nach der Beobachtung des Hieronymus unterstützen Gleichnisse also wie der māšāl-Vers das Gedächtnis und werden am Ende von Reden gebraucht, um den Hörern das Mitgeteilte noch einmal einzuprägen. So lassen schon Markus, Lukas und Matthäus Jesus seine Reden erstaunlich oft mit Gleichnissen beschließen.99 Auch die schon erwähnte Synagogenpredigt »De Jona« endet mit einem Gleichnis.100 Es ist nicht unwahrscheinlich, daß Jesus selbst ans Ende von Reden Gleichnisse stellte und sein Auditorium mit einem Text zum Nachdenken über das Gehörte entließ. Auf jeden Fall blieb er in Erinnerung als der, der von der Königsherrschaft Gottes in Gleichnissen sprach.101 Hieronymus denkt sicher an die rabbinischen Lehrer seiner Zeit und ihre häufige Verwendung von Gleichnissen, die sich auch in der rabbinischen Literatur niedergeschlagen hat.102 Gleichnis, Fabel und Beispielerzählung begegnen im Alten Testament und in den frühjüdischen Schriften dagegen verhältnismäßig selten; wir finden sie jedoch an signifikanten Stellen in Profetenerzählungen und Profetenbüchern des Alten Testaments,103 sie gehören ebenfalls zur weisheitlichen Unterweisung.104 98 Hieronymus,
comm. in Mt 18,23 (CChr.SL 77, 163); vgl. Reiser, Sprache, 145. 13,34 f. (Türhüter); Lk 6,47 ff. = Mt 7,24–27 (Hausbau); Mt 18,23–25 (Schalksknecht); Mt 25,31–46 (Weltgericht); Lk 19,12–27 (anvertraute Minen); Lk 21,29 ff. stellt das Gleichnis vom Feigenbaum (vgl. Mk 13,28 f.; Mt 24,32 f.) an den Schluß der Endzeitrede. 100 S. o. S. 379 Anm. 11. 101 Vgl. auch Dunn, Jesus, 385. 102 In der frühen rabbinischen Literatur zählt man ca. 5000 Gleichnisse und Fabeln, s. die Sammlung von C. Thoma / S. Lauer / H. Ernst, Die Gleichnisse der Rabbinen, Bd. 1–3, JudChr 10.13.16, Bern u. a. 1986–1996; Theissen / Merz, Jesus, 286 verweisen auf frühe tannaitische Belege und die ähnlichen Themen. Jeremias, Gleichnisse, 8 rechnete mit Abhängigkeit der Rabbinen von Jesus, seine Gleichnisse seien »etwas völlig Neues«. Vgl. jetzt Dunn, Jesus, 698. 103 2 Sam 12,1–14 (»Nathanparabel«); 14,1–11; 1 Kön 20,35–40; Jes 5,1–7 (Weinberglied); 28,23–29 (Gleichnis von der Arbeit des Bauern); Fabeln: Ri 9,8–15; 2 Kön 14,9 f.; vgl. auch Ez 17,3–10; 19,2–9.10–14; 21,1–5; 24,3–5. 104 Vgl. die Fabel von der Ameise in Prov 6,6–10; wichtiger ist Koh 9,13 ff.: »Auch dieses Beispiel von Weisheit sah ich unter der Sonne, und es erschien mir bedeutend: Es gab einmal eine kleine Stadt mit wenig Leuten darin, und gegen sie zog ein großer König heran, schloss sie ein und errichtete gewaltige ›Belagerungstürme‹ gegen sie. Da fand er in ihr einen armen weisen Mann, und der rettete durch seine Weisheit die Stadt. Aber niemand hatte an jenen Armen gedacht.« Übersetzung: T. Krüger, Kohelet (S. 377 Anm. 2), 313; der verbreitete Topos vom Reichen und lachenden Erben (Lk 12,16–21: der reiche Kornbauer) findet sich auch Sir 99 Mk
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Aus der Bibliothek in Qumran scheint sich nur ein einziges Gleichnis erhalten zu haben. Es ist thematisch mit Lk 13,6–9, dem Gleichnis Jesu vom unfruchtbaren Feigenbaum, den Wachstumsgleichnissen und dem Maschal vom guten Baum und den guten Früchten verwandt: »Versteht dies doch, ihr Weisen: Wenn ein Mann einen guten Baum hat und der bis zum
Himmel hochwächst … … für das … der Länder, und er trägt fette Frucht … Früh‑ und Spätregen, … in Hitze und Trockenheit; li[ebt] er ihn nicht … und hütet ihn … um das Laub zu vermehren … von seiner Wurzel zu vermehren …?«.105
Leider ist der Text fragmentarisch, und wir können nicht mehr rekonstruieren, welche Lehre den Weisen nahegebracht werden sollte und welche Form das gesamte Gleichnis hatte. Auf jeden Fall richtet es sich nicht an Ungebildete, sondern an die Elite der Weisen. Den Qumran-Essenern hat offenbar die Lehre in Gleichnissen nicht gefallen. Sie waren ihnen wohl zu volkstümlich. Sie zogen den »Klartext« vor. Profeten‑ und Psalmtexte deuteten sie in den Pescharim allegorisch auf die Gegenwart. Auch dies unterscheidet sie wesentlich von Jesus und seiner Art zu lehren. Jesus hat die Lehrform in Gleichnissen nicht erfunden, aber eine solche Fülle von einem einzigen Lehrer zugeschriebenen Parabeln ist im frühjüdischen Bereich ganz ungewöhnlich. In der rabbinischen Literatur werden sie dann eine sehr beliebte Gattung, die vor allem das Verhältnis Gottes zu den Menschen, insbesondere zu Israel, beleuchtet; als ständige Metapher wird von Gott als »König« und seinen »Knechten« gesprochen, aber auch die bäuerliche Arbeitswelt, Tagelöhner und Grundbesitzer dienen dem Vergleich, und »Lohn« ist wie in den Gleichnissen Jesu religiöse Metapher.106 Die nächsten Parallelen 11,(16)18 f.: »Da ist einer, der reich wurde, weil er sich abgeplagt und gegeizt hat, und das wird sein Lohn sein: Am Tage, da er sagt: ›Ich habe nun Ruhe gefunden, und so will ich meine Güter nun genießen‹, da weiß er nicht, welche Frist ihm gesetzt ist, und er hinterläßt es einem andern, denn er muß sterben.« 105 4Q302 Frag. 2 II (bei García Martínez / Tigchelaar, Scrolls II, 666). Vielleicht gehörte es zu den verbreiteten Erzählungen über fruchtbare und unfruchtbare Bäume; dazu schon Ahiqar 73 (engl. Übersetzung J. M. Lindenberger, Ahiqar, in: OTP 2, 506). Zur Parallele im Syrischen Achikar s. M. Küchler, Weisheitstraditionen (S. 387 Anm. 48), 392, vgl. 357. Vgl. Mt 7,16–20 = Lk 6,43 f. 106 C. Hezser, Lohnmetaphorik und Arbeitswelt in Mt 20,1–16. Das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg im Rahmen rabbinischer Lohngleichnisse, NTOA 15, Fribourg / Göttingen 1990, 189 f.: »Obwohl die rabbinischen Gleichnisse erst viel später als die Gleichnisse Jesu literarisch bezeugt sind«, ist ein Vergleich zwischen ihnen und den Gleichnissen Jesu durchaus angebracht, »denn … die formalen Merkmale der Gattung ›Gleichnis‹ sind relativ konstant geblieben; … dieselben Motive und Bilder begegnen sowohl in neutestamentlichen als auch in rabbinischen Gleichnissen verschiedenster Provenienz. Ein Vergleich der Gleichnisse hinsichtlich der Auswahl und des Gebrauchs bestimmter Metaphern und der mit ihnen verbundenen Assoziationen kann die Eigenart des jeweiligen Gleichniserzählers, bzw. seine spezielle Aussageabsicht verdeutlichen.«
400
IV. Jesu Auftreten und Verkündigung
zu den neutestamentlichen Gleichnissen finden sich darum in der rabbinischen Literatur, die im Unterschied zu Jesus aber auch die Tierfabel häufig verwendet; so soll schon R. Aqiba mit einer Fuchsfabel seinen Toragehorsam, der ihn ins Martyrium führte, begründet haben.107 Seit alters wurde die aesopische Fabel, ursprünglich ein Kind des Alten Orients, bei den Griechen gepflegt. Sie beschränkte sich nicht auf die Tier‑ und Pflanzenfabel, das kluge oder törichte Verhalten von Menschen wird immer wieder thematisiert. Fabelsammlungen und ‑dichtungen in Versen blieben in griechisch-römischer Zeit weiterhin populär und wurden neu zusammengestellt, zunehmend können wir auch deren Einfluß auf das frühe Judentum feststellen.108 Quintilian gibt uns mit seiner abschätzigen Bemerkung über die Verwendung von kleinen Geschichten und Fabeln in der Rede des berufsmäßigen Rhetors, mit denen nur Bauern und schlichte Gemüter zu beeindrucken seien, einen indirekten Hinweis auf das einfache Publikum Jesu in Galiläa: Dieser wollte wirklich Fischer und Bauern gewinnen.109 Höher schätzt Quintilian die Beweiskraft der Beispielerzählung (parabolfl) und des Bildworts (e¢k„n) ein, wobei der Redner jedoch strikt auf die treffende Ähnlichkeit zu achten habe.110 Die moderne Gleichnisforschung beginnt mit Adolf Jülichers monumentalem Werk,111 der nicht nur gegen die bis in seine Zeit übliche allegorische Auslegung zu Felde zog, den didaktischen Zweck der bildlichen Erzählung und die Ausrichtung auf ein Ziel als den Vergleichspunkt, das tertium comparationis, im Gleichnis herausstellte und wohl als erster zwischen Bild‑ und Sachhälfte schied, sondern – wie oben zitiert – ihre Bedeutung für die Erfassung der authentischen Verkündigung Jesu erkannte. Die Einseitigkeiten des liberalen Theologen Jülicher, der als Inhalt der Gleichnisse allgemeine ethisch-religiöse Wahrheiten herausstellte, aber auch sagen konnte, daß die Gleichnisse sich 107 bBer
61b.
108 Josephus,
ant. 18,170–178 zitiert die Fabel vom Verwundeten und den Fliegen im Munde des Kaisers Tiberius, damit habe dieser die langen Amtszeiten seiner Präfekten und Prokuratoren erklärt; vgl. o. S. 82. Der Fuchsvergleich Jesu für Herodes Antipas (Lk 13,32) könnte auf die Kenntnis der in der Antike verbreiteten und auch im Judentum später belegten Fuchsfabeln hindeuten (vgl. vorige Anmerkung). 109 Quintilian, inst. 5,11,19; er führt unter anderem als Beispiel Menenius Agrippas Verwendung der aesopischen Fabel vom Bauch und den Gliedern an, auf die auch Paulus anspielt (1 Kor 12,14–26). Die Zitierung aesopischer Fabeln war in Reden beliebt und wurde von Rednern erwartet; vgl. etwa Dion von Prusa, Or. 12,7 (Olympische Rede; s. dazu die kommentierte Ausgabe von H.-J. Klauck, SAPERE II, Darmstadt 2000, 48 f.108.113.165.176); weiter Or. 72,13 (hg. v. J. v. Arnim, Berlin 1962, II, 187 f.); Lukian, Hermotimos 84 (ed., übersetzt und kommentiert von P. von Möllendorf, TzF 74, Darmstadt 2000, 136 f.). 110 Quintilian, inst. 5,11,23–27. Diese Grundsätze der Rhetorik gehen auf Aristoteles zurück. 111 Jülicher, Gleichnisreden; zur Forschungsgeschichte vgl. H.-J. Klauck, Adolf Jülicher – Leben, Werk und Wirkung, in: ders., Alte Welt und neuer Glaube, NTOA 29, Freiburg (Schweiz) / Göttingen 1994, 181–211; Theissen / Merz, Jesus, 287.
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nicht »an den regelrecht Schlüsse ziehenden Verstand …, sondern an den ganzen Menschen«112 wenden, haben die Späteren kritisiert und korrigiert. Schon Fiebig wies auf die rabbinischen Gleichnisse als Parallelen hin.113 Daß Jülicher den eschatologischen Charakter der jesuanischen Gleichnisse nicht erkannte, hat man so stark moniert, daß man manchmal verschwieg, wieviel man ihm verdankt. Rudolf Bultmann übernahm von Jülicher die Unterscheidung von Gleichnissen und Parabeln und das Zutrauen, zum Kern der Jesusüberlieferung vorzudringen, sah aber das Kriterium für die Echtheit in der »spezifisch eschatologische(n) Stimmung«.114 Auch Joachim Jeremias115 betonte »die eschatologische Wucht« (15) und untersuchte – mit Aufnahme von Cadoux und besonders Dodds erfolgreichem »Versuch, die Gleichnisse in die Situation des Lebens Jesu hineinzustellen« (17) – die Regeln, nach denen die Gleichnisse in der Urkirche umgeformt wurden. Um zur Verkündigung Jesu vorzustoßen, wies er auch hier auf die Notwendigkeit der Rückübersetzung ins Aramäische hin (21); aber vor allem: »Jesu Gleichnisse sind keine Kunstwerke …, sondern jedes von ihnen ist in einer konkreten Situation des Lebens Jesu gesprochen.« Deshalb heißt sein Programm »Von der Urkirche zu Jesus zurück!« (19), um die »Botschaft der Gleichnisse Jesu« darzustellen (115).116 Gegen eine solche historisierende Gleichnisauslegung protestierte Eberhard Jüngel in seiner Dissertation, er sah die Gleichnisse als Sprachereignis: »Die Basileia kommt im Gleichnis als Gleichnis zur Sprache. Die Gleichnisse Jesu bringen die Gottesherrschaft als Gleichnis zur Sprache.«117 Nicht der Vergleich, sondern die Metapher liegt für ihn der Bildsprache der Gleichnisse zugrunde, deshalb sei die Jülichersche Unterscheidung von Bild‑ und Sachhälfte ebenso unnötig wie die Suche nach dem tertium comparationis. Hans-Josef Klauck wandte sich dem unter dem Einfluß Jülichers lange vernachlässigten Problem der Allegorie
112 Jülicher, Gleichnisreden I, 162; von Jüngel, Paulus, 102 zitiert als »glückliche … Inkonsequenz« Jülichers. 113 P. Fiebig, Die Gleichnisreden Jesu im Lichte der rabbinischen Gleichnisse des neutestamentlichen Zeitalters, Tübingen 1912; dazu ders., Altjüdische Gleichnisse und die Gleichnisse Jesu, Tübingen 1904; ders., Rabbinische Gleichnisse, Leipzig 1929. 114 Bultmann, GST, 222. 115 Jeremias, Gleichnisse, 11947 (111998). 116 Jeremias, Gleichnisse, Vorwort zur sechsten Auflage: »Niemand als der Menschensohn selbst und Sein Wort kann unserer Verkündigung Vollmacht geben.« Er versuchte apologetisch, die historischen Grundlagen des Glaubens zu verteidigen. 117 Jüngel, Paulus, 118 f.135 f. (kursiv bei Jüngel, man beachte den Parallelismus); zu Hahns Einwand vgl. o. S. 396 Anm. 92. Verwandt ist das hermeneutische Verständnis bei E. Fuchs und H. Weder. Über die Fortführung des literaturwissenschaftlichen Ansatzes bei R. W. Funk, D. O. Via und anderen vgl. W. Harnisch, Die Gleichniserzählungen Jesu. Eine hermeneutische Einführung, UTB 1343, Göttingen 31995; Theissen / Merz, Jesus, 289 f.
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IV. Jesu Auftreten und Verkündigung
und Allegorese zu.118 Wesentlich ist weiter die Korrektur der übertriebenen historisierenden Apologetik durch die Untersuchung der Realien, auf denen die Gleichnisse bauen. Die sozialgeschichtliche Betrachtungsweise hat sich als sehr nützlich erwiesen, um die historischen Zusammenhänge zu beleuchten.119 Auf unterschiedliche Weise versucht man heute, die Gleichnisse nicht nur als »autonome Kunstwerke« zu verstehen, sondern durch die Analyse ihrer Erzählabsicht und ihres historischen Kontextes diese als von Jesus erzählte Gleichnisse und in ihrer Funktion in den Evangelien zu beschreiben.120 Die traditionelle Einteilung der Formen unterscheidet seit Jülicher nach antikem Vorbild das Bildwort von Gleichnis und Parabel. Diese Unterscheidung hat sich trotz einiger Proteste im ganzen bewährt, und es besteht unseres Erachtens kein Grund, sie aufzugeben. 1. Das kurze Bildwort und der Vergleich: Ein einfacher Vergleich ist Mt 10,16: »Seid klug wie die Schlangen und lauter wie die Tauben.« Die Bildworte beruhen auf Metaphern und sind nah verwandt mit dem Sprichwort: »Wo das Aas ist, da sammeln sich die Geier« (Mt 24,28). Ein schönes Doppelbildwort mit synonymem Parallelismus, das Mt 7,16b rhetorisch noch effektvoller in Frageform bringt, ist Lk 6,44b: »Von den Disteln pflückt man keine Feigen,
und vom Dornbusch erntet man keine Trauben.«
Eine Reihe von drei Bildworten begegnet uns in Mk 2,19.21 f.: Bräutigam und Fasten, neuer Flicken auf dem alten Mantel und neuer Wein in alten Schläuchen vertragen sich nicht. Diese Bildworte sind untereinander mit Alliteration verbunden, wenn man ins Aramäische übersetzt: hātān ist der Bräutigam, neu heißt hādāš. Auch die oben zitierten drei tôb-Sprüche in Mk 9,43–48 bilden zusammengehörende Bildworte. 2. Gleichnisse und Parabeln unterscheiden sich von den Bildworten durch die Ausführlichkeit der bildlichen Erzählung. Wenn sie einen Sachverhalt bildhaft an einem alltäglichen Vorgang darstellen wollen, werden sie gewöhnlich im Präsens erzählt. Sie folgen den Regeln volkstümlicher Erzählkunst: »Knappheit«, »Gesetz der szenischen Zweiheit«, das heißt, meist nur zwei Personen 118 H.-J.
Klauck, Allegorie und Allegorese in synoptischen Gleichnistexten, NTA NF 13, Münster (1978) 21986; Jülicher fehlte die »Unterscheidung von Allegorie als textproduzierender, poetisch-rhetorischer Verfahrensweise und Allegorese als textauslegender, exegetischhermeneutischer Methode« (H.-J. Klauck, Jülicher [S. 400 Anm. 111], 202). 119 Hengel, Gleichnis; Freyne, Galilee and Gospel. 120 Vgl. den Forschungsüberblick bei Theissen / Merz, Jesus, 290 f.; K. Erlemann, Gleichnisauslegung. Ein Lehr‑ und Arbeitsbuch, UTB 2093, Tübingen / Basel 1999, 57 f. Eine vorbildliche Berücksichtigung der verschiedenen Aspekte findet sich bei F. Avemarie, Das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (Mt 20,1–15) – eine soziale Utopie?, EvTh 62 (2002), 272–287.
§ 12 Die poetische Form der Verkündigung Jesu
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oder Gruppen werden jeweils als handelnd geschildert, »Einsträngigkeit der Erzählung«, »Wiederholung«, »Abbruch der Erzählung nach der Pointe«.121 Beispiele für ganz knappe Gleichnisse sind unter anderem in Mk 4 das Gleichnis von der selbstwachsenden Saat und vom Senfkorn (4,26 ff.; 4,30 ff. parr.), vom Sauerteig bei Lukas und Matthäus, im Sondergut von Matthäus der Schatz im Acker und die Perle. Sie stehen dem Bildwort und dem Vergleich sehr nahe, das Geschehen besteht in einem Kontrast. Die Schilderung ist knapp, die Zahl der Personen begrenzt (in der Regel auf zwei Akteure). Dramatischer sind die ausführlicheren Gleichnisse erzählt, die als Parabeln und Beispielerzählungen genauer bestimmt werden; für deren Handlung sind zweifache bzw. dreifache, ja vierfache Wiederholungen typisch, die dann klimaktisch gesteigert werden. Die Personen stehen zueinander in Kontrast wie der reiche Mann und der arme Lazarus oder bilden eine »Figurenkonstellation« in Form eines »dramatischen Dreiecks«122, so wie der Vater im Gleichnis vom verlorenen Sohn in seinem Verhalten gegenüber dem jüngeren und dem älteren Sohn geschildert wird. Der Wechsel in die wörtliche Rede bildet ebenfalls eine Steigerung. In den lukanischen Parabeln finden wir auch das Selbstgespräch. Es handelt sich immer um fiktive Geschichten, auch bei den Beispielgeschichten, die jedoch wie im Fall des Vornehmen, der in ein fernes Land zieht, um die Herrschaft über sein Königreich zu erlangen, und sich nach seiner Rückkehr an seinen Feinden blutig rächt (Lk 19,12–27), bei den Hörern die Erinnerung an den Herodessohn Archelaos wecken können. Um die Gattung besonders hervorzuheben, wird Jesus oft als Gleichniserzähler von den Evangelisten eigens vorgestellt: »Er erzählte ihnen ein Gleichnis …«.123 Die Einleitungen sind variabel, aber es gibt zwei Grundformen: Zum einen den »Nominativanfang«, in dem die Einleitungsformel fehlt. Er wird im Alten Testament, frühjüdischen Gleichnissen, in den antiken Fabeln und Märchen verwendet und findet sich am häufigsten bei Lukas (vor allem in seinen Parabeln und Beispielgeschichten).124 Leicht abgewandelt wird er als Frage in der Formel t‡“ †x ≠mùn; »wer unter euch …?«125. Der Dativanfang als zweite Grundform enthält die Vergleichsformel, die aus der rabbinischen Literatur bekannt ist. 121 Bultmann,
GST 203–208; Theissen / Merz, Jesus, 298. Gleichniserzählungen (S. 401 Anm. 117), 78 f. 123 Vgl. Mk 3,23; 4,2 parr.; 12,1; 13,28 parr.; darüber hinaus bei Matthäus achtmal; Lukas neunmal. 124 Mk 4,3 parr.; 12,1 parr.; Lk 7,41: »Ein Geldverleiher hatte zwei Schuldner …«; Lk 10,30: »Ein Mann ging von Jerusalem nach Jericho …«; 12,16: »Das Land eines reichen Mannes hatte gut getragen …«; 13,6: »Einer hatte einen Feigenbaum …«; 14,16: »Ein Mann gab ein großes Gastmahl …«; 15,11: »Ein Mann hatte zwei Söhne …«; 16,1: »Ein reicher Mann hatte einen Verwalter …«; 16,19: »Ein Mann aber war reich …«; 18,2.10; 19,12; weiter EvThom 9; 63–65. 125 Lk 11,5 (bittender Freund); 15,4 (verlorenes Schaf); vgl. 14,28; 17,7. 122 Harnisch,
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Hier beginnen die Gleichnisse mit: »Ein Gleichnis. Einem …« (= māšāl le), was die Abkürzung von: »Ich will dir ein Gleichnis erzählen. Womit läßt sich die Sache vergleichen? Es verhält sich mit ihr wie mit einem …« darstellt.126 Diese Vergleichsformel bezieht sich auf das ganze Gleichnis. Man darf also nicht übersetzen: »Die Herrschaft Gottes ist wie ein Kaufmann …«, sondern: »Es verhält sich mit der Herrschaft Gottes wie mit einem Kaufmann, der …«127. Die Langform des Dativanfangs verwendet Mk 4,30 f. mit Parallelismus membrorum zur Einleitung des Senfkorngleichnisses: »Wie sollen wir die Königsherrschaft Gottes vergleichen? Oder in welches Gleichnis sie fassen? (Es verhält sich mit ihr) wie …«.128
Charakteristisch für den Dativanfang ist die Vergleichspartikel »wie«, was dem aramäischen le entspricht. Diesen einfachen Anfang mit Æ“ verwendet Markus dreimal, Lukas sechsmal; neunmal hat Lukas Ωmoio“ »ähnlich« in verschiedenen Genera, ebenso Matthäus. Daneben gebrauchen sie ¨moi·w, das bei Markus nur in 4,30 erscheint, häufiger: Lukas dreimal und Matthäus siebenmal. Am stärksten hat Matthäus vereinheitlicht, indem er vierzehnmal das Thema der Gottesherrschaft im Dativanfang nennt.129 Mit dieser betonten Verbindung von Gleichnis und Gottesherrschaft dürfte er recht haben. Er ahmt, theologisch einen Schwerpunkt bildend, hier, wie so oft, Jesu Sprache nach. Daß die Gleichnisse Jesu nicht alle die Gottesherrschaft direkt zum Thema haben, zeigt das Gleichnis von den spielenden Kindern für das Verhalten »dieses Geschlechts« (Lk 7,31 f. = Mt 11,16 f.), das die Predigt Jesu von der Gottesherrschaft ablehnt, und das Doppelgleichnis vom Hausbau, das am Ende der Feldrede und der Bergpredigt das Verhalten des klugen dem des törichten Hörers der Lehre Jesu gegenüberstellt. Indirekt haben es auch diese Vergleiche und Gleichnisse sehr wohl mit der Gottesherrschaft zu tun, insofern sie ihre Ablehnung thematisieren. Den Doppelsprüchen entsprechen die Doppelgleichnisse. Das Gleichnis vom verlorenen Sohn ist doppelgipflig und zugleich eine schöne Ringkomposition. Ob Jesus selbst genauso erzählt hat, bleibt jedoch ungewiß, denn Lukas selbst liebt die Ringkomposition mit spiegelbildlichen Entsprechungen und dem Kontrast zwischen Anfang und Ende. Er setzt dieses Stilmittel ein, wenn er sich erzählerisch besondere Mühe gibt.130 126 S.
dazu Jeremias, Gleichnisse, 99–102. Jeremias, Gleichnisse, 100 f.; Theissen / Merz, Jesus, 297. 128 Mk 4,30 f.: pù“ ¨moi„swmen tÉn basile‡an toú qeoú À †n t‡ni a§tÉn parabolÔö qùmen; Æ“ …, vgl. Lk 13,20. Jeremias stellt fünf Formen des Dativanfangs fest. 129 Mt 13,31.33.44.45.47; 20,1: ¨mo‡a †stÑn ™ basile‡a tùn o§ranùn …; Mt 13,24; 18,23; 22,2; 25,1: Æmoi„qÔh / ¨moiwqflsetai ™ basile‡a tùn o§ranùn … 130 Vgl. Lk 24,13–34; Apg 8,26–40; 9,1–30. 127 Vgl.
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Am Schluß der Gleichnisse finden wir einige Male das Epimythion, generalisierende Zusammenfassungen, analog zum fabula docet. Das ist gattungskonform in der Fabel, aber in den Jesusgleichnissen erweisen sich solche Schlüsse als sekundär.131 Für deren ursprüngliche Form ist der abrupte Abbruch direkt nach der Pointe charakteristisch. Das kann man etwa im Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg besonders deutlich erkennen. Die Sentenz: »So werden die Letzten Erste sein und die Ersten Letzte« (Mt 20,16), nimmt ein Element aus dem vorangestellten Gleichnis auf (V. 8b), trifft aber nicht die eigentliche Erzählabsicht des jesuanischen Gleichnisses, in dem es um die angemessene Reaktion des Menschen auf Gottes freie Gnade geht. Die Originalität der Gleichnisse Jesu wurde nicht weniger gerühmt als die seiner Spruchdichtung. Sie tragen – auch wenn man für ihre »stehenden Metaphern« die Konventionen der antiken jüdischen Metaphorik immer wieder feststellen kann – ein ganz eigenes Kolorit. Daß es sich mit der basile‡a toú qeoú so verhält wie mit einem winzigen Senfkorn (Mk 4,30 ff. parr.) oder dem Sauerteig einer Frau (Lk 13,20 f. = Mt 13,33), scheint ungewöhnlich; es handelt sich um kühne Metaphern. Dadurch wird in diesen Kontrastgleichnissen der Gegensatz zwischen dem unscheinbaren Anfang und der Durchsetzung der Herrschaft Gottes mit Macht schon durch die Bildwahl betont. Die Treffsicherheit bei der Wahl der Metaphern,132 die überzeugend-gewinnende Evidenz der Erzählung und die Übereinstimmung mit der Spruchdichtung Jesu und seinem Verhalten sind ein wichtiges Argument für die Authentie von Gleichnissen. Innerhalb der synoptischen Tradition läßt sich auch ablesen, wie manche Kühnheiten abgeschwächt wurden. So wandelt Matthäus das jesuanische Gleichnis von der selbstwachsenden Saat (Mk 4,26–29) in das vom »Taumelloch« um, den der Feind unter den Weizen streut, was besser in die missionarische und kirchliche Situation seiner Zeit paßt (Mt 13,24–30). Zum »Großen Abendmahl« lädt bei ihm ein König statt eines vornehmen Mannes (±nqrwp·“ ti“) bei Lukas (Mt 22,2–14; Lk 14,16–24). Der die innere Logik der Erzählung störende Abschluß mit dem »nichthochzeitlichen Gewand« und dem drohenden Gericht ist ebenfalls typisch für Matthäus. Vielleicht hat er hier zwei verschiedene Gleichnisse zusammengefügt? Die Bildreden im Johannesevangelium führen dagegen die Gleichniserzählungen Jesu auf ganz eigenständige Weise fort, um ihren christologischen Offenbarungscharakter zu unterstreichen.
131 S.
den Nachweis bei Jeremias, Gleichnisse, 109–112. Quintilian, inst. 5,11,26: solent tamen fallere similitudinum species, ideoque adhibendum est eis iudicium (»Gern trügt der Anschein einer Ähnlichkeit, und deshalb heißt es, hierbei kritisch zu verfahren«); dazu Aristoteles, poet. 22 (1459a). 132 Vgl.
§ 13 Jesu Verkündigung vom Reich Gottes 13.1 Gegenwart oder Zukunft des Reichs? Die falsche Alternative Wir können hier auf das bereits Gesagte zurückgreifen. Eine nach langer Fehldeutung sachlich weiterführende Deutung des für die Verkündigung Jesu zentralen Begriffs basile‡a toú qeoú verdanken wir vor allem Johannes Weiß und Albert Schweitzer. Sie brachen mit der im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts vorherrschenden idealistisch-innerweltlichen Auslegung in der Schule Albrecht Ritschls (1822–1889). Sie wurde aber auch von Konservativen und Vermittlungstheologen wie zum Beispiel dem Vater von J. Weiß, Bernhard Weiß, vertreten, der im »Gottesreich auf Erden« eine höchste »religiös sittliche Größe« sehen wollte, das »seinem Wesen nach nicht zu Stande kommt durch den einmaligen Akt der erwarteten Reichserrichtung, sondern auf dem Wege allmählicher Entwicklung«, das heißt in der Geschichte der Kirche, die mit dem Prozeß der religiösen Erziehung des Menschengeschlechts bzw. des sittlichen Fortschritts identisch ist. J. Weiß und A. Schweitzer erkannten demgegenüber den apokalyptisch-endzeitlichen, man könnte auch sagen »mythologischen« und J. Weiss, Predigt Jesu; Kümmel, Verheißung; A. Schweitzer, Geschichte der LebenJesu-Forschung, Tübingen 11906, 21913 (= GLJF); R. Schnackenburg, Gottes Herrschaft und Reich. Eine biblisch-theologische Studie, Freiburg u. a. 41965; Jeremias, Theologie; Hengel, Zeloten, 95–114; H. Schürmann, Gottes Reich – Jesu Geschick, Freiburg u. a. 1983; O. Camponovo, Königtum, Königsherrschaft und Reich Gottes in den frühjüdischen Schriften, OBO 58, Freiburg / Schweiz Göttingen 1984; Sanders, Jesus; M. Hengel, Zur matthäischen Bergpredigt und ihrem jüdischen Hintergrund, ThR 52 (1987), 383–388 (zu Gottesherrschaft und Gottesnamen beim Vaterunser) = ders., KS II, 275–279; H. Merklein, Jesu Botschaft von der Gottesherrschaft, 31989; M. Hengel / A. M. Schwemer (Hg.), Königsherrschaft Gottes und himmlischer Kult, WUNT 55, Tübingen 1991, Vorwort 1–19; Merkel, Gottesherrschaft; Meier, Marginal Jew II, 289–506; Chr. Grappe, Le Royaume de Dieu. Avant, avec et après Jésus, Genève 2001; Dunn, Jesus, 383–487. S. o. § 4.5 S. 161–168 und § 5.2 S. 175–192. Lehrbuch der Biblischen Theologie des Neuen Testaments, Berlin 1885, 51 zu den Kontrastgleichnissen. S. zum Ganzen auch o. S. 181. Bekräftigt wurde dieser Bruch mit dem neuprotestantischen Fortschrittsdenken durch die theologische Krise, die nach dem Ende des I. Weltkriegs in der von Karl Barth begründeten dialektischen Theologie ihren Ausdruck fand, durch die Begriffe wie »Eschatologie«, »eschatologisch« in einem neuen, auf die Gegenwart bezogenen Verständnis in den Mittelpunkt rückten: »Christentum, das nicht ganz und gar und restlos Eschatologie ist, hat mit Christus ganz und gar
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das heißt für uns fremd erscheinenden Sinn des Begriffs. Ausgangspunkt war die schon mehrfach erwähnte Zusammenfassung der Verkündigung Jesu bei Markus: »Erfüllt ist die Zeit, und die Gottesherrschaft ist genaht (bzw. ist da). Kehrt um und glaubt der frohen Botschaft!« Auch die Jünger predigten – entsprechend Jesu Anweisung – nach ihrer Aussendung gemäß der Logientradition in gleicher Weise Gottes anbrechende Herrschaft. Doch die Auseinandersetzung über sie war mit dieser Einsicht noch nicht entschieden. Sie gewann vielmehr danach erst ihre wirkliche Schärfe. William Wrede machte in einem Vortrag zwei Jahre nach Erscheinen der epochemachenden Studie von Johannes Weiß und der dadurch ausgelösten Kontroverse auf ein wesentliches Problem der Reich-Gottes-Predigt Jesu aufmerksam: »Jesus hat nie eine Belehrung darüber gegeben, was er unter dem Reich Gottes ver-
stehe. Er hat nie seinen Jüngern gesagt, daß seine Anschauung vom Gottesreiche eine andere sei als die landläufige. Ueberall ist der Eindruck, daß er ein bekanntes Wort in demselben Sinne gebraucht, in dem man es allgemein verstand.«
Wrede sagt dies im Blick auf die durch J. Weiß aufgebrochene Diskussion und schließt sich diesem an: »Das Reich ist nach dieser jüdischen Anschauung zukünftig und ganz zukünftig, durchaus ein Ziel der Sehnsucht.« Darum folgert er konsequent: »Nicht das Reich, sondern die Nähe des Reiches ist Inhalt des Evangeliums. Glauben an dies Evangelium muß man, um sich recht darauf zu bereiten. Die notwendige Bereitung heißt Buße. Denn mit dem Reiche kommt das Gericht.«
Diese Anschauung hat sich mit kleinen Varianten vor allem durch das monumentale Werk Albert Schweitzers und später durch R. Bultmann in weiten Teilen der Forschung bis hin zu E. P. Sanders durchgesetzt, freilich ist ihr zum Teil auch energisch widersprochen worden,10 und gerade heute mehren sich wieder und restlos nichts zu tun« (K. Barth, Der Römerbrief, München 21922, 298 zu Röm 8,24 f.; s. dazu Hengel, KS III, 312 ff.). Mk 1,15; vgl. Lk 10,9.11; Mt 3,2 (Täufer); 4,17; 10,7; s. o. S. 325 und u. S. 408 Anm. 11. Lk 10,9.11: ≥ggiken (†f’ ≠mô“) ™ basile‡a toú qeoú; vgl. Mt 10,7 und bei diesem selbst im Munde des Täufers Mt 3,2; s. o. S. 304 f. J. Weiss, Die Predigt Jesu vom Reiche Gottes, Göttingen 11892; 21900; 31964, hg. v. F. Hahn. Im selben Jahr erschien W. Bousset, Jesu Predigt in ihrem Gegensatz zum Judentum, Göttingen 1892: J. Weiss war damals (1892) 29, W. Bousset 27 und W. Wrede 33 Jahre alt. Sie mußten den Vätern als »theologische Revolutionäre« erscheinen. Die Predigt Jesu vom Reiche Gottes (1894), in: ders., Vorträge, 84–126 (88); s. jedoch S. VII die Einschränkung des Herausgebers Adolf Wrede. Vgl. W. Heitmüller, Jesus, Tübingen 1913, 142: »Jesus selbst gibt nirgendwo eine ausdrückliche Erklärung des Begriffs, wie er ihn verwendet. Er gebraucht ihn als eine seinen Hörern bekannte Größe.« Wrede, Vorträge, 91.96. 10 S. dazu die gründliche Monographie von Chr. Grappe, Royaume (S. 406 Anm. 1); weiter den Forschungsüberblick bei Merkel, Gottesherrschaft (120 ff.: dort die wesentliche ältere Literatur). Zu E. P. Sanders s. ders., Jesus, 123–156: »Jesus expected the kingdom in the near
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die Stimmen, die nicht minder konsequent als die »konsequente Eschatologie« Albert Schweitzers einen radikalen Gegenwartsbezug der Verkündigung Jesu fordern und jede Zukunftsaussage als spätere »Gemeindebildung« eliminieren wollen. Vor allem die amerikanische Q-Forschung teilt diese Tendenz. Beide Parteien können sich dabei auf die thematische Zusammenfassung der Verkündigung Jesu nach Mk 1,15 berufen: peplflrwtai ¨ kairÖ“ kaÑ ≥ggiken ™ basile‡a toú qeoú. Denn dies läßt sich auf zweierlei Weise deuten. Die präsentische Form lautet: »Erfüllt ist die Zeit, und die Gottesherrschaft ist da«, die futurische Möglichkeit lautet: »… und die Gottesherrschaft ist (zeitlich) nahe«. Vielleicht ist diese Ambivalenz von Markus, der diesen programmatischen Satz formulierte, bewußt gewollt. In 14,42 begegnet sie uns wieder im letzten Wort Jesu an seine Jünger: »Steht auf, wir wollen gehen. Siehe, mein Verräter ist da (oder ganz nahe).«11 Im Gegensatz zu einer auch noch heute verbreiteten Meinung ist die Redeform von der »Königsherrschaft Gottes« im zeitgenössischen Judentum weder auffallend häufig noch ausschließlich auf die Zukunft bezogen. Dagegen ist – unabhängig vom Abstraktum »Königsherrschaft« (malkût / malkûtā / basile‡a) – die Sache, nämlich Gottes universales Königtum bzw. Herrschaft, für den jüdischen Glauben von schlechterdings grundlegender Bedeutung.12 Sie kommt schon durch die hebräische Gottesbezeichnung ’ adonaj, ›Herr‹, die als Qerê an die Stelle des Tetragramms tritt, und durch sein griechisches Äquivalent in der Septuaginta, k‚rio“, zum Ausdruck. Es geht darum, daß JHWH, der Gott Israels, sich gegenüber der von ihm geschaffenen Welt und ihrer Geschichte uneingeschränkt als der alleinige Herr und König erweist: Beide Begriffe sind auswechselbar. Die häufigsten Gebetsanreden Gottes im Judentum sind »Herr der Welt« und »König der Welt«.13 Das Anliegen der Gottesherrschaft wird future … Thus we cannot shift the normal expectations of Jewish restoration theology to the periphery«; ders., The Historical Figure of Jesus, London etc. 1993, 169–204. 11 Mk 14,42: ûEge‡resqe ±gwmen: ¢doÜ ¨ paradido‚“ me ≥ggiken = Mt 26,46. Vgl. zur präsentischen Deutung Lk 10,9: ≥ggiken †f’ ≠mô“ ™ basile‡a toú qeoú, 21,8 die falschen Messiasse: ¨ kairÖ“ ≥ggiken und Lk 11,20 = Mt 12,28: ≤fqasen †f’ ≠mô“ ™ basile‡a toú qeoú, in Mt 3,2; 4,17; 10,7 ist die Formel dagegen eher futurisch zu verstehen. Auch Paulus verwendet ≥ggiken Röm 13,12 (™ dÇ ™mfira ≥ggiken) in diesem futurischen Sinne, vgl. Jak 5,8 und 1 Petr 4,7. W. Wrede, Vorträge, 97 ff. lehnt die gegenwartsbezogene Deutung entschieden ab, muß aber dann doch aufgrund von Mt 12,28 = Lk 11,20 zugeben, daß es sich bei Jesu siegreichem Kampf gegen den Satan »um die Gegenwart des künftigen überweltlichen Reiches selbst handelt« (99) (Hervorhebung Wrede). S. auch u. S. 429 Anm. 139. 12 S. dazu O. Camponovo, Königtum (S. 406 Anm. 1); zur Ergänzung und Korrektur s. Hengel / Schwemer (Hg.), Königsherrschaft (S. 406 Anm. 1), Vorwort S. 1–19 und die einzelnen Beiträge zum Judentum. 13 Belege dazu in verschiedenen Variationen bringt Dalman, Worte Jesu, 141 ff.; zu »Herr der Welt«, ribbônô šäl ‛ôlām, s. Heinemann, Prayer, s. Index 308 s. v. Kingship of God und 318 s. v. ribbônô šäl ‛ôlām etc. Schon im Alten Testament wird Gott über 40mal als »König«
§ 13 Jesu Verkündigung vom Reich Gottes
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im Grunde am deutlichsten durch das von jedem Frommen zweimal am Tag rezitierte Shema‛ Dtn 6,4 f. zum Ausdruck gebracht. »Höre Israel, Jhwh ist unser Gott, Jhwh allein, und du sollst Jhwh, deinen Gott, lieben aus deinem ganzen Herzen, aus deiner ganzen Seele und aus deiner ganzen Kraft.«
Die Gottesherrschaft wird dort Gegenwart, wo dieses »Bekenntnis« samt der damit verbundenen Forderung ohne Einschränkung realisiert wird. Israel hatte am Schilfmeer nach JHWHs wunderbarer Befreiungstat den Herrschaftsanspruch seines Gottes anerkannt: »JHWH herrscht als König für immer und ewig« (Ex 15,18). Die JHWH-König-Psalmen proklamieren Gottes universale Herrschaft als König und Schöpfer »von uran« und feiern den Anbruch und die Gegenwart seiner Königsherrschaft im Kult.14 An dieses, sein ewiges Königtum, wird mit einer allen Juden im Mutterland vertrauten liturgischen Formel erinnert: Die Priester und Leviten rezitierten, wenn im täglichen Kult im Tempel der Hohepriester bzw. sein Vertreter den heiligen geheimen Gottesnamen, das Tetragramm JHWH, bei der Erteilung des aaronitischen Segens offen aussprach: »Gepriesen sei der herrliche Name seiner Königsherrschaft immer und ewig.«15 Durch diese laut rezitierte berākhā wurde die Nennung des Gottesnamens durch den Hohenpriester übertönt. Er erschien so gewissermaßen als der Inbegriff von Gottes Herrschaftsmacht. Anerkannt wird dieselbe im Gehorsam gegenüber den Geboten der Tora, insbesondere der täglichen Rezitation des von Gebeten umrahmten Shema‛ Jiśrā’el morgens und abends: Wer dem entspricht, »nimmt das Joch der Königsherrschaft (Gottes) auf sich«.16 Die kultische Bedeutung des Begriffs malkût / mäläkh im himmlischen Gottesdienst, an dem die Gemeinde von Qumran schon jetzt partizipierte, wurde in den Liedern zum Sabbatopfer aus 4Q deutlich, wo beide Worte beständig erscheinen.17 bezeichnet (K. Seybold, ThWAT IV, 946–950). Die Bezeichnung des höchsten Gottes als »Herr« und »König« hat ihre Parallele in der semitischen Umwelt. 14 Zur späteren futurischen Deutung des Präsens beim Verb jimlokh Ex 15,18 in Mekhilta Exodus und den daraus sich ergebenden Folgerungen für Israel s. B. Ego in: Hengel / Schwemer (Hg.), Königsherrschaft (S. 406 Anm. 1), 257–283: »Gottes Sieg über die feindlichen Ägypter begründet sein Königtum, das aber erst in der Zukunft universalen Charakter erlangt und auf der ganzen Welt anerkannt wird. Für die Gegenwart ist die Königsherrschaft Gottes auf Israel beschränkt« (281). Sie ist bestimmt durch »die Verwirklichung der Einzigkeit Gottes im Halten der Gebote und der Ablehnung jeglichen Götzendienstes« (282). Zu den JHWH-König-Psalmen vgl. B. Janowski, Das Königtum Gottes in den Psalmen, ZThK 86 (1989), 389–454. 15 mJoma 3,8; 4,1 f.; 6,2, vgl. mBer 1,2; tTaan 1,11 ff.: bārûkh šem kebôd malkûtô le‛ôlām wā‛äd. S. dazu Hengel / Schwemer (Hg.), Königsherrschaft (S. 406 Anm. 1), (Vorwort) 2 f. und Th. Lehnardt, Königsherrschaft Gottes im synagogalen Gebet, in: op. cit., 289–301; s. auch Index 415. 16 S. dazu Bill. I, 172 ff.176 f. (k–m). 17 Erstausgabe C. Newsom, Songs of the Sabbath Sacrifice: A Critical Edition, HSS 27, Atlanta 1985, s. Index p. 424 zu mlk / mlkwt; vgl. The Dead Sea Scrolls. Vol. 4B, ed. J. H. Charlesworth and C. Newsom, Tübingen / Louisville 1999. Zum Gottesbegriff s. A. M.
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IV. Jesu Auftreten und Verkündigung
Die zukünftige universale Herrschaft Gottes war so gesehen ein besonderer, in der späten Profetie – verbunden mit der Rückkehr aus dem Exil in Mi 4,7 – und dann vor allem mit der makkabäischen Erhebung, etwa im Buch Daniel, sichtbar werdender wesentlicher Aspekt der grundsätzlichen Herrschaft Gottes über sein Volk, die ganze Schöpfung und die Weltgeschichte. Da die Gewaltherrschaft der Israel unterdrückenden gottlosen Weltmächte und der Ungehorsam des Gottesvolkes sichtbar machten, daß Gottes Herrschaftsanspruch nicht voll anerkannt wurde, weil gefallene Engel und die von ihnen verführten Menschen gegen ihn rebellierten, erhielt Israel die Verheißung, daß Gottes Königtum sich in naher Zukunft uneingeschränkt durchsetzen und daß die Frommen an ihm teilhaben werden. In der späten, aus dem 3. Jahrhundert v. Chr. stammenden profetischen Weissagung Sach 14,9: »und JHWH wird König über die ganze Erde. An jenem Tage wird JHWH der einzige sein und sein Name der einzige«, wird diese Hoffnung artikuliert und zugleich ihr enger Zusammenhang mit dem 1. Gebot und Dtn 6,4 f. sichtbar. In einzelnen jüdisch-apokalyptischen Texten, vor allem im Danielbuch, etwa in c. 2 und 7, in Qumran und in PsSal 17 und 18, aber auch in späteren jüdischen Gebeten wie dem Qaddisch18 wird diese zukünftige Realisierung der in der Gegenwart noch abgelehnten Herrschaft Gottes zum Thema gemacht. In dem Qumrantext 11QMelch geschieht sie durch den »himmlischen Erlöser« Michael-Malkisedeq, in Dan 7 realisiert sie sich im Zusammenhang mit dem Kommen jener rätselhaften Gestalt »wie ein Mensch(ensohn)« auf den Wolken des Himmels, die das wahre Gottesvolk verkörpert und der Gott seine Herrschaft überträgt. In Dan 12,1 ff. wird sie vermittelt durch das rettende Eingreifen des Lichtfürsten Michael19 und in PsSal 17 durch den davidischen Messias. Es wäre daher falsch, zwischen der Gottesherrschaft und einer von Gott bevollmächtigten himmlischen oder irdischen Erlösergestalt einen grundsätzlichen Gegensatz sehen zu wollen oder gar einen möglichen engen Zusammenhang zwischen Gottesherrschaft und eschatologischem Erlöser zu leugnen. In PsSal 17 wird zunächst die Hoffnung auf Gott als Erlöser Israels20 und die Aufrichtung seiner
Schwemer, Gott als König und seine Königsherrschaft in den Sabbatliedern aus Qumran, in: Hengel / Schwemer (Hg.), Königsherrschaft (S. 406 Anm. 1), 116 ff. 18 Vgl. auch Mi 4,6–8: »Und JHWH wird König über sie sein auf dem Berg Zion von nun an bis in Ewigkeit … Und du …Tochter Zion, zu dir wird kommen und wiederkehren die frühere Herrschaft, das Königtum der Tochter Jerusalem«; dazu Pitre, Jesus, 141 ff. Auch die JHWHKönig-Psalmen wurden um die Zeitenwende eschatologisch interpretiert. Zu den Gebeten s. A. Lehnardt, Qaddish, TSAJ 87, Tübingen 2002. 19 11QMelch (11Q13); s. dazu Zimmermann, Texte, 389–412; vgl. Dan 12,1 ff.; s. auch u. S. 467. In Col. II Z. 16 wird das Bekenntnis des Freudenboten Jes 52,7 »Dein Gott (’ älohājik) ist König geworden (mālak)« auf Melchisedek-Michael und nicht auf Gott selbst bezogen. 20 PsSal 17,3a: †lpioúmen †pÑ tÖn qeÖn swtöra ™mùn.
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bleibenden Königsherrschaft über alle Völker21 angesprochen und dann um das Kommen des Messias-Königs aus dem Stamme Davids und um die Realisierung seiner Herrschaft gebeten.22 Am Schluß wird aber wieder Gott als »Kyrios« und »unser König« angerufen.23 In jüngerer Zeit haben Texte von Qumran gerade hier unsere Quellenbasis und damit unser Wissen über die vielfältigen jüdischen Endzeiterwartungen erheblich erweitert. Wir erinnern nur an den oben zitierten »messianischen« Text 4Q521.24 Schon im Blick auf diesen untrennbaren Zusammenhang zwischen Gottes ewig bestehender und darum immer auch gegenwärtiger Herrschaft und ihrer erwarteten zukünftigen universalen Durchsetzung, unter Umständen durch seinen Gesalbten, ist es nicht verwunderlich, wenn uns – freilich in ganz besonderer Ausprägung – auch in synoptischen Jesusworten Aussagen über die Gegenwart und Zukunft der Herrschaft Gottes begegnen. Und man muß sich davor hüten, die hier sichtbar werdende Spannung dadurch einseitig aufzuheben, daß man je nach theologischer Neigung die futurischen oder präsentischen Aussagen als »Gemeindebildungen« beiseite schiebt oder uminterpretiert. Vielleicht darf man aber doch vorweg in bezug auf die bereits erörterte Frage nach dem Verhältnis zwischen Jesus und dem Täufer sagen, daß, im Gegensatz zum Täufer, bei Jesus die Präsenz des Heils in seinem Wirken stärker hervortritt als die Zukünftigkeit des drohenden, bevorstehenden Gerichts. Diese in der Verkündigung Jesu aufbrechende Dialektik zwischen Gegenwart und Zukunft des Heils bestimmt auch das Denken der ganzen nachösterlichen Gemeinde über Paulus bis zum Corpus Johanneum und zur Apokalypse, wobei die Schwerpunkte je und je anders gesetzt werden können. Ausgangspunkt ist die Gewißheit, daß in Jesus der Messias gekommen und die Gottesherrschaft durch ihn am Werk ist. Diese Gewißheit nimmt ihren Anfang in Jesu – messianischem – Wirken in Wort und Tat.
13.2 Die »sich realisierende« Gottesherrschaft Auch Wilhelm Heitmüller, der Lehrer R. Bultmanns, folgte in seinem 1913 erschienenen populären Jesusbuch den Ergebnissen Albert Schweitzers: Gott selbst wird seine Herrschaft in naher Zukunft auf wunderbare Weise herauf21 PsSal
17,3c: ™ basile‡a toú qeoú ™mùn e¢“ tÖn a¢ùna †pÑ tÅ ≤qnh †n kr‡sei. 17,21: ûIdfi, k‚rie, kaÑ ün›sthson a§toõ“ tÖn basilfia a§tùn u´Ön Dauid …, 17,32: … kaÑ basileÜ“ a§tùn cristÖ“ kur‡ou. Der überlieferte Text hat cristÖ“ k‚rio“, vgl. Klgl 4,20 LXX: In beiden Fällen handelt es sich um eine emendatio christiana; vgl. PsSal 18,5–7. Zum Problem s. auch Hengel / Schwemer (Hg.), Königsherrschaft (S. 406 Anm. 1), (Vorwort) 8 ff. 23 PsSal 17,46; vgl. V. 21. 24 S. o. S. 332 und Zimmermann, Texte, passim. 22 PsSal
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IV. Jesu Auftreten und Verkündigung
führen und allen gottfeindlichen Mächten ein Ende bereiten, darum bedeutet »die Herrschaft Gottes … nicht etwa eine innerweltliche, durch menschliches Tun sich verwirklichende Gemeinschaft«. Er ist daher gegenüber jenen Texten, die »vom Reich als einem gegenwärtigen« sprechen, skeptisch. Aber am Ende muß er doch einräumen, daß »man vorsichtigerweise nicht sagen dürfe …, daß das Reich von Jesus nur als zukünf-
tiges gedacht worden sei. An einigen wenigen Stellen der zuverlässigen Überlieferung taucht, allerdings mehr blitzartig, die Vorstellung auf, daß es schon in der Gegenwart sich zu verwirklichen anfange.«25
Am Ende seines Gleichnisbuches spricht J. Jeremias davon, daß alle Gleichnisse Jesu von »der Gewißheit der ›sich realisierenden Eschatologie‹« erfüllt sind. »Die Stunde der Erfüllung ist da … Angebrochen ist das Gnadenjahr Gottes.«26 Diese Formulierungen von Exegeten, die an sich eher die Zukünftigkeit betonen, zeigen, daß es sich bei der geschilderten Kontroverse – wie so oft in der Auslegung des Neuen Testaments – um eine falsche Alternative handelt. Die weiterhin strittige Frage, ob der Schwerpunkt in Jesu Reich-Gottes-Predigt mehr auf der Gegenwart oder der nahen Zukunft liegt, übersieht, daß je nach der Intention der einzelnen Logien und Gleichnisse und der Situation, die sie ansprechen, der eine oder andere Aspekt überwiegen kann. Wir haben schon darauf hingewiesen, daß sich Jesu Wirken vom Täufer, dessen Predigt vom drohenden dies irae das Fürchten lehrt, durch das beherrschende Motiv der Freude unterscheidet: »Können etwa die Hochzeitsgäste fasten, während der Bräutigam bei ihnen ist?«27 Das Bildwort hat einen deutlichen »messianischen« Unterton. Am Ende der drei Gleichnisse vom verlorenen Schaf, vom verlorenen Denar und vom verlorenen Sohn steht ebenfalls diese große Freude, die sich zum Fest mit Freunden, Nachbarn und dem Gesinde steigert.28 Ihr entspricht die Freude beim Finden des Schatzes im Acker und der einzigartigen Perle.29 Jesu Verkündigung ist darum bei Lukas ein e§aggel‡zesqai, bei Markus (und abgeschwächt bei Matthäus) e§aggfilion, das heißt Freudenbotschaft, vergleichbar dem Geistgesalbten von Jes 61,1, der von Gott gesandt ist,
25 Heitmüller,
Jesus (S. 407 Anm. 8), 143 (Hervorhebung M. H. / A. M. S.); so »wenige« Stellen sind es freilich gar nicht. Vgl. Merkel, Gottesherrschaft, 127, vgl. auch seine Zitate aus R. Bultmann und E. Käsemann, S. 129 f. 26 Jeremias, Gleichnisse, 227, nach einem Vorschlag von E. Haenchen. S. dazu auch C. H. Dodd, The Interpretation of the Fourth Gospel, Cambridge 1963, 447 Anm. 1, zu der Formulierung »which I like, but cannot translate into English«. Das »Gnadenjahr Gottes« bezieht sich auf das Zitat von Jes 61,2 in Lk 4,18 bei der Antrittspredigt Jesu in Nazareth. 27 Mk 2,19, vgl. Mt 9,15; Lk 5,34 und – im Munde des Täufers – Joh 3,29. 28 Lk 15,6 f.9 f.23–32. 29 Mt 13,44–46 (Sondergut).
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den Armen und Gefangenen die frohe Nachricht von der Befreiung zu bringen.30 Darum preist er die Armen selig, weil ihnen die Gottesherrschaft gehört.31 Selig sind darum die Jünger, die seine Botschaft hören und seine Taten sehen: »Denn (Amen) ich sage euch, viele Profeten und Könige wollten sehen, was ihr seht, und sahen es nicht und hören, was ihr hört, und hörten es nicht.«32
Wenn Jesus in Lk 11,28 die selig preist, »die Gottes Wort hören und befolgen«, so verweist er damit nicht auf das auslegende Wort der Schriftgelehrten, sondern auf seine eigene Botschaft, das heißt die Saat, die er ausstreut, damit sie Frucht bringe.33 Ein entscheidendes Zeichen für die Erfüllung der Verheißungen und die Befreiung der Gefangenen besteht darin, daß Gott durch Jesus einzelnen Menschen in konkreten Situationen ohne jeden sakralen Ritus34 die Vergebung ihrer Sünden zuspricht und damit die verlorenen Söhne und Töchter seines Volkes in das Haus des Vaters zurückholt.35 Wer freilich die selbst erfahrene Vergebung unendlicher Schuld durch die eigene Unbarmherzigkeit und Unversöhnlichkeit zurückweist, wird, wie das Gleichnis vom Schalksknecht zeigt, Gott als gerechten Richter erfahren.36 Ebenso schließt die Verwerfung der jetzt verkündeten Botschaft von der im Wirken Jesu offenbar werdenden Güte Gottes vom nahen zukünftigen Heil aus. Das Gericht erscheint so als eine Folge der Zurückweisung der in Jesu Gegenwart schon jetzt erkennbar werdenden Zuwendung Gottes, seiner alle menschlichen Vorstellungen übersteigenden Güte. Die anstößige Tischgemeinschaft Jesu mit »Zöllnern und Sündern« beim festlichen Mahl ist ein Ausdruck der Freude darüber, daß Gott sich dieser Verlorenen seines Volkes angenommen hat. Zugleich mögen diese Mahlzeiten wie auch die Speisungswundererzählungen ein gleichnishafter 30 Jes 61,1 LXX: e§aggel‡sasqai ptwcoõ“ üpfistalkfin me wird zitiert Lk 4,18; vgl. Lk 7,22 = Mt 11,5 und die Seligpreisungen Mt 5,2 ff. = Lk 6,20 ff., dazu M. Hengel, Bergpredigt, in: KS II, 219–292 (243 ff.). Vor allem Lukas liebt das Verb (s. o. S. 327), hinter dem das hebräische biśśar der profetischen Verheißung und der Psalmen steht, das die Septuaginta mit e§aggel‡zesqai übersetzt; außer Jes 61,1 s. noch 40,9; 52,7; 60,6; Joel 3,5; Nah 2,1; Ps 40 (LXX 39),10; 68 (67),12; 96 (95),2. Vgl. auch die Überbringung der Siegesbotschaft an David 2 Sam 18,19–31. 31 Lk 6,20: Ωti ≠metfira †stÑn ™ basile‡a toú qeoú, vgl. Mt 5,3. 32 Lk 10,24 = Mt 13,17, als »Amen-Wort« von Matthäus besonders hervorgehoben. Er ersetzt auch seiner Theologie entsprechend (13,43.49; 25,37.46) »Könige« durch »Gerechte«. Die meisten alttestamentlichen Könige zeichneten sich ja nicht durch fromme Erwartung aus. Gemeint sind Vorbilder wie David, Josia und Hiskia. 33 S. dazu Mk 4,3 ff. = Lk 8,5 ff. = Mt 13,3 ff. 34 S. o. S. 331. 35 Mk 2,10 = Lk 5,24 = Mt 9,6; vgl. Lk 7,48; nach Ostern wird die Vergebung der Sünde an Jesu Tod gebunden, vgl. Mt 26,28. Sein Sühnetod schenkt den Glaubenden die Gewißheit der Vergebung und das heißt zugleich der Gottesgemeinschaft. S. u. S. 445. 36 Mt 18,23–35, vgl. auch 7,1 ff. und Lk 6,36–38.41 f.
414
IV. Jesu Auftreten und Verkündigung
Hinweis auf das überwältigende eschatologische Festmahl in der vollendeten Gottesherrschaft sein.37 Dieses Bild vom endzeitlichen Festmahl ist wohl die wichtigste Metapher Jesu zur Beschreibung der zukünftigen Heilszeit. Es stammt aus einer Welt, in der bei vielen der Hunger täglich zu Gast war: »Selig (sind) die Armen,
denn euch gehört die Gottesherrschaft. Selig die jetzt Hungernden, denn ihr sollt satt werden!«
Das Motiv erscheint schon in der jesajanischen Apokalypse als das Krönungsmahl für den König JHWH auf dem Zion38 und gilt für Israel und die Völker, die sich dort versammeln werden. Schon dort hat es die Überwindung des Todes zur Voraussetzung.39 Sonst ist Jesus mit allen Ausmalungen im Gegensatz zur apokalyptischen Literatur sehr zurückhaltend. Wie die Gleichnisse von Saat und Ernte in Mk 4 und Mt 13 verbindet die Parabel vom großen Abendmahl Jesu Gegenwart mit Gottes Zukunft.40 Wie so oft, ist auch hier die ältere Lukas-Version die ursprünglichere. Bei Matthäus lädt ein König41 zu einem Hochzeitsmahl für seinen Sohn ein, bei Lukas ist es nur ein vornehmer Mann.42 Die lukanische Version paßt so besser in das galiläische Milieu, die des Matthäus ist christologisch und kirchlich überarbeitet und fügt ganz unpassend ein Gerichtsgleichnis über einen Gast an, der kein »hochzeitliches Kleid besitzt« und
37 Mk 2,15 ff. = Lk 5,29 ff. = Mt 9,10 ff.; vgl. Lk 19,5; Lk 7,34 = Mt 11,19. Eine Weiterentwicklung ist die Formel im Gleichnis von den Talenten Mt 25,23: e¥selqe e¢“ tÉn carÅn toú kur‡ou sou. Vgl. 1 Petr 1,8. 38 Lk 6,20 f.; Jes 24,23; 25,6 ff.; vgl. 55,1–5. 39 Jes 25,8; vgl. 26,19 (dazu Hengel, Begräbnis, 153 ff.); s. auch Apk 19,7; 21,4; 1 Hen 62,14: das Mahl »der Gerechten und Auserwählten« mit jenem »Menschensohn«, vgl. 45,6; 2 Hen 42,5; syrBar 29,4–8; Bill. IV, 1146 f.1154–1165; vgl. Dunn, Jesus, 394 Anm. 64; 425– 428; Schwemer, Mahlgemeinschaft, 199 ff. In der jüdisch-apokalyptischen Literatur scheint das Mahl nicht die zentrale Bedeutung wie bei den Synoptikern zu haben. Doch auch bei den Qumran-Essenern wird das gemeinsame Mahl als eine Vorwegnahme des eschatologischen Festmahls verstanden, s. Chr. Grappe, Le repas de Dieu de l’autel à la table dans le judaïsme, in: ders. (Hg.), Le Repas de Dieu – Das Mahl Gottes, WUNT 169, Tübingen 2004, 95–102.113; vgl. weiter S. Schreiner, Das Festmahl der Gerechten in mittelalterlicher jüdischer Überlieferung, in: op. cit., 343–376, der auch auf die relativ frühe Stelle mAv 4,16 verweist, die diese Metaphorik verwendet (344.348): R. Jakob b. Kurschai (Tanna der 4. Generation) wird der Ausspruch zugeschrieben: »Die Welt gleicht einem Vorzimmer zur kommenden Welt. Bereite dich im Vorzimmer vor, damit du in den Festsaal (traqlin = triclinium) eintreten kannst.« 40 Lk 14,15–24 = Mt 22,1–14; vgl. Lk 14,7–14; Mk 14,25 parr.; Apk 3,20; 19,9. 41 Mt 22,2: ±nqrwpo“ basile‚“. Der König ist in den zahlreichen rabbinischen Königsgleichnissen feststehende Metapher für Gott. 42 Lk 14,16: ±nqrwp·“ ti“. V. 21: ¨ o¢kodesp·th“. Vgl. dazu schon o. S. 405.
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darum »in die äußerste Finsternis hinausgeworfen« wird.43 Die Zeit des Wirkens Jesu ist die Zeit der Einladung; da diese von den zuerst Angesprochenen abgelehnt wird, läßt der Herr des Gastmahls die Armen, Behinderten und schließlich die Fremden von den Wegen und Zäunen rufen.44 Der enge Zusammenhang zwischen gegenwärtiger Mahlgemeinschaft und dem zukünftigen Mahl in der vollendeten Gottesherrschaft begegnet uns auch in der Darstellung des letzten Mahls Jesu mit seinen Jüngern, das mit einem Ausblick schließt: »Amen, ich sage euch, daß ich nicht mehr vom Gewächs des Weinstocks trinken werde bis zu jenem Tage, an dem ich es neu trinken werde in der Gottesherrschaft.«45
Das heißt, das Urchristentum und schon Jesus selbst stellten sich das zukünftige Reich durchaus mit irdisch-chiliastischen Zügen vor: Man wird darin satt werden, Wein trinken, und man wird darin lachen, ja vor Freude tanzen.46 In einer Gesellschaft, in der Hunger, Not und Tod alltägliche Erfahrungen waren, besaßen diese Verheißungen elementare Bedeutung. Sogar bei Paulus finden sich zuweilen »chiliastische« Züge, und im 2. Jahrhundert wurde der »chiliastische Realismus« der Johannesapokalypse, wie Papias, Justin, Melito, Irenäus und Tertullian zeigen, in der Kirche vorherrschend.47 Der untrennbare Zusammenhang zwischen Jesu Wirksamkeit und der in naher Zukunft erwarteten wunderbaren Vollendung wird in den schon oben angesprochenen Kontrastgleichnissen sichtbar, in den Parabeln vom Sämann,48 von der selbstwachsenden Saat,49 vom Senfkorn und vom Sauerteig.50 Wie die überwiegende Mehrzahl der synoptischen Gleichnisse bringen sie einen bestimmten, wesentlichen Aspekt der Gottesherrschaft metaphorisch zur Sprache. 43 Mt 22,11–14; vgl. auch V. 10: Die ausgesandten Sklaven versammeln »Schlechte und Gute«; vgl. Mt 13,24–30 das Gleichnis vom Unkraut im Acker. 44 Lk 14,15–24 = Mt 22,1–14: Wir haben hier zwei weitgehend differierende Versionen. 45 Mk 14,25 = Mt 26,29 (mit dem Zusatz »mit euch«); vgl. Lk 13,28 f. = Mt 8,11 f. Zum Abendmahl s. u. S. 532. Dieser eschatologische Bezug findet sich auch in verwandelter Form in der paulinischen Fassung 1 Kor 11,26: ±cri oñ ≤lqÔh. 46 Lk 6,21: gel›sete, 23: c›rhte †n †ke‡nÔh ™mfira kaÑ skirtflsate…, vgl. Lk 15,25 und Mal 3,20 (LXX). In der rabbinischen Literatur kann Gott selbst als »Reigenführer« beim Tanz in der zukünftigen Welt erscheinen, s. Bill. IV, 1154; Schreiner, Festmahl (S. 414 Anm. 39), 350 f. verweist auf die Zusammenfassung rabbinischer Vorstellungen zum Mahl der Gerechten in Otiyyot deRabbi Aqiba: Die Gerechten werden unter anderem zu Tische liegen im Paradies, und Gott selbst wird tanzen beim Mahl. 47 Hengel, KS III, 355.364 f. Sie blieb es im Westen – im Gegensatz zum platonisierenden Osten – bis ins 4. Jahrhundert. S. u. S. 425 Anm. 111. Den allzu realistischen Erwartungen widersprachen die Gelehrten mit dem Hinweis »nicht wie diese ist die kommende Welt …« (bBer 17a); dazu Schreiner, Festmahl (S. 414 Anm. 39), 347.368.371. 48 Mk 4,3–9 = Lk 8,5–8 = Mt 13,3–9, vgl. EvThom 9. 49 Mk 4,26–29. 50 Mk 4,30–32 = Lk 13,18 f. = Mt 13,31 f.; Lk 13,20 f. = Mt 13,33; vgl. EvThom 96. Mt 13,24–30, das Gleichnis vom Unkraut im Acker, ist eine ekklesiologische Fortentwicklung einer älteren Parabel durch Matthäus, s. o. S. 405.
416
IV. Jesu Auftreten und Verkündigung
Es geht darin um den äußeren, ins Auge fallenden Gegensatz zwischen dem unscheinbaren, angefochtenen und von Mißerfolgen geprägten Beginn der Gottesherrschaft in Jesu Wirken und der plötzlich eintretenden wunderbaren Vollendung, zugleich aber auch um die Gewißheit des ungebrochenen inneren Zusammenhangs zwischen Jesu Werk und der zu erwartenden Fülle.51 Während die Kontrastgleichnisse Gegenwart und Zukunft verbinden, konzentrieren sich die Gleichnisse vom Schatz im Acker und von der Perle auf den gegenwärtigen Augenblick des Findens und die dadurch ausgelöste überwältigende Freude, die den Entschluß des »jetzt oder nie« bewirkt.52 Den Bauern, der den Schatz, und den Kaufmann, der die Perle findet, könnte man in ihrer rigorosen Entscheidung mit den biasta‡, den »Gewalttätigen«, vergleichen, die »die Gottesherrschaft« – jetzt oder nie – »an sich reißen«.53 Auch daß diese »den Kindern gehört« und daß man sie »annehmen muß wie ein Kind«, vertrauensvoll, begeistert und ohne alle Berechnung, um in sie »einzugehen«, ist im Blick auf die gegenwärtigen Zuhörer gesagt.54 Seinem einfachen galiläischen Auditorium, ganz überwiegend Bauern, Fischer und Handwerker, stellt Jesu so in der ihnen zugänglichen Form des māšāl, des Bildwortes und des Gleichnisses, unter Beispielen, die aus ihrer Lebenswelt stammen, die endzeitliche Realisierung der Herrschaft Gottes vor Augen, die sich bereits in seinem Wirken in Wort und Tat zeichenhaft vorbereitet, ja wirklich »ereignet«, und die zugleich auf ihre wunderbare Vollendung in naher Zukunft verweist. Obwohl auch Jesus ganz selbstverständlich in der mythischapokalyptischen Welt der jüdisch-galiläischen Landbevölkerung mit ihrem Wunderglauben, Engeln und Dämonen, ihrem Dualismus und ihren bizarren Zukunftsvorstellungen lebt, tritt bei ihm alle ungeduldige Berechnung, alle detaillierte apokalyptisch-phantastische Illustration und esoterische Neugier zurück, ja, er lehnt diese direkt ab.55 Es geht allein um die unverdiente »Heimsuchung«, um die Restitution seines Volkes, ja aller Menschen, durch Gottes väterliche Liebe, die Schuld vergibt und neues gottgemäßes Leben schenkt, weil nur »der gute Baum gute Früchte hervorbringen kann«56. Die Näherbestimmung der Gottesherrschaft als die ganz Israel einladende »Epiphanie« der Güte des Vaters wird auch in dem eigenartigen Tatbestand sicht51 Mk
4,32; vgl. Lk 13,19 = Mt 13,32; vgl. Ez 17,23; 31,6; Dan 4,10–12.18–20 (LXX und Theodotion). 52 Mt 13,44–46, vgl. als Gegenbeispiel Mk 10,21. S. dazu Jeremias, Gleichnisse, 199 f.: »Die entscheidenden Worte sind … üpÖ tö“ carô“ (V. 44)«, das heißt »die große, alles Maß übersteigende Freude« (Hervorhebung J. J.). 53 Mt 11,12, s. o. S. 337. 54 Mk 10,14 f. = Lk 18,16 f. = Mt 19,14 und 18,3, vgl. EvThom 22. 55 Lk 17,20 f.; 19,11; vgl. Mk 13,5 parr.; 13,28–32 parr. 56 Lk 6,43 f. = Mt 7,16 ff.; vgl. Mk 11,13.20 f.; Lk 13,6 ff. Hier stoßen wir auf eine Metaphorik, die dann für Paulus wesentliche Bedeutung gewinnt, vgl. Röm 6,21 f.; Gal 5,22.
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bar, daß Jesus trotz der häufigen Redeform von der »Königsherrschaft Gottes« gegen die übliche jüdische Sitte von Gott kaum als dem Herrn und König spricht,57 sondern ihn vertraulich ’abbā’, »(lieber) Vater«, nennt und seine Jünger ermächtigt, mit dieser Anrede Gott zu bitten. So läßt ihn Markus in Gethsemane sein Gebet mit dem Ruf beginnen: »Abba, Vater, alles ist dir möglich, laß diesen Kelch an mir vorübergehen …«58. Diese familiäre Bezeichnung Gottes wird der frühesten nachösterlichen Gemeinde und ihren ersten Boten aus dem Kreis der »Hellenisten« so wichtig, daß diese die aramäische, vertrauliche und im zeitgenössischen Judentum ungewöhnliche Gebetsanrede »’abbā’« als Ruf der »Freiheit der Söhne Gottes« selbst in die heidenchristlichen, griechisch sprechenden Missionsgemeinden hinaustragen.59 In der Gemeinde in Rom, die Paulus nicht gegründet hat, setzt er den Gebrauch dieser Anrede Gottes ebenso selbstverständlich voraus wie in seinen eigenen Gemeinden, etwa in Galatien. Im Grunde konnte man mit dieser Formel die ganze urchristliche Theologie zusammenfassen. Sie ist einer der vielen Hinweise auf die Kontinuität zwischen Jesus, der Urkirche und den heidenchristlichen Missionsgemeinden und mag unter anderem auch mit dem Gebrauch des Vaterunsers in allen Gemeinden zusammenhängen. Das Gebet, das Jesus seine Jünger lehrte, begann in seiner ursprünglichen lukanischen Form mit dem bloßen Vokativ p›ter, das heißt in der Sprache Jesu mit »Abba«. Die matthäische Fassung »unser Vater im Himmel« gleicht sich an die vertraute jüdische Gebetssprache an, die uns seit Beginn des 2. Jahrhunderts in rabbinischen Texten begegnet.60 Heilsgegenwart und Heilszukunft hängen in diesem Gebet aufs engste zusammen. Die einzige Ausnahme, wo auch die Bezeichnung »Herr« erscheint, ist der Jubelruf Jesu:61
57 Mt 5,35: Jerusalem als die p·li“ … toú meg›lou basilfiw“, fällt ganz aus dem Rahmen des Sprachgebrauchs der Evangelien. Man kann sich hier fragen, ob dies nicht typisch matthäische Diktion ist, vgl. die Gleichnisse 18,23 ff. und 22,1 ff., s. Klaus W. Müller, König und Vater, in: Hengel / Schwemer (Hg.), Königsherrschaft (S. 406 Anm. 1), 21–43 (27). S. auch die erweiterte Vaterunserfassung Mt 6,9 u. Anm. 60. Zu Lk 10,21 = Mt 11,25 f. s. u. Anm. 61. 58 Mk 14,36: ûAbba, ¨ patflr, Lk 22,42 hat dafür den Vokativ p›ter, Mt 26,39: p›ter mou. Vgl. Lk 10,21 f. par. 59 Röm 8,15 ff. Gal 4,5 f. S. Hengel, Abba; s. u. S. 457. 60 Lk 11,2; Mt 6,9 gleicht an die verbreitete Gebetsanrede ’ābînû / ’ābikhäm šäbaš-šāmajîm an, die stärker distanziert. Zur matthäisch-rabbinischen Formel s. Heinemann, Prayer, 150.190 und Bill. I, 393 ff. Die Bitte eines Jüngers in Lk 11,1: »Lehre uns beten, wie auch Johannes seine Jünger gelehrt hat«, könnte ein Hinweis darauf sein, daß Jesus dieses Gebet im Unterschied zu den Täufergebeten formulierte. Grundlegend Jeremias, Abba, 1–67; vgl. auch Philonenko, Vaterunser, und Hengel, Abba. 61 Lk 10,21 = Mt 11,25 f., wörtlich fast gleichlautend. Der Gebetsruf läßt sich mühelos ins Hebräische oder ins Aramäische zurückübersetzen, s. Jeremias, Theologie, 33. S. auch o. S. 392 zur Form dieses Dankgebets Jesu.
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IV. Jesu Auftreten und Verkündigung
»Ich preise dich Vater, Herr des Himmels und der Erde, daß du dies vor den Weisen
und Klugen verborgen hast und hast es den Unmündigen geoffenbart, ja Vater, daß es so vor dir Gefallen fand.«
Die Einladung Jesu in die Gottesherrschaft wird von dem einfachen, ungebildeten Volk gehört, denn Gott erweist sich darin als ihr Vater, daß er ihre Ohren öffnete, im Gegensatz zur Verstockung der einflußreichen religiösen und politischen Repräsentanten des Volkes. Das galt schon für Jesu Auftreten in Galiläa und deutet bereits dort auf eine entstehende Krise hin.62 Dahinter steht der Gedanke von Gottes freier Erwählung, der schon in Qumran bedeutsam war und später bei Paulus und Johannes eine zentrale Rolle spielt.
13.3 Gottes Herrschaft und Gottes Gebot Auch Jesu »ethische« Predigt steht ganz unter dem Vorzeichen der »sich realisierenden Gottesherrschaft« und wird nur von dieser her verständlich. Von einer »Ethik Jesu« als einer selbständigen, aus seiner Gesamtbotschaft ausgrenzbaren Größe sollte man nicht sprechen. Schon das Vaterunser63 zeigt, daß die erste Bitte, das heißt die Heiligung des Gottesnamens (und nach der erweiterten Version des Matthäus auch die dritte Bitte um die Realisierung des Gotteswillens), untrenn bar mit dem Kommen des Reiches verbunden ist. Wo dies durch Gottes Wunder geschieht, und das bedeutet, wo Jesu Botschaft gehört wird und glaubenden Gehorsam findet, kann es für den Betroffenen bereits Gegenwart werden. Dabei ist in dieser doppelten (bzw. dreifachen) Bitte Gott selbst handelnde Person: Nur er selbst kann seine Heiligkeit offenbaren,64 sein Reich kommen lassen, nur er selbst kann bewirken, daß sein heiliger Wille wirklich geschieht. Es handelt sich bei der ersten Bitte des Vaterunsers um ein Passivum divinum, das sich einerseits auf die endgültige Durchsetzung der Gottesherrschaft bezieht, aber zugleich schon für die Gegenwart gilt. Auch die zweite Bitte um das »Kommen des Reiches« ist darum nicht ausschließlich futurisch zu verstehen. Gott will als Vater schon hier und jetzt als der eine bekannt und geliebt werden und verkündigt dies durch Jesu Wort und Tat. Mk 12,28 ff. verbindet dementsprechend den Text des Sh ema‛ Jiśrā’el, das Bekenntnis zu dem einen HERRN und Gott,65 mit dem 62 Vgl.
Mk 2,17; Mt 22,1 ff. = Lk 14,16 ff.; s. auch Joh 7,48 f. dazu Jeremias, Theologie, 192; Philonenko, Vaterunser, 44 ff.51 ff. 64 O. Procksch, ThWNT I, 113: »Das logische Subjekt der Heiligung ist einzig und allein Gott, nicht der Mensch« (Hervorhebung O. P.), mit Verweis auf Ez 20,41; 38,16. Vgl. Ez 36,22–28: Gott wird seinen Namen heiligen, die Exulanten zurückführen, sein Volk reinigen, ihm ein neues Herz und seinen Geist geben, daß sie seine Gebote halten und im Lande wohnen können. S. dazu Meier, Marginal Jew II, 296 f.; Pitre, Jesus, 140 ff. 65 Mk 12,29: k‚rio“ ¨ qeÖ“ ™mùn k‚rio“ eï“ †stin = ’ adonāj ’ähād: s. Dtn 6,4 und vgl. dazu die Einleitung Ex 20,2; Dtn 5,6. 63 S.
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doppelten Liebesgebot der Gottes‑ und Nächstenliebe, das über allen anderen Geboten steht.66 Da Gott als Schöpfer und Erhalter der Welt seine Güte ohne Vorbedingung gegenüber allen Menschen erweist, »seine Sonne aufgehen läßt über Böse und Gute und regnen läßt über Gerechte und Ungerechte«67, mutet er bei der Realisierung seiner Herrschaft denen, die sich durch Jesus einladen lassen, auch radikalen Gewaltverzicht und die Feindesliebe zu: »Werdet barmherzig, wie euer Vater barmherzig ist.«68 Sie sollen sich zu ihren Mitmenschen, einschließlich ihrer Feinde, so verhalten wie Gott zu seinen Geschöpfen, die Sünder eingeschlossen, die er in väterlicher Liebe »heim-sucht« und die er zur Umkehr, das heißt zur Annahme der Vergebung ihrer Schuld und zu einem neuen Leben, führen will. Die Tora wird an dieser durch das Verhalten des Vaters begründeten Grundforderung gemessen und ausgelegt. Jesus war als galiläischer Jude gewiß kein ostentativer Gesetzesbrecher. Doch dort, wo bestimmte Forderungen der Israel am Sinai gegebenen Tora und durch sie begründete Konventionen der kasuistischen Lehrtradition der Erfüllung des Liebesgebots oder dem Ruf der Gottesherrschaft entgegenstanden, mußten sie zurücktreten. Daraus ergaben sich die Konflikte, wie die Erzählungen von Sabbatheilungen69 oder das Streitgespräch wegen des Ährenraufens der Jünger zeigen.70 Die in diesem Zusammenhang geäußerte Berufung Jesu auf David, der die JHWH geweihten Schaubrote aß,71 die nur die geweihten Priester im Heiligtum essen dürfen, ist ein indirekter Hinweis auf seine messianische Vollmacht. Nicht nur die wohl nicht seltenen Auseinandersetzungen über die Grenzen des Sabbatgebots,72 auch Jesu Ruf an einzelne, ihm nachzufolgen und ihre Familie zurückzulassen, ja um der Gottesherrschaft 66 Vgl. Mk 12,28–32 und die unabhängige Überlieferung Lk 10,25–28 mit der Interpretation Mt 22,34–40 und ihrer rabbinisch klingenden Formulierung, nach der Matthäus im Doppelgebot die Zusammenfassung der ganzen Schrift sieht. Da Matthäus nicht mehr zugeben kann, daß ein Schriftgelehrter von Jesus gelobt wird, übernimmt er aus Lk 10,25–28 den nomik·“, der Jesus versucht (peir›zwn a§t·n, Mt 22,35). S. weiter auch die Goldene Regel Lk 6,31 und ihre Deutung Mt 7,12. 67 Mt 5,45, vgl. Lk 6,35. 68 Lk 6,36; zur Wortbedeutung s. u. S. 435. Vgl. auch Mt 5,48, wo das lukanische o¢kt‡rmwn durch ein tfileio“ ersetzt wird, das Matthäus auch in 19,21, der Erzählung vom »reichen Jüngling«, gegenüber der Markus-Vorlage einfügt. 69 Mk 3,1–6 = Lk 6,6–11 = Mt 12,9–14; Lk 13,14–17; 14,1–6; Joh 5,9–16; 9,14–17. 70 Mk 2,23–28 = Lk 6,1–5 und Mt 12,1–8 mit dem zusätzlichen Hinweis auf die Priester im Tempel und dem Zitat Hos 6,6; vgl. auch 1 Sam 15,22. 71 1 Sam 21,2–7. 72 Hier werden in den Evangelien keine akuten Gemeindeprobleme mehr angesprochen, die ganze Briefliteratur zeigt vielmehr, daß in den überwiegend heidenchristlichen Gemeinden die Sabbatheiligung kein bedrängendes Problem mehr war. Die Sabbatheilungen und ‑diskussionen weisen auf Jesu Verhalten im Mutterland zurück.
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IV. Jesu Auftreten und Verkündigung
willen Gebote der Pietät, die zum 4. Gebot gehören, zu mißachten,73 das heißt Handlungen, durch die er bewußt provozierte, sind in diesem Zusammenhang zu sehen. Ähnliches gilt von seiner Distanz gegenüber den Reinheitsgeboten. So kann er den Grundsatz äußern: »Nichts, was von außen her in den Menschen eingeht, kann ihn unrein machen, sondern was aus dem Menschen hervorkommt, das ist es, was den Menschen unrein macht«74, denn es macht den Inhalt seines Herzens offenbar. »Denn wes das Herz voll ist, des geht der Mund über.«75 Es ist kein Zufall, daß die ganze Problematik der Ritualgesetze in der Evangelientradition weitgehend zurücktritt. Am ehesten erscheint sie noch bei Johannes, doch hier aus ganz anderen, christologischen Gründen.76 Die Beschneidung spielt überhaupt keine77 und die für das zeitgenössische Judentum so wesentliche Reinheitsfrage nur eine relativ geringe Rolle.78 Im Blick auf die alles verändernde Nähe Gottes wurde der ganze Bereich des Ritualgesetzes, der, wie jetzt 4 QMMT, der Brief des Lehrers der Gerechtigkeit an den gottlosen Priester, zeigt, die jüdischen Religionsparteien prägte und spaltete,79 zweitrangig. Auch dieses rituelle Desinteresse verbietet es, eine zu enge Verbindung zwischen dem messianischen Profeten Jesus aus Galiläa und priesterlich geprägten, streng auf rituelle Reinheit ausgerichteten Essenern in Judäa zu konstruieren.80 Gottes Ankunft will die ursprüngliche, gute Ordnung der Schöpfung wiederherstellen, die durch den Fall des ersten Menschenpaares zerstört wurde. Wer die Gottesherrschaft ernsthaft sucht, steht nicht mehr unter dem Fluch und der Sklaverei der Sorge.81 Die weisheitliche Form der Argumentation in der kunstvollen Sprachkomposition über das Nicht-Sorgen mit dem Verweis auf die
73 S. o.
S. 364 f. 7,15 = Mt 15,11, vgl. Lk 10,8. Zur Form s. o. S. 394. Auch bei seinen Mahlzeiten »mit Zöllnern und Sündern« wird er nicht nach der Kašrut und der strengen Einhaltung der Speisevorschriften gefragt haben. S. dazu Deines, Steingefäße, 270 f. Anm. 563. 75 Lk 6,45; Mt 12,34b, vgl. 35–37. 76 Joh 2,6; 3,25; 4,9; 13,8–10; 15,3; 18,28; 19,31. 77 Sie erscheint nur im Zusammenhang mit der Beschneidung Jesu Lk 2,21 f. und als Argumentationshilfe Joh 7,22 f. Dies fällt auf, da sie in der Apostelgeschichte und den Paulusbriefen ein wesentlicher Streitpunkt ist. Die Evangelientradition der Synoptiker dürfte überwiegend älter sein als die Auseinandersetzungen, die in Apg 10; 11,1–18; 15 und Gal 2 beschrieben werden. 78 Jesus kümmert sich nicht darum, daß er durch die Berührung mit der blutflüssigen Frau rituell unrein wird, s. Mk 5,25–34; er gibt jedoch dem Aussätzigen, den er trotz seiner Unreinheit ebenfalls berührt (Mk 1,41), den Befehl, sich dem Priester zu zeigen (1,44) und den nach Lev 14,2 ff. gebotenen Reinigungsritus mit Vogelopfer zu vollziehen. S. jedoch den Vorrang der Versöhnung mit dem persönlichen Gegner vor der Opferdarbringung Mt 5,23 f. 79 Vgl. Qimron / Strugnell, Miqsat Ma‛aśe ha-Torah. S. o. S. 141. 80 S. M. Hengel, Les manuscrits de Qumrân et les origines chrétiennes, CRAI 2003, 41–51. 81 Lk 12,22–31 = Mt 6,25–33, vgl. Gen 3,17–19. 74 Mk
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(unreinen) Raben,82 die Gott wunderbar nährt, und die Lilien auf dem Felde, die Gott überaus kostbar kleidet, sollte uns nicht darüber hinwegtäuschen, daß Jesus mit der rigorosen Absage an alles Sorgen der von der traditionellen Weisheit gebotenen materiellen Vorsorge und Lebensklugheit widerspricht.83 Gott selbst sorgt als Schöpfer und Erhalter für seine Geschöpfe. Kein Sperling, der so wenig wert ist, daß man fünf um zwei As kauft, ist bei Gott vergessen, ja, alle Haare auf dem Haupte eines Menschen sind gezählt.84 Um der Wiederherstellung von Gottes Schöpfung willen können auch Bestimmungen der Tora in Frage gestellt werden. So ist die Entlassung der Frau durch einen Scheidebrief ein Zugeständnis Moses an die »Herzenshärtigkeit« Israels. Für Gottes gute Ordnung bleibt bestimmend: »Von Anfang der Schöpfung an hat Gott sie als Mann und Frau erschaffen«85. »Darum wird ein Mensch seinen Vater und seine Mutter verlassen und an seiner Frau hängen, und sie werden beide ein Fleisch sein.«86 Das Fazit kann deshalb nur lauten: »Was also Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden.«87 Es muß wohl nicht mehr besonders gesagt werden, daß diese »Anweisungen zum wahren Leben« angesichts der Gegenwart der Güte des Vaters in seiner Schöpfung keine zeitlich beschränkte »Interimsethik« bis zum wirklichen Anbruch der Gottesherrschaft darstellen, wie Albert Schweitzer vermutete,88 sondern den einen wahren und ursprünglichen Willen Gottes von Anfang an zum Ausdruck bringen, der mit seinem Kommen gemäß dem Shema‛ Dtn 6,4 f. oder dem ersten Gebot endlich uneingeschränkt Geltung erhalten wird. Aus dem »Sollen« muß ein neues »Sein« in einer erneuerten Schöpfung werden.89
82 Lk 12,24: toÜ“ k·raka“ ist ursprünglicher als die Version Mt 6,26 tÅ peteinÅ toú o§ranoú. Jesus spricht konkrete Vögel und Blumen an. Zur Unreinheit des Raben s. Lev 11,15 = Dtn 14,14. S. aber auch Ps 147,9 und Hi 38,41: Gottes Fürsorge für die Raben. Zur Form des Lehrgedichts s. o. S. 390 f. 83 Die vorsorgliche Ameise: Prov 6,6–11; vgl. 30,25. 84 Lk 12,6 f. = Mt 10,29–31; vgl. Mt 5,36. 85 Mk 10,2–12 = Mt 19,3–9; Gen 1,27; 5,2 LXX. S. auch u. S. 420 f. 86 Gen 2,24 LXX; Markus zitiert in beiden Fällen wie auch sonst die Septuaginta, das heißt den der römischen Gemeinde vertrauten Bibeltext. 87 Mk 10,9 = Mt 19,6; vgl. Lk 16,18 = Mt 5,32 f.; 1 Kor 7,10 ff. Mk 10,12 spricht zusätzlich entgegen den Geboten der Tora auch davon, daß eine Frau ihrem »Mann d(en) Laufpaß« gibt (Bauer / Aland, WB, 193) und einen anderen heiratet. Das setzt nicht jüdisch-palästinische, sondern römische Rechtsverhältnisse voraus. Matthäus läßt diesen Satz weg, Lk 16,18 korrigiert, vgl. jedoch 1 Kor 7,10. Mt 19,9 und 5,32 gestattet die Scheidung im Fall »der Untreue der Ehefrau« (porne‡a), s. Bauer / Aland, WB, 1389. Das rigorose Verbot Jesu war in der Praxis nicht mehr durchführbar. 88 S. etwa Schweitzer, GLJF, 640; ders., Straßburger Vorlesungen (S. 316 Anm. 110), 420.592: »eine zum Gesetz hinzutretende Interimsethik, die … beim Gerichte zum Eingehen in das Reich berechtigt.« 89 S. dazu u. § 14: »Der Wille Gottes« und § 14.1: »Hören, Tun und Sein«.
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IV. Jesu Auftreten und Verkündigung
13.4 Die Gottesreichsgleichnisse90 Im Grunde ist die ganze Verkündigung Jesu, das heißt auch seine Gleichnisrede, letztlich auf die Gottesherrschaft ausgerichtet, auch dort, wo der Begriff expressis verbis nicht erscheint. Wir finden jedoch bei Markus,91 in der Logientradition,92 vor allem aber im Matthäus-Sondergut93 Gleichnisse, die mehrfach mit ähnlichen einleitenden Formeln94 beginnen, welche direkt auf die basile‡a toú qeoú hinweisen. Die hebräische bzw. aramäische Grundform hat die Bedeutung: »Mit der Gottesherrschaft verhält es sich wie mit einem Menschen, der einen Acker besät …« oder »… einem Sauerteig, den …« oder »… einem Schatz, den …«.95 Das heißt, die Gottesherrschaft wird dabei als Ganzes mit einem lebendigen Vorgang, einem wirklichen Geschehen, nicht nur mit einer Person oder einem Gegenstand verglichen. Dabei kann – wie bereits gesagt – je nach Inhalt stärker die Zukünftigkeit oder die Gegenwart des Reiches betont werden. So ist etwa bei den Gleichnissen vom Fischnetz und vom Unkraut im Acker im Matthäus-Sondergut die Zukünftigkeit evident: Das kommende Gericht bringt die große Scheidung.96 Beide entsprechen in besonderer Weise der Theologie des Evangelisten und sind von diesem bearbeitet, können aber in einer Vorform sehr wohl auf Jesus zurückgehen.97 Auf die »Kontrastgleichnisse« vom Sämann, von der selbstwachsenden Saat, von Senfkorn und Sauerteig haben wir schon hingewiesen.98 In ihnen wird sowohl der gegenwärtige wie der zukünftige Aspekt der Gottesherrschaft sichtbar. Sie werden beherrscht von dem Kontrast zwischen dem unscheinbaren, ja hoffnungslosen Anfang in der Gegenwart des Wirkens Jesu, in der gleichwohl Gottes Herrschaft im ausgestreuten Samen schon Realität ist, und der wunderbaren 90 Zu
den Formen der Gleichnisse s. o. S. 396–405. 4,26.30 f. Dativanfang in 4,30 f. mit vorangestellter Frage. S. dazu o. S. 403 f. 92 Mt 13,33 = Lk 13,20 f. 93 Mt 13,24.44 f.47; 20,1. Matthäus hat zum Teil die Tendenz, Sprachformen Jesu nachzuahmen. Es ist auffallend, daß Matthäus in der Regel den Dativanfang und kein Beispiel für den Nominativanfang hat. Bei Lukas ist es eher umgekehrt. 94 Die Grundform ist: ¨mo‡a †stÑn ™ basile‡a toú qeoú Æ“ … S. o. S. 404. 95 Mt 13,24.33.44. Zur Form s. o. S. 405. 96 Mt 13,47–50.36–43. 97 Das Gleichnis vom Unkraut im Acker könnte eine Weiterentwicklung des Gleichnisses von der selbstwachsenden Saat Mk 4,26–29 sein, s. o. S. 415 Anm. 50. Lukas und Matthäus übernehmen dieses sicher ursprüngliche Gleichnis nicht, da es im Vergleich mit anderen Saatgleichnissen zu schlicht ist und daher als überflüssig erscheint. Die Gleichnisse im MatthäusSondergut behandeln relativ häufig das Motiv des Gerichts und weisen mehrfach eine stärkere redaktionelle Prägung auf, z. B. Mt 18,23–35; 25,1–13.31–46; s. auch den Vergleich von Mt 22,1–14 mit Lk 14,16–24 und Mt 25,14–30 mit Lk 19,12–27. 98 S. o. S. 412. 91 Mk
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Fülle der nahen Vollendung. Das Wirken Jesu und der volle Anbruch des Reiches entsprechen sich wie Anfang und Ende, Aussaat und Ernte. Im Kontrast wird zugleich die Kontinuität sichtbar. Beim Gleichnis von der selbstwachsenden Saat zeigt Jesus, daß das Reich nicht von menschlicher, etwa zelotischer Aktivität abhängig ist: »Von selbst bringt die Erde Frucht.«99 Die malkût kommt nach der Aussaat ohne Zutun des Bauern wie die Ernte, wenn das Getreide reif ist, allein durch Gottes Wunder. Einige Reich-Gottes-Gleichnisse betonen freilich auch die ganz auf den gegenwärtigen Augenblick bezogene spontane Wirkung der Predigt Jesu, so etwa die Erzählung vom Schatz im Acker und das Gleichnis von der Perle. Der Pflüger sieht schon jetzt den von ihm entdeckten Schatz, der Kaufmann die Perle als Realität unmittelbar vor sich, es ist kein zukünftiges Gaukelspiel. Darum müssen sie sich ohne Verzug jetzt entscheiden, ihr Hab und Gut dransetzen. Beide tun es, ohne zu zögern; von der Freude über den Fund überwältigt, können sie gar nicht anders handeln.100 Dabei wird rationale Überlegung nicht ausgeschlossen. Sie findet sich im Gleichnis vom ungetreuen Haushalter, der unverhofft Rechenschaft ablegen soll und klug für sich vorsorgt,101 und im Doppelgleichnis vom Turmbau und heranziehenden Feind,102 die im Blick auf Jesu Ruf in die Nachfolge vor jener Selbstüberschätzung warnen, die zur falschen Entscheidung führt. Das heißt, alles steht jetzt auf dem Spiel, jetzt ertönt Jesu Ruf als Einladung, jetzt will das Gottesreich gewonnen werden. Es geht um das ®rp›zein der biasta‡, Mt 11,12: Man muß von der Botschaft Jesu gepackt rasch, überlegt und entschlossen zupacken. »Wer sein Leben zu erhalten sucht, der wird es verlieren, wer es aber aufs Spiel setzt um meinetwillen, der wird es gewinnen.«103 Denn »wer die Hand an den Pflug legt und blickt zurück, der ist nicht geschickt zum Reiche Gottes.«104
13.5 Die Zukünftigkeit des Reichs Sie tritt uns, wir wiesen darauf hin, in der zweiten Vaterunserbitte entgegen, Lk 11,2 = Mt 6,10: †lqfitw ™ basile‡a sou. Die Jünger können dieses »Kommen in Kraft«105 allein von Gott erbitten. Sie erwarten nicht wie die Zeloten oder 99 Mk
4,28: a§tom›th ™ gö karpoforeõ. S. 412. 101 Lk 16,1–8 (Sondergut). 102 Lk 14,28–32 (Sondergut). 103 Mt 10,39; 16,25; Lk 17,33. 104 Lk 9,62 (Sondergut). 105 Mk 9,1: … ∫w“ ¥dwsin tÉn basile‡an toú qeoú †lhluquõan †n dun›mei. Lukas läßt dieses entscheidende ≤rcesqai †n dun›mei weg. Bei ihm redet Jesus nicht nur die Jünger, 100 S. o.
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IV. Jesu Auftreten und Verkündigung
einzelne spätere rabbinische Lehrer, daß sie dasselbe durch eigene Aktivität oder vollkommenen Gehorsam, etwa beim Sabbatgebot, beeinflussen oder gar das Ende selbst »herbeidrängen« oder beschleunigen könnten.106 Freilich ist dieses Kommen nicht allein auf das endgültige Kommen »in Kraft« beschränkt: Die malkût kann auch zum einzelnen kommen, wenn er, von Jesus gerufen, ihm nachfolgt und sich in den Dienst der anbrechenden Gottesherrschaft stellt. Das heißt, es besteht hier zugleich ein direkter Gegenwartsbezug. Auch jede apokalyptische Vorausberechnung ist unmöglich: »Das Reich kommt nicht mit der (kalkulierbaren) Beobachtung äußerer Vorzeichen«107; selbst der Sohn weiß die Stunde nicht, »sondern nur der Vater«.108 Vor allem die beliebte Metapher in den Gleichnissen vom Freudenmahl in der Gottesherrschaft blickt zunächst einmal in die Zukunft. Am Ende des letzten Mahls spricht Jesus seine Jünger direkt daraufhin an und verweist sie hier auf ein Geschehen, das jenseits seines bevorstehenden Todes liegt.109 Dieses Mahl beschränkt sich nicht nur auf die Anhänger Jesu und Israel, es ist eine universale Größe: »Und sie werden kommen von Osten und Westen, von Norden und Süden und in der Gottesherrschaft zum Mahle liegen.«110 Dieses Bild, verbunden etwa mit dem Hinweis auf das Trinken des Weines, zeigt gleichzeitig, daß Gottes Reich eine Realität, keine spiritualistische Seelenheimat ist. Jesus setzt – wie seine pharisäischen Zeitgenossen im Gegensatz zu den Sadduzäern – die Auferstehung des Leibes voraus. Daß Familiengründung und Fortpflanzung entfallen, ergibt sich daraus, daß die Folgen des Sündenfalls überwunden sind: Der Tod hat seine Macht endgültig verloren, die ursprüngliche Gottesgemeinschaft ist wiederhergestellt. Die realistische Eschatologie des sondern »alle« (9,23) an und bezieht die Gottesherrschaft auf die Zeit der Kirche nach Ostern; dazu Schürmann, Lukasevangelium, 550 ff. Mt 16,28 spricht dagegen vom Kommen des Menschensohns »in seiner Königsherrschaft«; vgl. V. 27 und 25,31. 106 Hengel, Zeloten, 127 ff. Einzelne Rabbinen warnten davor, das von Gott festgesetzte Ende »wie in den Tagen von (Eleazar ben) Dinai« (s. o. S. 95.97) oder des »Ben Kosiba« durch gewaltsame Erhebung gegen die Weltmacht »herbeidrängen« zu wollen. Alle, die dies versuchten, »kamen zu Fall« (129). 107 Lk 17,20: o§k … metÅ parathrflsew“. Zur Angabe solcher Vorzeichen s. die Vitae Prophetarum, die sehr vielen alttestamentlichen Profeten solche »Weissagungen« zuschreiben, wobei diese den Prodigienreihen in den Sibyllinen und bei Josephus, aber auch bei Lukas zum Teil ähneln. A. Prieur, Die Verkündigung der Gottesherrschaft. Exegetische Studien zum luka nischen Verständnis von basile‡a toú qeoú, WUNT II / 89, Tübingen 1996, 255 f. hält dagegen die Ablehnung von »Beobachtung möglicher Vorzeichen« für die falsche Lösung, es gehe nur um die »Zurückweisung der Meinung, ›das Kommen … der Gottesherrschaft müßte… sich an erkennbaren … Phänomenen ausweisen lassen‹« (mit Hinweis auf Balz, EWNT III, 82). Das ist unseres Erachtens viel zu modern-abstrakt gedacht. 108 Mk 13,32 = Mt 24,36; vgl. Apg 1,6 f. 109 Mk 14,25; vgl. dazu o. S. 415 Anm. 45. 110 Lk 13,29; vgl. Mt 8,11.
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frühen Christentums mit ihren chiliastischen Zügen geht im Grunde auf Jesus zurück.111 Weiter wird dieser Zukunftsbezug in der festen Formel ausgedrückt: »in die Gottesherrschaft eingehen«, die zum Teil austauschbar ist mit »ins (ewige) Leben eingehen« bzw. das »Leben erben«.112 In den griechisch sprechenden Missionsgemeinden wird die Redeform vom »ewigen Leben« die von der Gottesherrschaft langsam verdrängt haben. Auch Paulus konnte noch formelhaft davon sprechen, daß schwere Sünder »die Gottesherrschaft nicht erben können«113, doch überwiegt jetzt die Rede vom »ewigen Leben« bei weitem. Dies gilt erst recht für den vierten Evangelisten.114 Die zukünftige Gottesherrschaft erscheint so bei den Synoptikern und bei Jesus selbst115 als die erneuerte, heilvolle Schöpfung Gottes und die Gemeinschaft mit ihm, in die man aufgenommen wird oder aber draußen bleiben muß. Auch hier wird eine sachliche Kontinuität zwischen der Predigt Jesu, der Verkündigung der Urgemeinde und dem Glauben der überwiegend heidenchristlichen Missionsgemeinden sichtbar.116 Die ältere lukanische Form der Seligpreisungen zu Beginn der Feldrede, Lk 6,20 ff., versteht sie als gegenwärtige und zukünftige Heilsgabe: »Selig (ihr), die Armen, denn euch gehört die Gottesherrschaft«, das heißt schon jetzt; dagegen wird in der Spannung zwischen Gegenwart und Zukunft in den beiden folgenden Preisungen der futurische Charakter deutlich hervorgehoben: »Selig, die jetzt hungern, denn ihr werdet satt werden; selig, die jetzt klagen, denn ihr werdet lachen.«117 Durch die eindeutige Zusage: »die Gottesherrschaft ist euer«, ist sie den Glaubenden als Gottes Gabe bereits jetzt gegenwärtig und gewiß. Jesu Zusage schafft unverbrüchliche Heilsgewißheit. Die erweiterten acht‑ (bzw.
111 Mk 12,18–25; vgl. Gen 2,17.25; 3,6 f. und 3,19–24. Die Familiengründung erfolgt erst nach dem Fall Gen 4,1 ff. und führt zum Brudermord. Zum eschatologischen Realismus s. auch Apk 19,2; 22,2 und o. S. 415 Anm. 47. 112 Vgl. Mk 9,43–47 = Mt 18,8 f.; Mk 10,17 = Lk 18,18 = Mt 19,16, vgl. Lk 10,25. 113 1 Kor 6,9 f.; Gal 5,21: schwere Sünder; 1 Kor 15,50: Fleisch und Blut. 114 Bei Johannes begegnet die basile‡a nur noch zweimal (3,3.5; vgl. noch 18,36 die Herrschaft Christi), zwfl dagegen 36mal und 13mal in den Briefen. Paulus hat die basile‡a Gottes bzw. Christi nur noch achtmal, zwfl dagegen in den echten Briefen 26mal. 115 Mk 9,47: e¢selqeõn e¢“ tÉn basile‡an toú qeoú, vgl. 10,23–25 = Lk 18,24 f. = Mt 19,23 f.; vgl. auch Mt 5,20; 7,21; 18,3; weiter Mt 25,34: klhronomflsate tÉn … basile‡an, oder die Gottesherrschaft »ererben«, Mk 10,17, vgl. 9,43.45. 116 Lk 13,28. Mt 8,11 f. versetzt dieses Logion in die Erzählung vom Hauptmann von Kapernaum und macht daraus ein Paradigma für die Heidenmission und gegen das alte Israel: »Die Söhne der basile‡a werden hinausgeworfen werden in die äußerste Finsternis.« 117 Lk 6,20: Ωti ≠metfira †stÑn ™ basile‡a toú qeoú. Es heißt nicht ≤stai. Marcion verallgemeinert. Er beseitigt dadurch den Anredecharakter und die eschatologische Spannung, macht aus dem ≠metfira ein a§tùn und läßt in V. 21 das zweimalige nún weg: s. A. v. Harnack, Marcion, 191*f.
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IV. Jesu Auftreten und Verkündigung
neun‑)fachen Makarismen des Matthäus haben eine ähnliche, Gegenwart und Zukunft umgreifende Struktur.118 Der Anbruch entspricht apokalyptischer Erwartung: Zusammen mit dem Reich wird der Menschensohn als Richter und Heilsbringer offenbar.119 Er kommt unerwartet und plötzlich wie der Blitz, wie die Flut in den Tagen Noahs, wie das Feuer über Sodom und Gomorra.120 Man kann diesem Ereignis weder entrinnen noch sich absichern: Wenn es kommt, ist es allgegenwärtig.121 Die vorausgehende Gegenwart, in der mit Jesu Wirken die basile‡a verkannt und verborgen am Werke ist, erscheint dagegen als die Zeit des Heilsangebots, der Einladung zum Glauben und Nachfolgen, aber zugleich auch der Bewährung, der Krise und der Scheidung. Neu sind in der Reichsverkündigung Jesu vor allem zwei Punkte: Einmal die Redeform vom »Kommen der Gottesherrschaft« oder vom »Ein gehen in die Gottesherrschaft« bzw. dem »Ererben« derselben, die im Judentum keine wirklichen Parallelen besitzt. Es zeigt sich hier die schöpferische Kraft der Sprache Jesu, die uns auch in den Gleichnissen begegnet. Das zeitgenössische apokalyptische Judentum und vor allem später die Rabbinen sprechen in diesem Zusammenhang in der Regel vom »kommenden Äon« im Gegensatz zu »diesem Äon«122 – eine Formel, die nur vereinzelt in den Evangelien auftaucht, so daß es fraglich ist, ob sie schon zur Sprache Jesu gehörte.123 Umgekehrt erscheint in den jüdisch-apokalyptischen Texten der Begriff »Gottesherrschaft« expressis verbis relativ selten. Das heißt, Jesus kann von der basile‡a wie von einer fest umrissenen Größe, einem »Herrschaftsraum« oder Reich sprechen, in das man hineingehen, hineinkommen, an dem man Anteil erhalten kann, das aber auch, wie im Vaterunser, zu uns kommen soll und dabei schon jetzt wirksam ist. Zum anderen geht es um die Menschen, denen der Zugang zum Reich verheißen wird. Er gilt vor allem den Armen und religiös Deklassierten bis hin zum »Abschaum der Gesellschaft«, den Besessenen, Aussätzigen, Kranken, offenbaren Sündern, Zöllnern und Dirnen. Darum wird Jesus auch als »Kumpan der Zöllner und Sünder« diffamiert.124 Der strenge erste Evangelist unterstreicht dies 118 Mt 5,3–11. V. 11 ist dabei eine ausführliche Explikation der achten Seligpreisung V. 10. Die erste und die achte entsprechen sich durch die kategorische Zusage: Ωti a§tùn †stin ™ basile‡a tùn o§ranùn. VV. 4–9 haben nach der Preisung der gegenwärtigen Existenzform die Verheißung im Futur. 119 Mk 8,38; 9,1; 13,26 f. parr. 120 Lk 17,24 ff. 121 Lk 17,34 ff. S. dazu Hengel, KS III, 399–410. 122 ¨ a¢án ¨ †rc·meno“ oder ¨ mfillwn: ‛ôlām hab-bā’; das Gegenstück: ¨ a¢án oñto“: ‛ôlām haz-zäh. 123 Mk 10,30 = Lk 18,30; Lk 16,8 (Sondergut); 20,34 (Ergänzung des Lukas); Mt 12,32. Auch bei Paulus fehlt sie: Er spricht nur – in der Regel abwertend – von »diesem Äon«: Röm 12,2; 1 Kor 1,20; 2,6–8 u. ö. 124 Lk 7,34 = Mt 11,19; vgl. Mk 2,16 parr.
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im Anschluß an das Gleichnis von den zwei Söhnen: Die Zöllner und die Dirnen werden im Gegensatz zu den religiösen Führern in Jerusalem in die Gottesherrschaft eingehen,125 denn sie haben der Botschaft des Täufers geglaubt. Jesus wendet sich mit seiner Botschaft vom »Reich« zunächst an die als religiös ungebildet geltende Landbevölkerung Galiläas, den ‛am hā-’āräs. Nach Meinung der Pharisäer Joh 7,49 »ist diese Volksmenge, die das Gesetz nicht kennt, verflucht«.126 Für Jesus ist die Menge »wie Schafe, die keinen Hirten haben«127. Matthäus betont zusätzlich zweimal, daß Jesus nur »zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt« sei.128 Diesen ‛am hā-’āräs meint Jesus mit den Seligpreisungen und mit den Unmündigen in dem Dankgebet Lk 10,21. Von hier aus ist auch das verwandte Logion zu verstehen: »Wer nicht die Gottesherrschaft annimmt wie ein Kind, wird nicht in sie eingehen.«129 Es sind die Kinder, die der basile‡a gewiß sein dürfen, darum soll man sie nicht abwehren, sondern zu ihm bringen, daß er sie segnend berühre.130 Das »Eingehen in die Gottesherrschaft« und, was identisch ist, der Freispruch im Gericht ist gebunden an die Haltung gegenüber Jesus und seiner Botschaft, daß man ihr Vertrauen entgegenbringt und nicht Anstoß an ihr nimmt: »Ich sage euch: Jeder, der sich zu mir bekennt vor den Menschen, zu dem wird sich auch der Menschensohn bekennen vor den Engeln Gottes.«131 Darum gilt grundsätzlich Jesu Antwort an den Täufer: »Selig ist, wer an mir nicht Ärgernis nimmt.«132
13.6 Gottesherrschaft und messianische Vollmacht Jesu Daß dieses Kommen Gottes, seine Herrschaft, sich zeichenhaft schon im Wirken Jesu ereignet und alle apokalyptischen Berechnungen ad absurdum führt, zeigt 125 Mt
21,31: pro›gousin ≠mô“ e¢“ tÉn basile‡an toú qeoú. Vgl. Lk 7,29 f. geht Joh 7,40 ff. eine Spaltung der Volksmenge mit verschiedenen Meinungen über Jesus. Die Pharisäer reagieren darauf mit dem Verdikt (7,49): »Hat etwa einer von den Volksführern oder den Pharisäern an ihn geglaubt?«: ¨ µclo“ oñto“ ¨ mÉ gin„skwn tÖn n·mon †p›rato‡ e¢sin. Johannes wird in dieser polemischen Formulierung (ähnlich wie Matthäus) hier schon die Haltung der nach 70 in Judäa zur geistigen Herrschaft gekommenen Pharisäer voraussetzen. 127 Mk 6,34 = Mt 9,36. 128 Mt 15,24; vgl. 10,6. 129 Mk 10,15 = Lk 18,17. Mt 18,3 ist eine Weiterentwicklung: »Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, werdet ihr nicht in die Herrschaft der Himmel eingehen.« 130 Mk 10,13–16; Lk 18,15 f.; vgl. Mt 19,13 f. S. dazu U. Heckel, Der Segen im Neuen Testament, WUNT 150, Tübingen 2002, 53–59. 131 Lk 12,8, von ihm abhängig und ihn theologisch korrigierend Mt 10,32 (s. u. S. 534 Anm. 176); vgl. auch Mk 8,38 = Lk 9,26. 132 Lk 7,23 = Mt 11,6. S. o. S. 393. 126 Voraus
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IV. Jesu Auftreten und Verkündigung
die Antwort Jesu auf die Frage von Pharisäern, wann diese Herrschaft (endlich) komme: »Die Gottesherrschaft kommt nicht mit der Beobachtung (von Vorzeichen), auch wird man nicht sagen: ›sie ist dort‹ oder ›sie ist hier‹, sondern sie ist mitten unter euch.«133
Dieses vieldiskutierte Logion läßt sich in sinnvoller Weise am besten durch den Bezug auf Jesus selbst erklären: In seiner Person ist sie schon jetzt in der Mitte der Fragenden gegenwärtig (und sie sehen es nur nicht).134 In eine ähnliche Richtung geht der Vorwurf gegen die Zuhörer, die aufgrund der Beobachtung das Wetter voraussagen können: »Heuchler, das Aussehen von Erde und Himmel wißt ihr zu beurteilen. Diese (gegenwärtige) Zeit, warum könnt ihr sie nicht beurteilen?«135
Jesu Wirken hier und jetzt ist der entscheidende kair·“, ihn gilt es zu erkennen, alle beobachtenden und berechnenden Spekulationen über die Zukunft, die zur Zeit Jesu im jüdischen Palästina auf Grund der rätselhaften zeitlichen Angaben der Daniel-Apokalypse verbreitet waren, sind müßig, alles kommt darauf an zu 133 Lk
17,20 f. 17,21: ¢doÜ gÅr ™ basile‡a toú qeoú †ntÖ“ ≠mùn †stin. Die seit Wrede beliebte futurische Deutung »sie wird plötzlich in eurer Mitte sein« läßt sich aus dem Text kaum erheben. Es gibt drei mögliche Übersetzungen von †ntÖ“ ≠mùn, einer Wendung, die nur hier im Neuen Testament belegt ist: Die erste »sie ist in eurem Innern« entspricht dem normalen griechischen Wortgebrauch. Sie ist schon im EvThom 3 und 113 und dem Evangelium nach Maria belegt, dann bei den Kirchenvätern sehr häufig, wo sie vor allem die spirituelle, nicht chiliastische Auffassung vom Gottesreich begründete, und ist durch Luthers Übersetzung »inwendig in euch«, das heißt in euren Herzen, heute noch vertraut, aber sie paßt weder zur Verkündigung Jesu noch zu Lukas. Die zweite Möglichkeit: »sie ist in eurem Bereich, sie steht zu eurer Verfügung« wird seit Tertullian, adv. Marc. 4,35 bis hin zu neueren Kommentaren gewählt, scheint aber als Antwort Jesu an die Pharisäer bei Lukas weniger wahrscheinlich. Die dritte Deutungsmöglichkeit, daß sie im Wirken Jesu in Wort und Tat »mitten unter euch« gegenwärtig ist, entspricht Lk 11,20 par. und der Antwort Jesu auf die Täuferanfrage (Lk 7,22 = Mt 11,5). Sie erscheint sprachlich ungewöhnlich, ist aber nicht unmöglich, denn Aquila gibt Ex 17,7; 34,9 »in unserer Mitte« mit †ntÖ“ ™mùn wieder, während die Septuaginta †n ™mõn und Symmachus †n mfisw ™mùn schreiben; vgl. Aquila ebenso in Ex 34,9 für »in unserer Mitte« †ntÖ“ ™mùn. Euthymius Zigabenus (PG 129, Sp. 1045.1048) erwähnt diese Deutung, Wolff und Bengel haben sie bevorzugt, im 19. Jahrhundert waren es de Wette u. a., heute entscheidet sich die Mehrzahl der Exegeten für diese Lösung. S. Bauer / Aland, WB, 544; ausführlich dazu J. P. Meier, Marginal Jew II, 423–430.477–483; hier S. 483 Anm. 144 eine plausible Rekonstruktion des Jesuslogions und seine Rückübersetzung ins Aramäische. Wahrscheinlich geht das eigenartige †ntÖ“ ≠mùn auf eine vorlukanische Übersetzung des aramäischen Jesuslogions zurück. Vgl. weiter A. M. Schwemer, Das Kommen der Königsherrschaft Gottes (Lk 17,20 f.), erscheint in: Le Jour de Dieu – Der Tag Gottes. 5. Colloque Strasbourg – Tübingen – Uppsala 11–13 Septembre 2006, hg. v. A. Hultgård und S. Norin, erscheint in WUNT. 135 Lk 12,56: tÖn kairÖn dÇ toúton. Die Parallele Mt 16,2 f. von £y‡a“ bis tÅ dÇ shmeõa tùn kairùn o§ d‚nasqe (diakr‡nein) fehlt in den ältesten Handschriften (vgl. auch EvThom 91). Sie ist wohl von Lukas abhängig, spricht aber die christologische Deutung noch klarer aus und muß schon früh in den Matthäus-Text eingedrungen sein. 134 Lk
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verstehen, daß das von Gott verheißene Heil in seinen Worten und Taten jetzt hörbar und sichtbar geworden ist. Am eindrücklichsten wird die Gegenwart des Heils in dem bekannten Kampfwort Jesu zum Ausdruck gebracht, das sich gegen den pharisäischen Vorwurf des Teufelsbündnisses richtet. Es handelt sich um einen Schlüsseltext zum Verständnis der Wirksamkeit Jesu: »Wenn ich aber durch Beelzebul die Dämonen austreibe, wodurch treiben sie eure
Schüler aus? Deswegen werden sie eure Richter sein! Wenn ich jedoch mit Gottes Finger136 die Dämonen austreibe, dann ist die Gottesherrschaft zu euch gekommen.«137 »Gottes Finger« ist Ausdruck der im Handeln Jesu gegenwärtigen Allmacht Got-
tes,138 die als Zeichen seiner jetzt anbrechenden Herrschaft der den Menschen versklavenden Tyrannei der gottfeindlichen Mächte ein Ende bereitet. E. P. Sanders hält nur den ersten Teil der Antwort Jesu mit der Gegenfrage, wie denn ihre eigenen Exorzisten Dämonen austreiben, für ursprünglich, doch dies wäre eine Banalität. Die eigentliche Pointe liegt beim zweiten Logion, das Sanders streichen möchte, um seine Vermutung einer rein futurischen Erwartung Jesu zu retten. Aber eine derartige, ausschließlich zukünftige Reich-Gottes-Hoffnung widerspräche den Aussagen der synoptischen Quellen und nähme der Verkündigung Jesu ihre auffallende Eigenheit, die in diesem Punkt apokalyptischer Eschatologie eher zuwiderläuft, aber im Urchristentum durch die Spannung zwischen Heilsgegenwart und Heilsvollendung weitergeführt wird.139 Die Heilungen und Exorzismen Jesu, durch die die dämonischen Mächte, die den Menschen als Gottes Geschöpf quälen und schänden,140 besiegt werden, sind sichtbare Manifestationen der sich schon jetzt »realisierenden« Herrschaft Gottes. Das unmittelbar darauffolgende dramatische Logion von dem »Stärkeren«, der den »Starken« überwindet und ihm die Beute raubt, erinnert an die Ankündigung des »Stärkeren« durch den Täufer,141 beleuchtet unser Jesuswort und zeigt, daß dieses »messianischen« Charakter hat.142 136 Lk 11,20: †n dakt‚lw qeoú. Mt 12,28 interpretiert theologisch: †n pne‚mati qeoú. Die auffallende Formulierung des Lukas ist sicher ursprünglicher. 137 Lk 11,19 f. = Mt 12,27 f.: … ±ra ≤fqasen †f’ ≠mô“ ™ basile‡a toú qeoú. 138 Die Metapher stammt aus Ex 8,15: Die ägyptischen Zauberer müssen die Überlegenheit der durch Mose gewirkten Strafwunder zugeben. Diese führen jedoch nur zu weiterer Verhärtung. 139 Sanders, Jesus, 137–141, s. auch Index 417; und dagegen Merkel, Gottesherrschaft, 123 f.127 f.137.142–144. Vgl. Lk 10,9: ≥ggiken †fû ≠mô” ™ basile‡a toú qeoú, s. o. S. 407 Anm. 5 f. Dazu M. Hengel, Der Finger und die Herrschaft Gottes in Lk 11,20, in: La Main de Dieu – Die Hand Gottes, ed. R. Kieffer et J. Bergman, WUNT 94, Tübingen 1997, 87–106 = KS V, 644–663; P. W. van der Horst, »The Finger of God«, in: W. L. Petersen u. a. (Hg.), Sayings of Jesus: Canonical and Non-Canonical. Essays in Honour of Tjitze Baarda, NT.S 89, Leiden etc. 1997, 89–103. S. auch das Urteil von Wrede o. S. 408 Anm. 11. 140 Vgl. auch Lk 10,17–20. 141 Mk 1,7 = Lk 3,16 = Mt 3,11. 142 Lk 11,21 f.; vgl. Mt 12,29 = Mk 3,27; EvThom 35.
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IV. Jesu Auftreten und Verkündigung
Die nächste Sachparallele ist die bereits mehrfach erwähnte Antwort Jesu auf die Täuferanfrage: Er bejaht sie nicht einfach, aber sein Tun, auf das er verweist, die Heilungswunder und seine Verkündigung der frohen Botschaft ge genüber den Armen, sprechen, allen vernehmbar,143 für sich. Er ist wirklich »der Kommende«. Die Aufforderung Jesu an die Täuferjünger »geht und verkündet Johannes, was ihr gesehen und gehört habt«144, weist auf die konkrete Wahr nehmung von Fakten hin. Das von uns schon mehrfach zitierte Fazit: »Selig, wer nicht Anstoß an mir nimmt«, gilt auch für den Vorwurf des Teufelsbündnisses. Beide inhaltlich recht verschiedenen Texte interpretieren sich gegenseitig. Hier erheben sich zwei weitere Fragen, einmal nach den »Krafttaten« Jesu und ihrem Verhältnis zu seinem eschatologischen Wirken, zum anderen nach der Vollmacht des endzeitlichen Wirkens Jesu, man könnte auch sagen, nach seinem Sendungsanspruch. Zugleich wird man zugeben müssen, daß Jesu Reich-Gottes-Predigt in Form und Inhalt wie auch sein Verhalten weitgehend aus dem herausfällt, was uns über andere jüdische Lehrer, Wundertäter und Profeten seiner Zeit und nach ihm berichtet wird. Er ist als galiläischer »Lehrer und Wundertäter« ganz sui generis und läßt sich nicht in feste, vorgegebene religionsgeschichtliche Schemata einordnen. Dies gilt im Blick auf das zeitgenössische Profeten‑ und Lehrerbild ebenso wie für die Erwartung eines politisch-messianischen Befreiers.
143 Lk 7,22: poreuqfinte“ üpagge‡late ûIw›nnÔh ¡ e¥dete kaÑ °ko‚sate, s. o. S. 333–336. Zum »Sehen und Hören« vgl. Lk 10,23 = Mt 13,16; s. dagegen Joh 20,29. 144 Lk 7,22 = Mt 11,4.
§ 14 Der Wille Gottes Nach der längeren, erweiterten Matthäus-Fassung des Vaterunsers folgt auf die zweite Bitte um das Kommen des Reiches in 6,10 als dritte: »Dein Wille geschehe wie im Himmel, so auch auf Erden.« Es handelt sich hier um eine Auslegung, die die erste Bitte um Heiligung des Gottesnamens und die zweite Bitte zutreffend ergänzt. Wo Gott seine Heiligkeit offenbart und damit das Reich anbrechen kann, geschieht auch sein Wille. Die Nähe, ja, die Ankunft des Reiches eröffnet zugleich den wahren Willen Gottes, um ihn jetzt auch auf der Erde zu verwirklichen. Gottes heiliger Wille, der sich in der ganzen Schöpfung durchsetzen soll, das heißt nach dem üblichen, fragwürdigen Sprachgebrauch Jesu Ethik, ist – wir sagten es schon – ohne Einschränkung durch das eine Grundthema seiner Verkündigung, die Gottesherrschaft, bestimmt.
14.1 Hören, Tun und Sein Seit der Aufklärung versteht man Jesus gerne als Bringer einer neuen, wahrhaft humanen Sittenlehre. Er erscheint – in Anknüpfung an ein frühkirchliches Verständnis, etwa bei den frühen Vätern und hier insbesondere bei Justin – als neuer Gesetzgeber und vollkommenes Vorbild zugleich. Gemäß der Kantischen Devise: »Allein der gute Wille ist wirklich gut« deutete man Lk 17,21 Jeremias, Theologie, 197 ff.; W. Schrage, Ethik des Neuen Testaments, GNT 4, Göttingen 1982, 21–119; M. Hengel, Jesus und die Tora, ThBeitr 9 (1978), 152–172 = KS V, 352–374; ders., Das Ende aller Politik. Die Bergpredigt in der aktuellen Diskussion, EK 14 (1981), 686–690 und ders., Die Stadt auf dem Berge, EK 15 (1982), 19–22 = KS V, 375–390; G. Strecker, Die Bergpredigt, Göttingen 1984; M. Hengel, Zur matthäischen Bergpredigt und ihrem jüdischen Hintergrund (Rez. G. Strecker), ThR 52 (1987), 327–400 = KS II, 219–292; Wenham, Paulus; Deines, Gerechtigkeit. Mt 6,10: genhqfltw tÖ qfilhm› sou Æ“ ©n o§ranù‘ kaÑ †pÑ gö“. Auffallend ist der Bezug zum Gethsemanegebet Jesu bei Mk 14,36, das mit »Abba« beginnt und mit o§ t‡ †gá qfilw üllÅ t‡ s‚ endet, in dem Markus unseres Erachtens den Matthäus-Zusatz der dritten Bitte voraussetzt. Vgl. 1 Makk 3,60 und Hengel, KS II, 278 ff. S. o. S. 418. Zu Christus als »neuem Gesetzgeber« s. Justin, dial. 12,2; 14,3; 18,3; vgl. Origenes, c. Celsum 2,1–7. Zum »neuen Gesetz« Christi s. Barn 2,6; Justin, dial. 11,4; 12,3; 122,5; Tertullian, praescr. haer. 13,4; adv. Marc. 4,1,4: per novam legem evangelii.
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IV. Jesu Auftreten und Verkündigung
(™ basile‡a toú qeoú †ntÖ“ ≠mùn †stin) im Anschluß an Luthers Übersetzung »das Reich Gottes ist inwendig in euch« auf die innere ethische Geisteshaltung des Menschen. Die Unbedingtheit der konkreten Forderungen Jesu wird dabei als »Gesinnungsethik« umgebogen und entschärft. In Wirklichkeit geht es darin jedoch um die Gegenwart der Gottesherrschaft in der Person Jesu. Man glaubte, da Jesu Forderung – etwa in der Bergpredigt – realiter unerfüllbar sei, komme es nicht so sehr auf das wirkliche Tun als auf die rechte Gesinnung an. Dem widerspricht schroff Jesu Forderung der Tat. So bei Lukas am Ende der Feldrede: »Was nennt ihr mich Herr, Herr, und tut nicht, was ich euch sage?« Es folgt das Schlußgleichnis: »Jeder, der zu mir kommt und hört meine Worte und tut sie, der gleicht einem Men-
schen, der beim Hausbau in die Tiefe grub und das Fundament auf den Felsen setzte … wer aber hört und nicht tut, der gleicht einem Menschen, der ein Haus baute auf die (bloße) Erde ohne Fundament …«.
Auf die Seligpreisung der Mutter Jesu antwortet Jesus mit einer Korrektur: »Vielmehr (sind) selig die, die das Gotteswort hören und befolgen«. »Gotteswort« ist seine Botschaft vom hereinbrechenden Reich und der damit verbundenen Auslegung des göttlichen Willens. Dem entspricht die Zurückweisung der Mutter und Geschwister Jesu und der Verweis auf den Kreis seiner Zuhörer: »Siehe, das sind meine Mutter und meine Brüder. Wer Gottes Willen tut, der ist mir Bruder, Schwester, Mutter.«10 Auf der anderen Seite weiß Jesus, daß, wenn das Auge als »die Leuchte des Leibes … klar« ist, der »ganze Körper leuchtend« ist, während das »böse Auge« den ganzen Körper verfinstert.11 Ebenso gilt: »Denn kein guter Baum bringt schlechte Frucht, und kein schlechter Baum bringt gute
Frucht, denn jeder Baum wird an seiner eigenen Frucht erkannt; man sammelt ja von den Disteln keine Feigen, noch erntet man vom Dornstrauch Feigen.«
S. o.
S. 428. 6,46. Matthäus hat das Wort entsprechend der Situation der Kirche seiner Zeit dann weiter ausgestaltet 7,21–23; vgl. schon Mal 1,6: »Wenn ich der Herr bin, wo ist die Furcht vor mir?« Zur Unerfüllbarkeit der Forderungen des »Evangeliums« s. schon das Urteil des jüdischen Gesprächspartners Trypho bei Justin, dial. 10,2: mhdfina d‚nasqai ful›xai a§t›. Lk 6,47 ff.; vgl. Mt 7,24 ff. Hier könnte Matthäus mit dem Gegensatz Felsen und Sand die ursprünglichere Fassung erhalten haben; s. Jeremias, Gleichnisse, 193 Anm. 4. Lk 11,27 f. (Sondergut); s. o. S. 413. 10 Mk 3,34 f. = Mt 12,49 f. Lk 8,21 vereinfacht: »Mutter und Brüder sind mir die, die Gottes Wort hören und tun.« Jesu Wort wird hier deutlich mit Gottes Wort identifiziert. 11 Lk 11,34–36; vgl. Mt 6,22 f. Zu der dahinterstehenden physiologischen Vorstellung, daß die »Lichtstrahlen vom Auge aus(gehen)«, s. F. Bovon, Das Evangelium nach Lukas, EKK III / 2, Düsseldorf / Zürich / Neukirchen-Vluyn 1996, 210. Zur Auslegung des schwierigen Textes s. op. cit., 206–216. Lk
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Dieses Thema vom Fruchtbringen klingt schon beim Täufer an, verbindet Jesus aber auch mit Paulus, bei dem der Indikativ des heilschaffenden Seins in Christus die Voraussetzung für den Imperativ ist.12 Das Sein begründet das Tun: »Der gute Mensch bringt aus dem guten Schatz des Herzens Gutes hervor, der böse
Mensch aus der Bosheit (seines Herzens) Böses, denn aus der Fülle seines Herzens strömt der Mund über«.13
Darum gilt in deutlicher Distanz zu den Speiseverboten des Ritualgesetzes: Nicht unreine Speise verunreinigt den Menschen, »sondern das, was aus dem Menschen herauskommt.«14 Bei Markus deutet auf die Bitte der Jünger hin Jesus dieses an sich verständliche Wort:15 »Denn aus dem Innern der Menschenherzen kommen böse Gedanken, Unzucht, Raub, Mord …«. Der Evangelist läßt einen langen Lasterkatalog folgen, wie wir ihn auch bei Paulus finden. Man wird hier an die Aussagen des Apostels über die Werke des Fleisches und die Frucht des Geistes in Gal 5,19–23 erinnert. Fast paulinisch klingt auch das generelle Urteil, das die zuhörenden Jünger betrifft: »Wenn ihr, die ihr böse (ponhro‡) seid, es versteht, euren Kindern gute Gaben zu
geben, wieviel mehr wird der Vater vom Himmel her denen, die ihn bitten, den Heiligen Geist geben« (Lk 11,13, vgl. Mt 7,11).
Wenn der Apostel Gal 6,2 vom »Gesetz Christi« spricht, könnte er an Jesu Verkündigung vom gehorsamen Tun anknüpfen, von der seine Paränese in vielem abhängig ist.16
14.2 Das doppelte Liebesgebot17 Im Gegensatz zu der bei uns gängigen ethischen Auffassung beruht für Jesus die Norm des Handelns nicht auf autonomer, allein rational begründeter, vernünftiger Einsicht, sondern auf Gottes Willen und Gebot, wie er Israel in Tora
12 Lk
6,43 f. = Mt 7,16 ff. Zum Täufer s. o. S. 303. Matthäus verbindet dieses Logion mit der Warnung vor den falschen Profeten. Vgl. Röm 6,22; Gal 5,22; Phil 1,11. 13 Lk 6,45. 14 Mk 7,15: tÅ †k toú ünqr„pou †kporeu·men› †stin tÅ koinoúnta tÖn ±nqrwpon, vgl. Mt 15,11, der noch sachlich zutreffend †k toú st·mato“ ergänzt. S. auch o. S. 420. 15 Mk 7,17 = Mt 15,15: tÉn parabolÉn ta‚thn. Bei Matthäus bittet Petrus. 16 Vgl. auch 1 Kor 9,21: mÉ œn ±nomo“ qeoú üll’ ≤nnomo“ Cristoú. Zu Paulus und den Geboten Jesu, insbesondere dem Liebesgebot, s. Wenham, Paulus, 193–217.229–252. 17 A. Nissen, Gott und der Nächste im antiken Judentum, WUNT 15, Tübingen 1974; W. Schrage, Ethik des Neuen Testaments, GNT 4, Göttingen 1982, 69 ff.; G. Theissen, Gewalt verzicht und Feindesliebe, in: ders., Studien zur Soziologie des Urchristentums, WUNT 19, Tübingen 31989, 160 ff.
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IV. Jesu Auftreten und Verkündigung
und Profeten vorgegeben war. Dies schließt die vernünftige Einsicht nicht aus, diese steht aber unter, nicht über Gottes Willen. »Es ist dir bezeugt, Mensch, was gut ist und was JHWH von dir fordert:
nur Recht zu tun und die Güte zu lieben und demütig zu wandeln mit deinem Gott«. (Mi 6,8)
Die »ethische« Forderung Jesu oder besser: das Gottes Herrschaftsanspruch entsprechende Gebot ist »heteronom«, genauer theokratisch begründet. Darin erweist er sich als jüdischer Lehrer. Grundlegend ist für ihn das doppelte Liebesgebot, das sich ja auf die Tora zurückführen läßt. Die Aufforderung zur Gottesliebe findet sich Dtn 6,4 f. als Anfang des jüdischen Glaubensbekenntnisses zu dem einen Gott Israels, des Shema‛ Jiśrā’el (»Höre Israel …«), auf dessen grundlegende Bedeutung wir schon mehrfach hingewiesen haben: »Du sollst JHWH,18 deinen Gott, lieben aus deinem ganzen Herzen, aus deiner ganzen Seele und aus deiner ganzen Kraft.«19
Im Grunde ist dieses Gebot eine vertiefende Auslegung des ersten Gebots Ex 20,2 f. (Dtn 5,6 f.): »Ich bin JHWH, dein Gott, der dich aus Ägypten, dem Sklavenhause, herausgeführt hat. Du sollst keine anderen Götter neben mir haben!« Das Gebot der Nächstenliebe begegnet uns Lev 19,18: »Sei nicht rachsüchtig und halte den Groll nicht wach gegenüber den Söhnen deines Volkes, sondern liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Ich bin JHWH.«20
Aus dem antithetischen Parallelismus ergibt sich klar, daß mit dem »Nächsten«21 zunächst nur der Volksgenosse gemeint war: In Lev 19,34 wird jedoch zusätzlich auch die Liebe zum Fremdling gefordert,22 das heißt zur Zeit Jesu, zum »Proselyten«, dem zum Judentum übergetretenen Heiden.23 Daß bei Jesus diese Beschränkung in universaler Weise aufgebrochen wird, zeigt seine Auslegung des Liebesgebotes in der Feldrede von Lukas, die Matthäus in die sechste Antithese eingebracht hat:24
18 Das heißt im Qerê ’ adonāj, LXX k‚rio“ = den Herrn: Es geht zugleich um die Anerkennung der »Herrschaft Gottes« und die Heiligung des Gottesnamens. S. dazu o. S. 408 ff. 19 Das Gebot der ganzen Hingabe an Gott und der Liebe zu ihm erscheint mehrfach in der deuteronomistischen Überlieferung, vgl. noch Dtn 10,12–22; 11,1.13 f.22; 13,4; 19,9; vgl. auch den Schlußsatz des Tempelweihgebetes Salomos 1 Kön 8,61. 20 Vgl. schon Lev 19,15–17. 21 Hebräisch: rea‛ – LXX: plhs‡on. 22 Hebräisch ger, LXX: prosflluto“. S. dazu Bauer / Aland, WB, 1431 und die Erklärung bei Philo, spec. leg. 1,51. 23 Zum Problem s. Nissen, Nächster (S. 433 Anm. 17). 24 Lk 6,27 f.; vgl. Mt 5,44.
§ 14 Der Wille Gottes
435
»Liebet eure Feinde,
tut wohl denen, die euch hassen, segnet, die euch verfluchen, bittet für die, die euch mißhandeln.«
Der begründende Indikativ dazu liegt in Gottes Verhalten selbst: »Werdet barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist« (Lk 6,36). Im Aramäischen bedeutet das Verb rehem in erster Linie »lieben«.25 Man könnte daher auch übersetzen: »Ihr sollt (eure Nächsten) lieben, so wie (euch) euer Vater liebt!« Matthäus macht, seiner Theologie entsprechend, aus dem »barmherzig sein« ein »vollkommen sein«.26 Es wird so verständlich, daß schon Jesus die Gebote der Gottes‑ und Nächstenliebe zu einem Doppelgebot zusammenfassen konnte und dies als das entscheidende Gebot bezeichnet: Markus läßt den Schriftgelehrten fragen: »Welches ist das erste Gebot von allen?« Jesus antwortet mit Dtn 6,4 f., läßt als »zweites« Lev 19,18 folgen und fügt hinzu: »Größer als diese ist kein anderes Gebot«27, das heißt, die ganze Tora konzentriert sich auf dieses Doppelgebot der Liebe und muß an ihm gemessen werden. Matthäus fügt zu dem pr„th †ntolfl noch ein meg›lh hinzu, was rabbinischer Ausdrucksweise entspricht. Dasselbe gilt von seinem Schlußsatz: »an diesen zwei Geboten hängen das ganze Gesetz und die Profeten.«28 Damit ist die verbreitete Ansicht von der Gleichwertigkeit aller 613 Gebote und Verbote der Tora aufgehoben, gleichzeitig erklären sich daraus die Diskussionen Jesu mit den pharisäischen Schriftgelehrten über die Sabbathalakha, die Reinheitsbestimmungen oder die Ehescheidung: Die Liebe, ’ahabāh, zu Gott und dem Nächsten, ein Wort, das schon die Septuaginta durchgehend mit üg›ph29 übersetzt, geht allem anderen vor. 25 S. Jastrow, Dictionary II, 1467 im Pë‛al und Pa‛el: »1) to love (h. bha)« mit l[ »to have compassion on, pity« ist nur eine Nebenbedeutung; s. auch M. Sokoloff, A Dictionary of Jewish Palestinian Aramaic, Jerusalem 2002, 521: to like, love, have mercy. 26 Lk 6,36: G‡nesqe o¢kt‡rmone“ kaqá“ kaÑ ¨ patÉr ≠mùn o¢kt‡rmwn †st‡n. Mt 5,48: ∞Esesqe oên ≠meõ“ tfileioi Æ“ ¨ patÉr ≠mùn ¨ o§r›nio“ tfilei·“ †stin. Zum spezifisch matthäischen Gebrauch von tfileio“ s. noch den reichen Jüngling 19,21. S. auch o. S. 419. 27 Mk 12,28–31; in der Lukas-Parallele aus dem Sondergut 10,25 ff. wird Jesus durch einen »Gesetzesgelehrten« (nomik·“) mit der Frage versucht: »Was muß ich tun, daß ich das ewige Leben erbe?« Mt 22,34 ff. folgt der Markus-Fassung, übernimmt aber die negative Darstellung des nomik·“ als Versucher von Lukas. Ein pharisäischer Schriftgelehrter kann für ihn – im Gegensatz zu Markus – nicht mehr positiv beurteilt werden. Er folgt daher in diesem Punkt der negativen Fassung des Lukas. 28 Mt 22,38.40; s. dazu Bill. I, 907 f. S. dort die Äußerungen von R. Aqiba zu Lev 19,18: »dies ist ein großer (allgemeiner) Grundsatz in der Tora«, und von Ben Azzai und Bar Qappara; vgl. auch Hengel, KS II, 282–287. 29 Daneben erscheint vereinzelt noch üg›phsi“. Auch das sehr häufige Verb ’āheb »lieben« wird nahezu immer mit ügapôn übertragen. ∞Erw“ erscheint nur zweimal im Proverbienbuch, das Verb †rôsqai nur dreimal, davon zweimal als Übersetzung für ’āheb. Die theologische Sprache Jesu und des frühesten Christentums ist die der hebräischen Bibel und, von dieser abhängig, der Septuaginta.
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IV. Jesu Auftreten und Verkündigung
Dieses eine zentrale Doppelgebot gründet in Gottes Verhalten. Weil der Schöpfer seine Geschöpfe, die Menschen, mit ganzer Hingabe liebt, erhält und rettet, kann er auch von diesen selbstlose, hingebungsvolle und rettende Liebe fordern. Man gibt darin nur an seinen Mitmenschen weiter, was man selbst empfangen hat. Eine solche theozentrische Begründung des Imperativs durch den Indikativ der freien, erwählenden Liebe Gottes begegnet uns im Ansatz schon innerhalb des Alten Testaments in der deuteronomistischen Theologie und bei Jeremia30 und geht durch das ganze Urchristentum über Paulus bis hin zu Johannes, so Joh 13,34: »Ein neues Gebot gebe ich euch, daß ihr euch untereinander liebet, wie ich euch geliebt habe.« Im Jakobusbrief ist Lev 19,18 als das »königliche Gesetz« (Jak 2,8) identisch mit dem »vollkommenen Gesetz der Freiheit« (Jak 1,25). Die spätere rabbinische Auslegung kennt die Vorstellung, daß man in den »Liebeswerken« Gottes Handeln an Israel und den Erzvätern nachahmen soll.31 Die ebenfalls in der Feldrede des Lukas und in der Bergpredigt des Matthäus auftauchende positive Fassung der an sich in der antiken Welt weitverbreiteten Goldenen Regel ist mit dem Gebot der Nächstenliebe eng verwandt: In der Feldrede des Lukas steht diese Regel daher zwischen den Geboten des Gewaltverzichts und der Spruchkomposition über die Feindesliebe:32 »Und so, wie ihr wollt, daß euch die Leute tun, so sollt auch ihr ihnen tun.« Matthäus versetzt den Text als Fazit in den letzten Teil der Bergpredigt vor die warnenden Schlußmahnungen 7,13–27. Er sieht in ihr wie im doppelten Liebesgebot die Zusammenfassung von Gesetz und Profeten.33 In der rabbinischen Überlieferung können Liebesgebot und Goldene Regel fast austauschbar werden. Aussagen über ihre zentrale Bedeutung werden großen Lehrern wie Hillel und R. Aqiba zugeschrieben.34 Auch A. Dihle weist auf ihren inneren Zusammenhang hin: Beide Regeln »betonen – allerdings auf verschiedene Weise – die Gegenseitigkeit im zwischenmenschlichen Geschehen«35. Die Urgemeinde, die die Kernsätze der ethischen Verkündigung Jesu katechismusartig in der »Feldrede«36 zusammenstellte, sah darin gewissermaßen die neue »messianische Tora«, das 30 Dtn
7,7 f.: »Nicht wegen eurer Zahl hat JHWH … euch unter allen Völkern auserwählt – ihr seid ja das kleinste unter allen Völkern, sondern weil JHWH euch liebte«; vgl. Jer 31,3: »Mit ewiger Liebe habe ich dich geliebt, darum habe ich dich in Güte bewahrt«; vgl. 31,20. 31 Hengel, Nachfolge, 10 Anm. 26; 21 Anm. 9; 30 Anm. 39 = KS V, 48 Anm. 28; 58 Anm. 57; 67 Anm. 89. 32 Lk 6,31; vgl. Mt 7,12. S. dazu A. Dihle, Die Goldene Regel, Göttingen 1962 und ders., RAC 11, 1981, 930–940. 33 Vgl. Mt 22,40. Von diesen beiden Texten her ist auch die Einleitung zur Bergpredigt 5,17–20 zu verstehen, es sind die Grundaussagen des Evangelisten über die Geltung des Gesetzes. Zur Deutung s. Deines, Gerechtigkeit, Index 710 zu Mt 7,12. 34 S. dazu Hengel, KS II, 282–287. 35 Dihle, Goldene Regel (s. o. Anm. 32), 110. Schon in Sir 31,15 (hebräischer Text und LXX) ist beides zusammengewachsen. 36 Lk 6,20–49. Der Begriff stammt vom t·po“ pedin·“ in 6,17.
