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German Pages 31 [32] Year 1905
Jesus und das
Sacaeenopfer Religionsgeschichtliche Streiflichter von
Lic. Hans Vollmer
Verlag von Alfred T ö p e l m a n n (vormals J. Ricker) Gießen 1905
Meinem lieben Bruder
DR FRIEDRICH VOLLMER o. P r o f e s s o r der klassischen Philologie und G e n e r a l r e d a k t o r d e s „Thesaurus linguae Latinae" in München
VORBEMERKUNG Die nachstehende Darstellung ist die wörtliche Wiedergabe eines im Mai 1905 zu Hamburg gehaltenen Vortrags. Aber auch in dieser Form, ohne Hinzufügung eines belastenden Anmerkungsapparates, wird e s — denke ich — deutlich genug geworden sein, wo ich Fremdes, wo ich Eignes gebe. Doch sei wenigstens folgendes vorausgeschickt: Die Akten des heil. Dasius hat F R A N Z C U M O N T in den Analecta Bollandiana XVI ( 1 8 9 7 ) p. 5 ff. herausgegeben, P A R M E N T I E R z o g zu deren Erklärung in der Revue de philologie n. s. XXI ( 1 8 9 7 ) p. 1 4 3 ff. die antike Uberlieferung über die Sacaeen heran, und P A U L W E N D L A N D suchte dann ( H E R M E S XXXIII 1 8 9 8 S . 1 7 5 ff.) jene Märtyrerakten für das Verständnis von Marc. 15, 1 6 — 2 0 fruchtbar zu machen. Ich empfing die Anregung zu einer erneuten Untersuchung dieser „Spottszene" durch deren andersartige Erklärung von H E R M A N N R E I C H („Der König mit der Dornenkrone", Leipzig 1905) und verdanke den Hinweis auf die Sacaeen der alten Ausgabe des Neuen Testaments von J O H A N N J A K O B W E T S T E I N (Amsterdam 1 7 5 1 ) . Im übrigen verweise ich auf meine Miszelle in D. P R E U S C H E N S „Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft etc." VI ( 1 9 0 5 ) Heft 2 .
H. V.
Die religionsgeschichtliche Behandlung des Neuen Testaments ist nicht ganz jung. Zwar begegnet man in unsern Tagen auch in Gelehrtenkreisen vielfach der Vorstellung, als habe erst die neuere Theologie im Bunde mit der jetzt s o eifrig auf unserm Felde grabenden griechisch - römischen Altertumswissenschaft das Neue Testament aus der isolierten Stellung gerückt, die das historische Verständnis lange unmöglich machte. Indessen so manche Erkenntnis auf diesem Gebiet reicht weit zurück vor unsere Zeit; so manche sprachliche Erscheinung, s o manche sachliche Parallele, die sich uns heute als neu entdeckt präsentieren, sind längst beobachtet worden. D a s wird uns die Betrachtung unsers Gegenstandes im weiteren deutlich zeigen. Insbesondere sind hier zwei Namen zu nennen: Hugo Grotius (f 1645) und Johann Jakob Wetstein (f 1754), die uns beide in die Niederlande weisen, wo Wetsteins Zeitgenosse, Albert Schultens und seine Schule durch vertiefte Pflege der semitischen Sprachen für das geschichtliche Verständnis des Alten Testaments arbeiteten. Hugo Grotius, der berühmte Rechtslehrer, Staatsmann und Theolog, aus Delft gebürtig, hat in seinen „Anmerkungen zu den Büchern der Evangelien und verschiedenen andern Stellen der heiligen Schrift", Wetstein, der Amsterdamer P r o f e s s o r , in seiner Ausgabe —
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des Neuen Testaments eine bis heute noch unerschöpfte Fundgrube für die wissenschaftliche Erklärung der neutestamentlichen Schriften geschaffen. — Der Kundige gedenkt dieser Namen nicht ohne Wehmut angesichts mancher Verirrungen der heutigen holländischen Schule. Aber nachdem so der Forschung früherer Zeiten der schuldige Tribut gezahlt ist, stehen wir nun nicht an, den gewaltigen Fortschritt der Gegenwart gebührend hervorzuheben. Und es ist hier nicht nur ein Fortschritt der Methode zu verzeichnen. Charakterisiert jene ältere Zeit ein bienenmäBiger Sammelfleiß, ein bewundernswert emsiges Registrieren von lauter Einzelbeobachtungen, s o dringt man nun weiter vor und bemüht sich die tieferen Zusammenhänge verwandter Erscheinungen aufzudecken. Aber auch das Material hat sich erweitert. Wie manches religionsgeschichtliche Denkmal ist seither zutage gefördert worden! Und jedes Jahr bringt uns neue Überraschungen. Über der durch nicht immer erfreuliche Mittel erregten BibelBabel-Sensation blieben andre Entdeckungen von dem Interesse weiterer Kreise ausgeschlossen, bei denen es sich vielleicht in höherem Maße um wirklich Neues handelte als in dem, was FRIEDRICH DELITZSCH in seinen bekannten Vorträgen zu bieten vermochte. So ist, um mit scheinbar nur Äußerlichem zu beginnen, der Begriff des sogenannten biblischen Griechisch durch die Fülle der Funde, nicht nur die ägyptischen Papyri, wesentlich eingeschränkt worden. Die Zahl der bisher als speziell biblisch oder kirchlich geltenden Wörter schrumpft immer mehr zusammen, wie uns unter den Theologen besonders der Sammelfleiß A D O L F DEISZMANNS belehrt. Der für die Angehörigen —
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der christlichen Gemeinschaft uns geläufige Brudername ist in ganz ähnlichem Sinne als kultische Bezeichnung im Serapeum zu Memphis nachgewiesen worden, und ebenso findet er sich im Mithraskult. Das seit den Tagen des Paulus von der Kirche s o oft wiederholte „anathema" kann man jetzt in einer heidnischen VerAuch das Wort fluchungstafel aus Megara lesen. „Liturgie" hat nicht erst im Christentum seine sakrale Bedeutung erhalten. — Die Leser der „Christlichen Welt" erinnern sich wohl noch aus einer Mitteilung HARNACKS der kleinasiatischen Inschrift, in der der Kaiser Augustus als göttlicher Heiland des Menschengeschlechts gefeiert wird, dessen Geburt die Hoffnungen und Verheißungen der Vorzeit überreich erfüllte. Wir wissen jetzt, daß diese und ähnliche, uns biblisch anmutende Bezeichnungen auch nicht erst von der hellenistischen Rhetorik für Augustus neu geprägt worden sind; PAUL W E N D L A N D hat uns gezeigt, wie der Beiname „soter" (Heiland) sich nicht nur mit vielen Göttern verband, sondern schon vor Augustus mehrfach auch mit vergöttlichten Menschen, so in der Dynastie der Ptolemäer und Seleuciden. Die Bewohner von Mytilene nannten im Jahre 62 v. Chr. den Pompeius ihren „soter", die Athener den Julius C a e s a r , den die Epheser als den aus Ares und Aphrodite ausgehenden, sichtbar gewordenen Gott und allgemeinen Heiland des menschlichen Lebens priesen. D a s erinnert in auffälligster Weise an den Begriff des Weltheilands, wie ihn das vierte Evangelium und die Pastoralbriefe kennen, und es leuchtet ohne weiteres ein, daß wir es hier mit einer Erscheinung zu tun haben, deren Bedeutung über die einer sprachlichen Analogie weit hinausgeht: Wie dem Juden in der Idee — 9
