Qumran: Die Texte vom Toten Meer und das antike Judentum 9783825246815, 3825246817

Das antike Judentum in zeitgenössischen TextenKaum eine archäologische Entdeckung hat unser Verständnis des antiken Jude

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German Pages 480 [478] Year 2016

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Table of contents :
Qumran
Impressum
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Transkriptionsregeln
Teil 1: Historische und philologische Einleitung
1 Die Bedeutung der Qumranrollen und ihre Entdeckungs- und Forschungsgeschichte
1.1 Die Bedeutung der Funde von Qumran
1.2 Die Entdeckung 1946/1947
1.3 Schriftrollenfunde am Toten Meer vor 1947
1.4 Weitere Entdeckungen der ersten Jahre (1949 – 1952)
1.5 Die „Scrollery“ (1952 – 1960)
1.6 Der akademische Skandal par excellence (1960 – 1990)
1.7 Die Veröffentlichung (1990 – 2010)
2 Wie liest man ein Fragment? Anatomie der ältesten jüdischen Bücher
2.1 Buchform und Layout (Kodikologie)
2.2 Vom Fragment zur Transkription
2.3 Schrift (Paläographie)
3 Vom Fragment zur Rolle: Konstruktion, Editionen und Hilfsmittel
3.1 Vom Fragment zu Fragmentengruppen
3.2 Von der Fragmentengruppe zur Reihenfolge
3.3 Abkürzungssystem
3.4 Alte Fotos und neue Bildtechniken
3.5 Editionen und Hilfsmittel
4 Kurze Geschichte Judäas in hellenistisch-römischer Zeit
5 Religiöse Bewegungen in Judäa
Teil 2: Steine, Rollen, Krüge: Archäologie der Texte von Qumran und ihrer Umgebung
6 Grundzüge der Archäologie und Aufteilung in Siedlungsphasen
6.1 Wie funktioniert eine Ausgrabung?
6.2 Chronologie der Siedlungsphasen von Khirbet Qumran
7 Leben in und um Qumran: Gebäude und Objekte
7.1 Die wichtigsten Gebäude und Objekte
7.2 Friedhöfe
7.3 Im Keller: Höhlen im Mergelplateau
7.4 Schriftrollenhöhlen im Kliff bei Qumran
7.5 Höhlen ohne Schriftrollen im Kliff
7.6 Ein Feshkha
7.7 Wege und Pfade um Qumran
7.8 Exkurs: Die anderen Handschriftenfunde am Toten Meer
8 Festung, Villa, Töpferei? Qumran im Kontext
Exkurs: Das sogenannte Jachad-Ostrakon
9 In und out: Überblick über die Schriftrollen, Autorgruppen, Besitzer und Gegner
9.1 War Qumran eine Geniza?
9.2 Qumran als Bibliothek? Ein Überblick über die Schriftrollenbestände
9.3 Drei Ausreißer?
Teil 3: Die Geburt der ältesten Buchreligion: Die Rollen von Qumran und die Hebräische Bibel
10 Kanon und Kreativität: Konturen der „Bibel“ und „parabiblischer“ Literatur im Zweiten Tempel
10.1 Kanon und Heilige Schriften
10.2 Die traditionellen Bibeln
10.3 Frühe Zeugnisse zur Kanonsgeschichte
10.4 Konturen Heiliger Schriften in Qumran
11 Kopie, Korrektur, Kreativität: Textkritik und Redaktionskritik „biblischer“ und nicht-biblischer Bücher
11.1 Textunterschiede und Textkritik
11.2 Textunterschiede und Redaktionskritik
11.3 Reworked Pentateuch oder Pentateuch?
11.4 Textkritik und nicht-biblische Schriftrollen
12 Gottes Wort verstehen: Auslegungstechniken und -themen
12.1 Rewritten Scripture
12.2 Spin-Offs, Sequels, Prequels
12.3 Quelle biblischer Bücher?
12.4 Pescharim und andere Kommentare
12.5 Hilfsschriften
12.6 Übersetzungen
Teil 4: Der Jachad: Quellen, Organisation und Religion der Bibliotheksbesitzer
13 Die Quellen des Jachad
13.1 Die Damaskusschrift (D) (Zadokidisches Werk)
13.2 Die Gemeinschaftsregel (S) und verwandte Texte (Sa und Sb)
13.3 Hymnenrolle (H)
13.4 Milchama-Texte (M)
13.5 Andere Texte: Berakhot, Pescharim, Flor, Test, 11Q13
14 Jachad und Neuer Bund: Organisationsformen
15 „Pflanze der Gerechtigkeit“: Ursprung, Geschichte und Protagonisten
16 „Das Gute und Rechte vor Dir tun“: Rituale des Jachad
16.1 Riten des Lebenszyklus: Kindheit, Beitritt und Bestattung
16.2 Kalender, Fest- und Wochentagsliturgien
16.3 Tagzeitenliturgie: Morgen- und Abendgebet, Gemeinschaftsmahl und ewiges Studium
16.4 Gebet vs. Opfer
16.5 Reinheit
17 „Einen Mann im Herzen erleuchten“: Zur Ideologie des Jachad
17.1 Gott, Engel, Mensch
17.2 Dualismus
17.3 Doppelte Prädestination
17.4 Mysterium, Esoterik, Geheimlehren und Schriftauslegung
17.5 Präsente Eschatologie, Auferstehung
Teil 5: Schlüsselloch Qumran: Neue Einblicke ins antike Judentum
18 „Das Ende der Tage“: Eschatologie, Apokalyptik und Messianismus – Qumran und das christliche Judentum
19 „Das Verborgene erkennen“: Weisheit, Wissenschaft und Magie
20 „So lasst unsre Lippen Stiere opfern“: Liturgie, Gebet, Mystik
20.1 Gebete: Qumran und das synagogale Gebet
20.2 Mystik: Qumran und die Hekhalotliteratur
21 „Gottes Willen ordnen“: Tora und Halakha – Qumran und das Rabbinische Judentum
Allgemeine Bibliographie
1 Übergreifende Internet-Datenbanken und digitale Handschrifteneditionen
2 Datenbanken auf CD-Rom
3 Kataloge
4 Textausgaben
5 Archäologie
6 Hilfsmittel
7 Moderne Einleitungen
8 Auswahl zentraler Konferenzbände außerhalb von STDJ
Anhang
1 Karten und Pläne
2 Zeittafel
3 Glossar
Quellenverzeichnis
Personenregister
Sachregister
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Qumran: Die Texte vom Toten Meer und das antike Judentum
 9783825246815, 3825246817

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Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Böhlau Verlag · Wien · Köln · Weimar Verlag Barbara Budrich · Opladen · Toronto facultas · Wien Wilhelm Fink · Paderborn A. Francke Verlag · Tübingen Haupt Verlag · Bern Verlag Julius Klinkhardt · Bad Heilbrunn Mohr Siebeck · Tübingen Nomos Verlagsgesellschaft · Baden-Baden Ernst Reinhardt Verlag · München · Basel Ferdinand Schöningh · Paderborn Eugen Ulmer Verlag · Stuttgart UVK Verlagsgesellschaft · Konstanz, mit UVK / Lucius · München Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen · Bristol Waxmann · Münster · New York

Jüdische Studien

herausgegeben von René Bloch, Alfred Bodenheimer, Frederek Musall und Mirjam Zadoff

Band 3

Daniel Stökl Ben Ezra

Qumran Die Texte vom Toten Meer und das antike Judentum

Mohr Siebeck

Daniel Stökl Ben Ezra, geboren 1970; Studium der Religionswissenschaften, Judaistik und Theologie; 2002 Promotion; 2011 Habilitation; derzeit Forschungsprofessor an der École pratique des hautes études in Paris auf dem Lehrstuhl für Sprache, Literatur, Paläographie und Epigraphie des Hebräischen und Aramäischen vom vierten Jahrhundert v. Chr. bis zum vierten Jahrhundert n. Chr.

ISBN  978-3-8252-4681-5 (UTB Band 4681) Online-Angebote oder elektronische Ausgaben sind erhältlich unter www. utb-shop.de. Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2016 Mohr Siebeck, Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Pagina in Tübingen gesetzt und von Hubert & Co. in Göttingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und gebunden.

Meinen Jerusalemer Lehrern

Vorwort    VII

Vorwort

Dieses Lehrbuch ist Ausdruck meiner Überzeugung, dass sich die Welt des frühen Judentums – und darunter fällt auch das Urchristentum – nur im parallelen Studium aller antiken jüdischen Quellen, schriftlichen wie archäologischen, begreifbar machen lässt. Auch sind alle Methodologien, Philologie, Geschichte, Archäologie, Religions- und Sozialwissenschaften und nun auch die Informatik, wo sie vergangene Welten mit Licht erhellen können, zu verwenden. Ich danke meinen Schülern in Paris und in Bern, die mit mir einige der hier enthaltenen Materialien erprobt haben. Sehr ­herzlich möchte ich Jonathan Ben-Dov, Katell Berthelot, René Bloch, ­Yehuda Cohn, Lutz Doering, Gilles Dorival, Jörg Frey, Florentino GarcíaMartínez, Charlotte Hempel, Jodi Magness, Dennis Mezzi, Konrad Schmid, Günter Stemberger, Herzeleide Stökl, Jonathan Stökl, Eva Tyrell und Eibert Tigchelaar sowie dem Lektor meinen Dank aussprechen, die sich mit zahlreichen Korrekturen und Hinweisen viel Mühe gegeben haben, das Buch oder das ihm zugrundeliegende Projekt vor einigen Fallen zu bewahren. Verbliebene Fehler möge der Leser mir zur Last legen.

Inhaltsverzeichnis    IX

Inhaltsverzeichnis

Vorwort.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Transkriptionsregeln. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIII Teil 1: Historische und philologische Einleitung. . . . . . . . . . . . 1 1.

2.

3.

Die Bedeutung der Qumranrollen und ihre Entdeckungsund Forschungsgeschichte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1. Die Bedeutung der Funde von Qumran. . . . . . . . . 1.2. Die Entdeckung 1946/1947.. . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3. Schriftrollenfunde am Toten Meer vor 1947. . . . . 1.4. Weitere Entdeckungen der ersten Jahre (1949 – 1952). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5. Die „Scrollery“ (1952 – 1960). . . . . . . . . . . . . . . . 1.6. Der akademische Skandal par excellence (1960 – 1990). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.7. Die Veröffentlichung (1990 – 2010). . . . . . . . . . . .

3 3 8 12 15 17 20 22

Wie liest man ein Fragment? Anatomie der ältesten jüdischen Bücher. . . . . . . . . . . . . 2.1. Buchform und Layout (Kodikologie). . . . . . . . . . . 2.2. Vom Fragment zur Transkription. . . . . . . . . . . . . 2.3. Schrift (Paläographie). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

27 29 35 37

Vom Fragment zur Rolle: Konstruktion, Editionen und Hilfsmittel. . . . . . . . . . . . . . 3.1. Vom Fragment zu Fragmentengruppen. . . . . . . . . 3.2. Von der Fragmentengruppe zur Reihenfolge. . . . . 3.3.Abkürzungssystem. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4. Alte Fotos und neue Bildtechniken. . . . . . . . . . . . 3.5. Editionen und Hilfsmittel. . . . . . . . . . . . . . . . . . .

47 48 53 55 58 61

4.

Kurze Geschichte Judäas in hellenistisch-römischer Zeit.. 65

5.

Religiöse Bewegungen in Judäa. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73

X    Inhaltsverzeichnis Teil 2: Steine, Rollen, Krüge: Archäologie der Texte von Qumran und ihrer Umgebung. . . . . . . . . . . . . . . . . 87 6.

Grundzüge der Archäologie und Aufteilung in Siedlungsphasen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 6.1. Wie funktioniert eine Ausgrabung?. . . . . . . . . . . . 90 6.2. Chronologie der Siedlungsphasen von Khirbet Qumran. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95

7.

Leben in und um Qumran: Gebäude und Objekte. . . . . . . 7.1. Die wichtigsten Gebäude und Objekte.. . . . . . . . . 7.2.Friedhöfe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3. Im Keller: Höhlen im Mergelplateau. . . . . . . . . . . 7.4. Schriftrollenhöhlen im Kliff bei Qumran. . . . . . . . 7.5. Höhlen ohne Schriftrollen im Kliff.. . . . . . . . . . . . 7.6. Ein Feshkha. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.7. Wege und Pfade um Qumran. . . . . . . . . . . . . . . . 7.8. Exkurs: Die anderen Handschriftenfunde am Toten Meer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

105 105 117 120 124 125 127 128 129

8.

Festung, Villa, Töpferei? Qumran im Kontext. . . . . . . . . . 133 Exkurs: Das sogenannte Jachad-Ostrakon. . . . . . . . . . . 146

9.

In und out: Überblick über die Schriftrollen, ­Autorgruppen, Besitzer und Gegner. . . . . . . . . . . . . . . . 9.1. War Qumran eine Geniza?. . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2. Qumran als Bibliothek? Ein Überblick über die Schriftrollenbestände. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3. Drei Ausreißer?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

149 150 151 163

Teil 3: Die Geburt der ältesten Buchreligion: Die Rollen von Qumran und die Hebräische Bibel. . . . . . 171 10. Kanon und Kreativität: Konturen der „Bibel“ und ­„parabiblischer“ Literatur im Zweiten Tempel. . . . . . . . . 10.1.Kanon und Heilige Schriften. . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2.Die traditionellen Bibeln. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.3.Frühe Zeugnisse zur Kanonsgeschichte. . . . . . . . . 10.4.Konturen Heiliger Schriften in Qumran. . . . . . . . .

173 174 175 180 182

11. Kopie, Korrektur, Kreativität: Textkritik und Redaktionskritik „biblischer“ und nicht-biblischer Bücher.. . . . . . . . 189 11.1.Textunterschiede und Textkritik. . . . . . . . . . . . . . 191 11.2.Textunterschiede und Redaktionskritik. . . . . . . . . 203

Inhaltsverzeichnis    XI

11.3.Reworked Pentateuch oder Pentateuch?.. . . . . . . . 208 11.4.Textkritik und nicht-biblische Schriftrollen. . . . . . 210 12. Gottes Wort verstehen: Auslegungstechniken und -themen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.1.Rewritten Scripture.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.2.Spin-Offs, Sequels, Prequels. . . . . . . . . . . . . . . . . 12.3.Quellen biblischer Bücher?. . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.4.Pescharim und andere Kommentare. . . . . . . . . . . 12.5.Hilfsschriften. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.6.Übersetzungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

213 216 223 227 228 233 234

Teil 4: Der Jachad: Quellen, Organisation und Religion der Bibliotheksbesitzer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 13. Die Quellen des Jachad. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.1.Die Damaskusschrift (D) (Zadokidisches Werk). . . . . . 13.2.Die Gemeinschaftsregel (S) und verwandte Texte (Sa und Sb).. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.3.Hymnenrolle (H). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.4.Milchama-Texte (M).. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.5.Andere Texte: Berakhot, Pescharim, Flor, Test, 11Q13. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

239 239 243 249 252 254

14. Jachad und Neuer Bund: Organisationsformen. . . . . . . . . 255 15. „Pflanze der Gerechtigkeit“: Ursprung, Geschichte und Protagonisten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 16. „Das Gute und Rechte vor Dir tun“: Rituale des Jachad.. . 16.1.Riten des Lebenszyklus: Kindheit, Beitritt und Bestattung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.2.Kalender, Fest- und Wochentagsliturgien. . . . . . . . 16.3.Tagzeitenliturgie: Morgen- und Abendgebet, ­Gemeinschaftsmahl und ewiges Studium. . . . . . . . 16.4.Gebet vs. Opfer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.5.Reinheit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

283

294 299 300

17. „Einen Mann im Herzen erleuchten“: Zur Ideologie des Jachad. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.1.Gott, Engel, Mensch. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.2.Dualismus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.3.Doppelte Prädestination. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

303 304 307 312

284 288

XII    Inhaltsverzeichnis 17.4.Mysterium, Esoterik, Geheimlehren und ­Schriftauslegung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 17.5.Präsente Eschatologie, Auferstehung. . . . . . . . . . . 314 Teil 5: Schlüsselloch Qumran: Neue Einblicke ins antike Judentum. . . . . . . . . . . . . . . 317 18. „Das Ende der Tage“: Eschatologie, Apokalyptik und ­Messianismus – Qumran und das christliche Judentum. . . 319 19. „Das Verborgene erkennen“: Weisheit, Wissenschaft und Magie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 20. „So lasst unsre Lippen Stiere opfern“: Liturgie, Gebet, Mystik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 20.1.Gebete: Qumran und das synagogale Gebet. . . . . . 353 20.2.Mystik: Qumran und die Hekhalotliteratur. . . . . . 370 21. „Gottes Willen ordnen“: Tora und Halakha – Qumran und das Rabbinische Judentum. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 Abbildungsverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 Allgemeine Bibliographie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Übergreifende Internet-Datenbanken und digitale Handschrifteneditionen.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Datenbanken auf CD-Rom. . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.Kataloge. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.Textausgaben. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.Archäologie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.Hilfsmittel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Moderne Einleitungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Auswahl zentraler Konferenzbände außerhalb von STDJ. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

395 395 395 396 396 399 400 402

Anhang. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Karten und Pläne. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.Zeittafel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.Glossar. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

405 407 419 425

Quellenverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Personenregister. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sachregister.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Archäologische Loci. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

437 449 455 462

404

Transkriptionsregeln    XIII

Transkriptionsregeln

Entsprechend den Regeln der Lehrbuchreihe wird ein der deutschen Sprache angemessenes stark vereinfachtes Transkriptionssystem angewandt, das Konsonanten im Allgemeinen mit den folgenden Äquivalenten wiedergibt und Vokale nach der vereinfachten modernen hebräischen Aussprache ergänzt. Personennamen sind allgemein nach der griechischen Weise transkribiert (Demetrios statt Demetrius). alef

’ / ø (am Wortanfang und -ende)

‎‫‏א‏‬‎

bet

b / v

‎‫‏ב‏‬‎

gimel

g

‎‫‏ג‏‬‎

dalet

d

‎‫‏ד‏‬‎

he

h / ø (am Wortende)

‎‫‏ה‏‬‎

waw

w / o / u

‎‫‏ו‏‬‎

zain

z

‎‫‏ז‏‬‎

chet

ch

‎‫‏ח‏‬‎

tet

t

‎‫‏ט‏‬‎

jod

j / i

‎‫‏י‏‬‎

kaf

k / kh

‎‫‏כ‏‬‎

lamed

l

‎‫‏ל‏‬‎

mem

m

‎‫‏מ‏‬‎

nun

n

‎‫‏נ‏‬‎

samekh

s

‎‫‏ס‏‬‎

ajin

‘/ ø (am Wortanfang und -ende)

‎‫‏ע‏‬‎

pe

p / f

‎‫‏פ‏‬‎

tsade

tz

‎‫‏צ‏‬‎

qof

q

‎‫‏ק‏‬‎

resch

r

‎‫‏ר‏‬‎

schin

sch

‎‫‏ש‏‬‎

tav

t

‎‫‏ת‏‬‎

Teil 1:

Historische und philologische Einleitung

1.1  Die Bedeutung der Funde von Qumran    3

1 Die Bedeutung der Qumranrollen und ihre Entdeckungs- und Forschungsgeschichte

Allegro, John, Die Botschaft vom Toten Meer, Frankfurt 1957. Burrows, Millar, Die Schriftrollen vom Toten Meer, München 1957; Burrows, Millar, Mehr Klarheit über die Schriftrollen, München 1959. Cross, Frank, Die antike Bibliothek von Qumran und die moderne biblische Wissenschaft, Neukirchen-Vluyn 1967. Dimant, Devorah/Kottsieper, Ingo (Hgg.), The Dead Sea Scrolls in Scholarly Perspective. A History of Research, Tübingen 2012. Fields, Weston, The Dead Sea Scrolls. A Full History. Vol. 1, Leiden 2009. Golb, Norman, „Who Were the Maġārīya?“, Journal of the American Oriental Society 80 (1960) 347 – 359. Israeli, Raphael, Piracy in Qumran. The Battle over the Scrolls of the PreChrist Era, New Brunswick 2008. Maier, Johann/Schubert, Kurt, Qumran-Essener. Texte der Schriftrollen und Lebensbild der Gemeinde, München 1991. Milik, Józef, Ten Years of Discovery in the Wilderness of Judaea, London 1959. Reiner, Fred, „C. D. Ginsburg and the Shapira Affair. A Nineteenth-Century Dead Sea Scrolls Controversy“, The British Library Journal 21 (1995) 109 – 127. Rengstorff, Karl-Heinrich, Hirbet Qumran und die Bibliothek vom Toten Meer, Leiden 1960. Schiffman, Lawrence, Reclaiming the Dead Sea Scrolls, New York 1994. Segal, Moshe, A Grammar of Mishnaic Hebrew, Oxford 1927. Stec, David, The Genizah Psalms. A Study of MS 798 of the Antonin Collection, Leiden 2013 Stegemann, Hartmut, Die Essener, Qumran, Johannes der Täufer und Jesus, Freiburg 1993, 102007. Tov, Emanuel, The Discoveries in the Judaean Desert Series: History and System of Presentation. In: ders. (Hg.), The texts from the Judaean desert: Indices and an introduction to the ‚Discoveries in the Judaean desert‘ series, (DJD 39) Oxford 2002, 1 – 25. Trever, John, Das Abenteuer von Qumran, Kassel 1967. Vermes, Géza, The story of the scrolls, London 2010.

1.1 Die Bedeutung der Funde von Qumran Qumran – wenige Worte haben im letzten Jahrhundert eine größere, fast magische Anziehungskraft auf Erforscher des Judentums und Christentums, Scharlatane und Sensationslustige, Journalisten und Kriminalautoren, Fachleute und Laien ausgeübt als der Name

4    1  Entdeckungs- und Forschungsgeschichte des Fundortes der Qumran-Rollen am Toten Meer. Filmreif ist nicht nur die Entdeckungsgeschichte durch Beduinen, der erste Ankauf am Vorabend des UNO-Votums zum Teilungsplan des britischen Mandatsgebiets Palästina, sondern auch die Beteiligung des israelischen Geheimdiensts an späteren „Erwerbungen“, der dreißigjährige Krieg um ihre Publikation, Verdächtigungen, der Vatikan verhindere die Veröffentlichung wichtiger Schriften, antisemitische Ausfälle zentraler Beteiligter, „Pirateneditionen“ durch Reverse Engineering junger Computerfreaks, Gerichtsprozesse um Diebstahl geistigen Eigentums und Annahme falscher Identitäten, um andersdenkende Forscher zu diffamieren. Manchen Forschern fiel es nicht leicht, in derartig ungewöhnlichen Situationen einen kühlen Kopf zu bewahren. Doch ganz objektiv haben nur wenige archäologische Funde eine ähnliche Neuinterpretation bekannter Daten in gut erforschten Forschungsgebieten ausgelöst. Die Fakten sprechen für sich: größte Sammlung Die Fragmente von mehr als 1000 Schriftrollen stellen die größte antiker religiöser Sammlung antiker religiöser Schriften dar. Die frühesten datieren Schriften aus dem dritten Jahrhundert v. Chr., die jüngsten aus dem ersten Jahrhundert n. Chr., einer Schlüsselperiode für die Geburt zweier noch heute lebendiger Religionen: rabbinisches Judentum und Christentum. Vor 1946 gab es eine große Lücke zwischen der vermuteten Redaktionszeit der jüngsten Bücher der Hebräischen Bibel in der hellenistischen Zeit (zweites Jahrhundert v. Chr.) und den ältesten erhaltenen hebräischen Handschriften vom Ende des ersten Jahrtausends n. Chr. Dazwischen liegen zwar die Redaktionszeiten der klassischen rabbinischen Texte, Mischna, Talmud, Midrasch. Doch auch sie waren bis ins frühe Mittelalter nur mündlich überliefert. So bleibt, selbst wenn man die Redaktionszeit des frühesten dieser Texte, der Mischna, im dritten Jahrhundert als Maßstab nimmt, immer noch eine Kluft zwischen dem zweiten Jahrhundert vor und dem dritten Jahrhundert nach Christus. Mit der Entdeckung gibt es plötzlich Reste hunderter hebräischer und aramäischer Bücher aus eben dieser unbekannten Zwischenzeit. Die entdeckten Handschriften von Büchern der Hebräischen Bibel, ungefähr ein Viertel aller um Qumran gefundenen Rollen, sind immerhin etwa 1000 Jahre älter als die bis dato älteste vollständige Bibelhandschrift. Sie geben völlig neue Einsichten in die Textgeschichte. Zum Beispiel liefern sie für die antike griechische Übersetzung der Bibel (die sogenannte Septuaginta) Belege, dass es den dahinter liegenden hebräischen Text wirklich einmal gegeben hat. Ja, für manche Bücher geben sie sogar Einblick in den Vorgang der Fortschreibung. Nicht nur das! Differenzen in der Orthographie relativieren die traditionelle Tiberiensische Vokalisierung.

1.1  Die Bedeutung der Funde von Qumran    5

Die Kanongeschichte kann völlig neu aufgerollt werden. Ohne Zweifel haben die Rollen und Fragmente unser Verständnis der Überlieferung und Überarbeitung der Bücher der Hebräischen Bibel und ihrer Übersetzungen grundlegend geändert. Die Rollen von Qumran verschaffen uns die Möglichkeit, das Judentum des Zweiten Tempels direkt zu studieren. Bis 1946 Direktzugang war dies nur indirekt möglich. Man vergisst oft, dass wir bis auf ein paar Papyrusfragmente alle anderen Texte, Flavius Josephus, Philon, Pseudepigraphen und Apokryphen nur dank christlicher Schreiber aus der Antike und dem Mittelalter haben. Auf jüdischer Seite ist neben der Hebräischen Bibel nur die rabbinische Literatur überliefert worden, die zu einem neuen Kanon des nun erst entstandenen rabbinischen Judentums geworden ist. Alles, was nicht in die christliche oder die rabbinische Sichtweise passte, wurde nicht weiter abgeschrieben. Auf christlicher Seite hieß das oft, dass nur Schriftstücke, die in der Perspektive der kopierenden Mönche einen Beitrag zum Verständnis des Neuen Testamentes leisteten, der Mühe des Abschreibens wert waren. Dazu gehörten neben der Septuaginta und den anderen Übersetzungen der Hebräischen Bibel in erster Linie Josephus (eine der ganz wenigen antiken Quellen, die Jesus, Jakobus und Johannes den Täufer erwähnen); Philon von Alexandrien (der manchen als zum Christentum konvertierter jüdischer Philosoph galt); Schriften wie 1. Henoch, die im Neuen Testament zitiert werden, oder 4. Esra und die Psalmen Salomos, die über die Ankunft des Messias sprechen. Und wo diese Zeugnisse christologisch nicht deutlich genug waren, wurden sie im Laufe der Zeit von den christlichen Kopisten „verbessert“ oder überhaupt erst in die Quellen hineingeschrieben (z. B. in den Testamenten der Zwölf Patriarchen). Die Rabbinen verzichteten ganz auf die eigenständige Überlieferung nachbiblischer vorrabbinischer Texte und integrierten allenfalls gewisse Traditionen in ihre neuen Kompositionen. Die von rabbinischen und christlichen Schreibern überlieferten Texte und Traditionen schränken also unsere Wahrnehmung des antiken Judentums auf diejenigen Texte und Traditionen ein, die späteren orthodoxen Kreisen genehm waren. Qumran ermöglicht den direkten Einblick in gewisse Teile des Judentums des Zweiten Tempels ohne die Selektionsgeschichte der christlichen und jüdischen Tradition. Bis 1946 nur äthiopisch, griechisch, lateinisch oder syrisch überlieferte Schriften wie 1. Henoch, das Jubiläenbuch, Tobit oder Sirach wurden in ihrem hebräischen oder aramäischen Original zugänglich. Für eine Anzahl zentraler Genres jüdischer Literaturgeschichte geben die Qumranrollen das älteste Zeugnis ab: für die ersten exegetischen Werke, die den zitier-

6    1  Entdeckungs- und Forschungsgeschichte ten Text explizit von seiner Auslegung trennen; bestimmten Themen gewidmete halakhische Traktate; liturgische Gebetsbücher; magische Schriften, mystische Vorstellungen, vorher für unmöglich gehaltene Verbindungen von Weisheit und Apokalyptik. Erst in den letzten Jahren sind die Qumranrollen als Zeugnisse für das antike Judentum, nicht nur einer exklusiven jüdischen Sekte, dem Jachad, wirklich ernst genommen worden.

Jachad

Auch wenn wir die Standardthese vertreten, die die Besitzer der Bibliothek mit den Essenern identifiziert, werden wir in diesem Lehrbuch für die Gruppe hinter diesen Schriftrollen ihre Selbstbezeichnung verwenden, also „Jachad“ (und „jachadisch“), um nicht durch die Verwendung von „Essenern“, „Sekte“ oder „Qumrangruppe“ soziologische oder geographische Vorentscheidungen für die Interpretation treffen zu müssen. Auch in englischen Publikationen sind viele dazu übergegangen, neutral von „Yahad“ (und „Yahadic“) zu sprechen.

Die neu entdeckten halakhischen Handschriften gestatten Einsicht in die unterschiedlichen Lehrmeinungen, die in den jüdischen Strömungen zum Ende der Zeit des Zweiten Tempels eine Rolle spielten. Juristische Fachtermini, literarische Genres, Ableitungen aus biblischen Texten stimulieren die Diskussion zu den Entstehungsumständen auch des rabbinischen Judentums. Und doch wäre all dies vermutlich nur für einen begrenzten Kreis von Spezialisten und Freunden des antiken Judentums von herausragender Bedeutung gewesen, gäbe es da nicht noch die zeitliche, geographische und oftmals inhaltliche Nähe zu Jesus, Johannes dem Täufer und Paulus, zum Urchristentum und seinen Schriften. Bis 1946 musste man zum Studium des Neuen Testamentes vor allem gute Griechischkenntnisse vorweisen. Jesus sprach zwar Aramäisch. Doch dafür gab es keine zeitgenössische Literatur. Hebräisch selbst aber galt meist als tote Sprache, auch wenn Segal angefangen hatte zu beweisen, dass dem nicht so war. Vergleichsliteratur zum Neuen Testament waren die Schriften des hellenistischen Judentums, Kirchenväter und klassische Autoren. Dazu kamen auch die Schriften der Hebräischen Bibel, des Alten Testamentes, relevant allerdings nicht in ihrer hebräischen Fassung, sondern in griechischer Übersetzung, in der Form der Septuaginta. Das Studium der restlichen hebräischen Literatur – Mischna, Talmud, Midraschim – diente in den allermeisten Fällen dazu, die große Differenz des Christentums zum rabbinischen Judentum herauszustreichen. Von jüdischer Seite konnte das Christentum als marginale Interpretation hellenisierter Strömungen des Judentums des Zweiten Tempels abgetan werden.

1.1  Die Bedeutung der Funde von Qumran    7

Mit der Entdeckung der Qumranrollen gab es plötzlich ein großes Korpus hebräischer Literatur aus den hellenistischen und römischen Epochen mit Bezügen auf exegetische und halakhische Traditionen der rabbinischen Literatur, aber ebenso oft auch mit Kontrasten. Ohne Übertreibung kann man feststellen, dass vor allem auch aufgrund der aus den Qumranrollen gewonnenen Erkenntnisse das Urchristentum in seinen unterschiedlichen Strömungen heute viel stärker im Judentum des Zweiten Tempels verwurzelt gesehen wird, genauer als eine weitere Strömung innerhalb des mannigfaltigen antiken Judentums Judäas/Palästinas. Vieles von dem, was vorher als christliches Proprium gegolten hatte, war nun erstmals in antiken jüdischen Texten attestiert, noch dazu auf Hebräisch. Besonders große Aufmerksamkeit galt der Messianologie. Eine eschatologische Heilsfigur als Sohn Gottes? Ein leidender Messias? Die Deutung bestimmter prophetischer Texte auf den Messias? Prophetisch inspirierte Schriftauslegung? Seligpreisungen? Ein Kultmahl mit Brot und Wein? Ausdrücke wie „Werke des Gesetzes“? Nicht alles ist stichhaltig, aber die Präsenz all dieser Punkte in den Qumranrollen muss zumindest diskutiert werden. Und für die Historiker kommt noch dazu, dass – im Gegensatz zum Urchristentum – die Schriftrollen einen archäologischen Kon- Schriftrollen mit text haben. Wenn man die Siedlung als Wohnsitz der Eigentümer archäologischem der Rollen identifiziert, wie es die Mehrheit weiterhin tut, können Kontext Rolle und Siedlung, Text und Kontext, Anspruch und Wirklichkeit, Ideal und Realität, Reinheitsliturgie und Mikve, Gleichheitsideal und Friedhof miteinander in Beziehung gesetzt werden. Bis vor wenigen Jahren war dieser Punkt vielleicht der umstrittenste, doch haben die Erkenntnisse der modernen Physik und Chemie hier neue Sicherheiten gewonnen. Wie würden sich Historiker des frühen Christentums oder der tannaitischen rabbinischen Literatur über ähnliche Entdeckungen freuen! Bis zu den ersten archäologisch verifizierten christlichen Bauwerken in Dura Europos und Megiddo müssen wir bis ins dritte Jahrhundert warten – ohne darin bislang die Literatur ihrer Bewohner in ähnlicher Masse gefunden zu haben. Die christlichen Papyri stammen fast ausschließlich von antiken Müllhalden in Ägypten, nur selten aus Bauten mit archäologischem Kontext. Die schiere Masse der Qumranrollen stellt alles andere in den Schatten. Alle christlichen griechischen Papyri bis zum fünften Jahrhundert zusammengenommen entsprechen etwa der Hälfte der Zahl der Qumranrollen. Auch auf sprachwissenschaftlichem Gebiet haben die Qumranrollen unsere Kenntnis der hebräischen Sprache revolutioniert. Das in den Qumranrollen bezeugte Hebräisch schließt eine große Lücke

8    1  Entdeckungs- und Forschungsgeschichte zwischen den jüngeren Werken der Hebräischen Bibel und den ältesten Straten der rabbinischen Literatur. Dies gilt – vor allem auch aufgrund der Bar Kosba Texte von anderen Fundorten um das Tote Meer – auch für das Aramäische. Schließlich profitiert auch die antike Buchkunde, Kodikologie (Lehre über den Aufbau von Büchern) und Paläographie (Erforschung der Geschichte der Schrift). Für das Studium einer Religion, die genau in dieser Periode begann, das Buch mehr und mehr ins Zentrum ihres Kultes zu stellen, ist das Wissen über die physische Beschaffenheit von Büchern absolut fundamental. Gab es neben Rollen noch andere Buchformen? Gab es schon Rollen, die die ganze Tora einschlossen? Inwiefern bestimmten Inhalt oder Zweck das Layout einer Rolle? Gab es private Abschriften heiliger Texte? Wie unterscheiden sie sich von liturgischen Rollen? Welche Zusatzzeichen erfanden die Schreiber, um Lesen und Vorlesen zu unterstützen (Aufteilung in Paragraphen, Titel)? Wie wurden Korrekturen angezeigt?

1.2 Die Entdeckung 1946/1947 Die Entdeckungsgeschichte ist legendär. Letzte Wahrheiten sind schwierig zu erreichen. Wir schreiben das Jahr 1946 oder 1947. Der Zweite Weltkrieg ist beendet. Großbritannien bereitet sich darauf vor, das seit der Eroberung 1917 unter sein Mandat gestellte Palästina zu verlassen. Seit 1936 brechen immer wieder Unruhen zwischen Arabern und Juden aus. Beide wissen, es werde eine größere Auseinandersetzung geben, sollte es zur Gründung eines jüdischen Staates kommen. Praktisch ist es ein Bürgerkrieg auf kleiner Flamme. Ende 1946 oder Anfang 1947 sucht Mohammad edh-Dhib Ta‘amire („der Wolf“) vom Beduinenstamm Ta‘amire in den Berghängen auf der Nordostseite des Toten Meeres unweit von Jericho nach einer verirrten Ziege, vielleicht auch nach einem geeigneten Versteck, denn Waffenschmuggel ist eine gute Verdienstquelle für die Bewohner der Wüste. Wir werden es nie genau wissen. Edh-Dhib gibt an, sich in den Schatten eines Felsen gesetzt und spielerisch Steine in eine nahegelegene Öffnung geworfen zu haben. Als er Geschirr zerspringen hört, flieht er zunächst zu seinem Stamm, um am nächsten Tag mit seinem Cousin zurückzukommen. Durch die kleine Öffnung dringen sie in die Höhle ein und finden inmitten unzähliger Scherben acht intakte Krüge, die sich bis auf einen als leer entpuppen. Dieser Krug enthält kein Gold, sondern nur drei in Tuch eingewickelte Rollen in einer ihnen unbekannten Schrift.

1.2  Die Entdeckung 1946/1947    9

Obgleich sie enttäuscht sind, keinen Schatz vorgefunden zu haben, kehren sie noch einmal in die Höhle zurück und entnehmen ihr noch vier weitere Rollen. Sie versuchen, ihre Funde bei Antiquitätenhändlern in der nächstgelegenen Stadt, Bethlehem, zu Geld zu machen. Ein Händler namens Faida Salahi (George Isaiah) erwirbt drei Rollen. Ein anderer, Khalil Iskandar Schahin (1910 – 1993), genannt Kando, erwirbt vier andere. Kando hält die Schrift für Syrisch und bringt sie ins St. Markus Kloster in Jerusalem. Der frisch ernannte syrische Metropolit Mar Athanasius Jeschua Samuel (1909 – 1995) kauft ihm diese vier Rollen ab und zeigt sie in den Sommermonaten verschiedenen Gelehrten und Mittelsmännern an der École Biblique et Archéologique und der jüdischen Nationalbibliothek im in Zonen aufgeteilten Jerusalem. Kein Fachmann hält sie für antik. Der Archäologe und Epigraphiker der Hebräischen Universität, Eliezer Sukenik (1889 – 1953), wäre ohne Zweifel der beste Ansprechpartner, doch weilt er im Freisemester im Ausland. Am 24. November 1947 kontaktiert ein armenischer Mittelsmann Salahis den jüdischen Professor und zeigt ihm am Jaffator durch einen Stacheldrahtzaun ein Fragment. Sukenik stellt aufgrund seiner vorherigen Arbeiten zu antiken Inschriften sogleich Ähnlichkeiten der Schrift fest, bemerkt auch orthographische Besonderheiten und vermutet, die Rollen könnten tatsächlich antik sein. Doch ist bislang kein einziger antiker hebräischer Text auf Pergament bekannt. Sicher ist sich seit dem Skandal um die Shapira-Fragmente Ende des 19. Jahrhunderts so schnell niemand mehr. Die sogenannten Shapira-Fragmente waren fünfzehn Lederfragmente in paläohebräischer Schrift mit einem Text ähnlich dem des Deuteronomiums. Ein Antiquitätenhändler namens Moses Shapira hatte sie 1878 von Beduinen erworben. Diese gaben an, die in Leinen gewickelten Texte um 1865 in einer Höhle im Wadi Mujib auf der jordanischen Seite des Toten Meeres gefunden zu haben. Nach anfänglich großem Aufsehen scheiterte er 1883 mit Verkaufsverhandlungen an Museen in Berlin und London und wurde sogar der Fälschung bezichtigt. In der Folge nimmt sich Shapira das Leben. Form, Inhalt und Entdeckungsumstände der Qumranrollen widerlegen einen Teil der vormals gegen die Authentizität der Fragmente angeführten Argumente. Dass sie seit 1888 vermisst sind, macht neuen Untersuchungen allerdings einen Strich durch die Rechnung.

Nur fünf Tage später ist die Abstimmung in der Vollversammlung der frisch gegründeten Vereinten Nationen über die Teilung Palästinas in einen arabischen und einen jüdischen Staat. An eben diesem Tag wagt es Sukenik (dessen einer Sohn, Matti, im Krieg fällt, während der andere, Yigael Yadin, wenig später Oberbefehlshaber

Kando

Mar Athanasius Jeschua Samuel

Eliezer Sukenik

Shapira-Fragmente

10    1  Entdeckungs- und Forschungsgeschichte der israelischen Streitkräfte sein wird) in einem arabischen Bus nach Bethlehem zu fahren. Er kauft Salahi zwei seiner drei Rollen ab. Es handelt sich um die Kriegsregel (1QMilhama) und die Hymnenrolle (1QHodayota). Mit der Abstimmung in den Abendstunden bricht der Bürgerkrieg offen aus. Trotzdem schafft es Sukenik Ende Dezember 1947, auch die zwei Krüge und die dritte und letzte Rolle im Besitz Salahis, die „kleine“ Jesajarolle (1QIsaiahb), noch zu erwerben. Als Sukenik erfährt, dass die Rollen aus einer Höhle im Nordosten des Toten Meeres stammen, kommt ihm ein heute berühmter Passus aus Plinius dem Älteren in den Sinn, der die Essener hier verortet (s. u. S. 78). Sukenik kennt auch den von Jeremia erwähnten Usus, Texte in Tongefäßen vor Ratten und Würmern zu schützen: „So spricht der Herr der Heere, der Gott Israels: Nimm diese Urkunden, die versiegelte Kaufurkunde und auch die offene, und leg sie in ein Tongefäß, damit sie lange Zeit erhalten bleiben.“ (Jer. 32,14). Der Talmud erwähnt das Begräbnis einer unbrauchbar gewordenen Torarolle in einem Krug (bMeg 26b). Sukenik schließt daraus: die Schriftrollen kommen aus einer essenischen Geniza. Geniza

Das Wort Geniza wird von der Wurzel g-n-z („verbergen“) abgeleitet und bezeichnet allgemein einen Ort, an dem Schriften gesammelt werden, die den Gottesnamen enthalten (oder enthalten könnten) und nach der jüdischen Tradition deshalb nicht einfach weggeworfen werden dürfen. Normalerweise werden die in einer Geniza angesammelten Schriften nach einiger Zeit auf einem Friedhof beerdigt. Seit wann diese Institution besteht, ist unklar. Die ältesten schriftlichen Erwähnungen sind talmudisch (bShab 115a). In der mittelalterlichen Kairoer Geniza wurden Dokumente gefunden, die sonst nur in Qumran belegt sind (s. u. S. 14).

In den ersten beiden Monaten des Jahres 1948 verhandelt Sukenik erfolglos auch mit Mar Samuel, dessen vier Rollen er ebenfalls erwerben möchte. Die Amerikaner sind schneller. Am 19. Februar 1948, etwa ein Jahr nach ihrer Entdeckung, werden Samuels Rollen zur American School of Oriental Research gebracht, dem heutigen John Trever Albright-Institut nördlich der Altstadt. Ein Postdoktorand, John Trever (1916 – 2006), vertritt dort den gerade auf Forschungsreise im Irak weilenden Direktor, Millar Burrows. Er erkennt, dass die große Rolle eine Jesajahandschrift ist. Außerdem hat er eine Sammlung mit Dias zur Geschichte des Bibeltextes bei sich, unter denen auch ein Foto des Nash-Papyrus ist, so dass auch er das mögliche hohe Alter der Qumranrollen erkennt.

1.2  Die Entdeckung 1946/1947    11 Der Nash-Papyrus, heute in Cambridge, wurde Ende des 19. Jahrhunderts von W. Nash in Ägypten erworben. Dieses (fragmentarische) Einzelblatt enthält den Dekalog gefolgt vom Schma. Es handelt sich um die einzige andere damals bekannte vorchristliche hebräische Handschrift. Vielleicht war sie ein liturgischer Merkzettel oder aber ein Amulett. 1903 von Stanley Cook veröffentlicht, wurde sie von ihm zunächst auf das zweite Jahrhundert n. Chr. datiert. 35 Jahre später konnte William Albright bereits mehr aramäisches und nabatäisches Vergleichsmaterial für seine minuziöse paläographische Studie verwenden und die Schrift in das zweite vorchristliche Jahrhundert datieren. Ein Foto ist auf der Webseite http://cudl.lib.cam.ac.uk/view/MSOR-00233/1 einsehbar.

Ein glücklicher Zufall will, dass Trever ein talentierter Fotograf ist und die Erlaubnis aushandeln kann, die Rollen zu fotografieren. Bis heute gehören seine Fotos zu den wichtigsten Urkunden, denn im Laufe der Geschichte haben auch diese „großen“ Rollen immer wieder unter abbrechenden Fragmenten gelitten. Trevers Fotos werden zum führenden amerikanischen Experten William Albright geschickt, der das hohe Alter der Schrift bekräftigt. Am 12. April 1948 informiert Burrows die Weltöffentlichkeit mit einer Pressemitteilung zum ersten Mal über die Entdeckung der ältesten biblischen Handschrift aus dem ersten Jahrhundert v. Chr., der „großen“ Jesajarolle (1QIsaiaha = 1QIsaa), eines Habakukkommentars (1QPesher Habakuk = 1QpHab), des „Manual of Discipline“ einer unbekannten Sekte, „möglicherweise der Essener“ (Gemeinschaftsregel = 1QSerekh Hayahad = 1QS) und einer vierten nicht identifizierten Rolle (des späteren Genesisapokryphons), „entdeckt im Kloster St. Markus“. Kurz darauf publiziert auch Sukenik eine Pressemitteilung über die Rollen im Besitz der Hebräischen Universität. Am 14. Mai 1948 ruft David Ben Gurion die Gründung des Staates Israels aus. Die arabischen Nachbarstaaten reagieren mit offenem Krieg, und es wird nach einer ohnehin schon unsicheren Zeit nun völlig unmöglich, offizielle archäologische Expeditionen durchzuführen. Dennoch wagen es einige der involvierten Mittelsmänner, illegale Erkundigungen in der Höhle fortzusetzen und weitere Fragmente zusammenzutragen. Während der Belagerung Jerusalems bringt Sukenik das Kunststück zustande, die erste wissenschaftliche Studie über die Rollen zu veröffentlichen. Die kulturpolitische Bedeutung der Koinzidenz der Entdeckung der letzten Überreste einer jüdischen Bibliothek mit hebräischen Texten aus der Zeit des Zweiten Tempels inmitten der Geburtswehen des neuen Staates Israel ist kaum zu überschätzen. Sie kommt einem Telefonanruf aus der Vergangenheit nahe. In einem Staat

Nash-Papyrus

12. April 1948 Pressemitteilung

Gründung des Staates Israels Krieg

Bedeutung der Koinzidenz

12    1  Entdeckungs- und Forschungsgeschichte mit neugegründeten Städten wie Tel Aviv ohne antike Gebäude, mit einer sehr jungen Bevölkerung und wenig alten Leuten, gab es plötzlich Texte aus der Zeit des letzten jüdischen Staates 2000 Jahre zuvor, von denen viele ohne größere Schwierigkeiten von Schulkindern entziffert werden konnten! Nicht von ungefähr sollte der junge Staat später viele Kräfte daran setzen, die Rollen in Jerusalem zusammenzutragen und auszustellen. Sie waren immer auch ein politisch unschätzbares Zeugnis der jüdischen Alteingesessenheit im Heiligen Land, eine Verbindung des wiedergeborenen Staates zu den letzten jüdischen Regenten im Lande.

1.3 Schriftrollenfunde am Toten Meer vor 1947 Die Entdeckungen von 1946 oder 1947 waren keinesfalls die ersten Handschriftenfunde vom Toten Meer. Der Kirchenvater Eusebios Origenes von Cäsarea in Palästina (ca. 260 – 340) gibt einen Bericht des Origenes (ca. 184 – 254) wieder: In den Hexapla setzte er (Origenes) bei den Psalmen neben die bekannten vier Ausgaben nicht nur eine fünfte, sondern auch eine sechste und siebte Übersetzung und bemerkt, daß eine derselben zu Jericho in einem Krug (en pithō) zur Zeit des Antoninus (188 – 217), des Sohnes des Severus, aufgefunden worden sei. (Eusebios, Kirchengeschichte, VI 16, modifizierte Übers. von Kraft 1967, zur Hexapla, s. u. S. 195) Epiphanios von Salamis

Der aus Palästina stammende Epiphanios von Salamis (310 – 403) berichtet vielleicht vom selben Vorfall und einem anderen, wenn er schreibt: Und in der Zeit des Severus wurde eine fünfte Übersetzung in einem Krug versteckt in Jericho gefunden, und in den Zeiten des Antoninus eine sechste Übersetzung in Emmaus, ebenfalls in einem Krug versteckt. (Nach M. Stone und R. Ervine, The Armenian Texts of Epiphanius of Salamis De Mensuris et Ponderibus 17 – 18 (CSCO 583, tomus 105, Leuven, 2000, 87).

Timotheos I. von Seleukia Ktesiphon

Von anderen Handschriftenfunden am Toten Meer berichtet um 800 n. Chr. Timotheos I. (727/729 – 823), Patriarch von Seleukia Ktesiphon / Bagdad in einem Brief an seinen Korrespondenten Sergius, Metropolit von Elam: Wir erfuhren von glaubwürdigen Juden, die eben als Katechumenen im Christentum unterrichtet wurden, daß vor zehn Jahren in der Nähe von Jericho in einem Felsenhause Bücher gefunden wurden. Es heißt nämlich, daß der Hund eines jagenden Arabers einem Thiere folgend eine Höhle betrat und nicht zurückkam. Sein Herr folgte ihm und fand im Felsen ein Häuschen und darin viele Bücher. Der Jäger ging nach Jerusalem und teilte es den Juden mit. Sie kamen in Menge heraus und fanden die Bücher des alten (Testamentes) und andere in hebräischer Schrift. Und da der Erzähler

1.3  Schriftrollenfunde am Toten Meer vor 1947    13 ein Schriftkundiger und Schriftgelehrter war, fragte ich ihn um manche Stellen, die in unserem neuen Testamente als aus dem alten angeführt, aber dort nirgends erwähnt werden, weder bei uns Christen, noch bei den Juden. Er sagte: sie sind vorhanden und finden sich in den dort gefundenen Büchern. […] Es sagte aber jener Hebräer zu mir: „Wir fanden in jenen Büchern mehr als 200 Psalmen Davids“. Ich schrieb nun an jene darüber. Ich denke jedoch, dass diese Bücher niedergelegt wurden von dem Propheten Jeremias, oder von Baruch, oder von einem andern aus denen, welche das Wort Gottes hörten und davon bewegt wurden. Als nämlich die Propheten in göttlichen Offenbarungen die Eroberung, Plünderung und Verbrennung, die über das Volk wegen seiner Sünden kommen sollten, erfuhren, da verbargen sie, fest überzeugt, daß keines der Worte Gottes zu Boden fällt, die Schriften in Felsen und Höhlen und versteckten sie, damit sie nicht im Feuer verbrennen, noch von den Plünderern geraubt werden sollten. Oskar Braun, „Ein Brief des Katholikos Timotheos I. über biblische Studien des 9. Jahrhunderts“, Oriens Christianus 1 (1901) 299 – 313, hier 301 – 305.

Als viertes Zeugnis gelten die in mittelalterlichen Sektenkatalogen erwähnten „Magharier“ (wörtlich „Höhlenmenschen“). Der Ka­ Magharier räer Jaqub Qirqisani aus dem frühen zehnten Jahrhundert führt ihren Namen darauf zurück, dass sie nach ihren in einer Höhle gefundenen Büchern heißen (arab. maġariya, dt. Höhle, vgl. hebr. me‘ara). Es ist nicht ganz klar, ob Qirqisani sie der Gegenwart oder der Vergangenheit zurechnet, doch stehen sie in seinem Sektenkatalog zwischen den s· aduqiya (Sadduzäern/Zadokiten) und den Nachfolgern Jesu. Nach einer zweiten Quelle, Muhammad asch-Schaharastani (1086 – 1153), lebten die asketischen Magharier vierhundert Jahre vor Arius, dem „Gründer“ der Arianer (ca. 250 – 336 n. Chr.). Die Magharier würden also aus der Zeit des Zweiten Tempels stammen. Nach dem berühmten muslimischen Gelehrten Muhammad Al Biruni (973 – 1048) feierten die Magharier Neujahr und Pessach (Mazzotfest) immer an einem Mittwoch. Wir werden noch sehen, dass dies mit dem in Qumran bezeugten 364-Tage-Jahr übereinstimmt (s. u. S. 291). Die unterschiedlichen Nachrichten sind zwar nicht einfach auf einen historischen Nenner zu bringen (Golb). Allerdings wurden frühmittelalterliche Handschriften von nur aus Qumran bekannten Texten in der Geniza der Kairoer Ben Ezra-Synagoge gefunden. Die Geniza ist das fünfte Zeugnis für frühere Handschriftenfunde.

14    1  Entdeckungs- und Forschungsgeschichte Geniza der Kairoer Ben Ezra Synagoge

Taylor-Schechter T.-S.

Die Geniza der Kairoer Ben Ezra Synagoge ist die bekannteste und für die Qumranforschung wichtigste Geniza. Im Gegensatz zu anderen Genizot wurde sie über 900 Jahre lang nicht entsorgt. Auch wurde die Synagoge nie zerstört. Im Laufe der Jahrhunderte haben sich hier Hunderttausende von Dokumenten, Rechnungen, Bücherlisten, Heiratsurkunden, Einkaufslisten, Verträgen, Briefen, Notizen, kleinen und großen Fragmenten von Handschriften der Bibel, der Mischna, der Talmudim, Midraschim oder anderer theologischer, philosophischer, exegetischer, mystischer, medizinischer oder anderer wissenschaftlicher und unwissenschaftlicher Werke angesammelt. Selbst Autographen von Maimonides fanden sich hier. Verschiedene europäische Handschriftensammler reisten im 19. Jahrhundert nach Kairo und brachten aus dieser und anderen Genizot Handschriften nach Hause. Zu ihnen gehörte Abraham Harkavy, der Karäer Abraham Firkovitch und die gelehrten Zwillingsschwestern Agnes Lewis und Margaret Gibson. Letztere machten den Cambridger Talmuddozenten Solomon Schechter auf den großen historischen Wert der Kairoer Dokumente aufmerksam. Schechter ging daraufhin nach Kairo und brachte Hunderttausende Fragmente nach Cambridge, in die größte Sammlung (heute: „Taylor-Schechter“, abgekürzt T.-S.). Andere besonders wichtige Kollektionen sind in St. Petersburg, Oxford, New York (Jewish Theological Seminary) und Manchester. Viele ursprünglich zusammenhängende Schriften wurden leider auf unterschiedliche Sammlungen aufgeteilt. Diese riesige Abfallhalde gibt Judaisten, Wirtschaftshistorikern, Religionswissenschaftlern, Philosophen, etc. einen unvergleichlich detaillierten Einblick in die Denkwelt, die soziale Struktur und die internationale Vernetzung einer der bedeutendsten jüdischen Gemeinden des 10. – 13. Jahrhunderts. Seit jüngstem bietet das Friedberg Genizah Projekt (http://www.genizah.org) Interessierten Zugang zu Fotos, Katalogen und Transkriptionen von Fragmenten fast aller Sammlungen.

Ende des 19. Jahrhunderts wurden in dieser Kairoer Geniza einige mittelalterliche Handschriften von vier Texten gefunden, die nicht in der Hebräischen Bibel stehen und schnell den Verdacht erregten, Abschriften antiker Texte zu sein: die Damaskusschrift (CD), das Aramäische Levi Dokument (ALD), Sirach und die Genizapsalmen. Die Damaskusschrift ist sonst nur aus Qumran bekannt und daher Kronzeuge dafür, dass einige Vorlagen dieser Genizatexte vielleicht aus Handschriftenfunden aus der Zeit des Timotheos stammen. Zum Aramäischen Levi Dokument (ALD) s. u. S. 226 und 283 f Zu den beiden Handschriften der Damaskusschrift (CD), s. u. Teil  4, S. 240 f Sirach, eine Weisheitsschrift, die bis dato nur aus christlichen Bibeln bekannt war (s. u. S. 180 und 340 f) wird auch hier und da im Talmud zitiert. Für die nicht nur aus Qumran bekannten Texte ist daher unklar, ob die Genizafragmente auf Handschriftenfunden in Höhlen bei Qumran basieren oder ob die Texte kontinuierlich weiter überliefert worden waren. Das Alter der Genizapsalmen (s. Stec) ist umstritten, denn unter den Qumranrollen wurden keine Paralleltexte gefunden.

1.4  Weitere Entdeckungen der ersten Jahre (1949 – 1952)    15

1.4 Weitere Entdeckungen der ersten Jahre (1949 – 1952) Mit dem Waffenstillstand am 7. Januar 1949 befinden sich Qumran, die Beduinen um den Nordteil des Toten Meeres, Bethlehem mit den Geschäften Kandos und Salahis und die westlichen Forschungsinstitutionen Jerusalems unter jordanischer Verwaltung. Schließlich gelingt es Captain Akkash al-Zebn von der arabischen Legion die Höhle zu lokalisieren. Sogleich organisiert der Direktor der jordanischen Antiquitätenbehörde, der Engländer Gerald Lankester Harding (1901 – 1979), zusammen mit Roland de Vaux (1903 – 1971), dem Direktor der französischen École Biblique et Archéologique in Jerusalem, eine archäologische Expedition. Sie finden einige Objekte, antike Keramikscherben auch von Krügen und zahlreiche Fragmente, von denen einige zu den Rollen Sukeniks gehören. Fundort und ungefähres Alter sind damit bestätigt (s. u. Archäologie). Als später noch weitere Höhlen entdeckt werden, erhält diese Höhle das Sigel „Höhle 1“. Auch wenn die Rollen nun nicht mehr für Fälschungen gehalten werden können, kommen immer wieder Zweifel über das Alter der Handschriften auf, auch unter Experten von Weltruf. Der Editor des Jewish Quarterly Review Solomon Zeitlin (1886 – 1976) hält sie aufgrund der Ähnlichkeiten mit der Damaskusschrift der Geniza für Reste einer mittelalterlichen karäischen Bibliothek. Der eminente Oxforder Semitist Godfrey Driver (1892 – 1975) datiert sie zunächst um 500 n. Chr., später ordnet er sie Zeloten des jüdischen Aufstandes um 70 n. Chr. zu. Auch der weltbekannte Genizaspezialist Paul Kahle (1875 – 1964) hält frühchristliche Zeiten für die wahrscheinlichste Abfassungszeit. Jacob Teicher (1904 – 1981) aus Cambridge, Begründer des Journal of Jewish Studies, identifiziert die Besitzer der Rollen mit der judenchristlichen Gruppierung der Ebioniten, also auch in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten. Um Zweifel bezüglich der Richtigkeit der paläographischen Datierung aus der Zeit des Zweiten Tempels aus dem Weg zu räumen, werden schon 1950 die ersten physikalischen Untersuchungen durchgeführt, die frisch entwickelten 14C Tests (s. u. S. 43). Der Preis ist hoch. Für die Tests wird das größte der Leinentücher, in das eine der Rollen eingewickelt war, geopfert. Aber das Ergebnis 30 n. Chr. ± 200 Jahre widerlegt die These einer mittelalterlichen Provenienz. In der Zwischenzeit schmuggelt Mar Samuel „seine“ vier Rollen auf verschlungenen Wegen in die USA. Er hat großen Erfolg damit, sie in Ausstellungen zu präsentieren, aber – wegen der unsicheren Rechtslage – weit weniger, sie zu verkaufen. Schon im März 1950 kann Burrows erste Editionen des Habakukkommentars und der „großen“ Jesajarolle, und 1951 dann auch von der Gemein-

Waffenstillstand

Höhle 1 Zweifel über das Alter

März 1950 erste Editionen

16    1  Entdeckungs- und Forschungsgeschichte

Wadi Murabbaat

Höhle 2

Höhle 3

Höhle 4 mit tausenden Fragmenten

Höhle 5 Höhle 6

schaftsregel vorlegen. Allerdings senken diese Veröffentlichungen das Interesse, die Rollen zu erwerben, denn mit Ausnahme der letzten ungeöffneten Rolle (dem späteren Genesisapokryphon) ist ihr Inhalt ja nun bekannt. Erst im Juli 1954 sollte es Yigael Yadin, der Sohn Eliezer Sukeniks, inzwischen selbst einer der führenden israelischen Archäologen, schaffen, über Mittelsmänner die in New York zum Verkauf angebotenen Rollen für die immense Summe von 250 000 Dollar zu erwerben und nach Israel zu bringen. Für die fragmentarischen Texte aus Höhle 1 stellt Roland de Vaux zügig ein Editorenteam zusammen. Mit dem Polen Józef Milik (1922 – 2006) und dem Franzosen Dominique Barthélemy (1921 – 2002) gewinnt de Vaux zwei junge katholische Priester und phantastisch begabte Wissenschaftler. Ende November 1951 führen sie archäologische Sondierungen in der nahe der Höhle 1 gelegenen Siedlung durch. Während der Arbeit tauchen auf dem Schwarzmarkt neue, andersartige Fragmente auf. De Vaux schließt schließlich einen Handel mit den Beduinen, „gemeinsame Ausgrabungen“ an ihrem Ursprungsort zu führen, Höhlen im Wadi Murabbaat, ca. 18 km südlich von Qumran. Doch kaum haben die Archäologen ihre Ausgrabungen ins Wadi Murabbaat verlagert, kehren die Beduinen nach Qumran zurück und entdecken dort eine weitere Höhle („Höhle 2“) mit Fragmenten von ca. 30 Rollen. Als das den Wissenschaftlern bekannt wird, durchkämmen sie in einer zweiwöchigen Suchexpedition – natürlich mit Beduinen als Assistenten – unzählige Löcher und Höhlen in den Klippen über Qumran (s. u. S. 124–127). Nur eine Höhle (Höhle 3), wesentlich weiter im Norden, enthält auch einige wenige Fragmente und einen bis heute einzigartigen Fund: zwei Teile einer beschriebenen Kupferrolle. Ende März wird es so heiß und die „Krankheitsfälle“ und Absenzen der Beduinen so häufig, dass die Wissenschaftler ihre Weiterarbeit auf den Herbst verschieben müssen. Die schnell wieder gesundeten Beduinen hingegen finden im September „Höhle 4“ mit tausenden Fragmenten nicht in den Felswänden, sondern in einem der fingerartigen Ausläufer des Mergelplateaus nur 70 m neben den Ruinen der Siedlung, wo die Archäologen schon mehrere Wochen gegraben haben. Was für ein Pech! Die Archäologen entdecken zwar direkt daneben Höhle 5 mit einigen wenigen Texten, doch nur um zu erfahren, dass die Ta‘amire kurz zuvor im Felsabhang noch eine (sechste) Höhle mit Schriftrollen ausfindig gemacht haben.