§ 14 Der Wille Gottes
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»Gesetz des Gottesreiches«, das letztlich ein »Gesetz der Gnade« ist; bei Matthäus wird dieser lukanische, aus der Logientradition stammende »Katechismus des Gotteswillens« auf Grundlage der durch Jesus erfüllten Gerechtigkeit37 zur »Bergpredigt« erweitert.38
14.3 Demut und Dienst, Nachfolge und Lohn Die große Störung in Gottes guter Schöpfung (Gen 1,31) tritt dadurch ein, daß das erste Menschenpaar sein Gebot mißachtet und den verführerischen Worten der Schlange Glauben schenkt: »Ihr werdet sein wie Gott …«39. Nach Lukas und Matthäus weist Jesus das Angebot des Verführers, ihm »alle Reiche des Erdkreises« mit ihrer »Macht und Herrlichkeit« zu geben, mit dem Schriftwort zurück: »Du sollst den Herrn, deinen Gott, anbeten und ihm allein dienen.«40 Die Ursünde besteht im menschlichen Größenwahn, der Gottes Gebot mißachtet und sich selbst absolut setzt. Nach urchristlichem Zeugnis geht Jesus dagegen den ihm vom Vater aufgetragenen Weg des Gottesknechts: »denn der Menschensohn ist nicht gekommen,
daß er sich bedienen lasse, sondern daß er diene und gebe sein Leben als Lösegeld für viele.«41
Das Wort mag in den Kontext des letzten Mahles mit seinen Jüngern gehören, wo Jesus nach Lukas in seiner kleinen Abschiedsrede einen Rangstreit zwischen den Jüngern über die Frage, »wer von ihnen der Größte sei«, scharf zurückweist:42 »Die Könige der Völker beherrschen sie, und ihre Machthaber lassen sich Wohltäter
nennen. Ihr aber nicht so, sondern der Größte unter euch werde wie der Geringste43 und der Anführer wie der Diener … Ich aber bin in eurer Mitte wie ein Diener.«44
Markus bringt einen verwandten Text mit demselben Motiv im Anschluß an die Bitte der beiden Zebedaiden Jakobus und Johannes, beim Kommen Jesu »in seiner Herrlichkeit«45 jeweils den Ehrenplatz »zu seiner Rechten und seiner 37 Mt
3,15; 5,6.10.20. 5,1–7,27. Hengel, KS II, 219–292; Deines, Gerechtigkeit, passim. 39 Gen 3,5 ff. 40 Lk 4,5–8: … kaÑ a§tù m·nw latre‚sei“ = Mt 4,8–10, s. o. S. 323 f. 41 Mk 10,45 = Mt 20,28: o§k élqen diakonhqönai üllÅ diakonösai; s. dazu Jeremias, Abba, 216–229; Stuhlmacher, Theologie I, 120 ff.127–130.140 ff. S. auch u. S. 438 Anm. 46. 42 Lk 22,24 ff. 43 Wörtlich: Æ“ ¨ ne„tero“, dazu Bauer / Aland, WB, 1085, 2b zu Lk 22,26. 44 22,27: †gá dÇ †n mfisw ≠mùn e¢mi Æ“ ¨ diakonùn; vgl. Joh 13,12–17. 45 Mk 10,37: †n tÔö d·xÔh sou, Mt 20,21: †n tÔö basile‡a sou. In der Matthäus-Parallele 20,20 fragt nicht mehr das Brüderpaar, sondern ihre Mutter. 38 Mt
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IV. Jesu Auftreten und Verkündigung
Linken« zu erhalten, was den Unwillen ihrer Mitjünger hervorruft. Jesus schließt hier seine Mahnung mit einem Zweizeiler: »Wer … unter euch groß werden will, der sei euer Diener, und wer … unter euch der erste sein will, werde der Sklave aller« und mit dem Verweis auf seinen Dienst als Gottesknecht und der Dahingabe seines Lebens als »Lösegeld für viele« ab.46 Dieses einzigartige Dienen Jesu, das das Verhängnis des Falls von Gen 3 aufhebt, soll die ganze Existenz des Jüngers als Nachfolger bestimmen. Christologisch-nachösterlich begründet bringt dies Paulus im einleitenden Kontext zum Philipperhymnus zum Ausdruck: »Eine solche Gesinnung habt untereinander, wie sie auch in Christus Jesus war.«47 Gewiß spielten Rangfragen im Jüngerkreis und in der Urgemeinde eine beträchtliche, menschlich-allzumenschliche Rolle;48 es geht hier jedoch um mehr als nur um eine moralische Haltung, die man mit dem Begriff des »Statusverzichts« umschreiben könnte, das Dienen wird zum Inbegriff der Nachfolge Jesu, die auch die Bereitschaft zu Verzicht und Leiden bis hin zum Martyrium einschließt. Markus bringt dies in einem Text zum Ausdruck, den er unmittelbar an die schroffe Zurückweisung des Petrus nach der Leidensankündigung anschließt und in dem sich – wie so oft bei ihm – Jesustradition und Gemeindeparänese verschmelzen: »Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich
und folge mir nach. Denn wer sein Leben retten will, der wird es verlieren, wer aber sein Leben verlieren wird um meinet‑ und des Evangeliums willen, der wird es retten. Denn was nützt es dem Menschen, die ganze Welt zu gewinnen, aber sein Leben einzubüßen?«49 »Wer nicht sein Kreuz trägt und geht hinter mir her, kann nicht mein Jünger sein.«50
Nach der zweiten Leidensweissagung, die das völlige Unverständnis der Jünger offenbar werden läßt,51 erzählt Markus eine Szene, in der es im Grunde wieder 46 Mk 10,35–45 = Mt 20,20–28, vgl. dazu Röm 15,8: Jesus als di›kono“ peritomö“, der um der Wahrheit des Gotteswillens willen die Verheißungen der Väter zur Erfüllung bringt, und das morfÉn do‚lou lab„n in Phil 2,7. Eine stärker »gräzisierte« Fassung erscheint in dem bekenntnisartigen Text 1 Tim 2,6a. 47 Phil 2,5, vgl. 2,3 f.; Röm 12,3.10; 15,3; 2 Kor 8,9; Gal 5,26. 48 Vgl. etwa die erbitterte Auseinandersetzung um das kaucôsqai bei Paulus und seinen Gegnern im 1. und 2. Korintherbrief, Galater‑ und Römerbrief. 49 Mk 8,34–36 = Lk 9,23–25 = Mt 16,24–26. Lukas fügt bei der Leidensnachfolge noch verallgemeinernd ein kaq’ ™mfiran hinzu. Markus spielt mit seiner Fassung wohl auf die neronische Verfolgung in Rom an, die nur ca. fünf bis sechs Jahre zurückliegt und wo erstmals von Kreuzigungen von Christen die Rede ist, s. Tacitus, ann. 15,44,4: aut crucibus adfixi atque flammati; s. auch Mk 15,21: Simon von Kyrene, der Jesu Kreuz trägt. Das Motiv des »Kreuztragens« in Verbindung mit der Bereitschaft zu radikalem Verzicht auf alle Lebensgüter begegnet uns auch in der Logientradition: Lk 14,25–27, verkürzt Mt 10,37 f. Damit wird die Behauptung widerlegt, dieselbe (bzw. Q) kenne die Passionsüberlieferung nicht. 50 Lk 14,27; Mt 10,38: »ist mein nicht wert«. Vgl. vorangehende Anmerkung. 51 Mk 9,30–32.
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um die Selbstverleugnung in der Nachfolge Jesu geht.52 »Unterwegs« (†n tÔö ¨dù) mit Jesus haben die Jünger sich Gedanken über eine Frage gemacht, die sie sehr bewegt; doch auf seine Frage worüber schweigen sie beschämt, denn sie hatten darüber nachgedacht, »wer der Größte sei« (t‡“ me‡zwn). Darauf ruft Jesus die Zwölf zusammen und gibt ihnen eine Anweisung, die er wenig später im Zusammenhang mit der Anstoß erregenden Zebedaidenfrage ausführlicher begründet wiederholt:53 »Wenn einer ein Erster sein will, muß er ein letzter von allen und Diener aller sein«. Darauf stellt er ein Kind in ihre Mitte und schließt es in seine Arme, das heißt, er stellt es den Jüngern vor Augen als »ein Beispiel für den Geringsten und Verachtetsten«, der in der Nachfolge Jesu steht: »Wer eines von solchen Kindern aufnimmt, der nimmt mich auf«. Das heißt, Jesus identifiziert sich mit diesen.54 Matthäus fügt sachlich sinnvoll in 18,3 f. das aus Mk 10,15 übernommene Jesuslogion vom »Annehmen der Gottesherrschaft wie ein Kind« hinzu. Bei Lukas folgt als Fazit der Perikope: »Denn wer der … Kleinste unter euch allen ist, der ist groß.« Auf diesem Hintergrund wird verständlich, daß die Urgemeinde und wohl schon Jesus seine Anhänger als mikro‡, als »kleine Leute«, bezeichnen konnten.55 Dem entspricht die Bezeichnung nflpioi, Unmündige, für die Empfänger der Offenbarung des Vaters im Jubelruf Jesu.56 Der matthäische Jesus ruft unmittelbar darauf »alle Mühseligen und Beladenen« zu sich, damit sie von ihm, der sich selbst als »sanftmütig und von Herzen demütig« bezeichnet, lernen.57 Auch hier geht es für den Evangelisten um den Dienst des Gottesknechtes. In eine ähnliche Richtung weist die Verheißung, daß die Gottesherrschaft den Kindern gehört und daß sie »wie ein Kind« (Æ“ paid‡on) angenommen werden will.58 Wohl in Zusammenhang mit dem Endgericht steht das in verschiedenen Textzusammenhängen erscheinende Einzellogion: »Viele Erste aber werden Letzte und viele Letzte werden Erste sein.« Die Vollendung der Gottesherrschaft bringt eine radikale Umwertung der menschlichen Wertordnung im alten Äon, und es gilt, sich schon jetzt darauf einzustellen.59 Eigenartig profan klingt die Mahnung, als zu einem Gastmahl Eingeladener nicht den Ehrenplatz beim Hausherrn zu suchen, damit nicht ein anderer vorgezogen und man selbst in 52 Mk
9,33–37, vgl. Lk 9,46–48 und Mt 18,1–5. 10,41–44, s. o. S. 437 f. 54 Vgl. Klostermann, Mk, 94. Matthäus verwendet diesen Sprachgebrauch, da er für ihn typisch jesuanisch ist, noch in 10,42; 18,10.14. S. dazu O. Michel, ThWNT IV, 652 ff. 55 Mk 9,42 = Lk 17,2 = Mt 18,6; vgl. auch die »kleine Herde« Lk 12,32. 56 Lk 10,21 = Mt 11,25, vgl. das Zitat aus Ps 8,3 in Mt 21,16. 57 Mt 11,28: Deúte pr·“ me p›nte“ o´ kopiùnte“ kaÑ pefortismfinoi, V. 29: Ωti prau?“ e¢mi kaÑ tapeinÖ“ tÔö kard‡a. Zum Stichwort prau?“ s. noch das Zitat Sach 9,9 beim Einzug Jesu in Jerusalem nach Mt 21,5. Vgl. die Einladung der Weisheit Sir 6,28 LXX; 51,23–27. 58 Mk 10,15 = Lk 18,17, vgl. Mt 19,13–15, s. o. S. 427. 59 Mk 10,31 = Mt 19,30, vgl. 20,16; Lk 13,30; vgl auch Mk 9,35; EvThom 4; Barn 6,13. 53 Mk
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IV. Jesu Auftreten und Verkündigung
beschämender Weise auf den letzten Platz verwiesen wird; vielmehr solle man umgekehrt den untersten Platz wählen, damit der Einladende für den Gast einen ehrenvolleren Platz beim Mahl aussuchen könne.60 Das angefügte Einzellogion: »Denn jeder, der sich selbst erhöht, wird erniedrigt werden, und jeder, der sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden«61 und der noch folgende Kontext deutet auf einen ursprünglich eschatologischen Zusammenhang mit dem Mahl in der Gottesherrschaft hin.62 Hier taucht auch das Motiv des Lohnes auf. Er wird in der Verkündigung Jesu durchaus nicht übergangen. Gott ist gerecht und belohnt Dienst, Nachfolge und Opferbereitschaft. Jesus steht in dieser Frage, wie so oft, in alttestamentlich-jüdischer Tradition. So weist Petrus nach Jesu eindringlicher Warnung vor dem Reichtum auf die radikale Befolgung seines Rufs in die Nachfolge hin: »Siehe, wir haben alles verlassen und sind dir nachgefolgt«. Darauf verheißt Jesus jedem, der Besitz und Familie um seinetwillen verlassen hat, »hundertfältigen Lohn« und das Wiedererlangen dessen, was er verlassen hat, »schon in dieser Zeit« und »im kommenden Äon ewiges Leben«.63 Freilich zeigt sich beim Stichwort »Lohn« (misq·“) ein bezeichnender Unterschied zwischen den Evangelisten. Markus hat es nur einmal: »Wer euch einen Becher zu trinken gibt, weil ihr dem Messias angehört (Ωti Cristoú †ste) – wahrlich ich sage euch: Er wird seinen Lohn nicht verlieren.«64 Lukas bringt den Hinweis auf den Lohn zweimal formelhaft aus der Logientradition in der Feldrede. So im vierten Makarismus: »Wenn euch die Menschen hassen, ausschließen und schmähen …«: »siehe, euer Lohn wird groß sein im Himmel«65, und wieder beim Gebot der Feindesliebe.66 Matthäus hat das Wort dagegen zehnmal, gehäuft in der Bergpredigt, dort zweimal analog zur Lukas-Parallele, weiter in dem katechetisch geformten Text über das falsche und rechte Almosengeben, Beten und Fasten, in dem die ostentative Frömmigkeitsübung, die bei den Zuschauern Eindruck erwecken will, 60 Lk 14,7–11 (Sondergut), vgl. den Zusatz in Codex D (F it syc+hmg) zu Mt 20,28, der wohl aus einem apokryphen Evangelium oder dem Diatessaron zugewachsen ist. 61 Lk 14,11; vgl. 18,14; Mt 23,12 und 18,4. 62 S. Lk 14,12–14 (Sondergut) und das Gleichnis vom großen Mahl 14,15–24. 63 Mk 10,28–30 = Lk 18,28–30 = Mt 19,27–29, der aus Lk 22,30 das Wort einfügt, daß die Zwölf die zwölf Stämme richten werden. Markus meint wohl, daß der Jünger in der Gemeinschaft mit Jesus und der Glaubende in der Gemeinde Christi vielfältig wiederempfängt, was er »um Jesu und des Evangeliums willen« aufgegeben hat, fügt aber – wohl als Hinweis auf die neronische Verfolgung – metÅ diwgmùn hinzu, das von Lukas und Matthäus wieder weggelassen wird. 64 Mk 9,41. Das Wort könnte, wie die Matthäus-Parallele 10,42 zeigt, aus der Aussendungsüberlieferung stammen. 65 Lk 6,23: ¨ misqÖ“ ≠mùn polÜ“ †n tù o§ranù, vgl. Mt 5,12. 66 Lk 6,35: kaÑ ≤stai ¨ misqÖ“ ≠mùn pol‚“ = Mt 5,46. Lk 10,7 klingt wie ein Sprichwort: »Der Arbeiter ist seines Lohnes wert«, bezieht sich aber nicht auf den »himmlischen Lohn«, sondern den Lebensunterhalt des Missionars. Mt 10,10 wandelt darum das misqoú in trofö“.
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stereotyp unter das Verdikt fällt: »Sie haben ihren Lohn verwirkt«67, und dreimal in der Aussendungsrede.68 Bei diesen Belegen wird deutlich, wie Jesusworte an konkrete Gemeindesituationen angepaßt werden. Einzigartig ist das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg.69 Das Reich Gottes gleicht einem Hausherrn, der früh am Morgen Arbeiter für sein Weingut mit dem – sehr guten – Tageslohn von einem Denar pro Tag anwirbt. Er tut dies auch noch um die dritte, sechste, neunte, ja sogar um die elfte Stunde, das heißt nachmittags um fünf Uhr ca. eine Stunde vor Arbeitsschluß. Am Abend läßt er durch seinen Verwalter allen denselben Lohn von einem Denar auszahlen, und zwar soll dieser bei den letzten beginnen. Verständlicherweise weckt er damit den Protest derer, die sich den ganzen Tag abgemüht haben. Der Besitzer weist den Protest freundlich, aber entschieden zurück: »Freund, ich tue dir kein Unrecht. Hast du nicht einen Denar mit mir vereinbart? Nimm deinen Lohn und geh! Ich will nun einmal diesen letzten so viel geben wie dir. Darf ich etwa mit meinem Eigentum nicht machen, was ich will? Oder ist dein Auge böse (das heißt neidisch), weil ich so gütig bin?« Der Lohn bezieht sich auf den Anteil an der Gottesherrschaft, der nicht nach der Größe der Leistung bemessen wird, sondern den durch Gottes freie Güte alle seine Mitarbeiter in gleicher Weise erhalten. Die Gleichnisauslegung spricht darum mit gutem Recht von »Gnadenlohn«.70 Die Auseinandersetzung mit den Protestierenden erinnert an das Zwiegespräch des Vaters im Gleichnis vom verlorenen Sohn mit dem empörten Bruder.71 In beiden Erzählungen Jesu geht es um die Zuwendung von Gottes freier Gnade. Der von dem ungewöhnlichen Auszahlungsmodus des Lohnes abhängige Vers Mt 20,16 ist wie schon Vers 19,3072 vom Evangelisten angefügt und gibt dem Gleichnis eine einseitige Ausrichtung. Es geht nicht um »Erste und Letzte«, sondern um Gottes Güte. Auch ein Gleichnis aus dem Lukas-Sondergut, das in gleicher Weise auf dem Hintergrund des ländlichen Milieus Galiläas zu verstehen ist, weist jede Vorstellung von Verdienst zurück.73 Im Gegensatz zu dem völlig ungewöhnlichen
67 Mt
5,12.46; 6,1 f.5.16 dreimal üpficousin tÖn misqÖn a§tùn; 10,4 f. (vgl. Mk 9,41); 20,8. 68 Mt 10,41 f., vgl. Mk 9,41. 69 Mt 20,1–16. Vgl. Theissen / Merz, Jesus, 305 ff. mit Verweis auf rabbinische Parallelen. 70 S. dazu Luz, Mt III, 138–156 (142 ff.); Theissen / Merz, Jesus, 305; F. Avemarie, Das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (Mt 20,1–15) – eine soziale Utopie?, EvTh 62 (2002), 272–287. 71 Lk 15,25–32, s. u. S. 455. 72 Vgl. Mk 10,31, o. S. 439 Anm. 59. 73 Lk 17,7–10.
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IV. Jesu Auftreten und Verkündigung
Vorgang Mt 20,1–15 erzählt es jedoch etwas ganz Selbstverständliches. Die Jerusalemer Bibel74 spricht vom »Dienen in Demut«: »Wer aber unter euch, der einen Sklaven beim Pflügen oder Viehweiden hat, wird zu ihm, wenn er vom Feld heimkommt, sagen: ›Komm gleich her und setze dich zu Tisch.‹ Wird er nicht vielmehr zu ihm sagen: ›Richte mir etwas zu Essen her und schürze dich
und bediene mich, während ich esse und trinke, und danach kannst auch du essen und trinken.‹ Wird er etwa dem Sklaven danken, weil er tat, was ihm aufgetragen war? So sollt ihr, wenn ihr alles getan habt, was euch aufgetragen ist, sagen: ›Wir sind unnütze Sklaven; wir haben getan, was wir zu tun schuldig waren.‹«
Der Dienst in der Nachfolge schafft keinen Anspruch auf Verdienst und Dank, er ist eine selbstverständliche Notwendigkeit. Und doch kann Lukas ein Kapitel später Jesus gegenüber Petrus eine überwältigende Lohnverheißung in den Mund legen: Der Nachfolger soll vielfältigen Lohn empfangen.75 Es gibt im Grunde jedoch nur den Lohn, der auf Gottes Gnade beruht.
14.4 Das Gericht und die Scheidung In den späteren profetisch-apokalyptischen Texten des Alten Testaments verwandelt sich die innergeschichtliche Vorstellung vom »Tag JHWHs« in die des Weltendes, das die Geschicke der Menschen zu ihrem gottgewollten Ziel bringt.76 Zum Ende gehört die Erlösung des Gottesvolkes, aber auch das Gericht über die Sünder aus Israel und den Völkern. Gott ist der die Menschheitsgeschichte abschließende gerechte Richter. So im letzten Kapitel des Jesajabuches:77 »Denn durch Feuer wird JHWH Gericht halten (mit der ganzen Erde)78 … und durch sein Schwert mit allem Fleisch.«
Das Buch schließt mit der Schilderung der Strafe für die Abtrünnigen:79 »Denn ihr Wurm stirbt nicht, und ihr Feuer erlischt nicht. Ein Abscheu sind sie für alle Welt.«
74 Die
Bibel. Die Heilige Schrift des Alten und Neuen Bundes. Deutsche Ausgabe mit den Erläuterungen der Jerusalemer Bibel, hg. v. D. Arenhoevel u. a., Freiburg / Basel / Wien 131968, 1473 f. 75 Lk 18,28–30: ≈“ o§cÑ mÉ [üpo]l›bÔh pollaplas‡ona …, vgl. Mk 10,28–30 und Mt 19,27–29. 76 S. dazu G. von Rad, ThWNT II, 948; M. Sæbø, ThWAT III, 385. Vor allem bei Daniel treten dafür Begriffe wie qes oder ’ aharît haj-jāmîm ein. 77 Jes 66,15a und 66,16b. 78 V. 16 ergänze mit LXX: pôsa ™ gö. 79 Jes 66,24.
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Dieser Text wird Dan 12,2 wieder aufgenommen: Die »im Land des Staubes schlafen, erwachen, die einen zum ewigen Leben, die anderen zur Schande und ewigem Abscheu.« Als endzeitlicher Strafort erscheint das Gerichtsfeuer im Hinnomtal im Süden von Jerusalem (aramäisch gêhinnām, gräzisiert gfienna).80 Für die Bußpredigt des Täufers hatte die Drohung des göttlichen Gerichtszorns und der »Feuerhölle« entscheidende Bedeutung, die Taufe im Jordan und die Früchte der Umkehr sollten davor bewahren.81 Auch in den synoptischen Evangelien begegnet uns das Motiv von Gericht und Strafe in verschiedener Gestalt mehrfach, freilich in recht unterschiedlicher Gewichtung. So finden wir es in den Drohworten gegen die durch Jesu »Krafttaten« ausgezeichneten galiläischen Orte Chorazin und Bethsaida: »Tyros und Sidon wird es im Gericht erträglicher ergehen als euch«, denn sie wären bei solchen Heilungswundern umgekehrt, und Kapernaum, das »bis in den Himmel erhöht« wurde, »wird bis in das Totenreich hinabsteigen«. Dem Ort, der die ausgesandten Jünger nicht annimmt, wird es an jenem Tage schlechter gehen als Sodom und Gomorra.82 Die Königin des Südens und die Männer von Ninive werden im Gericht »die Männer dieses Geschlechts« verurteilen, denn sie reagierten positiv auf Salomos Weisheit und Jonas Bußpredigt, in der Person Jesu ist jedoch »mehr als Salomo« und »mehr als Jona« auf den Plan getreten.83 Wer Jesu Gottesreichspredigt und sein messianisches Wirken verwirft, wird auch im bevorstehenden Gericht verworfen werden. Diese schroffen Jesusworte weisen auf eine tiefe Krise bereits während seiner galiläischen Wirksamkeit hin. Er stieß bei nicht wenigen seiner Landsleute auf Ablehnung und Widerstand, so an seinem Heimatort, aber auch in dem von ihm selbst erwählten Zentrum an der Nordwestecke des Sees Genezareth. Diese Ablehnung betrifft vor allem die Führungsschicht. Dies mag ihn am Ende veranlaßt haben, stellvertretend das Gericht für die Schuld seines Volkes auf sich zu nehmen, den Weg des Gottesknechts zu gehen und am Passafest in Jerusalem zu sterben. Einzelne Gerichtsparänesen sind von anstößiger Schärfe. So hat Markus vier tôb-Logien, von denen das erste sich gegen jene richtet, die »einem von diesen Kleinen, die an mich glauben, Ärgernis geben«: Es wäre besser für ihn, wenn er mit einem Mühlstein um den Hals ins Meer geworfen würde, das heißt, er ist Gottes Gericht verfallen. Die folgenden Logien fordern dazu auf, sich von einem Glied, das zur Sünde verführt, rigoros zu trennen, seien es nun Hand, Fuß oder Auge. Es sei besser, als Krüppel »ins (ewige) Leben einzugehen«, 80 J.
Jeremias, ThWNT I, 655 f. 3,7.9.17; Mt 3,7.10.12, s. o. S. 306. 82 Lk 10,13–15 = Mt 11,21–23; vgl. Mt 11,24. S. dazu o. S. 390 und u. S. 465. Dazu jetzt B. H. Gregg, The Historical Jesus and the Final Judgment Sayings in Q, WUNT II / 207, Tübingen 2005. 83 Lk 11,31 f. = Mt 12,41 f. 81 Lk
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als leiblich unversehrt »in die Gehenna«, das heißt »in das unverlöschliche Feuer … geworfen zu werden.« Dieser dramatische Appell wird noch durch ein Zitat aus Jes 66,24 (LXX) unterstrichen.84 Im Grunde sagt jedoch diese Mahnung sachlich nahezu dasselbe aus wie Mk 8,36 in Zusammenhang mit der Aufforderung zur Leidensnachfolge: »Was nützt es einem Menschen, die ganze Welt zu gewinnen, aber sein Leben einzubüßen?«85 Die Teilhabe an der Gottesherrschaft bedeutet das wahre Leben, ihre Verfehlung den ewigen Tod. Bezeichnend ist freilich, daß Markus nur einmal von der gfienna und ihrem unauslöschlichen Feuer spricht, während sie von Matthäus im Munde Jesu siebenmal und das Gerichtsfeuer achtmal erwähnt wird.86 Auch Lukas hält sich bei diesem Sprachgebrauch ähnlich wie Markus auffallend zurück. Gfienna erscheint bei ihm in 12,5, das Gerichtsfeuer begegnet typischerweise zweimal in der knappen Täuferverkündigung, darüber hinaus als Strafort des Totenreiches (πdh“) sehr anschaulich im Gleichnis vom reichen Mann und armen Lazarus.87 Typisch für die matthäische Tendenz, die Gerichtsansagen zu vervielfältigen, ist 8,12: »die Söhne aber des Reiches werden hinausgeworfen in die äußerste Finsternis. Dort wird sein Heulen und Zähneknirschen«. Es handelt sich hier um einen formelhaften Sprachgebrauch, den Matthäus noch in zwei Gleichnissen einfügt.88 Den zweiten Satz mit der Formel von »Heulen und Zähneknirschen«, der bei Lukas aus der Logientradition stammend nur einmal erscheint89 und den Matthäus unseres Erachtens von Lukas übernommen hat, verwendet der erste Evangelist insgesamt sechsmal90 als Abschluß von Gerichtsgleichnissen. Gerade diese von ihm geschätzten Gleichnisse hat er meist über seine Vorlagen hinaus selbst ausgestaltet, wobei sein eigener Beitrag die übernommene Tradition oft überdeckt. Dies gilt etwa von den Gleichnissen vom Unkraut unter dem Weizen und seiner Deutung,91 vom Fischnetz,92 vom unbarmherzigen Schuldner93 oder 84 Mk 9,42–48 = Mt 18,6–9, vgl. Mt 5,29 f.; etwas anders formuliert Lk 17,1. Markus spricht zweimal vom Eingehen e¢“ tÉn zwfln und dann e¢“ tÉn basile‡an toú qeoú. Zur Struktur und Bedeutung der tôb-Logien s. o. S. 395. Das Jesajazitat bringt Markus als einziger im Neuen Testament, vgl. jedoch 2 Clem 7,6 und Justin, apol. I, 52,8; dial. 130,2; 140,3. Matthäus verkürzt, da er ein fast gleichlautendes Logion hat; Lukas bringt nur die Warnung vor denen, die Ärgernisse für »diese Kleinen« bereiten, die drei Logien Mk 9,43 ff. übergeht er, denn ihre Drastik paßt nicht in das Theophilos gewidmete Werk. 85 Vgl. Lk 9,25 = Mt 16,26, s. o. S. 438 Anm. 49. 86 Gfienna: 5,22.29 f.; 10,28 (= Lk 12,5); 18,9; 23,15.33; Gerichtsfeuer: 5,22; 7,19; 13,40.42.50; 18,8 f.; 25,41. 87 Täufer: Lk 3,9.17; reicher Mann: 16,23 ff. 88 Mt 22,13; 25,30. 89 Lk 13,28: im Zusammenhang des Ausschlusses vom eschatologischen Mahl in der Gottesherrschaft. 90 Außer Mt 8,12 s. noch 13,42.50; 22,13; 24,51; 25,30. 91 Mt 13,24–30.36–43. S. o. S. 405. 92 Mt 13,47–50. 93 Mt 18,23–25.
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der störenden Anfügung vom fehlenden Hochzeitskleid in der ganz anders ausgerichteten Erzählung vom großen Abendmahl.94 Diese Gerichtsdrohung steigert sich bis zu den drei großen Parusiegleichnissen in c. 25, die die Jüngerbelehrung vor der eigentlichen Passion beschließen: Am Anfang stehen in 25,1–13 die zehn Jungfrauen, von denen die fünf Klugen sich mit ausreichend Öl für ihre Lampen versorgten, die fünf törichten aber nicht. Durch das Kommen des Bräutigams um Mitternacht überrascht, können die Klugen ihm zur Hochzeitsfeier entgegenziehen; die törichten, die sich erst mit Öl versorgen müssen und zu spät kommen, werden ausgeschlossen. Der Bräutigam weist sie ab: »Ich kenne euch nicht.« Der Evangelist schließt mit der Mahnung zur Wachsamkeit. Es folgen V. 14–30 die anvertrauten Talente,95 in dem der »unnütze Sklave«, der das ihm anvertraute Talent nicht mehrt, in die »äußerste Finsternis« hinausgeworfen wird, und als fulminanter Abschluß das Gemälde vom Weltgericht V. 31–46, wo der »Menschensohn« und »König« auf dem »Thron der Herrlichkeit« die Menschheit getrennt in »Schafe« und »Böcke« nach ihren – ihnen selbst verborgenen – Werken gegenüber »einem von diesen geringsten Brüdern« (25,40.45) richtet und damit die letzte große Scheidung vollzieht: »und sie werden hingehen, diese zur ewigen Bestrafung, die Gerechten aber in das ewige Leben«. Die Theologie des Evangelisten, Gemeindetradition und Jesusüberlieferung haben sich hier zu einer unauflöslichen Einheit verbunden, wobei die matthäische Tendenz prägend ist und das zukünftige Jesusbild der Kirche ganz wesentlich beeinflußt hat. Daß der kommende Menschensohn eine letzte Scheidung durchführt, war schon Inhalt der Täuferpredigt wie auch der Verkündigung Jesu selbst, wobei Matthäus freilich die Gerichtspredigt des Täufers und die Jesu inhaltlich identifiziert;96 die Urgemeinde überträgt die Funktion des Richters auf den erhöhten Christus. Das Gericht »nach den Werken« wird zu einem festen Bestandteil der urchristlichen Erwartung bis hin zu Paulus und Johannes.97 Es ist der notwendige Hintergrund und die Voraussetzung der Botschaft von der radikalen Gnade, der durch den Tod Jesu gewirkten Sühne und der Liebe des Vaters, der den Sünder »heimsucht« und ihm vergeben will.
94 Mt
22,1–10 und 11–14 als matthäischer Zusatz; vgl. dagegen Lk 14,15–24. der Parallelfassung Lk 19,11–27 sind es nur Minen, das heißt 600 g (ein Talent hat 40 kg); Matthäus steigert den Betrag ins Unrealistische; vgl. auch Mt 18,24: der Schuldner von 10 000 Talenten; dazu u. S. 449 Anm. 115. Lukas verbindet 19,14.27 das Gleichnis mit einer Gesandtschaft widerspenstiger Bürger, die bestraft werden; s. die jüdische Gesandtschaft zu Augustus nach dem Tod des Herodes, die versucht, die Einsetzung des Archelaos zu verhindern: Josephus, ant. 17,300. S. dazu o. S. 69–72. 96 Lk 12,8 f. = Mt 10,32 f.; Mk 8,38 = Lk 9,26 = Mt 16,27. Zum Täufer und Jesus s. o. S. 329. 97 2 Kor 5,10, vgl. Röm 2,16; 14,10 ff.; Apg 10,42; 17,31; Joh 5,29, vgl. auch 15,6 und den letzten Satz der Täuferrede Joh 3,36. 95 In
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14.5 Der messianische Charakter der Auslegung des Gotteswillens Die Forschung sah in der Verkündigung Jesu gerne einen unüberbrückbaren Gegensatz zwischen der endzeitlich-apokalyptischen Reichsverkündigung und seiner scheinbar zeitlosen ethischen Forderung. Der »eschatologische Profet« wurde dabei gegen den »Weisheitslehrer« mit seinen gegenwartsbezogenen ethischen Forderungen ausgespielt. A. Schweitzer versuchte, diesen Gegensatz durch seine Theorie von der Interimsethik98 auszugleichen. Dies ist jedoch eine Fehldeutung. Gerade weil Gott und seine Herrschaft jetzt ganz nahe, ja im Wirken Jesu schon gegenwärtig sind – in seiner Liebe zu den Verlorenen und im Gericht gegenüber den Selbstgerechten –, geht es darum, den ursprünglichen, eigentlichen Willen Gottes wieder ans Licht zu bringen, der von Anfang an galt,99 aber durch die Macht der Sünde und teilweise auch durch die an die Herrschaft der Sünde angepaßte Mosetora verdunkelt wurde. Dies ist auch der Sinn der sechs Antithesen in der Bergpredigt Mt 5,21–48. Mit der Einleitung: »Ihr habt gehört, daß zu den Alten gesagt ist …, ich aber sage euch« zeigt der matthäische Jesus den Unterschied zwischen den Geboten, die Israel am Sinai empfing, und seiner »messianischen« Tora auf. Die Antithesen sind von Matthäus mit großem katechetischem Geschick und einem klimaktischen Höhepunkt in 5,48: »Ihr sollt vollkommen sein …« geformt, gehen jedoch inhaltlich weitgehend auf jesuanische Überlieferung zurück. Möglicherweise wird eine Vorform in der Einleitung der lukanischen Feldrede nach den drei Seligpreisungen und Weherufen 6,27 sichtbar: »Aber euch, den Zuhörern, sage ich: Liebet eure Feinde …«. Die nächste Parallele zu dieser Redeweise ist das bei Matthäus besonders häufige »Amen, ich aber sage euch …«. Der volle, ursprüngliche Gehorsam, den Gott seit der Erschaffung des Menschen im Sinne hatte, muß jetzt, da Gottes Herrschaft anbricht, zur Geltung kommen. Weil er selbst in der Ehe des ersten Menschenpaares die engste und tiefste Form menschlicher Gemeinschaft gestiftet hat, ist nach der zweiten Antithese nicht erst der vollzogene Ehebruch eine Übertretung von Gottes Gebot vom Sinai (Ex 20,14; Dtn 5,18), sondern bereits der begehrende Blick auf die andere Frau als ein Ehebruch »im Herzen«. Der matthäische Christus fordert in hyperbolischer Radikalität dazu auf, das Auge, das solches Ärgernis bereitet, auszureißen bzw. die Hand, die verführt, abzuhacken: Principiis obsta!100 In der dritten Antithese verbietet er, die Frau gemäß Dtn 24,1 durch einen Scheide 98 S. o.
S. 421. 10,6: üpÖ dÇ ürcö“ kt‡sew“ und das anschließende Zitat von Gen 1,27 und 2,24 LXX; vgl. Mt 19,4 f. und 8: üp’ ürcö“ dÇ o§ gfigonen oætw“. S. auch o. S. 421. 100 Zu den Antithesen s. M. Hengel, KS II, 267–273; U. Luz, Mt I5, 324–416; H. Weder, Die »Rede der Reden«, Zürich 1985, 98–155. Zur zweiten Antithese Mt 5,27–30 vgl. 18,8 f. = Mk 9,43–48. Matthäus ist diese hyperbolische Aufforderung so wichtig, daß er sie zweimal 99 Mk
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brief zu entlassen, da man sie dadurch – wenn sie sich wieder verheiratet – zur Ehebrecherin mache. Der einzige Ausnahmegrund, den erst Matthäus gelten läßt, ist die Untreue der Frau.101 Nach der vierten Antithese reicht das mehrfache mosaische Verbot des Meineides nicht mehr aus, man soll überhaupt nicht schwören, weil auch durch die indirekte Berufung auf Gott sein Name entehrt wird. Alles, was das bekräftigende »ja, ja« oder »nein, nein« übersteigt, ist vom Übel.102 Wahrscheinlich hat Jak 5,12 »Es sei euer Ja ein Ja und euer Nein ein Nein« eine ältere, eindeutigere Version dieser Anweisung enthalten: Im Zeichen der Gottesherrschaft und der durch sie geschenkten Gemeinschaft mit Gott und den Mitmenschen ist absolute Wahrhaftigkeit gefordert. Die Berufung auf den ursprünglichen Gotteswillen, etwa beim doppelten Liebesgebot in der Tora,103 schließt, das zeigt deren Verbindung mit der Goldenen Regel, die Berufung auf vernünftige Einsicht nicht aus. So auch Lk 12,57: »Warum überlegt ihr bei euch selbst nicht, was das Rechte ist?« Gerade Gleichnisse Jesu – etwa vom barmherzigen Samariter, Lk 10,30–35, vom reichen Mann und armen Lazarus, Lk 16,19–31, vom reichen Kornbauern, Lk 12,16–21, vom Turmbau und dem drohenden Krieg, Lk 14,28–33, oder auch das äußerlich gesehen anstößig klingende Gleichnis vom ungerechten Haushalter104 – wollen ja durchaus zugleich drastisch, praktisch und der Vernunft einsichtig erklären und illustrieren, was jetzt Gottes Wille ist. Und doch erhält Jesu Forderung ihre Gültigkeit und ihren Sinn nicht von einer allgemein verfügbaren menschlichen Erfahrung her und nicht aus der bloßen Forderung unserer »praktischen Vernunft«, sie entspricht weder der Tugendlehre der antiken Philosophie, noch kennt sie einen durch die Ratio begründeten kategorischen Imperativ als allgemeines »Menschengesetz«, sie wird vielmehr durch Jesu messianische Vollmacht und das von ihr verkündigte anbrechende Gottesreich begründet. Der Nachsatz von Lev 19,18: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst; ich bin der Herr« ist immer mitzubedenken. Das heißt, sein Name soll damit geheiligt werden, und sein Reich soll kommen! Nur so erklärt sich auch Jesu partielle Kritik an der Tora. Weil das Liebesgebot den ursprünglichen und eigentlichen Willen Gottes bringt. Zum ersten Menschenpaar s. Gen 1,27; 2,18.22–24; vgl. Mk 10,7 parr.; Eph 5,31; s. weiter auch die tôb-Sprüche o. S. 395 f. 101 Mt 5,32: parektÖ“ l·gou porne‡a“ (vgl. 19,9) ist eine judenchristliche Ergänzung, die aus der Gemeindepraxis im Umgang mit Jesu Gebot Mk 10,2–8 erwachsen ist und sich an die Auslegung von Dtn 24,1 durch die Schule Schammais anschließt: mGittin 9,10: »Ein Mann darf seine Frau nur verstoßen, wenn er an ihr eine schändliche Sache (‛ärwat dābār) gefunden hat; s. dazu Bill. I, 312 ff. Zur ersten Antithese s. u. S. 449. Wir haben hier ein Beispiel, wie ein Gebot Jesu mit kasuistischer Begründung eingeschränkt wird. 102 Mt 5,33–37. 103 Lev 19,18; Dtn 6,5; s. o. S. 435. 104 Lk 16,1–9: Hier mag, wie der Zuwachs V. 9 zeigt, ein ethisierender Bedeutungswandel stattgefunden haben. Ursprünglich geht es ähnlich wie in Mt 13,45 f. und 11,12 um rasch entschlossene und darum rettende Entscheidung für Gottes Herrschaft.
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darstellt, der jetzt neu proklamiert wird, darum können ihm gegenüber gewisse rituelle Einzelbestimmungen oder auch das Sabbatgebot, falls es die Situation erfordert, zweitrangig, ja aufgehoben werden. Dort, wo sie der tätigen, konkreten Tat der Liebe widerstreben, müssen sie weichen. Matthäus läßt Jesus sich dabei zweimal auf ein Profetenwort berufen: »Erbarmen will ich und nicht Opfer.«105 Ein weiteres Beispiel dafür ist Jesu Angriff gegen die Sorge, das merimnôn,106 die ja nur eine Form der Angst um die eigene Existenz darstellt, seit der Vertreibung des ersten Menschenpaares aus dem Paradies eine menschliche Grundbefindlichkeit ist und je und je zum Egoismus und zur Unbarmherzigkeit verführt. Statt der Sorge ist dankbares, heiteres Vertrauen geboten. Die Lilien auf dem Felde und die Raben bei Lukas (bzw. die Vögel unter dem Himmel bei Matthäus) sind Paradigmata für dieses der Fürsorge des himmlischen Vaters gewisse Vertrauen. Sorge und das damit verbundene egoistische Streben nach Absicherung ist im Grunde Unglaube, ja Götzendienst, der Gott die Ehre nimmt: »Keiner kann zwei Herren dienen, er wird den einen geringachten und den anderen lieben … Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon.«107 Die Bindung an den Besitz erweist sich als eine subtile Art von Götzendienst.108 Mit anderen Worten: Nur einer kann Herr sein, der das Liebesgebot mit ’ anî ’ adônāj, †g„ e¢mi k‚rio”, begründet hatte, und nur eine einzige »Sorge« ist geboten, die um die Gottesherrschaft: »Suchet seine basile‡a, und all das, worum ihr euch sorgt, wird euch dazugegeben werden« (Lk 12,31). In Mt 6,33 fügt der Evangelist seiner Theologie entsprechend zur basile‡a noch hinzu: »und seine Gerechtigkeit«. Dem Gebot der »Sorglosigkeit« entspricht die vierte Vaterunserbitte: »Unser Brot für morgen gib uns heute.«109 Das ganze Gebet, das Jesus seine Jünger lehrt, ist Ausdruck kindlichen Vertrauens in den Vater, der weiß, was seine Kinder brauchen, bevor sie bitten (Mt 6,8), und der ihnen seine guten Gaben nicht verweigert (Mt 7,11 = Lk 11,3). Hinter dem ganzen Vaterunser steht die Gewißheit der Erhörung (s. u. S. 457). 105 Hos 6,6, zitiert bei Mt 9,13 und 12,7; s. dazu Chr. Landmesser, Jüngerberufung und Zuwendung zu Gott, WUNT 133, Tübingen 2001, Index 186 f.; s. o. S. 419 zum Konflikt über die Sabbatheiligung. 106 Lk 12,22 ff. = Mt 6,25 ff. 107 Lk 16,13 = Mt 6,24. Mamwnô“ von aramäisch (status emphaticus) māmônā’ »der Besitz, das Vermögen«, s. dazu Bauer / Aland, WB, 994; nach H. P. Rüger, ZNW 64 (1973), 127–131 ursprünglich ein kanaanäisches Lehnwort mit der Bedeutung »Nahrung, Verpflegung, Vorrat«. 108 Vgl. Kol 3,5; Eph 5,5; 1 Tim 6,10. 109 Mt 6,11, vgl. Did 8,2; Lk 11,3 hat das sflmeron durch ein kaq’ ™mfiran ersetzt, vgl. Lk 9,23; 16,19; 19,47; 22,53; Apg 2,46 f.; 3,2 u. ö. Die Bedeutung des †pio‚sio“ ist unsicher, s. Bauer / Aland, WB, 601; BDR, Grammatik, § 123,1. Eine denkbare Alternative wäre: »unser lebensnotwendiges Brot gib uns heute«. Philonenko, Vaterunser, 76–86 verweist auf die tägliche Gabe des Manna Ex 16,4 f. (78) und vertritt ähnlich wie Jeremias, Theologie, 193 f. eine eschatologische Deutung auf das messianische Mahl. S. jedoch Luz, Mt I, 449–452 und die neunte Bitte des Achtzehnbittengebets.
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Der Wille des nahenden Gottes, den Jesus verkündigt, der mit dem guten Werk des Schöpfers zusammenhängt (vgl. Gen 1,31), bedeutet zugleich die Aufhebung des Urverhängnisses, in das der Mensch als Gefangener des Bösen sich von Anfang an verstrickt hat. Die Absage an das Sorgen in Verbindung mit dem Hinweis auf Lilien und Raben ist Ausdruck für die Beseitigung des Fluches nach dem Sündenfall.110 Wenn Jesus in der Aussendungsüberlieferung den Jüngern zuruft: »Siehe, ich habe euch die Vollmacht gegeben, auf Schlangen und Skorpione zu treten, und über alle Macht des Feindes, und nichts wird euch schaden«, so wird damit der Macht der alten Schlange von Gen 3,15 ein Ende bereitet, das heißt, es erfüllen sich damit messianische Verheißungen.111 Die Gerichtsdrohung gegenüber dem den Nächsten verletzenden Schimpfwort in der ersten Antithese, die weit über das Tötungsverbot Gen 9,6 bzw. das fünfte Gebot Ex 20,13 hinausgeht, und dann wieder die Aufhebung des alttestamentlichen »Auge um Auge, Zahn um Zahn« in der fünften,112 verbunden mit dem grundsätzlichen Gewaltverzicht und der Forderung ständiger bedingungsloser Vergebungs‑ und Versöhnungsbereitschaft,113 zielt auf ein völlig neues Verhältnis zum Mitmenschen. Dem mörderischen Ungeist eines Kain, der seinen Bruder tückisch ermordet, und dem seines Nachkommen Lamech von Gen 4, der eine leichte Verletzung mit Totschlag vergilt und dessen Racheverlangen unersättlich ist, wird ein für allemal ein Ende gesetzt.114 Auf die Frage des Petrus, ob es genüge, dem Bruder, der sich verfehlt, siebenmal zu vergeben, antwortet Jesus: »nicht siebenmal, sondern siebenundsiebzigmal« – so oft wie Lamech gerächt werden wollte –, und erzählt nach dem Sondergut des Matthäus darauf das Gottesreichsgleichnis vom »Schalksknecht«, der bei einem Mitsklaven eine geringe Schuld von hundert Denaren mit Gewalt eintreiben wollte, obwohl ihm sein Herr die unermeßliche Schuld von 10.000 Talenten erlassen hatte.115 Auch 110 Gen
3,16–19; dazu Hengel, KS II, 280–282. S. dazu o. S. 374. 10,19; vgl. Ps 91,13 und den Hinweis auf das messianische Friedensreich Jes 11,8 f.; Hos 2,20. 112 Mt 5,21 ff.; 5,38; vgl. Ex 21,24; Lev 24,20; Dtn 19,21 (gegen den falschen Zeugen, der das Leben seines Genossen bedroht): »Du sollst keine Nachsicht üben, Leben um Leben, Auge um Auge, Zahn um Zahn, Hand um Hand, Fuß um Fuß.« 113 Zur Vergebung: Lk 11,4 = Mt 6,12; Mt 6,14 f.; 18,21 f.35; vgl. Mk 11,25; zur Versöhnung s. das Doppelbeispiel im Anschluß an die erste Antithese Mt 5,23–26. Das zweite Beispiel berichtet Lk 12,58 f. ausführlicher. Matthäus könnte hier von ihm abhängig sein. 114 Gen 4,24: »Wird Kain siebenmal gerächt, dann Lamech siebenundsiebzigmal.« Im Zusammenhang mit dem Zorn Kains gegen Abel betont R. Aqiba nach BerR 22,6 (Theodor / Albeck I, 210) das principiis obsta: »Zuerst ist die Sünde wie eine Spinnwebe, aber am Ende wird sie wie ein Schiffstau.«. 115 Mt 18,21–35 (Sondergut). Nach Josephus, ant. 17,318–320 betrug der jährliche Steuerertrag für die Herodessöhne Archelaos, Antipas und Philippus 900 Talente. Die hohen Schulden des jungen Herodes Agrippa, die seine Freundschaft mit Tiberius bedrohten, betrugen ca. 60 Talente: ant. 18,158–165. 111 Lk
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IV. Jesu Auftreten und Verkündigung
wer sich zum Richter über seine Mitmenschen aufwirft, muß damit rechnen, nach dem gleichen Maßstab von Gott selbst gerichtet zu werden.116 Es gehört zur verderbten heuchlerischen Natur des Menschen, »den Splitter« im Auge des anderen zu sehen, »den Balken« im eigenen Auge aber nicht wahrzunehmen.117 Dementsprechend hängen in der fünften Vaterunserbitte die erbetene Vergebung durch den Vater und die gewährte Vergebung gegenüber dem Nächsten untrennbar zusammen (Mt 6,12 = Lk 11,4). Die nahe Gottesherrschaft zielt auf die Restitution der ursprünglichen, heilsamen und guten Ordnung des Schöpfers, wo sich ein Mensch zu seinem Mitmenschen verhält wie Gott in seiner Liebe zu ihm selbst. Dadurch gewinnt der Mensch die Freiheit, nicht nur den Feind zu lieben, sondern auf das eigene Recht der Vergeltung und alle Gegengewalt zu verzichten, bis hin zu der paradoxen Forderung, dem Unrecht, das ihm selbst geschieht, keinen Widerstand zu leisten, so in der fünften Antithese Mt 5,38–42: »Ihr habt gehört, daß gesagt ist: ›Auge um Auge und Zahn um Zahn.‹118
Ich aber sage euch: Widersteht dem Bösen nicht,119 sondern wer dich auf deine rechte Wange schlägt, dem halte auch die andere hin,120 und dem, der dir vor Gericht deinen Rock nehmen will, dem überlaß auch deinen Mantel. Und wer dich zwingen will, eine Meile (mitzugehen), mit dem geh zwei. Dem, der dich bittet, gib, und wer von dir leihen will, von dem wende dich nicht ab.«121
Wer auf sein Recht und dessen Durchsetzung verzichten kann, wer bereit ist, eher zu leiden als Unrecht zu tun, der ist wahrhaft frei, wie der väterliche Gott und Schöpfer, »der seine Sonne aufgehen läßt über Böse und Gute und regnen läßt über Gerechte und Ungerechte«. Er ist darum auch zu bedingungsloser Hilfeleistung wie der barmherzige Samariter selbst bei persönlicher Gefährdung fähig.122 Paulus, der in seiner Paränese in vielfältiger Weise von der Weisung Jesu abhängig ist, zitiert zum Abschluß die in dieselbe Richtung weisende Aufforderung Prov 25,21: »Wenn dein Feind hungert, so speise ihn, wenn er dürstet, so tränke ihn …« und fügt abschließend hinzu: »Laß dich nicht vom Bösen besiegen, 116 Lk
6,37 f. = Mt 7,1 f.; vgl. Mk 4,24. 6,41 f. = Mt 7,3–5. 118 Ex 21,24; Lev 24,20; Dtn 19,21. 119 Mt 5,39: mÉ üntistönai tù ponhrù. 120 Vgl. Klgl 3,30; Jes 50,6. Es ist die Haltung des Gottesknechts. 121 Vgl. Mt 6,31 f. = Lk 6,29 f. Die kürzere Lukas-Version mag die ältere Fassung sein. 122 Vgl. Lk 10,30–35; 15,20–32; 19,8; Mk 10,21 parr. 117 Lk
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sondern besiege das Böse mit Gutem«123. Man muß dabei bedenken, daß diese Jesusworte in eine von Haß gegen religiöse, politische und soziale Gegner erfüllte Umwelt hineingesprochen sind. Die Liebe des himmlischen Vaters will die verlorenen Menschen zurückholen, sie zu »Gottes Kindern« machen,124 das heißt sie grundlegend verändern und erneuern. Das »suchet nur seine Herrschaft« von Lk 12,31125 könnte man so als Motto über die ganze eschatologisch motivierte ethische Verkündigung Jesu stellen. Durch seinen Fall und die Vertreibung aus dem Garten Eden hat Adam eben seine Heimat in der Gottesgemeinschaft verloren. Nur vertrauensvolles, gehorsames Hören auf Jesu ganz und gar ungewöhnliche Botschaft, die die vorgegebenen profetischen Imperative transzendiert, weil sie mit der Gottesherrschaft Befreiung und Erlösung bringt, kann diese wiedergewinnen. Auch die »ethische Predigt« Jesu kann man daher mit gutem Recht als »messianisch« bezeichnen.
123 Röm 12,20 f. Dies gilt auch vom Verhältnis zu den politischen Mächten, das er unmittelbar darauf in 13,1–7 anspricht, und der Paränese 13,8 ff. mit dem Hinweis auf die Nächstenliebe als Gesetzeserfüllung, dem Zitat aus dem Dekalog und von Lev 19,18. Das Ganze enthält ein an Jesu Verkündigung orientiertes Stück urchristlicher »politischer Theologie«. 124 Mt 5,45: Ωpw“ gfinhsqe u´oÑ toú patrÖ“ ≠mùn toú †n o§ranoõ“, vgl. Lk 6,35. 125 Als Abschluß der Spruchsammlung über das Sorgen Lk 12,22–31. Mt 6,33 ergänzt zu tÉn basile‡an toú qeoú noch das für ihn wichtige Stichwort kaÑ tÉn dikaios‚nhn a§toú, vgl. 3,15; 5,6.10.20; 21,32. Bei Markus und Lukas (abgesehen vom Benedictus 1,75) fehlt es ganz. S. dazu Hengel, KS II, 249–254; P. Stuhlmacher, Gerechtigkeit Gottes bei Paulus, FRLANT 87, Göttingen 1965, 188 f. und zu Jesus 240–257; Deines, Gerechtigkeit, 710 (Index zu Mt 6,33) und besonders 441–446.
§ 15 Die Vaterliebe Gottes Jesus verkündigt nicht – wie später Marcion behauptete und wie es in verschiedenen Abstufungen bis heute immer wieder, gerade im deutschen Protestantismus, nachgesprochen wird – einen neuen, unbekannten Gott, das heißt den Gott der Liebe im Gegensatz zu einem »alttestamentarischen« Gott der Gerechtigkeit und des Gerichtszorns. Der Gott, dessen nahe Herrschaft er ansagt, ist der des Alten Bundes, der Gott, der »Himmel und Erde« erschaffen hat, der als Schöpfer und Herr schon für Israel der Vater ist und als solcher von seinen Kindern angeredet wird, »der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs«, der als der Gott der Väter ein Gott der Lebendigen und nicht der Toten ist und der mit dem Kommen seines Reiches die Toten wieder ins Leben ruft, »denn ihm leben sie alle«. Darum erwartet das Gottesvolk nach dem Zeugnis des Profeten mit Anbruch der Gottesherrschaft »einen neuen Himmel und eine neue Erde«, darum wird JHWH »den Tod für immer vernichten« und »abwischen die Tränen von jedem Antlitz«. Auch wenn Jesus an einzelnen Punkten und in bestimmten Situationen die Tora Moses kritisiert und zurechtrückt, so will er sie gewiß nicht Jeremias, Theologie, 67 ff.174 ff.; J. A. Fitzmyer, Abba and Jesus’ Relation to God, in: A cause de l’Évangile. Études sur les Synoptiques et les Actes offertes au P. Jacques Dupont …, LeDiv 123, Paris 1985, 15–38. Gen 1,1; 14,19; vgl. Lk 10,21 = Mt 11,25: »Vater, Herr des Himmels und der Erde«. Vgl. Dtn 32,6: »Ist er nicht dein Vater und dein Herr? Ist er es nicht allein, der dich geschaffen und bereitet hat?«; Jes 63,16 f.; »Du bist doch unser Vater. Abraham kennt uns ja nicht, und Israel will nichts von uns wissen. Du, JHWH, bist unser Vater!« Vgl. 64,7: »Aber nun, JHWH, du bist doch unser Vater!« Weiter Jer 3,4 Gottes Vorwurf: »Schreist du nicht jetzt zu mir: mein Vater (’ābî)?« und Gottes Klage Jer 3,19.22: »Ich hatte gedacht: Ich will dich einem Sohn gleich halten … Ich dachte: ›Mein Vater‹ (’ābî) wirst du mich nennen. … Kehrt zurück, ihr abtrünnigen Kinder, so will ich euch heilen von eurem Ungehorsam.« Zu Israel als Gottes erstgeborenem Sohn s. Ex 4,22; Jer 31,9; Hos 11,1 (»aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen«) wird als Erfüllungszitat in Mt 2,15 auf das Kind Jesus bezogen. Mk 12,26 f.; Lk 20,37 f. »Abraham, Isaak und Jakob und alle Profeten« werden in der Gottesherrschaft beim eschatologischen Mahl als Gottes Gäste »zu Tische sitzen« (ünakliqflsontai), Lk 13,29. Das Heil gilt Abrahams Kindern, Lk 13,16; 19,9, einschließlich derjenigen, die zu solchen gemacht werden: Mt 3,9; vgl. auch den »Schoß Abrahams« Lk 16,22 ff. Durch Abraham sollen ja alle Geschlechter der Erde gesegnet werden, Gen 12,3, vgl. Jer 4,2; Sir 44,21 (hebr.) und Gal 3,8.14; Apg 3,25. In Jesu Wirken beginnt sich die Verheißung zu erfüllen. Die urchristliche Heidenmission der »Hellenisten« ist eine Konsequenz dieses Wirkens. Jes 65,17; 66,22, vgl. 51,6 und Apk 21,1; 2 Petr 3,13. Jes 25,8, vgl. 11,9; Apk 21,4.7.
§ 15 Die Vaterliebe Gottes
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grundsätzlich verwerfen, man muß vielmehr davon ausgehen, daß er sie in der Regel selbstverständlich gehalten hat. Es geht ihm vielmehr darum, den wahren Gotteswillen, der durch die »Herzenshärtigkeit« Israels verdunkelt ist, wieder in voller Kraft aufstrahlen zu lassen. Die Tora als Gottes Wille soll wieder in ihrer ursprünglichen, dem guten Schöpfer und Herrn der Geschichte gemäßen Bedeutung sichtbar werden. Mit einer gewissen Selbstverständlichkeit lebt Jesus in dem vorgegebenen Rahmen jüdischer Frömmigkeit. Er will weder aus seinem Volk ausbrechen noch die Tora abschaffen. Die Pharisäer wurden deshalb seine besonders hervorgehobenen Gegner, weil sie in den Streitgesprächen zugleich seine intensivsten Gesprächspartner waren und weil sie ihm von allen jüdischen »Religionsparteien« am nächsten standen. Er ist ja vermutlich in einer Familie aufgewachsen, der die pharisäische Frömmigkeitsform vertraut war. Andererseits hatte Jesus ganz gewiß keine pharisäische, schriftgelehrte Ausbildung. Erst Paulus – der ehemalige pharisäische Schriftgelehrte – kann sagen: »Christus ist des Gesetzes Ende zur Gerechtigkeit für jeden, der glaubt.« Und doch unterscheidet sich gerade die Mitte, das Herz der Verkündigung Jesu von anderen jüdischen Gruppen, selbst von der des Täufers. Es genügt nicht, daß man nur ihre Theozentrik hervorhebt, diese hat sie mit anderen gemein, ihr Proprium ist die Verkündigung der Liebe Gottes, der Güte des Vaters. Jesu messianische Sendung kulminiert weder in der Ankündigung des Gerichts noch in der Umkehrforderung in der Form eines »Rufs zur Entscheidung« – in beidem unterscheidet er sich nicht grundlegend vom Täufer –, sondern in der Ansage der Gottesherrschaft als der jetzt bereits anbrechenden Rettung der Verlorenen und der Freude über das ihnen durch die Liebe des Vaters geschenkte Heil. Ihre »Entscheidung«, ihre »Umkehr« ist nur möglich, weil der himmlische Vater sich schon für sie – das heißt zu ihren Gunsten – entschieden hat. Er will sie durch Jesus »heim-suchen«. Diese Zuwendung zu den verlorenen Verirrten und Verstoßenen im jüdischen Volk stößt auf den Widerspruch der etablierten Frömmigkeit; in ihr wird sein messianisches Sendungsbewußtsein besonders Im Gegensatz zu Stephanus und Jesu gesetzesstrengem Bruder Jakobus, der nach Josephus, ant. 20,200 als »Gesetzesbrecher« zusammen mit anderen Christen gesteinigt wurde, hat man, abgesehen von Sabbatkonflikten (Mk 3,1–6 parr.), gegen Jesus nicht die Anklage erhoben, er würde das Gesetz nicht einhalten, wohl aber, daß er wagte, Sünde zu vergeben und Sünder anzunehmen (Mk 2,7 parr. blasfhmeõ, 2,16 parr.; Lk 7,48; vgl. 7,34 par.). Zur Anklage wegen blasfhm‡a beim Verhör durch das Synhedrium s. u. S. 592. Mk 10,5 = Mt 19,8: prÖ“ tÉn sklhrokard‡an ≠mùn, vgl. Dtn 10,16; Jer 4,4; Ez 3,7 (LXX). Hengel / Deines, Pharisäer, in: Hengel, KS I, 396–411; Deines, Pharisäer; s. auch o. S. 285. Röm 10,4; vgl. dagegen die ganz anders klingenden Aussagen Mt 5,17–20, die sich freilich nicht auf den ganzen Wortlaut der Tora beziehen, sondern auf ihre »messianische« Auslegung in der darauffolgenden Bergpredigt.
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IV. Jesu Auftreten und Verkündigung
deutlich: »Ich bin nicht gekommen, Gerechte zu rufen, sondern Sünder.«10 Es war der Wille (e§dok‡a) des Vaters, seine Offenbarung durch den Sohn »den Unmündigen« (toõ“ nhp‡oi“) zu schenken.11 In den drei Gleichnissen in Lk 15 – zwei davon stammen aus dem Sondergut des Evangelisten12 – demonstriert er die Offenbarung der Liebe des Vaters zu den Versagern, Verzweifelten und Verlorenen, die in der öffentlichen Meinung als Sünder gelten: einmal im Doppelgleichnis vom verlorenen Schaf und vom verlorenen Denar und dann in dem großen, fast novellistisch ausgearbeiteten Gleichnis vom verlorenen Sohn. In allen drei ist nicht das Finden bzw. die Umkehr die erzählerische Klimax, sondern, wie J. Jeremias13 zu Recht betonte, die Freude über das Finden, man könnte sagen die Freude des Vaters über die Heimkehr der verlorenen Kinder, vgl. Lk 15,7: »So wird Freude im Himmel sein über einen Sünder, der umkehrt, mehr als über 99 Gerechte, die keiner Umkehr bedürfen«. Diese »Freude im Himmel bei den Engeln Gottes« hat ihre irdisch-menschliche Entsprechung in der überwältigenden Freude des Bauern, der den Schatz, und des Kaufmanns, der die einzigartige Perle findet und die ihren ganzen Besitz dafür verkaufen.14 Während nach Lukas und Matthäus die Schriftgelehrten durch ihre Gottes Willen umbiegenden Forderungen den Zugang zur Gottesherrschaft verschließen, öffnet ihn Jesus gerade für die, die von den Frommen ins Abseits gesetzt werden. Die Schriftgelehrten besitzen zwar durch die Toraauslegung den Schlüssel dazu, gehen aber selbst nicht hinein und lassen auch die anderen nicht eintreten.15 Konkret geschieht diese Öffnung im Zuspruch der Vergebung der Schuld, das heißt der Aufhebung des Fluches, unter dem die Menschen seit dem Sündenfall stehen. Dabei wird deutlich, daß die Liebe des Vaters aller menschlichen Einsicht in die eigene Schuld zuvorkommt: Im Gleichnis vom verlorenen Sohn sieht der Vater die sich nähernde elende Gestalt von ferne, als habe er schon immer nach ihm Ausschau gehalten, und eilt dem nach Hause Zurückkehrenden entgegen, umarmt und küßt ihn. Jetzt erst bekennt der Sohn: 10 Mk 2,17 parr. Vgl. das von Lukas formulierte entsprechende Fazit 19,10 und dazu Ez 34,16: »Das Verlorene will ich suchen, das Versprengte zurückführen, das Gebrochene verbinden, das Kranke stärken.« 11 Lk 10,21 = Mt 11,25 f. 12 Lk 15,8–10.11–32; V. 3–7, das Gleichnis vom verlorenen Schaf, erscheint in zum Teil verändertem Wortlaut in Mt 18,12–14 im völlig anderen Kontext der Gemeindezucht. Die Matthäus-Fassung zeigt die andere, spätere Situation des Evangelisten. S. auch EvThom 107. 13 Jeremias, Gleichnisse, 128 ff.; vgl. auch o. S. 326 ff. zum Verhältnis von Jesus und dem Täufer. 14 Mt 13,44 ff. (Sondergut). S. o. S. 423. 15 Lk 11,52; erweitert in der zeitlich späteren Parallele Mt 23,13. In Mt 23 wird diese Polemik gegenüber Lk 11,37–54 aufgrund der besonderen Situation der Gemeinde zwischen 90–100 gegenüber dem nach der Katastrophe von 70 wieder erstarkenden palästinischen Judentum unter pharisäisch-schriftgelehrter Führung noch verstärkt; s. Hengel, Gospels, 194–205. Vgl. auch Mk 7,1–13 = Mt 15,1–9 die Polemik Jesu gegen die »Überlieferung der Ältesten«.
§ 15 Die Vaterliebe Gottes
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»Vater, ich habe gesündigt vor dem Himmel und vor dir … ich bin nicht mehr wert, dein Sohn genannt zu werden.« Doch der Vater befiehlt seinen Sklaven: »Bringt rasch das wertvollste Gewand und bekleidet ihn damit, und steckt
ihm (als Zeichen seiner neugeschenkten Sohneswürde) einen Ring an den Finger.«16 Die Annahme wird schon vor dem Schuldbekenntnis evident. Gottes vorauslaufende Liebe trifft den Menschen zuerst, sie schafft die Bedingung für die Umkehr und das Schuldbekenntnis. Die Umkehr wird zur Gabe. Der verzweifelte Entschluß des Sohnes zur Heimkehr ist nur eine Vorstufe. Er bricht aus nacktem Selbsterhaltungstrieb nach Hause auf, damit er nicht bei den Schweinen zugrunde geht. Daß er vom Vater wieder als Sohn angenommen wird, damit kann er nicht rechnen. Dem über das jetzt anhebende Freudenfest empörten, bisher immer gehorsam gewesenen älteren Bruder mutet der Vater zu, daß selbst er sich von der Freude über die Rückkehr des jüngeren überwältigen läßt. Auch ihm, der aus verständlichem, menschlich-allzumenschlichem Gerechtigkeitsgefühl empört aufbegehrt, entzieht der Vater seine Liebe nicht. Er läßt auch ihn nicht draußen bleiben: »Kind, du bist immer bei mir, und alles, was dein ist, ist mein.« Auch er soll an dem Freudenfest teilhaben.17 Kein Text der synoptischen Evangelien weist so deutlich den Weg von Jesus zu Paulus wie das Gleichnis vom verlorenen Sohn. Diese Zuwendung ohne Vorbedingung in Verbindung mit der alle Widerstände überwindenden Freude ist das Entscheidende in dieser einzigartigen Erzählung. Welchem orientalischen Familienoberhaupt wäre ein derartig ungewöhnliches Verhalten zuzutrauen gewesen? Man denke nur an das Verhalten des Herodes gegenüber seinen Söhnen und an den Bruderstreit unter den Hasmonäern. Der kleinwüchsige Obersteuerpächter Zachäus (Lk 19,1–10) steigt wegen der großen Volksmenge, die Jesus erwartet, auf eine Sykomore, um in seiner großen Neugier diesen zu sehen. Jesus erspäht ihn dort, ruft ihn herunter und will gerade bei ihm, dem wenig beliebten reichen Steuereinnehmer, einkehren, ungeachtet des Protests der Bewohner von Jericho. Die Freude, mit der er Jesus aufnimmt (≠pedfixato … ca‡rwn, V. 6), äußert sich in einer radikalen Veränderung seines Lebens, die konsequente Wiedergutmachung mit einschließt (V. 8). Jesus, der nach Lukas an Gottes Stelle handelt, spricht ihm und seiner Familie Heil zu, ist doch auch er ein Sohn Abrahams (V. 9). Vom Vater dazu bevollmächtigt, ist es die Aufgabe des »Menschensohn(s), das Verlorene zu suchen und zu retten« (V. 10). Kein Wunder, daß dieser »Menschensohn« von seinen Gegnern als »Freund der Zöllner und Sünder« geschmäht wird (Lk 7,34 = Mt 11,19). Zugleich wird ver16 Lk 15,20–22. S. dazu K. H. Rengstorf, Die Re-Investitur des Verlorenen Sohnes in der Gleichniserzählung Jesu Luk. 15,11–32, VAFLNW.G 137, Köln u. a. 1967. 17 Man wird hier an den ungeheuerlichen Satz erinnert, den Paulus an das Ende seiner theologisch-soteriologischen Argumentation im Römerbrief stellt: »Gott hat alle in den Ungehorsam eingeschlossen, auf daß er sich aller erbarme« (11,32).
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IV. Jesu Auftreten und Verkündigung
ständlich, daß der strenge Matthäus, der das Evangelium des Lukas kannte und teilweise auch verwendete, diesen und verwandte Texte beiseite ließ. Um unverdiente Zuwendung geht es auch bei der Heilung des Gelähmten nach Mk 2,5, bei der Jesus dem Kranken, ohne seine Würdigkeit zu prüfen, einfach auf Grund des Vertrauens, das sich darin manifestierte, wie er von Dritten hergebracht wurde, die Vergebung zuspricht.18 Dasselbe gilt von der Erzählung von der großen Sünderin, Lk 7,36–50, in der Jesus auf den Protest des Pharisäers Simon, der daran Anstoß nimmt, daß dieser sich die Füße von einer Dirne salben läßt, mit dem Gleichnis von den zwei Schuldnern antwortet: Wem große Schuld vergeben wurde – ohne Vorbedingung –, der ist zu besonderer Liebe fähig.19 Das heißt, Gottes‑ und Nächstenliebe erwachsen aus der Freude des Beschenktseins, aus Dankbarkeit, noch mehr: aus der das Herz verändernden Kraft der Liebe Gottes. Im Vaterunser, Lk 11,4, begründet die Bitte um Vergebung unsere Vergebungsbereitschaft gegenüber dem Bruder, ähnlich bei Matthäus im Gleichnis vom Schalksknecht,20 in dem am Anfang der Erlaß einer unvorstellbaren Finanzschuld von 10 000 Talenten steht. Die Erfahrung der alles umgreifenden Liebe Gottes lehrt den Menschen das völlige Vertrauen, die bergeversetzende ’ ämûnāh, p‡sti“,21 und sie manifestiert sich in der Gewißheit der Gebetserhörung. Das Lukas-Sondergut enthält dafür einige Beispiele. Das Gebet des Zöllners im Tempel, der sich an die Brust schlägt und bittet: »Gott sei mir Sünder gnädig«, ist ein Gebet des Vertrauens, daß Gott dem Sünder gnädig sein will. Darum »ging er gerechtfertigt nach Hause« im Gegensatz zu dem Pharisäer.22 Eine urchristliche Gebetsparänese aus eben diesem Lukas-Sondergut ermutigt dazu, daß man »allezeit beten und nicht nachlassen solle«, und begründet dies durch mehrere Gleichnisse Jesu: Wenn schon ein »ungerechter Richter«, »der weder Gott fürchtet noch Menschen scheut«, einer Witwe, die ihn ständig bedrängt, damit er ihr zum Recht verhelfe, widerwillig ihren Wunsch erfüllt, damit sie ihn in Ruhe läßt, um wieviel mehr wird Gott »seinen Auserwählten, die Tag und Nacht zu ihm rufen, ohne Verzug Recht schaffen«. Der Vater läßt die angefochtene Jüngergemeinde, die inständig um sein Eingreifen bittet, nicht im Stich.23 Dies unterstreicht auch das 18 Mk
2,5 = Lk 5,20 = Mt 9,2: kaÑ ¢dán ¨ ûIhsoú“ tÉn p‡stin a§tùn. 7,40 ff. 20 Mt 18,23–35; s. o. S. 449 Anm. 115. 21 Mk 11,22; s. u. S. 565 f. 22 Lk 18,9–14. Das in den Evangelien einzigartige dedikaiwmfino“ »(von Gott) gerechtfertigt« ist eine ›paulinische‹ Formulierung bei Lukas. 23 Lk 18,1–8a (Sondergut). Lukas begründet dies mit der in Bälde erwarteten Parusie und schließt die Frage in V. 8b an, ob der Menschensohn bei seinem Kommen noch solches im Gebet sichtbar werdendes Vertrauen (p‡sti“, s. u. S. 475 f.) in der irdischen Gemeinde vorfinden wird. Zur Gebetsparänese s. Lk 21,36; Röm 12,12; 1 Thess 5,17; Phil 4,6; Kol 4,2. Die Kontinuität zur paulinischen Paränese ist offensichtlich. 19 Lk
§ 15 Die Vaterliebe Gottes
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Gleichnis von dem zur völligen Unzeit um Mitternacht bittenden Freund, der die Nachtruhe der ganzen Familie stört (Lk 11,5 ff.). Selbst wenn der Gebetene den Wunsch nicht erfüllen würde, weil es sein Freund ist, der vor der Tür steht, so tut er es doch um dessen »Zudringlichkeit« (üna‡deia) willen. Eben diese »Zudringlichkeit« im Bitten ist Ausdruck jenes völligen Vertrauens in die väterliche Güte und Zuwendung Gottes, die einen wesentlichen Grundbestandteil der Reich-Gottes-Verkündigung Jesu darstellt. Lukas fügt die fast enthusiastisch klingende Aufforderung an: »Also sage ich euch:
Bittet, und es wird euch gegeben werden, suchet, und ihr werdet finden, klopft an, und es wird euch geöffnet werden.«
Darauf folgt ein weiteres Gleichnis: »Welchen Vater aber unter euch bittet sein Sohn um einen Fisch, und statt eines
Fisches wird er ihm eine Schlange geben? Oder er bittet um ein Ei, und er wird ihm einen Skorpion geben? Wenn nun ihr, die ihr böse seid, wißt, euren Kindern gute Gaben zu geben, wieviel mehr wird der Vater vom Himmel her den Heiligen Geist geben denen, die ihn bitten?«24
Der Vater gibt gewiß, was seine Kinder brauchen. Am schönsten kommt dies im sogenannten Vaterunser zum Ausdruck, das mit der vertrauensvollen Vateranrede beginnt, die Jesus seine Jünger lehrte, dem familiären aramäischen »Abba«, »lieber Vater«, das als Gottesanrede wegen seiner Vertraulichkeit kaum verwendet wurde. Die gebräuchliche palästinischjüdische Formel war das seit den Tannaiten, das heißt seit dem Anfang des 2. Jahrhunderts n. Chr. nachweisbare »unser Vater in dem Himmel«, die Mt 6,9 im Gegensatz zur älteren Version Lk 11,2 wieder ins Vaterunser einführt. Der einfache Vokativ p›ter in Lk 11,2 setzt das schlichte »Abba« voraus. Die Matthäus-Version »unser Vater im Himmel« bringt wieder stärker die Distanz zum Ausdruck. Die Anrede »Abba« im aramäischen Urtext finden wir – freilich in einem für den Evangelisten zentralen Kontext – nur einmal in den Evangelien, in Mk 14,36, wo der Evangelist bewußt Jesu Gebet in Gethsemane damit beginnen läßt; doch steht sie auch hinter dem absoluten ¨ patflr bzw. p›ter bei Matthäus und Lukas.25 Selbst die griechisch sprechenden Missionsgemeinden des Paulus übernehmen diesen aramäischen Gebetsruf als geistgewirkten Ausdruck 24 Lk 11,5–13; vgl. die knappere Fassung Mt 7,7–11. Er ersetzt 7,11 den »heiligen Geist« von Lk 11,13 durch ein einfaches ügaq› »Gutes«. Johannes nimmt das Motiv christologisch interpretiert in den Abschiedsreden auf: 14,13 f.; 15,7; 16,24; 1 Joh 3,22; 5,14. 25 Mt 11,25; Lk 10,21; 11,2; 22,42; 23,34.46.
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IV. Jesu Auftreten und Verkündigung
ihrer Glaubensgewißheit.26 Es handelte sich dabei um das erste Wort des auch ihnen bekannten Vaterunsers.27 Eigenartig ist dabei, daß Jesus häufig gegenüber den Jüngern von »eurem Vater«, aber in bezug auf sich selbst von »meinem Vater« spricht, nie dagegen sich und die Jünger mit einem »unser Vater« zusammenfaßt.28 Dahinter dürfte die Einzigartigkeit seines Gottesverhältnisses, sein besonderes Sohnesbewußtsein stehen, das man als »Sohnesgeheimnis« bezeichnen könnte und das untrennbar mit seiner messianischen Sendung zusammenhängt. Der Zuspruch der Himmelsstimme bei der Taufe Jesu: »Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen« hat für die synoptischen Evangelien den Charakter einer Beauftragung Jesu für seinen »messianischen Dienst«.29 Hier zeigt sich für sie bereits der entscheidende Unterschied zwischen Jesus und dem Täufer, der dann von dem vierten Evangelisten noch gesteigert wird. Mit dem Vaterunser belehrt er seine Jünger, wie sie zum Vater beten sollen, weil sie dessen Kinder sind.
26 Röm
8,15; Gal 4,6. Abba; Philonenko, Vaterunser; Hengel, Abba, 173. 28 ¨ patÉr ≠mùn: Mk 11,25; Lk 6,36; 12,30.32; besonders häufig bei Matthäus in der Bergpredigt: 5,16.45.48 (vgl. Lk 6,36); 6,1.14 f.32; 7,11; aber auch 10,20.29; 18,14; 23,9; daneben ¨ patflr mou: 7,21; 10,32 f.; 11,27 (= Lk 10,22); 15,13; 16,17; 18,10.19.35. 29 Mk 1,11; Hengel, Abba, und o. S. 321. 27 Jeremias,
V. Jesu Vollmacht und messianischer Anspruch
§16 Der profetisch-messianische Wundertäter In der frühesten nichtchristlichen Erwähnung Jesu überhaupt, dem Testimonium Flavianum des Flavius Josephus, das ca. 90 n. Chr. entstand, werden als besonderes Kennzeichen dieses »Messias« seine »erstaunlichen Taten«, par›doxa ≤rga, hervorgehoben. Dieses Urteil bestätigt die neutestamentliche Überlieferung.
Exkurs: Die Wundererzählungen Die zahlreichen, variantenreichen Berichte in den vier Evangelien über die wunderbaren Taten Jesu ordnet man traditionell verschiedenen Gattungen zu. Es handelt sich im Überblick um: 1. Sammelberichte Mit diesen Notizen betonen die Evangelisten unter anderem, daß sie nicht von allen Heilungen Jesu erzählen können. Ihre Verwendung bei Markus war vorbildlich für die anderen, so zum Beispiel (1) Mk 1,32 ff. = Lk 4,40 f. = Mt 8,16; (2) Mk 1,39 = Mt 4,23 f. (vgl. Mt 9,35); (3) Mk 3,10 ff. = Lk 6,17 ff. (vgl. Mt 12,15 f.); (4) Mk 6,55 f. = Mt 14,35 f. Bei Lukas werden darüber hinaus die Frauen, die Jesus heilte, in einem solchen kurzen, M. und R. Hengel, Die Heilungen Jesu und medizinisches Denken, in: Medicus Viator. Festgabe Richard Siebeck, hg. v. P. Christian und D. Rössler, Tübingen / Stuttgart 1959, 332– 361, und in: Der Wunderbegriff im Neuen Testament, hg. v. A. Suhl, WdF CCXCV, Darmstadt 1980, 295 ff. = KS V, 1–27; R. Pesch, Jesu ureigene Taten?, Freiburg u. a. 1970; Theissen, Wundergeschichten; Hengel, Entstehungszeit, 16 ff.; Bultmann, GST, 223–260; G. H. Twelftree, Jesus the Exorcist, WUNT II / 54, Tübingen 1993; ders., Jesus the Miracle Worker, Downers Grove (Ill.) 1999; M. van Uytfanghe, Art. Biographie II (spirituelle), RAC Suppl. 1, 2001, 1088–1363; Meier, Marginal Jew II, 509–1038; Theissen / Merz, Jesus, 256–283; Dunn, Jesus, 667–696. Zum Glaubensbegriff: Roloff, Kerygma, 141 ff.; O. Betz / W. Grimm, Wesen und Wirklichkeit der Wunder Jesu, ANTI 2, Frankfurt u. a. 1977. Josephus, ant. 18,63: én gÅr (sc. ûIhsoú“) parad·xwn ≤rgwn poihtfl“. Für die Bedeutung von par›doxo“ gibt die Josephuskonkordanz von Rengstorf (III, 288) die Übersetzung »unerwartet, überraschend, erstaunlich, ungewöhnlich, seltsam, sonderbar, unglaublich, wunderbar« an. Diese verschiedenen Nuancen klingen hier an. Vgl. zur Wortbedeutung auch Bauer /Aland, WB, 1244 f. Zur Frage der christlichen Bearbeitung der Stelle s. o. S. 82. Als »sogenannten Gesalbten«, was nicht negativ gemeint ist, erwähnt Josephus Jesus in seiner Notiz über die Steinigung des Herrenbruders Jakobus (ant. 20,200: tÖn üdelfÖn ûIhsoú toú legomfinou Cristoú). Ausführlicher dazu u. S. 464; vgl. auch Meier, Marginal Jew II, 618.
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V. Jesu Vollmacht und messianischer Anspruch
historisch wertvollen Hinweis namentlich erwähnt (8,2 f.); ein genereller Verweis auf Krankenheilungen erscheint auch bei der Täuferanfrage (Lk 7,21). Matthäus ergänzt gerne übertreibend ein »alle« Kranken und Krankheiten zusätzlich zu seiner markinischen Vorlage (Mt 4,23 f.; 8,16 f.) und berichtet 21,14 im Gegensatz zu Markus und Lukas von Heilungen in Jerusalem. Johannes verwendet keine Sammelberichte, aber die hyperbolischen Schlußverse Joh 20,30 und 21,25 erinnern noch an sie. 2. Heilungen und Exorzismen Diese bilden den Großteil der Wunderberichte. Auch bei den Einzelerzählungen ist Markus grundlegend; ihm folgen Lukas und Matthäus mit ihren synoptischen Parallelberichten, wobei Matthäus in der Regel verkürzt: (1) der Besessene in der Synagoge Mk 1,23–26 = Lk 4,33–35; (2) die Heilung der Schwiegermutter des Petrus Mk 1,30 f. = Lk 4,38 f. = Mt 8,14 f.; (3) der Aussätzige Mk 1,40–44 = Lk 5,12–14 = Mt 8,2–4; (4) der Gelähmte Mk 2,1–12 = Lk 5,17–26 = Mt 9,1–8; (5) der Mann mit gelähmter Hand Mk 3,1–6 = Lk 6,6–11 = Mt 12,9–14; (6) der besessene Gerasener Mk 5,1–20 = Lk 8,26–39 = Mt 8,28–34; (7) die Tochter des Jairus Mk 5,21–24.35–43 = Lk 8,40–42.49–56 = Mt 9,18 f.23–26; (8) die blutflüssige Frau Mk 5,25–34 = Lk 8,43–48 = Mt 9,20–22; (9) die Tochter der Syrophönizierin Mk 7,24–30 = Mt 15,21–28; (10) der Taubstumme Mk 7,31–37 = Mt 15,29–31; (11) der Blinde bei Bethsaida Mk 8,22–26; (12) der besessene Knabe Mk 9,14–29 = Lk 9,37–43 = Mt 17,14–21; (13) der blinde Bartimaios Mk 10,46–52 = Lk 18,35–43 = Mt 20,29–34 (vgl. Mt 9,27– 31). Nur bei Lukas und Matthäus: (14) der stumme (Matthäus: und blinde) Besessene Lk 11,14(–23) = Mt 12,22 f.(–30). Im lukanischen Sondergut: (15) die gekrümmte Frau Lk 13,10–17; (16) der Wassersüchtige Lk 14,1–6; (17) die zehn Aussätzigen Lk 17,11–19; (18) das Ohr des Malchus Lk 22,50 f. Bei Johannes ist Sondergut: (19) der Gelähmte am Teich Bethesda Joh 5,1–9; (20) der Blindgeborene Joh 9. Vgl. dazu u. S. 464; D. E. Aune, Magic in early Christianity, ANRW II.23,2, Berlin / New York 1980, 1524; Meier, Marginal Jew II, 618.635 Anm. 7; Stuhlmacher, Theologie I, 81 ff.; Wilckens, Theologie I / 1, 139–163. D. E. Aune, loc. cit. und Meier, loc. cit. zählen sechs Exorzismen und siebzehn Heilungen (die Totenerweckungen eingeschlossen), wobei Meier zu Recht darauf hinweist, daß die traditionellen formgeschichtlichen Einteilungen zu kurz greifen.
§ 16 Der profetisch-messianische Wundertäter
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Lukas, Matthäus und Johannes haben gemeinsam: (21) die Fernheilung des Sklaven des Hauptmanns Lk 7,1–10; Mt 8,5–13, des Sohnes eines königlichen Beamten Joh 4,46b–54. 3. Totenerweckungen Aus der synoptischen Tradition könnte man hier die Tochter des Jairus anführen (s. o. 2. Nr. 7); Lk 7,11–16 (Sondergut): den Jüngling in Nain; weiter Joh 11 (Sondergut): Lazarus. 4. Epiphaniewunder Das Gehen auf dem See läßt sich hier formgeschichtlich einordnen (Mk 6,45–52 = Mt 14,22–33 = Joh 6,16–21); weiter die Verklärung (Mk 9,2–10; Lk 9,28–36; Mt 17,1–9). Auch die Ostergeschichten sind Epiphanieerzählungen. 5. Geschenkwunder Die Speisung der 4000 (Mk 8,1–9 = Mt 15,32–38); die Speisung der 5000 findet sich in allen Evangelien (Mk 6,35–44; Lk 9,12–17; Mt 14,15–21; Joh 6,5–13). Vom wunderbaren Fischzug gibt es zwei Varianten (Lk 5,1–11; Joh 21,1–11). Johanneisches Sondergut ist das Weinwunder in Kana (2,1–11), matthäisches Sondergut die Münze im Fischmaul (17,24–27). 6. Rettungswunder Als solches kann man die Stillung des Sturmes bezeichnen (Mk 4,35–41; Lk 8,22–25; Mt 8,23–27); auch die Rettung des untergehenden Petrus Mt 14,28–33 (Sondergut) könnte man dazu rechnen. 7. Strafwunder Für diese im Alten Testament, Frühjudentum und später im Christentum beliebte Gattung findet sich nur das Beispiel vom verdorrten Feigenbaum (Mk 11,12–14.20–25 = Mt 21,18–22). Thematisch mit den Wundererzählungen verwandt sind die Hinweise auf das Vorherwissen und die übermenschliche Herzenskenntnis Jesu. Auch sie unterstreichen seine Darstellung als messianischer Wundertäter: Jesus durchschaut die Gedanken seiner Gegner (Mk 2,8 = Lk 5,22 = Mt 9,4; Lk 11,17 = Mt 12,25), er kündigt die Zerstörung des Tempels an (Mk 13,2 = Lk 19,43 f.; 21,6.20; Mt 23,38; 24,2); auch das »Zeichen des Jona« könnte sich ursprünglich auf den Untergang Jerusalems bezogen haben. Die Leidensankündigungen, die in den Evangelien ausgestaltet werden, haben sich in ursprünglicherer Form in Lk 12,50; 13,33 und Mk 9,31a; 10,38 f. erhalten (vgl. Mk 8,31; 10,33 f.; Lk 9,22.44; 17,25; 18,32 f.; 24,7; Mt 16,21; 17,22 f.; 20,18 f.; 26,2; Joh 12,32 f.). Die Vorbereitung des Einzugs in Jerusalem und die So
auch Meier, Marginal Jew II, 618. 11,29; Mt 12,39; 16,4; VitProph 10,8; vgl. Schwemer, Prophetenlegenden II, 78–82; Mittmann-Richert, Einführung, 170; dazu u. S. 469. Lk
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V. Jesu Vollmacht und messianischer Anspruch
sorgfältige Wahl des Ortes für das letzte Passamahl schildert schon Markus als souveränes Vorherwissen. Die Ankündigung der Verleugnung des Petrus (Mk 14,30 = Lk 22,34 = Mt 26,34 = Joh 13,38) und die des Verrats durch Judas Iskariot (Mk 14,18–21 = Lk 22,21 f. = Mt 26,21–24; Joh 6,64; 13,10 f.21–27) sind vermutlich keine vaticinia ex eventu. Die Verheißung des Martyriums an die beiden Zebedaiden könnte man ebenfalls anführen (Mk 10,39 f. = Mt 20,23). Die Leidensvorhersage an die Jünger wie auch ihr künftiges Fasten (Mk 2,20 parr.) werden durch nachösterliche Erfahrungen gestaltet sein, dasselbe gilt auch von der synoptischen Apokalypse Mk 13,3–37 parr. Johannes betont das übermenschliche Wissen Jesu am stärksten; vgl. 1,48: »bevor dich Philippus rief, sah ich dich unter dem Feigenbaum«; 2,4b: »meine Stunde ist noch nicht gekommen«; 4,17 f. gegenüber der Samaritanerin: »du hast keinen Mann«; 6,61: Jesus erkennt bei sich selbst das Murren der Jünger; 11,14: Lazarus ist schon tot; 13,1.3; 18,4: »Da Jesus nun alles wußte, was auf ihn zukommen sollte …«, vgl. 19,28; ebenso kündigt er Petrus das Martyrium an (13,36; 21,18 f.).
16.1 Die Heilungen Jesu als Zeichen seiner messianischen Vollmacht »By far the deepest impression Jesus made upon his contemporaries was as an exorcist and a healer.« Dieser Satz findet sich nicht in einer theologischen
Monographie, sondern in dem Jesusbuch des Althistorikers Michael Grant. Daß für die galiläische Landbevölkerung die Heilungswunder Jesu noch größere Anziehungskraft besaßen und eine stärkere Aufmerksamkeit erweckten als seine Predigt, aber auch, daß man beides nicht trennen kann, bezeugen Markus, Lukas, Matthäus und auf seine Weise Johannes relativ unabhängig voneinander. Dies gilt zunächst für die in der Regel zuwenig beachteten Sammelberichte über Heilungen und Exorzismen. Sie sind nicht einfach freie redaktionelle Bildungen der Evangelisten bei der Ausgestaltung des »Rahmens« der Evangelien, sondern gehen als Manifestationen eines »kollektiven Gedächtnisses« auf kerygmatische Zusammenfassungen in der urchristlichen Missionspredigt zurück, die dann zusätzlich durch konkrete Einzelerzählungen paradigmatisch illustriert wurden. Das heißt, »Sammelberichte« und Einzelerzählungen standen schon in der auf mündlicher Tradition gründenden Missionspredigt nebeneinander und gehörten notwendigerweise von Anfang an zur erzählten »Jesusgeschichte«, wobei ihr Wortlaut im einzelnen recht variabel war.10 Wie sehr wir bei den Heilungen, unabhängig vom Wortlaut der einzelnen »Wundergeschichten«, auf historisch sicherem Grund stehen, zeigen die auffallenden Selbstzeugnisse Jesu, in denen
Die Authentizität von Mk 13,3–27 wird jetzt von Pitre, Jesus, 231–253.264–292.348–379 vehement verteidigt. Grant, Jesus, 31. Vgl. o. S. 461 Anm. 2 zum Testimonium Flavianum. 10 Vgl. Mk 1,32 ff.39 = Lk 4,40 f.; Mk 3,10 ff., vgl. Lk 5,15; Mk 6,12 f.56; dazu o. S. 462.
§ 16 Der profetisch-messianische Wundertäter
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er auf seine »Krafttaten«11 hinweist. So in den schon mehrfach erwähnten Wehe rufen über die galiläischen Orte:12 »Wehe dir Chorazin,
wehe dir Bethsaida, denn wenn in Tyrus und Sidon die Krafttaten geschehen wären, die bei euch geschehen sind, längst säßen sie in Sack und Asche und wären umgekehrt. Und du, Kapernaum, steigst du bis zum Himmel empor? Bis in die Unterwelt wirst du hinabfahren!«
Matthäus fügt noch hinzu: »Denn wenn in Sodom die Krafttaten geschehen wären,
die in dir geschehen sind, es würde bis heute bestehen.
Ich aber sage euch: Dem Lande Sodom wird es am Tage des Gerichts erträglicher gehen als dir.«13
Es wird hier eine »enthusiastische« Selbsteinschätzung seiner dun›mei“ durch Jesus sichtbar, die nur durch seine Reich-Gottes‑ und Gerichtspredigt verständlich wird. Das andere Stichwort betrifft Jesu »Vollmacht« und ist stärker auf seine Lehre bezogen. Beim ersten Auftreten Jesu nach Markus waren die Bewohner von Kapernaum nach dem Exorzismus in der Synagoge zutiefst beeindruckt durch seine Lehre, denn er lehrte wie »einer, der Vollmacht hat,14 und nicht wie die Schriftgelehrten«. Durch die Heilung des Gelähmten15 unterstreicht Jesus, daß
11 dun›mei“; hebr.: g ebûrôt; aram.: g ebûrātā’. Das Wort im Sinne von »Krafttat« / »Wunder« in Mk 6,2.5; 9,39; Lk 10,13; 19,37; Mt 7,22; 11,20–23; 13,54.58; 14,2. Johannes hat es bezeichnenderweise nicht. Er liebt den hermeneutisch reflektierten Begriff shmeõon / shmeõa, während der synoptische Jesus »Zeichen« zu seiner Legitimation ablehnt. Nur die falschen Messiasse und Profeten tun shmeõa kaÑ tfirata, um die Gemeinde zu verführen (Mk 13,22 = Mt 24,24, vgl. 2 Thess 2,9), es ist eine Septuaginta-Formel; s. auch Joh 4,48. Das aus der Septuaginta vertraute tfira“ fehlt in bezug auf Jesus ganz. Wir finden diese alttestamentliche Formel um so häufiger in der Apostelgeschichte und zweimal bei Paulus (Röm 15,19: †n dun›mei shme‡wn kaÑ ter›twn, †n dun›mei pne‚mato“ qeoú, 2 Kor 12,12: Er hat die shmeõa toú üpost·lou in Korinth getan: shme‡oi“ te kaÑ tfirasin kaÑ dun›mesin). Diese »Zeichen eines Apostels« sind Ausdruck für die Übertragung der messianischen Vollmacht Jesu auf die Jesusboten, s. o. S. 372. Für die Urgemeinde sind die Taten Jesu »unvergleichlich« und zugleich »vorbildlich«. 12 Lk 10,13.15 = Mt 11,21.23a, s. auch o. S. 390. 13 Mt 11,23 f.; vgl. Lk 10,12. Zum Stichwort Sodom s. auch Apk 11,8, bezogen auf Jerusalem. Zum Gericht s. o. S. 329. 14 Mk 1,22: Æ“ †xous‡an ≤cwn, vgl. 1,27: didacÉ kainÉ katû †xous‡an, vgl. Mt 7,29. Dahinter steht hebr. rāšût, aram. rešûtā’, s. Jastrow, Dictionary II, 1449 f. S. dazu o. S. 351. 15 Mk 2,1–12 = Lk 5,17–26 = Mt 9,1–8.
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V. Jesu Vollmacht und messianischer Anspruch
er, der »Menschensohn, auch Vollmacht hat, Sünden zu vergeben«16. Aufgrund seiner Tat »geraten alle außer sich, preisen Gott und sagen: So etwas haben wir noch nie gesehen«. Jesu »Krafttaten« (dun›mei“) und seine in Vollmacht verkündigte Botschaft sind eng miteinander verbunden. Die Taten sind ein wesentlicher Teil seiner Ansage der »sich realisierenden Gottesherrschaft«.17 In der Aussendungsüberlieferung ist es Jesus selbst, der seinen Jüngern »Vollmacht« über unreine Geister gab, daß sie wie er selbst Exorzismen vollziehen und Kranke heilen.18 Eine derartige Bevollmächtigung überschreitet das Vermögen eines Profeten; es war für die Evangelisten ein messianischer Akt. Jesus handelt auch hier an Gottes Stelle. Die zentrale eschatologische Bedeutung seiner Taten wird durch seine schon mehrfach angeführte Antwort auf die Täuferfrage hervorgehoben.19 Lukas hat sie nach der paradigmatischen Feldrede an den Anfang seiner Sammlung von Jesuslogien gesetzt und dazwischen nur die Heilung des Sklaven des Hauptmanns von Kapernaum und die Auferweckung des Jünglings von Nain eingeschoben, damit die Anfrage des Johannes wenigstens durch zwei Beispiele der wunderbaren Heilungsgabe Jesu und seiner Fähigkeit, Tote zu erwecken, illustriert wurde.20 Er verstärkt diesen Eindruck durch die Einfügung eines Sammelberichts über die intensive Heilungstätigkeit Jesu zu der Zeit,21 als die Täuferboten eintrafen. Jesus fordert sie auf: »Geht und berichtet dem Johannes, 16 Mk
2,10: Ωti †xous‡an ≤cei ¨ u´Ö“ toú ünqr„pou üfifinai ®mart‡a“ †pÑ tö“ gö“ = Lk 5,24 = Mt 9,6. Vgl. den Chorschluß Mt 9,8: †d·xasan tÖn qeÖn tÖn d·nta †xous‡an toia‚thn, das heißt die Vollmacht zur Heilung und zur Sündenvergebung. 17 Diese relativ vielfältigen Hinweise auf Reaktionen der Zuschauer auf Jesu Wunder kann man nicht einfach durch das formgeschichtliche Argument entkräften, hier handle es sich um den erzählerisch notwendigen »Chorschluß« der Wundergeschichte. Diese »Chorschlüsse« sind zu verschiedenartig, um durch den Verweis auf die Formgeschichte historisch einfach beiseite geschoben zu werden. Sie gehen letztlich auf die Wirkung der Taten Jesu zurück. 18 Mk 6,7: †d‡dou a§toõ“ †xous‡an tùn pneum›twn tùn ükaq›rtwn; 6,12 f.: Sie verkündigen Umkehr, treiben viele Dämonen aus, salben viele Kranke mit Öl und heilen sie. Bei der Ölsalbung handelt es sich um einen urchristlichen Gemeindebrauch, vgl. Jak 5,14 f. Vgl. auch Mk 3,15; Lk 9,1; 10,19; Mt 10,3. Dagegen verweigert er gegenüber den Hierarchen Mk 11,28 ff. parr. die Antwort auf ihre Frage nach der Herkunft seiner †xous‡a im Blick auf sein Auftreten im Tempel. 19 Lk 7,21–23; Mt 11,4–6; s. o. S. 330 ff.393. 20 Lk 7,1–10.11–18: Die Jünger des Täufers verkündigen diesem im Gefängnis perÑ p›ntwn to‚twn (V. 18). 21 Lk 7,21: †n †ke‡nÔh tÔö øra †qer›peusen polloÜ“ üpÖ n·swn kaÑ mast‡gwn kaÑ pneum›twn ponhrùn kaÑ tufloõ“ polloõ“ †car‡sato blfipein. Lukas, der »geliebte Arzt« (Kol 4,14), macht dabei keinen Unterschied zwischen Körpermängeln und Besessenheit. Jesus »heilt« beides. Qerape‚ein erscheint bei Markus fünf‑, bei Lukas vierzehn‑ und bei Matthäus sechzehnmal. Johannes hat es, da er keine Sammelberichte kennt, nur einmal in 5,10 als Partizip. Lukas hat dagegen zehnmal ¢ôsqai, Matthäus dreimal (einmal als Zitat von Jes 6,10) und Markus nur einmal, Johannes dreimal (einmal als Zitat von Jes 6,10). Die Heilungsterminologie ist in den Evangelien fast so häufig wie die der Verkündigung und Lehre.
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was ihr gesehen und gehört habt« (Lk 7,22 = Mt 11,4). In seiner Antwort wird die »messianisch-heilsgeschichtliche« Begründung seines Handelns sichtbar: Es geht um die Erfüllung der jesajanischen Verheißungen vom Hören der Tauben, vom Sehen der Blinden und vom Auferstehen der Toten,22 die ihre Zusammenfassung und ihren Höhepunkt in Jes 61,1 ff. finden, wo von der Verkündigung der frohen Botschaft an die Armen durch den »vom Geist gesalbten« endzeitlichen Profeten die Rede ist. Dieses ptwcoÑ e§aggel‡zontai nimmt seinerseits wieder Bezug auf den Eingang der Feldrede mit der Seligpreisung der Armen. Daß es dabei nicht erst in der christlichen Deutung, sondern schon in der jüdischen Erwartung um messianische Motive geht, wird aus dem oben ausführlich zitierten Text aus Qumran deutlich.23 Wir begegnen darin einem von Jes 61,1 ff. her geprägten profetischen Messiasbild, das sich von dem üblichen königlich-kriegerischen, das man bisher weithin für das ausschließliche hielt, nicht unwesentlich unterscheidet. Bereits in 11QMelch I 18 taucht ein rätselhafter »Geistgesalbter« (māšî ah ha-rû ah) auf, der mit dem »Freudenboten« von Jes 52,7 identisch ist und auf den Prädikate von Jes 61,1–3 bezogen werden.24 Die jüdische Messianologie vor 70 war reicher als die pharisäisch-rabbinische mit ihren stärker politisch geprägten Vorstellungen, wie sie uns in PsSal 17 und später in den Targumen begegnet. Man kannte schon in Qumran verschiedene Messiasgestalten, den priesterlichen Messias als Lehrer, den herrscherlichen »Sproß Davids« als Kriegshelden25 und den profetischen als Geistträger. Hinzu kommt aus Dan 7,13 die rätselhafte Gestalt des »Menschen(sohns)«.26 Hier lagen Überschneidungen nahe. Auf die so umstrittene Frage nach der Messianität Jesu fällt durch diese Texte ein ganz neues Licht.27 22 Lk
7,21 f. = Mt 11,4 f., s. dazu: Jes 26,19; 29,18; 35,5 f.; 42,18. s. dazu o. S. 165.332 f. 24 Dazu Zimmermann, Texte, 389–412. 25 Man vermied bei ihm im Gegensatz zu den pharisäischen und rabbinischen Texten den Titel »König« (mäläk), nannte ihn nach Ezechiel nur »Fürst« (nāśî ’) und stellte ihn im Rang hinter den endzeitlichen Hohenpriester. Auch Bar Kochba führte nach seinen Münzen diesen Titel. S. Zimmermann, Texte, 46–127; Schürer I, 544; Hengel, KS I, 349 und u. S. 500 f. Aber auch hier muß man noch differenzieren: In Sach 9,9 f. wird der königliche Messias als Friedenskönig und nicht als Kriegsheld dargestellt, der alles Kriegsgerät abschafft. Der Text spielt beim Einzug Jesu in Jerusalem eine zentrale Rolle: s. u. S. 552. 26 Der Menschensohn von Dan 7,13 begegnet uns in den erhaltenen Qumrantexten nicht, kann dort aber auch nicht völlig unbekannt gewesen sein, da das Danielbuch in Qumran sehr geschätzt wurde und in zahlreichen Exemplaren in der Bibliothek vorhanden war: 11QMelch I 18 f. zitiert Dan 9,25 und Jes 52,7 mit dem »Freudenboten« im Zusammenhang mit dem »Geistgesalbten«. Zum Menschensohnproblem s. u. S. 526–541. 27 Zimmermann, Texte, 8 ff.; 535 Index s. v. Jesus Christus. Mk 13,22 = Mt 24,24 nennt yeud·cristoi und yeudoprofötai in einem Atemzug fast als Hendiadyoin. Zum Problem s. Schwemer, Jesus, 165–230. 23 4Q521,
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V. Jesu Vollmacht und messianischer Anspruch
Lukas nimmt dieses Thema bereits bei Jesu gescheiterter »Antrittspredigt« in seiner Heimatstadt Nazareth auf, wo er diesen Jes 61,1 und 2 auslegen läßt: »Der Geist des Herrn ruht auf mir, weil er mich gesalbt hat … Heute hat sich dieses Schriftwort vor euren Ohren erfüllt.« Verwundert über Jesu »anmutsvolle Worte« stellen die Nazarener die Gegenfrage: »Ist dieser nicht der Sohn Josefs?« Darauf provoziert Jesus seine Mitbürger. Er weigert sich kategorisch, die Heilungen, die er in Kapernaum tat, auch in seinem Heimatort zu vollbringen und verweist auf die profetischen Wunder des Elia bei der phönizischen Witwe von Sarepta und die Heilung des aussätzigen Syrers Naeman durch Elisa, das heißt Taten, die bei den verhaßten heidnischen Nachbarn geschehen sind, eine Herausforderung, die dazu führt, daß die aufgebrachten Nazarener ihn einen Abgrund hinunterstürzen wollen. Die Passion wirft hier bei Lukas schon ihre Schatten voraus.28 Dieser lukanische Anfang des öffentlichen Wirkens Jesu zeigt, daß der erste christliche »Historiker« in Jesus aufgrund von Jes 61,1 einen »profetischen Gesalbten« sieht, der die Gabe besitzt, wie Elia und Elisa Wunder zu vollbringen, ein Zug, der beim pharisäischen königlichen Messias zurücktritt. Lukas hat damit den besonderen messianischen Charakter des Wirkens Jesu richtig erfaßt. Profetischer und königlicher davidischer Messias bedeuten für ihn keinen Gegensatz. Das gilt im Grunde für alle Evangelisten bis hin zu Johannes.29 Für Lukas wie für die anderen Evangelisten bilden die eschatologische Verkündigung Jesu und die profetisch-messianischen dun›mei“ (bzw. bei Johannes shmeõa) so von Anfang an eine untrennbare Einheit. Das zeigt sich auch in Jesu Antwort auf die Warnung der Pharisäer vor den Nachstellungen des Herodes Antipas nach Lukas. Hier steht ganz die Heilungstätigkeit im Vordergrund: »Geht und sagt diesem Fuchs: Siehe, ich treibe Dämonen aus und vollbringe Hei-
lungen heute und morgen. Aber am dritten Tage werde ich vollendet. Doch heute und morgen muß ich wandern. Denn es geht nicht an, daß ein Profet außerhalb Jerusalems umkomme.«30 28 Lk 4,16–30. Das Ganze ist eine kunstvolle lukanische Komposition, die bereits Jesu Weg in die Passion andeutet. S. dazu Mittmann-Richert, Sühnetod. Das Motiv von Provokation und kollektiver Reaktion finden wir auch in der Passionsgeschichte Lk 22,66 ff. und im Stephanusmartyrium Apg 7. Lukas ist dabei teilweise von Mk 6,1–6 abhängig, wo die Nazarener über Jesu sof‡a und dun›mei“ tief erschrocken (†xeplflssonto) fragen: »Ist dieser nicht … der Sohn der Maria?« und »Anstoß an ihm nehmen (†skandal‡zonto)«; vgl. Lk 7,23 par. Dazu läßt Lukas Jesus in seiner provozierenden Rede Mk 6,4 zitieren: »Kein Profet ist in seiner Heimatstadt willkommen.« Daneben hat er aber auch eigene, ältere Traditionen eingearbeitet. Vorlukanische Tradition und Redaktion des Evangelisten lassen sich dabei nicht mehr eindeutig trennen. Mt 13,53–58 folgt dagegen ganz der Markuserzählung und verkürzt. Er ist hier an den Vorgaben des Petrusschülers Markus orientiert; s. o. S. 233 f. 29 S. u. S. 500 f. 30 Lk 13,32 f.; zu Jesus als »messianischem Profeten« s. Lk 4,18–27; 7,39 und vor allem 24,19–21. Hier verbindet sich der »eschatologische Profet« mit dem messianischen »Erlöser«. S. auch Mk 6,4; 8,28 parr.; Mt 21,10 f.; Joh 6,14 f. und u. S. 500. Es waren nach dem Urteil
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Dieser eigenartige Text, in dem sich Jesus wieder – entgegen der nachösterlichen Christologie – als Profet bezeichnet, beweist, wie sehr seine von verschiedenen Jesajatexten her begründete Heilungstätigkeit im Mittelpunkt seines Wirkens stand. Das Volk verstand ihn zunächst als »endzeitlichen Profeten«, der das Werk des Täufers, freilich auf ganz andere Weise, fortführte oder besser vollendete. Die Grenze zwischen diesem Profeten und dem Messias war fließend. Jesus hat sie jedoch im Verlauf seiner Wirksamkeit eindeutig überschritten. Wenn Paulus Röm 15,8 davon spricht, daß Christus »der Diener der Beschneidung«31 geworden sei, um die Verheißungen an die Väter zu erfüllen, mag er besonders an diesen Teil der Wirksamkeit Jesu, der durch die jesajanischen Verheißungen vorgezeichnet war und auch den »Dienst« des »Gottesknechts« mit einschließt, gedacht haben. Auf der anderen Seite hat Jesus nach dem Zeugnis der synoptischen Evangelien die Aufforderung, seine endzeitliche profetisch-messianische Vollmacht durch ein Legitimationszeichen auszuweisen, entschieden abgelehnt. Nach Mk 8,11 f. verlangen Pharisäer von ihm »ein Zeichen vom Himmel«. Jesus weist dies kategorisch zurück: »Was fordert dieses Geschlecht ein Zeichen? Amen, ich sage euch: Keinesfalls wird diesem Geschlecht ein Zeichen gegeben werden!«32 In der Logientradition33 lautet die Antwort: Diesem »bösen Geschlecht« »wird kein Zeichen gegeben werden außer dem Zeichen Jonas«, das sich auf die Bußpredigt Jonas in Ninive vor dem drohenden Strafgericht bezieht: »Denn wie Jona den Einwohnern von Ninive zum Zeichen wurde, so wird dies auch der Menschensohn für dieses Geschlecht sein.« Die heidnischen Bewohner Ninives kehrten auf Jonas Gerichtsansage hin spontan um. Die gegenwärtige Mehrheit seines Volks, »dieses Geschlecht«34, hört dagegen nicht auf Jesu Botschaft und verweigert die Umkehr. Dieses Wort weist, ähnlich wie die Weherufe
der drei Synoptiker insbesondere die »Krafttaten« Jesu, die den Tetrarchen beeindruckten: Mk 6,14: »Johannes der Täufer ist von den Toten auferstanden, darum wirken die (Wunder‑)Kräfte (dun›mei“) durch ihn« = Mt 14,2; vgl. Lk 9,7. Herodes hört »alles, was (durch Jesus) geschah«, und wird beunruhigt (dihp·rei). Nach dem lukanischen Passionsbericht »hoffte Herodes, ein Zeichen (shmeõon) von ihm zu sehen«, und fordert ihn dazu auf; Jesus jedoch schweigt beharrlich (Lk 23,8 f.). 31 Das di›kono“ gegenösqai peritomö“ erinnert zugleich an Jesus als »Gottesknecht«, vgl. Mk 10,45 und Lk 22,27 †n mfisw ≠mùn e¢mi Æ“ ¨ diakonùn, dazu Mt 12,16–21 mit dem Zitat von Jes 42,1–4.9 und Apg 10,38, das auf Jes 61,1 anspielt. 32 Mk 8,11 f.; in erweiterter Form bei Mt 16,1–4 (vgl. Lk 12,54.56). Mk 8,12 hat mit der Negation e¢ doqflsetai einen eindeutigen Hebraismus: s. BDR, Grammatik, 384 f. § 454,5 entsprechend dem hebräischen verneinenden ’im; vgl. Hebr 3,11; 4,3.5 mit dem Zitat aus Ps 95(94),11 LXX. 33 Lk 11,29–32; vgl. Mt 12,38–42. 34 ßH geneÅ aæth ist eine jesuanische Wendung: Mk 8,12.38; 13,30; Lk 7,31 = Mt 11,16 u. ö.; s. u. S. 535 f. Vgl. die Auslegung des Zeichens des Jona auf den Untergang Jesusalems in VitProph 10,8, dazu o. S. 99 Anm. 323 und S. 463 Anm. 7.
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V. Jesu Vollmacht und messianischer Anspruch
gegen Chorazin, Bethsaida und Kapernaum, auf eine »Krise« in der galiläischen Wirksamkeit Jesu hin. Die Krise beruhte nicht allein auf dem Widerstand der religiösen Autoritäten und der Bedrohung durch Herodes Antipas und seine Gefolgsleute. Jesus hatte im Blick auf seine Predigt von der anbrechenden Gottesherrschaft wohl auch Gegner unter der einfachen Bevölkerung; nur so wird die Anklage gegen diese Orte verständlich. Der Widerstand in seinem Heimatort Nazareth weist ebenfalls in diese Richtung. Dazu mögen auch Mißerfolge bei den Heilungen beigetragen haben, über die die Evangelien natürlich nicht berichten. Matthäus betont vielmehr schon beim ersten Auftreten Jesu in Galiläa, formelhaft auf alttestamentliche Verheißungen anspielend, daß er »jede Krankheit und jedes Leiden im Volk geheilt« habe.35 Daß es Rückschläge gab, zeigt sein Mißerfolg in Nazareth nach Markus, wo »er keine Krafttat vollbringen konnte«36, und die – einzigartige – drastische Warnung vor dem Rückfall bei Besessenen, wo der ausgetriebene Dämon mit sieben anderen zurückkehrt, »und der letzte Zustand jenes Menschen wird schlimmer sein, als der erste war.« Matthäus ergänzt und verallgemeinert: »So wird es mit diesem bösen Geschlecht geschehen.« In Wirklichkeit handelt es sich um ein anschaulich erzähltes Beispiel,37 hinter dem exorzistische Erfahrung stehen mag. Die Evangelisten neigen verständlicherweise durchweg dazu, die Erfolge Jesu als Prediger und Wundertäter zumindest zum Teil übertreibend darzustellen und den Widerstand in der Regel auf die Volksführer zu beschränken. Dies mag auch mit der Erinnerung an die Souveränität des Auftretens Jesu zusammenhängen. Das Urchristentum hat in seinem von der Gabe des Geistes inspirierten endzeitlichen Enthusiasmus den Anspruch, »Krafttaten« wie Jesus selbst zu tun, weitergeführt, obwohl sich die Terminologie zum Teil verändert. Davon zeugen nicht nur die synoptische Aussendungsüberlieferung, die letztlich auf eine Initiative Jesu selbst zurückgeht,38 und die Apostelgeschichte, sondern auch Paulus, der gegenüber den ihm unbekannten Römern selbstbewußt betont, Christus habe durch ihn »zum Zwecke des Gehorsams der Heiden in Wort und Tat gewirkt, in der Kraft der Zeichen und Wunder, in der Kraft des Gottesgeistes«39. Wie so oft zeigt sich auch hier eine unübersehbare Kontinuität zwischen Jesu Wirken 35 Mt
4,23: qerape‚wn pôsan n·son kaÑ pôsan malak‡an †n tù laù, vgl. 9,35; 10,1; 12,15. Dies wird 8,17 durch ein Reflexionszitat aus Jes 53,4 (nach MT) begründet. S. auch 53,3: e¢dá“ ffirein malak‡an und Ps 103,3b (102,3 LXX): tÖn ¢„menon p›sa“ tÅ“ n·sou“ sou, weiter Ex 23,25: üpostrfiyw malak‡an üf’ ≠mùn. 36 Mk 6,5: o§k †d‚nato †keõ poiösai o§dem‡an d‚namin, dazu o. S. 287. 37 Lk 11,24–26 = Mt 12,43–45. 38 Mk 6,7–13 = Lk 9,1–6 = Mt 10,5 ff.; vgl. Lk 10,1 ff.; s. o. S. 372–376. 39 Röm 15,18 f.; 2 Kor 12,12; s. o. S. 465 Anm. 11, dazu Theissen, Wundergeschichten, 278 f. Das Problem des Paulus war, daß für seine Gegner in Korinth, die sich wahrscheinlich auf Petrus selbst oder seine Sendboten berufen konnten, »diese Zeichen und Wunder« noch
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und der frühen Gemeinde bis hin zur paulinischen Mission. Man sollte sie nicht länger leugnen. Als Erfüllung der profetischen Verheißungen in der Gegenwart gehören die Heilungswunder Jesu zum präsentischen Aspekt seiner Reich-Gottes-Verkündi gung, wobei diese, das zeigen vor allem die Exorzismen, eine Kampfsituation voraussetzt und einen dualistischen Hintergrund besitzt. Den Sachverhalt hat Gerd Theißen treffend geschildert: »Der Satan ist vom Himmel gefallen (Lk 10,18), sein Reich zerfällt (Mk 3,24–26), sein
Haus wird geplündert (3,27), die Vertreibung der Dämonen ist Anbruch der Gottesherrschaft. Das Ende des Negativen ist schon angetreten, der Unheilszusammenhang der vergehenden Welt ist schon aufgebrochen.«40
Weil solche entscheidenden Zeichen schon hier und jetzt geschehen, kann Jesus weitgehend auf dualistische und apokalyptische Zukunftsgemälde verzichten. Freilich würden wir nicht mit Theißen sagen: »Die Realisierung des Positiven steht noch aus«, sondern diese hat, wie die Kontrastgleichnisse zeigen – wenn auch unscheinbar, verkannt und angefeindet –, bereits begonnen: Wenn Kranke geheilt, satanische Mächte besiegt, Sünde vergeben, Haß und Sorge überwunden und in der Freude der Befreiung dem himmlischen Vater die Ehre gegeben wird, dann ist die »Realisierung des Positiven« für den, der »Ohren hat zu hören« und »Augen zu schauen«41, schon am Werk. Jesu Botschaft kann freilich auch das Gegenteil, Verstockung und als Folge Gottes Gericht, bewirken. Dies zeigen schon sein Mißerfolg in seiner Heimatstadt, die Scheltworte gegen die galiläischen Orte am See Genezareth und die Polemik gegen dieses »böse und ehebrecherische Geschlecht«42. Die Evangelisten, allen voran Markus, steigern dieses Motiv bis zur generellen Verstockung des ganzen Volkes, die nach dem Zitat aus Jes 6,9 f. von Gott selbst gewirkt ist.43 Johannes verbindet später das Verstockungsmotiv direkt mit der Wunderfrage: »Obgleich er aber so viele Zeichen vor ihnen getan hatte, glaubten sie nicht an ihn, damit das Wort des Profeten Jesaja erfüllt würde, das er gesagt hatte: ›Herr, wer hat unserer Predigt geglaubt …?‹«44, ja, »sie konnten deswegen nicht glauben, weil Jesaja wiederum gesagt hatte: ›Er hat ihre Augen blind und ihr Herz hart gemacht, damit sie nicht
nicht genug waren, weil letztere sich darin als noch tüchtiger erwiesen. Vgl. 2 Kor 11,4 zur Verkündigung dieser Boten. S. dazu Hengel, Petrus, 124 f.152. 40 Theissen, Wundergeschichten, 276. 41 Mk 4,9.23; 7,16; 8,18; Mt 13,16 (= Lk 10,23) u. ö. 42 Vgl. Mt 12,45; 16,4; 17,17; Mk 8,38; Lk 9,41; 11,29 u. ö.; s. u. S. 535 f. 43 Mk 4,11 f.: Jesus spricht in Gleichnissen, damit (ºna) das »Volk nicht versteht und umkehrt«; Mt 13,13 schwächt ab und hat statt ºna ein Ωti. S. weiter Lk 8,10; Apg 28,26 f. und Mittmann-Richert, Sühnetod. S. dazu auch u. S. 515 zum Messiasgeheimnis. 44 Joh 12,37–41; Johannes zitiert das Wort des Gottesknechts, Jes 53,1, und Jes 6,10.
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V. Jesu Vollmacht und messianischer Anspruch
sehen mit den Augen und nicht verstehen mit dem Herzen …‹«45. Für Johannes, der wie Paulus vor ihm streng prädestinatianisch denkt, haben darum die gerade bei ihm besonders erstaunlichen Zeichen Jesu eine ambivalente, ja negative Wirkung. Der durch sie gewirkte Glaube kann trügerisch sein, ein Tatbestand, den Jesus von Anfang an durchschaut.46 Hier zeigt sich eine breite spätere Reflexion über den Zusammenhang von Jesu Wirken und seinem äußerlichen Scheitern am Unglauben seiner Volksgenossen in Galiläa und in Jerusalem. Die markinische »Verstockungstheorie«47 gehört bereits in den Kontext der für die Jünger und erst recht für die spätere Gemeinde schwerverständlichen feindseligen Reaktion der Gegner auf Jesu profetisch-messianisches Wirken, das am Ende zu seinem Leidensweg als »Gottesknecht«, zu seiner Auslieferung an Pilatus und seiner Hinrichtung führte.
16.2 Glaubensforderung und Wunder Daß Jesus selbst mit wirklichen qaum›sia,48 das heißt äußerstes Erstaunen erweckenden Taten, ja – in auffallend hyperbolischer Ausdrucksweise – mit dem an sich »Menschenunmöglichen« rechnete, zeigt seine Forderung eines – noch nicht auf das spätere kirchliche »Kerygma« und auch nicht direkt auf seine Botschaft gerichteten – Glaubens an Gottes Allmacht, den er mit – für den Hörer fast anstößigen – aller Erfahrung widersprechenden Beispielen zum Ausdruck bringt. Auf die Verfluchung des Feigenbaumes läßt Mk 11,22 f. ein eigenartiges Logion folgen: »Habt Glauben an Gott. Amen, ich sage euch, wenn einer diesem Berge sagt: Erhebe
dich und stürze dich ins Meer, und er zweifelt in seinem Herzen nicht, sondern glaubt, daß, was er sagt, geschieht, es wird ihm geschehen.«49
45 Joh
12,39 f. = Jes 6,10; vgl. Röm 11,8. S. auch u. S. 476.515. 2,23 f.; vgl. 3,2; 4,48: Jesu Kritik; 6,2.14.26. 47 Mk 4,10–12; s. o. S. 354. 48 Mt 21,15: Die Gegner im Tempel sehen tÅ qaum›sia ¡ †po‡hsen (Itala / Vulgata: mirabilia), s. dazu Bauer / Aland, WB, 716 f. In der Septuaginta findet sich das Wort neben dem gleichbedeutenden qaumast·“ vor allem ca. 30 mal in den Psalmen und dann auch bei Sirach als Übersetzung von Wörtern, denen die Wurzel pl’ zugrunde liegt, die auch in den Qumrantexten häufig erscheint und auf Gottes Wunder in Schöpfung und (Heils‑)Geschichte hinweist. Wir finden es weiter häufig bei Josephus und Philo. S. auch die mehrfachen Hinweise auf das qaum›zein über Jesu Taten: Mk 5,20: kaÑ p›nte“ †qa‚mazon, Lk 8,25: fobhqfinte“ dÇ †qa‚masan; 9,43; 11,14; 20,26; Mt 8,27; 9,33; 15,31; 21,20; Joh 7,15.21. 49 Vgl. Mt 21,21: Er steigert und ergänzt den Berg noch durch den Feigenbaum. 1 Kor 13,2 ist von diesem Logion abhängig. Paulus setzt auch seine Kenntnis in Korinth voraus. 46 Joh
§ 16 Der profetisch-messianische Wundertäter
473
Bei Lukas findet sich ein kleines Apophthegma, bei dem die Einkleidung von ihm stammt. Auf die Bitte der Apostel »Verleihe uns Glauben!« antwortet Jesus: »Wenn ihr Glauben habt wie ein Senfkorn, und ihr sagt dieser Sykomore, werde entwurzelt und ins Meer gepflanzt, würde sie euch auch gehorchen.«50
Da die Bitte nicht zu dem Logion paßt und »die Apostel« eine typisch lukanische Sprachform sind, war das Wort in der Quelle des Lukas wohl ungerahmt, und Lukas hat es aus einer gewissen Verlegenheit heraus in ein Apophthegma verwandelt. Eine ähnliche Verlegenheit in der Deutung des »bergeversetzenden Glaubens« begegnet uns im Thomasevangelium, wo das Motiv zweimal erscheint: »Wenn zwei miteinander Frieden schließen in demselben Haus, (dann) werden sie zum Berg sagen ›hebe dich hinweg‹, und er wird sich hinwegheben«, und »wenn ihr die zwei zu einem macht, werdet ihr Menschensöhne werden«, das heißt, wenn ihr die sexuelle Differenzierung zwischen den Geschlechtern aufhebt, geschieht dasselbe Wunder. Das schwerverständliche, ja durch seine Hyperbolik anstößige Logion vom Glauben, der Berge versetzt, wird in diesem gnostisierenden, späten Text durch sekundäre Moralisierung gefügig gemacht, das entscheidende Glaubensmotiv dabei jedoch verdrängt.51
Sachlich richtig wird die Intention dieses rätselhaften Logions in Mt 17,20 erfaßt, der es an die Geschichte von der Heilung des besessenen Knaben bei Markus52 anfügt, wobei er allerdings den eindrücklichen Dialog Jesu mit dem Vater seiner Markus-Vorlage wegen seiner Anstößigkeit streicht. Weil bei Markus die Jünger gegenüber dem kranken Kind hilflos sind, wendet sich der verzweifelte Vater53 direkt an Jesus: »Aber wenn du etwas tun kannst, hilf uns, aus Erbarmen über uns.« Darauf Jesu Antwort: »Was das ›wenn du etwas kannst‹ anbetrifft: Alles ist möglich dem, der glaubt.« Nach der ergreifenden Antwort des Vaters: »Herr, 50 Lk 17,5 f. Vgl. das Verpflanzen eines Baumes als Beglaubigungswunder durch Eliezer b. Hyrkanos um 100 n. Chr., s. bBM 59b; s. dazu P. Fiebig, Jüdische Wundergeschichten des neutestamentlichen Zeitalters, 1911, 31 ff.; vgl. auch Bill. II, 234. Dem charismatischen Eliezer b. Hyrkanos wurden Verbindungen zu den Judenchristen nachgesagt, s. Schäfer, Jesus, 42–51. Zwischen dem »Glauben wie ein Senfkorn« und dem Reich-Gottes-Gleichnis (Lk 13,18 f. = Mt 13,31 f.) besteht ein innerer Zusammenhang: Das Undenkbare, Wunderbare wird möglich; s. o. S. 415 f. 51 EvThom 48.106. Zur Deutung J.-É. Ménard, L’Évangile selon Thomas, NHS 5, Leiden 1975, 149 ff.204 f. Das zweite Logion hat noch stärker gnostisierenden Charakter. 52 S. dazu Mt 17,14–20 nach der Vorlage Mk 9,14–28. Mt 17,21 ist eine störende, sekundäre Parallelübernahme aus Mk 9,29. Matthäus streicht diese Stelle, wohl weil sie seinem Wunderverständnis nicht entspricht. In 17,15 stellt er die genauere »Diagnose«: selhni›zetai. Lk 9,37–43 streicht den markinischen Dialog ebenfalls und dazu auch die Frage der unfähigen Jünger. Letztere ersetzt er durch das formgeschichtlich korrekte »Erschrecken« der Zuschauer »über Gottes Größe« (9,43). Für Theophilos möchte er anstößige Erzählungen möglichst vermeiden. 53 Mk 9,22b.
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V. Jesu Vollmacht und messianischer Anspruch
ich glaube, hilf meinem Unglauben!« vollzieht er den Exorzismus. Die folgende Frage der Jünger an Jesus: »Warum konnten wir ihn nicht austreiben?« beantwortet dann ein Problem der exorzistischen Praxis der Gemeinde: Diese Art von Dämonen könne man »nur durch Gebet austreiben«54. »Glauben« und »Wunder« bedingen sich gegenseitig.
Der Unglaube bzw. der Zweifel bestraft sich selbst damit, daß er Wunder unmöglich macht, wie bei der Abweisung Jesu in Nazareth Mk 6,5 f. oder beim sinkenden Petrus Mt 14,31. Nicht der hilflose Vater, sondern er selbst, der handelt und hilft, ist mit dem »alles ist möglich …«55 gemeint. Matthäus legt Jesus dagegen das schwerverständliche Wort vom »Glauben wie ein Senfkorn« als Antwort auf die Frage der Jünger in den Mund: Sie konnten den Dämon nicht austreiben wegen ihres »Kleinglaubens«.56 »Denn amen, ich sage euch, wenn ihr Glauben hättet wie ein Senfkorn, könntet ihr diesem Berg sagen: Bewege dich von hier nach dort, er wird sich bewegen, und euch wird nichts unmöglich sein.«
Mit Bedacht hat der erste Evangelist dieses Wort an das Ende des letzten Heilungswunders in Galiläa und vor die zweite Leidensankündigung gesetzt. Von jetzt an wird von den Jüngern ein solcher Glaube gefordert. Daß schon diese Sonderform eines charismatischen »Wunderglaubens« Paulus wohlbekannt ist, zeigt 1 Kor 13,2, wo sich ein solcher Glaube nicht auf das Kerygma bezieht und darum ohne Liebe unnütz ist.57 Dieser »Wunderglaube« hat sein Analogon in der Zusage, daß im Gebet der Glaube, der nicht zweifelt, der Erhörung gewiß sein darf.58 Auch die von Jesus gebrauchte Heilformel »Dein Glauben hat dich gesund gemacht«, die bei Markus zwei‑, bei Lukas drei‑ und bei Matthäus einmal erscheint, gehört in diesen Zusammenhang.59 Das feste Vertrauen in die Jesus von Gott gegebene Heilungsgabe ist gewissermaßen die Voraussetzung der 54 Eine große Zahl von Handschriften ergänzt »und durch Fasten«. Vielleicht ist diese Lesart ursprünglicher als der nur schmal bezeugte Nestle-Text. Zum Dämonenaustreiben durch Gebet und Fasten s. VitProph 4,3 f.9.12.16. Sicher ist mit Mk 9,29: e¢ mÉ †n proseucÔö nicht eine bestimmte exorzistische »Gebetsformel« gemeint, sondern das nachhaltige Gebet in geistgewirkter Vollmacht, das nicht jedem gegeben ist. 55 Mk 9,23: p›nta dunatÅ tù piste‚onti. S. dazu O. Hofius, ZThK 101 (2004), 117–137: »Der Akzent liegt auf der Aussage, daß dem Glauben gewährt wird, was dem Unglauben verweigert bleibt: Das Wunder der göttlichen Hilfe als die Tat und Gabe des einen …, der über die Allmacht Gottes verfügt« (136). 56 Mt 17,20: diÅ tÉn £ligopist‡an ≠mùn. Der Vorwurf, £lig·pisto“ zu sein, geht wohl auf Jesus zurück, ist aber typisch matthäisch; s. u. S. 475 Anm. 61 f. 57 Vgl. 1 Kor 12,9: ©tfirw (d‡dotai) p‡sti“ †n tù a§tù pne‚mati und Gal 5,22. Auch hier ist die charismatische »Frucht des Geistes«, in der die üg›ph an erster Stelle steht und die p‡sti“ erst an siebter, nicht der den Sünder rechtfertigende Glaube. 58 Mk 11,24 = Mt 21,22, vgl. Joh 14,13 f.; 15,7; 16,23. 59 Mk 5,34: ™ p‡sti“ sou sfiswkfin se = Lk 8,48 = Mt 9,22; Mk 10,52 = Lk 18,42, vgl. Mt 9,28 f.; s. auch Lk 17,19 und der »kollektive« Glaube der Männer, die den Gelähmten bringen, Mk 2,5 = Lk 5,20 = Mt 9,2.
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wunderbaren Heilung. In der mit den beiden Blinden von Jericho (Mt 20,29–34) verwandten Erzählung von den zwei Blinden Mt 9,27–31 (Sondergut), die Jesus folgen und von ihm als Sohn Davids Heilung erbitten, prüft Jesus zuerst ihren Glauben: »Glaubt ihr, daß ich dies tun kann (d‚namai)?« Sie antworten: »Ja, Herr«. Darauf folgt erst das Heilungswort: »›Euch geschehe nach eurem Glauben‹, und ihre Augen wurden geöffnet.« Es ist darum nur konsequent, wenn Jesus wegen des Unglaubens seiner Mitbürger in Nazareth »kein Wunder tun konnte (†d‚nato)«.60 Daß sich das Glaubensmotiv nicht nur auf Heilungen oder auf das Gebet bezieht, sondern auch hinter der »unmöglichen« Forderung des Nicht-Sorgens steht, zeigt Jesu Verweis auf die Lilien auf dem Felde, die Gott so herrlich kleidet, bei dem am Ende die Folgerung steht: »nicht wieviel mehr euch, ihr Kleingläubigen.«61 Matthäus, der ja auch sonst gerne altertümlich klingende »jesuanische« Redewendungen wiederholt, spricht von den »Kleingläubigen« noch viermal in analogen Zusammenhängen der legendären Wundertradition.62 Wahrscheinlich geschieht dies bei ihm, weil das Wort »Kleingläubige« auch als Vorwurf gegen Israel in der tannaitischen Exodustradition im Kontext der Rettung des Gottesvolkes am Schilfmeer beim Manna‑ und Wachtelwunder der Wüste erscheint.63 Auch beim befreienden Exodus aus Ägypten ging es ja um Glauben und Anerkennung von Gottes Königsherrschaft.64 Die synoptische »Wunderüberlieferung« ist so mit ihrem jüdisch-palästinischen Hintergrund noch ganz auf Jesu Verkündigung der Herrschaft Gottes bezogen. Im Grunde könnte man noch einen Schritt weiter gehen: Der Unglaube des ersten Menschenpaares, das sich von der Schlange verführen läßt, gegenüber Gottes heilvoller Weisung zu zweifeln (Gen 3,1–7), ist der Ursprung aller Übel. Erst wenn das Vertrauen in die Allmacht und Güte des Vaters keine Grenzen mehr kennt, kann sich Gottes Herrschaft uneingeschränkt realisieren. Vor allem Jürgen Roloff hat auf den Tatbestand hingewiesen, daß das in der synoptischen Tradition »enthaltene p‡sti“-Motiv sich als weitgehend frei von Merkmalen der Gemeindesituation nach Ostern erweist«, denn es fehlt der Bezug zum nachösterlichen Kerygma. In einer Untersuchung des oben zitierten zen60 Mk 6,5, s. o. S. 470 Anm. 36. Es verbinden sich in diesen Texten Erinnerung an Jesu Wirken und urchristliche Heilungserfahrungen. 61 Lk 12,28 = Mt 6,30. Das Wort £lig·pistoi bezieht sich auf den Zweifel an Gottes Fürsorge und Wundermacht. Das Wort ist im Griechischen eine christliche Neubildung, hat aber einen jüdisch-pharisäischen Hintergrund und begegnet in der frührabbinischen Deutung des Verhaltens Israels am Schilfmeer und beim Wüstenzug; s. Hengel, KS II, 281 f.; dazu Bill. I, 420 f. Es hat dort die Bedeutung von »Menschen, denen es an Glauben fehlt.« 62 Mt 8,26; 14,31; 16,8; 17,20; vgl. o. S. 474 Anm. 56. 63 S. Bill. I, 438. 64 Ex 14,31 LXX: kaÑ †p‡steusan tù qeù kaÑ MwusÔö tù qer›ponti a§toú und am Ende des Moseliedes 15,18: k‚rio“ basile‚wn tÖn a¢ùna kaÑ †pû a¢ùna kaÑ ≤ti. S. dazu o. S. 409.
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V. Jesu Vollmacht und messianischer Anspruch
tralen Textes Mk 9,14–29 und seinen Parallelen legt er dar, daß »das historische Motiv der Besinnung auf einen dem Erdenwirken Jesu charakteristischen Zug (V. 23 f.) … der aktualisierenden Anwendung (V. 28 f.) nicht im Wege (steht)«65. Das Bewußtsein der geschichtlichen Distanz der Gemeinde zum Wirken Jesu tritt bei Markus wie auch in der Logientradition oft überraschend deutlich hervor. Selbst im späteren Johannesevangelium ist eine der wesentlichen Einsichten, daß Jesus zwar durch seine »Zeichen« bei der Menge vorübergehend Anerkennung, ja »Glauben« fand, daß dieser jedoch nicht Bestand hatte, weil das Volk trotz »so vieler Zeichen« entsprechend dem Verstockungswort Jes 6,9 f. »nicht glauben konnte«.66 Diese ambivalente Wirkung der »Krafttaten« Jesu geht auf eine ältere, schon in seinem Wirken sichtbare Aporie zurück, auf das Geheimnis des Unglaubens und der Ablehnung, der Jesus begegnete, nicht nur in seinem Heimatort Nazareth und nicht nur in Jerusalem, wo sich sein Schicksal erfüllte, sondern auch an den galiläischen Orten, die im Mittelpunkt seines – kurzen – Wirkens standen. Die Weherufe gegen sie, die bei Lukas am Ende der Aussendungsrede für die 72 Jünger und vor ihrer Rückkehr und Seligpreisung stehen,67 bestätigen nicht nur unser Urteil, daß die Heilungswunder Jesu ein ganz wesentlicher Bestandteil seiner Verkündigung von der »sich realisierenden« Gottesherrschaft waren, sie demonstrieren seinen Sendungsanspruch, der alles übertrifft, was wir aus der Umwelt an Parallelen kennen, und zugleich seine tiefe Enttäuschung über jene Orte, die er sich doch selbst als Zentrum seines Auftretens ausgesucht hatte, eine Enttäuschung, die Ausdruck einer Krise seines Wirkens ist. Im Mund eines späteren, judenchristlichen Profeten verlieren diese Scheltworte ihren Sinn, zumal jeder christologische Bezug auf den »Erhöhten« fehlt. Sie müssen so auf Jesus selbst zurückgehen, das heißt, es spricht der, der diese Krafttaten gewirkt hat, und er tut dies zugleich in der Vollmacht des kommenden Richters. Kein Wunder, daß sich dabei immer wieder die eine Frage erhebt: t‡“ ±ra oñt·“ †stin;68 Wer ist dieser, der solches sagen und tun kann?
65 Roloff,
Kerygma, 141–207 (Zitate: 203.205). 12,37–40; vgl. 2,23 f. und 4,48: »Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder seht, glaubt ihr nicht!« Vgl. auch Mk 4,12 = Mt 13,14 f.; Apg 28,26 und Röm 11,8. Dies schließt den Mißerfolg der Verkündigung der Urgemeinde in Judäa mit ein: In der Bedeutung von Jes 6,9 f., einem Text, mit dem das Ärgernis und Geheimnis des Unglaubens des eigenen Volkes erklärt werden konnte, liegt eine der Wurzeln der frühchristlichen Prädestinationslehre bei Paulus und in seinen Spuren bei Johannes. S. auch o. S. 472. 67 Lk 10,13–15 = Mt 11,21–23. S. o. S. 443. 68 Mk 4,41: die Frage der Jünger nach der Sturmstillung = Lk 8,25. 66 Joh
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16.3 Zum traditions‑ und religionsgeschichtlichen Problem der Wunder Jesu Die Gewißheit des – bei allen Enttäuschungen – schon jetzt sichtbaren und erfahrbaren Sieges über die widergöttlichen Mächte durch Heilungen und Exorzismen als Zeichen des »sich realisierenden« Reiches ist ein neuer Zug im Judentum. Zugleich wird deutlich, daß die auch heute noch beliebte Kategorie des bloßen »Profeten«, »Rabbi« oder »Weisheitslehrers« in keiner Weise zureichend ist, um Jesu Wirken und Sendungsanspruch zu verstehen, von einem »jüdischen Sokrates« oder »galiläischen Kyniker« ganz zu schweigen. Der wirkliche Jesus läßt sich weder für das existentialistische Modell eines »Rufers zur Entscheidung« noch für eine aufgeklärte, politisch korrekte Postmoderne vereinnahmen. Er steht uns zunächst relativ fremd gegenüber und ist heute nicht weniger anstößig als damals. Wir kennen zwar aus dem Judentum jener Zeit einige wenige »Charismatiker« und »Wundertäter«, mehr als aus der zeitgenössischen hellenistischen Welt, allen voran den Galiläer Chanina ben Dosa aus der Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. mit seinen Gebetsheilungen und Choni den Kreiszieher aus späthasmonäischer Zeit, der einen besonderen Ruf als Regenbeter besaß. Aber sie wirken vor allem durch beharrliches Gebet, von einer eschatologischen Begründung ist bei ihnen keine Spur zu finden. Ihre Bedeutung für das Verständnis der Wunder Jesu sollte nicht überschätzt werden.69 Josephus berichtet als Augenzeuge, daß ein jüdischer Exorzist vor Vespasian Dämonen auf dramatisch-ostentative Weise mit Hilfe von angeblich von Salomo stammenden magischen Praktiken austrieb.70 Bei Jesu eigenem Wirken hören wir nichts von Gebet71 oder Beschwörung, sondern nur das Befehlswort der 69 So vor allem bei Vermes, Jesus, 45–68: Jesus und das charismatische Judentum, und hier 58–66 zu Chanina b. Dosa. Die spätere Chaninatradition des babylonischen Talmud mit ihren zum Teil bizarren Wundern ist völlig legendär. Zur Kritik an Vermes s. die gründliche Arbeit von M. Becker, Wunder und Wundertäter im frührabbinischen Judentum, WUNT II / 114, Tübingen 2002. Zu den jüdischen Charismatikern s. auch o. S. 43. Zur Schilderung der alttestamentlichen Vorbilder von Abraham und Mose bis zu den Profeten als Wundertäter in der apokryphen und pseudepigraphischen Literatur s. E. Koskenniemi, The Old Testament MiracleWorkers in Early Judaism, WUNT II / 206, Tübingen 2005. Hier spielen der Kampf gegen die gottfeindlichen Mächte und damit Exorzismen eine größere Rolle als in der frühtannaitischen Literatur. Im Blick auf diese breite, im Alten Testament verankerte »Wunderhaggada« muß man die »Krafttaten« Jesu als Zeichen eschatologischer Erfüllung interpretieren. 70 Ant. 8,46–49: ´st·rhsa (46). S. dazu R. Deines, Josephus, Salomo und die von Gott verliehene tficnh, in: Die Dämonen – Demons, hg. v. A. Lange, H. Lichtenberger und K. F. D. Römheld, Tübingen 2003, 365–394. 71 Joh 11,41 f. ist die Ausnahme, die die Regel bestätigt: Das kurze Dankgebet demonstriert die Überflüssigkeit des Wundergebets. Mk 7,34 ist ein Befehl und kein Gebetsruf; Mk 9,29 bezieht sich auf die Erfahrung der Gemeinde; vgl. auch Apg 9,40 (2 Kön 4,33); Jak 5,14–16.
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V. Jesu Vollmacht und messianischer Anspruch
Heilung oder der Dämonenaustreibung, die heilende Berührung und dreimal, darunter zweimal bei Markus, von der Verwendung von Speichel. Bei der Heilung der blutflüssigen Frau, die Jesus ohne sein Wissen berührt und sofort geheilt wird, merkt Jesus, daß »eine Kraft von ihm ausgegangen ist«72. Die beiden markinischen Erzählungen, in denen Jesus mit Speichel heilt, werden bezeichnenderweise von Lukas und Matthäus übergangen, letzterer läßt Jesus nur noch mit dem Wort heilen. Auch die Textvarianten zeigen, daß diese Schilderungen später Schwierigkeiten bereiteten. Der Vorgang der Heilung wird von Markus relativ ausführlich geschildert, beim Blinden von Bethsaida geschieht sie in Stufen, beim Taubstummen überliefert er einen aramäischen Befehlsruf: ≤ffaqa »werde geöffnet«73. Es geht um das Gehör des Kranken. Sowenig wie das bei der Erweckung der Tochter des Jairus gesprochene »tālîtā’ qûm«, Mk 5,41, handelt es sich bei dem ≤ffaqa um Øösi“ barbarikfl, die geheimnisvolle, barbarisch-unverständliche Sprache des Magiers, denn der aramäische Befehl wird ja übersetzt und ist in sich sinnvoll.74 Der Evangelist und die ihm vorliegende Überlieferung haben das Wort festgehalten, weil es wie bei anderen lexikalischen Aramaismen75 um das einzigartige, Wunder wirkende Wort Jesu ging. Unseres Erachtens kann man bei »’eppatah« wie bei »tālîtā’ qûm« durchaus von ipsissima verba Jesu reden. Die Vermutung, dies seien »Zauberworte« späterer christlicher »Heiler«, verkennt ihre Bedeutung völlig.76 Die Heilung auf »Befehl« – jetzt im Namen – Jesu setzt sich nach dem Bericht der Apostelgeschichte in der Urgemeinde fort.77 Gewisse Motive der Wunder Jesu, wie eine gegenwartsbezogene Eschatologie, Exorzismen, Heilungen und ein dualistischer Hintergrund, begegnen uns cum grano salis am ehesten noch in der Gemeinde von Qumran, wo sich im Gottesdienst in der kultischen Gemeinschaft mit den Engeln der Himmel 72 Mk 7,33 ff.; 8,23 ff.; Joh 9,6–15. Zur blutflüssigen Frau s. die lebendige Darstellung Mk 5,25–43 = Lk 8,43–56; Mt 9,20–22 verkürzt radikal. Diese »physische« Kraftbegabung entspricht dem urchristlichen Begriff der dun›mei“ und erscheint später als besonderes Charisma. 73 Mk 7,34; vgl. dazu Rüger, Aramaismen, 79; Beyer, Texte, 130.464.673: aramäisch ’eppatah, itpa‛el von pātah, mit regressiver Assimilation des t an das p gemäß zahlreichen targumischen Belegen. 74 Die altsyrische Übersetzung läßt die griechische Übertragung weg und transkribiert ≤ffaqa mit ’tpth philologisch richtig. S. H. B. Swete, The Gospel according to St. Mark, London 31927, 161. 75 Mk 3,17; 14,36; 15,34. 76 So viele junge Mädchen wurden vor Markus im Urchristentum nicht »auferweckt«, daß derartige aramäische »magische« Formeln sinnvoll hätten verwendet werden können. Vgl. auch Meier, Marginal Jew II, 628.759 u. ö. 77 Apg 3,6; 9,34; 9,40 verbindet Gebet und Ruf; 14,9 f. Paulus berichtet 1 Kor 12,9 und 28 vom Charisma der Heilung. Ein Problem bereiteten Exorzisten, die, obwohl selbst nicht zur Gemeinde gehörend, im Namen Jesu heilten: Mk 9,38 f.; Apg 19,13. Die Reaktion darauf war ambivalent. Vgl. auch die scharfe Kritik an christlichen Wundertätern Mt 7,22 f.
§ 16 Der profetisch-messianische Wundertäter
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öffnet und sie an der göttlichen malkût partizipiert.78 Daneben finden wir dort David (bzw. Salomo) zugeschriebene Psalmen, die den Charakter exorzistischer Rituale besitzen.79 Der Exorzismus scheint bei den Essenern keine geringe Rolle gespielt zu haben, auch Josephus bezeugt ihre Gabe der Zukunftsschau und der Traumdeutung sowie medizinisch-magische Praktiken.80 Doch wird durch diese Parallelen nur das verwandte religiöse Milieu deutlich, an dem wohl auch Pharisäer vor 70 partizipierten;81 denn im Gegensatz zu der eschatologisch motivierten charismatischen Spontaneität der Heilungen Jesu, die im Zusammenhang einer von ihm ausgelösten Volksbewegung stehen, begegnen wir in Qumran den durch lange Tradition verfestigten Institutionen einer etablierten religiösen Gruppe, in der die verschiedenen Bereiche, Heilsgegenwart im Kult, exorzistische Rituale und eschatologische Überwindung des Dualismus, nicht mehr in einem inneren, lebendigen Zusammenhang stehen. Auch in den uns erhaltenen Schriftrollen und Fragmenten finden wir keine wirkliche Synthese dieser Phänomene wie in den Evangelien. Allgegenwärtig ist dort vielmehr die aufs äußerste gesteigerte Forderung ritueller Reinheit, die Behinderte und Kranke vom Betreten des Heiligtums ausschließt,82 und der rigorose Gesetzesgehorsam. Trotz mancher Berührungen sind die Essener durch einen Graben von den Evangelien und ihrem Bericht über Jesu Handeln getrennt. Vor allem die in ahistorischer Weise typisierende formgeschichtliche Betrachtungsweise bei Rudolf Bultmann83 hat zu einer falschen Beurteilung und geschichtlichen Einordnung der Wundergeschichten geführt. Der Formzwang und die festen Stilelemente bei den Heilungserzählungen sind nicht so sehr durch die mündliche Tradition und die gestaltende kreative Phantasie der Gemeinde als vielmehr durch die innere Notwendigkeit der zu erzählenden Sache bedingt. Die verschiedenen Stufen des Berichts, die Schilderung der Krankheit und die Not des Kranken, seine Begegnung mit dem Wundertäter, der Vorgang und der Nachweis der Heilung, die Darstellung ihrer Wirkung in einem Chorschluß am Ende, gehören mit sachlicher Notwendigkeit zur erzählten »Geschichte«, genauso 78 Schwemer,
Gott als König, in: Hengel / dies. (Hg.), Königsherrschaft (S. 406 Anm. 1), 45–118 (48.53 f. u. ö.); vgl. schon H.-W. Kuhn, Enderwartung und gegenwärtiges Heil, StUNT 4, Göttingen 1965. 79 S. dazu E. Eshel und H. Lichtenberger, in: Die Dämonen (S. 477 Anm. 70), 395 ff.416 ff. 80 Josephus, ant. 13,311; 15,373.378; 17,346 f.; bell. 2,136.159. 81 S. dazu die dem Pharisäismus nahestehenden Charismatiker wie Choni und Chanina ben Dosa und die pharisäischen Exorzisten nach Lk 11,19 = Mt 12,27; vgl. S. 477 Anm. 69. 82 11QT 45,12–18. 83 GST, 223–260. Zu den Stilmotiven s. 236–241. R. Bultmann hatte, darin typischer Neukantianer und Schüler Wilhelm Herrmanns, eine tiefe Abneigung gegen alles »Mirakulöse«, das Wort »Mirakel« wird bei ihm ständig abwertend für die Wunder Jesu gebraucht; s. dazu schon W. Herrmann, Der Verkehr des Christen mit Gott, Stuttgart / Berlin 41903, 193 ff. S. auch u. S. 489 Anm. 138.