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des Messias, s o war dem Heiden in dem ihm von den apotheosierten Herrschern her geläufigen Begriff des Weltheilands eine Form g e g e b e n , in die er seine Vorstellung von dem in Christus erschienenen Heil fasste. Die praktische Theologie hat neuerdings in erfreulicher Würdigung einer lange von ihr vernachlässigten Aufgabe begonnen, die volkstümliche Religiosität zu erkunden; „religiöse Volkskunde" war eine Zeitlang geradezu Parole, und mit Recht. Wer belehren, erziehen will, muB suchen, woran er anknüpfen kann, das ist eine der wichtigsten pädagogischen Regeln. Da zeigte es sich denn, daß abseits von der Heerstraße des kirchlichen Bekenntnisses, streckenweis mit ihr parallel laufend, teils rechts, zum Teil auch links, manchmal sie kreuzend e s noch allerlei Kommunalpfade und Feldwege des religiösen Lebens gibt. Die gleiche Erkenntnis aber hatte schon vorher die Religionsgeschichte dazu geführt, ihr Forschungsgebiet über die offiziellen Urkunden und Autoritäten hinaus zu erweitern; gedacht ist bei dieser Ausdehnung weniger an die offene Häresie — die gehört von jeher zur Geschichte der religiösen Verbände — als an die Fülle religiöser Nebenvorstellungen, die, von den bestellten Wächtern des offiziellen Glaubens unbeachtet oder ungerügt, jedenfalls nicht überwältigt, zum Teil als unverwüstliches Erbe einer sonst abgestreiften Religionsform, im Volke fortlebten. Es darf in diesem Zusammenhang nicht verschwiegen werden, daß die Altphilologen hier der Theologie die W e g e gewiesen haben, vor allen ist der große Gräzist am Rhein zu nennen, H E R M A N N U S E N E R . Als er vor einem halben Jahr seinen 70. Geburtstag beging, da hat ihm die „Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft —
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und die Kunde des Urchristentums" mit vollstem Recht ein mit seinem Namen geziertes Heft gewidmet; denn gerade auch dem Verständnis des Neuen Testaments und der Zeit seiner Entstehung sind die religionsgeschichtlichen Forschungen U S E N E R S und seiner Schüler schon vielfach zunutze g e k o m m e n . D e m erwachten Interesse kamen mannigfache Funde und Entdeckungen zu statten. Davon noch einige Proben. Von den Zauberbüchern der jüdischen B e s c h w ö r e r zu Ephesus, die bei der Schilderung der Wirksamkeit des Paulus dort Acta 19 erwähnt werden, können wir uns jetzt eine deutliche Vorstellung machen, nachdem die Zauberpapyri aus Ägypten bekannt geworden sind. Ja, es ist aus dieser Zauberliteratur Licht gefallen auf ein bis dahin dunkles Wort des Apostels am Schluß des Galaterbriefs: „Niemand mache mir fernerhin B e s c h w e r d e n ; ich trage die Malzeichen Jesu an meinem Leibe." Man vergleiche damit die von DEISZMANN herangezogene Drohformel zur Beschwörung eines D ä m o n s : „Laß mich in Frieden . . . ich trage die Mumie des Osiris — gemeint ist ein Amulett — . . . wer mir Beschwerden macht, gegen den werd ich sie brauchen." Klingt das nicht wirklich, als ob der Apostel, der den Galatern Götzendienst und Zauberei als Werke d e s Fleisches vorhält (5, 20) und sie tadelt, daß sie sich hätten bezaubern lassen (3,1), hier in beabsichtigter, halb scherzender Anlehnung an die Sprache der Zauberformeln seine Leidensmale mit Amuletten vergleicht, die ihn gegen die R ä n k e der Gegner feien? — Noch ein andres ist uns durch den Vergleich mit ausserchristlichen Analogen klarer g e worden: die reale Bedeutung der Formeln „im Namen des Herrn", „taufen in den Namen Christi" und ähnlicher. — Ii —
Diesen mystischen Wendungen liegt ein fast körperlicher Begriff vom „Namen" der göttlichen P e r s o n zugrunde. „Die im Namen Gottes versammelt sind, befinden sich innerhalb der Sphäre, die der ausgesprochene Name real beherrscht und durchdringt." In den Zauberböchern heißt den Namen eines Gottes kennen ihn selbst haben, über seine Kräfte verfügen; man denke auch an das Zeichen des Geistes, das Faust „spricht". W a s man dem Namen des Gegners bannend antut, g e schieht ihm selbst. Wie diese Vorstellung bis in die neuere Zeit hinein wirksam blieb, illustriert eine Notiz, die A L B R E C H T D I E T E R I C H der Vergessenheit entriß: Vor Napoleons Heerfahrt nach Rußland schnitten patriotische Deutsche dessen Namen mehrfach in Galgenholz. Ist dieser hypostatische Charakter des Namens auch keinesw e g s in allen in Betracht kommenden neutestamentlichen Stellen ersichtlich, genügt in vielen Fällen z. B. durchaus unsere abgeschliffene Formel „im Namen" eines andern als Übersetzung, so ist doch dreimal „Name" ganz unzweifelhaft in der Bedeutung von P e r son gebraucht — Acta 1, 15 heißt es z. B.: es waren ungefähr 120 Namen beisammen —, und in andern Fällen gibt erst die Einsetzung jenes oben gewonnenen Begriffs einen befriedigenden Sinn. So, wenn Paulus 1. Kor. 5 s a g t , daß er über einen Abwesenden „im Namen" des Herrn Jesus zu Gericht gesessen habe, und dabei erläuternd von einem Zusammentreten der Korinther mit seinem, des Apostels, Geiste und der Kraft unsers Herrn J e s u s spricht. Und die gleiche Vorstellung vom Namen einer Person liegt wohl auch dem uns so befremdenden Brauch der Korinther zugrunde, daß sie sich zugunsten verstorbener Angehöriger taufen ließen (1. Kor. 15,29). —
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Doch genug der Einzelheiten! Fesselnder ist es, der Kontinuität bestimmter Vorstellungskomplexe nachzugehen. Ein Jahrzehnt vor DELITZSCHS erstem Vortrag sind die Spuren des babylonischen Schöpfungsmythus bis in die Offenbarung des Johannes verfolgt worden. Nicht minder weitreichende Perspektiven eröffnen sich, auch für das religiöse Gebiet, von griechischem Boden aus. Es sei nur an die Sibylle erinnert; denn ohne Frage sind die jüdisch-christlichen Sibyllinen die Fortsetzung einer griechischen religiösen P o e s i e ; und welche Bedeutung haben jene Weissagungen und ihre Weiterbildung im Mittelalter, ja bis in die neuere Zeit hinein gehabt! Soll ich erinnern an die erschütternde Sequenz d e s Thomas von Celano: T a g der Zukunft, Z o r n e s t a g , Den Sibylla einst v e r s p r a c h : Welt z e r g e h t in Schutt und S c h m a c h ! —
Unter dem Namen des Bernhard von Clairvaux ist uns ein Weihnachtshymnus überliefert; darin heißt es mit Bezug auf die Fleischwerdung des Worts von der jüdischen Synagoge etwa so: Ist in ihrer Blindheit Fluch Ihr J e s a i a s nicht g e n u g , - Olaube sie der Heidin Spruch, Die 's v o r a u s g e s e h e n .