1.5  Die „Scrollery“ (1952 – 1960)    17

1.5 Die „Scrollery“ (1952 – 1960) Mit der Entdeckung von Höhle 4 wird es klar, dass viel Zeit, Geduld und große Geldmengen für den Ankauf der im Besitz der Beduinen befindlichen tausenden von Fragmenten sowie ein größeres Editorenteam notwendig werden. Verschiedene westliche Institutionen (die Universitäten McGill, Oxford, Manchester, Heidelberg und McCormick, daneben auch die Biblioteca Vaticana, und All Souls Church) stellen größere Beträge zur Verfügung, erhalten im Gegenzug das Recht auf Fragmente (nach der Veröffentlichung) und dürfen Gelehrte für das Editorenteam benennen: das Team der „Scrollery“. Scrollery Das gesuchte Profil schränkt den möglichen Bewerberkreis stark ein: Die Arbeit verlangt langjährige Präsenz in (Ost‑)Jerusalem. Zusätzlich zu exzellenten wissenschaftlichen Qualitäten sind gute Gesundheit und Unabhängigkeit von bestehenden familiären und beruflichen Pflichten unumgänglich. Dies schließt den Großteil der etablierten Wissenschaftler aus. Dazu ist ausgerechnet jüdischen Wissenschaftlern, von denen einige durchaus Wesentliches hätten beitragen können, die Einreise nach Jordanien untersagt. Zu de Vaux als Chefeditor und fähigem Administrator und den ohnehin schon an der École Biblique arbeitenden katholischen Priestern Józef Milik, Pierre Benoit (1906  –  1987) und Maurice Baillet (1923 – 1988) – Dominique Barthélemy muss wegen Krankheit Jerusalem verlassen – stoßen 1953 – 1954 sechs weitere junge Doktoranden und Postdoktoranden und bilden das Editionsteam: Aus den Editionsteam USA der Presbyterianer Frank Moore Cross (1921 – 2012) und der katholische Priester Patrick Skehan (1909 – 1980); aus England der Anglikaner John Strugnell (1930 – 2007) und der Agnostiker John Allegro (1923 – 1988); aus Frankreich der katholische Priester Jean Starcky (1909 – 1988). Das einzige deutsche Mitglied, Claus-Hunno Hunzinger (1929–), wurde später durch Maurice Baillet ersetzt. Von den Mitarbeitern in der Scrollery sind Strugnell und Milik zweifellos die begabtesten Editoren. Milik, „der schnellste Mann mit einer Rolle“, entziffert nicht nur die äußerst schwierige Kursivschrift der Texte aus der Bar Kosba Revolte, sondern – während seine Kollegen Mittag essen – auch die wichtigste der drei kryptischen Schriftarten. Seine linguistischen Fähigkeiten, seine Beobachtungsgabe und sein Gedächtnis für die kleinsten Details der Unterschiede in Schrift, Papyrus und Leder sind phänomenal. Strugnell steht ihm in nichts nach. Finanziert wird das kostspielige Projekt durch ein sechsjähriges Mäzenat des amerikanischen Millionärs John D. Rockefeller. Dazu gehören auch die sogenannten „PAM Fotos“ PAM Fotos (Palestine Archaeological Museum, heute Rockefeller Museum)

18    1  Entdeckungs- und Forschungsgeschichte

Ankaufssystem

Höhlen 7, 8, 9 und 10 Discoveries in the Judaean Desert (DJD)

Höhle 11

des Fotografen Najib Anton Albinas. Diese Infrarotfotos sind in vielen Fällen die besten Zeugen für den ursprünglichen Zustand vieler Fragmente (s. u. S. 58–60), die nachdunkeln, an den Rändern Buchstaben verlieren und zu Gelatine werden. Kaffee, Zigaretten und direktes Sonnenlicht, auf Rückseiten geklebter Tesafilm sowie das für die kurzzeitige Kontrastverstärkung aufgetragene Rizinusöl tun das Ihrige dazu. Ein ausgeklügeltes Ankaufssystem sorgt dafür, dass fast alle Rollen schließlich auf den Tischen der Scrollery landen und nicht in den Safes privater Sammler, was die Editionsarbeit enorm erschwert oder gar unmöglich gemacht hätte. Beduinen werden pro beschriebenen Quadratzentimeter bezahlt (was allerdings leere Ränder für den Verkauf uninteressant macht), mit Zulagen für große Fragmente, damit sie möglichst ganz übergeben werden. In der vierten Ausgrabungskampagne vom Februar – April 1955 werden innerhalb der Umschließungsmauer Qumrans vier Höhlen (Höhlen 7, 8, 9 und 10) mit wenigen Fragmenten entdeckt. Im Sommer 1955 erscheinen der erste Band der neuen Editionsserie Discoveries in the Judaean Desert (DJD) (anfänglich Discoveries in the Judaean Desert of Jordan [DJDJ]) mit den archäologischen Funden und Fragmenten aus Höhle 1 und quasi zeitgleich – allerdings posthum – Sukeniks Edition der Rollen im Besitz der Hebräischen Universität: die Hymnenrolle (1QHa), Kriegsregel (1QM) und die „kleine“ Jesajarolle (1QIsab). Wie üblich sind es die scharfäugigen Beduinen, die im Februar 1956 die letzte größere Entdeckung einer Höhle mit Schriftrollen bei Qumran machen, Höhle 11. Wissend, dass jeder Schnipsel Gold wert ist, räumen sie sie vollständig aus und machen so leider jede genaue archäologische Untersuchung zunichte. Man kann nicht genug betonen, dass der Schwarzmarkt um antike Texte und Objekte zwar oftmals dafür sorgt, dass Objekte größten öffentlichen Interesses gesucht und gefunden werden, doch durch ihre Dekontextualisierung gleichzeitig unersetzliches Wissen für immer zerstört (s. u. Archäologie, S. 91). Anders als die Höhlen 2 bis 10 enthält Höhle 11 neben Fragmenten auch ganze Rollen, u. a. die Psalmenrolle mit vorher unbekannten Psalmen, eine bis heute verschlossene Ezechielrolle, eine Levitikusrolle in paläohebräischer Schrift und die Tempelrolle, die bis 1967 bei Kando bleiben sollte und dabei zur Hälfte zerfällt. An anderen Orten gehen die Entdeckungen von Schriftrollen durch Beduinen oder Archäologen bis in die jüngsten Jahre weiter. Die meisten dieser Funde stammen aus der zweiten Revolte unter Bar Kosba (132 – 135 n. Chr.): 1952 Wadi Murabbaat und Nahal Hever, 1960 – 1961 Wadi Seiyal, Nahal Mishmar und wiederum

1.5  Die „Scrollery“ (1952 – 1960)    19

Nahal Hever, 1986 und 1993 Ketef Jericho, 2002 Ein Gedi und 2004 Nahal Arugot. 1962 – 1963 entdecken Beduinen Dokumente aus dem vierten Jahrhundert v. Chr. in Wadi Daliyeh. 1963 – 1965 findet Yadins Team in der Festung Masada Texte aus der Zeit des Zweiten Tempels und aus der folgenden römischen Besetzung (s. u. S. 129–132). Ingenieure in Manchester schaffen es 1956, die Kupferrolle auseinander zu sägen, so dass man endlich die einzelnen Stücke lesen kann. Eine Liste mit unglaublichen Schätzen! John Allegro macht sich auf die Suche, findet aber nichts, abgesehen von Hohn und wachsender Verachtung seiner Kollegen. Im Sommer 1956 veröffentlicht Allegro die erste Synthese eines Scrollery-Mitarbeiters über die Qumranrollen: Ein die kühnsten Erwartungen übertreffender absoluter Bestseller, von dem in drei Wochen 40 000 Exemplare verkauft werden. Dazu tragen allerdings auch seine Überinterpretationen bei, die in unzähligen Texten christianisierende Hinweise finden. Unter anderem behauptet er, der Lehrer der Gerechtigkeit sei gekreuzigt worden. Kurz darauf veröffentlichen Vermes, Milik (1957 frz., 1959 engl.), Cross (1958) und de Vaux (1959) ihre klassischen Synthesen und etablieren den bis in die neunziger Jahre gültigen Konsens: Die Konsens Schriftrollen gehörten Essenern, die von 130 v. Chr. bis 68 n. Chr. in der Siedlung wohnten. Die apokalyptische Gruppe hatte sich wegen Streitigkeiten um die Legitimität der Hasmonäer als Hohepriester in Jerusalem in die Wüste zurückgezogen und erwartete in größtmöglicher Isolation das nahe Ende der Zeit. Abgesehen von den Rollen mit biblischen Texten oder bekannten Apokryphen geht man davon aus, dass die große Mehrheit der Texte von ihren essenischen Besitzern auch verfasst wurden. Die meisten Gegenvorschläge – z. B. von del Medico und Rengstorff, die vorschlagen, die Texte seien eine Geniza von Bibliotheken aus Jerusalem – perlen an diesem Konsens ab. Das wird so bleiben bis zum lautstarken Auftreten Norman Golbs und den archäologischen Neuinterpretationen der Donceels in den 90er Jahren. In Deutschland wird der Konsens durch Hartmut Stegemann nuanciert, der in den Essenern keine isolierte Sekte, sondern eine breite Bewegung sieht. Anlässlich der Suezkanalkrise im Oktober 1956 werden die Fragmente aus Angst vor einem Krieg von Jerusalem in einen Banksafe in Amman gebracht. Das Team zerstreut sich in alle vier Winde. Die Editionsarbeit an den Fragmenten kommt zu völligem Stillstand. Die politische Situation ist unklar. Erst im März 1957 kehren die Fragmente nach Jerusalem zurück – teilweise von Schimmel befallen. Man beschließt, eine Konkordanz zu erstellen, um die Arbeit an den nicht-biblischen Fragmenten zu erleichtern. Die Konkordanz Konkordanz

20    1  Entdeckungs- und Forschungsgeschichte für die Mitglieder der Scrollery wird schließlich 1960 fertiggestellt, allerdings nicht über das Team hinaus verbreitet. 1990 wird sie eine entscheidende Rolle bei der inoffiziellen Veröffentlichung der Texte aus Höhle 4 spielen. Die ganze Zeit über publizieren die Mitglieder des Editionsteams in den unterschiedlichsten Zeitschriften und Sammelbänden vorläufige, nicht offizielle Editionen. 1960 beendet Rockefeller sein finanzielles Engagement – in weiser Voraussicht: Dreißig Jahre später wartet ein Großteil der Texte aus Höhle 4 immer noch auf die Veröffentlichung!

1.6 Der akademische Skandal par excellence (1960 – 1990) Mit der Auflösung der Scrollery kommt auch die intensive Arbeitsphase der Mitglieder der Scrollery zu ihrem Ende. Jordanien hat nicht die für die weitere Arbeit notwendigen finanziellen Mittel. Ist bis 1960 die Hauptarbeit erledigt worden (Konkordanz!), wird die Editionsarbeit von 1960 bis 1990 nun nur im Schneckentempo vorangehen. In DJD erscheinen bis 1990 nur sechs weitere Bände, Verschleppung der vier davon vor 1970. Die Gründe für die Verschleppung der HeHerausgabe rausgabe sind vielfältig: einige Editoren bearbeiten ein zu großes Quantum an Texten (Milik ca. 200 Rollen mit tausenden von Fragmenten!). Die Alkoholabhängigkeit der zwei produktivsten und begabtesten Mitarbeiter fördert nicht die Effizienz. Mehrere Mitarbeiter treten schon früh sehr verantwortungsvolle Posten an, die ihnen nur noch kurze Forschungsaufenthalte in den Semesterferien erlauben (Cross schon seit 1954). Später werden Jordaniens Verstaatlichung des Rockefeller Museums und Israels Eroberung des Ostteils Jerusalems mit dem Rockefeller Museum und der École Biblique et Archéologique ein politisches Umdenken erfordern, das nicht allen leicht fallen wird. Die meisten Mitarbeiter haben eine stark antiisraelische Haltung, die bei einigen auch die Schwelle zum Antisemitismus überschreitet. Doch der Hauptgrund ist wohl der Perfektionismus fast aller Teammitglieder. John Strugnell publiziert in der Revue de Qumrân 1970 eine vernichtende, doch wegweisende Rezension in Buchlänge zu Allegros mangelhafter Edition seiner Fragmente aus Höhle 4. Welche Arbeit und welcher Druck hinter der Editionsarbeit stehen, kommt im Vorwort des von Maurice Baillet edierten DJD-Bands (1982) auf erschütternde Weise zutage: In Anbetracht seiner Unvollkommenheiten wird dieses Werk vielleicht strenge Rezensenten finden. Wenigstens werde ich die Genugtuung haben, mein Bestes gegeben zu haben. Geliebter Leser, vergesse nie, dass es unter

1.6  Der akademische Skandal par excellence (1960 – 1990)    21 Qualen, manchmal gar unter Tränen geschrieben worden ist. Du magst erahnen, dass sein Autor, durch das Hintertürchen dem Höhle 4 Team beigetreten, froh ist, heute durch das Haupttor davonzukommen. (Baillet, DJD 7, xiv).

Bei der Eroberung des Westjordanlandes 1967 fällt Israel nicht nur das Rockefeller Museum mit den Fragmenten und den Fotos, sondern auch Bethlehem und damit der Antiquitätenladen Kandos in die Hände. Der bestens informierte Yadin entsendet ein Kommando, das die Tempelrolle konfisziert (Kando wird später mit 108 000 Dollar „entschädigt“). Sie war in einem Schuhkarton unter den Bodenplanken von Kandos Haus versteckt. Leider hat das in der Zwischenzeit durchgesickerte Putzwasser die Hälfte der Rolle unwiederbringlich zerstört. 1977 veröffentlicht Yadin die Tempelrolle. Es ist die erste wichtige Qumranrolle, deren Analyse zunächst nur Forschern zugänglich ist, die Ivrit lesen. Die Publikation der Tempelrolle wird sich als Wasserscheide für die Deutung der Gesamtbibliothek erweisen. Bis dato drehen sich die meisten Veröffentlichungen um die Theologie und Exegese der Besitzer der Rollen. Nun steht plötzlich die Hala­ kha im Zentrum. Plakativ gesagt folgt dreißig Jahren christianisierender Lektüre der Rollen nun eine Epoche der „Rejudaisierung“, einer Heimholung Qumrans in die jüdischen Studien (vgl. den Titel von Schiffmans einflussreicher Einleitung). Noch auf einer anderen Ebene läutet die Publikation der Tempelrolle eine Wende ein. Während Yadin die essenische Autorschaft der Tempelrolle befürwortet, mehren sich die Stimmen dagegen. Dies ist die erste große vorher unbekannte hebräische Rolle, die die pan-essenische Deutung in Frage stellt. Im Jahr 1977 ertönt auch der erste wirklich laute Aufschrei über die Verschleppung der Veröffentlichung der Qumrantexte. Kein Geringerer als Géza Vermes (1924 – 2013), Professor in Oxford, spricht vom „akademischen Skandal par excellence des 20. Jahrhunderts“, wenn nicht drastische Schritte zu ihrer schleunigen Herausgabe unternommen würden. Es sollte noch dreizehn Jahre dauern. In der Zwischenzeit geben die an großen Universitäten beschäftigten Mitglieder der Scrollery die Texte an ihre Doktoranden weiter. Anderen Wissenschaftlern hingegen wird Zugang zu Rollen und Fotos verwehrt. So haben Doktoranden Macht, Thesen anderer, und seien es noch so hochangesehene Experten, mit dem kurzen Hinweis auf unveröffentlichte Qumrantexte umzukippen. Diese Situation verschärft den Verdruss der außenstehenden Wissenschaftler. Immerhin wird Ende der 80er Jahre das Editionsteam hier und da um Außenstehende erweitert.

Publikation der Tempelrolle als Wasserscheide

akademischer Skandal par excellence

22    1  Entdeckungs- und Forschungsgeschichte Strugnell hat für die Analyse eines weiteren halakhischen, aber im Gegensatz zur Tempelrolle äußerst fragmentarischen Texts in 4QMMT seiner Verantwortung, 4QMMT (Miqsat Maase Hatora = „einige Werke der Tora“), schon 1979 den jungen israelischen Linguisten Elisha Qimron als Experten für das „mischnische“ Hebräisch gewonnen. 1984 stellt Qimron auf einer Konferenz in Jerusalem erstmals den Text vor: es handle sich um einen frühen Brief des „Lehrers der Gerechtigkeit“ an seinen Kontrahenten, den „gottlosen Priester“, bevor sich beide Parteien auseinander entwickelt haben. Der Text enthält halakhische Diskussionen zu ca. zwanzig Punkten, in denen den Schreibern und Adressaten Positionen beigemessen werden, wie sie die Sadduzäer vertraten, während parallel gegen eine dritte Gruppe, die pharisäische Positionen vertritt, polemisiert wird. Dass ein so zentrales Dokument 35 Jahre lang unveröffentlicht bleiben konnte, erregt erhebliches Aufsehen, und lässt verwundert fragen, welche anderen zentralen Texte gleichfalls unveröffentlicht geblieben seien.

1.7 Die Veröffentlichung (1990 – 2010) Sechs Jahre später ist der Text immer noch nicht publiziert, nicht einmal in einer vorläufigen Edition. Der Druck in akademischen Kreisen und der interessierten Weltöffentlichkeit, vor allem auch durch die Zeitschrift Biblical Archaeology Review wird immer größer. Und dann überschlagen sich die Ereignisse. Die Welt wird Zeuge einer Kriminalgeschichte der Wissenschaft, die schließlich zur schnellen Veröffentlichung aller Rollen führt. Zunächst veröffentlicht die maßgebliche israelische Tageszeitung Strugnell Haaretz ein Interview mit dem schwer alkoholkranken John Strugnell, inzwischen Chefeditor von DJD, in dem er das Judentum als „horrible religion“ bezeichnete, welche „zu existieren aufhören sollte“. Im Sturm der Entrüstung muss Strugnell seinen Posten als verantwortlicher Herausgeber von DJD und auch seinen Posten in Harvard „aus Krankheitsgründen“ verlassen. Angesichts seiner engen freundschaftlichen Beziehungen und Zusammenarbeit mit vielen jüdischen Wissenschaftlern ist die Schärfe dieser Aussagen vielleicht wirklich seiner Krankheit zuzuschreiben und war nicht Strugnells Grundhaltung. Strugnells Nachfolger wird Emanuel Tov (* 1941), ein SchüEmanuel Tov ler von Frank Cross und Shemaryahu Talmon, Professor an der Hebräischen Universität und Editor der griechischen Zwölfprophetenrolle von Nahal Hever (8HevXIIgr). Tov wird sich als äußerst effizienter Chefadministrator erweisen, doch wird er schon

1.7  Die Veröffentlichung (1990 – 2010)    23

kurz nach seiner Ernennung vor neue Tatsachen gestellt: Die Huntington Library will allen Interessierten Zugang zu Fotos der Qumranrollen, auch der unveröffentlichten, gewähren. Erst jetzt wird öffentlich bekannt, dass aus Vorsorge vor möglichen Kriegen insgeheim mehrere Kopien der PAM-Fotoserien angefertigt und verteilt worden waren: seit 1972 am Hebrew Union College in Cincinnati, und seit den 80er Jahren auch im Oxforder Center for Postgraduate Hebrew Studies, im Ancient Biblical Manuscripts Center in Claremont, Kalifornien und in der Huntington Library in Kalifornien. Alle Bibliotheken haben Verträge unterschreiben müssen, die den Zugang zu den Fotos verhindern, mit Ausnahme der Huntington Library, die eigentlich Daten zu ganz anderen Themen und Zeiten sammelt als die anderen Zentren und mehr oder minder zufällig die Qumran-Negative erhalten hat. Sie stammen aus der Stiftung einer wohlhabenden Dame, die einen Teil der Sicherheitskopien finanziert hat, sich dann mit dem Zentrum in Claremont überwirft und ihr privates Double Huntington überlässt. 1991 veröffentlichen Robert Eisenman und James Robinson die Mehrzahl der PAM Fotos in A Facsimile Edition of the Dead Sea Scrolls (1991). Nun hat alle Welt Zugang zu fast allen bislang unveröffentlichten Fotos, wenn auch nicht immer in guter Abbildungsqualität. Diese Edition enthält im Vorwort von Hershel Shanks auch eine unautorisierte Transkription von 4QMMT. Qimron verklagt Shanks auf Schadenersatz und gewinnt. Da es sich um einen antiken Text handelt und nicht um einen modernen, war dieser Ausgang nicht ohne weiteres vorauszusehen. Qimron und Strugnell wird das Copyright für ihre Rekonstruktion eines von einem antiken Autor verfassten Textes zugesprochen. Ein in jenem Band veröffentlichtes Fragment, das angeblich einen vorchristlichen Messias erwähnt, der eines gewaltsamen Todes starb (4Q285 frg. 7), lässt die Wogen in der Presse hoch schlagen. Die wissenschaftliche Debatte hingegen stellt schnell klar, dass es im Gegenteil der Messias ist, der (einen Gegner) tötet. Diese Episode illustriert den Sensationshunger der Presse und völlig unbegründete Theorien, dass sich die Veröffentlichung verzögere, weil der Vatikan das Christentum relativierende Handschriften verborgen halten möchte (z. B. Verschlußsache Jesus). Ebenfalls 1991 bringen Ben Zion Wacholder (1924 – 2011) und sein Doktorand Martin Abegg den ersten Band mit Transkriptionen der unveröffentlichten Texte heraus A Preliminary Edition of the Unpublished Dead Sea Scrolls: The Hebrew and Aramaic Texts from Cave Four. Sie hatten von Strugnell eine der wenigen per Hand kopierten Konkordanzen des Editorenteams erhalten. Abegg

Facsimile Edition

Wacholder und Abegg Preliminary Edition

24    1  Entdeckungs- und Forschungsgeschichte

Mikrofiche-Edition

Abschluss von Discoveries in the Judaean Desert

Donceel

Norman Golb

Gesamt­ übersetzung elektronische Datenbanken

gibt für seinen (blinden) Lehrer Wacholder, der zeitlebens auf die Herausgabe dieser Texte wartete, Zeile für Zeile der Konkordanz für jedes Wort in seinem Kontext in einen Computer ein. Daraus rekonstruiert er dann in „Reverse Engineering“ die vollständigen Transkriptionen der späten fünfziger Jahre, die der Konkordanz als Grundlage gedient hatten. (Das ist so, als würde man mit Google books den Text eines Buches rekonstruieren, obgleich man immer nur auf Abschnitte von 2 – 3 Zeilen Zugriff hat). Tov agiert sehr schnell. Ohnehin ist er damit beschäftigt, das Team auf über 80 Mitarbeiter zu erweitern, die entweder mit den bisherigen Editoren zusammenarbeiten oder von ihnen ihre vorläufigen Niederschriften „ererben“. Viele der neuen Mitarbeiter sind Israelis. Einige decken wichtige Gebiete wie Halakhageschichte ab, für die vorher kein Teammitglied Experte war. 1993 veröffentlicht Tov eine hervorragende Mikrofiche-Edition aller Fotos und schließt so die Lücke zwischen offiziellen und inoffiziellen Mitteln, an die unveröffentlichten Texte zu gelangen. Sein Organisationstalent und seine effiziente Genauigkeit machen es möglich, dass in den darauffolgenden achtzehn Jahren jedes Jahr ein bis zwei Bände erscheinen können, bis zum Abschluss von Discoveries in the Judaean Desert im Jahre 2008. Jean-Baptiste Humbert, der Nachfolger von de Vaux als Chef­ archäologe, engagiert für die Veröffentlichung der endgültigen Ausgrabungsberichte das belgische Ehepaar Robert Donceel und Pauline Donceel-Voute, Spezialisten für frühchristliche Mosaike. Diese überraschen die Forscherwelt mit einer de Vaux Interpretation auf den Kopf stellenden These: Qumran wäre eine Villa, wie man aus unveröffentlichten Funden schließen könne, die zahlreiche Luxusgüter wie Glas und hochwertige Keramik enthalten. Ein von de Vaux als Schreibsaal identifizierter Raum sei ein Triklinium (Speisezimmer). Die Schriftrollen hätten mit der Siedlung und ihren Bewohnern nichts zu tun. Kurze Zeit später publiziert der Genizaspezialist Norman Golb sein Buch Who wrote the Dead Sea Scrolls?. Auch er trennt die Rollen von der Siedlung, seiner Ansicht nach ein Fort. Seine Bewohner halfen im jüdischen Aufstand Flüchtlingen aus Jerusalem, die ihre Schriftrollen nach Qumran gebracht hatten. Die Schriftrollen stellen also einen Querschnitt durch Jerusalemer Bibliotheken dar. Wirklichen Zugang zu (fast) allen nicht-biblischen Rollen erhält die spanische Weltöffentlichkeit 1992 durch Florentino GarcíaMartínez (1942–) Gesamtübersetzung Textos de Qumran, 1994 ins Englische übersetzt. 1995 erscheint die erste deutsche Komplettübersetzung durch Johann Maier. Eine neue Etappe beginnt mit der Publikation von elektronischen Datenbanken der Texte und

1.7  Die Veröffentlichung (1990 – 2010)    25

Fotos, zuerst 1997 von Alexander und Lim, dann bei Brill und bei Accordance (s. u. S. 61). Seit 2012 sind alle historischen und viele neue Fotos auch über die Internetseiten der Israelischen Antiquitätenbehörde frei zugänglich, allerdings (noch) ohne Transkriptionen (s. u. S. 60). Dies wird sich mit dem neuen Scripta Qumranica Electronica Projekt in den nächsten Jahren ändern. Mehr und mehr eröffnen chemisch-physikalische Untersuchungen der Schriftrollen neue Einsichten in ihre Geschichte. Vor allem aber kann, seitdem die Allgemeinheit Zugriff auf alle Texte hat, die Gesamtsammlung in ganz anderer Weise verstanden werden. Nun ist es klar, dass die als essenisch definierten Texte, die bis 1977 die Diskussion bestimmten, nämlich die großen Texte aus Höhle 1 und die Texte Allegros, nicht die Mehrheit unter den nicht-biblischen Texten darstellen. Jetzt wird aus der Bibliothek einer marginalen Sekte wirklich das, was Hartmut Stegemanns und Norman Golbs ursprünglich diametral entgegengesetzte Sichtweisen schließlich vereint: eine essenische Auswahl aus der breiten Masse der hebräischen und aramäischen Literatur unterschiedlicher Gruppen des Judentums des Zweiten Tempels.

1.7  Die Veröffentlichung (1990 – 2010)    27

2 Wie liest man ein Fragment? Anatomie der ältesten jüdischen Bücher

S. auch Literatur zu Kapitel 3 Cross, Frank, The Development of the Jewish Script. In: Wright, George Ernest (Hg.), The Bible and the Ancient Near East. Essays in Honor of William Foxwell Albright, Garden City 1961, 133 – 202. Cross, Frank, Palaeography and the Dead Sea Scrolls. In: Flint, Peter/VanderKam, James (Hgg.), The Dead Sea Scrolls After Fifty Years, Leiden 1998, Bd.  1, 379 – 402. Doudna, Greg, Dating the Scrolls on the Basis of Radiocarbon Analysis. In: Flint, Peter/VanderKam, James (Hgg.), The Dead Sea Scrolls After Fifty Years, Leiden 1998, Bd. 1, 430 – 471. Johnson, William, Bookrolls and Scribes in Oxyrhynchus, Toronto 2004. Jull, Timothy/Donahue, Douglas/Broshi, Magen/Tov, Emanuel, „Radiocarbon dating of scrolls and linen fragments from the Judean desert“, Radiocarbon 37 (1995) 11 – 19. Leach, Bridget/Tait, John, Papyrus. In: Nicholson, Paul/Shaw, Ian (Hgg.), Ancient Egyptian Materials and Technology, Cambridge 2000, 233 – 253. McLean, Mark, The Use and Development of Palaeo-Hebrew in the Hellenistic and Roman Periods, (unpubl. Ph.D. diss., Cambridge, Mass: Harvard University, 1982). Nir-El, Yoram/Broshi, Magen. „The Red Ink of the Dead Sea Scrolls“, Archaeometry 38 (1996) 97 – 102. Nir-El, Yoram/Broshi, Magen. „The Black Ink of the Qumran Scrolls“, Dead Sea Discoveries 3 (1996) 157 – 167. Poole, John/Reed, Ronald, „The Preparation of Leather and Parchment by the Dead Sea Scrolls Community“, Technology and Culture 3 (1962) 1 – 26. van Strydonck, Mark/Nelson, D. Erle/Crombé, Philippe/ Bronk Ramsey, Christopher./Scott, E. Marian/van der Plicht, Johannes/Hedges, Robert, Les limites de méthode du Carbone 14 appliquée à l’archéologie. In: Evin, Jacques/Oberlin, Christine/Daugas, Jean-Pierre/Salles, Jean-François (Hgg.), Actes du 3ème Congrès International 14C et Archéologie, Paris 1999, 433 – 448. Tov, Emanuel, Scribal Practices and Approaches Reflected in the Texts Found in the Judean Desert, Leiden 2004. Yardeni, Ada, Textbook of Aramaic, Hebrew and Nabatean Documentary Texts from the Judaean Desert and Related Material, Jerusalem 2000.

Wer liest, dass in Qumran Reste von etwa 1000 Schriftrollen gefunden worden sind, ist sich vielfach nicht im Klaren darüber, dass davon nur fünfzehn Texte wirklich noch wie Rollen aussehen. Fast alle anderen „Rollen“ sind in Wirklichkeit aus kleinen Fragmenten (ca. 15 000 allein für Höhle 4) von der Größe einer Linse bis zu

28    2  Wie liest man ein Fragment? einer DIN A4-Seite rekonstruiert und manche würden sogar sagen konstruiert (Tigchelaar). 15 wirkliche Qumranrollen

Die ca. 15 wirklichen Qumranrollen sind die beiden Jesajarollen (1QIsaa und 1QIsab), das Genesisapokryphon (1QGenAp), der Habakukkommentar (1QpHab), die Gemeinschaftsregel (1QS), die Kriegsregel (1QM) und die Hymnenrolle (1QHa) aus Höhle 1, die Kupferrolle (3Q15) aus Höhle 3 und die Levitikusrolle (11Q1 = 11QpaleoLev), eine (ungeöffnete) Ezechielrolle (11Q4), die Psalmenrolle (11Q5 = 11QPsa), die Apokryphen Psalmen (11Q11), die Sabbatopferlieder (11Q17), das Neue Jerusalem (11Q18), die Tempelrolle (11Q19) aus Höhle 11. Dazu kommen einige wenige Einzelblätter wie 4Q175.

Jedes noch so kleine Detail, das man über den ursprünglichen Aufbau einer Schriftrolle in Erfahrung bringen kann, hilft bei der Editionsarbeit. Zunächst wusste man nur relativ wenig über den Aufbau von jüdischen Schriftrollen aus dieser Zeit. Einiges konnte man im rabbinischen Traktat Sopherim und aus dem Talmud lernen (doch sind diese viel jünger), anderes aus den griechischen Papyri aus Ägypten übertragen (doch gab es dort kaum Pergamente). Heute, nach Vollendung der Arbeit und dank der hervorragenden Studie von Emanuel Tov haben wir es leichter. Gutes Verständnis der hier nur sehr skizzenhaft erwähnten Grundlagen der Buchkunde der Rollen vom Toten Meer ist unabdinglich dafür, Fallstricke der Arbeit an höchst fragmentarischen Texten zu umgehen. Parabel

Eine Parabel, um die unvorstellbare Schwierigkeit der Edition der Qumranrollen greifbar zu machen: eine Prinzessin schenkt ihrem Verehrer 1000 Puzzles (die 1000 Schriftrollen). Jedes Puzzle hat zwischen zehn und 10 000 Teile (die Fragmente). Einige Puzzles zeigen das gleiche Bild wie ein anderes, aber nicht das gleiche Format oder nicht die gleiche Pappe (verschiedene Manuskripte der gleichen Komposition). Sie schüttet jedes vollständige Puzzle in eines von elf großen Fässern (die elf Höhlen), allein in Fass 4 sind zwei Drittel aller Puzzles. Dann wirbelt sie die Puzzleteile in jedem Fass durcheinander. Schließlich wirft sie 95 % der Puzzleteile aus jedem Fass weg (Verlust durch Ratten, Insekten, Feuchtigkeit, Wind und Plünderer)! In Fass 4 bleiben so fünfzehntausend Puzzleteile von ca. 600 Puzzles. Nun verlangt sie von ihrem Verehrer, ihr zu sagen, welche Teile einmal zu welchem Puzzle gehört haben und was auf den Puzzles für Motive und Details dargestellt waren.

2.1  Buchform und Layout (Kodikologie)    29

2.1 Buchform und Layout (Kodikologie) Für Texte ein überzeugendes Layout zu erstellen ist eine hohe Kunst und beeinflusst nachhaltig unsere Rezeption des Inhaltes. Eine schön gesetzte Buchseite und ein gekritzeltes Notizblatt mögen exakt dieselben Worte enthalten, doch die Präsentationsform entscheidet, wie wir sie aufnehmen. In einer textorientierten Gesellschaft hat jeder Text „sein“ Format. Ein wissenschaftliches Buch sieht anders aus als ein Roman, eine Bedienungsanleitung ist anders aufgebaut als ein Comic. Seit der Spätantike werden Bücher als Kodex veröffentlicht. Das wissenschaftliche Studium der Buchformen heißt Kodikologie. Vor der allmählichen Verbreitung des Kodex ab dem zweiten Jahrhundert n. Chr. war die klassische Buchform der Antike überall die Schriftrolle, lat. volumen (Johnson), so auch in Qumran. Daneben gab es für sehr kurze Texte noch das Einzelblatt. Dies ist jedoch selten (z. B. 4Q175). Eine Rolle besteht aus einem oder mehreren Bögen aus Papyrus, Rolle Pergament oder Leder. Anstelle von Seiten wie in einem Kodex muss der Text einer Rolle in Spalten oder Kolumnen (engl. columns) aufgeteilt werden. Zunächst berechnet der Schreiber daher, wie viel Bögen (engl. sheets) er benötigen wird, und kauft die entsprechende Menge präparierten Beschreibmaterials. Dann markiert er Kolumnen, so dass Kolumnen und Zwischenraum möglichst gleichmäßig breit sind und das Auge die Textblöcke gut trennen kann. Bei Pergamentrollen werden zumeist auch die Zeilen mit einem scharfen Knochen o. ä. in den Beschreibstoff eingeritzt (s. KhQ 2393 in DJD 6, 25). Oft sind Bruchkanten von Fragmenten an exakt diesen Linien! Bei Papyrusrollen ist dieser Arbeitsgang nicht nötig, denn die Fasern auf der meist verwendeten Vorderseite (recto) verlaufen in Schreibrichtung. Als dritter Schritt wird die Rolle beschrieben. Zuletzt werden die Bögen miteinander verklebt (Papyrus) oder mit Flachs oder Sehnen vernäht (Pergament). Manchmal geschieht dies auch schon vor der Beschreibung. Das Format steht in engem Verhältnis zur Textmenge, zur Quali- Format tät und zum Sitz im Leben. Lange Texte benötigen großformatigere und längere Rolle als kurze. Wertvolle Texte haben einen breiteren Rand und engere Spalten. Desweiteren hängt die Höhe stark von der Länge ab. Damit die Rolle eine Rolle bleibt, durfte sie nach dem Aufrollen nicht zu dick im Verhältnis zu ihrer Höhe sein. Aber auch für die Handlichkeit war es wichtig, die Proportionen zu wahren. Liturgische Rollen waren weniger hoch (Tov 90). Oben und unten wird Freiraum gelassen, die sogenannten Mar- Margen gen, da hier die größten Chancen bestehen, dass die Rolle beschädigt

30    2  Wie liest man ein Fragment? wird und Text verloren geht. Aus dem gleichen Grund haben Rollen oft vorne und hinten eine oder mehrere unbeschriebene Spalten als eine Art Schutzumschlag, das Protokoll und das Eschatokoll. An das Eschatokoll kann ein Stab (griech. omphalos, lat. umbilicus) befestigt werden, um die Rolle leichter unbeschädigt eng rollen zu können. In Qumran sind davon nur zwei gefunden worden. Wahrscheinlich hatten viele Rollen keinen fest verbundenen Stab. Ähnlich wie bei modernen Puzzles spielen die Randstücke bei der Rekonstruktion eine große Rolle, da man aus ihnen oft die Breite oder Höhe einer Spalte oder die Position eines Fragments auf der ursprünglichen Rolle berechnen kann. Wenn man wiederum die Höhe einer Rolle kennt, kann dies Schlüsse über den möglichen Umfang der Rolle erlauben, denn Höhe und Länge einer Rolle stehen wie gesagt in gewissen Proportionen zueinander. Wenn wir also nur noch das Anfangsblatt einer Rolle mit geringer Höhe und nur jeweils acht bis neun Zeilen Text in einer Spalte finden, können wir daraus schließen, dass sie wohl zu klein war, um z. B. das ganze Buch Genesis enthalten zu haben. Findet man ein Fragment mit Nahtresten, weiß man, dass diese Rolle aus mindestens zwei Pergamentbögen bestand, usw. Gegenüber Kodizes haben Rollen den Nachteil, dass man Stellen nicht einfach aufschlagen kann, sondern suchen muss, wie man es noch heute in Synagogen erleben kann. Auch muss man den Text nach der Lektüre wieder zurückrollen (ähnlich wie man es früher mit Videokassetten oder Mikrofilmen machen musste). Der Anfang des Textes sollte außen stehen, das Ende innen. Durch nur einseitige Beschriftung wird bei Rollen die Hälfte des Schreibmaterials verschwendet. Dafür scheint nie Text von hinten durch. Für die Lektüre einer Rolle benötigt man zwei Hände, um den gelesenen und den noch zu lesenden Teil zu trennen. Hingegen ist die Berechnung der benötigten Bogenzahl einfacher als bei einem Kodex, da man bei Bedarf ein weiteres Blatt ankleben kann. Es ist nicht möglich, ein Blatt aus der Mitte einer Rolle herauszureißen, ohne dabei die Rolle zu zerteilen. Aber wenn man will oder dies wegen eines beschädigten Blattes nötig ist, kann man leichter als bei einem Kodex ein Blatt ausschneiden, ein anderes einsetzen und die Enden wieder zusammenfügen. So ein Reparaturblatt ist z. B. in der Tempelrolle eingesetzt worden (11QTa I – V). Auch eingerissene Stellen können genäht werden (z. B. 1QIsaa XII oder XVI). Manchmal wurden beschädigte Stellen auch mit einem Flicken geflickt (z. B. 11QTa XXIII – XXIV). Pergamentrollen können mit einem Lederriemen zusammengebunden werden, damit sie sich nicht von alleine ausrollen. Dieser kann fest am Protokoll angenäht sein (wie bei 4Q448 zu sehen).

2.1  Buchform und Layout (Kodikologie)    31

Abb. 1:  4Q448 mit Verschluss

Abb. 2:  Rekonstruktion einer Schriftrolle

32    2  Wie liest man ein Fragment?

Bibliotheken

Schreibgerät Beschreibstoff Schreibstoff Tierhäute

Pergament

Festes Zusammenrollen schützt die Rolle vor Schäden. Für längere Verwahrung konnten Rollen in Tücher eingehüllt werden und in Holzkästen (capsa) oder in Krüge gelegt werden, wie das Zitat von Jeremia 32,14 oben, S. 10 belegt. Zedernöl war ein zusätzlicher Schutz vor Nagern und Insekten. In antiken Bibliotheken wurden Rollen wie heute Weinflaschen in ein paar Lagen übereinandergelegt. Anzeichen für derartige Regale sehen viele in den in regelmäßiger Höhe angebrachten Löchern in Höhle 4. Wie konnte man die gewünschte Rolle finden? Dazu waren in griechischen Bibliotheken an der Seite der Rolle mit einer Schnur Etiketten mit Angaben zum Inhalt des Buches angehängt. In Qumran haben wir dafür allerdings gar keine Belege. In fünf Fällen ist der Titel einer Rolle quer auf ihre Rückseite geschrieben, so dass man, ohne die Rolle öffnen zu müssen, erkennen kann, was sie enthält (z. B. 1QS, 4Q249). In den meisten Fällen scheint dies aber nicht der Fall gewesen zu sein. Wir wissen also nicht, wie die jeweilige Rolle lokalisiert werden konnte. Unterschiedliche Materialien dienen zum Schreiben. Man unterscheidet zwischen Schreibgerät (z. B. Calamus, Feder, Finger, Meißel, Stein), Beschreibstoff (z. B. Leder, Pergament, Papyrus, Stein, Metall, gebrannte und ungebrannte Keramik, Holz, Palmblätter, Knochen, Wachstafeln) und Schreibstoff (z. B. Rußtusche, Eisengallustinte, Zinnobertusche, Kohle, Kreide). Die meisten Qumranrollen sind auf präparierten Tierhäuten geschrieben, die mindestens seit 2000 v. Chr. als Beschreibstoff benutzt werden. Zu Leder oder Pergament verarbeitet hat Haut hervorragende Qualitäten. Sie ist weich, glatt, je nach Tier großflächig, relativ dünn und doch reißfest und kann Tinte und Tusche gut aufnehmen. Je nach Tier ist die Farbe homogen hell und bietet einen augenfreundlichen Kontrast zum Schreibstoff. Die Qumranrollen zeigen, dass sie unter optimalen Bedingungen extrem lange hält. Durch Zusammennähen können Bögen zu Rollen vernäht werden, um auch umfangreiche Texte aufzunehmen. Nur die Handlichkeit setzt dem Grenzen. Bei der Präparierung wird zunächst die abgezogene Haut für die Konservierung in eine Salzlösung eingelegt. Dann wird sie eingeweicht, um das Salz und möglichst viele Haare, Fett und Verunreinigungen zu entfernen. Danach wird sie auf einem Rahmen befestigt, getrocknet und noch einmal mit Messern oder Bimssteinen sehr gründlich glatt gerieben. Möchte man die Haut zu Leder machen, wird sie abschließend gegerbt, d. h. mit speziellem Gerbstoff behandelt. Anders als Leder wird Pergament gewöhnlich nicht gegerbt, sondern durch sehr große Spannung, bei der sich die Kollagenfasern in Schichten parallel legen, hergestellt (Poole/Reed). Dies

2.1  Buchform und Layout (Kodikologie)    33

macht Pergament im Gegensatz zu Leder extrem formbeständig. Die meisten Qumranrollen sind wie Pergament durch Spannung hergestellt worden, doch sind sie – anders als die meisten antiken Pergamente – mit Gerbstoff behandelt worden, im Unterschied zu Leder allerdings nur sehr oberflächlich. Die beiden Seiten einer Haut haben unterschiedliche Qualitäten. Die Fleischseite ist glatter, die Haarseite weist Poren auf. Spätere rabbinische Vorschriften unterscheiden zusätzlich zwischen ungespaltenem Leder, (gvil, auf der Haarseite beschrieben), feinem gespaltenem Leder (klaf, auf der Fleischseite beschrieben) und dyskhistos/ dixystos/dixestos (auf der Haarseite beschrieben). Fast alle Qumranrollen sind aus ungespaltenem Pergament. Dieses wurde fast immer auf der helleren Haarseite beschrieben, die zur Rußtusche den stärkeren Kontrast bietet.

Fleischseite Haarseite

Um Papyrus herzustellen, werden entrindete Papyrusstauden in Papyrus dünne gleichmäßig breite Streifen geschnitten und in Wasser eingelegt (Leach/Tait). Die nassen Streifen werden eng längs nebeneinandergelegt. Auf diese erste Schicht wird eine zweite ebensolche Streifenschicht quer aufgelegt. Mit Druck werden beide Schichten übereinander geklebt und bilden ein haltbares Ganzes. Schließlich schneidet man die Ränder so, dass gleichformatige Bögen entstehen, die zu Rollen zusammengeklebt werden können. Dabei werden die Blätter so gelegt, dass auf einer Seite die Papyrusfasern immer in Schreibrichtung verlaufen. Diese nennt man recto. Die andere Seite heißt verso. Die Recto-Seite des Papyrus hatte also gegenüber Pergament den Vorteil, dass man wegen der Faserrichtung keine zusätzlichen Linien ziehen musste, um gerade zu schreiben. Das erste Schutzblatt, das Protokollon, wurde gewöhnlich mit recto nach außen angeklebt. Nur etwa ein Achtel aller Qumrantexte sind auf Papyrus geschrieben. Davon sind viele Dokumente oder Privatabschriften in semikursiver Schrift. Papyrus ist leichter korrigierbar als Pergament, da man die Tinte nur abwaschen muss, während sie in das Pergament tief eindringen kann. Die spätere rabbinische Halakha verbietet, biblische Texte auf Papyrus zu schreiben. Im Vergleich zu Pergament zerfällt Papyrus in viel kleinere, oft rechteckige Fragmente, die den Rändern der Papyrusstengel folgen (s. o. das Zitat von Baillet, S. 21 f). Dafür bleibt normalerweise der gute Kontrast zwischen Tinte und Hintergrund erhalten, so dass man weniger auf Infrarotfotos angewiesen ist. Sowohl bei Leder/Pergament als auch bei Papyrus gibt es große Qualitätsunterschiede im Blick auf Dicke und Festigkeit, Glätte und farbliche Homogenität, Weichheit sowie Narben, Löcher und Sichtbarkeit von Adern.

34    2  Wie liest man ein Fragment? Um Materialkosten zu sparen, wurden Papyri manchmal komplett abgewaschen oder Leder/Pergamente abgeschabt und mit Palimpsest einem anderen Text wieder beschrieben. Dies nennt man Palimpsest von griech. palin (wieder) und psēstos (abgeschabt) (4Q249, 4Q457a, 4Q457b, 4Q468e, s. Tov, 73). Wenn eine Rolle beidseitig beschrieben ist (vgl. Ez. 2,10 und Apk. 5,1), spricht man von Opisthograph, von griech. opisthen (von hinten) und graphein (schreiben) (Tov, 68 – 73). Das ist abgesehen von Gebetsriemen und Dokumenten selten. Fast immer enthalten Qumranrollen nur einen einzigen Text (Ausnahmen sind z. B. 1QS und das Opisthograph mit 4Q509 + 4Q505 auf der einen Seite und 4Q496 + 4Q506 auf der anderen). Dokumente wurden oft zunächst auf eine Tonscherbe als eine Art Kladde geschrieben. Glatte Tonscherben gab es im Überfluss und umsonst. Man nennt derartige Texte Ostrakon (pl. Ostraka). Andere weitverbreitete Medien sind Stein und Mosaik. Inschriften auf Stein gibt es in Qumran kaum, auf Mosaik gar nicht. Die Kupferrolle ist auf Metall geschrieben worden (s. u. S. 163 f), das – abge­sehen von Amuletten – nur selten für Texte verwendet wurde. Rußtusche Fast alle Qumranrollen wurden mit schwarzer Rußtusche geschrieben (Nir-El/Broshi, „The Black Ink“). Eisengallustinte ist in Qumran noch nicht bezeugt. Wie moderne chinesische Stangentusche wurde Rußtusche in festen Blöcken verkauft. Vor jeder Benutzung wurde ein kleines Stück von diesem Block an einem Stein zu Pulver zerrieben und dann in einem Tintenfass mit Wasser vermischt, in welchem die Rußteilchen und Bindemittel schweben. Einmal auf dem Beschreibstoff aufgetragen verdunstet das Wasser und die kleinen Rußteilchen haften dank Bindemittel auf der Oberfläche und bieten einen hervorragenden Kontrast. Anders als Tinte, in der der Farbstoff völlig aufgelöst ist und die Flüssigkeit selbst farbig ist, dringt Tusche nicht in den Beschreibstoff ein und kann einfach wieder abgekratzt oder abgewaschen werden. Einige wenige Rollen wie das Genesisapokryphon zeichnen sich durch ein Kupferfraß genanntes Phänomen aus: das Leder ist genau dort zerfressen, wo ursprünglich einmal Buchstaben standen. Diese Rollen sind sehr viel schwerer zu entziffern und in einem wesentlich schlechteren Erhaltungszustand. Vielleicht liegt dies an anderen Bindemitteln oder an Metallen – wie Kupfer – , die der Tusche zugesetzt wurden. Schließlich wurde ganz selten, genau gesagt in vier Fällen (z. B. 4QNumb), auch zinnoberrote Tusche benutzt, um Textabschnitte farblich ähnlich wie Rubriken in mittelalterlichen Handschriften zu kennzeichnen.

2.2  Vom Fragment zur Transkription    35

Als Schreibgerät diente wahrscheinlich hauptsächlich ein aus Schilf geschnittenes Schreibrohr, lat. calamus, hebr. qulmus. Die Schøyen-Sammlung besitzt einen angeblich aus Höhle 11 stammenden Calamus. Schilfrohre sind billig und praktisch und relativ leicht Calamus herzustellen sowie individuell anpassbar. Man kann die Spitze eines Schreibrohrs unterschiedlich anspitzen, um die Ansatzpunkte und die Proportionen von waagerechten und senkrechten Strichen zu ändern oder individuellen Schreibwinkeln gerecht zu werden (s. u. Paläographie).

2.2 Vom Fragment zur Transkription Da der Text nicht überall lesbar war, entwickelten die Editoren ein System, um sichere, wahrscheinliche und mögliche Lesungen von Rekonstruktionen zu unterscheiden. Lücken im Fragment werden durch eckige Klammern angedeutet. Text[ ]Text

Text[ ]Text

Wird in derartigen Lücken Text rekonstruiert, wird er in die eckigen Klammern der Lücke gesetzt, und zwar sowohl im hebräischen Original als auch in der Übersetzung. Text[Rekonstruierter Text]Text

Text[Rekonstruierter Text]Text

Ein von einem der antiken Schreiber als gelöscht markiertes Wort wird mit geschweiften Klammern angezeigt. Text{gelöscht}Text

Text{gelöscht}Text

Wenn ein Teil einer Zeile leer ist, steht dort vacat (lat. leer).

vacat

Margen oben oder unten werden explizit gekennzeichnet (z. B. „top margin“). Eine wahrscheinliche Lesung eines unvollständigen Buchstabens wird durch einen kleinen Punkt über diesem Buchstaben angedeutet. ‫א̇‏‬‎

‫א̇‏‬‎

Eine mögliche, aber unsichere Lesung eines unvollständigen Buchstabens wird durch einen offenen Kreis über diesem Buchstaben angedeutet: ‎‫‏ד‏‬ ֯ ‎

‎‫‏ד‏‬ ֯ ‎

Bei beiden Fällen ist speziell für Nichthebraisten besondere Vorsicht geboten, denn dies wird in den Übersetzungen im besten Fall mit einer Fußnote angegeben, im Normalfall gar nicht. Ist der Buchstabenrest so klein, dass man nur noch angeben kann, dass hier etwas stand, aber nicht was, steht statt eines Buchstabens nur ein großer Kreis.



Wird in der Übersetzung ein Wort ergänzt, das im Original dort nicht steht, aber für die Verständlichkeit notwendig ist, steht diese (Ergänzung) in runden Klammern.

(Ergänzung)

Als Grundregel gilt: Je kleiner die Fragmente, desto mehr unvollständige und daher unsichere Buchstaben und Worte. Steht in einer

36    2  Wie liest man ein Fragment?

Abb. 3:  4Q286 fr 20a

Zeile nur ein Wort oder gar ein Teilwort ohne Kontext oder sind viele Buchstaben „bepunktet“ ist die Übersetzung oft hypothetisch. Auch wer kein Hebräisch kann, sollte immer auch auf die Transkription des Fragmentes schauen. Die Zeilennummer lässt klar erkennen, wo der Editor die Lesart für sicher oder nur für möglich hält. Wer des Hebräischen mächtig ist, kann sich an folgendem Fragment spielend einüben. Andere können zumindest ihr Verständnis des Transkribierungssystems testen. Wie viele Zeilen hat das Fragment? Können wir seinen Platz in der Kolumne bestimmen (oben, unten, rechts, links)? Gibt es andere Merkmale (z. B. Linierung oder Nahtlöcher)? Können Sie den Leerraum zwischen Wörtern von dem zwischen Buchstaben unterscheiden? Welche Schriftart ist in der Schriftentabelle der Schrift dieses Fragments am ähnlichsten? Machen Sie sich dann an die fünf klar lesbaren Wörter. Zwei Hinweise: Waw und Jod werden in dieser herodianischen Schrift nicht unterschieden. He unterscheidet sich von Chet darin, dass es links ein Vordach hat, während Chet zwei Stangen mit durchhängender Wäscheleine ähnelt. Lassen Sie sich bei der Entzifferung des letzten Wortes der dritten Zeile nicht durch das Loch und die für Sie etwas ungewöhnliche Orthographie verwirren! Wenn Sie die fünf ganzen Worte entziffert haben, versuchen Sie sich an den Buchstabenresten. Wie viele Buchstaben sind vor dem

2.3  Schrift (Paläographie)    37

Wort in der ersten Zeile erkennbar? Spielen Sie alle Möglichkeiten durch! Warum kann es (normalerweise) kein Nun oder Tzade sein? Welcher Buchstabe bleibt als einzige Möglichkeit übrig? Wie viele Buchstabenreste sehen Sie in der zweiten Zeile vor den beiden gut lesbaren Worten? Für den ersten Buchstaben gibt es nur eine Möglichkeit und für den letzten auch! Sehen Sie den relativ undefinierbaren Buchstabenrest in der vierten Zeile? Wie viele Buchstaben können Sie in der fünften (!) Zeile ausmachen, zwei oder drei? Besuchen Sie die Webseite des Leon-Levy Archivs der IAA und lokalisieren Sie 4Q286! Finden Sie ein Foto mit „Ihrem“ Fragment? Vergrößern Sie es, bis Sie die drei Buchstabenreste sehen! Ähnelt Ihre Transkription der unten angegebenen? Achten Sie vor allem auf die Punkte und Kreise. Wenn Sie wissen wollen, wie die Editorin auf die umfänglichen Rekonstruktionsvorschläge gekommen ist, schauen Sie sich den Kommentar der Editorin Bilhah Nitzan in DJD 11, S. 42 an. 4Q286 20a 1 – 5 1 2 3 4 5

‎‫‏[   מחשב]ת צדק‏‬ ֗ ‎ [  ] gerechtes [Denke]n ‎‫‏[ מצות]מה יוכיחנו וירחם‏‬‎ [ nach] ihren [Geboten] wird er uns ermahnen und er wird sich erbarmen ‎‫[יו]ם לוא‏‬ ֗ ‫‏[  מיום] ֗ל‬‎ [ von einem Tag] zum [ander]en [wird er] nicht ‎‫‏[   אנש] ֯י היחד‏‬‎ [  die Männ]er der Gemeinschaft (jachad) ‎‫[י]ה‏‬ ֯ ‫‏[   מעשי] ֗ר ֯מ‬‎ [  Taten] der Arg[li]st

2.3 Schrift (Paläographie) Aus der Schrift lässt sich aber oft noch viel mehr Information ableiten, als nur der Text. Diese Kunst nennt man Paläographie, die wissenschaftliche Kunde der Schrift. Es ist eine unverzichtbare, sehr komplexe und etwas technische Disziplin, die es ermöglicht, nicht nur Schriften nach ihren Stilen zeitlich und geographisch einzuordnen, sondern darüber hinaus Einblicke in Wissensvermittlung und Technologiegeschichte zu gewinnen. Erst die Entdeckung der Qumranrollen hat es ermöglicht, die Geschichte der Schriften Judäas in der hellenistisch-römischen Zeit und damit die Entstehung der sogenannten Quadratschrift näher ­erforschen zu können. Vor 1947 gab es für die hellenistisch-römische Epoche in Judäa nur wenige Zeugnisse: den Nash-Papyrus

38    2  Wie liest man ein Fragment? (s. o. S. 11), nur einige wenige meist sehr kurze Inschriften, darunter die datierbare Uzziah-Inschrift, doch nichts auf Pergament. Nun sind in der Antike nur Dokumente, also Verträge oder Briefe, explizit mit einem Datum versehen. Literarische Texte – wie in Qumran – sind fast immer undatiert. Wo präzis datierte Fixpunkte für Schriften fehlen, muss man mit einer über typologische Verwandtschaften konstruierten Entwicklungsreihe Vorlieb nehmen. In historisch „kalten“ Epochen, d. h. entwicklungsarmen Epochen, in denen sich eine Schrift nur sehr langsam entwickelt, kann dies unmöglich sein. Je schneller sich eine Schrift in der untersuchten Zeitspanne entwickelt, desto leichter wird die Erstellung einer Reihenfolge. Glücklicherweise ist die Zeit vom dritten Jahrhundert v. Chr. bis zum ersten Jahrhundert n. Chr. die „heißeste“ Epoche in der Entwicklung der Schrift in Judäa. Zur Zeit des Ersten Tempels benutzte man im Königreich Juda eine aus dem Phönizischen entstandene Schrift. Sie wird meistens Paläohebräisch „Paläohebräisch“ genannt, um sie vom regulären „Hebräischen“ zu unterscheiden (palaios = griech. alt). Mit der Eroberung Judas, erst durch die Babylonier, dann durch die Perser, wechselte das Curriculum der Schreiberschulen zur aramäischen Kanzleischrift, die im Gesamtimperium üblich war wie im Mittelalter Latein. Wir haben keine literarischen hebräischen Handschriften aus dem sechsten, fünften oder vierten Jahrhundert v. Chr., aber die meisten Forscher vermuten, dass in der Perserzeit auch hebräische literarische Texte mit aramäischer Kanzleischrift geschrieben wurden. Bis zu den Eroberungszügen Alexanders des Großen Ende des vierten Jahrhunderts v. Chr. blieb die aramäische Sprache und die aramäische aramäische Kanzleischrift das überall im persischen Weltreich Kanzleischrift benutzte Kommunikationsmittel. Sie scheint durch das Schulungssystem der Schreiber an allen Enden des Imperiums sehr einheitlich gewesen zu sein. Schreibsystem, Erziehungssystem und Politik gehören oft eng zusammen. Z. B. unterscheiden sich im heutigen französischen und deutschen Schulsystem die Formen für bestimmte Schreibschriftbuchstaben. Mit der Zerschlagung des Imperiums drifteten die Schriften in den einzelnen Regionen auseinander und es entwickelten sich ganz allmählich Lokalschriften. Bei den Nabatäern in Petra wurden die Buchstaben immer dünner und immer länger. In Edessa bei den Syrern wurden die Buchstaben mehr und mehr miteinander verbunden, ähnlich wie heute im Arabischen. In Judäa wurden Breite und Höhe der Buchstaben immer weiter angeglichen. Diese Entwicklungstendenz führte gegen Ende der Zeit des Zweiten Tempels zur Entstehung der sogenannten Quadratschrift, wo die Grundform der meisten Buchstaben in ein Quadrat passt. Da auch diese Schrift zunächst ein auf Judäa re-

2.3  Schrift (Paläographie)    39

gional begrenztes Phänomen ist, nenne ich sie mit einigen anderen Paläographen „judäisch“. Andere bezeichnen sie entweder als Quadratschrift (doch trifft dies erst auf das Endstadium der Entwicklung im zweiten Jahrhundert n. Chr. zu) oder als Hebräisch, (doch führt dies zu Verwechslungsmöglichkeiten mit der sogenannten Paläohebräischen Schrift), oder als Jüdisch (doch schreiben Juden außerhalb von Judäa bis in die Spätantike zumeist mit den jeweiligen Lokalalphabeten, d.h. z.B. griechisch oder lateinisch oder punisch). Für einen typologischen Vergleich gruppiert man die Zeugnisse zunächst nach 1. Schreibstoff und Beschreibstoff, 2. Sprachen (in Qumran hebräisch-aramäisch, griechisch und nabatäisch), 3. Schrifttypen (z. B. paläohebräisch, judäisch und kryptisch) und 4. Hauptschriftgattungen bzw. Schriftregister (ein Kontinuum zwischen den beiden Extremen kursive Schreibschrift und formelle Buchschrift). Man kann nämlich nicht einfach von Buchstabenformen in datierten Inschriften auf die Abfassungszeit von Pergamenten mit ähnlichen Buchstabenformen schließen. Schriften auf unterschiedlichem Material oder mit unterschiedlichem Register haben jeweils ihre eigenen Anforderungen und können sich unterschiedlich entwickeln. Schließlich stellt man innerhalb einer Gruppe eine typologische Reihe der Buchstabenformen auf, die die Genese am besten erklären kann. Man kann sich dabei nicht auf einzelne Buchstaben stützen, sondern muss das gesamte Alphabet genau untersuchen und möglichst alle Formen als Entwicklung aus der Vorform und als Vorform für den Nachfolger erklären können. Für die Klassifizierung judäischer Schriften benutzen quasi alle Paläographen das in den fünfziger Jahren von Frank Cross entwickelte Modell, das von Yardeni meisterhaft auch auf die kursiven Schriften übertragen wurde. Cross unterscheidet einerseits chronologisch zwischen protojüdischen (ca. 250 – 150 v. Chr.), hasmonäischen (150 – 30 v. Chr.), heriodianischen (ca. 30 v. Chr. – 70 n. Chr.) und post-herodianischen Typen und andererseits zwischen kursiven, semikursiven, semiformellen und formellen Schriftgattungen. Die chronologischen Hauptphasen werden dann noch einmal in früh, mittel und spät unterteilt, so dass man den Eindruck gewinnt, in Zeiträume von 25 – 30 Jahren datieren zu können. Das ist jedoch übertrieben. Vergleiche mit den Resultaten der Radiokarbondatierung haben tatsächlich die ungefähre Übereinstimmung mit Cross allgemeiner Anordnung der Entwicklungsphasen ergeben (also dass hasmonäische Rollen durchschnittlich älter sind als Fragmente in herodianischer Schrift), allerdings mit teilweise weit auseinanderliegenden Angaben für Einzelrollen.

judäische Schrift

typologischer ­Vergleich

Frank Cross paläographisches Modell

40    2  Wie liest man ein Fragment?