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wie auch ein moderner Krankenbericht nach einem bestimmten vorgegebenen Schema aufgebaut sein muß, was seinen konkreten Wirklichkeitsbezug gerade nicht ausschließt. Hinzu kommt, daß die Heilungsberichte gar nicht so einheitlich sind, wie die Formgeschichte behauptet.84 Außerordentliche Ereignisse bleiben besonders im Gedächtnis haften, wobei ihre spätere Reproduktion in der Erzählung freilich zur Übertreibung neigt. In seinem bedenkenswerten Artikel ›Wunder im Neuen Testament‹, in der RGG3, betont E. Käsemann,85 daß »mehr als andere Gattungen die n(eu)t(estamentlichen) W(under)erzählungen den komplizierten Weg von der mündlichen Tradition bis zur Redaktion (spiegeln).«
Dem wird man gerne zustimmen, obwohl wir freilich den Weg der vormarkinischen Überlieferung kaum mehr auf verschiedene Stufen hin prüfen können und gerade ein ungewöhnlicher Heilungsvorgang lebenslang sehr deutlich im Gedächtnis haften kann. Man braucht hier nur Memoiren großer Ärzte zu lesen. Ohne Zweifel hat Markus den Wundern »den relativ größten Raum in unverkennbarer Erzählerfreude gewährt«86, aber die »Erzählerfreude« hat ihre Gründe: Die Fähigkeit als Heiler und Exorzist war ein wesentlicher Teil der Wirksamkeit Jesu, und der Erzählstoff der markinischen Berichte spielte sicher auch schon bei seinen Traditionsgaranten, etwa Petrus, eine wichtige Rolle.87 Der ursprüngliche Vorgang wurde damit nicht verdrängt: Lukas und vor allem Matthäus haben zum Teil rigoros gekürzt und dadurch schematischere, das heißt »stilgerechtere« Wunderberichte geschaffen, die gerade nicht die ursprüngliche Form darstellen.88 Eben darum kann man sie »historisch und sachlich nur notdürftig auf einen einheitlichen Nenner bringen«. Käsemann sieht dabei mit Recht ihr »Grundmotiv« in der eschatologischen Manifestation«, da schon »Jesus sie als Kundgabe angebrochener Heilszeit verstand«89. »Heilszeit« und Messias gehören aber zusammen. Bei Markus wird zudem bei einer ganzen Reihe von Wundererzählungen noch ein gewisses »biographisches« Interesse sichtbar. Wir würden dazu unter anderem auch konkrete Personen, wie die Schwiegermutter des Petrus, Jairus
84 S.
dazu R. und M. Hengel, Die Heilungen Jesu (S. 461 Anm. 1), 351–361 (357). 6, 1836. 86 Loc. cit. 87 Es ist kein Zufall, daß Paulus von seiner eigenen apostolischen Wundertätigkeit in der Auseinandersetzung mit den Auswirkungen der petrinischen Mission 2 Kor 12,12 und Röm 15,19 spricht; s. dazu Hengel, Petrus, 124. Vgl. auch Hebr 2,4. 88 Das formgeschichtliche Schema hat sich hier umgekehrt: Aus den von M. Dibelius für sekundär gehaltenen Novellen konnten so fast formvollendete »Paradigmen« werden; s. Formgeschichte, 34 ff.66 ff. 89 E. Käsemann, loc. cit. Hervorhebung M. H. / A. M. S. 85 RGG3
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und seine Tochter oder Bartimaios,90 Ortsnamen, wie Kapernaum und Jericho bei Markus (oder Nain bei Lukas), und die schon erwähnten aramäischen Worte rechnen. Die »erbaulich-allegorisierende Vergegenwärtigung« hat diese noch nicht verdrängt.91 Auffällig ist bei Markus weiter die individuelle Vielfalt, die sich eben nicht unter ein fremdes Formschema zwängen läßt. Typisch ist dafür die oben referierte Heilung des fallsüchtigen Knaben92 oder die Bartimaios-Erzählung,93 die einen ganz eigenwilligen Charakter besitzt.94 Man kann daher die synoptische Wunderüberlieferung nicht generell – ja nicht einmal überwiegend – der schwer definierbaren »hellenistischen Gemeinde« zuschreiben und unter das nicht minder unscharfe Schlagwort des Theios Aner stellen, das ja nicht einer klaren antiken Vorstellung entspricht, sondern erst vor 70 Jahren aus Quellen gewonnen wurde, die überwiegend christlich oder zumindest pagan-nachchristlich waren.95 Als hellenistische Parallele eines Wundertäters aus der zweiten Hälfte des 1. Jahrhunderts könnte man nur sehr bedingt den Pythagoreer Apollonius von Tyana nennen, von dem wir historisch herzlich wenig wissen, da der um 220 abgeschlossene Roman des Philostrat ein Idealbild malt, das von der geschichtlichen Wirklichkeit so weit entfernt ist wie spätere, apokryphe Jesusbilder des 2. Jahrhunderts vom Mann aus Nazareth. Philostrat, der sein Werk auf Anregung der Kaiserin Julia Domna schrieb, kannte unseres Erachtens die Evangelien ebenso wie schon vor ihm Celsus, und es liegt nahe zu vermuten, daß er seinen Helden als ein Idealbild der wahren philosophischen Religion gegen den sich zu seiner Zeit auch unter den Gebildeten ausbreitenden, siegesgewissen »Aberglauben« der Christen stilisiert hat.96 Auch Lukian (ca. 120–190) könnte mit dem Syrer aus Palästina, der Mondsüchtige exorziert, parodierend auf christliche Exorzisten im Stile Jesu hinweisen. Der »gekreuzigte Sophist« aus Palästina und der von ihm begründete »neue Kult« waren ihm ja wohl bekannt.97 Das heißt, die Darstellung Jesu als Wundertäter in den Evangelien ist älter als die vereinzelten 90 Mk 10,46: Der halb aramäische, halb griechische Name ist auffallend und keine Erfindung; s. dazu Bill. II, 25. Auffallend ist, daß Markus den Namen wie auch andere aramäische Begriffe und Formeln übersetzt. Dasselbe tut Johannes. S. o. S. 478. Lukas streicht den Namen, Matthäus macht daraus zweimal zwei Blinde: Lk 18,35; Mt 20,29 ff.; vgl. auch 9,27 ff., wo der matthäische Jesus diese zuerst auf ihren Glauben prüft. 91 Roloff, Kerygma, 115 ff. (116). 92 S. o. S. 473 f. 93 Mk 10,46–52. Sie wird erst von Matthäus typisiert. S. u. S. 551. 94 J. Roloff, Kerygma, 121 ff. 95 S. dazu o. S. 250. 96 S. dazu E. Koskenniemi, Apollonios von Tyana in der neutestamentlichen Exegese, WUNT II / 61, Tübingen 1994. Nachdrücklich hat Th. Schirren, Philosophos Bios, BKAW 2. R. 115, Heidelberg 2005 darauf hingewiesen. 97 Lukian, Philopseudes 16. Der Scholiast vermutet eine Anspielung auf Christus, vgl. Peregrinus 11.13. Zum »gekreuzigten Sophisten« und der von ihm gegründeten kainÉ teletfl
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»hellenistischen« Parallelen, ja deren Darstellung könnte schon indirekt unter
christlichem Einfluß stehen. Die Zeit eines Celsus, Lukian und Philostrat ist auch die erste Blütezeit der romanhaften, von absonderlichen Wundergeschichten überfließenden christlichen Apostelakten.98 Die große Zeit der »hellenistischen« Wundertäter und Magier beginnt – literarisch – erst mit dem 2. und 3. Jahrhundert. Die – vorchristlichen – auf Inschriften erhaltenen Wunderkuren in den Asklepiosheiligtümern, etwa von Epidauros, haben einen anderen Charakter. Am nächsten kommen im hellenistischen Bereich den evangelischen Berichten die dem Tacitus durch Augenzeugenberichte bezeugten exzeptionellen Heilungen Vespasians in Alexandria.99 In der ersten Hälfte des 1. Jahrhunderts haben wir, abgesehen von dem sagenhaften Apollonius (der eher in die zweite Hälfte gehört), praktisch keine Nachrichten von herumziehenden Wundertätern im hellenistisch-römischen Osten.100 Nur Magier betrieben ihr zeitloses Geschäft, obwohl auch ihre große Zeit, das zeigen die stark jüdisch beeinflußten Zauberpapyri, erst ab dem 2. und 3. Jahrhundert kam. Unter sie sollte man Jesus freilich trotz der späteren antichristlichen Polemik nicht einreihen.101 Der Vergleich mit den jüdischen wie mit den »hellenistischen« Parallelen zeigt so, daß die Wundergeschichten der Evangelien, die ja alle noch im 1. Jahrhundert entstanden sind, sowohl durch ihre große Zahl wie auch durch ihren Inhalt ein erstaunlich eigenständiges Gepräge besitzen, daß sie gerade nicht einfach aus ihrer »Umwelt« abgeleitet werden können. Sie sind ein grundlegender, unabdingbarer Bestandteil im Wirken Jesu als Verkündiger der »sich realisierenden Gottesherrschaft«, und sie dürfen daher nicht, weil wir sie heute als störend empfinden, zugunsten des Lehrers einer höheren Moral oder des »Rufers zur Entscheidung« als unwesentlich beiseite geschoben werden. In der ganzen antiken Literatur, einschließlich des Alten Testaments, wo man vielleicht noch am ehesten auf die Elia‑ und Elisaerzählungen verweisen könnte, die von wunderbaren Speisungen, Krankenheilungen und zwei Totenerweckungen berichten und wohl zum Teil die neutestamentliche Überlieferung beeinflußt
s. Th. Schirren, Lukian über die kainÉ teletfl der Christen (De morte Peregrini 11), Ph. 149 (2005), 354–359; vgl. dazu 1 Kor 1,23 f. 98 S. dazu etwa auch die Mirabilia des Phlegon von Tralles, FGrH 257, der (zur Zeit Hadrians) in seiner Chronik unter anderem von eingetroffenen Weissagungen Jesu berichtete: Hengel, Leser, 114 ff. 99 Tacitus, hist. 4,81,3. Zur Zeit, da Tacitus die Historien schreibt, ca. 110 n. Chr., das heißt rund 40 Jahre nach den Ereignissen in Alexandrien, waren noch Augenzeugen am Leben, die unter Trajan keinen Grund mehr hatten, dem flavischen Kaiserhaus zu schmeicheln. Es ist etwa derselbe Zeitraum, der Markus von Jesus trennt. Zu Augenzeugen bei Tacitus s. Byrskog, Story, 63 f. 100 Dazu Koskenniemi, Apollonios (S. 481 Anm. 96), 207 ff. (211 f.). 101 S. o. S. 182 zu Morton Smith, Jesus, und u. S. 487 Anm. 124.
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haben,102 gibt es keine wirklich vergleichbare, an eine Person gebundene Sammlung von Wundergeschichten wie in den Evangelien. Das muß auch historische Gründe in der Person Jesu haben.
16.4 Zur Beurteilung der Wundergeschichten103 Im Gegensatz zum Neuen Testament, das bei den dun›mei“ der Synoptiker und den shmeõa des 4. Evangeliums keinen Unterschied zwischen den Heilungen (bzw. Exorzismen) Jesu und sogenannten Naturwundern macht, teilt R. Bultmann104 die synoptischen Wundergeschichten in diese beiden Klassen ein, eine Einteilung, für die schon D. F. Strauß eintrat,105 die freilich dem antiken Verständnis des Wunders kaum adäquat ist, sondern eine moderne Unterscheidung in die Evangelientexte einträgt. Heilungswunder können darum in der modernen Kritik unter Umständen als ein »psychosomatisches« Geschehen noch als historisch möglich betrachtet werden, während »Naturwunder« als grundsätzlich unmöglich erscheinen.106 Doch mit diesem Schema macht man es sich zu einfach. Es entspricht zu sehr unserem »Weltbild« und erfaßt die Problematik der Evangelienerzählung auf unzureichende Weise bzw. überhaupt nicht. Dies gilt auch für die zahlreichen Hinweise auf die »wunderbare« Menschen‑ und Herzenskenntnis Jesu, sein Vermögen, »Gedanken zu lesen«, und vor allem sein Wissen um Zukünftiges, bei dem die Leidensvoraussagen im Mittelpunkt 102 Speisungen: 1 Kön 17,6; 19,5–8; 2 Kön 4,1–7.42–44: die nächste Parallele zu den Spei sungsgeschichten der Evangelien; Krankenheilung: 1 Kön 17,17–24; 2 Kön 4,18–37; vgl. 13,20 f. Diese »archaischen« Erzählungen unterscheiden sich, obwohl sie die neutestamentlichen Berichte teilweise beeinflußt haben, ganz wesentlich von denen der Evangelien. Auch die in den Vitae Prophetarum den Profeten zugeschriebenen Wunder sind Weiterführungen der alttestamentlichen Ansätze; s. dazu Schwemer, Prophetenlegenden I, 78 f.; II, Index 388; zur jüdischen »Wirkungsgeschichte« der alttestamentlichen Wundergeschichten s. E. Koskenniemi, Old Testament Miracle-Workers (S. 477 Anm. 69), zu Elijah / Elisha s. Index 348; zur Kritik der »divine men«-Vorstellung S. 3 ff. 103 Zur Diskussion vgl. M.Wohlers / R. Riesner, Kontroverse, in: ZNT 7 (2001), 48–58. 104 GST, 223 ff.230 ff. Auf S. 247 ff. unterscheidet er bei den nichtchristlichen Wundern a) Dämonenbeschwörungen, b) andere Heilungsgeschichten, c) Totenerweckungen, d) Naturwunder. Diese Unterscheidungen sind durchweg nicht formgeschichtlich, sondern inhaltlich bedingt. 105 Leben Jesu für das deutsche Volk, 425 ff. 106 S. dazu etwa die Kritik von K. Kertelge, Die Wunder Jesu im Markusevangelium, SANT 23, München 1970, 43: »Die Charakterisierung … als Naturwunder … erfolgt lediglich aufgrund der Tatsache, daß das in ihnen geschilderte wunderbare Geschehen nicht an Menschen, sondern an außermenschlichen Naturphänomenen wahrgenommen wird.« E. Trocmé, La formation de l’Évangile selon Marc, EHPhR 57, Paris 1963, 37 spricht gar von »actes violentes les lois naturelles«. Weitere Hinweise bei G. Theissen / Ph. Vielhauer, Ergänzungsheft (S. 295 Anm. 119), 84. Man sollte jüdischem Denken entsprechend eher von »Schöpfungswunder« sprechen. Das Wort f‚si“ begegnet uns bei den Evangelisten nicht.
484
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stehen.107 Kann man dieses, gewöhnliche menschliche Möglichkeiten überschreitende, Wissen a limine verwerfen? Und wie steht es mit der Versuchungsgeschichte, der Verklärungserzählung oder den Engelerscheinungen, die vor allem den Anfang und noch mehr das Ende der Evangelien betreffen, mit den Himmelsstimmen, den außerordentlichen Ereignissen beim Tode Jesu und erst gar beim »Wunder über alle Wunder«, seiner Auferstehung? Wir treten mit der Überlieferung über Jesu Wirken wie mit dem Urchristentum überhaupt (unter Einschluß des Paulus) in eine wundersame, »mythische« Welt ein, die uns fremd erscheint und hinter der Erfahrungen und Erwartungen stehen, die uns schwer vermittelbar sind und die wir doch nicht einfach schlechtweg negieren und »entmythologisieren« können, weil wir uns damit die Möglichkeit nehmen, sie zu verstehen. Der Historiker gerät hier in eine Aporie. Er kann alttestamentliche und andere religionsgeschichtliche Parallelen heranziehen, auf gewisse Topoi verweisen, Widersprüche und übertreibende Motive hervorheben und überhaupt die gegenüber diesen Phänomenen gebotene Skepsis zeigen; wirklich erklären kann er diese Jesu Wirken und das ganze Urchristentum zu einem guten Teil bestimmenden Phänomene nicht. Sie bleiben für ihn trotz aller einzelnen »Erklärungsversuche« eine letztlich unbeantwortbare, offene Frage. Ein grundsätzlicher Unterschied ergibt sich aus dem verschiedenen »Welt‑ und Gottesbild«: Das palästinische Judentum und das Urchristentum kennen unseren modernen Naturbegriff und die Vorstellung von unveränderlichen »Naturgesetzen« nicht, vielmehr ist die ganze belebte und unbelebte Welt Gottes Schöpfung und Machtbereich. Häufig stellt man sich vor, daß Gott die Welt durch eine Hierarchie von Engeln regiert, die auf seinen Wink gehorchen. Ein Grundsatz, der das Alte und Neue Testament durchzieht, besteht darin, daß ihm »kein Ding unmöglich ist«.108 Theißen vermeidet daher diese – eine Aporie der Exegese seit der Aufklärung anzeigende – Unterscheidung zwischen Natur‑ und Heilungswundern und spricht von einem »Inventar von Themen«. Er zählt dazu Exorzismen, Therapien, Epiphanien, Rettungswunder, Geschenkwunder und Normenwunder, wobei die Themen zum Teil ineinander übergreifen. Die Erzählung von der Heilung der Frau in der Synagoge, die durch einen »Geist der Krankheit« 18 Jahre gekrümmt war, verbindet Exorzismus, Therapie und Normenwunder und führt zu einem Streitgespräch.109 Ein derartiges Beispiel unterstützt unsere These, daß die Wundererzählungen der Evangelien variabler sind, als häufig angenommen wird, und sich oft nur schwer in feste Schemata 107 S.
dazu die Aufstellung S. 463 f. 18,14; Jer 32,17.27: »Kein Wunder ist dir zu groß«. Vgl. Mk 10,27 = Mt 19,26; Mt 17,20; Lk 1,37. Die ganze Schöpfung ist bedingungslos Gottes Willen unterworfen. Nur darum ist die Vorstellung vom »bergeversetzenden« Glauben im Sinne eines radikalen Gottvertrauens denkbar, s. o. S. 155. 109 Lk 13,10–17 (Sondergut). 108 Gen
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pressen lassen, die unserem modernen Formalismus Genüge leisten. Allen diesen Einteilungen haftet etwas Gewaltsames an. Die Vielfalt der erzählten Phänomene läßt sich dadurch nur bedingt erfassen, auch wenn der Vorgang des Wunders selbst gewisse erzählerisch fixierte Vorgaben erfordert, etwa daß das Leiden genannt und der Erfolg direkt oder indirekt berichtet werden muß.110 Klaus Berger verneint darum, daß »Wunder / Wundererzählung« überhaupt ein »Gattungsbegriff« sei, er ist für ihn nur eine »moderne Beschreibung eines antiken Wirklichkeitsverständnisses«.111 Nun finden wir in den Evangelien – wir wiesen schon darauf hin – und vergleichbaren jüdischen Texten selbst mehrere Begriffe, die die erzählten Vorgänge kennzeichnen: Krafttaten, Zeichen, Wunderzeichen (dun›mei“, shmeõa, tfirata).112 Die griechisch-römische Welt kennt die »Gattung« qaum›sia / mirabilia: Erzählungen über Vorgänge, die den Hörer in »Staunen« versetzen; man kann daher sehr wohl von der »Gattung« Wundergeschichte sprechen. Berger zeigt damit jedoch die – von uns schon mehrfach beobachtete – Aporie der traditionellen formgeschichtlichen Betrachtung auf, bleibt ihr freilich weiterhin verhaftet, da auch er versucht, wieder zu klassifizieren und damit fragwürdige traditionsgeschichtliche Abhängigkeiten herzustellen.113 So oder so wird die Kontingenz des berichteten wunderhaften Geschehens, das in den antiken Erzählungen gewiß häufig, ja in der Regel auf phantasievoller Fiktion beruhen mag, zugunsten einer mehr oder weniger künstlichen Schematisierung beseitigt. Richtig ist, daß sich die synoptischen Wundererzählungen »mit ganz konkreten Notlagen« beschäftigen,114 und zwar handelt es sich mit der Ausnahme der Verfluchung des Feigenbaumes, hinter der vielleicht ein in eine symbolische Handlung umgesetztes Gleichnis steht,115 in der Regel um Wunder zugunsten Dritter:
110 Hebr
2,4 spricht von poik‡lai dun›mei“, s. auch o. S. 461–464. Berger, Formgeschichte des Neuen Testaments, Heidelberg 1984, 305; vgl. 305–318. S. ders., Gattungen, 1212–1218, vgl. 1214 f. zur Kritik an Theissen, 1218 zur Kritik an der Gattung Wunderbericht. 112 S. o. S. 465. 113 Berger, Gattungen, 1217, das fragwürdige Postulat »eines mehr hellenistisch geprägte(n) Typ(s)« und eines »jüdisch-alttestamentlich orientierten« bei Totenerweckungen »innerhalb der synoptischen Tradition«. Beim hellenistischen Typ begegnet der Retter dem Leichenzug, beim alttestamentlichen geschieht die Erweckung im Haus: Doch Kranke sterben in der Regel im Haus, und Fremde können Toten nur zufällig beim Leichenzug begegnen. Wie Berger die dritte Möglichkeit der Totenerweckung aus dem Grabe einordnet, sagt er nicht. 114 Theissen, Wundergeschichten, 90. Freilich würden wir nicht von vornherein behaupten, daß sie ein Produkt der »erzählende(n) Phantasie« sein müssen. 115 Mk 11,12–14.20 f. = Mt 21,18–20: Matthäus bringt eine deutliche Steigerung des Wunders dadurch, daß er es sofort geschehen läßt: Von seiner Version aus könnte man nie auf die erzählerisch kompliziertere und ursprünglichere Markus-Version zurückschließen. Zum Gleichnis s. Lk 13,6–9. 111 K.
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Legitimationswunder, Schauwunder.116 Selbsthilfewunder und Strafwunder, die ja im Alten Testament, etwa in der Elisaüberlieferung, nicht selten sind,117 sich aber auch in der paganen Umwelt und späteren christlichen Überlieferung finden, suchen wir, abgesehen von diesem einen Beispiel, vergebens. Ihre negative Beurteilung zeigt die Versuchungsgeschichte. Dort trägt der Versucher ein Selbsthilfe‑ und Schauwunder an Jesus heran, wird aber entschieden zurückgewiesen. Dem entspricht die Ablehnung der Zeichenforderung: Jesus weigert sich, sich zu legitimieren.118 Damit wird die ursprüngliche Intention der Wunder Jesu sichtbar: Sie wollen durchweg Zeichen der jetzt anbrechenden Heilszeit sein. In der späteren Gemeinde hat sich diese Situation wieder geändert. Die Zeichen des Apostels sollen dort auch zu dessen Legitimation dienen, und die göttliche Strafe für den Gegner spielt keine geringe Rolle.119 Apokryphe Evangelien und Apostelakten kennen hier dann keinerlei Hemmungen mehr. Unbedingt ist Klaus Berger darin recht zu geben, daß die Wundererzählungen gewiß nicht primär nur »symbolische Aktionen«120 darstellen wollen, obwohl sie zumindest teilweise auch symbolischen Charakter besitzen. So weisen die Speisungserzählungen auf das eschatologische Mahl und seine Festfreude, die Blindenheilungen auf das Sehen mit den Augen des geistgewirkten Glaubens, die Sturmstillung auf die Rettung der angefochtenen Glaubenden hin. Es geht den urchristlichen Erzählern jedoch um mehr, nämlich um den konkreten Erweis der heilschaffenden Schöpfermacht Gottes in der Person Jesu, durch den noch in der alten Weltzeit das Neue, die Gottesherrschaft, für die Einsichtigen sichtbar ihren Anfang nimmt.121 Das frühe Christentum hat den Anspruch auf die Gabe des Wunders – freilich in verschiedener Intensität – aufrechterhalten.122 116 Vgl. die Ablehnung von Wundern in Lk 4,9 ff. = Mt 4,5 ff.; Mk 8,11 = Lk 11,16; Mt 12,38 f.; 16,1–4. 117 Vor allem Marcion hat an den Strafwundern des Alten Testaments Anstoß genommen und sie dem »gerechten Gott« zugeschrieben: Während Elia Feuer vom Himmel fallen ließ, verbietet Jesus den Jüngern, eben dies zu wünschen, und während Elisa die Kinder, die ihn verspotten, durch Anrufung des gerechten Gottes von Bären töten läßt, läßt Jesus die Kinder zu sich kommen: s. Harnack, Marcion, 282. 118 S. o. S. 469. 119 2 Kor 12,12; Röm 15,19; vgl. Apg 2,43; 5,12; vgl. auch Mk 16,17 f. Wunderbare Strafhandlungen: Lk 1,18–22; Apg 5,1–11; 12,23; 13,9–11; vgl. 19,13–17; 1 Kor 5,4 f.; 10,1–11. 120 Berger, Gattungen, 1215 gegen Theissen, Wundergeschichten, 43 ff.: »Symbolische Handlungen«, vgl. 261: »kollektive symbolische Handlungen, in denen eine neue Lebensform erschlossen wird«, vgl. S. 279.282.285. Im Schlußwort S. 295 ff. versucht Theissen diese Deutung zu steigern: »Sie weisen auf eine Offenbarung des Heiligen« (296). 121 Berger, Gattungen, 1215: Sie sind »Darstellung mächtiger, das heißt: bis in den Bereich des Leiblichen hineinreichender religiöser Erfahrung angesichts der Person Jesu. Das Abbrechen dieser Art religiöser, charismatisch verursachter Erfahrung – und nicht die moderne Wissenschaft – ist das entscheidende Hindernis beim Verstehen von Wundergeschichten.« 122 S. u. S. 492–495.
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Es ist eigenartig, daß die Fähigkeit Jesu, »Wunder« zu tun, in der alten Welt sogar von den Gegnern kaum bestritten wurde. Man erklärte sie jedoch negativ, so schon zu seinen Lebzeiten als Teufelsbündnis,123 die spätere jüdische Polemik, aber auch, von ihr abhängig, Celsus, machen Jesus zu einem Magier, der seine Zauberkunst in Ägypten gelernt habe. Dies setzt sich in der weiteren antichristlichen Polemik fort.124 Das Wunder war in einer dualistischen Welt gerade nicht eindeutig, sondern ambivalent. Es galt nur für den, der zu dieser Einsicht bereit war, als Machterweis Gottes. Wunder konnten ja das Werk des Teufels, seiner Dämonen oder betrügerisches Blendwerk sein. Nicht nur Moses,125 sondern auch seine Gegner Jannes und Jambres in Ägypten126 galten bei Juden, Christen und Heiden als große Wundertäter und Magier, und nach der synoptischen Apokalypse sollen die eschatologischen Verführer kurz vor dem Ende »große Zeichen und Wunder tun, um die Auserwählten … zu verführen«127. Ähnliches wird in gesteigertem Maße dem Antichrist zugeschrieben. Als das eschatologische Werkzeug Satans wird er zum »Weltverführer« schlechthin.128 Juden, Heiden und Christen konnten sich so gegenseitig Magie und dadurch gewirkten Betrug vorwerfen, die Wirklichkeit der Wunder auf seiten des Gegners bezweifelten sie dagegen häufig nicht. Kritische Skeptiker, wie etwa Lukian in seinem Philopseudes, wurden in der Spätantike immer seltener. Am schroffsten tritt diese Ambivalenz bei der Verspottung des Gekreuzigten hervor: »Andere hat er gerettet und kann sich selber nicht retten. Der Messias, der König Israels, steige jetzt vom Kreuz, damit wir sehen und glauben« (Mk 15,31 f.). Auch Celsus hat über den Gekreuzigten seinen Spott ausgegossen. Wer so elend stirbt, muß ein gottloser Betrüger sein (s. u. S. 615 Anm. 73). Trotz dieser Ambivalenz, die ihren Gebrauch als »Beweismittel« schon in der Antike fraglich machte bzw. zumindest wesentlich einschränkte, spielen die Wunder – neben dem Weissagungsbeweis – bei den Apologeten eine nicht unwichtige Rolle. Der erste Apologet Quadratus zur Zeit Hadrians berichtet, 123 S. die Beelzebul-Anklage der »Schriftgelehrten, die aus Jerusalem gekommen waren«, Mk 3,22–27, vgl. Lk 11,15–23 = Mt 12,24–30, s. o. S. 331. Vgl. auch die Anklage Joh 8,48, er sei ein besessener Samaritaner. Theissen, Wundergeschichten, 296 f. nennt daher als letztes von fünf »wesentlichen Momente(n)« »des Heiligen« seine »Ambivalenz«, die vor allem in der »Ohnmacht des Gekreuzigten« hervortritt. 124 S. dazu J. G. Cook, Interpretation, 384 Index: »Jesus as a magician« und »miracles«; Morton Smith, Jesus. 125 J. G. Gager, Moses in Greco-Roman Paganism, JBL.MS 16, Nashville 1972, 134–161. 126 Sie werden im Neuen Testament in 2 Tim 3,8, bei Plinius maior, nat. hist. 30,2,22, Apuleius, apologia 90, in der Damaskusschrift V 17–19, in den Targumim und der rabbinischen Literatur erwähnt; auch Teile eines jüdischen Pseudepigraphons über sie sind auf Papyrus erhalten; s. A. Pietersma, The Apocryphon of Jannes and Jambres the Magicians, Leiden etc. 1994. 127 Mk 13,22 = Mt 24,24; vgl. Mk 13,5 f. = Lk 21,8 = Mt 24,4 f. und o. S. 465 Anm. 11. 128 2 Thess 2,9–12; Apk 13,11–18; Did 16,4: kaÑ t·te fanflsetai ¨ kosmoplanÉ“ Æ“ u´Ö“ qeoú kaÑ poiflsei shmeõa kaÑ tfirata, vgl. AscJes 4,10.
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daß die von Jesus Geheilten und Auferweckten durch ihre ständige Gegenwart (üeÑ par·nte“) »auch nach dem Fortgang des Erlösers« seine Taten als »der Wahrheit entsprechend« bezeugt hätten. Einige sollen bis in die Zeit des Autors gelebt haben.129 Diese Zeugenfunktion der von Jesus Geheilten mag durchaus einen geschichtlichen Grund haben und im jüdischen Palästina nicht unwirksam gewesen sein. Vor allem bei Lukas, Johannes und bei Papias finden sich noch Spuren davon.130 Porphyrius soll nach Hieronymus gesagt haben, »es ist keine große Sache, Wunder zu tun«, denn »durch magische Künste« sind vielerlei Wunder geschehen, so durch die ägyptischen Magier gegen Mose, durch Apollonius von Tyana, Apuleius und andere mehr.131 Wenn er seinerseits an dem Exorzismus in die 2000 Schweine zweifelte, so nicht deshalb, weil er die Geschichte für unmöglich hielt, sondern weil er eine solche lächerlich-absurde Untat (kakourg‡a) Christus nicht zutraute, von dem er im Gegensatz zu Celsus keine ganz schlechte Meinung hatte.132 Der große Neuplatoniker, der die Evangelien kannte und scharf kritisierte, hat, wie nach ihm noch stärker sein Schüler Jamblichos, in seiner Pythagorasvita aufgrund älterer Traditionen von wunderhaften Motiven reichlichen Gebrauch gemacht. Derartige Viten sind in den geistigen Auseinandersetzungen gegen Ende des 3. und im 4. Jahrhundert unter anderem auch als Gegenschriften zu den Evangelien zu verstehen.133 Erst mit der radikalen Wunderkritik des 17. Jahrhunderts, etwa paradigmatisch in Spinozas Tractatus theologico-politicus,134 beginnt sich diese Situation zu ändern. Bei seiner Destruktion des kirchlich vorherrschenden Jesusbildes glaubt dann D. F. Strauß mit den Wundern Jesu besonders leichtes Spiel zu haben:
129 Bei Euseb, h.e. 4,3,2; vgl. Papias, frag. XI nach Philipp Sidetes bei F. X. Funk / K. Bihlmeyer, Die apostolischen Väter, Tübingen 1924, 138 f. (= übersetzt und neu hg. v. A. Lindemann / H. Paulsen, Tübingen 1992, 298 ff.). 130 Lk 8,2 f.; Joh 3,2; 4,45.48; 6,14; 7,31; 9,8 ff.; 11,45 f.; Papias bei Euseb, h.e. 3,39,8 f.; vgl. auch Papias in Anm. 129. 131 E. R. Dodds, Heiden und Christen in einem Zeitalter der Angst, Frankfurt am Main 1985, 109; s. Porphyrius ›Gegen die Christen‹, 15 Bücher. Zeugnisse, Fragmente und Referate, hg. v. A. v. Harnack, APAW.PH 1916, Nr. 1, S. 46, fr. 4: magicis artibus operati sunt quaedam signa. non est autem grande facere signa; nam fecerunt signa et in Aegypto magi contra Moysen, fecit et Apollonius, fecit et Apuleius, et infinita signa fecerunt. 132 Op. cit., S. 76 f., fr. 49. 133 S. dazu M. van Uytfanghe, RAC Suppl. 1, 1099–1102; W. Fauth, ZNW 78 (1987), 26–48. Diese Tendenz setzt sich in den späteren Neuplatonikerviten fort. 134 B. Spinoza, Opera. Lateinisch-Deutsch, Bd. I, Darmstadt 1978, hg. v. G. Gawlick und F. Niewöhner: VI de miraculis, 190–227. Zur Vorgeschichte s. K. Scholder, Ursprünge und Probleme der Bibelkritik im 17. Jahrhundert, FGLP, 10. Reihe, Bd. 33, München 1966, dort 165 ff. zu Spinoza.
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489
»Weniges steht fest, und gerade von demjenigen, woran der Kirchenglaube sich
vorzugsweise knüpft, dem Wunderbaren und Uebermenschlichen in den Thaten und Schicksalen Jesu, steht vielmehr fest, daß es nicht geschehen ist.«135
Sein besonderer Haß trifft »die Geschichte von der Auferstehung Jesu«, er kann sie »historisch genommen«, das heißt in Anbetracht der »ungeheuren Wirkungen dieses Glaubens mit seiner völligen Grundlosigkeit zusammengehalten«, nur noch »als ein(en) welthistorische(n) Humbug« bezeichnen.136 Auf der anderen Seite gesteht er ein, daß die »erste Klasse« der Wunder Jesu, die Krankenheilungen, als »vermeintliche(s) Wunder, nur freilich auf ganz natürliche Weise, von Jesus wirklich bisweilen mögen bewirkt worden sein.«137 Schon längst war das Wunder im liberalen deutschen Protestantismus nicht mehr »des Glaubens liebstes Kind«, es schien vielmehr, und das gilt bis heute, zu »des Glaubens ärgerlichster Verlegenheit« geworden zu sein, was in der Schule Bultmanns darin sichtbar wurde, daß man dafür gerne in verächtlicher Weise den Begriff Mirakel138 verwendete, ohne noch dessen ursprünglichen Sinn als qaum›sion, das, was äußerstes Erstaunen und unter Umständen auch Entsetzen erweckt,139 zu bedenken. »Mirakel« kommt von mirari, das gleichbedeutend ist mit qaum›zein. Diese tiefe Aversion gegen alles Wunderhafte belastete das Urteil über unsere älteste erhaltene Quelle, Markus, und ihren Geschichtswert. Daß im Fortgang der Überlieferung die Tendenz zur »mirakulösen« Ausmalung wächst, zeigen spätere apokryphe Texte wie das Fragment des Petrusevangeliums, das Kindheitsevangelium des Thomas oder die romanhaften Apostelakten. Es läßt sich auch kaum bezweifeln, daß schon die synoptischen Evangelien eine gewisse Tendenz zur Steigerung wunderhafter Vorgänge besitzen, obwohl diese – soweit wir sie durch den synoptischen Vergleich prüfen können – keineswegs sehr 135 Leben
Jesu für das deutsche Volk, 623 f. 72 f. 137 Leben Jesu für das deutsche Volk, 425. Zum Wunderbegriff bei Strauss s. C. Hartlich / W. Sachs, Der Ursprung des Mythosbegriffs in der modernen Bibelwissenschaft, Tübingen 1952, 140–146: Seine Auffassung von »der gleichen Gesetzmäßigkeit in allem Geschehen« (Leben Jesu2 I, 87) macht jedes »Wunder« unmöglich. Aber ist nicht gerade dieser materialistisch-monistische Determinismus, bei dem er zuletzt angelangt ist, ein typisch moderner Aberglaube? Wird dabei nicht übersehen, daß wir Menschen begrenzte Wesen sind, ein dem Irrtum unterworfenes Gesichtsfeld haben, das in Natur und Geschichte nur zu eingeschränkter Erkenntnis des »Wunders« von Gottes Schöpfung und Wirken fähig ist? 138 S. z. B. R. Bultmann, Neues Testament und Mythologie, in: Kerygma und Mythos, hg. v. H. W. Bartsch, Hamburg 1948, 48 ff. Er wendet sich dort gegen das paulinische Verständnis der Auferstehung in 1 Kor 15,3–8 als »begleitendes Mirakel«. 139 Zu R. Bultmann und seinem Lehrer Wilhelm Herrmann s. o. S. 479 Anm. 83. Das qaum›zein (vgl. Mk 5,20; Lk 11,14) kann auch als †kplflssesqai beschrieben werden: Lk 9,43, vgl. Mk 7,37. Markus verwendet dieses Verb vor allem im Blick auf Jesu Lehre: 1,22; 6,2; 11,18. 136 Glaube,
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auffallend ist. Matthäus und Lukas lassen zum Teil auch ausmalende Züge weg. Die Tendenz zur erzählerischen Steigerung tritt im spätesten Evangelium des Kanons, bei Johannes, am stärksten hervor, der sich aber andererseits auch kritisch gegenüber den Wundern äußern kann. Ein Glaube, der sich nur auf sie gründet, hat keinen Bestand.140 Keinesfalls lassen sich die zahlreichen legendären Züge und wunderhaften Erzählungen als Argument gegen die Verfasserangaben der ältesten Evangelien und den Anspruch der Augenzeugenschaft anführen. Es ist irreführend, wenn zum Beispiel Wellhausen gegen Papias eine Verbindung zwischen dem Verfasser des Markusevangeliums und Petrus grundsätzlich in Frage stellt, weil die Erzählung von der Berufung der vier Jünger »legendarisch ist und nicht auf Petrus zurückgehen kann«141. Wenn die Tradition des Markus »getrübt« ist, so aufgrund der bewußten kerygmatisch-erzählerischen Formung, hinter der der theologische Wille des Autors steht; ob sein Stoff schon »durch vieler Leute Mund gegangen war«, bevor er zum Verfasser kam, bleibt eine unbeweisbare, ja unwahrscheinliche Behauptung.142 Wellhausen übersieht hier, daß bei der Evangelientradition längst nicht so lange Überlieferungszeiträume bestehen wie beim alttestamentlichen Erzählgut und daß die maßgeblichen Verkündiger und Tradenten in den noch jungen Missionsgemeinden zugleich autoritative Lehrer waren.143 Eduard Meyer, der die antike Geschichte in ihrer ganzen Breite besser kannte als der Alttestamentler und Orientalist, sagt zu den Ausführungen Wellhausens in diesem Punkt nur: »Dies Urteil ist mir völlig unbegreiflich«, und fügt hinzu: »wenn Wellhausen weiter sagt: ›am meisten widerstreben die Wundergeschichten in der Form, wie sie bei Marcus dargestellt werden, der Zurückführung auf den intimsten Jünger‹, so ist das eine echt
rationalistische Verkennung des Charakters dieser Geschichten und der Anschauungswelt, aus der sie erwachsen sind. In derselben Weise, wie sie bei Marcus erzählt 140 Typische Fälle sind Erweiterungen: So bei der Speisung der 5000 »Männer« (= Menschen) Mk 6,44 in Mt 14,21 durch den Zusatz »ohne Frauen und Kinder« oder bei der Meerwandelerzählung Mk 6,45–52 in Mt 14,22–33. Sie erhält durch das Versagen des Petrus und Jesu kritische Frage 14,31 eine tiefere, theologische Bedeutung. Nur hier und Mt 28,17 erscheint im Neuen Testament das Wort dist›zein »zweifeln«. Vgl. dazu Mk 11,23 und Mt 17,20; Lk 17,6. Zur Wunderkritik s. Joh 2,23 f.; 4,48; 6,14 f.; 12,37; 20,29. 141 Wellhausen, Einleitung, 155. 142 Loc. cit. Hervorhebung M. H. / A. M. S. Dann müßte man schon ungefähr sagen, ab welcher Zahl das Adjektiv »viel« gilt. Wir haben ja nur eine Überlieferungszeit von 40 Jahren. S. o. S. 482 Anm. 99 zu Tacitus. Im Alten Testament war das völlig anders. Die Behauptung, daß Petrus »bei seiner Verkündigung keine Vorträge über die evangelischen Perikopen gehalten« habe und sie »nicht schriftlich in eine Reihe« bringen konnte, schafft ein Zerrbild. Petrus muß Jesusgeschichten erzählt haben. Sonst wäre die Evangelientradition einschließlich der anstößigen Wundergeschichten gar nicht in den Westen gekommen und die Evangelien nicht entstanden. S. auch o. S. 223. 143 S. o. S. 222; zur Papiasnotiz o. S. 217 f.
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werden, erzählen gläubige Augenzeugen zu allen Zeiten, nicht nur im Mittelalter und im Orient sowie in der griechischen Welt.«144
Über die von Meyer angeführten Beispiele von Augenzeugenberichten bei wunderhaften Vorgängen hinaus könnte man noch auf das von der Antike bis in die Gegenwart vielfach bezeugte Phänomen der Legendenbildung zu Lebzeiten eines Helden verweisen. Der Begleiter, Freund und Hofhistoriograph Kallisthenes berichtet von einem »wunderbaren« Durchzug Alexanders durch eine Meeresbucht in Pamphylien, den schon Josephus mit dem Durchzug Moses’ durchs Schilfmeer vergleicht.145 Kallisthenes erzählt weiter, daß der Priester des Ammonorakels Alexander mitgeteilt habe, daß er ein »Sohn des Zeus« sei, und daß der König vor der Schlacht von Gaugamela um göttlichen Beistand gebetet habe, »falls er von Zeus abstamme«, einen Beistand, den er prompt erhielt. R. Merkelbach bemerkt zur Alexanderlegende: »Sage entsteht überall, wo wir sie beobachten können, gleichzeitig mit oder unmittelbar nach den Ereignissen.« Darum war es »gar nicht verwunderlich, daß die Soldaten
sich solche Geschichten erzählt haben. Der Alexanderzug muß für sie ein unerhörtes Abenteuer gewesen sein.«146 »Alexander (war) schon zu seinen Lebzeiten für viele Zeitgenossen und vor allem seine Soldaten eine mythische Gestalt. Die Darstellungen der Alexandergeschichte haben dies weitgehend verdeckt. Zu dem echten Bild des historischen Alexander gehört aber auch dieses mythische Element.«147
Wenn wir hier für Alexander »Jesus«, für seine Soldaten »Jünger« und für die Alexandergeschichte »kritische Jesusforschung« einsetzen, stehen wir vor einem – bis heute verkannten – Grundproblem der neutestamentlichen Wissenschaft. Unseres Erachtens ist das äußerst umstrittene Problem, Legende bzw. Wunder 144 Meyer, Ursprung, 159 Anm. 1 zu Wellhausen, loc. cit. Auch wenn man die Vermutungen von E. Meyer über eine Petrus‑ und Zwölferquelle nicht teilt, sollte man doch seinem Satz zustimmen, daß »die Überlieferung durchaus nicht auf volkstümlicher Tradition (beruht), sondern auf ganz bestimmten Individualitäten« (op. cit., 160 Anm. 1), wobei Markus etwa gegen die Kritik von M. Dibelius an E. Meyer, s. seine Rezension DLZ 32 (1921), 221–235 (232), wie die neuere Forschung zeigt, »durchaus auf eine individuelle Entstehung« hinweist. S. o. S. 189. Im Blick auf die neuere Forschung hat E. Meyer gegen die Formgeschichte Recht behalten, s. o. S. 193. Zum Problem »Wunder« und »Augenzeugenschaft« s. u. Exkurs S. 492 ff. 145 FGrH 124 F 3: Strabo 14,3,9 (666 f.); Arrian, Anabasis 1,26,1 f., s. Hengel, Entstehungszeit, 17 Anm. 70; Josephus bemerkt dazu ant. 2,347 f. vorsichtig und auf den gebildeten griechisch-römischen Leser bedacht: »Ich habe jede Einzelheit dieser Vorgänge, so wie ich es in den heiligen Schriften fand, berichtet. Keiner aber wundere sich über den wunderbaren Charakter des Berichts, wenn für Männer der alten Zeit, die unschuldig waren, ein Weg der Rettung auch durch das Meer gefunden wurde, sei es nach Gottes Willen, sei es durch Zufall«. Darauf verweist er auf die Alexandergeschichte. Er schließt: »Über diese Dinge soll jeder die Auffassung, die ihm gutdünkt, haben.« Vgl. ant. 1,108. S. dazu auch Spinoza, Tractatus (S. 488 Anm. 134), am Ende seines Wunderkapitels I, 226. 146 R. Merkelbach, Die Quellen des griechischen Alexanderromans, 21977, 61. 147 Op. cit., 92.
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und Jesusüberlieferung, in den Evangelien trotz mancher Fortschritte148 durchaus noch nicht in befriedigender Weise untersucht. Weder die Formgeschichte noch erst recht die rein literarisch-rhetorische Betrachtungsweise, die in den Erzählungen bloße, dichterische Fiktion sehen will, kann die zeitgenössische Legendenbildung bzw. Augenzeugenschaft und Wundererzählung in zureichender Weise erklären. Sie liegt vor allem anderen in der historischen Gestalt des Helden und seiner Wirksamkeit selbst.
Exkurs: Das Fortwirken der Wundererfahrung und die Frage der Augenzeugenschaft Das Problem »Wunder« und »Augenzeugenschaft« von Zeitgenossen läßt sich von der Antike bis in die Gegenwart in vielfältiger Weise verfolgen; es gehört unter anderem zu den Sonderfällen einer »oral history«. Auf die noch zu seiner Zeit lebenden Zeugen für die Heilungen Vespasians in Alexandrien 69 n. Chr. bei Tacitus haben wir schon hingewiesen.149 Eine bestellte Augenzeugenschaft berichtet die Augustuslegende, wo ein vir praetorius unter Eid die Himmelfahrt des Vergöttlichten bezeugt haben soll.150 Lukian in der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts kann dieses ganze Milieu parodieren, indem er im Philopseudes unglaubwürdige Augenzeugen berichten läßt, die erstaunlich rasche Entwicklung der Legende vom Feuertod und der Himmelfahrt des Peregrinus verspottet und in Alexander dem Lügenprofeten die Erfolge eines als Thaumaturgen bewunderten Kultgründers beschreibt. Aber gerade seine polemisch-ironischen Berichte zeigen, daß es nicht wenige »Augenzeugen« von »mirabilia« gab, und diese selbst unter gebildeten Glaubensfeinden.151 Das Weiterwirken der christlichen Wunderüberlieferung wird in der Alten Kirche auf vielfache, aber auch sehr verschiedene Weise bezeugt.152 Dies gilt trotz der verbreiteten Ansicht, daß in der Zeit nach den Aposteln die Wunder »nicht mehr nötig gewesen seien«153. Irenäus will von zeitgenössischen Totenerweckungen wissen,154 Tertullian be-
148 Meier, Marginal Jew II, 509–1038; Theissen, Wundergeschichten; ders. / Merz, Jesus, 256–283. Verfehlt ist dagegen die Arbeit von Kollmann, s. o. S. 182 Anm. 40. 149 S. o. S. 482 Anm. 99. 150 Sueton, Augustus 94–99 (97,1). Der Autor hatte als Sekretär Hadrians Zugang zu den Geheimakten. Livia soll diesen Augenzeugen bestochen haben. Vgl. auch seinen Zeitgenossen Plinius d. J., ep. 7,27,12 zu Erzählungen über phantasmata, denen er Glauben schenkt, weil er selbst solche Dinge erlebt habe: Et haec quidem adfirmantibus credo; illud adfirmare aliis possum. 151 Philopseudes 11 ff.; Peregrinus 39–41; Alexander. Lukian hatte eine gewisse Kenntnis christlicher Überlieferung bzw. der Evangelien und polemisiert indirekt auch gegen diese, s. Hengel, Leser, 103. 152 S. jetzt die Übersicht von M. van Uytfanghe, Art. Biographie II (spirituelle), RAC Suppl. 1, 2001, 1088–1364; vgl. besonders 1326 ff. 153 Op cit., 1326; vgl. ders., La controverse biblique et patristique autour du miracle …, in: Hagiographie. Cultures et sociétés, 4e–12e s., Paris 1981, 205–233 (207 f.). 154 Irenäus, adv. haer. 2,31,2 und 32,4 (= Euseb, h. e. 5,7,2–5).
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richtet von wunderbaren Ereignissen zu seiner Zeit,155 auch Origenes weist auf derartige, gegenüber der Apostelzeit zu Ausnahmen gewordene Ereignisse hin: Die Zahl der Zeichen des Heiligen Geistes hat nach ihm zwar abgenommen, aber es gibt immer noch »Spuren« derselben »bei einigen Menschen, deren Seele durch den Logos und durch die Taten, die diesem entsprechen, gereinigt sind.«156 Auf der anderen Seite finden wir bei ihm auch eine Kritik der Überbewertung von Wundern, da sie ambivalenten Charakter besitzen.157 Besondere Wunderüberlieferungen verbinden sich (dies sagt schon der Beiname) mit seinem Schüler Gregorios Thaumaturgos158 – darunter zahlreiche, wenig erbauliche Strafwunder – und den frühesten Mönchen in Ägypten, beginnend mit der Vita Antonii des Athanasius. K. Heussi bemerkt dazu: »Vollends unmöglich ist es, die Entstehung der einzelnen Wundergeschichten zu
enträtseln, die Athanasius seiner Darstellung eingeflochten hat. Diese … sind … für das Verständnis der Wirksamkeit des Antonius ungemein wichtig; nichts wäre verkehrter, als sie mit dem kritischen Messer kurzerhand wegzuschneiden. Keineswegs hat Athanasius sie erfunden. Er schöpft … aus der mönchischen Tradition, die sich über Antonius gebildet hat. Wir können demnach feststellen, daß diese Wunder zu Lebzeiten des Antonius über ihn erzählt wurden. Aber wie weit die Einzelgeschichte sich an ein wirkliches Erlebnis des Antonius anschließt, läßt sich immer nur vermuten und abschätzen.«159 Solche Sätze könnten weithin auch für Erzählungen der Evangelien gelten. Diese reiche Überlieferung setzt sich ab dem 4. Jahrhundert bei den ägyptischen und syrisch-palästinischen Mönchen und den großen Kappadoziern in Kleinasien fort.160 Augustin berichtet im letzten Buch von De civitate Dei161 von zahlreichen »Wundern«, die er entweder selbst erlebt oder aus zuverlässiger Quelle erfahren haben will. Auf das Argument der Gegner, daß das Fehlen von Wundern in der Gegenwart die entsprechenden neutestamentlichen 155 Tertullian, ad Scap. 4. Der Christ Proculus heilt den Kaiser Septimius Severus durch Ölsalbung. Das Gebet der Christen verhindert wirksam Wassermangel und Dürre. Vgl. Euseb, h.e. 5,5 das Regenwunder in Mark Aurels Krieg gegen die Germanen aufgrund der Gebete der christlichen Soldaten der melitenischen Legion. Vgl. jedoch Cassius Dio, hist. Rom. 71,8: Das Wunder soll auf einen ägyptischen Magier zurückgehen, und dazu wieder die Kritik des christlichen Epitomators Xiphilin an dem römischen Historiker über die Ursache des Regenwunders. 156 Origenes, c. Celsum 7,8; s. auch 1,2.6.46: durch Augenzeugen in der Gegenwart bezeugte Wirkungen des Geistes; 2,8 und hom. in Jer. 4,3. Vgl. zu Wundern von heidnischen Philosophen c. Celsum 5,57. 157 S. Origenes, c. Celsum 3,33–38; Minucius Felix, Oct. 20,3 f. und dazu A. Harnack, Mission I, 220 ff.226. 158 Ca. 210–275 n. Chr.; vgl. seine – stark legendär ausgestaltete – von Gregor von Nyssa (ca. 335–395) verfaßte Vita: Gregorii Nysseni Opera 10,1, ed. G. Heil, Leiden etc. 1990, 3–57. Die Großmutter des Autors war Schülerin des Gregorios Thaumaturgos. Dazu H. Crouzel, RAC 12, 781 f.: »Bei den Wundern, die Gregor von Nyssa u. andere von G. erzählen, ist es unmöglich, Wahrheit und Dichtung auseinanderzuhalten. Jedenfalls war G. eine weithin gerühmte charismatische Persönlichkeit« (Hervorhebung M. H. / A. M. S.). 159 K. Heussi, Der Ursprung des Mönchtums, Tübingen 1936, 86; vgl. 171–178. 160 Dazu van Uytfanghe, RAC Suppl. 1, 1152 ff. zu Athanasius’ Vita Antonii (1186); 1202 zur Historia monachorum in Aegypto; 1206 f. zur Historia Lausiaca; s. weiter 1182 ff.1187 ff. 1195 ff.1199–1232. 161 Augustin, civ. Dei 22,8.
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Erzählungen als fragwürdig erweise, entgegnet er, daß zu seiner Zeit ebenfalls viele Wunder geschehen seien, deren Augenzeugen er kenne bzw. die auf eigenen Erlebnissen beruhen, nur seien diese weitgehend unbekannt geblieben. Zum größeren Teil hängen sie mit den vor kurzer Zeit nach Karthago verbrachten Stephanusreliquien zusammen. Er veranlaßte darum die Sammlung von ca. 70 Berichten, die im Gottesdienst verlesen wurden, von denen er über 25 erzählt. Diese Berichte, die teilweise auf unmittelbare Erfahrung zurückgehen, sind sehr verschieden und formgeschichtlich interessant, wurden aber, wie überhaupt die altkirchliche Wundertradition, nie für die Auslegung der neutestamentlichen Berichte fruchtbar gemacht. Unter anderem befinden sich darunter drei »Totenerweckungen« von eben Verstorbenen, natürlich sind auch sie zum Teil legendär ausgemalt. Dies mag schon auf die frühesten Augenzeugen zurückgehen.162 Sulpicius Severus (ca. 360–410 n. Chr.), ein Zeitgenosse Augustins, schrieb seine von Wundern aller Art strotzende Vita des Martin von Tours (316–397) wohl unmittelbar nach dessen Tode. Zwei Jahre zuvor, im Jahre 395, hatte er den Heiligen noch besucht. Freilich berichtet er daneben, daß in Mönchskreisen Südgalliens auch Zweifel an der Realität dieser Berichte aufkamen.163 Um 593 / 594 verfaßte Papst Gregor der Große (540–604) seine vier Bücher Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum, deren zweites Buch die Vita Benedikts von Nursia († 547) enthält, während das erste und dritte Buch die Geschichten von 49 meist unbekannten Heiligen seiner Zeit erzählt. Die Wundergläubigkeit des literarisch kunstvoll aufgebauten Werkes ist teilweise kaum mehr zu überbieten, Gregor beruft sich dabei ständig auf Gewährsleute.164 Auch hier haben sich trotz der relativen zeitlichen Nähe Legende und Erinnerung untrennbar verschmolzen. Später nennt auch Beda Venerabilis häufig zeitgenössische Augenzeugen von Wundern.165 Auffallend ist, daß diese sonderbaren Erzählungen zum Teil sehr vielseitig sind und nicht unter einem strengen Formzwang stehen. Der ganze Komplex verdiente eine eingehende monographische Untersuchung.
Man könnte in diesem uns heute fremd erscheinenden Milieu noch lange fortfahren. Sicherlich waren die Landbevölkerung in Galiläa und auch die Jünger Jesu kaum kritischer als Augustin in Nordafrika oder Sulpicius Severus in Gallien an der Wende vom 4. zum 5. Jahrhundert, Gregor der Große in Italien 162 Civ. Dei 22,8: nam etiam nunc fiunt miracula in eius nomine … (8,1). S. dazu A. v. Harnack, (SB 1910, 100–125 =) Kleine Schriften zur Alten Kirche, hg. v. J. Dummer, Leipzig 1980, 78–97. 163 S. dazu Frühes Mönchtum im Abendland, II: Lebensgeschichten, hg. v. K. S. Frank, Zürich / München 1975, 13 ff. und W. Berschin, Biographie und Epochenstil im lateinischen Mittelalter, QULPU 8, Stuttgart 1986, 195 ff.; C. Stancliffe, St. Martin and his Hagiographer. History and Miracle in Sulpicius Severus, Oxford 1983. Dessen Werk gab den Hauptanstoß zur Martinsverehrung, dazu auch M. van Uytfanghe, RAC Suppl. 1, 1262–1270. 164 S. W. Berschin, Biographie (s. o. Anm. 163) I, 305–324. »Man kann nicht bestreiten, daß die Dialogi für viele moderne Leser immer noch eine problematische Lektüre sind. Gregor schildert viele Wunder in einer Weise, die zauberische Vorstellungen berührt« (307). Dahinter steht durchaus theologische Absicht, s. R. Manselli, Art. Gregor I (Gregor der Große), RAC 12, 1983, 948: »Der Heilige wirkt als Mittler u(nd) Werkzeug, das durch sein Gebet u(nd) seine Fürbitte selbst das Eingreifen Gottes ausdrückt u(nd) bewirkt.« Gregor »vollendete … sein Werk als Theologe und Seelsorger mit einem Gemälde, das voller Leben ist« (949). 165 S. z. B. hist. Anglorum, 4,30–32; 5,1–12 und seine vita Cuthberti (PL 94,575–596). Beda wurde 672 geboren, Cuthbert starb 687.
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im 6. und Beda im angelsächsischen Northumbrien an der Wende vom 7. zum 8. Jahrhundert. Die Wunder-Erzählungen und ‑Motive der Evangelien waren kein synkretistisch-sekundäres Produkt der Ausbreitung des Christentums in die pagane hellenistisch-römische Welt. Sie gehörten von Anfang an zur Verkündigung der Urgemeinde und werden zu Recht mit der Person Jesu verbunden. Sie mögen dann, beginnend mit der ersten Erzählung, je und je (unter Umständen erheblich, das können wir im einzelnen kaum kontrollieren) gesteigert, umgestaltet und der missionarischen Situation angepaßt worden sein; vom Inhalt her tragen sie durchweg palästinisch-jüdisches Gepräge. Selbst das Weinwunder von Kana muß kein unmittelbarer Import aus dem Dionysoskult sein, der Jesus zum Konkurrenten von Dionysos machte. Unseres Erachtens stammt es eher aus galiläischer »Messiashaggada«, die ihrerseits schon längst »dionysische« Motive aufgenommen hatte.166 Diese Linie ließe sich leicht bis in die Gegenwart fortführen. E. Meyer verwies auf seine Forschungen zu den Mormonen, man könnte noch eher die osteuropäischen Chasidim seit ihrem Gründer Baal Schem Tob im 18. Jahrhundert und vor allem die römischen Heiligsprechungsakten anführen, und dabei relativ zeitnahe Gestalten des 19. Jahrhunderts wie Don Bosco, den Waisenvater von Turin, Johannes Maria Vianney, den Pfarrer von Ars,167 oder aber die nicht weniger sorgfältig berichteten »Blumhardtschen Geschichten« nennen, deren eigene Deutung durch Blumhardt selbst natürlich einseitig ist.168 Im 20. Jahrhundert wäre der jüngst heiliggesprochene Padre Pio zu erwähnen. Wenn man hier zu suchen beginnt, nehmen die Beispiele kein Ende. Damit ist noch nichts über die »Historizität« von »Wundergeschichten« im eigentlichen Sinne, das heißt über das »reale Geschehen«, das den Erzählungen zugrunde liegt, gesagt. Häufig beruhen sie gewiß, vor allem im literarischen Bereich, etwa der Apostelakten oder der Heiligenlegende und ‑biographie, auf Fiktion. Der religiöse Massengeschmack suchte die fromme Sensation. Aber es gibt auch Überlieferungen, die nachdenklich machen. An sich läßt sich ja das »historische Faktum« des »Wunders« weder »beweisen« noch »erklären«. Es geht auch nicht einfach um eine »Durchbrechung der Naturgesetze«, das ist eine relativ moderne Vorstellung. Das antike Judentum und frühe Christentum kannte, wie gesagt, nur Gottes »Schöpfung« und ihre zuverlässige Ordnung, 166 M. Hengel, The Interpretation of the Wine Miracle at Cana: John 2:1–11, in: The Glory of Christ in the New Testament. In Memory of G. B. Caird, ed. by L. D. Hurst and N. T. Wright, Oxford 1987, 83–112 = ders., Studies in Early Christology, 293–330; dt. s. o. S. 336 Anm. 99. 167 S. die instruktive, freilich insgesamt völlig unkritische Zusammenstellung bei W. Scha moni, Wunder sind Tatsachen. Eine Dokumentation aus den Heiligsprechungsakten, Würzburg u. a. 41976, IXf. und ders., Auferweckungen vom Tode. Aus den Heiligsprechungsakten übersetzt, 1968. S. auch den – liberalen – Kirchenhistoriker W. Nigg, Große Heilige, Zürich 31946, 354–391 zum Pfarrer von Ars. 168 S. jetzt D. Ising, Johann Christoph Blumhardt. Leben und Werk, Göttingen 2002.
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weiter ihre von Gott bestimmte Geschichte und daraus resultierend ihn als souveränen »Schöpfer«, »Erhalter«, »Herr« und »Richter«. Entscheidend war, daß es sich um ein menschlicher Erfahrung widersprechendes, allgemeines »Staunen« erweckendes Geschehen, eben um ein qaum›sion / miraculum handelte, das man nur einer übermenschlichen Macht, das heißt Gott selbst, »dem alle Dinge möglich sind«, (oder seinen Widersachern) zuschreiben konnte. Und dies war (und ist) – bei der Ambivalenz des schwer exakt zu kontrollierenden Vorgangs – eine Sache der »Auffassung« oder Deutung, man könnte auch sagen des Glaubens und des mit ihm verbundenen Wirklichkeitsverständnisses: Wie wird Gottes Transzendenz in dieser Welt wirkungsmächtige Realität, und wie handelt er mit uns Menschen? In unserem Zusammenhang kann es jedoch zunächst nur um das Phänomen der Zeit‑ und Augenzeugenschaft gehen, wobei man immer das Bewußtsein der Menschen und ihrer jeweiligen Zeit in Rechnung stellen muß. In Galiläa und den urchristlichen Gemeinden war rationale Kritik (im modernen Sinne) gewiß nicht sehr entwickelt. Aber man sollte dort auch nicht einfach eine hemmungslose Wundergläubigkeit und ‑produktion voraussetzen. Diese findet sich dann erst im halbgebildeten literarischen Milieu der Apostelromane seit der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts. Heute ist man eher als im 19. Jahrhundert, das in weiten Kreisen der intellek tuellen Welt bis hin zum späten D. F. Strauß vom Materialismus à la Büchners »Kraft und Stoff« geprägt war, bereit, Jesus grundsätzlich Wunderheilungen – und vielleicht noch andere äußerst »erstaunliche« Vorgänge, wie Vorausschau und Kenntnis menschlicher Gedanken – zuzugestehen (die in den Evangelien relativ häufig bezeugt werden), selbst daß er einzelne Schwerstkranke und für tot Gehaltene ins Leben zurückbrachte, läßt sich nicht ausschließen. Die bekannte, spätere Parallele in Philostrats Apollonius von Tyana und Apg 20,9 f. und die Beispiele Augustins zeigen, daß man hier in der Antike nicht immer so sicher war. Der Bericht Mk 5,35–43 über die zwölfjährige Tochter des Jairus ist – wie 5,39 andeutet – ambivalent erzählt, und über Lk 7,11–17, den Jüngling von Nain, könnte man ähnlich urteilen. Dies gilt erst recht von Apg 20,9 f. Begräbnisse fanden damals noch am Tag des Hinscheidens statt. Freilich: Geschichtlichkeit derartiger Erzählungen läßt sich nie beweisen. Doch wer immer alles für bloße Fiktion halten will, sollte wenigstens versuchen, diese zureichend zu begründen. Auch die sogenannten »Naturwunder«, die für uns noch rätselhafter sind als die Heilungen, welche ihrerseits wieder von den Exorzismen zum Teil kaum zu trennen sind, hängen letztlich mit dem tiefen Eindruck der Taten und der Person Jesu zusammen. Über ihren Ausgangspunkt und den Anlaß ihrer Entwicklung können wir nur Vermutungen äußern. Selbst eine Erzählung wie die von der »Sturmstillung« Mk 4,35–41 muß durchaus nicht auf reiner Fiktion beruhen. Es ist unseres Erachtens zu einfach, derartige Berichte in den frühesten Evan-
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gelientexten schlicht für freie Erfindung zu halten. Verständlich ist es dagegen, daß sie in – kerygmatisch bedingtem – ständigem Erzählen weiterentwickelt und gesteigert wurden. Wir meinen, daß sie nahezu alle einen konkreten Anhalt im Verhalten Jesu haben und sich von dort aus weiter formten, sei es beeinflußt durch alttestamentliche Motive, etwa der Elia- / Elisawunder, so zum Beispiel bei den Speisungsgeschichten,169 sei es durch visionäre Erlebnisse der Jünger, etwa bei der Verklärung oder dem Seewandel – wir wissen es nicht. Auch Motivübertragungen sind im Einzelfall möglich. Wir sollten aber auch – aufgrund einer falschen, »mirakelfeindlichen« Apologetik und um einen »modernen« Jesus zu erhalten – die Wunderüberlieferung nicht möglichst weit von ihm weg einer zeitlich-räumlich fernen »hellenistischen Gemeinde« zuschieben, sondern zugeben, daß Jesus für uns an diesem Punkt fremder und unheimlicher ist, als wir aufgeklärten Christen der westlichen Welt es wahrhaben wollen. Vermutlich versteht man gerade diese Züge in der Dritten Welt besser. Das Verständnis religiöser antiker Texte wie der Evangelien wird durch rationalistischen Hochmut nicht gefördert. Das eigentliche Problem solcher – für unsere Erfahrung extrem seltener – Phänomene ist, daß sie sich durch ihre Kontingenz in der Regel einer einfachen rationalen Erklärung entziehen. Der »aufgeklärte« Mensch kann sich darüber nur »verwundern« (oder »ärgern«), zu einem religiösen Verständnis kann er nicht gezwungen werden. Die Ambivalenz der »Wunder«, die uns schon in der Antike begegnet, gilt heute erst recht. Hinzu kommt, daß diese Phänomene durchaus nicht auf den christlichen Glauben beschränkt sind, sondern sich auch in anderen Religionen – etwa im Buddhismus – finden und daß mit ihnen immer die Gefahr des Mißbrauchs verbunden ist. Jesus selbst, seine Jünger und die synoptische Überlieferung haben diese »Krafttaten« als Zeichen der mit seinem Wirken anbrechenden Gottesherrschaft und damit zugleich als »messianische« Zeichen verstanden. Dies wirkt – gesteigert – im johanneischen Verständnis von shmeõon nach. Nicht nur die Reichsverkündigung Jesu, sondern auch seine »Taten« führen so notwendigerweise hin zur Frage nach seinem »messianischen« Anspruch.
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§ 17 Profet oder Messias? 17.1 Jesus als der »messianische Profet« In seiner kleinen Schrift »Die Erforschung der synoptischen Evangelien« faßt R. Bultmann das Ergebnis seiner wissenschaftlichen Bemühung im Blick auf den Sendungsanspruch Jesu zusammen: »Mir scheint … die notwendige Konsequenz der Analyse seiner Worte zu sein«, daß Jesus sich nicht »für den Messias gehalten hat und … erst im Glauben der Gemeinde zum Messias geworden ist«. Denn »auf jeden Fall sieht man deutlich, daß Jesus nicht
mit den Ansprüchen aufgetreten ist, die für jüdische Anschauung mit dem Messiastitel gegeben waren, sondern, daß man sein Wirken richtig charakterisiert, wenn man sagt: er war ein Prophet«.
So weit folgt er den – freilich wesentlich vorsichtiger geäußerten – Thesen von William Wrede, wobei weder Wrede noch er die vielfältigen messianischen Erwartungen des Judentums um die Zeitenwende eingehender untersucht hatten, sondern ganz vom Vorurteil eines rein politischen Messiasbildes ausgingen. Beide waren über die »jüdische(n) Anschauung(en)«, die »mit dem Messiastitel gegeben waren«, nur einseitig, man könnte heute auch sagen unzureichend informiert. Dies gilt auch für zahlreiche neuere Untersuchungen, die die These von Wrede übernahmen. In einem deutlichen Gegensatz dazu stehen freilich die unmittelbar folgenden Sätze des Marburger Gelehrten: Wrede,
Messiasgeheimnis; Bultmann, Theologie, 26–34; Collins, Scepter; Zimmermann, Texte; Hengel / Schwemer, Anspruch; Dunn, Jesus, 615–766. Gießen 11925 (51966), 49. Wrede hat auch in einem Brief an Harnack knapp zwei Jahre vor seinem frühen Tod seine These vom unmessianischen Jesus widerrufen; s. H. Rollmann / W. Zager, Unveröffentlichte Briefe (S. 186 Anm. 61), 317 und Hengel / Schwemer, Anspruch, IX.19 ff. Zu Wredes These s. u. S. 506–517. Eines der typischen Beispiele ist die Habilitationsschrift von M. Karrer, Der Gesalbte. Die Grundlagen des Christustitels, FRLANT 151, Göttingen 1990, der das Naheliegende verschmäht und bei seiner Herleitung des Messiastitels für Jesus zum Teil zu ganz absonderlichen Hypothesen kommt. Die Texte von Qumran, deren Bedeutung er nicht erkennt, weisen dagegen in die richtige Richtung, s. Zimmermann, Texte, passim; Collins, Scepter, 209: »Jewish ideas of messianism were not uniform. There was a dominant notion of a Davidic messiah, as the king who would restore the kingdom of Israel … There were also, however, minor messianic strands,
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»Die Bewegung, die er im jüdischen Volke entfacht hat, darf und muß man freilich als
eine messianische Bewegung bezeichnen, denn sie ist getragen von dem Glauben, daß die messianischen Verheißungen jetzt erfüllt werden, daß die Gottesherrschaft jetzt hereinbricht, und man ihr Hereinbrechen schon spürt und sieht an dem gewaltigen Wirken Jesu, an der Flucht der bösen Geister.«
Hier erhebt sich die Frage: Wie kann eine entschieden als nichtmessianisch und allein als »Prophet« bezeichnete Gestalt »durch ihr gewaltiges Wirken« den Eindruck der »Erfüllung der messianischen Verheißungen« und des Hereinbrechens der Gottesherrschaft erwecken und dadurch »eine messianische Bewegung« auslösen, dabei aber selbst jeden »messianischen Anspruch« strikt ablehnen? Und wenn das Volk in Jesus die Erfüllung von »messianischen Verheißungen« am Werk sah, sollte dies nicht damit zusammenhängen, daß er sich selbst letztlich als »Erfüller« derselben betrachtete? Oder hat er das Volk irregeführt? Bestehen hier nicht historische Inkonsequenzen, die es zudem unmöglich machen, den eschatologischen »Profeten« Johannes von dem auf ihn folgenden »Profeten« Jesus in sinnvoller Weise zu unterscheiden? Dennoch hat sich diese widersprüchliche Ansicht zumindest in der deutschen und zum Teil auch in der amerikanischen Forschung weitgehend durchgesetzt. Nur Ernst Käsemann wagte, an diesem Punkt dem Schulhaupt zu widersprechen, wenn er aus dem »ich aber sage euch« der Antithesen der Bergpredigt einen »Anspruch« erschließt, der »den jedes Rabbi und Propheten überschreitet«, denn »(d)ie einzige Kategorie, die seinem Anspruch gerecht wird, ist völlig unabhängig
davon, ob er sie selber benutzt und gefordert hat oder nicht, diejenige, welche seine Jünger ihm denn auch beigemessen haben, nämlich die des Messias«.
Käsemann ist gewiß darin recht zu geben, daß die Frage, ob und inwieweit Jesus für sich selbst messianische Titel in Anspruch nahm, von der seines Sendungsanspruches zu unterscheiden ist. Nicht die Titel, sondern die im Vergleich mit zeitgenössischen Autoritäten, die ebenfalls als endzeitliche Lehrer und Profeten auftraten, wie der Lehrer der Gerechtigkeit, vor allem aber wie Johannes der Täufer, unübersehbar und grundsätzlich gesteigerte eschatologische Vollmacht ist für die Beurteilung seines Wirkens entscheidend. Das heißt, es wäre zunächst which envisaged a priestly messiah, or an anointed prophet or a heavenly Son of Man. Christian messianism drew heavily on some of the minor strands (prophet, Son of Man)«. Loc. cit. (S. 498 Anm. 2); ders., Theologie, 26–34: Jesu Leben und Wirken war »ein unmessianisches« (33; vgl. 28). Er ist »nicht als König aufgetreten, sondern als Prophet und Rabbi [sic!] – als Exorzist, mag man hinzufügen« (28). Doch von welchem Profeten wurde berichtet, daß Satan und die bösen Geister vor ihm weichen mußten? Würde das nicht eher zu einer Gestalt wie dem Erzengel Michael (Apk 12) passen? Käsemann, Versuche I, 206. Hervorhebung M. H. / A. M. S. Vgl. dazu auch Hengel / Schwemer, Anspruch. Der Titel des Buches ist aufgrund des zitierten Satzes von E. Käsemann gewählt. Zu Jesus und dem Täufer s. o. § 10, S. 320–339.
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nicht zu fragen, ob er sich als »der Gesalbte Gottes« bezeichnete (bzw. sich als solcher bezeichnen ließ), sondern ob er, über das Maß eines Lehrers und Profeten hinausgehend, als solcher handelte, wobei auch die durch die Qumrantexte bezeugte größere Bandbreite der Bedeutungen des Begriffs »der Gesalbte« beachtet werden müßte, die weiter ist, als bisher zugestanden wurde, und mindestens ebensosehr eine von Gott aufgegebene eschatologische Funktion als eine Würde zum Ausdruck brachte. E. P. Sanders könnte durchaus recht haben, wenn er bei seiner Frage nach Jesus mit dessen Taten als Zeichen seiner Intention einsetzt, wobei zwischen Tat und Wort ein nur scheinbarer Gegensatz besteht, denn auch die Tat ist nicht wortlos und das Wort kann, wie die Heilungsberichte und die Erzählung von der Sturmstillung zeigen, zur Tat werden. Weiter wäre zu fragen, ob durch das Urteil »Profet, aber nicht Messias« ein falscher Gegensatz aufgebaut wird, der sich einseitig am königlichen Messiasbild des späteren rabbinischen Judentums orientiert, wo der Messias als primär (aber nicht ausschließlich) politisch wirksame, königlich-herrscherliche Gestalt und als siegreicher Krieger erscheint. Wir können im Judentum – zumindest in der vorrabbinischen Zeit vor 70 n. Chr. – noch keine festgefügte »Messiasdogmatik« voraussetzen und von einer solchen fragwürdigen Basis aus die synoptischen Nachrichten über einen messianischen Sendungsanspruch Jesu a limine verwerfen. Die Samaritaner, die ja nur den Pentateuch als heilige Schrift anerkannten, erwarteten zum Beispiel anstatt des Messiaskönigs den »eschatologischen Profeten« als Heilsbringer aufgrund von Dtn 18,15.18. Selbst bei Johannes taucht diese Vorstellung auf. Während sich der johanneische Täufer von ihr distanziert, wird sie vom Volk auf Jesus bezogen, wobei der vierte Evangelist,10 wie Wayne Meeks gezeigt hat, Sanders, Jesus, s. Index 439 s. v. Intention und die Tempelreinigung als »surest starting point of our investigation« (61). S. dazu Hengel / Schwemer, Anspruch; jetzt auch Theissen, Jesus als historische Gestalt (s. o. S. 387 Anm. 47), 28. Joh 1,21.25: ¨ profflth“, das heißt der eschatologische Profet im Sinne des Moses redivivus. 10 Joh 6,14 f.; vgl. 7,40. Die Menge fragt nach dem Speisungswunder: »Ist dieser nicht wahrhaft der Profet, der in die Welt kommt«, und will sich dann seiner bemächtigen und ihn zum König machen. Der eschatologische Profet hat gegen R. Bultmann, Das Evangelium des Johannes, KEK, Göttingen 171962, 158 Anm. 2 (s. jedoch dagegen Jeremias, Golgotha, 83) natürlich mit dem »Moses redivivus« zu tun. Bultmann irrte sich auch in bezug auf Joh 1,21, wenn er op. cit., 61 meinte, die Deutung des »Propheten« Dtn 18,15.18 auf den Messias sei erst christlich: »Im Judentum ist die Hoffnung auf ›den Propheten‹ nicht bezeugt.« Erst recht ist seine Vermutung fragwürdig, daß hier eine Erwartung »in häretisch-synkretistischen Kreisen« vorliege, nach der, wie in den Pseudoclementinen (oder bei den Manichäern), »der ›Prophet‹ (sich) in der Folge der Generationen … in verschiedenen Gestalten verkörpert.« Die jüdische Erwartung eines »messianischen Profeten« nach Dtn 18 wird jetzt auch durch die Qumranfunde bestätigt; s. Zimmermann, Texte, 379–387 zu 4Q521; Collins, Scepter, Index p. 268 s. v. Moses; bes. 112–122.144–146. Schwemer, Jesus, 208–217.
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Jesus unter anderem als von der Mosetypologie geprägten »prophet-king« darstellt, der als solcher Mose freilich schlechterdings überbietet und ersetzt.11 Inzwischen wissen wir, daß man bereits in Qumran neben dem priesterlichen und davidisch-herrscherlichen auch einen profetischen Gesalbten gemäß Dtn 18 erwartete, und selbst die Profeten, beginnend mit Mose, konnten als »Gesalbte« bezeichnet werden. Profetische und herrscherliche Züge flossen dabei wie schon in Jes 11,1 ff. und PsSal 17/18 ineinander. Auch David war als exemplarischer Geistträger König und Profet, und seine Psalmen waren neben Jesaja das wichtigste »profetische« Buch in Qumran wie im Urchristentum. In Sach 9,9 f. konnte der Messiaskönig, der in Jerusalem einzieht, als demütiger Friedensherrscher beschrieben werden. In dem oben zitierten Text aus 4Q521, der sich auf Jes 26; 35; 61 und Ps 146 gründet, ist es zum Beispiel umstritten, welcher »Messias« gemeint ist, wobei das Heilshandeln Gottes und seines Gesalbten sich miteinander verbinden.12 Die Frage des »messianischen Anspruchs« Jesu kann daher nicht mehr so leicht mit einer Handbewegung abgetan werden, wie dies vorschnell durch Wrede, der nach intensiverem Studium des Problems eine retractatio vollzog, und mit allzu selbstsicherer Entschiedenheit durch Bultmann und die meisten seiner Schüler geschah und teilweise bis heute geschieht. Man ging dabei von der fragwürdigen Alternative »Profet« oder »Messias« aus und hat damit das historische Problem unzulässig vereinfacht.
17.2 Die Ich-Worte Jesu13 Jesus verband durch seinen endzeitlichen Anspruch, die Erfüllung der alttestamentlichen Verheißungen zu bringen, verschiedene Aspekte des zeitgenössischen Judentums. Dies war in seiner Weise einzigartig. Eben darum erweckte er jenen Anstoß, der ihn am Ende ans Kreuz brachte. Seine notwendige, aber nicht ganz selbstverständliche »Heimholung ins Judentum« wurde gefördert durch das liberal-neuprotestantische Bild des unmessianischen Rabbi und Profeten Jesus, wobei einsichtige jüdische Forscher wie J. Klausner und D. Flusser am messianischen Anspruch Jesu gerade nicht zweifelten. Andererseits gab man auf protestantischer Seite im Grunde manchen jüdischen Gelehrten die Argumente in die Hand, um Jesus als bloßen »Pharisäer besonderer Art« zu interpretieren, 11 W. A. Meeks, The Prophet-King: Moses Traditions and the Johannine Christology, NT.S 14, Leiden 1967, 99; vgl. 319 f. 12 S. dazu o. S. 165.332 f. und Zimmermann, Texte, 379–388 und zu den profetischen Gesalbtenvorstellungen allgemein 312–417. 13 Bultmann, GST, 161–176; Jeremias, Theologie, 239 ff.; Jeremias, ZNW 58 (1967), 166 f.
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was er nicht war.14 Dazu fehlte ihm schon das Interesse an der Halacha und ihrer Kasuistik, die er eher ablehnte. Die Distanz Jesu zu den beherrschenden zeitgenössischen jüdischen Gruppen, trotz der unbestreitbaren Tatsache, daß er ganz und gar Jude war, wird vielmehr gerade in der besonderen Form seiner unableitbaren messianischen Vollmacht sichtbar. Dies erweist sich zum Beispiel an jenen besonders umstrittenen Worten, in denen Jesus direkt in der 1. Person von seiner messianischen Sendung spricht. Bultmann hat diese Worte generell für sekundär erklärt,15 und die Mehrzahl seiner Schüler ist ihm darin gefolgt: Es werde darin lediglich rückblickend Jesu Sendung ganz allgemein zusammengefaßt. Dagegen hat J. Jeremias unseres Erachtens überzeugend gezeigt, daß jene mit élqon, »ich bin gekommen«, eingeleiteten Worte, auf die ein Infinitiv folgt, in aramäischen Texten unter Umständen einfach bedeuten können: »meine Aufgabe ist …, ich beabsichtige …«16. Die entscheidende Frage ist, ob diese Worte wirklich besser in irgendeine spätere Gemeindesituation hineinpassen oder ob sie sich nicht sinnvoller in den Gesamtkontext der Predigt Jesu einfügen lassen. 1. Mk 2,17: Jesus weist hier mit zwei antithetischen Sprüchen die Vorwürfe der Pharisäer über seine Gemeinschaft mit den Zöllnern zurück: »Die Gesunden bedürfen keines Arztes, sondern die Kranken. Ich bin nicht gekommen (das heißt, meine Aufgabe ist nicht), Gerechte zu rufen, sondern Sünder.«17 Hier geht es nicht um eine spätere Gemeindesituation, dort standen die Sünder und erst recht die Zöllner nicht mehr im Mittelpunkt, sondern um einen äußerst strittigen Punkt in der Wirksamkeit Jesu selbst, da er mit der allgemeingültigen religiösen Norm bricht und daher als »Freund der Zöllner und Sünder« diffamiert wird.18 In der späteren palästinischen judenchristlichen Gemeinde waren Zöllner und Sünder kaum mehr sehr geschätzt. Die Formel »Heiden und Zöllner« wird dort wieder zum Schimpfwort.19 Sachlich eng verwandt mit Mk 2,17 ist Lk 19,10, wo Lukas Jesus nach der Zachäuserzählung das Wort in den Mund legt: »Der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und zu retten, was verloren ist.« Es kommt darin dieselbe Intention Jesu zum Ausdruck.20 14 S.
dazu o. S. 184 Anm. 50. 167. 16 J. Jeremias, ZNW 58 (1967), 166 f. 17 Mk 2,17: o§k élqon kalfisai dika‡ou“ üllÅ ®martwlo‚“. Vgl. Lk 5,31 f. = Mt 9,12 f., der noch das Zitat von Hos 6,6 einfügt (vgl. Mt 12,7). Zur Zurückhaltung der pharisäischen Chaberim gegenüber der Tischgemeinschaft mit den ‛ammê hā-’āräs s. Bill. I, 498, s. weiter die kynische, Diogenes zugeschriebene Devise bei Klostermann, Mk, 26 f. nach Stobaios, flor. III,462,14. 18 Lk 7,34 = Mt 11,19; vgl. Mk 2,16 = Lk 5,30 = Mt 9,11; Lk 15,1. 19 Mt 18,17; vgl. 5,46; 21,31 f.: o´ telùnai kaÑ a´ p·rnai. 20 Bei Johannes kommen keine Zöllner mehr vor, und der Begriff ®martwl·“ wird in der Auseinandersetzung um die Blindenheilung c. 9 nur noch auf Jesus bezogen. Auch in den Briefen und der späteren frühchristlichen Literatur einschließlich der apokryphen Evangelien spielen Zöllner keine Rolle mehr. Die Zuwendung zu »Zöllnern und Sündern« ist auch kein 15 GST,
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2. Lk 12,49 f. (Sondergut): »Ich bin gekommen, ein Feuer auf die Erde zu werfen, und was wollte ich lieber, als daß es schon entzündet wäre. Mit einer Taufe muß ich getauft werden, und wie bin ich angefochten, bis daß sie vollendet wird.« Verwandt, aber sekundär, da nicht mehr eschatologisch bedingt, ist EvThom 82: »Wer mir nahe ist, ist dem Feuer nahe, wer mir ferne ist, ist dem Reiche fern.« Bei Lukas interpretiert Jesus seinen eigenen messianischen Auftrag der Reichsverkündigung. Seine Botschaft soll wie ein Feuer wirken, das ihn am Ende selbst verzehrt. Dem Feuer als Gerichts‑ (und Reinigungs‑)Metapher entspricht das Wasser als Todessymbol.21 Für Lukas steht dieses Wort in Verbindung mit dem kommenden »Stärkeren« als »Feuertäufer« in der Predigt des Johannes und mit der Geistausgießung an Pfingsten.22 Das Feuer ist zugleich Ausdruck für Gottes Gegenwart, für die richtende und reinigende Macht der Umkehr wie für die Erneuerung des sündigen Menschen. Nach der zweiten Hälfte des Doppelwortes Lk 12,49 f. von der »Feuertaufe« rechnet Jesus mit seinem Tode, jedoch noch auf unbestimmte Weise, im Gegensatz zu den stärker als vaticinia ex eventu ausgestalteten Leidensweissagungen bei Markus. Das Bild von der Todestaufe stammt wohl aus der Täuferverkündigung.23 Die Betonung der eigenen Anfechtung Jesu kann wohl kaum eine Erfindung der Gemeinde sein. Erst recht darf man das Ganze nicht einem christlichen Profetenspruch zuschreiben. Der Hinweis auf das Feuer charakterisiert die unmittelbare »messianische Wirksamkeit« Jesu. Im Munde eines urchristlichen Profeten ist das Ganze sinnlos. 3. Unmittelbar auf dieses Doppelwort folgt ein anderes, das nicht weniger provozierend wirkt: »Glaubt ihr, daß ich gekommen bin, Frieden auf die Erde zu bringen, nein, sage ich euch, sondern den Zwiespalt!«24 Jesu Botschaft vom anbrechenden Reich bringt zunächst nicht äußeren Frieden, sondern Unruhe und Spaltung nicht nur in Galiläa und Jerusalem, sondern bis mitten in die Familien hinein, zwischen denen, die auf Jesus hören, und denen, die ihn ablehnen. Matthäus ersetzt das lukanische »Zwiespalt« (diamerism·“) durch »Schwert« (m›caira), das könnte auf die zu seiner Zeit zwischen 90 und 100 unter Domitian und Trajan sich steigernden Verfolgungen durch die römische Herrschaft hinweisen. Darüber hinaus fügt er in 10,35 f. ein weiteres élqon-Wort an und verwandelt die Anspielung des Lukas auf den Streit in der Familie nach Mi 7,6 direkter Hinweis auf die Heidenmission. Selbst bei den Apologeten erscheint telùnai nur einmal bei Justin, apol. I, 15,10, und zwar in negativem Sinn als Zitat von Mt 5,46. 21 Lk 24,32; vgl. Jer 5,14; 23,29; Jes 10,17; 66,15; Dtn 4,24; Ps 18,9 u. ö. 22 Lk 3,16 f. = Mt 3,11 f.: s. o. S. 429; Apg 2,3.19. Zur Metapher s. F. Lang, ThWNT VI, 927–948; vgl. 943,24: Lk 12,49 »beschreibt zusammenfassend die Sendung Jesu als Erfüllung der Täuferverkündigung«. Vgl. auch 934,7: »Ferner dient das Feuer als rituelles Reinigungsmittel«. 23 Vgl. Mk 10,38 f.; Lk 12,50 und o. S. 319. 24 Lk 12,51 = Mt 10,34.
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in ein echtes Zitat, das nicht der Septuaginta, sondern eher dem hebräischen Text folgt.25 4. Lk 10,16 weist auf die Aussendung der Jünger in der Vollmacht Jesu hin. Das Logion erscheint variiert in allen vier Evangelien: »Wer euch hört, hört mich, und wer euch ablehnt, lehnt mich ab; wer aber mich ablehnt, der lehnt den ab, der mich gesandt hat.« Dahinter steht das semitische Botenrecht, daß der Gesandte den Sender selbst repräsentiert.26 Das Wort wurde häufig zitiert und vielseitig variiert.27 Sachlich ist es mit der Antwort Jesu an den Täufer verwandt, Lk 7,23: »Selig ist, wer sich nicht ärgert an mir.« Wer an Jesus Anstoß nimmt, versündigt sich gegen Gott, der ihn sendet. Das Hören auf Jesus und auf seine Jünger ist als Gegenteil des skandal‡zesqai ein Hören auf Gott selbst. 5. Besonders umstritten sind die sechs Antithesen ab Mt 5,21, die sich nur bei Matthäus finden.28 Höchstens Lk 6,27 klingt in der Formel »aber ich sage euch, den Zuhörern«29, der bei Matthäus die sechste Antithese über die Feindesliebe entspricht, zaghaft an die Antithesenform an. Auch wenn diese Form nicht unmittelbar auf Jesus zurückgeführt werden kann, sachlich bringt sie seine einzigartige endzeitliche Vollmacht zum Ausdruck, die grundsätzlich über der des Mose steht. Seine Botschaft enthält als neue »messianische Tora« den wahren für die Gottesherrschaft geltenden Willen des Vaters, der gerade nicht einfach mit dem Buchstaben der Tora vom Sinai identisch ist.30 6. Die Amen-Worte: Das häufige »Amen, ich sage euch«31 ist eine bekräftigende Redeeinleitung, die, wie Jeremias gezeigt hat,32 keine Analogie im Judentum hat. Während dort das respondierende āmen nur als Bekräftigung nach der Rede eines anderen dient, leitet Jesus damit seine ureigenen Vollmachtsworte ein und bringt ihre Geltung zum Ausdruck. Die nächsten Parallelen sind die Offenbarungsworte der Profeten: »so spricht JHWH« oder »Spruch JHWHs«. Im Gegensatz zu diesen beruft sich Jesus jedoch nicht mehr auf ein an ihn ergangenes Gotteswort, sondern spricht in der Vollmacht der ihm eigenen »Gottesunmittelbarkeit«, die man »messianisch« nennen muß. Matthäus, der 25 Die gestrafftere Matthäus-Version muß nicht auf Q zurückweisen, sondern dürfte auf das Konto des Evangelisten gehen. Der Eingang Mt 10,34 élqon baleõn … †pÑ tÉn gön könnte nach Lk 12,49a formuliert sein, Lk 12,49b.50 läßt Matthäus weg, weil eine Anfechtung Jesu vor Gethsemane für ihn schwer tragbar ist. S. dagegen Lk 22,36 f. 26 S. o. S. 375 und mBer 5,5; vgl. Bill. III, 2 und K. H. Rengstorf, ThWNT I, 414–420. 27 Parallelen (s. Aland, Synopsis, 149): Mt 10,40; Mk 9,37; Joh 12,44 und 13,20. Es wirkt weiter bei IgnEph 6,1; Did 11,4 und Justin, apol. I, 63,5. 28 Dazu M. Hengel, ThR 52, 1987, 375 ff. = ders., KS II, 267 ff. S. auch o. S. 446. 29 Lk 6,27: üllÅ ≠mõn lfigw toõ“ üko‚ousin … 30 Zu rabbinischen Parallelen zur Antithese s. o. S. 449 Anm. 114 und Hengel, KS II, 267–273. Zum Toraverständnis des Matthäus s. Deines, Gerechtigkeit, passim. 31 ûAmÉn lfigw ≠mõn (bzw. einmal soi). 32 Jeremias, Abba, 148 ff.
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diese und andere formelhafte Wendungen der Rede Jesu nachahmt, weil er sich ihrer Bedeutung noch bewußt ist, hat dafür 31 Belege, Markus hat 13, der Grieche Lukas, der aramäische Worte und Wendungen meist wegläßt oder übersetzt, nur sechs und sagt dafür häufig nur lfigw (gÅr) ≠mõn.33 Johannes steigert die Einleitung gegenüber der synoptischen Tradition durch Verdoppelung ümÉn ümÉn lfigw ≠mõn, die er 25mal bringt. Selbst der vierte Evangelist wußte noch um die Einzigartigkeit dieser Formel und wollte durch die Verdoppelung die Synoptiker überbieten. Auch hinter den Antithesen mit dem †gá dÇ lfigw ≠mõn könnte diese Einleitungsformel stehen.34 Das heißt, aus dieser Einleitung spricht »ein sachlich Neues: ein göttliche Vollmacht beanspruchendes Hoheitsbewußtsein«. Zugleich ist es ein »einwandfreies sprachliches Kennzeichen der ipsissima vox Jesu«.35 Diese Beispiele mögen genügen. Umstrittene Worte, die möglicherweise sekundäre Transformationen sind wie Mt 5,17, das das Gesetzesverständnis des Evangelisten im Zusammenhang mit der Bergpredigt zum Ausdruck bringt,36 den Heilandsruf Mt 11,28–30 (29)37 oder das Lösegeldwort Mk 10,45, lassen wir in diesem Zusammenhang beiseite. Aber auch dieses letzte Logion über den »Dienst« des Menschensohns kann durchaus auf Jesus zurückgehen. Es schließt bei Markus die Jüngergespräche vor der Ankunft in Jerusalem ab und gehört unseres Erachtens in den Abendmahlskontext.38 In alledem wird deutlich, daß ein Grundbestand von Jesuslogien seine Sendung und besondere Vollmacht, das heißt den ihm von Gott zugewiesenen messianischen Auftrag charakterisiert, und zwar so, daß er gerade nicht das von den religiösen Führern Erwartete und das der Mehrzahl des Volkes Genehme tut, sondern eher das Gegenteil: 1. Er kommt nicht als der, der die Gerechten in ihrer Frömmigkeit bestätigt, sondern als der Heilsbringer der Ausgestoßenen und Verachteten, die Gott zur Umkehr führen will.
33 Dreimal
ersetzt er das ümfln durch ülhqù“: Lk 9,27; 12,44; 21,3. Häufiger hat er einfaches lfigw (gÅr) ≠mõn: 7,9.26.28; 10,12.24; 11,8 etc. 34 Hengel, KS III, 267 f. 35 Jeremias, Abba, 148–151 (Zitat 151). Berger, Die Amen-Worte Jesu, BZNW 39, 1970, wollte darin zu Unrecht eine vorchristliche, jüdisch-apokalyptische Redeform sehen und beruft sich dazu auf die – eindeutig christlich überarbeitete – Langform (Version A) des TestAbr 8,7 und 20,2. In späteren christlichen Texten wird die Formel öfter nachgeahmt; s. 131 f. Es ist absurd, in dieser Formel ein »Produkt des Synkretismus« (147) sehen zu wollen. 36 S. dazu jetzt die grundlegende Arbeit von Deines, Gerechtigkeit. 37 S. dazu Hengel, Jesus, 96–99; Luz, Mt II, 216–224: »Bei Matthäus ruft Jesus an der Stelle der Weisheit« (218). 38 Zum inneren Zusammenhang mit der Abendmahlsüberlieferung vgl. Lk 22,27. S. dazu u. S. 585 f. Die Erzählung von der Fußwaschung Joh 13 ist unseres Erachtens aus dieser Tradition vom »Dienen« Jesu im Zusammenhang mit dem letzten Mahl herausgewachsen.
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2. Er bringt nicht Ruhe, Ordnung und Wohlstand, sondern Gottes Herrschaft soll wie das Feuer des Gerichts um sich greifen, ja, sie wird Spaltung bis in die Familien hinein bewirken. 3. Seine Vollmacht steht über der Tora Moses, denn er verkündigt den endzeitlichen, wahren und zugleich ursprünglichen Gotteswillen. 4. Er redet nicht mehr nur wie ein Profet, sondern wie einer, der in ganz unmittelbarer Verbindung zum Vater steht und von ihm bevollmächtigt in eigenem Namen sprechen kann. In die spätere Gemeindesituation und ‑theologie passen diese Logien und Redeformen kaum hinein, sie drücken vielmehr den einzigartigen Sendungsanspruch Jesu, das heißt seine messianische Vollmacht aus.
17.3 Das Messiasgeheimnis39 17.3.1 Das Wredesche Fragezeichen Ein Markierungspunkt in der strittigen Frage nach dem historischen Jesus wurde die schmale Untersuchung von William Wrede »Das Messiasgeheimnis in den Evangelien«40. Methodisch hat dieses Buch noch schärfer mit der älteren psychologisierenden Jesus-Forschung gebrochen als das große Werk Albert Schweitzers, das in seiner 1. Auflage nicht umsonst den Untertitel »Von Reimarus bis Wrede«41 trug. Im selben Jahr wie Wredes Buch war auch Schweitzers Programmschrift »Das Messianitäts‑ und Leidensgeheimnis. Eine Skizze des Lebens Jesu« erschienen.42 Während Wredes Studie die Methode der späteren »redaktionsgeschichtlichen« Betrachtungsweise vorwegnahm, nach den theologischen Intentionen des Autors zu fragen, und einseitig den Gang der Forschung im eben begonnenen 20. Jahrhundert bestimmte, ja damit eine – fast möchte man sagen: scholastische – Tradition schuf, war Schweitzers Untersuchung im Grunde rückwärts gewandt und durch ihre psychologisierende Methode selbst noch den Mängeln der alten Leben-Jesu-Forschung des 19. Jahrhunderts verhaftet, die gar zu vertrauensvoll dem Faden der markinischen Erzählung folgte, als handelte es sich hier um eine fortlaufende Biographie. Und doch weist sein Entwurf an dem einen entscheidenden Punkt über Wredes restriktive Skepsis hinaus, daß 39 Räisänen,
Messianic Secret; vgl. Dunn, Jesus, 624–627 u. ö. dem Untertitel: Zugleich ein Beitrag zum Verständnis des Markusevangeliums, Göttingen 1901 (= 31963). Zur Auseinandersetzung mit Wrede s. auch Hengel / Schwemer, Anspruch, s. Index 257. 41 Tübingen 1906; 21913. 42 Tübingen 1901. Jetzt hat Pitre, Jesus, in einer sehr gründlichen Untersuchung das Anliegen A. Schweitzers wieder aufgenommen, s. VIIf.10 ff.504 ff. u. ö. 40 Mit
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er es wagte, konsequent nach dem messianischen Selbstbewußtsein Jesu und dem dadurch bestimmten Weg Jesu zurückzufragen.43 Wrede war freilich in seinen Ergebnissen viel vorsichtiger als die von Bultmann und seiner Schule ausgehende »radikale Kritik«, die sich dann über das Ausmaß des zu vollziehenden Kahlschlags und der theologischen Bedeutung der Jesusfrage wieder selbst zerstritten hat. Bei Wrede geht es nach dem ersten Satz des Vorworts zunächst nur um »die Prüfung« der »evangelische(n) Überlieferung von Jesus als dem Messias«. Die Frage nach seinem »Messiasbewußtsein« stellte er dagegen zurück. Die »weitere(n) Studien zum Gegenstande« konnte er wegen seines vorzeitigen Todes mit 47 Jahren am 23.11.1906 nicht mehr abfassen.44 Schon am Ende seines Buches über das Messiasgeheimnis äußert er sich nur behutsam, zumal er wußte, daß er dem damaligen Konsens widersprach. So konstatiert er in der abschließenden »geschichtlichen Beleuchtung« nur: »Die Frage, ob Jesus sich überhaupt für den Messias gehalten und als solcher kundgegeben hat, ist bisher nicht sicher beantwortet worden«.45
Seine eigene Untersuchung führt dann zu dem Ergebnis:
43 Dabei kommt er zu dem Wrede zuwiderlaufenden, sachlich richtigen Ergebnis, »dass der Einfluss des urchristlichen Gemeindeglaubens auf die synoptischen Berichte viel weniger tief geht, als man bisher anzunehmen geneigt war« (Das Messianitäts- und Leidensgeheimnis, IX). Zu diesem Urteil s. auch M. Dibelius in seiner Besprechung von Bultmanns Geschichte der synoptischen Tradition o. S. 250 Anm. 18. Obwohl Schweitzer anstelle des »modernhistorischen« einen »eschatologisch-historischen Lösungsversuch« vorschlägt (13), stellt er doch im Stil der alten »Leben-Jesu-Schreibung« ans Ende seiner kleinen Studie einen »Abriss des Lebens Jesu«, der »sich auf die letzten Monate seines Daseins« beschränkt (98 ff.), eine innere Entwicklung Jesu voraussetzt und dabei den Erzählfaden des Markus zugrunde legt. Sein Ziel entspricht ähnlich wie bei manchen Zeitgenossen ganz dem von »Heroenkult« ausgehenden Denken in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, z. B. bei W. Bousset (zu Bousset und Carlyle s. A. E. Verheule, Wilhelm Bousset. Leben und Werk, Amsterdam 1973, 373–375); A. Schweitzer möchte »der modernen Zeit und der modernen Dogmatik die Gestalt Jesu in ihrer überwältigenden heroischen Größe vor die Seele … führen« (Leidensgeheimnis, 109). Von diesem Satz her wird zugleich der eigene weitere Lebensweg Schweitzers beleuchtet. Dabei entwirft er ein Jesusbild, das aufgrund seiner Geschlossenheit und Konsequenz auch heute noch in vielen Punkten faszinieren kann. »Es handelt sich bei ihm nicht um eschatologische Ethik, sondern seine Weltanschauung ist ethische Eschatologie. Als solche ist sie modern« (100; Hervorhebung vom Vf.). Trotz der Fragwürdigkeit des Gesamtentwurfs, der mehr aussagen will, als wir wissen können, finden sich bei ihm wertvolle Einsichten, die wieder mehr als bisher bedacht werden sollten. 44 Wrede, Messiasgeheimnis, V (Hervorhebung W. W.). Bei der Beschäftigung mit dem historischen Problem des messianischen Selbstbewußtseins Jesu scheint er, vielleicht unter dem Einfluß seines Freundes Bousset, seine Meinung geändert zu haben, s. seinen Brief an Harnack o. S. 186 Anm. 61 und S. 498 Anm. 3. 45 Wrede, op. cit., 207.
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V. Jesu Vollmacht und messianischer Anspruch
»Wenn Jesus sich wirklich als Messias gewußt und bezeichnet hat, so ist die echte
Überlieferung so sehr mit später zugewachsener verflochten, dass sie nicht ganz leicht zu erkennen ist«.46
Obwohl er für eine durch die Auferstehungsvisionen bewirkte »Adoptionschristologie« eintritt, will er nicht den Gegenbeweis führen, daß Jesus kein messianisches Bewußtsein besessen habe: »Es soll hier nicht etwa nebenbei entschieden werden, ob Jesus sich wirklich für den
Messias gehalten hat … Meine Absicht bei diesen Erörterungen war, ein Fragezeichen zu machen«47.
Um dieses Fragezeichen (aus dem Spätere ein Ausrufezeichen machten) zu setzen, beruft sich Wrede nun freilich auch auf das, was er seinen Gegnern so erbarmungslos ankreidet, auf »Jesuspsychologie«: »Die Schwierigkeit ist nur auf einen anderen Punkt verlegt, und zwar auf das psycho-
logische Gebiet … Wie denken wir uns eine solche Gewissheit bei Jesus …? Wie kann er das wissen, d. h. fest und sicher glauben? Wie kann er, wenn er nur hofft, einen messianischen Anspruch nach aussen erhoben haben? Und das müsste er wohl in irgend einem Sinne gethan haben, wenn er sein Bekenntnis vor dem Hohenpriester gesprochen und als Messias das Todesurteil empfangen haben soll.«48
Wrede widerspricht damit der herrschenden Meinung der Exegeten seiner Zeit, die »die Elle landläufiger Psychologie … für eine religiöse Persönlichkeit wie Jesus«49 nicht gelten lassen will. Auch in seinen knappen Bemerkungen »Zum Thema Menschensohn«50 greift er wieder zu dem von ihm sonst eher abgelehnten psychologischen Argument. Wenn man schon meint, Jesuspsychologie gegen Jesuspsychologie ausspielen zu müssen, dann ist vermutlich die fremdartigere, unserem Alltagsverständnis weniger zusagende Lösung vorzuziehen. Unsere Normalität sollten wir gerade nicht auf ihn übertragen. Die Kritik ist
46 Wrede,
op. cit., 208. Dem Nachsatz möchte man gerne zustimmen. Freilich wissen seine Nachahmer zuviel negativ über Jesus, das heißt, was er ganz gewiß nicht gewesen sein darf und darum auch nicht gewesen sein kann. 47 Wrede, op. cit., 221 f.; Hervorhebung M. H. / A. M. S. 48 Wrede, op. cit., 221; Hervorhebung M. H. / A. M. S. 49 Wrede, op. cit., 221. 50 Wrede, ZNW 5 (1904), 359 f.: »Das wichtigste … Argument für die Annahme, daß Jesus dieser Selbstbezeichnung sich nicht bedient hat, scheint mir noch immer die Unmöglichkeit zu sein, sich eine Redeweise, wie sie die Evangelien ihm zumuten, in der Wirklichkeit vorzustellen.« Diese Redeform in dritter Person »liefe auf eine Kaprice und vollendete Unnatur hinaus.« Was kann ein deutscher Professor um 1900 über »Kaprice und Unnatur« eines messianischen Profeten aus dem jüdischen Galiläa um das Jahr 30 n. Chr. sagen? Zum philologischen Problem s. Hampel, Menschensohn, 417, Index s. v. Menschensohn / Umschreibung für »ich«, bes. 160–167. S. auch o. S. 261 f.
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hier in der Gefahr, in eine modern »aufgeklärte« Apologetik umzuschlagen.51 Heutige »kritische Jesusbilder« bis hin zu den »Five Gospels«, Crossan und Mack52 zeigen das zur Genüge. Wredes eigentliches Argumentationsgebiet ist jedoch die »Psychologie der Gemeinde«. Er glaubt, aufgrund seiner Markusanalyse voraussetzen zu können, daß die Vorstellung der »geheimen Messianität« bei Jesus, die das Markusevangelium beherrscht, ein »erst nach dem Leben Jesu entstandener Gedanke der Gemeinde« gewesen sei. Diese Vorstellung hätte nicht mehr entstehen können, wenn allgemein bekannt gewesen wäre, »dass Jesus auf Erden sich offen für den Messias ausgegeben hätte«53. Daher kann nach seiner Logik das Messiasgeheimnis nur zu einer Zeit entstanden sein, »wo man von einem messianischen Anspruch Jesu auf Erden noch nichts wußte«. Es handle sich um eine »Übergangsvorstellung«; sie ist zu erklären »als Nachwirkung der Anschauung, dass die Auferstehung der Anfang der Messianität ist, zu einer Zeit, wo man sachlich das Leben Jesu bereits mit messianischem Leben erfüllt.«54 Vorsichtigerweise bezeichnet Wrede diese letzten Überlegungen nur »als einen Versuch« und nicht als »einen Beweis …, der jede Dunkelheit beseitigte.«55 Unseres Erachtens hat er die »Dunkelheit« damit eher vergrößert.
Auch bei seinen Überlegungen zum Petrusbekenntnis vor Caesarea Philippi räumt er ein, daß »der Beweis der Ungeschichtlichkeit … hiermit nicht erbracht (ist)«. Die eigenartige Ortsangabe falle sogar positiv für die Geschichtlichkeit ins Gewicht. Entscheidend sei vielmehr die Beurteilung der »sonstigen Nachrichten über Jesu messianischen Anspruch … Solange dies nicht klargestellt worden ist, thut man gut daran, mit dem Endurteil zurückzuhalten«56. Die Epigonen haben leider keine derartige Zurückhaltung mehr geübt, sondern den messianischen Anspruch Jesu a limine verworfen. Das Werk Wredes wurde wegen seiner scharfsinnigen Analysen geschätzt, die Hypothese eines unmessianischen Jesus stieß jedoch bei fast allen bekannten Neutestamentlern seiner Zeit auf Ablehnung, selbst bei so kritischen Forschern wie H. J. Holtzmann, A. Jülicher, J. Wellhausen, J. Weiß, P. Wernle und H. v.
51 Zum Problem s. schon H. J. Cadbury, The Peril of Modernizing Jesus, New York 1937 / London 1962. 52 S. o. S. 184 Anm. 53 und S. 228 Anm. 159. 53 Wrede, Messiasgeheimnis, 226. 54 Wrede, op. cit., 227.228. 55 Wrede, op. cit., 229. Er schließt die ganze Erörterung S. 209–229 über das »Verbergen der Messianität« bis zur Auferstehung mit dem zurückhaltenden Satz: »Diese Frage (»daß sich Jesus tatsächlich nicht für den Messias ausgegeben hat«) ist hier jedoch nicht zum Abschluss zu bringen«. 56 Wrede, op. cit., 239 (Hervorhebung W. W.). Bultmann macht sich hier die Argumentation wesentlich leichter; s. o. S. 498 Anm. 2 und S. 499 Anm. 5.
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V. Jesu Vollmacht und messianischer Anspruch
Soden. Dies gilt auch für Wilhelm Bousset, seinen Freund.57 Er weist im Vorwort zur 2. Auflage von Wredes Paulusbüchlein darauf hin, daß Wrede sein Werk über das Messiasgeheimnis »mit einem großen Fragezeichen« enden ließ und daß Wrede zwar selbst der Verneinung der Frage, ob Jesus sich für einen Messias gehalten habe, zuneigte, er »aber … viel zu vorsichtig und gewissenhaft (war), das Nein auszusprechen«. Noch hatte »er
nicht alle Möglichkeiten erwogen, noch nicht das weite Gebiet der Ueberlieferung der Herrenworte durchforscht … Er bleibt auf halbem Wege stehen.«58
Bousset, der Kenner jüdischer Apokalyptik, bleibt Wredes These vom unmessianischen Jesus gegenüber kritisch.59 Er äußerte sich zwar ebenfalls vorsichtig, teilte aber dessen negatives Urteil nicht,60 sondern wollte am messianischen Anspruch Jesu festhalten. Erst R. Bultmann greift später auf Wredes These zurück, übernimmt sie uneingeschränkt,61 ja, er verschärft sie und bewirkt, daß sie sich nach dem II. Weltkrieg in Deutschland weitgehend und zum Teil noch radikaler, als sie Wrede und er selbst vertreten hatten, durchsetzt, denn ein großer Teil seiner Schule, E. Käsemann, H. Conzelmann, Ph. Vielhauer und andere haben Jesus auch alle Menschensohnworte abgesprochen. Heute wird diese Ansicht vor allem im Zusammenhang mit den blühenden Spekulationen über Q und das Thomasevangelium in Amerika vertreten.
17.3.2 Schweigegebote und Jüngerunverständnis Wrede konzentrierte sich in seiner Arbeit auf das Markusevangelium, weil diese älteste Quelle zu seiner Zeit in der Regel als biographische Grundlage für eine Darstellung Jesu verwendet wurde, um eine psychologische Entwicklung des messianischen Bewußtseins bei Jesus zu konstruieren. Auch für A. Schweitzer bildete es den Schlüssel zum Verständnis Jesu. 57 S. die Belege darüber in Hengel, Messias, 17–27. Beifall bekam er vor allem von zeitgenössischen Autoren, bei denen ein gewisser antijüdischer Affekt zu spüren war. 58 Abgedruckt in der Einleitung von W. Wrede, Vorträge, VIII. 59 W. Bousset, Kyrios Christos, Göttingen 51965 (11913), 2 ff.5.9 f.18 Anm. 2.35.37 f. 60 S. dazu auch: Jesus, RV 1. Ser. 2/3, Halle an der Saale 1904, 87 f. 61 R. Bultmann, Die Frage nach dem messianischen Bewußtsein Jesu und das Petrus-Bekenntnis, ZNW 19 (1919/20), 165–174 = Exegetica, 1967, 1–10. Seine Beweisführung ist ausgesprochen schwach. Entsprechend werden in seiner »Geschichte der synoptischen Tradition« alle Stücke von vornherein als nicht authentisch eingestuft, in denen ein »messianisches Bewußtsein« sichtbar werden könnte: Das Vor-Urteil bestimmt das »historisch-kritische« Ergebnis. S. auch ders., Theologie, 26–34, wo er aus der Vermutung Wredes eine für ihn sichere These macht: »Daß das Leben Jesu ein unmessianisches war, ist bald nicht mehr verständlich gewesen …, und so wurde der evangelische Bericht von seinem Wirken in das Licht des messianischen Glaubens gestellt. Der Widerspruch dieser Auffassung zu dem Überlieferungsstoff kommt in der Theorie vom Messiasgeheimnis zum Ausdruck« (33; Hervorhebung vom Vf.).
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Freilich hat Wrede unter dem Stichwort »Messiasgeheimnis« sehr Verschiedenartiges zusammengefaßt, das man nur relativ gewaltsam auf diesen einen Nenner bringen kann. Es wurden von ihm bei Markus Motive zusammengesucht, die durchaus nicht alle aus einer Wurzel zu erklären sind. Als erstes nennt er »die Messiaserkenntnis der Dämonen«.62 Nun ist es gewiß bei dem spektakulären Vorgang eines Exorzismus naheliegend, daß der Kranke durch die Gegenwart des Heilers bzw. durch sein Handeln in höchste Erregung gerät und diese schreiend äußert. Es ist ebenso verständlich, daß man dies als Äußerung des Dämons im Besessenen erklärte, der die Macht seines Gegners erkennt und sich zur Wehr setzt. Das alles muß noch nicht »messianisch« verstanden werden, das heißt, Texte wie Mk 9,20, 1,23 ff. und 1,34 fallen nicht bereits durch die Erzählung selbst, sondern erst durch den weiteren Kontext des Evangeliums unter das Messiasgeheimnis. Die Erkenntnis der »messianischen« Würde Jesu durch Dämonen erscheint nur in drei Texten: Mk 1,23–25, wo Jesus der rätselhafte Titel »der Heilige Gottes« zugesprochen wird, was einer feststehenden »Messiasdogmatik« gerade nicht entspricht;63 es handelt sich vielmehr um eine traditionelle Szene. Der zweite Text ist ein redaktioneller Sammelbericht 3,11 f., wo die Dämonen Jesus mit dem Titel benennen, der die Christologie des Evangeliums prägt: »Du bist der Sohn Gottes«, worauf er sie energisch zurechtweist, »damit sie ihn nicht offenbar machten.«64 Nur hier trägt der Evangelist auf eindeutige Weise sein Verständnis des »Messiasgeheimnisses« ein: Jesu wahre Würde soll nicht durch teuflische Mächte für Außenstehende bekannt werden.65 Abgesehen von dieser Stelle könnte man die Verbindung von Erkennen und Schweigegebot auch so deuten, daß Jesus kein »Bekenntnis« aus dem Munde der Dämonen entgegennehmen will. Die Dämonen kennen und fürchten aufgrund ihres »übernatürlichen« Wissens den »Stärkeren«, der Macht über sie hat.66
62 Mk
1,24: oèd› se t‡“ eè, ¨ πgio“ toú qeoú. Vgl. die Sammelberichte 1,34; 3,11 f. Lk 4,34; vgl. Joh 6,69. Die Bezeichnung ¨ πgio” toú qeoú kann sich auf den Hohenpriester beziehen: Ps 106 (LXX 105),16; vgl. Sir 45,6 und das goldene Stirnblatt desselben Ex 28,36; 39,30 (LXX 36,37); weiter auf den Nasiräer Ri 16,17 LXX Cod. B: Ωti πgio” qeoú †g„ e¢mi, und nur in zweiter Linie auf den davidischen Herrscher: Ps 89 (LXX 88),36 nach LXX gegen MT. Zu »Jesus als dem messianischen Hohenpriester« s. Schwemer, Jesus, 226 ff. 64 Mk 3,12: pollÅ †pet‡ma a§toõ“ ºna mÉ a§tÖn fanerÖn poiflswsin. 65 Der Titel Sohn Gottes beschreibt für Markus mehr als »Christos« und »Menschensohn« die eigentliche Würde Jesu; s. 1,1.11; 9,7; 13,32; 14,61; 15,39. Das ganze Evangelium ist durch ihn strukturiert. Vgl. auch die zweimalige Anrede des Teufels an Jesus Lk 4,3.9 = Mt 4,3.6: e¢ u´Ö“ eè toú qeoú. 66 Vgl. Mk 1,34b: »Er ließ die Dämonen nicht reden, denn sie kannten ihn«; Mk 1,24: »Du bist gekommen, uns zu vernichten« und 5,7: »ich beschwöre dich bei Gott: Quäle mich nicht.« 63 Vgl.
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V. Jesu Vollmacht und messianischer Anspruch
Im dritten Text Mk 5,6 ff. beim – heidnischen – Besessenen von Gerasa haben wir nur das Bekenntnis »Sohn des höchsten Gottes«.67 Es fehlt das Schweigegebot, Jesus läßt sich sogar in eine Diskussion mit dem Dämon ein und gebietet dem Geheilten, er solle seinen Mitbürgern »verkündigen, was der Herr ihm getan habe.« Hier handelt es sich möglicherweise um eine zarte Andeutung der späteren Heidenmission durch den Evangelisten.68 Es wird so klar, daß Markus an zwei allgemein formulierten Stellen, eindeutig in dem anschaulichen Sammelbericht Mk 3,10–12 und stark verkürzt in 1,34, wo man den Sinn nur aufgrund von 3,12 erschließen kann, das Motiv des »Messiasgeheimnisses« im Sinne einer Geheimhaltung der Würde in die Exorzismuserzählungen einträgt, daß diese selbst aber viel zu sehr variieren, als daß man sie auf diesen einen Nenner bringen könnte. Daß in den Exorzismen Jesu seine »messianische Vollmacht« offenbar wird, ergibt sich völlig unabhängig von der markinischen Theorie aus der Logienüberlieferung mit Worten wie Lk 11,20 oder 10,18–20 und der Deutung seiner Person als des Stärkeren sowie aus dem Wort von der messianischen Befreiung Jes 61,1 f.69 Die Schweigegebote an die Dämonen sind von dem Befehl an die Geheilten, ihre Heilung nicht weiterzuerzählen, grundsätzlich zu unterscheiden, denn im Gegensatz zu ersteren ist bei den Heilungen von Jesu messianischer Würde überhaupt nicht die Rede. Es handelt sich um insgesamt drei Texte. Mk 8,26 enthält kein Schweigegebot, sondern nur die Aufforderung an den Geheilten, nicht in das Dorf Bethsaida zurückzugehen, aus dem ihn Jesus hinausgeführt hat. Erst die sekundäre, stark variierende Textüberlieferung fügt zusätzlich noch ein Schweigegebot hinzu.70 Die lebendig erzählte Geschichte fällt sowieso aus dem Rahmen der üblichen Wundergeschichten, deren Vielfalt bei Markus gerne übersehen wird. Die Sache begegnet einmal in der Heilung des Aussätzigen Mk 1,43–45, wo Jesus auf das emphatische Schweigegebot die atypische Anweisung folgen läßt, der Geheilte solle sich den Priestern zeigen.71 Es handelt sich um eine Weisung, die eigentlich dem Sinn des Schweigegebots widerspricht, denn daß dieser dann die wunderbare Heilung überall verkündigt, ist eine selbstverständliche Folge 67 Zur Anrede vgl. 1,24: Hier verwendet Markus eine Septuaginta-Formel. QeÖ“ æyisto“ war die offizielle Bezeichnung des jüdischen Gottes gegenüber bzw. durch Nichtjuden. S. dazu Hengel, Judentum und Hellenismus, 554 ff. und Index s. v. 687. 68 Die nächste Parallele, auf die Wrede mit Recht S. 30 hinweist, ist Apg 16,16 ff. S. dazu F. Avemarie, Warum treibt Paulus einen Dämon aus, der die Wahrheit sagt?, in: Die Dämonen (S. 477 Anm. 70), 550–576; vgl. auch Apg 19,15 und o. S. 478. 69 S. o. S. 466 f. Zu Jesus als dem »Stärkeren« s. Mk 3,27 = Mt 12,29; vgl. Lk 11,21 f., aber auch Mk 1,7 = Lk 3,16 = Mt 3,11. 70 In den besten Textzeugen fehlt dasselbe: a, B, L, W, f1 pc sys sa bopt. 71 Mk 1,44 = Lk 5,14 = Mt 8,4; vgl. noch Lk 17,14. Der Priester wird damit »offizieller« Zeuge der Wunderheilung.
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und dient der dramatischen Steigerung und dem Kontrast: Jesus kann nicht mehr offen nach Kapernaum hineinkommen, sondern muß sich an einen unbewohnten Ort zurückziehen: »sie kamen jedoch (adversatives ka‡) zu ihm von überallher«. Ähnlich ist es bei der erzählerisch anders strukturierten Heilung des Taubstummen.72 Jesus nimmt ihn von der Menge weg und gebietet dem Geheilten und seinen Begleitern, niemandem über den Vorgang zu berichten, sie aber tun es »um so mehr«. Dadurch wird der Chorschluß, der wie das effaqa 7,34 auf Jes 35,5 anspielt,73 zusätzlich verstärkt. In Mk 5,35–43, der Auferweckung der Tochter des Jairus, dagegen gebietet Jesus nachdrücklich den Eltern (und den drei Jüngern), die vor Staunen außer sich sind, das Geschehen geheimzuhalten. Das anschließende pragmatische Gebot, dem Mädchen Essen zu geben, unterstreicht die Realität des Wunders. In allen drei Fällen hat das Schweigegebot expressis verbis nichts mit Jesu messianischer Sendung zu tun, von der im Kontext nicht die Rede ist, zumal das Volk nach 6,14 f. und 8,28 ihn bereits für einen besonders bevollmächtigten Profeten hält. Erst recht ist die Absonderung des Taubstummen 7,33 und die Vertreibung der Klagefrauen74 ein innerhalb der Erzählung durchaus sinnvoller Zug: Der Wundertäter will bei seinem Tun nicht gestört werden. Für Markus mag das Schweigegebot den Kontrast zwischen Jesu Zurückhaltung und der gegenwärtigen Wirkung der Ausbreitung seines Ruhms wirksam hervorheben, die ursprüngliche Bedeutung des Zuges ist dabei noch aus 1,45 zu erschließen; der Wundertäter möchte dem sich bei jeder Heilung vergrößernden Zulauf wehren, hat aber keinen Erfolg damit. Erst recht hat das Motiv, daß er sich in die Einsamkeit zurückzieht,75 mit der Messiasfrage nichts zu tun. Es ist aus sich selbst verständlich. Das Schweigegebot gegenüber Geheilten geht unseres Erachtens auf die Erinnerung an Jesu Wirken zurück. Daß es Markus mehr um der erzählerischen Wirkung als aus »dogmatischen« Gründen verwendet, die ihm Wrede ständig unterstellt, zeigt sich daran, daß er in anderen Heilungsgeschichten darauf verzichten kann.76 Um einen Jesus frei von »messianischer Dogmatik« zu erhalten, las Wrede allzuviel angeblich markinische »Messias-Dogmatik« in das zweite Evangelium hinein. Andere sind ihm darin gefolgt. Natürlich schreibt Markus immer in theologischer Absicht, aber er ist zugleich ein hochbegabter dramatischer Erzähler. Er erzählt »Jesus-Geschichte(n)« und verfaßt keinen »theologischen Traktat« über zeitlose Wahrheiten, sondern berichtet über ein Ge72 Mk 7,32–37; die Heilung findet nach 7,31 für Markus wohl außerhalb Galiläas auf heidnischem Gebiet statt. 73 Jes 35,5b: tippātahnāh, LXX: üko‚sontai. S. auch o. S. 478. 74 Mk 5,40, vgl. Petrus in Apg 9,40. 75 Mk 1,45b; vgl. 1,12 f.; 6,31 f.46 f. 76 Vgl. Mk 2,1–13; 3,1–5; 7,24–30; vgl. auch 8,22–25; 9,14–27; 10,46–52. In den zahlreichen Sammelberichten ist nie von generellen Schweigegeboten an die Geheilten die Rede.
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V. Jesu Vollmacht und messianischer Anspruch
schehen in Raum und Zeit. Nur wer ihn als einen solchen traditionsgebundenen Erzähler77 ernst nimmt, kann ihn auch als »Theologen« verstehen. Ähnliches gilt vom »Jüngerunverständnis«, das sich trotz der Tatsache, daß die Jünger wissen, wer Jesus ist, bis hin zum bitteren Ende, das heißt zum Verrat des Judas, dem Schlafen in Gethsemane, der Flucht der Jünger und der Verleugnung des Petrus steigert. Es hat mit dem »Messiasgeheimnis« im Sinne der Theorie Wredes, daß damit der Ausgleich geschaffen werden solle zwischen der völlig unmessianischen ursprünglichen Jesustradition und einem späteren messianisch übermalten Jesusbild, schlechterdings nichts zu tun. Die Jünger kennen ja nach Markus Jesu Würde schon vor dem Messiasbekenntnis des Petrus, der nur ihre bereits gewonnene Überzeugung ausspricht, darum verlegt Johannes das Messiasbekenntnis in die Anfangsszenen.78 Da Markus davon ausgeht, daß zumindest drei der ersten vier in Mk 1,16 ff. berufenen Jünger bei den Heilungen Jesu dabei sind,79 wird er auch voraussetzen, daß sie in ihm von Anfang an den endzeitlichen Erlöser und Gottessohn sehen. Eine »Entwicklung« im biographischen Sinne setzt er weder bei Jesus noch bei den Jüngern voraus. In 2,10.17.19 f.25–28 hat der markinische Jesus ganz abgesehen von den »Bekenntnissen« der Dämonen christologisch das Entscheidende gesagt, und zwar im Beisein der Jünger gegenüber den Gegnern, die Jesu Anspruch ablehnen müssen. Wahrscheinlich geht Markus davon aus, daß ¨ u´Ö“ toú ünqr„pou, aramäisch: bar ’änāšā’, eine Chiffre war, die Jesus als Selbstbezeichnung offen gebrauchen konnte, weil sie noch keine allgemein anerkannte Messiasbezeichnung war, wobei er jedoch voraussetzt, daß die Jünger wußten, was Jesus damit gemeint hat (s. u. S. 527). Auf der anderen Seite erhält man den Eindruck, daß er das Jüngerunverständnis, oder besser: das Jüngerversagen, trotz ihres Wissens um Jesu eschatologische Würde im Fortschreiten seines Evangeliums bis hin zur Passion nicht etwa abbaut, sondern verstärkt, wie sich schon von Kapitel 2 an die Feindschaft der religiösen Führer gegen Jesus steigert.80 Dadurch erhält das Ende Jesu ein einzigartiges Gewicht. Es ist zugleich das »Heil« und der Höhepunkt der »Krisis« für Israel, die alle ohne Ausnahme, Jünger wie Gegner, betrifft. 77 So wird er auch von Lukas und Matthäus behandelt, die ihm oft wörtlich folgen. Sie wissen, daß hinter ihm die Autorität des Petrus stand; s. o. S. 222 f. 78 Joh 1,35–51; vgl. Lk 5,8 ff. (bes. V. 8) und 4,18 ff., wo er Jesus mit dem Zitat aus Jes 61,1 f. auf seine »Geistsalbung« und die Erfüllung dieser Verheißung hinweisen läßt. S. o. S. 362. Auch Maria (und die Familie Jesu?) weiß schon von Anfang an Bescheid. Andererseits können Johannes und Lukas je nach Situation Jesus auch nach der Offenbarung seiner Messianität als »Profeten« bezeichnen: Joh 4,44; 6,14; 7,40; 9,17; Lk 7,16.39; 13,33; 24,19. 79 Mk 5,37 nimmt er nur die auserwählten Drei, Petrus, Jakobus und Johannes – man beachte die Reihenfolge –, mit sich; vgl. 9,2; 14,33. Andreas erscheint dagegen nur in der Vierergruppe 13,3. 80 Mk 2,6 f.; 3,6.22.
§ 17 Profet oder Messias?
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Die Klimax liegt im Geschehen auf Golgotha. Dort stirbt Jesus von Gott und Menschen verlassen. Dabei ergeben sich je und je vermutlich bewußt gewollte Spannungen und Widersprüche. So sind nach der Einsetzung (bzw. Berufung) der Zwölf 3,16–19 die Jünger der engste Kreis seiner Vertreter und Nachfolger, die ihn ständig wie eine Familie umgeben, weil sie Gottes Willen tun.81 Gemäß 4,11 sind sie noch die Auserwählten, denen »das Geheimnis der Gottesherrschaft gegeben ist«, während »die draußen«, das heißt die nach Jes 6,9 f. verstockte Menge, nur Gleichnisse als Rätselworte zu hören bekommt. 4,34 wird der Zwölferkreis ganz selbstverständlich mit »den eigenen Jüngern« identifiziert. Ihnen allein legt er die wahre Bedeutung seiner rätselhaften Gleichnisse aus. Diese – sachlich fragwürdige – markinische »Parabeltheorie«, die Wrede ebenfalls noch unter das »Messiasgeheimnis« subsumieren will, ist in der vorliegenden Form ein Theologumenon des Evangelisten, das ähnlich wie Joh 12,40; Apg 28,26 f. und Röm 11,8 das Ärgernis des Unglaubens des Gottesvolkes gegenüber seinem von Gott gesandten Messias aufgrund von Jes 6,9 f. als Verstockung durch Gott erklären soll. Das »Geheimnis der Gottesherrschaft« wird allein den Jüngern kundgetan, denen Jesus seine Gleichnisse aufschließt.82 Zum Volk redet er dagegen in Rätselrede, »damit … sie hören und nicht verstehen«83. Darum können sie gar nicht seiner Botschaft glauben. Der Unglaube Israels liegt letztlich in Gottes Geheimnis und Vorherbestimmung begründet. Mit einem angeblichen unmessianischen Jesus und dem eigentlichen markinischen »Messiasgeheimnis«, das sich in Wirklichkeit auf ganz wenige Stellen beschränkt, hat gerade diese – nun wirklich sekundäre – Theorie nichts zu tun.84 Sie widerspricht ihr eher. Der erste zurückhaltende Ansatz zur Jüngerkritik findet sich durch eine Frage Jesu erstmals angedeutet in 4,13: »Versteht ihr dieses Gleichnis nicht, wie werdet ihr da alle Gleichnisse verstehen?« Sie setzt sich steigernd fort in 4,40; 81 Mk 3,34 f.: toÜ” perÑ a§tÖn k‚klw kaqhmfinou”, vgl. 4,10: o´ perÑ a§tÖn sÜn toõ“ d„deka. 82 Mk 4,13.34. S. auch o. S. 476 Anm. 66 zu Unglaube und Verstockung aufgrund von Jes 6,9 f. 83 Mk 4,12; vgl. Jes 6,10; s. jedoch die widerspruchsvolle Aussage 4,33: kaqá“ °d‚nanto üko‚ein. S. dazu o. S. 471 f. Jes 6,9 f. war für die Urgemeinde ein grundlegender Text, nur noch Jes 53 vergleichbar, dem vierten Gottesknechtslied, das ja auch vom Versagen der Anhänger des Gottesknechts spricht. 84 H. Räisänen, Die Parabeltheorie im Markusevangelium, SESJ 23, Helsinki 1973 (s. auch u. S. 525 Anm. 129); ders., Messianic Secret, vermutet, daß Markus diese aus der Tradition übernommen und im Zusammenhang mit dem Jüngerunverständnis verändert hätte. Unseres Erachtens ist er gerade umgekehrt verfahren. Zwischen Mk 4,10 und 13 ist ein direkter Zusammenhang sichtbar, und die Verse 11 f. machen den Eindruck eines störenden Einschubes; auch scheint 4,33 ursprünglicher zu sein. V. 34 ist dagegen ein durch 4,11 f. notwendig gewordener Zusatz.
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6,52; 8,17 und erreicht ihren ersten Höhepunkt in dem Einspruch des Petrus gegen die erste Leidensweissagung unmittelbar nach dem Messiasbekenntnis und in der schroffen Zurückweisung des Jüngers als Satan durch Jesus 8,31–33. Von da an konzentriert sich das Unverständnis auf die Leidens‑ (und Auferstehungs‑)Ankündigung Jesu85 und in zweiter Linie auf die Geltungssucht der Jünger,86 wobei beides zusammenhängt. Die Jünger werden so zum warnenden Beispiel für die Gemeinde, die sich ja auch zu Jesus bekennt und doch im Blick auf die erwartete letzte Notzeit – die furchtbare Verfolgung unter Nero 64/65 n. Chr. hatte die römische Christengemeinde zur Zeit, da Markus sein Evangelium schreibt, gerade erst hinter sich – in der Gefahr der Verleugnung und des Abfalls steht.87 Das »Kreuztragen« war in dieser Verfolgung bereits zu einer grausamen Realität geworden.88 Markus hat die in dieses Schema passenden Traditionen ausgewählt und zum Teil, etwa bei einzelnen Leidensweissagungen, breiter ausformuliert sowie das Ganze erzählerisch arrangiert. Dahinter stehen jedoch in der Regel konkrete Überlieferungen, die auf den Jüngerkreis, und hier vor allem auf Petrus, seinen wichtigsten Traditionsgaranten, zurückgehen. Dazu gehören unter anderem die Gethsemaneszene,89 die Verleugnung des Petrus und die Zebedaidenfrage. Bis auf das Messiasbekenntnis von Caesarea Philippi, die rätselhafte Verklärungsgeschichte und die Weissagungen vom kommenden Leiden des »Menschensohnes« haben diese Erzählungen keinen unmittelbaren Bezug zu der von Wrede und vor allem seinen Nachfolgern bestrittenen Frage, ob sich bereits mit dem vorösterlichen Jesus ein »messianischer« Anspruch verbunden habe. Daß die Jünger so häufig bei Markus kein gutes Bild abgeben, ist keine böswillige Erfindung späterer christlicher Autoren, sondern hängt mit dem tiefen Eindruck der Botschaft Jesu zusammen, die den Jüngern nach seinem Tod und den Auferstehungserscheinungen die Augen über ihre eigene Schuld, ihr Versagen und ihre Torheit öffnete. Sie werden ohne Ausnahme zu »gerechtfertigten Sündern«, ihr Sprecher Petrus vor allen anderen. Lukas verlegt diese Einsicht schon in das Bekenntnis des Petrus bei seiner Berufung.90 Bei Markus sind diese
85 Mk
9,10.32; 10,32; 14,18 f.27.37.40.50.68 ff. 9,5 f.14 ff.33 ff.; 10,35–45; 14,29. 87 Mk 8,34–38; vgl. 9,42–48; 13,12 f.19; 14,38. 88 S. Tacitus, ann. 15,44,4: aut crucibus adfixi atque flammati. Hengel, Crucifixion, 26. Der wesentlich spätere Matthäus scheint schon mehr Überlieferungen dieser Art zu kennen, s. Mt 23,34 und 10,38, abgeschwächt Lk 9,23. 89 S. dazu Feldmeier, Krisis. 90 Lk 5,8: ≤xelqe üp’ †moú, Ωti ünÉr ®martwl·“ e¢mi. Bei Johannes wird das sündige Jüngerversagen abgeschwächt. So fällt z. B. die feige Jüngerflucht weg. Jesus stellt sich selbst vor sie, s. Joh 18,8: ±fete to‚tou“ ≠p›gein. An die Stelle des Schlafs und der Flucht in Gethsemane tritt das durch törichtes Reden und Fragen aufgezeigte Unverständnis der Jünger in den Abschiedsreden: 13,6–9.36–38; 14,5.8.22; 16,17 f. 86 Mk
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Erinnerungen und Eindrücke paradigmatisch und paränetisch geformt. Spätere apokryphe Evangelien und Apostelakten zeichnen hier ein anderes Bild. Auch daß die die Passion Jesu ausmalenden Leidensweissagungen vaticinia ex eventu sind, ist keine Frage. Es ist jedoch zu einfach, alle Leidensaussagen Jesu a limine für unhistorisch zu erklären. Das setzt voraus, daß er – nach der Hinrichtung des Täufers – ahnungslos nach Jerusalem gezogen sei. Das war gewiß nicht der Fall. Außer den eigentlichen Leidensweissagungen bei Markus haben wir ja noch Texte, die sich durch Form und Inhalt als authentisch erweisen, so das scharf profilierte, anstößig formulierte Doppelwort Lk 12,49 f., weiter Lk 13,33 und der ganze Abendmahlskomplex.91 Hätte die spätere Gemeinde (dem jetzt zur Rechten Gottes erhöhten) Jesus ein so ungewöhnliches Bildwort wie Lk 12,50 mit dem Hinweis auf seine tiefe Anfechtung in den Mund gelegt? Aber auch bei den Worten vom leidenden Menschensohn bei Markus kann eine Grundform auf Jesus selbst zurückgehen.92 Schließlich müßte Mk 12,1–9 hier erwähnt werden,93 das auf ein wirkliches Kampfgleichnis Jesu zurückgeht. Die Theorien von Wrede und Schweitzer sind diametral verschieden, und doch hat ihr Irrtum dieselbe Wurzel. Beide glaubten, die umstrittene Frage nach dem Messiasbewußtsein Jesu durch eine umfassende, aus dem Markusevangelium geschöpfte Theorie lösen zu können. Der eine meinte, dasselbe begründet, der andere, es widerlegt zu haben. In Wirklichkeit ist weder das eine noch das andere möglich. Die einzig mögliche Annäherungsweise liegt im Zusammenspiel zahlreicher, recht verschiedener Texte, aus Markus und der Logientradition, unter Einbeziehung von vier Komplexen: (a) die durch die Qumrantexte wesentlich erweiterten Zeugnisse für die Vielfalt der jüdischen Messiaserwartung, (b) das oben dargestellte Verhältnis Jesu zu seinem »Vorläufer«, dem Täufer, (c) die Anklage gegen Jesus und ihre Jerusalemer Vorgeschichte seit dem Einzug und (d) die Frage nach der Entstehung der frühesten Christologie und ihrer Ausbildung im nachösterlichen Jüngerkreis, in dem Jesu Wort und Tat noch unmittelbar lebendig waren.94 Alle vier Punkte hat Wrede vernachlässigt, und dasselbe gilt erst recht von seinen Nachfolgern, das heißt Rudolf Bultmann und der Mehrzahl seiner Schüler. Man muß es Wrede hoch anrechnen, daß er selbst, im Gegensatz zu seinen Epigonen, hier nur ein kräftiges Fragezeichen gesetzt, die Frage aber nicht – wie es dann später, historisch weniger gewissenhaft, ge91 Auch das darauffolgende »Weisheitswort« Lk 13,34.35a = Mt 23,37 könnte man erwähnen. 13,35b scheint ein christologischer Zusatz zu sein, vgl. weiter Jesu Antwort auf die Zebedaidenfrage Mk 10,38–40 (s. dazu o. S. 355). 92 S. dazu Jeremias, Theologie, 264 ff.; Bayer, Jesus. S. u. S. 541. 93 S. dazu Hengel, Gleichnis; Bayer, Jesus, 90 ff. K. Snodgrass, The Parable of the Wicked Tenants, WUNT 27, Tübingen 1983; J. S. Kloppenborg, Tenants. 94 Dazu Hengel / Schwemer, Anspruch. Punkt c und d hat unter anderem schon H. J. Holtzmann in seiner großen Rezension des Wredeschen Buches (GGA 1901 / Nr. 12, 948–960 [952 f.]) hervorgehoben.
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schah – mit einem kategorischen quod non abgelehnt hat, sondern weiter darüber nachgedacht hat, um am Ende, wie der Brief an Harnack zeigt, seine Meinung vorsichtig wieder in Frage zu stellen.95
17.3.3 Das eigentliche Messiasgeheimnis Es bleiben die beiden einzigen wirklichen »Messiasgeheimnis-Texte« im strengen Sinne bei Markus, das Petrusbekenntnis und die Verklärungsgeschichte. Nur in ihnen verbietet Jesus Menschen, daß sie über ihn als den Messias-Menschensohn sprechen. Beide Erzählungen werden gerne als in die Evangelien eingetragene Auferstehungserzählungen deklariert. Diese Vermutung zeugt nicht vom kritischen Sinn ihrer Urheber. Bei der Verklärungsgeschichte auf dem Offenbarungsberg fügen sich weder Mose noch Elia noch die Himmelsstimme96 noch die bevorzugten Jünger noch das törichte Verhalten des Petrus in eine Auferstehungserzählung. Man braucht viel Phantasie, darin eine solche sehen zu wollen. Die Auferstehungserscheinungen führen ja am Ende zu Glaubensbekenntnis und Sendung und nicht zu Unverständnis und neuem Versagen. Am besten erklärt sie sich als Weiterentwicklung eines vorösterlichen Visionsberichts. Visionen tauchten nicht erst in der Urgemeinde als Folge von Ostern auf, sondern schon bei Jesus und in der vorösterlichen Jüngerschaft. Wir verweisen hier nur auf seine Taufe,97 die Versuchungserzählung, die Seewandelgeschichte oder auch auf Logien wie Lk 10,18 f. und die Worte von der zukünftigen Offenbarung des Menschensohns Lk 17,24. Der apokalyptisch gefärbte Enthusiasmus des Urchristentums beginnt mit Jesus und setzt sich in der Urgemeinde, aber auch bei Paulus fort. Nach Pfingsten glaubt die Jüngergemeinde, den Geist von ihm, dem zur Rechten Gottes Erhöhten, zu empfangen, in dessen Fülle er selbst gewirkt hat. Wir sehen wenig Sinn darin, die Bedeutung von Visionen für die Jünger nach Ostern – dazu noch mehrfach in kollektiver Form – hervorzuheben, sie jedoch für die Zeit der Gemeinschaft mit Jesus zu leugnen. Sicherlich hat Markus diesen Text, der mit der Gottesstimme an die Jünger: »Dieser ist mein geliebter Sohn, ihn sollt ihr hören«98 im Anschluß an das Petrusbekenntnis die tragende Mitte des Evangeliums darstellt und unmittelbar an die Gottesstimme bei der Taufe anknüpft, theologisch mit besonderer Sorgfalt ausgearbeitet. Die Himmelsstimme bringt gegenüber dem Petrusbekenntnis, in dem nur das den Jüngern schon Bekannte erstmals offen ausgesprochen wird, einen echten »Offenbarungsfortschritt«. 95 S. o.
S. 186 Anm. 61 und S. 498 Anm. 3. spielt in der Osterüberlieferung der Evangelien überhaupt keine Rolle. Es geht vielmehr um das Sehen und das Wort des Auferstandenen. 97 S. o. S. 320 ff. 98 Mk 9,7; vgl. 1,1.11; 15,39. S. o. S. 511 Anm. 65. 96 Sie
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Jesus, der Messias Israels, ist zugleich der Sohn, der an Gottes Stelle spricht: Darum sollen die Jünger – und die ganze Jesusgemeinde – »auf ihn hören«, auf ihn allein.99 Wie nach dem Petrusbekenntnis folgt auch auf die Gottesstimme ein Schweigegebot. An sich wäre es durchaus plausibel, daß Jesus den Jüngern verboten hat, über visionäre Erlebnisse zu sprechen. In der Interpretation des Markus – was ihm an Tradition vorlag, wissen wir nicht im einzelnen – bedeutet das zentrale messianische Schweigegebot 9,9, daß die Jünger erst nach Ostern diese Offenbarung, und das heißt vor allem die Himmelsstimme, die ihnen gebietet, allein auf den Sohn Gottes zu hören, wirklich verstehen. Erst durch die Begegnung mit dem Auferstandenen werden sie in ihrem Glauben an Jesus als den mit dem Vater untrennbar verbundenen Sohn gefestigt.100 Solange sie nicht Zeugen der Auferstehung des Menschen‑ und Gottessohnes geworden sind, können sie nicht wissen, was »Auferstehung aus den Toten« in Wirklichkeit bedeutet,101 auch wenn jeder fromme Jude damals Texte wie Ez 37,11–14; Jes 26,19 oder Dan 12,2 f. kannte. Durch Jesu Auferstehung wird »die Auferstehung von den Toten« lebendige Erfahrung der Jünger und ist nicht mehr nur schattenhaftes apokalyptisches Wissen. Hinter Mk 9,10 und anderen Texten des Unverständnisses mag der allgemein urchristliche Gedanke stehen, daß die Jünger den Geist erst nach der Erhöhung Jesu erhalten und daß erst dieser, wie Johannes in den Parakletsprüchen der Abschiedsreden betont, das volle Geheimnis der Person Jesu erschloß, obwohl Markus, wenn man vom Täuferwort102 absieht, von der nachösterlichen Gabe des Geistes nicht expressis verbis spricht. Darüber hinaus wird deutlich, daß für Markus nicht so sehr »Christos«, sondern Sohn Gottes der eigentliche, allein zureichende Hoheitstitel Jesu ist, der bei ihm im Gegensatz zu Menschensohn (und Christos)103 nie im Munde Jesu erscheint, ihm aber zweimal von Gott selbst, den Dämonen, vom Hohenpriester und am Ende vom heidnischen Centurio zugesprochen wird. Mk 12,6 ff. geschieht dies noch indirekt im Gleichnis, und in 12,36 f. erscheint im Zusammenhang mit Ps 110,1 der Titel ›Kyrios‹ für den Messias. Die »Messianologie« des Markus ist vielschichtiger und komplizierter, als Wrede vermutete. Hinzu kommt, daß er in der Regel das nachösterliche Geschehen insgesamt stärker ausblendet als die 99 Mk
9,7: üko‚ete a§toú. Dieser Offenbarungsfortschritt wird bei Mt 16,16 ff. durch das ausführliche Petrusbekenntnis und Jesu Antwort verwischt. 100 Röm 1,3 f.; vgl. Apg 2,34–36; s. dazu Hengel, Sohn Gottes, und u. S. 533. Vgl. auch Lk 24,19–21 und dazu Mittmann-Richert, Sühnetod, s. Index. 101 Mk 9,10: Das Wort steht in einem gewissen Gegensatz zu 12,23, wo die Auferstehung der Toten als allgemein bekanntes Theologumenon einfach vorausgesetzt wird. Es handelt sich in 9,10 um eine christologisch begründete markinische Hyperbole. Bei Johannes, der Markus kennt, wird dieser Gedanke in neuer Form aufgenommen: 2,19.22; 14,26; 20,9. 102 Mk 1,8; s. o. S. 306 und u. S. 649 f. 103 Mk 9,41; 12,35.