Malerei und Skulptur des späteren Mittelalters wetteifern in der Darstellung der heidnischen Seherinnen. Wer kennt nicht die fünf weiblichen Prachtgestalten, die Michelangelos wuchtige Kunst zwischen den Propheten in der Sixtinischen Kapelle schuf? Aber diese berühmtesten Bilder sind nicht die einzigen. Diesseits der Berge erwähne ich nur noch Jörg Syrlins des -
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Älteren Holzskulpturen an den Chorstühlen des Ulmer Münsters. Daneben finden sich in zahlreichen Handschriften und alten Drucken des 14., 15. und 16. Jahrhunderts Sibyllenbilder, recht verschieden natürlich ihrem künstlerischen Wert nach, verschieden auch in bezug auf Zahl und Benennung der Prophetinnen. Es würde einen besondren Vortrag erfordern, wollte man der Bedeutung der Sibyllen im Mittelalter nur einigermaßen gerecht werden. S e h e ich recht, s o kommen sie hier nicht nur als heidnische Zeugen für den biblischen Glaubensinhalt in Betracht — wie in jenen Versen oben — s o n dern vor allem auch als die Trägerinnen einer außerbiblischen christlichen Tradition, eines apokalyptischen G e d a n k e n g e w e b e s , wie e s sich im Laufe der Jahrhunderte um einzelne noch aufzugreifende Fäden fortspinnt; ich denke dabei besonders an die Kaisersage. — Welche Kette der Überlieferung von dem jonischen Sitz der Erythräischen Sibylle im 8. Jahrhundert vor Christus bis zu den deutschen Volksbüchern des ausgehenden Mittelalters! — Noch weiter aber führt uns ein andrer Gang, der, aus dem Altertum kommend, bis in die neueste Zeit hineinreicht. Es lohnt sich, ihn zurückzuverfolgen, von seinen gegenwärtigen Ausläufern ausgehend; eine Reihe von Bildern gleiten dabei an unserm Auge vorüber, gewissermaßen die Stationen des W e g e s , den wir wandern. Aus taumelnder Lustbarkeit hinaus führt er uns zu ernsten, düstern Stätten, und an einer jener Stationen wird uns die Leidensgestalt unsers Herrn begegnen. — Wer den rheinischen Karneval nicht aus eigner Anschauung kennt, vermag sich kaum eine richtige Vorstellung zu machen von dem übermütigen, tollen, —
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Treiben, das dem^noch leichteren Blut des Romanen alle Ehre machen würde. Schon manches Kind d e s kühleren Nordens hat diese allgemeine Ausgelassenheit anfangs entsetzt; war man jedoch nicht unverbesserlich, s o wurde man bald, wenn nicht angesteckt, doch dahin belehrt, daß d i e s e s bunte Volksfest bedeutend harmloser ist, als e s auf den ersten Blick den Anschein hat, und daß e s zur Erhaltung des leichten, fröhlichen Sinnes der Rheinländer nicht wenig beiträgt. — Ein einzelner Brauch bei diesem Fest aber dürfte weniger allgemein bekannt sein. Ich schildere ihn nach dem Bericht eines Bonner Wochenblattes vom 25. Februar 1819; dort heißt e s : „Gestern fand abends 9 Uhr die feierliche Verbrennung des diesjährigen Fastnachtsmannes statt. Unter gedämpfter Musik und mit zerknirschten Herzen ging der traurige, weißgekittelte und fackeltragende Leichenzug vom Markte aus durch die Hauptstraßen der Stadt auf den Münsterplatz, w o der Verblichene die letzte Ehrung genoß." — Es handelt sich natürlich um eine Strohpuppe. Dazu wurde mir aus Bonn mitgeteilt: Der Gebrauch kam g e g e n Mitte des vorigen Jahrhunderts w e g e n dabei vorgefallener Unordnungen ab; in den letzten Jahren aber ist er wieder aufgenommen, und s o wird seitdem alljährlich der Fasching in der Personifikation des „Prinzen Karneval" verbrannt. — In Düsseldorf bestand bis vor wenigen Jahren die Sitte, den „Prinzen Karneval" am Aschermittwoch auf dem Karlsplatz unter großer Trauerfeier zu begraben. Eine Steinplatte in der Mitte des Platzes galt als Denkmal. — Die B e l e g e ließen sich leicht mehren, und je eifriger man sich danach umsieht, um s o deutlicher wird zugleich mit der weiten Verbreitung entsprechender Sitten —
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die Tatsache, daB e s sich dabei ursprünglich nicht nur um die ehrenvolle Bestattung eines Verblichenen, sondern um eine Tötung handelte. In der Nähe von Tübingen wurde in den 70 er Jahren des verflossenen Jahrhunderts — ich weiß nicht, ob die Sitte noch heute lebt — zu Fastnacht ein mit einem Paar alter Hosen bekleideter Strohmann, in dessen Hals ein mit Blut gefüllter Darm oder Schlauch steckte, nach einer förmlichen Verurteilung geköpft und begraben. Anderswo zieht man das Steinigen oder Ertränken vor. W a s bedeutet dieser wunderliche Brauch? Man hat ihn in Verbindung gebracht mit der in der Tat außerordentlich ähnlichen Sitte des sogenannten Todaustragens am Sonntag Lätare. Das Gemeinsame dieser nach W I L H E L M M A N N H A R D T S interessantem Werk über „Wald- und Feldkulte" in Franken, Thüringen, Meißen, dem Vogtland, Schlesien, der Lausitz, aber auch z. B. in Böhmen und Mähren weitverbreiteten Sitte besteht darin, daß eine mit dem Namen „Tod" bezeichnete weibliche oder männliche Figur aus Stroh oder Holz von jungen Leuten des andern Geschlechts herumgetragen, ins W a s s e r , in einen Tümpel geworfen oder verbrannt wird; vielfach bringt man gleich darauf den Sommer ein in Gestalt eines grünen Maibaums oder eines Baums mit daran gehängter Puppe. Neuerdings hat man versucht, alle diese Gebräuche durch die Hypothese eines gemeingermanischen Balder-Ritus zu erklären, dem ein indogermanisches Jahresopfer zugrunde liege; ich kann darauf hier nicht näher eingehen. Besonnener dürfte es für uns zunächst sein, die Fastnachtssitte für sich zu betrachten und zu untersuchen, ob nicht vielleicht dieselbe Quelle, aus der sich das —