Abb. 4:  Paläographie 1

2.3  Schrift (Paläographie)    41

Abb. 5:  Paläographie 2

42    2  Wie liest man ein Fragment? Ein Problem mit einer fast ausschließlich aus typologischen Vergleichen konstruierten Reihe ist, dass sich die einzelnen Etappen nicht (oder nur schlecht) absolut datieren lassen, sondern nur

Radiokarbon 14 C

Schon in den ersten Jahren spielte die Physik eine große Rolle in der ­Qumranforschung, als die frisch entwickelte Radiokarbon- oder Kohlenstoffisotopenanalyse (14C) an Tüchern aus Höhle 1 ausprobiert wurde (Jull u. a.). Seitdem wird diese Analyse auf zahlreiche historische Objekte mit organischen Bestandteilen angewendet. Das Prinzip beruht darauf, dass Kohlenstoff aus unterschiedlichen Isotopen besteht, von denen das sogenannte 14C radioaktiv ist und mit einer konstanten Halbwertszeit allmählich zerfällt, während 12C stabil bleibt. Alle Lebewesen nehmen über ihren Stoffwechsel, vor allem aus der Luft, Kohlenstoff auf, sowohl 12C als auch 14C. Wenn sie sterben, hört die Kohlenstoffaufnahme abrupt auf. Wenn man die Proportion des stabilen 12C zu dem noch nicht zerfallenen 14C misst und berechnet, wie viel 14C eigentlich hätte vorhanden sein müssen, kann man ungefähr den Zeitpunkt bestimmen, an dem die Kohlenstoffaufnahme abbrach. Die Proportion von 12C zu 14C in der Luft ist allerdings nicht ganz konstant. Es sind daher sogenannte Kalibrationskurven nötig, um diesen Faktor in die Berechnung mit einzubeziehen (Doudna). Als Resultat werden meistens zwei Zeiträume angegeben, von denen der kürzere mit etwa 68 %iger Wahrscheinlichkeit σ1 („Sigma 1“) das Jahr enthält, der verlässlichere ist jedoch der wesentlich längere σ2 („Sigma 2“)-Zeitraum mit etwa 95 %iger Wahrscheinlichkeit. Die Genauigkeit nimmt mit größerem Alter ab. Für 2000 Jahre alte Objekte ist der Zeitraum für eine Präzision von σ1 etwa 100 Jahre lang, für σ2 hingegen oft 200 Jahre und mehr, also viel länger als paläographische Analyseresultate. Viele Forscher verwenden in erster Linie σ1-Zeiträume, weil die σ2-Zeiträume ihnen im Vergleich zur Paläographie zu lang vorkommen, doch sind Wahrscheinlichkeiten von 68 % für historische Analysen viel zu niedrig! Man sollte daher grundsätzlich nur σ2-Zeiträume in Betracht ziehen. Darüber hinaus ist, anders etwa als bei regulären Glockenkurven, wo die mittleren Werte häufiger vorkommen als die Randwerte, bei 14 C jedes Jahr gleich wahrscheinlich. Es ist relativ leicht, 14C-Ergebnisse durch Auftragen von sehr alten oder sehr jungen kohlenstoffhaltigen Flüssigkeiten in die eine oder andere Richtung zu verfälschen. Zum Beispiel trugen die Mitarbeiter der Scrollery in den ersten Jahren auf Stellen mit verdunkeltem Pergament Rizinusöl auf, das für eine gewisse Zeit den Kontrast erhöhte und das Fragment lesbar machte. Dies hatte allerdings den Preis, dass dieses Fragment überall dort, wo Rizinusöl aufgetragen worden war, bei einem Test zu „junge“ 14C-Proportionen aufweisen würde. Falls sie aus Erdöl produzierte Mittel verwendet hätten, würde der gegenteilige Effekt eintreten. Der 14C-Test misst nur das Endjahr der Kohlenstoffaufnahme für das Lebewesen, aus dem das Objekt gemacht wurde, gibt uns also eigentlich nur einen terminus a quo. Theoretisch ist es möglich, dass eine Schriftrolle lange aufbewahrt wurde, bevor sie beschrieben wurde. Manchmal wurden alte Objekte aus Holz wiederverwendet. Strydonck beschreibt auf luzide Weise Vorteile und Grenzen der Kohlenstoffdatierung.

2.3  Schrift (Paläographie)    43

relativ. Man weiß also nicht wirklich, ob der frühherodianisch genannte Schrifttyp zeitlich näher am späthasmonäischen oder am mittelherodianischen Schrifttyp liegt. Klassische Papyrologen und Mediävisten halten die für Qumranrollen vertretenen Datierungszeiträume von nur einem Vierteljahrhundert zu Recht für übertrieben optimistisch. Auch wenn es leider nicht immer geschieht, sollte man aus Vorsicht die Zeitabschnitte von 25 Jahren immer noch um ca. 25 Jahre in beide Richtungen verlängern, da ein Schreiber lange leben kann. Datierungen sind mit großer Vorsicht zu genießen. Trotzdem ist paläographische Datierung meist präziser als Radiokarbon (s. Kasten). Sehr kurz zusammengefasst kann man die Entwicklung von der aramäischen Kanzleischrift zur Quadratschrift des zweiten Jahrhunderts n. Chr. mit einigen grundlegenden Beobachtungen fol- grundlegende gendermaßen beschreiben: Die anfänglich sehr ungleich großen ­Beobachtungen Buchstabenkörper werden mit der Zeit immer homogener, so dass man schließlich zusätzlich zur Linie, an der die Buchstaben hängen, auch eine Linie, auf der die meisten Buchstaben sitzen, zeichnen kann. Außerdem werden viele Buchstaben etwa gleich breit wie hoch (→ Quadratschrift). Schluss-Mems und Samekhs sind in den älteren Schriften noch offen, später geschlossen. Die durchgehende und korrekte Verwendung von diffenzierten Medialformen und Endformen einiger Buchstaben nimmt zu, desgleichen auch die Zahl der Zierhaken (keraia) an den oberen Enden bestimmter Buchstaben mit den herodianischen Schriften. In Qumran sind außer der judäischen Schrift noch sechs andere Schriften bezeugt: Die Forscher waren überrascht, einige Texte in Paläohebräisch vorzufinden, denn eigentlich dachte man, diese Schrift wäre nur noch auf Münzen und Siegeln verwendet worden. Dazu gibt es drei verschiedene sogenannte kryptische Alphabete (Geheimschriften) für Hebräisch. Alle griechischen Texte aus Qumran wurden mit griechischen Buchstaben geschrieben. Und schließlich finden sich ausnahmsweise auch Texte in Nabatäisch. Für die Datierung des Paläohebräischen dieser Periode und für die der kryptischen Alphabete ist die Paläographie bislang unzuverlässig.

Abb. 6:  Entwicklung des Samekh

44    2  Wie liest man ein Fragment? Paläohebräisch ist für die hellenistisch-römische Zeit eigentlich eine Fehlbezeichnung, handelt es sich doch um eine Wiederbelebung eines veralteten Alphabets. Eigentlich entspricht „neo-paläohebräisch“ dem Sachverhalt besser, jedenfalls, wenn die Annahme richtig ist, dass paläohebräisch in persischer und hellenistischer Zeit nur noch für Namen auf Siegeln und für die Inschriften auf Münzen benutzt wurde. Von den Texten vom Toten Meer gibt es fünfzehn, die vollständig in paläohebräischer Schrift geschrieben sind (McLean). Fast alles sind biblische Handschriften. Dazu kommen zahlreiche Rollen in judäischer Schrift, in denen nur das Tetragramm oder die Bezeichnungen für Gott in paläohebräischen Buchstaben eingesetzt worden sind. Dies zeigt also, dass paläohebräische Schrift mit besonderer Heiligkeit verbunden war. Von griechischen Bibelpapyri aus Ägypten kennen wir ein analoges Phänomen. kryptisch Von den drei kryptisch genannten Geheimschriften (Cryptic A, B und C) ist nur die erste (Cryptic A) mehrfach bezeugt. Vor der Entdeckung der Qumranrollen war dieses Alphabet unbekannt und lange wurde es für qumranspezifisch erachtet. Vor kurzem hat man allerdings in Jerusalem eine Steintasse mit einer kryptischen Inschrift entdeckt. Seine Herkunft ist nach wie vor unklar. Schriftregister Das Schriftregister (Kursive vs. Buchschrift) gibt uns wichtige Auskunft über den Verwendungszweck einer Rolle. Gewöhnlich wird Kursivschrift für Dokumente (Verträge, Briefe, Listen) verwendet, von denen aber nur sehr wenige aus Qumran kommen. Die große Mehrheit der Qumranrollen ist Literatur und daher in formeller oder semiformeller Buchschrift geschrieben. Die wenigen literarischen Texte in Semikursiv- oder Kursivschrift sind wahrscheinlich Privatkopien. Auch ein Laie erkennt den Qualitätsunterschied von z. B. 4Q175 zur Tempelrolle. Manche verwenden die Bezeichnung ‚Kalligraphie‘ synonym mit ‚Buchschrift‘, doch gibt es sowohl kalligraphische, professionelle als auch laienhafte Buchschrift. Systeme für die ausführliche Vokalisierung oder für die Intonation wurden erst im Mittelalter erfunden. Auch regelmäßige Satzzeichen gibt es in Qumran noch nicht. Immerhin werden im Gegensatz zur griechischen scriptio continua Worte durch einen Leerraum getrennt. Zur Gliederung in Abschnitte werden manchmal größere Leerräume, halbe oder ganze Leerzeilen verwendet. In seltenen Fällen werden poetische Stücke stichisch gesetzt, d. h. ähnlich einer zweispaltigen Tabelle mit einem klaren Anfang für jeden Halbvers. Alle Markierungen der Schreiber hat Emanuel Tov in seinem grundlegenden Werk gründlich studiert. Korrektur Für die Korrektur von Schreibfehlern sehen wir unterschiedliche Systeme (Tov, Scribal Practices, 222 – 230): Fehler auf einem

paläohebräisch

2.3  Schrift (Paläographie)    45

Papyrus konnte man einfach mit einem Schwämmchen abwischen, während man sie vom Leder/Pergament abkratzen muss (was Spuren zurücklässt). Oft sind Buchstaben einfach überschrieben worden. Was der gleiche oder ein anderer Schreiber für falsch hielt, wurde durchgestrichen oder durch Punkte über und/oder unter den Buchstaben markiert. Zusätze wurden zumeist kleiner und etwas hochgestellt an die gewünschte Stelle zwischen die Buchstaben oder Worte gesetzt, seltener auch an den Rand oder unter die Buchstaben. Dies führt dann zu der höchst interessanten Frage, auf welcher Basis der Text korrigiert wurde (s. u. Bibel, S. 200 zu 4QJera).

2.3  Schrift (Paläographie)    47

3 Vom Fragment zur Rolle: Konstruktion, Editionen und Hilfsmittel

Bearman, Gregory/Pfann, Stephen/Spiro, Sheila, Imaging the Scrolls: Photographic and Direct Digital Acquisition. In: Flint, Peter/VanderKam, James (Hgg.), The Dead Sea Scrolls After Fifty Years, Leiden 1998, Bd.  1, 472 – 495. Beyer, Klaus, Die aramäischen Texte vom Toten Meer, 2 Bde., Göttingen 1984; 2004. García-Martínez, Florentíno, Old Texts and Modern Mirages. The ‚I‘ of Two Qumran Hymns. In: ders., Qumranica Minora I, Leiden 2007, 105 – 125. Lange, Armin, Computer Aided Text-Reconstruction and Transcription, Tübingen 1993. Muraoka, Takamitsu, A Grammar of Qumran Aramaic, Leiden 2011. Pfann, Stephen, ‚Kelei Dema‘. Tithe Jars, Scroll Jars and Cookie Jars. In: Brooke, George/Davies, Philip (Hgg.), Copper Scroll Studies, London 2002, 163 – 179. Qimron, Elisha, The Hebrew of the Dead Sea Scrolls, Atlanta 1986. Rabin, Ira, „Archaeometry of the Dead Sea Scrolls“, Dead Sea Discoveries 20 (2013) 124 – 142. Reed, Stephen/Lundberg, Marilyn/Phelps, Michael, The Dead Sea Scrolls Catalogue, Atlanta 1994. Reymond, Eric, Qumran Hebrew: An Overview of Orthography, Phonology, and Morphology, Atlanta 2014. Schattner-Rieser, Ursula, L’araméen des manuscrits de la mer Morte, Prahins 2004. Stegemann, Hartmut, Methods for the Reconstruction of Scrolls. In: Schiffman, Lawrence (Hg.), Archaeology and History in the Dead Sea Scrolls, Sheffield 1990, 189 – 220. Steudel, Annette, Probleme und Methoden der Rekonstruktion von Schriftrollen. In: Fieger, Michael/Schmid, Konrad/Schwagmeier, Peter (Hgg.), Qumran – die Schriftrollen vom Toten Meer, Göttingen 2001, 97 – 109. Steudel, Annette, Der Midrasch zur Eschatologie aus der Qumrangemeinde, Leiden 1994, 5 – 22; 57 – 70. Tigchelaar, Eibert, Constructing, Deconstructing and Reconstructing Fragmentary Manuscripts: Illustrated by a Study of 4Q184 (4QWiles of the Wicked Woman). In: Grossman, Maxine (Hg.), Rediscovering the Dead Sea Scrolls, Grand Rapids/Cambridge 2010, 26 – 47. Tigchelaar, Eibert, To Increase Learning for the Understanding Ones. Reading and Reconstructing the Fragmentary Early Jewish Sapiential Text 4QInstruction, Leiden 2001 (Beispielhafte Anwendung). Tov, Emanuel, Revised List of the Texts from the Judaean Desert, Leiden 2010.

48    3  Vom Fragment zur Rolle: Konstruktion, Editionen und Hilfsmittel Tov, Emanuel (Hg.), The texts from the Judaean desert: Indices and an introduction to the ‚Discoveries in the Judaean desert‘ series, Oxford 2002 (DJD 39). Tov, Emanuel (in Zusammenarbeit mit Pfann, Stephen), The Dead Sea Scrolls on Microfiche: Companion Volume, Leiden 1993. Ulrich, Eugene, The Biblical Qumran Scrolls. Transcriptions and Textual Variants, Leiden 2010. Die Leon Levy Dead Sea Scrolls Digital Library der Israel Antiquities Authority: www.deadseascrolls.org.il Die Digital Dead Sea Scrolls des Shrine of the Book: dss.collections.imj. org.il

3.1 Vom Fragment zu Fragmentengruppen Im vorigen Kapitel haben wir gesehen, wie man ein – gut lesbares – Einzelfragment entziffert. Wie zeitaufwendig ist es, 15 000 Fragmente zu entziffern! Und erst dann (auch wenn man schon parallel daran arbeiten kann) beginnt die eigentliche Arbeit: die Puzzleteile zu Puzzles zusammenzufügen. Die Mitglieder der Scrollery haben 95 % dieser Arbeit tatsächlich vollbracht. Dies ist eine (fast?) übermenschliche Leistung. Ein gutes Verständnis des Editionsprozesses entwickelt das Urteilsbewusstsein für die Abwägung zwischen möglichen und unmöglichen, wahrscheinlichen und sicheren Schlüssen. Nach der Ausgrabung oder dem Ankauf mussten die Fragmente zunächst gesäubert und geglättet werden. Oft waren sie im Laufe der Geschichte mit anderen Fragmenten zu Fragmenthaufen verklebt und mussten erst mühsam voneinander getrennt werden. Theoretisch hätten dabei Anordnung und Position festgehalten werden sollen, denn aus dem Fragmenthaufen kann geschlossen werden, welche Fragmente einmal zu einer Rolle gehörten und welches in der Rolle weiter innen oder weiter außen lag. Leider war das nicht immer der Fall. Alle Fragmente wurden von vorne und oft auch von hinten fotografiert. In vielen Fällen war das Pergament so nachgedunkelt, dass man nur auf Infrarotfotos sehen konnte, welche Seite beschrieben war. Dann wurden die Fragmente nach groben Gruppen provisorisch entziffert, vorsortiert und einem der Mitglieder der Scrollery überGruppierung antwortet. Bei der Gruppierung von Fragmenten zu Fragmentenvon Fragmenten gruppen halfen unter anderem zu Fragmentengruppen

– Die materielle Beschaffenheit des Beschreibstoffes (Papyrus oder Pergament, Farbe, Dicke, Oberflächenstruktur auf recto und verso),

3.1  Vom Fragment zu Fragmentengruppen    49

– Zerstörungshorizont (Formen der Ränder, spezifische Löcher), – Layout (Breite der Zeilen und Ränder, Zahl und Abstand der Zeilen, liniert/unliniert), – Schrift (Typ, Register, Buchstabenformen und -größe, Abstand zwischen Buchstaben, Abstand zwischen Worten, etc.), – Sprache, – Orthographie, – Textliche Überlappungen, – Inhalt. Biblische Fragmente konnten je nach Fragmentgröße mit Hilfe einer Konkordanz relativ schnell identifiziert und zu Gruppen vorgeordnet werden. Bei Texten, von denen bislang keine hebräischen oder aramäischen Versionen bekannt waren (z. B. Jubiläenbuch und Henochbücher), war es weniger leicht. Am schwierigsten waren bislang unbekannte Texte, vor allem wenn die Fragmente klein waren. Nach der Vorsortierung wurden die Fragmente mit der Schrift in die gleiche Richtung zwischen zwei Glasplatten gelegt (eine „plate“) und wieder fotografiert. Schließlich kamen sie in die Scrollery im Scrollery Palestine Archeological Museum: einen mit direktem Sonnenlicht reich erhellten Saal mit langen Tischen, auf welchen all diese Glasplatten präsentiert wurden, so dass jeder Mitarbeiter jederzeit eines seiner Fragmente mit irgendeinem anderen Fragment vergleichen konnte und gegebenenfalls Fragmente von einer Platte zur anderen replatzieren konnte.

Abb. 7:  Scrollery (PAM 41.212)

50    3  Vom Fragment zur Rolle: Konstruktion, Editionen und Hilfsmittel Man muss zwischen mehreren Rekonstruktionsebenen unterscheiden, die mit zunehmender Entfernung von der einzig wirklich sicheren Grundlage, dem Einzelfragment, immer hypothetischer werden. Mit den einer Fragmentengruppe zugeordneten Fragmenten wird wie bei einem Puzzle experimentiert, ob mehrere Einzelfragmente, deren Ränder und Buchstabenhälften zusammenpassen, zu einem größeren, direkt physisch miteinander verbundenen Fragmentenmaterial join cluster zusammengefügt werden können. Dies nennt man material join. Da man sich dabei irren kann, ist eine „material join“ hypothetischer als ein Einzelfragment. Doch kommt dies in den offiziellen Editionen selten vor. Kehren wir nun kurz zu unserem Beispiel von oben, 4Q286 Frag. 20, zurück. Auch dort gibt es einen material join. Auf der Webseite der IAA kann man zwei Fotos des Editionsprozesses vor und nach dem material join vergleichen: PAM 42.417 (1957) und PAM 43.312 (1960). Wie viel Zeit mag der ursprüngliche Editor zwischen 1957 und 1960 in das Finden dieses winzigen Puzzleteiles gesteckt haben! Es war kein geringerer als „der schnellste Mann mit einer Rolle“ (s. o. S. 17)!

Aufgrund von Inhalt, Layout oder Parallelen wird manchmal vorgeschlagen, dass Fragmente in die gleiche Spalte oder die gleiche Zeile gehören, obgleich die Ränder der Fragmente physisch nicht distant join direkt zusammenstoßen. Dies wird distant join genannt und ist natürlich meist hypothetischer als ein material join. (Übrigens kann man auf dem Foto von 1960 [PAM 43.312] auch einen distant join von 4Q286 Frag. 20a mit dem Fragment 20b darunter erkennen. Die Gründe hierfür können Fortgeschrittene in der DJD-Edition einsehen). Am einleuchtendsten sind distant joins, wenn zwei Fragmente Teile der gleichen Bibelstelle oder eines anderen sicher etablierten Textes zitieren. Je länger dieser Text, desto sicherer der distant join. Vielen Benutzern der Texte von Qumran ist nicht klar, dass – abgesehen von den wenigen „großen“ bzw. nur aus einem einzigen Fragment bestehenden Rollen (s. o. S. 27 f) – fast alle Schriftrollen grundsätzlich eine Anreihung derartiger distant joins sind, allerdings zumeist ohne den exakten Ort jedes Fragments festzulegen. Ein Editor kommt zum Schluss, dass Fragmente Teile ein und derselben Schriftrolle waren. Dies setzt voraus, dass Material, Schrift, Layout, Orthographie und Inhalt in einer Schriftrolle gleich blieben. Das ist sicher die beste Grundannahme, jedoch ist es nicht immer richtig. Bei vielen Rollen wechselt die Spaltenbreite. Vor allem die letzte Spalte eines Blattes kann schmaler oder breiter sein. Manchmal ändert sich die Zahl der Zeilen von einer Spalte zur nächsten. Meistens vernähte der Rollenmacher möglichst ähnliche

3.1  Vom Fragment zu Fragmentengruppen    51

Pergamente zu einer Schriftrolle, aber nicht immer. Selbst innerhalb eines Pergamentfolios kann sich die Dicke ändern. Die Farbe zweier ursprünglich zu einer Kolumne gehörenden Fragmente kann variieren. Das Genre einer Komposition kann radikal wechseln (s. u. Damaskusschrift, S. 240). Mitten in einer Erzählung können Gedichte vorkommen. Wenn wir den „großen“ Rollen trauen dürfen, scheint es aber eher selten gewesen zu sein, dass auf einer Rolle mehrere Kompositionen zusammengestellt wurden. Bei mehreren der „großen“ Schriftrollen war mehr als ein Kopist beteiligt (z. B. 1QHa). Kürzlich wurde gezeigt, dass 4Q3 und 4Q9 einmal zur gleichen Genesisrolle gehörten, obgleich sie von unterschiedlichen Schreibern kopiert wurden und kein Fragment gleichzeitig beide Hände enthält. Wenn Rollen hypothetische Konstruktionen sind, kann ein Forscher gegen den Editor argumentieren, dass ein Fragment nicht dieser, sondern besser jener Rolle zugeordnet werden soll. In zahlreichen Fällen ist dies auch geschehen (s. u.). Ein Nachprüfen verschiedener Editionen ist also immer lohnenswert. Man sollte bei allen Unsicherheiten aber beachten, dass die meiste Sortierungsarbeit vom Team der Scrollery vollbracht worden ist, welche die Einzigen waren, die direkten physischen Zugang zu allen Fragmenten hatten. Nur sie konnten direkt vergleichen, ob bei zwei Fragmenten nicht nur die Schrift, sondern auch die materiellen Aspekte des Pergaments auf Vor- und Rückseite übereinstimmten. Spätestens seit 1960 arbeiteten fast alle Editoren nur noch mit Fotos und nur in Ausnahmefällen mit den Originalfragmenten. Die Fotos aber geben nur einen unvollkommenen Eindruck der materiellen Beschaffenheit. Daher ist bei späteren Umgruppierungsversuchen Vorsicht geboten und auf die vorgebrachten Argumente und eventuell größere Unsicherheiten in neu vorgeschlagenen Rekonstruktionen zu achten! Mehrere hilfreiche Warnzeichen können anzeigen, wann die Zugehörigkeit eines Fragments zu einer Rolle genau geprüft werden sollte. Manchmal geben die Herausgeber eines Textes ihre Zweifel explizit an. Manchmal zeigt ein hinzugefügter Kleinbuchstabe hinter einer Rollennummer (z. B. 4Q213a), dass eine Fragmentengruppe (in diesem Fall 4Q213) von späteren Editoren auf zwei Gruppen aufgeteilt wurde, nachdem das ursprüngliche Team die Nummern bereits festgelegt hatte. Schließlich kann man bei genauem Kontrollieren der PAM-Fotos manchmal bemerken, dass im Laufe der Zeit dieses oder jenes Fragment von einer Plate zur anderen wechselt und wieder zurückkehrt. 4Q471 War Scroll-like Text B ist ein Extrembeispiel für unter- 4Q471 War Scrollschiedliche Auffassungen in der Editionsarbeit. In den Vorberei- like Text B

52    3  Vom Fragment zur Rolle: Konstruktion, Editionen und Hilfsmittel tungsarbeiten in der Scrollery ordnete Strugnell ursprünglich zehn Fragmente aus Höhle 4 einem Exemplar der Kriegsregel zu: 4Q471. Die Herausgeber der Fragmente in DJD und „Erben“ der Vorarbeiten Strugnells sahen dagegen mehrere Schreiber hinter den Buchstabenformen und den orthographischen Konventionen. Daher teilten sie die zehn Fragmente auf insgesamt vier unterschiedliche Handschriften auf: 3 Fragmente als 4Q471 („War Scroll-like Text B“), ein Fragment als 4Q471a („Polemical Text“), vier Fragmente als 4Q471b („Self Glorification Hymn“) und zwei Fragmente als 4Q471c („Prayer Concerning God and Israel“). Allerdings weist 4Q471b so starke wörtliche Parallelen zu einer Hymne in anderen Hymnenrollen auf, dass man schließen muss, dass alle die gleiche Hymne enthielten (4Q427, Frag. 3 – 7 und 1QHa XXV – XXVI Sukenik Fragmente 7 – 8, 56, 46, 55). Außerdem gleichen Schrift, Pergament und Layout von 4Q471b einer Hymnenrolle, 4Q431. Die Editorin der Hymnenrollen, Eileen Schuller, hat daher die Fragmentengruppe 4Q471b als Teil von 4Q431 veröffentlicht. Dieselbe physische Fragmentengruppe findet sich also zweimal in DJD 29: zum einen als eigenständiger Text mit dem Kürzel und Namen 4Q471b Self Glorification Hymn, zum anderen als Hymne einer Hymnensammlung, 4Q431 Hodayote Frag. 1. Doch zurück zu unserer Hierarchie des Vermutungscharakters einer Rekonstruktion, mit der wir noch nicht am Ende sind, denn es gibt noch mindestens eine höhere Ebene. Im Laufe seiner Edition muss der Herausgeber unter anderem entscheiden, welchen Namen er dem Text der Rolle gibt, welches Genre dieser hat und welchen Inhalt. Die wenigsten Rollen enthalten den Titel ihrer Komposition (z. B. 1QS, 4Q249). Wenn es Parallelen mit einem anderen Text gibt, kann der Herausgeber entscheiden, dass seine Schriftrolle eine Kopie von einer bereits auf einer anderen Schriftrolle edierten Komposition ist. Je mehr Text einer Komposition bekannt ist, und je mehr Text beider Schriftrollen noch erhalten ist, desto sicherer ist dieser Schluss. Was aber, wenn eine (rekonstruierte) Schriftrolle nur wenig Text enthält und eventuell nur zitiert? Was, wenn eine Rolle nur Fragmente des Anfangs einer Komposition enthält, eine andere nur Fragmente vom Ende der gleichen Komposition, ohne jegliche Überschneidung (vgl. Steudel, Midrasch, zu 4Q174 und 4Q177)? Die Editoren dieser Texte werden dann nur in Ausnahmefällen argumentieren, dass beide Schriftrollen Teile einer Komposition waren, beispielsweise wenn dieser Text eine besonders ausgefallene Terminologie verwendet oder die gleiche Hauptfigur im Zentrum steht (so z. B. bei 4Q390). In solchen Fällen kann Zweifel als Grundeinstellung vor Fehlschlüssen bewahren.

3.2  Von der Fragmentengruppe zur Reihenfolge    53

Das oben genannte Beispiel der Self Glorification Hymn (1QHa, 4Q427, 4Q431 = 4Q471b) ist noch weitaus komplexer. Die Hymne weist starke wörtliche Parallelen zu 4Q491 Frag. 11 auf, einem Exemplar der Kriegsrolle. 4Q491 ist von Abegg später wiederum in zwei oder drei Rollen aufgeteilt worden (4Q491a, 4Q491b, 4Q491c). Einige sehen dabei Fragment 11 als unabhängigen Text (4Q491c), die Self Glorification Hymn, doch sind die Gründe für die Trennung von 4Q491b nicht gewichtig. Wie auch immer es sei, viele Sätze in 4Q431 und 4Q491 Frag. 11 sind gleich. Allerdings längst nicht alle Sätze, und oft erscheinen sie in anderer Reihenfolge. Eine maximalistische Position der Mehrheit deutet 4Q431 und 4Q491 als zwei Rezensionen eines Textes. Die minimalistische Gegenposition sieht dagegen zwei getrennte Texte. Maximalisten benutzen Daten aus einer Rezension für die Interpretation der anderen, in der diese fehlen. Minimalisten lehnen dies ab (s. den Forschungsbericht bei García-Martínez, in diesem Fall selbst ein Minimalist). Die Konsequenzen sind immens: Für die Maximalisten handelt es sich um einen menschlichen Sprecher, der bei Gott wohnt und sich den Göttern/Engeln überlegen fühlt, vielleicht den Lehrer der Gerechtigkeit, vielleicht einen eschatologischen Priester, vielleicht jedes die Hymne rezitierende Gemeindemitglied. Für den Minimalisten ist es eine engelhafte Figur, z. B. Michael. Wie gesagt, dies ist ein Extrembeispiel, wenn auch ein besonders wichtiges (wir werden es im Teil über die Geschichte des Jachad genauer besprechen, S. 274). Die meisten Fälle sind wesentlich klarer.

3.2 Von der Fragmentengruppe zur Reihenfolge Wenn ein Editor eine Fragmentengruppe, eine „Rolle“, zusammengestellt hat, liegt vor ihm immer noch die Aufgabe, die Fragmente in eine Reihenfolge zu bringen. Für die biblischen und anderen bekannten Texte (also alle Paralleltexte zu den „großen“ Rollen) ist dies, wenn die Fragmente nicht allzu klein waren, eine lösbare Aufgabe. Gibt es mehrere Handschriften mit parallelem Text, helfen die Details jedes Zeugen zur Entschlüsselung der Lesungen und Reihenfolge der anderen (so z. B. besonders für das Apokryphon Jeremias C und für 4Q434 – 438 Barkhi Nafschi). Ansonsten kann der Inhalt dem Ordnungsbewusstsein des Editors Hilfestellung leisten. Im schlimmsten Fall bleibt nur die Zuflucht zur Sortierung nach Größe. Für die Rekonstruktion einer Rolle ist der Nachvollzug des Zerstörungsvorgangs entscheidend, ähnlich wie für Polizisten die Tat-

54    3  Vom Fragment zur Rolle: Konstruktion, Editionen und Hilfsmittel rekonstruktion. Hartmut Stegemann und seine Göttinger Schüler, allen voran Annette Steudel, haben diese Methodologie am weitesten entwickelt. Dabei sind weniger der Text, sondern vielmehr die Konturen der Fragmentränder und wiederkehrende Löcher in den Fragmenten entscheidend. Oft sind Fragmentenstapel das Endresultat einer ursprünglich zusammengerollten Schriftrolle, die von Nagern zerfressen, von Würmern durchbohrt oder von Feuchtigkeit von innen oder von außen zersetzt worden ist. Ist sie zum Beispiel stehend in einem Krug aufbewahrt worden, wird ein Teil der Zerstörung durch ihr eigenes Gewicht verursacht und es fehlt dann der untere Teil (Pfann). Oft haben Rollen von innen so starken Druck gegen ihren eigenen Verschlussriemen ausgeübt, dass sie sich selbst zweigeteilt haben. Nähte, immer etwas dicker als der Rest eines Pergamentbogens, haben auf den Rücken der darüber gelegenen Windung gepresst – bis dort ein Riss entstanden ist. Vielfach verlaufen Bruchkanten gerade entlang der Linien, die mit einem scharfen Gegenstand gezogen worden waren, um dem Kopisten den Zeilenabstand oder die Spaltenmargen anzudeuten. Der Stapel repräsentiert die Abfolge der Fragmente in den einzelnen Windungen der Rolle. Zwar war der Text stets auf der Innenseite, doch wissen wir nicht, ob die Rolle nach ihrer letzten Benutzung korrekt zurückgerollt worden war (wie man es früher oft und heute manchmal noch bei einem Mikrofilm in der Bibliothek vorfinden kann). War der Textanfang (das rechte Ende der Rolle) außen und das Textende (das linke Ende der Rolle) innen, konnte sie mit ihrem Verschluss verschlossen werden. Dann war sie oft enger zusammengerollt als eine Rolle, die nach dem Lesen nicht wieder korrekt zurückgerollt worden war. War der Textanfang innen, liegt das textlich erste Fragment im Stapel zuunterst. Manchmal kann man derartige Stapel auch aus Einzelfragmenten rekonstruieren. Hier kommt die Stegemann-Methode ins Spiel. Die zerstörerische Arbeit der Nager und Mäuse hat nämlich oft mehrere Schichten sehr ähnlich betroffen. Man kann es anhand eines zusammengerollten Crêpes leicht zu Hause ausprobieren. Ursprünglich übereinander lagernde Fragmente haben dann ähnliche Konturen oder einen Fleck, ein Loch, einen Spalt an der Stelle, wo sie früher einmal übereinander gelegen hatten. Die gleichen Konturen oder der gleiche Schaden wiederholen sich in berechenbaren Abständen. Es lohnt sich, auf der Website des Shrine of the Book die dort präsentierten fünf kompletten Schriftrollen anzuschauen und ihre Ränder auf wiederkehrende Zerstörungsmuster zu prüfen. Eine Rolle ist eine archimedische Spirale, oder vereinfacht gesprochen eine Gruppe konzentrischer Kreise, deren Umfang (nach der Formel U = 2∙π∙r) mit nach innen abnehmendem Radius

3.3 Abkürzungssystem    55

immer kleiner wird. Von außen nach innen wird der Abstand zwischen jeder Schicht immer um 0,1 bis 0,3 cm geringer. Wie viel genau hängt von der Pergamentdicke ab, und davon, wie fest die Rolle zusammengewickelt gewesen ist. So lassen sich plötzlich aus scheinbar völlig unverbundenen Fragmenten ganze Rollen rekonstruieren. Viele Editoren haben diese erst nach 1960 entwickelte, sehr zeitaufwendige Methode nicht verwendet, so dass hier in der Zukunft noch neue Erkenntnisse zu erwarten sind.

3.3 Abkürzungssystem Das Transkriptionssystem haben wir oben schon erklärt. Zur eindeutigen Identifizierung eines jeden Fragments auf den Glasplatten in der Scrollery und in der vorläufigen Konkordanz brauchten die Teammitglieder ein genaues Abkürzungssystem. Das heutige Ab- Abkürzungssystem kürzungssystem ist angesichts der sehr komplexen Daten sehr einfach: Von links nach rechts vom Groben ins Feine: Zunächst Höhle, Ort, Rolle. Für genaue Angaben einer Stelle arbeitet man nicht mit Kapitel und Vers, sondern mit Fragment und/oder Spalte und Zeile. Ort

Rolle Fragment Spalte Zeile

11Q5 XXVII 4 = Höhle 11 in Q(umran)

5

4Q387 2 iii 5

= Höhle 4 in Q(umran)

387

2

1Q19 8 2 – 3

= Höhle 1 in Q(umran)

19

8

27

4

3

5 2 – 3

Wenn ein Fragment nur eine Spalte hat, wird die „I“ nicht angegeben, und wenn eine Rolle nur aus einem Fragment besteht, wird die Fragmentnummer „1“ nicht angegeben. Manche schreiben vor die Fragmentnummer ein kleines „fr.“ oder „frag.“ oder setzen die Zeilennummer in einem kleineren Schrifttyp. Nun gibt es manchmal die Situation, dass ein großes Fragment Text von mehreren Spalten enthält, man aber nicht weiß, welche Spalten dies im ursprünglichen Originaldokument einmal waren (4Q387 oben). Dann benutzt man statt Großbuchstaben Kleinbuchstaben für die römischen Zahlen (i,ii,iii, etc.). Römische Zahlen in Großbuchstaben trifft man eher bei den gut erhaltenen Schriftrollen an, denn aus einer Spalte in einem Fragment auf die Stelle der ursprünglichen Spalte in der Rolle schließen zu können, ist sehr schwierig. Leider halten sich nicht alle Forscher an diese Konvention. Eine Rolle ist über ihre Nummer eindeutig identifizierbar. Diese Nummer ist nicht willkürlich. Bei jeder Höhle erhielten die bib-

56    3  Vom Fragment zur Rolle: Konstruktion, Editionen und Hilfsmittel lischen Fragmente die niedrigen Nummern in der Reihenfolge der biblischen Bücher. Auch die anderen Handschriftengruppen sind nach Möglichkeit mit aufeinander folgenden Nummern versehen worden. So sind z. B. 4Q256 bis 4Q264 neun Handschriften der Gemeinschaftsregel (S) und 4Q266 bis 4Q273 sind acht Kopien der Damaskusschrift (D). Für das Finden der Edition zu einer mit Nummer angegebenen Schriftrolle ist die von Emanuel Tov verTov, Revised Lists öffentlichte Liste aller Rollen vom Toten Meer (Tov, Revised Lists), die die Angaben im Einleitungsband zu Discoveries in the Judean Desert (DJD 39) auf den neuesten Stand bringt, ein unabdingliches Arbeitsinstrument. In Revised Lists findet man für jede Schriftrolle geordnet, nach Fundort, Höhlennummer und Rollennummer: 1. ihren offiziellen Namen (z. B. 1Q8 = 1QIsab) 2. ihre Inventarnummer (um zu wissen, in welchem Museum oder in welcher Sammlung man die physischen Fragmente heute unter welcher Nummer einsehen kann) 3. eine Liste aller Fotos (um die Editionsarbeit nachvollziehen zu können) 4. den Literaturnachweis einer Edition 5. Verweise auf nicht mehr gültige Abkürzungen aus der Zeit der Scrollery, die manchmal in vorläufigen Veröffentlichungen verwendet worden sind. Hier eine Liste der wichtigsten Fundorte (s. u. S. 129–132) und ihrer Abkürzungen: XQ KhQ WDSP Mur 5/6Hev

34Se Mas C

XQ (X = Qumran, aber unbekannter Fundort – meist für Fragmente in Privatsammlungen vom Schwarzmarkt). KhQ für Ostraka aus Khirbet Qumran (Khirbet = Ruine), d. h. der Siedlung. WDSP = Wadi Daliyeh (Samaritanische Papyri), etwa 25 km nördlich vom Toten Meer. Mur = Wadi Murabbaat. Texte aus der Zeit der zweiten jüdischen Revolte, unter Bar Kosba. 5/6Hev = Nahal Hever, die Höhle mit Eingängen 5 und 6, ca. 38 km südlich von Qumran, etwa 5 km südlich von Ein Gedi. Texte aus der Zeit der zweiten jüdischen Revolte, unter Bar Kosba 34Se = Nahal Seelim Höhle 34, etwa 50 km südlich von Qumran. Texte aus der Zeit der zweiten jüdischen Revolte, unter Bar Kosba Mas = Masada, die Festung Herodes etwa 55 km südlich von Qumran. Texte vom Ende der Epoche des Zweiten Tempels. C = Cairo (nur für die Damaskusschrift aus der Kairoer Geniza). Mittelalterliche Dokumente, von denen einige aus der Antike stammen. Nur in Masada und in der Geniza wurden mit Qumrantexten verwandte nicht-biblische Rollen gefunden.

3.3 Abkürzungssystem    57

Wer sich auch nur nebenbei mit Qumran beschäftigen wird, für den wird die Liste mit den offiziellen Namen und einer wichtigen Edition zum ersten Anlaufpunkt werden. Manchmal stellt sich aber das umgekehrte Problem. Ein Artikel zitiert eine Schriftrolle mit Namen und man möchte wissen, welche Nummer sich hinter diesem Namen verbirgt. Viele Forscher benutzen verschiedene Namen für die gleiche Rolle (oder den gleichen Namen für unterschiedliche Rollen). Um die Identifikationsnummer einer mit einem Namen angegebenen Schriftrolle zu finden, sollte man entweder Maiers Übersetzung oder die Liste im Anhang der Study Edition von García Martínez und Tigchelaar konsultieren. In Zukunft wird vermutlich das Internet diese Katalogfunktion übernehmen, vor allem die Großprojekte des Qumranwörterbuchs in Göttingen (s. o. S. 63) und des Leon-Levy Archivs in Jerusalem, die jetzt über Scripta Qumranica Electronica verbunden werden. Auch DJD 39 enthält noch viele andere Listen, die von bleibendem Wert sind. Die meisten Abkürzungen der Kompositionsnamen erschließen sich von selbst. Ist es nur ein Großbuchstabe (S, D, M, H, T), handelt es sich um eine der wichtigen großen Rollen. Ein kleines Präfix p vor einer Abkürzung für ein biblisches Buch steht für Pescher (z. B. 1QpHab, 4QpPs). Wenn eine „Handschrift“ nicht der Standardgruppe der hebräischen Texte in judäischer Schrift auf Pergament zugehört, die ca. 80 % des Materials darstellen, enthalten Namensabkürzungen auch immer wertvolle Informationen über Material (pap = Papyrus), Schrifttyp (paleo = Paläohebräisch; cryptA = kryptisch Typ A) und/oder Sprache (gr = griechisch, ar = aramäisch, nab = nabatäisch).

S, D, M, H, T p pap paleo cryptA gr ar nab

Zwei Fälle verdienen eine Erklärung: 1. Gibt es mehr als eine Rolle der gleichen Kompositionen in ein und derselben Höhle wird durch einen hochgestellten Kleinbuchstaben nach dem Namen oder der Abkürzung angezeigt, ob es sich um das erste, zweite etc. Exemplar dieser Komposition aus dieser Höhle handelt, z. B. 2QExa = 2QExodusa = 2Q2; 2QExb 2QExa = 2QExodusb = 2Q3. 2. Manchmal lassen sich Handschriften formell und inhaltlich ungefähr einem Genre zuweisen. Dann erhält der Text gewöhnlicherweise einen recht allgemeinen Namen wie etwa „Halakha“ oder „Calendrical Document“. Wenn man nun aufgrund von Schrift und Material derartige Fragmente auf mehrere Handschriften aufteilt, kann man oft nicht sicher sein, ob diese Handschriften Kopien des gleichen Werkes waren oder unterschiedliche Werke des gleichen Genres darstellen. Letzteres wird durch einen Groß-

58    3  Vom Fragment zur Rolle: Konstruktion, Editionen und Hilfsmittel 4QHalakha A

buchstaben nach dem Namen angezeigt: Z. B. 4QHalakha A (4Q251), 4QHalakha B (= 4Q264), 4QHalakha C (472a). Der Unterschied zwischen dem kleinen hochgestellten a und dem Großbuchstaben A ist also signifikant. 3. Beide Fälle können auch zusammen vorkommen. Zum Beispiel gibt es drei unterschiedliche Kompositionen, die Apokryphon Jeremias genannt worden sind, also ein Apokryphon Jeremias A, ein Apokryphon Jeremias B und ein Apokryphon Jeremias C. Von der dritten Komposition gibt es mehrere Handschriften, z. B. 4Q387 = 4QApocJer Cb = 4QApokryphon Jeremias Cb. Dies ist also die zweite Handschrift vom Apokryphon Jeremias C aus Höhle 4. Beide Systeme, Nummern und Namen, haben ihre Vor- und Nachteile. Nummern sind eindeutig und inhaltsneutral. Sie sind aber ähnlich undurchschaubar für Außenstehende und Neulinge wie Angaben für neutestamentliche Papyri (z. B. P66). Namen wiederum sind einfacher verständlich, doch implizieren sie eine Deutung des Inhalts oder Genres, die oft hypothetischer ist als die Nummer. Außerdem hat im Laufe der Editionsgeschichte manch eine „Handschrift“ verschiedene Namen erhalten, und es ist vor allem bei älteren Veröffentlichungen nicht immer ganz einfach zu ergründen, welche Handschriftennummer sich hinter welchem Namen verbirgt.

3.4 Alte Fotos und neue Bildtechniken Gute Fotos gehören seit Trevers Fotografien im Februar 1948 untrennbar zur Editionsarbeit an den Qumranrollen und -fragmenten (ebenso wie zu archäologischen Ausgrabungen). Tiefergehende Einblicke verschaffen die oben angeführten Artikel in die Technik und Geschichte der Fotografie der Qumranrollen. Neben sichtbaren Wellenlängen kann man auf Fotos auch Wellenlängen erkennbar machen, die unserem Auge sonst unsichtbar sind. Das menschliche Auge nimmt Licht in Wellenlängen zwischen ca. 400 und 750 Nanometern wahr. Länger- oder kurzwelligere Strahlung benötigt andere Rezeptoren. Diese können mit Hilfe von Spezialfilmen oder -filtern, die gleichzeitig das uns sichtbare Licht unterdrücken, die unsichtbaren Wellenlängen für uns sichtbar machen. In den ersten fünfzig Jahren wurde dies vor allem Infrarotfotos für Infrarotfotos mit langwelligem Licht gemacht. Dies war nötig, da viele Pergamentfragmente sich so dunkel verfärbt hatten, dass sie für das bloße Auge unlesbar waren und die Tinte nur auf In-

3.4  Alte Fotos und neue Bildtechniken    59

frarotfotos sichtbar gemacht werden konnte. Wärmestrahlen werden vom in der Tinte konzentrierten Kohlenstoff stark absorbiert, während auch dunkles Pergament sie mehr reflektiert. So wirkt auf Infrarotfotos auch nachgedunkeltes Pergament hell, die Tinte aber tiefschwarz. Allerdings sind alle alten Infrarotfotos nur Schwarzweiß-Fotos. Es ist daher oft unmöglich zu unterscheiden, ob ein schwarzer Fleck das Resultat von Tinte, einem Loch oder einem Schatten darstellt. Außerdem geht fast alle Information über die Farbe und Oberflächenstruktur der Fragmente verloren. UV-Licht kann wiederum Informationen zu nachträglichen Interventionen (z. B. Abkratzen) oder früheren Schriften (Palimpseste) sichtbar machen. Da die Qumranfragmente langsam zerfallen oder zu Gelatine werden, sind gerade alte Fotos oft Zeugen für inzwischen verlorengegangene Ränder (wichtig für „joins“) und für eventuell darauf noch erkennbare und inzwischen verschwundene Buchstabenreste. Manchmal kann man auch erkennen, dass ein Fragment in Wirklichkeit noch ein Klumpen („wad“) mit mehreren aufeinander gestapelten Fragmenten ist. Die neuesten Fotos hingegen zeigen oft den Endzustand des Mega-Puzzles, die „material joins“ und die „distant joins“. Die Fotos aus der Zwischenzeit zeigen, inwiefern die Editoren ein Fragment konstant einer Fragmentemgruppe zugeordnet haben oder inwiefern sie eventuell stark zwischen mehreren Fragmentengruppen geschwankt haben. Wenn man sich intensiv mit einem Text auseinandersetzt, können derartig zwischen verschiedenen Plates oszillierende Fragmente ein hilfreiches Warnsignal sein, ihre angebliche Zugehörigkeit zur „Rolle“ besonders genau nachzuprüfen. Zu ihrer eindeutigen Identifizierung tragen auch die Fotos ein Sigel. PAM 41.696 ist ein typisches Beispiel. PAM zeigt an, dass PAM 41.696 das Foto aus der Zeit des Skriptoriums im Palestine Archaeological Museum (PAM) stammt. Die ersten beiden Ziffern geben die Fotoserie (zwischen 40 und 44) an. Die drei letzten Ziffern sind die Nummer des Fotos in dieser Serie. Tovs Revised Lists listet für jede Rolle viele Fotos auf. Die Fotos sind von Tov in einer Mikrofichesammlung und von Alexander und Lim in Brills Dead Sea ScrollsDatenbank von 1997 in der Form elektronisch bearbeiteter Scans veröffentlicht worden. Brills neuere Datenbank von 2006 enthält meist nur das letzte Foto für ein Fragment und dies nur für die nicht-biblischen Texte. Die Accordance-Datenbanken für die biblischen und die nicht-biblischen Texte enthalten ebenfalls nur ein Foto pro Fragment. Auch die Effekte der Bildbearbeitung vor der Digitalisierung sollte man beachten. Die Unterschiede der Scans von 1997, 2006 und 2013 sind erheblich. In jüngster Zeit sind die

60    3  Vom Fragment zur Rolle: Konstruktion, Editionen und Hilfsmittel Leon-Levy Digital Archive multispektrale Digitalfotografie

Reflectance Transformation Imaging

Röntgenfluoreszenzspektroskopie XRF

meisten Fotos in hochauflösenden Scans über das Leon-Levy Digital Archive der Israel Antiquities Authority gratis zugänglich gemacht worden http://www.deadseascrolls.org.il/. Heute geht man über zur multispektralen Digitalfotografie, die mehrere Belichtungen mit Strahlenquellen von unterschiedlichen ausgewählten Wellenlängen übereinanderlegen kann, von ultraviolett über sichtbares Licht zu Infrarot und sogar Röntgenstrahlung. Elektronische Bildformate ermöglichen dann das Ausblenden und das Übereinanderlegen verschiedener Bilder, so dass der Nutzer auswählen kann, welches Bild ihm die für den jeweiligen Moment beste Information bietet. Eine große Schwierigkeit ist, dass die Fotos zweidimensionale Darstellungen dreidimensionaler Objekte sind. Wenige Fragmente liegen völlig plan. Die Ausleuchtung war in den fünfziger Jahren lange nicht so professionell wie heute, so dass Fragmentränder und -erhebungen Schatten bilden. Besonders Bruce Zuckerman hat sich als Fotospezialist für antike Inschriften und Fragmente einen Namen gemacht. Vielversprechend ist die RTI-Technik (Reflectance Transformation Imaging), die es dem Benutzer ermöglicht, auf dem Computer das Bild mit unterschiedlichen Belichtungsrichtungen interaktiv zu modifizieren und auch der Dreidimensionalität nahe zu kommen. Revolutionäre Einsichten für die Rekonstruktion von Qumranrollen und für die Geschichte ihrer antiken Besitzer verdanken wir materialwissenschaftlichen Forschungen der letzten Jahre, die an die Fernsehserie CSI erinnern (Rabin). Eine ihrer Methoden ist die Röntgenfluoreszenzspektroskopie (XRF = X-Ray Fluorescence), dazu Raman und PIXE. All diese Analyseformen informieren uns über die chemische Zusammensetzung eines Objektes an einer bestimmten Stelle. Ein Team um Ira Rabin und Oliver Hahn hat mit XRF die Tu­ sche einiger Qumranfragmente, darunter auch der Hymnenrolle (1QHa), untersucht. Die Analyse ergibt, dass diese Tusche (nicht aber das Pergament) im Verhältnis zu Chlor einen außergewöhnlich hohen Bromanteil enthält. Zur Erinnerung: Tusche wird direkt vor ihrer Benutzung hergestellt, indem man von einem Tuscheblock etwas abkratzt und die Körnchen mit Wasser vermischt (s. o. S. 34). Derartige Brom-zu-Chlor-Konzentrationen finden sich aber nur im Wasser um das Tote Meer. Die Tusche für diese Rolle wurde also mit Wasser aus der Gegend Qumrans (oder eines anderen Ortes in der Region um das Tote Meer) angerührt. Zumindest diese Rolle ist also am Toten Meer geschrieben worden, höchstwahrscheinlich in Qumran.

3.5  Editionen und Hilfsmittel    61

3.5 Editionen und Hilfsmittel Die meisten Qumrantexte sind in der 40-bändigen Oxforder Serie Discoveries in the Judean Desert (DJD) veröffentlicht worden. Hier findet man ausführliche Informationen zu Kodikologie und Paläographie, eine englische oder französische Übersetzung, Kommentare zu anderen möglichen Lesarten, Paralleltexten in den Qumrantexten oder auch in anderen biblischen, frühjüdischen oder frühchristlichen Texten sowie die wichtigen Fotos. Die Editionen der wenigen, aber wichtigen Qumrantexte, die nicht in DJD veröffentlicht worden sind (hauptsächlich 1QS, 1QSa, 1QSb, 1QpHab, 1QGenAp, 1QM, 4QEn, 11QpaleoLeva, 11QTa) oder von denen die DJD-Edition inzwischen durch eine andere Edition ersetzt worden ist, findet man in Tovs Revised Lists. Wer sich näher mit Qumran auseinandersetzen will und des Hebräischen mächtig ist, dem sei die Anschaffung einer der drei elektronischen Datenbanken (Brill, Accordance, Logos) empfohlen. Die Brill-Version enthält die nicht-biblischen Rollen (der mehrbändigen Druckausgabe von Tov und Parry). Die Accordance Module umfassen neben den nicht-biblischen Rollen (in Abeggs Transkription) auch die Texte der biblischen Rollen. Beide Datenbanken enthalten Übersetzungen und grammatisch aufgeschlüsselte Transkriptionen. Diese ersetzen mit ihren Suchmaschinen herkömmliche Konkordanzen und ermöglichen komplexe linguistische Analysen. Zu (fast) jedem Fragment ist ein Foto enthalten. Im Unterschied zu den gedruckten Ausgaben gibt es allerdings keine Kommentare. Die biblischen Manuskripte (nach der Kanonliste der Hebräischen Bibel) sind 2010 in einer äußerst praktischen großformatigen einbändigen und einsprachigen Ausgabe durch Eugene Ulrich herausgegeben worden. Ihre Basis sind die offiziellen DJD-Editionen. Die Anordnung der Texte folgt den biblischen Versen, nicht den einzelnen Handschriften. Die textkritischen Anmerkungen helfen dabei, schnell eine grundlegende Übersicht über die variae lectiones einer Stelle zu gewinnen. Für Anmerkungen zur Entzifferung, Paläographie etc. ist der Gang zur Originaledition in DJD weiter Pflicht, aber als erster Anlaufpunkt ist Ulrichs Buch hilfreich. Zwei Listen mit allen biblischen Handschriften und mit allen Passagen, die in biblischen Qumranhandschriften bezeugt sind, runden das Buch ab. Von den anderen Editionsreihen und Übersetzungen sind vor allem folgende Publikationen wichtig (keine von ihnen enthält Fotos): Auf Deutsch gibt es zunächst die dreibändige einsprachige Gesamtausgabe von Johann Maier (UTB). Sie verweist auch auf Foto-Nummern und Datierung und benutzt ein ausgefeiltes System

Discoveries in the Judean Desert (DJD)

elektronische Datenbanken (Brill, Accordance, Logos)

biblische ­Manuskripte

Johann Maier (UTB)

62    3  Vom Fragment zur Rolle: Konstruktion, Editionen und Hilfsmittel

Qimron

Princeton Theological Seminary Dead Sea Scrolls Project

La Bibliothèque de Qumrân

Revue de Qumrân Dead Sea D ­ iscoveries Meghillot Orion Center RAMBI

für Hinweise auf Parallelüberlieferungen. Die ältere zweibändige Version enthält ausführliche Kommentare. Eduard Lohse und ein Team um Annette Steudel haben zwei zweisprachige Bände mit ausgewählten Texten herausgegeben. Sie bieten neben vokalisiertem Text (nach masoretischer Vokalisation) und deutscher Übersetzung eine Einführung mit Kommentar zu besonders wichtigen Passagen. Beide Ausgaben seien nachdrücklich empfohlen. Die zweisprachige Ausgabe von García-Martínez und Tigchelaar war die erste Gesamtausgabe fast aller Texte und enthält viele unabhängige Lesarten. Allerdings stimmen hebräischer Text und Übersetzung nicht immer überein. Eine völlig neue mehrfarbige Textedition in Modernhebräisch hat Elisha Qimron begonnen, von der bisher (nebst zweier hervorragender Einleitungsbände) der erste Band zu den wichtigsten hebräischen Texten erschienen ist. Mit der Verwendung von mehreren Farben gelingt es Qimron auf höchst intelligente Weise, variierende Lesarten aus parallelen Handschriften anzuzeigen. Es gibt keine Übersetzung, aber Qimron ist ein hervorragender Linguist und Paläograph und hat viele neue Vorschläge für Lesarten, gute Einführungen und knappe Anmerkungen. Die bei Mohr Siebeck erscheinende bislang siebenbändige Reihe Princeton Theological Seminary Dead Sea Scrolls Project enthält informative Einführungen, Edition und Übersetzung sowie kurze Anmerkungen zu ausgewählten Textgruppen und einige textliche Verbesserungen. Tov und Parry haben in ihrem sechsbändigen Dead Sea Scrolls Reader die DJD-Texte der nicht-biblischen Rollen mit ihren Übersetzungen veröffentlicht und nach Genres geordnet. Ein Team um Katell Berthelot, Michael Langlois und Thierry Legrand gibt eine französische zweisprachige Ausgabe heraus, La Bibliothèque de Qumrân. Sie zeichnet sich durch ein völlig anderes Anordnungsprinzip nach der Nähe jeder Schriftrolle zu einem biblischen Buch aus. So enthält der erste Band zu Genesis auch die Henochhandschriften (vgl. Gen. 6) und der zweite Band zu Exodus bis Numeri auch die Handschriften des Jubiläenbuchs. Anders als alle anderen zweisprachigen Ausgaben enthält diese Ausgabe auch die Bibelhandschriften, die im Vergleich zum Masoretischen Text besonders unterschiedlich sind. Die Textedition gleicht meistens der Dead Sea Scrolls Electronic Library (DSSEL). Praktisch sind die kurzen Einleitungen und Anmerkungen. Die wichtigsten Spezialzeitschriften sind die 1958 gegründete Revue de Qumrân, und dann viel später Dead Sea Discoveries (1994ff), – in Ivrit – Meghillot (2003ff) sowie Qumran Chronicle (1990ff). Zu vielen Einzeltexten gibt es hervorragende Kommentare und Spezialuntersuchungen. Sie sind einfach über die gedruckten und elektronischen Bibliographien (Orion Center und RAMBI) zu

3.5  Editionen und Hilfsmittel    63

finden. Bis auf die seltene Konkordanz der Scrollery, die für das Studium der (oft unveröffentlichten) Lesungen der ersten Editoren wichtig sein kann, die im Gegensatz zu ihren „Erben“ nicht prinzipiell mit Fotos, sondern mit Originalfragmenten gearbeitet haben, sind die Konkordanzen durch die elektronischen Datenbanken für die tägliche Arbeit überholt. Für die sprachliche Auseinandersetzung mit den Qumrantexten gibt es inzwischen einige Hilfsmittel. Bis zur Veröffentlichung des großen Göttinger Qumranwörterbuchs gibt es das achtbändige von David Clines herausgegebene Dictionary of Classical Hebrew (in der Accordance Datenbank auch als elektronisches Modul) und das Bonner Theologische Wörterbuch zu den Qumrantexten, herausgegeben von Heinz-Josef Fabry und Ulrich Dahmen, das für Worte ab einer gewissen Häufigkeit hilfreiche ausführliche Analysen enthält (bislang sind zwei Bände bis einschließlich Samekh erschienen). Die Zielrichtung ist eine andere als diejenige eines rein philologischen Lexikons. Für die hebräische Grammatik ist weiterhin Elisha Qimrons The Hebrew of the Dead Sea Scrolls das maßgebliche Werk. Für das Qumran-Aramäische gibt es auf Englisch die ausführliche Grammatik von Takamitsu Muraoka, auf Deutsch das bahnbrechende zweibändige Werk von Klaus Beyer mit allen aramäischen Texten, Grammatik und Wörterbuch sowie auf Französisch die Grammatik von Ursula Schattner-Rieser. Zuletzt sind vier Nachschlagewerke für die Qumranforschung besonders zu erwähnen, da sie zu den meisten Themen kurz die zentralen Informationen und den jeweiligen Forschungsstand zusammenfassen: Brooke, George/Hempel, Charlotte (Hgg.), T&T Clark Companion to the Dead Sea Scrolls, Sheffield, voraussichtlich 2016. Collins, John/Harlow, Daniel (Hgg.), Eerdmans Dictionary of Early Judaism, Grand Rapids 2010. Lim, Timothy/Collins, John (Hgg.), Oxford Handbook of the Dead Sea Scrolls, Oxford 2010. Schiffman, Lawrence/VanderKam, James (Hgg.), Encyclopedia of the Dead Sea Scrolls, Oxford 2000.