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späteren Evangelisten,104 wie er ja auch keine Auferstehungserscheinungen mehr erzählt und die »Taufe im Namen Jesu« nicht erwähnt. Das Petrusbekenntnis in den Dörfern von Caesarea Philippi105 und seine anschließende Zurückweisung durch Jesus kann man nicht einfach auf Markus als ersten Verfasser eines christlichen Jesusromans oder auf bloße »Gemeindebildung« zurückführen. Wer sollte diese in ihren Details ganz aus dem Rahmen fallende Szene später »gebildet« haben? Markus verarbeitet hier – wie auch sonst theologisch reflektiert und in dramatischer Form – bedeutsame ältere Überlieferung. Sie ist sowenig wie die Verklärungserzählung »eine von Mk in das Leben Jesu zurückprojizierte Ostergeschichte«106. Dagegen spricht schon die ganz ungewöhnliche Ortsangabe »in die Dörfer (des Stadtgebietes) von Caesarea Philippi«, die den historisch-geographischen Sachverstand des Autors bzw. seines Gewährsmanns voraussetzt. Es handelt sich um die Hauptstadt des Reiches des Philippus, die hellenistische Polis Paneas, die Philippus um 3 v. Chr. zu Ehren des Augustus umbenannt hatte. Die Stadtbezeichnung Kais›reia ™ Fil‡ppou erscheint noch bei Josephus,107 verschwindet dann aber rasch wieder. Agrippa II. begründete die Stadt neu nach 54 n. Chr. und gibt ihr den Namen Neronias. Nach der Ermordung Neros 68 n. Chr. erhält sie die von Inschriften, Münzen und Geographen bezeugte offizielle Bezeichnung Kais(›reia) Seb(astÉ) ´er(Å) kaÑ ±su(lo“) ≠pÖ Pane‡w abgekürzt Kais›reia Pani›“. Ab dem 4. Jahrhundert erscheint nur noch der alte Name Pane›“, der sich bis heute erhalten hat (Banjas). In der talmudischen Literatur finden wir schon in
104 Ausnahmen
sind relativ deutlich sichtbar, so Mk 2,20; 13,9 ff.; 14,9. 8,27–33, vgl. Mt 16,13 ff. Lk 9,18 läßt die Ortsangabe weg. 106 So Bultmann, Theologie, 27 f.48, vgl. ders., Exegetica, 1–9; in ders., GST, 275–278 vermutet er, daß Mt 16,17–19 im Blick auf Mk 8,27–30 »ursprünglich den Schluß der Bekenntnisszene gebildet« habe, und möchte die »Erzählung … als eine Ostergeschichte … bezeichnen« (277). Nun ist Mt 16,17–19 schon aufgrund der Nennung der †kklhs‡a eine spätere Bildung. Bultmann verkennt völlig, daß im Judentum zwischen Auferstehung und Messianität keinerlei fester Zusammenhang besteht und daß die Frage Jesu an die Jünger (!) nicht in eine Ostergeschichte paßt, wo auf das Sehen immer eine spontane Reaktion von seiten dieser erfolgt. Wir können seine – einflußreiche – Hypothese in diesem Punkt nur als abenteuerlich bezeichnen. Weitere Vermutungen bei G. Theissen / Ph. Vielhauer, Ergänzungsheft, 90 f. Nach Mk 16,7 soll doch das Sehen des Herrn sich in Galiläa ereignen und nicht an einem solchen absonderlichen Ort, wie er in 8,27 genannt ist. 107 Bell. 3,443; 7,23; ant. 20,211; vita 74; vgl. dagegen die einfache Namensform in bell. 2,168 = ant. 18,28; bell. 2,507 ff.: Kais›reia. Josephus hat die Bezeichnung ™ Fil‡ppou, die ihm aus seiner Jugendzeit (* ca. 38 n. Chr.) vertraut war, möglicherweise aufgrund seiner Verbindung mit dem Landesherrn Agrippa II. beibehalten, einem Urenkel des Herodes und Großneffen des Philippus, der am Werk des Josephus interessiert war. Die überwiegend heidnische Bevölkerung besaß dagegen kaum ein besonderes Interesse an dem jüdischen Herrscher Philippus bzw. den Herodianern überhaupt. Wrede ist diese ungewöhnliche Ortsangabe aufgefallen; s. o. S. 509. 105 Mk
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der Mischna allein diesen Namen.108 Es muß sich also aufgrund des nur kurze Zeit gebräuchlichen Ortsnamens um eine ältere Überlieferung handeln. Die Meinung Bultmanns, daß 8,27 zur vorhergehenden Erzählung vom Blinden von Bethsaida gehöre, widerspricht dagegen markinischem Stil.109 Auch die Ansicht Conzelmanns, »das Motiv des ›Rückzugs‹« nach Caesarea Philippi sei »das Messiasgeheimnis«, geht am Text vorbei. Bei Markus ist von einem »Rückzug« gar nicht die Rede, die Zielangabe wird nicht motiviert und ist »theologisch« nicht erklärbar. Nur »ortskundige« Leser wie die modernen Exegeten können einen »Rückzug« vermuten. In Rom, wo das Evangelium entstand, konnte man davon nichts wissen. Mk 8,27 bildet vielmehr erzählerisch einen tiefen Einschnitt im Evangelium. Die Meinung der Menge über Jesus entspricht ganz jüdisch-palästinischem Milieu und paßt vorzüglich in den Zusammenhang, von der römischen Gemeinde wurde dieselbe dagegen kaum verstanden. In 6,14 f. ist eine ähnliche Überlieferung künstlich eingefügt, um im Evangelium einen Übergang zur fremdartigen Erzählung von der Hinrichtung des Täufers zu schaffen.110 Auch die weitere Vermutung von Conzelmann: »Die ganze Szene ist eine in Erzählung umgesetzte christologische Reflexion. Petrus spricht das Bekenntnis der Gemeinde«111,
ist abwegig. Einmal ist es irreführend, in den Evangelien christologische Reflexion und die Geschichtlichkeit einer Erzählung grundsätzlich als Gegensätze zu betrachten, da bei Markus im Grunde alle Erzählungen seines »Evangeliums« aufgrund christologischer Reflexion berichtet werden. »Christologiefreie Zonen« gibt es bei ihm nicht. Trotzdem bleibt er ein Raum und Zeit verpflichteter, geschichtlicher Erzähler. Zum anderen ist das Petrusbekenntnis »Du bist der Messias« nicht mehr »das Bekenntnis der Gemeinde« des Evangelisten in Rom. Denn schon längst ist »Christos« in der griechischsprechenden Gemeinde zum Eigennamen geworden.112 Bereits Paulus gebraucht es nicht mehr titular.113 Außerdem ist für Markus nicht so sehr der Christos-Titel grundlegend, sondern »Sohn Gottes« und daneben Kyrios. Die Dämonen wissen in diesem Punkt schon 108 Schürer II, 169–171; vgl. G. Hölscher, Art. Panias, PW XVIII, 1949, 594–600; zu den Münzen s. M. Rosenberger, City Coins of Palestine III, Jerusalem 1977, 38–47. 109 Das kaÑ (e¢s/†x)ölqen mit Ortsangabe ist ein deutlicher Neueinsatz; vgl. Mk 1,21; 2,1.13; 3,1; 5,1; 6,1; 7,17; 9,33; 11,11 f.; 14,26 u. ö. Das †n tÔö ¨dù erscheint erstmals hier und charakterisiert von jetzt an die Wandersituation Jesu mit seinen Jüngern (9,33; 10,17.32), der Galiläa verlassen hat. Mit dem Messiasbekenntnis beginnt für Markus im Grunde über Galiläa (9,30) die lange Wanderung nach Jerusalem. Lk 9,51–19,27 verlängert diese Zeit der Wanderung um ein Mehrfaches. S. o. S. 344 f. 110 S. o. S. 301. 111 Conzelmann, Theologie, 93; vgl. ders. / Lindemann, Arbeitsbuch, 379. 112 Vgl. bei Markus selbst 1,1 und 9,41; s. u. S. 522 Anm. 114. 113 Für Rom vgl. Röm 1,3 f.; Hebr 1,1 ff.; 3,6.14; 5,5 u. ö.; dazu 1 Clem 36,4. Hengel / Schwe mer, Paulus, 345.348 f.; M. Hengel, Messias, 1–17; ders., KS III, 240–261.
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mehr als die Jünger.114 Daß für »die Gemeinde« das Bekenntnis unzureichend war, zeigt die Ergänzung durch Mt 16,16: »Du bist der Gesalbte, der Sohn des lebendigen Gottes«. Auch Lukas empfindet seinen unvollständigen Charakter und ergänzt »biblizistisch« vom Alten Testament her: »Du bist der Gesalbte Gottes.«115 Wie nun freilich die Vorlage des Markus aussah, läßt sich nicht mehr erschließen. Das sich anschließende Schweigegebot ist zusammen mit 9,9 der einzige volle Beleg für das Messiasgeheimnis. Man darf es nicht ohne weiteres mit den ganz anders motivierten Schweigegeboten an die Dämonen identifizieren,116 denn – anders als dort – fragte hier Jesus selbst.117 Er provoziert dieses Bekenntnis, das dann aus dem Mund seines ersten Jüngers folgt, denn er will dasselbe aus Jüngermund hören, während die Dämonen überhaupt nicht reden, geschweige denn seine göttliche Würde bekennen sollen. Das folgende Schweigegebot Jesu gegenüber seinen Jüngern ist zwar von Markus ähnlich wie die Befehle an die Geheilten formuliert, doch dort sollen diese nicht über ihre Heilung reden, wobei von der eschatologischen Würde Jesu gar nicht die Rede ist, während es hier heißt, »daß sie zu niemandem über ihn redeten«. Das »über ihn« ist nur hier zu finden;118 es bedeutete vom Kontext her: »über ihn« im Zusammenhang mit seiner messianischen Würde. Sie allein sollen schon jetzt ihn als den Messias, der als »Gottesknecht« den Weg des Leidens geht, erkennen und verstehen – und tun es nicht. Markus mag die sachlich verschieden motivierten Schweigegebote, die er bereits aus der Tradition übernahm und gewiß nicht alle selber erfunden hat, zum Teil ähnlich (doch nie identisch) formuliert und sie auch in einem gewissen Zusammenhang gesehen haben. Beim Schweigegebot gegenüber den Jüngern besteht am ehesten ein Zusammenhang mit dem von Markus verfaßten Sammelbericht über die Dämonenaustreibungen 3,11 f., wo Markus die Begründung gibt:
114 Vgl. schon Mk 1,1: ürcÉ toú e§aggel‡ou ûIhsoú Cristoú u´oú qeoú. »Christos« ist für ihn, wie 1,1 und 9,41 zeigen, schon längst zum Eigennamen geworden, auch wenn der Evangelist sich natürlich der titularen Bedeutung sehr bewußt ist und von ihr häufiger Gebrauch macht: 8,29; 12,35; 13,21; 14,61; 15,32; s. auch die frühe, ergänzende Lesart 1,34. Die Passionsgeschichte ist nur unter dieser Voraussetzung zu verstehen. Zu »Kyrios« s. Mk 1,3; 5,19; 12,36 f.; 13,20. Zu den Dämonen s. Mk 3,11 und 5,7 und o. S. 511. 115 Lk 9,20. Dies gilt erst recht für Joh 6,69: »Du bist der Heilige Gottes«. Joh 1,41 ist noch unzureichend; 1,49 bringt die notwendige Ergänzung. In Joh 20,31 dagegen liegt der Schwerpunkt ähnlich wie in Mt 16,16 auf »der Sohn Gottes«. 116 So D. Lührmann, Das Markusevangelium, HNT 3, Tübingen 1987, 146. 117 Auch was die Jünger nach Mk 9,2–8 »sahen« und nicht »weitererzählen« sollen, geht auf Jesu Initiative zurück. 118 Mk 8,30: ºna mhdenÑ lfigwsin perÑ a§toú. Das heißt, sie sollen die verschiedenen Volksmeinungen 8,28 nicht korrigieren. Seine wahre Würde kann danach, wie 10,46 ff., die Einzugserzählung und die Hohepriesterfrage zeigen, dennoch nicht verborgen bleiben.
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»damit sie ihn nicht offenbar machten«119, die aber so nirgendwo mehr erscheint.
Wir müssen hier zwischen markinischer Deutung und der ursprünglichen Überlieferung, wo die Motive noch verschieden waren, unterscheiden. Abzulehnen ist auch die Vermutung, daß auf das Petrusbekenntnis in der vormarkinischen Tradition ursprünglich 8,33 mit der Zurückweisung des Petrus als »Satan« gefolgt sei, da Jesus den Messiastitel grundsätzlich abgelehnt habe. In diesem Falle müßte nicht nur der massive Gebrauch des Titels und Namens nach Ostern als Verrat an der Sache Jesu erscheinen,120 sondern auch Markus würde sich durch den selbstverständlichen Gebrauch von Titel und Namen selbst widersprechen.121 Eine Erzählung, in der Jesus seine Jünger durch eine unmotivierte Frage provoziert, um dann den Sprecher der Jünger in schroffster Weise als Satan zurückzuweisen, muß als sinnlos erscheinen. Das stand so gewiß nicht in seiner Vorlage. Hinter all diesen Versuchen, die Messiasfrage aus der Wirksamkeit Jesu hinauszudrängen, scheint eher der moderne, durchaus dogmatische Wunsch zu stehen, die Person Jesu solle möglichst mit jüdischer Messiaserwartung nichts zu tun haben, wobei diese auf eine einseitige, politisch gefärbte Weise verstanden wird.122 Bei der Beurteilung der kritischen Markusanalyse Wredes, die über Bultmann und seine Schüler zu einer völligen Leugnung der Messianität Jesu führte, darf man schließlich nicht übersehen, daß nur der Marburger Neutestamentler selbst der positiven Erklärung Wredes folgte, die Urgemeinde bzw. Markus hätten mit dem Messiasgeheimnis den Anstoß eines historisch unmessianischen Jesus überwinden wollen. Heute ist man sich nur noch im negativen Urteil einig, die Deutungsmuster gehen dagegen weit auseinander. Schon 1939 kritisierte Hans-Jürgen Ebeling Wredes Erklärung der markinischen Geheimnistheorie, in der er im Zeichen einer geschichtsfernen, von der dialektischen Theologie her bestimmten rein kerygmatischen Markusdeutung betonte, diese sei »keiner … Reflexion über geschichtliche Zustände und Ereignisse des Lebens Jesu entsprungen«, das heißt, sie will nicht den später anstößigen historischen Sachverhalt eines unmessianischen Jesus verdecken, sondern expliziert die Tatsache, daß der irdische und der erhöhte Herr ein und derselbe sind und daß dieser sein Leben zum Heil aller Menschen in den Tod gegeben hat. Das Messiasgeheimnis wird zum umfassenden Offenbarungs-
119 Mk
3,12: ºna mÉ a§tÖn fanerÖn poiflswsin. S. o. S. 511. dazu Hengel, Messias, 16 f. 121 Mk 1,1; 9,41; 12,35; 13,21; 14,61; 15,32. 122 S. dazu Hengel / Schwemer, Anspruch, 23 ff.34–45.166–170 und 264 Index s. v. »Messiaserwartung«. 120 S.
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geheimnis, das der Evangelist in seinem Werk erschließt, das ganz auf den Tod Jesu am Kreuz hin angelegt ist.123 Auch Conzelmann sieht im Messiasgeheimnis einen Grundgedanken der markinischen Christologie, der »den paradoxen Charakter der Offenbarung« zur Sprache bringt, daß sich »Jesu Bedeutung« nicht von den Wundern, sondern erst vom Glauben her erschließt, »der von Kreuz und Auferstehung her Jesus richtig sieht«.124 Aber war die Auferstehung Jesu für Markus wie für das ganze Urchristentum etwa kein »Wunder«, und hängen die »Wunder« Jesu gerade bei Markus nicht eng mit dem Glauben zusammen?125 Sollte bei dieser These nicht wieder moderne »Mirakelfurcht« am Werke sein? Gewiß, mit diesen Korrekturen wird die Intention des Evangelisten Markus sachgemäßer begründet als bei Wrede, doch ist die Herkunft des Motivs so noch nicht zureichend erklärt, da Markus im Gegensatz zu Johannes keine relativ frei gestaltete »christologische Dichtung« schreibt,126 sondern intensiv ältere Traditionen verarbeitet, und auch die Schweigegebote in ihren verschiedenen Formen – das hat Wrede schon deutlich gesehen – nicht einfach von Markus erfunden sind, sondern aus der Überlieferung stammen, deren palästinischjudenchristliche Herkunft mit Händen zu greifen ist und die unseres Erachtens zu einem guten Teil auf Petrus zurückgehen.127 Markus macht vielmehr die verschiedenen traditionellen historischen Motive für seine reflektierte Christologie fruchtbar und hat sie – wie seinen ganzen Stoff – entsprechend geformt. Er hat sie nicht einfach selbst erfunden, dazu sind sie im Detail zu verschieden. Wenn es sich bei den Schweigegeboten wirklich um eine theologisch-novellistische Neuschöpfung des Markus gehandelt hätte, dann wäre dies auf einheitlichere Weise geschehen. Letztlich sind sie in Jesu Wirken begründet. Daß bei den Exorzismen der »Dämon« im Kranken »zum Schweigen gebracht werden mußte«, liegt in der Natur der Sache. Solange der Kranke weiter schrie, war er nicht geheilt und der Exorzismus mißlungen. Daß je und je Jesus Geheilten verboten hat, ihre Heilung überall zu verkündigen, und er sich zuweilen in die Einsamkeit zurückzog, ist ebenso verständlich. Er möchte die Massenbewegung nicht noch weiter anfachen. Jeder erfolgreiche Arzt muß seine Praxis zuweilen schließen, wenn sie überquillt, denn der Tag hat nur 24 Stunden. Mit der Messiasfrage haben diese Phänomene direkt nichts zu tun. Aus den bei 123 H.-J. Ebeling, Das Messiasgeheimnis und die Botschaft des Marcus-Evangeliums, BZNW 19, Gießen 1939, 220 f. 124 Conzelmann, Theologie, 150; ders. / Lindemann, Arbeitsbuch, 256 ff. 125 S. o. S. 472 f. Auch Jesu souveränes Vorauswissen, die Sonnenfinsternis am Passatag und das Zerreißen des Tempelvorhangs im Augenblick des Todes Jesu sind für Markus und seine Zuhörer Wunder des Messias und Gottessohns im Zusammenhang mit seiner theologia crucis. 126 Johannes tut dies zumindest in weiten Teilen seines Werks in der Gewißheit der Inspiration durch den Auferstandenen, s. Hengel, Johanneische Frage. 127 Hengel, Gospels, 65 ff.78 ff.; ders., Petrus, 58–78.
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Wrede gesammelten Texten zum »Messiasgeheimnis«, die zum größeren Teil nicht in dieses Schema passen, kann daher kein Argument gegen einen »messianischen Anspruch« Jesu gefolgert werden. H.-J. Ebeling betont am Ende seiner Untersuchung: »Damit ist es uns versagt, von unseren Ergebnissen aus in dem Streit der Meinungen,
ob Jesus ein messianisches Bewußtsein gehabt habe, positiv oder negativ Stellung zu nehmen. Wredes Argumente für ein unmessianisches Bewußtsein halten freilich nicht Stich, aber das ganze Problem erfordert eine weit ausgedehntere Untersuchung und Interpretation des Evangeliums.«128
Diese ist unseres Erachtens bis heute nicht in befriedigender Weise geleistet worden.129 Sie würde auch den Rahmen unserer Darstellung sprengen. Auch Conzelmann wendet gegen Wrede (und cum grano salis gegen seinen Lehrer Bultmann) mit Recht ein: »Die von Mk verarbeiteten Stoffe, insbesondere die Wundererzählungen, zeigen gar
kein unmessianisches Jesusbild, mehr noch: Eine unmessianische Jesustradition gibt es gar nicht.«130
Völlig unverständlich wird dann jedoch, wie Conzelmann dennoch zu einem noch schärfer als bei Wrede und Bultmann festgehaltenen, ursprünglich »unmessianischen« Jesus kommt. Wenn es keine »unmessianische Jesustradition gibt«131 – ein Urteil, dem wir gerne zustimmen –, wie will er dann fein säuberlich das »Messianische« vom »Unmessianischen« scheiden, um ein historisch »gereinigtes«, titelfreies Jesusbild zu bekommen? Wie will er aus der ganz messianisch eingefärbten Tradition den historisch realen, »unmessianischen« Jesus herausfiltern? Die radikale, folgerichtige Konsequenz wäre dann doch eher, daß er alle vorösterliche Tradition über Jesus leugnete und den Menschen Jesus zum unfaßbaren Phantom erklärt. Aber so radikal wollte Conzelmann dann auch wieder nicht sein. Sein großer Artikel in der RGG3 enthält viele wertvolle, sachlich durchaus richtige Beobachtungen, auch wenn er durch die Leugnung des messianischen Anspruchs Jesu in unlösbare Widersprüche gerät. 128 Ebeling,
Messiasgeheimnis (S. 524 Anm. 123), 221. Hervorhebung M. H. / A. M. S. jedoch G. M. De Tillesse, Le secret messianique dans l’Evangile de Marc, Paris 1968; Räisänen, Parabeltheorie (S. 515 Anm. 84); ders., Das ›Messiasgeheimnis‹ im Markusevangelium, Helsinki 1976; erweiterte englische Fassung: ders., Messianic Secret. Seine gründliche Untersuchung des Problems führt freilich in ihrem Ergebnis auf Abwege, denn seine historischen Lösungsversuche, die die Erfindung des Messiasgeheimnisses Markus zuschreiben, der damit auf Konflikte seiner Gemeinde mit dem Wanderradikalismus reagiert habe, sind noch abwegiger als die Thesen Wredes. 130 Conzelmann / Lindemann, Arbeitsbuch, 257. 131 Dieses »unmessianische Jesusbild« findet sich bei den jüdischen und heidnischen Gegnern, etwa bei Celsus und seinem jüdischen Gewährsmann, die Jesus als Magier und Betrüger verzeichnen, der seine gerechte Strafe erhielt. 129 S.
526
V. Jesu Vollmacht und messianischer Anspruch
17.4 Das Problem der Hoheitstitel 17.4.1 Der Menschensohn132 Zur ipsissima vox Jesu,133 man könnte auch sagen, zu seiner »ureigenen Sprache«, gehört nach den Evangelien (und eine andere ins Detail gehende Quelle haben wir nicht) auch die Formel »der Menschensohn«: ¨ u´Ö“ toú‘ ünqr„pou. Es »ist eine wörtliche, im Griechischen miß‑, ja unverständliche Wiedergabe« des aramäischen determinierten bar ’ änāšā’ (avn[a] rb).134 Dabei scheint von Anfang an ein Bezug zu Dan 7,13 gegeben zu sein: »Das neutestament(liche) ¨ u´Ö“ toú ünqr„pou muß das emph(atische) avna rb wiedergeben.« Da diese determinierte Form des Singulars135 im Aramäischen ungebräuchlich (und im Griechischen unverständlich) ist, »kann sie nur bedeuten: ›der (aus Dan 7,13 bekannte) vna rb, das vna rb genannte Wesen‹, wobei das Wort vna rb, weil ein Zitat, beibehalten wird. Der Ausdruck avna rb ist also eindeutig«136.
Daß Jesus diese Formel verwendet haben muß, ergibt sich allein daraus, daß die für einen Griechen sinnlose Wendung ¨ u´Ö“ toú ünqr„pou mit doppeltem Artikel als Übersetzung des aramäischen Äquivalents 81mal (!) in allen vier Evangelien, und zwar mit einer Ausnahme (Joh 12,34) immer nur im Munde Jesu, erscheint: bei Markus 14mal, bei Lukas 25mal, bei Matthäus 30mal und bei Jo hannes 12mal.137 Selbst wenn wir alle Paralleltraditionen ausscheiden, haben wir noch 38 Einzelbelege. Während die anderen Titel bei den Synoptikern nur selten oder gar nicht im Munde Jesu vorkommen, erscheint der Begriff »Menschensohn« dort nur in Jesusworten. Matthäus, der ein Gespür und eine Vorliebe für jesuanische Sprache besitzt, hat diese Formel, ähnlich wie das »Amen, ich sage euch«, die »Königsherrschaft der Himmel« und »euer (unser) Vater im Himmel«, 132 C. Colpe, Art. u´Ö“ toú ünqr„pou, ThWNT VIII, 403 ff.; E. Sjöberg, Der verborgene Menschensohn in den Evangelien, SHVL 53, Lund 1955; Hahn, Christologische Hoheitstitel, 13 ff.; Jeremias, Theologie, 245 ff.; Hampel, Menschensohn; jetzt grundlegend W. Horbury, The Messianic Associations of the »Son of Man«, in: ders., Messianism, 125–156; Dunn, Jesus, 724–762. 133 S. dazu o. S. 381.505. 134 C. Colpe, ThWNT VIII, 406,10 f. Das undeterminierte bar ’ änāš wird in 1 Hen 22,5 mit ±nqrwpo“ und in Dan 7,13 (LXX / Theodotion) mit u´Ö“ ünqr„pou übersetzt und hat die Bedeutung »einzelner Mensch«. Dazu s. Beyer, Texte, 517 f. 135 »Der determinierte Plural avna ynb begegnet Dan 2,38; 5,21. Die determinierte Form avna hat generalisierende … oder kollektive Bedeutung« (C. Colpe, ThWNT VIII, 405,13 f.). 136 Beyer, Texte, 518. 137 Bei Johannes finden sich zwei Ausnahmen, die die Regel bestätigen: Joh 5,27 fehlt wie in Dan 7,13 (kebar ’ änāš; LXX / Th: Æ” u´Ö“ ünqr„pou) der Artikel: Ωti u´Ö“ ünqr„pou †st‡n. Es handelt sich hier um eine deutliche Anspielung auf diese Stelle; vgl. Apk 1,13 und 14,14: Ωmoion u´Ön ünqr„pou. In Joh 12,34 erscheint ¨ u´Ö“ toú ünqr„pou einmal im Munde der Volksmenge, doch als Reaktion auf ein Wort Jesu.
§ 17 Profet oder Messias?
527
manchmal noch zusätzlich in die Markus‑, Lukas‑ und Logien-Vorlage seines Evangeliums eingetragen. Sieben Belege stammen aus den Markus und Lukas gemeinsamen Texten, jeweils neun aus ihrem Sondergut.138 Abgesehen von den Evangelien begegnen wir der determinierten Formel im Neuen Testament nicht mehr, mit einer Ausnahme bei der Himmelsvision des Märtyrers Stephanus.139 Auch außerhalb des Neuen Testaments erscheint sie nur noch am Rande, etwa in der apokryphen Jakobustradition, die einen judenchristlichen Hintergrund hat.140 In jüdischen Quellen ist »Menschensohn« vor 70 noch kein allgemein anerkannter Titel. Der Ausgangspunkt Dan 7,13 enthält nur einen Vergleich, freilich in einem Text von zentraler Bedutung für das Judentum um die Zeitenwende. In den Bilderreden des äthiopischen Henoch141 sind ähnliche Formulierungen wie »Menschensohn« – von Dan 7,13 abhängig – in verschiedenen Formen142 die Chiffre für eine seit Vorzeiten im Himmel verborgene, geheimnisvolle Menschengestalt, die außerdem zweimal der Gesalbte143 und daneben häufig der Gerechte und Erwählte genannt wird, die Gott als endzeitlichen Richter inthronisiert und die am Ende mit Henoch identifiziert wird. Die Datierung der 138 F.
Hahn, Art. u´·“, EWNT III, 914–937 (928 f.). 7,56: ¢doÜ qewrù toÜ“ o§ranoÜ“ dihnoigmfinou“ kaÑ tÖn u´Ön toú ünqr„pou †k dexiùn ©stùta toú qeoú. Hier wird die Bezeichnung auf eigenwillige Weise mit Ps 110,1 verbunden. Vgl. auch die Zitate mit der undeterminierten Form aus Dan 7,13 bei Johannes und in der Apokalypse (o. S. 526 Anm. 137) und aus Ps 8,5 in Hebr 2,6. Nur das sehr späte Targum Ps 8,5 hat zweimal bar nāšā’ für bän ’ādām und ’ änôš. Vgl. noch Ps 80,18 den Parallelismus von ’îš jemînäkhā und bän ’ādām (LXX ±ndra dexiô“ sou / tÖn u´Ön ünqr„pou) und dazu Ps 110,1; weitere verwandte Belege bei Horbury, Messianism, 144–151, der unter anderem auf Tg Ps 80,16 und 18 und zahlreiche Beispiele für die messianische Interpretation von ±nqrwpo“, ’îš, gäbär / gabrā und andere Begriffe verweist. 140 Vgl. ohne Artikel Barn 12,10; IgnEph 20,2, beidemale schon im Stil des 2. Jahrhunderts als Gegenüberstellung zu u´Ö“ qeoú. Zu Jakobus s. das Hebräerevangelium nach Hieronymus, vir. inl. 2 (Aland, Synopsis 507) und im Jakobusmartyrium nach Hegesipp bei Euseb, h.e. 2,23,13; vgl. Mt 26,64; dazu Hengel, KS III, 560 f. Auch die kürzere lateinische Version der Ascensio Isaiae 11,1(2) verwendet sie für die irdische Existenz Christi: Et vidi similem filii hominis, et cum hominibus habitare in mundo (ed. Tisserant, p. 203); ebenso die slavische Version, dazu die Textausgabe von E. Norelli u. a., CChr.SA 7, 231.315.430. Die Ascensio Isaiae ist eine judenchristliche Schrift vom Beginn des 2. Jahrhunderts und steht in fester christlicher Tradition. 141 Kap. 37–71. Sie sind nur äthiopisch erhalten. In Qumran fand sich im Gegensatz zu den anderen Teilen des Henochbuches kein Fragment von ihnen, s. dazu P. Sacchi, Art. Henochgestalt / Henochbuch, TRE 15, 42–59 (44 ff.); S. Uhlig, Das Äthiopische Henochbuch, JSHRZ V / 6, Göttingen 1984. Vgl. auch IgnEph 20,2. 142 Gese, Theologie, 142: »im Henochbuch wird noch in großer terminologischer Freiheit vom Menschensohn gesprochen.« Es wird damit »der allgemein menschliche Charakter der Gestalt hervorgehoben«. Dabei wird Dan 7 weiterentwickelt und »bis in Einzelheiten hinein vorausgesetzt« (142 f.). 143 1 Hen 48,10; 52,4. An der letzten Stelle ist von der »Herrschaft seines Gesalbten« die Rede. Wesentlich ist auch der Einfluß von Jes 11,1–5, s. Gese, Theologie, 143. 139 Apg
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V. Jesu Vollmacht und messianischer Anspruch
Bilderreden ist umstritten, ebenso, wieweit die dortige Menschensohngestalt auf die Evangelien eingewirkt hat.144 Darüber hinaus wird der »Mensch(ensohn)« nach 70 noch in 4 Esra 13 mit dem Messias identifiziert, ganz selten erscheint er später in rabbinischen Texten, vermutlich weil die Christen sich dieser Rätselgestalt aus Dan 7,13 bemächtigt hatten.145 In Qumran findet sich die Formel noch nicht, trotz der Vielfalt der messianischen Vorstellungen und obwohl dort das Danielbuch bereits hochgeschätzt war.146 Das Fehlen eines Hinweises in Qumran und die relative Seltenheit der Formel in den zeitgenössischen jüdischen Quellen vor 70 legt die Vermutung nahe, daß bar ’ änāšā’ in der ersten Hälfte des 1. Jahrhunderts n. Chr. zwar noch kein selbstverständlich von allen anerkannter »messianischer Titel« war, aber doch in bestimmten Gruppen aufgrund der Auslegung von Dan 7,13 als solcher verstanden werden konnte.147 Dieser ganze Tatbestand macht es unseres Erachtens extrem unwahrscheinlich, daß erst die nachösterliche Gemeinde diese Bezeichnung Jesus sekundär in den Mund gelegt hat, zumal sie dieselbe in der christologischen Argumentation außerhalb der Evangelien in den Briefen, aber auch in Worten der Jünger oder Dritter, überhaupt nicht gebraucht. Wäre »Menschensohn« ein allgemein geläufiger messianischer Titel gewesen, müßte man ihn in den Evangelien auch im Munde der Jünger und Gegner, etwa als Bekenntnis oder in Streitgesprächen, erwarten. Dagegen fällt in den Evangelien auf, daß der Titel crist·“, Gesalbter, mit wenigen Ausnahmen nie in Jesusworten erscheint, sondern immer von außen, das heißt von Anhängern und Gegnern an Jesus herangetragen wird, 144 Vermutlich sind die Bilderreden zwischen dem Parthereinfall 40 v. Chr. und der Zerstörung Jerusalems entstanden. J. Theisohn, Der auserwählte Richter, StUNT 12, Göttingen 1975, vermutet nur einen Einfluß auf Matthäus; s. Index zu Mt 19,28; 25,31. 145 4 Esra 13 ist deutlich abhängig von Dan 7,2.13 und Jes 11,4. Zu Menschensohn weitere Parallelen bei Bill. I, 485 ff.957 ff. Zum rabbinischen Sprachgebrauch »der Wolkige« oder »Wolkensohn« für den Messias aus Dan 7,13 s. B. Ego, Daniel und die Rabbinen, Judaica 51 (1995), 18–32 (29–32). 146 E. Tov, The Unpublished Texts from Cave 4 and 11, BA 55 (1992), 94–103 (96): Fragmente von fünf Danielexemplaren. Das Buch Daniel, entstanden im Jahr 165/64 v. Chr., muß sich relativ rasch in chasidischen und das heißt zugleich essenischen und pharisäischen Kreisen als Autorität durchgesetzt haben. Von den Sadduzäern wurde es dagegen abgelehnt. 147 S. dazu W. Bousset, Kyrios Christos. Geschichte des Christusglaubens von den Anfängen des Christentums bis Irenäus, Göttingen (1913) 21921 (5. Aufl. unv. Abdruck der 2. Aufl., hg. v. R. Bultmann, Darmstadt 1965), 10–15. Bousset möchte »die seltsame und rätselhafte Bezeichnung … am besten mit der Wendung ›der (aus Davids Weissagung, bzw. aus der apokalyptischen Überlieferung bekannte) Mensch‹ erklären und überschreiben« (13). Horbury, Messianism, 151: »… it may be said that messianic exegesis of Dan. 7.13 probably arose not later than in the early first century A. D., and possibly much earlier. … The messianic associations of the phrase would have been strengthened by a distinct, best comparable, preChristian messianic interpretation of words for ›man‹, to be found in connection with biblical passages other than Dan. 7.13.«
§ 17 Profet oder Messias?
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während »Menschensohn« uns nur im Munde Jesu, und dazu noch auffallend häufig, begegnet. Hinzu kommt, daß »Menschensohn« als Selbstbezeichnung Jesu bei Markus nicht unter das Messiasgeheimnis fällt, vielleicht weil der Evangelist noch wußte, daß dies kein geläufiger Messiastitel war, wohl aber auf dem Wege war, ein solcher zu werden.148 Daraus lassen sich zwei Folgerungen ziehen: 1. daß Jesus diese Formel bar ’ änāšā’, das heißt »der Mensch«, wie eine »messianische« Chiffre gebraucht hat. Der Bezug auf Dan 7,13 stand dabei schon im Hintergrund. Dies gehört zu seinem »Persongeheimnis«, das wir letztlich nicht ergründen können. Es ist unseres Erachtens absurd zu vermuten, daß »die Gemeinde« in massiver Weise Jesus eine als messianischer Titel noch gar nicht geläufige und darum für die christologische Verkündigung unbrauchbare Formel in den Mund gelegt habe, während man den allgemein bekannten Messiastitel, der bald zu Jesu Eigennamen wurde, weitgehend von ihm fernhielt. Auch das markinische Messiasgeheimnis würde damit ganz unerklärlich, denn »der Mensch(ensohn)« steht für den Evangelisten außerhalb desselben. 2. Die Chiffre »Menschensohn« bzw. »Mensch« war offenbar weder für die Verkündigung noch für Bekenntnisformeln geeignet, denn sie brachte – im Gegensatz zu dem Titel »Gesalbter«, māšî ah / m ešîhā’ / crist·“ – die Gottesnähe und eschatologische Würde des Erhöhten nicht eindeutig und für alle erkennbar zum Ausdruck, da sie durch die alttestamentlich-jüdische Überlieferung nicht klar als Titel vorgegeben war. Jesus als Messias, Gottessohn und erhöhten Herrn konnte man öffentlich verkündigen, den bar ’ änāšā’, der nur für den Kreis der Eingeweihten verständlich war, nicht. Wenn bei den Synoptikern dennoch »Menschensohn« sehr häufig und nur im Munde Jesu erscheint und »Christos« nahezu gar nicht, so muß dies auf einen ursprünglichen historischen Sachverhalt hinweisen, der zeigt, daß sie an diesem Punkt der »christologischen« Überlieferung zuverlässiger sind, als in der kritischen Forschung vermutet wird. In der nachösterlichen Gemeinde hat sich ja die Situation rasch völlig verändert. Dort wird m ešîhā’, crist·“, in ganz kurzer Zeit zum entscheidenden Titel für den Erhöhten und dann zum zweiten Namen für Jesus,149 während am »Menschensohn« nur in der Jesustradition festgehalten wird. Man hat sich an solche alten Formen des Sprachgebrauchs Jesu noch »erinnert«. Deswegen begegnet uns »der Menschensohn« nur ganz am Rande in der christologischen Argumentation der griechischsprechenden Gemeinde, etwa ohne Artikel als Zitat aus Dan 7,13 und Ps 8,5150 oder bei Paulus übertragen als
148 Vgl.
Horbury, Messianism, 125–155 (151 f.). dazu Hengel, KS III, 240–261; ders., Messias, 2 ff.8 ff. 150 Vgl. auch Ps. 80 (LXX 79), 16–18; Hebr 2,6; Apk 1,13; 14,14; vgl. Joh 5,27. 149 S.
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V. Jesu Vollmacht und messianischer Anspruch
»letzter Adam« bzw. als »Mensch vom Himmel«151. In der Vision des angeklag-
ten Stephanus Apg 7,56 legt ihn Lukas in den Mund des ersten Blutzeugen, weil er weiß, daß diese Bezeichnung – nach ihrem häufigen Gebrauch durch Jesus selbst – in der Jerusalemer Urgemeinde noch eine Rolle spielte, in den späteren Missionsgemeinden dagegen nicht mehr.152 Freilich ist die Verwendung durch Jesus innerhalb der synoptischen Evangelien selbst wieder rätselhaft, wir halten es jedoch für wahrscheinlich, daß gerade dieser änigmatische Zug, der in der späteren Erklärung der Chiffre bis heute zu ständigen Kontroversen führte, auf einen differenzierten Sprachgebrauch Jesu zurückgeht. Die Untersuchung von V. Hampel kommt zum Ergebnis, daß »erst die nachösterliche Gemeinde … unter dem Einfluß von Dan 7,13 f. vom Kommen des Menschensohns (spreche)« und Jesus in diesen »Logien von der zukünftigen Hoheit des Menschensohns«153 ursprünglich auf seine eigene zukünftige Offenbarung als Messias hinweise.154 Der Autor kommt damit zu vier Gruppen von Menschensohnworten im Gebrauch Jesu: 1. die »von der zukünftigen Hoheit des Menschensohns«; 2. die von seiner »gegenwärtigen Hoheit«155; 3. die »von der gegenwärtigen Niedrigkeit«156; 4. die von seinem Leiden und seiner Auferstehung.157 Die Bezeichnung bar ’ änāšā’ bedeutete nach ihm eine Chiffre, mit der »Jesus ganz bewußt ein vieldeutiges Rätselwort auf(greift), um damit sein messia-
nisches Selbstverständnis und seinen messianischen Sendungsauftrag verhüllend und andeutend zugleich zur Sprache zu bringen. … Bis zu seiner Inthronisation – d. h., seiner endgültigen Legitimation durch Gott selbst, verbunden mit seiner weltweiten öffentlichen Anerkennung als Messias – wirkt er als Messias designatus in Israel; und als
151 1 Kor 15,45.47 f. Vgl. Apg 17,31: Gott wird die Welt richten †n ündrÑ ó/ ørisen. Wir halten es für möglich, daß schon im Sprachgebrauch Jesu ein Bezug auf Adam in Gen 1–3 verborgen war; s. u. S. 532 Anm. 164. 152 Man könnte in diesem »archaischen« christologischen Sprachgebrauch eine Parallele zur doppelten Verwendung von paõ“ (qeoú) in der Petrusrede Apg 3,13.26, im Gebet Apg 4,27.30 und dann in alten judenchristlichen Gebeten (1 Clem 59,2 f.; Did 9,2 f.; 10,2 f.) sehen. 153 Hampel, Menschensohn, 186 f. Damit wird freilich unseres Erachtens das Problem zu sehr vereinfacht. 154 Es handelt sich nach Hampel um Lk 11,30 = Mt 12,40; Lk 17,24 = Mt 24,27; Lk 17,26 = Mt 24,37 und Mk 14,62ba = Mt 26,64ba = Lk 22,69, die »(jeweils im Kern) als authentische Jesusworte« erwiesen wurden. Die nachösterliche sekundäre Interpretation auf das Kommen des Menschensohns nach Dan 7,13 f. »vollzieh(e) sich aufgrund einer konsequenten urchristlichen Aktualisierung der authentisch-jesuanischen Menschensohnlogien« (187). Unseres Erachtens ist der Bezug zu Dan 7,13 von Anfang an gegeben. Nur er erklärt den eigenartigen Sprachgebrauch. 155 Mk 2,10.28; Lk 19,10. 156 Mt 11,19 = Lk 7,34; Mt 8,19 f. = Lk 9,57 f. 157 Mk 8,31 par.; 9,12b par.; 9,31 parr. und vor allem Mk 10,45.
§ 17 Profet oder Messias?
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solcher bezeichnet er sich als avna rb.«158 Das heißt, Jesus charakterisierte sich damit »als verborgen wirkender Messias, der seiner Herrlichkeitsoffenbarung … entgegensieht«. Erst durch sie wird er »Messias in Macht. Bis dahin bleibt … sein messianischer Anspruch insofern … zweideutig, als er Glauben wie Unglauben« zur Folge hat.
Diesem neueren Lösungsversuch gelingt es besser als anderen, die verschiedenen, sich scheinbar widerstrebenden synoptischen Menschensohntexte zu einer sinnvollen Einheit zusammenzufassen, ohne daß er allzusehr die konstruierende Phantasie der nachösterlichen Gemeinde in Anspruch nehmen muß. Über seine Annahmen hinausgehend muß man sich fragen, ob nicht bereits für Jesus der Zusammenhang zwischen der Selbstbezeichnung bar ’ änāšā’ und Dan 7,13 wesentlich war.159 Er selbst hat das Danielbuch natürlich gekannt, zumal in ihm der Anbruch der Gottesherrschaft die zentrale Rolle spielt.160 Die Verwendung der Formel bar ’ änāšā’ / ¨ u´Ö“ toú ünqr„pou im Munde Jesu bei den Synoptikern weist dabei auf ein Rätsel, man könnte auch sagen auf einen Zwiespalt, hin. Einerseits ist davon auszugehen, daß sie ursprünglich eher eine Chiffre und kein allgemein bekannter messianischer Titel war. Als solche brachte sie Jesu verborgene Würde und Vollmacht als endzeitlicher Verkündiger des Heils, man könnte auch sagen als Messias designatus zur Sprache, zugleich aber auch seine Niedrigkeit und seine Anfechtung, an deren Ende seine Hinrichtung stand. Andererseits wird die Frage, wie sich Jesus die Vollendung der Gottesherrschaft, ihr »Kommen in Macht«161, den Tag, an dem »der Menschensohn offenbar wird«162, vorgestellt hat, nur in Andeutungen beantwortet, denn gerade an diesem Punkt sind die endzeitlichen Aussagen seiner eigenen Verkündigung und die Jüngererwartungen von der Parusie des gekreuzigten und erhöhten 158 Hampel, Menschensohn, 371. Vgl. dazu Horbury, Messianism, 151: »the range of meaning of the phrase allowed it to be both self-referential and messianic; in its aspects of opacity, which the hearer was invited to pierce, it resembled the parables.« 159 Man könnte hier auch auf den verborgenen »Menschensohn« in den Bilderreden des äthiopischen Henoch verweisen; s. dazu E. Sjöberg, Der Menschensohn im äthiopischen Henochbuch, SHVL 41, Lund 1946; ders., Der verborgene Menschensohn in den Evangelien, SHVL 53, Lund 1955; C. Colpe, ThWNT VIII, 425–429; s. auch – einst heftig diskutiert – R. Otto, Reich Gottes und Menschensohn, München 1933 (21954). Die vornehme Rezension von M. Dibelius läßt diesem Werk des großen Religionswissenschaftlers eher Gerechtigkeit widerfahren als R. Bultmanns völliger Verriß in: ThR NF 9 (1937), 1–35 = Theologie als Kritik, Tübingen 2002, 328–353. S. M. Dibelius, GGA 197 (1935), 209–221: »… daß hier das Zentrale an Botschaft und Werk Jesu weniger erklärt als geschaut ist, daß es in den Zusammenhang der religionsgeschichtlichen Entwicklung sicher eingefügt und aus diesem Zusammenhang und einer intuitiven Erfühlung heraus – trotz aller zweifelhaften Interpretationen – richtig geschaut ist.« S. auch W. Horbury o. S. 528 Anm. 147. 160 Der Prozeß Jesu und die Anklage wegen messianischer Ansprüche hängen – unter anderem – auch mit seinem Gebrauch dieser Formel zusammen; s. u. S. 566 f.597. 161 Mk 9,1. S. o. S. 423 f. Anm. 105. 162 Lk 17,30: katÅ tÅ a§tÅ ≤stai Ôî ™mfira ¨ u´Ö“ toú ünqr„pou üpokal‚ptetai; vgl. 24,26.
532
V. Jesu Vollmacht und messianischer Anspruch
»Menschensohns«, das heißt die Hoffnung der Urgemeinde, so miteinander ver-
schmolzen, daß man sie schwer trennen kann. Am Ende des Abendmahls bringt er seine Gewißheit zum Ausdruck, daß Gott selbst, durch den angekündigten Tod hindurch, doch wohl in Bälde sein Reich heraufführen und er, Jesus, das messianische Mahl dort mit den Jüngern in ganz neuer Weise feiern werde.163 Wesentlich ist dabei, daß Messiashoffnung und Menschensohnerwartung nicht von vornherein getrennt werden können. Hartmut Gese betont dies zu Recht: »Die Menschensohnüberlieferung kennt … nie einen Messias neben dem Menschen-
sohn, weil es sich bei der Menschensohngestalt um eine echte Transformation der davidischen Messiasgestalt, nicht um eine Addition handelt. Hat sich also Jesus als Messias verstanden, so muß er sich als zukünftiger Menschensohn verstanden haben.«164
Auch das Wort von der eschatologischen Richterfunktion der zwölf Jünger, das bei Lukas im Anschluß an das Passamahl erscheint,165 weist in diese Richtung. Vermutlich hat schon Jesus den Anbruch der »Gottesherrschaft in Kraft« (Mk 9,1) mit seiner Offenbarung als »Menschensohn« vom Himmel her verbunden. Auch die Gleichnisse von wartenden Sklaven und Hausbesitzern und den auf das Kommen des Bräutigams harrenden klugen und törichten Jungfrauen gehören in diesen Kontext, bei dem zwischen Jesu eigener Erwartung und der der frühesten Gemeinde nicht mehr klar zu scheiden ist.166 Die Frage der zeitlichen Spanne zwischen Jesu Opfertod und dem Kommen von Gottes Herrschaft kann dabei offenbleiben. Vielleicht kommt hier der Mittelweg, den W. G. Kümmel zwischen »konsequenter Eschatologie« und »realized eschatology« einzuschlagen versuchte, der Wirklichkeit am nächsten.167 Jesus hat die mit seinem Wirken anbrechende nahe Gottesherrschaft verkündet, diese mit Metaphern wie »Leben«, 163 Mk
14,25 = Mt 26,29; vgl. Lk 22,18. S. o. S. 415. Theologie, 146, vgl. 144 f. Das nationale davidische Messiasbild wird hier »erweitert und erhöht …, daß (es) … die gesamte Mittlerschaft der göttlichen Offenbarung an den Menschen umfassen kann« (145). Man könnte hier fragen, ob die universale Mittlerschaft des »Menschensohns« nicht auch zugleich bewußt ein Gegenbild darstellt zum Ungehorsam Adams und dem damit verbundenen universalen Verhängnis. Die von Jesus verkündigte, »sich realisierende Gottesherrschaft« stellt ja auch die durch Adams Sünde gestörte gute Schöpfung des himmlischen Vaters wieder her und macht die sündigen Menschen zu Gottes Kindern. Die Frage ist, wieweit hinter der paulinischen Aussage Röm 5,12–21 und 1 Kor 15,21 f.45–49 – in veränderter Form – letztlich urchristliche, ja jesuanische Gedanken stehen. S. dazu o. S. 530 Anm. 151. Die Formel »Menschensohn« wäre dann Ausdruck für den wahren, »Gott entsprechenden Menschen« (K. Barth), der die Tore zum Paradies öffnet, das heißt die Gottesherrschaft heraufführt. 165 Lk 22,30; vgl. – wohl von Lukas abhängig – Mt 19,28. 166 Vgl. Lk 12,35–48; Mt 24,42–51; 25,1–13; s. u. S. 537. S. dazu auch Kümmel, Verheißung, 58–77, zu seiner Erwartung einer »Zwischenzeit« zwischen Tod und »Parusie«: 58–76 und besonders 69 ff. zu Mk 14,25; vgl. noch Lk 13,35 par.; 17,22; 18,7 f. Weiter s. u. S. 540 f. J. Jeremias zu Mk 9,31. 167 Kümmel, Verheißung. S. die Einleitung zur 2. Auflage, S. 3. 164 Gese,
§ 17 Profet oder Messias?
533
»Freude« und göttlicher »Herrlichkeit« und der Vorstellung vom eschatologischen
Mahl umschrieben (s. o. S. 414), aber keinen zukünftigen Termin genannt.168 »Der Tag des Menschensohns« kommt nach der Logientradition ganz überraschend und bringt Gericht und Erlösung.169 Ob und inwieweit sich Jesu »Naherwartung« unter dem Eindruck seines »Opfergangs« nach Jerusalem gewandelt hat, wissen wir nicht. Es läßt sich kein widerspruchsloses »systematisches Bild« seiner »Naherwartung« rekonstruieren. Eine völlige Aufhebung des Zeitraums bis zu der von ihm erwarteten »Offenbarung des Menschensohns« sollte man jedoch nicht annehmen, sonst hätten sich die Jünger, die ja die ständigen Hörer Jesu gewesen waren, nach Ostern anders verhalten. Es wäre aber ein Gewaltstreich, wollte man alle in diesen Zusammenhang gehörenden, für das moderne »aufgeklärte Verständnis« anstößigen »apokalyptischen« Jesuslogien einfach generell der »Gemeinde« zuschreiben. Die radikale Kritik wird hier apologetisch und damit unkritisch. Auch C. Colpe stellt im Anschluß an J. Jeremias die Frage nach dem Zusammenhang zwischen der Person Jesu und der zukünftigen Menschensohngestalt: »Der apokalyptische Menschensohn ist ein Symbol für Jesu Vollendungsgewißheit.«170
Das heißt, es bestehe ein enger, untrennbarer Zusammenhang zwischen Jesus und der zukünftigen Gestalt, jedoch sei eine einfache Identifikation mit Jesu gegenwärtigem Wirken nicht zulässig: »Würde hier eine Identifikation direkt und ausdrücklich ausgesprochen, so würde die
Dynamik in der Beziehung zwischen der gegenwärtigen und der zukünftigen Person aufgehoben und die Predigt ginge ihres prophetischen Charakters verlustig.«171
Der zukünftige Menschensohn bleibt nach Colpe in seiner Unterscheidung von Jesus wie seiner Verbindung mit ihm zunächst rätselhaft unbestimmt. Dieses Geheimnis löst sich erst durch das Endgeschehen selbst, das heißt für die Jünger mit den Erscheinungen des Gekreuzigten und Auferstandenen. Schon diese – vorläufige – Unbestimmtheit spricht dagegen, daß hier generell eine nachösterliche Eintragung in die Jesus-Verkündigung geschah. Die älteste Version von der künftigen Offenbarung des Menschensohns, bei der man noch kaum von einer christologischen Überformung durch die Gemeinde sprechen kann, liegt dabei in der Lukas-Fassung vor.172 Die Texte von seinem Kommen auf den Wolken des Himmels bei Markus sind bereits stärker von der urchristlichen 168 Mk
13,32; vgl. Lk 17,20 f.; Mt 24,36. 17,22–37 par.; s. dazu u. S. 537. 170 C. Colpe, ThWNT VIII, 443,23 f. 171 C. Colpe, ThWNT VIII, 442,30 ff. 172 Lk 17,24–30; vgl. Mt 24,27–39. S. dazu Hengel, KS III, 398–410. Die Frage ist dabei, wieweit Matthäus auch von Lukas abhängig ist. 169 Lk
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Hoffnung geprägt, und bei Matthäus läßt sich, vielleicht schon unter dem Einfluß der Bilderreden, eine weitere Fortentwicklung beobachten.173 Die eigentümlich-rätselhafte Weise, in der Jesus sich selbst als »der Mensch(en sohn)« bezeichnete bzw. von der zukünftigen Offenbarung des »Menschensohns« sprach, ist im Grunde ein Teil des wahren »Messiasgeheimnisses«, das sich nicht auf das Markusevangelium beschränkt und auch kein bloßes Konstrukt der nach österlichen Gemeinde darstellt, das einen »unmessianischen« Jesus kaschieren soll, sondern ein Phänomen, hinter dem das Persongeheimnis Jesu selbst steht, das auf das engste mit dem »Geheimnis der Gottesherrschaft«174 und ihrer in Jesu Handeln bereits wirksamen, aber nach außen bis zum »Anbruch in Macht« verborgenen Gegenwart verbunden ist.175 17.4.1.1 Die Worte vom gegenwärtigen Wirken des Menschensohnes Hier gebraucht Jesus den Begriff zur Umschreibung seines eigenen Wirkens, das heißt anstelle der 1. Person Singular. Die Logien, wo »Menschensohn« in dieser Weise verwendet wird, bringen die besondere Vollmacht oder aber die angefochtene Situation Jesu zum Ausdruck. Bei ihnen tritt das Persongeheimnis Jesu besonders hervor, und sie hängen im Grunde mit den Ich-Worten zusammen, in denen er seine »messianische Sendung« zur Sprache bringt: Der »Menschensohn« ist unter Umständen mit dem betonten »ich« dieser Worte austauschbar.176 Es handelt sich um sechs Logien, zwei aus Markus und vier aus der Logientradition von Lukas und Matthäus: einmal Mk 2,10,177 bei der Heilung des Gelähmten: »… damit ihr wisset, daß der Menschensohn Vollmacht hat, Sünden auf Erden zu vergeben«. Der zweite Text ist Mk 2,28:178 »Der Menschensohn ist 173 S. Theisohn o. S. 528 Anm. 144. In Mt 25,31 kommt der »Menschensohn in seiner d·xa und begleitet von allen Engeln«, setzt sich auf den »qr·no“ d·xh“ a§toú« und vollzieht durch Scheidung das Gericht. V. 34 nennt ihn basile‚“, seine basile‡a ist für die »Gesegneten des Vaters seit Grundlegung der Welt an bereitet«. Das heißt, er wirkt als Richter wie Gott der Vater selbst und in dessen Auftrag. 174 Mk 4,11, vgl. Lk 8,10 = Mt 13,11. 175 Markus gebraucht den Begriff mustflrion … tö” basile‡a” toú qeoú in 4,11 im Zusammenhang mit seiner Verstockungs‑ und Parabeltheorie. Die Sache ist jedoch mit dem Wirken Jesu überhaupt gegeben. Er mußte daher über die Gottesherrschaft vornehmlich in parabola‡ / mešālîm reden. S. dazu o. S. 404. Auffallend ist die wörtliche Übereinstimmung zwischen Lukas und Matthäus gegen Markus: gnùnai tÅ mustflria tö“ basile‡a“ (Plural). Bei diesem und anderen minor agreements ist Matthäus von Lukas beeinflußt. Das Wort mustflrion erscheint bei den Synoptikern nur an diesen von Markus abhängigen Stellen. 176 Vgl. etwa Mt 10,32 f. mit dem ursprünglicheren Lk 12,8 f.; Mk 10,45 mit Lk 22,27; Mt 5,11 und Lk 6,22. Über die ursprüngliche Form muß dabei im Einzelfall entschieden werden. 177 Gleichlautend in Lk 5,24 und Mt 9,6; vgl. auch Lk 7,46–50 die Sündenvergebung gegenüber der großen Sünderin. S. dazu o. S. 413 f. 178 Lk 6,5; Mt 12,8; vgl. auch Mk 3,1–6 parr.; Lk 13,10–16; 14,1–6; Joh 5,9 ff.; 9,13 ff.
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Herr über den Sabbat«. Hier wurde vermutet, daß ursprünglich das bar ’ änāšā’ den Menschen allgemein als »Herrn über den Sabbat« bedeutet hätte. Bei dem vorausgehenden Streitgespräch über das Ährenraufen am Sabbat, dessen Klimax unser Jesuswort bildet, geht es jedoch um die besondere – messianische – Vollmacht Jesu, der sich mit David vergleicht, der auf der Flucht vor Saul von den nur den Priestern vorbehaltenen heiligen Schaubroten aß und sie auch an seine Begleiter weitergab.179 Lk 9,58 = Mt 8,20: »Die Füchse haben Höhlen, und die Vögel unter dem Himmel haben Nester, aber der Menschensohn hat nicht, wo er sein Haupt hinlegen kann.« Jesus, der als Wanderlehrer und Verkündiger der Gottesherrschaft durch Galiläa und angrenzende Gebiete zieht, hat keinen festen, ihm selbst gehörenden Wohnsitz und muß von seinen Nachfolgern verlangen, daß sie die Unsicherheit seiner Existenz teilen. Diese Warnung gegenüber einem potentiellen Nachfolger bezieht sich auf die äußerlich gesehen unsichere Existenz Jesu und sollte nicht im »existentialistischen«, allzu modernen Sinne auf die »Unbehaustheit«180 des Menschen allgemein gedeutet werden, da sie damit ihren konkreten Sinn verliert. Lk 7,33 f. = Mt 11,18 f., aus der Täuferrede:181 »Denn Johannes kam, ißt und trinkt nicht, und es heißt, er hat einen Dämon. Der Menschensohn ißt und trinkt, und es heißt: Schaut her, der Fresser und Weinsäufer …«. Das Wort ist nur im Munde Jesu sinnvoll; wie Lk 9,58 par. zeigt es seine angefochtene Situation. In eine nachösterliche, von der Erhöhungschristologie geprägte Situation paßt dieses Wort, das trotz des großen Unterschieds den Täufer und Jesus verbindet, aber noch nicht auf ihren gewaltsamen Tod hinweist, nicht hinein. Es widerspricht damit der späteren christologischen Entwicklung, zumal hier Johannes und Jesus als Repräsentanten der göttlichen »Weisheit« erscheinen, die von ihren »Kindern«, das heißt ihren glaubenden Hörern, »gerechtfertigt« wird.182 Lk 11,29 f.: Die Antwort auf die Zeichenforderungen: »Dieses Geschlecht ist ein böses Geschlecht, es fordert ein Zeichen, und es wird ihm kein Zeichen gegeben, außer dem Zeichen des Jona. Denn gleichwie Jona für die Niniviten zum Zeichen wurde, so der Menschensohn für dieses Geschlecht.« Das Zeichen 179 Mk 2,23–28 parr. Matthäus erweitert in 12,5 f.: Der Priesterdienst erlaubt auch die Entweihung des Sabbats. S. o. S. 419. 180 So Ph. Vielhauer, Aufsätze zum Neuen Testament, ThB 31, München 1965, 123 ff. 181 S. o. S. 336 u. ö. 182 Lk 7,35; vgl. 10,21 par.; s. Hengel, Jesus, 87 ff.92.99.102. In diesem Zusammenhang wäre auf die enge Verbindung zwischen Weisheit und Menschensohn in den Bilderreden des Henochbuches hinzuweisen. S. dazu Gese, Theologie, 143: »dem Wesen der Weisheit entspricht ihr vornehmster Träger«. Hier liegt eine Wurzel der späteren Präexistenzchristologie, die noch ganz alttestamentlich-jüdische Züge besitzt. Eine Brücke zum davidischen Messias schlägt die Betonung der geistgewirkten, einzigartigen Weisheit des gottgesandten, gerechten Richters Jes 11,1–16, ein Text, der auch auf den Menschensohn der Bilderreden eingewirkt hat.
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des Jona war seine Predigt in Ninive, eben die hat Jesus mit dem Profeten gemeinsam. Gegenüber der Zeichenforderung verweist Jesus darum nicht wie in der Täuferanfrage auf die wirkungsvollen Krankenheilungen, sondern auf seine öffentliche Verkündigung. Das Schauen von Zeichen verändert das Herz eines Menschen nicht, der Mensch muß vielmehr wie die Niniviten auf Gottes Umkehrruf hören und ihm in glaubendem Gehorsam antworten.183 Lk 12,10 = Mt 12,32 hängt mit der Beelzebulverleumdung zusammen: »Jedem, der ein Wort sagt gegen den Menschensohn, dem wird vergeben werden, wer es aber gegen den heiligen Geist sagt, dem wird nicht vergeben werden.« Selbst die Verleumdung der Person Jesu wird vergeben werden; wer dagegen das Wirken Jesu im Geiste Gottes, etwa seine exorzistischen Krankenheilungen, als Taten des Dämonenfürsten Beelzebul deutet, der schließt sich vom Heil aus, weil er sich dem Kommen Gottes selbst entgegenstellt. Hinter diesem rätselhaften Sprachgebrauch, mit dem Jesus seine Vollmacht wie seine Anfechtung und Anfeindung umschreibt, steht letzten Endes sein Messiasgeheimnis. Die wahre Würde und Identität des bar ’ änāšā’ ist noch verborgen und wird erst in naher Zukunft offenbar werden. Es zeigt sich hier eine ähnliche Dialektik wie zwischen der von vielen verkannten Gegenwart der Gottesherrschaft im Wirken Jesu und ihrem künftigen Kommen »in Kraft«.184 17.4.1.2 Die Worte vom kommenden Menschensohn Diese größte und wichtigste Gruppe steht in eigenartigem Kontrast, ja in scheinbarem Widerspruch zu den Worten vom irdischen Menschensohn. Jesus kann von dieser Gestalt scheinbar wie von einer ganz anderen, dritten Person sprechen. Bultmann und seine Schüler, G. Bornkamm und auch Tödt und Hahn, glauben, Jesus habe damit eine von ihm unterschiedene apokalyptisch-mythologische, himmlische Gestalt gemeint. Vielhauer, Käsemann und Conzelmann sehen darin überhaupt eine Bildung der palästinischen Gemeinde. Jesus habe bar ’ änāšā’ weder für sich selbst noch für eine apokalyptische Himmelsgestalt verwendet. Heute besteht eher eine umgekehrte Tendenz, in den apokalyptischen Worten sekundäre Gemeindebildungen, dagegen in den Worten vom gegenwärtigen Menschensohn jesuanischen Sprachgebrauch zu sehen. Mogens Müller vermutet zum Beispiel in der Formel »Jesu Umschreibung für ›ich‹ … und zwar als Ausdruck von Ehrfurcht, Zurückhaltung und Demut«, aber diese Formel erlaube trotz Dan 7,13 und seiner Auslegung in der Septuaginta und in den Bilderreden des äthiopischen Henoch keine Rückschlüsse auf ein messianisches Bewußt183 Vgl. Lk 16,29 ff.; 11,28. Zum »Zeichen des Jona« als dessen Ankündigung der Zerstörung Jerusalems in VitProph 10,8 s. Schwemer, Prophetenlegenden II, 81 ff. und o. S. 99 Anm. 323, S. 463 Anm. 7 u. ö. 184 Mk 9,1; s. o. S. 405–411.
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sein, auch müßten »alle ›Menschensohn‹-Logien, die von Jesu Schicksal jenseits der Auferstehung sprechen«, als »Schöpfungen der Urgemeinde« verstanden werden.185 Gegenüber solchen Vermutungen hat C. Colpe Pionierarbeit geleistet und im Anschluß an seinen Lehrer Joachim Jeremias sieben Logien herausgearbeitet, in denen das Erscheinen des endzeitlichen Menschensohns angekündigt und seine Richterfunktion dargestellt wird.186 Sie können zumindest teilweise mit einiger Wahrscheinlichkeit auf Jesus zurückgeführt werden. 1. Lk 17,24187 = Mt 24,27 aus der beiden Evangelien gemeinsamen apokalyptischen Logientradition: »Wie der Blitz hervorzuckt vom Sonnenaufgang und leuchtet bis zum Sonnenuntergang, so wird es mit dem Menschensohn sein an jenem Tage.« Seine plötzliche Erscheinung mit dem jetzt allgemein sichtbaren Hereinbrechen der Gottesherrschaft macht ihn allen offenbar und gilt für alle Menschen. Sie bringt Gericht und Erlösung und steht im Widerspruch zu der zelotischen Erwartung eines in der Wüste verborgenen Messias, der dort seine Anhänger einst sammeln soll.188 Der Menschensohn erweist sich hier als universaler Bevollmächtigter Gottes. 2. Ergänzt wird dies durch Lk 17,26 ff. = Mt 24,37 ff.: »Und wie in den Tagen Noahs, so wird es mit dem Menschensohn sein: Sie aßen und tranken, sie heirateten und wurden geheiratet bis zu dem Tage, da Noah in die Arche ging, und die Flut kam und verschlang alle …«. Das heißt, der Menschensohn kommt – so wohl schon in der Täuferpredigt189 – unerwartet, plötzlich und als Richter aller Menschen. 3. Analog dazu betont die Markus-Apokalypse, Mk 13,26: »… dann werden sie den Menschensohn sehen in großer Macht und Herrlichkeit.« Das für alle sichtbare Kommen des Menschensohns bedeutet wie schon in Dan 7,13 f.27 Vollendung der Gottesherrschaft.190 Da diese mit der Übertragung der Herrschaft auf den Menschensohn bzw. »das Volk der Heiligen des Höchsten« identisch ist, wäre auch auf Lk 22,29 f. zu verweisen. Zwischen der Erwartung Jesu und der seiner Jüngergemeinde läßt sich hier nicht mehr streng scheiden. 4. Das Einzellogion Lk 18,8 (Sondergut) bezieht sein Kommen auf die durch den Täufer und Jesus ausgelöste messianische Bewegung: »Wenn der Menschensohn kommt, wird er dann Glaube finden auf Erden?« Das heißt von der Sämannsparabel her gedeutet: Wird die ausgesäte Saat Frucht bringen oder 185 M. Müller, Der Ausdruck ›Menschensohn‹ in den Evangelien, AThD 17, Leiden 1984, 259. Der Verfasser übersieht, daß in diesen Menschensohnworten gerade nicht von der Auferstehung die Rede ist. 186 C. Colpe, ThWNT VIII, 433 ff. 187 Vgl. Lk 17,26.30 = Mt 24,37.39; Lukas spricht noch von der ™mfira, Matthäus verchristlicht von der parous‡a des Menschensohns; vgl. Paulus 1 Thess 2,19; 3,13; 4,15; 5,23. 188 S. Hengel, KS III, 404 ff. und o. S. 93 Anm. 291. 189 S. o. S. 303. 190 Vgl. Mk 8,38 und 9,1 = Mt 16,27 f. und 24,30.
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zugrunde gehen? Ein verwandtes Wort, vom späteren Standpunkt des Evangelisten aus formuliert, ist Mt 24,12: »Weil die Gesetzlosigkeit überhandnimmt, wird die Liebe bei vielen erkalten.« 5. Mt 10,23 gehört in die Aussendungstradition: »Wenn sie euch verfolgen in dieser Stadt, fliehet in eine andere. Denn Amen, ich sage euch, ihr werdet mit den Städten Israels nicht zu Ende kommen, bis der Menschensohn kommt!« Gegen die heute beliebte Interpretation des Logions als Gemeindebildung spricht einmal, daß es sich nicht in die Situation der palästinischen Gemeinde einfügt, denn wir haben keinerlei Hinweis auf eine systematische Judenmission in Palästina von Ort zu Ort, die mit ständigen Verfolgungen verbunden war; weiter ist es unwahrscheinlich, daß ein urchristlicher Profetenspruch, der sich nicht erfüllte, dann sekundär in ein Jesuswort verwandelt und trotz seiner Nichterfüllung festgehalten wurde. Das Wort paßt dagegen in die Aussendung der Jünger durch Jesus und wurde in die Logienüberlieferung aufgenommen, weil von Anfang an seine Autorität dahinterstand.191 6. Lk 12,8 f.192 schlägt eine Brücke zwischen dem Wirken Jesu und dem kom menden Menschensohn als Richter: »Ich aber sage euch: Jeder, der mich bekennt vor den Menschen,
zu dem wird sich der Menschensohn bekennen vor den Engeln Gottes. Wer mich aber verleugnet vor den Menschen, der wird auch vor den Engeln Gottes verleugnet werden.«
Hier wird deutlich, wie das Verhalten gegen Jesus als Konsequenz eine entsprechende Reaktion des Menschensohns im Gericht nach sich zieht. Es nimmt im Grunde die Entscheidung des Richters vorweg.193 Das Logion ist eng verwandt mit der mehrfach zitierten Antwort an den Täufer (Lk 7,23 par.): »Selig ist, wer sich nicht ärgert an mir.«194 Jesus unterscheidet sich darin von allen Profeten, daß er nicht nur – wie schon der Täufer – mit dem Anspruch auftrat, die 191 Zur Deutung des Wortes s. M. Künzi, Das Naherwartungslogion Mt 10,23, BGBE 9, Tübingen 1970. S. vor allem seine Auslegung bei A. Schweitzer, für den das Wort besondere Bedeutung besaß. 192 Vgl. Mt 10,32. Es ist gegenüber Lukas deutlich sekundär und gemäß matthäischer Christologie verändert. Matthäus ersetzt ¨ u´Ö“ toú ünqr„pou durch die 1. Person und »vor den Engeln Gottes« durch »vor meinem Vater in den Himmeln«. In dem analog geformten Satz Lk 12,9 = Mt 10,33 ersetzt Matthäus das Passivum divinum üparnhqflsetai wieder durch die 1. Person. Der kommende Menschensohn als Richter wird mit Christus als himmlischem Messiaskönig identifiziert: Mt 25,31–46. Mk 8,38 hat ebenfalls sekundär erweitert und mit einem Hinweis auf die Parusie (vgl. Mk 13,26 f.) verbunden. Diese Markus-Version wird in Lk 9,26 f. als Dublette zu 12,8 f. ebenfalls aufgenommen, während die Parallele Mt 16,27 wieder die typisch matthäische Fassung des Gerichtsgedankens enthält. 193 Das »vor den Engeln Gottes« könnte auf die Szene Dan 7,10 mit den Myriaden von Engeln und dem himmlischen Gerichtshof hinweisen. 194 Die höchste Steigerung dieses »Verleugnens vor den Menschen« ist Jesu Verurteilung und Auslieferung an Pilatus. Auf sie gibt Mk 14,62 (s. u.) die Antwort.
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letzte Aufforderung zur Umkehr vor dem Kommen des Messias-Menschensohns zu bringen, sondern daß er das kommende Heil untrennbar mit der Haltung zu seiner Person und seinem Handeln verbindet. Botschaft und Person können bei ihm nicht mehr getrennt werden, die Entscheidung gegen sein Wirken und damit gegen ihn selbst nimmt die Entscheidung des kommenden Richters vorweg. 7. Damit stehen wir beim wichtigsten und umstrittensten Menschensohnwort, der Antwort Jesu auf die Messiasfrage im Verhör vor dem Synhedrium, Mk 14,62, und etwas abweichend Lk 22,69. Nach Markus antwortet Jesus auf die Frage des Hohenpriesters: »Bist du der Messias, der Sohn des Hochgelobten?« mit einer Zitatenkombination aus Ps 110,1 und Dan 7,13: »Ich bin’s (†g„ e¢mi), und ihr werdet den Menschensohn sehen sitzen zur Rechten der Kraft und kommen mit den Wolken des Himmels.« Das Ganze ist ein Gerichtswort, das sich gegen die Richter Jesu im Synhedrium wendet. Der Angeklagte weist die Kläger auf den kommenden Richter hin. Der zur Rechten Gottes Erhöhte und kommende Messias-Menschensohn wird über sie richten. In der lukanischen Fassung fragt nicht der Hohepriester, sondern das Synhedrium. Jesus antwortet: »Wenn ich es euch sage, glaubt ihr nicht, wenn ich aber euch frage, antwortet ihr nicht. Von jetzt an wird der Menschensohn sitzen zur Rechten der Kraft Gottes.« Vermutlich hat weder die Markus-Fassung mit ihrer Zitatenverbindung noch die Lukas-Version mit der typisch lukanischen Einleitung üpÖ toú nún, in der entsprechend lukanischer Theologie der Parusiebezug zurücktritt, die ursprüngliche Antwort Jesu erhalten.195 Es handelt sich aber auch nicht um eine freie »Gemeindebildung«. Wesentlich ist vielmehr das Gemeinsame der beiden: 1. daß beim Verhör Jesu, das mit der Auslieferung an Pilatus endete, die Messiasfrage die entscheidende Rolle spielte – darauf werden wir im Prozeß Jesu noch einzugehen haben – und 2. daß Jesus – im provozierenden Gegenangriff – vor dem Hohenpriester mit dem Hinweis auf den Menschensohn als Erhöhten und Richter antwortete. Seine Antwort genügt der jüdischen Behörde, um Jesus als messianischen Prätendenten an Pilatus auszuliefern. Das heißt, auch im Prozeß stellt Jesus – ähnlich wie in Lk 12,8 – eine klare Verbindung zwischen sich und dem Menschensohn her, ja, in ihr offenbart sich das Messiasgeheimnis endgültig und eindeutig.196 Sein Bekenntnis zu seinem von Gott gegebenen Auftrag bringt ihn ans Kreuz. 195 Die lukanische Fassung mag aus seiner Sonderquelle stammen, ist aber von Lukas überarbeitet. 196 S. dazu u. S. 597 f. und Hengel / Schwemer, Anspruch, 30 f.64.66.149 ff.174.207. Die Anklage der hochpriesterlichen Führer und Jesu Verhalten bestimmten auch deren Vorgehen gegen die Judenchristen bis zur Steinigung des Jakobus und anderer führender Jesusanhänger um 62 n. Chr. Die Behauptung ist irreführend, man habe über das Verhör Jesu nichts wissen können. Die Anklage gegen Jesus war auch in den späteren Anklagen gegen Judenchristen in Jerusalem aktenkundig und damit gegenwärtig. Siehe Bd. II.
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17.4.1.3 Die Worte vom leidenden Menschensohn197 Die Worte vom »leidenden Menschensohn« hängen mit denen vom »gegenwärtigen« zusammen. Auch hier geht es um den Menschen Jesus, und zwar um die Vorhersage seines zukünftigen Leidens. Dabei bilden sie die »heilsgeschichtliche« Brücke zwischen den Worten vom Gegenwärtigen und vom Kommenden. Freilich hat diese Gruppe von Menschensohnworten einen später sekundär ausgestalteten Charakter. Erstens fehlt sie in der Logientradition bzw. dem Sondergut von Matthäus und Lukas und findet sich nur bei Markus. Zweitens haben die sieben oder acht Stellen bei Markus einen deutlichen Bezug zum redaktionellen Aufbau des Evangeliums. Die erste Leidensweissagung erscheint Mk 8,31 als Antwort Jesu auf das Messiasbekenntnis des Petrus, weitere folgen 9,12; 9,31; 10,33 f. u. a. bis hin zum Abendmahl und zur Gethsemaneszene, Mk 14,21.41.198 Sie sollen die Passion als die Klimax des Evangeliums vorbereiten. Drittens malen die Weissagungen vom leidenden Menschensohn die Passion Jesu teilweise bis ins Detail hinein aus. Nicht nur seine Auslieferung (durch Gott) an die Synhedristen und dann an die Heiden, das heißt die Römer, seine Verspottung und Tötung (10,33 f.), sondern auch die Auferstehung »nach drei Tagen« wird vorausgesagt. Es handelt sich hier um vaticinia ex eventu, mit denen Markus auf die Passion Jesu als Ziel seines Evangeliums hinführt. Bei Matthäus weist Jesus sogar zweimal auf seine Kreuzigung hin (20,19; 26,2). Doch obwohl hier der sekundäre Einfluß eindeutig ist, fragt sich, ob hinter diesen Worten nicht eine ursprünglichere, einfachere Form steht. Das heißt, wir müssen zwischen den Leidensworten differenzieren. Hinweise auf Jesu Weg in die Passion finden sich ja in verschiedenen Traditionen der synoptischen Überlieferung,199 nicht nur bei Markus. Zumindest Worte wie Lk 7,34 (= Mt 11,19) und Lk 9,58 (= Mt 18,20)200 deuten schon auf die Anfechtung des »gegenwärtigen Menschensohnes« hin. Hier hat J. Jeremias auf eine Möglichkeit hingewiesen.201 Wenn man die Worte vom leidenden Menschensohn bei Markus durchsieht, stößt man auf Mk 9,31, wo jede Ausmalung fehlt: »Der Menschensohn wird in die Hände 197 Jeremias, Theologie, 263 ff.; Pesch, Mk II, 47 ff. zu Mk 8,31 ff.; Goppelt, Theologie I, 234 ff.; Ph. Vielhauer, Aufsätze zum Neuen Testament, ThB 31, München 1965, 55 ff.92 ff.; Gese, Theologie, 145–151; Bayer, Jesus; Pitre, Jesus, 381–454. 198 Vgl. noch Mk 9,12 f.; 12,6–9; 14,1.8.11: Die Hinweise auf das Leiden Jesu, die mit 2,20 und 3,6 beginnen, gliedern den Aufbau des ganzen Evangeliums. 199 S. etwa Lk 12,50; 13,33 f.; 22,28: die peirasmo‡ Jesu; vgl. auch Mk 3,6 und 10,38 f. parr. S. dazu o. S. 355. 200 Vgl. dazu Lk 9,51; 12,49 f.; 13,31–33; Mk 2,20; 3,6; 10,38 f.45. 201 Jeremias, Theologie, 267–272.
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von Menschen ausgeliefert werden, und sie werden ihn töten, und getötet wird er nach drei Tagen auferstehen.«202 Dieses Logion ist nicht von Markus selbst geformt, es läßt sich leicht als Wortspiel ins Aramäische übersetzen und enthält typische Stileigenschaften des jesuanischen māšāl. Die Urform könnte nach Jeremias gelautet haben: »mitmesar203 bar ’änaša lide bene ’änaša«, »Gott wird (bald) den Menschen (Singular) in die Hände von Menschen (Plural) ausliefern.« Ähnlich wie beim Wort von der Sünde wider den Geist,204 handelt es sich um einen Rätselspruch, der gleichzeitig verhüllt: Der Mensch wird – in der endzeitlichen Leidenszeit – in die Hände seiner Mitmenschen ausgeliefert werden. Das Passivum divinum parad‡dotai bei Markus könnte dabei auf das analoge aramäische itmesar des Targum von Jes 53,5b zurückverweisen, weil Jesus seinen Weg ins Leiden in Analogie zum Gottesknecht von Deuterojesaja verstanden hat.205 Auch Mk 10,45, das Lösegeldwort, wäre hier zu erwähnen: »Der Menschensohn ist nicht gekommen, daß er sich dienen lasse, sondern daß er diene und gebe sein Leben als Lösegeld für viele.« Es handelt sich um ein Niedrigkeitswort, das unseres Erachtens in die Abendmahlsüberlieferung gehört.206 Im Grunde ließen sich so die Worte vom leidenden Menschensohn auf eine Sonderform der Worte von der Gegenwart und Niedrigkeit des Menschensohnes zurückführen; sie wären dann im Grunde keine selbständige Gruppe.
202 Mk 9,31: ¨ u´Ö“ toú ünqr„pou parad‡dotai e¢“ ce‡ra“ ünqr„pwn, kaÑ üpoktenoúsin a§t·n, kaÑ üpoktanqeÑ“ metÅ treõ“ ™mfira“ ünastflsetai. S. dazu Jeremias, Theologie, 271. Gegen die naheliegende Vermutung, daß das »nach drei Tagen« ex eventu formuliert ist, spricht die ungewöhnliche Form. Lk 9,22; 18,33 und Mt 16,21; 17,23; 20,19 machen daraus sachlich zutreffender »am dritten Tag«; vgl. 1 Kor 15,4. »Drei Tage« bedeutet dagegen im semitischen Sprachbereich »in Kürze«, da es dort kein Äquivalent für »mehrere« oder »einige« gibt. Jeremias, loc. cit., verweist auf C. H. Dodd, nach dem Jesus nicht deutlich zwischen Auferstehung, Parusie, Vollendung oder Erneuerung des Tempels unterschieden habe, »sondern … alle diese Wendungen den in Kürze erfolgenden Triumph Gottes umschreiben« (Jeremias, Theologie, 271). S. auch Stuhlmacher, Theologie I, 119 f.127 ff. und jetzt Dunn, Jesus, 801; s. auch u. S. 630 f. 203 Jeremias, Theologie, 268. Das auffallende Präsens parad‡dotai ist nach Jeremias entsprechend den syrischen Evangelientexten durch ein Partizip Passiv im Sinne eines Passivum divinum zu übersetzen. 204 Lk 12,10 = Mt 12,32. 205 Zur vorchristlichen Auslegung von Jes 53 s. Hengel, KS II, 72–114; dazu auch Stuhlmacher, Theologie I, 120 f.126–129; ders., Jes 53 in den Evangelien und in der Apo stelgeschichte, in: Der leidende Gottesknecht, hg. v. B. Janowski und P. Stuhlmacher, FAT 14, Tübingen 1996, 93–105; zum TgJes 53 s. J. Ådna, Der Gottesknecht als triumphierender und leidender Messias, in: op. cit., 129–158. 206 S. o. S. 355 Anm. 66 und u. S. 586 Anm. 75.
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17.4.2 Der Sohn des Vaters207 Das antike Judentum kannte vom alttestamentlich-semitischen Sprachgebrauch her eine vielfältige Verwendung des Begriffs »Sohn« in der Beziehung auf Gott. Er wurde für die Engel, für die Israeliten als Kollektiv, aber auch für den einzelnen Frommen und Weisen verwendet. 2 Sam 7,14; Ps 2,7 und Ps 89,27 f. ermöglichen einen Bezug auf den messianischen König, der durch den messianischen Gebrauch dieser Texte in Qumran illustriert wird.208 Freilich wird die Bezeichnung »Sohn Gottes« für den Messias nur in Einzelfällen und nie in titularer Form verwendet. Ob Jesus den Titel »Sohn (Gottes)« als Selbstbezeichnung gebraucht hat, muß offenbleiben. In der frühesten synoptischen Überlieferung, bei Markus und der Logientradition, spielt er zwar eine beträchtliche Rolle – für Markus ist er der wichtigste Titel, der das Evangelium strukturiert –, aber er erscheint nicht im Munde Jesu, sondern Mk 1,11 für Jesus selbst in der Himmelsstimme bei der Taufe, ähnlich, jetzt an die Jünger gerichtet, 9,7 bei der Verklärung,209 Mk 3,11 und 5,7 im Munde von ausgetriebenen Dämonen, in 14,61 ist er ein erklärender Zusatz zum Messiastitel bei der Frage des Hohenpriesters, der dabei den Gottesnamen umschreibt, und in 15,39 bildet er das Bekenntnis des heidnischen Centurio.210 Darüber hinaus finden wir ihn in der Versuchungsgeschichte Lk 4 und Mt 4 und sekundär in der erweiterten, matthäischen Form des Petrusbekenntnisses.211 Daß er in den Jesusworten fehlt, spricht für das Alter und die Qualität der Logientradition. Etwas anders ist die Situation bei dem absoluten Gebrauch von ¨ u´·“, »der Sohn«. Wir finden ihn an einer entscheidenden Stelle in der Logientradition, dem Offenbarungswort Lk 10,22 = Mt 11,27: »Alles ist mir von meinem Vater übergeben,
und keiner kennt den Sohn, außer der Vater, auch kennt keiner den Vater, außer der Sohn, und wem es der Sohn offenbaren will.«
207 Hahn,
Christologische Hoheitstitel, 280 ff.; Jeremias, Theologie, 62 ff.; Goppelt, Theologie I, 210 ff.; E. Schweizer, Art. u´Ö“ qeoú, ThWNT VIII, 367 ff.380 ff.; C. Colpe, Art. Gottessohn, RAC 12, 1983, 19–58; Stuhlmacher, Theologie I, 184–190 und den Index 413 s. v. Sohn; Hengel, Sohn Gottes (engl. Übersetzung in: The Cross of the Son of God, London 1986); ders., Abba. 208 S. dazu Zimmermann, Texte, 153–170 und Index S. 540 s. v. »Sohn Gottes«. Zu Israel als Gottes Sohn vgl. o. S. 452. 209 Zur Himmelsstimme als Offenbarungsform s. P. Kuhn, Offenbarungsstimmen im antiken Judentum, TSAJ 20, Tübingen 1989. 210 Mk 14,61: sÜ eè ¨ cristÖ“ ¨ u´Ö“ toú e§loghtoú …; vgl. Mt 26,63 als Beschwörung wörtlich fast gleichlautend: … toú qeoú; Lk 22,67: e¢ sÜ eè ¨ crist·“, e¢pÖn ™mõn. 211 Mt 16,16, s. o. S. 522.
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J. Jeremias hat gezeigt, daß hinter diesem Vierzeiler sehr wohl ein altes Jesuswort stehen kann. Das »Übergeben« (paradid·nai = māsar / mesar) habe hier vom Kontext her noch nicht die Bedeutung der Übertragung der Herrschergewalt wie Mt 28,18, sondern den Sinn von »überliefern« und meint das Wissen der Offenbarung: Meine ganze Botschaft stammt vom Vater, er hat sie mir anvertraut, und darum kenne ich allein ihn wirklich. Die 2. und 3. Zeile gibt dann dem ¨ u´·“ nicht den Charakter eines Hoheitstitels, sondern weist in einem Vergleich auf das einzigartige Verhältnis von Vater und Sohn hin. Es könnte sich so um ein Bildwort handeln: »Alles ist mir von meinem Vater anvertraut,
und wie nur ein Vater seinen Sohn wirklich kennt, so kennt nur ein Sohn seinen Vater.«
Damit brächte aber dieses Bildwort das Gottesverhältnis Jesu, man darf wohl sagen, sein Sohnesbewußtsein, zusammen mit seinem Offenbarungsauftrag und das heißt seine messianische Vollmacht zum Ausdruck.212 Wir stoßen an dieser Stelle zugleich auf eine Wurzel der johanneischen Christologie in der Logientradition.213 In dem Kampfgleichnis von den bösen Weingärtnern, Mk 12,1–9, wo der vom Vater gesandte Sohn von den Pächtern getötet wird, als er den Ertragsanteil einziehen will, gehört der Sohn in die Bildseite des Gleichnisses hinein und ist nicht im strengen Sinne titular gebraucht.214 Freilich bringt auch hier schon das Bild indirekt Jesu Sendungsanspruch zum Ausdruck. Das rätselhafte Wort Mk 13,32: »über jenen Tag und die Stunde weiß keiner, auch die Engel im Himmel nicht, auch nicht der Sohn, sondern allein der Vater« könnte dagegen, aufgrund des ungewöhnlichen absoluten »der Sohn«, in der vorliegenden Form eine Bildung der griechischsprechenden Gemeinde sein, in der das Problem des Parusieverzugs angesprochen wird. Die Möglichkeit, daß es in einer älteren Gestalt auf Jesus selbst zurückgeht, ist jedoch nicht auszuschließen, da es einen anstößigen »Mangel« zum Ausdruck bringt, der schlecht zu der nachösterlichen Erhöhungschristologie und Machtübergabe215 paßt. Auch wenn Jesus so expressis verbis »Sohn Gottes« als Titel nicht für sich in Anspruch nahm, so erklärt doch sein singuläres Gottesverhältnis, die Gottesanrede »Abba«, die Unterscheidung zwischen »meinem Vater« und »eurem 212 Jeremias,
Theologie, 74–97. Hengel, Abba, 173.178. auch Dunn, Jesus, 718 f.724. 214 Zum Gleichnis s. Hengel, Gleichnis; K. Snodgrass, The Parable of the Wicked Tenants, WUNT 27, Tübingen 1983; Kloppenborg, Tenants. Zum zölo“-fq·no“-Motiv gegenüber dem »Sohn« und »Erben« und der Josefstradition s. A. Weihs, Jesus und das Schicksal der Propheten. Das Winzergleichnis (Mk 12,1–12) im Horizont des Markusevangeliums, BThSt 61, Neukirchen-Vluyn 2003. 215 Mt 28,18; 1 Kor 15,27 = Ps 8,7; Eph 1,20–22; Hebr 2,5–8. 213 So
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V. Jesu Vollmacht und messianischer Anspruch
Vater« sowie sein messianischer Auftrag, daß – als Komplementärbegriff zu »Menschensohn« – nach dem Auferstehungsgeschehen der Titel »Gottessohn« sehr rasch auf ihn übertragen wurde, ja, daß dieser bei Markus zum zentralen christologischen Titel für ihn wurde. Entscheidend ist sein Sohnesverhältnis gegenüber Gott als seinem Vater. Wir stoßen hier auf den eigentlichen Kern, das Herzstück des messianischen Offenbarungsanspruches Jesu, der unseres Erachtens mit dem Berufungserlebnis bei der Taufe zusammenhängt.216 Die einzelnen Titel, die sehr rasch auf ihn in der Urgemeinde übertragen wurden, haben interpretierende Bedeutung: Jesus ist der Sohn aufgrund seiner einzigartigen Verbindung zum Vater und der daraus nach Ostern erschlossenen göttlichen Würde; im Blick auf die Erfüllung der alttestamentlichen Verheißung an das Gottesvolk trägt er die Bezeichnung māšî ah, Gesalbter, als der von Gott gesalbte Erlöser; in seinem Verhältnis zur Welt ist er der kommende »Mensch(ensohn)« und nach Ostern für Gemeinde und Welt der »Herr«, mārēh / k‚rio“. Die Sohnschaft umschreibt sein »Wesen«, die anderen Titel eher seine »Funktionen«. Dies hat keiner besser begriffen als der vierte Evangelist, bei dem das absolute ¨ u´·“ zum häufigsten und zugleich zentralen Titel wird.217 Gerade die johanneische Christologie hat ihre letzte Wurzel in Jesu Sohnesbewußtsein.
17.4.3 Jesus, der »Messias Israels« Fassen wir das Ergebnis zusammen: 1. Nach der synoptischen Überlieferung, der sich auch Johannes im Grunde anschließt, wurde der Messiastitel von Jesus nur an wenigen – wohl eher sekundären – Stellen für sich selbst verwendet. Die von Dan 7,13 abhängige Chiffre »Menschensohn«, die er in bestimmten Situationen auf sich selbst bezog, umschreibt zwar seine messianische Sendung, hat jedoch zunächst eher verhüllenden Charakter. Darum kann sie Markus Jesus trotz des »Messiasgeheimnisses« von Anfang an in den Mund legen. 2. Daß Jesu Sendungsanspruch ein eschatologisch-messianischer ist, der den des Profeten grundsätzlich qualitativ überschreitet, weil er die endzeitliche »Erfüllung« bringt, wird aus den synoptischen Texten, auch abgesehen von der Titelfrage, deutlich. Dies ergibt sich schon aus der Frage nach Jesu Verhältnis zum Täufer und seiner Verkündigung der »sich realisierenden Gottesherrschaft«, aber auch aus seinen »Krafttaten«, die den Sieg über die Macht des Bösen und die 216 S. Hengel, Abba, 177–183. Bezeichnenderweise wird Gal 1,16 und Apg 9,20 die Bekehrung des Paulus mit dem Sohn-Gottes-Titel in Verbindung gesetzt. Auch er gehört in die Christologie der Urgemeinde: s. M. Hengel, Sohn Gottes. 217 Es erscheint insgesamt 17mal und entspricht dem noch häufigeren ¨ patflr mou. Insgesamt begegnet u´·“ bei Johannes 55mal und patflr 137mal, in der Regel auf Jesus und Gott bezogen.
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Wiederherstellung der guten Schöpfung Gottes zeichenhaft andeuten. Ebenso sind die Worte, in denen Jesus in der 1. Person auf seine Sendung hinweist, von dieser seiner besonderen Vollmacht her zu verstehen, und die Leidensgeschichte der Evangelien wird überhaupt nur unter der Voraussetzung von Jesu messianischem Anspruch verständlich. Dies gilt erst recht für die rasche Ausbildung der Christologie nach Ostern, die ja in ihren Grundzügen von den Jüngern geschaffen wurde, die ihn ständig begleitet und gehört hatten. 3. Der Messiastitel wurde auch von außen an Jesus herangetragen. Zuerst durch die Jünger, dann durch den weiteren Kreis der Anhänger, am Ende durch die Gegner. Jesus weist ihn jedoch nie zurück, ja, er hat die Jünger direkt herausgefordert, sich dazu zu äußern. Das Bekenntnis der Jünger und der frühesten Gemeinde zu Jesus als Gottes »Gesalbtem« beruht daher auf keinem Irrtum. Vielmehr ist es sein ihm vom Vater gegebener messianischer Sendungsauftrag und sein Sendungsanspruch, der ihn in den Tod führt. Er hat denselben gegenüber den Jüngern in einer für diese neuen und anstößigen Weise interpretiert, indem er auf sein von ihm erwartetes gewaltsames Schicksal in Jerusalem hinwies. Den Widerspruch des Petrus verbat er sich in äußerster Schärfe. Er geht im Auftrag seines Vaters den Weg des Gottesknechtes.218 In der Überlieferung war dieser Vorgang mit einem Aufenthalt außerhalb Galiläas »in den Dörfern von Caesarea Philippi« verbunden, vermutlich weil sich Jesus den Nachstellungen des Herodes Antipas entziehen wollte. Die Entscheidung mußte in Jerusalem fallen. Markus erzählt diesen Vorgang – wie auch sonst in seinem Evangelium – in so knapper und theologisch stilisierter Weise, daß alle psychologisierenden Fragestellungen in die Irre führen. Wir sollen weder Jesus‑ noch Gemeinde‑ (hier wäre die Frage: welche Gemeinde?) noch sublime Markus-Psychologie betreiben. Wrede wollte, sosehr er sich gegen eine psychologisierende Jesusdeutung wehrte, weder auf das eine noch auf das andere verzichten. 4. Jesus selbst konnte gar nicht mit dem offenen Ausspruch »Ich bin der Gesalbte« auftreten, denn die hebräische qatil-Bildung māšî ah / m ešîhā’ wie auch das griechische Verbaladjektiv crist·“ hatten passivische Bedeutung:219 Der cristÖ“ qeoú ist der von Gott Gesalbte. Man konnte sich, auch wenn man sich in diese eschatologische Funktion berufen wußte, nicht selbst als »Gesalbter« offenbaren und proklamieren. Der Anspruch: †g„ e¢mi ¨ crist·“ findet sich nur bei falschen Messiassen in der Zeit der letzten Prüfung.220 Diese Offenbarung des »Messias« mußte vielmehr durch Gott geschehen. In diesem Sinne spricht Jesus in der eschatologischen Rede in verhüllender Weise von der »Offenbarung 218 Mk
8,31–33; vgl. Mk 10,38 f.45; 14,24.27.36; Lk 12,50; 22,19 f.27 f. dazu K. Seybold, ThWAT V, 1986, 52 f. Es geht um die »Vorstellung einer göttlich initiierten Salbung«. Vgl. F. Hesse, ThWNT IX, 1973, 487,24: »Jahwe erscheint als Vollzieher der Salbungshandlung bei der Hochzeit des ungenannten Königs Ps 45,8.« 220 Mt 24,5, vgl. Mk 13,6; Lk 21,8; Mk 13,21 parr. S. dazu Pitre, Jesus, 226 f.327. 219 S.
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V. Jesu Vollmacht und messianischer Anspruch
des Menschensohnes«221, er verkündigt »die sich realisierende« Gottesherrschaft als Messias designatus. Erst mit dem Anbruch derselben »in Kraft« wird er als Gottes Gesalbter allen offenbar. Wahrscheinlich hat A. Schweitzer darin Recht, daß er die Hoffnung auf diesen Anbruch gegen Ende seiner Wirksamkeit mit seinem Weg in den Tod verbunden hat. Jesu eigene messianische Vollendungserwartung ist hier mit der durch das Osterwunder ausgelösten Hoffnung der Gemeinde verschmolzen. Dies könnte erklären, daß die Jünger in seiner Auferstehung zugleich den Anfang der allgemeinen Auferstehung sahen (s. u. S. 571 Anm. 7). 5. Darüber hinaus konnte Jesus seinen messianischen Sendungsanspruch nicht öffentlich unter Inanspruchnahme des Messiastitels vertreten, weil dies sofort zu schwersten politischen Konsequenzen geführt hätte. Wir stoßen hier auf ein mögliches Motiv für das Schweigegebot an die Jünger. Es hätte, das zeigen das Schicksal des Vorläufers wie der Prozeß in Jerusalem, damit seinem Wirken unter Umständen schon in Galiläa ein Ende gesetzt. Wir haben ja in der Zeit zwischen dem Tode des Herodes und dem Bar Kochba-Aufstand, das heißt zwischen 4 v. Chr. und 132–136 n. Chr., eine Vielzahl222 von »messianischen Prätendenten« sehr verschiedener Art, teils mit mehr politisch-königlichem, teils mehr profetischem Charakter, nicht nur jüdische, sondern auch samaritanische. Leider wissen wir über ihre Lehren und Anschauungen fast nichts. Durchweg gerieten sie jedoch ganz rasch in Konflikt mit den eigenen religiösen Autoritäten, mehr noch aber den römischen, und wurden gewaltsam beseitigt.223 Der Titel »Gesalbter« im eschatologischen Sinne war im jüdischen Palästina immer auch ein Reizwort, das politisch (miß‑)verstanden werden konnte. Wer es öffentlich in Anspruch nahm, mußte mit dem staatlichen Eingreifen rechnen. Im Prozeß Jesu führte die Anklage der Hohenpriester vor Pilatus zu seiner Kreuzigung als politischer Verbrecher. Eigenartig ist freilich, daß die Judenchristen im Mutterland nach unseren Quellen von den römischen Behörden damals nicht mehr verfolgt wurden. Wahrscheinlich wußten diese von Anfang an von dem »pazifistischen« Charakter dieser eschatologischen Bewegung, der sie von anderen grundsätzlich unterschied. 6. Wenn Jesus durch seinen messianischen Sendungsanspruch in die Nähe von solchen jüdischen oder samaritanischen Messiasprätendenten gerückt wird, so erscheint das für moderne religiöse und ethische Vorstellungen eher als anstößig. Die Leugnung seines messianischen Anspruchs kann daher heute – in Umkehrung früherer Situationen – durchaus als eine Form moderner, sich »kritisch« gebender Apologetik im Interesse Jesu verstanden werden. Ein un221 Lk
17,30, vgl. V. 23 f. (Q). Vgl. auch auf andere Weise Justin, dial. 8,4. dazu Hengel, Zeloten, 296–307; ders., KS I, 314 ff.344 ff.358 ff.382 ff. 223 S. o. S. 98–101; vgl. Mk 13,6.21 parr.; Hengel Zeloten, 296–307. 222 S.
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messianischer ethischer Weisheitslehrer oder »letzter Rufer« für Gottes Reich wirkt sympathischer, zeitloser und darum erbaulicher als ein ungestümer, von Gottes Geist ergriffener Messias designatus im unruhigen jüdischen Palästina um die Zeitenwende. 7. Nun kennen wir diese jüdischen eschatologischen Charismatiker und Messiasprätendenten nur aus der polemischen Sicht ihrer Gegner, etwa Josephus und in geringem Maße auch durch christliche Autoren. Wir wissen praktisch nichts über ihre Lehren und ihre Lebensweise. Wenn wir über Jesus nur die Zeugnisse jüdischer und heidnischer Polemik besäßen, würden wir kein günstigeres Bild von ihm erhalten. Lukas ist nicht davor zurückgeschreckt, ihn durch das jüdische Schulhaupt Gamaliel I. mit den endzeitlichen Profeten Theudas und Judas dem Galiläer, dem gefährlichsten Aufrührer seiner Zeit, vergleichen zu lassen,224 und sein Sendbote Paulus wird von dem Tribun der Antoniaburg mit dem aufrührerischen ägyptischen Profeten in Verbindung gebracht. Alle diese Unruhestifter sind kläglich gescheitert. Lukas ist hier erstaunlich gut informiert.225 Diese Vergleiche zeigen, wie das Urchristentum damals von Gegnern und fremden Beobachtern eingeschätzt werden konnte. Historisch gewiß zu Unrecht: Der »zelotische« Jesus, der seit Reimarus immer wieder durch die Forschung geistert, ist ein Irrweg. Wir sollten jedoch nicht übersehen, daß ihn seine Gegner bis hin zu dem jüdischen Gewährsmann des Celsus auf diese Weise als kriminellen Aufrührer und Volksverführer (miß‑)deuten konnten. Die Evangelien, besonders Lukas und Johannes, haben sich mit dieser Fehldeutung auseinandergesetzt,226 auch Röm 13,1–8 und gewisse Passagen der Apostelgeschichte sind unter anderem auf diesem Hintergrund zu verstehen. Selbst in der urchristlichen Apokalyptik sind später Züge des jüdischen kriegerischen Messiasbildes aufgetaucht und haben vor allem im Chiliasmus der westlichen Kirche lange nachgewirkt.227 Soviel scheint klar zu sein: Die jüdische Geschichte jener Zeit und der Verlauf des Prozesses Jesu zeigen, daß die öffentliche Berufung auf den eigenen Messiasanspruch unter Verwendung des Titels auch aus politischen Gründen unmöglich war. Es wird von daher verständlich, daß Jesus seinen Jüngern die Verbreitung seiner Messianität bis zur »Offenbarung 224 Apg 5,36 f. Die zeitliche Voranstellung des Theudas ist ein Anachronismus; vgl. noch 21,38; 24,5; Lk 23,2; Joh 10,8; 19,12; Mk 13,22 parr. 225 Apg 5,36 f.; 21,38; vgl. Lk 20,20b; 23,2–4; Apg 17,7; Joh 11,48; 19,12; zum Ägypter s. Hengel, Zeloten, 236–238. Zur späteren jüdischen Polemik s. auch P. Schäfer, Jesus in the Talmud, Princeton 2007. 226 Mk 12,13–17 parr.; Lk 23,2; Joh 18,33–38. 227 Apk 19 f.; vgl. Hengel, KS I, 232 ff. Diese Linie geht von Papias, Justin und Irenäus über Hippolyt bis hin zu Victorinus von Pettau und Laktanz. Der Osten hat seit Clemens Alexandrinus, Origenes, Dionysios von Alexandrien und Euseb unter platonisierendem Einfluß diese chiliastischen Züge verworfen und der Johannesapokalypse die volle kanonische Anerkennung verweigert.
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V. Jesu Vollmacht und messianischer Anspruch
des Menschensohns« untersagen mußte. Das komplexe »Messiasgeheimnis« hat also sehr verschiedene Aspekte, geht letztlich auf Jesus selbst zurück und wurzelt im Geheimnis seiner Person und ihrer Sendung. 8. Da die Gestalt des »eschatologischen Erlösers« im zeitgenössischen Judentum allein schon durch ihre Verschiedenheit, die unter anderem durch die Pluralität der profetischen Weissagungen bedingt war, vielfältige Erscheinungsformen besitzen konnte, sollte man sich nicht gegenüber dem messianischen Sendungsanspruch Jesu auf eine zeitgenössische »jüdische Messiasdogmatik« berufen, die Jesu Verhalten und Verkündigung widerspreche, weil es eine solche eindeutige »Messiasdogmatik« in der damaligen Mannigfaltigkeit der Möglichkeiten gar nicht gab. Es ist allein Jesu eigenes Wirken in Wort und Tat, das bestimmt, was er unter dem »messianischen Befreier« (Jes 61,1 f.) verstand. Er tut dies durch seine Predigt vom Reich, seine Heilungen und sein vollmächtiges Handeln an Gottes Stelle so eindrücklich, daß die Jünger seine Sendung als eine »messianische« erkannten und auch seine galiläische Anhängerschar von ihm die »messianische Befreiung« erhoffte.228 Das von anderer Seite dagegen erhobene Argument, daß Jesu Gottesgewißheit und gottgleiche Vollmacht die messianischen Aussagen des Alten Testamentes weit übertreffe und daß darum der Messiastitel für ihn nicht zulässig sei, liest vorschnell die spätere christologische Entwicklung in die Geschichte Jesu ein. Wir dürfen dieselbe jedoch nicht mit der Hochtheologie der späteren Christushymnen, des Johannesevangeliums229 oder gar des altkirchlichen Dogmas messen. Indem Jesus mit dem Anspruch auftrat, der messianische Vollender zu sein, legte er durch sein Wirken für die Nachfolger wie für die Urgemeinde die alttestamentlichen Verheißungen in neuer, ihr bisheriges Verständnis überbietender Weise aus. Die frühe Kirche ist von Anfang an diesen Weg konsequent weitergegangen.
228 Lk
24,21; Apg 1,6; vgl. Joh 6,14 f.; Mk 11,9 f. parr. verwendet trotz seiner einzigartigen Betonung der Göttlichkeit Jesu bewußt nur dieselben Bezeichnungen für Jesus wie die anderen Evangelien, auch erscheint Crist·“ als Titel und als Name am häufigsten bei ihm (Johannes 19mal, Matthäus 17mal, Lukas 12mal, Markus 7mal). Die Ansicht, daß der Messiastitel im Gegensatz zur göttlichen Würde des Mensch gewordenen Gottessohns stehe und man Jesus darum keinen messianischen Anspruch zuschreiben dürfte, trägt ein dogmatisches Vorurteil in die Texte ein. Alle vier Evangelien, vor allem aber Johannes selbst, sprechen dagegen. 229 Johannes
VI. Die Passion Jesu
§ 18 Die letzten Auseinandersetzungen in Jerusalem 18.1 Der Einzug Bei allen Evangelisten wird der Einzug Jesu in Jerusalem in »messianischen Farben« gemalt. Dies gilt schon für den frühesten Bericht bei Markus, von dem alle anderen abhängig sind. Das Messiasmotiv begegnet bereits in der vorbereitenden Geschichte von der Heilung des blinden Bettlers Bartimaios in Jericho. Hier hat Markus das Messiasgeheimnis im Grunde schon aufgehoben, denn der Blinde ruft Jesus, als er mit seinen Jüngern und vielen Begleitern den Ort verläßt, wiederholt an: »Sohn Davids, Jesus, erbarme dich meiner.« »Sohn Davids« ist in diesem Zusammenhang eine Umschreibung von »Messias«. Der Geheilte schließt sich Jesus auf dem Weg nach Jerusalem an. Die ganze Szene hat für Markus grundsätzliche Bedeutung, der Blinde verkörpert für den Evangelisten das wahre Israel, das durch den »Davidssohn« Jesus von seiner Blindheit geheilt wird, ihn als Messias bekennt und ihm auf dem Weg in die Passion nachfolgt. Die ungewöhnliche Form der Erzählung, die bei Markus einzigartige Anrede Jesu mit rabbûnî und der aramäisch-griechische Name weisen jedoch auf einen historischen Vorgang zurück. Lukas schafft dadurch, daß er die Heilung des Blinden vor Jericho mit der Bekehrung des Obersteuerpächters Zachäus Schmidt, Rahmen, 274 ff.; Pesch, Mk II (zu Mk 11 und 12); Brown, Death; Theissen / Merz, Jesus, 388–414; Ådna, Tempel; Dunn, Jesus, 765–824. Mk 11,1–10 = Lk 19,28–40 = Mt 21,1–9; vgl. Joh 12,12–19, der die Kenntnis von Markus voraussetzt (V. 14). Auffallend ist Lk 19,37, der Lobpreis Gottes durch »die Menge der Jünger« perÑ pasùn ón eèdon dun›mewn, und Joh 12,17 das Zeugnis der Menge von der Auferstehung des Lazarus. Mk 10,46–52 (47 f.); s. dazu o. S. 480 Anm. 90. Lk 18,35–43 und Mt 20,29–34 vereinfachen und lassen den auffallenden Namen »Bartimaios« weg. Lukas versetzt den Blinden vor Jericho, damit er Raum für die Zachäuserzählung in Jericho erhält. Matthäus spricht von zwei Blinden, verdoppelt die Heilungsgeschichte (s. 9,27–31) und fügt, so die Mehrzahl der Textzeugen, ein k‚rie (20,30) hinzu. Zum »Davidssohn« s. o. S. 291–294. Zum Namen s. Ilan, Lexicon, 18.308; zur theologischen Deutung der Erzählung s. H.-J. Eckstein, Markus 10,46–52 als Schlüsseltext des Markusevangeliums, ZNW 87 (1996), 30– 50. Das zweite Evangelium hat freilich nicht wenige derartige Schlüsseltexte. Zu rabbûnî, das nur noch Joh 20,16 im Munde von Maria Magdalena erscheint und als Verstärkung von rabbî verstanden werden kann, s. Bauer / Aland, WB, 1467 und o. S. 359.379 f. In rabbinischen Gebeten kann ribbôn / rabbôn als Gottesbezeichnung verwendet werden.
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VI. Die Passion Jesu
verbindet, einen wirksamen Kontrast: Jesus heilt den Ärmsten der Armen und verändert das Leben des reichsten Mannes im Ort grundlegend. Das heißt, der Sohn Davids wirkt Heil für alle »Kinder Abrahams«, denn »der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und zu retten, was verloren ist«. Die Einzugserzählung selbst ist geprägt durch das Profetenwort Sach 9,9, das den Einzug des messianischen Friedenskönigs schildert, und wird als dessen Erfüllung verstanden: »Juble laut, Tochter Zion, jauchze, Tochter Jerusalem!
Siehe, dein König kommt zu dir, gerecht und siegreich. Demütig ist er und reitet auf einem Esel, auf dem Füllen einer Eselin.«
Der folgende Vers sollte bei dem Zitat mitgedacht werden: »Er schafft die Streitwagen fort aus Ephraim
und die Streitrosse aus Jerusalem, es wird abgeschafft der Kampfbogen. Er gebietet Frieden den Völkern …«
Der messianische König bringt nicht nur Israel, sondern der Welt den Frieden. Zitiert wird Sach 9,9 freilich erst in den späteren Texten bei Matthäus und Johannes, Markus und Lukas setzen es jedoch voraus. Bei Lukas und Johannes wird Jesus darüber hinaus von der Menge auch direkt als basile‚“ angesprochen. Matthäus läßt dagegen Jesus durch die Begleiter als Sohn Davids akklamieren. Markus hält sich bei diesen messianischen Akklamationen – historisch zutreffend – zurück. Nach der rätselhaften Beschaffung des Eselfüllens als Reittier10 »breiteten viele ihre Gewänder auf dem Weg aus,11 andere schnitten Zweige ab, und die, die vorangingen und nachfolgten, riefen ›Hosanna! Gepriesen sei, der Lk 18,35–19,10; vgl. 18,38 f.; 19,9 f. 19,10 ersetzt die Aussage von Mk 10,45. S. auch o. S. 453 f. Mk 11,1–10; Lk 9,28–40; Joh 12,12–19. Übersetzung von Sach 9,9 f. nach der Jerusalemer Bibel. S. auch u. S. 560 Anm. 60. Mt 21,4 f., eingeleitet als »Erfüllungszitat«, und Joh 12,15. Lk 19,38 und Joh 12,13 im Zusammenhang mit Ps 118,25 f. Bei Johannes spielt das Motiv des Königtums Jesu in der Passionsgeschichte die größte Rolle. Bei ihm ziehen auch die Festpilger und Bewohner der Stadt Jesus wie einem König entgegen (12,12 f.18). S. dazu die »Einholung« (üp›nthsi“) Davids 2 Sam 19,12–16 nach seiner Rückkehr nach dem Sieg über Absalom und 1 Thess 4,17 die »Einholung« des Kyrios bei der Parusie. Vgl. Brunson, Ps 118 (S. 331 Anm. 65), 187–196. Mt 21,9: ÆsannÅ tù‘/ u´ù Dau‡d und Ps 118,25 f. S. dazu Hengel, Abba, 164 ff. 10 Markus erzählt sie auf eigenartig verkürzte Weise; s. auch 14,12–16 die Vorbereitung des Passamahles: In beiden Fällen erhalten Anweisungen Jesu den Charakter eines »wunderbaren Vorherwissens Jesu«, Pesch, Mk II, 179; und 181: »in die messianisch stilisierte Erzählung fließen konkrete Züge ein, die historische Vorgaben zu spiegeln scheinen«. 11 S. dazu Pesch, Mk II, 182: »Der Zug … erscheint … aus der Erinnerung vorgegeben: er spiegelt den Enthusiasmus der Begleiter Jesu.«
§ 18 Die letzten Auseinandersetzungen in Jerusalem
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da kommt im Namen des Herrn‹«, einen Empfangsruf aus dem – messianisch gedeuteten – letzten Hallelpsalm,12 und fügten hinzu: »Gepriesen sei die kommende Herrschaft unseres Vaters David, Hosanna in der Höhe.«13 Nach Markus wird Jesus von seinen Jüngern und den ihn begleitenden Festpilgern noch nicht direkt als messianischer König akklamiert, diese preisen vielmehr die in Bälde erwartete Königsherrschaft Davids, das heißt das messianische Friedensreich, dessen Errichtung von Jesus erwartet wird. Sach 9,9 steht jedoch schon bei ihm deutlich im Hintergrund.14 Man kann diese eindrückliche Erzählung nicht einfach als sekundäre christo logische Konstruktion abtun – in die Vorstellungen der späteren Christologie mit ihren machtvollen Parusieschilderungen15 fügt sie sich gerade nicht ein; noch weniger läßt sie sich insgesamt aus alttestamentlichen Texten ableiten,16 ihr anschaulicher Bericht, der eine gewisse Ortskenntnis voraussetzt,17 spiegelt noch konkrete Erinnerung wieder. Im Gegensatz zu Johannes, der von einer Einholung Jesu durch die Jerusalemer und die dort versammelten Festpilger erzählt, und zu Matthäus, der davon spricht, daß »die ganze Stadt erschüttert wurde«18, berichtet Markus nur vom Verhalten der Jünger und der begleitenden – vermutlich überwiegend galiläischen – Festpilger.19 Wenn R. Bultmann den zweiten Teil der Erzählung Mk 11,7–10 »als legendarisch oder mindestens stark von der Legende beeinflußt« bezeichnet und dies damit begründet, daß »an dem messianischen Charakter des Reittiers … doch kein Zweifel sein«20 könne, so wird man das erstere bezweifeln, dem Nachsatz aber gerne zustimmen können. Seine Begründung der Ungeschichtlichkeit, daß »die Voraussetzungen, die man 12 Ps
118,25 f.; s. auch u. S. 583 Anm. 60 zu Mk 14,26. 11,9 f. Zu dem †n toõ“ ≠y‡stoi“ s. auch Ps 148,1 LXX; Lk 2,14; 19,38. 14 S. dazu das Nathansorakel 2 Sam 7,12–16; Lk 24,21; Apg 1,6. 15 Vgl. Mk 13,26 f. parr.; 8,38 parr.; Mt 25,31 f.; 1 Thess 4,15 ff.; Apk 19,11 ff. 16 Vgl. etwa Gen 49,11; 1 Kön 1,33.40; 2 Kön 9,13; Sach 14,4 oder den Kontext zu 2 Sam 15,30 f. 17 Die Voranstellung von Bethphage vor Bethanien Mk 11,1 sollte man nicht dagegen ausspielen. Wir wissen nicht, ob die damalige Straße über Bethanien führte. Markus nennt den letzten Ort östlich von Jerusalem wohl nur, weil er für ihn als Aufenthaltsort Jesu bedeutsam war, vgl. 11,1 f.11 f.; 14,3. Dagegen führte der Weg Jesu nahe an Bethphage vorbei. S. dazu o. S. 357 Anm. 77. 18 Mt 21,10: Auf die Frage der Jerusalemer »wer ist dieser?« antworten die µcloi: »der Profet Jesus aus Nazareth in Galiläa«. Profet und Messias sind auch für Matthäus nicht streng geschieden; s. o. S. 468. 19 Mk 11,1; maqhta‡, 11,8: pollo‡ / ±lloi, Lk 19,37: πpan tÖ plöqo“ tùn maqhtùn, erst Mt 21,8 f. führt das Stichwort µclo“ / µcloi ein. Markus spricht nur in der Bartimaios-Perikope 10,46 von »seinen Jüngern und einer beträchtlichen Menge« als Begleitern. Matthäus setzt voraus, daß Jesus in Jerusalem ein noch Unbekannter war. Offenbar glaubt er, die markinische Chronologie sei historisch zutreffend. Nach Joh 12,18 ist dagegen Jesus in Jerusalem wohlbekannt, darum zieht ihm die Bevölkerung entgegen. 20 GST, 281; s. dazu auch Hengel / Schwemer, Anspruch, 60 f.; 181 Anm. 80; 219 ff. 13 Mk
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VI. Die Passion Jesu
machen müßte, um den Bericht als geschichtlich anzusehen – daß Jesus die Erfüllung von Sach 9,9 inszenieren wollte und daß die Menge den Esel sogleich als messianisches Reittier erkannte –, … absurd (seien)«, ist von allzu aufgeklärter Jesuspsychologie und seinem »Dogma« eines unmessianischen Jesus bestimmt. Wie können wir Menschen des 20. Jahrhunderts von unseren Voraussetzungen aus über das Wollen und Handeln des Galiläers und seiner Anhänger urteilen? Warum soll die Menge der überwiegend galiläischen Festpilger, die ein Wort wie Sach 9,9 nur zu gut kannte, in Jesus nicht den messianischen Erfüller gesehen und ihm mit Ps 118,25 f. und anderen provozierenden Rufen akklamiert haben, weil sie wirklich erwarteten, »er werde Israel erlösen und Frieden bringen«21, und warum sollte nicht Jesus selbst im Blick auf den Tempel und die Heilige Stadt, die in ihrem ganzen Glanz vor ihm lag,22 eine – messianische – Gleichnishandlung vollzogen haben, wie zuvor mit der Einsetzung der Zwölf, wenig später bei der Tempelreinigung und dann beim Abendmahl? Es ist sehr wohl möglich, ja wahrscheinlich, daß Jesus schon früher, begleitet von Jüngern, – wie jeder fromme Jude – große Feste in Jerusalem aufgesucht hat. Nach Johannes soll er ja bereits zum Laubhüttenfest im Oktober des Vorjahres und zum Passafest zwei Jahre zuvor nach Jerusalem gezogen sein.23 Ob freilich die Auseinandersetzung mit seinen Gegnern schon ein halbes Jahr vor dem Todespassa bei diesem Laubhüttenfest in Jerusalem begann, sich bis zum Chanukkafest im Dezember hinzog24 und dabei schon die Messiasfrage (bzw. seine Gottessohnschaft) im Mittelpunkt stand, wie Johannes berichtet,25 weiter ob Jesus deswegen mehrfach verhaftet werden sollte26 und er sich daher ins Ostjordanland zurückzog,27 muß fraglich bleiben. Selbst Lukas weiß im Gegensatz zu Markus / Matthäus28 von engeren Kontakten Jesu mit Judäa, übernimmt aber doch den Erzählfaden des Markus.29 Auf der anderen Seite scheint der markinische Bericht, von dem Lukas und Matthäus abhängen, zu geradlinig zu verlaufen. Die Vorgeschichte des letzten Kampfes in Jerusalem war komplizierter, denn Jesus war von früheren Reisen her dort kein völlig Unbekannter mehr. Doch die Tendenz des vierten Evangelisten, seine Hochchristologie mit historischen Daten zu verschmelzen, hat zur Folge, daß zwischen beidem nicht 21 Lk
24,19.21; vgl. Apg 1,6. 13,1; Lk 21,5 f. 23 Joh 2,13–22; 7,2 ff.; vgl. dagegen 6,4 und o. S. 344. 24 Joh 10,22. 25 Joh 7,26–31.40 ff.; 9,22; 10,24; 11,27. 26 Joh 7,32.44–49; 10,39; 11,57. 27 Joh 10,40 ff.; danach kommt er zur Auferweckung des Lazarus nach Bethanien zurück, um sich dann wegen seiner Bedrohung nach einem nicht identifizierbaren »Efraim nahe der Wüste« zurückzuziehen: 11,54. 28 Mt 21,10 – trotz 4,25. 29 Lk 4,44; 5,17; 6,17; 7,17; 23,5. 22 Mk
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mehr differenziert werden kann. Daher lassen sich aus Johannes nur im Ausnahmefall plausible geschichtliche Erkenntnisse über Jesu Wirken gewinnen.30 Sicher scheint uns zu sein, daß Jesus bei seinem letzten Zug in die Heilige Stadt zum Todespassa selbst auf eine Entscheidung hindrängte, ja den Gang der Dinge provozierte, und daß dabei die Messiasfrage und am Ende das Opfer seines Lebens im Mittelpunkt standen. Dadurch erhält der Bericht über den Einzug in Jerusalem sein besonderes Gewicht. Markus berichtet als erster darüber; dahinter wird, wie auch sonst oft bei ihm, petrinische Tradition stehen.
18.2 Zur Chronologie der letzten Tage In Mk 11,1–14,52, das heißt zwischen dem Einzug Jesu und seiner Verhaftung, gibt der Evangelist einen anscheinend chronologisch relativ klar aufgebauten dramatischen Bericht von der letzten Auseinandersetzung in Jerusalem. Es handelt sich dabei um insgesamt sechs Tage: Am ersten Tag zieht Jesus ein, besichtigt den Tempel und übernachtet dann in Bethanien. Am nächsten Tag findet die Tempelreinigung statt, im Anschluß daran verläßt er die Stadt (11,19) und kehrt am nächsten Morgen wieder zurück (11,20.27). Der dritte Tag umfaßt alle Streitgespräche und Reden von der Vollmachtsfrage bis zum Ende der Parusierede (13,37). Am vierten Tag folgt nach 14,1 f. der Todesbeschluß der Volksführer und der Verrat des Judas 14,10 f. Auch die dazwischen erzählte Salbung in Bethanien im Hause Simons des Aussätzigen (V. 3–9) wird man ebenfalls auf diesen Tag anzusetzen haben; am folgenden, fünften Tag erfolgen nach 14,12 ff. die Vorbereitungen für das Passamahl, das ab dem Einbruch der Nacht gefeiert wird. In der Passanacht wird schließlich Jesus in Gethsemane verhaftet und am Morgen darauf, am sechsten Tage, verurteilt und gekreuzigt. Demnach hätte der Einzug in die Stadt an einem Sonntag stattgefunden und die Kreuzigung an einem Freitag. Während der Freitag als Todestag Jesu feststeht, da der Tag nach seiner Kreuzigung ein Sabbat ist,31 erweist sich bei näherer Prüfung, wie K. L. Schmidt gezeigt hat, die markinische Chronologie der letzten Tage Jesu in Jerusalem zumindest teilweise als fragwürdig.32 Schon Lukas hält sich nicht mehr an dieses
30 S. dazu die grundlegende Arbeit von Dodd, Historical Tradition, die selbst noch zu hypothesenfreudig ist. 31 Mk 16,1 f.; Lk 23,54.56; Mt 28,1; Joh 19,31 spricht von einem »großen Sabbattag«, weil dieser auf das Passafest fiel; vgl. 20,1.19. 32 Schmidt, Rahmen, 274–303. S. schon Wellhausen, Evangelium Marci, 88; zum »Tagesschema« und zur Chronologie der letzten Tage s. Ådna, Tempel, 191 ff.309–316; s. auch seinen Versuch einer »Rekonstruktion der Ereignisse« 328–333.
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Schema, sondern bringt allgemeine, dehnbare Zeitangaben ohne Tageszählung.33 Doch auch der Markus-Bericht selbst mit seiner Hervorhebung Bethaniens als eines festen Stützpunktes Jesu und dem Hinweis auf einzelne Personen, die ihn offenbar schon von früheren Besuchen kennen, und seinem selbstsicheren Auftreten und Lehren im Tempel34 legt die Vermutung nahe, daß Jesus schon mehrfach Jerusalem besucht hat und ihn auch seine Gegner in der Heiligen Stadt schon kannten. Er scheint sich vor der Passion bereits einige Zeit in Jerusalem aufgehalten zu haben.35 Aus dem komplizierten johanneischen Aufriß, der von mehreren Besuchen Jesu in Jerusalem berichtet, läßt sich freilich erst recht keine klare Chronologie der letzten Tage Jesu gewinnen. Selbst die Tempelreinigung, die an sich vorzüglich zur letzten Kampfsituation paßt und später auch die Verurteilung mit motivieren könnte, ist kontrovers, da sie Johannes in bewußtem Widerspruch zu Markus und Lukas auf den Anfang der Wirksamkeit Jesu verlegt (Joh 2,13–15). Dies geschieht aufgrund seiner Christologie: Jesus selbst als die Verkörperung der Gottesgegenwart ist das wahre »Heiligtum« (Joh 2,21). Zu Beginn seines Wirkens muß er zeichenhaft das Heiligtum in Jerusalem, das zum »Kaufhaus« verkommen ist, reinigen. Da aber auch die Markus-Chronologie der letzten Tage nicht wirklich zuverlässig ist, wissen wir auch nicht exakt, wie lange die letzten Auseinandersetzungen in der Hauptstadt gedauert haben. Bei Johannes ziehen sie sich ja über Monate hin. Die Salbung in Bethanien erfolgt nach Johannes vor dem Einzug in Jerusalem, und eine große Volksmenge ist ihm schon dorthin entgegengezogen.36 Seine Darstellung ist freilich noch weniger schlüssig als die des Markus. Wir haben hier, wie so oft, große Lücken und Unsicherheiten, die sich nicht mehr klären lassen. Wahrscheinlich ist dagegen der übereinstimmende synoptische Bericht, daß Jesus am Passafest, das heißt am 15. Nisan, vermutlich im Jahr 30 n. Chr. gekreuzigt wurde.37 Der abweichende johanneische Todestag am Rüsttag zum Passafest, das heißt am 14. Nisan, hat wieder christologische Gründe. Jesus ist 33 Lk
20,1; 21,37 f.; 22,1. Hinter der Nähe des Passafestes steht dagegen die ganze frühchristliche Überlieferung. 34 Vgl. Mk 14,3–6 das Mahl in Bethanien »im Hause Simons des Aussätzigen« und die namenlose Frau mit dem maßlos teuren Nardenöl und die stark abweichende Johannes-Version 12,1–8. Für Markus gehört sie schon zum Auftakt der Passionsgeschichte, s. o. S. 555. 35 Wellhausen, Evangelium Marci, 88: »Der Versuch des Mc, den Aufenthalt in eine Woche zusammenzudrängen, mislingt (sic); der Stoff widerstrebt dem an sich etwas unsicheren Schema der sechs Tage, in das er gezwungen werden soll.« Wellhausen verweist dabei auf Mk 14,49: »ein zweitägiges Lehren (11,15–12,28)« reiche »nicht aus, um kaq’ ™mfiran zu rechtfertigen«. 36 Joh 12,1–11. S. u. S. 581 Anm. 52. 37 Das Jahr 30 n. Chr. ergibt sich aus Lk 3,1 und der paulinischen Chronologie Gal 1,18 und 2,1 in Verbindung mit Apg 18,2 und der Statthalterschaft des Gallio in Achaia Apg 18,12 ff. Vgl. o. S. 346 Anm. 14.
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das »(Passa‑)Lamm Gottes, das der Welt Sünde trägt«38, er stirbt zu der Zeit, da im Tempel die Passalämmer geschlachtet werden.39 Übereinstimmung besteht dagegen bei allen Evangelien in der Sequenz der Wochentage: Das letzte Mahl mit den Jüngern findet in der Nacht vom Donnerstag auf Freitag, die Hinrichtung am Karfreitag statt. Jesus ruht im Grabe am Sabbat, das leere Grab wird am Ostermorgen entdeckt. Diese Zeitsequenz der Evangelien wird selbst noch in den Hinweisen des Paulus im 1. Korintherbrief deutlich erkennbar.40 Es werden jedoch bei Markus, dem Lukas und Matthäus folgen, einige Konflikte sichtbar, die Jesu Passion vorbereiten und die von ihrem Inhalt her in den Kontext der letzten Auseinandersetzung in Jerusalem gehören könnten.41
18.3 Tempelreinigung und Vollmachtsfrage42 Die einzige Möglichkeit für eine historische Betrachtung besteht darin, daß man die einzelnen, paradigmatisch zusammengestellten Perikopen des Markus als unserem ältesten Zeugen für die Tage in Jerusalem und die Passion auf ihren historischen Ort, die darin auftretenden Gegner Jesu und die besondere Situation befragt und prüft, inwieweit dabei ein innerer Zusammenhang mit dem Prozeß Jesu, der auf die letzten Auseinandersetzungen zurückweist, sichtbar wird. Auch hier ist zu bedenken, daß die markinische Erzählung ganz fragmentarisch und zugleich theologisch überlegt ist: Das heißt, für die historische Rückfrage sind selbst in diesem zeitlich gedrängten Raum von wenigen Tagen nur »Annäherungen« möglich. Andererseits muß gerade hier lebendige Erinnerung erhalten geblieben sein. Da in dem Verhör vor dem Synhedrium die Tempelfrage nach Mk 14,58 eine entscheidende Rolle spielte und auch in Mk 11,18 Jesu Verhalten im Tempel den Beschluß der Volksführer, ihn zu töten, bekräftigt, wird man trotz Joh 2 die »Tempelreinigung« während dieser letzten Tage Jesu in Jerusalem ansetzen müssen. Wenn Jesus – was uns wahrscheinlich erscheint – zum Todespassa nach Jerusalem in der festen Entschlossenheit hinaufzog, das Volk und seine Führer vor eine letzte Entscheidung für oder gegen die Gottesherrschaft (und damit für oder gegen ihn selbst) zu stellen und, wenn es Gottes Wille war,43 als »Gottesknecht« für sein Volk zu sterben, dann paßt gerade sein provozierendes Auftreten 38 Joh
1,29.36; vgl. Apk 5,6.9. S. 582; vgl. Joh 19,31–33.36; vgl. Ex 12,10.46 LXX und Hengel, Mahl, 139 ff. 40 S. 1 Kor 11,23 in Verbindung mit 15,3 f. und 5,6–8; s. Hengel, Mahl, 116 ff. 41 Vgl. Mk 11,13–12,34; Lk 19,45–20,38; Mt 21,12–22,40. 42 Eisler, IHSOUS; M. Hengel, War Jesus Revolutionär?, CwH 110, Stuttgart 1970, 15 ff. = KS V, 227 ff.; Roloff, Kerygma, 89–110; Pesch, Mk II, 189–202 (zu Mk 11,12–21); J. Ådna, Tempelmarkt; ders., Tempel; Dunn, Jesus, 636–640.785–795. 43 Vgl. Mk 14,35 f. = Lk 22,42 = Mt 26,39; s. auch Mk 14,49 = Mt 26,54.56. 39 S. u.
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im Tempel vorzüglich in diesen letzten Appell, ja, es ist ein entscheidender Höhepunkt. Der von Herodes dem Großen ab 18 v. Chr. in prachtvoller Weise ausgebaute zweite Tempel, ein hellenistisches Bauwerk von unerhörtem Glanz, war das religiöse Zentrum des Judentums der damaligen Welt, der Ort, den sich Gott als seinen Wohnsitz auf dem Zion erwählt hatte.44 Zu den drei großen Wallfahrtsfesten Passa, Wochenfest und Laubhüttenfest, vor allem aber zum Passafest, strömten nicht nur große Teile der jüdischen Bevölkerung Palästinas zusammen, sondern es kamen auch Tausende von Diasporajuden aus dem Römer‑ und Partherreich nach Jerusalem.45 Die Heilige Stadt war vor 70 wohl mit der größte Wallfahrtsort in der Antike.46 Diese Versammlung leicht erregbarer Volksmassen am besonders volkstümlichen Passafest brachte nach Josephus immer die Gefahr von politischen Unruhen mit sich.47 Archelaos soll am Passafest nach dem Tode seines Vaters Herodes den Tempelplatz gewaltsam durch seine gesamte Streitmacht geräumt haben, nachdem das Volk zuerst durch Steinwürfe eine ganze Kohorte vertrieben habe; dabei seien 3000 Juden getötet worden. Ein weiterer Massenprotest ereignete sich an einem Passafest unter dem Prokurator Cumanus nach 48 n. Chr., als ein auf den Dächern der Säulenhallen des Tempelvorhofs postierter römischer Soldat durch eine obszöne Gebärde die versammelte Menge der Pilger provozierte. Cumanus setzte gegen die Protestierenden seine Truppen ein, was zu einer Massenpanik führte.48
Wir können so annehmen, daß die »Tempelreinigung« relativ kurze Zeit, vielleicht nur wenige Tage, vor dem Tode Jesu stattfand. Nach Markus ereignete sie sich einen Tag nach dem Einzug, bei Lukas und Matthäus am selben Tag, unmittelbar nach seiner Ankunft.49 Sie wird auch beim Prozeß eine wesentliche Rolle gespielt haben. Vermutlich gab dieser Vorgang den letzten Anstoß, sich seiner zu bemächtigen. Die Tempelfrage steht daher auch am Eingang des Verhörs.50 44 Hengel, KS I, 58; KS II, 121 f.140.144 ff.; Ådna, Tempelmarkt, 32–90. E. Netzer, Architecture, 137–178 (und Index S. 442). Zum Tempelbau s. auch o. S. 59–62. 45 Wie Cestius Gallus, der Statthalter Syriens, im Herbst 66 Lydda besetzen will, findet er die Stadt von der jüdischen Bevölkerung verlassen, denn alle sind trotz der Kriegsgefahr zum Laubhüttenfest nach Jerusalem hinaufgezogen: Josephus, bell. 2,515; vgl. auch Lk 2,41–51 zum Passafest, Apg 21,16 zum Wochenfest. 46 Hengel, KS I, 19–26.472; KS II, 135.144.174 f. zum Passafest 66 n. Chr. 47 Josephus, bell. 1,88: »Besonders bei den jüdischen Festen entzündet sich gerne ein Aufstand.« Zu Archelaos s. Josephus, bell. 2,10–13 = ant. 17,215–218; zu Pilatus s. Lk 13,1. S. dazu o. S. 4.81. 48 Josephus, bell. 2,223–227 = ant. 20,105–112; s. o. S. 95. Cumanus habe zunächst erfolglos die Menge ermahnt, mhdÇ st›sei“ †x›ptein †n ©ortÔö (109), vgl. Mk 14,2 = Mt 26,5. Zum Stichwort st›si“ s. Mk 15,7 und Apg 24,5. Auch von Pilatus wird ein gewaltsames Vorgehen gegen Juden während eines Festbesuchs in Jerusalem berichtet: s. bell. 2,175 ff. = ant. 18,60 ff. und Lk 13,1 ff.; s. auch o. S. 81. 49 Mk 11,11 f.15–19; Lk 19,45 f.; Mt 21,10–17. 50 Mk 14,57 f. parr.; vgl. auch die Anklage gegen Stephanus Apg 6,13 f.
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Grundlegend ist der Bericht Mk 11,15–17; in Joh 2,14–16 wird das ganze noch stärker ausgemalt. In dem riesigen äußeren Tempelvorhof der Heiden, der gewissermaßen den Marktplatz von Jerusalem darstellte, hatten die Pilger aus dem Ausland die Möglichkeit, ihr Geld für Opferzwecke, vor allem aber die jährliche Tempelsteuer von zwei Drachmen, in die im Tempel allein gültigen tyrischen Di‑ und Tetradrachmen umzutauschen. Diese Münzen trugen auf der Vorderseite den Kopf des Stadtgottes Melqart-Herakles, als Alexander stilisiert, und auf der Rückseite den ptolemäischen Adler, den Vogel des Zeus. Selbst römische Denare wurden nicht angenommen. Diese Silbermünze mit »Götzenbildern« erregte offenbar keinen Anstoß am heiligen Ort; denn sie war die einzige im Osten, die von der Herrschaftszeit des Herodes bis zum Jahr 66 ihren Silbergehalt und damit ihren Wert nicht verschlechterte. Der finanzielle Vorteil war hier stärker als das Bilderverbot.51 Weiter wurden dort Tauben für die Opfer des »kleinen Mannes« verkauft.52 Der Verkauf größerer Tiere fand dagegen nach rabbinischen Nachrichten – gegen Joh 2,15 – außerhalb des Tempelplatzes statt. Geldwechsel und Taubenverkauf waren für das Funktionieren des Kultes notwendige Unternehmungen. Man darf annehmen, daß die herrschenden hochpriesterlichen Familien von Geldwechsel und Handel kräftig profitierten, in erster Linie die mächtigste Familie des Hannas, die den damals amtierenden Hohenpriester Kaiaphas, den Schwiegersohn des Hannas, stellte. Nach rabbinischen Nachrichten soll sie am Tempelberg Kaufhallen besessen haben.53 Jesus hat nun ganz gewiß nicht – wie R. Eisler54 u. a. phantasierten – mit seinen galiläischen Anhängern den Tempelberg erstürmt und sämtliche Händler und Wechsler vertrieben. Dies hätte mit Sicherheit zum Eingreifen der levitischen Tempelpolizei wie auch der römischen Kohorte geführt, die die Antoniaburg besetzt hielt und von den Dächern der Säulenhallen aus den äußeren Vorhof bewachte,55 und ein entsprechendes, großes Blutvergießen hervorgerufen. Josephus berichtet gerade unter Pilatus von mehreren solcher Gewaltaktionen der Besatzungstruppe.56 Das Vorgehen Jesu im Tempel ist vielmehr als eine provozierende profetische Zeichenhandlung zu verstehen. Er mag einige Wechs51 Ådna,
Tempel, 252.344 f.384. Vgl. auch o. S. 65 Anm. 141 und S. 117 Anm. 418. Lev 5,11; 12,8; Lk 2,22–24. 53 Bill. I, 850 ff.; II, 570 f.; Hengel, Zeloten, 216 f. (217 Anm. 1); vgl. Ådna, Tempelmarkt, 74 f. Anm. 14 zur Ausgrabung einer Werkstatt, in der eine Waage mit der Aufschrift srtq rbl gefunden wurde und die vermutlich der hochpriesterlichen Familie Kathros (tMen 13,21; bPes 57a) gehört hatte; weiter 91–95 zur Hohenpriesterschaft als »Tempelverwaltungsbehörde«. 54 Eisler, IHSOUS II, 476 ff.513; dazu Hengel, Zeloten, 221 f. 55 S. den Vorfall unter dem Prokurator Cumanus am Passafest o. S. 95.558 und den Aufruhr gegen Paulus am Wochenfest 57 n. Chr. in Apg 21,27–33, wo die Kohorte über die Treppe, die die Antonia mit dem Vorhof verband, rasch eingriff und das Leben des Paulus rettete. 56 S. o. S. 80–82 und S. 558 Anm. 47 f. 52 Vgl.
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lertische umgestoßen und Taubenkäfige geöffnet haben, während seine Jünger Warenanlieferungen auf dem Vorhof behinderten. Den Vorgang im einzelnen können wir nicht rekonstruieren. Es muß nicht mehr als ein kleinerer Tumult mit anschließendem Wortgefecht gewesen sein, so daß die Tempelbehörde (und die Römer) nicht eingriffen, um diese Unruhe nicht zu vergrößern und Blutvergießen zu vermeiden.57 Das Entscheidende im Bericht ist das Gerichtswort. Mk 11,17 überliefert uns eine Zitatenkombination aus Jes 56,7 und der Tempelrede Jer 7,11: »Mein Haus soll ein Bethaus heißen allen Völkern, ihr aber habt eine Räuberhöhle daraus gemacht.« Das Motiv des »Bethauses« (oèko“ proseucö“)58 könnte dabei auf Jesus zurückgehen. Wahrscheinlich hat Jesus auch in diesem Zusammenhang jenes Wort vom Niederreißen und Aufbauen des Tempels ausgesprochen, das ihm im Prozeß vorgehalten wurde.59 Das Ziel seiner zeichenhaften Gleichnishandlung kann aus dem Schlußwort des Profeten Sacharja60 erschlossen werden: »Keinen Händler wird es mehr geben am Hause JHWHs der Heerscharen an jenem Tage«, das heißt, die Reinigung des Tempels weist zeichenhaft auf die anbrechende Gottesherrschaft hin. Wenige Verse zuvor lesen wir in Sach 14,9: »Und JHWH wird König sein über die ganze Erde.
An jenem Tage ist JHWH der einzige und sein Name der einzige.«
Mit dem Anbruch der Gottesherrschaft, die Jesus mit seinem Wirken einleiten will, wird aller Opferkult und damit aller Geschäftsbetrieb, der Gottes Heiligtum entweiht, hinfällig: Jesu eigener Sühnetod mochte hier bereits seine Schatten vorauswerfen.61 Der gewinnträchtige Handel mit Opfertieren und der Geldwechsel im Heiligtum ist gegen Gottes Willen.62 Nach Mk 11,27–3363 löst am folgenden Tage Jesu provokatives Handeln die Vollmachtsfrage der Volksführer 57 Mk 11,16: kaÑ o§k ≥fien ºna ti“ dienfigkÔh skeúo“ diÅ toú ´eroú. Diese änigmatisch kurze Notiz, die mehr andeutet als erklärt, wird bei Lukas, der nur ganz kurz berichtet, da er den Vorwurf des Aufruhrs vermeiden will, wie auch bei Matthäus weggelassen. 58 Vgl. Apg 2,42.46; 3,1; 5,12.20.25.42: Nach Lukas wurde in der frühen Urgemeinde die Halle Salomos im östlichen äußeren Tempelplatz zum Ort der Gebetsversammlung und der Verkündigung. Nach Joh 10,23 lehrte dort schon Jesus. Allgemein zum Lehren Jesu im Tempel s. Mk 12,35; 14,49 = Mt 26,55 = Lk 22,53; vgl. Lk 19,47 (kaq’ ™mfiran); 20,1; 21,37; Joh 18,20. 59 Mk 14,58; vgl. Apg 6,14; s. u. S. 596. 60 Sach 14,21; s. Ådna, Tempel, Index 472 z. St. Die Stelle hat unter anderem Joh 2,16b beeinflußt. Vgl. o. S. 552 zu Sach 9,9 f. 61 Diesen Zusammenhang betont vor allem Ådna, Tempel, Index S. 500 s. v. Sühne und 425–430. 62 Vgl. auch Mk 13,1 f. und 15,38. 63 Vgl. Lk 20,1–8 = Mt 21,23–27. In fünf stilistischen Verbesserungen der Markus-Vorlage stimmt Matthäus mit Lukas gegen Markus überein: Offenbar hat er beide Evangelien eingesehen, s. lfigonte“, üpokriqeÑ“ dfi, küg„, e¥pate/e¥phte und †Ån dfi.
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aus: »Mit welcher Vollmacht, in wessen Recht bist Du gegen die Geldwechsler und Händler im Tempel aufgetreten?«64 Damit fragen sie indirekt nach seiner Messianität. Jesus stellt die Gegenfrage nach der Herkunft der Taufe Johannes des Täufers: »Stammte sie vom Himmel oder von Menschen?«65 Die Volksführer verweigern – aus Furcht vor der Menge, die den Täufer als Märtyrerprofeten hoch in Ehren hält – die Antwort, während Jesus die Vollmachtsfrage unbeantwortet läßt. Hier schimmert deutlich wieder sein eigenes »Messiasgeheimnis«, das heißt der jetzt überdeutlich zutage tretende, doch immer noch nicht öffentlich explizit ausgesprochene messianische Anspruch durch. Er verweigert die Antwort genauso, wie er schon in Galiläa Legitimationszeichen verweigert hatte.
18.4 Kampfgespräche in Jerusalem Wir besitzen bei Markus eine Reihe von weiteren Kampfgesprächen, die von ihrem Inhalt her nach Jerusalem und am ehesten in diese allerletzte Zeit gehören. Markus hat sie als Beispiele ausgewählt, um damit – wie schon bei der Vollmachtsfrage – zugleich die souveräne Überlegenheit Jesu im Streitgespräch zu demonstrieren. Auch dies gehört für ihn zur profetisch-messianischen Vollmacht66 Jesu. Am Ende »wagte keiner ihn mehr zu fragen«, »die große Volksmenge hörte ihn jedoch gerne«.67 Der Evangelist hat diese Szenen als Beispiele zusammengestellt; seine Erzählung reflektiert dabei noch wirkliche Erinnerung an die letzten Tage in Jerusalem. So berichtet er von einem Streitgespräch mit den Sadduzäern über die Aufer stehungsfrage,68 denn in Jerusalem war der sadduzäische Priester‑ und Laienadel zu Hause und daher am einflußreichsten. Er beherrschte politisch das Synhedrium und die Stadt: Im offenen Land außerhalb Jerusalems war seine Macht geringer.69 Das gilt erst recht für Galiläa, wo wir bei Markus zwar Herodianer, das heißt Parteigänger des Herodes Antipas, aber keine Sadduzäer finden.70 64 Mk
11,28 = Lk 20,2 = Mt 21,23: †n po‡a †xous‡a taúta poieõ“… 11,30 = Lk 20,4 = Mt 21,25. 66 Vgl. Mk 1,22: Æ“ †xous‡an ≤cwn kaÑ o§c Æ“ o´ grammateõ“, s. o. S. 465. 67 Mk 12,34.37. 68 Mk 12,18–27 = Lk 20,27–40 = Mt 22,23–33. Vgl. Meier, Marginal Jew III, 416–444.468– 487 u. ö. 69 Vgl. O. Schwankl, Die Sadduzäerfrage (Mk 12,18–27 parr), BBB 66, Frankfurt 1987; zu den Sadduzäern s. o. § 4 und S. 134–136. 70 Mk 3,6; vgl. 8,15. Die mächtige, aber zahlenmäßig kleine Gruppe der Sadduzäer wurde im Verlauf des jüdischen Aufstandes nach 66 entmachtet und fand als hochpriesterlich bestimmte Partei durch die Tempelzerstörung ihr Ende. Der wesentlich spätere Matthäus verbindet sie – als sie alle Macht verloren hatten – mit den Pharisäern und versetzt sie fälschlicherweise auch nach Galiläa: 3,7; 16,1.6.11 f. Der 15 bis 20 Jahre ältere Lukas ist über sie noch besser informiert, 65 Mk
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Das Streitgespräch hat keinen direkten Bezug auf die letzte Auseinandersetzung in Jerusalem, sondern auf eine zwischen den »konservativen« Sadduzäern und den »progressiven« Pharisäern strittige eschatologische Frage: Es geht um die Realität der Hoffnung auf die Auferstehung der Toten. Mk 12,18 leitet darum seine Erzählung ein: »Und es kamen zu ihm Sadduzäer, die behaupten, es gebe keine Auferstehung.«71 Sie wollen mit einem künstlich konstruierten, auf der sukzessiven Leviratsehe von sieben Brüdern72 gründenden Rechtsfall die Hoffnung auf die Auferstehung ad absurdum führen: Jesus weist die Frage als töricht zurück. Die, die sie stellen, »kennen weder die Schriften noch die Schöpfermacht Gottes«. Er, der sich Mose beim Dornbusch als »Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs« offenbarte, »ist kein Gott der Toten, sondern der Lebenden«.73 Die Erzväter sind nicht tot, sondern leben im Blick auf die verheißene Auferstehung der Toten. Jesus begründet diese durch einen zentralen Text der Tora, den auch die Fragesteller anerkennen müssen. Das von ihnen vorgebrachte Problem der künftigen Zugehörigkeit der Frau nach der Auferstehung wird hinfällig, weil die »engelgleichen« Auferstandenen in der Gegenwart Gottes die irdische Form der Ehe nicht mehr kennen.74 Dieses Argument kommt schon der paulinischen Vorstellung von dem »Gott und seiner himmlischen Welt entsprechenden« sùma pneumatik·n75 entgegen. Es widerspricht zwar »landläufigen Anschauungen zur Zeit Jesu«76, hat aber eine gewisse Parallele in Berichten von den Erscheinungen des Auferstandenen.77 Für das Alter der Erzählung spricht das Fehlen jedes christologischen Bezugs – auf die Auferstehung Jesu wird gerade nicht angespielt –, zugleich gibt es jedoch die Auferstehungsvorstellung Jesu bzw. der Urgemeinde wieder, die die Voraussetzung für das früheste Verständnis der Auferstehung Jesu ist.