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sonstige Karnevalstreiben herleitet, auch für die Erklärung des Schicksals jener Fastnachtspuppe fließt. Ober den heidnischen Ursprung des Karnevals ist kein Zweifel; auch die Kirche kennt ihn wohl. Anfangs hat sie sich sehr ereifert über den tollen Mummenschanz. Doch schließlich ging es damit wie mit s o manchem andern Rest des Heidentums — ich erinnere nur an die Johannisfeuer —: er war nicht auszurotten; und so fand sich der Klerus mit diesem Fremdkörper im kirchlichen Organismus ab, so gut es ging, und suchte ihn möglichst zu konformieren. Aber bis ins 11. Jahrhundert lassen sich die Belege verfolgen für den Versuch ihn auszustoßen. Unter dem Namen Augustins gehen drei Predigten aus späterer Zeit, vielleicht dem 6. oder 7. Jahrhundert, in denen b e s o n ders gegen unanständige und schreckhafte Verkleidung polemisiert wird. „An den Tagen der Kaienden des Januar", heißt es, „kleiden sich die Heiden mit Umkehr der Ordnung der Dinge in unanständige Mißgestalten; diese elenden Menschen, und, was noch schlimmer ist, einige Getaufte nehmen falsche Gestalten und monströse Gesichter an, worüber man zuerst sich schämen, dann aber betrüben muß . . . Einige kleiden sich in die Felle ihres Viehes, andere setzen sich Tierhäupter auf, darüber sich freuend, daß sie nicht Menschen zu sein scheinen . . . Wie ist aber auch das schändlich, daß die als Männer Geborenen Frauenkleider anziehen und in der schändlichsten Verkleidung durch Mädchenanzug die männliche Kraft weibisch machen, sie, die nicht erröten die kriegerischen Arme in Frauenkleider zu stecken; bärtige Gesichter tragen sie zur Schau, und doch wollen sie für Weiber gelten." Dieses letztere VOLLMER
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erinnert in ganz auffälliger Weise an eine gegen dasselbe Fest gerichtete Predigt des Bischofs Asterius von Amasa in Pontus ( t 410). Mit der Datierung des geschilderten Schabernacks auf den Neujahrstag nähern wir uns dem Feste, in dem man neben der noch Ende d e s 5. nachchristlichen Jahrhunderts nachweisbaren altitalischen Luperkalienfeier eine Quelle der Faschingsgebräuche erkannt hat, den römischen Saturnalien. Es war bekannt, daß bei den ausschweifenden Lustbarkeiten dieses Festes von den Teilnehmern ein König gewählt wurde, der sein Regiment in ganz ähnlicher Weise betätigte wie „Prinz Karneval" in den heutigen Faschingssitzungen. Für das römische Heer bezeugt diese „fröhlichen Saturnalien" zuerst Cicero im fünften Buch der Briefe an Atticus. Aber neuerdings ist gerade diese Feier der Soldaten in eigentümlicher Weise beleuchtet worden durch die Veröffentlichung der Märtyrerakten des heiligen Dasius. Der Bericht versetzt uns in die Nähe von Durostorum, dem heutigen Silistria am Unterlauf der Donau, in Moesien, wo später Ulfilas Schüler, Auxentius, Bischof war, und in die Zeit des Diokletian, im Jahr 303. D a s Fest des Kronos, von dem hier erzählt wird, ist kein andres als die Saturnalienfeier; der altitalische Saturnus wurde bekanntlich mit dem griechischen Kronos identifiziert. Und nun gestatten Sie mir, Ihnen kurz den Inhalt jener Akten zu skizzieren, indem ich, nur hier und da aus diesen selbst ergänzend oder verbessernd, einen alten Auszug daraus übersetze, der alles Wesentliche enthält. „Dasius stand während der Herrschaft des Diokletian und Maximian zu Durostorum. Dort herrschte folgende heidnische Sitte unter den Soldaten: Man feierte —
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jährlich dem K r o n o s ein Fest; dabei wurde ein junger, wohlgestalteter Mensch aus der Schar der Soldaten ausersehn. Dieser legte dann Königskleidung an, schritt in feierlichem Aufzug als Kronos daher und durfte sich ohne Scheu in zügellosester Weise eine Zeitlang allen Lüsten und ausschweifenden Begierden hingeben. Aber nach 30 Tagen starb er durchs Schwert als Opfer für Kronos. Als nun einst das Los auf Dasius fiel und die Soldaten ihn umringten und zu dem üblichen Treiben drängen wollten, da wies er sie zurück und bekannte sich als Christ, indem er bei sich überlegte, was ihm heilsamer sei; denn sterben musste er ja jedenfalls. So Hess er sich denn vor den Richtstuhl des Legaten B a s s u s führen, weigerte sich beharrlich den Kaiserbildern Weihrauch zu streun und wurde nach vielen Qualen enthauptet." Man m a g im einzelnen über die Geschichtlichkeit dieses Berichtes denken, wie man will. Mir scheint er nicht frei von Tendenz; in einem, soweit ich sehe, bisher nicht genügend gewürdigten Exkurs klagt der unbekannte Verfasser oder Bearbeiter darüber, daB die teuflischen Bräuche des Saturnalienfestes noch zu seiner Zeit fortlebten, wo man den Weltuntergang erwarte — das geschah b e s o n d e r s im 5. Jahrhundert —; Menschen, die sich Christen nennten, zögen an den Kaienden des Januar in Ziegenfellen und mit maskierten Gesichtern einher. Der Abschnitt erinnert stark an jene oben erwähnten Predigten, bestätigt übrigens aufs deutlichste den Zusammenhang auch der Saturnalien mit den Faschingssitten. — Jedenfalls liegt kein Grund vor, an der in unserm Bericht vorausgesetzten Tatsache eines Menschenopfers bei dieser militärischen Saturnalienfeier —