Qumranwörterbuch Dictionary of Classical Hebrew Theologisches Wörterbuch zu den Qumrantexten

Nachschlagewerke

3.5  Editionen und Hilfsmittel    65

4 Kurze Geschichte Judäas in hellenistisch-römischer Zeit

Baumgarten, Albert, The Flourishing of Jewish Sects in the Maccabean Era, Leiden 1997. Bloch, René, Jüdischer Hellenismus, Tübingen voraussichtlich 2017. Cohen, Shaye, Judaism from the Maccabees to the Mishnah, Philadelphia ²2006. Davies, William D./Finkelstein, Louis, The Cambridge History of Judaism. Vol. 2: The Hellenistic Age, Cambridge 1984. Eshel, Hanan, The Dead Sea Scrolls and the Hasmonean State, Grand Rapids 2008. Grabbe, Lester, A History of Jews and Judaism in the Second Temple Period. Volume 2: The Coming of the Greeks. The Early Hellenistic Period (335 – 175 BCE), London 2008. Grabbe, Lester, Judaism from Cyrus to Hadrian, 2 Bde, 1992. Hengel, Martin, Judentum und Hellenismus, Tübingen ³1988. Horbury, William/Davies, William D./Sturdy, John (Hgg.), The Cambridge History of Judaism. Vol. 3: The Early Roman Period, Cambridge 1999. Regev, Eyal, The Hasmoneans. Ideology, Archaeology, Identity. Göttingen 2013. Sartre, Maurice, D’Alexandre à Zénobie: Histoire du Levant antique, IVè siècle av. J.-C.–IIIè siècle ap. J.-C., Paris 2001. Schwartz, Daniel, 2 Maccabees, Berlin 2008. Schwartz, Daniel, Judeans, Jews, and their neighbors. Jewish identity in the Second Temple Period. In: Albertz, Rainer/Wöhrle, Jakob (Hgg.), Between Cooperation and Hostility, Göttingen 2013, 13 – 31. Schwartz, Seth, Imperialism and Jewish Society. 200 B. C. E. to 640 C.E., Princeton 2001. Stegemann, Hartmut, Die Entstehung der Qumrangemeinde, Bonn 1971. Tcherikover, Victor, Hellenistic Civilization and the Jews, New York 1959. VanderKam, James, From Joshua to Caiaphas. High Priests after the Exile, Minneapolis 2004. Vermes, Géza/Millar, Fergus/ Goodman, Martin (Hgg.), E. Schürer, The History of the Jewish People in the Age of Jesus Christ (175 B. C.–A. D. 135), new English edition, Edinburgh 1973 – 1987.

Im folgenden kurzen Abriss der Geschichte Judäas vom dritten Jahrhundert vor bis zum zweiten Jahrhundert nach Christus werden wir uns auf Personen und Ereignisse konzentrieren, deren mögliche Erwähnung in den Qumranrollen in der Forschung diskutiert wird (s. u. Geschichte). Auch wenn einige der biblischen und die ältesten nicht-biblischen Qumrantexte (nicht -rollen!) noch aus der Zeit des Ersten Tempels, aus dem Exil oder aus der Perserzeit stammen, beginnt doch die für die Qumranrollen relevante Periode erst mit

66    4  Kurze Geschichte Judäas in hellenistisch-römischer Zeit der hellenistischen Epoche. Die Eroberung des persischen Imperiums durch Alexander den Großen bringt nicht nur eine politische, sondern auch eine kulturelle Revolution mit sich. Zwar lässt sich schon vorher griechischer Einfluss festmachen (z. B. im Handel), doch führt erst die Gründung griechisch-sprachiger Stadtkolonien, welche unter griechischem Bürgerrecht organisiert sind, und die Ansiedlung griechisch-sprachiger Familien im vorher primär aramäisch- und hebräisch-sprachigen Judäa, Samaria, Galiläa, Ägypten, Transjordanien und Syrien zu fundamentalen Umwälzungen. Alexanders Großreich zerfällt mit seinem Tode 323 v. Chr. und wird unter seinen Generälen, den Diadochen, aufgeteilt, die zwar mit griechischer Kultur und Siedlungspolitik fortfahren, aber auch sogleich damit beginnen, um Pfründen und ihre Vormachtstellung zu kämpfen. Judäa liegt als Pufferstaat zwischen zwei Großmächten, dem ptolemäischen Ägypten und dem seleukidischen Syrien. Zunächst gerät Judäa unter die Herrschaft der in Ägypten regierenPtolemäer den (griechischen) Dynastie der Ptolemäer. Die Verbindungen von Judäa und Ägypten sind noch enger als zuvor. Die Stadt Alexandrien wird schließlich zur größten Stadt des Mittelmeerraums und hat bald mehr jüdische Einwohner als die bevölkerungsreichsten Städte Judäas. Anfang des dritten Jahrhunderts wird hier damit begonnen, die Tora aus dem Hebräischen ins Griechische zu übersetzen (s. u. S. 177), in den darauffolgenden Jahrhunderten auch die anderen Bücher. Als einzige umfangreiche historische Quelle für Juden und Judäer dieser Zeit gilt Josephus. Da Josephus jedoch wesentlich weniger über das dritte Jahrhundert berichtet als über das zweite, sind unsere Kenntnisse über die ptolemäische Zeit sehr lückenhaft. Man sollte sich also nicht von der Quellenlage irreführen lassen – es ist durchaus möglich, dass im dritten Jahrhundert v. Chr. ebenso bedeutende Ereignisse für die jüdische Geschichte geschehen sind wie im zweiten. Festhalten lässt sich, dass in Judäa der Hohepriester weiterhin der wichtigste Würdenträger ist. Immer wieder befehden sich die Ptolemäer mit den in AntioSeleukiden chien über Syrien herrschenden griechisch-sprachigen Seleukiden um das Grenzgebiet Judäa. In der Schlacht von Panium 200 v. Chr. gelingt es dem seleukidischen König Antiochos III. dem Großen (241 – 187 v. Chr.) endgültig, Judäa, Samaria und Galiläa zu erobern. Die Eliten in Jerusalem müssen ihre Allianzen umbauen und sich nach Norden statt nach Süden orientieren. In seiner Regierungszeit beginnen die Römer sich für den Orient zunächst diplomatisch, dann auch militärisch zu interessieren und schließlich neben den seit Urzeiten die Geschicke der Pufferzone Kanaan bestimmenden Reichen Mesopotamien, Ägypten und Syrien als vierte Großmacht zu fungieren.

Alexander der Große

4  Kurze Geschichte Judäas in hellenistisch-römischer Zeit    67

175 v. Chr. putscht sich Antiochos IV. Epiphanes in Syrien an die Macht und greift stärker in die judäische Politik ein. Eine jüdische Partei, die hellenistische Reformen in Jerusalem vorantreibt, wird von ihm unterstützt. Er setzt den amtierenden Hohepriester Onias III. ab und ernennt zunächst Jason (174 – 171?), dann Menelaos (171 – 162) und schließlich Alkimos (162 – 159), drei stärker hellenisierende Hohepriester. Die beiden letzteren gehörten nicht einmal zur einzig legitimen Priesterfamilie, den Zadokiten. Auch der Wille, den weiter bestehenden ptolemäischen Einfluss zu begrenzen, wird eine Rolle gespielt haben. Als im Frühjahr 168 Antiochos bei seinem Vorhaben, Ägypten zu erobern, scheitert, versuchen der inzwischen abgesetzte Jason und eine unbenannte andere jüdische Gruppe simultan, die Macht in Jerusalem an sich zu reißen (Tcherikover; D. Schwartz, 254f zu 2. Makk 5,7). Auf seinem Rückzug aus Ägypten durchquert Antiochos Judäa, läßt den Aufstand blutig niederschlagen und raubt den Tempelschatz (2. Makk. 5,11 – 23; Josephus, Ant. Iud. 12,246f). Das Land kommt nicht zur Ruhe, und ein Jahr später verbietet Antiochos sogar die Ausübung des jüdischen Kultus (Schabbat und Beschneidung) und entweiht den Jerusalemer Tempel (1. Makk. 1,41 – 67; 2. Makk. 6,1 – 9; Diodoros 34 – 35,1.3 – 4, etc.). Da flammt der Aufstand erst richtig auf. Der Anführer des Aufstandes, Judas „Makkabäus“ aus der Priesterfamilie Jehojariv (1. Chr. 24,7) schafft es, sich gegen die seleukidischen Truppen zu behaupten, erobert nach drei Jahren Jerusalem (mit Ausnahme der Stadtfestung Akra), reinigt den Tempel und weiht ihn am 25. Kislev 164 v. Chr. wieder ein. Dieses Ereignis wird von Juden heute noch am Chanukkafest gefeiert. Spätere seleukidische Versuche, wieder Herr der Situation in Judäa zu werden, scheitern immer wieder am hartnäckigen Widerstand judäischer Gruppen unter und um Judas, aber auch an innersyrischen Machtkämpfen zwischen zwei Familienteilen, deren jeweilige Vertreter die Herrschaft beanspruchen. Als Judas 160 v. Chr. in einer Schlacht fällt, folgt ihm sein Bruder Jonathan. Er schafft es, sich so mit den seleukidischen Herrschern und ihren jeweiligen Gegenherrschern zu arrangieren, dass sie ihn 152 v. Chr. zum Hohepriester, später auch zum General und Gouverneur (2. Makk 10) ernennen. Es ist nicht klar, ob es in den sieben Jahren zwischen dem Tod des Alkimos und Jonathans Ernennung (159 – 152) („intersacerdotium“) (Ant. Iud. 20,237) einen Hohepriester gab. Nach einer Theorie soll der in einigen Qumrantexten als Gründerfigur genannte „Lehrer der Gerechtigkeit“ in diesen Jahren das Hohepriesteramt ausgeübt haben, bis er von Jonathan zur Seite gedrängt wurde (Stegemann). Diese Theorie hat nach der Veröffentlichung von 4QMMT ein wenig an Unterstützung ver-

Antiochos IV. Epiphanes

Judas „Makkabäus“

Jonathan

„intersacerdotium“

68    4  Kurze Geschichte Judäas in hellenistisch-römischer Zeit

Simon

Johannes Hyrkanos I.

Aristobulos I.

Alexander Jannai

loren. 4QMMT, das von vielen als Dokument aus der Anfangszeit angesehen wird, scheint positive Beziehungen zwischen Jachad und den Jerusalemer Machthabern vorauszusetzen und erwähnt halakhische Probleme, nicht dynastische Streitigkeiten als Hauptpunkte der Auseinandersetzung (s. u. S. 390 f). Für Jonathans Regierungszeit erwähnt Josephus das erste Mal die Parteien der Pharisäer, Sadduzäer und Essener (Ant. Iud. 13,171 – 173). Erstere werden als so einflussreich beschrieben, dass sie schon früher entstanden sein müssen. Als Jonathan im Jahre 143 v. Chr. durch Hinterlist gefangen genommen und umgebracht wird (2. Makk 12 – 13), wird sein älterer Bruder Simon der nächste Hohepriester und Anführer (Ant. Iud. 13,201). Auch dieser schlägt aus den Dynastiestreitigkeiten in Syrien Kapital, indem es ihm gelingt, nicht nur sein Hohepriesteramt vom Seleukiden Demetrios bestätigt zu bekommen, sondern auch Judäa von der Steuerpflicht zu lösen, eigenes Münzrecht zu erhalten und die Akra in Jerusalem zu erobern, so dass Judäa quasi unabhängig wird (1. Makk. 13 – 15). Simon ist der wahre Begründer der hasmonäischen Dynastie. 134 v. Chr. wird Simon bei einem Bankett durch seinen Schwiegersohn Ptolemäos hinterlistig getötet. Ihm folgt sein Sohn Johannes Hyrkanos I. (hebr. jochanan horqanos), der Judäa 30 Jahre lang als Hohepriester beherrschen sollte. Er nutzt die innersyrischen Fehden, um gegen Ende seiner Herrschaft sein Reich durch Kriege nach Norden (Samaria und Skythopolis = Bet Shean), Osten (Madaba) und Süden (Idumäa) zu erweitern. Die unbeschnittenen Bewohner werden zwangsjudaisiert (Ant. Iud. 13,255 – 258). Im Laufe seiner Herrschaft ist Johannes Hyrkanos I. erst mit den Pharisäern, dann mit den Sadduzäern alliiert. Anlass für diesen Umschwung soll angeblich gewesen sein, dass ein Pharisäer ihn aufforderte, vom Hohepriesteramt zurückzutreten. Das Hohepriesteramt sei mit politischer Herrschaft unvereinbar und seine Mutter sei Kriegsgefangene gewesen (Ant. Iud. 13,288 – 298; mMSh 5,15; vgl. bQid 66a). Johannes Hyrkanos’ Sohn Aristobulos  I. (104 – 103  v.  Chr.), der erste Hasmonäer, der sich König nennt, erobert Galiläa und Gebiete der Ituräer im Libanon, stirbt aber schon nach sehr kurzer Zeit an einer schmerzhaften Krankheit. Sein Sohn Alexander Jannai (hebr. Name Jonathan; 103 – 76 v. Chr.) herrscht danach für 27 Jahre als König und Hohepriester. Auch Jannai erweitert das Territorium durch Eroberungszüge gegen freie Städte im Kernland (z. B. Ptolemais = Akko; Gaza), im Ostjordanland und im Golan (Gadara, Pella, Gerasa) und macht die Moabiter und Gileaditer im Ostjordanland tributpflichtig. Im Jahre 88 kreuzigte er 800 Pharisäer

4  Kurze Geschichte Judäas in hellenistisch-römischer Zeit    69

(Ant. Iud. 13,380). Übertriebener Alkoholgenuss scheint zu seinem Tod beigetragen zu haben. Nun wird seine Frau Salome Alexandra (hebr. Schlomzion Hamalka, 76 – 67 v. Chr.) Königin. Sie lässt einen Sohn Johannes Hyrkanos (II) zum Hohepriester ernennen und alliiert sich wieder mit den Pharisäern. Währenddessen wird das seleukidische Syrien erst von den aufstrebenden Armeniern, dann von Rom erobert und als unabhängiger Machtfaktor völlig ausgeschaltet. So hat das hasmonäische Reich eine relativ ruhige Blütephase. Nach Salomes Tod beenden Erbfolgestreitigkeiten zwischen ihren beiden Söhnen, dem Hohepriester Johannes Hyrkanos II. und Aristobulos II., die Erfolgsgeschichte der hasmonäischen Dynastie. Profiteure sind dritte: die aufstrebende Familie des idumäischen Gouverneurs Antipater, dem Vater von Herodes dem Großen, und die Römer unter ihrem Feldherrn Pompejus (106 – 48  v.  Chr.), die mit wechselnden Allianzen die beiden Brüder immer weiter schwächen, bis Pompejus im Jahre 63 v. Chr. nach Syrien auch das hasmonäische Königreich und Jerusalem fast kampflos erobert. Einzige Ausnahme ist der Tempelberg, der erst nach dreimonatiger Belagerung genommen wird; gefolgt von Pompejus’ legendärer Besichtigung des sonst nur dem Hohepriester am Jom Kippur reservierten Allerheiligsten. Die großen reichen hellenistischen Städte werden direkt dem Gouverneur von Syrien unterstellt. Hyrkanos II. erhält als römischer Vasall nur das Hohepriesteramt zurück. Die kurze Zeit der judäischen Unabhängigkeit, nicht einmal ein Jahrhundert, ist vorbei. Unruhen und Bruderkriege innerhalb der hasmonäischen Familie gehen noch etwas weiter. 54 v. Chr. plündert Crassus, der Prokonsul für Syrien, den Jerusalemer Tempelschatz. 53 – 51 v. Chr. wird ein Aufstand unter einem gewissen Pitholaus niedergeschlagen. Dann erobern die Parther, die seit dem Zusammenbruch der Seleukiden das große mit Rom rivalisierende Reich im heutigen Irak-Iran beherrschen, im Jahre 40 v. Chr. für eine kurze Zeit Syrien, Judäa und das Küstenland. Mit ihnen verbündet sich Antigonos, der Sohn von Aristobulos II. Er lässt Hyrkanos gefangen nehmen und ihm die Ohren abschneiden, um ihn für das Hohepriesteramt untauglich zu machen. Die Parther ernennen Antigonos (hebr. Matitjahu) zum König und Hohepriester, während in der gleichen Zeit Herodes, der Sohn eines idumäischen Administrators in Judäa, im Senat zum (Gegen-)König ausgerufen wird. Mit römischer Hilfe schafft es Herodes 37 v. Chr., Antigonos zu bezwingen und umzubringen. Die herodianische Periode beginnt. Herodes (ca. 74 – 4 v. Chr.) herrscht mit Unterstützung der Römer und dank einer gnadenlosen Ausmerzung potentieller Kon-

Salome Alexandra

Johannes Hyrkanos II. und Aristobulos II. Pompejus 63 v. Chr.

Parther

37 v. Chr. Herodes 4 v. Chr.

70    4  Kurze Geschichte Judäas in hellenistisch-römischer Zeit kurrenten innerhalb seiner Familie über 30 Jahre lang. Es gelingt ihm, mit Rom bei allen Machtwechseln alliiert zu bleiben. Relativ zu Beginn seiner Regierung findet 31 v. Chr. ein Erdbeben statt, das auch in Qumran wichtige Spuren hinterlässt. Seine Regierungszeit zeichnet sich durch eine ausgiebige Baupolitik aus. Nicht nur der Jerusalemer Tempel, sondern viele Festungen (Herodium, Hyrkania, Masada) und ganze Städte werden stark ausgebaut, neubefestigt (Jerusalem, Samaria) oder überhaupt erst gegründet (Cäsarea Maritima). Einerseits schafft er es im Gegensatz zu Alexander Jannai, selbst bei so schwierigen halakhischen Angelegenheiten wie dem Tempelumbau und trotz seiner wegen der idumäisch-nabatäischen Ahnen umstrittenen jüdischen Identität, direkten Konfrontationen mit jüdischen Religionsparteien aus dem Weg zu gehen. Andererseits ist er ein starker Verfechter römischer und hellenistischer Kultur und Politik. Nach Herodes’ Tod gab es zunächst eine kurze Phase großer Unruhen in Jerusalem, Galiläa und Peräa, deren Rom nur mit der eisernen Hand von Publius Quintilius Varus, damals Gouverneur Syriens, Herr wird. (Dies ist der gleiche Varus, der später in der sogenannten Hermannsschlacht in Germanien mit seinen drei Legionen vernichtend geschlagen werden sollte). Dann wird das Land Tetrarchen zwischen Herodes’ drei Söhnen als Tetrarchen aufgeteilt. (Herodes) Archelaos (28 v. Chr. – 18 n. Chr.) erhält Judäa, Samaria und Idumäa, also das Kernland; (Herodes) Antipas (geb. vor 20 v. Chr. – gest. nach 39 n. Chr.) bekommt Galiläa und Peräa, während Philippos nur Iturien, den Golan und die Trachonitis erlangt, ein Gebiet, das in etwa dem Golan, Südsyrien und Nordjordanien entspricht. Dazwischen liegen die unabhängigen Städte der Dekapolis. Keiner trägt den Titel König. Wer in Jerusalem herrscht, bestimmt den Hohepriester. Doch schon im Jahre 6 n. Chr. wird Archelaos abgesetzt und nach Gallien verbannt. Seine Ländereien werden zur römischen Provinz Judäa Präfekt mit einem Präfekten in Cäsarea Maritima an der Spitze (darunter Pontius Pilatus 26 – 36 n. Chr.). Herodes Antipas – der Herodes der lukanischen Passionsgeschichte in den Evangelien, der auch Johannes den Täufer hinrichten ließ – baut die Hauptstadt Galiläas, Sepphoris (hebr. Zippori) stark aus und gründet Tiberias am See Genezareth zu Ehren des Kaisers Tiberius. Auch er endet – bei Caligula in Ungnade gefallen – im gallischen Exil. Einzig Philippos bleibt bis zu seinem Tode im Jahr 34 an der Macht. Mit der direkten Fremdherrschaft durch Präfekte sind die verschiedenen Religionsparteien und -zirkel gezwungen, sich mit vorgesetzten Nichtjuden auseinanderzusetzen, die sogar den wichtigsten religiösen Funktionär, den Hohepriester, ernennen dürfen.

4  Kurze Geschichte Judäas in hellenistisch-römischer Zeit    71

Auch ein anderes wichtiges religiöses Vorrecht, die Aufbewahrung der Kleider des Hohepriesters, ist dreißig Jahre lang (6 – 36) in römischer Hand. Mit der Machtergreifung von Caligula im Jahre 37 beerbt (Herodes) Agrippa I (10 v. Chr. – 44 n. Chr.), ein Enkel Herodes’ des Großen, den Tetrarchen Philippos, erhält die Gebiete des Antipas und die bisherige Präfektur und darf den Königstitel tragen (Ant. Iud. 18,143 – 19,359). Im Winter 39 – 40 kommt es beinahe zu einer Katastrophe. Auf die Zerstörung eines Kaiseraltars in Jamnia durch Juden reagiert der Kaiser Caligula mit dem Befehl, seine Statue im Jerusalemer Tempel aufzustellen. Nur durch die kluge Verzögerungstaktik des syrischen Gouverneurs Petronius, der die Brisanz des Befehls versteht, und durch die Ermordung des Kaisers in Rom wird in Judäa ein Aufstand vermieden. Sein Nachfolger Claudius schließt auch Judäa und Samaria in Agrippas Königreich ein. Da Agrippa kurz zuvor schon die Ländereien des in Ungnade gefallenen Antipas geerbt hat, ist das Reich Herodes’ des Großen fast wieder hergestellt. Die Pharisäer stehen seiner Regierung nahe und er wird als äußerst observant beschrieben. Doch währt dies nur drei Jahre. Mit Agrippas plötzlichem Tod im Jahre 44 (Apg. 12,18 – 23) macht Kaiser Claudius das gesamte Gebiet zu einer römischen Provinz unter Prokuratoren, die wenig Feingefühl für die Besonderheiten jüdischer Identität, stattdessen aber Tendenzen zur Selbstbereicherung an den Tag legen. Immer wieder versetzen nun messianische und sozialrevolutionäre Bewegungen und kriminelle Banden das Land in Unruhe: Theudas (Ant. Iud. 20,97 – 99; Apg. 5,36), Jakobus und Simon (Ant. Iud. 20,102; Apg. 5,37), der „ägyptische“ Prophet (BJ 2,261 – 263; Ant. Iud. 20,169 – 172; Apg. 21,38), Zeloten und sicarii („Dolchträger“ von lat. sica „Dolch“). Josephus beschreibt den Zustand als stetig zunehmende Anarchie. Im Jahre 66 setzen sich antirömische Kräfte zunächst im Tempel durch, dann in Jerusalem und schließlich in ganz Judäa und Galiläa, und der größte Aufstand im römischen Imperium nimmt seinen tragischen Lauf. Galiläa fällt schon 67 in die Hände des römischen Oberbefehlshabers Vespasian, Peräa nur wenig später. Einige Städte, wie Sepphoris und Tiberias, öffnen dabei ihre Tore und bleiben verschont. Der spätere Historiker Josephus (gest. um 100 n. Chr.), zunächst General der Aufständischen in Galiläa, wird von den Römern gefangen genommen. Seiner Autorentätigkeit in den nächsten Jahrzehnten haben wir die großen Hauptquellen für diese Zeit zu verdanken (s. u., S. 75–85). Im Juni 68 erreichen Vespasians Truppen Jericho und somit auch Qumran (BJ 4,450 – 451). Im darauffolgenden Jahr wird Vespasian

Agrippa I

messianische und sozialrevolutionäre Bewegungen und kriminelle Banden

72    4  Kurze Geschichte Judäas in hellenistisch-römischer Zeit

Tempel­zerstörung (Sommer 70 n. Chr.)

Diasporaaufstand 115 – 117

zweiter jüdischer Aufstand in Judäa (132 – 135) Bar Kosba

zum Kaiser ausgerufen. Ihm folgt als neuer Oberbefehlshaber sein Sohn Titus, der im Sommer 70 nach langer Belagerung Jerusalem erobert und den Tempel zerstört. Letzte Bastionen, die Festungen Herodium und Machaerus, halten die Aufständischen noch länger, Masada gar bis 73/74. Mit der Zerstörung des Tempels verliert das antike Judentum sein geographisches, architektonisches, kulturelles und kultisches Zentrum. Gleichzeitig gewinnt es an Manövrierfähigkeit, da Extremisten nicht mehr einfach die Kontrolle dieses Zentrums an sich reißen können. Schon in den letzten beiden Jahrhunderten zuvor hatten Synagogenliturgie und Torastudium begonnen, für einige Juden neue Identifikationspunkte zu werden. Nolens volens galt dies nun für alle. Zwei weitere jüdische Aufstände datieren ins zweite Jahrhundert n. Chr. Zwischen 115 und 117 erheben sich aus unbekannten Gründen Juden der ägyptischen, libyschen und zypriotischen Diaspora gegen Kaiser Trajan. Ihre Vernichtung bedeutet einen schweren Schlag für das hellenistische Judentum vor allem in Alexandrien, dem New York der Antike, aber lange nicht sein Ende. Vor allem in Griechenland und in Kleinasien haben Griechisch sprechende Gemeinden weiter existiert, ihre Texte sind aber leider nicht weiter überliefert worden. Nur fünfzehn Jahre später revoltieren wieder Juden in Judäa, vielleicht weil Hadrian die Beschneidung verboten hat oder weil er auf den Ruinen Jerusalems eine neue heidnische Stadt namens Aelia Capitolina zu errichten befohlen hat. Der Anführer dieses zweiten jüdischen Aufstandes in Judäa (132 – 135) ist ein gewisser Bar Kosba (oft Bar Kochba genannt). Er lässt sich zum eschatologischen Prinzen ausrufen und erobert, was von Jerusalem noch steht. Ein zweiter Historiker wie Josephus fehlt uns für diese Zeit, doch scheint der Aufstand auf entsetzlich blutige Weise niedergeschlagen worden zu sein. Jerusalem zu betreten, wird Juden verboten. Widerstandsnester in Wüstenhöhlen werden ausgehungert. Einige von diesen Fluchthöhlen werden in den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts etwa zur gleichen Zeit wie Qumran entdeckt und ausgegraben; sie enthalten Briefe von Bar Kosba. Jüdisches Kernland wird nun Galiläa, wo im zweiten und dritten Jahrhundert die Tannaiten beginnen, die mündlichen Werke der rabbinischen Literatur zu redigieren und eine völlig neue Periode der jüdischen Geschichte einläuten.

3.5  Editionen und Hilfsmittel    73

5 Religiöse Bewegungen in Judäa

S. auch Literatur in Kapiteln 6 – 9 (vor allem Taylor, Elior) Adam, Alfred, Antike Berichte über die Essener, Berlin ²1972. Baumgarten, Albert, The Flourishing of Jewish Sects in the Maccabean Era, Leiden 1997. Beall, Todd, Josephus’ Description of the Essenes Illustrated by the Dead Sea Scrolls, Cambridge 2004. Bergmeier, Roland, Die Essener-Berichte des Flavius Josephus, Kampen 1993. Cohen, Shaye, „The Significance of Yavneh. Pharisees, Rabbis, and the End of Jewish Sectarianism“, Hebrew Union College Annual 55 (1984) 27 – 53. Fraade, Steven „Qumran Yahad and Rabbinic Haburah. A Comparison Reconsidered“, Dead Sea Discoveries 16 (2009) 433 – 453. Goodman, Martin, Judaism in the Roman World, Leiden 2007. Kampen, John, The Hasideans and the Origins of Pharisaism, Atlanta 1988. Porton, Gary, Diversity in postbiblical Judaism, In: Kraft, Robert/Nickelsburg, George (Hgg.), Early Judaism and Its Modern Interpreters, Atlanta 1986, 57 – 80. Rabin, Chaim, Qumran Studies, Oxford 1957. Regev, Eyal, Sectarianism in Qumran: A Cross-Cultural Perspective, Berlin 2007. Saldarini, Anthony, Pharisees, Scribes and Sadducees in Palestinian Society, Grand Rapids 1988. Schwartz, Daniel, 2 Maccabees, Berlin 2008. Schiffman, Lawrence, Reclaiming the Dead Sea Scrolls, New York 1994. Stemberger, Günter, Pharisäer, Sadduzäer, Essener, Stuttgart 1991. Stone, Michael, Ancient Judaism. New Visions and Views, Grand Rapids 2011. Sussman, Yaakov, „The History of Halakah and the Dead Sea Scrolls – a Preliminary to the Publication of 4QMMT“, Tarbitz 59 (1990) 11 – 76 (hebr.).

Nach dem kurzen Geschichtsabriss im vorigen Kapitel, der nur einen ganz groben Überblick über eine Auswahl politischer Ereignisse und Herrschaftsverhältnisse darstellen kann, wenden wir uns nun den erwähnten religiösen Bewegungen zu. Insbesonders werden wir die Möglichkeiten diskutieren, einer Gruppe die eine oder andere Schriftrolle zuzuordnen. Mindestens drei grund- grundsätzliche sätzliche methodologische Bemerkungen müssen dabei voraus- methodologische geschickt werden. Erstens erlaubt uns die Quellenlage nur eine Bemerkungen sehr schemenhafte Einsicht in die Religionssoziologie jener Zeit. Zweitens ist auch das Wenige, das berichtet wird, chronologisch

74    5  Religiöse Bewegungen in Judäa sehr ungleichmäßig verteilt. Drittens stehen wir vor der üblichen historischen Crux, bei Detailunterschieden nicht immer zu wissen, ob zwei ähnlich titulierte Gruppen identisch sind. Dann darf man keinesfalls schließen, dass jeder einzelne Jude immer zwangsläufig genau einer Richtung angehörte. Die große Mehrheit wird, wie heutzutage auch, nicht formell Mitglied einer Gruppe gewesen sein. Sicher haben die Gruppen im Laufe ihrer Geschichte ihre Ansichten, Regeln und Strukturen auch verändert und es gab lokale Unterschiede. Schließlich ist es ein Trugschluss pauschal vorauszusetzen, die genannten Gruppierungen definierten sich auf analogen Ebenen. Sekte, Partei, Schule, Gruppe, Bewegung, Strömung, Verein sind völlig unterschiedliche Organisationsformen (s. u. Kapitel 14). Bis zur Entdeckung Qumrans dienten fünf Textkorpora als Hauptquellen Hauptquellen für die Religionssoziologie Judaäs: Josephus, die Pseudepigraphen, das Neue Testament, Philon und die frühe rabbinische Literatur, die in der Folge kurz vorgestellt werden. Basis Josephus war unweigerlich Josephus, Jerusalemer Priester hasmonäischer Abstammung (gest. um 100 n. Chr. in Rom), mit seinen zwei großen und zwei kürzeren Werken: den sieben Büchern des Jüdischen Kriegs (BJ = de bello Judaico, geschrieben ca. 75 – 79) und den zwanzig Büchern der Jüdischen Altertümer (Ant. Iud. = Antiquitates Iudaicae, verfasst vor 94 n. Chr.), der für Qumran wichtigen Autobiographie (Vita, verfasst ca. 96, wohl als Appendix zu Ant. Iud.) und schließlich seiner Apologie gegen Apion (C. Ap.). Josephus hat klare apologetische Interessen und möchte nach dem jüdischen Krieg das Judentum in den Augen nichtjüdischer – und jüdischer – Leser rehabilitieren. Er teilt die jüdische Gesellschaft für seine griechischen Leser in drei („philosophische“) Parteien auf: Pharisäer, Sadduzäer und Essener (Ant. Iud. 3,171 – 173; BJ 2,119 – 166). An anderer Stelle fügt er eine vierte unbezeichnet gelassene Partei hinzu (Ant. Iud. 18,9 – 23). Doch können wir schon aus Josephus selbst lernen, dass die Zahl der Gruppen wesentlich größer war als drei oder vier (Porton), erwähnt er doch selbst schon die unterschiedlichsten eschatologischen Gruppierungen, Zeloten, Sikarier, aber auch Anhänger von Johannes dem Täufer oder Jesus. Andere Quellen kennen noch weitere Gruppennamen und eine (späte) rabbinische Quelle nennt eine erstaunlich hohe Zahl: „Rabbi Jochanan sagte: Die Israeliten wurden erst vertrieben, als 24 häretische Sekten entstanden waren“ (ySan 29c). Pseudepigraphen Es folgen die sogenannten Pseudepigraphen. Dieser moderne Begriff bezeichnet gewöhnlicherweise alle antiken jüdischen Schriften, die nicht der Hebräischen Bibel, der Septuaginta oder den anderen hier genannten Corpora zugerechnet werden können, also

5  Religiöse Bewegungen in Judäa    75

beispielsweise der Aristeasbrief, der 2. Henoch, die Baruchbücher oder die Testamente der Zwölf Patriarchen (auf deutsch gesammelt in der Reihe Jüdische Schriften aus Hellenistisch-Römischer Zeit = JSHRZ). Früher wurde oft versucht, jede dieser Schriften einer der bei Josephus genannten Gruppen zuzuordnen. Dies erwies sich aber als unmöglich. Andersherum kann man nicht einfach hinter jedem dieser Texte eine andere Gruppe rekonstruieren. Neben Josephus und den Pseudepigraphen ist das Neue Testament eine Hauptquelle. Seine unterschiedlichen Schriften erwähnen neben den Anhängern Jesu und Johannes des Täufers bekannterweise Pharisäer und Sadduzäer sowie Herodianer, Schriftgelehrte, aber keine Essener. Der meist polemische Kontext gibt nichts über die Herkunft und wenig über die soziale Verortung von Pharisäern und Sadduzäern her. Jesus und seine Gruppe steht den Pharisäern näher als den Sadduzäern. Vierte Quelle ist der jüdische Philosoph Philon von Alexandrien (in Ägypten), der als Zeitgenosse von Paulus von ca. 20 v. Chr. bis ca. 50 n. Chr. lebte und Abkömmling einer der etablierten Familien seiner Stadt und vielleicht wie Josephus auch ein Priester war. In seinen meist exegetischen oder philosophischen Schriften berichtet er nur ausnahmsweise über jüdische Gruppen in Ägypten (Therapeuten: Vit. Cont.; „extreme Allegoristen“: Migr. 89 – 94) und in Judäa (Essener: Prob. 75 – 91; Vit. Cont. 11), aber z. B. weder über die Pharisäer noch über die Sadduzäer. Die letzte Hauptquelle ist die frühe rabbinische Literatur der sogenannten tannaitischen Periode (von tanna = aram. „Repetitor“) bis zum dritten Jahrhundert. Zur tannaitischen Literatur gehören die beiden juristischen Korpora Mischna und Tosefta und die halakhischen Midraschim zu den Büchern Exodus, Levitikus, Numeri und Deuteronomium. Zur späten „amoräischen“ Phase gehören zwei große Kommentare zur Mischna, d. h. der palästinische und der babylonische Talmud, sowie eine große Gruppe eher erbaulich orientierter („aggadischer“) Midraschim. Im Gegensatz zu Josephus und zum Neuen Testament sind diese Quellen wesentlich später redigiert, lange nur mündlich überliefert und noch viel später schriftlich festgehalten worden. Einige besonders interessante Stellen sind textlich verderbt, da die jüdischen Autoren durch Selbstzensur christlichen Zensoren zuvorkommen wollten, die möglicherweise bestimmte Gruppenbezeichnungen auf Christen beziehen und radikalere Änderungen fordern konnten. So heißen viele Gruppen einfach nur minim. Viele Forscher setzen die rabbinischen Autoren mit den Pharisäern gleich (dazu s. u.). An einigen wenigen Stellen ist von Sadduzäern (tzeduqim) die Rede. Essener werden nicht erwähnt, aber eine bet boetus (vielleicht „Haus des

Neues Testament

Philon von Alexandrien

rabbinische Literatur

76    5  Religiöse Bewegungen in Judäa Boethus?“) genannte Gruppe. Schließlich sind die chaverim und die chasidim zu nennen. Jede dieser Quellen hat ihren eigenen Blickwinkel. Abgesehen von Josephus will keine Quelle eine Beschreibung „des“ Judentums geben, noch nennt sie alle drei Hauptgruppierungen. Philon erwähnt weder Pharisäer noch Sadduzäer, aber Essener (sowie die ägyptischen Gruppen der Therapeuten und der extremen Allegoristen). Das Neue Testament und die rabbinische Literatur kennen Sadduzäer und Pharisäer, aber keine Essener. Ersteres ist nur an den Gruppierungen interessiert, mit denen Jesus und seine Nachfolger nennenswerte Begegnungen hatten. Die Rabbinen haben an NichtRabbinischem nur dann Interesse, wenn daraus Halakha abgeleitet werden kann (Goodman). Chasidäer

Eine Chasidäer genannte Gruppe wird dreimal in erhaltenen antiken Quellen erwähnt (Kampen). Nachdem diese drei Stellen lange Zeit als Fundament für weitreichende Theorien zu den Wurzeln der Pharisäer oder der Essener gedient haben, ist man demgegenüber heute sehr vorsichtig geworden. Die Chasidäer werden griechisch als asidaioi bezeichnet, was von chasid, „fromm“ (aram. pl. chasidaija) abstammt. Zunächst erwähnt 1. Makk. 2,42 die Chasidäer im Kontext der Revolte gegen Antiochos IV. Sie seien eine besonders Tora-obsevante Gruppe, die sich – mit tragischem Resultat – weigert, am Schabbat zu den Waffen zu greifen. Allerdings ist diese Stelle textlich höchst unsicher. In der nächsten Stelle (1. Makk. 7,12 – 14) gelten sie als besonders friedliebend und kompromissbereit, werden aber hinterhältig vom Hohepriester Alkimos überlistet. Eine dritte Erwähnung wird in 2. Makk 14,6 dem Hohepriester Alkimos selbst in den Mund gelegt. Nach ihm soll Judas Makkabäus die streitbaren Chasidäer sogar anführen. Davon wissen wir aber sonst überhaupt nichts, und nach 1. Makk. 7,10f ist klar, dass Judas Makkabäus nicht zu ihnen gehört, (Schwartz 471). Diese widersprüchlichen Bruchstücke sind schon alles, was wir aus zeitnahen Quellen über sie hören. Einige Forscher halten die Chasidäer für einen Vorläufer der Pharisäer. Zur Begründung wird auf eine Passage in den Psalmen Salomos verwiesen, die normalerweise als pharisäisch angesehen werden. Sie erwähnt als positive Bezeichnung eine „Synagoge der Frommen“ (griech. hosioi, was hebr. chasidim entspricht; PsSal 17,16). Davon wird abgeleitet, dass sich die pharisäischen Autoren mit dieser Gruppe identifizieren. Andere sehen in den Chasidäern einen Vorläufer der Essener. Sie berufen sich dabei auf eine der vielen verschiedenen Etymologien für den Namen „Essener“ von aramäisch chasin („fromm“). Beides, Essener und Hasidäer, würde

5  Religiöse Bewegungen in Judäa    77

demnach „fromm“ bedeuten und daher die gleiche Gruppe bezeichnen. Fakt ist, dass wir fast nichts von den Hasidäern wissen und dass „fromm“ ein weit verbreitetes Eponym ist. Auch die rabbinische Literatur kennt chasidim (mAv 5,4.13; mBer 5,1; mSuk 5,4; mSot 9,15; mHag 2,17). Doch haben diese chasidim nichts mit den asidaioi der Makkabäerbücher zu tun. Vielmehr handelt es sich um einzelne besonders fromme Figuren. Auch ob sie mit den chasidim einiger Psalmen identisch sind, ist wegen der allgemeinen Bedeutung dieses Wortes ungewiss. (Und natürlich haben die Chasidäer der Makkabäerbücher und der rabbinischen Quellen nichts mit den Chasidim des Mittelalters oder der frühen Neuzeit und Gegenwart zu tun). Die jüngere Forschung lehnt daher in der Mehrzahl die Verbindungen zwischen den Chasidäern der makkabäischen Zeit und den Besitzern der in Qumran gefundenen Bibliothek als zu spekulativ ab. Drei beiläufige Erwähnungen sind zu wenig, um darauf ein Fundament zu bauen. Um Verwechslungen zu vermeiden, sollte die in den griechischen Quellen erwähnte Gruppe besser Chasidäer genannt werden. Die Essener werden am häufigsten mit den antiken Besitzern der Essener Qumranrollen identifiziert. Die griechischen Quellen nennen sie essaioi oder essēnoi. Verschiedene Etymologien versuchen diese (ungriechischen) Namen aus dem Semitischen herzuleiten: Schon genannt wurde aramäisch chasin, chasaiai, d. h. „die Frommen“ (vgl. oben Chasidäer). Philons Ableitung von hosiotes (Heiligkeit) wird als fehlverstandenes chasid oder chasin erklärt (Quod omnis 75). Vermes hat aramäisch asaiai, d. h. „die Heiler“ vorgeschlagen. Einige antike Quellen betonen tatsächlich die besonderen Heilkünste der Essener (BJ 2,136; Taylor). Eine verbreitete Ableitung ist von hebräisch asa, wörtlich „machen“, als Abkürzung von osei hatora „die die Tora (richtig) in die Tat umsetzen“ (1QpHab VII 11; 4Q171 1 – 2 ii 14 u. ö.). Letztlich kann die Frage in der gegenwärtigen Quellenlage nicht mit ausreichender Sicherheit geklärt werden. Die älteste griechische Quelle zu den Essenern ist der jüdische Philosoph Philon (Quod omnis probus liber sit 75 – 91, Hypothetica Philon apud Eusebios praeparatio evangelica 8,11,1 – 18, und De vita contemplativa, vgl. dazu auch unten zu den Therapeuten). Ca. 4000 Essäer (griech. essaioi) sollen in den Dörfern Judaäs (Hypothetica: auch in den Städten) ein beispielhaftes Leben in Heiligkeit, Wohnund Gütergemeinschaft ohne Sklaven und ohne Frauen leben. Sie arbeiten in Landwirtschaft und Handwerk, treiben keinen Handel und produzieren keine Waffen. Sie beachten besondere Reinheitsvorschriften, vermeiden Schwüre, bringen keine Tieropfer dar und

78    5  Religiöse Bewegungen in Judäa setzen viel Zeit für das Studium der Tora ein. In ihren Synagogen sitzen sie nach dem Alter geordnet. Diese stark idealisierende Beschreibung (Taylor) hat Philon wohl aus einer Quelle übernommen, die vielleicht auch von Josephus benutzt worden ist. Plinius der Ältere Der römische Gelehrte Plinius der Ältere (ca. 23 – 79 n. Chr.) beschreibt in seiner Naturgeschichte 77 n. Chr. die Landschaften der ihm bekannten Welt. Das fünfte Buch behandelt u. a. Ägypten, Syrien und dann auch Judäa, zunächst die Ortschaften um den See Genezareth, dann das Tote Meer. Hieran schließt sich folgende berühmte Passage an: Im Westen meiden die Essener das Ufer (des Toten Meeres), soweit es schädlich ist. Es handelt sich um ein Volk, das für sich alleine lebt und seltsamer ist als sonst irgendeines auf der ganzen Welt: ganz ohne Frauen, losgelöst von jedem Liebesgenuss, ohne Geld, in Gesellschaft von Palmen. Es erneuert sich jeden Tag gleichmäßig durch einen Haufen von Ankömmlingen. In großer Zahl kommen Lebensmüde, die das Schicksal mit seinen Schwankungen zu ihren Sitten führt. So existiert über unzählige Generationen – unglaublich! – ein ewiges Volk, in dem niemand zur Welt kommt. So fruchtbar ist für jene der Lebensüberdruss anderer! Unterhalb ihres Gebiets (infra hos: unterhalb von ihnen) lag die Stadt Engada, bezüglich Fruchtbarkeit und Palmenhainen nur von Jerusalem übertroffen, heute aber ebenfalls Schutt und Asche. Von da kommt man zur Felsenfestung Masada, auch nicht weit vom Asphaltsee. Und so weit reicht Judäa. (Plinius, Hist. nat. 5,73, Üb. René Bloch)

Mit dieser etwas umständlichen Formulierung verortet Plinius die Essener im Gegensatz zu den anderen Quellen in einer spezifischen Region Judäas, und zwar im Westen des Toten Meeres, genauer gesagt: im Nordwesten. Manch einer hat versucht zu behaupten, infra hos (unter ihnen) sei in der Hinsicht zu verstehen, dass die Essener physisch über Ein Gedi oben auf dem Felsen gewohnt hätten (besonders Hirschfeld, der dort auch Ausgrabungen durchgeführt hat). Der Sprachgebrauch von Plinius zeigt jedoch, dass die Präposition infra bei ihm normalerweise „stromabwärts“ heißt. Es ist diese Übersetzung, die hier angewendet werden muss, denn Plinius folgt in seiner Beschreibung erst dem Jordan flussabwärts und dann der Westküste des Toten Meeres bis Masada, dem südlichsten Ort Judäas. Plinius war nie selbst am Toten Meer und muss sein Wissen aus einer wohl mündlichen Quelle geschöpft haben. Seine Bezeichnung der Essener als „Volk“ oder „Stamm“ (gens) ohne explizite Verbindung mit dem Judentum zeugt nicht von tiefem Verständnis. Sicher existierten die Essener nicht seit tausenden von Jahrhunderten und natürlich ist auch nicht Jerusalem die palmenreiche Stadt, sondern Jericho. Immerhin stimmen die Details bezüglich der Enthaltsamkeit und Armut grob mit Philon und Josephus überein. Wenn er

5  Religiöse Bewegungen in Judäa    79

die Essener auf die Nordwestseite des Toten Meeres einschränkt, so liegt dies vielleicht schlicht am Fortgang seiner geographischen Beschreibung und an seinem Wunsch, seinen Lesern dieses Kuriosum nicht vorzuenthalten. Eine spezielle Konzentration von Essenern an der Nordwestecke des Toten Meeres wird von einer zweiten indirekten Tradition bestätigt. Der christliche Rhetor Synesios (ca. 373 – 414) verfasste eine Lobrede auf den antiken Rhetor Dio Chrysostomos (40 – 115), worin er dessen Aussagen zu den Essenern erwähnt (GLAJJ, Bd. 2,118f), welche am Toten Meer leben sollen. Diese Passage gilt heute als von Plinius unabhängig und authentisch, da das Vokabular und zentrale Details nicht mit Plinius übereinstimmen (Taylor). Wichtigste und ausführlichste Quelle ist schließlich Josephus. Essener erhalten bei ihm weitaus mehr Aufmerksamkeit als die beiden anderen Gruppen der Pharisäer und Sadduzäer (BJ 2,119 – 166, davon 119 – 161 Essener) – wohl auch, weil wie bei Plinius ihre Andersartigkeit die Neugier römischer Leser fesseln soll. Der Abschnitt ist leider zu lang, um ihn hier vollständig zu zitieren (für ausführliche Kommentare vgl. Beall, Bergmeier, Vermes-Goodman und Adam). Josephus bestätigt viele Details von Philon, fügt einige hinzu (Vermeidung von Öl als Quelle von Unreinheit; spezielle weiße Kleidung für Gebete und Gemeinschaftsmahle; Gebet vor Sonnenaufgang und am Abend um fünf; Gemeinschaftsmahl nur für Mitglieder der Gemeinschaft nach einem Reinigungsbad; Tischgebet durch einen Priester vor und nach dem Mahl; Exkremente werden mit einer Hacke vergraben und so vor der Sonne verborgen; danach folgt eine Waschung; Spucken ist ihnen verboten; sie kochen nicht am Schabbat und verrichten an ihm keinen Stuhlgang; sie haben spezielle Kenntnisse in Heilkunde und die Gabe der Prophetie) und widerspricht anderen (sie wohnen in Städten; tragen Waffen auf Reisen). Josephus schließt seinen Exkurs mit einem Hinweis auf einen zweiten Essenerorden (griech. tagma), der im Gegensatz zum ersten Heirat und Prokreation erlaubt (BJ 2,160). In seiner Autobiographie behauptet Josephus, er habe das essenische Leben selbst ausprobiert (Vit. 1,10 – 11). Auch wenn er zahlreiche Details des Aufnahmeprozesses zu kennen scheint, ist dies jedoch höchst unsicher. Viele dieser halakhischen und theologischen Charakteristika passen erstaunlich genau mit Details der jachadischen Gemeinschaftsregel aus Qumran zusammen (s. u. Kapitel 13.2). Selbst wenn wir auf die Allgemeinplätze wie Korpsgeist, rituelle Reinigungen, Frömmigkeit, Gerechtigkeit, Gelehrtheit usw., die auch auf viele andere Gruppen zutreffen, verzichten, bleiben u. a. folgende spezifische Gemeinsamkeiten:

Dio Chrysostomos

Josephus

zweiter Essenerorden

80    5  Religiöse Bewegungen in Judäa Gemeinsamkeiten in Essenerbeschreibungen zwischen 1QS und hellenistischen Quellen: 1) stufenweiser Aufnahmeprozess, der stufenweise Zulassung zu Speise und Trank der Gemeinschaft regelt (1QS VI 13 – 23; BJ 2,137f) 2) Gemeinschaftsmahl (1QS VI 4 – 5; BJ 2,129 – 133) in Stille (1QS VI 10 – 13; BJ 2,132f) mit vorausgehender Segnung durch einen Priester (1QS VI 4f; BJ 2,131) 3) gemeinschaftlicher Besitz (1QS I 11 – 13; III 2; V 1 – 3; VI 17 – 20; BJ 2,122; Ant. Iud. 18,20) 4) Wahl von Aufsehern (griech. epimelētēs, hebr. mevaqer) (BJ 2,123; Ant. Iud. 18,22; 1QS VI 12.20) 5) Strafe durch temporären Ausschluss von Speis und Trank (1QS VI 24–VII 25; BJ 2,143f) 6) Spuckverbot in der Versammlung (1QS VII 13; BJ 2,147) 7) Glaube an Vorherbestimmtheit (Prädeterminismus) (1QS III 15f; Ant. Iud. 18,18) 8) spezielle Wichtigkeit der Engel (1QS III 20 – 25; IV 12; BJ 2,142) 9) Verbot, die esoterischen Lehren zu verbreiten (1QS IV 6; BJ 2,141f) 10) Vgl. die Ablehnung von Öl als Überträger von Unreinheit in der Damaskusschrift (BJ 2,123; CDA Xii 15 – 17)

Selbst der Wortlaut des Schwurs der Beitrittskandidaten ist ähnlich: Bevor er jedoch die gemeinsame Speise anrührt, schwört er ihnen furchtbare Eide, … immer aber die Ungerechten zu hassen und auf der Seite der Gerechten zu kämpfen … Er werde die Wahrheit immer lieben und es sich zur Aufgabe machen, die Lügner zu überführen. (BJ 2,139 – 141) Alle Söhne des Lichtes zu lieben, jeden nach seinem Los in der Ratsversammlung Gottes, aber alle Söhne der Finsternis zu hassen, jeden nach seiner Verschuldung in Gottes Rache. (1QS I 9 – 11) Ungereimtheiten

Allerdings gibt es auch wichtige Ungereimtheiten. Bei Josephus dauert der Aufnahmeprozess drei Jahre, nach der Gemeinschaftsregel sind es nur zwei (BJ 2,137f – 1QS VI 20f). Philon, Plinius und Josephus unterstreichen als besonders zentralen Aspekt des Essenerdaseins das Zölibat. Ein solches wird von keinem Qumrantext erwähnt. Allerdings spricht kein Satz der Gemeinschaftsregel gegen die Annahme, dass diese Gruppe frauenlos lebte, denn sie werden in ihr nie erwähnt. Keine griechische Quelle wiederum spricht von den in den Qumranrollen so zentralen Kalenderstreitigkeiten. Trotzdem sind die Übereinstimmungen verblüffend.

5  Religiöse Bewegungen in Judäa    81

Weder die rabbinische Literatur noch das Neue Testament kennen Essener. Manche vermuten daher, dass sie in diesen Quellen unter anderem Namen genannt werden. So werden manchmal die „Herodianer“ des Neuen Testaments (z. B. jüngst wieder Joan Taylor) und die „Boethusier“ der rabbinischen Literatur (schon Azarja de Rossi im 16. Jahrhundert) mit den Essenern identifiziert. Allerdings ist die Deutung des hebräischen Namens der Boethusier (beitossim) als beit ossim („Haus derer, die (die Tora) in die Tat umsetzen“), also einer der Etymologien für die Essener, linguistisch nicht überzeugend (Schremer). Spätere Erwähnungen in christlichen Häresiologen (Sektenbeschreibern) sind fast alle von den hier angeführten Berichten abhängig. Eine Ausnahme ist vielleicht Hippolytos (ca. 170 – 235), Refutatio 9,18 – 28, der als Einziger den Essenern auch apokalyptisches Gedankengut zuschreibt. Aufgrund der großen Ähnlichkeiten identifizieren viele Forscher den in der Gemeinschaftsregel beschriebenen Jachad mit den Essenern und erklären die Unterschiede zwischen ihr und antiken Quellen zu den Essenern durch zeitliche Entwicklungen (Josephus schreibt sehr viel später als 1QS) und die Ausrichtung auf unterschiedliche Adressatenkreise (1QS für insider – Josephus, Plinius und Philon für outsider). Eine Variante der Essener-Hypothese ist die sogenannte Groningen-Hypothese (García-Martínez, van der Groningen-­ Woude). Nach ihr sind Jachad und Essener zwar verwandt (daher Hypothese die Ähnlichkeit), aber die Unterschiede sollen darauf hindeuten, dass sich der Jachad von den ursprünglich offeneren Essenern abgespalten habe. Warum ist dann aber ausgerechnet die Jachad-Schrift 1QS von allen antiken Texten der Beschreibung der Essener bei Josephus am ähnlichsten? In Josephus’ Überblick über die Soziologie Judäas sind die Pharisäer Pharisäer schon bei ihrer ersten Erwähnung in seiner Schilderung der Regierungszeit von Johannes Hyrkanos I. (Ende des zweiten Jahrhunderts v. Chr.) die volksnaheste und stärkste Gruppe. Sie sind also offensichtlich etwas älter, es ist aber unklar, wie alt. Die Etymologie des Namens wird von der Wurzel p-r-sch abgeleitet, die „trennen“ und „erklären“ als Grundbedeutungen hat. In seiner Beschreibung konzentriert sich Josephus in Nachahmung ähnlicher Überblicke über Philosophenschulen in der griechischen Welt auf besonders Aufmerksamkeit erweckende, meist theologische Charakteristika. Im Gegensatz zu ihren Konkurrenten, den Sadduzäern, glauben die Pharisäer an ein Leben nach dem Tod für die Guten und ewige Strafe für die Bösen (BJ 2,163). Kerndifferenz zu den Sadduzäern sei, dass Pharisäer mündliche außerbiblische Traditionen (nomima) als autoritativ anerkennen, während sich

82    5  Religiöse Bewegungen in Judäa Sadduzäer nur auf den schriftlichen Bibeltext verlassen (Ant. Iud. 13,297f). Bezüglich der existenziellen Frage menschlicher Handlungsfreiheit in Gottes Welt vergleicht Josephus sie mit den Stoikern (Vit. 1,12). Sie nehmen eine Mittelposition zwischen Essenern (Gott kontrolliert alles und Menschen haben keine Handlungsfreiheit) und Sadduzäern (Gott kontrolliert nichts und Menschen haben völlige Handlungsfreiheit) ein (Ant. Iud. 13,171 – 173). Dies ähnelt der Maxime Rabbi Akivas „Alles ist (von Gott bereits) vorhergesehen, doch gibt es (Handlungs)freiheit“ (mAvot 3,15). Saldarini hat beobachtet, dass Josephus die Pharisäer immer in kritischen Übergangsmomenten erwähnt. Gerade an diesen Wendepunkten kämpfen sozialpolitisch aktive Gruppen in vielen Gesellschaften um Machterhalt oder Machterweiterung. Sie üben ihre Macht indirekt über den Einfluss auf hochgestellte Persönlichkeiten im Umkreis der Herrscher aus. Johannes Hyrkanos I. soll zunächst die Pharisäer unterstützt haben, um sich dann stärker den Sadduzäern zuzuwenden, denen auch Alexander Jannai verbunden blieb. Von letzterem wird erzählt, er habe 800 Pharisäer kreuzigen lassen (Ant. Iud. 13,410) (s. u. S. 266 f). Erst Königin Alexandra schenkt ihr Wohlwollen wieder den Pharisäern (BJ 1,110 – 112; Ant. Iud. 13,401 – 423). Als welchen Gruppentyp sollen wir die Pharisäer kategorisieren? Eine ausgefeilte Hierarchie ist nicht erkennbar. Josephus spricht von 6000 Pharisäern (Ant. Iud. 17,42) – doch sind derartige Zahlenangaben in antiken Texten immer mit höchster Vorsicht zu genießen. Er bezeichnet sie als griech. hairesis. Ihr gleichzeitiges halakhisches und politisches Engagement würde dafür am ehesten die Übersetzung ‚Partei‘ nahelegen, jedenfalls eher als die Bezeichnungen ‚Sekte‘ oder ‚Schicht‘. Die meisten Historiker sind der Meinung, die rabbinische Bewegung sei aus pharisäischen Kreisen entstanden. Doch bezeichnen sich die Rabbinen nie selbst als Pharisäer. Die wenigen mit Namen bekannten Pharisäer aus der Zeit des Zweiten Tempels (z. B. Gamaliel, Pollio/Avtalion) werden in der rabbinischen Literatur als Vordenker vereinnahmt, ohne dass sie Pharisäer genannt würden. Außerdem werden sie mit anderen Figuren vermischt, die sicherlich keine Pharisäer waren. Die spätere (amoräische) rabbinische Literatur identifiziert sich stärker mit Pharisäern als die frühere (tannaitische). Auch wenn höchstwahrscheinlich viele Rabbinen aus pharisäischen Kreisen stammen, ist der Zusammenhang weniger direkt, als es zunächst den Anschein haben mag (Cohen). Zwei antike Autoren bezeichnen sich selbst als Pharisäer: der Apostel Paulus (Phil. 3,5) und Josephus (Vit. 1,12). Doch wird Josephus’ Pharisäertum von manchen in Zweifel gezogen, weil er

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gerade in seinen frühen Schriften die Pharisäer eher kritisiert. Von den Pseudepigraphen werden nur die Psalmen Salomos (meistens) pharisäischen Kreisen zugeordnet. Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts schlug der große Rabbiniker Louis Ginzberg vor, die Autoren der Damaskusschrift seien Pharisäer gewesen. Chaim Rabin wiederum identifizierte die Besitzer der Qumranrollen mit einer pharisäischen Untergruppe, der Chavura. Die halakhischen und theologischen Charakteristika der Schriftrollen des Jachad widerlegen ohne jeden Zweifel eine Identifikation mit Pharisäern (s. u. S. 295 und 314). Sadduzäer erscheinen bei Josephus meistens nur als Kontrast zu Sadduzäer Pharisäern. Im Neuen Testament und in der rabbinischen Literatur sind die Bezugnahmen polemisch. Daher sind beide Quellen mit besonderer Vorsicht zu analysieren. Wie bei Pharisäern und Essenern ist der Ursprung der Sadduzäer nicht mehr sicher zu erschließen. Der griechische Name saddukaioi leitet sich vom hebräischen Namen Tzadoq ab, vielleicht in Bezug auf den legendären Hohepriester dieses Namens, vielleicht auf einen Namensvetter. Im ersten Fall würde es sich um eine dynastische Bezeichnung handeln: die nach Ezechiel 40,46 u. ö. einzige zum Hohepriesteramt berechtigte Priesterfamilie der Nachkommen Zadoks (bnei tzadoq). Nach Josephus sollen die Sadduzäer im Gegensatz zu den Pharisäern nicht volksnah gewesen sein, sondern sich aus der wohlhabenden Priesteraristokratie rekrutiert haben (Ant. Iud. 13,298). Selbst wenn viele Sadduzäer Priester gewesen sein mögen, dürfen wir daraus nicht folgern, dass die Mehrheit der Priester sadduzäisch war. Nach den Quellen erkennen sie keine mündliche Tradition als Autoritätsquelle an, sondern nur die schriftliche Bibel. Weiter behaupten sie, Menschen hätten komplette Handlungsfreiheit; auch kennen sie keine Auferstehung der Seele (zu letzterem vgl. Mk. 12,18 – 27). Sie lehnen die Existenz von Engeln und Geist (pneuma) ab (Apg. 23,8). Mehrere zentrale Qumranrollen schreiben den bnei tzadoq eine führende Rolle zu (CD iv 1.3; 1QS v 2.9; 1QSa I 2). Rachel Elior hat versucht, diese Rollen daher als sadduzäisch zu bezeichnen. Allerdings müsste man dann annehmen, dass es zwei völlig gegensätzliche Arten von Sadduzäern gegeben hätte, denn die Autoren der gerade genannten Rollen zählen Engel, Prädeterminismus und mündliche Geheimtraditionen zu ihren zentralen Vorstellungen. Vielleicht gibt es dennoch ein paar sadduzäische Dokumente unter den Qumranrollen. Die rabbinische Literatur nennt eine kleine Zahl von halakhischen Streitgesprächen zwischen Sadduzäern und Rabbinen (z. B. mEruv 6,2; mMakk 1,6; mPar 3,3.7; mNid 4,2;

84    5  Religiöse Bewegungen in Judäa mJad 4,6f; tNid 5,3 [Zuckermandel 645]). Diese werden in der Qumranforschung lebhaft diskutiert, da die hier den Sadduzäern zugeschriebenen halakhischen Positionen den Halakhot in der Tempelrolle und in 4QMMT nahestehen (s. u. S. 166–169 und 390 f). Impliziert die halakhische Nähe eine soziologische Verwandschaft oder gar Identität von Sadduzäern und Jachad (Schiffman)? Spricht dies nur für eine Ähnlichkeit zwischen bestimmten Halakhot der Sadduzäer und des Jachad (Sussman)? Oder sind vielleicht einige Qumrantexte jachadisch und andere sadduzäisch (Stökl Ben Ezra)? Den Jachad, der offensichtlich Prädeterminismus, mündliche Geheimüberlieferungen und Engelglauben vertrat, genealogisch aus einer Gruppe abzuleiten, die diese drei Auffassungen ablehnte, bleibt schwierig. Interessanterweise taucht gerade der in Qumran so zentrale 364-Tage-Kalender in den rabbinischen Streitgesprächen nicht als Problem auf. Diesbezügliche Polemik in den Rollen lässt jedoch darauf schließen, dass dieser Kalender im Tempel nicht galt und folglich von den dort amtierenden Sadduzäern abgelehnt wurde. Als vierte Partei nennt Josephus die Zeloten (Ant. Iud. 18,23); Extremisten, die 66 n. Chr. den Aufstand gegen die Römer anzettelten und schließlich bis 73/74 noch in Masada verharrten. Rowley und jüngst Pfann haben versucht, die Zeloten mit (Teilen der) Qumranrollen in Verbindung zu bringen. Da die Zeloten eine sehr junge Bewegung sind, die meisten Rollen aber auf vorchristliche Zeiten datiert werden, können höchstens einige von denen, die Schriftrollen versteckten, Zeloten gewesen sein; doch niemals die Autoren oder selbst nur die Kopisten. Wer ursprünglich Besitzer des Gros der Schriftrollen war, bliebe damit ungeklärt. Weit entfernt von Judäa beschreibt Philon in seinem idealisierenden Traktat über das kontemplative Leben (de vita contemTherapeuten plativa) die Therapeuten (therapeutai), einen streng asketischen (therapeutai) und besitzlosen, vegetarischen und zölibatären Orden aus Frauen und Männern, der angeblich überall verbreitet war, aber besonders am See Mareotis in der Nähe Alexandriens konzentriert lebte. Die Haupttätigkeit jedes „Therapeuten“ sind Meditation, Textstudium, Hymnenkomposition und Gebet, und zwar unter der Woche jeder für sich allein, am Schabbat und am „50. Tag“ alle sieben Wochen hingegen gemeinsam. Viele dieser Details erinnern stark an die Essener. Einige Forscher (z. B. Vermes) sehen eine große Nähe oder gar Verwandtschaft zwischen diesen beiden asketischen jüdischen Gruppen, doch unterscheidet Philon selbst sie ganz explizit zu Beginn seiner Schrift. Ab dem ersten Jahrhundert entstand in Judäa, Galiläa und dann Christentum auch in der Peräa und in Syrien ganz allmählich das Christentum. Zeloten

5  Religiöse Bewegungen in Judäa    85

Im ersten Jahrhundert ist es mit Sicherheit noch als jüdische Gruppe anzusehen. Immer wieder bringen Historiker christliche Gemeinden mit allen oder einzelnen Qumranrollen in Zusammenhang, oder auch mit in Qumranrollen genannten Figuren (Teicher, Eisenman, Thiering). Die Datierung der für die Argumentation entscheidenden Rollen in vorchristliche Zeit (sowohl Paläographie als auch 14C) macht auch diese These unmöglich. Die Essenerhypothese, d. h. dass Essener die Bewohner Qumrans, die Besitzer der meisten Schriftrollen und die Verfasser der meisten zentralen Texte waren, kann bislang die besten Argumente aufweisen. Vor allem die zahlreichen Übereinstimmungen zwischen Josephus’ Essenerbeschreibung und 1QS sind anders kaum zu erklären. Auf Archäologie (und Geographie) werden wir noch weiter unten vertieft eingehen. Andersherum sind die Unterschiede zwischen der Gruppe hinter den Qumrantexten und den Sadduzäern und anderen Alternativen zu groß. Darauf werden wir noch verschiedentlich in diesem Buch zurückkommen.