Lk 20,27; Apg 4,1; 5,17; 23,6–8. Johannes nennt sie überhaupt nicht mehr und ersetzt sie durch die »Hohenpriester«. 71 Vgl. Apg 4,2; 23,6–8. Die Kontroverse wird auch durch Josephus und im Talmud bezeugt; s. Bill. I, 885 f. und IV, 334–352 (344 f.). Zur Auferstehung im Judentum überhaupt s. Bill. IV, 1166–1198; vgl. auch Hengel, Begräbnis. 72 Vgl. Dtn 25,5–10; Gen 38,8; Ruth 4,1–10. 73 Ex 3,6.15 f.; s. dazu Bill. I, 892 ff. Lk 20,38 ergänzt zutreffend: »denn ihm leben sie alle.« 74 Mk 12,25; vgl. Lk 20,36: ¢s›ggeloi g›r e¢sin kaÑ u´o‡ e¢sin qeoú. Vielleicht kann Lukas hier auf eine Sonderquelle zurückgreifen. Mit der eschatologischen Vollendung sind das Gebot Gen 1,28 und die bitteren Konsequenzen 3,16; 4,1 ff. aufgehoben. 75 1 Kor 15,40 ff. (44); vgl. Röm 8,11.29. 76 S. Bill. I, 887–891 (889). 77 Lk 24,31.36; Joh 20,19. Auf der anderen Seite schließt dies den »chiliastischen« Realismus des »Essens« und »Trinkens«, ja des fröhlichen »Tanzens« bei der festlichen Feier (Lk 6,23, vgl. 15,25) in der Gottesherrschaft nicht aus, s. Mk 14,25; Lk 6,21; 14,15; Apg 10,41; Apk 19,9 etc. S. o. S. 415.
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Auch die Frage der Pharisäer und Herodianer nach der Steuerzahlung an den Kaiser weist nach Jerusalem.78 Sie paßt nicht nach Galiläa, wo die Steuern dem Herodes Antipas und nicht direkt dem Kaiser gezahlt wurden,79 sondern am besten in die Hauptstadt, wobei das Ziel der Fragesteller war, ganz gleich wie auch die Antwort Jesu ausfalle, ihn entweder bei Pilatus oder aber beim Volk zu denunzieren.80 Dadurch, daß Jesus sich von den Fragestellern einen römischen Silberdenar mit dem Bild und der Aufschrift des Tiberius zeigen läßt, entlarvt er sie. Die Steuermünze ist ja Eigentum des Kaisers, denn sie wurde mit seinem Namen und Bild geprägt,81 und wer seine Münze verwendet und bei sich herumträgt, erkennt dieses Besitzverhältnis und damit auch seine Herrschaft an. Extreme Zeloten weigerten sich darum, Kaisermünzen, die für sie Götzenbilder waren, auch nur anzufassen. Sie lehnten selbstverständlich jede Steuerzahlung an Rom als Zeichen der Sklaverei und des Götzendienstes radikal ab.82 Nachdem Jesus seine Kontrahenten überführt hat, daß sie es mit der Frage gar nicht ernst meinen, da sie des Kaisers Geld bei sich herumtragen, kann er die entlarvende Antwort geben: »Gebt dem Kaiser zurück, was ihm gehört, gebt aber Gott, was Gottes ist!« Das ka‡, das beide Sätze verbindet, ist adversativ aufzufassen, das Schwergewicht liegt auf dem letzten Satz. Der Kaiser und seine Macht sind für Jesus kein bedrängendes Problem mehr, er ist entmächtigt, da Gott selbst vor der Tür steht, ja, in Jesu Person gegenwärtig ist. Es kommt alles darauf an, daß 78 Mk
12,13–17 = Lk 20,20–26 = Mt 22,15–22. Lukas spricht nur noch von Abgesandten der
»Schriftgelehrten und Hohenpriester« (20,19), die Jesus belauern, aber ihn selbst nicht mehr befragen wollen. Bei Matthäus sind es »Jünger der Pharisäer« und »Herodianer« (22,15 f.), die
Jesus befragen. Zur Sache s. Hengel, Zeloten, 132–145. 79 Dieser war als Klientelfürst nur zur jährlichen Zahlung eines gewissen Tributs an die Römer verpflichtet und zog seine Steuern selbständig ein. Jesus muß gerade zu den Steuerpächtern ein positives Verhältnis gehabt haben; s. o. S. 455. 80 Mk 12,13b hat einfach ºna a§tÖn ügre‚swsin l·gw »um ihn durch ein Wort zu fangen«. Lk 20,20 expliziert zutreffend: »damit sie ihn der Macht und Gewalt des Präfekten ausliefern könnten.« In der Anklage vor Pilatus Lk 23,2 bezichtigen sie ihn als Volksverführer, der die Steuerzahlung an den Kaiser ablehne. Röm 13,7 setzt unseres Erachtens die Steuerdenarperikope voraus. Die zelotische Ablehnung der Steuerzahlung an den heidnischen Herrscher, der sich göttlich verehren ließ, war immer auch eine gewisse Versuchung für das Urchristentum. 81 Zu den Münzlegenden unter Tiberius s. H. Mattingly, Coins of the Roman Empire in the British Museum, London 1923 (1983), 120–145. Häufig war etwa die Aufschrift Ti(berius) Caesar Divi Aug(usti) f(ilius) Augustus. Dieselbe konnte in Einzelheiten wechseln. S. auch V. Taylor, The Gospel According to St. Mark, London 21966, 479. 82 Vgl. Josephus, ant. 18,4 ff.; bell. 2,118. Hengel, Zeloten, 195–201. Die römische Verwaltung kam in Judäa dem jüdischen Bilderverbot insofern entgegen, als die von den Prokuratoren geprägten Kupfermünzen kein Bild des Kaisers trugen, wie schon die Münzen der hasmonäischen und herodianischen Herrscher. Nur bei der in Tyrus geprägten Tempelsteuermünze war der Ertrag für das Heiligtum wichtiger als das Bilderverbot. Nach 66 n. Chr. prägten die Aufständischen jedoch sofort Silbermünzen ohne menschliche Bilder mit Kultgegenständen und politisch-religiösen Kampfworten. S. dazu Mildenberg, Schekel-Fragen (vgl. o. S. 65 Anm. 141 und S. 117 Anm. 418).
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jetzt sein Wille in ganzem Gehorsam geschieht. Man könnte Jesu Antwort etwa so formulieren: Gebt die Münzen mit dem Bild und der Aufschrift des Kaisers diesem zurück, und übergebt euch selbst, die ihr nach Gottes Bild geschaffen seid, ganz eurem Schöpfer. Der Nachsatz enthält dieselbe Intention wie das Gebot der Gottesliebe im doppelten Liebesgebot, das Markus wenig später 12,28 ff. zur Sprache bringt. Auch diese letztgenannte Erzählung ist eine »ideale Szene«, die aufgrund der positiven Reaktion des Schriftgelehrten und durch den erzählerischen Anschluß an die Sadduzäerfrage nach Jerusalem gehört.83 Weiter scheint es uns wahrscheinlich zu sein, daß das anstößige Gleichnis vom barmherzigen Samaritaner, Lk 10,30 ff., und das nicht minder scharfe Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner, Lk 18,9 ff., ebenfalls am besten in die Jerusalemer Kampfsituation passen.84 Im ersten wird der in Jerusalem dominierende jüdische Geburtsadel, der Priester und der Levit, dem verachteten »Häretiker« und Volksfeind85 in negativer Weise gegenübergestellt; im zweiten Fall kontrastieren Zöllner und Pharisäer, der ausbeuterische Betrüger und der vorbildliche Fromme, bei einem Besuch des Jerusalemer Tempels. Beide Gleichnisse konnten für Hörer der führenden Schicht eine Provokation bedeuten; um so mehr entsprechen sie der Botschaft Jesu von der Offenbarung der Liebe des nahen Gottes zu den Verachteten, Ausgestoßenen und Sündern, den »verlorenen Schafen des Hauses Israel«, zu denen für ihn die Zöllner und die Samaritaner gehören. Nicht Geburt und religiöser Anspruch, sondern allein die Gesinnung echter Umkehr, die zum Bekenntnis führt: »Gott sei mir Sünder gnädig«86, und die konkrete Tat der Liebe gelten jetzt vor Gott, der den Sünder gerechtspricht. Auf eine scharfe Konfliktsituation in Jerusalem selbst weist schließlich auch das Gleichnis von den bösen Weingärtnern hin, das nicht, wie gerne behauptet wird, eine spätere allegorische Gemeindebildung ist, sondern die letzte Ausein-
83 Für Mt 22,34–40 ist ein positiv beurteilter Schriftgelehrter unerträglich geworden. Er übernimmt daher aus Lk 10,25 den nomik·“ als Versucher Jesu (Lukas: †kpeir›zwn a§t·n), Mt 22,35: †phr„thsen eï“ †x a§tùn (der Pharisäer) nomikÖ“ peir›zwn a§t·n. Durch die Erkenntnis, daß Matthäus neben seiner Markus-Vorlage je und je auch den Lukas-Text eingesehen hat, entfällt das hypothesenreiche, unlösbare Problem der ›minor agreements‹; s. o. S. 226 f. 84 Ob beim letzten oder bei früheren Aufenthalten, mag offenbleiben. Wir halten aber die letzten Tage als Ursprungssituation für plausibel. 85 Lukas ist an den Samaritanern historisch zu Recht besonders interessiert im Gegensatz zu Matthäus, der Jesus von diesen fernhalten will (10,5). Dazu Böhm, Samarien, 95–100.239–260; s. o. S. 351. Nach Josephus, ant. 18,30 hatten Samaritaner ca. 9 n. Chr. den ganzen Tempel in Jerusalem durch Totengebeine verunreinigt, und in bell. 2,232 ff. = ant. 20,118 ff. kommt es zu Kämpfen zwischen Juden und Samaritanern wegen der Ermordung von galiläischen Festpilgern; vgl. dazu Lk 9,52–56 (inklusive der sekundären Texterweiterungen, die aus dem Evangelium Marcions stammen könnten, s. o. S. 356 Anm. 68). 86 Lk 18,13; vgl. Petrus: 5,8; der verlorene Sohn: 15,21. Lukas ist als Paulusschüler der Evangelist der Rechtfertigung der Gottlosen (Röm 4,5). S. o. S. 233.
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andersetzung Jesu in Jerusalem beleuchtet.87 Wie auch bei anderen Gleichnis sen greift Jesus hier eine – zwar ungewöhnliche, aber doch nicht unmögliche – soziale Situation aus dem palästinischen Alltag heraus. Ein Großgrundbesitzer hat mit erheblichen Kosten ein Weingut angelegt und gegen einen festen Anteil am Ertrag an landlose Pächter verpachtet. Der Besitzer hat seinen Wohnsitz in einer entfernten Stadt, er ist selbst nicht in der Lage, nachdem das Weingut einige Jahre später den ersten Ertrag bringt, seinen Anteil persönlich einzuziehen, sondern schickt Sklaven. Die Pächter mißhandeln sie und schicken sie mit leeren Händen zurück. Dies wiederholt sich. Schließlich sendet der Besitzer seinen einzigen Sohn,88 der ihn – im Gegensatz zu den bisher ausgeschickten Sklaven – auch rechtlich wirkungsvoll vertreten kann. Die Pächter kalkulieren freilich anders: Für sie ist er der Erbe; wenn sie ihn töten, fällt das Weingut durch »Ersitzung« als herrenlos gewordenes Land ihnen zu. Die Pointe der Parabel wäre dann von ihrem Ende her zu erschließen: Wie die heimtückische Ermordung des Sohnes durch die Pächter das sichere Eingreifen des Besitzers zur Folge haben wird, so wird die – beabsichtigte – Tötung Jesu, des eschatologischen Bevollmächtigten Gottes, das Gericht über die verantwortlichen Führer des Volkes heraufbeschwören.89 Es verbindet sich darin das Messiasgeheimnis mit der Ansage seines Todes und dem Hinweis auf das Gericht Gottes, ein Motiv, das im Verhör Jesu vor dem Hohenpriester wieder auftaucht. Markus selbst läßt das Gleichnis mit einem Zitat aus dem messianischen Psalm 118 schließen, der schon in der Einzugserzählung eine Rolle spielte und der auf das zeichenhafte Schicksal Jesu hinweisen soll: »Der Stein, den die Bauleute verworfen haben,
der ist zum Schlußstein (im Torgewölbe) geworden.«90
Das Gleichnis soll die Gegner Jesu so herausgefordert haben, daß sie ihn festneh men wollten, es aber aus Furcht vor dem Volk nicht wagten. Eigenartig ist, daß Markus in diesen letzten Tagen der Auseinandersetzungen in Jerusalem keine Wundererzählungen mehr berichtet. Die einzige Ausnahme ist die Verfluchung des Feigenbaums, die, vielleicht aus einer Gleichniserzählung herausgewachsen, den Charakter einer Gleichnishandlung erhält, die auf das Gericht über Stadt und Tempel hinweisen soll, für Markus aber auch auf den »bergeversetzenden
87 Mk 12,1–12 = Lk 20,9–19 = Mt 21,33–46; EvThom 65 f.; vgl. Lk 21,1–4; vgl. Hengel, Gleichnis; K. Snodgrass, The Parable of the Wicked Tenants, WUNT 27, Tübingen 1983; Kloppenborg, Tenants, 173–218.219–277 (und passim). 88 Mk 12,6: ≤ti ∫na eècen u´Ön ügapht·n. 89 Das Gleichnis schloß wohl ursprünglich mit der Frage: »Was wird der Herr des Weinbergs tun?« (Mk 12,9a). Die Antwort können sich die Hörer selbst geben. 90 Mk 12,10 f. = Ps 118,22 f. LXX; vgl. Lk 20,17; Apg 4,11; 1 Petr 2,4.7.
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VI. Die Passion Jesu
Glauben« und die Gewißheit der Gebetserhörung bezogen wird.91 Ans Ende dieser Szenen stellt Markus die Erzählung vom menschliche Möglichkeiten überschreitenden Wissen Jesu um die Gabe der armen Witwe, die im Gegensatz zu den »vielen Reichen«, die »aus ihrem Überfluß spenden«, mit zwei lept› ihren ganzen Besitz in den »Opferkasten« des Tempels eingeworfen hatte.92 Diese eigenartige, in den Evangelien aus dem Rahmen fallende Szene steht einerseits im Kontrast zu dem Vorwurf gegen die angebliche Habgier der Schriftgelehrten (12,40), die »der Witwen Häuser fressen«, und deutet andererseits auf das besondere geistgewirkte Wissen des Messias hin: »Nicht nach dem Augenschein wird er richten,
und nicht nach dem Hörensagen wird er urteilen. Er richtet vielmehr in Gerechtigkeit den Geringen und urteilt in Zuverlässigkeit über die Armen im Lande.«93
Damit leitet der Evangelist zur großen endzeitlichen Weissagung über das Schicksal Jerusalems, die endzeitlichen Wehen und das Kommen des Menschensohns über. Unmittelbar zuvor läßt er Jesus unter Hinweis auf Ps 110,1 die Rätselfrage nach dem Verhältnis von Davidssohn und Messias stellen. Wenn dieser Davids Sohn ist, wie kann ihn dann der von Gott inspirierte Psalmdichter »(mein) Herr« nennen? Dies bedeutet keine Infragestellung der Davidssohnschaft Jesu,94 der Messias ist jedoch unvergleichlich mehr, als die Schriftgelehrten glauben, nämlich der Kyrios, das heißt der Herr auch des königlichen Stammvaters David. Jesus gibt für diese Frage, die er nach Markus am Ende der Auseinandersetzung mit den Gegnern stellt, keine Lösung. Sie wird für den Evangelisten vielmehr durch die Weissagung vom Kommen des Menschensohns95 und vor 91 Mk 11,12–14.20 = Mt 21,18 f.; vgl. das Gleichnis vom unfruchtbaren Feigenbaum Lk 13,6–9. Zum Glauben und zur Gebetserhörung s. Mk 11,22–24, vgl. Mt 17,20 (s. o. S. 456) und 7,7. Mk 11,25 fügt noch eine Mahnung zur Vergebungsbereitschaft im Zusammenhang des Gebets an; vgl. Mt 5,23 f.; 6,12; 18,35. 92 Mk 12,41–44 = Lk 21,1–4; Matthäus übergeht die Erzählung wegen ihrer scheinbaren Geringfügigkeit. Das gazoful›kion ist die Schatzkammer des Tempels (vgl. Mt 27,6), vom Kontext her bedeutet es hier den Opferkasten in derselben; s. dazu Bauer / Aland, WB, 300; tÖ lept·n war die kleinste Kupfermünze. Markus expliziert die zwei lept› mit dem römischen Quadrans, einer der Hinweise auf die Entstehung des Evangeliums in Rom; vgl. die Erklärung der a§lfl, dem Palast des Präfekten, mit dem römischen Begriff »Praetorium« Mk 15,16. Zu den Tempelschatzkammern s. Bill. II, 37–41 (39 ff.): Unter den 13 posaunenartigen Geldbehältern dort waren sechs für freiwillige Gaben (tSheq 3,1 ff.). Das Lepton entsprach der Peruta, ein Quadrans war 1/4 As: Bill. II, 45. 93 Jes 11,3 f. 94 S. dazu o. S. 293 Anm. 106. 95 Mk 13,24 ff., vgl. 8,38. Zur christologischen Bedeutung von Ps 110,1 im Urchristentum s. Hengel, Setze dich, 119–122.185–194 = KS IV, 292–295.358–367. Er ist der am häufigsten zitierte alttestamentliche Text im Neuen Testament.
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allem die Passion und Auferstehung Jesu beantwortet. Für den Evangelisten ist der Davidssohn Jesus der Kyrios, der kommende Menschensohn und der Gottessohn, den schon der geisterfüllte König und Profet vorausschauend selbst als »meinen Herrn« bezeichnet. Markus hat diese Frage (und ihre implizierte Antwort) durch den wohldosierten Gebrauch des Kyrios‑ (und Sohnes‑)Titels für Jesus vorbereitet.96 Im Gegensatz zu Johannes hat bei ihm der christologische Gestaltungswille jedoch die geschichtliche Wirklichkeit noch nicht weitgehend verdrängt. Daß Markus – ganz im Gegensatz zu Johannes – in Jerusalem keine öffentlichen Wunder, etwa Heilungen, mehr geschehen läßt, mag für ihn denselben Grund haben wie bei Jesu gescheitertem Auftreten in Nazareth, wo »er keine Krafttaten tun konnte«97. Die letzte Heilung, die des blinden Bartimaios in Jericho, der Jesus bereits als »Davidssohn« und »Herr« bekennt und geheilt sein Nachfolger auf dem Weg nach Jerusalem wird, hat gleichnishafte Bedeutung. Nur Matthäus fügt in 21,14 die Heilung einiger »Blinder und Lahmer« im Tempel ein. Sie begeistern Kinder zu der Akklamation »Hosanna dem Sohn Davids« und bewirken den Protest der »Hohenpriester und Pharisäer«. Das Fehlen von Heilungswundern in Jerusalem schien Matthäus wohl ebenso anstößig gewesen zu sein wie in der Markus-Notiz zum Mißerfolg Jesu in Nazareth, die er ebenfalls abschwächt. Die heilige Stadt, wo Jesus trotz äußerer Erfolge98 am Ende von den Volksführern verworfen und hingerichtet wird, war für Markus solcher »Krafttaten« nicht mehr würdig.99 Am Ende steht ja die Vorhersage der Zerstörung des Heiligtums 13,1 f. Die Verfluchung des Feigenbaums und das Weingärtnergleichnis zeigen hier deutlich die erzählerische Tendenz des Evangelisten. Er zeichnet damit nur jene christologischen Linien kräftig nach, die schon in der älteren Überlieferung den Weg Jesu in die Passion seit dem Einzug in Jerusalem beherrschen. Die wichtigste Linie ist dabei die Frage nach der messianischen Vollmacht Jesu. Bei Johannes ist dies anders. Von den sieben Zeichen, die im vierten Evangelium erzählt werden, geschehen nur vier in Galiläa und drei in bzw. bei Jerusalem. Darüber hinaus tut Jesus schon bei seinem ersten Auftreten in Jerusalem zahlreiche aufsehenerregende Zeichen, die freilich nur auf einen 96 Mk 1,3; 5,19; 7,28; 11,3. Markus – und in seinen Spuren Lukas und Matthäus – könnte mit Texten wie 1,3.11; 9,3–7; 12,6.35–37 ein Wissen um die Präexistenz des Kyrios Jesus andeuten. S. dazu jetzt S. J. Gathercole, The Preexistent Son. Recovering the Christologies of Matthew, Mark and Luke, Grand Rapids (Mich.) 2006. 97 Mk 6,1–6 (5); vgl. Mt 13,58; s. o. S. 286 f. 98 Mk 12,34: »und keiner wagte ihn mehr zu fragen«; 12,37b: »die große Menge hörte ihn gerne«. 99 Ganz anders Johannes, wo der Schwerpunkt der »Zeichen« Jesu in Jerusalem und in seiner Nähe liegt: 2,23–3,2; 5,2–9; 9,1–7.16; 10,41; c. 11; 12,18.37.
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VI. Die Passion Jesu
oberflächlichen Glauben stoßen;100 auch wird die Wunderfrage vor allem bei den Kampfgesprächen in Jerusalem erörtert.101 Als Zusatz bringt Markus nach dem christologischen Rätsel von Ps 110,1 und der Perikope von der armen Witwe in der Tempelschatzkammer eine ganz knappe Warnung vor den Schriftgelehrten, genauer vor ihrer Ehr‑ und Gewinnsucht (Mk 12,38–40). Dies mag ein Stichwortanschluß an 12,28.32 und 35 sein, wo allein das Stichwort grammateõ“ erscheint. Sie sind als die religiösen Führer Israels nach den »Hohenpriestern« die wichtigste Gruppe im Synhedrium und neben den Pharisäern, von denen Markus sie historisch zu Recht noch unterscheidet, schon in Galiläa die schärfsten Gegner Jesu. Dort kommen sie nach Mk 3,22 aus Jerusalem. Die Pharisäer erscheinen dagegen in Jerusalem bei Markus nur noch zusammen mit den Herodianern in 12,13 bei der Steuerfrage. Im Zusammenhang mit dem Synhedrium werden sie bei ihm überhaupt nicht erwähnt. Markus ist ca. 69/70 n. Chr. über die jüdischen Gruppen‑ und Parteienverhältnisse vor der Zerstörung Jerusalems noch gut informiert.102 Matthäus hat ca. 20 bis 30 Jahre später in einer veränderten Lage diese drei Verse zusammen mit Überlieferungsstoff aus Lukas und der Logientradition sowie eigener, aus seiner Situation erwachsener Polemik zu dem monumentalen Kapitel 23 verarbeitet, das entscheidend ist für die Datierung seines Evangeliums etwa zwischen 90 und 100 n. Chr.103 Daß Markus diese eher störend erscheinenden Verse hier noch einfügt, mag mit dem letzten Satz unmittelbar vor der schroff kontrastierenden Erzählung vom Opfer der armen Witwe und der markinischen Apokalypse c. 13 zusammenhängen: »Sie werden ein um so strengeres Urteil empfangen.«104 Die letzten Tage des Kampfes in Jerusalem deuten bei Markus zugleich auf das Gericht über die hin, die Jesu messianische Botschaft, und das heißt seinen ihm von Gott gegebenen Auftrag, zurückweisen. Der Menschensohn, dessen Kommen als Erlöser er als Höhepunkt in 13,24–27 schildert, ist für ihn am Ende der gerechte Richter.105 Gleichzeitig schlägt die Jesus in den Mund gelegte apokalyptische Rede Mk 13 eine Brücke zur Gegenwart des Evangelisten durch den Hinweis auf die nachösterliche weltweite Mission 13,10 und durch die Mahnung an die verfolgte und angefochtene Kirche um 70: »Und ihr 100 Die
Verbindung von Zeichen und Glauben an Jesu Messianität und Gottessohnschaft ist bei ihm noch sehr viel stärker betont als bei Markus, wobei die Zeichen bei der Menge gerade keinen bleibenden Glauben erwecken. S. die Stellenangaben S. 567 Anm. 99 und u. Anm. 101. 101 Joh 7,31; 9,16; 10,41; 11,47; 12,18.37; vgl. auch 20,31 und das hyperbolische Schlußwort 21,25. 102 Dasselbe gilt von Lukas im Gegensatz zu den späteren Matthäus und Johannes. 103 Hengel, Gospels, 196 ff. 104 Mk 12,40: oñtoi lflmyontai periss·teron kr‡ma = Lk 20,47, vgl. Mt 23,13. 105 Mk 8,38; 13,26 f.; 14,61 f. S. o. S. 537.
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werdet gehaßt von allen106 um meines Namens willen. Wer aber bis ans Ende ausharrt, der wird gerettet werden.«107
106 Vgl.
Joh 15,18 ff., der diesen Haß der Welt christologisch begründet. S. dazu die Anklage gegen die Christen in der neronischen Verfolgung bei Tacitus, ann. 15,44,4: odium humani generis convicti sunt, und die Verteidigung der Christen, die ihre Verfolger des Hasses bezichtigt: Diognet 2,6; 5,14; 6,1.7; Tertullian, apol. 1,4; 2,3; 3,4 ff.; 37,8; 46,4: Der Haß gegen die Christen ist Haß gegen die Wahrheit: Minucius Felix, Oct. 14,6; 31,8 etc. Nach M. Hitchcock, The Charges against the Christians in Tacitus, CQR 103 (1930), 300–316 und Hermanthena 49 (1935), 184–188 ist auch bei Tacitus der Haß der Bevölkerung gegen die Christen gemeint. Dies ist jedoch eine Fehlinterpretation. Der Vorwurf des Hasses wurde von beiden Seiten erhoben. S. auch Tacitus, hist. 5,5,1 gegen die Juden: adversus omnes alios hostile odium. 107 Mk 13,13; vgl. Lk 21,17–19 und Mt 24,9b.13.
§ 19 Die Vorbereitung der Passion Jesu 19.1 Das historische und theologische Problem Die meistbezeugte Nachricht über Jesus von Nazareth im 1. und 2. Jahrhundert ist die Tatsache, daß er gekreuzigt wurde. Diese Aussage steht schon – paradoxerweise als Heilsgeschehen – in der Mitte der paulinischen Missionspredigt, wir finden sie als Baraita im Talmud babli, daß Jesus am Vorabend des Passafestes »aufgehängt« worden sei, und bei den antiken Schriftstellern. So spottet der Satiriker Lukian Mitte des 2. Jahrhunderts n. Chr. über den »gekreuzigten Sophisten«, den die schwachköpfigen Christen verehren; für den Platoniker Celsus ist es eine unerhörte Zumutung, daß die Christen fordern: »Glaube, daß dieser Gottes Sohn ist, obwohl er auf ehrlose Weise gefangen und in allerschändlichster Form hingerichtet wurde.« Der Neuplatoniker Porphyrios berichtet von einem Orakel des Apollo, das den »leeren Wahn« der Christen verspottet, die »einen toten Gott klagend besingen, den ein gerecht urteilendes Gericht verurteilt und den ein böser Tod in den schönsten Jahren dadurch vernichtete, daß er mit eisernen Nägeln ans Kreuz geheftet wurde.« Dazu wäre auch das Spottkruzifix auf dem Palatin zu erwähnen, das aus der Zeit um 200
Blinzler, Prozeß; Sherwin-White, Society; Hengel, Crucifixion; A. Strobel, Die Stunde der Wahrheit. Untersuchungen zum Strafverfahren gegen Jesus, WUNT 21, Tübingen 1980; Pesch, Mk II; Betz, Probleme; Brown, Death; Hengel / Schwemer, Anspruch, 45–63.133–163. bSan 43a. Dabei wird vorausgesetzt, daß er von einem jüdischen Gerichtshof verurteilt, gesteinigt und dann nach Dtn 21,23 »aufgehängt wurde«; vgl. auch tSan 9,7 das Gleichnis R. Meïrs von zwei Zwillingsbrüdern und dem »gekreuzigten König«, weiter Tg Esther 7,10, wo das Kreuz Hamans als »Lehrhalle des Bar Pandera«, das heißt Jesu, bezeichnet wird; s. dazu B. Ego, Targum Scheni zu Ester, TSAJ 54, 1996, 125.317 ff. und H. Strack, Jesus, § 1 und 2 (S. 18*f.); § 14 (S. 44*); Schäfer, Jesus, 63–74.75–81. Lukian, De morte Peregrini 11.13. Tacitus, ann. 15,44,3 spricht zwar nur von der Hinrichtung Jesu durch Pilatus (supplicio adfectus erat), aber er weiß natürlich, daß er gekreuzigt wurde. Römische Autoren vermieden nach Möglichkeit den unfeinen Begriff der Kreuzigung. Hengel, Crucifixion, 37 f.77 f. Origenes, c. Celsum 6,10. Bei Augustin, De civitate Dei 19,23.
§ 19 Die Vorbereitung der Passion Jesu
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stammt, mit einem Gekreuzigten, der einen Eselskopf trägt, und der Inschrift ›Alexamenos betet Gott an‹. Zugleich ist wohl über keinen Prozeß der Weltgeschichte soviel geschrieben und nachgedacht worden wie über diesen, die Überfülle von Theorien und Hypothesen macht seine Beurteilung nicht einfacher. Die Hauptquelle ist der relativ schlichte Bericht des Markusevangeliums, c. 14 und 15, der an einigen Punkten und mit großer Vorsicht von den zum Teil abweichenden Berichten des Lukas und Johannes beleuchtet werden kann, hinter denen zwar eigene Überlieferung steht, die aber gegenüber Markus zumeist sekundäre Züge trägt. Auch die Ergänzungen des Matthäus, der in der Regel dem für ihn autoritativen Markus folgt, sind fast durchweg legendärer Art. Viele Fragen werden dabei immer offenbleiben, zumal wir über den Strafprozeß gegen Provinziale (peregrini) im Reich nur wenig wissen. Die ausführlichsten Quellen dazu sind die Pliniusbriefe und die Märtyrerakten über die Christenprozesse. Ein Bericht der Passion Jesu lag dem Evangelisten Markus vermutlich schon vor der Abfassung des Evangeliums in schriftlicher Form vor, wobei durchaus möglich ist, daß er ihn in früherer Zeit selber verfaßt bzw. ausgestaltet hat. Er stammte ja selbst aus der Jerusalemer Urgemeinde. Wahrscheinlich war für ihn der Passionsbericht der Ausgangspunkt für das ganze Evangelium. In ihm wurde von Anfang an eine fortlaufende Geschichte erzählt. Ohne einen derartigen Bericht hätte man Jesus in den Missionsgemeinden außerhalb des Mutterlandes gar nicht als den gekreuzigten Gottessohn verkündigen können. Das Alter und der Umfang dieser Vorform ist freilich umstritten. Rudolf Pesch möchte dieses »Urevangelium« mit der Passionsgeschichte noch bis in die Zeit des Hohenpriesters Kaiaphas zurückführen, der im Herbst 36 abgesetzt wurde, ein doch wohl etwas zu kühnes Unterfangen.10 Aus der kaiserlichen Pagerie zur Zeit der Severer, als die Christen bereits in den kaiserlichen Haushalt eingedrungen waren; zum Eselskopf vgl. etwa Tertullian, ad Scap. 4,5 f.; eine Abbildung findet sich bei E. Dinkler, Signum Crucis, Tübingen 1967, T. XIII, 33a. Vgl. Mt 26,53 das Wort von den zwölf Legionen Engeln; 27,3–10: der Selbstmord des Judas (s. o. S. 235 Anm. 190); 27,19.24: die Frau des Pilatus und das Händewaschen; 27,52: Auferstehung von Toten beim Tod Jesu; 27,62–66; 28,4.11–15: Grabeswache. Historisch wertvoll sind der Name des Hohenpriesters Kaiaphas Mt 26,57 (vgl. dazu jedoch Lk 3,2; Apg 4,6 und Joh 11,49 u. ö.; s. u. S. 595 Anm. 40) und 27,16 der Name Jesus Barabbas, s. u. S. 606 f. Anm. 28. Mommsen, Strafrecht, 229–250: Das statthalterliche Strafrecht. Zum Prozeß Jesu 240 f. Anm. 2: »Unter den im Ganzen übereinstimmenden und im wesentlichen auch geschichtlichen Berichten scheint der reinste derjenige des Marcus« zu sein. S. weiter E. Bickerman, Utilitas Crucis (s. u. S. 601 Anm. 1); Sherwin-White, Society, 13–23; ders., The Letters of Pliny, Oxford 21985, 692–712. S. dazu Hengel, Mahl. 10 Pesch, Mk II, 1–27. Er begründet dies unter anderem damit, daß Markus den Namen des Hohenpriesters nicht nennt, das heißt als allgemein bekannt voraussetzt. Auch G. Zuntz, Evangelium Marci, will Markus ganz früh um ca. 40 n. Chr. ansetzen. S. o. S. 252 Anm. 26.
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VI. Die Passion Jesu
Das Alter der Passionsüberlieferung ergibt sich schon aus der bereits Paulus in festgefügter Form bekannten Tradition 1 Kor 11,23 ff.: »Der Herr Jesus in der Nacht, da er verraten (oder ausgeliefert) wurde, nahm er das Brot, sprach den Segen, brach es und sagte: Das ist mein Leib, der für euch (geopfert wird) …«. Sie muß mit 1 Kor 5,6–8, dem Hinweis auf Jesus als das geopferte Passalamm und auf die Passabräuche, zusammengesehen werden. Paulus hat den dahinterstehenden Bericht den Korinthern bei der Gemeindegründung im Jahre 49/50 erzählt; er wird diesen schon nach seiner Bekehrung in Damaskus kennengelernt und bereits in seinen Missionsgemeinden in Syrien und Kilikien11 verbreitet haben. Hier ist noch lebendige Erinnerung wirksam, ja, Paulus besitzt »chronologische« Kenntnisse, nicht nur über die Nacht der Auslieferung, sondern auch über die Auferweckung Jesu (aus dem Grabe) am dritten Tag 1 Kor 15,4.12 Der Kern des markinischen Leidensberichtes geht so auf Augen zeugen, vor allem aber auf Petrus zurück. Man konnte weder im Gottesdienst – das zeigt das Pauluszitat 1 Kor 11,23 ff., aber auch der Philipperhymnus 2,6 ff. oder die spätere Passahomilie des Melito von Sardes – noch in der Missionspredigt, in der nicht nur bei Paulus die Verkündigung des Gekreuzigten im Mittelpunkt stand,13 auf die Kenntnis der Leidensgeschichte verzichten; denn hier mußte die brennende Frage beantwortet werden: Wie konnte Jesus von Gliedern seines eigenen Volkes, dem er doch seine messianische Vollmacht in Wort und Wundern erwies,14 der römischen Behörde und damit dem Kreuzestod, das heißt dem Fluchtod, ausgeliefert werden? Oder anders ausgedrückt: Wie konnte der römische Präfekt Pilatus den einzigartigen »Gerechten«15, Jesus von Nazareth, trotz seiner Schuldlosigkeit wie einen gemeinen Verbrecher zum grausamsten Tod verurteilen, den die römische Strafjustiz kannte? Gerade die Leidensgeschichte weist so von Anfang an bereits auf die Verstockungstheorie des Markus wie auch auf das eigentliche »Messiasgeheimnis« hin. Letzteres wird durch die Passion Jesu vollends enthüllt. Weil die Urgemeinde von Anfang an über diese Fragen erzählend informieren und sie zugleich theologisch erklären mußte, war die Passionsgeschichte ein zentraler Teil ihrer Botschaft: Hier steht Markus bei aller legendären Ausmalung und christologischen Gestaltung auf historisch sicherem Grund: Es zeigen sich dabei gewisse »Grundtendenzen«, die schon für die Urgemeinde bestimmend waren.
11 Gal
1,21.
12 Hengel,
Mahl; ders., Begräbnis: Es geht um den Tag der Entdeckung des leeren Grabes durch die Frauen am Ostermorgen. 13 1 Kor 2,1 ff.; Gal 3,1.13; vgl. Apg 2,23 f.36; 5,30; 10,39; 13,28 f. 14 Lk 24,19; Apg 2,22 etc.; Hebr 2,4. 15 Lk 23,47; Apg 3,14; 7,52; 22,14; Mt 27,19; 1 Joh 2,1; d‡kaio“ erhält aufgrund von Jes 53,11 messianische Bedeutung; vgl auch Sap 2,12 ff.18 ff.; 5,1–5.
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1. Von Anfang an besteht eine gewisse apologetische Haltung. Man mußte betonen: An Jesus geschah der schlimmste denkbare Justizmord, die wahre Schuld tragen die verstockten und verblendeten Hierarchen des Synhedriums, die Hohenpriester, Ältesten und Schriftgelehrten, die Jesus an Pilatus auslieferten. Dieser war von Jesu Schuld nicht überzeugt, war aber zu schwach und zu feige, um ihrem Drängen zu widerstehen. Die Verkündigung des gekreuzigten und von den Toten auferstandenen Messias und Gottessohnes nach Ostern enthielt zumindest indirekt eine Anklage gegen die für seinen Tod Verantwortlichen, das heißt die Hierarchen in Jerusalem.16 Auffallend ist dabei, daß im Gegensatz zu Johannes bei Markus und von ihm abhängig bei Lukas und Matthäus das Stichwort ûIoudaõo“ für die Gegner und die Volksmenge nicht vorkommt. Bei Markus kann man darum noch nicht von einer grundsätzlichen »antijüdischen« Haltung in der Leidensgeschichte sprechen.17 Daß seine Darstellung historisch gut begründet ist, ergibt sich daraus, daß Pilatus und die späteren Prokuratoren nach unseren Quellen nicht mehr gegen die neue messianische Bewegung vorgegangen sind. Sie hielten dieselbe offenbar für politisch ungefährlich. Die römische Herrschaft hatte andere, wirklich bedrohliche Probleme. Die ständigen Gegner blieben während der nächsten 35 Jahre die politisch-religiöse Führungsschicht in Jerusalem und hier vor allem der Hannasclan.18 Bei ihnen wurden die Gründe der Hinrichtung Jesu festgehalten, bei ihnen wirkte die Verwerfung Jesu in der Feindschaft gegen die judenchristliche Gemeinde in Jerusalem weiter. 2. Die – wichtigste – »Tendenz« ist freilich schon vor und bei Markus der Nachweis, daß das Leiden Jesu ganz Gottes Willen entspricht und durch das profetische Wort des Alten Testaments vorausgesagt wurde. Auch dies gilt für das ganze Urchristentum. 1 Kor 15,3 zitiert Paulus nach einer Jerusalemer Tradition als Evangelium, das er bei der Gemeindegründung in Korinth »überlieferte«, daß »Christus starb für unsere Sünden nach den Schriften«. Bei der Verhaftung in Gethsemane läßt Markus in 14,49 Jesus sagen: »aber dies geschieht, daß die Schriften erfüllt werden«. Wichtig waren hier vor allem die Leidenspsalmen 22; 31; 69 und 118,22 ff., aber auch im Blick auf die soteriologische Interpretation des Todes Jesu Jes 53,19 weiter Sacharjatexte wie 12,10 f. und 13,7. Im Leidens16 Vgl. z. B. 1 Kor 2,8 f.: Die ±rconte“ toú a¢ùno“ to‚tou haben Jesus gekreuzigt; s. auch Apg 4,10; 5,30. Diese Anklage wurde von den Anhängern Jesu von Anfang an erhoben und bewirkte entsprechende Gegenreaktionen. Nachdem die führende Schicht in Jerusalem die neue messianische Bewegung – verständlicherweise – ablehnte, wurde die Gegnerschaft dann in der späteren christlichen Polemik auf die Juden überhaupt ausgedehnt, das heißt, die Führungsspitze wurde mit dem Volk identifiziert. S. die »polemischen« Aussagen wie 1 Thess 2,14 ff. (dem frühesten Paulusbrief um 50 n. Chr.); Apg 2,23; 3,13 f.; 10,39; 13,27 f.; Apk 11,8 etc. 17 S. dazu Schwemer, Passion, 133–163. 18 S. o. S. 98 und u. S. 576; weiter § 20.2.1. 19 S. dazu die Beiträge von Hengel (zur vorchristlichen Wirkungsgeschichte von Jes 53 = KS II, 72–114); Stuhlmacher (Evangelien und Apostelgeschichte) und O. Hofius (Briefe)
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bericht bei Markus wurden gerne solche Züge festgehalten, die mit der profetischen Weissagung des Alten Testaments belegt werden konnten. Der schändliche Tod des Messias Jesus am Kreuz war ein Skandalon, das von Anfang an durch die Berufung auf die Schriften als Gottes Willen gerechtfertigt werden mußte. Im Einzelfall wäre hier zu prüfen, ob alttestamentliche Zitate direkt geschichtsbildend gewirkt haben. Unseres Erachtens geschieht dies sehr viel weniger, als von der Hyperkritik vermutet wurde. Man hat nicht hemmungslos die Leidensgeschichte aus alttestamentlichen Texten »herausgesponnen«, sondern einzelne Texte mit der Erinnerung an Jesu Passion verbunden. 3. Hinzu kommt das paränetische Motiv: Jesus ist im Gehorsam gegen Gottes Willen der Gemeinde in seinem Leiden vorangegangen; die Christen sollen nicht wie die Jünger verzagen, sondern ihrem Meister, so wie er selbst gefordert hatte, darin nachfolgen und Anfechtung und Verfolgung ertragen. Markus entstand ja kurz nach der neronischen Verfolgung in Rom und ist gewiß von der Erinnerung an diese einmalige Katastrophe mitgeprägt. Auch hier stoßen wir wieder auf ein allgemeingültiges urchristliches Motiv, das schon für Paulus wesentlich war. 4. Über allem steht die soteriologische Bedeutung von Jesu stellvertretendem Leiden, ausgesprochen in den Höhepunkten Mk 10,45 und vor allem 14,24: »Das ist mein Bundesblut, ausgegossen für viele.« Nicht ihre Leidensnachfolge begründet das Heil der Jünger – hier versagen sie vielmehr –, sondern Jesu gehorsamer Weg in den Tod als leidender Gottesknecht, der sein Leben für die Vielen, das heißt inkludierend für alle, dahingibt. Im Augenblick des Todes Jesu zerreißt der Tempelvorhang: Der Weg ins Allerheiligste, zu Gottes heilvoller Gegenwart, ist durch den stellvertretenden Tod des Gottessohnes für alle Menschen geöffnet.20 J. Jeremias vermutet, daß es wohl zwei Fassungen der Passion gab,21 einen Langbericht, der den Einzug, die Tempelreinigung und die Vollmachtsfrage enthielt und dann zum Todesbeschluß und zur Kreuzigung überleitete, und einen noch älteren Kurzbericht, der mit der Verhaftung 14,43 ff. beginnt. Dieser ist die eigentliche Passionserzählung. Wir neigen einem Kompromiß zu: Die zeitlich durchgehende Erzählung beginnt schon mit Mk 14,1, da sie das Passamahl miteinschließt, bei dem die Heilsbedeutung des Todes Jesu im Mittelpunkt steht. Der markinische Passionsbericht bildet so eine relative Einheit; die verschiedenen in: Der leidende Gottesknecht. Jesaja 53 und seine Wirkungsgeschichte, hg. v. B. Janowski und P. Stuhlmacher, FAT 14, Tübingen 1996, 93–127; vgl. Jesus and the Suffering Servant, ed. by W. H. Bellinger Jr. and W. R. Farmer, Harrisburg (Penn.) 1996. 20 Mk 15,38 f. Der römische Centurio spricht stellvertretend für alle Heiden. S. M. Hengel, The Atonement, London 1981, 33–75. Vgl. auch das Gethsemanegebet Mk 14,35 f. und die Selbstübergabe Jesu Mk 14,41 f.48. Vor allem Johannes hebt hervor, daß Jesus in völliger Willenseinheit mit dem Vater den Weg ans Kreuz geht; daher muß er die Schilderung der Anfechtung Jesu in Gethsemane übergehen. 21 Jeremias, Abendmahlsworte, 83–90.
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Versuche, ihn literarkritisch in verschiedene Quellenstücke aufzulösen, können nicht überzeugen. Ein Extrem vertrat E. Linnemann,22 die ihn in »zwanzig verschiedene ursprüngliche Überlieferungseinheiten« zerschlagen wollte und sich dann doch über »die Einheitlichkeit dieser Erzählung in Struktur und Charakter« verwundert. Wichtiger als derartige künstliche literarkritische Versuche, Einzelstücke zu isolieren oder auch einen ganz knappen »Urbericht« herauszuschälen, ist, daß das jeweilige jüdische und römische rechtsgeschichtliche Material zum Vergleich herangezogen und nicht nur die christologische Tendenz des Berichts herausgearbeitet, sondern auch der politisch-historische Hintergrund des Prozesses ausgeleuchtet wird. Es ist unseres Erachtens durchaus möglich, daß hinter dem sehr knappen Markus-Bericht ursprünglich eine ausführlichere, teilweise auch variable Erzählung stand, die mündlich vorgetragen wurde.
19.2 Die Gegner Jesu: Todesbeschluß und Verrat des Judas23 Während in der galiläischen Wirksamkeit bei Markus als Gegner Jesu die Pharisäer,24 seltener die Schriftgelehrten25 und einmal auch die Herodianer zusammen mit den Pharisäern hervortreten,26 ändert sich dieses Bild in Jerusalem. Schon in der ersten Leidensweissagung Mk 8,31 ist davon die Rede, daß Jesus von den »Ältesten, Hohenpriestern und Schriftgelehrten« verurteilt werden wird. Mit dieser Dreiergruppe, bei der in der Regel die »Hohenpriester« zuerst genannt werden,27 da vor allem sie die politische Macht in Jerusalem in Händen halten, sind die Teile gemeint, aus denen sich die höchste jüdische Behörde, das Synhedrium, zusammensetzte, das aus 70 (bzw. 71) Mitgliedern unter dem Vorsitz des Hohenpriesters bestand, dessen Charakter vor 70 freilich in der Forschung umstritten ist. Vermutlich war dieses Gremium vor allem ein Instrument der 22 E. Linnemann, Studien zur Passionsgeschichte, FRLANT 102, Göttingen 1970, 176. Es ist verständlich, daß sie später – inzwischen von einem fundamentalistischen Bibelverständnis geprägt – der »historisch-kritischen Methode« radikal abgeschworen hat. Sie hat schon in ihrer früheren Marburger Zeit nie gelernt, was wirklich »historisch-philologische« Methode ist. Vgl. die Zusammenstellung der 34 (!) verschiedenen Versuche, die vormarkinische Passionsgeschichte zu rekonstruieren, bei Brown, Death, 1502–1517. 23 Jeremias, Jerusalem, 166 ff.181 ff.252 ff.; E. Lohse, Art. Synhedrium, ThWNT VII, 858 ff.; Schürer II, 199 ff.227 ff. (237 ff.); Goodman, Ruling Class; Goodblatt, Monarchic Principle; Brown, Death; Hengel, Mahl. 24 Mk 2,16.18.24; 3,6; 7,1; 8,11. 25 Mk 3,22; 7,1 – dort Schriftgelehrte aus Jerusalem. Im Gegensatz zu Matthäus unterscheidet er noch deutlich zwischen beiden Gruppen; s. o. S. 132. 26 Mk 3,6; für Jerusalem s. Mk 12,13. 27 Vgl. Mk 11,27; 14,43.53; 15,1; daneben erscheinen auch nur die »Hohenpriester und Schriftgelehrten« als die wichtigsten Gruppen: 10,33; 11,18; 14,1; vgl. 15,31; oft jedoch nur die Hohenpriester: 14,10; 15,3.10 f.; vgl. 14,55: o´ ürciereõ“ kaÑ Ωlon tÖ sunfidrion.
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herrschenden Priesterfamilien, insbesondere des übermächtigen Hannasclans.28 Sie sind die eigentlichen Kontrahenten Jesu seit seinem Einzug in Jerusalem.29 Der markinische Passionsbericht ist im Blick auf die Gegner Jesu und die Hauptverantwortlichkeit der Hohenpriester gut informiert. Die Passion Jesu wird bei ihm beherrscht von einem grundsätzlichen Konflikt Jesu mit den politischreligiösen Führern in der Heiligen Stadt. Die ürciereõ“, die Hohenpriester, sind dabei die Synhedriumsmitglieder, die zu den führenden Priesterhäusern, in erster Linie des Hannas, weiter des Boëthos, Phiabi, Kamithos u. a.30 gehörten, die ständig die höchsten Tempelämter wie das des Tempelhauptmanns und Schatzmeisters besetzten und die so reich waren, daß sie sich beim römischen Präfekten im Wechsel auch das begehrte Amt des Hohenpriesters erkaufen konnten. Unter Pilatus besaß Joseph mit dem Beinamen Kaiaphas, der Schwiegersohn des Hannas (Joh 18,13), diese Würde. Von allen Hohenpriestern zwischen Herodes und der Tempelzerstörung amtierte er mit Abstand am längsten (von 18 bis 36/37).31 Das heißt, er muß ein besonderes Geschick entwickelt haben, sein Amt zu behalten. Die späteren Hohenpriester wechselten zeitweise fast jedes Jahr.32 Die Schriftgelehrten (grammateõ“) mögen seit der Zeit der Königin Alexandra und des Herodes überwiegend Pharisäer33 gewesen sein, blieben aber nicht allein auf diese Religionspartei beschränkt. Es wird auch sadduzäische und »neutrale« Schriftgelehrte gegeben haben. Sie waren die eigentlichen Juristen in dieser höchsten jüdischen Gerichtsbehörde. Die Ältesten (presb‚teroi) vertraten dagegen die Laienaristokratie, das heißt die reichen Großgrundbesitzer, Sippenhäupter und Kaufleute; möglicherweise gehörte Joseph von Arimathia, der von Markus als »vornehmer Ratsherr«34 bezeichnet wird, zu ihnen. Das palästinische Judentum hatte wie die meisten Ethnien und Städte im Römischen 28 E. Lohse, ThWNT VII, 858–869; Goodblatt, Monarchic Principle, 77–130, Goodman, Ruling Class, 110–116, s. auch Index s. v. High Priest, Sanhedrin, The Problem of the Council before 70. 29 Mk 11,18.27; 14,1; 15,1 u. ö. 30 Jeremias, Jerusalem, 219: »von den 25 … Hohepriestern der herodianisch-römischen Zeit stammten nicht weniger als 22 aus diesen Familien«, und zum Ganzen 215–223. 31 S. dazu o. S. 79 f. Zu Kaiaphas und dem Clan des Hannas s. Hengel, KS II, 322–334; Schürer II, 230 Nr. 14; W. Horbury, PEQ 126 (1994), 33–48; Brown, Death, 409 ff. und Index s. v. Caiaphas 1558; s. auch o. S. 89 f. 32 Vgl. den diese spätere Situation voraussetzenden Hinweis Joh 11,49.51 und dazu Bill. I, 953 (LevR 21) und II, 569 (yJoma 1,1,38c); Übersetzung des ganzen Textes bei F. Avemarie, Yoma. Versöhnungstag, ÜTY II / 4, Tübingen 1995, 14. 33 Alexandra, die Witwe des sadduzäerfreundlichen Jannai, verhalf nach dessen Tod den Pharisäern zur Macht. Herodes nahm nach der Eroberung Jerusalems 37 v. Chr. grausame Rache an den hasmonäerfreundlichen Sadduzäern und begünstigte zunächst die Pharisäer und ihre schriftgelehrten Führer. S. dazu Deines, Pharisäer, 551–554; Hengel / Deines, Pharisäer, in: Hengel, KS I, 392–479 (425–432.462–476). S. o. S. 150–153.160. 34 Mk 15,43: e§scflmwn bouleutfl“. Zu seiner Person s. u. S. 619.
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Reich eine aristokratische Struktur; dies entsprach traditioneller römischer Politik, die sich bewußt auf Vertreter der Oberschicht in den Provinzen stützte. Die Mehrzahl des Synhedriums gehörte der konservativen, von den Priestern beherrschten Partei der Sadduzäer an, die pharisäische Minderheit war dagegen eher dem einfachen Volk zugewandt und hatte auf dieses zumindest außerhalb Jerusalems den größeren Einfluß. Die Frage ist, warum die hochpriesterlichen Autoritäten in Jerusalem in Jesus einen derart gefährlichen Gegner sahen, daß sie ihn verhaften ließen und mit so gezielten Beschuldigungen an Pilatus auslieferten, daß ihn dieser als politischen Verbrecher ans Kreuz schlagen ließ. R. Bultmann meint, man könne »diese Hinrichtung (schwerlich) als die innerlich notwendige Konsequenz seines Wirkens« verstehen; »sie geschah vielmehr auf Grund eines Mißverständnisses seines Wirkens als eines politischen«. Er verband damit die Vermutung, der Einzug Jesu mit seinen Anhängern werde »dem Prokurator als politisch gefährlich erschienen sein«. Die »Rolle der jüdische(n) Behörde dabei« lasse »sich nicht mehr erkennen, da der Passionsbericht zu stark von der Legende überwachsen ist. Für die späteren Christen waren die eigentlichen Feinde die Juden …; so machten sie sie auch verantwortlich für die Katastrophe Jesu.«35 Nun bezeugt freilich die ganze neutestamentliche Überlieferung, aber auch Josephus, daß die Initiative zur Verhaftung Jesu nicht von den Römern, sondern von der obersten jüdischen Behörde ausging, und diese mußte doch für die Auslieferung eines bei weiten Teilen des einfachen Volkes beliebten eschatologischen Volkspredigers und Wundertäters an die Römer ihre Gründe gehabt haben. Gerne wird behauptet, die Hauptursache für die Passion Jesu liege in seiner Kritik am jüdischen Gesetz.36 Diese war jedoch längst nicht so grundsätzlich und eindeutig, daß sie zu einer Verurteilung ausgereicht hätte; zudem zeigten die Römer gegenüber Gesetzesstreitigkeiten der Juden kein Interesse, und die jüdische Behörde besaß selbst nicht das Recht zur Hinrichtung. Die Anklagen gegen Jesus mußten, um wirksam zu sein, politischen Charakter besitzen.37 Stephanus, gegen den man die Anklage der Polemik gegen Gesetz und Tempel erhob, wurde deshalb gegen den Bericht des Lukas nicht aufgrund eines ordentlichen Prozesses vor dem Synhedrium getötet, sondern fiel einer tumultuarischen Lynchjustiz zum Opfer; auch Paulus wäre es beinahe ähnlich ergangen.38 35 Bultmann, Exegetica, 453. Ders., Die Erforschung der synoptischen Evangelien (Aus der Welt der Religion 4), Gießen 41961, 49 f. (Hervorhebung R. B.). 36 Dazu M. Hengel, Jesus und die Tora, ThBeitr 9 (1978), 72–92 = KS V, 352–374. 37 Vgl. Mk 12,13; Lk 23,2; Joh 18,33–38; 19,12 und die Anklage, er sei »König der Juden« Mk 15,2 parr.; vgl. dagegen die Haltung des Statthalters Gallio Apg 18,14 f. Pilatus mag an sich ähnlicher Meinung gewesen sein. 38 Apg 7,54 ff.; dazu M. Hengel, KS III, 1–67 (37–46); Apg 21,27 ff. Zur Steinigung des Herrenbruders Jakobus mit anderen Judenchristen als »Gesetzesbrecher« während der Abwesenheit des Prokurators s. Josephus, ant. 20,200 ff.
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Der Grund der Hinrichtung Jesu ist in allen vier Evangelien eindeutig festgehalten und beherrscht die ganze Darstellung des Prozesses. Ausgangspunkt ist der titulus am Kreuz: »König der Juden«, ¨ basileÜ“ tùn ûIouda‡wn, der auf die causa poenae, die Ursache der Hinrichtung, hinweist.39 »König der Juden« bedeutet aber nichts anderes als die Übertragung des Messiasanspruches Jesu in die politische Sprache der Römer, die diese allein verstanden. Das Problem der Messianität Jesu durchzieht wie ein roter Faden von der Verhandlung vor dem Synhedrium bis zum Tod Jesu den ganzen Prozeß, ja, es wird schon mit dem Einzug in Jerusalem akut. In dem mit seiner Verkündigung des anbrechenden Gottesreiches verbundenen messianischen Anspruch Jesu und der dadurch begründeten Kritik am Tempelkult sahen die Volksführer offenbar eine Bedrohung ihrer eigenen Herrschaftsstellung, einen Angriff auf ihre von der römischen Macht geschützte Autorität im jüdischen Volk. Nach Josephus40 ließen kurz vor Ausbruch des jüdischen Krieges die jüdischen Volksführer einen ekstatischen Profeten, Jesus, Sohn des Ananias, der ständig Drohworte gegen Jerusalem und den Tempel ausrief, verhaften und verprügeln.41 Als dies nichts half, lieferten sie ihn dem Prokurator Albinus aus, der ihn bis auf die Knochen auspeitschen, aber dann als angeblich Verrückten wieder laufen ließ. Drohweissagungen gegen Jerusalem und den Tempel waren zwar schon ein Grund zur Auslieferung an die Römer, aber noch nicht schwerwiegend genug für eine Hinrichtung. Auch im Prozeß Jesu spielte ja ein Drohwort gegen den Tempel, Mk 14,58, eine Rolle, war aber ebenfalls nicht ausreichend. Entscheidend war vielmehr die Messiasfrage. Eine sonderbare Nachricht bei Johannes läßt nach der Auferweckung des Lazarus die Synhedristen sagen: Wenn »wir ihn gewähren lassen, werden alle an ihn glauben, und die Römer werden kommen und uns diesen (heiligen) Ort und (die Herrschaft über) das Volk nehmen!« Der Hohepriester Kaiaphas gibt darauf den Rat: »Es ist besser, daß ein Mensch sterbe für das Volk, als daß das ganze Volk zugrunde gehe.«42 Das ist gemäß christlicher Tradition formuliert, zeigt jedoch, daß bei Johannes die Synhedristen und ihr Oberhaupt in Jesus einen gefährlichen Volksverführer43 sahen, den man unschädlich machen mußte. Nach 39 Mk 15,26: a¢t‡a = Mt 27,37; Lk 23,38; am ausführlichsten und dreisprachig: ûIhsoú“ ¨ Nazwraõo“ ¨ basileÜ“ tùn ûIouda‡wn bei Joh 19,19 mit christologischer Absicht: Die Würde des Gekreuzigten soll aller Welt bekannt werden. S. u. S. 615 Anm. 68. 40 Josephus, bell. 6,300 ff. 41 Das heißt, man verhängte gegen ihn die Strafe der 39 Stockschläge nach Dtn 25,3; vgl. 2 Kor 11,24 und dazu Bill. III, 527 ff. 42 Joh 11,48–51. Der Hohepriester habe hier aufgrund seines profetischen Amtscharismas gesprochen. S. dazu E. Bammel, ARCIEREUS PROFHTEUWN, in: ders., Judaica et Paulina, WUNT 91, Tübingen 1997, 133–139. 43 Zu Jesus als Volksverführer s. Mt 27,63 f.; Joh 7,12.47; weitere Belege bei Hengel, Nachfolge, 44–46 = KS V, 81–84.
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Mk 14,1 sollen die »Hohenpriester und Schriftgelehrten« dagegen einen derartigen endgültigen Entschluß erst zwei Tage vor dem Fest gefaßt haben. Diese Datierung bezieht sich wohl auf die konkrete Ausführung des Plans und nicht auf den grundsätzlichen Wunsch, Jesus zu beseitigen. Der mochte schon seit dem Einzug bzw. der Tempelreinigung wirksam gewesen sein, zumal die Synhedristen besorgt waren, daß die Verhaftung ja nicht direkt auf das Fest falle, damit es keinen Aufruhr im Volk bei den zusammengeströmten Festpilgern gäbe. Markus betont mehrfach, daß der profetisch-eschatologische Prediger aus Galiläa beim einfachen Volk beliebt war und man eine öffentliche Verhaftung mit Rücksicht auf die Menge nicht wagte.44 Den entscheidenden Anstoß zum aktiven Eingreifen gab ein Jünger, der zum engsten Kreis um Jesus, den »Zwölf«, gehörte, Judas Iskariot, und der sich anbot, er wolle ihnen Jesus in die Hände spielen, worauf sie versprachen, ihn mit Geld zu belohnen.45 Dieser ist immer der letzte in den verschiedenen Zwölferlisten,46 er trägt meist den stereotypen Beinamen »der ihn auslieferte«47. Der Beiname ûIskari„q / ûIskari„th“ hat nichts mit den zelotischen Sikariern zu tun, wie manche Forscher vermuteten,48 sondern ist wohl eine Herkunftsbezeichnung: »der Mann aus Q erijjôt«, vermutlich ein Ort in Südjudäa, so in einigen Handschriften bei Johannes.49 Über die Motive dieses Verrats können wir nichts mehr sagen. Die Evangelienüberlieferung nennt satanische Besessenheit und Geldgier, beides soll das Unerklärbare erklären. Aus uns unbekannten Gründen scheint er über Jesu Verhalten tief enttäuscht gewesen zu sein. Absurd ist die Bestreitung der Historizität des Verrats und der Zugehörigkeit des Judas zum Kreis der Zwölf. Für die Urgemeinde war die Tat des Judas eine schwere Belastung und zugleich ein Rätsel. Man konnte sie nur
44 Mk
11,18; 12,12.37; 14,1 f. 14,10 f., vgl. Lk 22,3–6 und Mt 26,14–16; dazu 27,3–10 (Sondergut). Das Motiv der Belohnung mag zur urchristlichen Polemik gehören. Joh 12,6 (vgl. 13,29) macht ihn zum Geldverwalter der Jüngergemeinschaft und zum Dieb. 46 Mk 3,19; Mt 10,4; Lk 6,16: ≈“ †gfineto prod·th“, vgl. Apg 1,17: kathriqmhmfino“ én †n ™mõn. Joh 6,71 nennt noch den Namen seines Vaters Simon: tÖn ûIo‚dan S‡mwno“ ûIskari„tou. Der Beiname könnte dann schon der seines Vaters gewesen sein. S. auch o. S. 370 Anm. 144. 47 Mt 10,4: ¨ paradoÜ“ a§t·n. Vgl. 26,25; 27,3; Joh 6,71; 12,4; 18,2.5; nur Lk 6,16 nennt ihn »Verräter«; vgl. 22,3; Mk 3,19: ≈“ kaÑ parfidwken a§t·n, Apg 1,16: toú genomfinou ¨dhgoú toõ“ sullaboúsin ûIhsoún, s. dazu Hengel, Mahl, 132 ff. 48 Dazu Hengel, Zeloten, 49 Anm. 3; 334 Anm. 4. 49 Vgl. Jos 15,25. Der Beiname ûIskari„q (Mk 3,19; 14,10; Lk 6,16) entspräche der im zeitgenössischen Hebräischen öfter bezeugten Form ’îš qeriôt; s. Bill. I, 537 f. Zum Ort s. Joh 6,71: üpÖ Karu„tou in a*; Q; f13; syhmg und 12,4 in Codex D. Dies könnte die ursprüngliche Lesart sein, die dann durch das sonst übliche ûIskari„tou verdrängt wurde; Codex D und Itala haben in 6,71 und an anderen Stellen (Mt 10,4; Mk 3,19 etc.) Skariwq, eine Lesart, die von manchen als »Sikarier« gedeutet wurde. Johannes hat mehrfach ursprünglich klingende Ortsangaben. S. dazu auch o. S. 370 Anm. 144. 45 Mk
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VI. Die Passion Jesu
aus der teuflischen Besessenheit des Verräters erklären.50 Der Inhalt des Verrats ist dagegen deutlich: Das Angebot des Judas löste das Problem der Volksführer, wie sie Jesus, ohne am Fest einen Tumult zu erregen, rasch und sicher verhaften und dem Präfekten ausliefern könnten. Da Judas als Wegweiser der Polizei des Synhedriums und der hohenpriesterlichen Sklaven in der Passanacht in Gethsemane erscheint, verriet er wohl, wo Jesus in der Passanacht, in der man nicht außerhalb des Stadtgebiets übernachten durfte, nach dem Mahl sicher zu finden und ohne Aufsehen zu verhaften war.
19.3 Die Salbung in Bethanien Markus schiebt zwischen die kurze Notiz über die Tötungspläne der Hierarchen (14,1) und die Lösung ihrer Aporie durch das Verratsangebot des Judas (14,10 f.) die Erzählung von einer Einladung Jesu »im Hause Simons des Aussätzigen« in Bethanien ein und berichtet von seiner Salbung durch eine unbekannte Frau (14,3–9). Er schafft dadurch einen schroffen Kontrast zu den mörderischen Absichten der Hierarchen, die dann mit Hilfe des Verräters aus dem engsten Jüngerkreis verwirklicht werden. Der sonst unbekannte Gastgeber gehört zu den sich im Umkreis der Passion bei Markus häufenden namentlich genannten Zeugen wie Bartimaios, Simon von Kyrene und seine zwei Söhne, den galiläischen Frauen und Joseph von Arimathia. Die Frau zerbricht über dem Haupt Jesu ein Alabastergefäß mit kostbarem Nardenöl, so daß – nach der ausmalenden Schilderung des Johannes, der hier von Markus abhängig ist – »das Haus vom Duft des Salböls erfüllt wurde« 50 Lk 22,3; Joh 13,27: das einzige Mal, wo das Wort satanô“ bei Johannes vorkommt; vgl. 13,2 und 6,70; nur 17,12 nennt ihn »Sohn des Verderbens«: u´Ö“ tö“ üpwle‡a“. Dieselbe Bezeichnung gibt 2 Thess 2,3 dem Antichrist. Das neuentdeckte, aus der sethianischen Gnosis stammende Judasevangelium, das Irenäus, adv. haer. 1,31,1 erwähnt, stellt ihn dagegen ganz positiv dar; s. die deutsche Übersetzung des koptischen Textes in: Das Evangelium des Judas, hg. v. R. Kasser, M. Meyer und G. Wurst, Washington (D. C.) 2006, 19–45; dazu die Beiträge von B. D. Ehrman, G. Wurst und M. Meyer in: op. cit., 73–113.115–128.129–158. Hinzu trat später die moralische Diffamierung: Nach Joh 12,6 war er – wie schon gesagt – ein Dieb, der die gemeinsame Kasse unredlich verwaltete; vgl. 13,29. Nach Mk 14,11 und Lk 22,5 versprechen ihm die Hohenpriester Geld. Mt 26,15 fordert Judas selbst: »Was wollt ihr mir geben, damit ich ihn euch ausliefere?« Sie bieten ihm dafür 30 Silbermünzen an, die er später vergeblich zurückgeben will und dann in den Tempel wirft und sich erhängt: Mt 27,3–10. Die 30 Silbermünzen werden in einem Reflexionszitat aus Sach 11,13 abgeleitet. Apg 1,18–20 bringt eine völlig abweichende Erzählung über seinen Tod. In phantastischer Weise berichtet Papias, Frgm. III.2 (in der Ausgabe der Apostolischen Väter von Funk / Bihlmeyer, 136 f.); Frgm. 6 in: Schriften des Urchristentums III: Papiasfragmente. Hirt des Hermas, eingeleitet, hrsg., übertr. und erl. von U. H. J. Körtner und M. Leutzsch, Darmstadt 1998, 58–61. Zu den altkirchlichen Judastraditionen s. W. Bauer, Leben Jesu, 173–177 und P. Terbuyken, Art. Judas Iskariot, RAC 19, 142–160.
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(12,3). Der Vorgang erregt den Unwillen einiger Anwesender über eine solche Verschwendung: Man hätte das Nardenöl besser für 300 Denare – etwa der Jahreslohn eines Arbeiters – verkaufen und den Erlös den Armen geben können. Jesus weist solche Vorwürfe zurück: »Laßt sie! … Sie hat eine gute Tat an mir getan. Denn Arme habt ihr allezeit bei euch,
mich aber habt ihr nicht allezeit.51 Sie hat meinen Leib im voraus zum Begräbnis gesalbt. Amen, ich sage euch: Wo immer das Evangelium in der ganzen Welt verkündigt wird, da wird auch, was sie getan hat, zu ihrem Gedächtnis erzählt werden.«
Diese Szene, die Mt 26,6–13 etwas verkürzt übernimmt, Lukas dagegen wegläßt, weil sie in Einzelzügen mit seinem Bericht von der großen Sünderin (Lk 7,36–50) verwandt ist, schlägt eine Brücke zwischen einem historischen Vorgang und der Gegenwart des Evangelisten ca. 40 Jahre später. Daß dahinter ein geschichtliches Ereignis steht, zeigt schon die ungewöhnliche Namens‑ und Ortsangabe. Die Erzählung mag wie weite Teile der markinischen Passionstradition auf Petrusüberlieferung zurückgehen. Sie setzt – wie schon Mk 13,10 – für die Zeit des Evangelisten die weltweite Völkermission voraus, in der auch der führende Jünger eine wesentliche Rolle spielte. Die Perikope zeigt beispielhaft, wie im Zusammenhang mit der Verkündigung der neuen Botschaft auch konkrete Jesusgeschichte erzählt und so ausgelegt wurde, daß Erzählung und Deutung ineinanderfließen. Das Jesus vom Evangelisten in den Mund gelegte Amen-Wort interpretiert – rückblickend – die Tat der Frau als Vorwegnahme der Salbung seines Leichnams, die ihm – dem Gekreuzigten – nicht mehr zuteil wurde. Die Frauen, die am Ostermorgen diesen Dienst vollziehen wollten (Mk 16,1 = Lk 21,1), fanden das Grab leer. Zugleich bereitet die Erzählung den Bericht von dem unmittelbar folgenden Passamahl Jesu mit seinen Jüngern vor, die sich in der jetzt beginnenden Passionsgeschichte so ganz anders verhalten als die Frauen. Auch in diesem letzten Mahl steht die Ausrichtung auf den Tod Jesu im Mittelpunkt.52 51 Vgl. am Anfang des Evangeliums Mk 2,20: »Es werden Tage kommen, da ihnen der Bräutigam genommen wird.« Zur Teilnahme Jesu an Gastmählern s. Mk 2,15 ff. parr.; Lk 7,34 par. Im Gegensatz zum Täufer war er kein Asket. 52 Joh 12,1–8 versetzt die Erzählung von der Salbung in Bethanien vor den Einzug in Jerusalem, jedoch nach den Todesbeschluß der Volksführer aufgrund der Auferweckung des Lazarus (Joh 11,47–53), worauf Jesus sich nach einer Stadt Ephraim zurückzog (11,54, s. o. S. 329 Anm. 52 und 344 Anm. 5). Sechs Tage vor dem Passafest sei er trotz bestehender Lebensgefahr nach Bethanien gekommen, wo man für ihn ein Gastmahl veranstaltete, bei dem Martha (die Schwester der Maria: 11,1 f.) die Gäste bediente (vgl. Lk 10,40), während ihr Bruder zu diesen gehörte (12,2). Johannes identifiziert nun die bei Markus und Matthäus anonyme Frau mit Maria und übernimmt sowohl von Mk 14,3 f.6 ff. wie von Lk 7,38 wörtlich Motive, die zeigen, daß er beide Berichte kennt, wobei er diese zum Teil noch steigert (12,3). Die Kritik an diesem Vorgang legt er Judas in den Mund, »der ein Dieb war und als Verwalter der gemeinsamen Kasse die Einlagen unterschlug« (12,6). Der Vergleich mit den synoptischen Texten zeigt hier deutlich die novellistisch ausmalende Arbeitsweise des vierten Evangelisten, die es in der Regel unmöglich
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VI. Die Passion Jesu
19.4 Das letzte Mahl als Passamahl53 In der Forschung umstritten ist die Frage, ob das letzte Mahl Jesu ein Passamahl war oder nicht. Eindeutig bleibt dagegen, daß Jesu Tod am Freitagabend vor einem Sabbat erfolgt. Während die synoptische Tradition sich klar auf ein Passamahl in der Nacht des 15. Nisan festlegt, betont Johannes ausdrücklich,54 daß der Tag der Kreuzigung Jesu bereits der 14. Nisan, das heißt der Rüsttag zum Passafest gewesen sei, so daß Jesus zu derselben Zeit starb, als im Tempel die Passalämmer geschlachtet wurden, die man dann nach Einbruch der Nacht in Mahlgemeinschaften von mindestens zehn Personen verzehrte. Das Mahl Jesu in Joh 13, das die Abschiedsreden einleitet, erscheint als feierliches, nächtliches Mahl, beginnend mit einer Fußwaschung, die wohl die Taufe symbolisieren soll; doch wird es trotz einzelner Züge, die auf eine Passafeier hinweisen können, bewußt nicht als Passamahl dargestellt. Es ist typisch für den vierten Evangelisten, daß er die christologische Theorie über die historische Wirklichkeit stellt und diese verdrängt. Weil Jesus für Johannes selbst das Passalamm ist, kann er nicht mit seinen Jüngern das jüdische Passamahl gefeiert haben. Paulus sagt bereits in 1 Kor 5,7: »Christus, unser Passalamm, ist geopfert.« Er setzt dabei die Kenntnis der Passabräuche in der schon überwiegend »heidenchristlichen« Gemeinde in Korinth voraus, doch wohl, weil man das Passa dort auf eigene, »christliche« Weise gefeiert hatte. Die Korinther wußten von ihm, daß »die Nacht, in der Jesus ausgeliefert wurde«, die Passanacht war. Dagegen verbindet Johannes die Einsetzung der Eucharistie mit der Speisung der 5000, die nach ihm zur Passazeit ein Jahr vor dem Todespassa in Galiläa stattfand.55 macht, die hinter seiner Darstellung stehende historische Realität zu erschließen und dieselbe mit dem Markus-Bericht in Übereinstimmung zu bringen. Die Erzählung des Lukas von der großen Sünderin bei der Einladung Jesu durch den Pharisäer Simon (7,36.40) könnte ebenfalls vom Markus-Bericht beeinflußt sein, geht aber auf eine eigenständige Überlieferung zurück. 53 Jeremias, Abendmahlsworte; H. Schürmann, Der Paschamahlbericht, NTA 19,5, Münster 21968; Gese, Theologie, 85–128; R. Pesch, Das Abendmahl und Jesu Todesverständnis, 1978; R. Pesch, in: Evangelium, hg. v. P. Stuhlmacher, 113–156; P. Stuhlmacher, ZThK 84 (1987), 1–35; ders., Theologie I, 131–143; O. Hofius, ZThK 85 (1988), 371–408 = ders., Paulusstudien, WUNT 51, Tübingen 1989, 203–240; Brown, Death, 1364–1373; Theissen / Merz, Jesus, 359–386; O. Hofius, »Für euch gegeben zur Vergebung der Sünden«. Vom Sinn des Heiligen Abendmahls = ders., Neutestamentliche Studien, WUNT 132, Tübingen 2000, 276–300; Dunn, Jesus, 771–773; Hengel, Mahl. 54 Joh 18,28; 19,14: paraskeuÉ toú p›sca, vgl. 19,31.42. Die Veränderung des Datums wurde dadurch gefördert, daß Mk 15,42 vom Rüsttag auf den Sabbat spricht; vgl. Lk 23,54 und Mt 27,62. 55 Joh 6,4 und die Brotrede 6,32–58. Zur Fußwaschung Joh 13 s. L. Abramowski, Die Geschichte von der Fußwaschung (Joh 13), ZThK 102 (2005), 176–203: Sie könnte auf eine besondere sakramentale Handlung des johanneischen Kreises hinweisen, die sich in der Kirche nicht durchgesetzt hat. Dieser »Dienst« Jesu knüpft an das Logion Lk 22,27 an, s. u. S. 585 Anm. 74.
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J. Jeremias hat demgegenüber in seiner grundlegenden Monographie über die
»Abendmahlsworte«56 unseres Erachtens überzeugend dargelegt, daß das letzte
Mahl Jesu wirklich ein Passamahl war. Unter den zahlreichen Gründen, die er dafür anführt, sind die wichtigsten: (1.) daß es sich um ein feierliches Mahl Jesu mit seinen Jüngern während der Nacht im zur Festzeit übervölkerten Jerusalem an einem vorbereiteten Ort handelte. Nächtliche Mahlzeiten waren sonst beim einfachen Volk nicht üblich. (2.) Weiter war es ein Mahl, bei dem man auf Liegepolstern57 zu Tische lag, mit anderen Worten, ein wirkliches Festmahl, bei dem (3.) vor dem Brot ein Schüsselgericht58 gereicht wurde, in das man Kräuter eintauchte. (4.) Dazu wurden bei der Passafeier mehrere Becher mit Wein, nach der Mischna mindestens vier, auch für den Ärmsten,59 gereicht und (5.) zu den Speisen deutende Worte gesprochen, die sich auf das Heilsereignis des Auszugs aus Ägypten bezogen. Dies entspräche den »Einsetzungsworten« Jesu. Bedeutsam war außerdem (6.) das Anstimmen der Hallelpsalmen am Ende,60 die mit Ps 118 ihren Abschluß fanden. Unter dem Einfluß des messianisch gedeuteten Psalmwortes 118,26: »Gesegnet sei, der da kommt im Namen des Herrn« ist in Verbindung mit Dan 7,13 wenig später der Gebetsruf der Urgemeinde »unser Herr, komm!« (mar›na q›) entstanden, der vor allem am Ende der urchristlichen Mahlfeier ausgerufen wurde.61 Wenn (7.) Jesus nach dem Zeugnis des Paulus 1 Kor 11,24 ff. forderte, daß die Teilnehmer das Mahl »zu meinem Gedächtnis« feiern sollen und sie dabei »den Tod des Herrn verkünden«, so ist hier im Grunde das Gedenken an das Leiden und Sterben Jesu an die Stelle der erzählenden Erinnerung an das jüdische »Evangelium«, den Exodus aus Ägypten,62 getreten. Daß bei den von Paulus und Markus überlieferten Mahlworten Jesu selbst nicht mehr auf das Passa Bezug genommen wird, hängt damit zusammen, daß der Opfertod und die Auferstehung Jesu das Passaopfer und das Exodusgeschehen ersetzten, das heißt, daß das endgültige, abschließende Heilsgeschehen den alttestamentlich-jüdischen Typos zurückgedrängt hat. Daß derselbe auch weiterhin eine Rolle spielen konnte, zeigt die Passahomilie des Melito von Sardes 56 S.
auch Hengel, Mahl, 141–154. 14,15 = Lk 22,12; vgl. Joh 13,23–25; 21,20. Diese Tischsitte entstand unter dem Einfluß der hellenistischen Zivilisation. 58 Frucht mit Tunke und Bitterkräuter, selbst noch Joh 13,26! 59 Vgl. Lk 22,17.20. 60 Mk 14,26: kaÑ ≠mnflsante“ †xölqon = Mt 26,30. Die auffallende markinische Notiz wird in sinnvoller Weise nur durch das Passamahl begründet. Lk 22,24–38 bringt dagegen eine kleine Abschiedsrede. Die synoptischen Passamahlberichte sind wichtige jüdische Quellen für die Feier des Mahles vor der rabbinischen Überlieferung in Mischna und Tosefta des Traktats Pesachim. 61 1 Kor 16,22; Did 10,6; vgl. Apk 22,20 und 1 Kor 11,26: ±cri oñ ≤lqÔh. S. dazu Hengel, Abba, 161–171. 62 Vgl. dazu die Aufforderung zum Gedenken Ex 12,14: kaÑ ≤stai ™ ™mfira ≠mõn aæth mnhm·sunon, und 13,3. 57 Mk
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in der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts. Zudem wurde das Herrenmahl relativ früh wöchentlich (oder noch öfter), das Passamahl aber nur einmal jährlich ge feiert. Darum war im Rahmen der Einsetzungsworte, auf die es vor allem ankam, kein Raum für einen direkten Bezug auf die Passatradition mehr. Schließlich und endlich (8.) war die Festnacht, in der ganz Jerusalem vom Hallelgesang der Feiernden widerhallte, von dem gesagt wurde, daß von seinem Schall »die Dächer zerbrechen«, und bei der die von ungewohntem Weingenuß ermüdeten Zecher am Ende einschliefen,63 derjenige Zeitpunkt, zu dem Jesus ohne Risiko verhaftet werden konnte, wenn man nur wußte, wo er sich nach dem Passamahl aufhielt.64 Ein gewaltsames Eingreifen der Festpilger aus dem Lande, etwa aus Galiläa, war gerade in dieser Nacht nicht zu befürchten. Sie waren mit anderem beschäftigt. Beim Rüsttage zum Passafest, wo schon in der Nacht zuvor die Reinigung des Hauses vom Sauerteig begann und die Stadt voller Unruhe und gespannter Erwartung war, sah die Situation ganz anders aus. Jesus hat so im Zwölferkreis in seiner letzten Nacht das Passamahl abgehalten. Der Verräter nahm noch am Mahl teil und hat anschließend – bei Johannes noch während des Mahls65 – den Jüngerkreis verlassen. Die Einsetzungsworte: »das ist mein Leib« und das Wort vom Bundesblut, dessen Urform nicht mehr eindeutig rekonstruiert werden kann, da es bei Mk 14,2466 und 1 Kor 11,2567 verschieden lautet, wurden wohl als Deuteworte zum Brot und Kelch gesprochen, das Brotwort beim Brotsegen vor der eigentlichen Hauptmahlzeit und das Kelchwort vielleicht über dem dritten Becher nach der Mahlzeit.68 Es handelt sich um eine »messianische« Gleichnishandlung Jesu, mit der er die Frucht seines bevorstehenden Opfertodes, den neuen Bund mit dem Vater im Himmel, den Jüngern und darüber hinaus allen zueignet.69 Wir sind derartigen »messianischen Gleichnis63 Hengel, Mahl, 151. Vgl. mPes 10,8; yPes 10,8, 37d: Man rechnet unter Umständen damit, daß alle eingeschlafen sind. Dann darf man nicht weiter essen. 64 Markus berichtet entsprechend vom Schlafen der Jünger in Gethsemane: 14,37.40 f. 65 Joh 13,21–30. Dem realistisch-symbolischen én dÇ n‚x entspricht in 1 Kor 11,23: »die Nacht, in der (Jesus) ausgeliefert wurde.« 66 Mk 14,24: toút· †stin tÖ aïm› mou tö“ diaqflkh“ tÖ †kcunn·menon ≠pÇr pollùn: »Das ist mein Blut des Bundes, das für viele vergossen wird.« 67 1 Kor 11,25: toúto tÖ potflrion ™ kainÉ diaqflkh †stÑn †n tù †mù aºmati: »Dieser Kelch ist der neue Bund durch mein Blut.« S. auch 1 Kor 10,16: »Der Segenskelch (tÖ potflrion tö“ e§log‡a“), zu dem wir den Segen sprechen, ist er nicht die Gemeinschaft mit dem Blute Christi (o§cÑ koinwn‡a †stÑn toú aºmato“ toú Cristoú)?« Vgl. Ps 116,13: »der Kelch des Heils«. 68 Vgl. 1 Kor 11,25: metÅ tÖ deipnösai. 69 Mk 14,24: ≠pÇr pollùn. Mk 10,45: l‚tron üntÑ pollùn, vgl. 1 Tim 2,6: ¨ doÜ“ ©autÖn ünt‡lutron ≠pÇr p›ntwn. Das Wort gehört in den Kontext des letzten Mahls; vgl. Lk 22,27c. Lk 22,19 f., der die paulinischen Einsetzungsworte mit dem Markus-Bericht und eigener Tradition verbindet, fügt an das Brotwort (ähnlich wie Paulus 1 Kor 11,24) ein ≠pÇr ≠mùn did·menon an und ersetzt das inkludierende tÖ †kcunn·menon ≠pÇr pollùn (vgl. Jes 53,12) des Markus durch ein tÖ ≠pÇr ≠mùn †kcunn·menon: Die Hingabe Jesu bezieht sich bei ihm auf die Gemeinde.
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handlungen« Jesu schon mehrfach begegnet. Offenbar hat sich Jesu Verständnis von seinem eigenen Weg ins Leiden auf diesen Punkt des Selbstopfers hin konzentriert. Der Bezug auf die sühnende Selbsthingabe des Gottesknechts Jes 53,12 wird dabei die entscheidende Rolle gespielt haben. Damit verband sich der Hinweis auf das Bundesopfer Moses Ex 24, an das sich die Gottesschau und das Essen und Trinken der Ältesten Israels vor Gott anschloß.70 Vermutlich wollte Jesus durch das als Sühne verstandene Opfer seines eigenen Lebens die Macht der Sünde und Verstockung in Israel durchbrechen, die den Anbruch der Gottesherrschaft aufhielt. An die Einsetzungsworte schließt Markus ein Amen-Wort an, das die eschatologische Vollendungsgewißheit Jesu zum Ausdruck bringt: Er werde nicht mehr vom Gewächs des Weinstocks trinken, »bis ich es neu trinke in der Gottesherrschaft«71. Hier stoßen wir auf historisches Urgestein. Als Gemeindebildung ist dieses Logion sinnlos. Es wird darin zugleich die ursprüngliche eschatologische Ausrichtung des Herrenmahles deutlich. Das Passamahl Jesu und die darin ausgesprochene Selbsthingabe des Messias als Gottesknecht weist hinüber auf die in zeitlicher Nähe erwartete kommende Gottesherrschaft und Offenbarung des Menschensohnes. Jesus erscheint in diesem Wort als Tischherr und Gastgeber im zukünftigen Reich. Diese nächtliche Mahlfeier ist zugleich ein Ausblick auf das erwartete eschatologische Mahl.72 An diese Gleichnishandlung mögen sich noch Tischgespräche angeschlossen haben, die bei Johannes ausgeweitet und völlig neu gestaltet werden.73 Auch Lk 22,24 ff. berichtet unter anderem von einem solchen Gespräch über den Dienst Jesu und des Jüngers: »Sie begannen aber einen Wettstreit, wer von ihnen der größere sei. Er aber sagte
zu ihnen: Die Könige der Heiden herrschen über diese, und die, die Macht ausüben, lassen sich Wohltäter nennen. Ihr aber nicht so, sondern wer groß ist, der werde wie der kleinere, und wer eine Vorrangstellung hat, wie ein dienender Sklave … Ich bin in eurer Mitte wie ein dienender Sklave.«74 70 Ex 24,8: »Darauf nahm Mose das Blut und sprengte es gegen das Volk und sprach: Das ist das Blut des Bundes, den JHWH mit euch … geschlossen hat.« Zur Gottesschau und zum Essen und Trinken s. Ex 24,10 f. 71 Mk 14,25. Hier wird zugleich auf Ex 24,11 angespielt. Bei Lk 22,15–18 klingt das Motiv des Verzichtsgelübdes in V. 15 f. in bezug auf das Passamahl an, s. dazu Schwemer, Mahlgemeinschaft, 201 Anm. 59; 213 f. Zu Jesu Zukunftserwartung s. o. S. 412 ff. 72 Zum eschatologischen Mahl bei Jesus s. o. S. 532 ff.; vgl. auch 1 Kor 11,26 der eschatologische Ausblick ±cri oñ ≤lqÔh, weiter Apk 19,9 und Lk 14,15. 73 Lk 22,23–38; Joh 13–17. 74 Lk 22,27: †gá dÇ †n mfisw ≠mùn e¢mi Æ“ ¨ diakonùn. Es handelt sich um eine typisch lukanische zurückhaltende Parallele zu Mk 10,45. Zum Kontext des Wettstreits der Jünger und Jesu Antwort s. Mk 10,41 ff. = Mt 20,24 ff. Johannes, der Lukas kennt, drückt diesen Dienst durch das ≠p·deigma (13,15) der Fußwaschung aus. Auch bei Lukas mag sie den »Dienst des Gottesknechtes« und damit den Sühnetod Jesu andeuten, s. dazu Mittmann-Richert, Sühnetod. S. weiter die Verdopplung des ≠pÇr ≠mùn in 22,19 f., vgl. o. S. 584 Anm. 69 und Röm 15,8.
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In einem ähnlichen Zusammenhang steht bei Markus, dort freilich vor dem Einzug in Jerusalem als Abschluß der öffentlichen Lehre Jesu, das Lösegeldwort Mk 10,45: »Der Menschensohn ist nicht gekommen, daß er sich dienen lasse, sondern daß er selbst diene und gebe sein Leben als ein Lösegeld für viele«,
wo ebenfalls ein Rangstreit der Jünger vorangeht. Jesus kann sich in dieser Weise beim letzten Mahl geäußert haben. Für die Authentizität spricht, daß es auf eine aramäische Grundlage zurückweist.75 Man könnte in diesem Wort vom Dienst Jesu durch seinen Sühnetod das Vermächtnis Jesu an seine Jünger sehen. Bei Johannes deutet dagegen die Fußwaschung vor dem Mahl einmal durch das Motiv der Reinigung (13,8–11) indirekt auf die Taufe und zum anderen auf den Dienst der Jünger untereinander hin (13,14–17). Nach der Kennzeichnung des Verräters knüpft er mit dem neuen Gebot der Liebe (13,34) an dieses Motiv wieder an und entfaltet von dort aus das Herzstück seiner Theologie in den folgenden Abschiedsreden. Hier offenbart sich Jesus als der präexistente Sohn des Vaters, der durch das freiwillige Sühneleiden seiner Verherrlichung entgegengeht, vor denen, die zu ihm gehören, und verheißt ihnen die Sendung des Geist-Parakleten, der ihnen erst das rechte Verständnis seiner Botschaft eröffnen wird. Eben daraus gewinnt der vierte Evangelist seine weitgehende Freiheit gegenüber der geschichtlichen Wirklichkeit.76
75 Vgl. die hellenisierte Fassung 1 Tim 2,6, s. o. S. 584 Anm. 69. Ausführlich zum Ganzen Stuhlmacher, Theologie I, 120 ff.129–143. 76 J. Frey, Die johanneische Eschatologie III, WUNT 117, Tübingen 2000, 104 f.
§ 20 Gethsemane, die Verhaftung und das Verhör Jesu 20.1 Gethsemane und Verhaftung Nach dem Gesang der Hallelpsalmen, Mk 14,26, der das Passamahl beschließt, verläßt Jesus mit seinen Jüngern Jerusalem, überquert das Kidrontal im Osten der Stadt unterhalb des Tempels und sucht einen Garten mit Namen Gethsemane auf, der am Fuße des Ölbergs lag. Markus berichtet von einem Gebetskampf, bei dem Jesus die ihm vertrautesten Jünger, Petrus, Jakobus und Johannes, die er – abgesondert von den anderen – mit sich genommen hat, dreimal schlafend findet: Sie lassen Jesus in seiner Anfechtung alleine. Es ist kein Zufall, daß Markus hier, im einzigen Gebet Jesu, das er überliefert, die vertraute Gottesanrede »’Abbā’« in dessen Mund erscheinen läßt. Er weiß seine Akzente bewußt zu setzen. Für Jesus war nach Markus der Weg ins Leiden durchaus keine Selbstverständlichkeit, auch er mußte sich dazu durchkämpfen. Noch wäre ihm ja die Möglichkeit der Flucht in der Nacht offen gewesen. Er benutzt diese nicht, sondern nimmt den ihm vom Vater zugewiesenen Weg an. Das Bild des angefochtenen Jesus in Gethsemane ist sicher keine spätere Erfindung der Gemeinde, sondern geht auf schmerzvolle Erinnerung, unseres Erachtens wieder von Petrus selbst, zurück, der später sein und der Jünger Ver Mk 14,32–52 = Lk 22,39–53 = Mt 26,36–56; Joh 18,1–12. Vgl. Feldmeier, Krisis; Brown, Death I, 246–252. Joh 18,1 mit Ortskenntnis †xölqen … pfiran toú ceim›rrou toú Kedrán Ωpou én köpo“, vgl. 2 Sam 15,23; 1 Kön 15,13 u. ö. (LXX). Der Garten im unteren Teil des Ölbergs liegt in der Nähe des Kidrontales. Mk 14,32: Geqshmani (vgl. Mt 26,36) »Ölkelter« = gat š emînî (oder »Öltal«, gê’ š emînî); s. Bauer / Aland, WB, 307. Nach Lk 22,39 geht Jesus entsprechend seiner Gewohnheit zum Ölberg, gefolgt von seinen Jüngern. Er ersetzt damit eine ungewohnte aramäische Bezeichnung durch eine ihm geläufige Ortsangabe. Statt Golgotha schreibt er in 23,33 Kran‡on »Schädel«. Zu dieser Dreiergruppe s. Mk 5,37 parr.; 9,2 parr. Vgl. noch 3,16 f. und 13,3, ergänzt durch Andreas, den Bruder des Simon Petrus, s. o. S. 368. Mk 14,36. Nach 14,39 wiederholt er das Gebet: prosh‚xato tÖn a§tÖn l·gon. Vgl. Röm 8,15 und Gal 4,6; s. o. S. 417 und Hengel, Abba. Vgl. die Nähe zur 3. Bitte des Vaterunsers: Mk 14,36: o§ t‡ †gá qfilw üllÅ t‡ s‚. Mt 6,10b: genhqfltw tÖ qfilhm› sou. Diese Gebetsform ist älter als das erste Evangelium, s. auch Lk 22,42: mÉ tÖ qfilhm› mou üllÅ tÖ sÖn ginfisqw. Zu Mk 15,34 = Ps 22,2 s. u. S. 617 Anm. 82. Hier ist die Frage, ob der aramäische Ruf Jesu als Gebet zu verstehen ist.
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sagen nicht verschwieg. Johannes hat die ganze Szene wegen ihrer Anstößigkeit weggelassen, sie paßt weder in seine Christologie, nach der Jesus in völlig freier Entscheidung souverän und geradlinig in den Tod geht, noch in sein Bild vom Verhältnis Jesu zu seinen Jüngern. In einer Sondertradition des Lukas-Textes, die schon Justin überliefert, aber in vielen alten Handschriften fehlt, wird der »Gebetskampf« Jesu (†n ügwn‡a) anschaulich ausgemalt. Die Anfechtung Jesu widerspricht aller späteren christlichen Märtyrerideologie und wird von Celsus bitter verspottet. Julian Apostata findet die ganze Szene »erbärmlich« (±qlio“). Hebr 5,7 f. kennt dieselbe Überlieferung. So verhält sich kein antiker Held. Markus hat hier konkrete Erinnerung an ein reales Geschehen und theologische Deutung in kunstvoller Weise verbunden. Der Verräter führte die Polizei des Synhedriums bzw. die Tempelwache, verstärkt durch Sklaven aus den hochpriesterlichen Familien vor allem des Hannas und Kaiaphas, zum Übernachtungsort Jesu. Es handelt sich um eine größere Mannschaft. Sie rechnet mit Widerstand und ist bewaffnet. Der Jünger Jesu hatte ein Erkennungszeichen10 verabredet, damit sein Gefolge in der Dunkelheit die gesuchte Person sicher identifizieren und rasch verhaften konnte. Man war nur an ihm interessiert. So begrüßt er den Meister mit der Anrede »Rabbi« und einem Kuß, »den ich küssen werde, den nehmt fest und führt ihn sicher ab«11, und es wird auch kein anderer verhaftet – was doch wohl ein Hinweis auf die Historizität der Szene ist. Johannes läßt auch dies weg, es ist ihm zu anstößig. Der vom Teufel besessene Judas, »der Sohn des Verderbens«12, darf den Meister nicht mehr küssen. Auch die Flucht der Jünger wird von Johannes getilgt.13 Nur in Joh 12,27 ist eine schwache Andeutung einer Anfechtung erhalten. Vgl. auch Joh 10,11.17 f.; 15,13. Lk 22,43 f.: Ein »Engel vom Himmel stärkte ihn«, und bei seinem Gebetskampf »fällt sein Schweiß wie Blutstropfen auf die Erde«; s. dazu Metzger, Textual Commentary, 177. Zum erweiterten Text s. Justin, dial. 103,8, a D L Q Y f 1 M lat syc u. a. W. Bauer hält eine Streichung wegen Anstößigkeit für wahrscheinlicher: »wie steht Jesus da, wenn er Stärkung durch einen Engel nötig hat!« »Deshalb fühlten sich orthodoxe Christen gedrungen, die Perikope, die … Schaden zu stiften geeignet war, auszumerzen« (Leben Jesu, 171). S. auch C. M. Tuckett, The »Agony« in the Garden and Luke’s Gospel, in: New Testament Textual Criticism and Exegesis. FS J. Delobel, ed. A. Denoux, BEThL 161, 2002, 131–141. Die Szene entspreche »Luke’s literary strategy of presenting Jesus and Paul in similar ways« (144). Origenes, c. Celsum 2,9 f.24.70; dazu J. G. Cook, Interpretation, 49 f.297 f.; zu Julian s. loc. cit., 297 Anm. 130. Mk 14,43: µclo“ metÅ macairùn kaÑ x‚lwn. Vgl. V. 48: »wie gegen einen Räuber seid ihr gegen mich ausgezogen …« = Mt 26,47.55. S. auch den Sklaven des Hohenpriesters, Mk 14,47 parr. 10 Mk 14,44: s‚sshmon, s. dazu Bauer / Aland, WB, 1585; Mt 26,48: shmeõon. 11 Mk 14,44 f. = Mt 26,48 f.; vgl. Lk 22,48. 12 Joh 17,12; s. dazu o. S. 580. 13 Mk 14,50 ist knapp und präzise: kaÑ üffinte“ a§tÖn ≤fugon p›nte“. S. dagegen das Eintreten Jesu für sie Joh 18,8 als Erfüllung früherer Verheißungen.
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Jesus, der nach Mk 14,42 und Joh 18,4 den Häschern entgegenging, machte es ihnen leicht. Er läßt sich ohne Gegenwehr gefangennehmen. Einer aus der Jüngerschaft versucht überrascht, Widerstand zu leisten, und schlägt mit seinem Kurzschwert einem hochpriesterlichen Sklaven das Ohr ab.14 Die Legende hat dies ausgemalt. In Joh 18,10 ist es Petrus, der zugeschlagen hat, Johannes weiß auch den Namen des Sklaven: Malchus.15 Lk 22,49 ff. fragen die Begleiter Jesu (o´ perÑ a§t·n) noch: »Herr, sollen wir mit dem Schwert zuschlagen?« Einer von ihnen tut es und trifft das rechte Ohr des Sklaven, worauf Jesus den Verletzten heilt. Mt 26,5216 nutzt den Vorfall zu einem mahnenden Jesuswort: »Stecke dein Schwert an seinen Platz, denn alle die, die zum Schwert greifen, werden durch das Schwert umkommen.« Damit »die Schriften erfüllt werden« können, »mußte dies so geschehen.« Darum nimmt Jesus bewußt keine göttliche Hilfe in Anspruch.17 Die Schwertschlag-Episode hat den erzählerischen und deutenden Eifer der Evangelisten besonders angeregt. Diese Tendenz zur novellistischparänetischen Erweiterung läßt sich in der ganzen Passionsgeschichte von Lukas bis zum Evangelium Petri beobachten.18 Auch hier erweist sich der schlichte Markus-Bericht als der zuverlässigste. Dies gilt für einen weiteren Punkt: Entgegen der Darstellung des Johannes waren keine römischen Truppen bei der Verhaftung beteiligt. Dieser spricht dagegen außer von den »Sklaven der Hochpriester und Pharisäer« auch von einer Kohorte19 unter dem Befehl eines Tribunen.20 Beim Eingreifen römischer Soldaten hätte es sicher Blutvergießen gegeben, dafür haben wir bei Josephus genügend Beispiele. Die Darstellung des vierten Evangeliums steigert die 14 Mk 14,47, vgl. Lk 22,49–51; Mt 26,51–54; Joh 18,10 f. Zum »Kurzschwert« (m›caira) s. E. Plümacher, EWNT II, 978 ff.; vgl. auch das rätselhafte eschatologische Wort von den Schwertern Lk 22,36.38. 15 Der Name findet sich vor allem bei Arabern und Nabatäern, s. Ilan, Lexicon, 390 f. Es könnte sich so um einen nichtjüdischen Sklaven handeln. Vielleicht beruht diese sonderbare Angabe doch auf Tradition. 16 Vgl. Apk 13,10. Das Wort richtet sich auch gegen den jüdischen Zelotismus, der auch nach 70 weiter lebendig war und 132 zum Bar Kochba-Aufstand führte. S. auch Joh 18,36. 17 Mt 26,53 f. Das Wort von den »mehr als zwölf Legionen Engeln«, die der Vater auf seine Bitten senden könnte, wehrt zugleich den Vorwurf der völligen Machtlosigkeit des Gottessohnes ab. S. dazu Celsus’ jüdischen Gewährsmann bei J. G. Cook, Interpretation, 149 f., und die Verspottungsszene u. S. 610; vgl. Ps 91,11 f. und das Zitat dieses Verses in der Versuchungsgeschichte Mt 4,6 = Lk 4,10 f.; s. dazu auch Joh 18,36b. 18 S. dazu Bauer, Leben Jesu, 169–243. 19 Joh 18,3.12: speõra, bei Auxiliarkohorten ca. 600 Mann. Sie kommen mit »Laternen, Fackeln und Waffen«. 20 Joh 18,12: cil‡arco“: Die römische Besatzungstruppe in Judäa bestand im Kern nur aus fünf Auxiliarkohorten von je ca. 600 Mann. Sie hatte eher den Charakter einer Polizeitruppe als einer machtvollen Besatzung. S. o. S. 78. Apg 21,31 ff.; 22,24 ff.; 23,10–30 schildert ausführlich das Verhalten des cil‡arco“ und Befehlshabers in der Burg Antonia, Claudius Lysias, der das Leben des Paulus rettet.
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VI. Die Passion Jesu
Gegner Jesu nach dem Motto »viel Feind, viel Ehr« in einer dramatischen Szene.21 Aufgrund der Selbstidentifikation Jesu »ich bin es« weicht die ganze Heerschar zurück und fällt zu Boden. Erst nach einer zweiten Aufforderung und der Zurechtweisung des Petrus wagen sie es, Jesus zu verhaften und zu fesseln. Die Darstellung des Johannes läßt so – vermutlich auch gegenüber heidnischer Diffamierung im Stil des Celsus – schon bei der Verhaftung die göttliche Würde Jesu sichtbar werden. In Wirklichkeit war in der Passanacht die rasche Verhaftung Jesu durch die jüdische Polizeibehörde kein großes Problem. Die Jünger fliehen, ohne weiteren Widerstand zu leisten: »und alle verließen ihn und flohen.«22 Nur Petrus macht eine Ausnahme und folgt »von ferne« bis in den Innenhof des hochpriesterlichen Palastes und erwartet mit dem um ein Feuer versammelten Gesinde, wie sich die Dinge weiter entwickeln. Diese ganze Schilderung gründet auf petrinischer Tradition. Der sonderbare Jüngling, Mk 14,51 f. (Sondergut), der sein Untergewand zurückläßt und nackt flieht, gab der Exegese seit den Kirchenvätern ein unlösbares Rätsel auf. Man muß davon ausgehen, daß Markus voraussetzt, daß seine Hörer und Leser den Vorgang noch verstanden, ja, er muß »ein persönliches Interesse« an diesem Vorgang bzw. dieser Person gehabt haben.23 Unter allen Vermutungen scheint ein versteckter Hinweis auf den Evangelisten oder aber auf einen anonymen, dem Evangelisten noch bekannten Augenzeugen noch am ehesten plausibel zu sein.24 Bei einem Eingreifen der römischen Stadtkohorte wäre es kaum verständlich gewesen, warum Jesus nicht sofort in das Prätorium des Präfekten geführt 21 Joh
18,2–12. 14,50. Johannes übergeht die Flucht, dafür stellt sich Jesus schützend vor die Jünger: »Wenn ihr mich sucht, laßt diese gehen« in 18,8. 23 G. Wohlenberg, Das Evangelium des Markus, KNT II, Leipzig 1910, 360; mit Hinweis auf die Vermutungen der Väter s. auch Zahn, Einleitung II, 217; dort die Sachparallele Euseb, h.e. 6,40,7. S. weiter M.-J. Lagrange, Évangile selon Saint Marc, Paris 41929 (= 91966), 367 f.: »De toute façon elle provient d’une tradition personelle de Marc«. Ähnlich Wellhausen, Evangelium Marci, 122: »Der Erzähler muß darüber Bescheid gewußt haben«. E. Lohmeyer, Das Evangelium des Markus, KEK I / 2, Göttingen 161963, 324: Diese »bedeutungslose« Szene soll »an einen Augenzeugen der Gefangennahme Jesu erinnern«, und das ist nur sinnvoll, wenn man noch wußte, wer derselbe war. Zwar weist Brown, Death I, 294–304 jeden Identifizierungsversuch »with a real person« schärfstens als »imaginative flights of fancy« (299) zurück, aber die Deutungen auf »a symbolic figure« (299 ff.) bzw. sein eigener allegorisch-erbaulicher Vorschlag sind noch mehr ›fanciful‹. Auch der Verweis auf Am 2,16 (11) hilft sowenig weiter wie die Beziehung zu dem unseres Erachtens gefälschten Secret Gospel of Mark (295 ff.), in dem der Fälscher ein ganz besonderes »persönliches Interesse« gerade an dieser Szene zeigt (295). Wie sollten die ersten Hörer solche Verstiegenheiten aus dem Text herauslesen? Bauckham, Jesus, 197–200, hält die Identifizierung für »redundant«, denn Papias betone, daß der Verfasser des 2. Evangeliums kein persönlicher Jünger und Hörer Jesu gewesen sei. 24 So häufig die ältere Exegese, s. B. Weiss, Die Evangelien des Markus und Lukas, KEK I,2, Göttingen 91901, 222 f.; Zahn, Einleitung II, 248–250; V. Taylor, The Gospel according to St. Mark, London 21966, 561 f. Bauckham, Jesus, 197–201, vermutet einen Augenzeugen, den der Evangelist aus Rücksichtnahme nicht nennt. 22 Mk
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wurde, sondern zuerst in den hochpriesterlichen Palast,25 der vermutlich am Ostabhang des Westhügels über dem Tyropoion-Tal gegenüber dem Tempel lag. Dies bedeutet aber, daß die Verhaftung Jesu nicht von der römischen Behörde, sondern von den jüdischen Volksführern ausging und mit Hilfe der Tempelpolizei geschah. Den Hierarchen lag daran, allein Jesus zu verhaften und jegliches weitere Blutvergießen zu vermeiden, denn dies hätte sie in den Augen vieler Festpilger nur verhaßt gemacht. Die nächste Parallele ist der Unheilsprofet Jesus, Sohn des Ananias. Auch er wurde 62/63 n. Chr. zuerst von der jüdischen Behörde festgenommen und mit Schlägen bestraft und erst, als die Synhedristen nichts erreichten, dem Prokurator Albinus vorgeführt.26
20.2 Das Verhör Jesu vor dem »Synhedrium« 20.2.1 Der Hannasclan und die jüdische Kapitalgerichtsbarkeit27 Nach der Verwandlung Judäas in eine römische Provinz bis zur Machtübernahme durch König Agrippa I., das heißt von 6–41 n. Chr., war das hochpriesterliche Amt – selbstverständlich mit Zustimmung des jeweiligen Präfekten – bis auf zwei ganz kurze Ausnahmen in der Hand der Familie des Hannas. Hannas, Sohn des Sethi, das Familienoberhaupt, war Hoherpriester zwischen 6 und 15 n. Chr.; Josephus betont, daß auch alle seine fünf Söhne das Hohepriesteramt erhielten,28 was nur durch die Gunst der herrschenden Macht möglich war. Er war auch nach seiner Amtszeit die »graue Eminenz«, die im Hintergrund die Fäden zog. Die mit Abstand längste Amtszeit hatte sein Schwiegersohn,29 Joseph Kaiaphas, zwischen 18 und 37, der sich besonders gut mit Pilatus verstanden haben muß, denn er fungierte während der ganzen Herrschaftszeit (26–36 n. Chr.) des Präfekten. Die Familie des Hannas kontrollierte so das Geschehen im Tempel, ja in Jerusalem, sie bezog durch den Opfertierhandel und den Geldwechsel ein 25 Mk
14,54: ™ a§lÉ toú ürcierfiw“; Joh 18,13: prÖ“ ∏Annan prùton, V. 24: prÖ“ Ka›fan tÖn ürcierfia. 26 Josephus, bell. 6,300–309; s. o. S. 119 f. und u. S. 596 f. 27 Jeremias, Jerusalem, s. Index 421: s. v. Hohepriester; 422: s. v. Kaiphas; SherwinWhite, Society, c. 1+2; Schürer I, 368 f.; II, 199 ff.218 ff.; Blinzler, Prozeß, 129 ff.216–244; Betz, Probleme, 568 ff.; Brown, Death; Theissen / Merz, Jesus, 399–407; Hengel, KS II, 322–334. 28 Josephus, ant. 20,197 f. S. die Hohepriesterliste bei Schürer II, 229–232, dort Kaiaphas unter Nr. 14. Es werden dort zwischen Herodes (40–4 v. Chr.) und 65 n. Chr. 26 Namen aufgezählt. 29 Diese Tatsache erfahren wir nur durch Joh 18,13. Das erklärt auch, warum er z. B. Lk 3,2 (vgl. Apg 4,6) mit Hannas zusammen genannt wird. Zu seiner Person s. Hengel, KS II, 322–334 und dazu W. Horbury, The ›Caiaphas‹ Ossuaries and Joseph Caiaphas, PEQ 126 (1994), 33–48.
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großes Einkommen, das sie wieder zur Absicherung ihrer Vorherrschaft benutzen konnte. Vermutlich mußte die Herausgabe des hohepriesterlichen Ornats, der von den Römern in der Burg Antonia verwahrt wurde,30 zu den großen Festen von dem Präfekten jedes Jahr durch neue Zahlungen erkauft werden. Insgesamt nennt Josephus nur sieben Hohepriester zwischen 6 und 41, davon fünf aus dem Clan des Hannas. Später wechselten die Hohenpriester schneller. Insgesamt kennen wir die Namen von 18 Hohenpriestern der Präfekten‑ bzw. Prokuratorenzeit zwischen 6 und 70 n. Chr., davon sieben aus der Hannasfamilie. Sehr wahrscheinlich ging das Eingreifen gegen Jesus vom amtierenden Hohenpriester und seinem Schwiegervater aus. In Joh 11,49 f. wird das entscheidende Wort gegen Jesus von Kaiaphas selbst gesprochen.31 Die Pharisäer, vertreten durch eine Anzahl von Schriftgelehrten, waren im Synhedrium nur eine Minderheit, aber auch sie mögen überwiegend Gegner des galiläischen Messiasprätendenten Jesus und seiner Botschaft gewesen sein. Das damals im Synhedrium geltende Strafrecht war noch nicht das pharisäisch-rabbinische, wie es dann nach 200 n. Chr. seinen schriftlichen Niederschlag in dem Traktat Sanhedrin der Mischna gefunden hat, sondern das priesterlich-sadduzäische, von dem Josephus betont, daß es strenger war als das pharisäische.32 Das hatte seinen Grund darin, daß die Gerichtsentscheidungen der Sadduzäer nach dem Buchstaben der Tora erfolgten und sie die mündliche, das Strafrecht entschärfende Halacha der Pharisäer ablehnten. Einzelheiten über das sadduzäische Kriminalrecht wissen wir nicht. Der oft wiederholte Einwand, daß das Synhedrium nach dem Mischnatraktat Sanhedrin in Fällen, bei denen es um die Todesstrafe ging, keine Nachtsitzungen abhalten durfte, wird damit ebenso hinfällig wie die Meinung, daß das Bekenntnis Jesu Mk 14,62 keine Blasphemie darstelle, da nach späterer pharisäischer Meinung nur das Aussprechen des verbotenen Gottesnamens JHWH, das heißt des Tetragramms, als Gotteslästerung mit dem Tode geahndet werden durfte.33 Die rabbinischen Lehrer haben sich im 2. Jahrhundert nach den Exzessen des Jüdischen Krieges 66–70 und dann vor allem des Bar Kochba-Aufstandes 132–136 n. Chr. bemüht, die Möglichkeit der Anwendung der Todesstrafe einzuschränken, wobei ihr Kapitalrecht weitgehend akademisch abstrakt war, zumal das letzte Wort der Statthalter hatte. Da wir das schärfere sadduzäische Strafrecht nicht kennen, können wir auch nichts mehr über die Möglichkeit bzw. Unmöglichkeit und die Rechtmäßigkeit einer Ratsversammlung in der zweiten Hälfte der Passanacht aussagen. 30 Vgl.
Josephus, ant. 18,90.95; 20,12. dazu o. S. 578. 32 Josephus, ant. 20,199. 33 S. Bill. I, 1008 ff.; Blinzler, Prozeß, 216–229; Bock, Blasphemy; nach Josephus, c. Ap. 2,194 stellt die Schmähung des Hohenpriesters eine Form der Blasphemie dar, die dieser mit dem Tode bestrafen mußte, s. Schwemer, Passion, 150 Anm. 82; s. u. S. 598 Anm. 57. 31 S.
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Nach der Verwandlung Judäas in eine römische Provinz 6 n. Chr. trat ein römischer Präfekt34 aus ritterlichem Stand an die Stelle des jüdischen Königs bzw. des Ethnarchen, das heißt des Herodes und seines Sohnes Archelaos. Diese ritterlichen Präfekten hatten in der Regel unruhige Randprovinzen zu verwalten. Sie kamen meist aus der Militärlaufbahn und entstammten nicht dem Senatsadel. Ihre Hauptaufgabe war die Aufrechterhaltung der römischen Herrschaft in der Provinz mit militärisch-polizeilichen Mitteln. Das Recht, Todesurteile zu fällen und vollziehen zu lassen, das bisher beim König gelegen hatte, ging jetzt auf den Präfekten über. Über derartige Einschränkungen der lokalen Strafrechtskompetenz besitzen wir einige Nachrichten aus den griechischen Städten der Cyrenaika zur Zeit des Augustus.35 Für andere, weniger schwere Angelegenheiten waren weiterhin die örtlichen Gerichte zuständig. Der Präfekt36 als der höchste römische Beamte konnte freilich nach Belieben Fälle an sich ziehen. Beim Prozeß gegen Paulus, den man wegen Entweihung des Tempels angeklagt hatte, waren die Prokuratoren Felix und Festus gezwungen, eine Entscheidung zu treffen, da es sich bei Paulus um einen römischen Bürger handelte. Umstritten bleibt, ob das Synhedrium in Jerusalem als das höchste jüdische Gericht überhaupt das Recht besaß, Todesurteile zu verhängen, die dann vom Präfekten bestätigt werden mußten, ehe sie vollzogen wurden, oder ob es nicht vielmehr alle Kapitalfälle von vornherein dem Präfekten übergeben mußte und wegen eines todeswürdigen Verbrechens dann nur Anklage vor diesem erheben konnte. Vermutlich war das letztere der Fall. Wahrscheinlich enthält Joh 18,12 ff. eine historisch ernst zu nehmende Korrektur des Markus-Berichts 14,53 ff. Nach Johannes wurde Jesus nach seiner Verhaftung nicht sofort vor das Synhedrium, sondern zuerst (prÖ“ ∏Annan prùton) vor den besonders einflußreichen Hannas zu einem nächtlichen Verhör geführt. Wahrscheinlich wurde damit der Zeitraum überbrückt, der nötig war, um die Ratsmitglieder, soweit sie überhaupt in der Passanacht erreichbar und ansprechbar waren, von der Verhaftung Jesu zu benachrichtigen und zusammenzuholen. Die Verleugnung des Petrus findet darum bei Johannes im Palast des 34 So
lautete der offizielle Titel nach der Pilatusinschrift von Caesarea (s. o. S. 56 Anm. 94) in Analogie zu dem ebenfalls vom Kaiser eingesetzten ritterlichen Praefectus Aegypti. Erst seit Claudius, der erstmalig Freigelassene nach Judäa entsandte, lautete der Titel Prokurator; diese Bezeichnung finden wir darum bei Tacitus. Vgl. ann. 15,44,3 (fälschlich bei Pilatus) und 12,54,4 (richtig für Felix und Cumanus). Lukas und Matthäus geben Pilatus, Felix und Festus mehrheitlich den Titel ™gem„n: Lk 20,20; vgl. 3,1: ™gemone‚onto“ Pont‡ou Pil›tou tö“ ûIouda‡a“, Mt 27,2 u. ö.; Apg 23,24; 24,1 u. ö. Für die Provinzstatthalter mit senatorischem Rang hat Lukas sonst ünq‚pato“: Apg 13,7 f.; 18,12, vgl. jedoch 1 Petr 2,14 und Lk 2,2. 35 Sherwin-White, Society, 2.5.15–17 u. ö.; s. Index 199; Text der Edikte 7/6 v. und 4 n. Chr. bei V. Ehrenberg / A. H. Jones, Documents Illustrating the Reigns of Augustus and Tiberius, Oxford 1949, 139–143 nr. 311. 36 Vgl. Apg 23,33 ff.; 24,1–27,32. Weiter dazu u. S. 602 ff.
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Hannas statt (18,15–18.25–27). Von dem Verhör erzählt er nur eine dramatische Episode: Der Hohepriester fragt Jesus nach seinen Jüngern und seiner Lehre; Jesus antwortet, er habe öffentlich »in Synagoge und Tempel gelehrt, wo alle Juden zusammenkommen« (s. auch Mk 14,49), er könne daher die Zuhörer befragen. Wegen dieser freimütigen Antwort schlägt einer der Gerichtsdiener Jesus ins Gesicht: »Antwortest du so dem Hohenpriester?« Jesus setzt sich zur Wehr: »Wenn ich Unrechtes geredet habe, weise es nach, habe ich aber recht geredet, was schlägst du mich?« (18,19–23). Mit dieser realistischen Szene bringt Johannes die Souveränität Jesu vor dem Hohenpriester zum Ausdruck, zugleich ersetzt er die entwürdigende Verspottungsszene der Synoptiker. Der johanneische Jesus büßt bei ihm nichts von seiner Hoheit ein. Markus berichtet dagegen plerophorisch, daß alle Hohenpriester, Ältesten und Schriftgelehrten zusammenkamen und »die Hohenpriester und das ganze Synhedrium nach Zeugenaussage(n) gegen Jesus suchten, um ihn zu töten«37. In Wirklichkeit wissen wir über Umfang und genaue Zusammensetzung des Gremiums in der Passanacht nichts Näheres.38 Vermutlich war dasselbe überwiegend von den Parteigängern des Hannas und Kaiaphas beherrscht; auch ist die Unterscheidung zwischen einem bloßen Verhör und einer formgerechten Gerichtssitzung aufgrund der zum Teil divergierenden Berichte der Evangelien schwierig. Selbst wenn kein wirkliches Todesurteil gefällt wurde,39 war ja doch für die Auslieferung an den Präfekten der Beschluß einer Ratsversammlung über die Anklagepunkte notwendig, um diesen Gewicht zu verleihen. Man mußte darüber einig sein, welchen Verbrechens man Jesus gegenüber dem Präfekten beschuldigen konnte. Die begründete Anklage, Jesus sei ein messianischer Prätendent und Aufrührer, kam dabei praktisch einem Todesurteil gleich. Diese abschließende Beschlußfassung fand vermutlich nach dem Verhör bei Hannas nicht allzu lange vor Tagesanbruch vor Kaiaphas statt. Markus zieht wohl vereinfachend zwei Vorgänge, die Johannes zu Recht trennt, Verhör und Beschlußfassung, in eins zusammen und wertet die Ratsversammlung als »das ganze Synhedrium« auf. Den Namen des verhandlungsführenden Hohenpriesters nennt er nicht, Kaiaphas findet sich erst bei Matthäus und Johannes, auch Lukas 37 Mk
14,53.55. dazu Josephus, ant. 20,200: Hannas II. ruft nach dem Tode des Festus, während der neue Prokurator Albinus anreist, ein »Gerichtskollegium« zusammen (kaq‡zei sunfidrion), um den Herrenbruder Jakobus und andere Judenchristen zum Tode durch Steinigung verurteilen zu lassen. Lk 22,66 (vgl. Apg 22,5) spricht vom presbutfirion und gebraucht dort sunfidrion im Sinne von »Ratsversammlung«. Johannes hat das Stichwort nur 11,47 im selben Sinne wie Lukas und Josephus. 39 So Lk 22,66–23,1 und Joh 18,19–24.28. Auch bei Markus ist nicht von einem eindeutigen, rechtskräftig ausgefertigten Todesurteil die Rede. 14,64 gibt zunächst nur ein »Meinungsbild« wieder: t‡ ≠mõn fa‡netai; Das einmütige Urteil: ≤nocon eènai qan›tou könnte man übersetzen: »Er hat den Tod verdient.« S. Schwemer, Passion, 151 ff. 38 Vgl.
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ist er, zusammen mit Hannas, nicht unbekannt.40 Vermutlich war während des Verhörs41 bei Hannas die Ratsversammlung bei Kaiaphas zusammengetreten. Während Johannes nur berichtet, daß Jesus nach dem Verhör von Hannas zu Kaiaphas und dann von dort zu Pilatus ins Prätorium geführt wurde,42 bringen Markus und Matthäus eine ausführlichere Schilderung der Verhandlung vor dem amtierenden Hohenpriester, Lukas läßt dagegen in seinem kürzeren Bericht die Rolle des Hohenpriesters ganz ausfallen und Jesus am frühen Morgen direkt mit den Mitgliedern des Rates der »Hohenpriester und Schriftgelehrten« konfrontiert werden. Vermutlich folgt er hier in seinem Passionsbericht außer Markus noch einer eigenen Quelle.43 Bei Johannes hat man den Eindruck, daß er den MarkusBericht voraussetzt und zugleich korrigieren bzw. ergänzen will. Auch Lukas weicht bewußt vom Bericht des Markus ab, während Matthäus, ergänzt durch legendäre Erweiterungen, diesem getreulich folgt.
20.2.2 Der Verhandlungsbericht Mk 14,53–65 Zweck der Verhandlung vor dem Synhedrium war es, Anklagepunkte gegen Jesus zu finden, die eine Auslieferung an Pilatus in Verbindung mit einer todeswürdigen – und das heißt zugleich politischen – Beschuldigung rechtfertigte. Der gefährlich erscheinende Messiasprätendent aus Galiläa – und nur er allein – mußte unschädlich gemacht werden. Diese Entschlossenheit ist verständlich: Man sah in ihm eine Gefahr für die eigene beherrschende Position, den Tempel und die heilige Stadt, ja für die ganze jüdische Bevölkerung der Provinz Judäa.44 Von Markus werden dabei zwei Themen hervorgehoben: 1. das Wort gegen den Tempel:45 »Ich werde diesen Tempel, der mit Händen gemacht ist, niederreißen und in drei Tagen einen andern erbauen, der nicht mit Händen gemacht ist« – vorgetragen von Zeugen, die für den Evangelisten falsche Zeugen sind, da 40 Mt 26,57; Joh 18,24; Lk 3,2 und Apg 4,6 nennt beide Namen Hannas und Kaiaphas nebeneinander, sonst spricht er in der Regel im Plural von ürciereõ“. Der Singular erscheint nur Lk 22,50.54: das »Haus des Hohenpriesters«. 41 Die Verhandlung zieht sich nach Markus und Matthäus während der Nacht hin. Nach Lk 22,66 findet die Versammlung des »Ältestenrates« erst bei Tagesanbruch statt. Er setzt hier wohl den üblichen antiken Rechtsbrauch der Gerichtssitzung am frühen Morgen voraus. 42 Joh 18,24.28. 43 Lk 22,54 wird Jesus in »das Haus des Hohenpriesters« geführt, wo ihn Petrus verleugnet; nach 22,66–71 versammelt sich bei Tagesanbruch der »Ältestenrat des Volkes (tÖ presbutfirion toú laoú), und sie führen ihn in ihre »Ratssammlung« (e¢“ tÖ sunfidrion a§tùn) und stellen Jesus kollektiv die Messiasfrage. Auf Jesu Messiasbekenntnis reagieren sie wieder gemeinsam: Sie brauchen kein weiteres Zeugnis. Was Jesus selbst sagt, reicht aus, um ihn vor Pilatus anzuklagen. 44 Joh 11,47–50; vgl. 19,12; Mk 12,13 ff.; Lk 23,2. 45 Mk 14,58.
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ihr Zeugnis im Einzelverhör nicht übereinstimmt. Die Zeugen hatten, wie häufig im antiken Recht, die Rolle des Anklägers. Gerade dieser Zug der Dissonanz im Zeugenverhör könnte gegen die Tendenz des Erzählers, der von Falschzeugen spricht, ein Hinweis darauf sein, daß man mit einem relativ fairen Vorgehen versuchte, der Wahrheit auf den Grund zu kommen. Die Zeugenvernehmung mußte getrennt vorgenommen werden, und die Bestimmungen darüber waren zumindest nach rabbinischem Recht streng.46 Nach Joh 2,19 soll Jesus ein solches Tempelwort im Zusammenhang mit der Tempelreinigung gesprochen haben. Man wird es wohl ursprünglich als messianisches Kampfwort deuten dürfen: Der Anbruch der Gottesherrschaft bedeutet das Ende des ständig mißbrauchten Tempels in Jerusalem und seines Kultes.47 Die Johannes-Version faßt das Wort als Imperativ: »Reißt diesen Tempel ab, und in drei Tagen werde ich ihn erbauen« und deutet dies nachösterlich auf den Tod und die Auferstehung Jesu. Daß Jesus ein vergleichbares kritisches Wort über den Tempel geäußert hat, ist kaum zu bezweifeln, es spielt dann auch in der Verhandlung gegen Stephanus eine Rolle, wo es Lukas einführt. Stephanus soll gesagt haben: »Jesus der Nazaräer werde diesen Ort zerstören.«48 Die spätere Gemeinde sah wahrscheinlich im Tode Jesu Mk 15,37 das Zeichen der Erfüllung dieses Drohwortes, ausgedrückt durch das Zerreißen des Vorhangs, 15,38; das heißt, das Allerheiligste hat sich geöffnet. Durch Jesu Tod sind der Tempel und sein Opferkult obsolet geworden, das Allerheiligste als der Ort der Gegenwart Gottes ist profanisiert und existiert nicht mehr. Der Gekreuzigte und Auferstandene vermittelt den Zugang zu Gott und seinem himmlischen Heiligtum und damit zum endzeitlichen Heil.49 Offenbar reichte jedoch dieses Wort über den Tempel und Jerusalem zu einer Auslieferung und Anklage vor Pilatus sowenig aus wie später die ekstatische Profetie des Jesus, Sohn des Ananias, gegen das Heiligtum und Jerusalem, der ja eben deswegen nicht zum Tode verurteilt, sondern gegeißelt und vom Prokurator
46 S. dazu Bill. I, 1001–1003: »Widersprechen sich die beiden Zeugen … so war ihr Zeugnis ungültig.« S. auch Susanna und die falsche Anklage der beiden Ältesten, die von Daniel entlarvt wird (Dan 13,51 ff.); weiter mAv 1,8 f. die beiden frühen pharisäischen Lehrer Jehuda b. Tabai und Simeon b. Schetach über die Unparteilichkeit bei der Rechtsprechung und die Gründlichkeit des (getrennten) Zeugenverhörs. 47 Vgl. schon Mk 11,17 und dazu 13,1 f. Vgl. dazu Ådna, Tempel, 381–387; weiter 482 Index zu Mk 11,17. S. o. S. 560. 48 Apg 6,14. Lukas läßt dagegen im Prozeßbericht diese ganze Tempelfrage weg und holt sie als – falsche – Anklage bei Stephanus nach. Bei seiner Liebe zum Tempel hielt er ein solches Wort im Munde Jesu für unangebracht. 49 Vgl. das Stichwort prosagwgfl: Eph 2,18; 3,12; Röm 5,2 und vor allem Hebr 4,16 etc. Auch die späteren Judenchristen in Palästina und Syrien, die sogenannten »Ebioniten«, lehnten den Opferkult ab. Diese Aversion dürfte älter sein und könnte zumindest Teile des Judenchristentums in Jerusalem schon im 1. Jahrhundert betreffen; s. G. Strecker, Art. Ebioniten, RAC 4, 495.
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wieder freigelassen wurde.50 Wahrscheinlich steht hinter dem Tempelwort – wie O. Betz gezeigt hat51 – die messianisch gedeutete Nathan-Weissagung, 2 Sam 7,13 f., wo von dem Davids‑ und Gottessohn, das heißt nach jüdischer Exegese vom Messias, gesagt wird: »Er wird meinem Namen ein Haus bauen, und ich werde den Thron seines Königtums in Ewigkeit befestigen. Ich will ihm Vater sein, und er soll mir Sohn sein.« Das bedeutet aber, daß es in dieser Verhandlung letztlich um die Messianität Jesu ging. Der »neue Tempel« verkörpert die durch den Messias vermittelte vollkommene Gottesgegenwart und ‑gemeinschaft im endzeitlichen »wahren Israel«. Es ist nur folgerichtig, daß der Hohepriester schließlich, bei Markus in dramatischer Form,52 als letzte Möglichkeit die Messiasfrage selbst stellte: »Bist du der Gesalbte, der Sohn des Hochgelobten?«53 Jesus antwortet mit einem klaren »ich bin es« (†g„ e¢mi)54 und mit dem Gerichtswort: »ihr (die Synhedristen) werdet den Menschensohn sehen zur Rechten der Kraft und kommen mit den Wolken des Himmels.«55 Die ursprüngliche Form dieser Antwort, die auf einer Verbindung von Ps 110,1 und Dan 7,13 gründet, läßt sich zwar im Detail sowenig rekonstruieren wie die der Einsetzungsworte beim Abendmahl. Sie ist aber auch nicht einfach freie »christologische Konstruktion« des Evangelisten. Beide Texte, Ps 110,1 und Dan 7,13, wurden schon ganz früh in der Jerusalemer Urgemeinde aufeinander bezogen. Sie sind grundlegend für die früheste Christologie: Der zur Rechten Gottes Erhöhte ist der als Richter und Retter Kommende.56 Eine in diese Richtung gehende Selbstaussage Jesu über seine Identität mit dem kommenden Menschensohn-Richter, die zugleich das 50 S. o.
S. 119 f. Betz, Was wissen wir von Jesus. Der Messias im Licht von Qumran, Wuppertal 1991, 101–105; s. auch ders., Die Frage nach dem messianischen Bewußtsein Jesu, in: ders., Jesus der Messias Israels, WUNT 42, Tübingen 1987, 154 ff.; Schwemer, Passion, 144 ff. 52 Mk 14,61 f.; von ihm abhängig Mt 26,63 f. 53 Mk 14,61: SÜ eè ¨ cristÖ“ ¨ u´Ö“ toú e§loghtoú; Man beachte die Umschreibung des Gottesnamens mit ¨ e§loght·“, hab-bārûkh oder ham-m ebôrākh (mBer 7,3). Mt 26,63 verwandelt die Frage des Hohenpriesters in eine Beschwörung: †xork‡zw se katÅ toú qeoú. Die Antwort Jesu erhält dadurch »die Bedeutung einer eidlichen Erklärung«, Bill. I, 1006. 54 Auch die Antworten bei Mt 26,64 und Lk 22,70 sind eindeutig positiv zu verstehen. Das gilt unseres Erachtens auch für die Antworten gegenüber Pilatus; s. u. S. 604 f. 55 Mk 14,62 = Mt 26,64. Die Lukas-Version 22,66–71 unterscheidet sich wesentlich und ist gegenüber der Markus-Version deutlich sekundär. Lukas läßt die Synhedristen zweimal fragen: zuerst, ob er der Messias sei (V. 67), und dann nach seiner Gottessohnschaft (V. 70). Bei der Antwort Jesu auf die erste Frage beschränkt er sich auf die zukünftige Erhöhung des Menschensohns »zur Rechten der Kraft Gottes« und läßt das Sehen und Kommen auf den Wolken des Himmels weg, das heißt, er eliminiert die apokalyptische Zukunftsaussage von Dan 7,13 und bezieht Jesu Aussage auf die Auferstehung. Auf die zweite Frage antwortet er: ≠meõ“ lfigete Ωti †g„ e¢mi (Lk 22,70). Jesu Bekenntnis wird damit seine eschatologische Spitze genommen. 56 Das Motiv des Sehens des Kommenden begegnet uns schon in der Logientradition Lk 13,35 = Mt 23,39 im Zusammenhang mit Ps 118,26; vgl. 1 Joh 3,2; Apk 1,7; Barn 7,9 f.; s. dazu o. S. 583. 51 O.
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VI. Die Passion Jesu
Messiasgeheimnis enthüllt, wird das Urteil bzw. den Auslieferungsbeschluß provoziert haben. Ein solches Vollmachtswort mag den Synhedristen etwa wegen des Sitzens zur Rechten Gottes als gotteslästerlich erschienen sein oder wegen des »Ungehorsams« gegenüber dem Hohenpriester,57 ein förmliches Todesurteil wegen Gotteslästerung wurde jedoch (gegen Markus und Matthäus, mit Lukas und Johannes) von der Ratsversammlung nicht gefällt. Im weiteren Verlauf der Verhandlung spielt die »Gotteslästerung« überhaupt keine Rolle mehr, es geht nur noch um die jetzt plötzlich politisch interpretierte Messiasfrage, ob Jesus der »König der Juden« sei. An Fragen des Gesetzes und des Heiligtums war der Präfekt nicht interessiert.58 A. Strobel59 verweist als Grundlage der Verhandlung gegen Jesus vor dem Synhedrium auf Texte der Tora wie Dtn 13,6 ff. und 17,8 ff., die von der Verurteilung des Verführers und falscher Profeten sprechen, die das Volk zum Abfall verleiten. Dies entspräche den späteren jüdischen Anklagen in bSan 43a, bei Justin und bei Celsus.60 Gegenüber dem Präfekten brachte man dagegen die politische Anklage vor, Jesus wolle »König der Juden« sein. Durch diese Umdeutung hatte man eine sicher wirkende Anklage, die den Präfekten nach menschlichem Ermessen zu einem Todesurteil zwingen mußte. Die viel umstrittene Nachtsitzung des hochpriesterlichen Ratskollegiums mit vorausgehendem Verhör und nachfolgendem Auslieferungsbeschluß war notwendig, weil nach römischem Rechtsbrauch morgens bei Tagesanbruch Gericht gehalten wurde und Jesus zu diesem Zeitpunkt an den Präfekten ausgeliefert werden mußte.61 Gegen die Historizität des Berichts über die Verhandlung vor dem Hohenpriester und seinem Ratsgremium ist oft eingewandt worden, daß man darüber nichts wissen könne, da keine Augenzeugen aus der Anhängerschaft Jesu zugegen waren. Abgesehen von der Frage des »vornehmen Ratsherren« Joseph 57 Unseres Erachtens könnte Jesus schon bei den Streitgesprächen in Jerusalem Mk 12,35–37 auf Ps 110,1 und seine messianische Bedeutung hingewiesen haben; s. o. S. 566. Ps 110,1 war von Anfang an ähnlich wie Jes 53 ein Schlüsseltext des Urchristentums, s. Hengel, Setze dich. Zur Frage der Gotteslästerung s. Bock, Blasphemy, und Schwemer, Passion, 149 ff. zur Blasphemie gegenüber dem Hohenpriester mit den Hinweisen auf die entsprechenden Belege bei Josephus, ant. 13,293–296; c. Ap. 2,187.194.217. 58 Vgl. Gallio in Korinth Apg 18,14 f.; Pilatus in Joh 18,31: »nehmt ihn und richtet ihn nach eurem Gesetz«; 19,6. 59 Die Stunde der Wahrheit, WUNT 21, Tübingen 1980, 81 ff. 60 Zu Jesus als »Volksverführer« s. Hengel, Nachfolge, 44 f. = KS V, 81 f.; vgl. Mt 27,63 f.: pl›no“ / pl›nh; Joh 7,12: planô tÖn µclon und 7,47; weiter Justin, dial. 69,7: laopl›non; 108,2: ûIhsoú tino“ Galila‡ou pl›nou …; Origenes, c. Celsum 1,68 ff.: taúta qeomisoú“ én tino“ kaÑ mocqhroú g·hto“ (71). Vgl. auch Cook, Interpretation, 35–39. In bSan 43a wird Jesus vom jüdischen Gerichtshof zur Steinigung und Aufhängung des Leichnams verurteilt, »weil er gezaubert, verführt und Israel (zum Götzendienst) verleitet hat«. S. dazu Schäfer, Jesus, 63–74. 61 Blinzler, Prozeß, 255 unter Verweis auf Sherwin-White.
§ 20 Gethsemane, die Verhaftung und das Verhör Jesu
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von Arimathia62 und der Tatsache, daß ein Petrus sich bis in die Höhle des Löwen, das heißt in den Hof des hochpriesterlichen Palasts vorgewagt hatte,63 war die Hinrichtung Jesu am Passafest 30 n. Chr. sicherlich im weiteren Verlauf des Festes das Tagesgespräch in Jerusalem.64 Auch auf den ungenannten Jünger in Joh 18,15, der Petrus den Zugang in den Innenhof verschaffte, könnte man verweisen.65 Wesentlich ist weiter die Tatsache, daß die Anklagen gegen Jesus als kriminellen Volksverführer und seine Auslieferung an die römische Justiz in den nächsten 30 Jahren bis hin zur Steinigung seines Bruders Jakobus zusammen mit anderen Judenchristen als »Gesetzesbrechern« ca. 62 n. Chr. auf Betreiben Hannas II. ständig gegenwärtig waren.66 Der Hannasclan und die Synhedristen mußten, um sich zu rechtfertigen, seine Übergabe und Hinrichtung je und je als gerecht und notwendig begründen: Jesus war als messianischer Prätendent zugleich falscher Profet, Volksverführer und Gotteslästerer. Die Anklageschrift und der Auslieferungsbeschluß gegen ihn waren im hochpriesterlichen Archiv vorhanden, und ihr Inhalt wird auch bei dem mehrfachen Vorgehen der Synhedristen, des Königs Agrippa I. und Hannas II. gegen die Judenchristen in Jerusalem eine Rolle gespielt haben. Die von Paulus in 1 Thess 2,14 f. erwähnte Verfolgung »der Gemeinden in Judäa« empfing ihre letzte Rechtfertigung durch die Anklage des Synhedriums gegen den Volksverführer Jesus.67 Die Judenchristen konnten bei ihren Gegnern in der Hierarchie als Verbrecher erscheinen, weil schon ihr Meister ein solcher gewesen war. Die Stephanuserzählung zeigt, wie Anklagepunkte gegen Jesus auf Christen übertragen wurden. Auch bSan 43a verbindet die Hinrichtung Jesu mit der Verurteilung seiner Jünger. Daß Jesus nach erfolgtem Beschluß von seinen Bewachern der Polizei des Synhedriums bzw. den hochpriesterlichen Sklaven geschlagen und als messiani scher Pseudoprofet verspottet wurde,68 ist plausibel: Sein Anspruch wird persifliert.69 Bei der antiken Gerichtspraxis wäre es sonderbar, wenn dies nicht der Fall gewesen wäre. Erst recht stehen wir bei der Verleugnung des Petrus im Hof des hochpriesterlichen Palastes vor dem Hahnenschrei, der den Morgen ankündigt, auf historischem Grund. Sie wird wie die Gethsemane-Erzählung 62 Mk
15,43: e§scflmwn bouleutfl“, s. u. S. 619 Anm. 92. Petrus und mit ihm die ganze Gemeinde nicht auch nach Ostern an diesen Vorgängen brennend interessiert gewesen sein? 64 Lk 24,18; vgl. Apg 2,22; 10,37. 65 Dazu Hengel, Johanneische Frage, 322; s. u. S. 600. 66 Josephus, ant. 20,200 ff.; s. o. S. 102 f. 67 Hier liegt vermutlich auch die Begründung des umstrittenen Satzes 1 Thess 2,15: kaÑ tÖn k‚rion üpoktein›ntwn ûIhsoún kaÑ toÜ“ profflta“, vgl. Lk 13,34 = Mt 23,37. Dazu A. M. Schwemer, Verfolger und Verfolgte bei Paulus. Die Auswirkungen der Verfolgung durch Agrippa I. auf die paulinische Mission, in: Biographie und Person des Paulus, hg. v. E.-M. Becker und P. Pilhofer, WUNT 187, Tübingen 2005, 169–191. 68 Mk 14,65; Lk 22,63 und – auch von Lukas beeinflußt – Mt 26,67. 69 S. Schwemer, Passion, 153 f. 63 Sollte
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VI. Die Passion Jesu
auf Petrus selbst zurückgehen. Markus hat diese Episode erzählerisch geschickt in die Verhörszene eingebunden und damit auf den schroffen Kontrast zwischen dem Bekenntnis Jesu und dem Versagen des führenden Jüngers hingewiesen.70 Es ist unseres Erachtens unsinnig, darin eine spätere Gemeindepolemik gegen Petrus aufgrund seiner Wankelmütigkeit zu sehen. Möglicherweise hatte – so Johannes – ein ungenannter Jünger,71 der dem Hohenpriester bekannt war, dem Petrus Zugang zum Hof des Palastes verschafft. Diese Nachricht mag auf einen Tradenten zurückgehen, dem wir auch andere ernstzunehmende Motive und Ortstraditionen im johanneischen Passionsbericht verdanken, zum Beispiel die Fußwaschung, das Kidrontal, das Hannasverhör, den Hinweis auf den Ort der Verurteilung Jesu und anderes mehr.72 Wir glauben, daß der in historischen Fragen sonst so freie Verfasser des vierten Evangeliums, der selbst aus Jerusalem stammt, bei aller Tendenz zur »christologischen Steigerung« der Vorgänge hier mehrfach gute Einzeltraditionen eingebracht hat.
70 Lk 22,60 f. steigert die Dramatik der Erzählung: Während Petrus noch redet, kräht der Hahn, »und der Herr wandte sich um und schaute Petrus an«. 71 Joh 18,15 ff. Er könnte mit dem Lieblingsjünger identisch sein. Vielleicht handelte es sich um den späteren Autor des vierten Evangeliums, den Presbyter Johannes. S. dazu Hengel, Johanneische Frage, 215 f.309.314.321–325 (s. auch o. S. 599 Anm. 65). 72 Joh 19,13: Liq·strwton / Gabbaqa: Vermutlich ein mit Steinen gepflasterter Platz auf der der Stadt zugewandten östlichen Seite des Herodespalastes im Westteil der Stadt. Zur Historizität johanneischer Tradition s. auch Hengel, KS II, 293–334.
§ 21 Der gekreuzigte Messias 21.1 Die Verhandlung vor Pilatus 21.1.1 Die Auslieferung an den Präfekten und das Gerichtsverfahren Unmittelbar bei Tagesanbruch übergaben die Synhedristen Jesus an Pilatus mit der Beschuldigung, er sei ein messianischer Aufrührer und damit zugleich ein Rebell gegen die römische Herrschaft, vermutlich mit einer kurzen, schriftlich formulierten Anklage, der ein Beschluß der Ratsversammlung zugrunde lag. Damit wurde der Fall für den Präfekten von vornherein zu einem Kapitalfall, bei dem es um Leben oder Tod ging. Das umstrittene sumbo‚lion poiflsante“ deutet nicht auf eine zweite, besondere Morgensitzung des Synhedriums hin, ist auch kein Hinweis auf eine einfachere Form der älteren Passionsgeschichte, sondern einfach redaktioneller Anschluß an Mk 14,65 und heißt in diesem Zusammenhang: »sie faßten einen Beschluß (nämlich, Jesus an Pilatus auszuliefern)«. Ähnlich wurde ja auch der mehrfach erwähnte Jesus, Sohn des Ananias, als Unruhestifter nach vorhergehender Gerichtssitzung mit Verhör und Prügelstrafe an Albinus übergeben. Die Auslieferung mit schriftlicher Anklage leitete so den Prozeß vor dem Präfekten ein. Er hatte während der großen Feste, wenn er Jerusalem besuchte, seinen Amtssitz wohl nicht, wie vermutet wurde, E. Bickerman, Utilitas Crucis, RHR 112 (1935) = ders., Studies in Jewish and Christian History III, AGAJU IX / 3, Leiden 1986, 82–138. Diese grundlegende Studie verdiente mehr Beachtung, s. S. 138 das Postscriptum des großen jüdischen Autors kurz vor seinem Tode: »Les exégètes recueillent avec soin de mon article les données qui confirment, ou semblent confirmer, leurs vues personnelles, et négligent ce qu’infirme leurs hypothèses, mais on évite de comprendre la leçon de méthode«. S. besonders sein Urteil über Markus S. 104 f. im Vergleich mit Lukas und Matthäus, das mit dem Urteil von Mommsen (s. o. S. 571 Anm. 8) übereinstimmt. S. weiter Sherwin-White, Society, 1–47.186 ff.194 ff.; Blinzler, Prozeß, 245–283; Dunn, Jesus, 628–634.765–824; Schwemer, Passion, 154–157. Mk 15,1 = Mt 27,1; vgl. Lk 22,66–23,1; Joh 18,28. Lk 23,2; vgl. Joh 18,29–37; 19,12; Apg 17,7. Mk 15,1: sumbo‚lion poiflsante“. Die Lesart sumbo‚lion ©toim›sante“ interpretiert richtig im Sinne von »einen Beschluß fassen«, s. Metzger, Textual Commentary, 117: ein Latinismus, Vulg.: consilium facientes, Vetus Lat.: consilium fecerunt. Zur Wortbedeutung s. Bauer / Aland, WB, 1552. Bell. 6,302–305: o´ ±rconte“ … ün›gousin a§tÖn †pÑ tÖn parÅ ßRwma‡oi“ ≤parcon (303). S. o. S. 119 f.; weiter S. 591 und S. 597.