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zu zweifeln; denn wir werden sehn: e s fehlt nicht an Analogien. Blicken wir von hier aus den W e g , den wir kamen, zurück, s o erkennen wir in dieser Opferung des Saturnalienkönigs das Vorbild für das tragikomische Ende des „Prinzen Karneval". Gehen wir nun weiter, s o haben wir uns vor allem nach der Herkunft des Saturnalienopfers umzusehen. Menschenopfer, den Göttern, besonders Apollo, zur Sfihne dargebracht, sind dem griechischen Altertum nicht fremd. Darüber hat in einem andern Z u s a m m e n hang USENER in seinem außerordentlich lehrreichen Aufsatz über den Stoff des griechischen E p o s gehandelt. Am besten sind wir über das j o n i s c h e Sühnopfer unterrichtet, das sich in den kleinasiatischen Städten bis in die zweite Hälfte des 6. Jahrhunderts v. Chr. in ursprünglicher Strenge erhielt. E s galt dem Apollo. „Wie um den Gott würdig empfangen zu können, d e s s e n Geburtstag am 7. Thargelion gefeiert wurde, veranstaltete man am Vortag, dem 6. dieses Monats, eine Reinigung der Gemeinde. Zwei Sühnopfer, ursprünglich ein Mann und ein Weib, dann zwei Männer, durch die verschiedene F a r b e der aufgereihten F e i g e n , die sie um den Hals trugen, zu Vertretern der beiden G e s c h l e c h t e r gestempelt, schließlich wohl auch nur ein einzelner Mann, wurden feierlich durch die Stadt umgeführt, von dem den Z u g erwartenden Volk mit Zweigen von Feigenbäumen und mit Meerzwiebeln ausgestäupt — dazu erklang auf der Flöte eine bestimmte Choralmelodie — und zuletzt außerhalb der Stadt getötet." Die Opfer wurden entweder gesteinigt oder von einem Felsen herabgestürzt, später wohl nur über die Grenze gestoßen. W e m fällt dabei nicht Uhlands „Ver s a c r u m " ein? Wir kennen —
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dieses Thargelienopfer nach U S E N E R aus Massalia, Abdera, Kolophon und Athen und müssen es für eine Reihe weiterer Orte voraussetzen. Für Athen haben wir ein interessantes Zeugnis in den „Fröschen" des Aristophanes. Dort klagt der Chor gelegentlich, daß den Athenern der Sinn für das Echte und Gute abhanden g e k o m m e n sei: kupfrige Goldmünzen ziehe man dem alten, gehaltvollen Silbergeld vor, und s o halte man es auch mit der Wertschätzung der Bürger; Männer von echtem Schrot und Korn gelten nichts mehr, man beschimpft sie; dafür aber sind Pfuscher und Schurken um s o mehr angesehen, hergelaufenes Gesindel, s o minderwertig, daß man sich seiner zuvor nicht einmal als Sühnopfer bedient hätte. — Von hier aus fällt auch Licht auf eine eigentümliche Selbstbezeichnung des Apostels Paulus, der sich 1. Kor. 4, 13 nach Luthers Übersetzung einen „Fluch der Welt und ein Fegopfer aller Leute" nennt. Luther kommt nach meinem Dafürhalten hier dem Richtigen weit näher als Weizsäcker mit den Worten „Kehricht" und „allgemeiner Auswurf"; denn die entsprechenden griechischen Ausdrücke g e hören nachweislich zu den Bezeichnungen für jene Krüppel und Hungerleider, die sich dazu bereit finden ließen, sich nach einer Zeit des Wohllebens auf Staatskosten als Sühnopfer schlachten zu lassen. Aber wie steht es mit dem Menschenopfer in Italien? Hier scheinen zunächst einige Bräuche unsre Untersuchung in ganz andre Bahnen zu lenken. Noch zu Ovids Zeiten feierte man in Rom an den Iden des März am Tiberufer vor der Stadt ein fröhliches Volksfest; es galt der Göttin Anna Perenna. U S E N E R hat in einer älteren Arbeit über „Italische Mythen" darin den —
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R e s t einer Abschiedsfeier vom alten J a h r nachgewiesen. Anna, in der spätere Tradition die S c h w e s t e r der Dido erblickte, die schiffbrüchig nach Italien gelangt und als gealtertes Weib in einem Flusse ertrunken sei, ist nach USENER ursprünglich nichts andres als das vollendete Jahr, das in Gestalt einer als altes W e i b ausstaffierten Puppe ins W a s s e r geworfen wurde. Am T a g e vorher wurde nach dem späteren Bericht des Johannes Lydus aus der Zeit des K a i s e r s Justinian auch ein Mann umhergeführt, der in Felle gehüllt war; auf den schlug man mit langen weißen Stäben und trieb ihn s o aus dem Stadtgebiet hinaus; man nannte ihn Mamurius. In dieser Gestalt sieht USENER Mars als Jahresgott — ursprünglich war bekanntlich der Martius der erste Monat des J a h r e s — ; an der Jahreswende muß der sterbende J a h r e s g o t t dem neugeborenen weichen. S o hätten wir in diesen dem Todaustragen s o sehr verwandten altitalischen Gebräuchen — USENER häuft geradezu die Analogien, b e s o n d e r s auch aus romanischem Gebiet — eine von Haus aus ganz harmlose Symbolik gefunden. Aber Menschenopfer sind auch den R ö m e r n nicht fremd g e w e s e n . Am 13. Mai trug man 2 4 — die Zahl steht nicht ganz fest — aus Stroh oder Binsen in Menschengestalt geflochtene, mit S c h m u c k und Kleidern versehene, an Händen und Füßen zusammengebundene Puppen zu einer Tiberbrücke, dem P o n s sublicius, von w o sie in Gegenwart des Prätors und der allein zum Zuschauen berechtigten Vollbürger durch die vestalischen Jungfrauen in den Strom hinabgestoßen wurden. D e r Akt galt als Reinigungsopfer, das man dem S a turnus und dem Dispater, dem Gott der Unterwelt, darbrachte. Plutarch bemerkt dazu: „Jetzt stürzt man nur —