Teil 2:

Steine, Rollen, Krüge: Archäologie der Texte von Qumran und ihrer Umgebung

3.5  Editionen und Hilfsmittel    89

6 Grundzüge der Archäologie und Aufteilung in Siedlungsphasen

Vgl. auch Bibliographie zu Kapitel 7 (Reich) und 8 (Collins, Golb) Ariel, Donald/Fontanille, Jean-Philippe, The Coins of Herod. A Modern Analysis and Die Classification, Leiden 2012. Cargill, Robert, Qumran through (real) time. A virtual reconstruction of Qumran and the Dead Sea Scrolls, Piscataway 2009. Donceel-Voute, Pauline, The Archaeology of Khirbet Qumran. In: Wise, Michael/Golb, Norman/Collins, John/Pardee, Dennis (Hgg.), Methods of Investigation of the Dead Sea Scrolls and the Khirbet Qumran Site, New York 1994, 1 – 36. Eshel, Hanan, Qumran. Scrolls, Caves, History, Jerusalem 2009. Frey, Jörg/Claußen, Carsten/Kessler, Nadine (Hgg.), Qumran und die Archäologie. Texte und Kontexte, Tübingen 2011. Galor, Katharina/Humbert, Jean-Baptiste/Zangenberg, Jürgen (Hgg.), Qumran – The Site of the Dead Sea Scrolls. Archaeological Interpretations and Debates, Leiden/Boston 2006. Hirschfeld, Yizhar, Qumran. Die ganze Wahrheit, Gütersloh 2006. Humbert, Jean-Baptiste/Gunneweg, Jan (Hgg.), Khirbet Qumrân et ʿAïn Feshkha. II, Etudes d’anthropologie, de physique et de chimie = Studies of anthropology, physics and chemistry, Göttingen 2003. Humbert, Jean-Baptiste/Chambon, Alain (Hgg.), Fouilles de Khirbet Qumran et de Aïn Feshkha. I, Album de photographies, répertoire du fonds photographique, synthèse des notes de chantier du Père Roland de Vaux OP, Göttingen 1994. Laperrousaz, Ernest, Qumrân. L’établissement essénien des bords de la mer Morte, Paris 1976. Magen, Yizhak/Peleg, Yuval, The Qumran Excavations 1993 – 2004. Preliminary Report, Jerusalem 2007. Magness, Jodi, The Archaeology of Qumran and the Dead Sea Scrolls, Grand Rapids 2002. Meshorer, Yaacov, A Treasury of Jewish Coins. From the Persian Period to Bar-Kokhba, Jerusalem 2001. Mizzi, Dennis, „Qumran Period I Reconsidered. An Evaluation of Several Competing Theories“, Dead Sea Discoveries 22 (2015) 1 – 42. Taylor, Joan/Gibson, Shimon, Qumran connected. The Qumran Pass and Paths of the North-Western Dead Sea, in: Frey/Claußen/Kessler 2011, 147 – 162. Taylor, Joan, The Essenes, the Scrolls and the Dead Sea, Oxford 2012. de Vaux, Roland, Archaeology and the Dead Sea Scrolls, London 1973. de Vaux, Roland, Die Ausgrabungen von Qumran und En Feschcha. IA Die Grabungstagebücher, Göttingen 1996. Zias, Joseph/Tabor, James/Harter-Lailheugue, Stephanie, „Toilets at Qumran, the Essenes, and the Scrolls: New Anthropological Data and Old Theories“, Revue de Qumran 22 (2006) 631 – 640.

90    6  Grundzüge der Archäologie und Aufteilung in Siedlungsphasen Qumran ist ein wissenschaftsgeschichtlich höchst interessanter Fall, denn die Interpretationen der Beziehung der Siedlung zu den in den Höhlen entdeckten Fragmenten sind z.T. diametral verschieWas war die den. Was war die Siedlung? Handelt es sich um das Hauptquartier Siedlung? der Essener (de Vaux), eine ihrer Nebenstellen (Stegemann) oder um eine Festung (Golb), eine Landvilla (Donceel und Voute), eine Töpferei (Magen und Peleg), eine Karawanserei (Cansdale), eine Produktionsstätte für Balsam (Hirschfeld) oder vielleicht um eine Sukzession zweier dieser Vorschläge (Humbert, Cargill, Collins)? Gehören die Stätte und die Rollen wirklich zusammen? Wenn ja, seit wann? Wie viele Leute lebten in Qumran? Wie wohnten sie? Woran arbeiteten sie? Wie wuschen sie sich, schliefen und aßen sie? Wie wurden sie begraben? Auf all diese Fragen können wir mit Hilfe der Archäologie versuchen, eine Antwort zu finden. Natürlich sind es die Texte der Qumranrollen, die das Hauptinteresse der Qumranologen, der Judaisten, Alt- und Neutestamentler und Religionswissenschaftler anziehen. Viele lesen Berichte über die Archäologie nur flüchtig, wenn überhaupt. Steine sprechen doch nicht. Dabei kann man diese Texte und das Leben und die Vorstellungen der Personen hinter diesen Texten nur im Zusammenhang der Gesamtsammlung der Rollen und nur in ihrem archäologischen Kontext wirklich verstehen. Ja, es ist in Wahrheit eine unglaubliche Chance, altjüdische Texte mit den Gebäuden, in denen einige ihrer Leser und wahrscheinlich auch Schreiber oder gar Autoren gelebt haben, analysieren zu dürfen. Viele Neutestamentler träumen von einer ähnlichen Situation. Viele Spezialisten für rabbinische Literatur gäben viel, die Akademie in Tiberias untersuchen zu können oder zu wissen, in welcher Synagoge Rabbi Akiva betete. Der nächste Abschnitt ist eine grundlegende Einführung in archäologische Arbeitsweise, bevor die zentralen Punkte der wichtigsten Theorien zu Geschichte und Funktion der Befunde (Gebäude) und der Funde (Objekte) knapp dargestellt werden. Methodologisch werden wir die archäologischen Diskussionen soweit es geht von den Texten und von ihren Deutungen trennen, auch wenn die Qumranrollen selbst archäologische Objekte sind – ein zu oft vergessenes „Detail“.

6.1 Wie funktioniert eine Ausgrabung? Im Vergleich zu Philologie oder Geschichte ist Archäologie eine weitaus jüngere wissenschaftliche Disziplin. Die westlichen Missionen des 19. Jahrhunderts im Orient speisten die stetig wachsende Neugier Europas – und ihre Museen als nationale Prestigeobjekte –

6.1  Wie funktioniert eine Ausgrabung?    91

mit der Enthüllung sagenhafter Städte wie Babylon, Theben oder Troja. Doch waren diese „Ausgrabungen“ noch keine Archäologie im eigentlichen Sinne, die sich für den Kontext eines Objektes und seine wissenschaftliche Bedeutung ebenso interessierte wie für seinen Sammlerwert. Ein Objekt ohne seinen archäologischen Kontext ähnelt einem Zitat, das aus dem Zusammenhang gerissen ist. Man kann es beliebig drehen und wenden, aber über den ursprünglichen Sitz im Leben kann man nur noch spekulieren. Ein in situ (am Originalort) gefundenes Objekt enthüllt uns ungleich mehr über seine Nutzer und seinen Zweck, da alle mit ihm zusammen entdeckten Objekte und Gebäude bei der Entschlüsselung helfen. Daher kann man die den Schwarzmarkt beliefernden Raubgrabungen, aus denen viele Sensationsfunde der letzten Jahrzehnte stammen, nur mit kulturzerstörenden Hooligans vergleichen. Wer auf dem Schwarzmarkt eine Münze oder eine Öllampe kauft, unterstützt diese Zerstörung. Wer Sammlern hilft, Objekte ihrer Sammlung zu „authentifizieren“, trägt oft mehr zur Zerstörung von Wissen bei als zur Erweiterung. Eine archäologische Stätte ähnelt einem Schichtenkuchen, wobei die jüngste Schicht obenauf liegt, die älteste ganz unten. Sie sind chronologisch geordnet, ohne dass die Dicke eines Stratums mit der Dauer der ihm zugeordneten Periode oder mit deren Bedeutung zusammenhängt. Der in einem Zerstörungshorizont festgehaltene Moment entspricht der letzten Nutzung stärker als den Jahren zuvor. Bewohner eines Ortes, die seine Zerstörung vorhersehen (z. B. in einem Krieg), verstecken Schätze oder verbarrikadieren Fenster und Türen. Bei einem Ort, der durch eine unvorhersehbare Zerstörung heimgesucht wird (z. B. Erdbeben, Vulkanausbruch), ist die Chance größer, dass die Elemente unter dem Zerstörungshorizont eine länger andauernde Periode widerspiegeln. Eine archäologische Ausgrabung zerstört ihr Untersuchungsobjekt. Daher muss ein Archäologe seine Arbeit in Zwischenberichten und einem detaillierten Endbericht genau dokumentieren, damit die Fundobjekte und ihre Position und die daraus gezogenen Schlüsse voneinander getrennt werden können und durch andere Experten nachprüfbar sind. Oft werden später bei anderen Ausgrabungen gewonnene Erkenntnisse Rückwirkungen auf die Interpretation früherer Grabungen haben, z. B. wenn zu den Objekten, auf denen die Datierung basiert, anderenorts Parallelen gefunden werden, die offenkundig anders datiert werden müssen. Ein guter Bericht ermöglicht anderen Experten, die ursprünglichen Thesen anhand einer Neuinterpretation der Fakten zu modifizieren. Diese Art von Archäologie ist nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden und nach und nach verfeinert worden.

Kontext

in situ

Schwarzmarkt

Zerstörungshorizont

archäologische Ausgrabung

92    6  Grundzüge der Archäologie und Aufteilung in Siedlungsphasen

Stratigraphie

Raster

locus

Keramik

Münzen Numismatiker

Vielfach werden zuerst Sondierungsgrabungen ausgeführt. Man wählt mehrere Stellen aus, an denen ein tiefer Graben ausgehoben wird, um eine vorläufige Übersicht über die „Stratigraphie“, die Zahl und Abfolge der Schichten („Straten“), zu erhalten. Dann wird entschieden, wo größere Flächen ausgegraben werden. Heutzutage wird meistens ein Raster aus gleichmäßigen 5 m x 5 m oder 10 m x 10 m großen Quadraten aufgelegt, deren Mitte ausgehoben wird. Die Ränder bleiben stehen und ermöglichen später die Verifizierung der Stratigraphie. Jeder Kontext enthält eine Identifizierungsnummer, um ihm die hier gefundenen Objekte eindeutig zuordnen zu können. Wenn man z. B. in einem Quadrat L1 (von lat. locus = Ort) zu graben beginnt und nach einiger Zeit auf ein andersartig zusammengesetztes Stratum stößt, wird das Sigel für die Funde im neuen Stratum in L2 geändert. Stößt man dann wiederum z. B. auf eine Mauer, wird der Bereich auf der einen Seite dieser Mauer mit L3 bezeichnet, der auf der anderen Seite mit L4. Je nach Größe vermuteter Funde arbeitet man mit Spaten, Bürste, Pinsel oder Zahnarztgeräten. Jedes Objekt wird in situ fotografiert oder gezeichnet, mit einer Nummer identifiziert und eingetütet. Später wird es gesäubert, sortiert und eventuell wieder fotografiert. Alle Arbeitsschritte, Beobachtungen und Funde werden sorgsam in einem Grabungstagebuch festgehalten. Was dem Polizisten die Fingerabdrücke, ist dem Archäologen die Keramik. Überall zu finden – jeder braucht Teller, Töpfe und Öllampen – und leicht zerbrechlich überdauert sie doch die Zeiten (im Gegensatz zu Holz). Andererseits war sie nicht so wertvoll, dass sie wie Metall wieder umgegossen wurde, sondern als Schutt oder Füllmittel liegen blieb. Schließlich folgte Gebrauchskeramik wie heutzutage Kleidung wechselnden Moden. Ein erfahrener Keramikspezialist braucht zur zeitlichen Einordnung kein vollständiges Gefäß, sondern nur charakteristische Scherben (Henkel, Randstücke, Tüllen, Bemalung), die die für die Mode relevanten Informationen enthalten. Vollständige Gefäße stammen zumeist aus dem der Zerstörung unmittelbar vorausgehenden Moment. Scherben sind gerade deswegen wertvoll, weil sie besser als vollständige Gefäße über eine längere Periode vor der Zerstörung Auskunft geben. De Vaux erwähnt in seinen Veröffentlichungen hauptsächlich vollständige Gefäße. Datierungen können durch Funde mit Daten oder Namen, d. h. Inschriften oder Dokumente, weiter präzisiert werden. Münzen sind haltbarer als Dokumente aus organischen Materialien und gehen durch ihre geringe Größe häufig verloren. Numismatiker können sie bestimmten Ländern, Städten oder Prägestätten und den Regierungszeiten von Herrschern, manchmal sogar bestimm-

6.1  Wie funktioniert eine Ausgrabung?    93

ten Jahren zuordnen. Allerdings gibt eine Münze immer nur einen terminus a quo (Anfangszeitpunkt für eine mögliche Datierung), da Münzen oft länger im Umlauf bleiben. Wertvolle Münzen aus Silber oder Gold waren länger im Gebrauch als Bronzemünzen, sind also unzuverlässige Datierungshilfen. Aber gerade in Qumran sieht man, dass auch Bronzemünzen lange im Umlauf bleiben konnten. Da Straten selten hermetisch voneinander abgeschlossen sind, ist für die Datierung eines Ensembles das Altersprofil aller in einem Zusammenhang gefundenen Objekte entscheidend. Eine alte Münze in einem ansonsten „jungen“ Stratum besagt nicht viel. Manchmal werden Straten durch spätere Interventionen durcheinander gebracht. Z. B. wurde in Qumran ein Graben ausgehoben, in dem sich die Objekte genau umgekehrt zu ihrer Chronologie fanden. Die jüngsten Objekte waren zuunterst, die ältesten zuoberst. Hier hatte offenbar jemand in der Antike einen Raum gesäubert. In den Graben fielen als erstes die Dinge, die sich im Raum zuoberst fanden. Dieser Fall ist nicht die Norm, aber auch nicht selten. Heutzutage wird die Archäologie durch die Archäometrie un- Archäometrie terstützt. Radiokarbonuntersuchungen (14C) ermöglichen die ungefähre Datierung organischer Funde; DNA-Untersuchungen erlauben, genetische Zusammenhänge von Tier-, Menschen- oder Pflanzenfunden zu erkennen; die Röntgenfluoreszenzanalyse (engl. XRF) detailliert die chemische Zusammensetzung eines Materials; Neutronenaktivierungsanalyse (NAA) gibt Rückschlüsse über die Herkunft bestimmter Materialien. Trotzdem ist Archäologie nicht so objektiv, wie es scheint. Die meisten Gebäude identifizieren sich nicht selbst, sondern müssen anhand der in ihnen gefundenen Objekte und im Vergleich mit anderen Bauwerken interpretiert werden. Die Identifikation eines Gebäudes als antike Synagoge z. B. ist alles andere als leicht. Auch können Gebäude ihre Funktion im Laufe ihrer Existenz ändern. Man kann die Geschichte eines Bauwerkes auch durch genaue Studien des Mauerwerks eruieren. Ähnlich wie Glossen in einem Text hinterlassen Anbauten senkrechte Fugen, wo die neue Mauer auf eine bereits bestehende Mauer stößt. Türen oder Fenster werden zugemauert, Materialien oder Techniken geändert. Baufugen sind in den detaillierten Plänen erkennbar, die jeden einzelnen Stein maßstabsgetreu abbilden. Derartig detaillierte Zeichnungen von Couasnon wurden erst in Humbert und Chambons Edition von de Vaux’ Tagebuch veröffentlicht. Jean-Baptiste Humbert betont völlig zu Recht, dass diese „vertikale Stratigraphie“ vernachlässigt vertikale Stratiworden ist (Khirbet, 422). Allerdings kann man mit ihr viel schwie- graphie riger datieren als mit echter, d. h. horizontaler Stratigraphie, da wir

94    6  Grundzüge der Archäologie und Aufteilung in Siedlungsphasen kaum Münzen oder Keramik zwischen den „vertikalen Schichten“ finden. Ein Anbau kann ein Jahrzehnt oder eine Woche später errichtet worden sein. Um die Funktion eines Gebäudes oder eines Objekts zu klären, wird es mit zeitlich, geographisch und soziologisch analogen Befunden und Funden verglichen. Bei archäologischen Arbeiten gilt dabei das gleiche Prinzip wie in der Geschichtsforschung oder Vergleiche der Philologie. Vergleiche von Qumran mit nachweislich jüdischen Strukturen aus Palästina aus dem zweiten Jahrhundert v. Chr. bis etwa zum zweiten Jahrhundert n. Chr. sind stringenter, als wenn das Vergleichsobjekt eisenzeitlich, byzantinisch, ägyptisch oder kleinasiatisch ist. Desweiteren reicht es nicht, wenn nur ein Charakteristikum analog ist. Die Bezüge müssen möglichst zahlreiche Aspekte betreffen und möglichst eng sein. Die Archäologie Qumrans ist das Problemkind der Qumranforschung. Qumran wurde zu Beginn der fünfziger Jahre ausgegraben, als sich die beschriebenen archäologischen Methoden gerade erst ausbildeten. Insofern muss man Verständnis dafür haben, dass nicht alles heutigen Standards entspricht. De Vaux hat seine LocusNummern nicht von Stratum zu Stratum geändert, sondern dieselbe Locus-Nummer für alle Straten beibehalten. Auch gibt es nur wenige Profilzeichnungen. Es ist daher oft unmöglich festzustellen, in welchem Stratum ein aufgeführter Fund entdeckt worden ist. Schließlich sind die Daten lückenhaft publiziert: Wir haben zwar (1) die relativ detaillierten Zwischenberichte von de Vaux, (2) seine Synthese von 1959 (besser ist die überarbeitete englische Version von 1973), (3) ein Fotoalbum von den Ausgrabungen, (4) eine edierte Version seines Tagebuchs. Dazu hat Jean-Baptiste Humbert in mehreren Sammelbänden Studien z. B. zu Wasserinstallationen, Ostraka, Textilien und Gebäuden herausgegeben. Doch fehlt uns ein archäologischer Endbericht von de Vaux oder einem seiner Nachfolger. Viele Objekte bleiben nur vorläufig oder gar nicht publiziert. Dies gilt vor allem für die Keramik, die für die Datierung so unentbehrlich ist. Von 1993 – 2004 haben Yitzhak Magen und Yuval Peleg neue Ausgrabungen in einigen von de Vaux unberührt gelassenen Zonen durchgeführt. Leider fehlt bislang auch ihr Endbericht. De Vaux’ epochemachende Synthese beschränkt die Diskussion auf bestimmte Funde, während andere völlig übergangen wurden. Das Fotoalbum ist nur mit professioneller Anleitung verständlich und die Qualität der Fotos zudem oft nicht ausreichend. Die deutGrabungstagebuch sche Übersetzung des Grabungstagebuchs enthält wertvolle Lagepläne und eine Liste der Objektfunde. Das Tagebuch bietet viele zuvor unbekannte Informationen und sei allen zum Nachschlagen

6.2  Chronologie der Siedlungsphasen von Khirbet Qumran    95

ans Herz gelegt (zum Durchlesen ist es etwas zu trocken und detailreich). Die folgenden Kapitel sollten idealerweise nicht nur mit Plänen der Siedlung für jede Periode studiert werden, sondern auch mit einer begleitenden Lektüre dieses Grabungstagebuchs sowie einem Besuch der virtuellen Qumrantour des Orion-Zentrums (virtualqumran.huji.ac.il), welche einen guten Einblick in einige der archäologischen Aspekte verschafft. In jüngerer Zeit haben einige dreidimensionale Rekonstruktionsversuche, vor allem der Entwurf von Robert Cargill, für viel Aufsehen gesorgt. Allerdings sollte man sich von den optischen Effekten, die vorgaukeln, eine „Re“-konstruktion entspräche der Realität, nicht täuschen lassen. Jodi Magness hat in ihrer Rezension klar herausgestellt, dass manche Punkte richtig, andere umstritten und viele andere unmöglich sind. Dem besonders Interessierten sei eine parallele kritische Lektüre der Synthesen von Roland de Vaux, Jodi Magness, Jean-Baptiste Humbert und Yizhar Hirschfeld mit den jeweiligen Rezensionen von Magness und Hirschfeld zu den Werken der anderen empfohlen.

6.2 Chronologie der Siedlungsphasen von Khirbet Qumran Khirbet Qumran (khirbet = arab. „Ruine“) liegt auf einem ge- (khirbet = arab. fingerten Mergelplateau, das sich in ca. 60 – 70 m Höhe über der „Ruine“) Mündung des Wadi Qumran etwa 1,5 km nordwestlich der Küste des Toten Meeres erhebt und ca. 350 m unter dem Meeresspiegel liegt. Im Westen liegt das vom Wadi wie mit einem Messer durchschnittene 200 m hohe monumentale Kalksteinkliff. Nach Südosten schaut man über das Tote Meer auf die Bergkette auf der jordanischen Seite. Ca. zwölf km nördlich liegt Jericho, die wichtigste Stadt in der Umgebung. Die Festung Hyrkania liegt westlich in nur 5 km Entfernung, allerdings nach einem beschwerlichen Aufstieg auf das Plateau, dann folgt ein gutes Stück weiter Jerusalem (ca. 18 km). Im Süden trifft man nach nur 2 km auf die Oase Ein Feshkha mit einem verwandten Gebäudekomplex (s. u. S. 127 f) Khirbet Qumran besteht aus einem 30 m x 37 m großen Gebäudekomplex mit Anbauten im Westen und im Südosten, der im Norden und Osten von einer niedrigen Mauer umgeben ist und im Süden und Westen an den Plateaurand angrenzt. Innerhalb der Umfassungsmauern liegen auch die Zugänge zu den Höhlen 7, 8 und 9. Auf dem nächsten Finger des Mergelplateaus liegen die Höhlen 4a, 4b, 5 und 10. Außerhalb der Ostmauer befinden sich Friedhöfe mit über 1100 Gräbern. Alle drei – Mauer, Höhlen und Friedhof – sind für die Interpretation des Gebäudekomplexes essentiell.

96    6  Grundzüge der Archäologie und Aufteilung in Siedlungsphasen Mit der Entdeckung von Höhle 1 sichteten Roland de Vaux und Gerald Lankester Harding oberflächlich auch die etwa 1,5 km südlich gelegene „Khirbet Qumran“. Von früheren westlichen Besuchern war sie für die Ruinen Gomorras (de Saulcy) oder für ein Fort (Dalman, Avi Yonah) gehalten worden und so tat es anfänglich auch de Vaux. 1951 kehrten de Vaux und Harding zu weiteren Nachprüfungen zurück. Bis 1956 führten sie insgesamt fünf Grabungskampagnen in Qumran durch. Aufgrund von drei Zerstörungshorizonten, Keramik, Münzen und Befundstruktur unterscheidet de Vaux sechs Siedlungsperioden. de Vaux sechs Siedlungsperioden

[0] – Eisenzeit II (achtes bis siebtes Jahrhundert v. Chr.) – Ca. 450 Jahre Besiedlungspause Ia – Hasmonäische Zeit (Ende zweites Jahrhundert, ca. 134 – 104 v. Chr.) Ib – Hasmonäische Zeit (bis 31 v. Chr.) – Ca. 30 Jahre Besiedlungspause II – Herodianische Zeit (4/1 v. Chr. – 68 n. Chr.) III – römische Besatzung (68 n. Chr. – ca. 75 n. Chr.) – Ca. 60 Jahre Besiedlungspause [IV] – Zweite jüdische Revolte (132 – 135)

[0] und [IV] werden von de Vaux nur unter ihrem Namen erwähnt; ihre Sigel wurden hier sinngemäß ergänzt. Auch wenn inzwischen neue Abkürzungen vorgeschlagen worden sind (z. B. von Hirschfeld), haben sich die von de Vaux zu stark eingebürgert, um sie radikal zu wechseln. Nehmen wir zunächst die Hauptargumente von de Vaux für diese Periodisierung unter die Lupe: Die Hauptperioden I, II und III sind im Allgemeinen durch je einen aus einer Ascheschicht bestehenden Zerstörungshorizont voneinander getrennt. Allerdings bleiben aufgrund der Veröffentlichungslage Unsicherheiten. Unter der untersten Ascheschicht hat das Team von de Vaux mehrere Eisenzeit Tonscherben entdeckt. Sie stammen aus der späten Eisenzeit, d. h. den letzten beiden Jahrhunderten des Königreichs Juda. Zwei dieser Scherben tragen das Siegel lamelekh („für den König“). Eine Scherbe ist in paläohebräischer Schrift beschrieben und kann nicht nur keramisch, sondern auch paläographisch datiert werden. Von den Befunden ordnet de Vaux dieser Periode („0“) die tiefe und einzige runde Zisterne (L110) und einen rechteckigen Bau um einen großen Hof in ihrem Osten zu, dessen Fundamente tiefer als die Ascheschicht liegen und dessen Struktur anderen judäischen Festungen der Eisenzeit ähnelt. Nach einer zerstörerischen Feuersbrunst lag der Ort fast ein halbes Jahrtausend lang brach. Weder der per-

6.2  Chronologie der Siedlungsphasen von Khirbet Qumran    97

Abb. 8:  Die unmittelbare Umgebung von Qumran

sischen noch der frühen hellenistischen Zeit können irgendwelche Funde zugeordnet werden. Da es in diesen Perioden schon Münzen und Keramik gab, ist dies ein starkes Indiz dafür, dass die Siedlung in dieser Zeit unbewohnt war. Aufgrund des Münz- und Keramikbefundes datiert de Vaux die Siedlungsphasen I – III ungefähr von Johannes Hyrkanos I. (ab 134 v. Chr.) bis zur Eroberung Masadas im Jahre 73/74. Unter den Datierungen ist die des obersten Stratums, Periode III, relativ un- Periode III umstritten. Nur über der zweiten Ascheschicht finden sich Münzen der römischen Besatzung Cäsareas und Doras, die ab 67/68 n. Chr. geprägt worden sind. Die jüngsten Münzen unter dieser Ascheschicht gehören hingegen noch zu den Prägungen der aufständischen Juden aus der ersten Revolte gegen Rom, geprägt nach dem Monat Nisan (März/April) im Jahr 68, dem dritten Jahr des Aufstands. Die Gebäude über der Ascheschicht weisen eine völlig andere Struktur auf als die Gebäude darunter. Die neuen Bewohner hatten offensichtlich andere Bedürfnisse und einen anderen Lebensund Wohnstil. Bis auf zwei Zisternen wurden alle mit Trümmern aufgefüllt. Die alten Werkstätten wurden mit Ausnahme eines

98    6  Grundzüge der Archäologie und Aufteilung in Siedlungsphasen

Siedlungspause zwischen Perioden I und II?

Verwerfungslinie

Sediment­ ablagerungen

Backofens nicht weiter genutzt. Die größeren Räume wurden in kleine Zimmer unterteilt (z. B. L4, L13, L30). Unter den Tonwaren finden sich nicht mehr die qumranspezifischen Krugtypen. Im Stratum unter der obersten Ascheschicht, also Periode II, türmen sich in mehreren Räumen Trümmer auf. Einige Pfeilspitzen sind Zeugen für eine Attacke, vielleicht mit Brandpfeilen. Wir haben oben (S. 71) gesehen, dass Vespasians Truppen im Juni 68 Jericho heimsuchten. Eine Zerstörung Qumrans durch einen römischen Angriff und eine darauf folgende Nutzung als Wachtposten bis zum Ende der Belagerung Masadas im Jahre 73/74 und vielleicht ein paar Jahre darüber hinaus würde genau zum numismatischen und archäologischen Befund passen (de Vaux, Archaeology, 36 – 41). Praktisch alle Archäologen stimmen dieser Interpretation zu (Ausnahme: Taylor). Für die Perioden I und II und den Übergang von Periode I zu Periode II sieht das komplexe Erklärungsszenario von de Vaux nach einer Zerstörung durch einen Brand infolge eines Erdbebens eine längere Siedlungspause vor. Was sind dazu die Argumente? Auch Periode I und II sind (im Allgemeinen) durch eine Ascheschicht voneinander getrennt. Sie findet sich hauptsächlich in den nicht überdachten Bereichen, aber auch der hölzerne Türrahmen zwischen Loci 1 und 4 wurde Opfer dieses Brandes. De Vaux’ Hypothese, dass die überdachten Räumlichkeiten beim Aufräumen sorgsamer ausgekehrt wurden als die Höfe, ist plausibel. Was hatte diesen Brand ausgelöst und wann? Zur Ascheschicht als Zeichen für einen Brand am Ende von Periode I kommen vier weitere Beobachtungen, die eine Erklärung suchen: Erstens gibt es eine äußerst auffällige Verwerfungslinie: der Teil einer Treppe in L48/L49 ist um einen halben Meter abgerutscht. Nach neueren Untersuchungen setzt sich diese Verwerfungslinie auch nach Süden und Norden fort. Ein weiterer Spalt zieht sich vom Südwesten zum Nordosten durch L111, L115, L118 und L126. De Vaux interpretiert dies als Spuren eines Erdbebens, das dann den Brand ausgelöst habe. Tatsächlich berichtet Josephus von einem fürchterlichen Erdbeben mit tausenden Toten im Jahre 31 v. Chr. (Ant. Iud. 15,121 – 125; BJ 1,370 – 372). Zweitens hat de Vaux über der mittleren Ascheschicht beachtliche Sedimentablagerungen (75 cm) in den an das Sickerbecken angrenzenden Gebäudeteilen festgestellt. De Vaux leitet daraus ab, dass die Wasseranlage mehrere Jahre nicht repariert wurde, und zwar nach dem Brand. Dies würde anzeigen, dass Qumran zwischen Brand und Reparatur über längere Zeit hinweg nicht bewohnt wurde.

6.2  Chronologie der Siedlungsphasen von Khirbet Qumran    99

Abb. 9:  Verwerfungslinie in der Treppe von Locus 48

Zu einer Siedlungspause in der herodianischen Zeit nach dem Erdbeben 31 v. Chr. und zum Datum der Rückkehr gibt der numismatische Befund zwei weitere Indizien. Dabei unterscheidet man die ca. 600 Einzelmünzen, die einzeln über die gesamte Ausgrabung verstreut gefunden wurden, von einem Gruppenfund, einem Schatz von etwa ebensoviel Münzen. Nur sechzehn Münzen der Einzelfunde datieren in die lange Regierungszeit Herodes des Großen (40 – 4 v. Chr.) (Ariel und Fontanille, 153). Dies sind viel weniger als die fast 100 Münzen aus der kürzeren Regierungszeit des Alexander Jannai. Das andere Indiz kommt von einem Schatz tyrischer Tetradrachmen aus den Jahren 120 bis 9/8 v. Chr., der in drei Töpfen in Locus 120 unter dem Boden von Periode II und über dem Boden von Periode I vergraben worden war. Diese ausländischen Münzen, selten in Orten um das Tote Meer, wurden von Juden wegen ihrer hohen Silberqualität vor allem für die jährliche Tempelsteuer verwendet (mSheq 2,4; mBekh 8,7). Nun werden Schätze vor allem in Übergangs- oder Krisenmomenten versteckt. 9/8 v. Chr. war keine spezielle Krisenperiode, aber in de Vaux’ Zeit nahm man noch an, zwischen 9/8 und 1 v. Chr. wären keine tyrischen Silberdrachmen geprägt worden. Der Hort wäre also irgendwann zwischen 9/8 und 1 v. Chr. versteckt worden, als Sieder nach Qumran zurückkehrten,

nur sechzehn Münzen aus der Zeit des Herodes

Schatz tyrischer Tetradrachmen

100    6  Grundzüge der Archäologie und Aufteilung in Siedlungsphasen

eiförmiger Krugtyp

zylindrische Krüge

Erklärung

Besiedlungspause nicht unproblematisch

Geschirrkammer

am ehesten um 4 v. Chr., als der Tod Herodes des Großen Unruhen auslöste. Schließlich beobachtete de Vaux, dass trotz gewisser Änderungen in der Struktur des Gesamtkomplexes zwischen den Perioden I und II die Nutzung im Großen und Ganzen den gleichen Notwendigkeiten folgte. Dazu passt, dass es nicht leicht ist, die Keramik der Perioden I und II zu unterscheiden (de Vaux, Archaeology, 17f). Eine Ausnahme sind Krüge. Ein bestimmter eiförmiger Krugtyp („ovoid jars“) mit verstärktem Hals findet sich in Qumran nur in Periode I und anderswo nur in hellenistischer Zeit, während die (fast) nur in Qumran gefundenen zylindrischen Krüge ausschließlich aus Kontexten von Periode II stammen. De Vaux hielt das folgende Szenario für die wahrscheinlichste Erklärung dieser Beobachtungen: das Erdbeben löste – wie damals häufig z. B. durch umgekippte Öllampen – eine Feuersbrunst aus, die die Siedlung zerstörte (Ende von Periode I, 31 v. Chr.); danach wurde die Siedlung mehrere Jahre nicht benutzt (wegen der Sedimentablagerung und der wenigen Münzen aus Herodes’ Zeit); das Jahr der Wiederbesiedlung ließe sich aus dem Silberschatz ableiten, der von den Rückkehrern am Anfang der Periode II versteckt worden sei, also nicht lange nach 9/8 v. Chr., am ehesten zur Zeit der Unruhen nach dem Tode Herodes des Großen (4 v. Chr.), also eine Generation später; die Bewohner in Periode II waren die gleichen (nicht unbedingt dieselben) wie in Periode I (wegen des gleichbleibenden Strukturplans). Heute wird dieses Szenario zu Recht in Frage gestellt. Vor allem die eine ganze Generation währende Besiedlungspause ist nicht unproblematisch. Die gleiche Sedimentmenge kann bei Springfluten durchaus in nur ein oder zwei Jahren angetragen werden. Mehrere Archäologen haben festgestellt, dass in anderen Ausgrabungen, z. B. in Qalandiya, Herodes’ Münzen ebenfalls relativ dünn gesät sind. Wenn sie in Qumran auch wenig vorkommen, ist das nicht weiter auffällig. Damit fallen die beiden Hauptargumente für die lange Siedlungspause. Broshi lässt daher Periode II schon kurz nach dem Ende von Periode I beginnen, spätestens 26 v. Chr. Hirschfeld und Magness trennen Erdbeben und Brand ganz. Ersterer dreht darüber hinaus die Reihenfolge um: Die Zerstörung durch Feuer stamme aus der Zeit der Perserangriffe 40 – 37 v. Chr.; und die Verwerfungsfalte sei erst durch eines der großen bekannten Erdbeben im vierten oder achten Jahrhundert verursacht worden. Auch Magen und Peleg schlagen vor, dieser Spalt sei die Folge eines viel späteren Erdbebens. Dies ist unwahrscheinlich, denn in der „Geschirrkammer“ (L86/L89) wurden immense Mengen an sorgfältig gestapeltem, aber zerbrochenem Essgeschirr aus Periode I

6.2  Chronologie der Siedlungsphasen von Khirbet Qumran    101

Abb. 10:  Qumranische Krugtypen nach Perioden gefunden, die durch eine Mauer zugemauert worden war (s. Abb. 12, S. 109). Bei einer Zerstörung in Periode II (z. B. 48 n. Chr.) hätte die Keramik ein anderes Profil gehabt. Hätten noch spätere Erdbeben diese verursacht, hätte niemand mehr das Geschirr einmauern können. Wenn man nicht mehrere Erdbeben annehmen will, von denen das eine das Geschirr zerschlug und das andere das Wassersystem lädierte, ist und bleibt die einfachste Erklärung ein Erdbeben in Periode I, also 31 v. Chr. Nach Magness beschädigte das Erdbeben zwar Gebäude, Geschirr und Wasserinstallationen, verursachte jedoch keinen Brand. Dazu passt, dass de Vaux tatsächlich keine Ascheschicht über der Keramik aus der Geschirrkammer erwähnt. Die Bewohner reparierten die Siedlung sogleich. Die Siedlungspause aber muss mit dem Brand zusammenhängen, denn die Sedimente finden sich erst über einer Ascheschicht, also nach einem Brand. Magness ordnet den Silberhort nicht dem Anfang von Periode II, sondern dem Ende von Periode I zu. Er wurde nicht bei der Ankunft der Rückkehrer versteckt, sondern, weitaus üblicher, vor einer Gefahrensituation um 9/8 v. Chr., die dann tatsächlich zum Brand und zur Zerstörung der Siedlung führte. Die Siedlungspause schrumpft auf wenige Jahre zusammen. Es ist jedoch nicht klar, wie in Periode I ein Schatz zwar unter dem Fußboden von Periode II, aber auf oder über dem

102    6  Grundzüge der Archäologie und Aufteilung in Siedlungsphasen Fußboden von Periode I versteckt worden sein soll. Auch wenn die Datierungen des Endes von Periode I und des Anfangs von Konsens Periode II differieren, hat sich doch ein Konsens herausgebildet, dass die Siedlungspause nicht 30 Jahre betrug. Entweder endete Periode I später (Magness, Taylor) oder Periode II begann früher (Broshi, Humbert, Hirschfeld). Schließlich gibt es die grundlegende Frage nach dem Beginn von Periode I, der Neubesiedlung Qumrans nach der Eisenzeit. Periode Ia De Vaux unterteilt Periode I noch weiter in zwei Phasen Ia und Ib. (Man sollte sich hierbei nicht durch die Nomenklatur irreführen lassen. Die Unterschiede in der Gebäudestruktur zwischen Ia und Ib sind weitaus größer als zwischen Ib und II. Was zwischen Ia und Ib fehlt, ist ein Zerstörungshorizont). Zu Periode Ia zählt er den Wiederaufbau der Ruinen aus der Eisenzeit sowie die Konstruktion des Aquädukts mit einem Klärbecken und zwei Wasserinstallationen (L117 und L118), den Bau zweier Keramikbrennöfen und einiger Räume im Norden der Zisternen. De Vaux’ Gründe für die Unterscheidung zwischen Ia und Ib sind allerdings weder stratigraphisch, noch numismatisch oder keramisch, sondern bautechnisch. Die Wände einiger Räume wurden nach ihrer Konstruktion durchstochen, um einen Abfluss herzustellen. Erst Periode Ib ist für de Vaux die Phase, in der der Gebäudekomplex seine durch die Periode Ib beiden Hauptperioden I und II konstante Struktur erhält. Periode Ib beginnt für de Vaux mit Alexander Jannai, ohne dass er einen genaueren Zeitpunkt angeben mag. Zu ihr gehört das ungefähr rechteckige Hauptgebäude mit dem Turm (L8–L11, noch ohne sein Glacis), fast alle Mikven und Zisternen der ausgedehnten Wasserinstallationen, die Töpferei im Südosten und die Werkstätten im Westen. Periode Ia hingegen datiert de Vaux aufgrund des numismatischen Befundes mit elf Münzen aus dem zweiten Jahrhundert – darunter fünf Bronzemünzen – in die Zeit des Johannes Hyrkanos (134 – 104  v.  Chr.). Eine Datierung des Anfangs von Periode I vor Alexander Jannai wird heute zumeist bezweifelt. Die wenigen älteren Münzen können auch noch im ersten Jahrhundert v. Chr. im Umlauf gewesen sein. Zwar weist Hirschfeld darauf hin, dass dies nicht unbedingt für die Bronzemünzen gelte, aber das Grabungstagebuch zeigt, dass praktisch alle aus dem zweiten Jahrhundert stammenden Münzen in späten Kontexten gefunden wurden. Sie sagen also nichts über die Datierung aus – ähnlich wie ein antiquiertes Wort in einem modernen Text. Broshi und Magness stellen darüber hinaus die Existenz von Periode Ia in Frage. Weder Münzen noch eigene Keramik können diesem Stratum zugewiesen werden. Schließlich kommt noch ein architekturgeschichtliches Argument hinzu. Stammten

6.2  Chronologie der Siedlungsphasen von Khirbet Qumran    103

die beiden Wasserinstallationen L117 und L118 (heute als Mikven interpretiert), die de Vaux der Periode Ia zuordnete, wirklich aus der zweiten Hälfte des zweiten Jahrhunderts v. Chr., wären es die ältesten Mikven dieser Art und hätten alle anderen ähnlichen Mikven von Jerusalem bis Galiläa beeinflusst. Datiert man sie hingegen ins erste Jahrhundert, löst sich diese Schwierigkeit (Reich). Ein völlig anderer Ansatz wird in den Arbeiten von Jean-Baptiste Jean-Baptiste Humbert vertreten. Er lehnt de Vaux’ Stratigraphie als ungenügend Humbert dokumentiert und nicht nachprüfbar ab. Seine Methode basiert hauptsächlich auf einer Analyse der Baufugen und dem, was er als logische Evolution aus einem ursprünglich perfekt quadratischen Bau ansieht, an den die Wasserinstallationen und die Werkstätten im Westen und Süden erst in einer zweiten Phase angebaut wurden. Im Gegensatz zu de Vaux und Magness ist Humbert der Meinung, die strukturellen Unterschiede zwischen der ersten und der zweiten Phase seien substantiell: Es handle sich um den Übergang von einer Villa zu einem Religionszentrum der Essener anlässlich eines der Kriege in der Region (Gabinius 56 v. Chr., Parther 40 v. Chr. oder Herodes 31 v. Chr.). Auch wenn Humberts quadratischer Grundplan ästhetisch ansprechend ist, ist er doch ohne Veröffentlichung aller Daten historisch nur schwer nachzuvollziehen. Andere haben eine derartige Zweiphaseninterpretation mit ihren eigenen Thesen gefüllt. Hirschfeld, Taylor, Cargill sowie Magen und Peleg nehmen an, Qumran hätte in hellenistischer Zeit als eine Festung begonnen, um dann Landgut, Töpferei oder Siedlung des Jachad zu werden. Gegen diese Umnutzungstheorie spricht u. a., dass die Keramik von einem Fort sich wohl von der einer Villa stärker unterschieden hätte. Auch stammen einige Wasserinstallationen aus der ältesten Phase. Merkwürdige Tierknochen-Deposite und der Friedhof wurden sowohl in Phase I als auch in Phase II genutzt. Wir kommen darauf zurück, wenn wir die Interpretationsthese von Qumran als Villa besprechen.

104    6  Grundzüge der Archäologie und Aufteilung in Siedlungsphasen Chronologie

de Vaux

Magness

Taylor

Humbert

700 v. Chr.

Hirschfeld

Magen und Peleg

Eisenzeit

586 – ca. 130 130 120 110

Periode Ia (Essenisch) ca. 130 – ca. 100 v. Chr.

Besiedlungspause

100 90 80 70 60

Periode Ib (Essenisch) ca. 100 – 31 v. Chr. Periode I (Essenisch)

50

Periode Ia befestigte Siedlung ca. 80 – 37  v.  Chr.

Festung Villa

40 30 20 10

Periode Ib Essenische Siedlung

Besiedlungspause von 31 – 4 v. Chr

Essenisches Religions­ zentrum

1 v. Chr. 10 20 30

Töpferei Villa

Periode II (Essenisch) (ca. 4 v. Chr. – 68 n. Chr.)

40 60 70 80 90 100 110 120 130

Periode III (römische Soldaten von 68 – 73)

Periode III ganz kurzfristig römischer Hilfsposten, dann Essenische Siedlung bis ca. 115

Römische Soldaten

Besiedlungspause Aufständische unter Bar Kosba (132 – 135)

Chronologie und Funktion Qumrans im Vergleich

7.1  Die wichtigsten Gebäude und Objekte    105

7 Leben in und um Qumran: Gebäude und Objekte

s. o. Kapitel 6, speziell Humbert/Gunneweg, Magness, Archaeology. Bar Nathan, Rachel, Qumran and the Hasmonaean and Herodian Winter Palaces of Jericho. The Implication of the Pottery Finds on the Interpretation of the Settlement at Qumran. In: Galor/Humbert/Zangenberg 2006, 263 – 277. (s. Kapitel 6) Ben-Dov, Jonathan, The Qumran Dial: Artifact, Text and Context. In: Frey/ Claußen/Kessler 2011, 211 – 238. (s. Kapitel 6) Broshi, Magen/Eshel, Hanan, „Residential Caves at Qumran,“ Dead Sea Discoveries 6 (1999) 328 – 348. Deines, Roland, Jüdische Steingefäße und pharisäische Frömmigkeit, Tübingen 1993. Lemaire, André, Inscriptions du Khirbet, des grottes et de Ain Feshkha. In: Humbert/Gunneweg 2003, 341 – 388. (s. Kapitel 6) Magness, Jodi, The Archaeology of Qumran and the Dead Sea Scrolls, Grand Rapids 2002. Magness, Jodi, Stone and Dung, Oil and Spit, Grand Rapids/Cambridge 2011. Mizzi, Dennis, The glass from Khirbet Qumran. What does it tell us about the Qumran community? In: Hempel, Charlotte (Hg.), The Dead Sea Scrolls. Texts and Context, Leiden 2011, 99 – 198. Mizzi, Dennis, Non-Ceramic/Textual Artefacts from the Qumran Caves, forthcoming in: Lugano conference on Caves. Młynarczyk, Jolanta, „Terracotta Oil Lamps from Qumran. The Typology“, Revue Biblique 120 (2013) 99 – 133. Patrich, Josef, Khirbet Qumran in the Light of New Archaeological Explorations in the Qumran Caves, in: Wise, Michael/Golb, Norman/Collins, John/Pardee, Dennis (Hgg.), Methods of Investigation of the Dead Sea Scrolls and the Khirbet Qumran Site, New York 1994, 73 – 96. Reich, Ronen, Purity Baths in the Second Temple, the Mishnaic and the Talmudic Periods, Jerusalem 2013 (hebr.). Schultz, Brian, „The Qumran Cemetery. 150 Years of Research“, Dead Sea Discoveries 13 (2006) 194 – 228. Tigchelaar, Eibert, „Identification of the So-Called Genesis Apocryphon from Masada (Mas 1m, MasapocrGen or MasAdmonFlood)“, Revue de Qumran 103 (2014) 439 – 446. de Vaux, Roland/Milik, Jozef, Qumrân grotte 4.II: I. Archéologie, II. Tefillin, Mezuzot et Targums (4Q 128 – 4Q157), Oxford 1977.

7.1 Die wichtigsten Gebäude und Objekte Es ist in archäologischen Grabungen nicht leicht, die genaue Funktion von Gebäuden zu bestimmen. Am ehesten geht dies noch bei Räumen mit festinstallierten Einrichtungen wie der Töpferei mit

106    7  Leben in und um Qumran: Gebäude und Objekte ihren Brennöfen, den Küchen mit ihren Backöfen, den Toiletten, den Zisternen, den Bädern und Befestigungen. Jedem Besucher des Nationalparks Qumran fällt als erstes Gebäude der mächtige Wehrturm Wehrturm (L8–L11) auf. Er war nicht immer so befestigt. Seine beeindruckenden Wände sind erst nach dem Erdbeben (also sekundär) verstärkt worden. Ohne Eingang im Erdgeschoss war er nur über Holzbrücken in der zweiten Etage zugänglich. Der Turm bewachte einen der Zugänge zur Siedlung im Norden, den Hauptzugangsweg. Töpferei Eine Töpferei, die sowohl in Periode I als auch in Periode II in Betrieb war, befindet sich im südöstlichen Annex des Hauptgebäudes. Eine große Tonscheibe (L65) diente den Töpfern zum Formen ihrer Utensilien, die dann in einem Brennofen für große Objekte (L64) oder einem für kleine Objekte (L84) gebrannt werden konnten. Viele vermuten, dass ein Großteil der in Qumran und den umliegenden Höhlen gefundenen Keramiksonderformen hier lokal produziert wurde. Keramik Qumrans Keramik erzählt uns viel über seine Bewohner und ihr Leben: zum einen durch die vorhandenen Gefäßtypen, ihre Stile und Mengen, zum anderen durch die Keramik, die man andernorts in zeitnahen Villen, Dörfern und Städten gefunden hat, nicht aber in Qumran. Qumrans Essgeschirr gehört einfachen Typen an. Am auffälligsten ist, dass feine bemalte oder importierte Waren, wie sie sich in den guten Häusern Jerusalems oder in den Palästen Jerichos finden („Pseudo-Nabatäischer Stil“, „Bemalter Jerusalem Typ“, Westliche Terra Sigillata und orientalische Terra Sigillata A) fast vollständig fehlen bzw. klar Periode III zuzuordnen sind. Amphoren mit importiertem Wein waren Luxusware und fehlen, vielleicht wegen hoher Transportkosten, auch an anderen Orten um das Tote Meer herum, die nicht königliche Steuergelder dafür aufwenden konnten. Demgegenüber ist die äußerst geringe Zahl von orientalischer Terra Sigillata und von bemalten Jerusalemer bzw. nabatäischen Typen bemerkenswert und unterscheidet Qumran von anderen Orten dieser Region. Die andere Spezifität betrifft die Krüge, die in Qumran und den umliegenden Höhlen gefunden worden sind: Es ist nicht der hellenistische ovale Typ, der inzwischen auch an vielen anderen Orten bekannt geworden ist, sondern es sind hohe zylindrische Krüge ohne Henkel, auch „Schriftrollenkrüge“ genannt. Sie stammen vermutlich aus der herodianischen Zeit. Die in archäologischen Ausgrabungen gefundenen nicht-qumranischen Exemplare dieses Typs kann man an einer Hand abzählen: zwei Scherben aus Jericho, ein nicht genau dokumentiertes und seit der Entdeckung unauffindbares Exemplar aus Qwailbah in Jordanien, eines aus Qalandiya und eines aus Masada. Angesichts

7.1  Die wichtigsten Gebäude und Objekte    107

von hunderttausenden entdeckten Keramikgefäßen ist dies zu vernachlässigen. Seit der Veröffentlichung von Herkunftsanalysen der Tonerde durch sogenannte Neutronenaktivierungsanalysen (NAA oder INAA) ist die Situation allerdings komplexer. Mit NAA kann man die Anteile von Spurenelementen, d. h. seltenen chemischen Elementen, in einem Objekt feststellen. Das Profil der unterschiedlichen Spurenelementanteile liefert eine Art Fingerabdruck, den man mit anderen Objekten, deren Ursprungsort bekannt ist, vergleicht. NAA-Untersuchungen von Qumrankeramik ergeben die Verwendung unterschiedlicher Tonerden aus 1) Jerusalem, 2) Jericho, 3) Transjordanien sowie 4) lokale Produktion (Gunneweg/Balla in Humbert/Gunneweg). Die erste und die vierte Gruppe scheinen am häufigsten zu sein. Magness schlägt vor, dass Jerusalemer Ton in Rohform nach Qumran transportiert und erst hier in der örtlichen Töpferei verarbeitet worden ist, da Überlandtransport fertiger Gefäße teuer gewesen wäre. Für die Schriftrollenkrüge, die aus Jerusalemer (Motza) Tonerde hergestellt worden sind, ist es in der Tat viel wahrscheinlicher anzunehmen, der Ton sei nach Qumran gebracht und hier lokal verarbeitet worden, als zu behaupten, die Krüge hätten auch in Jerusalem in größeren Mengen existiert, von ihnen seien aber dort bislang keine Scherben gefunden worden. Transport guter Tonerde zu 20 – 30 km entfernten Töpfereien war keine Ausnahme, sondern schon immer gang und gäbe. Der genaue Zweck der meisten anderen Werkstätten bleibt bis auf eine unklar. Höhle 8 enthielt eine große Anzahl an Lederriemen und anderen Lederteilen, vielleicht eine Lederwerkstatt für die Produktion von Schriftrollenverschlüssen. Dabei ist zu beachten, dass sich die Höhlen 7, 8 und 9, wie bereits erwähnt, innerhalb der Umfriedung befinden und nur über die Siedlung her zugänglich waren. Sie ähneln also Lagerkellern. Andere Beobachtungen ermöglichen uns festzustellen, wo gekocht und gebacken wurde, wo und wie man aß und wo die Bewohner ihre Notdurft verrichten konnten. Ein Raum mit drei Backöfen, einer Arbeitsplatte und einem Steinboden mit Feuerstelle im Norden des Hauptgebäudes (L38+L41) fungierte zumindest ab 31 v. Chr. als Küche (sein vorheriger Zweck ist unklar). Loci L102 und L104 enthielten je eine Mühle (KhQ 2619; KhQ 2051). Südlich des Hauptgebäudes, getrennt von ihm durch eine Mikve (L56+L58), befindet sich der größte Saal (L77) des Gebäudekomplexes. 22 m lang und 4,5 m breit bietet er ca. 100 Personen Platz. Zweifellos wurde er in Periode I als Speisesaal benutzt, denn der nur von hier aus betretbare Nebenraum (L86+L87+L89) enthielt

Neutronenaktivierungsanalysen (NAA oder INAA)

Lederwerkstatt

Küche Mühle

Speisesaal

108    7  Leben in und um Qumran: Gebäude und Objekte

Abb. 11:  L77 Speisesaal (links) und L89 Geschirrkammer (rechts)

eine zugemauerte Partie (L89) mit einer wahrlich gigantischen Menge an einfachem Essgeschirr, u. a. 708 Trinkschüsseln. Sorgsam gestapelt war dieses Ensemble wohl vom Erdbeben 31 v. Chr. zerstört worden und von den Bewohnern beim Wiederaufbau einfachheitshalber in situ zugemauert worden. Es handelt Geschirrkammer sich um eine Geschirrkammer und nicht um die Auslagen eines Töpfereiladens, denn ein Großteil der sonst so häufigen Gefäßtypen (z. B. Kochgeräte und Lampen) fehlt. Die schier unfassbaren Mengen an Essgeschirr in der Geschirrkammer lassen darauf schließen, dass die Zahl der hier Speisenden nicht gering war. Das Geschirr gehört einem einfachen, unverzierten Stil an. Importierte Keramik findet sich – im Gegensatz zu den nahegelegenen Palästen in Jericho – nicht. Ein zweites Argument für die Deutung von L77 als Speisesaal ist eine Abzweigung des Hauptwasserkanals neben seiner Nordtür. Diese Abzweigung ermöglichte in Periode I eine elegante Reinigung durch die Einleitung von Wasser, das wegen des leichten Gefälles des Fußbodens durch die Südtür auf die Esplanade abfließen konnte. In Periode II wurden Kanal und Südtür barrikadiert und unweit der Ostwand drei Säulenbasen mit Holzsäulen dazu gebaut, um die Dachbalken zu stützen. Nun konnte der Raum nicht mehr einfach gesäubert werden, aber er besaß ein zweites Stockwerk. De Vaux leitete aus in L77 gefundenem und Periode II zugeordnetem Essgeschirr ab, dass der Raum auch weiterhin als Speisesaal genutzt

7.1  Die wichtigsten Gebäude und Objekte    109

Abb. 12:  Geschirrstapel in Locus 89

wurde. Aber dieses Geschirr stammt wohl eher aus dem darüber liegenden neuen Speisesaal in der zweiten Etage (Magness, Archaeology, 122). Ein weiterer Speisesaal wird im Westen vermutet, weiterer Speisesaal nahe der Mehrzahl der Tierknochendepots im Norden der Siedlung (L130, L132, L135), nicht unweit der runden Zisterne und nah bei L114, wo mehrere Stapel Essgeschirr vom Ende des ersten Jahrhunderts v. Chr. ausgegraben worden sind (ca. 180 Teller, Schüsseln und Becher). Ein in den Boden von L51 unweit der Töpferei an der Ostseite des Hauptgebäudes eingelassener Krug mit dunklen erdähnlichen Sedimenten fungierte als Toilette (vgl. Magness, Archaeology, Toilette 105 – 113). Sie wurde nur bis zum Erdbeben 31 v. Chr. benutzt und kann unmöglich der einzige Abort für die zwei- oder dreistellige Zahl an Bewohnern gewesen sein. Römer hatten keine Scheu, ihre „Geschäfte“ mitten auf der Straße einer Stadt zu verrichten. Wer dies in Qumran unbeobachtet erledigen wollte, musste die Siedlung gen Norden verlassen, denn im Süden war die Esplanade, im Osten der Friedhof und im Westen der Wasserkanal. Eine Hacke ist als Zeuge für essenische Toilettenkultur interpretiert worden, was jedoch mehr als unsicher ist. Der Paläoanthropologe Joseph Zias hat die Erde ca. 1000 m nördlich von Qumran parasitologisch untersuchen lassen und dabei Wurmarten gefunden, die sich nur in menschlichen Ausscheidungen finden. Es ist allerdings unklar, ob sie von antiken Bewohnern oder späteren Besuchern stammen

110    7  Leben in und um Qumran: Gebäude und Objekte

Wasserinstallationen

Aquädukt

Zisternen

Mikven

oder von Springfluten angeschwemmt worden sind, da ihr Kontext nicht versiegelt war und sie nicht mit archäologischen Funden verknüpft waren. Ohne Zweifel sind die Wasserinstallationen ein für den Laien besonders beeindruckendes Merkmal Qumrans (Galor in Humbert/Gunneweg). Ohne Quellen und mit nur sehr geringem Regenfall hängt die Wasserversorgung Qumrans an den Springfluten des Wadis. Seit Periode Ib führt ein über 700 m langer Aquädukt Wasser vom Wadi zu einem Absetzbecken an der Nord-West-Ecke der Siedlung. Dass dieser Kanal teilweise als Tunnel in den Felsen geschlagen wurde, ein äußerst mühseliges und kompliziertes Unternehmen, zeigt die Wichtigkeit der Wasserinstallationen für die Bewohner. Sie ermöglichen es, gigantische Wassermengen zu speichern (fast 1000 m³), ein halbes Olympisches Schwimmbecken. Großzügig gerechnet wäre dies genug für den Jahresbedarf von ca. 400 Personen (7 Liter / Tag). Aber nicht alle Installationen dienten als Zisterne. Wir haben schon gesehen, dass einige Speicher mit der Töpferei verbunden waren (L68 – 71), also mehr industriellen Zwecken dienten als der Trinkwasserversorgung. Architektonisch kann man mindestens zwei Typen von Wasserbecken unterscheiden. Einige haben Stufen, die bis ganz unten führen, andere nicht. Einige Treppen nehmen die ganze Breite ein, andere sind sehr schmal. Unnötige Stufen in einer Zisterne sind aber ein Kostenfaktor in Bau und Unterhalt (durch die zusätzlichen Ritzen, die jeweils besonders dicht gehalten werden müssen) und bedeuten den Verlust von Speichervolumen, vor allem wenn sie so breit sind wie das Wasserbecken. Normale Zisternen haben daher entweder überhaupt keine Treppenstufen (L110) oder sehr schmale, oder sie enden am frühestmöglichen Punkt, von dem dann Schöpfgerät herabgelassen werden kann. Wasserbecken, deren Stufen bis nach unten führen, fungieren in dieser Region und Epoche als Bad. Die Unterscheidung von Bädern und Reinigungsbädern (Mikven) ist wesentlich subtiler, da es nicht einfach ist, anhand archäologischer Charakteristiken den Zweck menschlichen Badens zu eruieren. Öffentliche Bäder und besonders reiche Villen haben ein Abkühlbad (frigidarium) mit einer Treppe. Spezielle Bäder für jüdische rituelle Reinigungen heißen Mikve. Die rabbinische Literatur regelt die technischen Details im Traktat Mikvaot. Seine Vorschriften sind aber nicht alle einfach auf die Mikven der Zeit des Zweiten Tempels übertragbar, die die Notwendigkeit des „fließenden“ Wassers anscheinend anders interpretierten. Wir wissen auch nicht, ob die Bauvorschriften der Bewohner Qumrans rabbinischen (also pharisäischen?) Regeln folgten. Geographischer und chronologi-

7.1  Die wichtigsten Gebäude und Objekte    111

Abb. 13:  Zisterne (L91) vs. Mikve (L48/49)

scher Kontext und Details ermöglichen jedoch manche Präzisierung (Galor, Reich). Manche Mikven haben eine kleine Trennschwelle in der Mitte der Treppe, um die auf der einen Seite herabsteigenden Unreinen von den auf der anderen Seite aufsteigenden Reinen zu trennen (s. u. Reinigung, 11QTa LV 4f, Papyrus Oxyrhynchus 840, mSheq 8,2; Magness, Archaeology 145). Andere Mikven haben regelmäßig in Höhe und/oder Breite alternierende Treppenstufen, die es ermöglichen abzuschätzen, ob das Tauchbecken noch die halakhisch notwendige Minimalmenge an Wasser enthält. Nach diesen Kriterien kann man L91 und L110 sowie (nach dem Umbau) L58 als Zisternen identifizieren, während die große Zisternen Mehrheit der Wasserspeicher (L48+L49, L56, L68, L71, L117, L118 und L138) als Mikven bezeichnet werden müssen. L83 und L69 haben schmale Treppen und liegen neben Werkstätten und können, wie auch in den hasmonäischen Palästen Jerichos, für die Reinigung von Objekten gedient haben. Dies bedeutet immer noch eine Speicherkapazität von ca. 360 – 450 m³ in den Zisternen, genug für 100 – 200 Leute mit Packtieren (6 Liter Tagesverbrauch pro Person für Kochen und Trinken ergibt ca. 2 m³ pro Jahr pro Person). Töpfern und andere Werktätigkeiten werden beträchtliche Wassermengen benötigt haben. Mikven wurden in Judäa z. B. in den hasmonäischen Palästen Jerichos, den Herodianischen Villen Jerusalems, in Masada und in Hebron entdeckt. Die Konstruktionsweise der Mikven Qumrans gleicht dem Typ Jerusalems und unterscheidet sich von Jericho (Reich). Ihre Blütezeit war das erste Jahrhundert vor und nach Christus. Die Proportionen der Gesamtfläche des Gebäudekomplexes zum Mikvevolumen entsprechen etwa denen des Villenviertels in Jerusa-

112    7  Leben in und um Qumran: Gebäude und Objekte lem. Da in Jerusalem diese Mikven aber in Kellerräumen liegen, in Qumran jedoch ebenerdig angelegt wurden, wirkt ihre Gesamtfläche in den Bodenplänen Qumrans überproportional groß. Tatsächlich übertreffen Qumrans Mikven in Größe die Mikven Jerusalems und Jerichos. In Qumran gibt es weitaus mehr Wasser in Mikven als in Zisternen, während andernorts stets die in Zisternen gespeicherte Wassermenge diejenige in Mikven übertrifft. In Jerusalem dienten die Mikven der rituellen Reinigung vor dem Betreten des Tempels. Dies zeigt die besondere Bedeutung der Reinigungsbäder für die Bewohner Qumrans, die sich, rein nach den archäologischen Gegebenheiten, offensichtlich mindestens ebenso oft in die Mikve begaben wie die Priester Jerusalems. Für eine Familie oder eine kleine Soldateneinheit wären sie völlig überdimensioniert. Auch das Wassersystem kannte eine Entwicklung. Leider ist die Stratigraphie wegen fehlender Veröffentlichungen des Materials weiter unsicher. Die runde Zisterne L110 gehört einem anderen Konstruktionstyp an als alle anderen und könnte schon in der Eisenzeit in Betrieb genommen und dann bis in Periode III weiter genutzt worden sein. In Periode I wurden die Wasseranlagen wesentlich erweitert, zum einen durch Mikven und Zisternen, wobei die Bedeutung der ersteren überwog, zum anderen durch den 750 m langen Kanal. Nach de Vaux kamen in Periode Ia zunächst die beiden neben Zisterne L110 liegenden Installationen L117 und L118 hinzu, danach die oben erwähnten L48+L49, L50, L56+L58, L91 und schließlich auch L71. Nach dem Erdbeben waren die Mikven L48+L49 und L50 unbrauchbar geworden. Die Mikve L56+L58 wurde durch eine Teilwand in eine Mikve (L56) und eine Zisterne (L58) geteilt. Die Mikven sind dabei alles andere als zufällig platziert. Sie befinden sich unter anderem neben dem Eingang im Nordwesten (L138) und neben dem Speisesaal (L56). In Periode III wiederum wurden bis auf L110 und L71 und die Zufuhrkanäle fast alle Teile der Wasseranlage nicht weiter betrieben. Heute nehmen fast alle Forscher an, dass die Zisternen und Mikven überdacht waren, um die Verdunstung und Verschmutzung so gering wie möglich zu halten. Ihre Mauern waren ebenso dick wie die anderen überdachten Bereiche und standen nicht weiter auseinander. Man scheint also Acht gegeben zu haben, sie mit den aus den örtlichen Palmen gewonnenen Balken begrenzter Länge überdachen zu können. „Scriptorium“ Der meist diskutierte Raum Qumrans ist das sogenannte „Scriptorium“ in L30. Dies ist ein 13 m x 4 m großer Raum im Westteil des Hauptgebäudes in der oberen Etage. Hier fand de Vaux die Reste merkwürdiger und bislang absolut einzigartiger Möbel aus mit Gips verputzten Lehmziegeln, deren Zustand nahelegt, dass

7.1  Die wichtigsten Gebäude und Objekte    113

Abb. 14:  „Tisch“ und „Bank“ aus L30

Abb. 15:  Gipsmöbel: „Tablett“ (vorne), „Tisch“ (Mitte), dahinter verdeckt die „Bank“

sie aus dem zweiten Stock heruntergefallen sind: einen immensen ca. 5 m langen, etwa 50 cm hohen, aber oben nur 40 cm und unten sogar nur 18 cm schmalen „Tisch“ (KhQ967) mit einer ebenso langen, aber sehr schmalen und niedrigen „Bank“ (Kh968) (de Vaux, Archaeology, 29 – 33). Neben Fragmenten von zwei weiteren „Tischen“ und einer weiteren „Bank“ (KhQ 969 – 971) wurde hier auch eine Art umrandetes Gipstablett mit zwei runden Vertiefungen entdeckt (KhQ 966).