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in der Burg Antonia oder im Hasmonäerpalast, sondern in der stark befestigten Herodesburg im Nordwesten der Stadt. Dort war das Prätorium, die Kaserne eines Teils der Besatzungskohorte und der weiteren Truppen, die er von Caesarea mitgebracht hatte. Wann Pilatus zum Passafest, vermutlich begleitet von einer Kohorte, in Jerusalem eingetroffen war, wissen wir ebensowenig wie die Dauer des Aufenthaltes. Dieser kann ganz kurz gewesen sein. Das dem Präfekten vom Kaiser übertragene »imperium« umfaßte in der ihm anvertrauten Provinz die oberste Militär‑, Rechts‑ und Finanzhoheit, das heißt, er nahm dort an Stelle des Kaisers die höchste Regierungsgewalt wahr. Gegenüber den Provinzialen, den peregrini, war seine Rechtsvollmacht praktisch uneingeschränkt. Todesurteile gegen sie konnte er bereits aufgrund seines Auftrages, die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten, seiner einfachen Polizeigewalt (coercitio), fällen. Eine feste Prozeßordnung war dabei nicht vorgeschrieben. Er hatte hier weitgehend freie Hand. Im Gegensatz dazu stand das ausführlichere Kognitionsverfahren, das etwa gegen römische Bürger und darum auch gegen Paulus angewandt wurde. Hier war die Voraussetzung eine ordentliche Anklage durch einen Ankläger, der den Delinquenten dem Gericht vorzuführen, bzw., wenn dieser schon in Haft war, persönlich zu erscheinen und die schriftliche Anklage öffentlich zu vertreten hatte. Das römische Recht kannte wie das jüdische keinen »Staatsanwalt«. Es war auch bei Offizialverbrechen in der Regel auf private Ankläger angewiesen. Der Richter beriet sich in schwierigeren Fällen mit einem consilium von Beisitzern seiner Wahl. Leider besitzen wir nur ganz wenige Schilderungen von Prozeßverfahren in den Provinzen gegen Provinziale. Aufschlußreich sind vor allem die späteren Christenprozesse, so etwa der Brief des jüngeren Plinius an Trajan und dessen Antwort (ep. 10,96.97) und die Märtyrerakten ab dem Martyrium des Polykarp in Smyrna. Bei peregrini konnte der Präfekt aufgrund seiner polizeilichen Koerzitionsgewalt relativ rasch entscheiden: In deutlichem Gegensatz dazu steht die rund fünfjährige Dauer des Prozesses gegen Paulus, der römischer Bürger war, an den Kaiser appellierte und nach Rom überführt wurde! Nachdem der Prokurator Felix den Prozeß verschleppt hatte und sein Mk 15,16 = Mt 27,27; Joh 18,28.33. S. dazu D. Dormeyer, Art. Prätorium, NBL III, 163 f. So Trajan an Plinius (ep. 10,78): si qui autem se contra disciplinam meam gesserint statim coerceantur (»Wenn welche gegen meine Ordnung verstoßen, sollen sie sofort bestraft werden.«). Apg 22,25 ff.; 23,16–35; 24–26. Sherwin-White, Society, 13–30.48–70; Barrett, Acts II, 1047 ff.1075.1088–1174; H. W. Tajra, The Trial of St. Paul, WUNT II / 35, Tübingen 1989. Ca. 57–62. Der Prozeß gegen Paulus zog sich etwa zweieinhalb Jahre vom Wochenfest 57 bis zum Herbst 59 in Caesarea hin und dauerte nach dem Eintreffen des Angeklagten in Rom im Frühjahr 60 noch weitere zwei Jahre. Strittig bleibt, ob der Apostel dann hingerichtet wurde oder ob er zunächst freikam, nach Spanien reiste (Röm 15,24) und dann erst
§ 21 Der gekreuzigte Messias
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Nachfolger Festus denselben nach Jerusalem verlegen wollte, appellierte Paulus an den Kaiser. Festus gibt nach einer Beratung mit seinem Kollegium dieser Berufung statt.10 Über die Anklage gegen Jesus wurde dagegen relativ rasch ohne Beratung mit Beisitzern und sonstigem Rechtsaufwand entschieden. Die Verhandlung geschah in der relativ freien Gestalt einer cognitio extra ordinem11 mit schriftlicher Anklage, mündlichem Verhör des Angeklagten und der Ankläger und anschließendem Urteil. Sie wurde ganz im Gegensatz zu den politischen Prozessen in modernen Diktaturen in der Regel öffentlich, das heißt vor den Augen der Zuschauer, geführt. Die Ankläger brachten ihre delatio vor, und der Präfekt fungierte als Einzelrichter – so Pilatus gegen den peregrinus Jesus –, konnte aber auch ein Ratskollegium heranziehen. Der Angeklagte hatte sich selbst zu verteidigen. Schwieg er, so konnte dies einem Schuldgeständnis gleichkommen. Gestand er, so hatte er schon das Urteil über sich gefällt: confessus pro iudicato habetur, »wer gestanden hat, wird als verurteilt behandelt«12. Dieser Grundsatz geht schon auf das Zwölftafelgesetz zurück. Das Urteil wurde beim Einzelverfahren, das heißt ohne consilium, secundum arbitrium iudicantis,13 »nach dem Ermessen des Richters«, gefällt. Es gab dagegen keine Berufung, und man vollstreckte es in der Regel sofort, längere Haftzeiten waren selten. Hier zeigt sich der grundlegende Unterschied zum Prozeß gegen Paulus. Das Leben eines Provinzialen aus der Unterschicht galt nicht viel. Bei der konservativen Rechts‑ und Verwaltungspraxis der Römer war es freilich möglich, daß man zuweilen auf besondere Rechtstraditionen der jeweiligen Provinz und ihrer Städte im Zusammenhang mit der neronischen Verfolgung enthauptet wurde, was unseres Erachtens wahrscheinlicher ist. S. 1 Clem 5,4–7; Dionysios von Korinth um ca. 170: Petrus und Paulus haben zu gleicher Zeit in Italien den Märtyrertod erlitten, bei Euseb, h.e. 2,25,8; CanMur 38 f. Vermutlich setzt schon Mk 13,10; 14,9 par. dieses Wissen voraus (Hengel / Schwemer, Paulus, 403 Anm. 1660). S. jetzt dazu E. J. Schnabel, Urchristliche Mission, Wuppertal 2002, 1216 ff. Die lange Dauer des Prozesses ist ein Argument dafür, daß Lukas im Blick auf das römische Bürgerrecht des Paulus die Wahrheit sagt. Durch den Justizmord des Hannas und des von ihm zusammengerufenen Synhedriums am Herrenbruder Jakobus und einer größeren Zahl von Judenchristen, Josephus, ant. 20,200 ff., der zum scharfen Protest des neuen Prokurators Albinus führte, war die Verhandlungsposition der Jerusalemer Autoritäten auch im Prozeß gegen Paulus in Rom sehr geschwächt (ca. 61/62 n. Chr.). Unseres Erachtens wurde Paulus darum nach den zwei Jahren Apg 28,30 freigelassen. Er konnte weiterhin ükwl‚tw“ (V. 31) verkündigen. 10 Apg 25,12: sullalflsa“ metÅ toú sumboul‡ou. In 26,30 berät er mit »Beisitzern« (sugkaqflmenoi), dazu gehören König Agrippa II. und dessen Schwester Berenike. 11 Die Form dieser cognitio war sehr frei, »sie entzieht sich jeder wissenschaftlichen Darstellung. Ihr Wesen ist die legalisierte Formlosigkeit«: Mommsen, Strafrecht, 340. 12 Vgl. Sallust, coniur. Cat. 52,36; Dig. 42,2,3 u. a.; weitere Belege bei Luz, Mt IV, 270 Anm. 29: »Galt jemand als confessus, so war ein formeller Schuldspruch des Richters gar nicht mehr nötig.« 13 Sherwin-White, Society, 17 f.20–22.
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und Völkerschaften Rücksicht nahm, soweit sie nicht römischen Interessen im Wege standen. Nur sehr wohlhabende und einflußreiche Provinzialen, die über gute Beziehungen nach Rom verfügten, hatten die Chance, gegen den Präfekten und seine Rechtsentscheidungen unter Umständen eine Anklage bei dem ihm vorgesetzten Statthalter in Syrien oder beim Kaiser selbst anhängig zu machen. Auf diesem Hintergrund könnte die Drohung der Hohenpriester und ihrer Gefolgschaft in Joh 19,12 verstanden werden: »Läßt du diesen frei, so bist du des Kaisers Freund nicht …«, die aber kaum historisch ist. So verklagten später die Samaritaner Pilatus nach dem von ihm verursachten Blutbad am Berg Garizim, worauf dieser von Tiberius prompt im Jahr 36 abberufen wurde.14 Aber dahinter standen führende Männer einer ganzen Völkerschaft (≤qno“), nicht eine einzelne Person. Beim Prozeß Jesu war die Lage ganz anders. Er war ein einfacher galiläischer Handwerker ohne Einfluß,15 während eine Entscheidung gegen die politisch gefärbten Anklagen der Volksführer für Pilatus unangenehm werden konnte. Die römische Rechtsprechung in den Provinzen wie in Rom selbst war eine ausgesprochene Klassenjustiz.
21.1.2 Die Anklage und Verurteilung16 Jesus wurde durch die Volksführer dem Pilatus vorgeführt. Auf der der Stadt zugewandten Seite des Herodespalastes fand die öffentliche Verhandlung unmittelbar nach Sonnenaufgang statt. Sie wird für die Evangelien selbstverständlich auf griechisch geführt, die im Osten des römischen Reiches vorherrschende Verkehrssprache. Jesu Muttersprache war Aramäisch, doch wird er auch, wie mehrere seiner Jünger, ein unliterarisches Griechisch gesprochen haben. Offenbar hat Jesus die entscheidende Frage des Pilatus: »Bist du der König der Juden?« bejaht. Das umstrittene sÜ lfigei“ ist im Sinne von »Du sagst es« und nicht als abweisendes, sachlich sinnloses »Das sagst du!« zu verstehen.17 Damit hatte er in den Augen des Präfekten ein Geständnis abgelegt, denn der entscheidende Anklagepunkt war die Anschuldigung, Jesus erhebe den Anspruch, der »König der Juden«, das heißt der Messias, zu sein. Die Messiasfrage war von Anfang bis zum Ende die Grundfrage des Prozesses. Für den Präfekten hatten die Hohenpriester die Anklage politisch formuliert: Jesus sei mit der Behauptung 14 Josephus,
ant. 18,85–89. große Wirkung auf das einfache Volk war eher belastend für ihn. 16 W. Waldstein, Untersuchungen zum römischen Begnadigungsrecht, Commentationes Aenipontanae XVIII, Innsbruck 1964, 41–44. 17 Vgl. Jesu Antwort vor dem Hohenpriester Mk 14,62: †g„ e¢mi, die Matthäus mit einem positiven sÜ eèpa“ (26,64) interpretiert; vgl. auch Lk 22,70 und Joh 18,37: sÜ lfigei“ Ωti basile‚“ e¢mi, der Markus und Lukas kennt und interpretiert. Jesus verfügt ja nach Johannes über eine basile‡a (18,36). Das »gute Bekenntnis«, das Jesus nach 1 Tim 6,13 vor Pilatus »bezeugt hat«, könnte sich auf Jesu Antwort beziehen. Zur Sprache Jesu s. o. S. 380. 15 Seine
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aufgetreten, er sei der »König der Juden«. Das war Hochverrat (perduellio) und Aufruhr (seditio) gegen die Herrschaft bzw. die Hoheit des römischen Volkes und des Kaisers (maiestas populi Romani et principis) und zugleich eine Gefährdung des Friedens in der Provinz. »König der Juden« war an sich weder im Judentum noch im frühen Christentum ein christologischer Titel und beruht sicher nicht auf einer späteren »dogmatischen Erfindung« der Gemeinde. Indem Markus wegen des historischen Sachverhalts diese Bezeichnung hier einführt, macht er im Gegenteil die Christen eher verdächtig. Es hatte in den unruhigen Zeiten der römischen Herrschaft zwischen Pompeius und der Zerstörung Jerusalems, 63 v. und 70 n. Chr., zu viele jüdische Aufrührer sehr verschiedener Herkunft gegeben, die »königliche« und damit unter Umständen auch »messianische« Ansprüche erhoben.18 Die Formulierung der Anklage stammte vielmehr von den Volksführern, und Jesus hat ihr nach den Synoptikern nicht widersprochen, sondern auf weitere Anklagen geschwiegen, nachdem er die eine Frage des Pilatus: »Bist du der König der Juden?« positiv beantwortet hatte; ein ungewöhnliches Verhalten in einem Kapitalprozess, das den Präfekten verwunderte.19 Erst Johannes berichtet – gegen alle historische Wahrscheinlichkeit – von einem ausführlichen theologischen Dialog zwischen Jesus und Pilatus im Prätorium, das heißt nicht in der Öffentlichkeit und ohne Zeugen,20 in dem eben diese politische Anklage gegen Jesus zurückgewiesen wird: »Mein Reich ist nicht von dieser Welt; wäre mein Reich von dieser Welt, würden meine Diener für mich kämpfen.«21 Dieses für das antike Religionsverständnis revolutionäre Wort ist im Stil johanneischer Theologie formuliert, macht aber das Problem, um das es ging, deutlich sichtbar. Pilatus scheint sich redlich um diesen sonderbaren Gefangenen bemüht zu haben, aus dem nichts herauszubringen war. Für gewaltsamen Aufruhr gegen die römische Herrschaft hatten die Ankläger wohl kaum Beweise,22 auf der anderen
18 Vgl.
Mt 2,2 ff.; Apg 17,7; Joh 19,12. Hengel, Zeloten, 296–307; ders., Messias, 52–55. S. weiter o. S. 71.98–101 u. ö. 19 Mk 15,5: øste qaum›zein tÖn Pilôton, gesteigert Mt 27,14; vgl. Justin, dial. 102,5 und schon Mk 14,60 f. die Frage des Hohenpriesters gegenüber dem schweigenden Jesus. Dieser realistische Zug läßt sich nicht einfach aus Jes 53,7 ableiten. 20 Joh 18,33; 19,9.13. Das Gespräch wurde nach Johannes unter vier Augen geführt, die hohepriesterlichen Ankläger blieben draußen, um sich nicht zu verunreinigen: 18,28. 21 Joh 18,36: ™ basile‡a ™ †mÉ o§k ≤stin †k toú k·smou to‚tou, vgl. M. Hengel, Reich Christi, Reich Gottes und Weltreich im 4. Evangelium, in: Hengel / Schwemer (Hg.), Königsherrschaft (S. 406 Anm. 1), 163–185 = KS V, 408–429. 22 Abgesehen von Jesu Auftreten bei der »Tempelreinigung«. Möglicherweise besaß Pilatus auch schon eigene Informationen über diesen querköpfigen Galiläer. Eigenartig ist, daß er später nicht mehr gegen die Jesusbewegung vorgegangen ist. Offenbar hielt er sie im Vergleich mit anderen jüdischen Gruppen für ungefährlich.
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Seite konnte das Schweigen Jesu als pertinacia und obstinatio, als Verstocktheit, und das heißt zugleich als Schuldeingeständnis gewertet werden.23 Besonders umstritten ist die Barabbasepisode.24 Sie muß unseres Erachtens einen historischen Hintergrund haben, denn es gibt kein zureichendes Motiv dafür, daß sie später erfunden und eingefügt worden sei. Die Freilassung eines Gefangenen am Passafest, dem Fest der Verschonung,25 aufgrund der Bitten des Volkes könnte ein alter jüdischer Rechtsbrauch aus der Zeit der hasmonäischen und herodianischen Herrscher sein, den der Präfekt als der Rechtsnachfolger weiterführte. Die Römer legten Wert auf die Erhaltung von alten Rechtsbräuchen. Für eine derartige Freilassung eines Schuldigen aufgrund einer Petition des Volkes haben wir eine Parallele auf einem ägyptischen Papyrus.26 Der römische Rechtsbrauch kannte die Möglichkeit der venia, eine Begnadigung im Sinne der Befreiung von der verdienten Strafe. Überhaupt hatte in der Antike die vox populi auf den – ja in aller Öffentlichkeit geschehenden – Prozeßverlauf keinen geringen Einfluß. Eine Beeinflussung des Richters durch Zurufe etc. war verbreitet, und nicht jeder Imperiumsträger hatte die Charakterstärke, der Forderung der Menge zu widerstehen, zumal wenn die städtische Aristokratie dahinterstand.27 In diesem Zusammenhang scheint eine Gruppe der Jerusalemer Bevölkerung in den Prozeßverlauf eingegriffen zu haben, und zwar zugunsten eines (Jesus) Barabbas, der zusammen mit anderen bei einem Tumult,28 in dem ein Mord 23 Auch Plinius betont in dem Brief an Trajan (ep. 10,96,3) die pertinaciam … et inflexibilem obstinationem der Christen, die bestraft werden müssen, weil sie sich weigern, den Göttern zu opfern und beim Genius des Kaisers zu schwören. S. dazu A. N. Sherwin-White, The Letters of Pliny, Oxford 21985, 699.784. 24 Mk 15,6–15. Sie wird in allen Evangelien überliefert: Lk 23,13–25; Mt 27,15–26; Joh 18,39 f. 25 Vgl. Ex 12,13.27; päsah = skep›zein: psh im qal »vorbeigehen an«, »verschonen«, »bedecken«, »beschützen«. S. HALAT, 892 f. 26 Vgl. Blinzler, Prozeß, 303: Ein Angeklagter hatte Unschuldige rechtswidrig verhaften lassen, das heißt sich der Amtsanmaßung und Freiheitsberaubung schuldig gemacht. Der Präfekt verzichtet jedoch auf Bestrafung und folgt den Bitten der Menge: »Du hättest die Geißelung verdient, … ich will dich aber der Volksmenge schenken« (vgl. Joh 19,1; Lk 23,16). Vgl. auch A. Deissmann, Licht vom Osten, Tübingen 41923, 230 (Pap. Florentinus 61; 85 n. Chr.); dazu Waldstein, Begnadigungsrecht (S. 604 Anm. 16), 41–44. Nach Josephus forderte die Volksmenge beim Amtsantritt des Archelaos nicht nur die Erleichterung der Steuern, sondern auch die Freilassung der von Herodes eingekerkerten Gefangenen: ant. 17,204 f. Archelaos suchte der Menge zu gefallen und gab nach. Später verlangten sie die Bestrafung der von Herodes Begünstigten, ant. 17,207, vgl. bell. 2,4.7. 27 Vgl. das Edikt Hadrians an Minucius Fundanus, den Statthalter der Provinz Asia, bei Justin, apol. I, 68,8, dazu Hengel, KS I, 376 Anm. 68 f.; Codex Iust. 9,47,12: Vanae voces populi non sunt audiendae. 28 Mk 15,7 spricht von st›si“ und stasiasta‡, bezeichnet ihn jedoch noch nicht selbst als Mörder, das geschieht erst in Lk 23,19; in Joh 18,40 wird er zum »Räuber« (lÔhstfl“). Mt 27,16 f. nennt ihn einen »berüchtigten Gefangenen« (dfismio“ †p‡shmo“), überliefert ist in einigen Hand-
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geschehen war, gefangengenommen worden war. Markus sagt nichts über den Erweis seiner persönlichen Schuld. Es könnte sich auch um ein »mitgegangen – mitgefangen« handeln. Wahrscheinlich stoßen wir hier auf den alten und tiefgreifenden Gegensatz zwischen der Stadtbevölkerung in Jerusalem und der Provinz. Die Mehrzahl der Jerusalemer stand den Juden aus der Provinz, erst recht denen aus dem entlegenen rustikalen Galiläa und den von dort herkommenden eschatologisch-messianischen Bewegungen, mit verständlicher Reserve gegenüber.29 Der Wohlstand der Stadt und ihre Rolle als weltbekannter Pilgerort beruhte auf der Erhaltung der Pax Romana. Alle Unruhen politisch-religiöser Art bedeuteten eine direkte Bedrohung. Der gefährlichste jüdische Aufrührer zwischen der Verwandlung Judäas in eine römische Provinz und dem Ausbruch des Jüdischen Krieges (6–66 n. Chr.), Judas, hatte den Beinamen »der Galiläer«. Bei den Synoptikern wird Petrus im hohenpriesterlichen Palast als Anhänger Jesu angesprochen, weil er »Galiläer« sei. Die Jesusbewegung war in ihren Anfängen vor allem ein galiläisches Phänomen.30 Bei dem Einfluß der hochpriesterlichen Volksführer, besonders der Familie des Hannas, in der Hauptstadt war es für diese ein Leichtes, die in Mk 15,8 ff. geschilderte Aktion der Volksmenge (µclo“) zu beeinflussen. Es genügte, wenn man eine größere Zahl von wirtschaftlich Abhängigen und Klienten am Morgen des Passafestes vor dem Prätorium zusammenbrachte und wenn sich die Sippe und die Freunde des Jesus Barabbas versammelten, weil sie diesen für unschuldig hielten. Aufgrund einer gewissen Tendenz des Markus (und in noch stärkerem Maße der aller späteren Darsteller des Prozesses), Pilatus zu ent‑ und die Volksführer (bzw. seit Matthäus und Johannes »die Juden«) zu belasten, könnte man freilich mit der Möglichkeit rechnen, daß Barabbas und Jesus der Menge gar nicht zur Wahl gestellt wurden, sondern direkt um die Freilassung des Barabbas gebeten wurde. Da aber andererseits Pilatus von Josephus31 und Philo32 als Judenfeind, stur und unbeweglich geschildert wird, ist auch vorstellbar, daß er bei diesem schweigenden Gefangenen, der von den Volksführern so ostentativ der schwersten Staatsverbrechen beschuldigt wurde, um die Hohenpriester zu ärgern, zunächst gerade nicht ihren Wünschen entsprach und – zugleich als Verspottung des Volkes und schriften zweimal (Q, f1, 700* pc sys, Ormss) sein Vorname Jesus, vermutlich die ursprüngliche Lesart. S. dazu Metzger, Textual Commentary, 67 f. 29 Dieser Gegensatz wird dann vor allem nach Ausbruch des Jüdischen Krieges vor der eigentlichen Belagerung sichtbar. Die gemäßigte Stadtbevölkerung unterlag dabei am Ende den radikalen Gruppen aus Galiläa, Idumäa und dem judäischen Hinterland. Josephus, bell. 4,369–373.377 f.383. 30 S. o. S. 273–280.343–351; Hengel, Zeloten, 57 ff.79 ff. und Index 469 s. v. Galiläa / Galiläer; Mk 14,70: ülhqù“ †x a§tùn eè, kaÑ gÅr Galilaõo“ eè. Vgl. Lk 22,59; Mt 26,73 hat noch den Zusatz ™ lali› sou döl·n se poieõ. 31 Josephus, ant. 18,55–62.85–89. 32 Philo, legat. 299–305. S. auch o. S. 81 Anm. 228.
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seiner Führer – ihnen die Freilassung des »Königs der Juden«, dieser armseligen, mißhandelten Gestalt anbot. Schließlich ging der Präfekt in dieser für ihn undurchsichtigen Sache den Weg des geringsten Widerstandes, er gibt Barabbas frei und verurteilt Jesus zu der gemäß der Schwere der Anklage einzig möglichen Strafe, der Kreuzigung. Es bedurfte dazu keines feierlichen Aktes, sondern nur dreier Worte, etwa: ibis in crucem! In seinem Brief an Trajan bemerkt Plinius ganz knapp: perseverantes duci iussi, »die (nach zwei‑ oder dreimaligem Fragen und Vermahnen) hartnäckig Christen blieben, befahl ich (zur Hinrichtung) abzuführen.«33 Vermutlich wurden in derselben Gerichtsverhandlung gleichzeitig mit Jesus auch zwei »Räuber« zum Tode am Kreuz verurteilt.34
21.1.3 Geißelung und Verspottung35 Markus beschreibt entsprechend die Verurteilung formlos in lapidarer Kürze: »Und er übergab Jesus, damit er gegeißelt und gekreuzigt würde.«36 Das heißt, der Angeklagte wird dem Exekutionskommando der Soldaten übergeben. In Mt 27,19 und Joh 19,13 fällt Pilatus sein Urteil auf offizielle Weise von seinem Richterstuhl aus.37 Johannes bestimmt auch den Ort des Urteilsspruchs näher und nennt ihn Liq·strwton, einen wohl mit Marmorplatten belegten, erhöhten Platz, auf dem die Gerichtsbühne stand.38 Die Geißelung und die damit zusammenhängende Verspottung Jesu werden freilich in Mk 15,15–20a und in Joh 19,1–5 in zwei sich widersprechenden Versionen berichtet. 33 Plinius,
ep. 10,96,3. 15,27 = Mt 27,38, s. u. S. 615. 35 Blinzler, Prozeß, 321–336.345 f.; Brown, Death I, 862–877; Schwemer, Passion, 161 f. 36 Mk 15,15: kaÑ parfidwken tÖn ûIhsoún fragell„sa“ ºna staurwqÔö. Joh 19,16a könnte so mißverstanden werden, daß er Jesus nicht den Soldaten, sondern seinen jüdischen Gegnern zur Hinrichtung übergab: parfidwken a§tÖn a§toõ“, s. aber 19,19.23.26: der titulus des Pilatus und die (römischen) Soldaten; anders Lk 23,24: parfidwken tù qelflmati a§tùn, das heißt: »er gab Jesus ihrem Willen preis« (Jerusalemer Bibel). Eine extreme Verfälschung hat EvPetr 2–5: Dort läßt Herodes gegen den Willen des Pilatus Jesus von den Juden zur Kreuzigung abführen: ≤dwken tù laù, und zwar mit Johannes am Rüsttag zum Passafest. Auch das Motiv des Händewaschens Mt 27,24 f. wird in EvPetr 1 gesteigert: Herodes und die jüdischen Gegner verweigern dasselbe. Das Petrusevangelium erweist sich dadurch als späteres Machwerk aus der Mitte des 2. Jahrhunderts, in dem die antijüdische Haltung zur völligen Verfälschung der Überlieferung führt. Es setzt durchweg die älteren, »kanonischen« Evangelien voraus. 37 böma, s. Bauer / Aland, WB, 280. Eigentlich »Tribüne«, davon abgeleitet der erhöhte Richterstuhl: Apg 18,12.16 f.; 25,6.10.17; 2 Kor 5,10; Röm 14,10. 38 Joh 19,13. Er nennt auch den aramäischen Namen Gabbaq›, wohl aramäisch »die Anhöhe« (gabbatā), s. M. Görg, Art. Gabbata, NBL I, 719 und D. Dormeyer, Art. Prätorium, NBL III, 163 f.: »Für einen gepflasterten, öffentlichen Platz, auf dem die Gerichtsbühne mit dem Richterstuhl aufgestellt worden ist, kommt eher das Plateau des Herodespalastes in Betracht.« Vgl. auch Bauer / Aland, WB, 963. 34 Mk
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1. Bei Markus ist die Geißelung die im römischen Strafrecht übliche Begleitstrafe des Todesurteils und erfolgt nach der Verkündigung desselben und vor der Hinrichtung (15,15). So ließ Marcus Antonius den letzten jüdischen Priester-König aus der Familie der Hasmonäer, Antigonos, im Jahre 37 v. Chr. in Antiochien auf Betreiben des Herodes mit dem Beile hinrichten. Vor seiner Hinrichtung wurde er an einen Pfahl (staur·“) gebunden und gegeißelt. Cassius Dio fügt ausdrücklich hinzu, kein König habe zuvor eine derart schmähliche Behandlung von den Römern erlitten.39 Kurz vor Ausbruch des Jüdischen Krieges ließ der Prokurator Gessius Florus im Zusammenhang einer Plünderung von Teilen Jerusalems zahlreiche Juden gefangennehmen, geißeln und kreuzigen. Auch Glieder der Aristokratie, die römische Bürger waren, ja sogar dem Ritterstand angehörten, verurteilte er zum Tode und ließ sie vor seinem Richterstuhl öffentlich auspeitschen und ans Kreuz nageln.40 Der Vorgang, wie ihn Markus berichtet, entsprach so römischem Brauch in Judäa. 2. Bei Johannes erscheint die Geißelung dagegen als Akt während des Verhörs. Sie geschieht hier als besondere Strafe aufgrund der polizeilichen Koerzitionsgewalt des Präfekten mit dem Ziel, Jesus eine »Lektion zu erteilen« und nach der Geißelung wieder freizugeben. Der blutig gegeißelte Jesus wird dem Volk gezeigt: »da ist der Mensch« – im abwertenden Sinne.41 Für Johannes erhält die Szene freilich einen tiefen christologischen Hintersinn. Ähnlich zu verstehen ist auch das Angebot des Präfekten Lk 23,16: »Ich will ihn nach der Geißelung freigeben.« In gleicher Weise verfuhr der Prokurator Albinus mit dem schon mehrfach erwähnten Unglücksprofeten Jesus, Sohn des Ananias; er ließ den von den Volksführern Ausgelieferten geißeln, bis die Knochen freilagen. Der Gepeinigte gab auf keine Frage des Prokurators eine Antwort, sondern äußerte weiter ohne Unterbrechung seine Weherufe über Jerusalem. Albinus sah, daß er nur ein Verrückter war, und gab ihn frei.42 Es ist möglich, daß Pilatus Jesus zunächst in ähnlicher Weise behandeln wollte, da er den Beschuldigungen der Volksführer nicht so recht traute. Der Gang der Dinge bei Markus ist jedoch klarer und darum wohl auch ursprünglicher. Johannes könnte das Motiv von Lk 23,16 aufgenommen und ausgemalt haben. 39 Cassius
Dio 49,22,6. Zuvor schon war Iugurtha 104 v. Chr. nach dem Triumph des Marius im Carcer Mamertinus erdrosselt worden: H. Volkmann, KP 2,1513 f. 40 Josephus, bell. 2,306.308: ±ndra“ ´ppikoú t›gmato“ mastigùsa‡ te prÖ toú bflmato“ kaÑ staurù proshlùsai. Er konnte sich einen derartigen Übergriff erlauben, weil seine Frau mit Poppaea, der Gattin Neros, befreundet war und er dieses Amt durch die Fürsprache Poppaeas erhalten hatte. Selbst Agrippa II. wagte nicht, in Rom gegen seine Willkürherrschaft, die nach Josephus den Jüdischen Krieg mit auslöste, zu protestieren; vgl. bell. 2,342 f.; ant. 20,252.257. S. auch o. S. 109. 41 Joh 19,5: ¢doÜ ¨ ±nqrwpo“. 42 Josephus, bell. 6,300–309: katagnoÜ“ man‡an ¨ ûAlbõno“ üpfilusen a§t·n (305).
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Die Geißelung fand in der Kaserne statt,43 daran schloß sich die Verspottung an. Sie ist als grausames Soldatenvergnügen zu verstehen und hatte antijüdischen Charakter. Die römischen Besatzungstruppen in Judäa waren keine Legionäre und römischen Bürger, sondern Auxiliartruppen, die seit den Zeiten des Herodes aus der hellenistisch-syrischen Stadtbevölkerung Palästinas rekrutiert wurden, die die Juden haßte. Besonders gefürchtet waren die sog. Sebastener aus der herodianischen Militärkolonie Sebaste, dem ehemaligen Samaria, und aus Caesarea. Bei der Hinrichtung eines angeblichen Judenkönigs konnten sie sich austoben.44 Nach Markus strömte die ganze Kohorte in der Herodesburg zu diesem rohen Schauspiel zusammen. Die nächste Parallele ist die Verspottung eines Halbverrückten, Karabas, als angeblicher König der Juden bei einem Besuch des eben von Caligula zum König ernannten Herodes Agrippa I. in Alexandrien durch den Pöbel der Stadt 38 n. Chr.45 Auch hier handelte es sich um eine antijüdische Ausschreitung. Derartige Spottszenen hatten ihr Vorbild in der antiken Theaterposse, dem Mimus, in dem es recht ordinär zuging. Die sogenannte »Dornenkrone« ist in Wirklichkeit ein Kranz aus Disteln oder anderen Stechpflanzen, er bedeutet eine Parodie des goldenen Kranzes, den orientalische Könige und Würdenträger trugen. Der rote Soldatenmantel entspricht dem königlichen Purpur und das Rohr dem herrscherlichen Szepter.46 Das Thema der Verspottung ist so von der Anklage her bestimmt und bedeutet eine Travestie des Angeklagten, zugleich aber eine Verhöhnung der messianischen Erwartung der Juden überhaupt. Den 43 Mk 15,16–20 = Mt 27,27–31a. Lukas deutet die Möglichkeit der Geißelung nur in 23,16 an. Die Verspottung übergeht er ganz. Vermutlich will er diese Szene dem vornehmen Theophilos nicht zumuten. Damit entfällt auch der Hinweis auf die Soldaten. Erst in 23,47 wird der Centurio, der die Exekution befehligte, erwähnt. Die Darstellung des Lukas zeigt (trotz 4,6) eine auffallende, relativ positive Stellung zur römischen Herrschaft, die sich auch in der Apostelgeschichte fortsetzt. 44 Unter anderem verspotteten sie nach dem Tode König Agrippas I. (Josephus, ant. 19,356 ff.361.364 ff.) den toten König und seine Familie auf obszöne Weise und sollten dafür durch Versetzung in den Pontus (am Schwarzen Meer) bestraft werden. Claudius machte aufgrund der Bitten einer Abordnung der Soldaten seinen Befehl rückgängig. Ihr zügelloses Verhalten war später eine der Ursachen für den Ausbruch des Jüdischen Krieges. Vgl. auch den Vorfall am Passafest unter Cumanus ant. 20,108, der als Beleidigung Gottes verstanden wurde und zu einem Protest der auf dem Tempelplatz Versammelten führte. S. o. S. 92.95. 45 Nach Philo, Flacc. 36–39; dazu Schürer I, 390; van der Horst, Philo, 130 f. Der Pöbel huldigte dem als »König« ausstaffierten Karabas mit dem aramäischen Ruf »Mar‡n«, »unser Herr«; vgl. 1 Kor 16,22. 46 Mt 27,28.31: clamÜ“ kokk‡nh. Mk 15,17.20 spricht übertreibend von »Purpur«. S. Bauer / Aland, WB, 1760. Zum »Königsmimus« bei Karabas und dem mimischen Charakter der Verspottung Jesu s. E. Wüst, PRE 15, 1751 f. Auch die Christen und ihre Prozesse wurden später im Mimus verspottet. So deutet das Spottkruzifix auf dem Palatin mit dem Eselskopf wohl auf eine mimische Darstellung hin. S. o. S. 571 Anm. 6 und P. de Labriolle, La réaction païenne, Paris 1948, 196 ff.330 ff. Zur späteren Verspottung Christi und der Christen im Mimus s. H. Reich, Der Mimus, Berlin 1903 (Nachdruck Hildesheim u. a. 1974, 2005), 80–89.
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blutüberströmten Gegeißelten als König der Juden zu verspotten – »sei gegrüßt, König der Juden«47 – entsprach so recht dem Geschmack der judenfeindlichen Soldaten. Dieses Motiv der Judenfeindschaft erklärt auch, daß die Vorgänge der Verspottung in der Kaserne in der Stadt bekannt wurden. Dafür sorgten die Soldaten selbst, denn durch dieses Geschehen mußte sich jeder nationalbewußte Jude betroffen und beleidigt fühlen.
21.2 Der Gang zur Richtstätte und die Kreuzigung48 Die Kreuzesstrafe wurde zuerst von der Persern angewandt und dann von Alexander dem Großen und den hellenistischen Herrschern übernommen. Alexander ließ bereits nach der Einnahme von Tyrus 2000 gefangene Phönizier am Meerufer angesichts der zerstörten Stadt kreuzigen.49 Über die Punier in Karthago kam diese – grausamste – Todesstrafe der Antike zu den Römern. Von ihnen wurde sie in der Regel nur bei den niedersten Volksschichten, den Sklaven und Provinzialen, angewandt und auch nur bei schweren Verbrechen wie Straßenraub, Mord, vor allem aber bei Verbrechen gegen den Staat – das heißt bei jeder Art von »Aufruhr«. Der gekreuzigte Sklave und Räuber ist ein relativ häufiges Motiv in der antiken Unterhaltungsliteratur, etwa im Roman und in der Satire. Römische Bürger und Angehörige der Oberschicht durften an sich nicht gekreuzigt werden, die römischen Statthalter hielten sich freilich nicht immer daran. Cicero nennt die Kreuzigung in seiner berühmten Rede gegen Verres, den bedenkenlosen Statthalter von Sizilien, der einen römischen Bürger auf diese Weise hingerichtet hatte, ein crudelissimum taeterrimumque supplicium, die grausamste und abscheulichste Hinrichtungsart;50 mehrfach wird sie auch einfach als servile supplicium, als Sklavenstrafe, bezeichnet.51 In Judäa war sie wohl seit der Perserzeit bekannt. Auch die jüdischen Könige aus der Hohenpriesterfamilie der Hasmonäer wandten sie an. So ließ Alexander Jannai um 90 v. Chr. angeblich 800 Pharisäer in Jerusalem kreuzigen, während er mit seinen Konkubinen tafelte.52 Unter den 47 Mk
15,18: caõre, basileú tùn ûIouda‡wn = Mt 27,29. Crucifixion (Nachdruck in: ders., The Cross of the Son of God, London 1986); H.-W. Kuhn, Die Kreuzesstrafe während der frühen Kaiserzeit. Ihre Wirklichkeit und Wertung in der Umwelt des Urchristentums, ANRW II.25,1, Berlin / New York 1982, 648–793. Zur Kreuzigung im jüdischen Palästina durch Juden s. M. Hengel, Rabbinische Legende, 27–36. 49 Q. Curtius Rufus, hist. Alex. 4,4,17; s. M. Hengel, Crucifixion 73. 50 C. Verr. 2,5,165. M. Hengel, Crucifixion, 8.33 ff.39 ff. 51 Op. cit., 51 ff. 52 Josephus, bell. 1,96–98; ant. 13,380 f. Der Bericht geht auf Nikolaos von Damaskus zurück. Die Zahl wird stark übertrieben sein. Ein älteres biblisches Beispiel ist der hohe »Pfahl« 48 Hengel,
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Hasmonäern war sie offenbar, wie die Tempelrolle zeigt, die Strafe für Landesverräter und Überläufer:53 »Wenn ein Mann Nachrichten über sein Volk weitergibt, und er verrät sein Volk an ein
fremdes Volk und fügt seinem Volk Böses zu, dann sollt ihr ihn ans Holz hängen, so daß er stirbt …«. »Verfluchte Gottes und der Menschen sind ans Holz Gehängte«.54
Unter römischer Herrschaft wurde sie in dem unruhigen Judäa zur politischen Abschreckung häufig angewandt, so daß das rabbinische und wohl schon das vorausgehende jüdisch-pharisäische Strafrecht die Kreuzigung ablehnte, da sie als Strafe »der Regierung« (malkût) galt. Unter anderem soll der Statthalter Quintilius Varus aufgrund der Unruhen, die nach dem Tode des Herodes 4 v. Chr. ausbrachen, rings um Jerusalem 2000 Aufrührer gekreuzigt haben.55 Im Jahr 1968 fand man unterhalb des Skopus bei Jerusalem in einem Ossuar das Skelett eines jüdischen Gekreuzigten aus römischer Zeit, bei dem der Nagel durch beide Fersenknochen ging, man hatte ihn ganz verdreht ans Kreuz geheftet. Sein Alter war etwa 27/28 Jahre. Er ist zugleich ein Beweis dafür, daß ein von den Römern in Judäa Gekreuzigter ein ordentliches Begräbnis erhalten konnte.56 Das Kreuz bestand aus einem in die Erde gerammten Pfahl und dem Querholz. Der Verurteilte, der das Querholz (patibulum) selbst an die Richtstätte zu tragen hatte, wurde zuerst mit beiden Händen am Querholz angenagelt oder festgebunden und dann am Pfahl hochgezogen. Die Annagelung war wohl das Übliche. Sie führte zusammen mit der Geißelung durch den Blutverlust schneller zum Tode.57 Es gab zwei Formen: Die crux commissa glich einem T, die crux immissa unserem Kreuz. Die Höhe war sehr verschieden, die Füße befanden sich oft nur wenige Zentimeter über dem Boden. In der Regel hatte das Kreuz eine kleine Sitzstütze, das sog. sedile. In dieser schrecklichen Lage konnten die Gekreuzigten bei kräftiger Statur tagelang am Leben bleiben, bis sie durch die Hitze, den Blutverlust, vor allem aber durch Kreislaufkollaps infolge völliger Unbeweglichkeit starben. Josephus berichtet, daß er nach der Eroberung Jerusalems bei Thekoa in einer größeren Zahl von gekreuzigten jüdischen Gefangenen (x‚lon), den Haman dem Mardochai zugedacht hat (Est 5,14) und an dem er (7,9 f.) und seine Söhne (9,13 f.) aufgehängt werden. Vgl. M. Hengel, Rabbinische Legende. 53 11QT 64,6 ff.; vgl. 4QpNah Frag. 3–4 I,7–8; M. Hengel, Crucifixion, 84 f.; H.-W. Kuhn, Art. Kreuzigung, NBL II, 548 f. 54 Eine Umkehrung und Erweiterung von Dtn 21,22 f. 55 Josephus, bell. 2,75; vgl. AssMos 6,9. 56 V. Tzaferis, Crucifixion – The Archaeological Evidence. Remains of a Jewish Victim of Crucifixion Found in Jerusalem, BAR 2 (1985), 44–53. Die Ossuarien dienten der Zweitbestattung der Gebeine eines Toten nach dessen Verwesung. 57 Zu den Nägelmalen s. Lk 24,39; Joh 20,25.27; vgl. Kol 2,14 und 1,20: diÅ toú aºmato“ toú stauroú a§toú, dazu Hengel, Crucifixion, 31 f.: Die Kreuzigung (mit vorausgehender Geißelung) war, im Gegensatz zu einer heute gerne vertretenen Meinung, alles andere als eine »unblutige« Todesart.
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drei ehemalige Freunde entdeckte, die noch am Leben waren. Titus erlaubte, sie vom Kreuz herabzunehmen. Trotz ärztlicher Behandlung überlebte nur einer.58 Die Hinrichtungsstätte, Golgatha,59 war vermutlich ein kleiner Hügel, der die Form eines Totenschädels hatte. Sie befand sich unmittelbar nördlich der Hauptmauer innerhalb eines alten Steinbruches in einem Gebiet, das zu Beginn der 40er Jahre von Herodes Agrippa I. durch die sog. dritte Mauer in das Stadt gebiet einbezogen wurde, das also ganz nahe bei der Stadt lag.60 Die christliche Ortstradition scheint sich erhalten zu haben. Bereits Hadrian errichtete an der christlichen Kreuzigungs‑ und Grabesstätte eine heidnische Tempelanlage für Venus, die römische Hauptgöttin, und Konstantin dann ebendort die sogenannte Grabeskirche. Hätte man die Ortstradition zu einer späteren Zeit neugebildet, wäre der Ort sicherlich außerhalb der dritten Mauer Agrippas gesucht worden. Diese entspricht vermutlich der heutigen Nordmauer der Altstadt.61 Den geschichtlichen Vorgang der Kreuzigung Jesu hat der geradlinige, relativ einfache Bericht des Markus am ehesten festgehalten. Ihm folgt oftmals wörtlich Matthäus, weil für ihn der Text des Petrusschülers auf zuverlässiger Überlieferung beruht; wo er ergänzt, tut er dies aufgrund theologischer Überlegungen, so in dem eigenartigen Hinweis auf das Erdbeben und die Öffnung der Gräber. Mt 27,51–53: Der Tod Jesu hat die Tore der Unterwelt aufgetan. Lukas folgt ebenfalls teilweise Markus, bringt aber mehrere eigene Worte Jesu, die auf eine Sonderquelle hinweisen: so sein Wort an die klagenden Frauen Jerusalems (Lk 23,27–31), die Bitte um Vergebung für seine Mörder, die »nicht wissen, was sie tun« (23,34), die in vielen der älteren Textzeugen fehlt und vielleicht wegen ihrer Anstößigkeit weggelassen wurde, und den Wortwechsel mit den beiden Mitgekreuzigten, in dem Jesus dem Einsichtigen unter ihnen die Aufnahme ins Paradies, den Ort der seligen Toten, verheißt (23,39–43). Johannes setzt zwar den Text von Markus und Lukas voraus und berührt sich teilweise mit ihnen, stellt aber weitgehend das Geschehen auf ganz eigene Weise dar. Jesu Weg zur Hinrichtungsstätte war nicht allzu lang, er ging wohl von der Herodesburg zum Gartentor in der Nordmauer und von dort hinaus zum nahen Hinrichtungshügel. Der Verurteilte mußte, wie es in der Antike auch sonst bezeugt ist, den Querbalken des Kreuzes, das patibulum, selbst tragen. Daß man 58 Josephus,
vita 420. vom aramäischen gôlgôltā’, hebräisch gulgolät, »Schädel«; s. Gesenius, Wörterbuch, 181987, 215: »Rundes, dah(er) Schädel … Kopf«; s. dazu Rüger, Aramaismen, 78; Beyer, Texte, 544. 60 Joh 19,20: †ggÜ“ én ¨ t·po“ tö“ p·lew“ Ωpou †staur„qh ¨ ûIhsoú“. Hier haben wir wieder ein Beispiel jener zutreffenden Ortsangaben im 4. Evangelium. S. o. S. 370 Anm. 144. 61 Zur Lage und Golgatha-Tradition s. J. Jeremias, Golgotha; R. Riesner, Essener und Urgemeinde in Jerusalem, Gießen / Basel 21998, 71 f.; Joan E. Taylor, Golgotha: A Reconsideration of the Evidence for the Sites of Jesus’ Crucifixion and Burial, NTS 44 (1998), 180–203. 59 Abgeleitet
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ihm nach der Geißelung und Verspottung seine Kleider wieder angezogen hat,62 ist wohl dadurch zu erklären, daß die Nacktheit bei den Juden streng verpönt war; außerdem sollten sie den die Hinrichtung ausführenden Soldaten als Spolien zufallen. Daß er auf dem kurzen Weg den Balken nicht mehr tragen konnte, mag mit dem großen Blutverlust bei der Geißelung zusammenhängen. Ein von außerhalb der Stadt kommender Diasporajude, Simon von Kyrene, wurde von den Soldaten gezwungen, den Querbalken an seiner Stelle zu tragen.63 Daß von Markus – ganz gegen jüdische Sitte – seine beiden Söhne Alexander und Rufus anstelle des Vaternamens genannt werden, deutet darauf hin, daß diese beiden in der römischen Gemeinde, in der Markus schrieb, bekannt waren, das heißt, daß sie Christen geworden waren. Johannes widerspricht und betont 19,17: »und er trug selbst das Kreuz«. Für ihn bedurfte Jesus auf dem Wege zur Hinrichtung keiner fremden Hilfe. Dieser Widerspruch gegenüber den Synoptikern zeigt, daß, wie so oft bei Johannes, die Christologie das geschichtliche Geschehen überlagert hat.64 Auf einer zweisprachigen Grabinschrift im Kidrontal wurde der Name Alexander, Sohn des Simon, mit dem hebräischen Zusatz qrnjt, was wohl »aus Kyrene« bedeutet, entdeckt.65 Nachdem die Hinrichtungsstätte erreicht war, bot man Jesus mit Myrrhe versetzten Wein an. Nach frührabbinischen Quellen geschah dies als Liebeswerk, um die Verurteilten zu betäuben und ihre Qual zu lindern.66 Dieser Wein sei von den reichen Frauen in Jerusalem gespendet worden. Jesus lehnt diese Gabe ab. Sehr wahrscheinlich war schon dem Zug der Wachsoldaten eine Tafel vorangetragen worden, auf der zur allgemeinen Abschreckung das todeswürdige Verbrechen des Verurteilten, die causa poenae, verzeichnet war. Die grausame Hinrichtung sollte alle warnen. So wurde 177 n. Chr. bei der Christenverfolgung in Lyon der Christ Attalos mit einer solchen Tafel im Amphitheater herumgeführt: »Hic est Attalus Christianus.«67 Diese Tafel wurde dann bei der Kreuzigung am Kreuz selbst befestigt. Je länger der Todeskampf des Delinquenten sich hinzog und je mehr Zuschauer die Tafel lasen, desto größer war ihre beabsichtigte Wirkung. Johannes betont ausdrücklich: »Diese Aufschrift lasen viele Juden.« 62 Mk
15,20 = Mt 27,31. 15,21: Er könnte als Rückkehrer aus der Diaspora in bzw. bei Jerusalem gewohnt haben. Zu Juden und Judenchristen aus Kyrene s. Apg 2,10; 6,9; 11,20; 13,1. Zur großen jüdischen Diaspora in der Kyrenaika s. Schürer I, 512.559–532; III, 60–62. 64 Das gilt unter anderem auch für das Todesdatum Jesu, s. o. S. 582. 65 N. Avigad, IEJ 12 (1962), 1–12 (9); vgl. Ilan, Lexicon, 258 Nr. 27. Röm 16,13 erscheinen ein Rufus als †klektÖ“ †n kur‡w und seine Mutter, die Paulus persönlich gekannt haben muß. 66 Bill. I, 1037. 67 Euseb, h.e. 5,1,44. Andere Beispiele bei Hengel, Messias, 52 ff. Die Tafel konnte den Delinquenten auch um den Hals gehängt werden. Markus sagt noch nichts über die Befestigung der »beschrifteten Tafel« (15,26: †pigraffl). Lk 23,38 hat ein einfaches †p’ a§tù, Joh 19,19: †pÑ toú stauroú. Erst nach Mt 27,37 ist sie über dem Haupt Jesu (†p›nw tö“ kefalö“ a§toú) befestigt. Dies würde eine crux immissa voraussetzen. 63 Mk
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Ihr Inhalt, nach Markus ¨ basileÜ“ tùn ûIouda‡wn, »der König der Juden«68, bedeutete eine öffentliche Verhöhnung aller Juden wie schon die Verspottung Jesu nach der Geißelung im Prätorium. Ein derartiger Spott ist sowohl dem Exekutionskommando als auch Pilatus sehr wohl zuzutrauen.69 Der ganze Vorgang ist keine spätere christliche Erfindung. »König der Juden« war nie ein christlicher Hoheitstitel für Jesus.70 Der politische Charakter der Exekution Jesu wird auch aus der Tatsache deutlich, daß mit ihm zwei weitere Verurteilte gekreuzigt wurden, die in Mk 15,2771 als lÔhsta‡ bezeichnet werden. Hinter diesen »Räubern« könnte man vielleicht zelotische Aufrührer, jüdische Guerillakämpfer, erblicken. Josephus bezeichnet die jüdischen Aufständischen seit der Zeit des Herodes ständig stereotyp als lÔhsta‡.72 Das Kreuz Jesu als des vornehmsten Staatsverbrechers stand in der Mitte zwischen ihnen. Auch die Verspottung Jesu durch einzelne seiner Gegner mag ihren historischen Anlaß besessen haben; sie bezog sich nach den Synoptikern noch einmal auf seinen messianischen Anspruch, der ja die ganze Passionsgeschichte beherrscht. Bezeichnend ist bei Markus, daß im Gegensatz zu der Anklage vor Pilatus und der Aufschrift auf dem titulus Jesus als Messias crucifixus angesprochen wird: »Ist er der Gesalbte (crist·“), der König Israels, so steige er vom Kreuz, damit wir sehen und glauben.« Die spottenden Volksführer verwenden nicht die Formulierung der causa poenae, sondern die jüdische »heilsgeschichtliche« Begrifflichkeit. Das Verspottungsmotiv erscheint im Leidenspsalm 22, aber auch sonst in alttestamentlichen Texten, vor allem in den Psalmen.73 Als Augen68 Mk 15,26 hat die einfachste Form. Mt 27,37 setzt noch den Namen ûIhsoú“ dazu, Lk 23,38 ist sachlich mit Markus identisch: ¨ basileÜ“ tùn ûIouda‡wn oñto“. Joh 19,19 f. hat nicht nur die längste Fassung, sondern noch den Hinweis, der t‡tlo“ (lat.: titulus) sei in drei Sprachen »Hebräisch (= Aramäisch), Lateinisch und Griechisch« geschrieben gewesen; damit will er wohl die universale Bedeutung Jesu andeuten. 69 Daraus erklärt sich die Szene Joh 19,21 f. mit dem Einwand der Hohenpriester gegenüber dem von Pilatus befohlenen titulus und die Ablehnung einer Textänderung durch den Präfekten. Für Johannes hat die Weigerung des Pilatus, den Text zu ändern, christologische Bedeutung. Auch dieser wird zum Zeugen der Würde Jesu. Kein Evangelist hat das Königsein Jesu so hervorgehoben wie er; s. o. S. 605 Anm. 21. 70 Zu einer derartigen Bekanntmachung der causa poenae bei Delinquenten, auch vor einer Kreuzigung, haben wir eine Reihe antiker Parallelen. S. Blinzler, Prozeß, 367 ff. und Hengel, Messias, 52 ff. 71 Ebenso in Mt 27,38. 72 Vgl. Hengel, Zeloten, 25–46 und Index. Lk 23,33b spricht von »Verbrechern« (kakoúrgoi), Joh 19,18 nennt nur »zwei andere«. In 18,40 bezeichnet er Barabbas als lÔhstfl“. Vielleicht sind diese beiden identisch mit den Mk 15,7 erwähnten stasiasta‡. S. o. S. 606 Anm. 28. Rechtlich gesehen waren alle Aufständischen, die nicht als offizielle Feinde (hostes) betrachten wurden, in römischen Augen latrones, das heißt lÔhsta‡. 73 Mk 15,32 (29–32). Zum Motiv s. vor allem Ps 22,7–9; zum »Kopfschütteln« noch Ps 109,25; vgl. 44,15; Jer 18,16 und Klgl 2,15 ff.; s. weiter Jes 53,3 f. Mt 27,39–43 verstärkt mit
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zeugen bei der Kreuzigung werden außer Simon von Kyrene die zahlreichen galiläischen Frauen erwähnt, die Jesus und die Jünger nach Jerusalem begleitet hatten. Sie »schauten von ferne« der Exekution zu. Markus nennt drei von ihnen mit Namen, Maria Magdalena, Maria, die Mutter des Jakobus des Kleinen und des Joses, und Salome,74 nach Matthäus die Mutter der Zebedaiden.75 Lukas stellt hier, beeinflußt durch die Leidenspsalmen, noch »alle seine Bekannten« vor die galiläischen Frauen.76 Erst Joh 19,25 ff. führt, vielleicht anknüpfend an Lukas, den rätselhaften Lieblingsjünger, die Mutter Jesu, ihre namenlose Schwester, Maria, die (Frau?) des Klopas, und Maria Magdalena als Zeugen in unmittelbarer Nähe des Kreuzes ein.77 Mk 15,25 und 33 f. verbinden die Kreuzigung mit einem Stundenschema. Die Kreuzigung selbst soll um die 3. Stunde, das heißt morgens 9 Uhr, erfolgt sein, von der 6. bis 9. Stunde habe eine Finsternis das Land bedeckt, der Tod Jesu sei dann um die 9. Stunde, gegen 3 Uhr nachmittags, erfolgt. Lukas macht daraus eine Sonnenfinsternis.78 Die 3. und 9. Stunde waren die Zeiten des Tamidopfers im Tempel und des Gebets.79 Johannes korrigiert: Jesus sei erst später, ungefähr um die 6. Stunde um 12 Uhr, durch Pilatus verurteilt worden. Bei ihm hat die einem Zitat aus Ps 22,9 das Motiv des »leidenden Gerechten«, läßt jedoch das Stichwort crist·“ weg (vgl. dagegen Mt 27,17 im Munde des Pilatus [!]: ûIhsoún tÖn leg·menon Crist·n, zur Formulierung vgl. Josephus, ant. 20,200), während Lk 23,35 stark verkürzt, aber das Messiasmotiv verstärkt: ¨ cristÖ“ toú qeoú ¨ †klekt·“. Johannes läßt die Verspottung als gegenüber der göttlichen Würde Jesu unangemessen ganz weg. Ein starkes Argument ist die völlige Hilflosigkeit Jesu dagegen bei dem Juden des Celsus (Origenes, c. Celsum 2,55), ein Text, der Mk 15,31b = Mt 27,42a voraussetzt: »während er lebte, half er sich nicht selbst«, im Gegensatz zu Dionysos, der sich in den Bakchen des Euripides an Pentheus rächte. 74 Mk 15,40: üpÖ makr·qen qewroúsai, vgl. 16,1. Zu den Frauen und ihren Namen s. Bauckham, Gospel Women, 234 ff.298–304 u. ö. 75 Mt 27,56; vgl. 20,20. 76 Mk 15,40 = Mt 27,55; Lk 23,49: p›nte“ o´ gnwsto‡: vgl. Ps 31 (LXX 30),12; 38 (37),12; 88 (87),12. 77 Joh 19,25: e´stflkeisan dÇ parÅ tù staurù toú ûIhsoú … Die Zahl der Frauen ist nicht ganz eindeutig. Vermutlich handelt es sich um vier Frauen, denn daß die Mutter Jesu und ihre Schwester denselben Namen tragen, ist unwahrscheinlich. Zum Problem s. R. Schnackenburg, Joh III, 321 ff.: »Vorausgestellt sind die nahen Verwandten, dann folgen zwei weitere Frauen mit Namen Maria, die durch Zusätze unterschieden werden« (322). Mirjam / Maria war mit Abstand der häufigste Frauenname im jüdischen Palästina, s. Ilan, Lexicon, 9.242.248: ca. 48 % der in den Quellen erwähnten Frauen tragen diesen Namen. Zu Klopas vgl. Lk 24,18. Nach Hegesipp (Euseb, h.e. 3,11) »war Klopas der Bruder des Joseph.« 78 Lk 23,45: toú ™l‡ou †klip·nto“. Phlegon von Tralles zur Zeit Hadrians soll auf dieselbe hingewiesen haben. Eine Sonnenfinsternis zur Zeit des Passafestes, das heißt des Vollmonds, war ein astronomisch unmöglicher Vorgang. S. dazu Hengel, Leser, 110 f. 79 Zum dreimaligen Gebet s. Dan 6,11.14; Ps 55,18. Zu den Gebetszeiten s. Bill. I, 297 Anm. 1: »Im Allgemeinen wird man annehmen, daß das Morgengebet gegen 9 Uhr vorm(ittags), das Minchagebet gegen 3 Uhr nachm(ittags) verrichtet worden ist.« Zum Gebet um die 6. Stunde s. Apg 10,9 und Bill. II, 696–702.
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Verhandlung wegen der Dialoge wesentlich länger gedauert.80 In Wirklichkeit hat Pilatus bei Jesus einen »kurzen Prozeß« gemacht, es wurden ja auch noch die beiden anderen Delinquenten verurteilt. Auf jeden Fall ist der Tod Jesu relativ früh, einige Zeit vor Anbruch der Dunkelheit, das heißt vor Sabbatbeginn, eingetreten, so daß er zuvor vom Kreuz genommen und in einem nahen Grab (Joh 19,41) beigesetzt werden konnte. Sowohl der von Markus berichtete aramäische Gebetsruf, 15,34, als auch seine Deutung auf Elia 15,35 f. werden von Lukas und Johannes weggelassen, weil sie ihrer Ansicht der Würde des Sterbens Jesu widersprechen. Sie sind jedoch alte Überlieferung und gehen auf die früheste palästinische Gemeinde zurück. Es gibt unseres Erachtens keinen vernünftigen Grund, an ihrer Geschichtlichkeit zu zweifeln. Andere Ereignisse wie die große dreistündige Finsternis, das Zerreißen des Tempelvorhangs und das Zeugnis des Centurio dagegen haben eher legendären Charakter, sind für Markus aber von wesentlicher theologischer Bedeutung. Der Ruf Jesu elwi elwi lema sabacqani »Mein Gott, mein Gott, wozu hast du mich verlassen?« ist der Anfang des 22. Psalms, und zwar völlig ungewöhnlich in aramäischer Sprache; denn an sich hat man in der Synagoge und im Tempel die Psalmen hebräisch gebetet. Man wird dazu wohl ein frühes volkstümliches Psalmentargum voraussetzen müssen.81 Wir haben es hier mit einem ursprünglichen Motiv zu tun.82 Es bringt die letzte, tiefste Verzweiflung dessen zum Ausdruck, dessen Leben unter unsäglichen Qualen unter dem Spott der Umstehenden in scheinbar völliger Gottverlassenheit zu Ende geht. Jesus stirbt in der Anfechtung jener Gottesferne, die schon die Gethsemaneszene beherrscht.83 Dieser Ruf wurde von einem Teil der Umstehenden in der Weise mißverstanden, daß man ihn für einen Ruf des Sterbenden nach Elia, dem bewährten Nothelfer, hielt, der dem einzelnen Frommen auf wunderbare
80 Zu Johannes s. 19,14: »Am Rüsttag zum Passafest, ungefähr zur 6. Stunde.« Wahrscheinlich nennt Johannes diese Zeit, weil am Rüsttag zum Passafest das Abendtamidopfer bereits um 12:30 Uhr geschlachtet wurde; s. Bill. II, 698. Jesus wäre dann etwa um diese Zeit gekreuzigt worden. Johannes hat sonst keine Zeitangabe mehr. Der Tod Jesu ist auch bei ihm relativ rasch erfolgt: 19,33. 81 Die bekannten Targume zu den Hagiographen sind an sich sehr spät. Wir haben jedoch vorchristliche Targume zu Hiob und Leviticus aus Qumran: 4QtgJob (157); 11QtgJob (10); 4QtgLev (156). Vermutlich gab es auch ein solches zum Psalter. 82 Das Zitat in griechischer Umschrift ist phonetisch einwandfrei: Der Evangelist Markus ver stand als palästinischer Jude aramäisch; s. Rüger, Aramaismen, 73–84 (78 f.). Zur Bedeutung von Ps 22 für die Leidensgeschichte s. H. Gese, Ps 22 und das Neue Testament. Der älteste Bericht vom Tode Jesu und das Herrenmahl, in: ders., Vom Sinai zum Zion, BEvTh 64, München 1974, 180–201; zu Jesu Worten am Kreuz s. Schwemer, Jesu letzte Worte, 5–29; vgl. dies., Passion, 143.156 Anm. 109. 83 Feldmeier, Krisis, passim.
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Weise beisteht.84 Dies führte dazu, daß man ihn mit saurem Wein (µxo“), dem Getränk der armen Leute und Soldaten, zu tränken versuchte.85 Der Tod Jesu mit einem zweiten lauten Schrei86 bedeutet für Markus zugleich das Ende des Tempelkultes als Sühnegeschehen. Der Tempelvorhang zerreißt, das heißt, der Tempel hat seine Funktion als Sühnestätte für Israel verloren, denn im Tod des Gottessohnes ist das zureichende Opfer für alle Menschen geschehen.87 Das Bekenntnis des Centurio, der das Exekutionskommando befehligt, zum Tode Jesu: »wahrhaftig, dieser Mensch war Gottes Sohn«88, entspricht für Markus dem vollgültigen Bekenntnis der späteren heidenchristlichen Gemeinde und steht in innerer Verbindung mit dem Zerreißen des Vorhangs. Lukas schwächt dagegen ab: »Wahrhaftig, dieser Mensch war gerecht.« Das klingt für Theophilos plausibler: Die Hinrichtung Jesu war ein Justizmord.89 Lukas hat schon beim Gang Jesu zum Kreuz die klagende Volksmenge mit den Frauen eingeführt (23,27–31) und schließt entsprechend die dramatische Szene mit dem Hinweis auf die tiefe Betroffenheit der Zuschauer ab: Sie schlagen sich auf die Brust, bevor sie heimkehren (23,48). Der Autor, der nur wenige Jahre nach der Zerstörung Jerusalems schreibt und noch tief beeindruckt von den Evangelisten am ausführlichsten darüber berichtet, stellt damit einen Zusammenhang zwischen der Kreuzigung Jesu und der Katastrophe des Jahres 70 n. Chr. her.90 84 Mk
15,35. Vgl. Schwemer, Jesu letzte Worte, 14 f.: Es könnte sich auch um eine weitere Verspottung des messianischen Anspruchs Jesu handeln: Elia soll kommen, Jesus vom Kreuz holen und salben, s. Justin, dial. 8,3: Er ist unbekannt und machtlos mficri“ …n †lqán ûHl‡a“ kaÑ fanerÖn pôsi poiflsÔh. 85 Mk 15,36 = Mt 27,48 f. Die Szene fehlt bei Lukas, Joh 19,28 f. berichtet dagegen von einer wirklichen Tränkung als Reaktion auf das »diyù« Jesu: Es hat für Johannes antidoketischen Charakter. 86 Mk 15,37: üfeÑ“ fwnÉn meg›lhn †xfipneusen, ähnlich Mt 27,50: p›lin kr›xa“ fwnÔö meg›lÔh üföken tÖ pneúma. Dieser Schrei wird in Lk 23,46 durch Ps 31,6 interpretiert und in Joh 19,30 durch den Ruf tetfilestai. S. dazu Schwemer, Jesu letzte Worte, 23–27 und M. Hengel, Die Schriftauslegung des 4. Evangeliums auf dem Hintergrund der urchristlichen Exegese, JBTh 4, Neukirchen-Vluyn 1989, 279.284 ff. = KS V, 633.638 ff.: Joh 19,30 enthält eine Anspielung auf Gen 2,1 f. Das Werk der »Neuschöpfung« ist mit dem Tod Jesu »vollbracht«. Jetzt beginnt die Sabbatruhe (19,31) im Grabe. 87 Mk 10,45; 14,24. 88 Mk 15,39: ülhqù“ oñto“ ¨ ±nqrwpo“ u´Ö“ qeoú én. Bei Mt 27,54 wird daraus das Bekenntnis der ganzen Wachmannschaft unter dem Eindruck eines zusätzlichen Erdbebens. 89 Lk 23,47–49. d‡kaio“ ist freilich auch ein Prädikat des Gottesknechts nach Jes 53,11: jasdîq saddîq ‛abdî lārabbîm. S. dazu Mittmann-Richert, Sühnetod. Eine altlateinische Handschrift (g1) und die ältesten syrischen Textzeugen (sys.c) fügen noch nach einem Hinweis auf die Zerstörung Jerusalems hinzu: dicentes: vae nobis quae facta sunt hodie propter peccata nostra appropinquavit enim desolatio Hierusalem. Hier könnte es sich um einen Zusatz aus dem Diatessaron handeln. 90 Hengel, Gospels, 189–194. Lukas muß in seiner Passionsgeschichte eine »Sonderquelle« verwendet haben, die seiner Theologie eher entspricht als die markinische Darstellung. Sie wird zumindest teilweise auf älterer Überlieferung beruhen. Wie in der Geburtsgeschichte Lk 1 und 2 ist hier eigene Ausgestaltung und ursprüngliche Quelle nicht zu trennen. Vielleicht handelt
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21.3 Die Grablegung91 Aufgrund von Dtn 21,22 f. durfte nach jüdischem Recht der tālûj, der Gesteinigte und anschließend »Gehenkte«, dessen Leichnam als Zeichen des göttlichen Fluches an einem Baum aufgehängt worden war, nicht über Nacht »am Holz« hängen bleiben, sondern mußte vor Anbruch der Dunkelheit abgenommen und begraben werden. Diese Bestimmung wurde in neutestamentlicher Zeit auch auf am Kreuz Gestorbene angewandt. Durch das Eingreifen eines »vornehmen Ratsherrn«92, Joseph von Arimathia,93 der vermutlich zum Laienadel gehörte und vielleicht ein Glied des Synhedriums war, findet Jesus ein ordnungsgemäßes Begräbnis. Markus charakterisiert ihn nicht direkt als Anhänger Jesu, sondern er war einer, »der die Gottesherrschaft erwartete«94, das heißt, er gehörte für Markus zu jenen Juden, die von der eschatologischen Predigt des Täufers und Jesu beeindruckt worden waren. Man könnte ihn einen Sympathisanten Jesu nennen.95 Nach dem »idealen« Recht der Mischna gab es zwei besondere Grabplätze für Verbrecher, denn die Sünder sollten nicht mit den Gerechten beigesetzt werden.96 Es besteht kein Grund, diesen Text auf Jesus zu beziehen. Jesus war es sich um eigene ältere Aufzeichnungen, die zum Teil auf Augenzeugenberichte zurückgehen können. 91 Blinzler, Prozeß, 387 ff.; Pesch, Mk II, 509–519; Brown, Death II, 1240 f.; Hengel, Begräbnis; Dunn, Jesus, 781 ff. 92 Mk 15,43: e§scflmwn bouleutfl“. Mt 27,57 macht ihn zu einem »reichen Mann« (vgl. Jes 53,9 LXX), dafür läßt er den »Ratsherrn« weg und bezeichnet ihn als Jünger Jesu (†maqhte‚qh tù ûIhsoú). Ein jüdischer »Ratsherr«, das heißt zu seiner Zeit ein rabbinischer »Synhedrist«, ist für ihn einer solchen Tat nicht fähig. In ähnlicher Weise verwandelt er den »Archisynagogen« Mk 5,22.35 in einen ±rcwn (Mt 9,18.23) und streicht das positive Urteil Jesu über den Schriftgelehrten Mk 12,28.34. Aus diesem wird Mt 22,35 ein nomik·“, der Jesus versucht, in Anlehnung an Lk 10,25. Lk 23,50 f. ergänzt den bouleutfl“ durch das Prädikat »gut und gerecht« und betont, daß er dem »Beschluß und der Tat« des Synhedriums nicht zugestimmt hatte, während er für Johannes als ein »geheimer Jünger Jesu aus Furcht vor den Juden« erscheint, der den Leichnam zusammen mit Nikodemus begräbt (19,38 f.). Die Markus-Version ist die ursprünglichste. 93 Wohl Ramatajim, 1 Sam 1,1, ein Städtchen ca. 30 km nordwestlich von Jerusalem; s. M. Görg, NBL III, 167. 94 Mk 15,43: kaÑ a§tÖ“ én prosdec·meno“ tÉn basile‡an toú qeoú. 95 Auch die Rolle des Joseph von Arimathia legt nahe, daß Jesus schon vor dem Todespassa in Jerusalem kein Unbekannter mehr war und, wie auch in Bethanien, eine gewisse Zahl von Anhängern bzw. Sympathisanten besaß. Darum konnte wenig später die Jüngergemeinde in Jerusalem Fuß fassen. 96 mSan 6,7c: Entsprechend den vier in Mischna Sanhedrin gebotenen Hinrichtungsarten gab es ein Grab »für Gesteinigte und Verbrannte und das andere für Enthauptete und Erdrosselte« (das heißt für die vier jüdischen Hinrichtungsarten). »Wenn das Fleisch verwest war, sammelte man die Gebeine und begrub sie an ihrem Ort«, das heißt im Familiengrab. Gleichzeitig sollten die Verwandten ihre Übereinstimmung mit Zeugen (Anklägern) und Richter zum Ausdruck bringen. Eine äußere Trauer ist ihnen verboten; s. S. Krauss, Sanhedrin, 204 f. (in: Die Mischna. Text, Übersetzung und ausführliche Erklärung, Gießen 1933). Hier handelt es sich
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ja nicht von einem jüdischen Gericht, sondern von den Römern verurteilt und hingerichtet worden. Die Verfügung über seinen Leichnam hing allein vom Präfekten ab. Mit seiner Kreuzigung hatten die Hierarchen ihr Ziel erreicht. Das römische Recht kannte – als Begleitstrafe der Exekution – die Versagung jeglicher Totenehrung, wozu auch das ordentliche Begräbnis gehörte. Die Leichen der 177 n. Chr. in Lyon in der Arena zu Tode gefolterten Christen wurden von den römischen Behörden sechs Tage bewacht und schließlich verbrannt und ihre Asche in die Rhone geworfen.97 Wer eigenmächtig die Leiche eines Hingerichteten entfernte, mußte mit Bestrafung rechnen.98 Die Freigabe stand allein im Ermessen der Behörde, die das Todesurteil verfügt hatte, das heißt im Falle Jesu bei Pilatus.99 Wir haben jedoch zahlreiche Zeugnisse dafür, daß der Bitte um Freigabe des Leichnams von Hingerichteten in großzügiger Weise entsprochen wurde. Vor allem Augustus hat derartige Bitten der Verwandten zumeist positiv beantwortet. Bei den späteren Kaisern wurde es fast die Regel.100 Es ist so verständlich, daß Joseph von Arimathia »es wagte«, sich an Pilatus zu wenden,101 und der Präfekt der Bitte dieses einflußreichen Mannes entsprach, vermutlich aufgrund der üblichen finanziellen Nachhilfe.102 Vielleicht darf man in diesem Zug einen Hinweis sehen, daß Pilatus die Schuld Jesu als nicht sehr schwerwiegend ansah. Er hat ja die Anhänger Jesu in den folgenden sechs Jahren seiner Amtszeit in Gegensatz zum Hannasclan und Kaiaphas nach allem, was wir wissen, nicht mehr weiter belästigt. Dieses Fehlen von Nachrichten über die Unterdrückung der neuen messianischen Bewegung in Palästina durch die römischen Behörden gilt – nach unserem Wissen – für das ganze 1. Jahrhundert nach Chr.103 Joseph ließ die Bestattung vornehmen, und zwar in einem Felsengrab, das mit einem Rollstein verschlossen wurde und das nach Johannes in weitgehend um eine unrealistische Konstruktion, die nicht auf das Begräbnis Jesu bezogen werden kann; vgl. Josephus, bell. 4,317 und ant. 4,202; 5,44; Bill. I, 1049. Blinzler, Prozeß, 390 f. Zum Begräbnis Jesu s. auch Hengel, Begräbnis, 129–138. 97 Euseb, h.e. 5,1,62; vgl. MartPolyk 17,2: Die Freigabe des Leichnams wird verhindert, damit die Christen nicht den Märtyrer anstatt des Gekreuzigten verehren. 98 S. die Novelle bei Petronius, sat. 111 f. über die militärische Bewachung eines gekreuzigten Verbrechers, dessen Leichnam von seiner Familie gestohlen wird. 99 Es gehörte zu dem arbitrium iudicantis; s. o. S. 603. 100 Blinzler, Prozeß, 385 f. Dig. 48,24,3: corpora animadversorum quibuslibet petentibus ad sepulturam danda sunt (Paulus). 101 Mk 15,43 schildert dies situationsgetreu: tolmflsa“ e¢sölqen prÖ“ tÖn Pilôton kaÑ Ô°tflsato tÖ sùma toú ûIhsoú. Der Schritt des Bittstellers war bei einem politischen Verbrecher nicht ganz ohne Risiko. 102 Philo, legat. 302 nennt an erster Stelle seiner Laster die dwrodok‡a (das heißt Bestechlichkeit), dann æbrei“ und ®rpaga‡. 103 Die erste Hinrichtung von Christen durch die Römer in Palästina, von der wir wissen, ist die des 2. Bischofs von Jerusalem, Symeon, Sohn des Klopas, angeblich ein Vetter Jesu, der unter dem Statthalter Atticus zur Zeit Trajans (nach 98 n. Chr.) gekreuzigt wurde: Hegesipp nach Euseb, h.e. 3,11.32.
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einem Garten nahe bei der Hinrichtungsstätte lag. Auch hier könnte uns eine jener wertvollen Ortsangaben erhalten sein, die für Johannes typisch sind.104 Die Zweifel am Grablegungsbericht sind unbegründet, die Annahme, daß der Leichnam Jesu in ein Massengrab geworfen worden sei, hat keinerlei Anhalt in den Quellen. Auch die am Skopus – 1968 – gefundenen Knochen des gekreuzigten Jochanan, Sohn des Hesekiel (?), wurden nach der Erstbestattung auf die übliche Weise in einem Familienossuar gesammelt, es waren darin sogar noch die Spuren einer Ölsalbung der Gebeine (nach der Zweitbestattung) sichtbar, wie sie die Frauen am Leichnam Jesu vornehmen wollten.105 Daß die Grablegung Jesu von Anfang an für die Gemeinde kein unwesentlicher Zug war, zeigt das alte Bekenntnis 1 Kor 15,3 f., wo auf die Formel »daß Christus starb für unsere Sünden nach den Schriften« ein »und daß er begraben wurde« folgt. Es handelt sich hier um keine überflüssige Formel, sie bildet die Brücke zwischen dem Tod Jesu und dem Bekenntnis seiner Auferstehung.106 Die Geschichte Jesu schien damit ein für allemal abgeschlossen, für Pilatus und die jüdischen Volksführer, aber auch für die geflohenen Jünger, die sich wohl noch in Jerusalem verborgen hielten,107 da ja die Frauen ebenfalls noch in Jerusalem geblieben waren. Auf den Todestag Jesu am ersten Tag des Passafestes folgte ein Sabbat,108 der durch das Mazzotfest besonderes Gewicht erhielt und an dem in der heiligen Stadt alle Aktivitäten zu unterbleiben hatten. Der Besuch der Frauen am frühen Morgen des ersten Tages nach dem Sabbat beim Grabe, um die bei der übereilten Grablegung am Sabbatabend unterlassene Salbung nachzuholen, war ein letzter Liebesdienst, eine Konsequenz der inneren Verbindung mit dem gescheiterten messianischen Profeten Jesus von Nazareth. Es kam freilich ganz anders.
104 Mk
15,46 = Mt 27,60 = Lk 23,53; vgl. Joh 19,41. Nach Matthäus war es das persönliche Grab des Joseph, nach Markus, Lukas und Johannes war es neu, das heißt, es hatte noch kein Toter in dem Grab gelegen. In EvPetr 23 f. gibt Herodes den Leichnam heraus, und das Begräbnis erfolgt »im eigenen Grab«, das Garten Josephs genannt wird. Die Abhängigkeit von Johannes ist offensichtlich. Es wird hier auch deutlich, wie die Tradition wächst; auf der anderen Seite scheint von Anfang an eine feste Ortstradition vorzuliegen. Zum Grab Jesu s. M. Biddle, Das Grab Jesu, Gießen 1998. 105 Mk 16,1; vgl. Lk 23,56 und 24,1. S. u. S. 642 ff. 106 S. dazu Hengel, Begräbnis. Das kaÑ Ωti †t›fh unterstreicht in gleicher Weise die Realität des Todes Jesu wie die seiner »Auferstehung aus dem Grabe«. S. u. S. 630. 107 Vgl. etwa Joh 20,19; EvPetr 14. 108 Joh 19,31 spricht von einem »großen Sabbat«, da er nach der johanneischen Chronologie auf den ersten Tag des Mazzotfestes, den Tag nach der Passanacht, fiel; vgl. auch MartPolyk 8,1; 21,1.
VII. Das Zeugnis von der Auferstehung Jesu
§ 22 Das Zeugnis von der Auferstehung Jesu Die Urgemeinde bekannte von Anfang an, daß Gott den gekreuzigten Messias Jesus »von den Toten auferweckt« habe. Dieses Bekenntnis weist nach der Katastrophe von Golgatha, der Flucht der Jünger und dem scheinbaren Ende ihrer Hoffnungen auf eine radikale, nach menschlichem Ermessen völlig unerwartete Wende hin. Es führt zu einem Neuanfang, das heißt zur Entstehung der Kirche, und bildet deren Grundlage bis heute. Uns interessiert im folgenden nicht einseitig das Bekenntnis zu Jesus als dem Auferstandenen als vielmehr die Entstehung dieses Bekenntnisses, das heißt, wir müssen nach denjenigen Phänomenen des Auferstehungsgeschehens zurückfragen, die für uns geschichtlich noch faßbar sind. Im Grunde haben wir dreierlei recht verschiedenartige Hinweise auf dieses Geschehen: die Auferstehungsbekenntnisse, die Erzählungen vom leeren Grab und – als entscheidende Aussagen – die Berichte von den Erscheinungen des Auferstandenen vor Augenzeugen. Die Bekenntnisse finden sich in knapper Form vor allem in den neutestamentlichen Briefen und der Apostelgeschichte, H. Grass, Ostergeschehen und Osterberichte, Göttingen 21962; K. H. Rengstorf, Die Auferstehung Jesu, Witten 61967; H. v. Campenhausen, Der Ablauf der Osterereignisse und das leere Grab, SHAW.PH 1952/4 = Heidelberg 31966; Lehmann, Auferweckt; J. Kremer, Das älteste Zeugnis von der Auferstehung Jesu, SBS 17, Stuttgart 21967; ThQ 153 (1973): Die Entstehung des Auferstehungsglaubens, mit Beiträgen von: R. Pesch, Zur Entstehung des Glaubens an die Auferstehung, 201–228.270–283, W. Kasper, Der Glaube an die Auferstehung Jesu vor dem Forum historischer Kritik, 229–241, K. H. Schelkle, Schöpfung des Glaubens, 242 f., P. Stuhlmacher, Kritischer müßten mir die Historisch-Kritischen sein!, 244–251, und M. Hengel, »Ist der Osterglaube noch zu retten?«, 252–269 = KS IV, 52–73; W. Kasper, Jesus der Christus, Mainz 1974, 145–188; Theissen / Merz, Jesus, 414–446. Vgl. die Beiträge von A. Chester, Resurrection and Transformation, 47–77; A. M. Schwemer, Emmausjünger, 95–117; M. Hengel, Begräbnis, in: Auferstehung – Resurrection, hg. v. F. Avemarie und H. Lichtenberger, WUNT 135, Tübingen 2001; Dunn, Jesus, 821–879; Eckstein, Wirklichkeit, 157–177. Vgl. die kommentierte Bibliographie, die jedoch nur englischsprachige Literatur berücksichtigt, in: J. H. Charlesworth, with C. D. Elledge u. a. (Eds.), Resurrection. The Origins and Future of a Biblical Doctrine, New York / London 2006, 233–240. Die formelhafte Wendung †ge‡rein †k nekrùn (seltener auch ünist›nai) findet sich in fast allen Schriften des Neuen Testaments gegen 30mal, vornehmlich auf die Auferweckung Christi bezogen und am häufigsten bei Paulus. Vgl. Eckstein, Wirklichkeit, 232 ff.: Die Auferstehungsaussagen können sowohl auf Gott als handelndes Subjekt wie auf Jesus (bzw. Christus, Kyrios, Sohn Gottes) hindeuten.
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VII. Das Zeugnis von der Auferstehung Jesu
die Erzählungen vom leeren Grab und den Erscheinungen dagegen am Ende der vier Evangelien, am Anfang der Apostelgeschichte und in einem bekenntnishaften kurzen Bericht (als unserem ältesten und wichtigsten Zeugnis) in 1 Kor 15,3–8. Wir befinden uns ihnen gegenüber in einer schwierigen Situation, weil es sich bei diesen formal disparaten Zeugnissen immer zugleich um Glaubensaussagen handelt, die sich dem objektivierenden Zugriff des Betrachters weitgehend entziehen und die unserer naturwissenschaftlich-technisch bestimmten Welt als fremdartig erscheinen. Wie schon bei der Frage nach dem Menschen Jesus von Nazareth kann hier erst recht nur von »Annäherungsversuchen« gesprochen werden.
22.1 Das älteste Zeugnis: 1 Kor 15,3–8 Dieses Zeugnis, das zu den am häufigsten behandelten und zugleich umstrittensten Texten des Neuen Testaments gehört, geht inhaltlich auf die Anfänge der Urgemeinde in Jerusalem zurück. In ihm verbinden sich alle drei Formen von Hinweisen auf die Auferstehung: (a) das zweigliedrige christologische Bekenntnis zum Sühnetod Christi und seiner Auferweckung durch Gott, das heißt die sogenannte Glaubensformel; (b) der Hinweis auf das Grab Jesu; (c) eine ganz knappe Aufzählung der Erscheinungen des Auferstandenen. Es geht um Jesu Tod, Begräbnis, Auferweckung am dritten Tag, und darum, daß er von vielen gesehen wurde, in Aussagen von äußerster, unanschaulicher Kürze. Daß man eine derartige berichtende Bekenntnisaussage überhaupt bildete, liegt darin begründet, daß man die Auferstehung Jesu nicht als reines Glaubenszeugnis ohne Hinweis auf ein reales Geschehen verkündigen konnte, sondern daß man gleichzeitig die Augenzeugenschaft derer hervorheben mußte, denen der Auferstandene erschienen war, die ihn gesehen und damit nach Meinung der frühesten Gemeinden – im eigentlichen Sinne des Wortes – wirklich »wahrgenommen« hatten. Dem Bekenntnis lagen für die Betroffenen reale, ja, man muß aus ihrer Sicht sagen objektive Vorgänge zugrunde, die in der Erinnerung festgehalten und bezeugt wurden. Es war für die urchristliche Missionspredigt kein Bekenntnis des Glaubens zur Auferstehung Jesu möglich ohne den Hinweis auf die Augenzeugenschaft. Paulus will darum bewußt die Zeugen aufzählen, so wie dann auch Lk 1,2 von »Augenzeugen und Dienern des Wortes« spricht, Schrage, 1 Kor IV, 10–108; Hengel, Begräbnis; A. M. Schwemer, Erinnerung und Legende: Die Berufung des Paulus und ihre Darstellung in der Apostelgeschichte, in: Memory in the Bible and Antiquity, hg. v. S. C. Barton u. a., WUNT 212, Tübingen 2007, 277–298. Ähnlich Hebr 2,3; s. o. S. 11 Anm. 36 und S. 220; vgl. auch Paulus selbst 1 Kor 9,1 und 15,8; Lukas hat mit dem von Theologen gern kritisierten Hinweis auf die Augenzeugenschaft
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die die Jesusüberlieferung weitergaben; denn die Augenzeugenschaft führt bei den Betroffenen zur Verkündigung des Gesehenen und real Erlebten. Mit dem Bekenntnis des Petrus und Johannes vor den Volksführern Apg 4,20: »Wir können unmöglich über das schweigen, was wir gesehen und gehört haben«, gibt Lukas einen urchristlichen Konsens wieder. Paulus selbst bekennt 1 Kor 9,1: »Bin ich nicht ein Apostel, habe ich nicht Jesus, unseren Herrn, gesehen?« Erlebte Geschichte als »Heilsgeschehen« und verkündigte Heilsbotschaft sind im Urchristentum untrennbar zu einer Einheit verbunden. Als Paulus ca. 49/50 n. Chr. knapp zwanzig Jahre nach dem Todespassa die Gemeinde in Korinth gründete, lehrte er die dort neugewonnenen Christen »unter den ersten Stücken« eben jenes Bekenntnis, das er in 1 Kor 15 zitiert und das zusätzlich zum Heilsgeschehen von Tod und Auferstehung Jesu auch die ersten Augenzeugen aufführt. Gleichzeitig bezeichnet er diesen bekenntnishaften Geschichtsbericht als e§aggfilion. Wir könnten diese drei Verse als einen wichtigen Kristallisationskern der späteren Evangelienschreibung bezeichnen. Dabei hat Paulus diese bekenntnisartigen Sätze sicher noch erzählend erläutert. Ohne solche Erläuterung wären sie für die korinthischen Juden‑ und Heidenchristen überhaupt nicht verständlich gewesen. Das heißt, hier wird von Paulus ein für ihn reales Geschehen in Raum und Zeit, das zugleich die menschliche Erfahrung von Raum und Zeit sprengt, als öffentlich verkündigte Heilsbotschaft, als »Kerygma« ausgewiesen. Der in neuerer Zeit betonte grundsätzliche Gegensatz zwischen erfahrbarer Geschichte und Kerygma als »reines Wortgeschehen« war für das früheste Christentum so nicht gegeben. Wie das Evangelium nach Markus als ein kerygmatisch geformter Geschichtsbericht zu verstehen ist, so ist auch die paulinisch-urchristliche Formel von 1 Kor 15,3 ff. für den Apostel und seine Missionsgemeinden ein Bekenntnis mit geschichtlichem Inhalt und nur als solches e§aggfilion.
Apg 1,22; 2,32; 3,15; 5,32; 10,41; vgl. 26,16 sachlich völlig recht. Joh 20,29 (vgl. 17,20); 1 Petr 1,8 beziehen sich auf die Situation späterer Generationen. S. dazu Hengel, Lukasprolog; Bauckham, Jesus, 114 ff. u. ö. Apg 4,20: o§ dun›meqa … ™meõ“ ¡ e¥damen kaÑ °ko‚samen mÉ laleõn. Vgl. Apg 26,16 die Weisung des Auferstandenen an Saulus / Paulus nach dem 3. Bericht des Lukas: üllÅ ün›sthqi kaÑ stöqi †pÑ toÜ“ p·da“ sou: e¢“ toúto gÅr ∑fqhn soi, proceir‡sasqa‡ se ≠phrfithn kaÑ m›rtura ón te eèdvfi“ me ón te £fqflsoma‡ soi. Vgl. schon Lk 19,37 der Lobpreis der Jünger beim Einzug in Jerusalem perÑ pasùn ón eèdon dun›mewn. 1 Kor 15,3: parfidwka … †n pr„toi“. Zum Begriff bei Paulus, der mit »Evangelium« fast austauschbar ist, s. Röm 16,25; 1 Kor 1,21; 2,4; 15,14 und 2 Tim 4,17; Tit 1,3. Das Verb khr‚ssein kommt dementsprechend e§aggel‡zesqai nahe. Zum Evangelium als Erzählung des »Heilsgeschehens« vgl. Mk 1,1: ürcÉ toú e§aggel‡ou ûIhsoú Cristoú … und dazu 14,9, s. Hengel, Gospels, 90–115.
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VII. Das Zeugnis von der Auferstehung Jesu
Die Aufzählung der Auferstehungszeugen in 1 Kor 15,3–8 ist freilich nicht völlig einheitlich. Ein geformtes Bekenntnis liegt wohl nur in den Versen 3–5 vor: »daß Christus starb für unsere Sünden nach den Schriften
und daß er begraben wurde und daß er am dritten Tage auferweckt wurde nach den Schriften und daß er dem Kephas erschien, darauf den Zwölfen.«
Berichtet wird von einem Geschehen, das die Männer, die Paulus nennt, erlebten und bezeugten und das zudem durch die Formeln »für unsere Sünden« und »nach den Schriften« theologisch als »endzeitliches Heilsereignis« gedeutet und bekannt wurde. Uns interessieren die darin enthaltenen Angaben über konkrete Ereignisse. Hier wird in der ersten Zeile auf den Tod des Messias hingewiesen. Christos ist in dieser vorpaulinischen Formel noch nicht einfach zum Eigennamen abgeschliffen, sondern bringt die messianische Würde des Gekreuzigten zum Ausdruck. Die in der Apostelgeschichte und den Briefen des Neuen Testaments verbreitete Aussage vom Tod des Christus gründet unter anderem in der Erinnerung, daß Jesus wegen seines messianischen Anspruchs als »König der Juden« gekreuzigt wurde.10 Durch die Auferweckung hatte Gott dessen durch die Kreuzigung scheinbar widerlegten Messiasanspruch auf ganz und gar unerwartete, unbegreifliche Weise als wahr erwiesen. Die zweite Aussage: »daß er begraben wurde« (Ωti †t›fh), wird gerne mißdeutet. Sie unterstreicht nicht einfach auf banale Weise die Realität des Todes Jesu, wie gerne behauptet wird, denn diese wurde zur Zeit des Paulus noch nicht bezweifelt. Dies geschah erst 50–60 Jahre später im Corpus Johanneum und bei Ignatius durch sogenannte Doketen. Es wird darin einmal betont, daß Jesus nicht nur starb, sondern, was bei einem als Verbrecher Hingerichteten nicht ganz selbstverständlich war, in ein Grab gelegt wurde. Auch in Röm 6,4 weist Paulus auf das Begrabenwerden Christi hin.11 Eine nichtssagende Floskel hatte in einem derartigen »Bekenntnis« keinen Platz. Zuweilen wurden Verbrecher in 1 Kor
15,3–5: Ωti CristÖ“ üpfiqanen ≠pÇr tùn ®martiùn ™mùn katÅ tÅ“ grafÅ“ kaÑ Ωti †t›fh kaÑ Ωti †gflgertai tÔö ™mfira tÔö tr‡tÔh katÅ tÅ“ grafÅ“ kaÑ Ωti ∑fqh Khfô eèta toõ“ d„deka. 10 Hengel, KS III, 240–261. Zu den »Sterbeformeln« in Verbindung mit Crist·“ s. Röm 5,6.8; 6,9; 14,9.15; 1 Kor 8,11. S. o. S. 621 und u. S. 633 Anm. 34. 11 Vgl. auch Kol 2,12; Apg 13,29. Außerhalb der Evangelien sind dies die einzigen Hinweise, s. Hengel, Begräbnis, 136 ff. Zur Leugnung der Menschlichkeit und damit auch des Todes Jesu bei den Doketen s. M. Hengel, Johanneische Frage, 176–201.
§ 22 Das Zeugnis von der Auferstehung Jesu
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der Antike den »Geiern und Hunden« zum »Begräbnis« überlassen.12 Dahinter steht so die noch lebendige Erinnerung an das Begräbnis Jesu. Das Geschehen lag ja erst kurze Zeit zurück. Umstritten ist weiter die Frage, ob implizit in dem »und daß er begraben wurde« auch das Wissen um die Entdeckung des leeren Grabes vorausgesetzt wird. Auch dies ist unseres Erachtens der Fall und bedeutet, daß mit dem »daß er begraben wurde« mehr als nur der wirkliche Tod Jesu ausgesagt wurde. Vielmehr wird dadurch mindestens ebensosehr der radikale Kontrast zwischen Grablegung und Auferweckung und damit die Realität der nachfolgenden Auferstehungsaussagen angesprochen. Aus dem Tode auferweckt werden hat man im palästinischen Judentum, aber zum Teil auch in der Diaspora, sehr konkret als Verlassen des Grabes durch Gottes Wunder verstanden. Dahinter steht die endzeitliche Hoffnung auf die Restitution des ganzen Israel in der Gottesherrschaft durch die Auferstehung der Toten im Anschluß an profetische Texte wie Ez 37,1–28; Jes 26,19 und vor allem Dan 12,2 f.13.13 Die Formel sagt: Der Auferstandene, der den Jüngern erschien, ist der, der begraben worden war. Dabei ist zu beachten, daß Paulus in 1 Kor 15 gegen die typisch griechische Infragestellung der leiblichen Auferstehung in Korinth für die Realität der christlichen Auferstehungshoffnung kämpft. Zwar sagt er 15,49 ff., »daß Fleisch und Blut die Gottesherrschaft nicht ererben« können, sondern der Verwandlung in das Abbild des erhöhten Herrn bedürfen, die alle Glaubenden bei der Parusie erwarten.14 Aber dies ist keine Bestätigung der griechischen radikalen Abwertung des Leibes und keine Einschränkung der Auferstehung auf einen rein geistigen Vorgang, denn in V. 51 wird deutlich gesagt, daß zwar nicht alle sterben, daß aber »wir alle verwandelt werden« (p›nte“ dÇ üllaghs·meqa). Das heißt, Leib und Seele werden nicht getrennt; der Leib wird nicht als »Gefängnis« oder »Grab der Seele«15 verworfen wie im Platonismus, sondern verwandelt: Aus dem »fleischlichen Leib« (sùma sarkik·n) wird ein »geistlicher«, Gottes Heiligkeit entsprechender (sùma pneumatik·n); dies gilt für die Entschlafenen wie für die Lebenden. Die Urgemeinde hat offenbar von Anfang an die Auferstehung Jesu als eine Verwandlung des Leichnams gedeutet. 12 Vgl. Homer, Ilias 22,350–354: Achilleus verweigert dem sterbenden Hektor das Begräbnis. Selbst wenn der Vater den Leichnam mit Gold aufwiegen wollte, »werden dich die Hunde und Vögel zerreißen.« S. dazu M. Hengel, Achilleus in Jerusalem, SHAW.PH, Heidelberg 1982, 17–20. Nach einer Versinschrift aus Karien wurde ein Sklave, der seinen Herrn ermordet hatte, gekreuzigt, »den Vögeln und wilden Tieren zum Fraß.« Ders., Crucifixion, 76. S. auch die Bewachung des Leichnams eines gekreuzigten Räubers bei Petronius, sat. 11,5 ff., die ein Begräbnis verhindern sollte: op. cit., 48. 13 S. Hengel, Begräbnis, 150–172. 14 Vgl. auch Röm 8,29 f.; Phil 3,20 f. S. F. Back, Verwandlung durch Offenbarung bei Paulus, WUNT II / 153, Tübingen 2002, 161–184. 15 Dazu E. Schweizer, ThWNT VII, 1028,35 ff.: »So wird das sùma als söma der Seele empfunden, als Übel, in das der Mensch eingesperrt ist, … das er also möglichst verachten und fliehen sollte.«
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VII. Das Zeugnis von der Auferstehung Jesu
Nach dem Streitgespräch Jesu mit den Sadduzäern Mk 12,18–27 werden die Auferstandenen durch Gottes Schöpferkraft sein »wie die Engel im Himmel« und darum keine Ehe mehr kennen,16 das heißt, es geht um Verwandlung als »Neuschöpfung« bei Wahrung der leiblich-personalen Identität. Der Auferstandene kann nach den urchristlichen Berichten plötzlich »erscheinen« und unsichtbar werden, durch verschlossene Türen gehen, aber andererseits betastet werden, ja sogar Speise zu sich nehmen.17 Für den palästinischen Juden pharisäischer Prägung – und Paulus war ein ehemaliger Pharisäer – war die Auferstehung nicht anders vorstellbar als als leibliche Auferstehung aus dem Grabe. Es ist irreführend, wenn immer wieder betont wird, daß die Erzählungen vom leeren Grab durchweg späte Legenden seien, da im ältesten Bekenntnis 1 Kor 15,3 ff. nicht davon die Rede sei. Bei der Knappheit der Bekenntnisaussagen muß man damit rechnen, daß das »daß er begraben wurde« mit dem nachfolgenden »er wurde auferweckt am dritten Tage« zusammen die Tradition vom leeren Grab impliziert, wobei dieses freilich für sich allein genommen noch ambivalent ist. Daß die Frauen, die in den Berichten der Evangelien vom Ostermorgen die entscheidende Rolle spielen, in dieser ganzen Aufstellung fehlen, hängt damit zusammen, daß sie nach jüdischem Recht keine Zeugenbefähigung besaßen und darum in einem Zeugenbeweis fehl am Platze waren,18 ja daß die Zeugenschaft der Frauen eher als fragwürdig betrachtet wurde. Es ist an sich unwahrscheinlich, daß nur Männer Erscheinungen des Auferstandenen sahen. Dennoch übergeht Paulus die Frauen aus diesem Grund. Noch Celsus läßt seinen jüdischen Gewährsmann spotten: »Wer hat dies denn gesehen? Eine verrückte Frau, wie ihr sagt …«19. Wenn Paulus so nichts expressis verbis vom leeren Grabe und den Frauen sagt, beweist dies nicht, daß er davon nichts gewußt habe und daß diese Traditionen auf späten Legenden beruhten. Das »erzählende Bekenntnis« verschweigt auch andere »grundlegende Fakten«, etwa daß Jesus gekreuzigt wurde und daß seine Hinrichtung in Jerusalem am Passafest geschah. Kaum weniger umstritten ist die Datierung »auferweckt am dritten Tage«. Man hat unter anderem gegen dieses Datum – das unseres Erachtens am besten durch die Auffindung des leeren Grabes durch die Frauen am Ostermorgen, das heißt am dritten Tag nach dem Tode Jesu, erklärt werden kann – eingewendet, 16 Mk 12,25: üll‘ e¢sÑn Æ“ ±ggeloi †n toõ“ o§ranoõ“ = Mt 22,30; vgl. Lk 20,36: ¢s›ggeloi … kaÑ u´o‡ e¢sin qeoú. S. o. S. 562. 17 Lk 24,15.31.40 ff.; Mt 28,9.16 ff.; Joh 20,14 ff.19 ff.24–29; vgl. 1 Joh 1,1, s. u. S. 647. Vgl. dazu Schwemer, Mahlgemeinschaft. 18 Bill. III, 558–560; vgl. 217.251. Grundlage ist Sifre Devarim 190: »Männer und nicht Frauen«; mShevuot 4,1 f.: »Der Zeugniseid gilt bei Männern, aber nicht bei Frauen«. Zur einzigen Ausnahme mEduyot 1,12; mJevamot 15,2 f. s. Ilan, Integrating Women, 53. 19 Origenes, c. Celsum 2,55: t‡“ toúto eède; GunÉ p›roistro“, ø“ fate. Dies bezieht sich auf Joh 20,11–18, vgl. Mt 28,8–10.
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daß diese Angabe aus einem Schriftbeweis, Hos 6,1 f., »herausgesponnen«20 sei. Es heißt dort: »Auf! Laßt uns zu JHWH zurückkehren, denn er hat uns zerrissen und wird uns heilen …, er wird uns beleben nach zwei Tagen, am dritten Tag läßt er uns aufstehen, daß wir leben vor ihm.« Gegen diese Vermutung spricht nicht nur der kollektive Bezug auf das sündige, von Gott abgefallene Israel – das Ganze ist ein Bußgebet, das schlecht auf den gekreuzigten Messias paßt –, sondern auch die Tatsache, daß diese Stelle weder im Neuen Testament noch im ganzen 2. Jahrhundert zitiert wird. Erst Tertullian, nach 200, führt sie als Schriftbeweis an.21 Das Motiv von der Auferstehung am dritten Tage ist in den verschiedensten Schichten der Tradition viel zu fest und zu häufig verankert,22 als daß man darin ein späteres, sekundäres schriftgelehrtes Fündlein sehen dürfte. Daß hinter dieser Angabe konkrete Erinnerung steht, zeigt auch die frühe Hervorhebung des ersten Tages der Woche in der Urgemeinde.23 Dabei verband sich für diese die historische Erfahrung mit der besonderen Bedeutung des »dritten Tages« als »kurze Frist« in alttestamentlichen Texten.24 Sicher ereigneten sich die ersten Erscheinungen nicht erst längere Zeit nach dem Tode Jesu, etwa mit einem zeitlichen Abstand von Wochen oder Monaten in Galiläa. Visionen von Verstorbenen finden wir mehrfach im Judentum,25 das »Analogielose« ist für die Urgemeinde die Erscheinung des leiblich aus dem Grabe Auferstandenen vor vielen Zeugen. Vermutlich gehörte nur die Erwähnung von Kephas und den Zwölfen zur ursprünglichen Formel, die anderen Zeugen sind später hinzugewachsen 20 Zum Begriff H. Conzelmann, EvTh 25 (1965), 7 = ders., Theologie als Schriftauslegung, BEvTh 65, München 1974, 137; ders., Theologie, 52. 21 Tertullian, adv. Marc. 4,43,1 als Weissagung auf die Frauen und ihren Dienst am Sonntagmorgen. Vgl. auch Ps.-Tertullian, adv. Iud. 13,23. S. dazu Hengel, Begräbnis, 132 ff., dort zum ganzen Problem 119–183. Die Stelle mag schon im Urchristentum eine Rolle gespielt haben, die Auferstehung Jesu »am dritten Tage« kann jedoch nicht einfach von ihr abgeleitet werden. Zu Hos 6,2 s. ausführlich Lehmann, Auferweckt, 205–230. Lehmann weist 182–185 unter anderem auf die rätselhafte Zeitangabe Lk 13,32 hin: tÔö tr‡tÔh (™mfira) teleioúmai. 22 Lk 9,22; 13,32; Apg 10,40 u. ö. Daneben haben wir auch die Aussage der Auferstehung »nach drei Tagen«: Mk 8,31; 9,31; 10,34; Joh 2,19 f. im zeitlichen Sinne von kurzer Frist. 23 Vgl. 1 Kor 16,2; Apg 20,7; Apk 1,10. S. u. S. 641 f. Anm. 73. 24 Gen 22,4; 31,22; 34,25; 40,20; 42,18; Ex 19,11.15 f.; Lev 7,17 f.; Num 19,12.19; Jos 9,17; Ri 20,30 etc. S. dazu Lehmann, Auferweckt, 159–316. Zur symbolischen Bedeutung des dritten Tages s. Gese, Theologie, 148. Die Formel bringt die unmittelbare Verbindung mit dem Kreuzestod zum Ausdruck. 25 Vgl. z. B. 1 Sam 28,3–25; dazu Josephus, ant. 6,332–336; 2 Makk 15,12–16. Weiter Lk 16,19–31: Im Gleichnis vom Reichen und dem armen Lazarus würden die Brüder des Reichen auch nicht umkehren, wenn ihnen Lazarus als von den Toten Auferstandener erschiene; vgl. die Ausgestaltung in Joh 11, s. Frey, Johanneische Eschatologie III, 423 f. Verbreitet ist in jüdischen Texten die Erscheinung von Toten im Traum: Josephus, ant. 17,349–353: Glaphyra erscheint ihr verstorbener erster Mann Alexander, Sohn des Herodes I., kurz bevor sie stirbt; rabbinische Belege bei Bill. II, 225; s. auch Bill. II, 228 ff. zu Lk 16,24 und 233 zu Lk 16,30.
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VII. Das Zeugnis von der Auferstehung Jesu
bzw. von Paulus hinzugefügt. Kephas, von aramäisch kêfā’, Fels, griechisch Pfitro“, war der aramäische Beiname, den Jesus dem Simon gegeben hatte.26 Der Jünger, der schon im engsten Kreis um Jesus eine zentrale Rolle spielte, war die führende Gestalt in der Urgemeinde in Jerusalem, bis er durch die Verfolgung unter Agrippa I. seine Leitungsfunktion an den Herrenbruder Jakobus27 abgeben mußte und damit – trotz der Trennung der Missionsbereiche Gal 2,7 – zum Konkurrenten der paulinischen Mission zwischen Kleinasien und Rom wurde. Wir verdanken ihm wesentliche Teile der Evangelientradition. Es ist kein Zufall, daß er in den Jüngerlisten der Evangelien immer an erster Stelle steht. Von dieser Protophanie des Petrus haben wir keine ausführliche Erzählung; daß das Wissen um dieselbe jedoch lebendig blieb, zeigt bei Lukas die knappe, fast bekenntnisartige Formulierung, mit der die in Jerusalem versammelten Elf die zurückkehrenden Emmausjünger empfangen: »Der Herr ist wahrhaftig auferstanden und dem Simon erschienen.« Auch hier handelt es sich um eine alte Formel.28 Auf Kephas-Petrus folgen die »Zwölf«,29 das heißt der schon von Jesus gesammelte engere Jüngerkreis, der seinen Anspruch gegenüber dem Zwölfstämmevolk zum Ausdruck brachte. Möglicherweise hatte Simon-Kephas diesen Kreis aufgrund seiner Protophanie wieder zusammengerufen. Die »Zwölf« gehen auf die Berufung des irdischen Jesus zurück und wurden nicht erst durch die Auferstehungserscheinungen konstituiert. Bereits der Verräter Judas hatte bis in die letzte Nacht Jesu zu ihnen gehört. Daß Paulus hier von den »Zwölfen« und nicht – was historisch exakt wäre – von den »Elfen« spricht, ist dadurch bedingt, daß »die Zwölf« ein festgeprägter Begriff waren30 und die Elf durch Zuwahl 26 Mk 3,16; s. o. S. 370 f. Es ist auffallend, daß Paulus in der Regel achtmal gegenüber seinen griechischsprechenden Gemeinden den aramäischen Namen verwendet. Die einzige Ausnahme ist Gal 2,7 f. Zur Person des Kephas und der Bedeutung seines Namens s. M. Hengel, Petrus. Der Name ist unseres Erachtens eher mit »Fels« als mit »Stein« wiederzugeben. Das Wortspiel pfitro“ – pfitra Mt 16,18 mag sehr wohl auf die Urgemeinde, etwa die Hellenisten, zurückgehen. 27 Apg 12,1–17; vgl. Gal 2,9 die Reihenfolge der drei Säulen mit Jakobus an der Spitze. Die Verfolgung ereignete sich wohl zum Passafest 43 n. Chr. S. o. S. 89 f. 28 Vgl. Lk 24,34: µntw“ °gfirqh ¨ k‚rio“ kaÑ ∑fqh S‡mwni, dazu u. S. 644 f. und Eckstein, Wirklichkeit, 152 ff. zu dem betonten, vorangestellten µntw“, s. Lk 23,47; Mk 11,32; Joh 8,36; 1 Kor 14,25; es gibt der Formel Bekenntnischarakter. 29 1 Kor 15,5: eèta toõ“ d„deka. 30 Vgl. EvPetr 59: ™meõ“ dÇ o´ d„deka maqhtaÑ toú kur‡ou †kla‡omen kaÑ †lupo‚meqa, weiter Justin, dial. 42,1. Man könnte auf die seit Justin nachweisbare Bezeichnung »Die Siebzig« für die Übersetzer der Septuaginta verweisen, obwohl es nach der ursprünglichen Tradition 72 waren; s. Hengel, KS II, 335–342; vgl. auch Lk 10,1 und die varia lectio 72. Die kanonischen Evangelisten haben dagegen durchweg o´ ∫ndeka: Vgl. Lk 24,9.33; Apg 1,26; 2,14; Mt 28,16; Mk 16,14. Nach Joh 20,19 ff. erscheint Jesus zunächst nur zehn Jüngern, da Thomas fehlt.
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des Matthias rasch wieder ergänzt worden waren.31 Bedeutsam ist weiter, daß Paulus bei den Korinthern voraussetzen kann, daß sie wissen, wer diese Zwölf sind. Er muß wie über Kephas-Petrus dort auch über sie erzählt haben,32 als er bei der Gemeindegründung ihnen diese Formel erklärte. Nach 1 Kor 1,12 scheint Kephas-Petrus dann selbst Korinth besucht zu haben. Die dortige Gemeinde wußte sehr viel mehr über ihn und die anderen Auferstehungszeugen als wir. Umstritten ist das Alter dieser Grundformel. Während J. Jeremias33 eine aramäische Urform in Jerusalem vermutet, postuliert H. Conzelmann34 unter anderem die Entstehung des Bekenntnisses erst in Antiochien, wofür es kein Indiz gibt. Auf jeden Fall weist der Inhalt der Grundformel auf die Urgemeinde zurück. Es ist in ihr noch nicht von der verfaßten Kirche, sondern nur von den ersten palästinischen Zeugen die Rede. Die unlösbare Streitfrage einer aramäischen Urform ist unwesentlich, denn in Jerusalem sprach man auch Griechisch. Der Text ist wohl dort entstanden, wo Kephas und die Zwölf wirkten: in der jüdischen Metropole. Paulus hat ihn bald nach seiner Bekehrung ca. 33 n. Chr. kennengelernt, vermutlich in Damaskus, wo er getauft und in die Gemeinde aufgenommen wurde.35 Er wird ja nach seiner Berufung sofort Missionar im nabatäischen Arabien und reist ca. drei Jahre später nach Jerusalem, um dort den ersten Auferstehungszeugen Petrus-Kephas kennenzulernen.36 Plausibel wäre, daß diese Formel auf die aus Jerusalem vertriebenen Hellenisten zurückgeht, die für ihre Mission in griechischer Sprache knappe Zusammenfassungen des Kerygmas brauchten, die sie den neugewonnenen Christen als »eiserne Ration« vermittelten. Paulus hat nun die Grundformel 1 Kor 15,3–5 wohl spätestens während seiner Missionarszeit in Kilikien und Syrien durch zusätzliche Zeugenangaben 31 Apg 1,15 ff.; vgl. dazu auch Joh 20,24: Thomas ist eï“ †k tùn d„deka, obwohl es nur noch elf Jünger gibt. S. auch EvPetr 59 (zum griechischen Text s. S. 632 Anm. 30): »wir, die zwölf Jünger«. Zu den Zwölf als Apostel s. u. S. 634. 32 Vgl. 1 Kor 9,5; Gal 1,17.19. 33 J. Jeremias, Abendmahlsworte, 95–98; ders., ZNW 57 (1966), 211–215; ders., ZNW 60 (1969), 214–219. 34 H. Conzelmann, Zur Analyse der Bekenntnisformel 1 Kor 15,3–5, EvTh 25 (1965), 1–11 = ders., Schriftauslegung, 131–141; ihm folgen Ph. Vielhauer, EvTh 25 (1965), 57–61 = ders., Aufsätze zum Neuen Testament, ThB 31, München 1965, 180–184; E. Güttgemanns, EvTh 28 (1968), 533–554. Zur Diskussion s. Schrage, 1 Kor IV, 21–25, er hält eine Entstehung in Jerusalem für möglich. Die Auseinandersetzung konzentrierte sich vor allem auf den Punkt, ob in crist·“ noch die Bedeutung Messias durchschimmert. Das ist in der vorpaulinischen Sterbeformel sicher noch der Fall. Im Griechischen war Crist·“ als Name oder Titel eines Menschen völlig ungebräuchlich. Die messianische Bedeutung von Crist·“ ist nicht in kurzer Zeit völlig verschwunden, s. Hengel, KS III, 240–261 (250 f.), sie bleibt vielmehr im ganzen Urchristentum lebendig. 35 Gal 1,17: Unter den toÜ“ prÖ †moú üpost·lou“ sind die »Zwölf« die Kerngruppe. 36 Nach Gal 1,18 hält er sich 15 Tage bei Petrus auf; s. Hengel / Schwemer, Paulus, 229–236.
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ergänzt.37 Die große Zahl der Zeugen soll die Verkündigung des Auferstandenen durch das Argument bekräftigen: Eine Täuschung, ein Selbstbetrug eines einzelnen oder einer Gruppe ist unmöglich, denn die Zahl der Zeugen ist überwältigend, auch sind diese sehr verschiedenartig. Für Paulus hing die Gewißheit seines Glaubens nicht an dieser Zahl, er hatte ja den Herrn selbst gesehen, aber für die von ihm begründeten Missionsgemeinden war eine zuverlässige Liste von Zeugen notwendig. Das vierfache eèta bzw. ≤peita von den Zwölfen über die 500 bis zu Jakobus und zu »allen Aposteln« ist an sich zeitlich zu verstehen, doch nicht im Sinne einer strengen Chronologie; so ist damit zum Beispiel nicht gesagt, daß etwa die Erscheinung vor den üp·stoloi p›nte“ auf einmal und zeitlich nach der vor den 500 Brüdern geschehen sein muß.38 Es wird sich vielmehr um eine größere Zahl von Erscheinungen handeln, denn die mit »alle Apostel« Angesprochenen waren zahlreicher als »die Zwölf«. Erst Lukas reduziert die Apostel auf den Zwölferkreis. Ihr Umfang bleibt ungewiß und war wohl auch schon früh umstritten. Sicher gehörten Petrus, Jakobus und die übrigen Elf dazu.39 Bei den 500 wird dagegen durch das betonte †f›pax das gemeinsame Sehen betont. Es ist auch unsicher, ob die ganze Liste erschöpfend ist; Paulus muß hier nicht alle ihm bekannten Zeugen aufgeführt haben. Am Ende stellt er sich selbst in die Reihe der Augenzeugen, freilich setzt er sich durch das betonte »zuletzt aber von allen erschien er auch mir wie einer unzeitigen Geburt«40 deutlich von den bisherigen Erscheinungen – auch in chronologischer Hinsicht – ab: Er ist als der mit Abstand Letzte ein umstrittener Sonderfall und als solcher ein Beispiel der freien, erwählenden Gnade Gottes. Die Mehrzahl der in 1 Kor 15,6 genannten »über 500 Brüder«, denen der Auferstandene in einer gemeinsamen Vision erschien, lebte noch 20 Jahre später zur Zeit der Gemeindegründung in Korinth, einige sind jedoch »entschlafen«, das heißt auch: Paulus ist über die Details des Urgeschehens in Palästina gut informiert. Er hätte sehr wohl auch eine »Apostelgeschichte« schreiben können. Ansätze dazu sind in seinen Briefen vorhanden.41 Aber sein Auftrag war ein anderer. Wo und auf welche Weise diese größte aller Christophanien geschah, 37 Gal
1,19 ff.: ca 36–48 n. Chr. Vermutlich gehen die ersten Ergänzungen schon auf die Gewährsleute zurück, von denen er die Tradition empfing, ja, er wird schon als Verfolger in Jerusalem mit den Behauptungen der Jesusanhänger konfrontiert worden sein. 38 So könnten z. B. die beiden Emmausjünger zu dieser Gruppe gerechnet werden oder auch Barnabas, s. 1 Kor 9,5–7. 39 Vgl. 1 Kor 9,1 ff. Der Apostolat des Paulus war dagegen nicht allgemein anerkannt. S. dazu Frey, Apostelbegriff, passim. 40 1 Kor 15,8: ≤scaton dÇ p›ntwn ÆspereÑ tù‘ †ktr„mati ∑fqh kümo‡. Zu dem ungewöhnlichen Ausdruck ≤ktrwma s. Spicq, Notes I, 237 ff.: Paulus drückt damit den ungewöhnlichen Charakter und die Plötzlichkeit seiner Lebenswende hin zum Glauben und zum Apostolat aus (239). 41 Gal 1 und 2; 1 Kor 9,1 ff.; 15,4 ff.11; Röm 15,18 ff.
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wissen wir nicht. Man kann damit rechnen, daß auch Frauen dazu gehörten und daß es kaum eine reine Männerversammlung war. Der Begriff »Brüder« weist darauf hin, daß sich die Christophanie vor Angehörigen der Urgemeinde, das heißt der Kirche in statu nascendi, ereignete, es ist zugleich die einzige einigermaßen zuverlässige größere Zahl aus der kirchlichen Urgeschichte. Die Zahlen zu Beginn der Apostelgeschichte – 120 (10 mal 12) bei der Zuwahl des Matthias vor Pfingsten, die 3000 an Pfingsten und die 5000 wenig später42 – haben nur bedingt historischen Wert.43 Wir wissen nicht einmal, ob diese Erscheinung in Galiläa oder in Jerusalem stattfand. Da Paulus die Jerusalemer Gemeinde besser kannte, möchten wir das letztere annehmen. Seit C. H. Weisse, 1838, über A. v. Harnack, E. v. Dobschütz und K. Holl bis zu J. Jeremias hat man diese Erscheinung vor den 500 mit dem Pfingstbericht in Apg 2 in Zusammenhang gebracht.44 Das bleibt eine unbeweisbare Vermutung: Das einzige tertium comparationis wäre das Massenereignis. Dagegen wurde mit Recht der Einwand erhoben, daß in der Pfingstgeschichte Apg 2 nicht von einer Christophanie, sondern vom geistgewirkten Osterzeugnis der Jünger, insbesondere des Petrus die Rede ist, daß die Zahlenangaben völlig auseinandergehen und daß bei Paulus die Geistverleihung an die Taufe und nicht an eine Ostererscheinung gebunden wird.45 Das Beispiel zeigt zugleich, wiewenig wir über die christliche Urgeschichte wissen. Eine Besonderheit ist die Erscheinung vor dem Herrenbruder Jakobus, 1 Kor 15,7. Denn er war – ähnlich wie Paulus – zuvor kein Anhänger Jesu gewesen, sondern hatte seinem Bruder wohl eher kritisch gegenübergestanden.46 Ein Reflex dieser Christophanie vor dem Herrenbruder Jakobus finden wir im apokryphen Hebräerevangelium, das in der ersten Hälfte des 2. Jahrhunderts entstanden ist:47 »Der Herr aber, nachdem er die Leinwand dem Sklaven des Hohenpriesters gegeben
hatte, ging zu Jakobus und erschien ihm. Jakobus hatte nämlich geschworen, er werde
42 Apg
1,15; 2,41; 4,4; siehe Bd. II. übertrieben ist auch die Zahl der »Zehntausende« (muri›de“, Apg 21,20) von Judenchristen in Jerusalem. 44 Texte dazu bei P. Hoffmann, Die historisch-kritische Osterdiskussion von H. S. Reimarus bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts, in: ders. (Hg.), Zur neutestamentlichen Überlieferung von der Auferstehung Jesu, WdF 522, Darmstadt 1988, 35 f. A. v. Harnack, in: op. cit., 94; vgl. S. M. Gilmour, in: op. cit., 133–138 = JBL 80 (1981), 248–252; Zustimmung und Gegenstimmen auch bei Schrage, 1 Kor IV, 55 f. Anm. 198. Vgl. Wilckens, Theologie I / 2, 127 f.: Wahrscheinlich sei eine Erscheinung in Galiläa. 45 S. die Einwände von J. Kremer, Pfingstbericht und Pfingstgeschehen, SBS 63/64, Stuttgart 1973, 233–238. 46 Joh 7,2–5; vgl. Mk 3,21.31 ff. und o. S. 288 f. Hengel, KS III, 549–582 (560 f.). 47 Vgl. Aland, Synopsis, 507. Erhalten durch Hieronymus, vir. inl. 2; vgl. zu den Parallelen A. F. J. Klijn, Das Hebräer‑ und Nazoräerevangelium, ANRW II.25.5, Berlin / New York 1988, 3997–4033 (4011); weiter Klauck, Apokryphe Evangelien, 61 f. 43 Sicher
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kein Brot von dem Zeitpunkt an essen, da er den Kelch des Herrn getrunken hatte, bis er ihn als Auferstandenen von den Schlafenden gesehen hätte.«
Als er ihm erschien, soll der Auferstandene gesagt haben: »›Bringt einen Tisch und Brot‹. … Er nahm das Brot und segnete es und brach es und gab es Jakobus, dem Gerechten, und sagte ihm: ›Mein Bruder, iß dein Brot, denn der Menschensohn ist von den Schlafenden auferstanden‹.«
Hier begegnet Jakobus als Empfänger der ersten Erscheinung Jesu. Die eucharistische Mahlszene zeigt eine gewisse Verwandtschaft mit dem Bericht über die Emmausjünger, die Jesus beim Brotbrechen erkennen. Wahrscheinlich sollte mit dieser Erzählung der Vorrang des Jakobus vor Petrus in der späteren judenchristlichen Gemeinde begründet werden.48 Das »und erschien« (kaÑ ∑fqh) des Paulus in 1 Kor 15,3–8 hat eine breite alttestamentliche Vorgeschichte und wird teilweise als Ausdruck der Legitimation der Betroffenen durch den Auferstandenen verstanden. Man sollte jedoch nicht behaupten, daß das ∑fqh nur diese Legitimation zum Ausdruck bringe.49 Dem widerspricht schon die Aussage des Paulus über seine eigene Christusvision. Es wird damit auch nicht ein bloßes Zum-Glauben-Kommen umschrieben, sondern es geht – dies zeigt das ständige eèta / ≤peita – um chronologisch fixierbare Vorgänge, das heißt konkrete Erlebnisse, deren letzter Zeuge, von allen zeitlich getrennt (≤scaton … p›ntwn), Paulus selbst ist. Mit ihm ist die Reihe der Auferstehungszeugen abgeschlossen. Paulus meint, so fremd das uns erscheinen mag, ein wirkliches »optisches« Sehen des Auferstandenen, der als der gekreuzigte Jesus erkannt wird. Ginge es um bloße Legitimation und ein rein geistiges, innerliches »Sehen des Glaubens«, wäre nicht einzusehen, warum die später zum Glauben Gekommenen sich nicht ebenso auch auf ein »erschien er auch mir« (∑fqh kümo‡) berufen konnten.50 Es handelt sich für Paulus und erst recht für die Zeugen vor ihm um wirkliche »Christophanien«, unabhängig davon, wie wir heute versuchen, diese Phänomene zu erklären. Gewiß unterscheidet sich Paulus in 1 Kor 15,3–9 und 1 Kor 9,1 in seinem Apostelbegriff von Lukas, der ihm (und Barnabas) diesen Titel außer in Apg 14,4.14 vorenthält;51 in der grundsätzlichen Frage der zeitlichen und personalen Begrenzung der Auferstehungserscheinungen ist er trotz aller großen Unterschiede 48 Vgl.
auch EvThom 12; Schwemer, Mahlgemeinschaft, 221 ff. und Hengel, Petrus, 13. dazu Eckstein, Wirklichkeit, 166 ff. »Weder bei den alttestamentlichen noch bei den neutestamentlichen Belegen geht es um eine ausschließlich technisch gebrauchte ›Legitimationsformel‹ zur Begründung der Autorität einer Person ohne Bezug auf die Erscheinung im eigentlichen Sinne« (167 f.). Es ist die Erscheinung, die Autorität vermittelt. S. dazu ausführlich u. S. 638. 50 Zu diesem späteren Problem s. Joh 20,29; 1 Joh 3,2; 1 Petr 1,8; vgl. 2 Kor 5,7. 51 Hengel / Schwemer, Paulus, 45 f.333.358. 49 S.
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dennoch mit diesem einig.52 Freilich besteht eine wesentliche Differenz darin, daß Lukas diese eingegrenzte Zeit der Auferstehungserscheinungen nach Apg 1,3 auf 40 Tage beschränkt, während Paulus einen längeren Zeitraum voraussetzt. Dabei ist für seine Berufungsvision ein größerer Abstand gegenüber den Zuvorgenannten anzunehmen. Eine spätere Tradition, die unter anderem bei Irenäus und in der Ascensio Isaiae erhalten ist,53 spricht von einer Dauer von 18 Monaten, während derer der Auferstandene mit seinen Jüngern in Verbindung stand. Harnack vermutete, dies sei eben der Zeitraum bis zur Bekehrung des Paulus gewesen; uns scheinen im Blick auf das in Apg 1–8 Geschilderte 18 Monate zu kurz zu sein, und wir vermuten eine Bekehrung des Paulus eher im Jahr 33. Sicherheit ist hier jedoch nicht zu erlangen. Die lukanische Beschränkung auf die 40 Tage der Gemeinschaft des Auferstandenen mit den Jüngern und ihr Abschluß durch die »Himmelfahrt« ist an alttestamentlichen Vorbildern – Mose am Sinai – orientiert und richtet sich gegen spekulative Bestrebungen, die Offenbarungszeit des Auferstandenen ins Maßlose auszudehnen.54 Zahlreiche gnostische Schriften des 2. und 3. Jahrhunderts wurden als geheime Offenbarungen des Auferstandenen nach Ostern ausgegeben. So wie Lukas die Apostel auf die Zwölf beschränkt, reduziert er die Frist der Gemeinschaft mit dem Auferstandenen als Offenbarungszeit auf 40 Tage. Paulus hat dagegen noch einen weiteren Apostelbegriff. Dies erweisen die beiden letzten Glieder der Zeugenreihe: »alle Apostel« und er selbst, der letzte von allen und zugleich der »geringste unter den Aposteln, der nicht würdig ist, Apostel genannt zu werden«, weil er »die Gemeinde Gottes verfolgt hat«55. Das heißt, für ihn und seine Gemeinden sind, im Gegensatz zu Lukas, Mt 10,2, Apk 21,14 und wahrscheinlich schon Mk 6,30, die »Apostel« noch nicht mit den von Jesus berufenen zwölf Jüngern identisch. Die üp·stoloi p›nte“ von 1 Kor 15,7 beschreiben einen weiteren Kreis von Verkündigern, in dem die »Zwölf« das Zentrum bilden, der aber keineswegs auf diese beschränkt ist und der dadurch konstituiert wird, daß ihnen allen der Auferstandene erschien und 52 In
Apg 10,41 läßt Lukas Petrus in der Rede vor Cornelius betonen, Jesus sei »nicht dem ganzen Volk, sondern (nur) den von Gott zuvor bestimmten Zeugen, das heißt uns« erschienen. 53 AscJes 9,16: 545 Tage; Bauer, Leben Jesu, 266; dazu kommt jetzt noch: Jakobus-Apokryphon aus Nag Hammadi (NHC I 8,3): 550 Tage; s. dazu Riesner, Paulus, 56–65; Hengel / Schwemer, Paulus, 47 f. 54 Daß die »Himmelfahrt« (wie auch der »40-Tage-Zeitraum«) »bekanntlich erst ein Produkt des Lukas (ist)«, so Schrage, 1 Kor IV, 59 Anm. 218, läßt sich nicht beweisen. Unseres Erachtens geht das eher auf Jerusalemer Tradition zurück. Vgl. die 40-Tage-Frist bei Jesu Versuchung in der Wüste (o. S. 323) sowie bei der Entrückung Esras (4 Esr 14,23) und Baruchs (syrBar 76,4) als eine Zeit vollständiger Unterweisung des Volkes. Der Widerspruch zu Paulus ist jedoch offensichtlich. 55 1 Kor 15,9. Zum Apostel bei Paulus und Lukas s. Frey, Apostelbegriff, 126 ff.144 ff. 149 ff.
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sie ihre Sendung von ihm empfingen. Darum kann Paulus seinen Gegnern, die seinen Apostolat bestreiten, das Argument entgegenstellen: »Bin ich nicht ein Apostel? Habe ich nicht unseren Herrn Jesus gesehen?«56 Bei »allen Aposteln« muß es sich nicht um eine Vision zum gleichen Zeitpunkt gehandelt haben, man kann vielmehr annehmen, daß Paulus hier eine Reihe von Ereignissen zusammenfaßte. Der Umfang dieses Kreises, der durch die Erscheinung des Auferstandenen seine Autorität erhielt, muß offenbleiben. Paulus rechnet sich, wenn auch als Außenseiter, zeitlich als letzter und im Rang als geringster dennoch dazu, wobei er wußte, daß sein Anspruch in Jerusalem zumindest zum Teil bestritten wurde.57 In Gal 1,17 betont er, daß er nach seiner Bekehrung in oder bei Damaskus nicht »nach Jerusalem zu den Aposteln vor mir (prÖ †moú) hinaufging«, sondern in das (nabatäische) Arabien reiste. Eine Spur dieses weiteren Kreises findet sich vielleicht noch Röm 16,7, wo er Iunias (vermutlich eine Frau) und Andronikos, »seine Mitgefangenen«, nennt, die »berühmt sind unter den Aposteln« und die vor ihm (prÖ †moú) Christen geworden waren.58 Auch Barnabas und vielleicht sogar die sieben führenden Hellenisten in Apg 6 könnten sich dazugerechnet haben.59 Selbst Lukas nennt Apg 14,4.14 auf der ersten Missionsreise – gewissermaßen durch die Hintertür – Barnabas und Paulus doch »Apostel«.60 Entscheidend ist für sie, daß sie vom Herrn einen Sendungsauftrag erhalten haben; darum tragen sie den Titel »Boten Jesu Christi«, üp·stoloi ûIhsoú Cristoú, auf den Paulus selbst, wie die Briefeingänge des 1. und 2. Korintherbriefes, des Galater‑ und des Römerbriefes zeigen, größten Wert legt. Die Verlegenheit in der Deutung zeigt sich darin, daß später Origenes vermutet,61 die üp·stoloi p›nte“ von 1 Kor 15,7 seien mit den 70 von Lk 10,1 identisch. Es ist eine eindrucksvolle und zugleich sehr verschiedenartige Aufzählung von Zeugen, die Paulus 1 Kor 15,3–8 alle unter dem Stichwort ∑fqh und einer 56 1 Kor
9,1: o§k e¢mÑ üp·stolo“; o§cÑ ûIhsoún tÖn k‚rion ™mùn ©·raka… 1 Kor 9,2: »wenn ich für andere (etwa in Jerusalem) kein Apostel bin, bin ich es doch für euch. Denn ihr seid das Siegel meines Apostelamtes im Herrn«, weil er die Gemeinde in Korinth begründet hat. Vgl. dazu Hengel, Petrus, 180–189. 58 Es könnte natürlich auch sein, daß sie als Nichtapostel im Apostelkreis besonderes Ansehen besaßen. Wir wissen auch nicht, ob die Frauen der »Apostel«, die ihre Männer auf Reisen begleiteten (1 Kor 9,5), am Aposteltitel partizipierten. Vgl. Hengel, Petrus, 211. 59 Apg 21,8 nennt Philippus »e§aggelistÉ“ … †k tùn ©pt›«, aus dem Kreis der »Sieben« Apg 6,5. Die Titel üp·stolo“ und e§aggelistfl“ sind sachlich verwandt. Sie sind missionarische Verkündiger des Evangeliums: vgl. später Eph 4,11; 2 Tim 4,5. Vielleicht hat e§aggelistfl“ später, als der Aposteltitel nicht weitergeführt wurde, diesen ersetzen sollen. Er konnte sich aber nicht durchsetzen. Nicht er, sondern die »Ältesten« und später die Bischöfe treten an die Stelle der »Apostel«. 60 S. o. S. 636. Lukas weiß um diesen Konflikt und vertritt hier in Apg 1 ff. die engere Jerusalemer Anschauung. Apg 14,4.14 erscheint dann als ein bewußter Kompromiß. 61 Origenes, c. Celsum 2,65; vgl. Theophylaktos, PG 124, 755. 57 Vgl.
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Person im Dativ zusammenfaßt. Klar ist auch, daß Paulus hier über nach Ort und Zeit getrennte, isolierbare, konkrete Vorgänge berichten will, für deren Wahrheit die genannten Augenzeugen einstehen. Doch die Bedeutung von ∑fqh und einer Person im Dativ ist nicht immer völlig eindeutig. In der Septuaginta deutet diese relativ häufige Formel »und es erschien der Herr dem N. N.«62 nicht nur auf eine Theophanie JHWHs, sondern auch auf die damit verbundene Wortoffenbarung hin. Auch wenn man die These ablehnt, es handle sich in 1 Kor 15 nur um eine Legitimationsformel, in der das konkrete »Sehen« keine Rolle mehr spiele,63 bleibt zunächst offen, was für ein Sehen hier gemeint ist. Paulus kann die Protophanie des Petrus-Kephas und die anderen Erscheinungen ebenso mit dem ∑fqh mit Dativ umschreiben wie seine eigene Christusvision vor Damaskus. Er steht damit in einem gewissen Widerspruch zum lukanischen Bericht, der in Lk 24,39, bei der Erscheinung Jesu vor den Elfen, diesen sprechen läßt: »Sehet meine Hände und meine Füße, daß ich selbst es bin. Betastet mich und sehet, daß ein Gespenst nicht Fleisch und Knochen hat«. Als die Jünger ungläubig bleiben, ißt er vor ihren Augen ein Stück gekochten Fisch (24,42 f.). Ähnlich demonstriert der Auferstandene seine Leiblichkeit vor Thomas (Joh 20,27). Gleichwohl kann er durch verschlossene Türen gehen, plötzlich erscheinen und verschwinden. Massiver und rätselhafter kann die verklärte Leiblichkeit des Auferstandenen kaum dargestellt werden. Dagegen ist die Christus-Erscheinung des Paulus vor Damaskus nach Lukas eine himmlische Vision:64 Ein Licht leuchtet vom Himmel her auf, heller als eine Sonne, und er hört eine Stimme: »Saul, Saul, was verfolgst du mich?« Hören bzw. Sehen der Lichterscheinung bleiben auf Paulus beschränkt, seine Begleiter nehmen sie nur teilweise wahr. In diesem Punkt sind die zum Teil voneinander abweichenden Visionsberichte Apg 9,3 ff.; 22,6 ff. und 26,13 ff. relativ gleich.65 In 9,7 sehen die Begleiter nichts und hören nur, in 22,9 sehen sie nur das Licht und hören nichts. Ganz anders Paulus selbst. Nach 1 Kor 9,1, das das ∑fqh kamo‡ von 15,8 interpretiert, ist er Apostel, weil er den Herrn gesehen hat (©·raka). Wenn er in 2 Kor 12,1 ff. die £ptas‡ai kaÑ üpokal‚yei“ kur‡ou aufzählt, ist jedoch die Vision vor Damaskus gerade nicht mit einge62 kaÑ ∑fqh k‚rio“ tù … (oder ähnlich), s. Gen 12,7; 17,1; vgl. 18,1; 22,14; 26,2.24; 35,9; 48,3; Ex 3,2; Ri 6,12; 1 Kön 3,5; 9,2, als Übersetzung von rā’āh im Niphal. S. dazu Eckstein, Wirklichkeit, 167 ff.: »So sehr das Moment des ›Sehens‹ allein schon durch das Begriffspaar •fqöna‡ tini / ¨rôn hervorgehoben wird, so deutlich sind bereits die alttestamentlichen Erscheinungsformeln regelmäßig mit einer Wortoffenbarung verbunden. … Sie werden als Visionen und als Auditionen wahrgenommen« (169, Hervorhebungen vom Vf.). 63 S. o. S. 636 Anm. 49. Zu den verschiedenen Deutungen des ∑fqh s. Schrage, 1 Kor IV, 43–51; Stuhlmacher, Theologie I, 172 f. 64 Apg 26,19: o§r›nio“ £ptas‡a, vgl. V. 13: o§ran·qen … fù“ und die folgende Visionsschilderung. 65 Zu den drei Berichten des Lukas s. Hengel / Schwemer, Paulus, 63–71 und A. M. Schwemer, Erinnerung und Legende. Vielleicht deutet Lukas durch diesen Widerspruch an, daß darüber verschiedene Versionen verbreitet waren.
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schlossen. Sie ist von ganz besonderer Art, das heißt, Paulus insistiert auf einem wirklichen Sehen, wobei er dieses Berufungserlebnis, das er in Gal 1,15 f. und 2 Kor 4,6 als göttlichen Akt der Offenbarung umschreiben kann, das vom Inhalt her ein »Hören« mit einschließt, von späteren Visionen und ekstatischen Erlebnissen unterscheidet.66 Es zeigen sich so bei einem Vergleich von Paulus und Lukas differierende Darstellungen und Bewertungen der Erscheinungen des Auferstandenen. Dabei ist in späterer Zeit die Tendenz deutlich, diese massiver darzustellen, was sich in den apokryphen Evangelien fortsetzt. In dem schon zitierten Hebräerevangelium übergibt Jesus das Leichentuch dem Sklaven des Hohenpriesters als Beweismittel, im Petrusevangelium67 sehen die Grabeswächter und ihr Hauptmann, wie zwei Engel das Grab öffnen und Christus mit ihnen zum Himmel fährt, und melden es Pilatus. Hinter diesen Entwicklungen in späterer Zeit stehen antidoketische und apologetische Tendenzen. Man wollte den Vorwurf zurückweisen, die Jünger hätten sich durch ein Gespenst täuschen lassen,68 und Einwänden entgegentreten, wie sie zum Beispiel der Christenfeind Celsus um 170 erhob: »Wenn Jesus wirklich hätte seine göttliche Macht beweisen wollen, hätte er seinen Feinden und dem Richter, kurz allen erscheinen müssen.«69 Im ältesten Bericht des Paulus 1 Kor 15,3 ff. werden diese Tendenzen noch nicht sichtbar. Paulus bekräftigt durch seinen Hinweis auf die Vielzahl der Augenzeugen das eine urchristliche Grundbekenntnis, das in vielfältiger Form neben der Formel »Christus starb für uns« das älteste neutestamentliche Bekenntnis überhaupt darstellt: »Gott hat Jesus von den Toten auferweckt«70; dahinter steht die alte jüdische Gebetsformel aus der 2. Berakha des Achtzehnbittengebetes: Gott ist der mehajjeh ham-metîm, »der die Toten erweckt«.71 Zu beachten ist dabei, daß das Zeugnis der Augenzeugen immer zugleich Glaubenszeugnis ist – auch der Herrenbruder Jakobus und Paulus wurden ja durch die Erscheinung Jesu über-
66 Vgl.
noch Gal 2,2; Apg 18,9; 22,17.21; 23,11; vgl. 16,9; 27,23. 35 ff. (um 140–150 n. Chr.); s. auch Euseb, h.e. 6,12,2–6; Hengel, Gospels, 12 ff.; Klauck, Apokryphe Evangelien, 110–118. 68 Vgl. schon Lk 24,39: »ein Geist hat nicht Fleisch und Knochen« und IgnSm 3,2. S. u. S. 647 Anm. 100. 69 Origenes, c. Celsum 2,63. 70 Dasselbe erscheint sowohl als Satzaussage im Aktiv, z. B. Röm 10,9: kaÑ piste‚sÔh“ … Ωti ¨ qeÖ“ a§tÖn [scil. ûIhsoún] ≥geiren †k nekrùn, vgl. 1 Kor 15,15; 1 Thess 1,10; Apg 3,15; 4,10; 10,40; 13,30; als passivum divinum, z. B. Röm 6,4.9; 7,4; 8,34; 1 Kor 15,4.12.17; 2 Tim 2,8, vor allem aber als partizipiale Näherbestimmung Gottes: Röm 4,24: toõ“ piste‚ousin †pÑ tÖn †ge‡ranta ûIhsoún … †k nekrùn, vgl. Röm 8,11; 2 Kor 4,14; Gal 1,1; Eph 1,20; Kol 2,12; 1 Petr 1,21. S. auch die Übersicht bei Eckstein, Wirklichkeit, 232–237. 71 Vgl. I. Elbogen, Der jüdische Gottesdienst in seiner geschichtlichen Entwicklung, Frankfurt am Main 31931 (Nachdruck Hildesheim 1967), 44; H. Sysling, Tehiyyat Ha-Metim, TSAJ 57, Tübingen 1996, 1 f. 67 EvPetr
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wunden und zum Glauben geführt. Paulus nennt keine Zeugen, die nicht zum Glauben kamen.
22.2 Das leere Grab und die Erscheinungen des Auferstandenen 22.2.1 Die Grabberichte72 Bisher hatten wir von dem Auferstehungsbekenntnis 1 Kor 15,3–8 und den dort genannten Zeugen auf das gemeindegründende Auferstehungsgeschehen zurückzuschließen versucht. Es beruht auf Erinnerung und persönlichen Kontakten. Da es jedoch nur aufzählt und nicht eigentlich erzählt, muß seine Interpretation umstritten bleiben. Die ausführlicheren Erscheinungsberichte des ersten, dritten und vierten Evangeliums (Mt 28; Lk 24; Joh 20 f.) weichen nicht nur untereinander ganz erheblich ab, sondern sie sind auch erst rund zwei Generationen später, zwischen 75 und 100, schriftlich fixiert worden. Das ältere Markusevangelium (ca. 69/70 n. Chr.) bringt dagegen lediglich den Bericht vom Besuch der Frauen am Grabe, Mk 16,1–8, und nur indirekt im Befehl des Engels einen Hinweis auf die Erscheinungen in Galiläa, 16,7: »dort werdet ihr ihn sehen«. Auch gegenüber der Zeugenaufzählung 1 Kor 15 besteht in diesen späteren Erzählungen eine beträchtliche Distanz. Man kann nur von punktuellen Übereinstimmungen sprechen. Die Evangelien berichten von weniger Erscheinungen, malen diese aber zum Teil kräftig aus. Dennoch wäre es voreilig, diese Erzählungen grundsätzlich als historisch wertlos zu bezeichnen; auch Legenden können geschichtliche Anhaltspunkte enthalten, sie entwickeln sich nicht aus dem Nichts. Auf zwei derartige übereinstimmende Punkte haben wir schon hingewiesen. Es ist das Ωti †t›fh und das Datum des dritten Tages. Nach Mk 16,2 ff. kommen die Frauen am frühen Morgen des ersten Wochentages (l‡an prw◊ tÔö m‡a tùn sabb›twn), das heißt an unserem Sonntag und dem dritten Tag nach der Kreuzigung, und finden das Grab geöffnet. Dieser Tag ist schon in 1 Kor 16,2 hervorgehoben, nach Apg 20,7 versammelt sich die paulinische Missionsgemeinde in Troas an ihm zum nächtlichen Brotbrechen, in Apk 1,10 trägt er bereits den Namen kuriakÉ ™mfira, so auch in der Didache, bei Ignatius und im Petrusevangelium.73 Der Tag erhielt gottesdienstliche Bedeutung dadurch, daß die Gemeinde glaubte, daß sich 72 H. von Campenhausen, Osterereignisse (S. 625 Anm. 1); M. Hengel, Maria Magdalena; L. Schenke, Auferstehungsverkündigung und leeres Grab, SBS 33, Stuttgart 1968; I. Broer, Die Urgemeinde und das Grab Jesu. Eine Analyse der Grablegungsgeschichte im Neuen Testament, StANT 31, München 1972; Pesch, Mk II, 519–543; Hengel, Begräbnis; Dunn, Jesus, 828 ff. 73 Did 14,1; IgnMagn 9,1; EvPetr 35.50. Justin, apol. I, 67,3 erscheint erstmals die heidnische Bezeichnung ™ ™l‡ou ™mfira, das heißt der Sonntag als Tag des Gottesdienstes, da in
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an ihm, und zwar noch in der Nacht, vor Anbruch des Tages, die Auferweckung des Herrn ereignet habe, da die Frauen das Grab leer fanden.74 Nur in späteren Berichten wie Mt 28,2 (ca. 90–100 n. Chr.), wo die Herabkunft eines Engels, der den Stein wegwälzt, geschildert wird, und dann auf massive Weise im Petrusevangelium etwa um 150, wo Auferstehung und Himmelfahrt dramatisch dargestellt werden, wagte man, das wunderbare Geschehen direkt zu beschreiben.75 Man wußte zunächst, daß dieses selbst ein Geheimnis bleiben mußte. Bei den Erzählungen von der Auffindung des leeren Grabes und den Erscheinungen des Auferstandenen konnte es nicht um eine möglichst sachlich-neutrale Darstellung gehen, berichtet wird vielmehr die Erschütterung und Freude der Zeugen, die alle Widerstände, etwa die bisherige Verzweiflung, überwältigte. Aber auch Zweifel wurden nicht verschwiegen.76 Nach den ersten Berichten erscheint der Auferstandene nur ihm Nahestehenden und wirkt Glauben. Erst in den späteren Beschreibungen, bei Matthäus, im Hebräer‑ und Petrusevangelium, wird das Geschehen von Außenstehenden beobachtet: Die Grabeswächter fallen nach Matthäus um wie tot, im Hebräerevangelium gibt Jesus dem Sklaven des Hohenpriesters das Grablinnen, während im Petrusevangelium der Centurio und die Wächter am Grab ausführlich berichten, welch wunderbare Dinge sie gesehen haben.77 Hier handelt es sich um – verständliche – Apologetik, bei Matthäus zum Beispiel gegenüber dem jüdischen Vorwurf, der Leichnam Jesu sei von den Jüngern gestohlen worden.78 In Wirklichkeit geschah die Hervorhebung des dritten Tages, die uns schon in dem alten Bekenntnis 1 Kor 15,4 begegnet, aufgrund der Entdeckung des leeren Grabes durch die Frauen am Ostermorgen. Gegenüber diesen immer massiver werdenden Tendenzen ist der älteste Bericht Mk 16,1–8 ausgesprochen karg, ja zum Teil eher anstößig, ähnlich wie schon die Passionsgeschichte bei Markus. Wenn wir den Engel in der Grabeserzählung Mk 16,5–7 als für die theologische Deutung notwendigen angelus interpres betrachten, so bleibt nur die Nachricht, daß die Frauen am ersten Wochentag nach dem Sabbat des Passafestes morgens das Grab aufsuchten, um einer an den Kaiser und Heiden gerichteten Apologie ™ kuriakÉ ™mfira fehl am Platze war; denn das Adjektiv kuriak·“ bedeutete in Inschriften und Papyri in der Regel »kaiserlich«. 74 Nach jüdischer Zeitrechnung beginnt ja der Tag am vorausgehenden Abend mit dem Sonnenuntergang (vgl. Gen 1,5). Darum feiert die Kirche die Nacht vom Samstag zum Sonntag als die Nacht der Auferstehung. 75 S. NTApo6 I, 180–188: Es setzt schon alle vier Evangelien voraus; s. Hengel, Gospels, 12 f.59.76.113.119; Klauck, Apokryphe Evangelien, 110–118. 76 Lk 24,11.37; Mt 28,17: o´ dÇ †d‡stasan, Joh 20,25. 77 Mt 28,4; vgl. V. 11–15: ihr Bericht an die Hohenpriester, ihre Bestechung durch diese und die Entstehung des Gerüchts, die Jünger hätten den Leichnam gestohlen; Hebräerevangelium nach Hieronymus, vir. inl. 2 (s. Aland, Synopsis, 507); EvPetr 35–49 bringt eine phantastisch ausgestaltete Erzählung. 78 Mt 28,11–15; EvPetr 45–49; Justin, dial. 108,2; Tertullian, de spect. 30,5 f. und die Toledot Jeschu, s. Hengel, Begräbnis, 179 f.