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Puppen von der Brücke in den Strom; einst waren es Menschen." Also ein Menschenopfer zu Ehren des Saturnus — das war's, wonach wir suchten. Aber schon in den Tagen Plutarchs, im ersten christlichen Jahrhundert also, war es ja schon längst kein Menschenopfer mehr; wie konnte dieses unter Diocletians R e giment wieder auftauchen? — Nun, es fehlt uns nicht an Belegen für Tertullians Notiz, daß dieser Greuel im Verborgenen fortlebe. Aber es wird Zeit, uns daran zu erinnern, daß wir es in den Akten des Dasius mit einer militärischen Sitte zu tun hatten. Nun sind wir durch THEODOR MOMMSENS bedeutsame Abhandlung über die Konskriptionsordnung der römischen Kaiserzeit bezüglich der Rekrutierungsverhältnisse der Provinzialmilizen in ergiebigster Weise belehrt worden. Die Inschriften steuerten das wichtigste Material dazu bei. Danach haben sich z. B. die ägyptischen Legionen in der ersten Kaiserzeit überwiegend aus Ägyptern selbst und aus Galaten zusammengesetzt. Auch das syrische Heer ist von jeher hauptsächlich aus den griechischen Reichsländern ausgehoben worden. Über Moesien speziell sind wir weniger genau unterrichtet. Doch zeigen die Donauarmeen nach MOMMSEN, sowohl die Legionen wie die ihnen angegliederten Hilfskorps, eine Mischung okzidentalischer und orientalischer Bestandteile. Diese Kenntnis von der Zusammensetzung der römischen Provinzialtruppen ist religionsgeschichtlich von größter Bedeutung; erklärt sie allein uns doch z. B. die außerordentliche Verbreitung des aus Persien kommenden Mithraskultus, j e n e s gefährlichen Rivalen der christlichen Religion im Kampfe um die Weltherrschaft. Gerade aus Persien scheinen auf diesem Wege auch —
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noch andre Einflüsse weiter westwärts gedrungen zu seinin einer für den Kaiser Trajan bestimmten Rede fingiert Dion Chrysostomus ein Gespräch zwischen Alexander und Diogenes; dieser hält dem Könige vor, warum er nicht lieber seine lächerlichen königlichen Insignien mit dem Bettlergewand vertausche und denen huldige, die hoch über ihm stünden. „Kennst du nicht," fährt er fort, „das Fest der Saken, das jene Perser feiern, die du eben bekämpfen willst?" Und auf Alexanders interessierte Frage danach beschreibt er dieses Fest folgendermaßen: „Sie wählen einen von den zum Tode verurteilten Gefangenen aus, setzen ihn auf den Königsthron, legen ihm das Königsgewand an und lassen ihn kommandieren, trinken und schwelgen nach Herzenslust; auch der königliche Harem steht ihm für die Festzeit zur Verfügung; überhaupt darf ihn keiner hindern zu tun, was ihm beliebt. Nach Ablauf der bestimmten Frist aber zieht man ihm seinen Prunk aus, geißelt und hängt ihn." Die Nutzanwendung des Diog e n e s interessiert uns hier nicht. Über diese Sacaeen berichtet Strabon im 11. Buch seiner Geographica, für uns ergänzend, daß sie zu Ehren der Göttin Anaitis sowie ihrer „Altargenossen" und unter „bacchantischen" Exzessen „nach Scythenart" gefeiert wurden. Auch über den Ursprung des Festes weiß er allerlei zu erzählen; danach wäre es von Haus aus eine Soldatenfeier zum Andenken eines Sieges der Perser über die Saken. Zu Strabons Zeit, also etwa um Christi Geburt, beging man das Fest alljährlich in Zela, einer Stadt in Pontus. „Es wird gefeiert, w o man Anaitis verehrt," sagt Strabon. Die ungastlichen Gestade des -
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euphemistisch s o genannten „gastlichen" Meeres, des „euxeinos pontos", sind uns als Sitz blutiger Kulte wohl bekannt; ich erinnere an Iphigenie, an Thoas' Wort: Kein F r e m d e r nahet glücklich unserm Ufer, v o n alters her ist ihm der Tod gewiß.
In der taurischen Diana erkennen wir die Anaitis wieder; und neben ihr erscheint Kronos als Empfänger des Menschenopfers in einem Bericht des bekannten Neuplatonikers und Christenfeindes Porphyrius, der für Rhodus fast dieselbe Feier bezeugt, wie sie uns Dion schilderte; auch dort ist es ein zum Tode verurteilter Verbrecher, den man opfert. Unter den Namen Scythen aber, bei denen, abgesehen von jener Notiz des Strabon: „nach Scythenart", auch sonstige Angaben die Sacaeenfeier außer Frage stellen, fallen im weiteren Gebrauch des Wortes auch jene Völkerschaften um Durostorum. Man braucht also vielleicht nicht einmal ein starkes Kontingent asiatischer Truppen für die dortige Garnison anzunehmen; die seit Hadrian übliche örtliche Aushebung würde genügen, uns das Schicksal des heiligen Dasius zu erklären. Denn daß jenes Kronosopfer der Märtyrerakten auf die Sacaeen zurückzuführen ist, kann nun kaum noch zweifelhaft sein; die Christenverfolgungen werden der Einbürgerung des blutigen Brauches im römischen Heer Vorschub geleistet haben, und vielleicht ist der Autor oder Redaktor unserer Akten dahin zu korrigieren, daß der heilige Dasius zum Opfer für Kronos ausersehen wurde, weil er als Christ ohnehin dem Tode verfallen war; das würde dem asiatischen Brauch, Verbrecher zum Opfer auszuwählen, genau entsprechen. S o hat ein asiatischer Ritus der militärischen Feier des alten römischen Kronosfestes, der Satur—
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nalien, einen neuen Inhalt gegeben, dessen letzte Spuren wir in einer heute noch lebenden Karnevalssitte erkannten. Dem Ursprung j e n e s Ritus in Asien weiter nachzugehen scheint mir heute noch nicht an der Zeit. Man hat ihn in dem Neujahrsfest der Babylonier gesucht und auf den bekannten Beipriester B e r o s u s verwiesen, der nach Athenaeus die Sacaeen für Babylon bezeugt; so würde vielleicht auch das jüdische Purimfest zu den nächsten Verwandten der Sacaeenfeier gehören. Merkwürdig genug: auch an diesem Fest sollen Puppen hergestellt, geprügelt und verbrannt worden sein, wobei man später an h a m a n s Tod gedacht habe. — Indessen ist nun wirklich Babel der Ursitz j e n e s Ritus, dessen Spur wir verfolgen? Die Frage muß offen bleiben angesichts der Tatsache, daß in Ländern, die jeden Zusammenhang ausschließen, ganz ähnliche Sitten nachzuweisen sind. Aus einer ganzen Fülle von Analogien aus amerikanischen Urreligionen g e b e ich hier nur einiges nach W I L H E L M MANNHARDT. Zur Zeit der Wintersonnenwende, wenn in Mexiko Schnee die Gebirge deckt, die Pflanzen keine Nahrung mehr finden und viele Bäume ihr Laub verlieren, verfertigten die Priester ein g r o ß e s Bild Huitzilöpochtlis von allerlei Samen, die mit dem Blute geopferter Kinder zusammengebacken waren. Dieses Idol wurde durchschossen, man schnitt ihm wie den Menschenopfern das Herz aus, das der König, der Stellvertreter Gottes auf Erden, zu essen erhielt; den Leib aber verteilte man in Stücken unter die Männer der Gemeinde; das hieß man Teocualo, den Gott, den man ißt. — Am 10. Mai, am Ende der dürren Zeit, vor Beginn der R e g e n m o n a t e , nahm der in der Kleidung und mit den Attributen des —