114    7  Leben in und um Qumran: Gebäude und Objekte Da sich unter den Funden in diesem Locus außerdem auch zwei kleine Tintenfässer befinden (KhQ 436 und KhQ 473), ein seltenes Objekt in archäologischen Ausgrabungen, liegt der Schluss nahe, dass in diesem Raum in der zweiten Etage Texte geschrieben wurden. Ein derartiger Raum wird in mittelalterlichen Klöstern als „Scriptorium“ bezeichnet. Das Problem mit dieser Deutung ist, dass auf antiken Abbildungen aus diesem Zeitraum Schreiber die Schriftrolle, die auf ihren Knien aufliegt, im Schneidersitz beschreiben. Wer auf den „Bänken“ im Schneidersitz saß, um eine auf dem „Tisch“ liegende Rolle zu beschreiben, hätte eine ungünstige und in der Antike sonst unbezeugte Schreibposition eingenommen. (Die umgekehrte Erklärung, die Schreiber hätten mit der Rolle auf den Knien auf dem „Tisch“ gesessen und die Füße auf den „Bänken“ abgestützt, ist völlig unmöglich, da die unten schmalen „Tische“ aus Lehmziegeln unter dem Gewicht zerbrochen wären). Die Länge von 5 m würde es erlauben, Rollen für die Beschriftung vorzubereiten. Für eine Triklinium Interpretation als Esstisch mit Liegebänken wie in einem Triklinium (Donceel, Hirschfeld 139 – 142) ist die „Bank“ viel zu schmal. Wiederum wäre der „Tisch“ zu labil, um liegende Personen aufzunehmen. Man hätte im Schneidersitz auf den „Bänken“ sitzend am „Tisch“ speisen können. Ähnliche Installationen finden sich in unterirdischen kappadozischen Städten. Allerdings sind diese aus viel späterer Zeit und einer ganz anderen Region. Der genaue Zweck der Möbel bleibt umstritten. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ist aber etwas in diesem Raum geschrieben worden (Tintenfässer). Raumkomplex L1, Der Raumkomplex L1, L2, L4 ist sehr unterschiedlich gedeutet L2, L4 worden: z. B. wird L4 wahlweise als Versammlungsraum (de Vaux), Bibliothek (Greenleaf Pedley), evtl. mit Lesesaal (Stegemann) oder Eingangshalle (Hirschfeld) gesehen. Dieser Flügel hat in der Tat einige Besonderheiten: Erstens ist er eine abgeschlossene Einheit. In die Räume L1 und L2 (letzterer entstand in Periode II aus einer Teilung von Raum L1) gelangt man nur durch L4. Zudem befinden sich an den Wänden von L4 ringsherum etwa 10 cm hohe verputzte bankartige Flächen. Dazu gibt es eine kleine Durchreiche in der Wand zwischen L2 und L4, über deren Verwendung de Vaux und Stegemann besonders schön spekuliert haben. Schließlich enthalten L2 und L4 Nischen, wo einmal so etwas wie ein Schrank gestanden haben kann. Selbst 1000 Schriftrollen brauchen nicht mehr als ca. 10 m² Wandfläche als Stauraum. Die Keramik aus L1 und L2 (viele Teller und kleine Krüge) würde eher für einen Speisesaal sprechen, doch entspricht sie vielleicht den letzten Tagen der Nutzung. Jede Deutung dieses Flügels bleibt Spekulation.

7.1  Die wichtigsten Gebäude und Objekte    115

Abb. 16:  Tierknochendepot

An verschiedenen Orten im Nordwesten und Süden außerhalb der Gebäude selbst sind heile und zerbrochene umgestürzte Tongefäße Tierknochendepots mit Tierknochendepots gefunden worden. Die Tierknochendepots gehören aufgrund der Keramik in Periode I oder II. Manchmal wurden sie leicht eingegraben. Die Knochen stammen von jungen und ausgewachsenen Schafen, Ziegen und Kühen, also koscheren Haustieren, die auch zum Opfer hätten dienen können. Auffälligerweise fehlt Geflügel, das billigste Fleisch. Die Tiere wurden teils gebraten, teils gekocht. Nicht immer sind alle Knochen eines Tieres in einem Gefäß. Dieser bislang einzigartige Fund hat zu den unterschiedlichsten Deutungen geführt (s. u., S. 297). Es ist unwahrscheinlich, dass man wilde Wölfe, Schakale und wilde Hunde vom Räubern abhalten wollte, denn einige Depots sind viel zu nah an der Oberfläche. Es wäre praktischer gewesen, diese Knochen einfach ins Tal zu kippen. Die meisten deuten die Knochendepots daher als religiöse Praxis. Einige Becher, Pokale und Gefäße sind nicht aus Keramik, sondern aus Kalkstein. Steingefäße, von denen auch in Masada, Jeru- Steingefäße salem, Jericho, Jaffa, Kapernaum, Gamla oder Ein Gedi Exemplare gefunden worden sind, haben halakhisch gegenüber (gebrannter) Keramik den großen Vorteil, dass sie nicht unrein werden können (mKel 10,1; mOh 5,5; mPar 5,5; mJad 1,2). Sie sind unweigerlich ein Zeichen für jüdische Bewohner, wie auch das Johannesevangelium erzählt (Joh 2,6). Die bekannten Exemplare stammen alle aus dem ersten Jahrhundert v. Chr. bis zum zweiten Jahrhundert n. Chr.

116    7  Leben in und um Qumran: Gebäude und Objekte

Abb. 17:  Steinscheibe aus L45

Eine mysteriöse runde Steinscheibe aus L45 gibt einige Rätsel auf. Nach ihrer Entdeckung war sie fast 40 Jahre völlig in Vergessenheit geraten und wurde erst bei einer Inventarkontrolle wiederentdeckt. Sie hat einen Durchmesser von 14,2 cm und ist leicht konkav. Vier tiefe sehr gleichmäßig gezogene Rillen teilen sie in einen breiten und vier schmale konzentrische Ringe auf (A – E von innen nach außen). Die drei äußeren Ringe tragen jeder eine unterschiedliche Anzahl von 60, 72 und ca. 84 – 90 flachen Markierungsritzen. Dazu hat sie ein größeres Loch in der Mitte. Auf der Rückseite ist der Buchstabe ajin eingeritzt. Wahrscheinlich musste in das Loch in der Mitte und die nächste breite runde Kerbe ein Objekt eingesetzt werden, das mit Hilfe der Markierungsritzen erlaubte, vom Stand des Schattens eine Sonnenposition als Uhr oder Kalender abzulesen. Von einigen Forschern als „Sonnenuhr“ betrachtet, gleicht sie allerdings keinem einzigen der bislang bekannten antiken Typen aus dem römischen Mittelmeerraum, von dem auch einige Exemplare in Judäa und sogar auf dem Tempelberg gefunden worden sind. Da die Abstände zwischen den Markierungsritzen nicht ganz gleichmäßig sind, ist die Genauigkeit der mit diesem Gerät gemachten Beobachtungen zweifelhaft (Ben-Dov). Neben Steingefäßen wurden in Qumran auch Scherben von Glasgefäße mindestens 89 Glasgefäßen gefunden. Dies ist durchaus nicht uninteressant für die Interpretation, denn bestimmte Glasarten waren in dieser Zeit ein Luxusgut. Doch gehören praktisch alle sicher

mysteriöse runde Steinscheibe

7.2 Friedhöfe    117

vor 68 n. Chr. datierbaren (publizierten) Gefäße verbreiteten, also billigen Typen an. Der Befund Qumrans ist reicher als der vieler ländlicher Siedlungen, in denen gar kein Glas entdeckt worden ist, aber nicht so luxuriös wie der einiger Villen Jerusalems (Mizzi; Magness, Stone, 66 – 70). Unter den zahlreichen Metallobjekten ist ein erst vor kurzer Zeit Metallobjekte untersuchter Klumpen verrosteten Eisens (KhQ 960) aus L52 im Ostteil des Hauptgebäudes zu nennen, gefunden unweit einer Installation, die de Vaux als Wäscherei deutete. Seine Restaurierung ergab ein Dutzend unterschiedlicher Utensilien, darunter eine Hacke, eine Art Sense, einen kleinen Kessel und eine Schere zum Schafescheren oder Tuchschneiden. Es handelt sich hier also zum Teil um Landwirtschaftswerkzeug. Unter den verschiedenen Ostraka, Inschriften und Graffiti sind mehrere Abecedarien (KhQ 161, KhQ 2289) und Schreibübungen Abecedarien (KhQ 2207) zu nennen, bei denen vielleicht ein Schüler Buchstaben lernt oder ein professioneller Kopist sein Schreibrohr testet (Lemaire). Viele der Worte sind hebräische Namen. Schließlich gibt es das berühmte Jachad-Ostrakon, das 1996 mehr oder minder zufällig an Jachad-Ostrakon der Außenseite der Umgehungsmauer Qumrans entdeckt worden ist (s. u. S. 146–149).

7.2 Friedhöfe Neben der Wasseranlage sind die Friedhöfe ein besonders auffälliges Phänomen in der Archäologie Qumrans. Der Unterschied zu gewöhnlichen Grabanlagen in Jerusalem und Galiläa in der ausgehenden Zeit des Zweiten Tempels ist frappierend. Dort wurden Tote, deren Familien sich dies leisten konnten, zumeist in Familiengräbern in Höhlen erstbestattet. Nach einiger Zeit wurden dann die Knochen in – oft verzierte oder mit dem Namen der Toten beschriftete – Steinossuarien (von lat. os Knochen) transferiert. Grabbeigaben sind nicht selten. Gräber sind nicht nach Himmelsrichtungen ausgerichtet, sondern orientieren sich am Platz in den Grabhöhlen. Der Hauptfriedhof erstreckt sich nur 30 – 40 m östlich der Um- Hauptfriedhof fassungsmauer der Siedlung. Drei kleinere Nebenfriedhöfe liegen etwa 1 km nördlich, auf der anderen Seite des Wadis im Süden und auf den Ausläufern des Plateaus im Osten. Insgesamt haben diese Friedhöfe etwa 1100 Gräber. Die meisten Gräber sind sehr uniform in parallelen Reihen angelegt und von einem flachen Steinhaufen bedeckt mit einem größeren Stein am Kopfende und manchmal auch am Fußende.

118    7  Leben in und um Qumran: Gebäude und Objekte

Abb. 18:  Gräber im Hauptfriedhof

Diejenigen, die bislang ausgegraben werden durften (angesichts charedischer Proteste ist dies in Israel ein lebensgefährliches Unternehmen, daher sind die meisten Ausgrabungen aus jordanischer Zeit), bestehen normalerweise aus einem etwa 1,5 – 2 m tiefen nordsüdlich ausgerichteten Schacht mit einer seitlich ein wenig tiefer gelegenen Grabstätte, dem sogenannten loculus. Nach dem Hineinlegen der Leiche mit dem Kopf im Süden, den Augen nach Osten und den Füßen gen Norden wurde der loculus sorgfältig mit Steinen abgedeckt, dann der gesamte Schacht zugeschüttet und mit dem Steinhaufen überdeckt. Die meisten Gräber enthalten keine Grabbeigaben. Praktisch alle Gräber dieser Art enthielten Skelette von erwachsenen Männern. Der Unterschied zu Jerusalem oder Galiläa könnte kaum größer sein. Außerdem wurden in einigen Gräbern Reste von Holzsärgen gefunden (T17–T19), was darauf hinweist, dass diese Leichen extra hierher gebracht wurden. Mindestens T18 stammt aus der Zeit des Zweiten Tempels. Allerdings scheinen in Qumran einige Gräber, meistens in den Nebenfriedhöfen oder am Rand des Hauptfriedhofs, einer anderen Typologie zu folgen als der oben genannten. Etwa 5 % der Gräber sind ost-westlich ausgerichtet. Diejenigen, die bislang ausgegraben wurden, sind flacher, enthalten Grabbeigaben (z. B. Steinperlenketten aus mamlukischer und osmanischer Zeit) und wesentlich mehr weibliche Leichen. Außerdem zeigen die Zähne dieser Gruppe an, dass sie anderen Nahrungsgewohnheiten folgten. All dies verstärkt

7.2 Friedhöfe    119

den Eindruck, dass es sich um zwei unterschiedliche Populationen handelt. Wir wissen, dass Beduinen auch anderswo bestehende Friedhöfe ausbauten. Von den 46 ausgegrabenen Gräbern sind 19 Gräber undatierbar, 24 Gräber sind aus der römischen Zeit und drei Gräber sind modern. Doch sind die beiden Gruppen nicht ganz sauber zu trennen. Zwei bis vier antike Gräber enthielten weibliche Skelette (T1000 enthielt gleich zwei, TA, vielleicht T9 und T22). Davon ist TA allerdings nicht im Hauptfriedhof, die Identifikation von T9 und T22 ist unsicher und T1000 ist eine Sekundärbestattung in Ost-Westausrichtung, die das Werk beduinischer Grabräuber sein kann. Mindestens ein anderes antikes Grab ist auch ost-westlich orientiert (T4). Die Statistik spricht zwar klar für sich, aber erst weitere archäologische Ausgrabungen werden für größere Sicherheit sorgen können. Qumran ähnliche Grabanlagen sind seit 1950 an mehreren anderen Orten um das Tote Meer und in Jerusalem bekannt geworden. Die Bestattungspraxis Qumrans ist also nicht mehr völlig isoliert. Am ähnlichsten sind Anlagen in Ein el-Ghuweir, einer kleinen Oase am Toten Meer 15 km südlich von Qumran. In den siebzehn untersuchten Gräbern fanden sich dreizehn Männer-, sechs Frauen- und ein Kinderskelett, die mit dem Kopf nach Süden und den Füßen nach Norden beerdigt worden waren. Eine feine Staubschicht und Flecken auf Knochen stammen wohl von gefärbten Leichentüchern. Grabbeigaben sind selten. Drei Gräber enthielten ovale Vorratskrüge, von denen einer in judäischer Schrift den Namen Jehochanan trug. Unweit dieses Friedhofs liegt eine zweifach zerstörte Siedlung, die durch Keramik und Münzen in etwa die gleiche Epoche wie Qumran datiert werden kann. Die Ähnlichkeit der Bevölkerung von Ein el-Ghuweir mit Qumran liegt auf der Hand, doch spricht die große Zahl der Frauen für eine andere Lebensweise. In Hiam el-Sagha, ein wenig nördlich von Wadi Murabbaat, wurde ein weiterer in Nord-Südrichtung angelegter Friedhof mit zwanzig Gräbern gefunden, von denen zwei geöffnet worden sind. Die anthropologische Analyse ergab, dass es sich um einen Erwachsenen und ein Kind handelt. Auch hier vermuten die beteiligten Archäologen die Identität mit der Bevölkerung Qumrans. In Khirbet Qazone auf der jordanischen Seite im Süden des Toten Meers konnten von 3500 zumeist bereits ausgeraubten nabatäischen Gräbern noch 40 regulär ausgegraben werden. Auch hier handelt es sich um tiefe Schachtgräber mit Einzelbestattungen in Nord-Südrichtung. Tücher und zahlreiche Grabbeigaben identifizieren die Toten aber eindeutig als Nabatäer aus dem ersten bis dritten Jahrhundert.

ähnliche Grabanlagen Ein el-Ghuweir

Hiam el-Sagha

Khirbet Qazone

120    7  Leben in und um Qumran: Gebäude und Objekte Schließlich sind auch in Jerusalem einige Schachtgräber ausgegraben worden. Die meisten sind allerdings – vielleicht wegen Beit Safafa des steinernen Untergrundes – flach (nur 0,5 m tief). In Beit Safafa im Süden Jerusalems wurde eine etwa 50 Gräber umfassende Anlage mit einer Konzentration an Schachtgräbern gefunden. Einige Gräber stammen aus der herodianischen Epoche, andere sind aus römischer oder frühbyzantinischer Zeit. Hier gibt es relativ wenige Grabbeigaben. Die Proportionen von Männern zu Frauen sind nicht so extrem wie in Qumran (15 zu 10 unter den identifizierten Skeletten). Qumrans Friedhof ist also nicht so einmalig, wie es in den 50er Jahren schien. Doch haben wir trotz kleinerer Gemeinsamkeiten mit anderen Orten bislang keinen jüdischen Friedhof mit einer auch nur annähernd so hohen Gräberzahl aus dieser Zeit gefunden, dessen Gräber ähnlich angelegt sind, kaum Grabbeigaben enthalten und dazu einen derartig niedrigen Anteil weiblicher Skelette aufweisen. Letzteres ist höchst bemerkenswert, denn normalerweise beträgt die Proportion weiblicher Skelette um die fünfzig Prozent. Wer lebte, starb oder begrub hier also? Es ist bisher in Judäa kein Bauernhof, keine Festung, Villa, Karawanserei oder Töpferei mit einem ähnlich großen Friedhof gefunden worden. Eine weitere Besonderheit Qumrans sind die Höhlen und vor allem ihre Schriftrollen, die wir uns jetzt näher anschauen werden.

7.3 Im Keller: Höhlen im Mergelplateau

zwei verschiedene Höhlentypen künstlich natürlich

Höhlen haben den großen Vorteil, Schutz vor den auch am Toten Meer weit verbreiteten wilden Tieren zu geben, ohne dass man ein ganzes Gebäude errichten muss. Einzig der Eingang muss bewacht werden. Höhlenklima ist im Sommer kühl und im Winter warm. Daher findet man seit der Steinzeit Hinweise auf Menschen in Höhlen, auch am Toten Meer. Als dauerhafte Unterkunft taugen sie allerdings nur, wenn ihr Boden so ebenerdig (gemacht worden) ist, dass man waagerecht schlafen kann, und sie ausreichend belüftet sind. Außerdem braucht man eine Wasserquelle in nicht zu großer Entfernung. Topographisch muss man bei Qumran daher grundsätzlich zwei verschiedene Höhlentypen unterscheiden: Auf der einen Seite die künstlich geschaffenen Höhlen im Mergelplateau auf dem Plateaufinger der Siedlung (Höhlen 7, 8, 9) oder in dem direkt westlich davon gelegenen Plateaufinger (Höhlen 5, 4a, 4b, 10); und auf der anderen Seite die natürlichen Höhlen im Kalksteinkliff mehr oder minder hoch über der Siedlung und teilweise einige Kilometer

7.3  Im Keller: Höhlen im Mergelplateau    121

entfernt (Höhlen 6, 2, 1, 11, 3). Erstere können dauerhaft bewohnbar sein. Letztere taugen allenfalls als Notunterkunft. Die Höhlen wurden in der Reihenfolge nummeriert, in der sie den Archäologen bekannt wurden. Insgesamt elf Höhlen gelten als „Schriftrollenhöhlen“ (engl. „scroll caves“) und tragen ein „Q“ in ihrem Namen (3Q, 11Q etc.). (Dazu gibt es etwa 40 andere Höhlen mit archäologischen Funden, aber ohne Schriftrollen, die kein Q in ihrer Abkürzung tragen und selten erwähnt werden (s. u., S. 125–127)). Zu beachten ist, dass selbst in den sogenannten Schriftrollenhöhlen nur in zwei Fällen wirklich ganze Schriftrollen gefunden wurden. Dies gilt nur für die Höhlen 1 und 11, in denen einige Schriftrollen in Tücher eingewickelt und in Krügen versiegelt den Nagern und Insekten entkamen, sowie für die Kupferrolle aus Höhle 3, deren Material ihnen keine Angriffsmöglichkeit bot. Die anderen in diesen drei Höhlen verborgenen Schriftrollen hatten dieses Glück nicht und sind nur als Fragmente erhalten. In den anderen Höhlen (2, 4a, 4b, 5 – 9) galt dies für alle Überreste. Beginnen wir unseren Rundgang durch die Schriftrollenhöhlen Schriftrollenhöhlen bei der Siedlung und enden bei den am weitesten davon entfernten Höhlen. Drei Schriftrollenhöhlen 7, 8 und 9 liegen auf dem Mergelplateaufinger der Siedlung im Inneren der Umfassungsmauer und sind nur von der Esplanade im Süden aus betretbar. Sie sind insofern als Teil der Siedlung, als Annex oder Keller, zu betrachten. Leider waren sie bei ihrer Entdeckung schon stark erodiert und wurden durch die Grabungen völlig zerstört. Die in ihnen gefundene Zahl an Schriftrollen war gering. Die über eine Treppe zugängliche relativ kleine Höhle 7 enthielt winzige Fragmente von vielleicht zwanzig Höhle 7 Papyrusrollen ausschließlich in griechischer Schrift und Sprache, paläographisch vorsichtig ins erste Jahrhundert v. Chr. datiert. (Auch in den Höhlen 4a und 4b wurden griechische Fragmente gefunden, aber in begrenzter Zahl). Dass in Höhle 7 nur griechische Fragmente gefunden wurden und dass sie anderswo selten sind legt nahe, dass Höhle 7 eine spezielle Auswahl darstellen muss. Unter den Rollen befanden sich Fragmente griechischer Versionen vom Buch Exodus, dem Brief des Jeremia und der Epistel Henochs. Viele Fragmente sind wegen ihrer Winzigkeit noch nicht identifiziert. Neben den Fragmenten fanden sich hier noch drei Krüge, zwei Schüsseln, eine herodianische Lampe und Scherben eines älteren Pokals. Einer der Krüge trägt in judäischer Schrift die Aufschrift roma, vielleicht ein in dieser Gegend gebräuchlicher Personenname. Höhle 8, südlich von Höhle 7, enthielt neben drei Pergamentfragmenten (Genesis, Psalm und eine Hymne) eine Mezuza, einen Gebetsriemen und eine große Menge an Verschlussriemen, Kästchen für Gebetsriemen, und andere Lederobjekte (auch eine Sandale)

122    7  Leben in und um Qumran: Gebäude und Objekte sowie Datteln, Scherben von drei Krügen, eine Schüssel, eine besonders große Lampe und einen Teller. Vermutlich war hier eine Art Lederwerkstätte für Gebetsriemen und Rollenverschlüsse. Höhle 9 liegt etwas über die Spitze des Ausläufers hinaus. Zum Großteil bereits durch Erosion zerstört wurden hier ein einziges unidentifiziertes Papyrusfragment, Teile eines Seils und Datteln gefunden. Von einer Schriftrollenhöhle zu sprechen, ist also etwas großspurig. Im nächsten Finger des Mergelplateaus, nur einen Steinwurf von der Siedlung Richtung Kliff, befinden sich vier weitere Höhlen. Von Höhle 5 der Siedlung gelangt man als erstes zur Höhle 5, von der heute nur noch eine Delle in der Plateauwand zu sehen ist. Bevor ein Großteil von ihr in den Abhang gerissen wurde, hatte sie, ähnlich wie die Höhlen 4a und 4b, mehrere Räume und eine hohe Decke. Bis auf kleine Pergamentfragmente von ca. 25 Texten und einige Knochen war die Höhle leer. Nicht eine Tonscherbe! In den beiden äußersten Ausbuchtungen des Qumran nächstgelegenen Mergelplateau-Ausläufers liegen die zwei zweifellos Höhlen 4a und 4b wichtigsten Höhlen 4a und 4b, die beide zusammen das Sigel 4 erhalten haben. (Da die Beduinen bereits die meisten Fragmente weggebracht hatten und man nun nicht mehr wusste, ob ein Fragment aus Höhle 4a oder 4b kam, hätte man ansonsten eine wenig hilfreiche und sehr sperrige Abkürzung verwendet (z. B. 4a/4bQ253)). Die größere Höhle 4a hat drei Kammern, davon ist eine mit ca. 8 m x 3,25 m sogar fast ein Saal. Höhle 4b südwestlich von 4a besteht aus zwei Kammern. Die „Balkone“ der Höhlen 4a und 4b sind zum Wahrzeichen Qumrans geworden. Zwei Drittel bis drei Viertel aller Qumranfragmente kommen aus diesem Höhlenkomplex, hauptsächlich aus Höhle 4a. Löcher in regelmäßiger Höhe können Anzeichen für die Existenz von antiken Regalkonstruktionen sein (Schiffman). Nach Broshi haben die Beduinen ausgesagt, bei ihren Beutezügen in Höhle 4 gefundenes Holz den Hang herunter geworfen zu haben. Wir werden es also nie genau wissen. Höhle 4b war fast leer. Höhle 4a hingegen enthielt etwa 15 000 Fragmente, Stoffreste, Gebetsriemen, und Keramik aus Perioden I und II: zwölf ovoide und zylindrische Krüge (davon einer [?] mit einem Dipinto), einige Teller, Schüsseln und einen Kochtopf sowie eine Lampe (zur Archäologie s. DJD 6). Zumindest die Lampe könnte auch nach 68 n. Chr. datieren. Ein hebräischer Text ist auf seiner Rückseite mit einer griechischen Einkaufsliste beschrieben. Beides kann spätere Besuche bezeugen. Unweit von den Höhlen 4a und 4b wurde später Höhle 10 entdeckt. Sie kann nicht wirklich mit den anderen Schriftrollenhöhlen auf eine Stufe gestellt werden, da sie nur eine Krugscherbe mit zwei Buchstaben, eine Lampe und eine Matte enthielt. Hanan Eshel und

7.3  Im Keller: Höhlen im Mergelplateau    123

Abb. 19:  Höhlen 4a, 4b (links) und 5 (rechts) von der Esplanade Qumrans aus gesehen

Abb. 20:  Höhle 4a von innen

124    7  Leben in und um Qumran: Gebäude und Objekte Magen Broshi haben nördlich im Mergelplateau von Qumran mindestens sechs zusammengestürzte Höhlen (Höhlen A – F) mit Keramik aus dem ersten Jahrhundert vor und nach Christus entdeckt, die vermutlich wie auch die Höhlen 5, 7, 8 und 9 als Wohnhöhlen dienten. Antike Nägel (aus Sandalen) und Münzen gaben ihnen Hinweise auf ein Wegenetz, das diese Höhlen einmal mit der Siedlung verband.

7.4 Schriftrollenhöhlen im Kliff bei Qumran

Höhle 6

Höhle 2

Höhle 1

Höhle 11

Alle anderen Schriftrollenhöhlen liegen im zerklüfteten Kalksteinkliff, das sich westlich von Qumran mit einer anspruchsvollen Steigung 200 m in die Höhe erhebt. Bis auf Höhle 3 wurden alle von Beduinen entdeckt, die die Region seit Jahrhunderten bewohnen, ihre Herden hier im Winter weiden lassen und manchmal auch in Höhlen Zuflucht suchen. Beginnen wir unseren Rundgang durch die Höhlen wiederum mit der nächstgelegenen Höhle (6) und gehen dann immer weiter nach Norden (Höhlen 2,1,11 und 3). Am Eingang zu Wadi Qumran, unterhalb des Aquädukts und in nur 250 m Entfernung von der leicht höher gelegenen Siedlung befindet sich die kleine von Beduinen entdeckte Höhle 6. Viele der hier gefundenen ca. 30 Texte sind sehr fragmentarische kursive und semikursive Papyri biblischer und nicht-biblischer Texte. Dieses Loch enthielt im Übrigen nur eine Schüssel und einen Krug. Sie war mit Sicherheit nicht bewohnbar. Die aus zwei Kammern bestehende Höhle 2 liegt etwa 1,5 km nördlich der Siedlung, nur wenig südlich von Höhle 1, doch ein ganzes Stück höher im Kliff. Neben Fragmenten von ca. 35 hauptsächlich biblischen Rollen, Sirach, Jubiläenbuch und Neues Jerusalem fanden die Beduinen hier Scherben von ca. sechs bis zehn Krügen. Die in Höhle 1 entdeckten sieben „großen“ Rollen waren in Tuch gewickelt in Krügen aufbewahrt, wie eine Rolle in Leintuch, das noch mit einer Scherbe verbunden ist, bestätigt. Dazu gab es Fragmente von vielleicht 70 anderen Texten, drei Gebetsriemen, einen Holzkamm, Fragmente von mindestens 50 meist zylindrischen Krügen mit Deckeln. Zwei hellenistische und zwei herodianische Lampen zeigen, dass diese Höhle in verschiedenen Epochen als Versteck benutzt worden ist. Die Präsenz einiger ovoider Krüge verstärkt diesen Eindruck. Oliven- und Dattelkerne, ein Kessel und ein kleiner Krug lassen darauf schließen, dass hier vielleicht Nahrung gelagert wurde. Als Quartier ist die Höhle ungeeignet. Höhle 11 liegt etwa 1 km weiter nördlich als die Höhlen 1 und 2. Sie war in der Antike durch einen großen Felsbrocken verschlossen

7.5  Höhlen ohne Schriftrollen im Kliff    125

worden. Durch eine Öffnung konnten nur Fledermäuse hinein und hinaus, bis es Beduinen 1956 gelang, sich Zugang zur Höhle zur verschaffen. Zwar fanden sie nur um die 30 Texte, doch waren darunter, wie in Höhle 1, einige umfangreiche Rollen, unter anderem eine Psalmenrolle (11Q5), die auch unbekannte Psalmen enthält, eine Levitikusrolle (11Q1) in paläohebräischer Schrift, eine bislang ungeöffnete Ezechielrolle (11Q4), umfangreiche Fragmente eines Jobtargums (11Q10) und die beiden Exemplare der Tempelrolle (11Q19 = 11QTa, 11Q20 = 11QTb). Neben diesen Rollen wurden hier auch einige Eiseninstrumente, ein wenig Keramik, Reste von Körben und Seilen sowie Tücher gefunden. Als dauerhaftes Quartier ist die Höhle zu schlecht belüftet, zu uneben und zu weit weg von einer Wasserquelle (Eshel, Taylor). Höhle 3 unweit nördlich von Höhle 11 und damit die nördlichste Höhle 3 Schriftrollenhöhle, die mit Qumran in Verbindung gebracht wird, ist die einzige von Archäologen entdeckte Höhle im Kalksteinkliff. Ursprünglich nicht sehr hoch, aber ca. 10 m breit ist sie in Urzeiten, vor der Besiedlung Qumrans, bis auf eine Ecke von etwa 3 m x 2 m zusammengestürzt (Patrich). Im vorderen Teil der Höhle fanden die Archäologen große Mengen an Tonscherben von ca. 40 Krügen, im hinteren Teil einige Fragmente, ein paar Stoffreste und sehr wenig Tonscherben. Von hier stammen auch die beiden Teile der Kupferrolle. In einen Krug ist vor dem Brennen an zwei Stellen der Buchstabe tet eingeritzt worden. Dies wird aufgrund einer Stelle in der rabbinischen Literatur (mMSh 4,11; tMSh 5,1) oft als Abkürzung für tevel gesehen, d. h. ein noch unverzehntetes Produkt, oder vielleicht für tov (gut) oder tahor (rein).

7.5 Höhlen ohne Schriftrollen im Kliff Als die Archäologen im Februar 1952 erfuhren, dass die Beduinen unweit von Qumran eine zweite Höhle mit Schriftrollen ausfindig gemacht hatten, organisierten sie sich in sieben kleinen Teams aus je einem erprobten westlichen oder arabischen Mitarbeiter und mehreren Ta‘amire-Beduinen und erkundeten unter immensen physischen Anstrengungen in nur zwei Wochen fast 300 Höhlen im Kliff über eine Strecke von 8 km (mit Qumran etwa in der Mitte). Man kann sich vorstellen, dass reguläre Ausgrabungen unter diesen Wettkampfbedingungen nicht stattfinden konnten. Zwar entdeckten die Archäologen bei dieser Tour de Force Schriftrollenhöhle 3, verpassten aber die Schriftrollenhöhlen 6 und 11. De Vaux’ Expedition fand 40 „Expeditionshöhlen“ („Survey Survey Caves Caves“) mit Resten menschlicher Zivilisation zwischen Kupfer-

126    7  Leben in und um Qumran: Gebäude und Objekte steinzeit und arabischem Mittelalter. In den 80er Jahren initiierte der Archäologe Joseph Patrich eine neue Erkundungstour in der gleichen Zone und fand Zivilisationsreste sogar in 57 Höhlen. (Die Schriftrollenhöhlen im Kliff sind in diesen Zahlen miteinbegriffen, und die 57 Höhlen enthalten höchstwahrscheinlich die meisten der 40 Höhlen von de Vaux. Es ist äußerst schwierig, viele dieser Höhlen anhand der nicht allzu genauen Karte von de Vaux in der heutigen Landschaft zu identifizieren). Alle diese Expeditionshöhlen erhielten bei beiden Erkundungstouren Identifikationsnummern, die sich teilweise überschneiden (s. DJD 3, die Liste von Bélis in Humbert/Gunneweg, die englische Übersetzung von de Vaux’ Tagebuch und Patrich). Sie kommen in den Publikationen relativ selten vor, daher kann man grundsätzlich davon ausgehen, dass mit Höhle 8 die Schriftrollenhöhle 8 gemeint ist und nicht die Expeditionshöhle 8 (welche mit Schriftrollenhöhle 3 identisch wäre). Etwa die Hälfte dieser Höhlen enthielt Keramik ähnlicher Typen wie in Qumran, zumeist zylindrische Krüge und ihre Abdeckungen. Nach Jodi Magness mögen zahlreiche in den Höhlen entdeckte Krüge für die Lagerung von Nahrungsmitteln gedient haben. Nur in einer einzigen Höhle fanden die Archäologen Münzen. Oben, S. 12 f haben wir antike Schriftrollenfunde im dritten und achten Jahrhundert in Höhlen bei Jericho besprochen. Einige dieser Höhlen mögen südlich von Jericho gelegen haben – Jericho mag seiner Bekanntheit wegen als Ortsangabe gedient haben – , so dass sie mit einer oder mehreren der uns bekannten Qumranhöhlen identisch sind. Die Überreste zeigen grundsätzlich, dass die Höhlen im Kliff über Jahrtausende als temporäre Notunterkünfte, Zufluchtsorte und Verstecke gedient haben. Weitaus die meisten Höhlen waren aber aus den oben genannten Gründen kaum als langfristige Unterkünfte geeignet. Hätte z. B. ein Teil der Bewohner Qumrans längerfristig in den Höhlen im Kliff gelebt, müsste man auch ein weitgefächertes Wegesystem zu ihnen finden können, denn in der Wüste bleiben Wege und Rastplätze besser erhalten als anderswo. Für Laurenklöster, in denen die Mönche in ihren individuellen Eremitagen leben, um sich zum Gebet am gemeinsamen Ort einzufinden, hat Patrich genau solche Wegesysteme gefunden. Für Qumran gibt es das nur zu den von Broshi und Eshel entdeckten Höhlen A – F. Expeditionshöhle 13 In Expeditionshöhle 13 fand Patrich ein kleines Fläschchen mit einem Öl, für das er in Erwägung zog, es könnten Überreste Balsamöl höchst kostbaren Balsamöls sein. Der Titel der Veröffentlichung schließt mit einem Fragezeichen. Donceel und Hirschfeld haben aus dieser Möglichkeit eine Wahrscheinlichkeit oder sogar Gewissheit gemacht. Sie bleibt aber höchst unsicher, da wir gar kein Vergleichs-

7.6  Ein Feshkha    127

exemplar für Balsamöl haben. Schließlich ist es nicht sicher, ob dieses Objekt vor oder nach 68 in der Höhle deponiert worden ist. Nicht alles ist qumranisch, wie Mizzi gerade für diese Höhle gezeigt hat! Die zahlreichen Überreste aus dem zweiten Jahrhundert, aus der byzantinischen Epoche und dem arabischen Mittelalter zeigen, dass Höhlen öfter als Unterschlupf dienten. Es ist nicht unmöglich, dass in der Zukunft weitere Höhlen entdeckt werden. Erdbeben haben die Höhlenlandschaft seit der Antike verändert und manche Felsbrocken mögen antike Zugänge verschüttet haben.

7.6 Ein Feshkha Nur 2 km südlich von Qumran liegt direkt am Toten Meer die Oase Ein Feshkha (heute der Naturschutzpark Einot Tsuqim). Roland de Vaux grub hier 1956 – 1958 einen um einen Zentralhof angelegten, relativ großen (24 m x 18 m) rechteckigen Gebäudekomplex mit Gebäudekomplex einem 40 m x 40 m großen ummauerten Hof im Südwesten und einem kleineren ummauerten Hof mit zwei 0,8 – 1 m tiefen Becken und dazugehörigen Kanälen im Nordosten aus (Archaeology 60 – 87). Dazu gibt es ein 10 m x 3,5 m großes, mindestens 3 m tiefes Becken, das als Wasserspeicher gedient haben mag. Ein Teil des Hauptgebäudes war zweistöckig. Eine bedeutende Süßwasserquelle sprudelt hier bis heute (auch wenn sie wegen des Absinkens des Grundwasserspiegels ihre Position geändert hat). Das Gebäude ist genauso ausgerichtet wie Qumran, doch liegt der Eingang nicht nach Norden, sondern nach Osten Richtung Totes Meer. Die Münzen stammen hauptsächlich aus der Zeit zwischen Herodes dem Großen und der jüdischen Revolte (40 v. Chr. bis 67/68 n. Chr.). Unter der Türschwelle fand man einen kleinen Hort von Silbermünzen von Mattatias Antigonos (40 – 37 v. Chr.), was einen terminus post quem für die Bauzeit indiziert. Die Keramik entspricht Periode II in Qumran. Das Erdbeben hat keine Spuren hinterlassen. Eine einzige Ascheschicht stimmt mit dem gewaltsamen Ende von Periode II in Qumran überein. Nennenswerte Fundobjekte sind eine 80 cm große Steinvase, Fundobjekte ein feines Unguentarium (Gefäß für kostbares Öl) und ein Stück Asphalt – solches treibt von Zeit zu Zeit auf der Oberfläche des Toten Meers und war in der Antike ein kostbares Handelsgut. Die geographische und chronologische Nähe zu Qumran und der Keramikbefund lassen auf eine enge Beziehung der Bewohner beider Orte schließen. Die Nähe zum Toten Meer und zur natürlichen Süßwasserquelle mag eine Mikve unnötig gemacht haben.

128    7  Leben in und um Qumran: Gebäude und Objekte Zweck der Anlage und ihrer Installationen

Eine zentrale Frage ist der Zweck der Anlage und ihrer Installationen. Der Hof im Südwesten kann für Tierhaltung verwendet worden sein, ein Unterstand auch für das Trocknen von z. B. Datteln. In Qumran wurden größere Mengen an Dattelkernen gefunden und aus Palmenresten können wir schließen, dass die meisten Dachbalken Palmstämme waren. Für die Nutzung der großen relativ flachen Becken gibt es die verschiedensten Vorschläge: Gerbung oder Enthaarung von Tierhäuten (de Vaux, Stegemann), Fischteich (Zeuner), Dattel-, Indigo- (Bélis) oder Balsamproduktion (Hirschfeld). Für Fischteiche sind sie angeblich zu flach. Gerbung von Tierhäuten hätte hervorragend zu der Schafschere (KhQ 960) gepasst, die in L52 in Qumran gefunden worden ist – und zu den Schriftrollen. Auch das zu einer Spindel gehörende Objekt (AF 198) aus Ein Feshkha L18 passt zur Verarbeitung von Wolle. Allerdings haben chemische Untersuchungen der Rückstände keinerlei Gerbstoffe ergeben. Auch Tierhaare wurden hier nicht gefunden. Eine Indigoproduktionsstätte zur Färbung von Stoffen oder antike Balsamproduktion hätte ebenfalls Rückstände hinterlassen müssen. Auch fehlt der für die Balsamproduktion essentielle Ofen. Hirschfeld entdeckte in neuen Ausgrabungen 2001 Steinwalzen in Teilen der Wasserinstallationen. Diese können als Dattelpresse für die Produktion von Dattelwein oder Dattelhonig gedient haben (Netzer). In Periode III wurde Ein Feshkha in Schutt und Asche gelassen. Dafür gab es hier in byzantinischer Zeit, als Qumran nur noch ein Steinhaufen war, offensichtlich eine Art Klostergemüsegarten, den ein Einsiedler für das in den Ruinen der Festung Hyrkania erbaute Kloster Marda (Khirbet Mird) betrieb.

7.7 Wege und Pfade um Qumran In einer detaillierten Studie haben Joan Taylor und Shimon Gibson Transportwege am Toten Meer in Trampelpfade, Wege (ca. 2 m breit), Straßen (ca. 3 – 4 m breit) und Hauptstraßen (ca. 7 m breit und wagengängig) klassifiziert. Qumran liegt zwölf Kilometer südlich der Stadt Jericho mit den hasmonäischen Palästen, fünf Kilometer östlich der Festung Hyrkania, zwei Kilometer nördlich der Oase Ein Feshkha, fünf Kilometer nördlich der Anlegestelle Khirbet Mazin und ca. fünfzehn Kilometer nördlich der Oase Ein el-Ghuweir. Zu diesen Orten führen von Qumran nur Wege und Trampelpfade. Der wichtigste von ihnen ist ein Weg aus der Eisenzeit, der je nach Wasserspiegelhöhe des Toten Meeres größere Umwege über die unwegbaren Felsen nötig macht. Er führt von Jericho über

7.8  Exkurs: Die anderen Handschriftenfunde am Toten Meer    129

Qumran nach Ein Gedi im Süden. Dies ist weder eine der bekannten römischen Hauptstraßen noch eine überregionale Landstraße, sondern eine lokale Nebenstraße. Ein anderer Weg führt hinunter zum Toten Meer nach Ein Feshkha. Da keine Anlegestelle für Schiffe mehr erkennbar ist, muss diese im Vergleich zu anderen Anlegestellen relativ marginal gewesen sein. Ein schmaler steiler Pfad erklimmt das Kliff und führt zur Festung Hyrkania. Er ist aber mit Sicherheit nicht für regelmäßigen Verkehr tauglich und hätte einen mühsamen und großen Umweg nach Jerusalem bedeutet. Nun gab es auch Schiffsverkehr auf dem Toten Meer. Anlegestellen befanden sich in Machoza im Süden des Toten Meeres, in Ein Gedi und in Khirbet Mazin im Westen und in Rujm el-Bahr im Norden. Davon liegen zwei nahe bei Qumran. Die befestigte Anlegestelle Khirbet Mazin (arab. auch qasr el-yahud) liegt nur ca. Khirbet Mazin 5 km südlich von Qumran. Eine zweite Anlegestelle in der Nähe Qumrans ist Rujm el-Bahr (arab. für „Steinhaufen am Strand“) Rujm el-Bahr im Norden. Es war mit einem Turm und einem Wellenbrecher ausgestattet und wurde im ersten Jahrhundert v. Chr. erbaut. Auch von hierher sind die Wege keine breiten Handelsstraßen.

7.8 Exkurs: Die anderen Handschriftenfunde am Toten Meer Um die Qumranrollen als Sammlung besser begreifen zu können, lohnt es sich, einen Überblick über die anderen Textkorpora um das Tote Meer zu gewinnen. Schließlich stellen die Qumranrollen nur etwa die Hälfte der in den Wadis um das Tote Meer und in Samaria gefundenen antiken Texte dar. Dies sind von Süden nach Norden: Masada, Nahal Tseelim, Nahal David, Nahal Hever, Wadi Murabbaat, Khirbet Mird, (Qumran), Ketef Jericho und Wadi Daliyeh. Fast alle diese Orte haben (mindestens) zwei Namen, einen arabischen (Wadi …) und einen hebräischen (Nahal …). Die berühmte Festung Masada, malerisch auf den Zinnen eines Masada 400 m hohen allein stehenden Berges etwa 55 km südlich von Qumran gelegen, ist zwischen 1963 und 1965 von Yigael Yadin ausgegraben worden. Masada war von Alexander Jannai erbaut und von Herodes stark befestigt und ausgebaut worden. In der jüdischen Revolte wurde die römische Besatzung schon im Jahre 66 durch Sikarier überwältigt. Die Römer eroberten diese letzte Bastion der Aufständischen erst im Jahre 73/74 nach einer langen Belagerung. Aus der nachfolgenden Besatzungszeit fanden die Archäologen ca. 35 Dokumente und literarische Schriftrollen der römischen Soldaten auf Griechisch und Latein. Unter dem Zerstörungshorizont entdeckten sie an mehreren Orten kleine Fragmente von etwa fünf-

130    7  Leben in und um Qumran: Gebäude und Objekte

Bar Kosba (Bar Kokhba) Nahal Tseelim

Nahal Hever

5/6Hev 8Hev

XHev/Se

Nahal Mishmar

Wadi Sdeir

zehn hebräischen und aramäischen Schriftrollen, darunter auch eine Kopie von Jesus Sirach, ein Fragment in paläohebräischer Schrift sowie zwei bislang nur aus Qumran bekannte Kompositionen, die Sabbatopferlieder und die Admonition of the Flood. Die meisten Fragmente wurden in Kasematte 1039 und in der Synagoge entdeckt. Eventuell war dieses Handschriftenversteck eine Art Geniza. Es wäre allerdings die erste dieser Art. Neben den Schriftrollen wurden hier auch über 700 Ostraka (zumeist Lossteine mit einem einzigen Buchstaben) gefunden, die für die Paläographie bedeutend sind. Die Präsenz der beiden qumranischen Texte in Masada stellt die Frage der Beziehungen zwischen beiden Sammlungen. Vier Wadis in der judäischen Wüste enthielten hauptsächlich Dokumente und Schriftrollen aus dem zweiten jüdischen Aufstand 132 – 135  n.  Chr. unter Bar Kosba (Bar Kokhba). Das erste Wadi, Nahal Tseelim (oder nach anderen Transkriptionsregeln Nahal Seelim, arab. wadi as-seyal), beginnt in Arad und führt zum Toten Meer. In Höhle 34, ca. 5 km nördlich von Masada und 50 km südlich von Qumran, fand ein Team unter Yohanan Aharoni im Jahre 1960 Numerifragmente, einen Gebetsriemen und einige Dokumente. In verschiedenen Höhlen in Nahal Hever (ca. 38 km südlich von Qumran) wurden von Beduinen und Archäologen fast 100 Dokumente und Schriftrollen gefunden. Besonders wichtig sind die in der Cave of Letters gefundenen Briefe von Bar Kosba höchstpersönlich und das Archiv der reichen Frau Babatha sowie ein Schatz an Bronzeobjekten. Die insgesamt zehn Höhlen im Nahal Hever wurden nach ihren Eingängen benannt. Die Cave of Letters hat zwei Eingänge und trägt daher das etwas verwirrende Kürzel 5/6Hev. Die sogenannte Cave of Horror (abgekürzt 8Hev) enthielt ca. 40 Skelette von Männern, Frauen und Kindern und eine Rolle mit einer griechischen Revision der Kleinen Propheten. Einige von Archäologen gefundene Fragmente entpuppten sich als Teile von Dokumenten, die ihnen von Beduinen als aus Nahal Tseelim (arab. wadi as-seyal) stammend verkauft worden waren. Deswegen werden diese von Beduinen verkauften Stücke (ca. 100) heute vorsichtig als XHev/Se bezeichnet, um den Ursprungsort offen zu halten. Unter ihnen befindet sich das wichtige Archiv einer zweiten Frau, Salome Komaise. Der Archäologe Pessach Bar Adon fand drei Dokumente in der Cave of the Treasure im Nahal Mishmar etwas südlich von Ein Gedi (ca. 33 km südlich von Qumran). Diese Höhle ist vor allem durch einen Schatz aus der Kupfersteinzeit berühmt, der mehrere hundert Objekte umfasst und vielleicht aus dem oberhalb von Ein Gedi gelegenen Tempel dieser Epoche stammt. Drei wohl aus dem Nahal David (arab. Wadi Sdeir) bei Ein Gedi stammende Dokumen-

7.8  Exkurs: Die anderen Handschriftenfunde am Toten Meer    131

te und eine Genesis-Kopie wurden 1952 von Beduinen angekauft. Sie wurden wahrscheinlich in der Cave of the Pool gefunden, einer Höhle mit einer Zisterne im Eingang. Später fanden Archäologen hier noch eine größere Anzahl anderer Objekte. Das Wadi Murabbaat (heute Metsuqei Dragot) liegt etwa 18 km südlich von Qumran. Beduinen und dann Archäologen fanden in insgesamt fünf Höhlen Texte. Darunter sind ein Palimpsest aus der Zeit des Ersten Tempels (Mur 17), einige wenige Dokumente aus der Zeit des Zweiten Tempels und über 160 Dokumente, Ostraka und „biblische“ Schriftrollen aus der Zeit der zweiten Revolte. Wiederum gibt es Briefe von Bar Kosba. Spätere Funde belegen eine römische Besetzung der Höhlen und den Aufenthalt von Flüchtlingen im Mittelalter. Auf der Buqeia-Ebene 5 km westlich von Qumran liegt die Festung Hyrkania, auf deren Ruinen im fünften Jahrhundert von Mar Sabas das Kloster Marda (aram. „Festung“, arab. „Khirbet Mird“) begründet wurde. Hier fanden Beduinen 1952 und eine belgische Expedition hunderte griechische, christlich-palästinisch-aramäische und arabische Papyri aus dem siebten bis zehnten Jahrhundert. Unter den arabischen Dokumenten (abgekürzt APHM) findet sich eines der frühesten Koranzitate in einem erhaltenen historischen Dokument. Unter den griechischen Texten sind einige im NestleAland aufgenommene neutestamentliche Handschriften (P83, P84 und 0244). Die christlich-palästinisch-aramäischen Fragmente von Josua, Matthäus, Lukas und der Apostelgeschichte gehören zu den seltenen Zeugnissen dieses aramäischen Dialekts. Die verbliebenen Orte liegen nördlich von Qumran. In Höhlen im Ketef Jericho unweit der Stadt, auf der Südseite des wadi el-mafjar und gegenüber dem Kloster Quarantal (= 40) – wo Jesus nach der Legende nach 40 Tagen Fasten vom Teufel versucht worden sein soll – fand Hanan Eshel 1986 und 1993 unter Objekten aus der Kupfersteinzeit bis zum Sechstagekrieg ca. 20 Dokumente aus der zweiten Revolte und eines aus dem vierten Jahrhundert v. Chr. Da dieses in einem Stratum über jenen lag, haben offensichtlich Menschen in der Antike, im Mittelalter oder in der Neuzeit die Stratigraphie durcheinandergebracht. Vielleicht war eine der beiden Höhlen eine Quelle für die Entdeckungen in der Zeit des Origenes oder des Timotheos. Der nördlichste Fundort, Wadi Daliyeh (oder auch wadi ed-daliya), etwa 14 km nördlich von Jericho und etwas mehr als 25 km nördlich von Qumran, hat das durchschnittlich älteste Material geliefert: ca. 40 fragmentarische aramäische Dokumente auf Papyrus und hunderte Objekte aus dem vierten Jahrhundert v. Chr. Beduinen entdeckten 1962 dieses Material, das anlässlich einer

Wadi Murabbaat

Khirbet Mird

Ketef Jericho

Wadi Daliyeh

132    7  Leben in und um Qumran: Gebäude und Objekte

Vergleich zu Qumran Flüchtling in ­Notzeiten

Revolte gegen Alexander den Großen von Flüchtlingen aus Samaria in ihr Versteck mitgebracht worden war (Dušek). Im Vergleich zu Qumran wurden offenkundig fast alle anderen Handschriftengruppen, die am Toten Meer gefunden worden sind, von Flüchtlingen in Notzeiten hierher gebracht und versteckt. Oft wurden unweit der Texte die Skelette ihrer Besitzer und ihre anderen letzten Habseligkeiten entdeckt. Meistens handelt es sich um Dokumente aus früheren (Wadi Daliyeh) oder späteren (Nahal Tseelim, Nahal Hever, Nahal Mishmar, Wadi Sdeir, Wadi Murabbaat, Ketef Jericho) oder sogar sehr viel späteren Zeiten (Khirbet Mird) als Qumran. Die einzige Ausnahme ist Masada. Meistens handelt es sich um Privatarchive oder eine Mischung von Dokumenten mit literarischen Texten. Nirgendwo gibt es einen Fund mit 90 % literarischen Texten. Die einzige Ausnahme ist wiederum Masada. Nirgendwo wurden Texte in Krügen versteckt gefunden. Meistens sind Griechisch und Aramäisch viel stärker vertreten als in Qumran, wo das Hebräische stark überwiegt. Zwei nicht-biblische Texte, die Sabbatopferlieder und Admonition of the Flood, die ansonsten nur aus Qumran bekannt sind, sind in Masada entdeckt worden (Tigchelaar). In einer paläographischen Studie hat Ada Yardeni vorgeschlagen, der Schreiber einiger Qumranrollen hätte einen der Masadatexte, das Josuapokryphon (Mas 1L), kopiert. Gibt es hier eine direkte Verbindung?