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den Leichnam Jesu zu salben, es jedoch zu ihrem Entsetzen leer fanden. Bei der Engelgestalt selbst ist zu beachten, daß diese die Frauen vom Grab wegweist: »Er ist auferweckt und nicht hier.« Möglicherweise wendet sich die Tradition des Evangelisten schon gegen die Anfänge einer kultischen Verehrung des Grabes Jesu in der Gemeinde in Jerusalem. Weiter fällt auf, daß der ursprüngliche Markus-Schluß 16,8: »Sie gingen (aus dem Felsengrab) hinaus und flohen von dem Grab, denn Zittern und Entsetzen hatte sie umfangen; und sie sagten niemandem etwas, denn sie fürchteten sich« in unüberbrückbarem Gegensatz zu der Anweisung des angelus interpres steht: »Gehet und saget den Jüngern und Petrus, daß er vor euch hergeht nach Galiläa. Dort werdet ihr ihn sehen …«79. Es ist freilich nicht völlig sicher, ob Markus sein Werk mit 16,8 abschließen wollte. Vielleicht ist sein ursprünglicher Schluß ganz früh verlorengegangen, oder aber er wurde gehindert, seinen Bericht wirklich abzuschließen. Wir können jedoch nur von der vorliegenden Form ausgehen. Das Evangelium, so wie es uns erhalten ist, schließt mit einem eklatanten Ungehorsam der Frauen, die als erste die Auferstehungsbotschaft erhielten, jedoch nicht auf sie hörten, sondern in panischer Furcht flohen und schwiegen. Mk 16,1–8 ist keine späte Legende, wie immer wieder behauptet wird, es hat vielmehr einen historischen Ausgangspunkt: die Entdeckung des leeren Grabes durch die Frauen und ihre erschrockene Flucht. Die späteren Evangelisten fanden den Schlußvers des Evangeliums durchweg anstößig und haben ihn entsprechend verändert. Lukas läßt die Frauen nach ihrer Rückkehr vom Grab sofort »den Elfen und den übrigen« von ihrem Erlebnis erzählen, ohne bei diesen Glauben zu finden. Danach habe Petrus das Grab aufgesucht und sich verwundert.80 In Mt 28,8 wird aus dem »Zittern und Entsetzen« von Mk 16,8 ein »Furcht und große Freude«, auch eilen die Frauen gehorsam, den Jüngern die gute Botschaft zu bringen. Weil eine Schrift, die den Titel »Evangelium« trug, nicht mit dem Satz »denn sie fürchteten 79 Mk 16,7 = Mt 28,7; Mk 14,28 = Mt 26,32 sagt Jesus selbst, daß er vor den Jüngern nach Galiläa gehen wird; Mt 28,10 gibt der Auferstandene den Frauen selbst den Befehl, den Jüngern dies zu verkündigen; Mt 28,16 f. gehen sie auf den Berg, wohin Jesus sie befohlen hatte und wo er ihnen erscheint. 80 Lk 24,1–12; in 24,23 f. sind es mehrere Jünger, die den Bericht der Frauen bestätigen. 24,12 ist, obwohl der Vers in D it fehlt, ursprünglich. Joh 20,1–10 ist davon abhängig. Dort ist es Maria Magdalena allein, die das Grab leer findet, und auf ihre Nachricht hin, der Leichnam des Herrn sei weggebracht worden, eilen Petrus und der Lieblingsjünger in einem Wettlauf zum Grab. Johannes setzt Markus und Lukas voraus und will mit seiner Version ältere Berichte korrigieren. Der Hinweis, daß Petrus allein (Lk 24,12) bzw. der Lieblingsjünger und Petrus (Joh 20,5 ff.) die Leinenbinden liegen sehen, soll die Realität der Auferstehung betonen und indirekt den Vorwurf des Leichendiebstahls zurückweisen. Zu Lk 24,12 s. F. Neirynck, Luke 24,12. An Antidocetic Interpolation?, in: New Testament Textual Criticism and Exegesis. FS J. Delobel, BEThL 161, Leuven 2002, 145–158. Der Text ist gegen die Hypothese von B. D. Ehrman, The Orthodox Corruption of Scripture, New York / Oxford 1993, 133.255 keine antidoketische Interpolation.
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sich« schließen durfte, hat man bei Markus zwei ergänzende Texte als Schluß angehängt. Der zweite spätere, ganz kurze81 läßt trotz des vorangehenden V. 8 die Frauen unverzüglich (sunt·mw“) »alles, was ihnen (von dem Engel) aufgetragen wurde, dem Kreis um Petrus mitteilen«. Danach habe sie Jesus selbst mit der »Heilsbotschaft« in die ganze Welt gesandt. Für eine apologetische Legende, die das Faktum der Auferstehung historisierend untermauern soll, war die von Markus in 16,1–8 theologisch reflektierte, aber doch schlicht erzählte Geschichte denkbar ungeeignet. Der ausführlichere erste Markus-Schluß 16,9–20 wurde relativ rasch in den ersten Jahrzehnten des 2. Jahrhunderts hinzugefügt, ein Cento aus den anderen drei Evangelien, vermischt mit Material, das wir zum Teil aus Papias kennen.82 Mk 16,8 zeigt so, daß das leere Grab für sich genommen keinen Beweis für die Auferstehung darstellen konnte, ja im Gegenteil »Furcht und Schrecken« erzeugte. Die Frauen versagten ihm gegenüber wie die Jünger bei der Verhaftung Jesu in Gethsemane, Mk 14,50; beide Male erscheint das Wort »sie flohen«83. Diese Ambivalenz gilt selbst noch für die weitergehende Erzählung des Lukas: Die Emmausjünger, die von der Entdeckung des leeren Grabes und der Engelvision der Frauen gehört haben, wandern dennoch verzweifelt nach Hause.84 Die »Apostel« hatten ja dem Bericht der Frauen nicht geglaubt und hielten ihn für törichtes Geschwätz.85 Es fehlt gerade die zwingende Beweisfunktion. Darum konnte Paulus in 1 Kor 15,3 f. auf den Hinweis auf das leere Grab verzichten. Es hätte den Rahmen seines Bekenntnisses zudem gesprengt. Was die Gemeinde durch Erzählung wußte, mußte in einem knappen Bekenntnis nicht noch einmal besonders erwähnt werden.
22.2.2 Erzählungen über Christophanien Dagegen wird, wie schon gesagt, die entscheidende kirchengründende Christophanie vor Simon Kephas-Petrus 1 Kor 15,5 uns in den Evangelien sonderbarerweise nicht erzählt. Nur Lk 24,34 haben wir einen ganz kurzen Hinweis darauf, der freilich als grundlegende »frohe Botschaft« formuliert wird: Die versammel81 S.
Nestle-Aland, Novum Testamentum Graece27, 147 (L Y 099 0112 579 etc.). Mk 16,9–20 und seinen vielen Varianten s. jetzt ausführlich Kelhoffer, Miracle. Dieser längere Schluß ist vielleicht schon von Justin und sicher von Irenäus und Tertullian bezeugt: s. Nestle-Aland, Novum Testamentum Graece27, 148 f. 83 ≤fugon, vgl. EvPetr 57: fobhqeõsai ≤fugon. Zum Schluß des Evangeliums 16,8 †foboúnto g›r s. P. W. van der Horst, Can a Book End with GAR? A note on Mark XVI,8, JThS 23 (1972), 121 ff.; N. Denyer, Mark 16:8 and Plato, Protagoras 328D, TynB 57.1 (2006), 149 f. 84 Lk 24,13–27. S. dazu auch u. S. 645 f. 85 Lk 24,11: löro“, vgl. Mk 16,11: Sie glauben Maria Magdalena nicht, der Jesus als erster (Joh 20,14.18) erschienen war. 82 Zu
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ten Elf bezeugen den Emmausjüngern: »Der Herr ist wahrhaftig (µntw“) auferstanden und dem Simon erschienen«: Das ∑fqh S‡mwni bei Lukas entspricht dem ∑fqh Khfô 1 Kor 15,5.86 Erst die Erscheinung Jesu schenkt Gewißheit und macht der Verwunderung über das am leeren Grab Geschehene ein Ende.87 Auf der anderen Seite haben wir mehrere, freilich recht unterschiedliche Erzählungen über die Erscheinungen vor den »Elfen«, die den »Zwölfen« bei Paulus 1 Kor 15,5 entsprechen. Für die spätere Gemeindetradition wurde offenbar die Erscheinung Jesu vor der Gruppe der Elf die eigentliche konstitutive Christophanie und noch wichtiger als die Protophanie des Petrus. Dies hängt mit der jüdischen Zeugenvorstellung zusammen, die zur Bezeugung eines Ereignisses mindestens zwei oder drei Zeugen erforderte. Das Zeugnis eines einzelnen war unzureichend.88 Während freilich Lukas und Johannes diese grundlegende Erscheinung vor dem Jüngerkreis in Jerusalem geschehen lassen, verlegt sie Matthäus im Anschluß an Markus auf einen Berg in Galiläa.89 Eine weitere Christophanie vor sieben Jüngern, bei der Petrus und der Lieblingsjünger im Mittelpunkt stehen, begegnet uns in dem Nachtragskapitel Joh 21 im Zusammenhang mit einem Fischzug am See Genezareth, wieder in Galiläa.90 Ganz außer der Reihe liegt die von Lukas kunstvoll ausgestaltete altertümliche Erzählung von den zwei Jüngern, die von Jerusalem nach Emmaus, 60 Stadien, ca. 11 km nordwestlich von Jerusalem,91 wandern. Einer der Wanderer, Kleopas, soll nach Hegesipp ein Bruder des Josef, das heißt ein Onkel Jesu gewesen sein. Diese Erzählung, in der der Auferstandene das Mißverständnis und die Blindheit, man könnte auch sagen »die Verstockung«, der beiden Jünger überwindet, zeigt, daß Jesus auch in Judäa Anhänger besaß. Eigenartig ist hier Lk 24,16 wie bei
86 S. o. S. 632. Das µntw“ gibt dem Satz den Charakter eines Bekenntnisses. Zu Lk 24,33 f. vgl. IgnSm 3,2: Hier kommt der Auferstandene prÖ“ toÜ“ perÑ Pfitron, das heißt, der Elferkreis wird durch Petrus bestimmt, vgl. Mk 1,36 und Mk 16,9 den kleinen sekundären Markusschluß Nestle-Aland, Novum Testamentum Graece27, 147: Die Frauen verkündigen dieses toõ“ perÑ tÖn Pfitron. 87 Lk 24,12 über Petrus: qaum›zwn tÖ gegon·“. Nur vom Lieblingsjünger sagt Joh 20,8, daß er am leeren Grab »sah und glaubte« (eèden kaÑ †p‡steusen). Damit überbietet Johannes bewußt die Berichte der älteren Evangelien. 88 Dtn 17,6; 19,15; vgl. Mt 18,16; 2 Kor 13,1; 1 Tim 5,19. 89 Mt 28,16, vgl. 28,7.10 und 26,32 = Mk 16,7 und 14,28. 90 Vgl. auch EvPetr 58 ff.: Erst nach Ende des Mazzotfestes kehren die zwölf (!) Jünger betrübt nach Hause. Petrus, sein Bruder Andreas und Levi, der Sohn des Alphäus (Mk 2,14), rüsten zum Fischzug, dann bricht der Text ab; vermutlich wurde auf ähnliche Weise wie in Joh 21 darauf die Protophanie Jesu erzählt. Petrus spricht dabei – ein typisches Zeichen für ein Apokryphon, das die vier Evangelien voraussetzt – in erster Person. 91 Die Lage des Ortes ist umstritten. S. dazu Schwemer, Emmausjünger, 100 f. Es handelt sich um ein Dorf (Lk 24,13.28: k„mh) Emmaus, nicht um die 23 km Luftlinie entfernte Stadt Emmaus / Nikopolis, den Hauptort einer römischen Toparchie.
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Maria Magdalena Joh 20,14 und beim Fischzug am See Genezareth 21,4 ff. das Motiv, daß der auferstandene Jesus zunächst nicht erkannt wird.92 Auffallend ist weiter der Widerspruch in der Lokalisierung der Erscheinungen. Lukas betont in bewußtem Gegensatz zu seiner Markus-Vorlage, daß sie sämtlich im Raum von Jerusalem geschahen, denn nach ihm gibt der Auferstandene den Jüngern den Befehl, »nicht von Jerusalem zu weichen«;93 bei Markus und Matthäus dagegen werden die Frauen mit der Verheißung vom Grabe weggeschickt, der Auferstandene werde den Jüngern nach Galiläa vorangehen, erst dort würden diese ihn sehen.94 Johannes folgt zunächst der Jerusalemtradition mit zwei Erscheinungen im Abstand von sieben Tagen am Abend des ersten Tages der Woche;95 er hat jedoch im Nachtragskapitel eine ausführlich erzählte Christophanie in Galiläa am See von Tiberias.96 Umgekehrt kennt Matthäus nur eine vor den Jüngern in Galiläa auf dem Offenbarungsberg, während freilich die beiden Frauen, die nach ihm das Grab besuchen, dem Auferstandenen schon bei ihrer Heimkehr vom Grab noch in Jerusalem begegnen und ihm huldigen.97 Dieser Widerspruch zwischen den Erscheinungen in Jerusalem und Galiläa läßt sich weder im Sinne des Lukas noch des Markus lösen. Hier stoßen zwei konträre Ansprüche, vermutlich die der Gemeinden in Galiläa und die der Jerusalemer Gemeinde, aufeinander. Matthäus und Johannes, die beiden spätesten Evangelisten, versuchen, beide auf ganz verschiedene Weise, zu vermitteln. Gemeinsam ist ihnen jedoch, daß die Ersterscheinung in Jerusalem vor Frauen geschieht. Offenbar ereigneten sich Christophanien an beiden Orten, man kann sich nur fragen, wo dies zuerst geschah. Hier mag der Markus-Bericht als der älteste den ursprünglichen Sachverhalt wiedergeben. Die Protovision vor Petrus und die sich anschließende vor den Elfen hätten dann in Galiläa stattgefunden, die Erscheinungen vor Jakobus und »allen Aposteln« dagegen in oder bei Jerusalem. Lukas hätte dann in seiner Erzählung gegen seine MarkusVorlage ursprünglich örtlich und zeitlich getrennte Vorgänge auf einen Tag und eine Nacht und an einem Ort zusammengezogen. Daß er derartige scheinbare Widersprüche nicht scheut, zeigt sich daran, daß er im Evangelium die Himmel92 Lk 24,13–35. Zu Kleopas / Klopas vgl. Joh 19,25: Klwpô, und Hegesipp nach Euseb, h.e. 3,11; 3,32,4 ff. Sein Sohn Symeon soll der Nachfolger des Herrenbruders Jakobus als Bischof von Jerusalem geworden sein. Vielleicht nennt Lukas ausnahmsweise den Namen, weil er zu seiner Zeit noch bedeutsam war. S. dazu Schwemer, Emmausjünger, 105–107. Zum Unverständnis s. Lk 24,25 ff. Zur theologischen Deutung s. Mittmann-Richert, Sühnetod. 93 Apg 1,4; vgl. Lk 24,49 ff. Lukas übt hier klare Kritik an seiner Markus-Vorlage. 94 Mk 16,7 = Mt 28,7. 95 Joh 20,19.26. 96 Joh 21,1–23. Die Zeitangabe bleibt unbestimmt: metÅ taúta. Johannes berichtet insgesamt von vier Erscheinungen; s. noch 20,14 ff.19 ff.24 ff. 97 Mt 28,9 f.: Jesus begrüßt sie mit ca‡rete. Sie erfassen seine Füße und werfen sich vor ihm nieder (prosek‚nhsan); vgl. die elf Jünger 28,17: ¢d·nte“ a§tÖn prosek‚nhsan. Dieses proskuneõn vor Jesus ist typisch matthäisch; vgl. jedoch auch Lk 24,52 beim Abschied Jesu.
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fahrt unmittelbar nach der Nacht der Erscheinung stattfinden läßt (24,50 f.), in Apg 1,3 jedoch von 40 Tagen »mit vielen Erweisen«98, das heißt Erscheinungen und Gesprächen bis zum Abschied von den Jüngern, spricht. Apg 10,41 läßt er Petrus sogar berichten: »Wir haben mit ihm gegessen und getrunken«, das heißt mit ihm die Eucharistie gefeiert.99 Der apologetische und antidoketische Zug in der Darstellung der Christophanien bei Lukas, Matthäus und Johannes verbietet es uns grundsätzlich, über die Art und Weise der Erscheinungen oder gar über die der Leiblichkeit Jesu irgendwelche zureichenden Aussagen zu machen. In den ältesten Hinweisen steht das »daß« und nicht das »wie« im Mittelpunkt, auch wenn man sich von Anfang an über das »wie« konkrete Vorstellungen gemacht hat. Das zeigt schon das Fehlen einer Schilderung der Protophanie vor Petrus. Vermutlich waren mehr Berichte im Umlauf, von denen Lukas, Matthäus und Johannes jeweils eine theologisch bearbeitete Auswahl bringen. Dabei ist für die Evangelienberichte bezeichnend, daß die Leiblichkeit einerseits real geschildert wird,100 zugleich aber geheimnisvoll und nicht fixierbar ist. Der Auferstandene kommt und verschwindet, auch durch verschlossene Türen; Maria Magdalena wird die Berührung verboten, das heißt sie soll Jesus, der noch nicht zu seinem Vater aufgefahren ist, nicht aufhalten; der zweifelnde Thomas wird dazu aufgefordert, seine Hände in die Wundmale zu legen. Die Emmausjünger, Maria Magdalena und die sieben Jünger beim Fischzug erkennen Jesus zunächst nicht.101 All diese Texte haben etwas Schwebendes an sich, das unseren Blick auf die Erscheinungen verdeckt und ihnen ihr Geheimnis beläßt.
98 Apg 1,3: oï“ parfisthsen ©autÖn zùnta … †n polloõ“ tekmhr‡oi“. Vermutlich verstand Lukas die »Himmelfahrt« nicht als ein Geschehen, das verschieden datiert wird, sondern als die jeweilige Entrückung in den Himmel des aus seiner himmlischen Doxa auf Erden erscheinenden Auferstandenen und Erhöhten. Freilich erscheint Lk 24,50 mit der vorausgehenden Rede Jesu zunächst als endgültiger Abschied Jesu von den Jüngern, der das Evangelium sinnvoll beschließt. Apg 1,1 ff. könnte dann als Korrektur betrachtet werden. Zum Problem s. A. W. Zwiep, Assumptus est in caelum: Rapture and Heavenly Exaltation in Early Judaism and Luke-Acts, in: Auferstehung – Resurrection, hg. v. F. Avemarie und H. Lichtenberger, WUNT 135, Tübingen 2001, 323–349; zu Lk 24,26, dem Eingehen Jesu in seine himmlische Doxa vor dem Erscheinen vor den Jüngern, s. Schwemer, Emmausjünger, 108. 99 Vgl. auch das in seiner Übersetzung unsichere sunaliz·meno“ Apg 1,4, das »zusammen essen« und »zusammenkommen« bedeuten kann, dazu Schwemer, Mahlgemeinschaft, 203– 208. Auch IgnSm 3,3 betont aus antidoketischen Gründen, daß Jesus »nach der Auferstehung mit ihnen (den Jüngern) gegessen und getrunken« habe: Æ“ sarkik·“, ka‡per pneumatikù“ ™nwmfino“ tù‘ patr‡ »als Leibhaftiger, obgleich geistlich mit dem Vater vereint.« 100 Besonders massiv im antidoketischen Sinne ist die Sonderüberlieferung bei IgnSm 3,2, wo der Auferstandene die um Petrus Versammelten auffordert: »Betastet mich und schaut, daß ich kein leibloses Gespenst bin. Und sofort berührten sie ihn und glaubten, da sie sich eng mit seinem Fleisch und Geist verbunden hatten.« Vgl. Lk 24,39, dazu Mk 6,49 und Mt 14,26. 101 Lk 24,15 f.30 f.; Joh 20,14–16; 21,4 ff.
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Für älteste Tradition halten wir – gegen die Meinung der meisten heutigen Forscher – neben der Grabestradition von der Auffindung des leeren Grabes durch Frauen am Ostermorgen den Bericht über die Protophanie Jesu vor Frauen in Jerusalem. Sie wird uns unabhängig voneinander in Mt 28,9 f. und Joh 20,11 ff. in verschiedener Form überliefert.102 In Mt 28,8–10 sind es – wie häufig bei ihm – zwei Zeuginnen, Maria Magdalena und »die andere Maria«103; bei Johannes ist es allein Maria von Magdala. Bei ihr fällt auf, daß sie – wie Petrus – in verschiedenen Frauenkatalogen in den Evangelien104 an erster Stelle genannt wird. Ihr Rang mag damit zusammenhängen, daß sie wie dieser die Empfängerin der Ersterscheinung Jesu war. Freilich konnte man mit ihrer Vision im jüdischen Palästina keinen Eindruck erwecken. Auf den Spott des Celsus über ihre Protovision wurde schon hingewiesen.105 Es ist darum mehr als verständlich, wenn sonst die Frauen als Auferstehungszeuginnen fehlen.106 Auch bei den 500 Brüdern 1 Kor 15,6 wird es sich um keine reine Männerversammlung gehandelt haben, ja selbst bei den üp·stoloi p›nte“ können vereinzelte Frauen beteiligt gewesen sein. Bei den Synoptikern erhalten die Frauen vom angelus interpres den Auftrag, den Jüngern die Auferstehung Jesu mitzuteilen. Während sie bei Markus aus Furcht schweigen, führen sie nach Lukas den Befehl aus, stoßen jedoch auf Unglauben. Bei Matthäus und Johannes fällt bei der Anweisung des Auferstandenen selbst die – einzigartige – Formulierung auf, sie sollen die frohe Botschaft »meinen Brüdern« verkündigen. Dies erinnert an die paulinische Bezeichnung des Gottessohnes als des »Erstgeborenen unter vielen Brüdern« (Röm 8,29): Das heißt, die Glaubenden sollen als Kinder Gottes in der eschatologischen Vollendung an der Herrlichkeit des zum Vater erhöhten Jesus teilhaben, der in der sich neu formenden Jüngergemeinde von Anfang an als der
102 Vgl. auch Mk 16,9, abhängig von Joh 20,14.18 und Lk 8,2. S. Hengel, Maria Magdalena. 103 Vgl. Mt 28,1 und 27,61; nach 27,56 ist es Maria, die Mutter des Jakobus und Joseph; vgl. Mk 15,40 und dazu Bauckham, Gospel Women, 257–310. Zur »Zweiheit« bei Matthäus s. 4,18.21; 8,28; 9,27; 20,30 und von Markus abhängig 21,1. 104 Mk 15,40.47; 16,1; Lk 8,2 f.; 24,10; Mt 27,56.61; 28,1. Die einzige Ausnahme ist Joh 19,25, dort erscheint sie nach der Mutter Jesu, deren Schwester und Maria, der Frau (?) des Klopas, als die einzige, die nicht zur Verwandtschaft Jesu gehörte, unter dem Kreis der Frauen am Ende der Liste. 105 S. o. S. 630. Auch die jüdische Tradition hat abwertend über sie berichtet, unter anderem wurde sie mit der Mutter Jesu identifiziert, »magdala« wurde als »Haarflechterin« übersetzt; s. Strack, Jesus, § 9.12 f.34 ff.; dazu jetzt Schäfer, Jesus, 18.150 (Anm. 11.22): Auch in der rabbinischen Literatur wird sie zudem mit der großen Sünderin (Lk 7,36–50) identifiziert, deren lange, offene Haare sie als Hure kennzeichnen; vgl. S. 99. 106 Lk 24,9–12 wird ihr Zeugnis schroff abgewertet. Petrus muß es überprüfen und ist verwundert, aber nicht überzeugt, vgl. Joh 20,1–10, wo sie nur vom verschwundenen Leichnam Jesu berichtet und Petrus und der Lieblingsjünger dorthin eilen, s. o. S. 630.
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»Erstgeborene aus der Auferstehung« verstanden wurde.107 Maria Magdalena erscheint als erste, die, ähnlich wie Paulus, vor den Jüngern bekennen kann: »Ich habe den Herrn gesehen« (©„raka tÖn k‚rion, Joh 20,18; 1 Kor 9,1).
Bei aller Differenziertheit haben die verschiedenen Erzählungen wie auch die Aufzählung bei Paulus einen wesentlichen Punkt gemeinsam. Neben das Sehen tritt immer das Wortgeschehen, die Audition, und zwar in der Regel als Sendung durch den Auferstandenen. Nach Paulus bedeutet die Christophanie Berufung in das Amt und die Aufgabe des Apostels, des »Sendboten Jesu Christi«.108 In der einzigen Christophanie vor den Jüngern bei Matthäus in 28,16 ff. gibt der Auferstandene den Elfen einen universalen Missionsbefehl: »Gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker …«. In ganz anderer Form, nicht auf einem Berg in Galiläa, sondern in einem Haus in Jerusalem, hinter verschlossenen Türen, aber sachlich verwandt, spricht der Auferstandene in Joh 20,21 f.: »Wie mich der Vater gesandt hat, sende ich euch!« Während er dies sagt, haucht er sie an und spricht zu ihnen: »Empfanget den heiligen Geist«. Sendung in die Welt zur Mission und Gabe des Geistes bedingen sich gegenseitig. Bei Matthäus tritt freilich aufgrund seiner besonderen Theologie an die Stelle des Geistes die lehrhafte Verkündigung der Botschaft Jesu und der Gehorsam gegen seine Gebote, der die Voraussetzung für wahre Jüngerschaft ist.109 Auch bei Lukas sind Sendung und Geist aufeinander bezogen, so am Ende der Abschiedsrede des Auferstandenen. In dessen Namen sollen die Jünger »Umkehr zur Vergebung der Sünden allen Völkern verkündigen«, er selbst aber wird ihnen dazu »die Verheißung des Vaters senden«. Darum sollen sie in Jerusalem bleiben, bis sie »ausgerüstet werden mit der Kraft aus der Höhe«. Dem entspricht am Anfang der Apostelgeschichte die Voraussage: »Ihr werdet empfangen die Kraft des heiligen Geistes, der auf euch kommt, und ihr werdet meine Zeugen sein in Jerusalem, in ganz Judäa und Samaria und bis an das Ende der Erde.«110 Freilich, 107 Mt
28,10: ≠p›gete üpagge‡late toõ“ üdelfoõ“ mou; Joh 20,17 zu Maria Magdalena:
»pore‚ou prÖ“ toÜ“ üdelfo‚“ mou und sage ihnen: Ich fahre hinauf zu meinem Vater und zu eurem Vater …«. Die Bruderschaft zwischen Jesus und den Jüngern wird in der Auferstehung
sichtbar. Zum prwt·toko“ (†k) tùn nekrùn s. Kol 1,18; Apk 1,5, vgl. auch 1 Kor 15,23. 108 1 Kor 9,1 ff.; 15,7; 1,1: klhtÖ“ üp·stolo“ Cristoú ûIhsoú, vgl. Röm 1,1; 2 Kor 1,1; Gal 1,1.16 ff. 109 Mt 28,20. Vgl. auch die beiden sekundären Markus-Schlüsse, Mk 16,15 ff. und die Kurzform nach V. 8 o. S. 644. Codex W bringt nach 16,14 noch einen späten kleinen Dialog zwischen den Jüngern, die sich verteidigen, und Jesus über die Macht des Bösen und seine Überwindung durch den Tod Jesu, das sogenannte »Freer-Logion«. S. dazu Kelhoffer, Miracle, 2 Anm. 5, s. auch Index 528. 110 Lk 24,47 ff.; Apg 1,8. Das ist von Lukas retrospektiv unter der Voraussetzung der paulinischen (und später auch der petrinischen) Völkermission formuliert. Bei Markus wird diese Anweisung in die Voraussage Jesu 13,10 und 14,9 (= Mt 26,13) hineingenommen, die Geistverleihung ist in Mk 13,11 auf die Verfolgungssituation reduziert. Zunächst verstand die Urgemeinde den Auftrag des Auferstandenen als Sendung zum eigenen Volk, vgl. Mt 10,5 f. und
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VII. Das Zeugnis von der Auferstehung Jesu
was bei Johannes eine Einheit ist, Erscheinung des Auferstandenen, Sendung und Geistempfang, das fällt bei Lukas zeitlich auseinander. Erst zehn Tage nach der Himmelfahrt Jesu, am sogenannten Wochenfest, das heißt sieben Wochen nach dem Passafest, erhalten bei ihm die Jünger vor den Augen des Volkes in Jerusalem die Gabe des Geistes.111 In allen diesen Berichten sieht man deutlich, daß entsprechend den verschiedenen Theologien der jeweiligen Evangelisten und ihren Traditionen die Form der Darstellung erheblich differieren konnte; das »daß« der Sendung durch den Auferstandenen ist jedoch eindeutig und schon der ältesten vorpaulinischen Tradition und seinem Apostelbegriff zu entnehmen. Das heißt, das Auferstehungsgeschehen kann und will nicht einfach als bloßes Faktum im modernen Sinne als vom glaubenden Gehorsam ablösbare »historisch sicher nachweisbare Tatsache« verstanden werden. Wer mit dieser Absicht an die Quellenzeugnisse herangeht, wird sie mißverstehen. Wenn überhaupt, dann ist an diesem Punkt Glaube und Wirklichkeit nicht zu trennen. Die Auferstehungszeugnisse sind gerade in unserer Zeit – so sehr wie, ja noch mehr als das Kreuz Christi, das man immer noch als Zeichen des Märtyrertodes eines Wohltäters der Menschheit verklären kann – für den, der die Einsicht und das Wagnis des Glaubens verschmäht, Ärgernis und Torheit zugleich.112 Unter dieser Prämisse möchten wir versuchen, mit aller Vorsicht die verschiedenen Aussagen und Berichte in einen raum-zeitlichen Zusammenhang zu bringen. Das Ganze bleibt bei dem Zustand unserer Quellen ein – zumindest teilweise – hypothetischer Versuch: 1. Die Frauen finden früh am Ostermorgen das Grab offen und leer und fliehen entsetzt, Mk 16,1–4.8. 2. Maria Magdalena kehrt zurück und hat die erste Erscheinung des Auferstandenen (Joh 20,11 ff.; vgl. Mt 28,9 f.), sie findet jedoch keinen Glauben bei den Jüngern (Lk 24,11). Diese haben jetzt, da der Leichnam Jesu verschwunden ist, erst recht allen Grund, rasch nach Galiläa aufzubrechen. 3. Jetzt spaltet sich die Überlieferung. Nach Markus, Matthäus und dem Petrusevangelium sind die Jünger nach Galiläa zurückgekehrt. Dann hätte Petrus dort seine Protophanie empfangen und nach ihm der Kreis der Elf. Nach Lukas und Johannes geschieht dies dagegen noch am Abend des Ostertages in Jerusalem. Wahrscheinlich stehen hinter diesen widersprüchlichen Überlieferungen konkurrierende Traditionen der Gemeinden in Galiläa und Jerusalem. Uns scheint dabei die galiläische Tradition die ursprünglichere zu sein. Die Plazierung der Protovision des Petrus in Galiläa könnte erklären, warum sie Lk 24,34 nicht ausführlicher erzählt. Später hatte man – aufgrund der Führungsposition der Gedie lukanische Petruspredigt Apg 2–5 (z. B. 3,25 f.). Das ûIouda‡w te prùton (Röm 1,16) gilt im Grunde für das ganze Christentum des 1. Jahrhunderts. 111 Apg 2,1–41; siehe Bd. II. 112 S. das Urteil von D. F. Strauss o. S. 489.
§ 22 Das Zeugnis von der Auferstehung Jesu
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meinde in Jerusalem – ein Interesse daran, die maßgeblichen Christophanien alle auf den ersten Auferstehungstag, der ja in der Kirche zum »Herrentag« wurde, und auf den einen Ort Jerusalem, der nach jüdisch-urchristlichem Glauben der Mittelpunkt der Welt war, zu konzentrieren. Dort hatte Gott selbst den Zion als Wohnsitz erwählt, und dort war Christus gekreuzigt worden und wurde dort wieder erwartet (Apg 1,11; Röm 11,26). Die markinische Galiläatradition wird auf petrinische Überlieferung zurückgehen, sie wird bestätigt durch Joh 21 und die letzten erhaltenen Verse des Petrusevangeliums. 4. Über den Ort und den Zeitpunkt der Erscheinungen vor Jakobus, den 500 Brüdern und allen Aposteln können wir nur Vermutungen anstellen. Das Ereignis mit den 500 könnte sich, falls es nicht doch mit Pfingsten zusammenhängt, noch in Galiläa ereignet haben, dagegen sind die Christophanien des Jakobus, des Bruders Jesu – so im Hebräerevangelium –, und (der Mehrzahl) »aller Apostel« eher nach Jerusalem und seine Umgebung (Lk 24,13–32) zu verlegen. Dies könnte einer der Gründe dafür sein, warum Jakobus später in Jerusalem die Führungsrolle in der Gemeinde erhielt. Auf jeden Fall sind die Jünger nach den ersten Visionen in Galiläa nach Jerusalem zurückgekehrt, um dort beim nächsten Fest, dem Wochenfest, 50 Tage nach dem Passa,113 als sich dort wieder zahlreiche jüdische Festpilger versammelten und Jesu Tod am vorausgehenden Passafest noch in unmittelbarer Erinnerung war, die Auferstehung des Messias Jesus, der ihnen als der zu Gott Erhöhte erschienen war, vor dem eigenen Volk zu verkünden und dieses zur Umkehr zu rufen. Es ist so sehr wahrscheinlich, daß sich auch in und um Jerusalem Christophanien ereigneten, zumal für die spätere urchristliche Geschichte Galiläa – zumindest nach den uns erhaltenen Quellen – keine wesentliche Rolle mehr spielt und Jerusalem rasch zum Mittelpunkt der Urgemeinde wurde.114 5. Die Bekehrung des Paulus, die mit seiner Berufung identisch ist, geschah höchstens drei Jahre nach dem Auferstehungsgeschehen. Harnack und andere vermuteten, die in späteren (vor allem gnostischen) Quellen begegnende Zeitangabe von 18 Monaten beziehe sich auf die Frist bis zur Bekehrung des Heidenapostels.115 Dies scheint uns jedoch ein zu kurzer Zeitraum zu sein. Paulus selbst deutet auf einen klaren zeitlichen Abstand seiner Vision gegenüber den früheren Christophanien hin.116 Er selbst bezeichnet sich zugleich als der letzte, der den 113 Daher der Name ™ ™mfira tö“ penthkostö“ für das jüdische Wochenfest Apg 2,1. Die lateinische Übersetzung übernimmt das griechische Wort, und daraus entsteht das deutsche »Pfingsten«. 114 Zum raschen Zurücktreten Galiläas s. Hengel / Schwemer, Paulus, 51–56. Galiläa wird in der neutestamentlichen Briefliteratur und bei den Apostolischen Vätern nicht mehr erwähnt. 115 Riesner, Paulus, 56–65. S. o. S. 637. 116 1 Kor 15,8 f. Das gilt auch für die Erzählung der Apostelgeschichte, die doch in c. 2–8 eine längere Entwicklung voraussetzt. S. dazu Hengel / Schwemer, Paulus, 46 ff.
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VII. Das Zeugnis von der Auferstehung Jesu
Auferstandenen gesehen hat. Das heißt, die Erscheinungen des Auferstandenen sind als gemeindegründendes Geschehen sowohl in der Zahl der betroffenen und dadurch berufenen Personen als auch in ihrem zeitlichen Rahmen begrenzt. Spätere Christusvisionen117 sind davon klar unterschieden. Auffallend ist die uns fast widersprüchlich erscheinende Vielfalt der Auferstehungszeugnisse bei Paulus, in den vier Evangelien und der Apostelgeschichte, die sich jeder Harmonisierung widersetzt. Selbst Tatians Diatessaron verzichtete hier auf eine solche, sondern erzählt die Darstellungen der Evangelien nacheinander. Auf der anderen Seite steht die Zurückhaltung in der Berichterstattung, die sich von der apokryphen evangelienartigen Offenbarungsliteratur des 2. Jahrhunderts unterscheidet. Es hätte ja nahegelegen, in phantasievoller Weise zahlreiche Begegnungen der Jünger mit dem auferstandenen und erhöhten Herrn auszumalen. Der Schwerpunkt aller vier Evangelien liegt dagegen beim Wirken des irdischen Jesus, auch wenn an ihm die Glorie des Erhöhten je und je sichtbar wird – vor allem im 4. Evangelium (Joh 1,14). Der Höhepunkt ihrer Darstellung bleibt die Passion Jesu, die allerdings von seiner Auferstehung her beleuchtet wird. Wie sehr die Osterereignisse die Jünger erschütterten und ihr Leben veränderten, können wir nur von ferne ermessen. Die Konstitution der Urgemeinde in der Kraft des Geistes, im Aufblick auf ihren jetzt zu Gott erhöhten Herrn und im Rückblick auf sein irdisches Wirken ist das für uns sichtbare und bis heute fortwirkende Wunder von Ostern.
117 Vgl.
2 Kor 12,1 ff.; Apg 18,9; 22,17 ff.; Apk 1 ff.
Rückblick und Ausblick Rückblickend bestätigt sich unsere These, daß die Bruchstückhaftigkeit der uns erhaltenen Quellen wie auch die Eigenwilligkeit der vier Evangelisten in der Auswahl des Überlieferungsstoffes, seiner Gestaltung und Anordnung, man könnte auch sagen ihr theologischer Wille, eine unsere moderne »historische Neugier« wirklich befriedigende Darstellung Jesu von Nazareth unmöglich machen. Wir können kein »geschlossenes Bild« oder eine »zusammenhängende Geschichte« von ihm entwerfen. Es sind – wie wir schon mehrfach betonten – jedoch konkrete »historische Annäherungsversuche« möglich. Mit anderen Worten: Die Evangelien wollen von ihrem Ansatz her vor allem als Urkunden des Glaubens an Jesus, man könnte auch sagen als wichtigster Niederschlag des »apostolischen Zeugnisses« von Jesus, wahrgenommen werden. Als ein derartiges Zeugnis besitzen sie freilich auch eine deutlich sichtbare historische Grundlage, die auf lebendiger Erinnerung an das Wirken und Schicksal Jesu beruht und als solche weitererzählt werden konnte. Ebenso leidet die Darstellung des Judentums zur Zeit Jesu an der Zufälligkeit und Bruchstückhaftigkeit der Quellen, wie an den parteilich-apologetischen Tendenzen und rhetorischen Absichten unseres Hauptautors Josephus, der mit seinen Werken immer auch eigene Ziele verfolgt. Der Glücksfund der Qumranrollen hat zwar unser Wissen über das reiche jüdische religiöse Denken in den rund 230 Jahren zwischen der Makkabäerzeit und der Zerstörung Jerusalems ungemein erweitert, aber gleichzeitig viele neue Fragen aufgeworfen, die wir nicht zureichend beantworten können. Mit am eindrücklichsten ist hier die Vielfalt der jüdischen Heilsbringererwartungen, die sich nicht mehr allein auf den »gesalbten« Herrscher aus dem Geschlecht Davids beschränken läßt. Auch die Gestalt Jesu ist in diesen Kontext einzuschreiben und entzieht sich ihm zugleich wieder durch seine unverkennbare Einzigartigkeit. Drei Gesichtspunkte erscheinen uns für den Handwerker aus dem galiläischen Nazareth wesentlich: Erstens seine Verkündigung der »sich realisierenden Gottesherrschaft« in Wort und Tat und die damit verbundene Botschaft von der Liebe des himmlischen Vaters, der seine verlorenen Geschöpfe heimholen will. Zweitens der sein Wirken durchziehende messianische Anspruch, der ihn eindeutig vom letzten profetischen »Rufer«, Johannes dem Täufer, unterscheidet und der sich in seiner Selbsthingabe als Gottesknecht am Kreuz und im Wunder
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VII. Das Zeugnis von der Auferstehung Jesu
seiner Auferstehung, das für die rein historische Betrachtung ein Geheimnis bleiben muß, vollendet. Drittens die Berufung von Jüngern in seine Nachfolge, die er, von ihm belehrt, als seine Boten aussendet und die trotz ihres Unverständnisses und Versagens nach Ostern nicht nur ihn als den zu Gott erhöhten Messias und Gottessohn verkündigen, sondern zugleich auch seine Botschaft und sein Geschick weitererzählen und auf diese Weise seine Geschichte und seine Worte als e§aggfilion, das heißt als »Heilsbotschaft«, für kommende Generationen erhalten. Paradoxerweise ist es sein endzeitlicher Anspruch und sein dadurch bestimmter Weg, der die Geschichte der Kirche begründet und weiterführt. Wir glauben daher nicht nur, daß der Mensch Jesus unabdingbar in eine Geschichte des frühen Christentums gehört, sondern daß eine in vielen Punkten aufweisbare Kontinuität zwischen Jesu Wirken in Wort und Tat und der Verkündigung der Urkirche besteht, die selbst die Person des Heidenapostels Paulus, der nicht mehr zum Jüngerkreis Jesu gehörte, miteinschließt. Wir haben je und je versucht, auf solche Kontinuitäten hinzuweisen. Die Evangelien als wesentlicher Teil der apostolischen Verkündigung machen ja Jesu Botschaft, Wirken und Weg zu ihrem eigenen Inhalt. Es hat sich darin, das versuchten wir deutlich zu machen, trotz vielfältiger Transformationen eine Fülle von echter Erinnerung erhalten. Zwischen der judenchristlichen Urgemeinde und den späteren heidenchristlichen Missionsgemeinden muß kein unüberwindbarer »garstiger breiter Graben« bestehen. Wäre dies der Fall, hätte die Botschaft Jesu nie als »Evangelium« zu griechisch sprechenden Nichtjuden gelangen können. Wir möchten zum Schluß diese Kontinuität an einem Beispiel deutlich machen: Was ca. 26 Jahre nach dem Todespassa der Apostel Paulus gegenüber der ihm unbekannten Gemeinde in Rom als letzte Gewißheit bekannte, galt schon für den Glauben der Urgemeinde und gründet letztlich in Jesu messianischer Reich-Gottes-Predigt: »denn ich bin gewiß, daß weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges … noch ein anderes Geschöpf uns trennen kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn«. Diese Heilsgewißheit, die ganz auf Gnade beruht, lehrte schon Jesus seine Hörer in den Gleichnissen, und er hat dieselbe durch seinen Weg als Gottesknecht für alle Menschen begründet.
Röm 8,38 f. S. o. S. 424.
Stellenregister I. Altes Testament Die kursiv gedruckten Seitenzahlen beziehen sich auf die Anmerkungen. Genesis 1–3 1,1 1,2 1,5 1,26 f. 1,27 1,28 1,31 2,1 f. 2,17 2,18.22–24 2,24 2,25 3 3,1–7 3,1 3,5 ff. 3,6 f. 3,13 3,15 3,16–19 3,16 3,17–19 3,19–24 3,23 f. 3,24 4 4,1 ff. 4,24 5,2 5,21–24 7,12 9,6 12,3 12,7 14,19 17,1
530 206, 452 332 642 32 421, 446 f. 562 437, 449 618 425 447 421, 446 425 438 475 303 437 425 303 374, 449 449 562 420 425 374 323 449 425, 562 449 421 161 323 449 34, 452 639 452 639
18,1–33 18,1 18,14 22,4 22,14 26,2.24 31,22 34,25 35,9 38,8 40,20 41,46 42,18 48,3 49,11
32 639 484 631 639 639 631 631 639 562 631 345 631 639 553
Exodus 3,2 3,6 3,10 3,15 f. 4,22 8,15 12,10 12,13 12,14 12,27 12,46 13,3 14,31 15 15,17b–18 15,18 16,4 f. 17,7 19,11 19,15 f. 20,2 f.
639 562 365 562 452 429 557 606 583 606 557 583 325, 475 381 163 409, 475 448 428 32, 631 631 434
656
Stellenregister
20,2 418 20,13 449 20,14 446 145 20,17 21,24 449 f. 89 22,27 23,20–23 32 300, 307 23,20 470 23,25 24 585 585 24,8 24,9–11 32 365 24,9 585 24,10 f. 365 24,15 323 24,18 158 28,2–39 511 28,36 158 28,41 159 29,38–42 316 32,9 f. 428 34,9 323 34,28 39,30 (LXX: 36,37) 511 Leviticus 3–7 5,11 7,17 f. 8,1–36 11,15 12,8 14,2 ff. 16 16,4 16,10 18,16 19,15–17 19,18 19,23 ff. 19,34 20,21 21,10 ff. 21,21 f. 24,20 26,11
159 559 631 158 421 559 420 158 158 323 311 434 33, 434–436, 447, 451 159 434 311 158 157 449 f. 32
Numeri 8,7 11,16 ff.26 ff. 19,9–22
314 365 314
19,12.19 24 24,17–24 25 28,3–8 34,3.11.12
631 113, 155 113 78, 126 159 349
Deuteronomium 3,17 4,24 5,6 f. 5,6 5,18 6,4 f. 6,4 6,5 7,7 f. 9,9 10,12–22 10,16 11,1 11,2 11,13 f.22 11,30 13,4 13,6 ff. 14,14 17,6 17,15 17,18 ff. 18 18,15–22 18,15–18 18,15 ff. 18,15 18,18–22 18,18 19,9 19,15 19,21 21,22 f. 21,23 24,1 25,3 25,5–10 27,2b–3a 27,4–7 27,26 32 32,1 32,6 32,11
349 503 434 418 446 409 f., 421, 434 f. 33, 418 447 436 323 434 453 434 245 434 145 434 598 421 645 52, 90 598 501 147 164, 167 82 99, 307, 500 147 145, 147, 500 434 645 449 f. 612, 619 32, 203, 570 446, 447 578 562 145 145, 147 32 381 332 452 332
657
Stellenregister Josua 3 9,17 10,10 f. 15,2.5 15,25 24,25 ff.
314 631 113 349 370, 579 145
Richter 6,12 6,14 9,8–15 13,5 16,17 20,30
639 365 398 282 511 631
Ruth 4,1–10
562
1. Samuel 1,1 10,1 ff. 14,31 15,22 21,2–7 28,3–25
619 321 113 419 419 631
2. Samuel 5,4 5,11 5,14 7 7,10 f. 7,11b–14a 7,12–16 7,13 f. 7,14 12,1–14 12,1–12 12,13 14,1–11 15,23 15,30 f. 18,19–31 19,12–16
345 294 292 321 163 163 553 597 542 398 311 313 398 587 553 413 552
1. Könige 1,33.40 3,5 5,9–14 5,12 7,14
553 639 389 397 294
8,61 9,2 11,26 14,26 15,13 17,3 f. 17,6 17,17–24 18,16 ff. 19,1 ff. 19,4–8 19,5–8 19,13.19 19,19–21 20,35–40
434 639 370 60 587 318 483 482 311 311 318 323, 483 318 361, 365 398
2. Könige 1,8 1,10.12 2,8.13 f. 4,1–7 4,18–37 4,33 4,42–44 5,14 6,1–7 6,19 9,13 13,20 f. 14,9 f. 17 17,24 18,21
318 356 318 483 483 477 482 313 f. 314 361 553 482 398 143 143 278
1. Chronik 3,5 3,18 f. 24,7–19 24,7–18 24,15 25
292 293 302 157 281 158
2. Chronik 24,20 f. 24,21
62 99
Esra 3,2 4,1–5 5,2 6,9–10
293 142 293 85
658
Stellenregister
Nehemia 6,1 ff. 12,4.17 13,4.7.28 f. 13,28
143 302 143 144
Ester 5,14 7,9 f. 9,13
612 612 612
Hiob 9,31 14,7 f. 38,41
318 303 421
Psalmen 2 2,7 8,3 8,5–7 8,5 f. 8,5 8,7 9,16 18,9 18,10 22 22,2 22,7–9 22,9 31 31,6 31 (30),12 37 38 (37),12 40 (39),10 44,15 45,7 f. 45,8 51 51,9 55,18 68,5 68 (67),12 69 71 (70),19 80 (79),16–18 80,18 88 (87),12 89 89,27 f.
321 321, 542 439 323 32 527, 529 543 318 503 32 573, 615, 617 392, 587 615 616 573 392, 618 616 150 616 413 615 32 545 313 314 616 318 413 573 245 529 527 616 321 32, 542
89 (88),36 89,37 91,11 f. 91,13 95 (94),11 96 (95),2 103 (102),3b 106 (105),16 106 (105),21 109,25 110 110,1 116,13 118 118,22 ff. 118,22 f. 118,25 f. 118,26 146 146,7 f. 147,9 148,1
511 32 589 374, 449 469 413 470 511 245 615 32 293, 519, 527, 539, 566, 568, 597, 598 117, 584 565 573 565 331, 552 f., 554, 565 583, 597 501 332 421 553
Proverbien 6,6–11 6,6–10 25,21 30,25
421 398 450 421
Kohelet 2,24 3,12 ff.22 5,17 8,15 9,5.7 9,13 ff.
136 136 136 136 136 398
Jesaja 1,2 4,4 5,1–7 6,9 f. 6,9 6,10 6,13 7,14 8,23 10,17 11,1–16 11,1–5 11,1 ff.
332 314 398 471, 476, 515 354 466, 471 f., 515 303 282, 284 273 503 535 321, 527 501
659
Stellenregister 11,1 11,2 11,3 f. 11,4 11,6–9 11,8 f. 11,9 11,10 21,4 22,13 24–27 24,23 25,6 ff. 25,8 26 26,19 28,23–29 29,13 29,18 f. 29,18 30,10 35 35,2–5 35,5 f. 35,5 35,5b 36,6 40,3–5 40,3 40,9 42,1–4 42,1 42,9 42,18 43,1 44,2 44,3 45,3 50,6 51,6 52,7 53 53,1 53,3 f. 53,3 53,4 53,5b 53,6 53,7 ff. 53,7 53,9
282, 303 321 566 528 323 449 452 199, 291 318 136 161 414 414 414, 452 501 166, 332 f., 414, 467, 519, 629 398 205 332 467 137 501 331 332, 467 333, 513 513 278 303 93, 98, 140, 300, 314 413 469 321 469 467 332 321 314 332 450 452 164, 321, 410, 413, 467 32, 515, 541, 573, 598 471 615 294, 470 470 541 200 233 605 619
199 572, 618 200, 233, 584, 585 414 153 156, 350, 560 331 413 501 467 164, 321, 467 287, 321, 332, 333, 361, 512, 514, 548 321, 327, 331–333, 338, 61,1 359, 412, 413, 468, 469 332 61,1c 412, 468 61,2 452 63,16 f. 63,19 (LXX: 64,1) 32 321 64,1 452 64,7 65,17 35, 452 66 161 66,5 f.14 f. 135 503 66,15 442 66,15a.16 442 66,16b 452 66,22 442, 444 66,24
53,10 ff. 53,11 53,12 55,1–5 56,4 f. 56,7 58,6 60,6 61 61,1–3 61,1 ff. 61,1 f.
Jeremia 1,1 f. 1,1 1,5 2,9–25 3,4.19.22 4,2 4,4 5,14 7,11 8,4–13 9,3 11,21–23 12,6 18,16 23,5 23,29 31,3 31,9 31,20 31,31–34 31,31
3 287, 302 365 316 452 452 453 503 560 316 289 287 289 615 164 503 436 452 436 33 161
660
Stellenregister
32,17.27 33,14 33,15 33,25 f.
484 33 164 33
Klagelieder 2,15 ff. 3,30 4,20
615 450 411
Ezechiel 3,7 9,4.6 17,3–10 17,9 17,23 19,2–9.10–14 20,41 21,1–5 21,5 24,3–5 24,15–27 31,6 34,16 36,22–28 36,25 37 37,1–28 37,1–14 37,11–14 38,16 40,47 42,16–20 45,2 47,3
453 315 398 303 416 398 418 398 397 398 290 416 454 418 314 165 629 165 519 418 61 61 61 314
Daniel 2 2,23 2,38 4,10–12.18–20 5,21 6,11.14 7 7,2 7,9–22 7,9–14 7,9 f. 7,10 7,13 f. 7,13
126, 410 381 526 416 526 616 78, 126, 410, 527 528 367 32 367 538 113, 306, 530, 537 327, 467, 526–529, 531, 536, 539, 544, 583, 597
7,25 7,27 9,24–27 9,25 9,26 9,27 11,30 11,32 ff. 11,33 ff. 12 12,1 ff. 12,1 12,2 f. 12,2 12,4 12,13 13,51 ff.
139 537 198 467 321 113, 120 42 137 149 164 163, 167, 410 166 519, 629 443 321 629 596
Hosea 2,20 6,1 f. 6,2 6,6 9,16 11,1 14,1
449 631 631 234, 419, 448, 502 303 452 145
Joel 3,5
413
Amos 2,9 2,16 7,15 9,7–10
303 590 365 316
Micha 4,6–8 4,7 5,1 6,8 7,6
410 410 281 434 290, 364, 503
Nahum 2,1
413
Habakuk 2,2 2,3
149 331, 333
Sacharja 3,8
164
661
Stellenregister 164 161, 467, 501 439, 552–554 580 161 573 314 318 573 161 553 410, 560 560
6,12 9,9 f. 9,9 11,13 12 12,10 f. 13,1 13,4 13,7 14 14,4 14,9 14,21
Maleachi 1,6 3,1 3,19 f. 3,19 3,20 3,22 3,23 f. 3,23
432 300, 307, 317 306 303 415 306 302 317
II. Apokryphen und Pseudepigraphen zum Alten Testament Ahiqar 73
399
144 10 487 637 527 310
1. Henoch 1–36 1,2–9 1,2 f. 6,4–6 13,7 22,5 37–71 45,6 48,10 51,1 ff. 52,4 62,14–16 62,14
161 162 397 353 353 526 166, 280, 527 414 527 166 527 166 414
Aristeasbrief 45 139
85 34
Ascensio Isaiae 3,1–12 4,2 f. 4,10 9,16 11,1(2) 11,19 Assumptio Mosis 6,2 6,9
45 612
2. Henoch 18,4 42,5
353 414
Baruch, Syrischer 414 29,4–8 637 76,4
Jubiläenbuch 23,30 f. 30,5 ff.
165 145
3. Esra (LXX: 1. Esdras) 293 4,13 293 5,5.47
Judith 12,7–9
313
1. Makkabäerbuch 1,45–47.59 2,42 3,16.24 3,60 7,13 7,39 7,43 ff.
139 149 113 431 149 113 41
4. Esra 7,46.48.68 ff. 8,35 13 14,23
316 316 528 637
662
Stellenregister
8,17–30 8,22 8,23–30 8,31 f. 12,1–4 12,1.3 f. 14,16–19 14,16 ff.
41 42 43 41 41 44 41 44
2. Makkabäerbuch 4,11 6,2 6,7 7 9,5–28 14,6 15,12–16
41, 43 145 139 160, 167 92 149 631
4. Makkabäerbuch 111, 370 18,12 Paralipomena Jeremiae 106 3,10 314 6,25 144 8,1–9 8,2 f. 314 f. 314 8,3–5 Psalmen Salomos 2,1 ff.26 f. 9,4 14,8 15,6.9 17 17,3 17,3a 17,3c 17,5 f.7 f.10 17,11 f. 17,12 17,21.32 17,36 17,43 17,46 18 18,5–7
45 124 124 315 77, 163 f., 165, 168, 327, 410 f., 467, 501 229 410 411 45 44, 45 45 411 379 229, 379 411 327, 410, 501 411
Sapientia Salomonis 572 2,12 ff.18 ff. 572 5,1–5
4. Sibylle 165–168
299
Jesus Sirach 6,24 ff. 6,28 11,(16)18 f. 18,4 24,19–23 31,15 33 (36),7 34,25 44,21 45,6 48,1 48,10 50,26 51,23–27 51,34
378 439 399 245 378 436 245 313 452 511 356 302, 306, 317 145 439 378
Testament Abrahams (Rezension A) 265, 505 8,7 265 18,10 265, 505 20,2 Testamente der XII Patriarchen Testament Juda 167 25,1.4 Testament Levi 5–7 18
145 167
Testament Simeon 167 4,2.7a Tobit 1,4–8 8,3
145 323
Vita Adae et Evae 314 6–8 Vitae Prophetarum 1,7 2,11 4,3 f.9.12.16 5,2 10,8 12,11 23,1–2
62 99 474 145 47, 99, 463, 469, 536 46 62
663
Stellenregister
III. Qumranisches Schrifttum CD (Damaskusschrift) 126, 137 148 I 5–11 165 III 20 53 IV 21 53 V 2–6 487 V 17–19 123 VI 19 123 VIII 21 140 XI 17–21 161 XVI 10 ff. 123 XIX 33 123 XX 12 XX 13–15 163 1QpHab VII 3–5 149 1QS (Sektenregel) IV 23 V 1.10 VIII–IX VIII 13–16 VIII 14 f. VIII 14 IX 3 ff.
123 165 148 163 303 303 93, 98, 140 140
1QSa I 6 ff. I 9–11
148 161
1QH (Hodayot) X 7 f. XV 19 ff.26 f. XVII 15
149 149 165
1QM (Kriegsregel) 165 I 5–9 VII 5; IX,5; XV 3 164 3Q Kupferrolle
279
4QpaleoExa
145
4QtgLev (4Q156) 617 4QtgJob (4Q157) 617 4Q158 Frag. 6–8 145
4QpJesc (4Q163) Frag. 23 10
137
4QpNah (4Q169) 151 Frag. 3–4 I, 2–8 612 Frag. 3–4 I, 7–8 Frag. 3–4 II, 4–10 151 Frag. 3–4 II, 8 137 Frag. 3–4 III, 3.4 f.7 137 4QpPsa 37 (4Q171) II 18; III 15 IV 7–9 IV 8 IV 14.18 f.
149 138 149 149
4QMidrEschata (4Q174) 164 III 1–13 163 f. 163 III 2–12 IV 3–9 164 137 IX 12.13 4QTest (4Q175) 1–8
164 145
4Q176
165
4Q201
397
4QLevibar (4Q213) 123 Frag. 3/4 Z. 6 4Q274 Frag. 1 I, 7 161 379, 399 4Q302 Frag. 2 II 152 4Q324a + b 4Q385 (Deutero-Ezechiel) 165 Frag. 2,7 f. 4QMMT (4Q394–399) C 7–8 C 27–32
134, 138 f., 149, 150, 420 139 138
4Q408 4Q448 4Q502
123 152 161
4Q521 4Q521 Frag. 2 II
331, 411, 467, 500, 501 332 f.
664
Stellenregister
4Q521 Frag. 2 II, 5 333 4Q521 Frag. 2 II, 12 165, 333 4Q521 Frag. 2 III, 2 317 4Q558
317
11QPsa (11Q5) 18:3–4 155
137 385
11QtgJob (11Q10) 617 11QMelch (11Q13) 33, 410 I 18 f. 467 I 18 467
II 1 II 6 f. II 16 II 18 ff. II 18
321 163 410 333 164
11QT (11Q19) 36,?–38,11 38,12–40,5 40,5–45,6 45,12–18 57,17 ff. 64,6 ff. 64,13–18
61 61 61 479 53 612 151
IV. Jüdisch-hellenistische Literatur Aristobul bei Euseb, praep. ev. 12,12,6–8
122 f.
Pseudo-Eupolemos Frag. 1,15 bei Euseb, praep. ev. 9,17,5 f. 145 Flavius Josephus Antiquitates 1,8 1,108 1,158 f. 2,346 2,347 f. 3,224 3,278 3,320 f. 4,114–117 4,202 4,303 5,44 6,332–336 8,44 8,46–49 8,259 9,212 10,276 f. 10,278 ff. 10,280 11,111 11,136
232 491 131 381 491 159 157 94 298 620 381 620 631 397 477 60 319 298 131 298 46 158
11,145–153 11,302–347 11,302 f. 11,302 11,312 11,321 f. 11,337 11,346 f. 12,10 12,237–240 12,387 12,415–419 13,74–79 13,171–173 13,171 ff. 13,171 13,254 ff. 13,260–266 13,281 13,288–298 13,293–296 13,294 13,297 f. 13,308 13,311–313 13,311 13,320 13,380–383 13,380 f. 13,401 13,407 13,408.409.410 f.
143 143 144 143 144 143 131 145 146 88 88 42 f. 146 126 122 148 146 44 146 150 598 134 127 152 152 479 152 151 611 151 367 151
665
Stellenregister (Ant.) 13,411–418.432 14–17 14 14,9 14,22–24.41 14,59.65–68 14,71 ff.75 f. 14,77 14,82–88 14,91.92–97 14,100 ff.105–109 14,106 f. 14,119 f. 14,120 14,128.139.143 14,159 f. 14,170.171–176 14,172–176 14,177 ff. 14,184 14,193,194 f. 14,196.199 14,201 14,202–210 14,210 14,227.228 14,247 ff. 14,274.280 14,297 ff. 14,300 14,326.327 ff. 14,330–369 14,379.384 ff. 14,387 14,403 14,413–430 14,430 14,465–488 14,467 14,489–491 14,489 15,3 f. 15,5 f. 15,5 15,9 f. 15,22.34.39 ff. 15,53–56 15,75 15,79 15,87 15,95 f.106 f.
152 49 47 51, 52 43 44 44 45 46 46 46 158 47 46 47 48 49 208 49 48 47 47 47 48 47 f. 47 44 49 49 52 50 50 50 48 45, 52 50 52 51 52 51 52 49, 208 52 58 51, 65 54 54 58 53 52 53
15,164 15,174 15,178.217 15,229 ff. 15,251 15,267–279 15,285–289 15,292–298 15,294 15,299–316 15,320–322 15,328 ff. 15,331–341 15,336 15,351–358 15,359 f. 15,365.366 f. 15,366 15,370 f. 15,370 15,371 15,373–379 15,373–378 15,373.378 15,380 15,383.387 15,390 15,402 15,408 15,421.423 15,425 16 16,1–5 16,12 ff.27–61 16,52 16,55 16,64 16,137 f. 16,150–159 16,182 f. 16,184 16,225 16,271–299 16,271 ff.286–299 16,300–394 16,335–355 16,375 ff. 17,23–31 17,28 17,41 17,42–45 17,42
55 51 55 52 54 57 65 55 58 57 54 65 55 56 55 58 65 67 66 208 131 59 66 479 58 59 160 60 158 59 60 47 65 63 47 63 65 56 68 62 51 53 58 65 53 58 55 58 83 124, 153 153 66
666 (Ant.) 153 17,43 54 17,78 66 17,149–159 58, 60 17,162 92 17,168 ff. 67 17,180 f. 53 17,182–187 69 17,188–192 52 17,192 67 17,193 69, 606 17,204 f. 606 17,207 69 17,213–218 558 17,215–218 70 17,250–298 50 17,257 70 17,261–264 70 17,272.273–277 71 17,278–284 71 17,285 73 17,289 71 17,293 69 17,300 f. 445 17,300 69 17,304–314 70 17,317–323 449 17,318–320 55 17,320 17,339.341.342–348 72 479 17,346 f. 631 17,349–353 78 17,355 108 18–20 128 18 76 18,1 78 18,2 79 18,3 77, 126 18,4–10 78, 563 18,4 ff. 126 18,11–22 128 18,12–15.16–17 129 18,18–22 161 18,21 78 18,23–25 126 18,23 79 18,26 73 18,27 520 18,28 80, 146 18,29 f. 564 18,30 80 18,31–35
Stellenregister 18,35 18,36–38 18,55–62 18,55–59 18,59 18,60 ff. 18,63 f. 18,63 18,64 18,65 ff.79 18,85–89 18,85–87 18,89 18,90–95 18,90 18,93 18,95 18,106–108 18,109–115 18,109 18,110 f. 18,110 18,116–119 18,116 18,117 f. 18,117 18,118 18,119 18,123 18,136 18,137 18,142 18,143–237 18,148 18,153 18,158–165 18,167 18,170–178 18,174–178 18,237 18,239 18,240–255 18,247 ff. 18,256 18,257–260 18,259 f. 18,262 f. 18,273–288 18,289–297 18,301 f.304–309 18,312 19,274 f.
4 74 207, 607 81 81 81, 558 207 331, 461 82 207 82, 604, 607 207, 312 83 79 78, 592 158 592 311 75 54 311 f. 83 75, 81, 298 298 331 298 f. 312 329 88 311 f. 311 83 84 311 352 449 211 400 82 83 84 76, 312 279 85 84 40 86 87 87 87 159 83
667
Stellenregister (Ant.) 94 19,276 19,280–285.286–291 87 88 19,297 f. 54 19,297 19,299–311.313–316 88 91 19,326 f. 90 19,331 89 19,332–334 124 19,332 91 19,335–337 107 19,335 ff. 91 19,338–341 88 19,342 91 19,343 92 19,345–350 91 19,345.350 ff. 92, 610 19,356 ff. 92 19,360–363 610 19,361 92, 610 19,364 ff. 93 20,5.6–14 92, 592 20,12 93, 105 20,15 f. 280 20,43–45 94 20,51 f. 93 20,97 ff. 312, 314, 369 20,97 f. 93 20,97 94 20,100.101.102 103 20,103 83 20,104 558 20,105–112 95 20,108–112 610 20,108 95 20,113–117 113 20,113 95 20,118–136 564 20,118 ff. 20,118 146 f., 278 95 20,121.124 103, 158 20,131 96 20,135.136 105 20,138 96 20,142 f. 105 20,143 106 20,145 f. 105 20,159 20,160 96 f. 97 20,161.163 f. 98 20,167 f. 100 20,168
20,201 20,206 f.208 ff. 20,211 20,212 20,213.214 20,215 20,216–218 20,219–222 20,220 20,222 20,248 20,249 20,251 20,252 20,257
312 100 101 103 102 98, 102 102 106 158 103 591 79 132 128, 134, 592 286, 577, 599, 603 10, 34 102, 207, 453, 461, 594, 616 103, 124 103 520 107 103 104 107 107 58 105 52 72 72, 76, 117, 122 104, 609 64, 104, 108, 609
Contra Apionem 1,1 1,55 2,1 2,77 f. 2,154 2,165 2,180 f. 2,187 2,194 2,196 f. 2,217 2,218 2,296
22 232 247 232 85 131 122 131 598 89, 592, 598 85 598 124 232
De bello Judaico 1,62 f.64 1,88 1,96–98
146 558 611
20,169–172 20,172 20,173 20,180 f. 20,182 ff. 20,186 20,188 20,189–196 20,194 20,197–203 20,197 f. 20,198 20,199–203 20,199 20,200 ff. 20,200 f. 20,200
668 (Bell.) 124 1,108 151 1,110–113 124 1,110 42 1,120 43 1,123 1,142 ff.150.152 f. 44 46 1,179 1,180.187.194.199 f. 47 48 1,204–211 49 1,220 f.225 50 1,248–273 50 1,270 ff. 50 1,303–313 52 1,313.344 51 1,353.357 52, 58 1,358 53 1,360–362 55 1,396 58 1,400.401–428 55 1,403.408–415 56 1,412.414.415 57, 107 1,422 58 1,426 f. 52 1,431 55 1,433 f. 1,437 54 f., 318 52 1,441–444 53 1,477 52 1,478 50 1,484 53 1,513–551 55 1,544 ff.550.551 65 1,570.573 66 1,648–653 124 1,648 92 1,656 ff. 67 1,659 f.666 53 1,661–664 52 1,665 69 1,668 f. 69, 606 2,4 69 2,5–13 606 2,7 558 2,10–13 69 2,30 50 2,46 70 2,49 f.55–79 70 2,56 71 2,63 ff. 72 2,64 71 2,65
Stellenregister 2,68 2,73 2,75 2,80–92 2,90 ff. 2,93–100 2,111 ff. 2,117 f. 2,117 2,118 2,119–161 2,119 2,120–161 2,121 2,124 2,136 2,137–142 2,152 f. 2,155 2,159 2,162 f. 2,164 f. 2,166 2,168 2,169–174 2,169 f. 2,169 2,175 ff. 2,181 ff. 2,184 2,193–202 2,197 2,203 2,215 f. 2,218 f. 2,220 2,223–227 2,224–227 2,228–231 2,228 2,232–246 2,232 ff. 2,232 2,238 2,243 2,246 2,247 2,252 2,253.254 ff.256 2,259 2,261–263 2,261 f.
73 71 612 69 69 70 72 76 76, 277 77, 126, 563 129 122 f., 125 123 161 124, 303 479 125 165 166 479 123 f. 125 125, 154 520 81 4 277 81, 558 76 85 87 85 87 83 91 94, 277 558 95 95 113 95, 146 564 147, 278 95 103 96 277 105 97 98 312 100
Stellenregister (Bell.) 57 2,266–270 2,266 56 f. 102 2,270 f. 103 2,272 f.274 ff. 104 2,279 57 2,284–292 102 2,284 609 2,306 109, 609 2,308 109 2,309–314 106 2,310–314 109 2,333.334.338 f. 609 2,342 f. 110 2,342 ff. 48 2,345–401 107 2,345 107 2,401 110 2,406 f.408 159 2,409–417 110 2,409 f. 158 2,409 105, 110 2,421 111 2,427 103 2,429 78, 110 2,433 f. 77 2,434 103 2,441 111, 370 2,444 111 2,447 112 2,454.456 114 2,457–480 520 2,507 ff. 558 2,515 114 2,531 f.539 f. 114 2,540–555 319 2,556 114 2,559 ff. 115 2,562–565 74 2,599 74 2,639.641 216 2,649 f. 78 2,651 295 3,30 ff. 58 3,36 3,43 275 115 3,69 f. 147 3,307–315 3,336–339.361–391 277 319 3,368 116 3,399–402 319 3,423
520 3,443 3,519 282 319 3,525.527 277 4,78–83 4,121 ff.135–146 116 4,147–150.153–157 116 208 4,159 78 4,160 4,226.229.245.273 116 78 4,302 ff. 117 4,316–318 620 4,317 117 4,318.321 116 4,347 117 4,366 607 4,369–373 118 4,369 607 4,377 f.383 118 4,389–397 118 4,491 160 4,505 62 4,531 ff. 160 4,538 4,550–555.573–577 118 119 4,575 f.577–584 4,588 ff.592–621 118 116 4,622–629 119 5,2.5 ff. 119 5,14–20.21.27 119 5,71–74.98–105 124 5,145 50 5,162 157 5,228 158 5,230–237 120 5,362–419 118 5,527–533 120 6,93 f. 106 6,114 61 6,125 f. 83 6,216 120 6,285 119 6,286 120 6,288 47, 120, 591, 609 6,300–309 578 6,300 ff. 385 6,301 601 6,302–305 385 6,304 103, 609 6,305 385 6,306.309 130 6,310 112, 298 6,312 f.
669
670
Stellenregister
(Bell.) 6,351 6,366 7,23 7,26–36 7,118.154 7,205 f. 7,218 7,253 7,262–274 7,320–388 7,361–369 7,389–406 7,389–401 7,421
98, 101 98 520 120 120 98 159 77 127 111, 127 114 277 111 120
Vita 1 f. 5 10–12 10 11 12 13–16 15 16 24.25 29 30 ff. 33 63 65–67 74 80 118 f. 134 145 169 189–207 190–203 190–194 190 191 197 ff. 197 f. 235 241 258.262 268 ff. 271.277.278 280.284 293.294.296
157 72 129 124, 129 315, 318 131, 155 101, 114 319 106 114 115 295 104 159 74 520 159 58 74 147 74 130 280 154 208 124 154 155 275 147 129 147 74 74 74
300.313 317 ff. 359 362.364–367 381 403 408 420 422 430
74 147 105 108 74 282 104 613 159 232
Nikolaus von Damaskus Historiae (FGrH 90) 196 F 125–130 51 F 135 53, 65 F 136 Philo In Flaccum 25 34 36–39 40 41
83 84 84, 610 83 84
Hypothetica (Euseb, praep. ev. 8,11) 122, 131 11,1–18 123, 303 11,1 161 11,14 f. Legatio ad Gaium 144 f. 155 f. 157 162 188.198 199–202 199 207.213 222 ff. 225–242 232 245–253 254–260 265 268 276–329 287.290 299–305 299 f. 302 317
59 f. 44 85, 159 85 86 84 83 86 86 86 85, 159 86 86 86 90 86 87 81, 607 75 620 85, 159
671
Stellenregister 333 f. 346
87 85
1,81 f.117 1,168
157 159
De praemiis et poenis 64 152
De vita contemplativa 161 32 f.68.83.87 f.
Quod omnis probus liber sit 123, 129 75 303 76
De vita Mosis 2,41–44
64
Pseudo-Philo De Jona De Sampsone
377, 379, 398 377
De specialibus legibus 434 1,51
V. Neues Testament Matthäus 1 1,1–16 1,5 f. 1,18–25 1,18 ff. 1,19 1,20 1,21 1,23 2 2,2 ff. 2,3.7 2,13–23 2,15 2,16–18 2,16.19 2,22 f. 2,22 2,23 3 3,2 3,3 3,4 3,4c 3,5 3,6 3,7–10 3,7 3,8.9 f. 3,9 3,10 3,11 f. 3,11
172, 234, 282, 292, 297 292 199 285 234, 288 234 292 234, 285, 305 282 3, 172, 234, 282, 297 292, 605 345 285 210, 452 67 345 282 72 281 297 304 f., 313, 325, 372, 407 f. 252, 303 318 318 303 305, 313 303, 305 205, 235, 304, 443, 561 316 328, 452 306, 328, 443 503 305, 307, 331, 429, 512
306, 443 283, 320 320 205, 234 f., 305, 320 f., 437, 451 3,16 f. 320 321 3,16 322 3,17 4 542 4,1–11 322 f. 511 4,3 486 4,5 ff. 511, 589 4,6 437 4,8–10 322 4,12 f. 308, 363 4,12 360 4,13–17 280, 283, 286, 347, 4,13 361 273 4,15 4,17 304 f., 313, 325, 372, 407 f. 349, 360 4,18–22 4,18 648 335, 361 f. 4,19 4,21 648 4,23 f. 461 f. 327, 350, 470 4,23 236, 247 4,24 f. 330 4,24 330, 554 4,25 5–7.10.13.18.23–25 225 234 5–7 437 5,1–7,27 233 5,1 f. 413 5,2 ff. 388 5,3–12
3,12 3,13 3,14 f. 3,15
672 (Mt) 5,3–11 5,3 5,4–9 5,4 5,5 5,6 5,7 5,10 5,11 5,12 5,13 ff. 5,16 5,17–48 5,17–20 5,17 ff. 5,17 5,18 5,20 5,21–48 5,21 ff. 5,21 5,22 5,23–26 5,23 f. 5,27–30 5,29 f. 5,32 f. 5,32 5,33–37 5,35 5,36 5,38–42 5,38 5,39 5,44 5,45 5,46 f. 5,46 5,47 5,48 6,1 f. 6,1 6,5 6,7 6,8 6,9–13 6,9 6,10 6,10b 6,11 6,12
Stellenregister
333, 426 332, 334, 382, 413 426 382 379 234, 305, 382, 437, 451 204 305, 426, 437, 451 382, 426, 534 440 f. 234 458 236 436, 453 234 213, 305, 388, 505 229 234, 305, 425, 437, 451 446 449 504 306, 444 449 420, 566 446 395, 444 421 421, 447 447 417 421 450 449 450 241, 434 419, 451, 458 388 440 f., 502 f. 264 419, 435, 446, 458 441 458 441 264 448 391 417, 457 423, 431 587 448 204, 449, 450, 566
6,14 f. 6,14 6,16 6,22 f. 6,24 6,25–34 6,25–33 6,25 ff. 6,26 6,28 ff. 6,30 6,31 f. 6,32 6,33 7,1 ff. 7,1 f. 7,1 7,3–5 7,7–11 7,7 7,11 7,12 7,13–27 7,15 7,16–20 7,16 ff. 7,16b 7,19 7,21–23 7,21 f. 7,21 7,22 f. 7,22 7,24–27 7,24 ff. 7,28 f. 7,28 7,29 8,2–4 8,4 8,5–13 8,5 ff. 8,11 f. 8,11 8,12 8,14 f. 8,16 f. 8,16 8,17 8,18–22 8,19 f. 8,20
449, 458 204, 359 441 432 448 382 420 448 391, 421 391 475 450 458 448, 451 413 450 204 450 457 566 433, 448, 457 f. 204, 234, 419, 436 436 221 399 416, 433 402 304, 306, 328, 444 432 234 425, 458 478 465 379, 398 432 351 358 465 462 512 463 277 316, 415, 425 424 234, 335, 444 336, 462 462 461 470 364 530 535
673
Stellenregister (Mt) 8,21 f. 8,23–27 8,26 8,27 8,28–34 8,28 8,34 9,1–8 9,1 9,2 9,4 9,6 9,8 9,9 9,10 ff. 9,10 f. 9,11.12 f. 9,13 9,14 ff. 9,14 f. 9,15 9,18 f. 9,18 9,20–22 9,22 9,23–26 9,23 9,26 9,27–31 9,27 9,28 f. 9,28 9,33 9,34 9,35 9,36 9,37 10 10,1–42 10,1 10,2 10,3 10,4 f. 10,4 10,5 ff. 10,5 f. 10,5 10,6 10,7–15 10,7 f.
290 350, 463 475 472 462 348, 648 353 462, 465 347 456, 474 463 413, 466, 534 466 236, 363, 370 414 334 502 234, 448 318 301 412 462 257, 277, 619 462, 478 474 462 619 247 462, 475, 551 257, 648 474 359 472 331 327, 461, 470 334, 357, 374, 427 373 f. 366 372 372, 470 637 73, 236, 363, 369, 370, 466 441 370, 579 372, 470 26, 263 f., 649 226, 328, 353–355, 564 334, 353, 357, 427 330 372
10,7 10,10 10,10b 10,11–13.14 f. 10,14 10,15 10,16 10,17 10,20 10,21 10,23 10,26 10,28 10,29–31 10,29 10,32 f. 10,32 10,33 10,34–36 10,34 10,35 f. 10,35 10,37 f. 10,37 10,38 10,39 10,40–42 10,40 f. 10,40 10,41 f. 10,42 11,2 ff. 11,2 11,3 11,4–6 11,4 f. 11,4 11,5 f. 11,5 11,6 11,7 f. 11,7 11,9 11,10 11,11 11,11b 11,12 ff. 11,12 11,13 11,14 11,16–19 11,16 f.
313, 325, 372, 407 f. 372, 440 199, 373 f. 373 372 439 205, 402 90 458 290 263 f., 538 387 444 421 458 445, 458, 534 427, 538 538 229, 290 388, 503 f. 503 364 438 290, 363 f. 229, 364, 438, 516 423 375, 388 375 374, 504 441 439 f. 308, 331 310 338 466 467 306, 430, 467 393 327, 333, 413, 428 427 278 312 325, 337 303, 307 174, 306 337 300 337, 416, 423, 447 337 302, 338 338, 393 404
674 (Mt) 11,16 11,18 f. 11,18 11,19 11,20–24 11,20–23 11,21–24 11,21–23 11,21 ff. 11,21 f. 11,21 11,23 f. 11,23a 11,24 11,25–30 11,25 f. 11,25 11,27 11,28–30 11,28 11,29 12,1–8 12,5 f. 12,7 12,8 12,9–14 12,15 f. 12,15 12,16–21 12,18 12,22 f.(–30) 12,24–30 12,24 12,25 12,27 f. 12,27 12,28 12,29 12,32 12,33 12,34 12,34b 12,35–37 12,38–42 12,38 f. 12,39 12,40 12,41 f. 12,43–45 12,43
Stellenregister
469 309, 334, 336, 535 318, 331 334, 393, 414, 426, 455, 502, 530, 540 372 465 390 443, 476 347 330, 353 326, 465 465 465 373, 443 392 417, 454 439, 452, 457 f. 238, 458, 542 505 332, 439 229, 378, 439, 505 419 535 234, 448, 502 394, 534 419, 462 461 470 469 357 462 487 331 463 429 479 331, 408, 429 429, 512 426, 536, 541 205 304 420 420 469 486 99, 463 530 389, 443 470 323
12,45 12,46–50 12,48 12,49 f. 13 13,1–3 13,3–9 13,3 ff. 13,11 13,13 13,14 f. 13,16 13,17 13,24–30 13,24 13,30 13,31 f. 13,31 13,32 13,33 13,36–43 13,40 ff. 13,40 13,42 13,43 13,44–50 13,44–46 13,44 ff. 13,44 f. 13,44.45 13,45 f. 13,47–50 13,47 13,49 13,50 13,52 13,53–58 13,54 13,55 f. 13,55 13,58 14,1–12 14,1 14,2 14,3–12 14,3 f. 14,5 14,8 14,9 14,12 14,15–21 14,21
471 289, 362 289 432 235, 414 349 415 413 534 471 476 430, 471 413 235, 405, 415, 444 404, 422 374 415, 473 404 416 404, 405, 415, 422 422, 444 306 444 234, 335, 444 413 235 412, 416 337, 454 422 404 447 422, 444 404, 422 413 234, 306, 335, 444 233, 235, 236 282, 468 350, 465 263 254, 288, 295 287, 465, 567 310 70, 205, 247, 310, 352 465, 469 301, 310 310 312 352 310 310, 360 463 490
Stellenregister (Mt) 14,22–33 14,26 14,28–33 14,28 ff. 14,28 f. 14,31 14,33 14,35 f. 14,35 15,1–9 15,3–6 15,8 15,11 15,13 15,15 15,21–28 15,21 15,22 15,24 15,29–31 15,31 15,32–38 16,1–4 16,1 16,2 f. 16,4 16,6 16,8 16,11 f. 16,13 ff. 16,13 16,16–19 16,16 ff. 16,16 16,17–19 16,17 16,18 16,21 16,24–26 16,25 16,26 16,27 f. 16,27 16,28 17,1–9 17,10–13 17,10–12 17,10 f. 17,11–13 17,12
350, 463, 490 647 463 371 233 474, 475, 490 350 461 303 454 127 205 394, 420, 433 458 233, 397, 433 264, 462 353 274 26, 263 f., 334, 353, 357, 427 462 332, 472 463 469, 486 561 428 99, 463, 471 133, 561 475 561 520 275 233 243, 519 522, 542 218, 233, 371, 520 458 236, 351, 371, 632 356, 463, 541 438 423 444 537 367, 424, 445, 538 424 463 302 306 300 310 338
17,14–21 17,14–20 17,15 17,17 17,20 17,21 17,22 f. 17,23 17,24–27 17,24 ff. 17,24 17,27 18 18,1–5 18,1 18,3 f. 18,3 18,4 18,5 18,6–9 18,6 f. 18,6 18,8 f. 18,9 18,10 18,12–14 18,14 18,16 18,17 18,18 18,19 18,20 18,21–35 18,21 f. 18,21 18,23–35 18,23 ff. 18,23 18,24 18,35 19,1 19,3–9 19,4 f. 19,6 19,8 19,9 19,13–15 19,13 f. 19,14 19,16–22
675 462 473 473 471 473, 474 f., 484, 490, 566 473 463 541 463 371 65, 159, 233 349 235, 236 439 368 439 416, 425, 427 440 374 395 f., 444 205 439 306, 425, 444, 446 444 439, 458 226, 454 439, 458 645 236, 264, 351, 371, 502 371 458 230, 540 449 371, 449 233 235, 398, 413, 422, 444, 456 417 404 108, 445 449, 458, 566 329, 356 421 446 421 446, 453 421, 447 439 427 416 363
676 (Mt) 19,16 19,21 19,23–29 19,23 f. 19,26 19,27–29 19,28 19,29 19,30 20 20,1–16 20,1–15 20,1 20,8 20,8b 20,16 20,17 ff. 20,18 f. 20,19 20,20–28 20,20 20,21 20,23 20,24 ff. 20,28 20,29–34 20,29 ff. 20,30 f. 20,30 20,33 21,1–9 21,1 ff. 21,1 21,4 f. 21,5 21,8 f. 21,9 21,10–17 21,10 f. 21,10 21,12–22,40 21,14 21,15 21,16 21,18–22 21,18–21 21,18–20 21,18 f. 21,20.21 21,22 21,23–27
Stellenregister
425 419, 435 363 425 484 440, 442 332, 367, 532 290, 363 395, 439, 441 235 235, 441 276, 374, 442 404, 422 277, 441 405 395, 405, 439, 441 357 463 540, 541, 563 368, 438 437, 616 437 464 585 199, 234, 240, 437, 440 357, 462, 475, 551 481 292 257, 551, 648 359 551 357 648 552 292, 379, 439 553 552 558 468 553 f. 557 462, 567 472 439 463 235 485 566 472 474 301, 317, 560
21,23.25 21,26 21,28–32 21,31 f. 21,31 21,32 21,33–46 21,46 22,1–14 22,1–10 22,1 ff. 22,2–14 22,2 22,7 22,10 22,11–14 22,13 22,15–22 22,15 f. 22,23–33 22,30 22,34–40 22,34 ff. 22,35 22,38 22,39 f. 22,40 23 23,2–39 23,2 f. 23,4 23,7 ff. 23,7 f. 23,8 23,9 23,10 23,11 23,12 23,13 23,15 23,29 ff. 23,33 23,34 23,37 23,38 23,39 24 24,2 24,4 f. 24,5 24,9b
561 312 304 502 336, 427 304, 451 565 312 226, 414 f., 422 445 417 f. 405 404, 414 292 415 415, 445 234, 335, 444 77, 563 563 561 630 419, 564 435 226, 419, 564, 619 435 234 435 f. 155, 226, 232, 235, 454, 568 388 263 378 232 359 358 458 358 368 440 454, 568 444 352 304, 444 90, 516 352, 517, 599 463 597 241 463 487 545 569
677
Stellenregister (Mt) 24,11 24,12 24,13 24,14 24,24 24,26 24,27–39 24,27 24,28 24,30 24,32 f. 24,35 24,36 24,37 ff. 24,37 24,39 24,42–51 24,43 24,48 24,51 25 25,1–13 25,1 25,5 25,14–30 25,23 25,30 25,31–46 25,31 f. 25,31 25,34 25,37 25,40 25,41 25,45 25,46 26,2 26,5 26,6–13 26,13 26,14–16 26,14 26,15 26,20 26,21–24 26,24 26,25 26,28 26,29 26,30 26,32
221 538 569 327, 354 221, 465, 467, 487 99 533 530, 537 402 199, 537 398 229 424, 533 389, 537 530, 537 537 532 199 333 234, 335, 444 235 235, 422, 445, 532 404 333 226, 422, 445 414 234, 335, 444 235, 398, 422, 445, 538 367, 553 424, 534 292, 425, 534 413 234, 292, 445 306, 444 445 413 463, 540 312, 558 581 327, 354, 649 579 368 580 367 464 205 232, 359, 579 234, 305, 413 367, 415, 532 583 643, 645
26,34 26,36–56 26,36 26,39 26,46 26,47.48 f. 26,49 26,51–54 26,52 26,53 f. 26,53 26,54 26,55 26,56 26,57 26,60 ff. 26,63 f. 26,63 26,64 26,64ba 26,67 26,68 26,69 26,71 26,73 26,75 27,1 27,2 27,3–10 27,3 27,5 27,6 27,14 27,15–26 27,16 f. 27,16 27,17 27,19 27,24 f. 27,24 27,27–31a 27,28 27,29 27,31 27,37 27,38 27,39–43 27,40 27,42a 27,48 f.50 27,51–53 27,51b–53
464 587 587 417, 557 408 588 232, 359 235, 589 589 589 324, 571 557 560, 588 557 571, 595 247 597 542, 597 527, 597, 604 530 599 226 210, 345 210, 281 221, 279, 385, 607 226 601 205, 593 235, 571, 579 f. 579 92 566 605 606 606 571 616 82, 235, 571 f., 608 235, 608 571 610 610 611 610, 614 578, 614 f. 608, 615 615 324 616 618 613 235
678 (Mt) 27,52 27,54 27,55 f. 27,55 27,56 27,57 27,60 27,61 27,62–66 27,62 27,63 f. 28 28,1 28,2–4 28,2 28,4 28,7 28,8–20 28,8–10 28,8 28,9 f. 28,9 28,10 28,11–15 28,16 ff. 28,16 f. 28,16 28,17 28,18 ff. 28,18 28,19 f. 28,19 28,20 Markus 1,1 1,2 f. 1,2 1,3 1,4 1,5 1,6 1,6c 1,7 f. 1,7 1,8 1,9–11 1,9 1,10
Stellenregister
571 618 336 616 368, 616, 648 619 621 648 234 f., 571 582 578, 598 173, 641 555, 648 235 642 234, 571, 642 643, 645 f. 234 630, 648 643 646, 648, 650 630 643, 645, 649 210, 234 f., 571, 642 630, 649 643 632, 645 490, 642, 646 234, 263 323, 543 236, 264, 305, 324 26, 354, 361 229, 233, 649 171, 217, 284, 300, 321, 322, 511, 518, 521–523, 627 300 252, 307 303, 522, 567 299 f., 305, 313 305, 313, 314, 336 300, 318, 329 318 300 f., 307 305, 307, 429, 512 331, 519 300, 320 283, 284, 320 321
1,11 1,12 f. 1,14 f. 1,14 1,15 ff. 1,15 1,16–7,31 1,16–20 1,16–19 1,16 ff. 1,16 1,17 1,19 1,20 1,21–39 1,21 ff. 1,21 1,22 1,23–26 1,23–25 1,23 ff. 1,24 1,27 1,28 1,29–31 1,29 ff. 1,29 f. 1,29 1,30 f. 1,32 ff. 1,34 1,34b 1,36 1,39 1,40–44 1,41 1,43–45 1,44 1,45 1,45b 2,1–13 2,1–12 2,1 2,5 2,6 f. 2,7 2,8 2,9
222, 321, 458, 511, 518, 542, 567 322 f., 513 173, 245, 327, 349, 360 300, 308, 322, 325, 351, 363 325 304 f., 313, 322, 325, 326, 407, 408 349 349, 360 368 514 218, 291, 349 335, 361 f. 253 361 351, 361 350 283, 347, 521 351, 358, 465, 489, 561 462 511 511 511 f. 174, 351, 358, 465 303 336 283, 291 347, 363 253, 291, 350 f. 462 461, 464 511 f., 522 511 645 350, 461, 464 462 420 512 420, 512 247, 513 513 513 462, 465 283, 521 222, 456, 474 514 453 463 331
679
Stellenregister (Mk) 2,10 2,13 2,14 2,15 ff. 2,15 f. 2,16 f. 2,16 2,17 2,18–20 2,18 ff. 2,18 f. 2,18 2,19 f. 2,19 2,20 2,21 f. 2,23–28 2,23 f. 2,23 2,24 2,25–28 2,27 f. 2,27 2,28 3,1–6 3,1–5 3,1 3,6 ff. 3,6 3,7–9 3,7 f. 3,7 3,8 3,10–12 3,10 ff. 3,11 f. 3,11 3,12 3,13–15 3,14 3,15 3,16–19 3,16 f. 3,16 3,17 ff. 3,17 3,18 3,19 3,20–35
413, 466, 514, 530, 534 349, 521 363, 369 f., 645 414, 581 334 241 132, 426, 453, 502, 575 394, 418, 454, 502, 514 301 318 309, 336 329, 337, 360, 575 514 222, 308, 402, 412 221, 464, 520, 540, 581 174, 301, 402 419, 535 132 344 575 514 132, 394 394 530, 534 132, 350, 419, 453, 462, 534 513 521 366 27, 132, 133, 514, 540, 561, 575 349, 366 330 329 247, 353 512 461, 464 511, 522 522, 542 511, 512, 523 365 366 f., 372 466 328, 515 587 362, 632 382 253, 355, 371, 478 73, 236, 291, 369, 370 225, 370, 579 366
3,20 3,21–34 3,21 3,22–30 3,22–27 3,22 3,23 3,24–26 3,27 3,31–35 3,31 ff. 3,34 f. 4 4,1 f. 4,2 4,3–9 4,3 ff. 4,3 4,9 4,10–12 4,10 4,11 f. 4,11 4,11b 4,12 4,13 4,22 4,23 4,24 4,26–29 4,26 ff. 4,26 4,28 4,29 4,30–32 4,30 ff. 4,30 f. 4,30 4,32 4,33 f. 4,33 4,34 4,35–41 4,35 ff. 4,40 4,41 5,1–20 5,1 5,6 ff. 5,7 5,17.18–20
225, 283, 366 354 29, 254, 267, 289 f., 635 290 374, 487 331, 514, 568, 575 403 471 429, 471, 512 289, 362 290, 635 432, 515 414 349 397, 403 415 413 205, 403 471 354, 472 367, 515 471, 515 515, 534 397 476, 515 515 387 471 450 405, 415, 422 403 422 423 374 415 403, 405 404, 422 404 416 354, 397 397, 515 515 350, 463, 496 349 515 222, 262, 268, 476 462 348, 349, 521 512 511, 522, 542 353
680 (Mk) 5,19 5,20 5,21–24 5,21 5,22 5,25–43 5,25–34 5,34 5,35–43 5,35 5,37 5,39 5,40 5,41 6,1–6 6,1 6,2 6,3 6,4 f. 6,4 6,5 f. 6,5 6,6b–13 6,7–13 6,7–12 6,7 ff. 6,7 6,8 f. 6,11 6,12 f. 6,12 6,14–29 6,14–16 6,14 f. 6,14 6,14b.15 6,17–29 6,17 f. 6,18 6,20 6,21 6,22 6,24 6,25 f. 6,25 6,30 f. 6,30
Stellenregister
365, 522, 567 472, 489 462 349 257, 277, 619 478 420, 462 474 462, 496, 513 619 253, 368, 514, 587 496 513 382, 478 282, 283, 286, 294 f., 366, 468, 567 284, 521 286, 350, 465, 489 254, 263, 284, 285 f., 288, 294 295 287, 468 287, 474 267, 287, 465, 470, 475, 567 301, 372 470 366 366, 372 367, 372, 466 372 373 f. 372, 464, 466 326 310, 352, 366 301, 310 513, 521 279, 300, 310, 313, 330, 354, 469 301 279, 301, 310 310 311 310, 312 311 310 300 310 300, 313 301 366, 637
6,31 f. 6,32 f. 6,34 6,35–44 6,44 6,45–52 6,45 ff. 6,45 6,46 f. 6,46 6,49 f. 6,49 6,52 6,53 6,55 f. 6,56 7,1–13 7,1–5 7,1 ff. 7,1 7,3 7,4 7,5 7,6 7,8–13 7,15 7,16 7,17 7,24–30 7,24 ff. 7,24 7,26 7,27 7,28 7,31–37 7,31 7,32–37 7,33 ff. 7,33 f. 7,33 7,34 7,37 8,1–9 8,1 ff. 8,2 f. 8,10 8,11 f. 8,11 8,12 8,14–21 8,14 8,15
513 349 334, 357, 374, 427 463 490 350, 463, 490 349 347, 352, 365 513 365 322 647 350, 516 348 461 464 454 132 247 132, 290, 575 127 298 127 205, 252 127 394, 420, 433 471 397, 433, 521 264, 462, 513 26, 328 276, 352 f. 274, 295 353 360, 567 462 276, 349, 352 f., 513 513 478 267 513 382, 477 f., 513 332, 489 354, 463 354 365 283, 348, 349 469 323, 486, 575 469 171 349 133, 561
Stellenregister (Mk) 8,17 8,18 8,22–26 8,22–25 8,22 ff. 8,22 8,23 ff. 8,26 8,27–33 8,27–30 8,27 8,28 f. 8,28 8,29 f. 8,29.30 8,31–33 8,31 ff. 8,31 8,32 f. 8,33 8,34–38 8,34–36 8,34 8,35 8,36 8,38 9,1 9,2–10 9,2–8 9,2 ff. 9,2 9,3–7 9,5 f. 9,7 9,9 9,10 9,11–13 9,11 f. 9,12 f. 9,12 9,12b 9,13 9,14–29 9,14–27 9,14 ff. 9,19 9,20
516 471 267, 462 513 347 352, 353 478 512 354, 520 520 275 f., 353 f., 520, 521 173 300 f., 313, 359, 468, 513, 522 222 522 516, 545 212 222, 356, 463, 530, 540, 575, 631 171 523 516 438 222 327, 387 444 426 f., 445, 469, 471, 537 f., 553, 566, 568 221, 328, 423, 426, 531, 532, 536 f. 463 522 322, 365 253, 353, 368, 514, 587 567 516 222, 322, 511, 518 f., 542 171, 353, 519, 522 516, 519 301, 302, 306 300 310, 540 540 530 338 462, 476 513 516 171 511
9,22b 9,23 f. 9,23 9,28 f. 9,29 9,30–32 9,30 9,31 9,31a 9,32 9,33–37 9,33 ff. 9,33 f. 9,33 9,34 9,35 9,37 9,38 f. 9,38 9,39 9,40 9,41 9,42–50 9,42–48 9,42 9,43–48 9,43–47 9,43 ff. 9,43 9,45.47 9,50 10,1 10,2–12 10,2–8 10,2 10,5 10,6 10,7 10,9.12 10,13–16 10,14 f. 10,15 10,17–22 10,17 10,18 10,21 10,23–30 10,23–25 10,27 10,28–30 10,29
681 473 476 424, 474 476 474, 477 438 521 355, 396, 530, 540, 541, 631 463 171, 516 439 516 368 283, 521 359 367, 439 374, 388, 504 478 218 465 241 375, 440 f., 519, 521–523 395 444, 516 204, 439 402, 446 425 444 306, 425 425 225 225, 329, 356 421 447 323 453 446 447 421 427 416 427, 439 363 425, 521 267 416, 450 363 425 484 440, 442 290, 327, 363
682 (Mk) 10,30 10,31 10,32 ff. 10,32 10,33 f. 10,33 10,34 10,35–45 10,35 10,37 10,38–40 10,38 f. 10,38 10,39 f. 10,41–44 10,41 ff. 10,41 10,43 f. 10,45
10,46–52 10,46 ff. 10,46 10,47 f. 10,51 10,52 11,1–14,52 11,1–10 11,1 ff. 11,1 f. 11,3 11,7–10 11,8 11,9 f. 11,9 11,11 f. 11,11 11,12–14 11,13–12,34 11,13 11,15–12,28 11,15–19 11,15–17 11,16 11,17 f. 11,17 11,18 11,19 11,20–25
Stellenregister
426 439, 441 357 171, 367, 516, 521 463, 540 575 631 368, 438, 516 253, 371 437 517 387, 463, 503, 540, 545 319, 355 464 439 585 253 395 199, 222, 355, 437, 469, 505, 530, 534, 540, 541, 545, 552, 574, 584 f., 586, 618 357, 462, 481, 513, 551 257, 522 356, 382, 481, 553 292, 551 292, 359 474 555 551 f. 357 357, 553 325, 567 553 553 548, 553 331 325, 521, 553, 558 346, 367 463, 485, 566 557 416 556 558 164, 559 560 350 560, 596 489, 557, 575 f., 579 555 463
11,20 f. 11,20 11,22–24 11,22 f. 11,22 11,23 11,24 11,25 11,27–33 11,27 11,28 ff. 11,28.30 11,30 ff. 11,32 12,1–12 12,1–9 12,1 ff. 12,1 12,3 12,6–9 12,6 ff. 12,6 12, 9a.10 f. 12,12 12,13–17 12,13 ff. 12,13 12,13b 12,15 12,18–27 12,18–25 12,18 12,23 12,25 12,26 f. 12,28–32 12,28–31 12,28 ff. 12,28 12,29 12,32 12,34 12,35–37 12,35 12,36 f. 12,37 12,37b 12,38–40 12,40 12,41–44 13
416, 485 555, 566 566 472 456 490 474 449, 458, 566 301, 317, 560 555, 575 f. 466 561 346 300, 312, 632 565 517, 543 276 403 581 540 519 565, 567 565 312, 579 77, 133, 547, 563 595 27, 568, 575, 577 563 323 125, 132, 561, 630 425 562 519 562, 630 452 419 435 418, 564 226, 568, 619 418 568 567, 619, 561 293, 567, 598 252, 519, 522 f., 560, 568 519, 522 561, 579 567 568 566, 568 158, 566 85, 121, 568
Stellenregister (Mk) 13,1 f. 13,1 13,2 13,3–37 13,3–27 13,3 13,5–13 13,5 f. 13,5 13,6 13,7 f. 13,9 ff. 13,9 13,10 13,11 13,12 f. 13,12 13,13 13,14–23 13,14–19 13,14 13,19 13,20 13,21 13,22 13,24–27 13,24 ff. 13,26 f. 13,26 13,28–32 13,28 f. 13,28 13,30 13,31 13,32 13,34 f. 13,37 14,1–16,8 14 14,1 f. 14,1 14,2 14,3–9 14,3–6 14,3 f. 14,3 14,6 ff. 14,8
120, 216, 560, 596 61 f., 115, 554 47, 463 464 464 253, 291, 368, 514, 587 221 487 416 545 f. 118 520 90 10, 222, 264, 327, 353 f., 568, 581, 603, 649 649 516 290, 364 569 216 116 216, 222 516 522 522 f., 545 f. 99, 221, 465, 467, 487, 547 568 566 426, 538, 553, 568 537 416 398 403 469 229 424, 511, 533, 543 398 555 220 571 312, 555, 579 540, 574, 575 f., 578, 580 558 555, 580 556 581 325, 346, 357, 553 581 540
14,9 14,10 f. 14,10 14,11 14,12–16 14,12–15 14,12 ff. 14,13 ff. 14,15 14,17 14,18–21 14,18 f. 14,20 14,21 14,22–24 14,22 ff. 14,24 f. 14,24 14,25 14,26–30 14,26 14,27 14,28 14,29 f. 14,29 14,30 14,32–52 14,32 14,33 14,35 f. 14,36 14,37 14,38 14,39 14,40 f. 14,40 14,41 f. 14,41 14,42 14,43 ff. 14,43 14,44 f. 14,47 14,48 14,49 14,50 14,51 f. 14,53–65
683 10, 171, 217, 221, 222, 264, 327, 353 f., 520, 603, 627, 649 555, 579, 580 367 f., 575, 579 540, 580 552 346 555 325 583 367 464 516 367 204, 396, 540 222, 233 355 174 305, 545, 574, 584, 618 367, 414 f., 424, 532, 562, 585 241 521, 583, 587 516, 545 643, 645 212 516 395, 464 587 346, 587 253, 368, 514 557, 574 5, 199, 382, 417, 431, 457, 478, 545, 587 516, 584 395, 516 587 584 516 574 287, 540 325, 408, 589 574 367 f., 575, 588 588 588 f. 574, 588 556 f., 560, 573, 594 516, 588, 590, 644 218, 590 595–600
684 (Mk) 14,53 ff. 14,53 14,54 14,55 14,56 ff. 14,57 f. 14,58 14,60–64 14,60 f. 14,61 f. 14,61 14,62 14,62ba 14,64 14,65 14,68 ff. 14,69 f. 14,70 14,72 15 15,1 15,2 15,3 15,5 15,6–15 15,7 15,8 ff. 15,10 f. 15,15–20a 15,15 15,16–20 15,16 15,17 15,18 15,20 15,21 15,25 15,26 15,27 15,29–32 15,31 f. 15,31 15,31b 15,32 15,33 f. 15,33 15,34 15,35 f. 15,35.36 15,37 15,38 f.
Stellenregister
593 575, 594 591 575, 594 247 558 164, 557, 560, 578, 595 89 605 568, 597 321, 511, 522 f., 542, 597 538, 539, 592, 597, 604 530 594 599, 601 516 221 210, 279, 345, 607 226 571 82, 575 f., 601 577 575 605 606 558, 606, 615 607 575 608 608, 609 610 566 610 611 610, 614 256, 438, 614 616 578, 614 f. 608, 615 615 487 575 616 522 f., 615 616 200 382, 392, 478, 587, 617 617 618 596, 618 574
15,38 15,39 15,40 f. 15,40 15,42 15,43 15,46 15,47 16,1–8 16,1–4 16,1 f. 16,1 16,2 ff. 16,5–7 16,7 16,8 16,9–20 16,9 16,11 16,14 16,15 ff. 16,17 f. Lukas 1 1,1 1,2 1,3 1,5 ff. 1,5 1,8–23 1,9.13–17 1,15 1,16 f. 1,17 1,17a 1,18–22 1,19 1,26 1,31 1,32 f. 1,36 1,37 1,39 ff. 1,39 1,43 1,44 1,59 1,65.67–69 1,75
560, 596 511, 518, 542, 618 336 257, 368, 616, 648 582 257, 576, 599, 619 f. 621 648 641–644 650 555 581, 616, 621, 648 641 642 218, 520, 641, 643, 645 f. 643 f., 649, 650 644 645, 648 644 632, 649 649 486 172, 234, 282, 301, 618 218, 226, 232, 380 11, 220, 256, 626 203 302 3, 157, 285, 293, 302, 345 62 302 302, 318 302, 317, 326 302, 306, 338 330 486 327 345 285 26 285, 293 484 285 302 285 302 249 302 451
685
Stellenregister (Lk) 1,77 1,78 1,80 2 2,1–4 2,1 ff. 2,1 2,2 2,4 2,7 2,7b 2,11 2,14 2,21 f. 2,21 2,22–38 2,22–24 2,34 f. 2,34 2,35 2,36 2,39 2,40 2,41–51 2,42–49 2,46 f. 2,49 2,52 3 3,1 ff. 3,1 f. 3,1 3,2 3,3 3,4 ff. 3,4 3,7–9 3,7 3,8 f. 3,8 3,9 3,10–14 3,12 f. 3,15 f. 3,16 f. 3,16 3,17 3,18 3,19 f.
305 302 302 172, 234, 282, 618 281 76 196, 277 593 345 285 287 26 553 420 249 62 559 287 26 289 336 345 287 287, 558 62 287, 358 62 287 225, 292 302 3, 317, 346 70, 72, 205, 277, 310 f., 556, 593 79, 571, 591, 595 299 f., 303, 305 303 252 303 336, 443 316 316, 328 306, 443 f. 304 304 305 503 305, 307, 331, 429, 512 306, 443 f. 327 308, 309, 310, 322, 351, 363
3,19 3,21 f. 3,21 3,22 3,23–38 3,23 3,27 3,32 4 4,1–13 4,3 4,5–8 4,6 4,9 ff. 4,9 4,10 f. 4,13 4,14–30 4,14 f. 4,14 4,15 4,16–30 4,16 4,17–21 4,17–19 4,17 4,18–27 4,18–21 4,18 ff. 4,18 4,19 4,23 4,30 f. 4,30 4,31–44 4,31–37 4,31 4,32 4,33–35 4,34 4,36 4,37 4,38 f. 4,40 f. 4,44 5,1–11 5,1–3 5,8–10 5,8 ff. 5,8 5,10 5,12–14
70, 205, 277, 310 f. 310, 320, 322 283, 320 f. 321 f. 292 3, 292, 344 f. 293 199 542 322 f. 511 437 610 486 511 589 324 361 361 247, 303, 322, 345 350 282, 287, 350, 468 280, 286 333 332 252 468 165 514 332 f., 412 f. 344 295, 361, 397 286 287 361 358 283, 345 351, 358 462 281, 511 358 247, 303 336, 462 461, 464 330, 345, 350, 554 345, 349, 361, 463 349 313 233, 514 362, 514, 516, 564 253, 335, 362 462
686 (Lk) 5,14 5,15 5,17–26 5,17 5,20 5,21 5,22 5,24 5,27 f. 5,27 5,29 ff. 5,30 5,31 f. 5,32 5,33–35 5,33 ff. 5,33 5,34 5,36–38 6,1–5 6,4 6,5 6,6–11 6,12 ff. 6,12 6,13 6,14 6,15 6,16 6,17–19 6,17 ff. 6,17 f. 6,17 6,20–8,3 6,20–49 6,20–26 6,20 ff. 6,20 f. 6,20 6,20b–22 6,21 6,22 6,23 6,26 6,27 f. 6,27 6,29 f. 6,31 6,32 ff. 6,35 6,36–38
Stellenregister
512 464 462, 465 330, 345, 554 456, 474 132 463 413, 466, 534 363 369 414 132, 318, 334, 502 502 326 301 318 337 412 174 419 240 394, 534 419, 462 366 365 365, 366, 370 73, 253, 362 111, 236, 370 369, 370, 579 366 461 247 330, 345, 366, 436, 554 225 234, 436 388 333, 413, 425 414 332, 334, 366, 413, 425 366 415, 425, 562 388, 534 415, 440, 562 241 434 446, 504 450 204, 419, 436 388 419, 440, 451 204, 413
6,36 6,37 f. 6,39 6,41 f. 6,43 f. 6,44b 6,45 6,46 6,47–49 6,47 ff. 7,1–10 7,2 ff. 7,9 7,11–18 7,11–17 7,11–16 7,11 ff. 7,11 7,16 7,17 7,18–23 7,18 ff. 7,18 f. 7,21–23 7,21 f. 7,21 7,22 f. 7,22 7,23 7,24 f. 7,24 7,25 7,26 7,27 7,28 7,29 f. 7,29 7,30 7,31–35 7,31 f. 7,31 7,33 f. 7,33 7,34 7,35 7,36–50 7,36–39 7,36 ff. 7,36
419, 435, 458 450 397 413, 450 399, 416, 433 402 420, 433 379, 432 379 398, 432 328, 463, 466 277 505 466 496 463 348 282 514 303, 330, 345, 554 165 308, 331 360 466 467 462, 466 393 327, 333, 413, 428, 430, 467 393, 427, 468, 504, 538 278, 352 312 74 325, 337, 505 303, 307 174, 306, 337, 505 304, 427 304 374 338, 393 404 469 309, 334, 336, 535 302, 318, 329, 331 334, 377, 414, 426, 453, 455, 502, 530, 540, 581 393, 535 132, 334, 362, 456, 581, 648 133 336 582
Stellenregister (Lk) 7,38 7,39 7,40 ff. 7,40 7,41 7,46–50 7,48 8,2 f. 8,2 8,3 8,5–8 8,5 ff. 8,10 8,17 8,19–21 8,19 ff. 8,21 8,22–25 8,22 f. 8,25 8,26–39 8,26 8,33 8,37 8,38 f. 8,40–42 8,41 8,43–56 8,43–48 8,48 8,49–56 8,51 9,1–6 9,1 ff. 9,1 9,2 9,5 9,7–9 9,7 f. 9,7 9,9 9,12–17 9,18 9,20 9,22 9,23–25 9,23 9,25 9,26 f. 9,26 9,27
581 304, 468, 514 456 582 403 534 413, 453 75, 231, 462, 488, 648 648 257, 277, 310 415 413 471, 534 387 285, 289 362 432 350, 463 349 472, 476 462 348 349 303, 353 353 462 257, 277 478 462 474 462 253 372, 470 372 466 372 372–374 310 352 70, 205, 277, 310, 469 310, 354 463 520 522 233, 356, 463, 541, 631 438 448, 516 444 538 427, 445 505
9,28–40 9,28–36 9,28 9,31 9,36 9,37–43 9,37 9,41 9,43 9,44 9,46–48 9,46 9,48 9,51–19,27 9,51–18,14 9,51–56 9,51–53 9,51 ff. 9,51 9,52–56 9,52 ff. 9,52 9,53 9,54 9,57–62 9,57 f. 9,58 9,59 f.61 f. 9,62 10 10,1–12 10,1 ff. 10,1 10,2 10,3–12 10,4–6 10,4 10,7 10,8 10,9 10,10 ff. 10,11 10,12 10,13–15 10,13 ff. 10,13 f. 10,13 10,15 10,16 10,17–20 10,18–20
687 552 463 253 356 302 462, 473 302 471 472 f., 489 463 439 368 374 329, 345, 521 225 147 147 372 540 345, 356, 564 354 329, 346, 355 147 253, 371 364 530 535, 540 290 423 373 372 470 365, 632, 638 373 f. 330 373 372 199, 373 f., 440 420 313, 325, 372, 407 f., 429 373 372, 407 465, 505 372, 390, 443, 476 347 330, 353 280, 326, 465 465 239, 374 f., 388, 504 373, 429 512
688 (Lk) 10,18 f. 10,18 10,19 10,21 f. 10,21 10,22 10,23 10,24 10,25–28 10,25 ff. 10,25 10,30–37 10,30–35 10,30 ff. 10,30 10,33 10,34 10,38–42 10,38 ff. 10,40 11,1 11,2–4 11,2 11,3 11,4 11,5–13 11,5 ff. 11,5 11,8 11,13 11,14(–23) 11,14 11,15–23 11,15 11,16 11,17 11,19 f. 11,19 11,20 11,21 f. 11,24–26 11,24 11,27 f. 11,28 11,29–32 11,29 f. 11,29 11,30 11,31 f.
Stellenregister
518 322, 471 449, 466 392, 417 417, 427, 439, 452, 454, 457, 535 238, 458, 542 430, 471 413, 505 419 435 226, 323, 425, 564, 619 356 447, 450 564 403 354 372 231 257 581 337, 360, 417 391 417, 423, 457, 458 448 449, 450, 456 457 457 403 505 433, 457 462 472, 489 487 331 486 382, 463 429 479 331, 374, 408, 428 f., 512 429, 512 470 323 289, 362, 432 413, 536 469 535 99, 463, 471 530 389, 443
11,32 11,34–36 11,37–54 11,37 ff. 11,37 f. 11,39–52 11,42–52 11,46 11,47 ff. 11,52 12,1 12,5 12,6 f. 12,8 f. 12,8 12,9 12,10 12,11 f. 12,16–21 12,16 12,22–32 12,22–31 12,22 ff. 12,24 12,27 f. 12,28 12,30 12,31 12,32 12,35–48 12,39 12,44 12,45 12,49–52 12,49 f. 12,49 12,50 12,51–53 12,51 12,52 f. 12,54 12,56 12,57 12,58 f. 13,1 ff. 13,1 f. 13,1 13,6–9 13,6 ff. 13,6 13,10–17
326 432 133, 454 336 132 235 388 378 352 454 133 444 421 445, 534, 538 427, 539 538 536, 541 90 398, 447 403 382 420, 451 448 391, 421 391 475 458 448, 451 439, 458 532 199 505 333 229 387, 503, 517, 540 306, 503 f. 229, 319, 355, 463, 503 f., 517, 540, 545 290 388, 503 364 469 428, 469 447 449 4, 558 277 81, 558 328, 379, 399, 485, 566 416 403 350, 462, 484
Stellenregister (Lk) 13,10–16 13,14–17 13,16 13,18 f. 13,19 13,20 f. 13,20 13,28 f. 13,28 13,29 13,30 13,31–33 13,31 ff. 13,31 f. 13,31 13,32 f. 13,32 13,33 f. 13,33 13,34 13,35 13,35a.b 14,1–6 14,1 ff. 14,7–14 14,7–11 14,11.12–14 14,15–24 14,15 14,16–24 14,16 ff. 14,16 14,21 14,25–27 14,26 14,27 14,28–33 14,28–32 14,28 15 15,1 15,2 15,3–7 15,4 15,6 f. 15,7 15,8–32 15,8–10 15,9 f. 15,10 15,11–32
534 419 452 415, 473 416 405, 415, 422 404 415 234, 316, 335, 425, 444 424, 452 395, 439 229, 540 75, 279 278, 310, 352 310 354, 468 400, 631 233, 540 352, 463, 514, 517 352, 517, 599 532, 597 517 133, 350, 419, 462, 534 336 414 440 440 226, 414 f., 440, 445 562, 585 405, 422 418 403, 414 414 363, 438 290 229, 438 364, 447 423 403 233, 362, 454 502 132 226, 454 334, 403 412 327, 328, 334, 454 226 454 412 327, 328, 334 304, 454
15,11 15,20–22 15,20 ff. 15,21 15,22–25 15,23–32 15,23 ff. 15,25–32 15,25 16,1–31 16,1–9 16,1–8 16,1 16,8 16,13 16,16 16,17 16,18 16,19–31 16,19 16,22 ff. 16,23 ff. 16,24 16,29 ff. 16,30 17 17,1 f. 17,1 17,2 17,3 f. 17,5 f. 17,5 17,6 17,7–10 17,7 17,10–19 17,11–19 17,11 17,14 17,16 17,18 17,19 17,20 f. 17,20 17,21 17,22–37 17,22 17,23 f. 17,24–30 17,24 ff. 17,24 17,25
689 403 450, 455 362 564 334 412 329 441 415, 562 226, 268 447 423 403 426 448 173, 245, 268, 300, 337 229 421 447, 631 403, 448 452 444 631 268, 536 631 225 204 444 439 326 473 370 490 362, 441 403 226 462 354, 356 512 346, 354, 356 356 474 416, 428, 533 424 428, 431 533 532 546 533 426 518, 530, 537 233, 356, 463
690 (Lk) 17,26–30 17,26 ff. 17,26 17,30 17,33 17,34 ff. 18,1–14 18,1–8a 18,2 18,7 f. 18,8 18,8b 18,9–14 18,9 ff. 18,10 18,13 f. 18,13 18,14 18,15 f. 18,16 f. 18,17 18,18–23 18,18 18,24–30 18,24 f. 18,28–30 18,29 18,30 18,31 ff. 18,32 f. 18,33 18,35–19,10 18,35–43 18,35 18,37 18,38 f. 18,41 18,42 19,1–10 19,1 19,5 f. 19,5 19,6 19,8 19,9 f. 19,9 19,10 19,11–17 19,11 19,12–27 19,12
Stellenregister
389 537 530, 537 531, 537, 546 423 426 226 456 403 532 537 456 233, 362, 456 564 403 362 564 440 427 416 427, 439 363 425 363 425 440, 442 290 426 356, 357 463 541 552 357, 462, 551 257, 329, 356, 481 281 292, 552 359 474 257, 334, 357, 362, 455 329 362 414 455 450, 455 552 316, 452, 455 454, 455, 502, 530, 552 226, 445 416 72, 398, 403, 422 403
19,14.27 19,28–40 19,28 ff. 19,37 19,38 19,42–44 19,43 f. 19,45–20,38 19,45 f. 19,47 20,1–8 20,1 20,2 20,4 20,6 20,9–19 20,17 20,19 20,20–26 20,20 20,20b 20,26 20,27–40 20,27 20,34 20,36 20,37 f. 20,38 20,42 20,47 21,1–4 21,1 21,3 21,5 f. 21,6 21,8 21,12 21,17–19 21,20–24 21,20 21,29 ff. 21,33 21,36 21,37 f. 21,37 22,1 22,2 22,3–6 22,3 22,5 22,8 22,12
445 551 357 465, 551, 553, 627 552 f. 99 463 557 558 448, 560 301, 317, 560 556, 560 561 561 312 565 565 312 77, 563 563, 593 547 472 561 562 426 562, 630 452 562 252 568 565, 566 581 505 554 463 408, 487, 545 90 569 116 463 398 229 456 556 560 556 312 579 200, 368, 579 f. 580 200 583
Stellenregister (Lk) 22,14 f. 22,14 22,15–18 22,17 22,18 22,19 f. 22,20 22,21 f. 22,23–38 22,24–38 22,24 ff. 22,24 22,27 f. 22,27 22,27c 22,28–30 22,28 ff. 22,28 22,29 f. 22,30 22,31 f. 22,32 22,34 22,36 f. 22,36 22,37 22,38 22,39–53 22,42 22,43 f. 22,47 22,48 22,49–51 22,49 ff. 22,50 f. 22,50 22,53 22,54 22,59 22,60 f. 22,62 22,63 22,64 22,66–23,1 22,66–71 22,66 22,67 22,69 22,70 23,2–4
200 367, 370 585 583 532 233, 545, 584 f. 583 464 585 583 437, 585 368 545 199, 355, 437, 469, 505, 534, 582, 585 584 200, 367 323 240, 324, 540 537 332, 440, 532 362 326 464 504 589 233 589 587 417, 457 f., 557, 587 588 368 588 589 589 462 595 287, 448, 560 595 210, 345, 607 600 226 599 226 594, 601 595, 597 594 f. 542, 597 530, 539 597, 604 547
23,2 23,5 23,6–12 23,6 ff. 23,6 23,7–12 23,7 ff. 23,8 f. 23,8 23,12 23,13–25 23,15 23,16 23,19 23,24 23,27–31 23,33 23,33b 23,34 23,35 23,38 23,39–43 23,43 23,44 23,45 23,46 23,47–49 23,47 23,48 23,49 23,50 f. 23,53 23,54 23,55 f. 23,55 23,56 24 24,1–12 24,1–11 24,1 24,6–10 24,6–8 24,6 24,7 24,9–12 24,9 24,10 24,11 24,12 24,13–35 24,13–34
691 77, 547, 563, 577, 595, 601 345, 554 310 205 210 310 310 469 352 75 606 310 606, 609, 610 606 608 613, 618 587 615 392, 457 f., 613 616 578, 614 f. 613 362 211 616 392, 457 f., 618 618 572, 610, 632 618 336, 345, 616 619 621 555, 582 336 345 555, 621 173, 231, 641 643 336 621 231 336 345 463 648 632 257, 277, 370, 648 642, 644, 650 643, 645 646 404
692
Stellenregister
(Lk) 24,13–32 24,13–27 24,13 24,15 f. 24,15 24,16 24,18 24,19–21 24,19 24,21 24,22 24,23 f. 24,25 ff. 24,26 24,28 24,30 f. 24,31 24,32 24,33 f. 24,33 24,34 24,36 24,37 24,39–43 24,39 24,40 ff. 24,42 f. 24,44 24,47 ff. 24,47 24,49 ff. 24,50 f. 24,50 24,52 24,53
651 644 645 647 630 645 288, 599, 616 26, 468, 519 281, 514, 554, 572 548, 553 f. 336 643 646 233, 531, 647 645 647 562, 630 503 645 632 632, 644, 650 562 642 205 612, 639, 640, 647 630 639 233, 252 649 10, 264, 305 646 647 357, 647 646 62
Johannes 1,6–8 1,6.7 1,8 1,14 1,15 1,19–34 1,19–27 1,19 f. 1,19 1,21 1,25 1,26 f. 1,28 1,29 ff.
300, 339 307 308 f. 652 300, 307, 339 300 305 307 339 317, 500 302, 317, 500 307 307, 329 283
1,29 1,30 1,32–34 1,32 ff. 1,32 1,33–37 1,34 1,35–51 1,35–42 1,35–40 1,35 ff. 1,36 1,37 ff. 1,37.39 1,40–42 1,40 1,41–44 1,41 f. 1,41 1,42 1,43–51 1,43–46 1,43 ff. 1,44 1,45 f. 1,46 1,48 1,49 2 2,1–12 2,1–11 2,1–10 2,1 ff. 2,1 2,4 2,4b 2,6 2,11 2,12 2,13–22 2,13–15 2,13 2,14–16 2,16b 2,18–22 2,19 f. 2,19 2,20 2,21 2,22 2,23–3,2 2,23 f.
322, 362, 557 307 320 322 283, 307, 321, 339 307 307, 322 514 369 309 324, 362 322, 557 309 362 309 291, 324 223 362 26, 29, 522 371 362 370 325 73, 291, 347 282 f. 282 464 26, 29, 292, 522 557 325 463 240, 336 348 282 287, 290 464 157, 420 282 283, 285 f., 347 554 556 238, 308, 325, 343 559 560 240 631 519, 596 61 556 171, 519 567 472, 476, 490
Stellenregister (Joh) 2,23 3,2 3,3.5 3,22–4,1 3,22–27 3,22 ff. 3,22 3,23–36 3,23 3,24 3,25 3,26 3,28 3,29 3,30 3,32.33 3,36 4 4,1 f. 4,1.2 4,3 4,4–42 4,4 ff. 4,5 4,9 4,17 f. 4,20 4,22 4,25 4,35–38 4,44 4,45 4,46 4,46b–54 4,48 5,1–9 5,1 5,2–9 5,9–16 5,9 ff. 5,10 5,19 5,27 5,29 5,33 ff. 5,33 5,35 5,36 ff. 6,1 6,2
238, 308, 343 472, 488 425 363 308 324, 351 264, 308, 324, 329 339 307, 329 308, 309, 363 360, 420 307 f. 307 308, 412 307–309 307 445 259 264, 324 308 329 328, 354, 356 346 146 147, 420 464 145 29, 264 147 374 514 488 277, 282, 348 463 465, 472, 476, 488, 490 462 325, 343 240, 567 419 534 466 248 526, 529 445 339 307 308 f. 307 275, 348, 349 472
6,4 6,5–13 6,5 ff. 6,8 6,14 f. 6,14 6,16–21 6,21 6,23 6,26 6,32–58 6,61.64 6,67 6,68 6,69 6,70 f. 6,70 6,71 7,2–11,55 7,2–5 7,2 ff. 7,2 7,5 7,12 7,15.21 7,22 f. 7,26–31 7,30 7,31 7,32 7,35 7,40–43 7,40 ff. 7,40 7,42 7,44–49 7,47 7,48 f. 7,49 7,52 8,1–11 8,20 8,36 8,39 f. 8,44.47 8,48 8,57 9 9,1–12 9,1–7 9,6–15
693 238, 308, 325, 343, 554, 582 463 370 291 468, 490, 500, 548 472, 488, 514 350, 463 350 275, 348, 349 472 582 464 366 223 511, 522 366 580 370, 579 344 263, 635 554 325 29, 254, 290 578, 598 472 420 554 287 488, 568 554 295 293 282, 427, 554 293, 500, 514 292 554 578, 598 418 427 282 334 287 632 316 29 331, 487 3, 344 f. 462, 502 240 567 478
694 (Joh) 9,8 ff. 9,13 ff. 9,14–17 9,16 9,17 9,22 10,8 10,11.17 f. 10,22 10,23 10,24 10,39–11,16 10,39.40 ff. 10,40 f. 10,40 10,41 11 11,1–44a 11,1 ff. 11,1 f. 11,14 11,16 11,27 11,41 f. 11,45 f. 11,47–53 11,47–50 11,47 11,48–51 11,48 11,49 f. 11,49 11,51 11,53–57 11,54 11,55 11,57 12,1–11 12,1–8 12,1 12,2.3 12,4 12,6 12,12–19 12,12 f. 12,13.15 12,16 12,17 12,18 12,20 ff. 12,20 f.
Stellenregister
488 534 419 567 f. 514 29, 554 547 588 325, 554 61, 107, 560 554 344 554 344 307, 329 330, 331, 567 f. 463, 567, 631 240 346, 357 581 464 370 554 477 488 581 595 568, 594 578 47, 547 592 107, 571, 576 576 344 329, 344, 554, 581 238, 308, 325, 343 554 357, 556 556, 581 238, 308, 343 581 370, 579 579–581 551 f. 552 292, 552 171 551 552 f., 567 f. 259 347
12,20 12,21 f. 12,21 12,22 12,23 12,27 ff. 12,27 12,31 12,32 f. 12,34 12,37–41 12,37–40 12,37 12,39 f. 12,40 12,42 12,44 13–17 13 13,1 13,2 13,3 13,6–38 13,6–11 13,6–9 13,8–11 13,8–10 13,10 f. 13,12–17 13,14–17 13,15 13,20 13,21–30 13,21–27 13,23–25 13,23 ff. 13,26 13,27 13,29 13,34 13,36–38 13,36 ff. 13,36 13,38 14,5.8 14,9 14,13 f. 14,16 14,22 14,26 15,3 15,6
295, 328 370 73 291 287 324 588 373 463 526 471 476 490, 567 f. 472 515 29 504 585 505, 582 238, 287, 308, 343, 464 200, 580 464 369 223 516 586 420 464 368, 437 586 585 374, 504 584 464 583 237 583 200, 580 579 f. 174, 436, 586 516 212, 223 369, 371, 464 464 370, 516 239 457, 474 240 366, 369, 516 171, 240, 519 420 306, 445
Stellenregister (Joh) 15,7 15,13 15,18 ff. 15,26 15,27 16,2 16,7 ff.13 ff. 16,13 16,17 f. 16,23 16,24 17,1 17,12 17,20 f. 17,20 18,1–12 18,1 ff. 18,1 18,2–12 18,2 18,3 18,4 18,5 18,7 18,8 18,10 f. 18,10 18,12 ff. 18,12 18,13 18,15–18 18,15 ff. 18,15 18,19–24 18,19–23 18,20 18,24 18,25–27 18,28 18,29–19,19 18,29–37 18,31 18,33–38 18,33 ff. 18,33 18,36 18,36b 18,37 18,39 f. 18,40
457, 474 588 569 240 11 29 240 171 516 474 457 287 580, 588 264 627 587 324 587 590 579 589 464, 589 281, 579 281 516, 588, 590 589 589 593 589 79, 576, 591 369, 594 600 237, 309, 362, 599 594 594 560 591, 595 369, 594 420, 582, 594 f., 601, 605 205 601 598 547, 577 292 605 77, 425, 589, 604 f. 589 205, 604 606 606, 615
19,1–5 19,1 19,5 19,6 19,9 19,12 19,13 19,14 ff. 19,14 19,16a 19,17 19,18.19 f. 19,19 19,20 19,21 f. 19,23 19,25–27 19,25 ff. 19,25 19,26 ff. 19,26 19,27 19,28 f. 19,28 19,30 19,31–33 19,31 19,33 19,35 19,36 19,38 f. 19,41 19,42 20 f. 20,1–10 20,1 20,2–10 20,2–8 20,3–10 20,5 ff. 20,8 20,9 20,11–18 20,11 ff. 20,14–16 20,14 ff. 20,14 20,16 20,17 20,18 20,19 ff.
695 608 606 609 598 605 547, 577, 595, 601, 604, 605 600, 605, 608 292 582, 617 608 614 615 578, 608, 614 613 615 608 369 616 288, 336, 616, 646, 648 237 608 285 618 464 618 557 420, 555, 582, 618, 621 617 237, 300 557 619 617, 621 582 173, 641 643, 648 555 291 237 369 643 645 171, 519 630 648, 650 647 630, 646 644, 646, 648 359, 551 649 644, 648, 649 630, 632, 646
696
Stellenregister
20,19 20,21 f. 20,21 20,22 20,23 20,24–29 20,24–28 20,24 ff. 20,24 20,25 20,26 20,27 20,29 20,30 20,31 21 21,1–23 21,1–19 21,1–14 21,1–11 21,1 21,2 21,4 ff. 21,4 21,7 ff. 21,7 21,15–19 21,15–17 21,16 f. 21,18 ff. 21,18 f. 21,20–24 21,20 21,22 f. 21,24 f. 21,24 21,25
555, 562, 621, 646 649 264 240 371 630 370 646 366, 633 612, 642 646 612, 639 430, 490, 627, 636 462 29, 522, 568 369, 645, 651 646 362 361 463 275, 348, 349 237, 282, 348, 362, 366 646, 647 350 237 350 223 369 264 212 10, 369, 371, 464 237 583 31 237 237, 300, 324, 366 462, 568
Apostelgeschichte 1–15 1–12 1–8 1 ff. 1,1–11 1,1 ff. 1,1 1,3 1,4 1,5 1,6 f. 1,6 1,8
9 6 637 638 231 647 230, 247 323, 370, 637, 647 205, 646 f. 172 424 26, 548, 553 f. 10, 264, 649
1,11 1,13 f. 1,13 1,14 1,15 ff. 1,15 1,16.17 1,18–20 1,18 1,20 1,21 f. 1,22 1,23 ff. 1,26 2–8 2–6 2–5 2 2,1–41 2,1 2,3 2,7 2,10 2,11 2,14 2,19 2,22 f. 2,22 2,23 f. 2,23 2,29 2,30 2,32 2,34–36 2,36 2,37 2,38 2,41 2,42 2,43 2,46 f. 2,46 3,1–4 3,1 ff. 3,1 3,2 3,6 3,11 3,13 ff. 3,13 f.
210, 221, 264, 345, 651 283 73, 111, 236, 253, 368, 369 254, 263, 285, 289 f., 362 633 365, 635 579 580 92 252 11 172, 300, 627 369 159, 302, 370, 632 651 247 650 635 650 651 503 210, 221, 264, 345 614 245 632 503 203 572, 599 572 573 62 294 203, 627 519 572 304, 370 299, 305 f. 635 229, 560 486 448 560 254 368 560 448 478 61, 107, 254, 368 203 573
Stellenregister (Apg) 3,13 3,14 3,15 3,19 3,25 f. 3,25 3,26 4,1–23 4,1 4,2 4,4 4,5 ff. 4,6 4,10 4,11 4,13.19 4,20 4,27 4,30 5,1–11 5,11 5,12 5,17–42 5,17 f. 5,17 5,20 5,24 5,25 5,26 5,30 f. 5,30 5,31 5,32 5,34–39 5,34 5,36 f. 5,36 5,37 5,42 6–9 6 6,2 6,5 6,9 6,13 f. 6,13 6,14 7 7,52 7,54 ff. 7,56
530 572 627, 640 326 650 452 530 133 128, 158, 562 562 635 89 79, 88, 571, 591, 595 203, 573, 640 565 368 203, 229, 627 205, 530 530 486 236 61, 486, 560 133 89 13, 79, 122, 128, 562 560 158 560 158 203 32, 203, 572 f. 305 627 154 208 93, 547 312, 314, 369 77, 277 560 34 253, 638 367 73, 638 64, 156, 614 558 34 560, 596 468 352, 572 577 527, 530
8 8,5 8,9–13 8,14 ff. 8,14 8,18–24 8,26–40 8,28 8,32 f. 8,40 9,1–30 9,3 ff.7 9,20 ff. 9,20 9,31 9,34 9,35 9,40 10 10,1–11,24 10,9 10,24.34–43 10,36 f. 10,37 10,38 10,39 10,40 10,41 10,42 10,43 10,44–46 10,48 11,1–18 11,16 11,20 11,26 11,28 ff. 11,28 12 12,1–19 12,1–17 12,1 f. 12,1 12,2 12,12 12,17 12,20–23 12,22 f. 12,22 12,23 12,35
697 357 354 f. 147 254 368 147 73, 153, 232, 404 252 233 56 404 639 26 544 221, 264 478 326 477 f., 513 56, 232, 420 26 616 203 229 172, 203, 221, 264, 300, 345, 599 469 32, 203, 572 f. 631, 640 205, 562, 627, 637, 647 445 305 306 308 420 172, 306 614 27 94 229 9 89 632 8, 253 f., 368 70 253 217 254, 285 91 92 91 92, 486 217
698 (Apg) 13 13,1 13,2 13,7–12 13,7 f. 13,9–11 13,13 13,16–48 13,16–41 13,23–31 13,23 13,24 f. 13,27 f. 13,28 f. 13,29 13,30 13,31 13,33 13,38 13,51 14 14,4 14,6 14,9 f. 14,14 15 15,5 15,7–11 15,7 15,13 15,37 15,38 15,39 16,1 f. 16,9 16,16 ff. 16,30 17,2 17,7 17,17 17,31 18,2 18,4 18,9 18,12–16 18,12 ff. 18,12 18,14 f. 18,16 f. 18,25 19,2–6
Stellenregister
230 75, 205, 277, 310, 614 229 232 593 486 230 26 204 203 294 172, 300 573 572 32, 203, 628 640 221 252 305 373 230 6, 370, 636, 638 303 478 6, 370, 636, 638 9, 420 13, 122 233 224, 327 254, 285 217 230 217 230 640 512 304 359 547, 601, 605 359 445, 530 3, 209, 556 359 640, 652 232 556 3, 593, 608 577, 598 608 172 306
19,3 f. 19,8 f. 19,9 19,13–17 19,13 19,15 19,18 20,7 ff. 20,7 20,9 f. 20,9 20,24 20,35 20,35b 21 21,8 f. 21,8 21,10 f. 21,16 21,17 21,18 21,20 21,21 21,27–33 21,27 ff. 21,28 21,31 ff. 21,38 22,3 22,5 22,6 ff.9 22,10 22,14 22,17 ff. 22,17.21 22,24 ff. 22,25 ff. 23,2 ff. 23,5 23,6–9 23,6–8 23,8 23,10–30 23,11 23,16–35 23,23 f. 23,24 23,25 ff. 23,31 f. 23,33 ff. 23,35 24,1–27,32
172 359 204, 259 486 478 512 313 204 259, 359, 631, 641 496 359 327 240, 393 378 233 73 56, 638 229 558 254 285 635 35 559 577 35 589 100, 312, 547 124, 130, 154, 208 594 639 304 572 652 640 589 602 103 89 125 562 132 589 640 602 113 593 232 113 593 56 593
699
Stellenregister (Apg) 24–26 24,1–27 24,1 24,3 24,5 24,9 24,12 24,14 24,24–26 24,24 ff. 24,24 f. 25,1–27,1 25,6.10 25,12 25,13–27 25,17 25,23 26,1–32 26,5 26,7 26,13 ff. 26,13 26,16 26,18 26,19 26,25 26,26 26,28 26,30 ff. 26,30 27,23 28,22 28,26 f. 28,26 28,30 f. 28,30 28,31
602 101 593 232 13, 28, 33, 122, 129, 281, 547, 558 359 64, 359 13, 28, 33, 129 96 232 101 102 608 603 105 608 105 105 13, 28, 124 367 639 639 627 305 639 232 3, 203 27 f. 232 603 640 13, 129 471, 515 476 10 603 232, 603
Römerbrief 1,1–4 1,1 1,3 f. 1,3 1,13 1,16 2,4 2,9 f. 2,14 ff. 2,16 3,1 f.
201 638, 649 519, 521 199, 201, 291 9 26, 650 327 26 33 445 26, 34
3,2 3,9–20 3,9 3,19 f. 3,23 3,29 4 4,1 4,5 4,23 f. 4,24 4,25 5,2 5,6.8 5,12–21 6,3 6,4 6,9 6,21 f. 6,22 7,4 8,3 f. 8,11 8,15 ff. 8,15 f. 8,15 8,16 8,24 f. 8,29 f. 8,29 8,32 8,34 8,38 f. 9–11 9,3 ff. 9,4 f. 9,5 9,24 10,4 10,9 10,12 11,8 11,26 f. 11,26 11,32 11,33–36 12,1 ff. 12,2 12,3 12,9–21 12,10 12,12
26 316 26 34 316 26 316 201 35, 564 26 640 200 596 628 532 299 319, 628, 640 628, 640 416 433 640 320 562, 640 417 199 382, 458, 587 5 407 629 562, 648 200 640 654 26, 35 199 201 199, 201, 291 26 33, 453 640 26 472, 476, 515 35 35, 651 35, 455 35 36 426 438 199 438 456
700 12,20 f. 13 13,1–8 13,1–7 13,6 f. 13,7 13,8 ff. 13,12 14,9 14,10 ff. 14,10 14,14 14,15 15,3 15,4 15,8–12 15,8 15,12 15,18 ff. 15,18 f. 15,19 15,22 15,24 15,26 ff. 15,28 16 16,7 16,13 16,25–27 16,25 1. Korintherbrief 1,1 1,12 ff. 1,12 f. 1,12 1,14–17 1,18 1,20 1,21 1,22 f. 1,23 f. 1,23 2 2,1 ff. 2,2 2,4 2,6–8 2,8 f. 2,8 2,10
Stellenregister 451 48 547 451 77 563 199, 451 408 628 445 608 394 628 438 26 26, 35 199, 355, 438, 469, 585 199, 291 634 9, 470 6, 465, 480, 486 9 10, 602 5 10 252 638 256, 614 12 627 638, 649 252 203 202, 252, 362, 368, 370, 633 308 200 f. 426 627 26 482 30, 201, 210, 247 248 572 201 627 426 573 200 32
3,6–9 3,6 ff. 3,8–17 3,11 3,22 5,3 ff. 5,4 f. 5,5 5,6–8 5,6 ff. 5,7 f. 5,7 5,12 f. 6,1 6,2 ff. 6,9 f. 7,10 ff. 7,10 f. 8,6 8,11 9,1 ff. 9,1 f. 9,1 9,2 9,5–7 9,5 9,10 9,14 9,20 f. 9,21 10,1–11 10,9 10,11 10,16 10,32 11,20 11,23 ff. 11,23 f. 11,23 11,24 ff. 11,24 f. 11,24 11,25 11,26 12,8 12,9 12,13 12,14–26 12,28 13
374 202 164 202, 371 362, 370 371 486 200 557, 572 200 200 582 371 200 367 200, 425 421 199 202 628 252, 370, 634, 649 173 626, 627, 636, 638, 639, 649 638 634 202, 288 f., 291, 336, 362 f., 370, 633, 638 26 199, 373 26 433 201, 486 323 26 584 26 200 200, 222, 572 248 200, 557, 584 583 233, 382 584 174, 584 415, 583, 585 229 474, 478 26 400 478 382
701
Stellenregister
15,6 f. 15,6 15,7 15,8 f. 15,8 15,9 15,10 15,11 15,12 15,14 15,15.17 15,21 f. 15,23 15,27 15,32 15,40 ff. 15,42–44 15,44 15,45–49 15,45 15,47 f. 15,49 ff. 15,50 15,51 16,2 16,22
199, 472, 474 229 229 632 229, 259 259 639, 641 5, 30, 252 201 636 199, 370, 489, 626–641 172 200, 628, 633 248 30, 173, 201, 557, 621, 644 573, 627 634 541, 572, 640, 642 220, 367, 368, 370, 632, 644 f. 202 202, 634, 648 290, 635, 637 f., 649 651 362, 626, 634, 639 637 9 30, 239, 634 640 627 640 532 649 543 136 562 382 562 532 323, 530 530 629 425 629 631, 641 84, 583, 610
2. Korintherbrief 1,1 1,17 3,6 ff.
638, 649 202 174
13,2 14 14,1 14,25 14,29 ff. 14,35 15 15,1–11 15,1–8 15,3–9 15,3–8 15,3–7 15,3–5 15,3 ff. 15,3 f. 15,3 15,4 ff. 15,4 15,5
4,6 4,14 5,7 5,10 5,16 5,17 5,21 7,9 f. 8,9 9,6 10,2 10,7 11,4 11,23 11,24 11,32 f. 12,1 ff. 12,12 12,21 13,1
640 640 636 445, 608 201, 202 174 320 327 438 374 202 203 202, 471 203 578 311 639, 652 465, 470, 480, 486 327 645
Galaterbrief 1 1,1 1,11–17 1,13 f. 1,15 ff. 1,15 f. 1,16 ff. 1,16 1,17 1,18 1,19 ff. 1,19 1,21 1,22 2 2,1 ff. 2,1 2,2 2,7 f. 2,7 2,8 2,9–14 2,9 2,10 ff. 2,11 ff. 2,11 2,12 2,14.19 ff. 3,1 3,6–9
9, 202, 252, 634 638, 640, 649 9 130 252, 370 640 649 544 311, 633, 638 362, 370, 556, 633 634 290, 633 9, 572 264 9, 202, 252, 420, 634 252 9, 556 640 370, 632 632 202 370 7, 254, 290, 362, 368, 632 9 202, 233, 252 362 290 362 201, 248, 572 316
702
Stellenregister
3,8 3,13 f. 3,13 3,14 3,19 3,23 f. 3,26 3,28 4,4 4,5 f. 4,6 4,26 5,11 5,19–23 5,21 5,22 5,26 6,2 6,8 f. 6,12
452 201 32, 203, 572 452 33 26, 34 34 26, 34 199, 202, 245 199, 417 5, 382, 458, 587 35 30, 210 433 425 416, 433, 474 438 433 374 210
3,5 3,11 4,2 4,10 4,14
448 26 456 217 23, 230, 466
Epheserbrief 1,20–22 1,20 2,18 2,20–22 3,12 4,11 5,5 5,31
543 640 596 164 596 638 448 447
2. Thessalonicherbrief 216 2,1–17 580 2,3 85 2,5–12 487 2,9–12 465 2,9
Philipperbrief 1,11 1,13 2,3 f.5 2,6–11 2,6–9 2,6 ff. 2,7 3,5 f. 3,5 3,18 f. 3,18 3,20 f. 3,20 4,6
433 56 438 30 201 202, 572 438 129, 130 292 210 30 629 34 456
Kolosserbrief 1,18 1,20 2,12 2,14
649 612 319, 628, 640 612
1. Thessalonicherbrief 640 1,10 2,14–16 28 573 2,14 ff. 2,14 f. 200, 352, 599 90, 264 2,14 599 2,15 537 2,19 537 3,13 199 4,15–17 240, 553 4,15 ff. 537 4,15 199 5,2 456, 552 5,17 537 5,23
1. Timotheusbrief 2,5 2,6 2,6a 4,6 5,18 5,19 6,10 6,13 6,20
33 355, 584 438 586 373 645 448 205, 604 13
2. Timotheusbrief 2,5 2,8 3,8 3,11 4,5 4,11 4,17
230 294, 640 487 230 638 217, 230 627
Titusbrief 1,3 3,10
627 13
703
Stellenregister Philemonbrief 24
217, 230
Hebräerbrief 1,1 ff. 2,3 f. 2,3 2,4 2,5–8 2,6 2,10 3,6 3,11 3,14 4,3.5 4,15 4,16 5,5 5,7 f. 5,7 6,2 8,6 8,8 9,10 9,15 11,39 f. 12,2 12,24 13,10 13,12 13,24
521 204 11, 220, 626 480, 485, 572 323, 543 527, 529 117 521 469 521 469 323 596 521 588 204 298 33 174 298 33, 174 26 204 33 204 204 12
Jakobusbrief 1,1 1,25 2,8 5,8 5,12 5,14–16 5,14 f. 5,14 5,15 f.
367 436 436 408 447 477 466 372 313
1. Petrusbrief 1,8 1,10–12 1,21 2,4 ff. 2,4.7 2,13–19 2,14 2,24
414, 627, 636 26 640 164 565 77 593 32
4,7 4,16 4,17 5,13
408 27 224 216 f., 218, 219
2. Petrusbrief 1,16–18 2,1 3,13
241 13 452
1. Johannesbrief 1,1 2,1 3,2 f. 3,2 3,22 5,14
630 572 31 597, 636 457 457
Judasbrief 14 f.
162
Apokalypse 1 ff. 1,5 1,7 1,10 1,13 2,7 2,20 3,3 3,20 5,5 5,6–10 5,6.9 7,5–8 11,8 12 12,7 ff. 12,9.15 13,10 13,11–18 13,17 14,13 14,14 16,15 19 f. 19,2 19,7 19,9 19,11 ff. 20,2 20,4 ff.
652 649 597 631, 641 526, 529 230 13 199 414 294 174 557 367 465, 573 499 373 303 589 487 256 229 f. 526, 529 199 547 425 414 414, 562, 585 553 303 367
704 21,1–22,5 21,1–4 21,1 21,4 21,7 21,12
Stellenregister 35 166 452 414, 452 452 367
21,14 21,23–27 22,1–5 22,2 22,16 22,20
367, 637 166 166 425 294 583
VI. Neutestamentliche Apokryphen Ebionäerevangelium (nach Epiphanius, haer.) 318, 320 f. 30,13,7 f. 292 30,14
60
Hebräerevangelium Hieronymus, De vir. inl. 2 291, 527, 635, 642 Hieronymus, C. Pelag. 3,2 289, 320 Jakobus-Apokryphon 637 NHC I 8,3 Petrusakten (Actus Vercellenses) 10 1 10 35–40 Petrusevangelium 1 f. 1.2–5 14.23 f. 35–49 35 ff. 35 45–49 50 57 58 ff. 59
310 608 621 642 640 641 642 641 644 645 632, 633
361
Pseudoclementinen Homiliae 314 2,23,1 131 4–6 131 4,8,1; 4,13,3 Recognitiones 1,53 f. 1,54 1,54,8 1,60,1
133 136 305 305
Thomasevangelium 428 3 439 4 403, 415 9 243, 254, 291, 371, 636 12 416 22 429 35 473 48 403 63–65 565 65 f. 82 503 428 91 415 96 473 106 454 107 428 113
VII. Apostolische Väter Barnabasbrief 2,6 6,13 7,9 f. 12,10 f. 12,10
431 98, 439 597 293 527
1. Clemensbrief 2,1 5 5,4–7 5,7 13,1–7 13,1–4 24,5
393 10, 216 603 10 204 378 205
705
Stellenregister 36,4 46,7 f. 55,6 59,2 f.
521 204 367 530
2. Clemensbrief 7,6
444
Didache 1,5 8,2 9,2 f. 10,2 f. 10,6 11,4 14,1 16 16,4
393 448 530 530 84, 583 504 641 241 487
Diognetbrief 2,6 5,14 6,1.7
569 569 569
Hirt des Hermas Similitudines IX,16,4 [= 93,4] 315 IX,23,5 [= 100,5] 13 Ignatius Epheser 6,1 6,2
374, 504 13
11,1 14,2 18,2 20,2
205, 235 205 294 294, 527
Magnesier 9,1 11,1
641 205
Traller praescr. 6,1 9,1
5 13 205
Römer praescr. 4,3
12 10
Smyrnäer 1,1 f. 1,1 1,2 3,1 3,2 3,3
205 205, 235, 282 310 205 310, 640, 645, 647 647
Polykarpbrief 2,2
205
Martyrium Polycarpi 621 8,1 620 17,2 621 21,1 Polykarp von Smyrna Philipper 2,3 204
VIII. Kirchenväter, christliche Schriftsteller und Schriften Apostolische Konstitutionen 314 6,6,5 133 6,61 Athanasius von Alexandrien 39. Osterfestbrief 14 Vita Antonii 493 Augustin De civitate Dei 85 4,31 (Varro) 19,23 (Porphyrius) 570 22,8 493 f.