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Gottes Tetzcatlipoca auftretende Oberpriester Staub von der Erde und verschluckte ihn; am 19. Mai trugen dann Priester das Bild Tetzcatlipocas auf einem Sessel daher, der, aus gedörrten Maisstengeln verfertigt, die Trockenheit versinnbildlichen sollte. Neben dem Bild des Gottes schritt ein mit tiefster Verehrung seit Jahresfrist für die Rolle des Tetzcatlipoca vorbereiteter schöner Sklave, dem man 20 Tage vor seinem Tode vier junge Mädchen zur Gesellschaft g e g e b e n und seit 5 Tagen prächtige Mahlzeiten dargeboten hatte. Man opferte ihn, bot sein Herz dem Götzenbilde, dann der Sonne an; sein Leib wurde von Priestern und Vornehmen verspeist. — Ich brauche wohl auf die merkwürdigen Ähnlichkeiten dieses Ritus mit den Sacaeen nicht noch im einzelnen aufmerksam zu machen; auch die 5 Tage haben ihre Parallele in den Angaben des B e r o s u s für Babylon und in der Dauer der römischen Saturnalien, die, vielleicht auch durch orientalischen Einfluß, seit Caligula auf 5 Tage ausgedehnt wurde. Eine besonders wichtige Übereinstimmung aber scheint mir noch darin zu liegen, daß bei dem mexikanischen Brauch wie in der Kronosfeier der Dasiusakten das Opfer den Gott, dem geopfert wird, selbst repräsentiert. — Doch gehen wir den W e g unsrer Untersuchung weiter. Bei der Schilderung des Sacaeenkönigs steigt unwillkürlich das Bild des Heilandes im roten Mantel mit dem schmerzenden Diadem und dem Rohr in der Rechten vor unsern Augen auf; das schrille „Gegrüßet seist du, Judenkönig" des Soldatenchors in der Matthäuspassion tönt uns in den Ohren. Fällt auf diese ergreifende Szene im Prätorium des Pontius Pilatus vielleicht auch Licht von den Sacaeen her? Die Frage ist —
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nicht neu; schon in der Mitte des 18. Jahrhunderts hat sie Wetstein gestellt, dessen wir eingangs gedachten, indem er zu Matthäus 27, 27 ff. auf j e n e B e s c h r e i b u n g des F e s t e s bei Dion Chrysostomus verwies. D o c h ehe wir sie zu beantworten suchen, müssen wir uns zuvor mit einer Erklärung auseinandersetzen, die ganz kürzlich von einem jüngeren Philologen mit großer Zuversicht als e b e n s o neu wie unfehlbar richtig aufgestellt worden ist. H E R M A N N R E I C H hat in seinem großen W e r k über den Mimus, das niedere, possenartige Schauspiel, auch der Theologie mancherlei Aufschluß und Anregung g e g e b e n . Um nur eins herauszugreifen: wir verstehen jetzt viel b e s s e r die Entrüstung der Kirchenväter über j e n e Art der Volksbelustigung, seitdem uns R E I C H g e zeigt hat, wie „der Christ" eine der beliebtesten Figuren auf dem antiken Überbrettel war. Die christliche Taufe, j a das Martyrium wurde auf der Bühne karikiert, und s o konnte G r e g o r von Nazianz klagen: „Die Christen dienen als Schauspiel, nicht den Engeln und Menschen, wie Paulus, der große Streiter des Herrn, — die Stelle 1. Kor. 4 , 9 scheint von G r e g o r nicht verstanden zu sein — sondern allem niederen Volke". Nun aber will R E I C H in seiner kleinen Schrift „Der König mit der D o r n e n k r o n e " durch den Hinweis auf den Mimus „auch das dunkle Geheimnis erhellen, das über der Verspottung und der Dornenkrönung Christi bisher undurchdringlich schwebte". Als man den jüdischen Verbrecher, der sich gar für einen K ö n i g ausgab, auf den Hof führt, da laufen die dienstfreien Soldaten zusammen, sich diesen Judenkönig zu betrachten; dabei fallen ihnen bestimmte Mimusszenen ein — welche, das hat R E I C H leider nicht nachgewiesen — , und nun spielen sie eine solche mit dem Ju—
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denkönig. Die Schläge, die sie ihm dabei geben, sind nicht s o schlimm gemeint; im Mimus muß nun einmal durchaus geprügelt werden. D a ß aber die Vorgesetzten bei diesem uns s o disziplinlos erscheinenden Treiben nicht einschreiten, hat seinen Grund: der Mimus war bei der römischen Armee privilegiert. — S o weit HERMANN R E I C H S Erklärung. Aber sie ist erstens nicht neu und zweitens durchaus unzureichend. Eine Hauptstütze ist für R E I C H die Erzählung des jüdischen Philosophen Philo von dem Spott des P ö b e l s über Agrippa I. beim Ausbruch der Judenverfolgung des Jahres 3 8 n. Chr. in Alexandria. Als sich hier der Judenkönig auf seiner R e i s e von R o m nach Palästina aufhielt, wurde er in j e d e r W e i s e lächerlich gemacht; man sang G a s s e n hauer voll spöttischer Anspielungen auf ihn; schließlich staffierte man gar einen Verrückten, namens K a r a b a s , — wir würden sagen den Trottel des Orts — als K ö n i g a u s : man setzte ihm ein Diadem aus Papyrus auf den Kopf, hing ihm einen Teppich als Mantel um und g a b ihm als Szepter ein Stück Papyrusstaude in die Hand, das man von der Straße auflas. „Wie im Theater beim Mimus" putzte man ihn heraus, s a g t Philo, g a b ihm eine e b e n s o komisch ausgerüstete Leibwache, nahte sich ihm mit g e heuchelter Devotion zur Huldigung, zum Gericht oder zur Audienz und begrüßte ihn mit lautem Geschrei als „marin", als Herrn, — man denke an das neutestamentliche „maran atha". —• Diesen Bericht Philos hat nun schon im 17. Jahrhundert Hugo Grotius mit der in unsern Evangelien überlieferten Geschichte von der Verspottung J e s u verglichen. Ausdrücklich hat er auch j e n e Worte „wie im Theater beim Mimus" hervorgehoben und dazu bemerkt, diese Notiz p a s s e auch auf die Erzählung der —