7.8  Exkurs: Die anderen Handschriftenfunde am Toten Meer    133

8 Festung, Villa, Töpferei? Qumran im Kontext

S. oben zu Kapitel 6 und 7 (bes. Cargill, Donceel-Voute, Magen/Peleg, Mizzi). Broshi, Magen/Eshel, Hanan, Qumran and the Dead Sea Scrolls. The Contention of Twelve Theories. In: Edwards, Douglas (Hg.), Religion and Society in Roman Palestine, London/New York 2004, 162 – 169. Cansdale, Lena, Qumran and the Essenes. A Re-evaluation of the Evidence, Tübingen 1997. Collins, John, Beyond the Qumran Community. The Sectarian Movement of the Dead Sea Scrolls, Grand Rapids 2010. Cross, Frank/Eshel, Esther, „Ostraca from Khirbet Qumran“, Israel Exploration Journal 47 (1997) 17 – 28. Elior, Rachel, Memory and Oblivion: The Secret of the Dead Sea Scrolls, Tel Aviv/Jerusalem 2009 (hebr.). Eshel, Hanan, Qumran Archeology in Light of Two Rural Sites in Judea. In: Lange, Armin/Tov, Emanuel/Weigold, Matthias (Hgg.), The Dead Sea Scrolls in Context, Leiden 2011, 457 – 470. Golb, Norman, QUMRAN: Wer schrieb die Schriftrollen vom Toten Meer? Hamburg 1994. Lemaire, André, Réflexions sur la fonction du site de Qumrân. In: Dlugosz, Dariusz/Ralajczak, Henryk (Hgg.), Józef Tadeusz Milik et cinquantenaire de la découverte des manuscrits de la mer Morte de Qumrân, Warschau 2000, 37 – 42. Magness, Jodi, „Was Qumran a Fort in the Hasmonean Period?“, Journal of Jewish Studies 64 (2013) 228 – 241. Puech, Émile, L’ostracon de Khirbet Qumrân (KHQ 1996/1) et une vente de terrain à Jéricho, témoin de l’occupation essénienne à Qumrân. In: Hilhorst, Anthony/Puech, Émile/Tigchelaar, Eibert (Hgg.), Flores Florentino: Dead Sea Scrolls and Other Early Jewish Studies in Honour of Florentino García Martínez, Leiden 2007, 1 – 29. Rabin, Ira, „Archaeometry of the Dead Sea Scrolls“, Dead Sea Discoveries 20 (2013) 124 – 142. Schofield, Alison, From Qumran to the Yahad. A New Paradigm of Textual Development for The Community Rule, Leiden 2008. Shamir, Orit, „Qumran textiles and the garments of Qumran’s inhabitants“, Dead Sea Discoveries 18 (2011) 206 – 225. Stökl Ben Ezra, Daniel, Wie viele Bibliotheken gab es in Qumran? In: Frey/ Claußen/Kessler 2011, 327 – 346 (s. Kapitel 6). Taylor, Joan, The Essenes, the Scrolls and the Dead Sea, Oxford 2012. Yardeni, Ada, „A Draft of a Deed on an Ostracon from Khirbet Qumran“, Israel Exploration Journal 47 (1997) 233 – 237. Zangenberg, Jürgen, Zwischen Zufall und Einzigartigkeit. Bemerkungen zur jüngsten Diskussion über die Funktion von Khirbet Qumran und die Rolle einiger ausgewählter archäologischer Befunde. In: Frey/Claußen/ Kessler 2011, 121 – 146 (s. Kapitel 6).

134    8  Festung, Villa, Töpferei? Qumran im Kontext

Hauptzweck der Siedlung Qumran

Kommen wir zu der in Kapitel 6 gestellten Grundfrage nach dem Hauptzweck der Siedlung Qumran zurück: Handelt es sich bei Qumran um eine Festung (Golb), eine Landvilla (Donceel und Donceel-Voute), eine Töpferei (Magen und Peleg), eine Produktionsstätte für Balsam (Hirschfeld), das Hauptquartier der Essener (de Vaux), eine ihrer Nebenstellen (Taylor, Schofield) oder vielleicht um eine Sukzession zweier dieser Vorschläge (Humbert, Cargill, Collins)? Gehören die Stätte und die Rollen wirklich zusammen? Wenn ja, seit wann? Stimmen, die die Zusammengehörigkeit von Schriftrollen und Qumransiedlung verneinen, sind selten geworden. Yizhar Hirschfeld, Norman Golb, Jürgen Zangenberg, Yitzhak Magen mit Yuval Peleg und Rachel Elior sind die wichtigsten Vertreter. Diskutieren wir ihre Argumente Punkt für Punkt. 1) In der Siedlung selbst sind keine Schriftrollen gefunden worden. Falls dort welche existierten, hätte man wie in Masada zumindest Fragmente finden müssen. Auch im jüdischen Viertel in Jerusalem oder in Jericho wurden keine Handschriften gefunden, obgleich sie einmal existiert haben müssen. Wir dürfen also nicht von Masada aus generalisieren. Die Tintenfässer aus L30 belegen für Qumran, dass hier Schreiberaktivität stattgefunden hat. Wenn keine Schriftrollen gefunden wurden, können sie vollständig verbrannt sein (wie in Jerusalem und Jericho) oder vor dem Brand aus der Siedlung evakuiert worden sein, z. B. in die Höhlen. Einige der Höhlen mit Schriftrollen sind nur von der Siedlung aus betretbar und gehören insofern untrennbar zusammen. Dies widerspricht auch der folgenden Behauptung. 2) Es gibt keine Verbindungen zwischen den Rollen und der Siedlung. XRF-Analysen von 1QHa haben ergeben, dass zumindest diese Schriftrolle mit Sicherheit am Toten Meer geschrieben worden ist (Rabin, s. o., S. 60). Wir haben also zumindest eine lokale Schriftrolle. Für andere Rollen steht diese Untersuchung noch aus. Ein Schriftrollenfragment hängt noch an einem Tuch, das mit einem Keramikfragment verklebt ist, und bestätigt zusammen mit dem guten Erhaltungszustand der großen Rollen aus den Höhlen 1 und 11, dass einige Schriftrollen in Krügen gefunden worden sind. Praktisch alle Exemplare von Krügen dieser Form wurden in Qumran und den Höhlen um Qumran gefunden. 3) Wenn man in Höhlen und Siedlung die gleiche Keramik findet, so belegt dies nur, dass die Bewohner die Versteckaktion unterstützt haben, nicht aber, dass ihnen die Schriftrollen auch gehörten. In den Höhlen sind sowohl ovoide (frühe) als auch zylindrische (späte) Krüge gefunden worden. Sie wurden also in den Perioden I

8  Festung, Villa, Töpferei? Qumran im Kontext    135

und II als Versteck oder Lager benutzt. In Höhlen, die nicht zu Qumran gehören, wurden derartige Krüge nicht gefunden. Wie wir im nächsten Kapitel sehen werden, machen statistische Untersuchungen wahrscheinlich, dass auch Rollen aus den Höhlen 1 und 4 schon im ersten Jahrhundert vor Chr. in den Höhlen versteckt worden sind (Stökl Ben Ezra). 4) Die NAA-Analyse hat erwiesen, dass zumindest einige Schriftrollenkrüge nicht aus Qumran, sondern aus Jerusalem kommen. NAA-Resultate weisen für die Tonerde einiger Krüge tatsächlich auf die Herkunft aus der Gegend Jerusalems. Für andere Krüge stammt die Tonerde aus der Gegend um Qumran. Diese NAA-Analysen geben grundsätzlich nur den Ursprungsort der Tonerde an, nicht, wo die Tonerde zu Krügen getöpfert und gebrannt worden ist. Qumran hatte einen Brennofen und eine Töpferscheibe. Antike und mittelalterliche Funde beweisen, dass der Transport von Tonerde über 25 km absolut keine Seltenheit war und dass die Krüge mit NAA-Resultaten für die Gegend um Jerusalem auch in Qumran angefertigt worden sein können. Ansonsten hätte man Scherben dieser Krüge auch in Jerusalem finden müssen. 5) Es gibt keinen Locus, der als Bibliothek identifiziert werden könnte. L1, L2 wird z. B. von de Vaux und Stegemann als Bibliothek betrachtet, während Schiffman Höhle 4 direkt neben der Siedlung vorgeschlagen hat. L2 enthält Nischen wie für einen Bücherschrank, Höhle 4 weist regelmäßige Löcher in den Wänden auf, z. B. für Regale (s. o. Abbildung 20, S. 123). 6) Für eine kleine Wüstengemeinschaft ist die Sammlung viel zu umfangreich. 1000 Handschriften sind in der Tat eine große Zahl. Wir werden uns mit diesem Punkt im nächsten Kapitel beschäftigen. 7) Die Zahl der Schreiber ist zu hoch. Jede Rolle scheint von einem anderen Kopisten geschrieben worden zu sein. Man hätte zumindest erwarten müssen, die gleiche Hand auf mehr Kopien wiederzufinden. Dies ist eine unbewiesene Behauptung, denn derartige Studien müssten erst noch vollzogen werden. Untersuchungen von Ada Yardeni und Eibert Tigchelaar zu bestimmten Schreibern haben das Gegenteil gezeigt. 8) Es gibt keine Autographe (Originalmanuskript eines Autors). Auch dies ist eine unbewiesene Behauptung. 9) Die Existenz von mehreren Kopien des gleichen Buches ist für eine überschaubare, an einem Ort lebende Gruppe unwahrscheinlich.

136    8  Festung, Villa, Töpferei? Qumran im Kontext Inventarlisten anderer antiker Bibliotheken belegen, dass es nicht unüblich war, mehrere Kopien besonders wichtiger Werke zu besitzen. 10) Die Sammlung ist zu heterogen. Unterschiedliche halakhische Regelwerke deuten darauf hin, dass hier Bibliotheken unterschiedlicher Gruppen vermischt worden sind. Die halakhischen Werke sind nicht so unterschiedlich, dass sie nicht zur selben Gruppe oder zumindest Strömung gehören könnten. Aus der Existenz unterschiedlicher Rezensionen ein und desselben Regelwerks, nämlich der Gemeinschaftsregel, wird in jüngster Zeit jedoch geschlossen, dass diese abweichenden Versionen nicht gleichzeitig an ein und demselben Ort als juristische Norm gegolten haben können (Schofield). Wir werden diesen Punkt im nächsten Kapitel besprechen. 11) Würden die Schriftrollen einer in Qumran ansässigen Gruppe gehört haben, hätte man auch Dokumente (Mitgliederlisten, Verträge, Briefe) aus dem Archiv dieser Gruppe finden müssen. Einige Dokumente in Kursivschrift sind in den Höhlen 1, 4 und 6 gefunden worden. Das Hauptarchiv kann von Flüchtlingen mitgenommen worden oder in der Siedlung verbrannt sein. 12) Die Schatzliste der Kupferrolle kann unmöglich die Schätze einer kleinen Gruppe aufzählen, sondern muss zum Tempel gehört haben. Einige halten die Kupferrolle für einen fiktiven Text (Milik), andere halten es für möglich, dass der Jachad mit den Essenern gleichzusetzen ist und Reichtümer aufgehäuft hatte (Puech). Viele meinen, die Kupferrolle sei unabhängig vom Jachad in Höhle 3 versteckt worden, die am weitesten von der Siedlung entfernt liegt. Auch dazu mehr im nächsten Kapitel. 13) In Masada ist ein Text aus Qumran gefunden worden (Sabbatopferlieder), der eventuell sogar von dem gleichen Schreiber kopiert worden ist wie Qumranrollen. Viele halten die Sabbatopferlieder nicht für jachadisch. Es handelt sich nicht unbedingt um eine Handschrift aus Qumran oder um eine Handschrift des Jachad, sondern um eine Komposition, die in Qumran und in Masada gefunden worden ist, so wie Levitikus, Psalmen oder Sirach. Natürlich können zwei Handschriften ein und desselben Kopisten an zwei Orten aufgefunden werden. Dieser Kopist muss nicht in Qumran wohnhaft gewesen sein. Flüchtlinge aus Qumran können nach Masada entkommen sein. Gewisse Schreiberaktivitäten haben sicher in Qumran statt­ gefunden, und mindestens eine jachadische Schriftrolle (1QHa) wurde am Toten Meer, also vermutlich in Qumran geschrieben. Die meisten Argumente gegen die klassische Interpretation können

8  Festung, Villa, Töpferei? Qumran im Kontext    137

schnell widerlegt werden. Andere (Zahl der Rollen, unterschiedliche Regelwerke, Kupferrolle) haben hingegen in jüngster Zeit dazu geführt, den Charakter der Schriftrollensammlung grundlegend neu zu überdenken (s. nächstes Kapitel). Wer Schriftrollen und Siedlung trotz der gerade angeführten Argumente trennt, interpretiert die Siedlung in Phase I oder für beide Phasen als Karawanserei, Keramikfabrik, Festung oder Villa. Ist einer dieser Vorschläge überzeugend? Für die Behauptung, Qumran sei eine Karawanserei am Knotenpunkt von Handelswegen (Cansdale) oder eine regional bedeutende Keramikfabrik (Magen/Peleg) gewesen, ist das Wegenetz um Qumran herum essentiell. Sicher ist in Qumran neben anderen Aktivitäten auch Keramik hergestellt worden (so schon de Vaux), doch heißt dies keinesfalls, dass die Töpferei der Hauptzweck der Anlage war. Wir haben oben schon gesehen, dass Qumran nur über Nebenstraßen und Trampelpfade mit den umliegenden Orten verbunden war. Die großen Ost-West-Landwegverbindungen verliefen im Norden des Toten Meeres, von Livias (in Jordanien) über Jericho nach Jerusalem, oder in seinem Süden (über Zoar). Auch für den Transport über Wasser lag Rujm el-Bahr für Jericho viel günstiger, und die Größe des Anlegeplatzes würde Ein Feshkha übertreffen, wenn es denn selber einen Anlegeplatz besaß. Für ein Handelszentrum, eine Karawanserei oder eine regional bedeutende Töpferei mit umfangreichem Export zerbrechlicher Gefäße war Qumran jedoch ungünstig platziert. Außerdem kann keine dieser Interpretationen den Großteil der Besonderheiten Qumrans erklären (Friedhof, Tierknochendepots, Schriftrollen, Speisesaal, „Tisch“ und „Bänke“ von L30, zylindrische Krüge, aber auch die Zahl und Größe der Mikven). War Qumran eine Festung? In jüngster Zeit hat die alte Deutung als Festung wieder Aufmerksamkeit auf sich gezogen (Cargill). Vor dem Ersten Weltkrieg hat Gustaf Dalman, der Leiter des Deutschen evangelischen Instituts für Altertumswissenschaft des Heiligen Landes zu Jerusalem bei einer kurzen Besichtigung der an der Oberfläche erkennbaren Reste Qumran als „Burg“ eingestuft. Die Reste des mächtigen Turms und der Umfassungsmauer im Norden und Osten sowie die strategisch günstige Lage und Aussicht auf dem Plateau gaben dazu den Ausschlag. Diese Beurteilung wurde vom Archäologen der Hebräischen Universität, Michael Avi-Yonah, in seine Landkarte übernommen. De Vaux und Lankester Harding, die 1949 bei einer Prüfung der Oberfläche nur Scherben aus dem zweiten und dritten Jahrhundert n. Chr. fanden, akzeptierten zunächst Avi-Yonahs Meinung. Erst als sie bei ihrer Ausgrabung ab 1951 die tieferen Schichten analysierten, datierten sie Qumran

War Qumran eine Karawanserei oder eine Keramikfabrik?

War Qumran eine Festung?

138    8  Festung, Villa, Töpferei? Qumran im Kontext früher, interpretierten es als Sitz der Essener – und überzeugten davon auch Avi-Yonah. Kritiker der Verbindung von Rollen und Stätte wie Norman Golb griffen immer wieder auf die Interpretation von Qumran als Festung zurück. In den neunziger Jahren wurde sie dann auch von einigen Archäologen übernommen: Hirschfeld, Magen und Peleg und jüngst Cargill, und in abgeschwächter Form auch Taylor. Im Gegensatz zu Golb, der die Deutung als Festung für alle Siedlungsphasen beibehält, differenzieren die anderen Vertreter zwischen zwei sukzessiven Funktionen: zunächst diente Qumran als Festung, dann, je nach Interpretation, als Landgut (Hirschfeld), Töpferei (Magen und Peleg) oder essenische Siedlung (Cargill, Taylor). Ein Argument ist immer wieder, de Vaux sei nur durch die Schriftrollen dazu gebracht worden, seine Meinung zu ändern. Ein Vergleich mit anderen hasmonäischen und herodianischen Festungsanlagen (Alexandrium, Dok, Kypros, Hyrkania, Masada und Machaerus) zeigt jedoch, dass wichtige Gründe gegen die Interpretation von Qumran als Festung sprechen (Magness, „Fort“). Schon Lankester Harding wies darauf hin, dass das Mauerwerk von zu minderwertiger Qualität sei. Nur die Mauern des Turmes ähneln einer Festung, doch sind sie erst nach dem Erdbeben, also sekundär, verstärkt worden. Alle anderen Mauern, auch die Umfassungsmauer, sind viel dünner als die Mauern regulärer Festungen. Zwar kann man von Qumran aus in der Tat hervorragend das nordöstliche Tote Meer und die kleine Straße gen Süden beobachten, doch liegt Qumran – anders als die meisten anderen Festungen – nicht auf einem Berg (Magness). Zwar ist die Siedlung im Westen und Süden durch den Abhang geschützt, doch hätte die Umfassungsmauer im Osten keinen Angriff abwehren können (Broshi). Außerdem gibt es in einer Festung immer nur einen Eingang, in Qumran aber mehrere. Die gestuften Mikven gehören schon in die früheste Phase der Siedlung und sind nicht mit Wasserzisternen in Festungen zu vergleichen (Magness). Bis zur Veröffentlichung aller für die Stratigraphie maßgeblichen Daten gilt dies gerade auch für die früheste Siedlungsstufe, widerspricht also den Theorien, die von einem Funktionswechsel ausgehen. Auch wenn wir als Vergleichspunkt eines der kleineren Forts (Rujm el-Bahr, Khirbet Mazin und Qasr et-Turabe) nehmen, zeigt sich, dass Qumran kein Fort war. Der Grundriss der (hasmonäischen) befestigten Anlegestelle Khirbet Mazin ist Qumran nicht unähnlich, doch sind die Mauern viel höher und dicker und der Turm ist viel stärker befestigt. Der Unterschied zwischen einer echten militärischen Festung und einem Gebäudekomplex mit Zufluchts­ turm ist sofort erkennbar.

8  Festung, Villa, Töpferei? Qumran im Kontext    139

Es ist nicht einleuchtend, den Friedhof als Ergebnis einer Schlacht zu interpretieren. Man hätte in so einem Fall kaum mühselig 1100 tiefe Einzelgräber ausgehoben, sondern Gefallene in Massengräbern bestattet. Der Friedhof gehört daher wie der Großteil der Zisternen und die Rollen auch bei den meisten Verfechtern der Burgtheorie zur zweiten nicht-militärischen Phase. Schließlich stammen die Tierknochendeposite aus Periode I und II. Qumran ist also befestigt, aber keine Festung, schon gar nicht in seiner ursprünglichen hellenistischen Form ohne das Glacis des Turmes aus herodianischer Zeit. War Qumran eine Villa oder ein Landgut? Jean-Baptiste Hum- War Qumran eine bert, Chefarchäologe der École biblique et archéologique, lud 1986 Villa oder ein das belgische Forscherehepaar Robert Donceel und Pauline Don- Landgut? ceel-Voûte ein, um ihm bei der Publikation der unveröffentlichten Funde Qumrans zu assistieren. Bleibendes Verdienst der Donceels ist es, dass sie als erste die Aufmerksamkeit auf eine Reihe von wichtigen Objekten lenkten, die von de Vaux marginalisiert worden waren. Allerdings übertrieben sie Quantität und Qualität. Sie behaupteten, Glasreste, besonders edle Keramik- und Steingefäße (vor allem die große prächtige Steinvase), Säulenbasen und -kapitelle sowie einige dreieckige Fliesen („opus sectile“) würden auf die hochwertige Konstruktion einer luxuriösen Landvilla (lat. villa rustica) weisen, „Tisch“ und „Bank“ aus L30 seien Teile eines Trikliniums mit Ausblick auf das Tote Meer, der quadratische Grundriss entspräche der pars urbana, wo der Besitzer mit seiner Familie lebt, die Anbauten im Westen und im Südosten der pars rustica, wo landwirtschaftlich gearbeitet wird, und zwar im Falle Qumrans vor allem an der Produktion von Balsam, nach späteren Funden auch von Dattelhonig oder -wein. Wenn man Qumran mit anderen Landvillen und Landgütern aus der gleichen Epoche und der gleichen Region vergleicht und darauf achtet, dass nicht nur ein oder zwei, sondern möglichst viele Merkmale möglichst genau übereinstimmen (Magness; Eshel), stellt man schnell fest, dass neben Ähnlichkeiten auch starke Differenzen bestehen. Hirschfeld vergleicht Qumran mit Ein Feshkha, Ein elGhuweir und En-Boqeq am Toten Meer, mit Chorvat Aqab, Qasr eLeja und Ofarim in Samaria, sowie mit Khirbet el-Muraq (Hilkiya’s Palast) und Rujm el-Hamiri bei Hebron (Hirschfeld, 271 – 293). Eine genaue Lektüre zeigt, dass für jede Parallele andere Vergleichsobjekte aus dieser Gruppe herangezogen werden. Einige Landvillen haben einen quadratischen Grundriss, andere einen Turm, bei einer dritten Gruppe hat dieser Turm ein schräg ansteigendes Glacis, eine vierte Gruppe setzt pars urbana und pars rustica nebeneinander, eine fünfte Gruppe steht auf Anhöhen.

140    8  Festung, Villa, Töpferei? Qumran im Kontext Die besten bislang bekannten Beispiele für Landgüter aus dieser Zeit und Gegend sind Khirbet el-Muraq, Chorvat Eleq und Chorvat Khirbet el-Muraq Aqav. In Khirbet el-Muraq gibt es zwar auch einen Turm, einen Zentralhof und eine einer Mikve ähnliche Struktur sowie Steingefäße für die jüdischen Bewohner (selbst hier in Idumäa). Doch ist sofort auffällig, dass die Unterschiede in der Lebensqualität die Gemeinsamkeiten übertreffen: der Zentralhof ist von einem Säulengang (Peristyl) umgeben. In dessen Mitte erhob sich auf einem Podest ein mit Säulen geschmücktes Triklinium. Im Norden stand ein Bad mit einer „Sauna“ (caldarium), einem mosaikgeschmückten Warmbad (tepidarium) und einem kalten Bad (frigidarium). Raffinierte Stuckdekorationen verzierten mehrere Räume. Auch bei den anderen beiden Landgütern beim heutigen Ramat Hanadiv unweit Chorvat Eleq von Cäserea sind die Unterschiede prägnant: Chorvat Eleq besitzt ein römisches Bad mit Hypocaustum, bunter Marmorverkleidung, Mosaikböden, importierte Amphoren und besonders kostbares imChorvat Aqav portiertes Geschirr. Chorvat Aqav (arab. Khirbet Mansur el Aqab) ist ein 2800 m² großes befestigtes Landgut aus römischer Zeit mit einer Umfassungsmauer und einem Turm, Zisternen, Speichern, einer Tenne, einer Wein- und einer Ölpresse. Jüdische Besiedlung wird durch eine Mikve nahegelegt. Wohn- und Arbeitsbereich waren getrennt. Auch diese Strukturen wiesen technisch und künstlerisch ganz andere Qualitäten auf: Mosaike, fein behauene Steine, herzförmige Säulen, feines Geschirr. Dazu hat keiner der genannten Gebäudekomplexe mehrere Mikvaot, einen Speisesaal von der Größe von L77 oder eine entsprechende Menge an Geschirr, einen Friedhof mit auch nur annähernd 1000 Gräbern, oder Tierknochendepots, ganz zu schweigen von Schriftrollen. Die Installationen, die in Qumran als Töpferei, Küche und vielleicht als Färberei gedient haben, liegen alle im Hauptgebäude, ein Speisesaal dagegen im Nebengebäude. Dies zeigt, dass es in Qumran keine säuberliche Trennung in pars urbana und pars rustica gab. Sicher wurde in Qumran auch Landwirtschaft betrieben. Darauf weisen die Schafschere, die Datteln und die Dattelpresse hin. Aber es war nicht der Hauptzweck der Anlage. Hirschfeld hat das Verdienst, auf gewisse architektonische Ähnlichkeiten von Qumran mit Landgütern hingewiesen zu haben (Umfassungsmauer, Hof, Wehrturm). Wie auf einem Landgut wurde auch in Qumran gewohnt und gearbeitet. Doch war dies nicht der Hauptzweck der Anlage, bzw. seine Bewohner hatten einen anderen Lebensstil (Einfachheit, rituelle Reinheit und Arbeit mit Schriftrollen) als die Bewohner der anderen Landgüter, denn die Interpretation als Landgut kann die Spezifika Qumrans (Friedhof, Tieropferdepots, großer Speisesaal mit viel Geschirr, Rollen, ein-

8  Festung, Villa, Töpferei? Qumran im Kontext    141

zigartige zylindrische Krüge, Zahl und Größe der Mikven) nicht erklären. War Qumran die Siedlung einer religiösen Gruppierung? Eine Identifizierung der Bewohner Qumrans mit den Besitzern der Rollen ist zumindest für die letzte Siedlungsphase nicht abzustreiten. Erstens verwies schon de Vaux über die geographische und zeitliche Nähe hinausgehend darauf, dass sowohl Höhlen als auch Siedlung die gleichen eigentümlichen zylindrischen „Schriftrollenkrüge“ enthielten, die bislang anderswo quasi nicht nachgewiesen sind. Zweitens gibt es noch ein Fragment, das mit einer Krugscherbe zusammenhängt und die Erzählungen der Beduinen bestätigt, dass sich die „großen“ Schriftrollen in Tücher eingewickelt in Krügen befanden. Drittens hat die NAA-Analyse für einige dieser Schriftrollenkrüge die lokale Produktion nachgewiesen. Diese Krüge können also nicht von Jerusalem nach Qumran gebracht worden sein (Gunneweg). Viertens hat die XRF-Analyse der Tusche von 1QHa ergeben, dass sie mit lokalem Wasser zubereitet worden ist (Rabin). Ausgerechnet diese Rolle gehört aber zu den Kompositionen des Jachad. Paläographisch wird diese Schriftrolle zumeist ins erste Jahrhundert n. Chr. datiert. Fünftens waren einige der Schriftrollenhöhlen (7,8 und 9) nur über die Siedlung betretbar. Selbst die Höhlen 4a, 4b und 5 sind nur einen Pfeilschuss von der Siedlung entfernt. Sechstens legt die Präsenz von Krügen aus dem ersten Jahrhundert v. Chr. nahe, dass die Höhlen nicht nur im Jahre 68 als Versteck gedient haben, sondern auch schon vorher (Magness, Stökl Ben Ezra). Dies heisst nicht, dass alle Schriftrollen von den Bewohnern Qumrans versteckt worden sein müssen. Die Frage stellt sich vor allem für die Kupferrolle, die sprachlich, inhaltlich, paläographisch und materiell völlig aus dem Rahmen fällt (s. nächstes Kapitel). Einige Höhlen ohne Schriftrollen enthielten Anzeichen für Präsenz in späteren Zeiten, aber auch Höhle 4 scheint noch einmal aufgesucht worden zu sein. Allerdings unterscheiden sich die Qumranrollen paläographisch zu sehr von den literarischen Manuskripten aus der Zeit der Bar Kosba-Aufstände, um aus dem zweiten Jahrhundert n. Chr. zu stammen. Die aus der Gründerzeit stammenden Mikven legen nahe, dass die Bewohner Qumrans von Beginn an ein außerordentlich großes Bedürfnis nach kultischer Reinheit hatten. Die große Mehrheit der Schriftrollen stammt aus der gleichen Epoche wie Qumran. Die lokale Zubereitung der Tusche der Hymnenrolle (1QHa) belegt zunächst einmal nur, dass ein Teil der in Höhle 1 gefundenen Rollen in Qumran geschrieben worden ist. Auch aus den Tintenfässern können wir schließen, dass in Qumran Schreiberaktivitäten statt-

War Qumran die Siedlung einer religiösen Gruppierung?

142    8  Festung, Villa, Töpferei? Qumran im Kontext gefunden haben. Ob dies mit den Installationen in L30 geschah, muss offenbleiben. Wenn eine Rolle aus Qumran kommt, bedeutet dies nicht, dass alle Rollen aus Qumran kommen. Niemand behauptet das! Einige Rollen sind paläographisch früher datiert als Periode I, also mit Sicherheit importiert. Mit Sicherheit wurde auch ein Teil der späteren Rollen nicht in Qumran geschrieben. Dies ist erwiesen für das Genesisapokryphon (1QGenAp), dessen Tusche mit anderem Wasser als dem des Toten Meeres zubereitet worden ist. Wir werden die Veröffentlichungen weiterer materieller Untersuchungen (XRF etc.) abwarten müssen. Vielleicht sind auch nicht in allen Schriftrollenhöhlen Rollen aus Qumran versteckt worden. Doch wenn Höhle 1, eine Höhle im Kliff, Rollen enthielt, die eindeutig in Qumran geschrieben worden sind, dann ist dies zumindest für einige Fragmente aus den im Mergelplateau in unmittelbarer Nähe Qumrans liegenden Höhlen ebenfalls vorauszusetzen, allen voran die Höhlen 4 und 5. Die in Qumran geschriebene Hymnenrolle gehört zum jachadischen Teil der Schriften. Die Gemeinschaftsregel legt eine Identifikation des Jachad mit den Essenern nahe (s. o. S. 79 f und nächstes Kapitel). Inwieweit die Tierknochendepots religiöse Praktiken ­bezeugen, werden wir im Kapitel über die Rituale des Jachad, S. 297 besprechen. Die Tatsache, dass alle in den Höhlen gefundenen Stoffe aus gebleichtem Leinen sind und nicht aus Wolle, während an allen anderen Orten Wolle überwiegt, stimmt gut mit der Beobachtung überein, dass Essener (wie Priester) nur weißes Leinen trugen (BJ 2,123.129.137). Allerdings dienten alle diese Tücher für das Einwickeln von Schriftrollen, keines ist ein Kleidungsstück. Gegner der Identifikation der Bewohner Qumrans mit den Essesechs verbleibende nern weisen auf folgende sechs verbleibende Schwierigkeiten hin. Schwierigkeiten 1) Die Existenz einer Toilette innerhalb der Siedlung (L51) in Toilette Periode I widerspricht der Beschreibung der Toilettenpraktiken der Essener bei Josephus (BJ 2,149), Stuhlgang nur an Wochentagen zu verrichten, sich und die Ausscheidungen vor anderen Menschen und vor der Sonne zu verbergen, sie dann zu vergraben und sich danach rituell zu reinigen. Dies ist in der Tat ein schwerwiegender Einwand gegen die Identifikation der Bewohner Qumrans mit Essenern. Auch die (vermutlich nicht-jachadische) Tempelrolle (11QTa XLIX 13 – 16) schreibt festinstallierte überdachte Aborte im Nordwesten der Stadt in einer Distanz von 3000 Ellen vor. Die (jachadische) Kriegsregel (1QM VII 6 – 7) verlangt für den Stuhlgang 2000 Ellen Abstand von der Siedlung. Beides liegt außerhalb der maximal erlaubten Wegstrecke

8  Festung, Villa, Töpferei? Qumran im Kontext    143

an einem Schabbat und würde Josephus bestätigen, dass Stuhlgang am Schabbat vermieden wurde. Die Tempelrolle bezieht sich jedoch nur auf Jerusalem, die Kriegsregel auf die Lager im Krieg der Endzeit. Für Josephus ist es kein Entfernungsproblem. Die Toilette in L51 war überdacht und im Gegenteil zu anderen antiken Toiletten eine Einzeltoilette und nur von einem Raum mit Mikve aus betretbar (Magness, Archaeology, 105 – 113, vgl. auch oben, S. 109). In Periode II war sie wie die anliegende Mikve zerstört und wurde nicht ersetzt. 2) Die Nähe des Friedhofs zur Siedlung unterschreitet die von der Halakha vorgeschriebene Mindestentfernung. Auch wenn in der (rabbinischen) Mischna um 200 n. Chr. eine Mindestentfernung von 50 Ellen für Friedhöfe von Siedlungen festgelegt ist (mBB 2,9) wissen wir nicht, ob dieser Wert schon in der Zeit des Zweiten Tempels und für eine nicht-rabbinische Gruppe galt. Kein Qumrantext spricht von einer Mindestentfernung. 3) Die Präsenz von Frauenskeletten im Friedhof spricht gegen zölibatäre Siedler. Diese heiß debattierte Frage ist kein Argument gegen die Essener schlechthin, es gab ja einen Essenerorden mit Frauen und Kindern (BJ 2,160 – 161). Einige Schriftrollen (CD, 1QSa) beschreiben jachadische Gruppen mit Frauen und Kindern. Wenn es überhaupt stimmt, dass unverheiratete Essener Frauen verachteten, so können sie doch ab und zu von Frauen besucht worden sein. Frauen sind im Vergleich zu anderen Friedhöfen auffällig stark unterrepräsentiert, vor allem in den Gräbern in Nord-Süd-Richtung im Hauptfriedhof. Bislang sind keine Kindergräber gefunden worden. Dies widerspricht den in normalen Siedlungen üblichen Gender-Proportionen und indiziert eine (fast?) ausschließlich männliche Bevölkerung. 4) Glas, Keramik und Säulenreste sprechen gegen eine asketische Gruppe, die sich von der Außenwelt isoliert hatte. Essenische Armut passt nicht zu den gefundenen Geldmengen. Die Frage der Isolation bzw. der Beziehung der Bewohner Qumrans und der Schriftrollenbesitzer zu anderen Juden und Nichtjuden ist in der Tat ein ganz zentrales Problem für die Interpretation der Gruppe, der Schriftrollen und ihres Platzes im damaligen Judentum. Wir werden darauf im Abschnitt über den Jachad zurückkommen. Unter den archäologischen Details belegt die Töpferei, dass die Bewohner großen Aufwand betrieben, Teile ihrer Keramik selber herzustellen. Manche der zylindrischen Krüge sind mit Ton aus Jerusalem (Motza) hergestellt worden, doch unter den tausenden Keramikscherben in Jerusalem ist dieser Ton bislang quasi unbezeugt. Es ist wahrscheinlicher, dass der Ton aus Jerusalem nach Qumran transportiert worden ist, als dass alle Scherben außerhalb Qumrans zu Sand zerrieben worden sind. In diesem Fall haben die

Nähe des Friedhofs

Präsenz von Frauenskeletten

Glas, Keramik und Säulenreste

144    8  Festung, Villa, Töpferei? Qumran im Kontext Bewohner Qumrans offenbar hochwertige Tonerde aus Jerusalem nach Qumran bringen lassen, um erst hier ihre eigene Keramik herzustellen. Josephus und Schriftrollen sprechen von Gemeinschaftsbesitz und nicht von einem umfassenden Verbot von Geld, daher ist die Präsenz von Münzen alles andere als überraschend. Die Innen- und Außenaustattung von Qumran ist spartanisch, vor allem im Vergleich zu anderen Häusern, deren Bewohner so hoch gebildet waren wie die Besitzer der Schriftrollen. nicht genügend 5) Es gibt nicht genügend Schlafplatz für eine größere Anzahl Schlafplatz von Essenern. Zwar ist die Zahl der Bewohner für die Interpretation ihrer ideologischen Zugehörigkeit unerheblich, allerdings ist sie zentral für die Einschätzung, ob es sich um eine Nebenstelle oder ein Zentrum handelte. Die Schätzungen für die Zahl der Bewohner Qumrans schwanken enorm: zwischen 10 – 15 (Humbert) und 350 – 400 (Laperrousaz, 109). Folgende Faktoren sind in die Überlegungen mit einzubeziehen: Wasserbedarf, Schlafplatzmöglichkeiten, Menge des Essgeschirrs und die Zahl der Gräber auf dem benachbarten Friedhof. Hirschfeld benutzt die Durchschnittsbevölkerungsdichte für bebautes Gebiet. Sie beträgt ca. 15 Menschen auf 1000 m². Bei 4800 m³ Wohnfläche kommt er daher auf ca. 72 Bewohner. Sie hätten, wie so oft im Nahen Osten, auf der zweiten Etage geschlafen. Broshi und Eshel haben vorgeschlagen, dass zahlreiche Bewohner in Zelten und in 20 – 40 Wohnhöhlen um die Siedlung schliefen. Von beidem haben sie Überreste gefunden. Das Speichervermögen der Zisternen kann je nach durchschnittlichem Wasserverbrauch für 100 – 200 Leute reichen. Allerdings müsste man davon den erheblichen Wasserverbrauch für die Töpferei und andere Werkstätten abziehen. Wenn der Friedhof mit ca. 1100 Gräbern wirklich hauptsächlich den Anwohnern diente, heißt dies bei 150 – 200 Jahren Hauptsiedlungsperiode, dass durchschnittlich etwa 6 – 8 Personen pro Jahr beerdigt wurden. Die Holzsärge zeigen an, dass ein Teil der Leichen offensichtlich von anderswo hergebracht wurde. Wir können das Durchschnittsalter antiker Bevölkerungen schätzen, wissen aber nicht, in etwa welchem Alter die Bewohner Qumrans sich der Siedlung anschlossen und wie viele Jahre sie dort vor ihrem Tod verbrachten. Magen Broshi nimmt das Fassungsvermögen des 100 m² großen Speisesaals (L77) von maximal 150 Leuten als Maßstab für die Bewohnerzahl. Die große Zahl von über 200 Tellern, 700 kleinen Schüsseln und 37 großen Terrinen im Geschirrschrank (L89) lässt darauf schließen, dass alle Schätzungen von weniger als 70 Be-

8  Festung, Villa, Töpferei? Qumran im Kontext    145

wohnern zumindest für Periode I dem Keramikfund nicht gerecht werden. Für jede Wohnhöhle, deren Existenz nachgewiesen werden kann (bislang ca. 10 außer Höhle 4), kann man ca. fünf Personen addieren. Abschließend lässt sich für den archäologischen Befund ohne Zentrum einer Interpretation der Schriftrollentexte festhalten, dass Qumran mit religiösen hochan Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein Zentrum für eine gebildeten Gruppe religiöse hochgebildete Gruppe war, die sich hier unter anderem mit Dattelanbau, Fischfang, Kleintierzucht, Töpferei und dem Lesen, Reparieren (Höhle 8) und Schreiben von Schriftrollen beschäftigt hat. Vielleicht auch mit Salz- und Asphaltgewinnung aus dem Toten Meer. Sie hatten besondere Reinheitsbedürfnisse, beerdigten ihre Toten ohne Grabbeigaben, kochten und backten in einer Gemeinschaftsküche, aßen gemeinsam mit Einzelgeschirr in einem großen Speisesaal, waren überwiegend oder ausschließlich männlich und schliefen auf Dächern und in Wohnhöhlen. Einfachheit ihres Inventars und ihres Gebäudes trotz gehobener Kenntnisse in Mikvenkonstruktion und ihrer Bildung lässt auf Enthaltsamkeit schließen, ohne dass auf Geld oder Glas verzichtet worden wäre. Sonnenuhr und Ausrichtung der Skelettschädel nach Osten sprechen für eine besondere Bedeutung der Sonne im Kult. Mit Ausnahme der Toilette in Periode I passen alle diese Details zu dem, was wir aus den klassischen Quellen über die Essener und aus den Qumranrollen über den Jachad erfahren können. Mit Sicherheit war Qumran nicht der einzige Ort dieser religiösen Bewegung, die bereits existierte, bevor Qumran besiedelt wurde. Andere Mitgliedergruppen lebten höchstwahrscheinlich in Ein Feshkha und, mit Familie, in Ein el-Ghuweir und mit Sicherheit auch in Jerusalem (Essenertor „betzoa“) und vielen anderen Orten (Philon, Josephus). Wir werden sehen, dass beide zentralen Regeltexte, die Gemeinschaftsregel und die Damaskusschrift, von Ansiedlungen der Gruppe an mehreren Orten sprechen. Wie zentral war Qumran im Leben der Gruppe? War es das Hauptquartier? War es ein regionales Zentrum? Die Sekundärbestattungen im Friedhof legen nahe, dass Qumran eine gewisse Ausstrahlung besaß. Die Entscheidung, ob Qumran ein regionales oder überregionales Zentrum war, hängt unter anderem davon ab, wie viele Schriftrollen hier sowohl in Periode I als auch in Periode II gelagert waren und nicht erst aus verschiedenen Zentren des Jachad kurz vor 68 zusammengetragen worden sind (dazu s. nächstes Kapitel). Die Aussagen von Plinius und Dio Chrysostomos sprechen dafür, dass Essener besonders als Bewohner des Nordwestens des Toten Meers bekannt waren.

146    8  Festung, Villa, Töpferei? Qumran im Kontext Wie steht es mit Identifikationsmöglichkeiten unter den anderen bekannten religiösen Gruppen? Anders als Essener sind Sadduzäer nicht für das Abhalten gemeinsamer Mahle bekannt. Ihre gehobene Gesellschaftsschicht lässt vermuten, dass in einem sadduzäischen Zentrum mehr in den Verputz der Gebäude investiert worden wäre. Wenn wir die tannaitischen Angaben zu Chaverim in die Zeit des Zweiten Tempels zurückprojizieren dürfen, treffen Reinheitsbedürfnisse und die Ausrüstung für Gemeinschaftsmahle auch auf sie zu. Allerdings wissen wir nichts von einer Präferenz für gebleichte Kleider oder für spezielle Bestattungsriten. Schließlich widerspricht ein Großteil der in Qumran gefundenen Schriftrollen dem, was andere antike Quellen über Pharisäer / Chaverim und über Sadduzäer berichten.

Exkurs: Das sogenannte Jachad-Ostrakon Einigen gilt das sogenannte Jachad-Ostrakon als bester Beweis dafür, dass der Jachad der Schriftrollen tatsächlich in Qumran lebte. Auch wenn seine Brisanz abgenommen hat, ist es doch so zentral, dass es einer eigenen Diskussion bedarf. Das Ostrakon wurde erst 1996 bei unter James Strange durchgeführten Ausgrabungen an der östlichen Außenwand der Siedlung gefunden. Der Kontext ist

Abb. 21:  Jachad Ostrakon nach Cross/Eshel (links), Yardeni (Mitte), Puech (rechts)

Exkurs: Das sogenannte Jachad-Ostrakon    147

unklar, da es vermutlich zu Schutt früherer Ausgrabungen gehört oder schon in der Antike dort weggeworfen worden war. Unter den Entzifferungsvorschlägen möchte ich hier die drei vielleicht wichtigsten nennen, die von führenden Paläographen gemacht worden sind. Frank Cross / Esther Eshel

Ada Yardeni

Émile Puech

1 Im Jahre zwei von […] |

Im Jahre zwei von […] |

Im zweiten Jahr der Er[füllung seiner Zeit?]

2 in Jericho, gab Choni der So[hn …] |

in Jericho, gab Choni der So[hn …] |

in Jericho, hat Choni, der So[hn von Schimon ?]

3 dem Eleazar dem Sohn des Nachmani[…] |

dem Eleazar dem Sohn des N○○○○[…] |

dem Eleazar, dem Sohn des Nachmani [,seinem Sklaven aus Jericho,]

4 Chisdai von Cholon […] |

die[se] Säcke […] |

den benannten Ort, das Wasser[becken,]

5 von diesem Tag für imme[r] | ??? |

die Wasserleitungen [, das Haus]

6 die Gebiete des Hauses und […] |

die Mauern (?) / Beund die Begrenzungen des Hauses und [den deckungen (?) des Hauses (?) Obstgarten / das Feld ?] von […] |

7 und die Feigen, die Oli[ven?, …] |

und die Feigen(bäume), die Pa[lmen?, …] |

8 wenn er (sein Gelübde gegenüber) der Gemeinschaft (ukimloto li-jachad) erfüllt […] |

und jeden ande[ren] (?) und alle anderen [Obst]bäume (vekholilan Baum (vekholilan ach[er]) […] ach[er]). |

9 und Choni (?) […] |

??? […] |

Und er hat sie ihm überlassen und ver[kauft alles was]

10 zu ihm Chis[dai ? …] |

zu mir/ihm H[…] |

sein ist [, die Produkte seiner Ernte].

11 und der […] |

und der […] |

Und der Gesamtbetrag [des Verkaufs ? betrug X]

{hier} Feigenbäume, die Granat[apfelbäume, die Dattelpalmen / Olivenbäume ?]

12 und in die Hand von […] | und in die Hand von […] |

und im Besitz von Choni gab es Gold [und Silber].

13 Chisdai, der Sklave von Ch[oni ? ] |

??? Ch[…] Sk[ ??? ] |

Bezüglich seines Herzens [ist er sich mit diesem Preis / diesem Geschäft]

14 Cholon […]

Ch[…].

zufrieden. {Bezüglich} das Herz seines Dieners [mit diesem Preis / Geschäft zufrieden]? Eleazar hat dem Ch[oni X bezahlt.] IIII[I?] Shekel X für dies[en] Kauf. [Eingeschrieben wurden das] Gold und das Silber in [das Buch ?] [???] durch den Aufseher (mevaqer) der [Gemeinschaft].

148    8  Festung, Villa, Töpferei? Qumran im Kontext Einig sind sich die Interpretatoren nur über die Sprache (Hebräisch, das ist ungewöhnlich für ein Dokument in dieser Zeit!), die Datierung (das Jahr 2 – aber welcher Zeitrechnung?), die Erwähnung von Jericho und einiger Personennamen (Choni, Eleazar), die Erwähnungen von Grundstücksgrenzen und Feigenbäumen. Entscheidend für die Interpretation sind die Zeilen 8 und 18. Wäre die Lesung von Cross und Eshel richtig, wäre dieser Vertrag in der Tat der lang gesuchte epigraphische Beweis für die Präsenz des Jachad in Qumran. Yardeni, die besonders große Erfahrung in der Edition kursiver Vertragstexte hat, liest jedoch viele Stellen völlig anders, darunter auch die entscheidende Zeile 8 (mit einem Pfeil bezeichnet): Cross/Eshel: wenn er (sein Gelübde gegenüber) der Gemeinschaft (jachad) erfüllt Yardeni: und jeden ande[ren] (?) Baum (so auch Puech) Differenz der Interpretationsvorschläge

Die enorme Differenz der Interpretationsvorschläge rührt daher, dass das Ostrakon ein Vertrag ist, kein literarischer Text, und daher kursive Schrift benutzt, die sich stark von der Quadratschrift unterscheidet. Sie ist schwieriger zu entziffern, da sie mehrdeutige Buchstabenformen aufweist und gerade an der entscheidenden Stelle durch einen Bruch die unteren Teile der Buchstaben fehlen. So interpretiert Yardeni schon im ersten Wort als Waw, was Cross und Eshel als Mem sehen. Im Folgenden teilen sie die Buchstaben völlig anders auf die Worte auf. Was Cross und Eshel als Waw, Taw, Waw lesen und mit den voranstehenden Buchstaben zusammen als Verbform interpretieren (kmlwtw), hält Yardeni für Aleph und Jod und deutet sie als Anfang eines Substantivs, zu dem auch der erste Buchstabe des von Cross und Eshel Jachad gelesenen Wortes gehört, von ihr als Nun, nicht Jod gelesen (kol ilan). Die drei Buchstaben des entscheidenden Wortes jachad sind für Yardeni also der letzte Buchstabe eines Substantivs (Nun statt Jod) und die ersten beiden Buchstaben des folgenden Adjektivs (Aleph und Chet statt Chet und Dalet). Émile Puech stimmt mit Yardeni in der Lesung von Zeile 8 überein. Dennoch hält er das Ostrakon für einen Zeugen der Besiedlung von Qumran durch den Jachad, indem er in einer den anderen Epigraphikern unleserlichen Partie des Ostrakons den dem Jachad eigenen „Aufseher“ (mevaqer) liest (bezeichnet durch einen Pfeil) (s. u. S. 260 f). Die Zeilen 16 – 18 sind jedoch so stark verblasst, dass weder Cross/Eshel noch Yardeni irgendeine Lesung angeben. Dieser Deutungsvorschlag ist bislang nicht von anderen Epigraphikern akzeptiert worden.

Exkurs: Das sogenannte Jachad-Ostrakon    149

9 In und out: Überblick über die Schriftrollen, Autorgruppen, Besitzer und Gegner

S. Literatur Kapitel 8 (vor allem Golb, Schofield, Stökl Ben Ezra, Taylor) Bar-Asher Siegal, Elitzur, „Who Separated from Whom and Why? A Philological Study of 4QMMT“, Revue de Qumrân (2001) 229 – 256. Dimant, Devorah, The Vocabulary of the Qumran Sectarian Texts. In: Frey/ Claußen/Kessler 2011, 347 – 395. (s. Kapitel 6) Elior, Rachel, „The Dead Sea Scrolls: who wrote them, when and why?“, Studies in Spirituality 21 (2012) 45 – 66. Eshel, Hanan/Eshel, Esther, „4Q448, Psalm 154 (Syriac), Sirach 48:20, and 4QpIsaa “, Journal of Biblical Literature 119 (2000) 645 – 659. García Martínez, Florentino, „¿Sectario, no-sectario, o qué? Problemas de una taxonomía correcta de los textos qumránicos“, Revue de Qumran 23 (2008) 383 – 394. Goodman, Martin, „A Note on the Qumran Sectarians, The Essenes and. Josephus“, Journal of Jewish Studies 46 (1995) 161 – 166. Lange, Armin, Kriterien essenischer Texte. In: Frey, Jörg/Stegemann, Hartmut (Hgg.), Qumran kontrovers, Paderborn 2003, 59 – 69. Main, Emmanuelle, For King Jonathan or against? The Use of the Bible in 4Q448. In: Stone, Michael/Chazon, Esther (Hgg.), Biblical Perspectives: Early Use and Interpretation of the Bible in Light of the Dead Sea Scrolls, Leiden 1998, 113 – 135. Newsom, Carol, ‚Sectually Explicit‘ Literature from Qumran. In: Halpern, Baruch/Propp, William/Freedman, David (Hgg.), The Hebrew Bible and Its Interpreters, Grand Rapids 1990, 167 – 187. Pfann, Stephen, „Reassessing the Judean Desert Caves. Libraries, Archives, ‚Genizas‘ and Hiding Places“, Bulletin of the Anglo-Israel Archaeological Society 25 (2007) 147 – 170. Popović, Mladen, „Qumran as Scroll Storehouse in Times of Crisis? A Comparative Perspective on Judaean Desert Manuscript Collections“, Journal for the Study of Judaism 43 (2012) 551 – 594. Puech, Émile/Poffet, Jean-Michel, Le rouleau de cuivre de la grotte 3 de Qumrân (3Q15): expertise, restauration, épigraphie, Leiden 2006. Puech, Émile, „Jonathan le Prêtre Impie et les débuts de la Communauté de Qumrân, 4QJonathan (4Q523) et 4QPsAp (4Q448)“, Revue de Qumran 17 (1996) 241 – 270. Steudel, Annette, 4Q448: The Lost Beginning of MMT? In: García Martínez, Florentino/Steudel, Annette/Tigchelaar, Eibert (Hgg.), From 4QMMT to Resurrection: Mélanges qumraniens en hommage à Émile Puech, Leiden 2006, 247 – 263. Stone, Michael, The Scrolls and the Literary Landscape of Second Temple Judaism. In: Hempel, Charlotte (Hg.), The Dead Sea Scrolls. Texts and Context, Leiden 2010, 15 – 30. Taylor, Joan, Buried manuscripts and empty tombs. The Qumran ‚Genizah‘ theory revisited. In: Maeir, Aren/Magness, Jodi/Schiffman, Lawrence

150    9  Schriftrollen, Autorgruppen, Besitzer und Gegner (Hgg.), „Go Out and Study the Land“. Archaeological, Historical and Textual Studies in Honor of Hanan Eshel, Leiden 2012, 269 – 315. Tigchelaar, Eibert, „Classification of the Collection of Dead Scrolls and the Case of Apocryphon of Jeremiah C“, Journal for the Study of Judaism 43 (2012) 519 – 550. Weissenberg, Hanne von, 4QMMT. Reevaluating the Text, the Function, and the Meaning of the Epilogue, Leiden 2009.

Wer waren die Besitzer der ­Schriftrollen? Warum wurden die Schriftrollen in den Höhlen gelagert?

Dass die antiken Besitzer einiger Schriftrollen mit den Bewohnern der Siedlung zu identifizieren sind, haben wir bereits im vorigen Kapitel diskutiert (S. War Qumran Siedlung einer religiösen Gruppierung?). Zumindest ein Teil der Schriftrollen gehörte also einer lokalen religiösen Gruppe, den Schreibern von 1QHa. Ob sie als Bibliothek oder als Geniza in den Höhlen deponiert wurden, muss dabei zunächst noch offen bleiben, doch sind die Thesen, die verlangen, dass alle Rollen von anderen Orten kommen, hiermit widerlegt. Es handelt sich also weder um eine Bibliothek Jerusalemer Sadduzäer (Elior) noch um eine Geniza Jerusalemer Bibliotheken (Rengstorff) noch um ein Notlager für Jerusalemer Bibliotheken (Golb). Zumindest ein Teil der Rollen gehörte den Bewohnern Qumrans. Wer waren die Besitzer der Schriftrollen? Sadduzäer (Schiffman)? Essener (de Vaux)? Eine unbekannte Sekte (Goodman)? Deckt sich der textuelle Befund mit dem nicht-textuellen? Warum wurden die Schriftrollen in den Höhlen gelagert oder versteckt? Handelt es sich um eine Bibliothek (de Vaux) oder um eine Geniza (Sukenik)? Gibt es eine erkennbare politische Leitlinie, eine Ordnung mit einer erkennbaren Ideologie hinter dem Ensemble der Qumranrollen, oder sind sie nichts weiter als ein Sammelsurium unterschiedlicher Gruppen? Handelt es sich um eine Mischung einer lokalen Sammlung mit anderen essenischen Sammlungen (Schofield)? Ist die Organisationspolitik hinter allen einzelnen Sammlungen in den jeweiligen Höhlen dieselbe (und damit auch die Identität ihrer Besitzer – so Dimant), oder müssen wir zwischen den einzelnen Höhlen, ihren Sammlungen und ihren Besitzern unterscheiden (Pfann)?

9.1 War Qumran eine Geniza? Seit Sukenik und Rengstorff wird von Einzelnen immer wieder erwogen, dass es sich statt Überresten von aktiven Bibliotheken auch um antike Genizot handeln könnte (so jüngst wieder Joan Taylor). Die Existenz von Genizot setzt voraus, dass Handschriften, wenn sie nicht mehr benötigt werden oder bei einem gewissen Beschädigungsgrad, nicht mehr repariert werden, dann aber auch nicht

9.2  Qumran als Bibliothek? Ein Überblick über die Schriftrollenbestände    151

einfach weggeworfen, sondern mit großer Sorgfalt entsorgt werden. Sind die Rollen deshalb in Tücher eingewickelt, mit Asphalt versiegelt und dann in Krügen gelagert worden? Wenn Qumran tatsächlich eine Geniza wäre, wäre es bei weitem der früheste bezeugte Fall für eine Institution, die sonst erst im Mittelalter nachweisbar ist. Dagegen spricht, dass einige wichtige Handschriften ausgiebige Reparaturen aufweisen. So wurde bei der Tempelrolle das erste Blatt komplett ausgetauscht. Risse in einigen Rollen wurden genäht. In anderen Rollen wurden Flicken aufgenäht (z. B. 4Q51, 11QTa, s. Tov, Scribal, 123 – 125). Die Lesarten verschiedener Texte wie zum Beispiel 1QS oder 1QIsaa wurden ausgiebig von zweiter Hand korrigiert. Eine Kopie des Buchs der Wächter (1. En 1 – 36) wurde auf der Rückseite mit einem anderen Text beschrieben, der offensichtlich wichtiger geworden war. Rollen, die repariert, korrigiert oder umgenutzt werden konnten, mussten also nicht entsorgt werden. Auch ist die Behandlungsweise der Handschriften zu unterschiedlich, um daraus auf eine homogene Politik zu schließen. Warum wurden einige Handschriften sorgsam verpackt, die Mehrheit aber nicht? Schließlich belegen die Existenz der Tintenfässer sowie die Tatsache, dass 1QHa in Qumran entstanden ist, dass in Qumran Schriftrollen geschrieben wurden. Mit allergrößter Wahrscheinlichkeit handelt es sich bei der Sammlung um eine oder mehrere Bibliotheken.

9.2 Qumran als Bibliothek? Ein Überblick über die Schriftrollenbestände Eine Bibliothek verrät viel über ihre Besitzer, deren Zeit, Sprache, Bibliothek Geographie, Interessensgebiet und Ideologie. Zwar finden sich in einer Bibliothek fast immer Werke ganz unterschiedlicher Natur, doch kann man aus einer organisierten Sammlung auf die Interessen, die Vorlieben und Abneigungen ihres Besitzers schließen. Die Bibliothek einer Jeschiwa unterscheidet sich von der einer evangelisch-theologischen Fakultät. Die Bibliothek eines Slavisten unterscheidet sich von der eines Ingenieurs. Dabei darf man nicht so sehr auf Einzelfälle achten – auch in eine Jeschiwa schmuggelt sich vielleicht das eine oder andere unorthodoxe Buch ein. Doch das Gros der Bücher wird Hinweise auf die ideologische Grundlage geben, nach der entschieden wurde, welche Bücher akzeptabel sind und welche nicht. Handelt es sich um eine organisierte Bibliothek, müssten in ihr die Schriften einer spezifischen Ideologie einen erkennbaren Kern bilden. Schriften ihrer Gegner müssten dagegen selten und marginal

152    9  Schriftrollen, Autorgruppen, Besitzer und Gegner

narrative Texte

halakhische Texte

Gebete und Hymnen

sein. Steht hinter der Schriftrollensammlung eine Anzahl nun vermischter Bibliotheken unterschiedlicher Gruppen, dürfte keine homogene Anschaffungspolitik der Bibliothekare erkennbar sein. Im Folgenden geben wir einen ersten groben Überblick über die Sammlung mit der Empfehlung, ihn nach der Lektüre der Beschreibung der Einzeltexte in den Teilen 3 bis 5 noch einmal zu lesen. In den Publikationen der letzten Jahre hat sich die Zahl der Qumranrollen stetig erhöht. Man spricht jetzt von etwa 1000 Schriftrollen (zu den Unsicherheiten s. o. S. 50 f). Fast alle Qumranrollen sind literarische Texte unterschiedlichster Literaturtypen. Die tabellarische Übersicht im Einführungsband DJD 39 kann davon einen ersten Eindruck verschaffen. Zu den Hauptgruppen können wir narrative, exegetische, halakhische, liturgische/poetische, weisheitliche, apokalyptische und eschatologische sowie wissenschaftliche Schriften rechnen. Texte können mehreren Genres angehören, z. B. gleichzeitig narrativ und exegetisch sein oder weisheitlich und poetisch. Zu den narrativen Texten gehören z. B. Genesis, die Königebücher, das Jubiläenbuch, oder das Genesisapokryphon. Einige neue Texte aus Qumran sind Bearbeitungen, Paraphrasen oder Neuschreibungen biblischer Texte („Rewritten Scripture“), wie z. B. das Apokryphon Jeremias C oder Pseudo-Ezechiel und können zu den exegetischen Texten gerechnet werden (Exegese = Auslegung, Erläuterung [eines Textes]). Unter den exegetischen Texten befinden sich aber auch nicht-narrative Texte: Pescharim, die ältesten biblischen Kommentare mit expliziter Anführung des kommentierten Versteiles (= Lemma), und andere Kommentartypen (z. B. 4Q252) (s. u. S. 233). Daneben gibt es halakhische Texte (s. u. Kapitel Tora und Halakha, S. 377–392). Ein Teil dieser Schriften ordnet rechtliche Bestimmungen der Tora oder schreibt sie um und kann deswegen auch zu den exegetischen Traktaten gezählt werden: der sogenannte Rewritten Pentateuch und die Tempelrolle. Darüber hinaus gibt es auch halakhische Texte mit Regeln für das Zusammenleben in besonderen religiösen Gruppen (Gemeinschaftsregel, Damaskusschrift) oder zu spezifischen Themen (z. B. Reinheit: 4QToharot). Auch zahlreiche Handschriften mit unterschiedlichen Typen von Kalendern und Priesterwachentabellen können zu dieser Gruppe gerechnet werden. Gebete und Hymnen sind besonders zahlreich (s. u. S. 351–376). Manche von ihnen enthalten Bestimmungen für ihren liturgischen Sitz im Leben (z. B. Morgengebet, Abendgebet, Schabbat, bestimmte Feste), andere nicht (z. B. die Hymnenrolle und die unterschiedlichen Psalmenzusammenstellungen).