De doctrina christiana 381 4,116 Beda Venerabilis Historia ecclesiastica gentis Anglorum 4,30–32; 5,1–12 494 Vita Cuthberti (PL 94,575–596) 494 Canon Muratori 38 ff. 38 f.
10 603
706
Stellenregister
Clemens Alexandrinus Hypotyposen (nach Euseb) 362 h.e. 1,12,2 216, 219 h.e. 2,15,1 f. 216 h.e. 6,14,5–7 219 h.e. 6,14,5 ff. 238 h.e. 6,14,7 Stromateis 1,146 2,91
344 204
Dionysios von Korinth Brief an Soter (nach Euseb) 10, 202, 216, 603 h.e. 2,25,8 197 h.e. 4,23,12 Ephrem Kommentar zum Diatessaron 348 (SC 121, S. 97) Epiphanius Ancoratus 13,3–15
133
Panarion (Adversus haereses) 133 16,1 ff. 314 17 133 19,1–6 314 19,5,7 281 30,11,7 318, 320 f. 30,13,7 f. 292 30,14 133 53,1–9 284 78,7 Euseb Demonstratio evangelica 81 8,2,122 f. Historia ecclesiastica 1–6 19, 20 293 1,7,2–10 281, 288 1,7,14 362 1,12,2 216, 219 2,15,1 f. 222 2,16 527 2,23,13 81 2,23,18 222 2,24 10, 202, 216, 603 2,25,8 104 3,5,2 f. 10, 216 3,5,3
3,11 3,12 3,19 f. 3,20,1–6 3,20 3,24,5–13 3,24,8–13 3,31,6 3,32 3,32,1–3 3,32,4 ff. 3,32,5 f. 3,32,5 3,32,6 3,38,1 3,39,3 3,39,4 3,39,8 f. 3,39,15 3,39,16 4,3 4,3,2 4,18,8.9 4,22,7 4,23,12 4,26,14 5,1,44 5,1,62 5,5 5,7,2–5 5,8,6 f. 5,17,3 f. 5,18,5 5,24,2 6,12,2–6 6,14,5–7 6,14,5 ff. 6,14,7 6,40,7
288, 616, 620, 646 90 291 213, 294 292 238 344 5 288, 620 206 646 213 294 288 204 13 222, 237 488 247, 343 227, 236, 246 15 488 13 133, 314 197 14, 16 614 620 493 492 8 13 15 13 640 216 219 238 590
Onomasticon (ed. Klostermann) 348 74 281 138 Z. 24 f. Praeparatio evangelica 122, 131 8,11,1–18 123, 303 8,11,1 161 8,11,14 f. 145 9,17,5 f. 123 12,12,6–8
707
Stellenregister Euthymius Zigabenus (PG 129, 1045.1048) 428 Gregor der Große Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum Buch 1–3 494 Gregor von Nyssa Vita Gregorii Thaumaturgi Opera 10,1, S. 3–57 493 Hegesipp Hypomnemata (nach Euseb) 527 h.e. 2,23,13 81 h.e. 2,23,18 291 h.e. 3,19 f. 292 h.e. 3,20 294 h.e. 3,20,1–6 288, 620 h.e. 3,32 646 h.e. 3,32,4 ff. 213 h.e. 3,32,5 f. 294 h.e. 3,32,5 288 h.e. 3,32,6 133, 314 h.e. 4,22,7 Fragment nach Philipp von Side 213 Hieronymus Commentarii in Matthaeum 398 zu 18,23 Contra Pelagianos 3,2
289, 320
De viris inlustribus 291, 527, 635, 642 2 Hippolyt von Rom Refutatio omnium haeresium 299 3,13,1–6 133 9,18–30 166 9,27,1 Irenäus von Lyon Epideixis 74
3, 344
Adversus haereses 1 1,3,3 1,3,6 1,20,1
13 344 5 344
1,22,1.3.5 1,23,1–4 1,31,1 2 2,22,3 2,22,4 f. 2,22,6 2,31,2 2,32,4 3,1,1 3,3,1 3,3,2 3,11,4 4,6,2 4,33,4 5 praef. 5,1,3 5,30,3
344 147 580 13 343 3 344 492 492 10, 216, 219, 238 10 12 325 13 293 5 293 8
Isidor von Sevilla Etymologiae 133 8,4,8 Julius Africanus Epistula ad Aristidem (nach Euseb) 293 h.e. 1,7,2–10 281, 288 h.e. 1,7,14 Justin 1. Apologie 1,1 13,4 15,10 26,2 26,3 26,8 31,3 f. 31,6 34,1 35,9; 48,3 52,8 53,3–7 53,6; 56,2 63,5 66,3 67,3 67,4 68 68,8
134 210 503 147 134 13 3 209 282 82 444 134 147 504 5, 15, 171, 219 5, 15, 171, 219, 641 14 19 606
708 Dialogus cum Tryphone 247 618 8,3 546 8,4 5, 210, 432 10,2 431 11,4; 12,2.3 431 14,3 13 17,1 431 18,3 632 42,1 172 49,3–7; 50,2 f. 172 51,1–3; 52,3 598 69,7 282 78,1–8 133, 314 80,4 8, 237 81,4 13 82,1 172 84,4; 88,2 f. 321 88,3 172 88,6 f. 294, 321 88,8 5 100,1 5 100,4–107,1 282 102,2 605 102,5 3 103,3 f. 282 103,3 321 103,6 5, 15, 215, 219, 103,8 588 219 106,1–107,1 219, 371, 379 106,3 598, 642 108,2 147 120,6 431 122,5 444 130,2 444 140,3 Laktanz Institutiones divinae 213 5,11,19 De mortibus persecutorum 92 Melito von Sardes Passahomilie fr. VI (ed. Perler) 344 bei Euseb, h.e. 4,26,7 f. 196
Stellenregister Minucius Felix Octavius 9,6 14,6 20,3 f. 31,2 31,8
212 569 493 212 569
Origenes Contra Celsum 1,2.6 1,28–2,79 1,28 f. 1,28 1,32 f. 1,46 1,68 ff. 1,69 2,1–7 2,8 2,9 f. 2,14 2,24 2,33 2,55 2,59 2,63 2,65 2,70 3,33–38 3,55 4,51 5,57 6,10 6,36 7,8
493 211 284 295 210, 284 493 598 210, 284 431 493 588 212 588 211 616, 630 211 640 638 588 493 295 210 493 570 294 493
Commentarius in Mattheum 285 10,17 Commentarii in Evangelium Johannis 348 7,41 §§ 208–211 Homiliae in Jeremiam 493 4,3 Homiliae in Lucam 227 I 289 XVII Papias von Hierapolis Logion Kyriakon Exegesis Frgm. II (Euseb, h.e. 3,39) 222, 237 h.e. 3,39,4
709
Stellenregister h.e. 3,39,8 f. 488 247, 343 h.e. 3,39,15 227, 236, 246 h.e. 3,39,16 Frgm. III (aus Anecdota Graeca) 92, 580 Frgm. XI (aus Philipp Sidetes) 488 Photius von Konstantinopel Bibliothecae codices 212 cod. 97,1–5
289
Adversus Marcionem 2,29,1 4,1,4 4,19,6–13 4,35 4,43,1
15 431 289 428 631
De praescriptione haereticorum 431 13,4
Quadratus Apologie (bei Euseb) 15 h.e. 4,3 488 h.e. 4,3,2 Sulpicius Severus Chronica 208 2,30,6 f. 120 2,30,7 Vita des Martin von Tours 494 Tertullian Apologeticum 1,4; 2,3; 3,4 ff. 3,5 37,8; 46,4
De carne Christi 7
569 209 569
Ad Scapulam 4 4,5 f.
493 571
Scorpiace 15,3
10, 216
De spectaculis 30,5 f.
210, 642
Pseudo-Tertullian Adversus Iudaeos 8,12 13,23
198 631
Theophylaktos (PG 124, 755)
638
IX. Rabbinisches Schrifttum 1. Mischna, Tosefta, Talmud und außerkanonische Traktate Mischna mAv 1,1–2,8 mAv 1,1 ff. mAv 1,1 mAv 1,3 mAv 1,4 mAv 1,5 mAv 1,8 f. mAv 1,8 mAv 1,13 f. mAv 2,5–8 mAv 3,2 mAv 3,19 mAv 4,16 mBer 1,2 mBer 5,5
379 127 34 135 135, 150, 370 370 596 151 379 379 230 124 414 409 375, 504
mBer 7,3 597 113 mBer 9,1 630 mEd 1,12 130 mGit 4,3 447 mGit 9,10 135 mJad 4,7 630 mJev 15,2 f. 158 mJoma 3,7 mJoma 3,8; 4,1 f.; 6,2 409 134 mMak 1,6 157 mMen 12,10 107 mMid 2,5 161 mNid 4,2 314 mPara 8,10 584 mPes 10,8 53 mSan 2,4 619 mSan 6,7c mSan 10,1 35 630 mShevu 4,1 f.
710
Stellenregister
mShevu 10,3–7 mSot 7,8 mSot 9,9 mSot 9,15 mTam 5,6 mTam 7,4 mZeb 12,1
130 52, 90 95 384 107 107 157
Avot deRabbi Natan ARN A 5 135 135 ARN B 10
Tosefta tChul 2,22–24 tChul 2,22 f. tChul 2,24 tJad 2,20 (Z. 684) tJoma 1,6 tMeg 4(3), 16 tMen 13,21 tSan 9,7 tSheq 3,1 ff. tSot 3,14 tSuk 4,6 tTaan 1,11 ff.
284 213 213 314 116, 160 384 559 570 566 385 74 409
Prophetentargum 541 Jes 53 Jes 53,5b 541
Babylonischer Talmud 213 bAS 17a 62 bBB 3b 62 bBB 4a 415 bBer 17a 279 bBer 32a 113 bBer 54a 400 bBer 61b 473 bBM 59b 279 bErub 53a 279 bErub 53b 130 bGit 36a–b 92 bGit 56b 279 bMeg 24b 161 bNid 33b 80, 559 bPes 57a 151, 152 bQid 66a 212, 369, 570, 598 f. bSan 43a 213 bShab 116a/b 62 bSuk 51b 323 bSuk 52b 60 bTaan 23a Palästinischer Talmud 576 yJoma 1,1, 38c 584 yPes 10,8, 37d yShab 14,4, 14d 213 yShab 16,8, 15d 280 ySota 7,7(8), 22a 90 155 yTaan 4,8, 68d
2. Targumim Jeruschalmi I Dtn 37,10
323
Psalmentargum Ps 8,5 Ps 80,16.18
527 527
Estertargum 7,10
570
3. Midraschim Ekha Rabbati 1,13
116
Mekhilta Exodus zu 15,18
409
Midrasch Rabba Bereshit (Genesis) Rabba 449 22,6 Wajjiqra (Leviticus) Rabba 576 21 60 35,10 Qohelet (Ecclesiastes) Rabba 347 1,8 98 1,28 Midrasch Shir HaShirim 95 2,18 Sifra Behuq 1,1
60
Sifre Devarim (Deuteronomium) 630 190
4. Sammelwerke und Sonstiges Achtzehnbittengebet 2. Benediktion 640
711
Stellenregister 9. Benediktion 12. Benediktion
448 154
Megillat Taanit 12
134
22 24
146 151
X. Pagane und sonstige antike Literatur Aelianus De natura animalium 68 6,17 Appian Mithridatica 117,571 ff.576 ff. 45 Apuleius von Madaura Florida 9,9 f. 377 Apologia 90 487 Aristoteles Poetik 22 (1459a) 405 Arrian Anabasis 1,26,1 f.
491
Augustus Res gestae
196
Cassius Dio Historia romana 39,56,5 f. 46–56 49,22,3 ff. 49,22,6 52,36,1–3 59,24,1 64,9,1 65,1,2–4 65,15,4 67,14,2 71,8
46 196 51 609 214 87 112 112 106 48 493
Cicero Orator 84 f.
382
De provinciis consularibus 46 5,10
Contra Verrem 2,5,165
611
Codex Iustinianus 606 9,47,12 Q. Curtius Rufus Historia Alexandri Magni 611 4,4,17 Digestae 42,2,3 48,24,3 (Paulus)
603 620
Diodorus Siculus 40,2 40,4
43 45
Dion von Prusa Orationes 12,7; 72,13
400
Epiktet Dissertationes 4,7,6
133, 210
Euripides Bakchen
616
Gellius Noctes Atticae 14,3,5
247
Homer Ilias 10,20 22,350–354
60 629
M. Iunianus Iustinus Epitome 196 41 36,3,9
712 Juvenal Satirae 3,62 6,156–160 8,160
Stellenregister
299 106 68
Kallisthenes Alexandrou Praxeis (FGrH 124) 491 F 3 Lucan Pharsalia 216
68
Lukian Alexander (Pseudomantis) 492 210 25.38 Demonax
194, 245
Hermotimos 84
379 400
De morte Peregrini 210 11–13 481, 570 11.13 246 13–16 210 16 492 39–41 246 39 f. Philopseudes 11 ff. 16
246, 487 492 481
Macrobius Saturnalia 2,4,11 68 Mara bar Sarapion Brief an seinen Sohn (ed. Cureton, S. 43) 211 Mark Aurel 11,32
210
Martial Epigrammata 2,2,5 10,50,1
68 68
Pausanias Graeciae descriptio 94 8,16,5
Persius Satirae 5,179–184
67
Petronius Satirae 1,3 11,5 ff. 111 f.
247 629 620
Philostrat Vita Apollonii
195, 257, 496
Vitae Sophistarum (LCL 134, S. 544) 294 Phlegon von Tralles Mirabilia 211, 482 (FGrH 257) Platon Symposion 220d 4 f.
123
Plinius maior Naturalis historia 5,17 5,70 7,98 30,2,22
161 62, 68 45 487
Plinius minor Epistulae 7,27,12 10,78 10,96 10,96,3 10,96,4 10,96,5.7 10,96,8 10,97
492 602 19, 209, 602 606, 608 210 209 28, 209 19, 602
Plutarch Antonius 36,4
51
Cato minor 58–73
245
Eumenes 10–18
245
713
Stellenregister 98,2
56
Caligula 19 22 45,1
85 85 87
Porphyrius (Augustin, civ. 19,23) 570
Claudius 25,3 28
209 96
Adversus Christianos (ed. Harnack) 488 fr. 4; 49
Domitian 12
48
Nero 16,2 16,3
28 209
Titus 7,1 7,2
106 106
Vespasian 4,5 5,6 f. 7,2 f.
112 112 118
Tacitus Annales 1 2,42,5 3,24,3 3,65,1 12,23,1 12,54 12,54,1 12,54,4 15,28,3 15,44,2 15,44,3 15,44,4 15,44,5
196 78 196 247 78 96 87 593 94 209 28, 208, 299, 570, 593 335, 438, 516, 569 208
Historiae 2,2 2,79,1 4,81,1–3 4,81,3 5,5,1 5,5,3 5,9 5,9,2 5,10,1 5,12,3 f. 5,13,2
106 118 118 482 569 125 44, 96 87 108, 113 119 112, 118
Polybios Universalgeschichte 247 2,56,10 Pompeius Trogus → Iustinus
Quintilian Institutio oratoria 4,1,19 5,11,19 5,11,23–27 5,11,26 8,5,18 f. 9,2,59
106 400 400 405 382 247
Sallust De Catilinae coniuratione 603 52,36 Silius Italicus Punica 3,600
68
Statius Silvae 1,6,13; 3,2,138; 5,2,139 68 Stobaios Florilegium III,462,14
502
Strabo Geographia 16,2,44 16,2,46 16,40 17,3,25
371 73 44 76
Sueton Augustus 14 93 94–99 97,1
67 63 492 492
714 Thukydides Historiae 1,22,1
Stellenregister
203
Varro Frag. 18 = Augustin, de civ. Dei 4,31 85
Trajan Epistula ad Plinium Plinius, ep. 10,78 602
Velleius Paterculus Historia Romana 196 2,59–124
Ulpian De officio proconsulis 213 Buch VII
Vergil Georgica 3,12 ff.
Valerius Flaccus Argonautica 1,12
68
68
XI. Inschriften, Papyri und Nachschlagewerke Siehe auch Sachregister unter Abba (Priester); Claudiusedikt; Grabinschriften; Jason-Grab; Münzen; Ossuarinschriften; Pilatusinschrift; Synagogeninschriften; Theodotos-Inschrift; Warn inschrift; Zauberpapyri. AE 1928 Nr. 82
107
K. Beyer, Die aramäischen Texte vom Toten Meer samt den Inschriften …, 1984 136 328 f. 61 344 153 347 Bodmer-Papyri P66 P75
217 217
L. Boffo, Iscrizioni greche e latine per lo studio della Bibbia, 1994 77 Nr. 23 64, 156 Nr. 31 61, 158 Nr. 32 Nr. 40 104 f. 107 Nr. 41 Chester Beatty-Papyri P45 219 CIJ 2.1404 (Theodotosinschrift) 64
CPJ Nr. 153 (Claudiusedikt) 87 W. Eck, Das senatus consultum de Cn. Pisone patre, 1996 Kopie A, Kol. II Z. 51 f.; Kopie B, 109 Kol. I Z. 42 V. Ehrenberg/A.H.M. Jones, Documents illustrating the reigns of Augustus and Tiberius, 1949 593 Nr. 311 J. van Haelst, Catalogue des papyrus littéraires juifs et chrétiens, 1976 Nr. 585 (= P.Oxy 5.840) 242 Nr. 587 (= P.Oxy 10.1224) 241 Nr. 589 (= P.Vindob. G 2325) 241 W. Horbury/D. Noy, Jewish Inscriptions of Graeco-Roman Egypt, 1992 Nr. 13.22.24.25 85
715
Stellenregister T. Ilan, Lexicon of Jewish Names in Late Antiquity. Part I, 2002 614 258 Nr. 27 Y. Meshorer, Jewish Coins of the Second Temple Period, 1967 278 133, Nr. 63–65 Y. Meshorer, Ancient Jewish Coinage. Addendum I (INJ 11 [1990/91], 104–132) Nr. 10–10a; 11–11a; 14–14a 83 OGIS (Dittenberger) 88 Nr. 418 Nr. 419 104 f. Nr. 420.422.425 105 Oxyrhynchos-Papyri 243 1 1,30–35 (1,9–14) 295 5.840 242 241 10.1224
Papyrus Egerton 2
241
Papyrus Florentinus 606 61 Papyrus Murabba‘at 45,6 (DJD IIa, 1961) 123 Papyrus Vindobonensis G 2325 (van Haelst, Nr. 589) 241 L.Y. Rahmani, A Catalogue of Jewish Ossuaries in the Collections of the State of Israel, 1994 292 173 f. Nr. 430 88, 156 258 f. Nr. 871 SEG 2 (1924), Nr. 828–830; 832 59
Autorenregister Die kursiv gedruckten Seitenzahlen beziehen sich auf die Anmerkungen. Abramowski, L. 379, 582 Adam, A. 124 Ådna, J. 62, 541, 551, 555, 557–560, 596 Albani, M. 140 Albertz, R. 142, 145 Alexander, L. 230, 256 Alexander, Ph.S. 378 Alföldy, G. 56, 76 Alkier, S. 5, 12 Allison, D.C., Jr. 318, 323 Alt, A. 273 Althaus, P. 202 Arav, R. 347 Asín y Palacios, M. 240 Aufhauser, J.B. 193, 206, 211 Augstein, R. 206 Aune, D.E. 387, 462 Aurelius, E. 227 Avemarie, F. 135, 147, 306, 402, 441, 512, 576 Avigad, N. 136, 614 Avi-Yonah, M. 281 Baasland, E. 255 Bacher, W. 194 Back, F. 629 Backhaus, K. 224, 297, 299 Bader, R. 211 Baeck, L. 24 Bahat, D. 61 Baldensperger, W. 181 Balz, H.R. 424 Bammel, E. 206, 210, 578 Bardet, S. 82, 206 Barrett, C.K. 77, 92, 602 Barth, K. 176, 178, 190 f., 406 f., 532 Bauckham, R. 182, 218, 222, 224, 231, 244, 246, 256 f., 283, 286, 292 f., 369, 590, 616, 627, 648 Bauer, B. 179, 206
Bauer, W. 82, 273, 287, 289 f., 292 f., 297 f., 318, 321, 336, 343 f., 362, 369 f., 580, 588 f., 637 Bauernfeind, O. 39, 50, 69, 256 Baum, A.D. 377 f., 380 Baumstark, A. 211 Baur, F.C. 24, 26, 189, 203, 215, 256 Bayer, H.F. 351, 517, 540 Beaverbrook, M.A. 184 Becker, E.-M. 224 Becker, H.-J. 155, 235 Becker, J. 5, 337 Becker, M. 477 Bellinger, W.H., Jr. 574 Bengel, J.A. 428 Berger, K. 238, 485 f., 505 Berschin, W. 494 Best, E. 223 Bethge, H.-G. 242 Betz, O. 202, 461, 570, 591, 597 Beyer, K. 61, 134, 136, 153, 265, 384–386, 478, 526, 613 Beyschlag, K. 148 Beyschlag, W. 176 Bickerman(n), E. 41, 204, 256, 571, 601 Biddle, M. 621 Bienert, W. 207 Bihlmeier, K. 488 Billerbeck, P. 181, 182 f., 236 Black, M. 383 f., 386, 396 Bleicken, J. 197 Blinzler, J. 286, 570, 591 f., 598, 601, 606, 608, 615, 619 f. Böcher, O. 297 Bock, D.L. 592, 598 Bockmuehl, M. 191 den Boer, W. 210 Boffo, L. 39, 61, 64, 77, 104 f., 107, 156, 158 Böhm, M. 122, 142 f., 145–147, 345, 354, 356, 564
Autorenregister Bornkamm, G. 175, 536 Bösen, W. 273 Botermann, H. 209 Böttrich, Ch. 361 f., 366 Bousset, W. 176, 255, 407, 507, 510, 528 Boustan, R. 385 Bovon, F. 432 Bowden, J. 184 f., 206, 262 Brandon, S.G.F. 182 Braun, H. 175 Bringmann, K. 120 Brock, S.P. 211 Brockelmann, C. 123 Broer, I. 641 Broscio, G. 293 Broshi, M. 56 Brown, R.E. 237, 551, 570, 575 f., 582, 587, 590 f., 608, 619 Bruneau, P. 145 Brunson, A.C. 331, 552 Bühner, J.-A. 331 Bultmann, R. 21, 172–175, 176, 178, 181, 189 f., 193, 201 f., 238, 248, 250–255, 266, 267, 295, 395, 401, 403, 407, 411, 412, 461, 479, 483, 489, 498, 500, 501 f., 507, 509, 510, 517, 520, 521, 523, 525, 531, 536, 553, 577 Burchard, Ch. 124, 205 Burney, C.F. 383 f., 386, 387, 388, 391 Byrskog, S. 219, 222, 224, 244, 257, 375, 377–379, 482 Bystrina, I. 182 Cadbury, H.J. 509 Cadoux, A.T. 401 Campenhausen, H. von 625, 641 Camponovo, O. 406, 408 Cancik, H. 245 Cardauns, B. 85 Carleton Paget, J.N. 154 Carlson, S.C. 242 Carlyle, Th. 507 Casey, M. 225, 377, 384 f., 386 Chadwick, H. 12 Chamberlain, H.S. 183 Chancey, M.A. 73, 264, 273, 275 Charlesworth, J.H. 190, 409, 625 Chester, A. 625 Chilton, B. 183 Claußen, C. 155, 348, 351 Collins, J.J. 498, 500 Colpe, C. 198, 526, 531, 533, 537, 542
717
Conzelmann, H. 171, 174, 339, 343, 510, 521, 524 f., 536, 630, 633 Cook, J.G. 210 f., 487, 588 f., 598 Cotton, H.M. 77 f. Crossan, J.D. 182 f., 184, 190, 228, 241, 243, 509 Crouzel, H. 493 Cureton, W. 211 Dalman, G. 182, 264, 273, 281, 348, 350, 360, 370, 383 f., 408 Davies, W.D. 318, 323 De Wette, W.M.L. 428 Deines, R. 40, 43, 122 f., 127–130, 134, 137–140, 148, 150, 156 f., 183, 234, 280, 292, 305, 313, 320, 380, 388, 393, 396, 420, 431, 436 f., 451, 453, 477, 504 f., 576 Deissmann, A. 606 Denis, A.M. 265 Denyer, N. 644 Dexinger, F. 122, 142–144 Dibelius, M. 189, 193, 215, 249, 251–254, 255, 480, 491, 507, 531 Dihle, A. 380, 436 Dimant, D. 163 Dinkler, E. 571 Dobschütz, E. von 227, 234 f., 635 Dochhorn, J. 323 Dodd, C.H. 237, 239, 401, 412, 541, 555 Dodds, E.R. 488 Doering, L. 132, 157, 394 Döring, K. 194 Dormeyer, D. 378, 387, 602, 608 Downing, F.G. 296 Drews, A. 180 Droysen, J.G. 260 f. Dschulnigg, P. 216 Dungan, D.L. 198 Dunn, J.D.G. 193, 244, 273, 283, 297, 378–380, 386, 398, 406, 414, 461, 498, 506, 526, 541, 543, 551, 557, 582, 601, 619, 625, 641 Dupuis, Ch.F. 180 Ebeling, G. 175 Ebeling, H.-J. 523, 524, 525 Eck, W. 76, 109, 118 Eckstein, H.-J. 551, 625, 632, 636, 639 f. Ego, B. 409, 528, 570 Ehrenberg, V. 197, 593 Ehrman, B.D. 242, 580, 643 Eisler, R. 206, 207, 557, 559
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Autorenregister
Elbogen, I. 24, 640 Elledge, C.D. 167, 625 Erlemann, K. 402 Ernst, H. 398 Ernst, J. 297, 324 Eshel, A. 152 Eshel, E. 152, 479 Falk, H. 183 Farmer, W.R. 574 Fascher, E. 215, 253, 255 Fauth, W. 488 Feldman, L.H. 80, 206 Feldmeier, R. 516, 587, 617 Fiebig, P. 401, 473 Fieger, M. 242 Field, F. 318 Figueras, P. 156 Finne, R. 182 Fischer, M. 283 Fitzer, G. 315 Fitzmyer, J.A. 381, 386, 452 Fjärstedt, B. 198 Flusser, D. 137, 292, 501 Foerster, W. 360 Fox, R.L. 195 Frank, K.S. 494 Frey, J. 11, 122, 142 f., 241, 366, 586, 630, 634, 637 Freyne, S. 48, 73, 75, 77, 115, 264, 273–275, 343, 402 Froehlich, K. 370 Fuchs, E. 175, 331, 401 Funk, F.X. 488 Funk, K. 245 Funk, R.W. 184, 185, 401 Gabba, E. 39, 46, 48, 53, 56–58, 97, 113 f. Gager, J.G. 487 García Martínez, F. 149, 157, 279, 385, 397, 399 Gathercole, S.J. 567 Gerber, C. 40 Gerber, W.E. 349 Gerhardsson, B. 378, 397 Gese, H. 136, 159, 161, 527, 532, 535, 540, 582, 630 Gesenius, W. 613 Gigon, O. 194 Gilmour, S.M. 635 Gnilka, J. 265, 289 Gogarten, F. 179
Goltz, E. von der 256 Goltz, H. von der 256 Goodblatt, D. 39, 46, 76, 117, 575 f. Goodman, M. 575 f. Goppelt, L. 540, 542 Görg, M. 608, 619 Graetz, H. 24 Grant, M. 189, 464 Grappe, Ch. 406 f., 414 Grass, H. 625 Grässer, E. 202, 230 Gregg, B.H. 325, 443 Grelot, P. 391 Gressmann, H. 22 Grimm, W. 461 Grundmann, W. 183, 209 Gunkel, H. 21, 249 Güttgemanns, E. 255, 633 Haeckel, E. 183 Haelst, J. van 241 f. Haenchen, E. 412 Hagner, D.A. 205 Hahn, F. 12, 321, 383, 396, 401, 526 f., 536, 542 Hampel, V. 396, 508, 526, 530, 531 Harnack, A. von 24, 176, 186 f., 190, 204, 215, 230, 338, 356, 425, 486, 494, 498, 507, 518, 635, 637, 651 Harnisch, W. 401, 403 Harrington, D.J. 182, 183 Hartin, P.J. 205 Hartlich, C. 489 Hase, K. von 176, 178, 180 Hausrath, A. 190 Häußer, D. 199 Heckel, Th. 218 Heckel, U. 427 Heinemann, J. 360, 408, 417 Heitmüller, W. 265, 407, 411, 412 Hencke, C. 195 Hengel, R. 461, 480 Hengstenberg, E.W. 178, 256 Henige, D.P. 257 Henrichs, A. 198 Herder, J.G. 222, 249 Herrenbrück, F. 78 Herrmann, W. 176, 261, 479, 489 Hesse, F. 545 Heussi, K. 493 Hezser, C. 399 Hill, C.E. 237 f.
Autorenregister Himmelfarb, M. 101 Hirsch, E. 183 Hitchcock, M. 569 Höcker, C. 59 Hoehner, H.W. 73 Hoffmann, P. 224, 635 Hofius, O. 197, 241, 473, 573, 582 Holl, K. 635 Holladay, C.R. 145, 215 Hölscher, G. 521 Holtzmann, H.J. 190, 215, 509, 517 Hoover, R.W. 185 Horbury, W. 57, 59 f., 62 f., 67 f., 85, 113, 136, 156, 167, 211, 526–529, 531, 576, 591 Hornschuh, M. 370 Horst, P.W. van der 83 f., 144 f., 429, 610, 644 Hudson, J. 211 Huggins, R.V. 227 Hurtado, L.W. 360 Hüttenmeister, F.G. 90 Ilan, T. 111, 151, 160, 161, 284, 285 f., 369, 551, 589, 614, 616, 630 Instone Brewer, D. 134 Ising, D. 495 Isser, S. 123 Jacoby, F. 211 Janowski, B. 159, 161, 409 Jastrow, M. 74, 319, 351, 362, 397, 435, 465 Jenks, G.C. 216 Jensen, M.H. 73–75 Jeremias, G. 149 Jeremias, J. 98, 197, 244, 251, 264, 266, 283, 292, 317 f., 351, 355, 380, 383 f., 386, 391–393, 397 f., 401, 404–406, 412, 416–418, 431 f., 437, 443, 448, 452, 454, 458, 500 f., 502, 504, 505, 517, 526, 532, 533, 537, 540 f., 542, 543, 574, 575 f., 582, 583, 591, 613, 633, 635 Jones, A.H.M. 197, 593 Jülicher, A. 190, 215, 253, 396 f., 400–402, 509 Jüngel, E. 396, 401 Kähler, M. 176, 178, 188, 245, 251 Kampen, J. 149 Karrer, M. 498 Käsemann, E. 12, 175, 248, 266–269, 412, 480, 499, 510, 536
719
Kasher, A. 57 Kasper, W. 625 Keel, O. 62, 307 Kehne, P. 48 Kelhoffer, J.A. 318, 644, 649 Kertelge, K. 483 Kittel, G. 323 Klauck, H.-J. 91, 123, 240 f., 243, 295, 300, 370, 397, 400, 401, 402, 635, 640, 642 Klausner, J. 25, 39, 67, 162, 184, 189 f., 191, 193, 206, 212 f., 317, 501 Klein, G. 367 Klein, W. 183 Klijn, A.F.J. 635 Kloppenborg (Verbin), J.S. 64, 224, 264, 273, 275, 517, 543, 565 Klostermann, E. 348, 439, 502 Knopf, R. 10 Koch, K. 316 Koenen, L. 198 Köhler, W.D. 220, 241 Kohler, K. 25 Kokkinos, N. 3, 39, 43, 48, 50–54, 70, 72 f., 81–83, 87 f., 92, 103, 105 f., 108, 153 Kollmann, B. 182, 492 Koskenniemi, E. 477, 481–483 Köster, H. 198, 243 Krauss, S. 211, 360, 619 Kremer, J. 625, 635 Krüger, T. 377, 398 Küchler, M. 62, 307, 387, 399 Kuhn, H.-W. 479, 611 f. Kuhn, P. 542 Kuhn, T.K. 176 Kümmel, W.G. 175, 214 f., 219, 406, 532 Künzi, M. 538 Kupisch, K. 176 Labriolle, P. de 610 Lagrange, M.-J. 590 Landau, T. 40 Landmesser, Ch. 448 Lang, F. 221, 306, 503 Lange, A. 122–124, 138, 149 Lauer, S. 398 Lehmann, K. 625, 630 Lehmann, M. 265 Lehnardt, A. 410 Lehnardt, Th. 409 Leith, M.J.W. 144 Lemcio, E.E. 221 Lencman (Lenzmann), J.A. 180
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Autorenregister
Lentzen-Deis, F. 265 Lessing, G.E. 175 f. Levine, E. 151 Levy, J. 333 Lichtenberger, A. 56 f., 70 Lichtenberger, H. 122–124, 165, 299, 479 Lietzmann, H. 26, 125, 131, 215, 216 f., 253 Lightfoot, J.B. 24, 215 Limbeck, M. 370 Lindemann, A. 92, 488, 521, 524 f. Lindenberger, J.M. 399 Lindeskog, G. 184 Linnemann, E. 575 Lipiński, E. 364 Lipsius, R.A. 362, 370 Lohmeyer, E. 590 Löhr, H. 391 Löhr, W. 16 Lohse, E. 148, 360, 575 f. Loofs, F. 176 f., 180, 237, 266 Lord, A.B. 378 Lüdemann, G. 3, 175, 284 Lührmann, D. 242, 522 Luther, M. 432 Luz, U. 292, 369, 371, 379, 388, 391 f., 394, 441, 446, 448, 505, 603 Mack, B.L. 184, 228, 509 Magen, Y. 142 Maier, G. 124 Maier, J. 61, 138, 147, 149, 212 Manselli, R. 494 Manson, T.W. 390 Mara, M.G. 241 Markschies, Ch. 16, 230 Mason, S. 39, 77, 91, 108, 129 f. Massaux, É. 219 Mattingly, H. 197, 563 Meeks, W.A. 500, 501 Mehlhausen, J. 180 Meier, J.P. 122, 184, 193, 283, 297, 307, 367, 406, 418, 428, 461–463, 478, 492, 561 Ménard, J.-É. 473 Merchal, G.P. 258 Merkel, H. 187, 228, 238, 242, 265, 293, 344, 378, 406 f., 412, 429 Merkelbach, R. 491 Merklein, H. 406 Merz, A. 82, 175, 193, 198, 202, 206, 211, 237, 240, 250, 297, 396, 398, 400–404, 441, 461, 492, 551, 582, 591, 625
Meshorer, Y. 83, 92, 102, 144, 278 Metzger, B.M. 322, 588, 601, 607 Meyer, E. 189, 193, 195, 251, 490 f., 495 Meyer, M. 580 Meyers, E.M. 73 Meynet, R. 383 Michel, O. 39, 50, 69, 188, 439 Mildenberg, L. 65, 117, 214, 563 Millar, F. 39, 42, 51, 56–58, 71, 76–78, 114 f., 118, 189 Milson, D. 351 Mittmann, S. 143 Mittmann-Richert, U. 40, 62, 99, 233, 287, 302, 305, 327, 367, 463, 468, 471, 519, 585, 618, 646 Möllendorf, P. von 400 Mommsen, Th. 263, 571, 601, 603 Morgenthaler, R. 185, 219 Mournet, T.C. 378 Müller, K.W. 417 Müller, M. 536, 537 Mußner, F. 191, 265 Mutschler, B. 217 Na’aman, N. 142 Nagel, T. 220, 237 Naveh, J. 142 Neirynck, F. 225, 643 Netzer, E. 55–57, 61 f., 73, 155, 558 Neugebauer, F. 229, 239, 262, 267, 303, 308, 321, 323 f., 338 Neusner, J. 40, 194 Newsom, C. 409 Nigg, W. 495 Nissen, A. 433 f. Nock, A.D. 148 Norden, E. 381 Norelli, E. 310, 527 Nowak, K. 176 Noy, D. 60, 85 Oberlinner, L. 283, 285, 288 Öhler, M. 306 Ostmeyer, K.-H. 273 Otto, R. 354, 531 Overbeck, F.C. 181, 230, 242 Paret, R. 198 Park, J.S. 136 Paschen, W. 394 Paulsen, H. 92, 488
Autorenregister Perles, F. 24 Pesch, R. 289, 323, 396, 461, 540, 551 f., 557, 570, 571, 582, 619, 625, 641 Petersen, W. 382, 388, 395 Peterson, E. 314 Philonenko, M. 391 f., 417 f., 448, 458 Pietersma, A. 487 Pitre, B. 410, 418, 464, 506, 540, 545 Plümacher, E. 589 Preuschen, E. 213, 292 Prieur, A. 424 Procksch, O. 418 Prostmeier, F.-R. 16, 293 Prümm, K. 21 Pucci ben Zeev, M. 39, 47 f., 63, 85 Puech, E. 136, 333 Pummer, R. 133 f., 142, 144 Qedar, S. 144 Qimron, E. 122, 138 f., 141, 159 f., 420 Rad, G. von 442 Rahmani, L.Y. 88, 156, 292 Räisänen, H. 506, 515, 525 Rajak, T. 39 Reed, J.L. 73, 273, 275, 283, 348 Reich, H. 610 Reimarus, H.S. 175 f., 182, 185, 547 Reinau, H. 257 Reiser, M. 102, 325, 382, 386, 398 Rengstorf, K.H. 297, 314 f., 375, 455, 504, 625 Resch, A. 197, 240 Riesner, R. 3, 39, 82, 89, 94, 124, 198 f., 209, 346, 375, 377 f., 385, 483, 613, 637, 651 Ritschl, A. 181, 215, 406 Robinson, C.A., Jr. 195 Robinson, J.A.T. 238, 361 Robinson, J.M. 175, 187, 224 f., 228, 241, 303, 374 Roller, D.W. 57 Rollmann, H. 186, 498 Roloff, J. 221, 244, 283, 461, 475, 476, 481, 557 Rose, Ch. 397 Rosenberger, M. 521 Rubinstein, R.L. 28 Rudolph, K. 129 Rüger, H.P. 265, 281, 371, 382, 448, 478, 613, 617 Rusam, D. 373
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Sacchi, P. 527 Sachs, W. 489 Sæbø, M. 442 Saldarini, A.J. 122, 126, 130 Sallmann, K. 196 Sanders, E.P. 183, 255, 326, 406, 407, 429, 500 Sato, M. 246, 389 Schadewaldt, M. 252 Schadewaldt, W. 189, 193, 252 Schaeder, H.H. 212, 281 Schäfer, P. 212, 214, 284, 473, 547, 570, 598, 648 Schalit, A. 39, 52–54, 58, 63, 65, 67, 68 Schaller, B. 144, 314 Schamoni, W. 495 Schaper, J. 150, 158, 161, 167 Schechter, S. 135 Schelkle, K.H. 625 Schenke, H.-M. 241 Schenke, L. 641 Schiffman, L.H. 164 Schirren, Th. 195, 482 Schlatter, A. 24, 188, 215, 256 Schleiermacher, F.D.E. 176–178, 191, 237, 261 Schlichting, G. 211 Schmid, J. 180 Schmidt, K.L. 189, 193, 251, 255, 343, 344, 551, 555 Schmiedel, P.W. 265, 266, 267 Schmithals, W. 273, 367 Schnabel, E.J. 603 Schnackenburg, R. 406, 616 Schneemelcher, W. 3, 5, 171 Schneider, J. 255 Schnelle, U. 214 f. Scholder, K. 488 Scholz, H. 188 Schrage, W. 243, 431, 433, 626, 633, 635, 637, 639 Schreiner, J. 316 Schreiner, S. 414 f. Schremer, A. 135 Schröder, B. 104, 128 Schröter, J. 205, 243, 382, 389 Schuller, E.M. 161 Schulte, H. 175 Schulz, S. 12 Schürer, E. 3 f., 39–43, 46, 48, 52, 54, 60, 64, 68, 76, 78, 80, 82, 85–87, 92, 94, 102, 104–108, 117 f., 124, 129, 154, 157–159,
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Autorenregister
206, 275, 295, 347 f., 467, 521, 575 f., 591, 610, 614 Schürmann, H. 247, 375, 378, 406, 424, 582 Schwankl, O. 561 Schwartz, D.R. 39, 68, 79, 83, 88 f., 100 Schweitzer, A. 176, 177, 178, 179–181, 184–186, 188, 189, 193 f., 202, 220, 293, 315, 316, 339, 354, 406 f., 408, 411, 421, 446, 506, 507, 510, 517, 538, 546 Schweizer, E. 542, 629 Seeberg, R. 183 Segal, A.F. 29 Segert, S. 381–383 Seybold, K. 348, 380 f., 393, 409, 545 Sherwin-White, A.N. 570 f., 591, 593, 598, 601–603, 606 Siegert, F. 39, 74, 101, 115, 130, 315, 377, 379 Sjöberg, E. 526, 531 Smith, M. 123, 182, 242, 331, 482, 487 Smith, W.B. 180 Snodgrass, K. 517, 543, 565 Soden, H. von 510 Soggin, J.A. 344 de Solages, S. 219 Sololoff, M. 435 Spicq, C. 364, 634 Spinoza, B. 488, 491 Stancliffe, C. 494 Stanton, G.N. 244 Steck, O.H. 161 Stemberger, G. 122, 126, 134–137, 147, 150 f., 154 f., 313 Stern, E. 142 Stern, M. 39 f., 42–46, 51, 53, 62 f., 65, 67 f., 73, 78, 85, 87, 94, 96, 106, 108, 112, 119, 128, 208, 275 Stettler, H. 205 Steudel, A. 61, 137, 149, 163 Strack, H.L. 181, 183, 212 f., 284, 570, 648 Strauß, D.F. 175, 176, 177–179, 181, 184, 185, 189, 190–192, 214 f., 238 f., 262, 270, 483, 488, 489, 496, 650 Strecker, G. 182, 248, 431, 596 Strickert, F. 73 Strobel, A. 570, 598 Strugnell, J. 122, 138 f., 141, 159 f., 420 Stuhlmacher, P. 6, 198, 355, 437, 451, 462, 541 f., 573, 582, 586, 625, 639 Sullivan, A.D. 94 Swete, H.B. 478 Sysling, H. 640
Tajra, H.W. 602 Talmon, S. 147 Taylor, J.E. 297, 613 Taylor, V. 563, 590 Terbuyken, P. 580 Theisohn, J. 528, 534 Theißen, G. 82, 175, 193, 198, 202, 206, 207, 211, 237, 240, 250, 255, 262, 264–266, 273, 278, 295, 297, 383, 387 f., 396, 398, 400–404, 433, 441, 461, 470, 471, 483, 484, 485–487, 492, 500, 520, 551, 582, 591, 625 Theobald, M. 237, 239 f. Thoma, C. 398 Thomas, J. 315 Thornton, C.-J. 216, 219 Thüsing, W. 383 Thyen, H. 237, 239 Tigchelaar, E.J.C. 157, 279, 385, 397, 399 de Tillesse, G.M. 525 Tilly, M. 297 Tödt, H.E. 536 Tov, E. 140, 528 Trilling, W. 193, 198 Trocmé, É. 261, 483 Troeltsch, E. 12 Tuckett, C.M. 588 Twelftree, G.H. 461 Twesten, A. 176 Tzaferis, V. 612 Uhlig, S. 162, 527 Ungern-Sternberg, J. von 257 Uytfanghe, M. van 461, 488, 492–494 VanderKam, J.C. 122 f., 125, 138, 149, 165 Vansina, J. 257 Veltri, G. 40 Verheule, A.E. 507 Vermes, G. 43, 183, 477 Via, D.O. 401 Vielhauer, Ph. 214 f., 250, 267, 295, 483, 510, 520, 535, 536, 540, 633 Volkmann, H. 196, 609 Volney, C.F. 180 Voorst, R.E. van 193, 207 Vouga, F. 171 Wacholder, B.Z. 51 Waldstein, W. 604, 606 Walzer, R. 210 Wandrey, I. 39
Autorenregister Webb, R.H. 297 Weber, E. 196 Wedderburn, A.J.M. 172 Weder, H. 401, 446 Weihs, A. 543 Weiß, B. 176, 177, 179, 181, 406, 590 Weiß, J. 181, 339, 406 f., 509 Weiss, Z. 73 Weisse, C.H. 635 Weissenrieder, A. 230 Wellhausen, J. 85, 148, 173, 175, 176, 190, 195, 239, 251, 343, 490, 491, 509, 555 f., 590 Wells, G.A. 180 Wenham, D. 198 f., 431, 433 Wernle, P. 176, 509 Westermann, C. 389 Wifstrand, A. 381 Wilckens, U. 351, 462, 635 Wilke, C.G. 227 Windisch, H. 180, 206, 211, 297 Wink, W. 297 Winkelmann, F. 293 Winter, D. 262, 264–266, 383, 396 Wirk, R. 258 Wirth, G. 195 Wischmeyer, O. 395
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Wohlenberg, G. 590 Wohlers, M. 483 Wolff, Ch. 428 Wolters, A. 279 Woude, A.S. van der 149 Wrede, A. 407 Wrede, W. 176, 181, 186, 189, 251, 338, 343, 407, 408, 428 f., 498, 501, 506–511, 512, 513–517, 519, 520, 523–525, 545 Wucherpfennig, A. 16 Wurst, G. 580 Wüst, E. 610 Yardeni, A. 152 Zager, W. 186, 498 Zahn, Th. 24, 215, 227, 283 f., 288, 291 f., 348, 590 Zahn-Harnack, A. von 176 Zangenberg, J. 142 Zeller, D. 393 Ziegler, Th. 190, 192 Zimmermann, J. 147, 163–165, 317, 321, 332 f., 410 f., 467, 498, 500 f., 542 Zuckermandel, M.S. 160, 384 f. Zuntz, G. 189, 193, 252, 571 Zwiep, A.W. 647
Sachregister Die kursiv gedruckten Seitenzahlen beziehen sich auf die Anmerkungen. Verweise innerhalb des Sachregisters sind durch Pfeile kenntlich gemacht; Pfeile vor hebräischen/aramäischen Wörtern (in Umschrift) oder vor griechischen Begriffen verweisen auf das jeweilige Wörterverzeichnis. Bei Autoren und Schriften ist auch das Stellenverzeichnis ergänzend heranzuziehen. Aaron/aaronitisch 98 f., 126, 148, 153, 157, 167, 285, 293, 302, 317 Aaronitischer Segen 409 Abba 5, 199, 239, 263, 265, 382, 384, 386, 391, 417, 431, 457 f., 543, 587 Abba (Priester), Grabinschrift des 153 Abendmahl → Herrenmahl, → Passamahl, letztes Abia (Priesterabteilung) 157, 302, 316 Abraham (Patriarch) 62, 131, 145, 201, 265, 292, 345, 452, 477 – »Gott ~s, Isaaks und Jakobs« 452, 562 – ~s Schoß 452 Abraham (Bischof von Seleukia) 288 Abrahamheiligtum (Mamre) 62 Abrahamskindschaft 303, 316, 328, 452, 455, 552 Abrahamsverheißung 34 Abrisios (Bischof von Seleukia) 288 Abtaljon (Pollion) 152 Achtzehnbittengebet 28, 154, 448, 640 Adam 165, 292, 451, 530, 532 – neuer ~ 323 – und Eva 374; s. a. → Menschenpaar, erstes Adlerepisode 66, 69, 153 Adora (Idumäa) 46 Aelia Capitolina 15, 293 Aemilius Scaurus, M. 42 f., 152 Agabos (Profet) 94, 230 Agrapha 197, 240–243 Agrippa I. 8 f., 47, 52, 56, 63 f., 68, 72, 74, 76, 83–92, 95, 279, 312, 324, 449, 610, 613 Agrippa-Verfolgung 7, 89, 168, 253 f., 263, 288, 368 f., 599, 632 Agrippa II. 28, 48, 58, 68, 73 f., 83, 92 f., 96, 102–110, 113, 115, 203, 520, 603, 609
Agrippa, Marcus V. 60 Ägypterevangelium 227, 242 ägyptischer Aufrührer/Pseudoprofet 100, 312, 547 Ahab 311 Ainon 307 Akko 274; s. a. → Ptolemaïs Albinus (Prokurator) 102–104, 279, 578, 591, 594, 601, 603, 609 Alexander (Alabarch) 84, 94 Alexander (Sohn Aristobuls I.) 52 Alexander (Sohn Aristobuls II.) 46 Alexander (Sohn Herodes’ d.Gr.) 53, 55, 631 Alexander (Zelot) 95 Alexander Balas 150 Alexander der Große 117, 131, 144 f., 195, 559, 611 – als Wundertäter 491 Alexander Jannai 30, 42 f., 60, 67, 138, 151, 152, 274, 611 Alexander der Lügenprofet 210, 492 Alexander und Rufus (Söhne des Simon von Kyrene) 256, 614 Alexandergeschichte 195 f., 491 Alexandra (Tochter Hyrkans II.) 54 Alexandra Salome 42, 43, 60, 83, 129, 134, 138, 151–153, 155, 160 Alexandrien 118, 492 – Judentum 23, 48, 54, 74, 80, 84, 102, 610; s. a. → Philo von Alexandrien – Christentum 16, 18, 219, 222; s. a. → Clemens von Alexandrien, → Dionysios von Alexandrien Alkibiades (Schüler des Elchasai) 299 Alkimus/Yakim (Hoherpriester) 149, 150 Allegorese/Allegorie 401 f. Alliteration 380, 383, 385, 402
Sachregister Aloger 344 »Altes Testament« 16, 25 »Älteste« → »Hohepriester, Schriftgelehrte und Älteste« Amathus (Peräa) 46 Amen-Worte Jesu 265, 384, 389, 395, 413, 446, 504 f., 581, 585 Anachoresis (Flucht in die Wüste) 44, 93, 98 ff., 168 Ananias, Sohn des Nebedäus (Hoherpriester) 28, 96, 101, 103, 106, 107, 110–112 Ananos (Tempelhauptmann) 96 Ananos II. → Hannas II. Anapher 382, 387 f., 395 Andreas (Jünger) 259, 291, 309, 324, 347, 349, 361 f., 366, 368 f., 514, 587, 645 angelus interpres 224, 642 f., 648 Annius Rufus (Präfekt) 80 Anthedon 55 Antichrist 85, 216, 487, 580 Antidoketismus 618, 640, 643, 647 Antigonos (Bruder Aristobuls I.) 152 Antigonos (Sohn Aristobuls II.) 46, 49–51, 52, 54, 609 Antigonos Monophthalmos 245 Antigonos von Sokho 135 Antijudaismus – antiker ~ 40, 78, 94 f., 607, 610 f., 615 – im NT 30 f. – im frühen Christentum 241, 293, 608 – in der Forschungsgeschichte 24, 67, 183, 510 Antiochien am Orontes 7, 27, 51, 63, 84, 147, 202, 264, 276, 633 Antiochus III. 41, 42 Antiochus IV. Epiphanes 31 f., 41 f., 46, 57, 60, 85, 86, 88, 92, 125, 145, 148 f., 158, 160 Antiochus von Kommagene 91 Antipas (Tetrarch) 68 f., 73–76, 275 f., 278 f., 298, 310 ff., 351 f., 354 Antipater (Vater des Herodes) 43, 46–49, 52, 58, 63 Antipater (Sohn des Herodes) 53 Antithesen der Bergpredigt 388, 446 ff., 499, 504 f. Antonia, Burg 57, 78, 79, 93, 100, 105, 109, 207, 547, 559, 589, 592, 602 Antoninus Pius 15, 82 Antonius der Große 493 Äon, dieser/kommender 363, 426
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Apamea, Friede von (188 v.Chr.) 41 Aphorismus 377, 379, 387, 394 Apokalypse → Johannesapokalypse Apokalypsen, apokryphe 17 Apollonius von Tyana 194, 257, 481 f., 488, 496 Apologeten – christliche ~ 15 f., 231, 487, 503 – frühjüdische ~ 131 Apomnemoneumata → »Erinnerungen der Apostel« Apostel/Aposteltitel 370, 375, 636 ff. – Apostel und Zwölferkreis 6, 366, 369 f., 375, 633, 634, 637 f. Apostelakten, apokryphe 17, 370, 482, 486, 489, 495, 517 Apostelgeschichte 203; s. a. → Lukanisches Doppelwerk, → Lukas – ~ und Josephus 77, 91 – Missionsreden 203 – Titel 6, 232 Apostelkonzil 7, 9 Apostelromane 496 Apostelschüler 12, 15, 17, 219, 227, 236 f. Apostolische Väter 14 apostolische/nachapostolische Zeit 5, 8, 10, 18 Appian 45, 47, 196 Apuleius von Madaura 377, 487, 488 Aqiba, R. 124, 155, 379, 384, 400, 415, 435, 436, 449 Aquila 318, 428 Arabien (nabatäisches) 311, 314, 633, 638 Aramäisch – galiläisches ~ 279, 385 f. – Jesu Muttersprache 258, 295, 380, 382, 604 Aramaismen (s. a. → Semitismen) – aramäische Worte Jesu 265, 382, 478, 617 – Problem der Rückübersetzung 383–386, 394, 401 f., 417, 428, 502, 541 Aratos von Soloi 123 Archelaïs 72 Archelaos (Ethnarch) 55, 68–72, 76, 279, 282, 445, 449, 403, 558, 606 Archiv – hochpriesterliches 111, 599 – kaiserliches 196 – römisches Gemeindearchiv 217 Arethusa 44 Aristeasbrief 34, 131, 365
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Sachregister
Aristides (Apologet) 16, 29, 171 Aristobul I. 43, 52, 152, 274 Aristobul II. 42–46, 49, 50, 52, 54, 152 Aristobul III. 54, 65, 318 f. Aristobul (Religionsphilosoph) 122 f., 131 Ariston von Pella 16, 104 Aristoteles 51, 122, 400 Arrian 133, 194 f., 210, 381, 491 Artapanos 131 Ascensio Isaiae 17, 310, 527, 637 Aschdod 44, 68, 73 Assonanz 380, 384 Asyndese 382 Athenagoras (Apologet) 16 Athronges 70 Atomus (jüdischer Magier) 96 Attalos (Märtyrer) 614 Atticus (Statthalter) 620 Auferstehung der Toten, leibliche 165 ff., 467, 519 f., 546, 562, 629 ff., 648 f. – Pharisäer 124 f., 156, 167, 424, 562, 630 – Qumran 165–167 – Sadduzäer 125, 132, 135, 424, 562 Auferstehung Jesu 524, 530, 625–652 – Ankündigung 516, 540 f., 567 – Bekenntnis 30, 200 f., 367, 621, 626–641 – Erscheinungen → Christophanien – Zeugen 626 f., 631 ff., 640; s. a. → Protophanie/Protovision – Zeuginnen 630, 648 Auferstehungserscheinungen → Christophanien Aufstandsmünzen (Bar KochbaMünzen) 111, 117, 214, 467 Augenzeugenschaft 218, 231, 246 f., 256 f., 260 f., 482, 491 ff., 615 f., 625 ff. – und Wunder 477, 490 ff. Augustin 195, 381, 493 f., 496 Augustus (Octavian) 42, 48, 49, 50 f., 53, 55 f., 58, 59 f., 65–70, 72 f., 85 f., 196, 214, 279, 620; s. a. → Pax Augusta – Augustus‑ und Roma-Tempel in Caesarea Maritima 56, 84 – Augustus-Tempel in Sebaste 84 Augustuslegende 492 Auranitis 58, 72, 88 Autokratoris 57, 73; s. a. → Sepphoris Autoritäten im Urchristentum 4, 7, 12, 19, 218 f., 222 f., 227, 233, 236, 244 ff., 252, 256 f., 260, 368, 371, 538, 638 Avot deRabbi Natan 136, 155 Azizos von Emesa, König 96
Baal Schem Tob 495 Bannus (Asket) 129, 132, 167, 315, 318 Baptisten (jüdische Sekte) 133 Bar Kochba-Aufstand 15 f., 28, 155, 211, 281, 589, 592; s. a. → Aufstandsmünzen, → Simon bar Kosiba Bar Qappara 435 Barabbas, Jesus 571, 606–608, 615 Bardesanes 211 Barnabas 6 f., 253, 634, 636, 638 Barnabasbrief 14, 16, 293 Bartimaios 256, 292, 357, 481, 551, 567, 580 Baruch 637 Baruch, syrischer 162 Basilides 16 f., 344 – »Evangelium nach ~« 227 Batanea 58, 68, 72, 110 Beda Venerabilis 494 f. Beelzebul-Anklage 290, 304, 331, 354, 366, 429, 536; s. a. → Satan Begräbnis Jesu 619–621, 626, 628, 641 Beinamen 28, 165, 236, 284, 286, 299, 313, 369–371, 576 Beispielgeschichten 403 Ben Azzai 435 Benedikt von Nursia 494 Berenike (Schwester Agrippas II.) 58, 84, 91, 94, 102, 105 f., 109, 603 Bergpredigt 210, 234, 437, 440 Berufungsvision Jesu 321 f., 544 Berytos (Beirut) 91, 107 Bestechung/Bestechlichkeit 80, 81, 101, 103 f., 213, 620, 642 Bethabara 307 Bethanien (bei Jerusalem) 325, 346, 357, 358, 553 f., 555 f., 580, 581, 619 Bethanien (jenseits des Jordans) 307 Betharamphtha 73 Bethesda (Teich) 462 Beth Horon 95, 113 Bethlehem 281 f. – Kindermordlegende 67 Bethphage 357, 553 Bethsaida 73, 264, 283, 347, 352 f., 373, 390, 443, 462, 465, 470, 478, 512, 521; s. a. → Julias (Galiläa) Beth-Shean 274; s. a. → Skythopolis Bild-/Sachhälfte 400 Bilderreden des äthiopischen Henoch 162, 166–168, 280, 527 f., 531, 534, 535, 536
Sachregister Bildwort 278, 397, 400, 402, 416; s. a. → Sprichwort Bileamorakel 113, 118, 298 Biographie 194, 220, 245, 343, 358; s. a. → Leben-Jesu-Forschung birkat ha-mînîm 154 Bischofsamt 12–14, 638 Blasphemie 89, 95, 150, 592, 598 Blumhardt, Johann Christoph 495 Boanerges 265, 371; s. a. → »Donnersöhne« Boëthos (Priester) 135 Boëthos (hochpriesterliche Familie)/ Boëthusaner 23, 54, 80, 88 f., 134 f., 152, 153, 576 Bosco, Johannes (Don Bosco) 495 Botenrecht, semitisches 375, 504 Brüder Jesu → Familie Jesu Bruderliebe 125, 586 »Buch der Verordnungen« 134 Buchtitel – alttestamentliche Schriften 252 – Josephus, Contra Apionem 39 – kanonische Evangelien 215, 217, 219, 232, 252, 643 – Apostelgeschichte 6, 232 – apokryphe Evangelien 217 – Basilides 227 f. Buhàhri 198 Bündnisverträge (römischer Senat – jüdisches Volk) 41 f., 43 f. Bürgerrecht, römisches 47, 87, 94, 603 Caesar, C. Julius 47, 196 – Altar Caesars 67 – Dekrete, Briefe, senatus consulta 47 Caesarea Maritima 20, 55–57, 73, 78, 81, 84, 91 f., 94, 97, 101 f., 105, 108 f., 118, 264, 281, 353, 602, 610; s. a. → Pilatusinschrift – Augustus‑ und Roma-Tempel 56, 84 – Münzen 520 – Synagoge 57, 108, 112 Caesarea Philippi 73, 107, 115, 275 f., 353 f., 520, 545; s. a. → Paneas Caligula 75 f., 83 ff., 88, 90, 279, 610 Caligula-Krise 40, 48, 80, 84–87, 131 Canon Muratori 238 Cassius Dio Cocceianus 40, 196, 214, 609 Cassius Longinus, C. 47, 49 f. causa poenae 578, 614 f. Celsus 210, 212, 234, 247, 284, 288, 294 f., 331, 481 f., 487 f., 525, 547, 570, 588, 590, 598, 616, 630, 640, 648
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census 3, 76 f., 79, 126, 277, 281, 324 Centurio (unter dem Kreuz) 519, 542, 574, 610, 617 f., 642 Cestius Gallus 109, 113 f., 274, 558 Chanina ben Dosa 477, 479 Chanina ben Teradjon 230 Chanukka 325, 344, 554 Chasidim 148 f. Chasidim, osteuropäische 495 Chiasmus 381, 387 f., 392, 394, 396 Chiliasmus 415, 425, 428, 547, 562 Chokhma 32 Choni der Kreiszieher (Onias) 43, 477, 479 Chorazin 264, 283, 347, 373, 390, 443, 465, 470 – Synagoge 351 Chorschluß 466, 479, 513 Chrestiani 208 f. Chrestos (Sklavenname) 209 Christenverfolgungen 30 f. – Agrippa I. 7, 89, 168, 253 f., 263, 288, 368 f., 599, 632 – Nero 8, 10, 208 f., 216, 260, 335, 363, 371, 438, 440, 516, 569, 574, 603 – Domitian 18, 232, 503 – Trajan 18 f., 209, 232, 503, 602, 608 – in Lyon (177 n. Chr.) 614, 620 »Christologie, implizite« 175, 333 Christophanien 173, 290, 291, 632, 634–637, 640 f., 643, 644–650 Christus 185, 546 – als Titel 528 f., 545, 628, 633 – als Eigenname 521, 522, 529, 633 Claudius (Kaiser) 76, 83, 87 f., 92, 94, 96, 105, 344, 593, 610 – Edikt an die Alexandriner 48 – Judenedikt 209 Claudius Lysias 100, 589 Clemens von Alexandrien 16, 18 f., 216 f. 219, 238, 288, 344, 547 Clemensbrief, Erster 10–12, 14, 24, 204 f., 253, 368 Codex Bezae (D), Zusätze 204, 240, 321, 369, 440, 579 coercitio 602 cognitio extra ordinem 603 Coponius (Präfekt) 79, 146, 277 Crassus, M. Licinius 46 f., 138 crux commissa/immissa 612 Cumanus, Ventidius (Prokurator) 94–96, 105, 279, 558, 559, 593, 610 Cuspius Fadus 92–94, 99, 277
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Sachregister
Cuthbert 494 Dalmanutha 283, 348 Damaskus 42 f., 57, 63 – (Hadad‑)Zeus-Tempel 59, 61 – Christentum 26, 259, 264, 572, 633 Damis 257 Dämonen → Exorzismen Danielbuch 131, 134, 162 f., 246, 298, 410, 428, 442 – aramäische Teile 381 – Ablehnung durch Sadduzäer 528 – Hochschätzung durch Josephus 130, 141, 298 – Hochschätzung durch Pharisäer 327, 528 – Hochschätzung in Qumran 25, 165, 327, 467, 528 – Jesus kennt das ~ 531 David (König) 413, 479, 501 David-Apokalypse (Hekhalot Rabbati) 385 Davidgrab 62 Davidssohn 291–294, 475, 551 ff., 566 f. Dekalog 446 – 1. Gebot 33, 289, 410, 421, 434; s. a. → Liebesgebot – 4. Gebot 289, 420 – 5. Gebot 449 – 6. Gebot 446 – Erweiterung im samaritanischen Pentateuch 145, 147 – Erweiterung in Qumran 145 Dekapolis 49, 53, 55, 70, 115, 275, 330, 348, 352 f. Delos, samaritanische Diasporasynagoge 145 Demetrius I. 41 Demetrius III. Eukairos 138, 151 Denar (Kaufkraft) 441, 581 Diatessaron (Tatians Evangelienharmonie) 16, 198, 211, 287, 292, 318, 321, 344, 348, 440, 618, 652 Didache (Zwölfapostellehre) 14, 241, 375, 641 Didrachme/Tetradrachme (tyrischer Schekel) 65, 117, 159, 559, 563 Diodorus Siculus 195 Diognetbrief 232 Dion (Stadt) 44 Dionysios von Alexandrien 547 Dionysios von Korinth 10, 197, 202, 216, 603 Dionysos/Dionysoskult 274, 495, 616
Doketen/Doketismus 11, 13, 201, 344, 628 Domitian 8, 10, 48, 77 – Christenverfolger 18, 232, 503 – und die Herrenverwandten 213, 292, 294 »Donnersöhne« 355, 371; s. a. → Boanerges Doppelgleichnisse 364, 379, 404, 423, 454 Dora 44, 48, 88 – Synagoge 88 Dornenkrone 610 Dreiheber 384 f. Drei-Kaiser-Jahr 118 »dritter Tag« 352, 468, 541, 572, 626, 628, 630 f., 641 f. Drusilla (Schwester Agrippas II.) 96, 101, 105 Drusus-Turm 56 Ebionäerevangelium 227, 292, 318, 320 f. Ebioniten/Ebionitismus 15, 596 Ehescheidung 199, 435, 446 f. Einsetzungsworte 583–585, 597 Eleazar (aus dem Haus Boëthos, Hoherpriester) 72 Eleazar (Sohn des Ananias) 115 Eleazar (Sohn des Hannas I.) 80 Eleazar (Sohn des Simon) 115, 119 Eleazar (Tempelhauptmann) 103, 110–112, 115, 154 Eleazar ben Dinai 95, 97, 99, 424 Eleazar ben Jair 111, 127 Eleazar ha-Kalir 281 Elia 302, 317 f., 323, 361, 364, 468, 518 – der Eiferer 112, 355 – Entrückung 306 – als Nothelfer 617 – als Wundertäter 331, 468, 482, 486, 497 Elias redivivus 174, 301, 302, 306 f., 310, 317 f., 325, 331, 338, 359 Eliezer ben Hyrkanos 206, 212 f., 384, 473 Elionaeus (Sohn des Kantheras, Hoherpriester) 88 Elisa – Berufung 335, 361, 364 – Jünger des ~ 314 – als Wundertäter 314, 331, 468, 482, 486, 497 Elisabeth (Mutter des Täufers) 285, 293, 302 Elkesaiten 299 Emmaus/Emmausjünger 634, 635 f., 644 f., 647 Emmaus/Nikopolis 71, 645
Sachregister Endgericht 140, 162, 166, 439; s. a. → Gericht Gottes Endreim 383, 386, 391 Endzeiterwartungen 98–100, 121, 141, 161 ff., 245, 313, 315, 327, 332 f., 364, 411, 629 Engelgleichheit 562, 630 Entrückung 100, 162, 306, 637, 647 Epaphroditus (Freigelassener Neros) 77, 232 Ephraim (»nahe der Wüste«) 344, 581 »Ephraim« (als Deckname) 30, 137 Epidauros, Asklepiosheiligtum 482 Epiktet 133, 210, 345, 381 Epikureer 131 Epimythion 405 Epiphaniewunder/Epiphanien 463, 484 Epiphanius von Salamis 136, 281, 286, 314, 344 Epipher 395 Episkopat, monarchischer 13 f. Epistula Apostolorum 17 Erfüllungszitat 282, 452, 552; s. a. → Reflexionszitat Erinnerung 256 f. »Erinnerungen der Apostel« 5, 15, 219, 247, 371, 379 Erlasse, kaiserliche, gegen die Christen 213 Ernte (Metapher/Motiv) 373 f., 414, 423 Erscheinungsberichte 641–652; s. a. → Christophanien Eschatologie (s. a. → Endzeiterwartungen) – konsequente ~ 407 f., 532 – sich realisierende ~ 411 ff. – »realized eschatology« 532 Esra 143, 637 Esra, Vierter 162 Essener 66, 122 ff., 137 ff., 148 ff., 162 f., 303, 313, 479; s. a. → Qumran Essenermahl 125, 414 Essenertor 124 Esther 160 Estherbuch 140 Eusebius von Caesarea 19 f., 343, 547 Evangelien, apokryphe 17, 240–243 Evangelien, kanonische – und Biographie 220, 230, 245, 250 – Reihenfolge 11 Evangelienharmonie → Diatessaron Evangelienlesung, gottesdienstliche 15, 171, 217, 222, 252; vgl. auch → Schriftlesung Evangelienprologe 216, 238, 253
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Evangelientitel 215, 217, 219, 227 f., 232, 252, 643; s. a. → Buchtitel Evangelium nach Maria 428 Ewiges Leben 425, 443 Exodustradition 99, 475, 583 Exorzismen – Anonymer jüdischer Exorzist 477 – Essener 478 f. – Jesus 358, 367, 429, 462, 464 f., 470 f., 474, 477–480, 483 f., 488, 496, 511 ff., 524; s. a. → Beelzebul-Anklage – Jünger Jesu 372, 466 – Parodie bei Lukian 481 Ezechias (Bruder des Hohenpriesters Ananias) 111 Ezechiel 164, 467 Ezechiel-Apokryphon (Qumran) 165 Fabel 397, 398, 400, 403, 405 – aesopische 82, 400 – alttestamentliche 398 Familie Jesu 7, 29, 283–291, 362; s. a. → Herrenverwandte Fasten 92, 314, 318, 323, 337, 402, 440, 464, 474 Fastenanfrage 336, 338 Fastenrolle 134 Feindesliebe 388, 419, 434–436, 440, 446, 504 Feldrede 234, 366, 388, 393, 404, 425, 432, 434, 436, 440, 446, 466 f. Felix, Antonius 96–103, 105, 112, 114, 232, 277, 281, 593, 602 Festmahlmetapher 414 Festus, Porcius 101 f., 105 f., 232, 593, 603 Finger Gottes 429 fiscus Iudaicus 48, 159 Florus → Gessius Florus Formgeschichte 189, 190, 193 f., 244, 249–258, 268, 461 ff., 479 f., 485, 492, 494 Frauen (im Judentum) 111, 153, 156, 160 f., 614, 630 Frauen, galiläische 160 f., 231, 257, 336, 616, 621, 630, 646 – in der Jesusgeschichte 257, 336, 461 f., 580 f. – als Zeuginnen der Kreuzigung 336, 616 – an Jesu Grab 621, 641 ff., 646, 648 – als Auferstehungszeuginnen 630, 635, 646 ff.
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Sachregister
Frauenkataloge/-listen in den Evangelien 257, 368, 648 Freer-Logion 649 Freude, eschatologische 415 f., 454 f. Freudenbote 164, 310, 321, 410, 467 Frevelpriester 149, 150 Friedensreich, messianisches 449, 553 Fronto, M. Cornelius 212 Frühkatholizismus (Begriff) 12, 18 »fünfhundert Brüder« 202, 634 f., 648, 651 Fußwaschung 505, 582, 585, 586, 600 Gaba 58, 274 Gabinius (Statthalter) 46 f. Gadara 44, 55, 70, 275, 348 Gaius (römischer Presbyter) 343 Galen 210 Galerius (Duldungsedikt) 5 Galiläa 48 ff., 115, 220 f., 273 ff., 343 ff., 561, 651 – Synhodos 45 »Galiläer« (als Christenname) 133, 210, 345 galiläischer Dialekt 279, 385 f. Galiläisches Meer → Genezareth (See) Gallio, L. Iunius 556, 577, 598 Gamala (Gaulanitis/Golan) 105, 116, 126, 155, 277 – Synagoge 155, 351 Gamaliel I. 133, 154, 208, 547 Gamaliel II. 154 f., 213, 325, 359 Garizim 98, 142 ff., 356 – Blutbad des Pilatus 82, 604 – samaritanischer Tempel 142 ff. Gaulanitis 68, 72, 274, 277, 352 Gaza 44, 55, 70 Gebet Josephs 33 Gebete Jesu 392, 617; s. a. → Gethsemanegebet, → Jubelruf Jesu, → Vaterunser Gebetsanrede – im Judentum 408, 417 – Jesu 199, 265, 417 »Gebetskampf« Jesu 588 Gebote → Dekalog, → Liebesgebot, → Tora Geburtsgeschichten 281, 282, 297; s. a. → Kindheitsgeschichten, → Stammbaum Jesu Gehenna 444 Geißelung 51, 103, 109, 596, 606, 609, 612 – Jesu 608–611, 614 f. Geistempfang 649 f. Geistgesalbter 164, 321, 333, 412, 467
»Gemeindebildung« 249 f., 408, 411, 520, 536, 538 f., 564, 585 Gemination 381 f. Genezareth (Ort) 264, 348 Genezareth (See)/Galiläisches Meer 72 f., 105, 115, 220, 275, 282, 329, 345, 347–350, 361, 645 Genisten (jüdische Sekte) 133 Gerasa 348, 353, 512 Gerechte 162, 166, 285 f., 332, 394, 419, 445, 450, 454, 502, 572, 619 Gerechter, leidender 32 Gerechtigkeit – Gottes 566 – von Gott geforderte ~ 234, 304 f., 320, 437, 448, 453; s. a. → Gotteswille Gergesa 348, 353 Gericht Gottes 45, 135, 162, 228, 234, 263, 303–306, 316, 325 ff., 333, 335, 373, 389 f., 405, 413, 422, 427, 442 ff., 449, 453, 465, 469, 471, 533, 537 f., 565, 568; s. a. → Endgericht Gerichtsfeuer 306, 442 ff., 503, 506 Gerichtsgleichnisse 414, 444 Gerichtszorn Gottes 315, 331, 443, 452 Geschenkwunder 463, 484 »Geschlecht, dieses« 265, 326, 389, 404, 443, 469 ff., 535 »Geschlecht, drittes« 28 f. Gesetz Christi 431, 433 Gesinnungsethik 432 Gessius Florus 39, 104, 108–110, 112, 609 Gethsemane (Lage) 587 Gethsemaneszene 204, 267, 324, 514, 516, 540, 555, 580, 587 ff. Gethsemanegebet 417, 431, 457, 587, 617 Gewaltverzicht 419, 436, 449 Gischala 116 »Glaubensformel« 626 Gleichnishandlung, messianische → Zeichenhandlung Gleichnissammlungen 397, 412 Gleichnisse – Aesop 379 – Altes Testament und Frühjudentum 379, 398, 403 – Qumran 379, 399 – rabbinische ~ 398, 400 f. – Thomasevangelium 243 Gleichnisse Jesu 225, 235, 264, 276, 336, 354, 384, 396–405, 412, 422 f., 447, 515, 564; s. a. → Doppelgleichnisse,
Sachregister → Gerichtsgleichnisse, → Gottesreichsgleichnisse, → Kontrastgleichnisse, → Parusiegleichnisse, → Zeichenhandlung – und Parabel 396, 401–403 – Einleitung 403 f. – Schluß 405 – als Redeabschluß 398 Gnome 377 Gnosis 13, 16, 21, 580 Goldene Regel 436, 447 Golgatha 613 Gomorra 373, 426, 443 Gottesdienst – himmlischer ~ (Qumran) 139, 141, 409, 478; s. a. → Sabbatopferlieder – jüdischer ~ 44, 127, 158; s. a. → Synagogengottesdienst – urchristlicher ~ 14 f., 25, 171, 217, 222, 229, 252, 257, 259, 284, 572, 641 Gottesfürchtige 9, 21, 23, 26, 34, 277 Gottesherrschaft 409, 418 ff.; s. a. → Königsherrschaft Gottes Gotteskindschaft (Söhne Gottes) 34, 199, 417, 451, 532, 648 Gottesknecht, Jesus als 32, 233, 287, 305, 321, 354, 437–439, 443, 450, 469, 471, 472, 515, 522, 541, 545, 557, 574, 585, 618, 653 Gottesname 314, 409, 418, 431, 434, 447, 542, 592, 597; s. a. → Tetragramm Gottesreichsgleichnisse 405, 422 f. Gottessohn 321, 518 ff., 542–544, 567, 618; s. a. → Abba Gotteswille 431–451 Grab Jesu 619 ff.; s. a. → Leeres Grab Grablegung → Begräbnis Jesu Grabeskirche 613 Grabinschriften 136 (Jason), 153 (Abba), 614 (Alexander qrnjt); s. a. → Ossuarinschriften Gräkopalästiner 253, 382 Gratus (herodianischer Befehlshaber) 70 Gratus, Valerius (Präfekt) 80, 82 Gregor der Große 494 Gregorios Thaumaturgos 493 Gregorius Barhebraeus 288 »Groningen-Hypothese« 149 Habakuk-Pescher 149 Hadrian 15, 171, 196, 613 – Edikt an Minucius Fundanus 19, 606
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»Halle Salomos« 61, 107, 560 Hallelpsalmen 553, 583, 587 Haman 570, 612 Hananel (Hoherpriester) 54 Hannas (hochpriesterliche Familie) 79 f., 88–90, 559, 573, 576, 588, 591 ff., 599, 607, 620 Hannas I. (Hoherpriester) 3, 72, 79 f., 88, 102, 559, 591, 593–595, 600 Hannas II. (Hoherpriester) 34, 64, 89, 102, 106 f., 114, 115, 116–118, 128, 132, 207, 286, 594, 599, 603 Hannas (Tempelhauptmann) 96 Ha-Pizzez (Priesterordnung) 281 Häresie/Häretiker (Begriff) 13 Hargarizin 145–147; s. a. → Garizim »Haus Davids« 292 Hebräerbrief 11, 24, 33, 204, 253 Hebräerevangelium 227, 241, 289, 291, 297, 320, 527, 635, 640, 642, 651 Hegesipp 19, 133, 136, 284, 291 f., 294, 645 Heidenmission 7, 9, 26, 34, 174, 263 f., 352 f., 425, 512 Heidenvorhof 61 Heilsgeschichte 261 Heilungswunder (s. a. → Exorzismen) – Elia 468, 482, 483 – Elisa 314, 468, 482, 483 – Jesus 338, 430, 443, 462, 464–472, 476, 483 f., 495; Mißerfolge 470 – Jünger Jesu 378 – Vespasian 118, 482, 492 »Heimholung Jesu ins Judentum« 184, 501 Helena von Adiabene 94, 160 Helkias (Tempelschatzmeister) 106 Hellenianer (jüdische Sekte) 133 Hellenisten – ~gemeinde in Jerusalem 247, 328, 638 – Tradenten von Jesusüberlieferung 382, 417, 632, 633 – Vertreibung und Mission 34, 89, 356 f., 452 hellenistisch (Begriff) 22 f. Hemerobaptisten 129, 133, 314 Henoch 161, 280, 527 Henoch, Äthiopischer 139, 162; s. a. → Bilderreden, → Menschensohn, → Wächterbuch Heracleon (Gnostiker) 16 Herennius Capito 83 f. Hermon, Berg 274, 353
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Sachregister
Herodeion 117, 118 – Synagoge 155 Herodes d.Gr. 45, 48–71, 135, 153, 160, 276 f., 606, 608, 621 – Memoiren 50, 51 – Tempelbau 59–62 Herodes Antipas → Antipas Herodes Atticus, Ti. Claudius 294 Herodes von Chalkis 91, 93, 96, 103, 105 f. Herodesburg 111, 602, 610, 613 Herodespalast (Jerusalem) 600, 604, 608 Herodianer 23, 27, 59, 65, 75, 132, 235, 366, 520, 561, 563, 568, 575 Herodias 75, 84, 278, 310 ff. Herrenmahl (Mahlfeier, urchristliche) 200, 233, 245, 305, 382, 583–585, 636 Herrenverwandte 90, 213, 263, 281, 288; s. a. → Familie Jesu Herrenworte 382, 393, 394 f.; s. a. → ipsissima verba, → ipsissima vox, → Logientradition Hexameter, hebräische 381 Hieronymus 25, 285, 379, 381, 398 Hillel 64, 130, 154, 208, 379, 436 Hilleliten 130, 154, 183 Himmelfahrt – Christi 637, 642, 646 f. – Augustus, Peregrinus Proteus 492 Hinnomtal 443 Hinrichtungsarten, jüdische 619 Hippolyt von Rom 123, 314, 547 Hippos (Susitha) 44, 55, 70, 275, 348, 352 Hirt des Hermas 13 f., 216, 315 Hiskia (König) 413 Hiskia (»Räuberhauptmann«) 48 f., 70, 110 hochpriesterliche Familien 80; s. a. → Boëthos, → Hannas, → Kamith(os), → Phiabi hochpriesterliches Gewand 79, 93, 592 Hochzeitsmetapher 336, 412, 414, 445 Hodayot 149 Hoheitstitel (messianische Titel) 164, 499, 519, 526 ff.; s. a. → Christus, → Davidssohn, → Gottessohn, → Kyrios-Titel, → Menschensohn »Hohepriester, Schriftgelehrte und Älteste« 132, 573, 575 f., 594 Hohepriesteramt 117, 158, 316, 409 hostes 615 Hymnendichtung in Qumran 25, 141, 165, 385, 392, 479 Hungersnöte 57, 94
Hyrkan, Johannes 30, 43 f., 146, 150 f. Hyrkan II. 42–50, 52 f., 55, 58, 62, 79, 151, 152 Ibn Hisham 198 Ibn Ishaq 198 Ich-Worte Jesu 389, 394, 501–506, 534 »ideale Szene« 132, 258, 289, 350, 363, 564 Idumäa/Idumäer 43, 52, 58, 68, 76, 93, 96, 116, 118 f., 607 – Synhodos 45 Ignatius/Ignatiusbriefe 10, 13, 19, 27, 205, 253, 282, 628, 641 Imma Shalom 213 Imperativ/Indikativ 334, 433, 436 Interimsethik 421, 446 ipsissima intentio 383 ipsissima verba 265, 383 f., 478 ipsissima vox 384, 386, 505, 526 Irenäus von Lyon 5, 8, 13–16, 18 f., 147, 216 f., 219, 237 f., 415, 492 f., 547, 637, 644 Isebel 311 Iskariot (Deutung) 220, 370, 579; s. a. → Qerijjôt Ismael ben Phiabi (Hoherpriester) 106 Iugurtha 609 Iunias und Andronikos 638 Iuppiter Capitolinus 48, 159 Izates von Adiabene 94, 280 Jabne 154, 213, 226, 235, 359; s. a. → Jamnia Jairus 257, 480 f. Jakob (Bischof von Seleukia) 288 Jakob aus Kefar Sama 213 Jakob b. Kurschai, R. 414 Jakob aus Sichnin 213 Jakobus (Großneffe Jesu) 213, 292 Jakobus (Herrnbruder) – Bildung/Griechischkenntnisse 295 – Verhältnis zu Jesus 254 – Auferstehungszeuge 291 – Christophanie 290, 291, 632, 634–636, 640, 646, 651 – »Säule« 254, 632 – Verhältnis zu Petrus 368, 632 – Leiter der Urgemeinde 5–7, 168, 254, 288, 368, 632, 636, 651 – erster Bischof Jerusalems 288, 646 – Gesetzesstrenge/Toragehorsam 34, 107, 168, 286, 453
Sachregister – Autor des Jakobusbriefes? 6, 8, 205 – Verhältnis zu Paulus 24, 202 – »der Gerechte« 286, 371, 375, 636 – Steinigung 5, 8, 10, 34, 81 f., 89, 102, 107, 132, 207, 286, 453, 461, 539, 594, 599, 603 – Martyrium nach Hegesipp 81 f., 527 – in den Evangelien 254, 263, 285 – in der Apostelgeschichte 285 – im Hebräerevangelium 291, 527, 635 f., 651 – im Thomasevangelium 243, 291, 371 – in den Pseudoclementinen 17 Jakobus (Sohn des Judas Galiläus) 94 Jakobus der Zebedaide, Martyrium 8, 89, 253, 368 (s. a. → Agrippa-Verfolgung, → Zebedaiden) Jakobusapokryphon (Nag Hammadi) 637 Jakobusbrief 6, 8, 14, 24, 205, 436 Jamblichos 488 Jamnia 44, 68, 83, 84 f., 109; s. a. → Jabne Jannes und Jambres 487 Jason/Jesus (Sohn des Simon, Hoherpriester) 57, 88 Jason-Grab, Inschriften 136 Jehuda b. Tabai 151, 596 Jehuda han-Nasi 155, 379 Jeremia 25, 98 f., 106, 120, 287, 289, 314, 436 Jericho 46, 53, 55, 57, 67, 70, 72, 319, 329, 355, 481 – Hasmonäerpalast 155 – Synagoge 155 Jerusalem (s. a. → Tempel von Jerusalem) – Baumaßnahmen des Herodes 57–62 – »dritte Mauer« 91, 613 – Baumaßnahmen Agrippas II. 106 f. – Synagogen 155 – hellenistisch-römische Kultur 23, 64 – internationale Pilgerstadt 23, 64, 70, 100, 159, 558 – Wohlstand 64, 100 Jerusalem, himmlisches 35 Jerusalemreisen Jesu 325, 343–345, 554, 556 Jesajabuch 25, 469 – Hochschätzung in Qumran 25, 165, 501 »Jeschua ben Panthera« (bar Pandera) 213, 570; s. a. → Panthera »Jeschua han-nôsrî « 212, 213, 281 Jesreelebene 356 Jesus, Name (Jeschua) 28, 285 f.
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Jesus (Sohn des Damnäus, Hoherpriester) 103, 106 Jesus (Sohn des Gamaliel, Hoherpriester) 106 Jesus (Sohn des Phiabi, Hoherpriester) 54, 80 Jesus (Sohn des Sethi, Hoherpriester) 72 Jesus ben Hananja 119, 385, 578, 591, 596, 601, 609 Jesus Sirach 32, 136, 228, 381, 392, 472 Jesusbilder, moderne 182 ff. Jesuslegenden, antichristliche 234 »Jesus-Seminar« 184 Jetzt, eschatologisches 423 JHWH-König-Psalmen 409, 410 Joarib (Priesterordnung) 150, 157 Joazar (Sohn des Boëthos, Hoherpriester) 72, 77, 79 Jochanan (Sohn des Hesekiel [?], Gekreuzigter vom Mt. Skopus) 612, 621 Jochanan ben Zakkai 116, 154 f., 194, 208, 280 Johanna (Frau des Chuza) 75, 257, 276 Johanna (Enkelin des Hohenpriesters Theophilus) 88, 156 Johannes (Essener) 165 Johannes (Presbyter) 23, 217, 227, 237, 246, 343 Johannes (Steuerpächter) 108 f. Johannes von Ephesus 237 Johannes von Gischala 115 f., 118–120, 130, 155, 277 Johannes Markus → Markus (Evangelist) Johannes der Täufer 3, 172, 278 f., 297–319, 351, 362 f., 412, 443, 445, 499 f., 537, 619, 653; s. a. → Jordantaufe Johannes redivivus 354, 359 Johannes der Zebedaide 7 f., 218, 253 f.; s. a. → Zebedaiden – angeblicher Autor des 4. Evangeliums 7, 237, 246 Johannesapokalypse 5, 8, 11 f., 15, 23, 174, 197, 229, 237, 246, 360, 415, 527, 547 Johannesbriefe 15, 185, 237 Johannesevangelium 237–240, 307–309 – Autor und Datierung 7, 23, 237 f., 246, 343 – Chronologie Jesu 238, 343 f. – kennt Markus und Lukas 215, 237, 307, 362, 551, 580, 581, 585, 595 – hat wertvolle Detailangaben 307, 329, 579, 587, 600, 608, 613, 621
734
Sachregister
Jona 47, 98 f., 389, 443, 463, 469, 535 Jonathan (König = Deckname für Alexander Jannai?) 152 Jonathan (Sohn des Hannas, Hoherpriester) 96 f., 101 Jonathan Makkabäus (Hoherpriester) 44, 126, 138, 148, 149, 150 Joppe 44, 47, 55 Jordan 93, 98, 129, 314 Jordantaufe 172, 294, 300, 305, 307, 313–316, 318 f., 321, 329 f., 338, 443 Jose ben Jochanan 135, 370 Jose ben Joezer 135, 150, 370 Josef (Vater Jesu) 234, 281, 284–288, 292, 468, 616, 645 Joseph (Sohn des Gorion) 115 Joseph (Sohn Jakobs) 29, 292 Joseph von Arimathia 256, 576, 580, 598, 619 f., 621 Joseph Barsabbas 369 Joseph Kabi (Hoherpriester) 106 Joseph und Aseneth 380 Josephus – Biographie 39 f., 108, 114 ff., 120, 129, 275, 315 – Quellen 51, 128 f. – Tendenz 39 f., 80, 108, 129, 298 – Übertreibungen 40, 46 f., 71, 100, 120, 275, 611 Joses (Bruder Jesu) 285 Josia (König) 413 Jotapata 116, 275, 277 Jubelruf Jesu 392, 417 f., 439 Jubiläenbuch 139, 164, 165 »Juda« (Deckname) 137 Juda (Patriarch) 167 Juda (Wüste) 214 Judäa (Provinz) 39 ff. Judas, Name 369 Judas (Bruder Jesu) 213, 285, 291, 292; s. a. → Judasbrief Judas (der »andere« Jünger) 366 Judas (Essener) 152 Judas (Sohn des Jakobus, Jünger) 369 Judas Galiläus 49, 66, 70, 77, 78, 93 f., 97, 100, 110, 112, 126 f., 129, 133, 154, 214, 277, 324, 547, 607 Judas Iskariot 92, 200, 220, 232, 359, 366, 367, 370, 396, 464, 514, 555, 571, 575, 579 f., 581, 588, 632; s. a. → Iskariot Judas Makkabäus 41, 113, 139, 148, 149 Judasbrief 5, 14, 18, 24
Judasevangelium 580 Judenchristentum, palästinisches 7 f., 10, 18, 286, 288, 502, 546, 636 – Konfrontation mit dem Judentum 28, 213, 573, 599; s. a. → Agrippa-Verfolgung, → Jakobus (Herrnbruder): Steinigung – Traditionsbildung/Jesusüberlieferung 10, 227, 266 f., 302, 524 – Autoren des NT sind weitgehend Judenchristen 23 f., 217, 226, 238 Judenchristentum (nach 70) 15, 347, 527; s. a. → birkat ha-mînîm, → Ebioniten, → Pseudoclementinen Judenchristentum/Heidenchristentum 24 f., 654 Jüdischer Krieg, Erster 108–121 Judith 160 Julian Apostata 345, 588 Julias (Galiläa) 57, 73, 347, 352; s. a. → Bethsaida Julias (Peräa) 73, 105 Julius Africanus 50, 211, 281, 293, 344 Jüngeraussendung 199, 372–376 Jüngerberufung 173, 335, 349, 360 ff. Jüngerflucht 173, 514, 588, 643 Jüngergruppen 368, 514, 587 Jüngerkritik Jesu 515 f. Jüngerlisten/-kataloge 73, 218, 253, 366, 369, 579, 632 Jüngerunverständnis 171, 350, 438, 510, 514 f., 519, 654 Jüngerversagen 257, 490, 514, 516, 587 f., 600 Jungfrauengeburt 282, 284 Justin (Apologet) 3, 5, 8, 13, 14 f., 19, 133, 136, 147, 171, 209, 219, 222, 237, 247, 282, 284, 294, 314, 415, 431, 547, 588, 598, 632, 644; s. a. → »Erinnerungen der Apostel« – Apologien 16 – Dialogus cum Tryphone 16 – Syntagma 13 Justinus (Epitomator) 41, 196 Justus von Tiberias 40, 50, 129 Kaiaphas, Joseph (Hoherpriester) 3, 75, 79–82, 89, 107, 559, 571, 576, 578, 588, 591 f., 594 f., 620 Kaiaphas-Grab 156 Kain und Abel 29, 449 Kaiseropfer 84 f., 110, 112, 116, 130, 159
Sachregister Kalender, qumranische 134, 139–141, 152, 157, 302 Kallisthenes 491 Kamith(os) (hochpriesterliche Familie) 80, 576; s. a. → Joseph Kabi; → Simon, Sohn des Kamith Kana 282, 348 Kapernaum 220, 264, 282 f., 286, 347, 350, 352, 361, 363, 373, 443, 481 – Synagoge 277, 283, 350 f., 358, 465 Kapitalgerichtsbarkeit 49, 78 f., 102, 134, 151, 591 ff. Karabas 610 Karien, Versinschrift über gekreuzigten Mörder 629 Karpokrates 17 Katholische Briefe 15 Kathros (hochpriesterliche Familie) 559 Kephas (Petrus) 233, 265, 362, 631 f.; s. a. → Petrus, → kêfā’ Kephas (70er-Kreis) 362, 369 Kephaspartei in Korinth 202 f. Kerinth 343 Kerygma Petri 29, 241 Kettenspruch 384 Kidrontal 587, 600, 614 Kindheitsevangelium des Thomas 241, 489 Kindheitsgeschichten 62, 76, 172, 283, 297; s. a. → Geburtsgeschichten kittim (Deckname) 138, 165 Klearch von Soloi 122 Kleingläubige 474 f. Kleopas/Klopas 288, 616, 645, 646, 648 Kleopatra 51, 53 f. Koerzitionsgewalt 602, 609 Kognitionsverfahren 602 Kohärenzkriterium 267 Kohelet 136, 228 Koilesyrien 274 Kölner Manikodex 198 Kommagene 211 »König der Juden« 263, 577, 578, 598, 604 f., 610 f., 615, 628 Königsherrschaft Gottes 408–411; s. a. → Gottesherrschaft, → Reich-GottesVerkündigung Jesu Konstantin (Kaiser) 613 Kontrastgleichnisse 405, 415 f., 422 f., 471 Kotys von Kleinarmenien 91 Krankensalbung 372, 466, 493 Kreuzesform 612
735
Kreuzesnachfolge (Leidensnachfolge) 229, 363, 438 f., 444, 574 Kreuzesstrafe 609, 611–619 – Alexander der Große 611 – Hasmonäer 67, 151, 612; Alexander Jannai 151, 611 – Römer 10, 71, 94, 96 f., 109, 207, 335, 438, 609, 612 f., 620, 629 Kreuzigung (s. a. → Jochanan, Sohn des Hesekiel) – von Juden 71, 96 f., 109, 207, 609, 612 f. – von Christen 10, 335, 438, 620 – von Römern 109, 609, 611 Kreuzigung Jesu 611 ff. Kriegsregel 140, 164, 165 Kuthäer s. a. → Samaritaner 143 Kyniker/Kynismus 131, 245, 296, 502 – Jesus als »galiläischer ~« 228, 339, 477 Kyrene 106, 614 Kyrios-Titel 359 f., 521, 544, 566 f.; s. a. → Maranatha, → k‚rio” – k‚rio“ als Qerê für das Tetragramm 408 – k‚rio“ als Selbstbezeichnung Agrippas I. 88 – k‚rio“ als Selbstbezeichnung Agrippas II. 105 Laktanz 92, 213, 344, 547 Lamech 449 Latinismen 97, 216, 260, 601 latrones 615 Laubhüttenfest 54, 159, 344, 346, 554, 558 Lebbaios (v.l. zu Thaddaios) 369 Leben-Jesu-Forschung 176 ff., 220, 250, 506 f. Leeres Grab 219, 291, 336, 557, 572, 625, 629 f., 641–644, 645 Lehnwörter 360, 448 Lehrer der Gerechtigkeit 138, 148 f., 163, 164, 208, 317, 420, 499 Lehrerlieder 149 Leichendiebstahl 620, 642, 643 Leidensnachfolge → Kreuzesnachfolge Levi (Sohn des Alphäus) 236, 363, 365, 369 f., 645 Leviten 44, 107, 150, 157 f., 160, 313, 409, 559 Levi-Testament, aramäisches 164 Liebe Gottes 175, 233, 326, 333–335, 416, 419, 436, 445 f., 450, 452–458, 564, 653 f. Liebesgebot, doppeltes 33, 418 f., 433–437, 447, 456, 564; s. a. → Bruderliebe,
736
Sachregister
→ Dekalog: 1. Gebot, → Feindesliebe, → Nächstenliebe, → Sh ema‛ Jiśrā’el Liebeswerke 436, 448, 564, 614 Lieblingsjünger 223, 237, 309, 362, 366, 369, 600, 616, 643, 645, 648 Livia Drusilla (Julia Augusta) 56, 69, 72 f., 83, 347, 492 Logienquelle (Q) 187, 224 ff., 242, 280, 303, 347, 361, 374, 408, 438, 510; s. a. → Logientradition, → »minor agreements« Logientradition 223–230, 235, 330, 363, 365, 407, 422, 437, 438, 440, 444, 469, 533, 537 f., 542, 568, 597; s. a. → Herrenworte – Auswendiglernen von Kernsätzen 375 – frühe Übersetzung ins Griechische 382 Logos 33, 493 Lohn, himmlischer 135, 328, 372–374, 375, 388, 399, 440–442 Lollius (Unterfeldherr) 42 Lucinius Mucianus 118 Lucius Verus 82 »Lügenmann« 149 Lukanisches Doppelwerk (s. a. → Apostelgeschichte, → Lukas, → Lukasevangelium) – Apologetisches Interesse 233 – Datierung 8, 11, 231 – Entstehungsort 253 – Widmung 15 Lukas 230–233 – Biographisches: Arzt 8, 23, 230, 466; Gottesfürchtiger 23; Grieche 264, 349; Paulusschüler 226, 233, 362, 456; Reisebegleiter des Paulus 8, 23, 230, 233, 334, 564 – Historiker/Biograph 244, 309, 345, 358, 362 – Kenntnisse 23 f., 72, 133, 231, 302, 345, 356 f., 547 – Schriftsteller 12, 193, 228, 264 Lukasevangelium (s. a. → Lukanisches Doppelwerk) – Adressat 77, 259, 318, 610 – Datierung 121, 226, 235, 305 – Quellen: Markus 187, 215, 218 f., 231; Logientradition 187, 223 ff., 231, 337; Sondergut 224–226, 230 f., 235, 302, 326; Vorgeschichte 76, 231; Passionsgeschichte 231, 618 – Titel 217, 232
Lukian von Samosata 194, 210, 246, 481, 492, 570 – Alexander (Pseudomantis) 492 – Demonax 194, 245 – Hermotimos 379 – Peregrinus Proteus 246, 492, 570 – Philopseudes 246, 481, 487, 492 Lukuas 113 Lydda 558 Lyonneser Märtyrer 614, 620 Machärus 57, 98, 118, 278, 298, 311, 329 Magadan 348 Magdala 105, 116, 264, 283, 348, 648 – Synagoge 155 Magier, ägyptische 210, 284, 487, 493 – Gegner Moses 429, 488 Magnesia, Schlacht von 41 Mahl, messianisches/eschatologisches 166, 324, 333, 414 f., 424, 440, 448, 452, 486, 532 f., 585 Mahlfeier, urchristliche → Herrenmahl Mahlgemeinschaft/Tischgemeinschaft 125, 159, 328, 396, 413, 414, 415, 420, 582; s. a. → Essenermahl Makkabäer 64, 67, 78, 112, 134, 148 ff., 285 Makkabäerbücher 40 – Erstes 136 – Zweites 160, 167 – Viertes 160 Malchus 462, 589 Maleachibuch 161 Malthake (samaritanische Frau des Herodes) 53, 68, 146, 278 Mammon 448 Mamre, Abrahamheiligtum 62 Manasse (Bruder des Hohenpriesters Jaddua) 143 f. »Manasse« (als Deckname) 30, 137 Mani 198 Manichäismus 21, 500; s. a. → Kölner Manikodex Mannawunder 448, 475 Mara bar Sarapion 211 Maranatha 199, 386; s. a. → mar›na q› Marcion 14–16, 18, 26, 212, 289, 355, 356, 425, 452, 486, 564 Marcus Ambivulus (Präfekt) 80 Marcus Antonius 48–51, 58, 65, 609 Mardochai 612 Maria/Mirjam, Name 616 Maria (Frau [?] des Klopas) 616, 648
Sachregister Maria (Mutter des Jakobus des Kleinen und des Joses) 616 Maria (Mutter des Jakobus und Joseph) 648 Maria (Mutter Jesu) 183, 231, 284–286, 288 f., 293, 302, 320, 365, 432, 468, 514, 616, 648 – und Josef 281, 285 – und Panthera 210, 212, 284 Maria (die »andere« ~) 648 Maria (Schwester Marthas und des Lazarus) 581 Maria Magdalena 283, 551, 616, 643 f., 646–650 – führt Frauenkataloge an 257, 368 – Protophanie 630, 646, 648 – Evangelium nach ~ 428 Mariamne (Hasmonäerin, Frau des Herodes) 50, 52–55, 65, 67, 83, 87, 311 Mariamne II. (Frau des Herodes) 54 Marienverehrung 285 Marisa (Idumäa) 44, 50 Mark Aurel 15, 82, 210, 212, 493 Markellus (Prokurator) 83 Markus (Evangelist) 23, 217–219, 222, 368 Markusevangelium 216–224 – Autor, Datierung, Entstehungsort 215, 222 f., 566 – als petrinisches Evangelium 217–219, 223, 233, 349, 351, 368, 490, 516, 524, 555, 572, 581, 587, 590, 600, 651 Markusevangelium, geheimes 242, 590 Markuspriorität 215 Markusschluß 643 Markusschlüsse, sekundäre 644, 645, 649 Marsus (Statthalter) 91 Martha (Schwester Marias und des Lazarus) 581 Martin von Tours 494 Märtyrerakten, christliche 571, 602 Martyrium Polykarps 602 Masada 50, 57, 98, 110 f., 117, 118, 127,147, 277 – Synagoge 155 Masbotheer (jüdische Sekte) 133, 314 Maschal 384, 389, 393, 397, 541 Matthäus (Jünger) 236, 363, 370 – als möglicher Autor einer Logiensammlung 227, 236, 246 Matthäusevangelium 224 ff., 233–236 – Autor, Datierung, Entstehungsort 11, 155, 235, 253, 330, 568
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– Nachahmung jesuanischer Sprache 228, 265, 382, 404, 475, 504 f., 526 f. – setzt Lukas voraus 187, 226, 227, 233 f., 285, 301, 303, 304–306, 308, 323, 367, 372, 374, 380, 427, 435, 444, 449, 456, 504, 532 f., 560, 564, 568, 599; s. a. → »minor agreements« Matthäuspriorität 215, 227, 236, 259 Matthias (Apostel) 302, 369, 633, 635 Matthias (Sohn des Hannas, Hoherpriester) 88 Matthias (Sohn des Theophilos, Hoherpriester) 106, 118 Megasthenes 122 Megiddo-Ebene 274 Meïr, R. 570 Mekhilta Exodus 409 Melchisedek 145 Melchisedek(‑Michael) 163, 410 Melito von Sardes 14, 16, 19, 25, 196, 415 – Passahomilie 349, 381, 572, 583 Melqart-Herakles (Stadtgott von Tyros) 65, 117, 559 Memoriertechnik 378 Menachem (Essener) 59, 66 Menachem (Manaen, antiochenischer Judenchrist) 75, 276 Menachem (Sohn des Judas Galiläus) 77, 101, 110–113, 119, 126 Menander (Gnostiker) 147 Menenius Agrippa 400 Menschenpaar, erstes 374, 420, 437, 446, 448, 475; s. a. → Adam und Eva Menschensohn 426 f., 514, 526–541, 566 f. – Bilderreden des Äthiopischen Henoch 33, 166, 280, 527 f. – Danielbuch 410, 467, 526 ff. – Jesus 263, 265, 396, 508 ff., 519, 526–541, 544 – gegenwärtiger ~ 355 f., 364, 394, 455, 466, 469, 502, 534–536, 552 – kommender ~ 216 f., 329, 390, 426 f., 445, 518, 536–539, 546 f., 566 f., 585, 597 – dienender/leidender ~ 355, 396, 437, 505, 516 f., 540f, 586 – Menschensohn-Messias 228, 301, 306, 315, 518, 539 – Authentizität der ~worte 394, 510, 526 – Apokryphe Jakobustradition 527, 636 Meristen (jüdische Sekte) 133
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Sachregister
messianische Vollmacht Jesu → Vollmacht Jesu messianischer Anspruch Jesu 498 ff. Messias – königlicher/davidischer 167, 321, 410 f., 467 f., 500, 532 – priesterlicher 164, 167, 467 – profetischer 164, 167, 321, 467 f., 501 »Messiasdogmatik« 500, 511, 548 Messiaserwartung – Essener 164, 167 – Pharisäer 164, 467 f. Messiasgeheimnis 181, 186, 322, 506–525, 529, 548, 551, 572 Messiashaggada, galiläische 495 Messiasprätendenten 71, 100, 112, 113, 119, 120, 546 f. Metapher 336, 352, 374, 399, 401 f., 405, 414, 424, 429, 532; s. a. → Ernte, → Festmahlmetapher, → Finger Gottes, → Hochzeitsmetapher, → Lohn Metellus (Unterfeldherr) 42 Metilius (Centurio) 112 Michael (Erzengel) → Melchisedek Midrasch zur Eschatologie 163 f. Militärdienst, Befreiung vom 47 Mimus 610 »minor agreements« 226, 227, 234, 301, 534, 564 Minucius Fundanus 606 Miqwāot 146, 156; s. a. → Tauchbäder mirabilia 472, 482, 485, 492; s. a. qaum›sia miraculum 496 Mirakel 479, 489 Mirjam/Maria, Name 616 Mischehenproblematik 143 f. Mischna 154 f., 159, 313, 592, 619 Misogynie, essenische 161 Missionspredigt 203 f., 247 f., 572 f., 627, 633 Mithridates VI. 42 Mittelplatonismus 13 Mittlerschaft 32 f., 375, 532 Mohammed 197, 198 Montanismus 13, 15 Mose 98 f., 123, 501, 637 Moses redivivus 99, 145, 147, 500 Mündlichkeit 91 f., 222, 255 ff., 377 ff.; s. a. → oral history Münzen 196, 563; s. a. → Aufstandsmünzen, → Caesarea Maritima: Münzen, → Didrachme, → Münzprägung,
→ Quadrans, → Schomron-Münzen, → Steuermünze, → Talent, → Tiberias: Münzen Münzprägung – Agrippa I. 83, 92 – Agrippa II. 520 – Antipas 74, 278 – Archelaos (Ethnarch) 72 – Herodes 65 – Philippus (Tetrarch) 72 f. Naassenerpredigt 21 Nabatäer 43, 55, 58, 60, 71, 73, 75, 279 nachapostolische Zeit (Begriff) → apostolische/nachapostolische Zeit Nachfolge 173, 290, 335 ff., 349, 360–365, 378, 419 f., 426, 438–440, 442, 535; s. a. → Jüngerberufung, → Kreuzesnachfolge Nächstenliebe 33, 434, 450, 456; s. a. → Bruderliebe, → Feindesliebe, → Liebesgebot, doppeltes Naeman 313, 314, 468 Nag Hammadi 17, 240, 241, 242, 637 Nahumbuch 138 Nahum-Pescher 137 f., 151, 612 Nain 264, 282, 348, 463, 481 Name Gottes → Gottesname Namengebung, jüdische 285 f., 616 Nasiräer 282, 302, 318, 511 Nathanael 282, 348, 362, 365, 366, 369 Naturwunder 483 f., 496 Nazareth 28, 73, 212, 267, 280–283, 285 ff., 350, 361 f., 468 – Synagoge 283, 350, 358 – Synagogeninschrift 281 Nazoräer 28 f., 33, 123, 281, 578 Neapolitanus (Legat) 109 Nehemia 142 f. Nero 77, 102, 105 f., 108, 110, 115, 118, 197, 216, 520 Nero redivivus 216, 299 Neronias (Caesarea Philippi) 107, 520 Neronische Verfolgung 8, 10, 208 f., 216, 260, 335, 363, 371, 438, 440, 516, 569, 574, 603 Neujahrsfest 159 »Neues Testament« 14, 16, 18 Neuschöpfung 618, 630; s. a. → Schöpfung(sordnung) »New Quest« 175, 184 Nikanor 41
Sachregister Nikanortor 59 Nikodemus 619 Nikolaos von Damaskus – Biographie 47, 51, 63, 65, 69 – Historiker 51, 52, 68, 72, 196 – Quelle des Josephus 39, 43, 49 f., 51, 59, 66, 70, 71, 122, 126, 151–153, 160, 611 Nisan, 15./14. 4, 346, 556, 582; s. a. → Tod Jesu Normenwunder 484 Novelle 480, 620 Numenios 210 obstinatio 606 Octavian → Augustus Offenbarungsrede 239 Ölberg 100, 357, 587 Ölsalbung 372, 466, 493, 621 Oniaden 54, 88, 136, 158 oral history 222, 257 f., 492 Ordination, rabbinische 155, 232 Origenes 16, 25, 228, 238, 284, 289, 293, 307, 343 f., 348, 369, 493, 547, 638 Ossuarien 156 f. – Gekreuzigter vom Mt. Skopus 612, 621 Ossuarinschriften 63, 133, 286, 386 – Hannasfamilie 79 – »Haus Davids« 292 – Johanna, Enkelin des Hohenpriesters Theophilus 88, 156 – »Tempelbaumeister Simon« 61 Ostererscheinungen → Christophanien Ostermorgen 557, 581, 631, 641 f., 650–652; s. a. → »dritter Tag« Otiyyot de-Rabbi Aqiba 415 Padre Pio 495 Palmyra, Bel-Tempel 61 Pamphilus von Caesarea 20 Paneas 58, 72 f., 274, 520; s. a. → Caesarea Philippi Panthera 210, 212 f., 284 Papias von Hierapolis 8, 15, 17, 19, 205, 217–219, 222, 227, 236 f., 246, 343, 415, 488, 490, 547, 590, 644 Parabel 397, 399, 401–403, 414 f., 565 Parabeltheorie 515, 534 Paradies 314, 323, 415, 448, 532, 613 Paradigma 480 Paraklet 240, 586 Parakletsprüche 230, 519
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Parallelismus membrorum 228, 264 f., 278, 380 ff., 388, 391, 404, 527 – antithetischer ~ 228, 265, 380, 383 f., 387 f., 393 f., 434 – chiastischer ~ 388 – griechischer vs. hebräischer ~ 381, 389 – klimaktischer ~ 380, 394 – synonymer ~ 380, 387, 395, 402 – synthetischer ~ 380, 382, 387 f., 393–395 Paronomasie 380, 383–385 Parther/Partherkriege 13, 45–47, 50, 59 f., 68, 78, 94, 528, 558 Parusie Christi/Parusieerwartung 27, 31, 34 f., 199, 216, 456, 531 f., 538, 539, 541, 552, 553, 629 Parusiegleichnisse 333, 445 Parusierede 555 Parusieverzug 248, 543 Passafest 4, 68–70, 79, 81, 89, 95, 159, 308, 325, 343, 346, 554, 558, 559, 582, 601, 606 f., 650 f.; s. a. → Todespassa Passalamm 4, 200, 278, 557, 572, 582 Passamahl, letztes 463, 532, 555, 557, 574, 582–587, 599 Passionsgeschichte 570 ff. – vormarkinische ~ 222 f., 229, 571 ff. – Paulus 199 ff., 223, 628 f. – Lang-/Kurzbericht 574 Pastoralbriefe 11, 13–15, 18, 24, 205, 253 patibulum 612 f. Paulus – vorchristliche Zeit 64, 130, 155, 292 – Bekehrung/Berufung 9, 637, 651 – Auferstehungszeuge 634 ff., 649 – und Petrus 202, 368, 633 – Vertrautheit mit Jesusüberlieferung 198– 203, 223, 382, 394, 572, 582 f., 627 ff., 633 f. – gemeindegründende Predigt 204, 572 f., 627, 633 – Prozeß 100–102, 105, 593, 602 f. – Spanienmission 10, 602 f. – Martyrium 5, 8, 10, 216 Paulusakten 14 Paulusapokalypse 17 Paulusbriefsammlung 11, 14 Pax Augusta 59 Pax Romana 48, 60, 64, 100, 107, 274, 607 Pella 44 Pella, Flucht nach 10, 90, 104, 216 Pentateuch, samaritanischer 145, 147 Peräa 46, 68, 70, 73, 75, 93, 96, 220, 307
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Sachregister
– Synhodos 45 perduellio 605 peregrini (Provinziale) 571, 602 f. Peregrinus Proteus 210, 246, 481, 492, 570 pertinacia 606 Pescher/Pescharim 138, 141, 163, 399; s. a. → Habakuk-Pescher, → NahumPescher Petronius (Statthalter Syriens) 86–88, 131, 274 – Brief an die Hafenstadt Dora 48, 88 Petrus (s. a. → Kephas) – Berufung 349, 361 f. – Name 233, 362, 370 f., 632 – Führungsrolle 368 f., 632 – Verleugnung 464, 514, 516, 593, 599 f. – Protophanie 173, 218, 368, 371, 632, 639, 644–647, 650 – Missionar 10, 632; s. a. → Kephaspartei – Verdrängung durch Jakobus 632 – Martyrium 8, 10, 216, 369, 371 – Zweisprachigkeit 259 – Tradent von Jesusüberlieferung 351, 368, 632 – ~ und das Markusevangelium 217–219, 223, 233, 349, 351, 368, 490, 516, 524, 555, 572, 581, 587, 590, 600, 651 Petrusapokalypse 17 Petrusbrief, Erster 11, 15, 24, 253 Petrusbrief, Zweiter 12, 14, 24 Petrusevangelium 17, 205, 241, 285, 489, 608, 640, 642, 650 f. Petrushaus (Kapernaum) 347 f., 351, 361 Pfingsten 203, 503, 518, 635, 651 Phanni (Pinchas), Sohn des Samuel (Hoherpriester) 116 Pharisäer 122 ff., 137 ff., 148 ff. (s. a. → »Ephraim«, → Mischna, → Psalmen Salomos, → Vitae Prophetarum) – Name 139 – Geschichte und Lehren 42 f., 49, 66, 70, 77 f., 115, 160 f., 166 f., 235, 279 f., 327, 562, 576 f., 592, 612 – Familie Jesu 133, 285 f., 453 – Jesus und ~ 132 f., 301, 352, 366, 424, 429, 435, 453, 501 f., 562 f., 568, 575, 592 – ~ und Christen vor 70 34, 102, 107, 133, 286 – ~ und Christen nach 70 155, 226, 235, 427 – als jüdische »Sekte« 133 Phasael (Bruder Herodes’ d.Gr.) 48–50
Phasaelis 68 Phiabi (hochpriesterliche Familie) 80, 153, 576 Philipp (Sohn des Jakimos) 73 Philipp von Side 213, 292, 488 Philipp von Thessalonike 87 Philippi, Schlacht von 49 Philippus (Evangelist) 56, 147, 253, 354 f., 356 f., 638 Philippus (Jünger) 73, 259, 282, 291, 347, 362, 366, 370, 464 Philippus (Tetrarch) 57, 68–70, 72 f., 75, 84, 274, 310 f., 347, 352, 449, 520 Philippusevangelium 17 Philo von Alexandrien 17, 22 f., 25, 33, 40, 60, 64, 81, 83, 86 f., 94, 128 f., 131, 303, 607 Philostrat 194, 257 f., 481, 496 Phlegon von Tralles 211 f., 482, 616 Pilatus, Pontius 4, 27, 74, 75, 80–82, 207 f., 277 f., 558, 572 f., 601 ff., 604, 605, 615–617, 620, 640 Pilatusinschrift von Caesarea 56, 76, 593 Pilatuslegende 82, 235 Pinchas (Sohn Aarons) 78, 112, 126, 317, 370 Platon 123, 194, 211 Platonismus/Mittelplatonismus/Neuplatonismus 13, 16, 488, 547, 570, 629 Plinius d.Ä. 62 Plinius d.J. 19, 27, 124, 208, 492, 571 – Briefwechsel mit Trajan 19, 209, 602, 608 Plutarch 194 f., 245 Poetik, semitische 380 ff. Polemon von Kilikien 106 Polemon von Pontus 91 Pollion (Abtaljon) 66, 152, 208 Polygamie 53 Polykarpbrief 13, 15 Polykrates von Ephesus 237 Pompeius 41 ff., 70, 100, 138, 274 Pompeius Trogus 41, 196 Pontius Pilatus → Pilatus Popillius Laenas 42 Poppaea (Frau Neros) 101, 104, 106, 609 Porphyrius 488, 570 Prätorium – Caesarea Maritima 56 – Jerusalem 602 Präexistenzchristologie 535, 567 Präfekt (Titel) 76, 277, 593
Sachregister Predigt, hellenistisch-jüdische 34, 377, 379, 398 Presbyter → »Hohepriester, Schriftgelehrte und Älteste« Priesterschaft → Tempeldienst Privilegien, jüdische 30 f., 47, 48 Proculus 493 Profet, ägyptischer 100, 312, 547 Profet, Jesus als 183, 287, 337, 446, 461 ff., 498 ff. Profet, samaritanischer 82, 98, 99, 147, 312 »Profet wie Mose« 164, 167, 307, 500 Profeten, endzeitliche 98–101 Profeten, urchristliche 229 Prokurator (Titel) 76, 277, 593 Proselyten 118, 137, 380, 434 Proselytentaufe 299, 313 Proskynese 646 Protevangelium Jacobi 285 Protophanie/Protovision – Jakobus 291 – Maria Magdalena/die Frauen 630, 646, 648 – Petrus 173, 218, 368, 371, 632, 639, 644–647, 650 Proverbienbuch 228, 381, 435 Prozeß Jesu 601 ff. Psalmen/Psalter 25, 107, 161, 174, 380, 472, 615, 617; s. a. → Hallelpsalmen, → JHWH-König-Psalmen – Auslegung 138, 399 – messianische ~ 25, 165 – Hochschätzung in Qumran 501 Psalmen Salomos 40, 45, 124, 130, 164, 167 Psalmen-/Liederdichtung in Qumran 25, 141, 165, 385, 392, 479; s. a. → Lehrer lieder, → Sabbatopferlieder Psalmentargum 617 Psalmgesang 107, 114, 158 Pseudepigraphie, frühchristliche 12, 17, 236, 259 Pseudoclementinen 17, 241, 298, 344, 500 Pseudomessiasse 99, 605 Pseudo-Philo, De Jona/De Sampsone 377, 379, 398 Pseudo-Phokylides 379 Pseudoprofeten 99, 599 Ptolemaios Philometor 146 Ptolemaïs (Akko) 57, 71, 86 f., 116, 274, 277 Ptolemäus (Gnostiker) 17, 237 Pythagoras 123, 488
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Pythagoreer 125, 131, 481 Q → Logienquelle Qaddisch 410 Qerijjôt 220, 370, 579 Qina-Metrum 384 f. Quadrans 566 Quadratus (Apologet) 15, 17, 487 Quirinius, P. Sulpicius 3, 76 f., 79 Qumran 123, 124, 128, 137 ff., 150, 156, 163–165, 317, 420, 467, 478 f., 500, 501, 528, 542; s. a. → Essener, → EzechielApokryphon, → Habakuk-Pescher, → Hodayot, → Kalender, → Kriegsregel, → Lehrer der Gerechtigkeit, → Lehrerlieder, → Levi-Testament, → Messiaserwartung, → Nahum-Pescher, → Sabbatopferlieder, → Tempelrolle Rabbi (Anrede/Titel) 155, 232, 359; s. a. → Jesusbilder Ramatajim 619 Rangstreit unter den Jüngern 368, 437 f., 585 f. »Räuber« 48 f., 50, 58, 71, 93, 95–97, 100, 102, 104, 210, 608, 615; s. a. → lÔhstfl“ redivivus-Vorstellungen → Elias redivivus, → Johannes redivivus, → Moses redivivus, → Nero redivivus Reflexionszitat 470, 580; s. a. → Erfüllungszitat Regenwunder 493 Reich-Gottes-Verkündigung Jesu 406–430 Reichskirche (Begriff) 19 Reinheitsbestimmungen/-gebote 61, 90, 112, 125, 134, 140, 156 f., 160 f., 313, 420, 479 – Jesu Freiheit gegenüber pharisäischen ~ 132 f., 373, 420, 435 Religionsgeschichtliche Schule 21, 181 »Religionsnot« (unter Antiochus IV.) 41, 85, 125, 145, 148, 160 Rettungswunder 463, 484 Rhetorik 380 f., 400 Rhythmus 380, 383–385 Ritualgesetz 138, 153, 420, 433 Rüsttag zum Passafest 4, 556, 582, 584, 608, 617; s. a. → Vorabend des Passafestes Sabbat, Großer 555, 621 Sabbatdienst, priesterlicher 158 f. Sabbatentweihung 108, 145, 347, 535
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Sachregister
Sabbatfeier 47, 158 Sabbatgebot 424, 448 – Jesu Souveränität gegenüber dem ~ 394, 448, 535 Sabbatgottesdienst 156, 358 Sabbathalakha 280, 435 Sabbatheiligung 139 Sabbatheilungen Jesu 132, 350, 419 Sabbatjahr 131 Sabbatkonflikte 419, 453 Sabbatlampe 67 Sabbatopferlieder (Qumran) 139, 141, 164, 409 Sabbatruhe 139, 618 Sabinus 70 Sacharja 560, 573 Sacharja ben Jojada 62, 99 Sadduzäer 30, 43, 51, 66, 70, 79, 102 f., 122 ff., 125–128, 132–137, 139 f., 147, 148 ff., 162 f., 235, 303, 327, 528, 561 f., 576 f., 592; s. a. → »Manasse« Salim 307 Salome (Schwester des Herodes) 52, 53, 68 f. Salome (Tochter der Herodias) 311 Salome (Mutter der Zebedaiden) 368, 616 Salomo 59, 62, 389, 391, 443, 477, 479 Samaias (Pharisäer) 49, 66, 152, 208 Samaria 44, 52, 55, 142, 144 ff.; s. a. → Sebaste Samarien 68, 72, 76, 96, 142 ff., 279, 346, 353–356 Samaritaner 53, 57, 79, 82, 96, 122, 133, 142–147, 273, 278, 328, 355 ff., 500, 564 Samaritanermission 357 samaritanischer Profet 82, 98, 147, 99, 312 Sammelberichte 251, 350, 461 f., 464, 466, 511 f., 513, 522 Samsigeramus von Emesa 91 Samuel der Kleine 385 Sanballat I. 142 f. Sanballat III. 143 f. Satan (s. a. → Beelzebul-Anklage) – Antichrist als Werkzeug ~s 487 – Sturz ~s 373, 471 – Überwindung der Macht ~s 374 f. – Versucher Jesu 323, 499 – Zurückweisung des Petrus als ~ 516, 523 Satornil 17, 147 Scaurus, M. Aemilius 42 f., 152 Schammai 154, 208 Schammaiten 129, 130, 134, 154, 447
Schauwunder 324, 486 Scheidebrief 421, 446 f. Schekel, tyrischer → Didrachme Schemaja → Samaias Schicksalslehre 123–125 Schomron-Münzen 144 Schöpfung(sordnung), Wiederherstellung der 35, 374, 420 f., 424, 438, 449 f., 453 f., 475, 532 »Schöpfungswunder« 483 Schriftbeweis 203, 282, 631; s. a. → Erfüllungszitat, → Reflexionszitat, → Weissagungsbeweis Schriftgelehrte 29, 35, 76, 126, 132, 150, 153–155, 213, 226, 233, 235, 247, 263, 293, 359, 454, 564, 566, 568, 575 f.; s. a. → »Hohepriester, Schriftgelehrte und Älteste« Schriftlesung, alttestamentliche – im Synagogengottesdienst 131, 156 – im christlichen Gottesdienst 15, 252 (vgl. auch → Evangelienlesung) Schuldbekenntnis 455; s. a. → Sündenbekenntnis Schweigegebot 511–514, 518, 522, 524, 546 Sebaste 53, 55, 57, 92, 94, 108, 146, 610; s. a. → Samaria – Augustus-Tempel 84 Sebastener 55, 92, 94 f., 610 Secundus (Rhetor) 294 sedile 612 seditio 605 Sektenkataloge, jüdische 122, 126, 129, 133, 136 Selbstbewußtsein Jesu 177, 181, 261 f., 506 ff., 525, 536 f. (s. a. → messianischer Anspruch Jesu, → Vollmacht Jesu) – Sohnesbewußtsein 458, 543 f. – messianisches Sendungsbewußtsein 187, 453 f. Seligpreisungen Jesu (Makarismen) 333 f., 388, 425 f., 440, 446 Semeiaquelle 242 Semitismen 333, 383, 395 f.; s. a. → Aramaismen Sentenzen 377, 379, 382, 384, 387, 393, 397, 405 Sepphoris 46, 70 f., 73, 75, 77, 115, 213, 241, 275, 279, 295 f. Septimius Severus 493 Septuaginta 22, 24–26, 174, 210, 217, 293, 365, 381, 421, 435, 472
Sachregister – Auslegung/Kommentierung der Hebräischen Bibel 32, 60, 161, 167, 536 – als christliche Bibel 11, 13 f., 17, 25, 284, 413 – Formeln 465, 512, 639 – Lexikologie 209, 286, 318, 326, 351, 359, 408, 413, 428, 435, 472 Septuagintalegende 365, 632 Sethianische Gnosis 580 Severian von Gabbala 291 Sh ema‛ Jiśrā’el 314, 409, 418, 421, 434 Sibyllinen 17, 162, 424 – 4. Sibylle 299 Sichem 144–146 Sidon 86, 91, 274, 276, 330, 352, 353, 390, 443 »siebzig Jünger« 632, 638 Sikarier 97 f., 100, 102 f., 111, 126, 277, 154, 579 Silberdenar → Steuermünze Simeon (Bruder Jesu) 285 Simeon b. Schetach 151, 208, 596 Simon (Sklave des Herodes) 70 Simon (Sohn des Boëthos, Hoherpriester) 54 Simon (Sohn Gamaliels I.) 154, 208 Simon (Sohn des Judas Galiläus) 94 Simon (Sohn des Kamith, Hoherpriester) 80 Simon bar Giora 113, 118–120, 160, 277 Simon bar Kosiba (Bar Kochba) 113, 155, 209, 214, 424, 467; s. a. → Bar KochbaAufstand, → Aufstandsmünzen Simon der Aussätzige 555, 556, 580 Simon Kananaios (Jünger) 370 Simon Kantheras (Hoherpriester) 88 Simon von Kyrene 256, 438, 580, 614, 616 Simon Magus 17, 134, 147, 314 – simonianische Gnosis 21 Simon Makkabäus (Hoherpriester) 44 Sinai 32 f., 98, 162, 323, 419, 446, 504, 637 Sirach 32, 136, 228, 381, 392, 472 Skythopolis (Beth-Schean) 44, 274 f., 307 Sodom 373, 390, 426, 443, 465 Sohn Gottes → Gottessohn Söhne Gottes → Gotteskindschaft; vgl. auch → Abba, → Vaterliebe Gottes Sokrates 123, 184, 189, 193 f., 211 – Jesus als »jüdischer ~« 228, 339, 477 Sondergut – Markus 349, 540, 590
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– Lukas 187, 224–226, 230, 231, 235, 239, 268, 270, 289 f., 304, 326, 328, 334, 352, 356 f., 362, 364, 371, 373, 374, 397, 423, 426, 432, 435, 440, 441, 454, 456, 462 f., 484, 503, 527, 537, 539, 613 – Matthäus 187, 224 f., 230, 234–236, 239, 270, 353, 371, 375, 378, 392, 397, 403, 412, 422, 449, 454, 463, 475, 527, 579 – Johannes 462 f. Sonnenfinsternis bei Kreuzigung 211 f., 524, 616 Sorge 420 f., 448 Sossius, C. (Feldherr) 50 f. Speichel 267, 478 Spolien 614 Spottkruzifix (Palatin) 570, 610 Sprachkenntnisse Jesu (s. a. → Zwei-/Dreisprachigkeit) – aramäische Muttersprache 258, 380, 382, 604 – Griechischkenntnisse 295, 604 Sprichwort 393, 394 f., 397; s. a. → Bildwort Stammbaum Jesu 292 f. Steingefäße, pharisäische 157 Steinigung 43, 134, 212, 598, 619; s. a. → Jakobus: Steinigung; → Stephanus: Martyrium Stephanus (»Hellenist«) 599 – Martyrium 34, 89, 453, 468, 530, 577 – Menschensohnvision 527, 530 – Reliquien 494 – Tempelkritik 596 Steuermünze (Silberdenar) 563 f. Steuern (s. a. → Steuermünze, → Tempelsteuer) – Besteuerung Judäas in römischer Zeit 44 f., 47, 88 – Steuereintreibung 108 – Steuererträge 449 – Steuerverweigerung 108 f., 112, 563 – Steuerzahlung 77 f., 563 Steuerpächter 78, 108 f., 227, 363, 455 Stoiker 131, 211 Strafrecht – rabbinisches 134, 612 – römisches 571, 593, 602 f., 609 – sadduzäisches 134, 592 Strafwunder 429, 463 f., 486, 493 Stratons-Turm 44, 55; s. a. → Caesarea Maritima Strophenbildung 383, 389 f.
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Sachregister
Sueton 27, 113, 196 f., 209, 245, 492 Sühne 140, 585 – kultische ~ 159, 618 – ~tod Jesu 30, 232, 245, 413, 445, 560, 585 f., 626 Sukkot (Fest) 325 Sulpicius Severus 120, 208, 494 Sündenbekenntnis 305, 313, 314 f.; s. a. → Schuldbekenntnis Sündenfall 424, 425, 438, 449, 451; s. a. → Adam, → Schöpfung(sordnung) Sündenvergebung – Johannestaufe 298, 300, 305, 309, 313 f. – durch Jesus 132, 309, 331, 413, 453, 454, 456 Sündlosigkeit Jesu 289, 320 superstitio 27 f., 208 f. Susanna/Susannaerzählung 134, 160, 596 Sychar 146, 356 Symeon (Sohn des Klopas; 2. Bischof von Jerusalem) 206, 288, 620, 646 Symmachus 318, 428 Synagogen – Alexandrien 74 – Caesarea Maritima 57, 108, 112 – Chorazin 351 – Damaskus 26 – Dora 88 – Gamala (Golan) 155, 351 – Herodeion 155 – Jericho (Hasmonäerpalast) 155 – Jerusalem 64, 89 f., 155; s. a. → Theodotos-Synagoge – Kapernaum 277, 283, 350 f., 358, 465 – Magdala 155 – Masada 155 – Nazareth 283, 350, 358 – Rom (Aggripesier, Augustesier, Vernaklesier, Volumnesier) 60 – Tiberias 74, 351 Synagogen, samaritanische 145 Synagogenentweihung 84, 108, 112 Synagogengottesdienst 128, 131, 156, 287, 617 Synagogeninschriften 85, 145, 281 Synagogeninstitut 156, 350 – Attraktivität für Nichtjuden 9, 21, 26 f., 131; s. a. → Gottesfürchtige – Ausstoßung der Christen 11, 27, 30 f. Synagogenpredigt 34, 377; s. a. → PseudoPhilo Synagogenstrafe (39 Stockschläge) 578
Synagogenvorsteher 156, 257 Synhedrium 49, 76, 102, 132, 151, 561, 568, 575 ff. – Jesusprozeß 132, 539, 557, 573, 577, 588, 591 ff., 601 ff. Synhodos 46 f. Synkretismus 21–23, 273, 277, 495, 500, 505 Synoikismos 74, 275 Syrien 42, 47 f., 58, 114 – Judentum in ~ 23 f., 34, 114 – Christentum in ~ 9, 24, 30, 34, 236, 267, 572 – römische Provinz 42, 44, 46, 69 f., 73, 76, 108 f. Tacitus 27, 40, 76, 78, 87, 94, 113, 196 f., 208 f., 482, 492 Tag JHWHs 317, 410, 442, 560 Taheb 147 Talent (Währung/Gewicht) 445, 449 Tamidopfer 158 f., 616, 617 Tarichäa (Magdala) 105, 116 Tatian → Diatessaron Tauchbäder, rituelle 299, 313, 314, 315; s. a. → Miqwāot Taufe Jesu 172, 300, 320–322 – als »Messiasweihe« 320 f., 458 Taufbewegungen 314 Tempel von Jerusalem – Entweihung 44, 46, 69–71 – Plünderung durch Crassus (54 v. Chr.) 46, 138 – Renovierung/Vergrößerung durch Herodes 59–62, 558 – Caligula-Krise 84 ff. – Zerstörung 120 Tempel, eschatologischer 99, 163, 164, 166, 597 Tempeldienst 157–159 Tempelhauptmann 158, 576; s. a. → Ananos, → Eleazar Tempelpolizei 158, 559, 591 Tempelreinigung 557–561 Tempelrolle 61, 140, 164, 612 Tempelschatz 44, 59, 70, 81, 108 f., 112, 117, 207 Tempelschatzmeister 46, 106, 158, 576 Tempelsteuer 47, 65, 159, 559, 563; s. a. → Didrachme Tempelvorhang, Zerreißen des 524, 596, 617 f.
Sachregister Tempelzerstörung 120 – endzeitliche 46 f. tertium comparationis 400 f. Tertullian 16, 18, 29, 209, 217, 289, 344, 415, 492, 631, 644 Tertullus (Rhetor) 33, 101 Testamente der XII Patriarchen 17, 164, 167 Testimonium Flavianum 82, 207, 461 Tetrarch (Titel) 70, 310 Tetragramm 408 f., 592 Teufel → Beelzebul-Anklage, → Satan Thaddaios (Jünger) 369 »Thallos« (FGrH 256) 211 Theios aner 21, 481 Theodoret von Kyros 204 Theodotos-Inschrift 64, 155, 156 Theodotos-Synagoge 63 f., 155, 156 Theokratie (Alleinherrschaft Gottes) 77, 112, 122 Theophilos (lukanisches Doppelwerk) 6, 15, 77, 203, 232, 259, 310, 318, 444, 473, 610, 618 Theophilos (Sohn des Hannas, Hoherpriester) 88, 106, 156 Theophilos von Antiochien 16 Theophrast 122 Therapeuten 131, 161 Theudas 77, 93, 99 f., 312, 314, 547 »Third Quest« 184 Thomas (Jünger) 291, 366, 370, 632 f., 639, 647 Thomasevangelium 17, 197, 205, 227, 240 ff., 291, 371, 473, 510 Thukydides 203 Tiberias 57, 73–75, 87, 91, 105, 116, 275, 348 f., 351 f. – Münzen 278 – See von ~ 349; → Genezareth (See) – Synagoge 74, 351 Tiberieum 94 Tiberius (Kaiser) 3, 56, 73, 75, 78, 81 f., 84, 85 f., 94, 208, 211, 400, 449, 563, 604 Tiberius Julius Alexander 94, 118 Tierfrieden 323 Tigranes 42 Tischgemeinschaft → Mahlgemeinschaft Titel (s. a. → Apostel, → Buchtitel, → Evangelientitel, → Hoheitstitel) – ünq‚pato“ 593 – ™gem„n 593 – Ethnarch 44, 47, 70, 72, 593
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– »Freund des Kaisers« (Filokaõsar) 83, 104 f. – »Freund der Römer« (Filorwmaõo“) 83, 105 – Fürst (nāśî’) 467 – »der Große« 68, 83, 104 f. – König 76, 83, 104 f., 310 – Königin 151 – kuvrio“ 88, 105 – Präfekt 76, 277, 593 – Prokurator 76, 277, 593 – Rabbi 155, 232, 359; s. a. → Rabbi – Tetrarch 70, 310 Titelvielfalt 217 titulus 578, 608, 615 Titus (Kaiser) 83, 92, 98, 106 f., 108, 114, 118–120, 208, 216, 613 Tobiaden 143 Tobias (Ammoniter) 143 tôb-Sprüche 383, 395 f., 402, 443 Tod Jesu 618 – Datum 3 f., 346, 556, 582, 617, 621 – Heilsbedeutung 355, 574, 582 ff., 621; s. a. → Gottesknecht Todespassa 4, 81, 200, 212, 325, 343 f., 346, 355, 367, 443, 554–557, 580, 602 ff., 630, 651 Toledot Jeschu 211, 642 Tora 419 ff. – 613 Ge‑ und Verbote der ~ 435 – Abfall von der ~ 150 – und doppeltes Liebesgebot 433 ff., 447 – und Halacha 592 – als Heilsgabe Gottes an Israel 31–33, 112, 140, 145, 151 f.; s. a. → Sinai – bei Jesus 419 – Präexistenz 32 f. – als »Zaun« 34 – als Zuchtmeister auf Christus hin 26 Tora, messianische 436, 446, 504 Toraausleger, endzeitlicher 163 Toraauslegung 137, 419, 454 Toragehorsam 168, 400, 409 Torakritik Jesu 392, 447 f., 452 f., 577 Torarolle 90, 95 Totenerscheinungen im Judentum 631 Totenerweckungen 463, 485, 492, 494 Totenreich 371, 443 f. Trachonitis 58, 68, 72, 110 Trajan 13, 18 f., 209, 232, 503, 602; s. a. → Plinius: Briefwechsel mit Trajan Tripolis 57
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Sachregister
Troas 641 Trypho 16, 210, 282, 284, 432 Tyropoion-Tal 591 Tyros 49, 65, 91, 115, 274, 276, 330, 352, 353, 390, 443, 465, 563, 611 Umkehr 149, 299, 303, 305, 313, 315 f., 326, 328, 331, 372, 419, 453 ff., 503, 536, 539, 564, 649, 651 – Früchte der ~ 303, 316, 326, 328, 333, 443 Ummius Quadratus 96 Unableitbarkeits-/Unähnlichkeitskriterium 265–267 Unsterblichkeit der Seele 123–125, 166 Urchristentum (Begriff) 5, 18; s. a. → apostolische/nachapostolische Zeit Valentin (Gnostiker) 16 f. Valentinianer 344 Varus, Quintilius 69, 71, 73, 115, 275, 295, 612 Vaterliebe Gottes 174, 452–458; s. a. → Abba Vaterunser 199, 383, 391, 417 f., 423, 426, 431, 448, 450, 457 f. vaticinia ex eventu 464, 503, 517, 540 Velleius Paterculus 196 verba ipsissima → ipsissima verba Vereine 125, 140, 148 Vergil 59, 68 Verklärungsgeschichte 301, 322, 463, 497, 518 Verleugnungsszene 599 f.; s. a. → Petrus: Verleugnung Versiegelung, endzeitliche 315 Versöhnungstag 158 f., 314, 316 Verspottungsszene 487, 594, 599, 610 f., 614 f. Verstockungstheorie 354, 471 f., 515, 534, 572 Versuchungsgeschichte 226, 322–325, 374, 486, 518, 542, 637 Vespasian 90, 211, 477 – römischer Befehlshaber in Judäa 107, 115 ff. – Tempelzerstörung 120 – Josephus und ~ 107 f., 116, 275 – »Orakel aus dem Orient« 112 f., 116, 118, 298 – Heilungen in Alexandria 118, 482, 492
– Kaiserproklamation 113, 118 vestigia trinitatis 33 Vianney, Johannes Maria 495 Victorinus von Pettau 547 Vierevangeliensammlung 15, 219 Vierheber 384 Vierzigtagefrist 314, 323, 637, 647 Vita Adae et Evae 17 Vitae Prophetarum 17, 98 f., 317, 424, 483 Vitellius (Statthalter) 75, 78, 79, 82 f., 88, 93, 118 Völkerverheißung 34 Vollmacht Jesu, messianische 172, 427–430, 459 ff., 465 f., 499, 502 Volumnius (Prokurator) 60 Vorabend des Passafestes 212, 570; s. a. → Rüsttag Vorauswissen Jesu 212, 463 f., 483, 524, 552, 566 Wächterbuch (1Hen 1–36) 161 f. Wadi ed-Dāliyeh 144 Wallfahrtsfeste 61, 159, 558 Warninschrift (am Jerusalemer Tempel) 61, 158 »Weg der Gerechtigkeit« 304 f. Weherufe Jesu 330, 347, 390, 446, 465, 476 Wehewort (Form) 383 Wein 279, 336, 415, 424 – in der Passanacht 582, 584 – mit Myrrhe versetzt 614, 618 – ~opfer 158 Weinwunder von Kana 336, 463, 495 Weisheitsspruch 387 ff., 397, 517 Weissagungsbeweis 487 Wochenfest 70, 159, 344, 558, 559, 602, 650 f. Wundererzählungen 461–464, 485 Wundertaten 461 ff.; s. a. → Augenzeugenschaft und Wunder, → mirabilia Wüste, Flucht in die → Anachoresis Xenophon 194, 247 Xiphilin 493 Yakim/Alkimus (Hoherpriester) 149, 150 Zachäus 334, 357, 455, 502, 551 Zadok (Oberpriester) 123, 135 Zadok (Pharisäer) 77, 126, 135, 154 Zadokiden 149
Sachregister Zauberpapyri 482 Zebedaiden 218, 366, 368; s. a. → Jakobus der Zebedaide, → Johannes der Zebedaide – Eltern 361, 616 – Berufung 361 f. – Beiname 265, 355, 371 – Zebedaidenfrage 355, 368, 437, 439 Zehnstädtebund 275, 352; s. a. → Dekapolis Zeichen (bei Johannes) 240, 465, 472, 476, 497, 567 f.; s. a. → Semeiaquelle, → shmeõa/-on Zeichenhandlung/Gleichnishandlung, messianische/profetische 290, 366 f., 373, 554, 560, 565, 584 f. Zeloten 64, 66 f., 78, 89, 95, 97, 99, 103, 111, 114–117, 119, 122 ff., 126, 129, 160, 162, 370, 423 f., 563, 615 »Zimmermann« (Beruf) 294 Zoker (Großneffe Jesu) 213, 292
Zweiheber 384 Zweiquellenhypothese → Logienquelle, → Logientradition, → »minor agreements« Zwei-/Dreisprachigkeit (in Palästina) 258 f. Zweiwegelehre 14 Zwölfapostellehre 13; s. a. → Didache Zwölferkreis 7, 202, 309, 323, 365–376, 439, 515, 532, 579, 584; s. a. → Jüngeraussendung, → Jüngerberufung, → Jüngerlisten; vgl. → »siebzig Jünger« – Einsetzung und Aussendung der 12 als Zeichenhandlung 328, 366 f., 373 – und Apostelkreis 6, 366, 369 f., 375, 633, 634, 637 f. – Ostererscheinung 628, 631–634, 645 – Zuwahl des Matthias 632 f., 635 Zwölfstämmevolk 41, 146, 328, 367, 632 Zwölftafelgesetz 603
Aramäische Wörter ’abbā’ 417, 587 ’eppatah 265, 478; s. a. ≤ffaqa b eśar 333 bar ’änāšā’ 514, 526, 528–531, 535 f. b enê regeš 371 by(t) dwd 292 g ebûrātā’ 465 gêhinnām 443 gôlgôltā’ 613 hassayā’ 123 tālîtā’ qûm 265, 478; s. a. taliqa koum Ješû a‛ 28, 285 f. kêfā’ 362, 370, 632 malkûtā’ 408 māmônā’ 448
mārēh 544 mārî 360 māranā’ tā’ 360 vgl. 199.386.583 m ešîhā’ 529, 545 m ešîhā’ ješû a‛ 33 mātāl/m etal/matlā’ 397 nasôrajjā 28, 281 ’ôkhlôsîn 360 sb‛ 314 qan’ānā’ 370 rabbûnî 359, 551 r ehem 435 š elîhîn 375 talmîdajjā 360
Hebräische Wörter ’āheb 435 biśśar 413 bêt (hak‑)k enäsät 156, 351 g ebûrôt 465 gulgolät 613 ger 434 hāsîd 123 tābal 314 Ješû a‛ han-nôsrî 281 yahad 123, 140, 150, 161
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kawwanāh 36 m ehajjeh ham-metîm 640 malkût 408 f., 423 f., 479, 612 mînîm 134, 154, 347 māšî ah 164, 529, 544 f. māšî ah ha-rû ah 321, 467 māšāl 397 f., 404, 416, 541 nāśî’ 164 nôsrîm 28, 212, 281 ‛edāh 351
748
Sachregister
‛ôlām hab-bā’/‛ôlām haz-zäh 426 ‛am(mê) hā-’āräs 427, 502 prš 139 qāhāl 351 qrnjt 614 rā’āh nif. 639 ribbôn 359, 551
ribbônô šäl ‛ôlām 408 re a‛ 434 šûb/hešîb 326 šālû ah 375 tālûj 619 talmîdîm 360
Griechische Wörter übba 199, 417 üg›ph 435, 474 ±qeo“ 13, 210 aºresi“ 13, 28, 33, 122, 123 f., 129, 148 ükr‡beia 124 ümÉn (ümÉn) lfigw ≠mõn 265, 505 üpomnhmone‚mata tùn üpost·lwn 219, 379 o´ üpostolikoÑ cr·noi 5 üpostolik·“ 5 üp·stoloi/üp·stolo“ 366, 375, 634, 637 f., 648 Argarizin 145 ürciereõ“ 55, 576, 595 b›ptein/bapt‡zein 318 bapt‡zesqai 54, 313 f. bapt‡zwn 300, 313 baptistfl“ 298, 299, 300, 313 b›ptisma baptisqönai 319, 387 basile‡a toú qeoú 122, 406 böma 608 Boanhrgfi“ 265, 371 Gabbaqa 600, 608 Galilaõoi (als Christenname) 345 ™ geneÅ aæth 469 gfienna 443 f. grammateõ“ 568, 576 desp·sunoi 288 did›skalo“ 207, 359 f. did›skein 359 dikai·w 456 dikaios‚nh 234, 451 dun›mei“ 347, 465 f., 468, 469, 478, 485 o´ d„deka 367 dwrodok‡a 620 †gg‡zein 408 e¢k„n/e¢k·ne“ 397, 400 †kklhs‡a 236, 351, 371, 520 †n Cristù 34 ≤ndeixi“ 82
†pist›th“ 359 ≤rw“/†rôsqai 435 e§aggfilion/e§aggfilia 5, 217, 224, 238, 322, 325, 327, 412, 627, 654 e§aggelistfl“ 638 e§aggel‡zesqai 327, 333, 359, 412, 413, 467, 627 ≤ffaqa 382, 478; s. a. ’eppatah élqon-Wort 394, 502 f., 504 ™miioudaõo“ 45 ßHrwdiano‡ 27 ZeÜ“ xfinio“ 145 zhlwtfl“/zhlwta‡ 111, 370 qaum›sia 472, 485; s. a. → mirabilia qeÖ“ æyisto“ 512 ûIoudaÂsm·“ 27 kaqolikÉ †pistolfl 15 khr‚ssein 359, 627 kr›tiste 232 kuriakÉ ™mfira 641 kuriak·“ 642 k‚rio“ 105, 360, 408, 411, 434, 448, 544 lÔhstfl“ 93, 606, 615 lept·n 566 Liq·strwton 600, 608 l·goi sofùn 228 Mamwnô“ 448 mar›na q› 583 Mar‡n 610 maqhtfl“ 360 metanoeõn/met›noia 326 mikro‡ 439 Nazwraõo“ 28, 33, 281, 578 nflpioi 439, 454 nomik·“ 226, 419, 435, 564, 619 µcloi/µclo“ 358, 360 £lig·pisto“ 474 f. µntw“ 632, 645 µxo“ 618
Sachregister parabolfl 396, 397, 400 piste‚ein/p‡sti“ 325, 326 f., 456, 474, 475 plhs‡on 434 pol‡teuma 34 proest„“ 14 proseucfl 156, 350 prosflluto“ 434 Øabb‡ 360 Øabboun‡ 292, 360 satanô“ 580 shmeõa/-on 98, 240, 315, 428, 465, 468, 469, 483, 485, 487, 497 sik›rioi 97
st›si“ 146, 298, 558, 606 staur·“ 51 sunagwgfl 156, 351 sùma pneumatik·n 562, 629 sùma sarkik·n 629 swthr‡a 88, 91, 102, 117, 315 tfiktwn 294 tfileio“ 419, 435 tfirata 98, 485 crist·“ 209 CristÖ“ (ûIhsoú“) 33, 529 Cristianism·“ 27 Cristiano‡/-·“ 27 f., 207
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