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Evangelien. Neu ist also R E I C H S Erklärung k e i n e s w e g s . Aber sie genügt auch nicht. Für den bedeutend harmloseren V o r g a n g in Alexandrien mag vielleicht eine burl e s k e Königsfigur der Bühne verantwortlich zu machen sein — die Stadt scheint ganz b e s o n d e r s an der Mimomanie gelitten zu haben. Aber die zunächst blendenden Obereinstimmungen mit j e n e r S z e n e im Prätorium des Pilatus sind durchaus zufälliger Natur. Daß dem K a r a b a s irgend ein Leid g e s c h e h e n sei, davon lesen wir nichts; nicht einmal geprügelt hat man ihn. Und nun vergleiche man Zug für Zug der Behandlung J e s u mit der B e s c h r e i b u n g der S a c a e e n bei Dion. Hier wie dort handelt e s sich um einen zum Tode verurteilten Verbrecher. B e i d e werden königlich ausstaffiert; dabei scheint mir auch folgendes nicht zufällig: nicht mit einem Teppich statt des A m t s g e w a n d e s , der Chlamys, wie den K a r a b a s , sondern nach Matthäus mit der Chlamys selbst bekleidet man J e s u s , wie s i e z. B . nach dem 2. B u c h der M a k k a b ä e r G o r g i a s , der Statthalter von Idumäa, im Felde trug; nach Markus und J o h a n n e s war e s ein Purpurgewand: s o legte man nach Dion dem unglücklichen Opfer bei den S a c a e e n d a s K ö n i g s gewand an. Man setzte diesen Menschen auf den Königsthron. Wenn e s gestattet ist unsre kanonische Uberlieferung in Einzelheiten nach außerkanonischen Evangelien zu e r g ä n z e n , s o fehlt e s auch dazu bei J e s u s nicht an einer Parallele: das Petrusevangelium erzählt: „Sie legten ihm ein Purpurkleid an, setzten ihn auf den R i c h t s e s s e l und sprachen: richte gerecht, Israels K ö n i g ! " G a n z Ähnliches berichtet Justin. W a s dann über die e i g e n e Betätigung des S a c a e e n k ö n i g s erzählt wird, muß selbstverständlich bei dem Vergleich mit J e s u s —
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unberücksichtigt bleiben; von seinem Eingehen auf das Treiben der Soldaten kann ja doch nicht die R e d e sein. Der Ausgang aber stimmt in beiden Szenen fast völlig flberein: der Entkleidung, Geißelung und dem Tod am Pfahl, wahrscheinlich am Kreuz, entsprechen bei J e s u s die Schläge aufs Haupt — gegeißelt war er ja schon —, das Ausziehen der Chlamys und die Kreuzigung. Ich bin nicht der Meinung, daß Christus eben als Sacaeenopfer den Kreuzestod gestorben sei, sondern halte an der Überlieferung unsrer Evangelien fest, daß ihm diese Todesart durch jüdisches Votum beschieden war. Aber gerade dieses Urteil im Bunde mit der prätendierten Königswürde Jesu mochte in den orientalischen Soldaten Erinnerungen an die Sacaeen wecken; und s o vollstreckten sie das Urteil unter Zeremonien, die ihnen von jenem Kult her geläufig waren. Darf es uns wundern zur Zeit des Tiberius bei syrischen Truppen G e bräuche zu finden, die in der späteren Kaiserzeit, nachweislich aus Asien kommend, der militärischen Saturnalienfeier in Moesien ihr G e p r ä g e g a b e n ? Wir sind am Ende unsrer Untersuchung. Auf die kleineren Unterschiede in der Darstellung des Matthäus und Markus, das Verhältnis des Lukas zu den andern evangelischen Berichten und den geänderten Zusammenhang bei Johannes möchte ich hier nicht eingehn. Nur eines sei noch gesagt. Indem uns das Verhalten der römischen Soldaten J e s u s gegenüber aus einem orientalischen Ritus verständlich wurde, hat hier die Religionsgeschichte ein Bedenken gehoben, das aus dem theologischen Lager heraus wiederholt gegen die G e schichtlichkeit der Szene geltend gemacht worden ist. —
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Hier wie auch schon in andern Fällen bewährt also die religionsgeschichtliche Methode konservative Kraft gegenüber gar zu streichlustiger Hyperkritik. Aber e s wäre eitle Scharlatanerie, wollte man diese Zufälligkeit zur Empfehlung der Methode ausbeuten; trügt nicht alles, s o wird sie den „Schwachen" noch manchen Schrecken bereiten; manches, was bisher als spezifisch christlich galt, wird uns noch in ganz anderm Lichte erscheinen. Welchen Aufschluß hat nicht schon das antike Mysterienwesen gebracht! Und nun hat die Erforschung des Mithraskultus wieder neues Material geboten. Die Einigung mit der Gottheit durch das Mittel des Essens wurde auch von den Mysten des Mithras geglaubt, eine Tatsache, die sich Justin der Märtyrer nicht anders zu erklären wußte, als daß böse Dämonen die entsprechenden Bräuche in Nachahmung des christlichen Herrenmahles den Heiden überliefert hätten. Auch zu dem johanneischen Wort „Ich und der Vater sind eins" fehlt e s nicht an Analogien, und ihnen liegt die Einheit von Licht und Sonne zugrunde; dabei denke man an die Bezeichnung Christi als Strahl des göttlichen Glanzes Ebr. 1, 3. Doch wozu die Beispiele häufen? Es gilt den Glauben immer unabhängiger zu machen von allem, w a s Schale ist beim Christentum. D e s s e n Herz gar zu sehr an diesen Äußerlichkeiten hängt, der wird seines Glaubens nimmer froh werden können, wenn er sich nicht allem, was Wissenschaft heißt, ängstlich verschließt. Wir aber gedenken, freilich in etwas andrer Anwendung, d e s Paulusworts: Der Buchstabe tötet, der Geist aber ist es, der da lebendig macht. —
C. G. Röder G. m. b. H., Leipzig.