9.2  Qumran als Bibliothek? Ein Überblick über die Schriftrollenbestände    153

Viele Texte werden zur weisheitlichen Literatur gerechnet, die sich mit der Vermittlung von allgemeinen Lebensweisheiten, ethischen Lehren und Weltanschauung befasst (z. B. Sirach, Job, Instruction). Einige verwandte Texte haben die Form von Testamenten, d. h. Reden, die ein Sterbender auf dem Totenbett der nächsten Generation weitergibt (Testament Qahats, Visionen Amrams, vgl. auch Aramäisches Levi Dokument) (s. u. S. 339–344). Zahlreiche Kompositionen sind apokalyptisch und/oder eschatologisch (Daniel und die danielischen Kompositionen, Henochbücher, Kriegsregel, Gemeinderegel 1QSa), anderweltliche Reisen (Buch der Wächter, Astronomisches Henochbuch) oder Visionen (Neues Jerusalem, Four Kingdoms) (s. u. S. 319–327). Eine kleine Gruppe von Texten kann im weiteren Sinne als wissenschaftlich bezeichnet werden und beschäftigt sich mit Astronomie, Physiognomie oder Heilung (s. u. S. 344–349). Manche rechnen die Kalender zu dieser Gruppe. Einige Fragmente sind dokumentarisch (z. B. 4Q342 – 361). Allerdings stammen einige Fragmente entgegen den Angaben der Beduinen sicher nicht aus Qumran (DJD 27). Umgekehrt gibt es viele Literaturgenres, die unter den Qumranrollen nicht entdeckt worden sind. Die drei großen Genres der klassischen Literatur – Philosophie, Drama und Historiographie – fehlen vollständig oder nahezu vollständig. Systematisch-theologische Traktate sind äußerst selten (am ehesten noch die Zweigeisterlehre in der Gemeinschaftsregel). Es gibt keine Frühform von Mischna oder halakhischen bzw. aggadischen Midraschim, noch von Evangelien, Apostelgeschichte oder Mahnbriefen wie im paulinischen Korpus (allenfalls 4QMMT) und auch keine Responsaliteratur. Auffällig wenige Texte sind im engen Sinne historiographisch und diese sind besonders fragmentarisch. Auch die biblischen historischen Bücher (Königsbücher, Samuelbücher, Chronik, Ezra-Nehemia) sind sehr wenig vertreten. Im weitesten Sinne kann man die Pescharim, die Aussagen der prophetischen Bücher der Bibel auf Ereignisse der Gegenwart deuten, zur Geschichtsschreibung zählen. Auch sind nur wenige Texte Dokumente (Verträge, Briefe, Listen für Einkäufe, Inventare, Mitglieder etc.). Dies ist besonders auffällig im Vergleich zu anderen Handschriftenfunden um das Tote Meer und angesichts der Tatsache, dass die benachbarte religiöse Siedlung sicher ein derartiges Archiv benötigte. Sprache: Praktisch alle Texte sind in den beiden nordwestsemitischen Sprachen verfasst, die zur Zeit des Zweiten Tempels in Judäa gesprochen wurden: Hebräisch und Aramäisch. Dabei ist Hebräisch die Hauptsprache. Nur etwa 13 % aller Texte sind auf

weisheitliche Literatur

apokalyptisch / eschatologisch

wissenschaftlich

dokumentarisch

Philosophie, Drama und Historiographie fehlen

Sprache

154    9  Schriftrollen, Autorgruppen, Besitzer und Gegner Aramäisch verfasst. Die Zahl der Texte in der dritten Lokalsprache, Griechisch, ist äußerst gering: außer den sehr fragmentarischen Texten aus Höhle 7 nur acht Texte aus Höhle 4, alles in allem vielleicht 1 – 2 % des Gesamtkorpus. Zwei Texte, die nach Angaben der Beduinen aus Qumran stammen sollen, sind nabatäische Dokumente (4Q235 und 4Q343). Diese Proportionen zwischen Hebräisch, Aramäisch und Griechisch sind äußerst bemerkenswert, denn man ging oft davon aus, dass Aramäisch Hebräisch weitgehend verdrängt hatte. An anderen antiken Fundorten um das Tote Meer und nördlich von Jericho sind Aramäisch (Nahal Hever, Wadi Daliyeh, Wadi Murabbaat) und/oder Griechisch (Nahal Hever, Wadi Murabbaat) proportional viel stärker vertreten. Daraus können wir schließen, dass die Besitzer der Qumranrollen eine besondere Vorliebe für Hebräisch hatten. Schrift Schrift: Fast alle semitischen Texte sind in judäischer Schrift geschrieben, viele in formeller kalligraphischer Buchschrift, einige Texte (vor allem aus Höhle 6) in kursiver Schrift. Ungefähr fünfzehn Texte aus den Höhlen 2, 4, 6 und 11 sind in paläohebräischer Schrift. Dies sind fast ausschließlich biblische Handschriften von Büchern der Tora oder von Job (vielleicht aufgrund der Tradition, die ihn für einen Zeitgenossen von Mose hielt). Tovs Katalog führt dazu etwa 50 Texte in drei verschiedenen kryptischen Schriften an, fast alle im ersten Typ (Cryptic A). Doch muss ihre Zahl sicher stark reduziert werden, da der verantwortliche Editor quasi jedes Fragment als eigenständigen Text ediert hat. 11Q23 und ein kürzlich in Jerusalem entdeckter Steinbecher mit einer kryptischen Inschrift zeigen, dass diese Schrift nicht auf Höhle 4 und nicht auf Qumran beschränkt war. Material Material: In Qumran ist die große Mehrheit der Fragmente auf Leder/Pergament geschrieben, nur etwa 10 – 15 % sind aus Papyrus, darunter vor allem Fragmente in kryptischer oder griechischer Schrift, etwa 50 unterschiedliche zumeist „nicht-biblische“ Texte aus Höhle 4, die wenigen Dokumente aus Höhle 1 und die Mehrzahl der Texte aus Höhle 6, die eventuell eine Privatsammlung darstellt. Dazu kommen etwa 100 Inschriften und Dipinti auf Keramik und schließlich die Kupferrolle (3Q15). Im Vergleich zu den im Exkurs des vorigen Kapitels genannten anderen Handschriftenfunden vom Toten Meer wird nach diesem kurzen Überblick sofort klar, dass wir bei Qumran nicht von einem Archiv, also einer Sammlung von juristischen, ökonomischen und persönlichen Dokumenten, sprechen, sondern von einer Sammlung jüdischer literarischer Schriften, und zwar hauptsächlich auf Hebräisch und hauptsächlich religiösen Charakters.

9.2  Qumran als Bibliothek? Ein Überblick über die Schriftrollenbestände    155

Am ehesten können wir etwas über die Identität der Besitzer herausfinden, wenn wir uns auf die häufigsten Schriftrollen in ihrer Lieblingssprache konzentrieren, die sie selbst verfasst haben könnten. Unter den „nicht-biblischen“ hebräischen Texten sind Kopien der folgenden zehn Kompositionen besonders zahlreich zehn ­besonders (vgl. die Tabelle zu häufigen biblischen oder deuterokanonischen zahlreiche ­Kompositionen Texten, S. 196 f): – Gemeinschaftsregel (ca. 12 Handschriften) – enthält u. a. ein Regelwerk für das intensive Zusammenleben einer Gruppe mit dualistischen Anschauungen, gemeinsamem Besitz, täglichem gemeinsamen Studium. – Damaskusschrift (ca. 10 in Qumran) – enthält u. a. eine Mahnschrift mit Einblicken in den Entstehungsmythos der Gruppe und ein Regelwerk für die lockere Koordination des täglichen Lebens von Familien, deren Mitglieder gewisse dualistische Auffassungen teilen. – Hymnenrolle (ca. 8 und 4 ähnliche) – unterschiedliche Sammlungen von Hymnen mit spezifischen theologischen Anschauungen. – Kriegsregel (ca. 7 und 3 ähnliche) – Beschreibung eines durch Liturgien begleiteten eschatologischen Krieges zwischen den Kräften des Lichts und der Dunkelheit. – Berakhot (ca. 5) – Liturgie mit Segenssprüchen über Gott und Verfluchungen Belials. – Miqsat Maase HaTora (4QMMT, ca. 6 – 7) – eine Sammlung ca. 22 halakhischer Aussagen mit einem briefähnlichen exhortativen Schluss. – Sabbatopferlieder (ca. 9 in Qumran) – liturgische Beschreibung der Engelsliturgien für dreizehn Schabbate. – Instruction (ca. 7 – 8) – eine Weisheitsschrift, die Studium eines Mysteriums und apokalyptisch-kosmologische Überlegungen mit praktisch-weisheitlichem Diskurs verbindet. – Pseudo-Ezechiel (ca. 5) – erzählerische Ausarbeitung von Themen aus Ezechiel, u.a. Ez. 37 teilweise Ezechiel selbst in den Mund gelegt. – Barkhi Nafschi (ca. 5) – eine Sammlung individueller Dankeshymnen „Lobe, meine Seele, den Herren“ (vgl. Ps. 103,1; 104,1). Von diesen zehn Kompositionen sind insgesamt ca. 80 Schriftrollen rekonstruiert worden. Ursprünglich dachten viele, dass alle häufigen nicht-biblischen Texte von den essenischen Besitzern geschrieben worden wären. Der einflussreiche französische Forscher André Dupont-Sommer hielt die Präsenz einer (nicht-biblischen) Schrift unter den Qumranrollen für den Beweis ihrer essenischen Autorschaft. Heute gilt dies unter den häufigen Kompositionen

156    9  Schriftrollen, Autorgruppen, Besitzer und Gegner sicher nur noch für die ersten fünf Texte, bei den anderen ist die Autorenfrage umstritten. Die ersten fünf oben genannten besonders eigentümliche häufigen Kompositionen weisen klar eine eigentümliche sozioloTerminologie gische Terminologie und spezifische gemeinsame Theologumena auf. Dazu gehören unter anderem folgende, zumeist soziologische Begriffe: – jachad als Bezeichnung für eine Gruppe und anschei hajachad als die Gruppenmitglieder – Aufseher (mevaqer) als Bezeichnung für ein Amt – Die Vielen (harabim) als Bezeichnung für ein Entscheidungsgremium der Gruppe – Regel (serekh) als Gattungsbezeichnung für Regelwerke – Lehrer der Gerechtigkeit (more hatzedeq) als Bezeichnung für eine Gründerpersönlichkeit – Frevelpriester (hakohen harascha) als Name eines Widersachers – Lügeneintröpfler (metif hakazav) als Name eines Widersachers – Auswegsucher (dorschei hachalaqot) als Name einer Widersachergruppe – Spötter (anschei halatzon) als Name einer Widersachergruppe – Pescher als Gattungsbezeichnung für Kommentare Diese Liste ließe sich noch fortsetzen, doch ist die Aussagekraft der hier genannten Begriffe weniger umstritten als die der meisten anderen. Die große Mehrzahl der Qumranforscher würde zustimmen, dass Texte, in denen eine Auswahl der oben genannten Begriffe mit der angeführten spezifischen Bedeutung vorkommt, von einem Mitglied einer Gruppe verfasst worden sind, die sich selbst als jachad (Gemeinschaft) bezeichnet. Diese Terminologie ist also eine Jachad-spezifische Terminologie (engl. Community Terminology). Unter den weniger häufigen Texten verwenden die Pescharim-Kommentare die gleiche jachadische Terminologie, und der Konsens spricht auch sie dem Jachad zu. Bei anderen Texten bleibt die Autorenschaft häufig umstritten. Die genannten fünf Texte plus Pescharim bilden also gewissermaßen den kleinsten gemeinsamen Nenner. Kriterien zur Aus den Aussagen dieser Texte kann man nun weitere Kriterien Identifizierung der zur Identifizierung der Jachad-Texte extrapolieren. Dazu gehören Jachad-Texte (neben der Jachad-spezifischen Terminologie) die folgenden: – Zitation jachadischer Texte – Theologische Vorstellungen, die den klar jachadischen Texten gemein sind (z. B. Dualismus, Prädeterminismus) – Stark polemische Sicht auf die Außenwelt – Bestimmte halakhische Bestimmungen (z. B. ein 364-Tage-Kalender)

9.2  Qumran als Bibliothek? Ein Überblick über die Schriftrollenbestände    157

– Eine spezielle von Emanuel Tov herausgearbeitete „Qumranorthographie“ – Hohe Anzahl von Kopien in Qumran – Die Vermeidung des Tetragramms als Gottesnamen Jedes Kriterium ist einzeln für sich nicht unproblematisch. Auch die jachadischen Texte haben Quellen benutzt. Ob ein Zitat nun aus dem jachadischen Text kommt oder aus seiner Quelle, ist nicht immer leicht festzustellen. Die meisten theologischen Vorstellungen, die als Kriterium für die Bestimmung von Jachad-Texten benutzt werden, finden sich auch in Texten anderer religiöser Gruppen. Dualismus gibt es bei Platon, im Johannesevangelium und in der Gnosis (s. u. S. 312), und auch Prädeterminismus ist in vielen religiösen Gruppen verbreitet. Das gleiche gilt für den 364-Tage-Kalender, der z. B. im 1. Henoch und im 2. Henoch oder im Jubiläenbuch eine zentrale Rolle spielt. Eine stark polemisierende Außenperspektive gibt es in vielen Gruppen und ist ein weitverbreitetes Merkmal für soziologisch Sekten zugeordnete Gruppenstrukturen. Das von Emanuel Tov herausgearbeitete Rechtschreibsystem (s. u., S. 201 f) wurde auch für bestimmte biblische Texte verwendet, die klar nicht-jachadisch sind. Umgekehrt sind einige klar jachadische Texte nicht in diesem Rechtschreibsystem verfasst (z. B. 4Q258 = 4QSd). Tatsächlich ist auch die Zahl nur bedingt aussagekräftig. Viele biblische Bücher, die sicher nicht von jachadischen Autoren verfasst worden sind, existieren besonders zahlreich. Schließlich vermeiden nicht nur eindeutig jachadische Texte die Verwendung des Tetragramms (außerhalb von biblischen Zitaten), sondern auch andere antike Handschriften. Daher ist die Argumentationskraft dieser Kriterien höchstens kumulativ, und sie sind auch dann nur sehr vorsichtig anzuwenden. Außerdem ist, wenn man sich nur auf die jachadische Terminologie als Entscheidungskriterium verlässt, der Umkehrschluss me- Umkehrschluss thodologisch äußerst problematisch: Texte, in denen diese Begriffe problematisch nicht auftauchen, können deswegen trotzdem von Mitgliedern des Jachad verfasst worden sein. Immerhin handelt es sich bei der oben angeführten Liste hauptsächlich um Selbstbezeichnungen und um Spottnamen für die Gegner. Derartiges Vokabular taucht eher in Texten auf, die von der eigenen Gruppenstruktur handeln oder Auseinandersetzungen mit Widersachern beschreiben. Für andere Textsorten, z. B. Kalender, biblische Nacherzählungen, halakhische Texte, liturgische Bitten an Gott ohne Bezug zur Gruppenstruktur, ist ihre Verwendung weit weniger zwingend. Texte, die zwar von Mitgliedern des Jachad verfasst wurden, bei denen die Gruppenzugehörigkeit im Vokabular jedoch keine Spur hinterlassen hat,

158    9  Schriftrollen, Autorgruppen, Besitzer und Gegner

zwei weitere ­Gründe, im Jachad die Besitzer der Schriftrollensammlung und die ­Bewohner Qumrans zu sehen

zwei unterschied­ liche Lebensweisen

sind daher mit dieser Methode nur unscharf zu erfassen. Die Terminologie ist kein unfehlbarer Lackmustest. Ihre Argumentationskraft ist größer in Konvergenz mit den anderen genannten Kriterien. Bevor wir uns jedoch den nicht-jachadischen und den umstrittenen Texten zuwenden, können wir noch etwas zu den klar jachadischen Texten sagen: Neben der Konzentration der jachadischen Kompositionen unter den häufigen Handschriften sprechen nämlich zwei weitere Gründe dafür, im Jachad die Besitzer der Schriftrollensammlung und die Bewohner Qumrans zu sehen. Erstens ist nach physikalischen Untersuchungen zumindest eine wichtige jachadische Handschrift in Qumran geschrieben worden (1QHa). Zweitens sind die beiden am häufigsten kopierten halakhischen Texte mit Vorschriften für die Organisation des täglichen Lebens, die Gemeinschaftsregel und die Damaskusschrift, jachadische Kompositionen. Die Annahme, eine Bibliothek enthalte mehr Lebensregeln einer anderen Gruppe als die der eigenen Ideologie, ist wenig überzeugend. Es gibt in Qumran zwar andere halakhische Texte (z. B. die Tempelrolle oder 4QMMT), doch keinen anderen Text, der Regeln für das tägliche Zusammenleben und die Organisationsform einer anderen Gruppe beschreiben würde (Newsom). Wenn man nun aber näher hinschaut, beschreiben die Gemeinschaftsregel und die Damaskusschrift bei aller Ähnlichkeit zwei unterschiedliche Lebensweisen. Erstere spricht von Gemeineigentum der Gruppe, gemeinsamen Mahlzeiten und einem streng geregelten Gruppenleben, ohne Frauen oder Kinder zu erwähnen. Letztere reguliert das Leben von Familien mit Privateigentum, die ab und zu zusammenkommen (s. u. S. 255–257). Paradoxerweise ist jedoch gerade dies ein weiteres Argument für die Identifizierung von Jachad, Essenern und Schriftrollenbesitzern. Wir haben oben schon besprochen, wie eng die Gemeinschaftsregel mit Josephus’ Beschreibung der Essener, ihrem Gemeinschaftsmahl und ihrer Aufnahmeprozedur übereinstimmt (s. o. S. 79 f). Die Annahme einer Identität von Jachad und Essenern würde nun gerade die besonders starke Repräsentanz von zwei unterschiedlichen und gleichzeitig ähnlichen Regelwerken in ein und derselben Sammlung erklären: Nach Josephus sind die Essener in einen verheirateten und einen unverheirateten Orden geteilt. Erstere wären der Damaskusschrift gefolgt, letztere der Gemeinschaftsregel. Dass Essener laut Plinius und Dio Chrysostomos in der Region nordwestlich des Toten Meeres gelebt haben sollen, würde diese These weiter stützen. Auch die Beobachtung der archäologischen Spezifika, die zahlreichen Mikven, der quasi ausschließlich männliche Friedhof und die ver-

9.2  Qumran als Bibliothek? Ein Überblick über die Schriftrollenbestände    159

schiedenen Gemeinschaftseinrichtungen, decken sich relativ gut mit der Annahme der These einer hauptsächlich oder vielleicht sogar ausschließlich männlichen religiösen Gemeinschaft, die stark auf Reinheit achtete und nach der Gemeinschaftsregel lebte. Die meisten Forscher identifizieren aus diesen Gründen die Bewohner Qumrans mit dem Jachad und einer essenischen Gruppe und erklären die Unterschiede zwischen den jachadischen Qumranrollen und den griechischen Quellen zu den Essenern durch zeitliche Entwicklungen (Josephus schreibt sehr viel später als 1QS) und unterschiedliche Adressaten bzw. Informationsabsichten (insideroutsider). Eine Variante dieser Meinung ist die sogenannte Groningen-Hypothese (García-Martínez, van der Woude) (s. u., S. 271). Nach ihr bedeuten die Ähnlichkeiten die Verwandtschaft beider Gruppen. Die textlichen Unterschiede hingegen verweisen auch auf soziale Unterschiede, die durch die historische Entwicklung nach einer Spaltung erklärt werden: der Jachad in Qumran (1QS) habe sich demnach von der weitläufigeren offeneren Essenerbewegung (Josephus, Philon) abgespalten. Allerdings ist dann schwierig zu erklären, warum ausgerechnet 1QS von allen antiken Texten den Beschreibungen der Essener am ähnlichsten ist (Hempel). Einige bedeutende Forscher, allen voran Shemaryahu Talmon, Albert Baumgarten, Martin Goodman und Steve Mason, vertreten dagegen die Ansicht, die kleinen Unterschiede zwischen dem Jachad der Gemeinschaftsregel und den Essenern in Josephus und den anderen Quellen seien zu signifikant für eine Gleichsetzung. Unsere Kenntnis der Soziologie des antiken Judentums ist nach dieser Ansicht zu sehr auf die Zufälle der Überlieferungsgeschichte angewiesen und zu unvollständig, so dass uns nur übrigbleibt, festzustellen, dass die Besitzer der Qumranrollen eine heute unbekannte Gruppe waren. Doch ist zu beachten, dass der Umfang der Schriftrollensammlung für damalige Verhältnisse kolossal ist. Die dahinter stehende Gruppe muss schon eine gewisse Größe und Bedeutung gehabt haben. Wie schon Frank Cross es treffend ausdrückte, stellt sich also die Frage, welche Hypothese einfacher ist: a) Die Existenz zweier unterschiedlicher bedeutender gelehrter jüdischer Gruppen (Jachad? Essener), mit ähnlicher Gruppenstruktur, ähnlichen Ritualen und ähnlicher Theologie, die beide in der gleichen Epoche u. a. an der dünn besiedelten Nordwestecke des Toten Meeres lebten oder b) die Identität dieser beiden Gruppen (Jachad = Essener)?

Groningen-­ Hypothese

eine heute unbekannte Gruppe?

160    9  Schriftrollen, Autorgruppen, Besitzer und Gegner

nicht-jachadische Texte

vorjachadische Kompositionen

nicht-jachadische Texte keine ­zufällige Auswahl

Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die zweite Hypothese einfacher und daher überzeugender ist. Wir gehen also davon aus, dass Jachad und Essener miteinander zu identifizieren sind. Wenn wir nun konstatieren, dass die jachadischen Texte die Kerngruppe der Qumranrollen darstellen, heißt dies noch lange nicht, dass alle Texte – oder selbst die Mehrheit der Texte – von Mitgliedern des Jachad verfasst wurden. Man muss hier ganz deutlich zwischen Autor und Schreiber differenzieren. Zwar haben Mitglieder des Jachad mit Sicherheit auch „biblische“ Texte abgeschrieben, doch ist kein Jachad-Mitglied Autor eines „biblischen“ Buches. Fast alle Forscher zählen darüber hinaus alle aramäischen Texte zu den nicht-jachadischen Texten, da sie nicht die gleichen spezifischen theologischen Konzepte oder aramäische Äquivalente für die besonderen hebräischen Redewendungen aufweisen. (Es gibt allerdings eine Ausnahme, die Visionen Amrams, die z. B. von den Kindern des Lichts und der Dunkelheit reden, und z. B. von Florentino García-Martínez als jachadisch eingestuft werden). Bezüglich der Autorenschaft vieler, vielleicht sogar der meisten hebräischen Kompositionen herrscht keine Eintracht. Natürlich können vorjachadische Kompositionen, d. h. Texte, die vor der Entstehung des Jachad verfasst worden sind, nur schwerlich von Jachad-Mitgliedern stammen. Doch ist es nicht einfach, für die Datierung der hebräischen Kompositionen einen Konsens zu erringen. Außerdem gibt es auch keinen echten Konsens mehr, ob der Jachad zu Beginn, Mitte oder Ende des zweiten Jahrhunderts oder gar erst Anfang des ersten Jahrhunderts entstanden ist, eine Frage, die auch davon abhängt, wie man den Jachad definiert. Nichtbiblische hebräische Kompositionen werden aber nur in Ausnahmefällen in das dritte vorchristliche Jahrhundert datiert und dies ist dann meist umstritten. Die meisten halten Schriften, die älter als die Mitte des zweiten Jahrhunderts v. Chr. sind, für vorjachadisch (z. B. die Wochentagsgebete Words of the Luminaries). Zu den oben erwähnten Kriterien für eine jachadische Autorenschaft gehört auch die Verwendung des 364-Tage-Kalenders. Daher sind die wenigen Kompositionen, die einen Mondkalender verwenden, schwerlich jachadisch. Hierzu gehören beispielsweise Sirach und die Daily Prayers. Endlich kann man das Argument, dass jachadische Texte das Tetragramm – außerhalb von biblischen Zitaten – nie verwenden, umdrehen: Texte, bei denen man es – außerhalb von biblischen Zitaten – findet, sind wahrscheinlich eher nicht-jachadische, beispielsweise Pseudo-Ezechiel, das Apokryphon Jeremias C, die Tempelrolle und das Jubiläenbuch. Die nicht-jachadischen Texte sind keine zufällige Auswahl aus der jüdischen Literatur des Zweiten Tempels. In Qumran finden

9.2  Qumran als Bibliothek? Ein Überblick über die Schriftrollenbestände    161

sich keine pharisäischen oder pro-hasmonäischen Texte (zu 4Q448 s. u., S. 165 f), keine jüdisch-hellenistische Philosophie oder herodianische Hofliteratur. Die Literatur der dortigen Sammlung stimmt vielmehr mit den in jachadischen Texten geäußerten Ansichten ungefähr überein und entstand in Kreisen oder Gruppen, die mit den Gruppen sympathisierten, denen der Jachad entsprang. Es liegt also in der Natur der Sache, dass nicht-jachadische Texte oft nur schwer von jachadischen zu trennen sind. Von der Liste der zehn häufigsten nicht-biblischen Texte gehören zu dieser Gruppe die Sabbatopferlieder, Instruction und 4QMMT. Wenn man von den individuellen Theorien der Forscher absieht und den Diskurs als solchen betrachtet, bilden sie also eine Grauzone zwischen jachadischen und nicht-jachadischen Texten. Zu diesem Grenzphänomen passt der in der Forschung neuerdings verwendete Begriff „para- para-jachadisch jachadisch“ (Dimant). Allerdings ist „nicht-jachadisch“ (und damit auch para-jachadisch) nur ein Ausschlusskriterium und noch keine positive Identifikation. Es gibt weder ein „nicht-jachadisches“ noch ein „parajachadisches“ Judentum als eine klar definierte Gruppe. In jüngster Zeit versucht vor allem Eibert Tigchelaar, neben der Kerngruppe jachadischer Texte auch andere Texte in Clusters zusammenzustellen, die untereinander ähnliche Besonderheiten aufweisen, die sie von anderen Texten unterscheiden. Beispielsweise haben 4Q521 und Pseudo-Ezechiel gemeinsam, dass sie leibliche Auferstehung erwähnen und dem Wort „fromm“ (Chasid, Chesed) eine besondere Bedeutung beimessen (vgl. auch Psalm 145). Hängen sie mit den nur so schwer zu fassenden Chasidim zusammen? Hier ist noch viel Forschungsarbeit zu leisten. Alison Schofield hat jüngst die Qumranrollen als ein Ensemble Schofield ins Gespräch gebracht, das aus verschiedenen essenischen / jachadischen Bibliotheken, die an unterschiedlichen Orten bestanden, um 68 n. Chr. aus Angst vor römischen Zerstörungen nach Qumran gebracht worden sei. Anders sei es kaum zu erklären, dass an ein und demselben Ort nicht nur unterschiedliche Regelwerke (Gemeinschaftsregel, Damaskusschrift etc.), sondern auch unterschiedliche Versionen des gleichen Regelwerkes kursierten, die noch dazu aus der gleichen Epoche stammen. Die sich gegenseitig widersprechenden Regelwerke hätten die Verwalter vor eine unmögliche juristische Situation gestellt, ob und wie gegebenenfalls ein Vergehen sanktioniert werden sollte. Zusätzlich ist zu beachten, dass die Qumranrollen nicht alle am gleichen Ort gefunden worden sind, sondern in elf unterschiedlich platzierten Höhlen. Gehören alle Funde zusammen? In einem wegweisenden Artikel hat Devorah Dimant die Verteilung der bib-

162    9  Schriftrollen, Autorgruppen, Besitzer und Gegner lischen, jachadischen und nicht-jachadischen Kompositionen in den einzelnen Höhlen untersucht und ist zum Ergebnis gekommen, dass alle Höhlen ungefähr das gleiche ideologische Profil aufweisen. Das heißt, alle Höhlen enthielten biblische, jachadische und nichtjachadische Texte, und zwar ungefähr in der gleichen Proportion. Bei näherem Hinsehen muss dieses Ergebnis nuanciert werden. Die Höhlen 2 und 3 im Kliff enthielten keine klar jachadischen Texte, in Höhle 6 im Kliff wurden zwar jachadische Texte gefunden, aber proportional außergewöhnlich viele Texte in kursiver Schrift, und Höhle 7 lieferte quasi nur griechische Fragmente (Pfann, Stökl Ben Ezra). Sind wirklich alle Funde in den Höhlen der gleichen Gruppe zuzuordnen? Altersprofil Eine Untersuchung des Altersprofils der Schriftrollen in jeder Höhle ergibt gravierende Unterschiede. Die Höhlen 1 und 4 enthalten durchschnittlich signifikant ältere Rollen als die anderen Höhlen. Dies heißt nicht, dass alle Rollen in den Höhlen 1 und 4 alt sind, sondern nur, dass das Durchschnittsalter der Rollen aus den Höhlen 1 und 4 höher ist. Statistische Tests können zeigen, dass dies unmöglich ein Zufallsprodukt sein kann, wenn man beispielsweise annimmt, dass eine einzige Bibliothek vor dem Angriff der Römer schnell in den Höhlen versteckt worden ist (Stökl Ben Ezra). Wenn wir mit Dimant annehmen, dass die Schriftrollenensembles alle aus Jachad-Beständen stammen, müssen es mindestens zwei Jachad-Bibliotheken gewesen sein. Der archäologischen Analyse zufolge wurde die Siedlung dreimal zerstört: Einmal durch das Erdbeben 31 v. Chr., ein zweites Mal durch Feuer um 9/8 – 4 v. Chr., ein drittes Mal im Jahre 68 n. Chr. In der Siedlung aufbewahrte Schriftrollen können Erdbeben, aber keine Brandkatastrophen überlebt haben. Alle Rollen, die älter als der früheste Zerstörungshorizont sind, müssen konsequenterweise entweder beim Brand um 9/8 – 4 v. Chr. schon in einer Höhle gewesen sein, oder sie sind erst später nach Qumran gekommen. Wahrscheinlich sind die Rollen aus Höhle 4 deswegen durchschnittlich älter, weil die Höhle schon Ende des ersten Jahrhunderts v. Chr. als Bibliothek oder als Notunterkunft benutzt wurde und weil die hier befindlichen Rollen nach dem Wiederaufbau der Siedlung nicht wieder zurück in die Siedlung transportiert wurden. In der Siedlung wurde eine zweite, jüngere Bibliothek eingerichtet. Die Bestände aus Höhle 4 wurden beim Römerangriff 68 n. Chr. teilweise in Höhle 1 gesichert, während die Bestände aus der durchschnittlich jüngeren Bibliothek in der Siedlung in die anderen Höhlen gerettet wurden oder bereits dort waren (z. B. in Höhle 5) (H. Eshel / Stökl Ben Ezra).

9.3  Drei Ausreißer?    163

9.3 Drei Ausreißer? Unter den Rollen gibt es drei, die die jachadisch-essenische Interpretation auf jeweils unterschiedliche Weise in Frage stellen. Die erste ist die berühmte Kupferrolle. Forscher fanden sie 1952 am letzten Kupferrolle Tag ihrer Ausgrabungen in Höhle 3 in zwei Teilen aus Kupferblech mit eingehämmertem Text. Wäre sie von Beduinen entdeckt worden, wäre ihre Authentizität vermutlich angezweifelt worden. Schon früh hatte Karl-Georg Kuhn aus den auf der äußersten Schicht entzifferbaren Buchstaben geschlossen, es handle sich um eine Schatzliste. Aber erst 1956 wurde von Ingenieuren in Manchester unter Beistand von John Allegro ein System entwickelt, das es ermöglichte, die spröden Rollen mit einer sehr feinen Säge gefahrlos in Einzelstücke zu zerschneiden. Kuhns Vermutung sollte sich bestätigen. Über zwölf Kolumnen erstreckt sich eine Liste mit 64 Einträgen, z. B.: [In] der „Pfeilerhöhle“ mit zwei 2 [Ö]ffnungen, die nach Osten schaut, 3 grabe [an] der nördlichen Öffnung 4 drei [E]llen (tief). Dort (ist) eine Amphore, 5 darin (ist) eine Buchrolle, unter ihr: 6 [vacat] 42 Tal(ente) [vacat]. (3Q15 VI 1 – 6)

1

Die meisten Schätze bestehen aus Silber, Gold oder Gefäßen mit Priesterabgaben. Handelt es sich um eine fiktive (Milik) oder eine echte Schatzliste (Allegro)? Sollte es eine echte Schatzliste sein, wem gehörten dann diese Schätze, dem Tempel oder den Essenern (Puech)? Warum wurde dieser Text auf Kupferblech eingraviert? Gehört diese Rolle mit den anderen Texten zusammen? Die Unterschiede zu den anderen Qumrantexten in Inhalt, Form, Sprache, Schrift und Material sind groß: Es ist der einzige in Kupfer gravierte Text und die einzige Schatzliste. Die Schrift ist paläographisch sehr anders und nur schwer mit den anderen Schriften der in Qumran gefundenen Rollen zu vergleichen, was am ungewöhnlichen Material liegen kann. Aber auch die Orthographie und die Art des Hebräisch unterscheiden sich. Z. B. taucht schel als Relativpronomen wie im rabbinischen Hebräisch sonst nur ganz vereinzelt in Qumrantexten auf – in 3Q15 aber 24 Mal. Oft wird auslautendes A mit Aleph geschrieben anstelle von He. An einigen Stellen erscheinen merkwürdige griechische Buchstabenkombinationen. Die Kupferrolle enthält besonders viele Hapaxlegomena, d. h. Worte, die sonst nicht in den Qumrantexten auftauchen (z. B. kikar – Talent; nidbakh – Steinlage; regem – Steinhaufen). Besonders auffällig ist, dass die Kupferrolle auch der einzige hebräische Qumrantext mit lateinischen und griechischen Lehnworten ist (z. B. perstelin – peristyle 3Q15 I 7; asterin – Statermünze 3Q15 IX 3; ha’astan – die stoa 3Q15 XI 2; ha’ikhsadran – die exedra 3Q15 XI 3).

164    9  Schriftrollen, Autorgruppen, Besitzer und Gegner

Höhle 3 aus dem Korpus der Qumranrollen ­ausscheiden

Die Lösung dieses Rätsels ist nicht leicht. Viele sind aufgebrochen, die Schätze zu suchen, auch John Allegro, aber keiner hat je glaubhaft behaupten können, einen derartigen Schatz gefunden zu haben. Jozéf Milik hielt den Text für essenische Phantasterei. Aber warum dann auf Kupfer? Es wäre ein äußerst komplizierter Streich! Warum die Unterschiede in Orthographie und Sprache? Andere, wie Émile Puech, halten die Liste für echt und zählen sie zu den essenischen Kompositionen. Aber dies erklärt nicht die Unterschiede in Sprache und Orthographie. Auch sind die Beträge so immens, dass man sich nur schwerlich einen Verein vorstellen kann, der sie aus den Vermögen seiner Mitglieder zusammengetragen hätte, selbst wenn er tausende von Mitgliedern hatte. Derartige Beträge konnten nur einen Nationalschatz im Besitz eines Königs oder eines Tempels darstellen. Die letzte Möglichkeit ist daher, zu erwägen, die Kupferrolle sei von Priestern des Tempels in Höhle 3 verborgen worden und hänge nicht mit den anderen Rollen zusammen. Dies wiederum öffnet die Büchse der Pandora, dass nicht nur der Jachad als Bewohner Qumrans, sondern auch andere Gruppen in den Höhlen um Qumran Texte verborgen haben können. Besteht ein Unterschied zwischen den fünfzehn Schriftrollen aus Höhle 3 und den Schriftrollenensembles in den anderen Qumranhöhlen? Zwar scheinen sie paläographisch aus der gleichen Zeit zu stammen, doch ist aufgrund ihres Inhalt eine Verbindung zu den anderen Qumranrollen nicht zwingend. Kein einziges Fragment gibt Anlass zur Vermutung jachadischer Autorenschaft. Die Inventarliste gibt einen Pescher zu Jesaja an (3Q4) – dessen winziges Fragment allerdings nichts enthält, das diese Identifikation rechtfertigen würde. Das gleiche gilt für 3Q9 „Sectarian Text“. Auch die anderen Fragmentengruppen (Ezechiel, Psalmen, Klagelieder, Jubiläenbuch, Hymne, Testament Judas, Text mentioning the Angel of Peace, nicht identifizierte hebräische und aramäische Fragmente) enthalten keine eindeutigen Hinweise auf Zugehörigkeit dieses Korpus’ zu Qumran – allerdings steht dieser Annahme auch nichts entgegen. Sie sind zu klein für sichere Schlüsse. Schließlich ist Höhle 3 von allen Höhlen mit Schriftrollen die nördlichste und am weitesten von Qumran entfernte Höhle. Von den fünf Krügen aus Höhle 3, die mit Neutronenaktivationsanalyse auf ihre Herkunft geprüft wurden, sollen alle aus Jerusalemer Ton gefertigt worden sein. Pfann hat daher vorgeschlagen, nicht nur die Kupferrolle, sondern auch die anderen Fragmente aus Höhle 3 aus dem Korpus der Qumranrollen auszuscheiden und sie einer anderen Gruppe zuzuordnen, die dem Tempel nahestand. Allerdings haben wir oben gelernt, dass Ton auch unverarbeitet transportiert wurde und wir bislang keine Schriftrollenkrüge aus Jerusalem haben. In

9.3  Drei Ausreißer?    165

Höhle 3 wurden aber 35 zylindrische Krüge gefunden. Unsicherheiten bleiben also bestehen. Pfann scheidet auch die Texte aus den Höhlen 2 und 11 aus dem essenischen Cluster aus. Höhle 2 enthielt tatsächlich keine jachadischen, sondern fast nur „biblische“ Texte. Vielleicht handelt es sich hier also nur um zur selben Zeit versteckte unterschiedliche Schriftensammlungen. Die zu Höhle 3 nächstgelegene Höhle ist Höhle 11, seit Urzeiten von Fledermäusen besiedelt. Wenn die Fledermäuse schon um 68 n. Chr. in dieser Höhle wohnten, ist es unwahrscheinlich, dass den Bewohnern Qumrans dies nicht bekannt war. Sie hätten dann kaum diese Höhle als Rollenversteck gewählt, denn Fledermäuse und Fledermauskot sind unrein. Ortsfremden konnte ein derartiger Fehler leichter unterlaufen (Rabin, forthcoming). Allerdings enthielt Höhle 11 Texte mit jachadischer Terminologie (11Q14 sefer hamilchama mit Parallelen zu 4Q285 und vgl. auch den Pescher zu Melchizedek 11Q13 sowie 11Q29). Bis auf weiteres sollte Höhle 11 weiter zum qumranischen Befund gezählt werden. Die zweite Rolle, die nur schwer mit der Essener-Hypothese zu vereinbaren ist, ist 4Q448 Apocryphal Psalm and Prayer. Das 4Q448 Fragment (s. o. Abb. 1) vom Anfang einer Rolle enthält sogar noch den Rollenverschluss. Die Editoren datieren diesen schwer entzifferbaren Text in semikursiver Schrift paläographisch in den Anfang des ersten Jahrhunderts v. Chr. Der Text beginnt mit einem Lobpsalm (Ps. 154 wie in der syrischen Bibel), um dann König Jonathan direkt anzusprechen: Wache, Heiliger (Gott), über (ur qadosch al) Jonathan, den König und über die ganze Versammlung Deines Volkes Israel in (den) vier Wind(richtung)en des Himmels. Lass sie alle in Frieden sein! Und über Deine (Gottes) Königsherrschaft werde benedeit Dein (Gottes) Name! (4Q448 ii).

Der einzige dafür in Frage kommende König ist Alexander Jannai, dessen hebräischer Name Jonathan war. Dies überraschte die Forscherwelt, die davon ausging, dass die Besitzer der Qumranrollen mit allen Hasmonäern in Konflikt standen, also auch mit Jonathan (s. u. S. 277–280). Diese vor allem in den Pescharim ausgedrückte Haltung lässt sich nur schwerlich mit einem Lobeshymnus vereinbaren. Zur Lösung wurden folgende Erklärungsmodelle vorgeschlagen. Die Formel zu Beginn des Textes wird in der Bibel normalerweise mit diametral gegenüberliegender Bedeutung übersetzt (Main): Die Wurzel ‘ur (‎‫‏עור‏‬‎) in Kombination mit der Präposition ‘al (‎‫‏על‏‬‎) heißt gewöhnlich „sich gegen X erheben“ und nicht „über X wachen“. Man müsste also übersetzten:

166    9  Schriftrollen, Autorgruppen, Besitzer und Gegner Erhebe Dich, Heiliger (Gott), gegen Jonathan, den König! Doch über die ganze Versammlung Deines Volkes Israel in (den) vier Wind(richtung)en des Himmels, ihre Gesamtheit, sei Friede!

Wer hingegen die andere Übersetzung („Wache“) beibehält, erklärt die Existenz der Hymne entweder damit, dass sie von einem neuen Mitglied als „Mitgift“ in den Gemeinschaftsbesitz eingebracht worden ist, oder dass der Text verfasst wurde, bevor der Jachad in Konflikt mit Alexander Jannai geriet (Eshel). Eine letzte Deutung datiert die Handschrift paläographisch 50 Jahre früher und bezieht Jonathan auf Jonathan Makkabäus, der zwar nicht den Titel König führte, aber doch ähnliche Funktionen ausübte (Puech). Angesichts dieser alternativen Erklärungsmöglichkeiten zwingt uns dieses Einzeldokument also nicht, die Essenerhypothese zu überdenken. 4QMMT Das dritte Dokument ist 4QMMT (Miqsat Maase Hatora = „Einige Werke der Tora“ oder Halakhic Letter / Halakhischer Brief), eine Schlüsselkomposition zum Verständnis der Qumranrollen. Mindestens sechs sehr fragmentarische Handschriften sind in Höhle 4 gefunden worden (4QMMTa – f = 4Q394 – 4Q399). Die Zuordnung zweier kryptischer Fragmente zu einer siebten Kopie 4Q313 ist gegenstandslos. Auch die jüngst von Weissenberg vorgeschlagene Aufspaltung der 4Q398 zugeordneten Fragmente in zwei Gruppen ist nicht überzeugend.

Anders als für die Damaskusschrift, die Gemeinschaftsregel, die Kriegsregel und die Hymnen existiert keine mehr oder minder vollständige Rolle, die bei der Anordnung der kleinen Fragmente helfen könnte. So haben die Editoren drei Teile (A, B, C) rekonstruiert, die mit Sicherheit nicht in allen Handschriften vorhanden waren. A) Teil A beschreibt einen 364-Tage-Kalender, kommt nur in einer der sechs Kopien (4Q394 frag. 3a–4 i) vor und war vielleicht nie Teil der anderen Kopien. Sicher war Teil A nicht Teil von 4Q395. B) Teil B ist eine Liste von ca. 22 halakhischen Bestimmungen zu Opfer und Schlachtung, ritueller Reinheit, Priesterehen, Ausgeschlossenen, etc. Die Lesarten unterscheiden sich nur wenig. Dieser Part ist nicht attestiert für 4Q399. C) Teil C ist eine Schlussmahnung an die Leser, die richtige Gesetzesauslegung zu befolgen und die Reinheit des Kults zu wahren. Nur in 4Q397 – 399. Teil C und zumindest implizit auch Teil B unterscheidet zwischen drei Gruppen: „wir“, „ihr“ und „sie“. Der Schreiber (in der ersten Person Plural) betont die Nähe zu seinen Adressaten (in der zwei-

9.3  Drei Ausreißer?    167

ten Person Plural, manchmal im Singular) und versucht sie/ihn, von einer dritten Gruppe (Belialsrat und „sie“) abzuhalten. Diese Situation kommt treffend im Schluss des Textes zum Ausdruck: Und auch wir haben an dich geschrieben 3 etliches von den Tora-Praktiken, die wir als gut für dich /und dein Volk/ befunden haben, da wir ges[eh]en haben, 4 dass bei dir Klugheit (vorhanden ist) und Tora-Wissen. Betrachte dies alles vor Ihm, damit er zurecht richte 5 deinen Ratschluss, und entferne von dir bösen Gedanken und Belialsrat, 6 damit du Freude hast am Ende der Zeit, wenn du findest, dass etwas von unseren Worten so (recht) ist, 7 damit es dir zur Gerechtigkeit angerechnet wird, da du das Rechte vor ihm tust und das Gute zu deinem Besten 8 und für Israel (unterer Kolumnenrand) (4QMMT Teil C = 4Q398 14 ii 2 – 4 [in der Parallele 4Q399 i fehlt die Phrase „und dein Volk“] Übers. Maier). 2

Der Autor appelliert an den Adressaten, bei seinen Entscheidungen das Schicksal der historischen Könige Israels zu beachten, die je nach ihrem Verhalten gesegnet wurden (David und Salomo) oder verflucht (Jerobeam und Zedekia). Die Phrase „für dich und dein Volk“ impliziert eine Verantwortungsposition. Aufgrund von Passagen wie dieser hält einer der Koeditoren, Elisha Qimron, 4QMMT für einen Brief des Gründers des Jachad (des Lehrers der Gerechtigkeit) an den amtierenden Hohepriester in Jerusalem. Wie der diplomatische Ton des Briefes zeige, sei der Brief in einer Zeit geschickt worden, als die Beziehungen zwischen dem Lehrer der Gerechtigkeit und seinen Jerusalemer Widersachern noch nicht völlig zerrüttet waren. Zu dieser Interpretation trug auch bei, dass im Pescher zu Psalm 37 erwähnt wird, der Lehrer der Gerechtigkeit habe an den Frevelpriester eine Tora gesandt (4Q171 pPsa IV 3 ii 8 – 9). Die Autoren behaupten angeblich von sich, dass „sie sich vom Volk abgesondert haben“ (paraschnu mirov ha[am). Diese These wird weiterhin von vielen vertreten und ist eines der Hauptargumente dafür, halakhische Kontroversen als Grund für die Entstehung des Jachad zu sehen (s. u. S. 280 f). Qimron nennt vier Gründe für eine derartige Frühdatierung der Komposition: 1. Eine polemische Diskussion mit Außenstehenden wäre Jachad-Mitgliedern in späterer Zeit verboten gewesen; 2. jachadische Terminologie benutzt ein anderes Verb sur, um die Absonderung vom Rest Israels auszudrücken, parasch müsse also früher sein; 3. die Theologie sei weniger entwickelt als in den jachadischen Werken; 4. die halakhischen Probleme sind noch nicht sektenspezifisch. Kein einziger dieser vier Gründe ist stichhaltig. Wenn man genau hinschaut, steht dahinter zumindest unterbewusst eine aus der Forschungssituation der 70er Jahre stammende a priori-Entscheidung, dass 4QMMT jachadisch ist. Da das Werk allerdings nicht so jachadisch ist wie z. B. die Damaskusschrift, muss

168    9  Schriftrollen, Autorgruppen, Besitzer und Gegner es zeitlich früher entstanden sein: es wäre also „noch“ nicht „so“ jachadisch. Die andere Möglichkeit, dass die Komposition schlicht und einfach nicht jachadisch ist, weil sie von einem nicht-jachadischen Autor verfasst worden ist, wird nicht in Betracht gezogen. Eine materielle Rekonstruktion kann aber zeigen, dass die beiden einzigen Fragmente, die den Anfang von Teil B enthalten, mit Sicherheit keine Briefanrede in ihrer Einführung enthielten (4Q394, 4Q395). Auch entspricht der Schluss keinesfalls antiken Briefen. Mehr und mehr Forscher folgen daher dem anderen Koeditor von 4QMMT (Strugnell), der in der DJD-Edition einen Anhang veröffentlicht hat, in dem er sich – in der Qumranforschung einmalig – von der im Hauptteil auch unter seinem Namen vorgetragenen Meinung distanziert. Er schlägt vor, im Text eine Halakhasammlung nach dem Vorbild des Deuteronomiums sehen. Teil B beginnt wie das Deuteronomium und in Teil C spielen die Fluch- und Segenssprüche vom Ende des Deuteronomiums (Dtn. 27 – 28) eine zentrale Rolle. Auch andere sehen in 4QMMT lieber einen nach innen gerichteten Traktat mit fiktivem Adressaten (Fraade, Grossman, Hempel). Die Phrase „und für dein Volk“, notwendig für die Interpretation als Brief an einen Herrscher, fehlt in der einzigen anderen Parallelüberlieferung (4Q399). Vielleicht enthielten nicht alle Handschriften Teil C – für 4Q394 – 396 ist er nicht attestiert. Sprachlich unterscheidet sich diese Komposition sowohl in Teil B als auch in Teil C deutlich von allen anderen Qumrantexten. Es gibt keine jachadische Terminologie, und auch die Halakha erwähnt keinen Jachad-spezifischen Punkt. Schließlich ist die Schlüsselphrase „wir haben uns von der Mehrheit de[s] Volk[es] abgesondert“ (she]paraschnu mirov ha[am) problematisch. Zum einen ist der Ton des Briefes zu friedfertig für eine bereits erfolgte Separation (Hempel). Zum anderen ist gerade diese Passage bei genauem Hinsehen restauriert. Ein anderer ebenso guter Vorschlag heißt: „wir (Israel) sind von den vielen Völkern abgesondert worden“ (hu]fraschnu mirov ha[amim) (Bar-Ascher). Er entspricht biblischem Sprachgebrauch sogar besser. Wie wir oben angesprochen haben und im Kapitel zur Halakha, S. 390 f noch näher besprechen werden, stimmen einige im Text erwähnte Halakhot mit Meinungen überein, die in der frühen rabSadduzäer binischen Literatur den Sadduzäern zugeschrieben werden. Dies kann auf dreierlei Art erklärt werden. 1. Die Halakhot und der Text sind sadduzäisch und deuten auf den sadduzäischen Ursprung des Jachad (Schiffman). 2. Der Text ist essenisch. Die Ähnlichkeit der Halakhot bezeugt

9.3  Drei Ausreißer?    169

nur, dass Jachad und Sadduzäer teilweise ähnliche halakhische Vorstellungen hatten (Sussmann) 3. Dies ist ein sadduzäischer Text in einer essenischen Sammlung (Stökl Ben Ezra). Die grammatischen und ideologischen Unterschiede bezeugen alles andere als eine jachadische Autorenschaft. Auch die Tempelrolle, mit der 4QMMT enge halakhische und konzeptuelle Verbindungen aufweist, wird heutzutage von der Mehrheit als nicht-jachadisch klassifiziert. Dass mehrere Handschriften gefunden wurden, kann nicht als Argument für jachadische Autorenschaft zählen, denn auch vom Jubiläenbuch sind viele Kopien entdeckt worden. Die Handschriften von 4QMMT sind paläographisch in die Zeit zwischen ca. 75 v. Chr. bis 50 n. Chr. datiert und bezeugen das fortdauernde Interesse an dieser Schrift und ihren Fragestellungen, höchstwahrscheinlich zu Studienzwecken (Fraade). Abschließend ist festzustellen, dass keiner der drei „proble­ matischen“ Texte – Kupferrolle, 4Q448 und 4QMMT – verlangt, die essenisch-jachadische Hypothese über Bord zu werfen. Die Hypothese, dass wir mit den Qumranrollen vor den Resten von essenisch-jachadischen Bibliotheken stehen, bleibt die beste Erklärung für den archäologischen Befund, einschließlich seiner Texte. Allerdings sind gewisse Modifizierungen plausibel. Man darf die Essener-Hypothese nicht zum Dogma erklären und sollte sich für andere Erklärungsmöglichkeiten offenhalten. Die Argumente sprechen für sich.

Teil 3:

Die Geburt der ältesten Buchreligion: Die Rollen von Qumran und die Hebräische Bibel

9.3  Drei Ausreißer?    173

10 Kanon und Kreativität: Konturen der „Bibel“ und „parabiblischer“ Literatur im Zweiten Tempel

Brooke, George, Between Authority and Canon. The Significance of Reworking the Bible for Understanding the Canonical Process. In: Chazon, Esther/Dimant, Devorah/Clements, Ruth (Hgg.), Reworking the Bible. Apocryphal and Related Texts at Qumran, Leiden 2005, 85 – 104. Davies, Philip, Scribes and Schools. The Canonization of the Hebrew Scriptures, Louisville 1998. García-Martínez, Florentino, „Parabiblical Literature from Qumran and the Canonical Process“, Revue de Qumrân 25 (2012) 525 – 556. van der Kooij, Arie, The Canonization of Ancient Books Kept in the Temple of Jerusalem. In: ders./van der Toorn, Karel (Hgg.), Canonization and Decanonization, Leiden 1998, 17 – 40. van der Kooij, Arie, Canonization of Ancient Hebrew Books and Hasmonaean Politics. In: Auwers, Jean-Marie/de Jonge, Henk J. (Hgg.), The Biblical Canons, Leuven 2003, 27 – 38. Lang, Bernhard, Buchreligion. In: Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe, Bd. 2, Stuttgart 1990, 143 – 165. Lange, Armin/Weigold, Matthias, Biblical Quotations and Allusions in Second Temple Jewish Literature, Göttingen 2011. Lange, Armin, The Status of the Biblical Texts in the Qumran Corpus and the Canonical Process. In: Herbert, E. D./Tov, Emanuel (Hgg.), The Bible as Book. The Hebrew Bible and the Judaean Desert Discoveries, London 2002, 21 – 30. Lange, Armin, Handbuch der Textfunde vom Toten Meer, Bd I: Die Handschriften biblischer Bücher von Qumran und den anderen Fundorten, Tübingen 2009. Reed, Annette, „The Modern Invention of ‚Old Testament Pseudepigrapha‘“, Journal of Theological Studies 60 (2009) 403 – 436. Schuller, Eileen, The Dead Sea Scrolls and Canon and Canonization. In: Becker, Eve-Marie/Scholz, Stefan (Hgg.), Kanon in Konstruktion und Dekonstruktion. Kanonisierungsprozesse religiöser Texte von der Antike bis zur Gegenwart, Berlin 2011, 293 – 314. Tigchelaar, Eibert, Wie haben die Qumrantexte unsere Sicht des kanonischen Prozesses verändert? In: Becker, Michael/Frey, Jörg (Hgg.), Qumran und der biblische Kanon, Neukirchen-Vluyn 2009, 65 – 87. Tov, Emanuel, Revised Lists of the Texts from the Judaean Desert, Leiden 2010. Ulrich, Eugene, The Biblical Qumran Scrolls. Transcriptions and Textual Variants, Leiden 2010. VanderKam, James, „Authoritative Literature in the Dead Sea Scrolls“, Dead Sea Discoveries 5 (1998) 382 – 402.

174    10  Kanon und Kreativität

10.1 Kanon und Heilige Schriften Judentum, Christentum und Islam werden oft als Buchreligionen bezeichnet. Dieser Begriff stammt von einem der Gründungsväter der modernen Religionswissenschaften im 19. Jahrhundert, Max Müller. Der in Oxford lehrende deutsche Indologe übernahm diese Kategorie aus dem traditionellen Islam, welcher Judentum, Christentum und Islam als ahl-al-kitāb („Volk des Buches“) juristisch von „Götzendienern“ unterscheidet. Selbst wenn andere Religionen, wie zum Beispiel hinduistische und buddhistische, auch Heilige Schriften haben, stellen Judentum, Christentum und Islam ihre Bücher doch viel stärker ins Zentrum von Ritus und Diskurs. Das Judentum ist die älteste dieser drei Religionen. Doch war es nicht schon seit eh und je eine Buchreligion. Vor der Tempelzerstörung im Jahre 70 n. Chr. stand der Opferkult im Jerusalemer Tempel im Zentrum des organisierten Religionswesens. Dabei war Opferkult die individuelle Teilnahme am zentralisierten Opferkult je nach geographischer Distanz zu Jerusalem eingeschränkt. Wer in Galiläa wohnte, konnte manchmal nach Jerusalem kommen, aber von Ägypten, Babylonien und Kleinasien aus nur bei entsprechendem Vermögen. Symbolische Deutungen des Tempelkultes ermöglichten jedoch auch in entfernten Gegenden die Hochschätzung des Tempels (z. B. Philon v. Alexandrien). Nicht alle akzeptierten die Exklusivität Jerusalems als Kultort. So gab es andere, weniger bekannte Tempel JHWHs in Ägypten (Elephantine im 5. Jh. v. Chr.; Heliopolis vom 2. Jh. v. Chr. – 1. Jh. n. Chr.) und Idumäa (wahrscheinlich in Maqqeda im 4. Jh. v. Chr.). Die Samaritaner verehrten JHWH auf dem Garizim auf halbem Wege zwischen Galiläa und Jerusalem. Neben diesen priesterlichen Opferkulten entstand die Gepflogenheit, dass sich Gruppen zum Gebet (proseuchē) trafen, wohl zumindest einmal wöchentlich am Schabbat. Dies ist zunächst für Ägypten inschriftlich im dritten Jahrhundert v. Chr. bezeugt, später auch in anderen Gegenden der Diaspora sowie in Judäa. Daraus entstanden Synagogen­ dann Synagogengottesdienste, in deren Zentrum neben dem Gebet gottesdienste auch die Lesung und Erklärung von Tora und Propheten stand. Die Anfänge des Judentums als Buchreligion mit einem kollektiven Gebetskult können wir anhand der Rollen vom Toten Meer viel besser verstehen. Die Qumranrollen, 1000 Jahre älter als die bislang ältesten biblischen Handschriften, geben uns Einblicke in die Zeit, als Text und Gestalt einiger biblischer Bücher sowie der Umfang und der Inhalt der Bibel im Fluss waren. Dazu gibt es zahlreiche Schriften, die die Bibel weiterschreiben oder umschreiben, sowie Auslegungsliteratur. Quasi alle Qumranrollen verwenden

Buchreligionen

10.2  Die traditionellen Bibeln    175

biblische Sprache, Begriffe und Ideen und entwickeln genau das weiter, was eine Buchreligion ausmacht. Eine zentrale Diskussion in der Qumranologie bezweifelt die Anwendbarkeit der heutigen Begrifflichkeiten „biblisch“ und „Bibel“. Was heute als biblisch gilt, war es damals in ganz anderer Weise, da wir in Qumran allenfalls einem „embryonalen“ Stadium im Kanonisierungsprozess gegenüber stehen. Wie in jeder Buchreligion gibt es im heutigen Judentum einen festen Kanon, der nicht nur genau festlegt, welche Bücher als Heilige Schrift gelten, sondern auch welchen Wortlaut sie haben und sogar wie man sie zu rezitieren hat. Die Hebräische Bibel ist Resultat eines langwierigen und verwickelten Entwicklungsprozesses, der Kanonisierung. Kanon kommt vom Kanonisierung griechischen kanôn und hängt wiederum mit dem semitischen qane, Schilf, zusammen, was eine Messlatte ähnlich wie ein Metermaß bezeichnet. Zunächst nur für Glaubensregeln benutzt, wird es von christlichen Autoren seit dem vierten Jahrhundert n. Chr. auch für fest abgegrenzte religiöse Buchsammlungen verwendet. Für die Welt des Judentums vor der Tempelzerstörung ist daher die Rede von Bibel und Kanon anachronistisch. Hier kann man höchstens von Heiligen Schriften reden, die als göttlich inspiriert oder besonders autoritativ angesehen werden und sich insofern von einfacher Literatur unterscheiden. Wenn wir trotzdem von biblischen Schriftrollen reden, so geschieht dies aus Gründen der Verständlichkeit. Wir verstehen unter „biblischen Schriftrollen“ einfachheitshalber Rollen mit Texten der Bücher der heutigen Hebräischen Bibel. Vereinfacht gesprochen verlief der Kanonisierungsprozess in mehreren Etappen, die sich zeitlich überschnitten: Zunächst kristallisierten sich nach und nach Listen für heilige Bücher heraus, daneben wurde allmählich ihre Zuordnung zu Korpusteilen (z. B. Propheten, Schriften) und ihre Anordnung, ihr Inhalt, und auch ihr Konsonantentext standardisiert. Viel später wurden die Vokalisierung, die Intonation und das Layout, schließlich auch die Interpretation schriftlich festgelegt. Dabei verlief der Prozess in unterschiedlichen Gruppen und Bewegungen nicht immer gleich. Rollen wir den Kanonisierungsprozess von seinen Endprodukten her auf:

10.2 Die traditionellen Bibeln Das Endergebnis des langwierigen Kanonisierungsprozesses ist uns in den mittelalterlichen Bibeln von Samaritanern, Rabbinen sowie griechischen, orientalischen und lateinischen Christen bekannt (s. Tabelle unten). Sie unterscheiden sich in Auswahl und Anordnung der Bücher sowie in Text und Inhalt. Der kürzeste Kanon ist der

176    10  Kanon und Kreativität

Samaritanischer Pentateuch (SP) Samaritaner

Hebräische Bibel Masoretischer Text (MT)

TaNaKh

Septuaginta

deuterokanonisch

samaritanische, der sich auf die Tora (Pentateuch oder die fünf Bücher Mose) beschränkt und daher als Samaritanischer Pentateuch (SP) bekannt ist. Die Samaritaner sind heutzutage auf weniger als 1000 Angehörige zusammengeschmolzen, die hauptsächlich um Nablus (das antike Samaria mit dem heiligen Berg Garizim) und Holon in Israel/Palästina leben. In der hellenistischen, römischen und byzantinischen Epoche hatten die Samaritaner hingegen eine (auch zahlenmäßig) sehr große Bedeutung, die sich nicht nur in den Zeugnissen von Josephus und dem Neuen Testament, sondern auch in den Berichten antiker Autoren niederschlägt. Für die Rollen vom Toten Meer sind sie aus zwei Gründen wichtig. Zum einen wurde in Wadi Daliyeh eine größere Anzahl samaritanischer Papyrusdokumente aus dem vierten Jahrhundert v. Chr. gefunden. Zum anderen sind unter den biblischen Qumranrollen mehrere Exemplare, deren Text dem des Samaritanischen Pentateuchs nahesteht (s. u. S. 207 f). Ihr Tempel stand auf dem Garizim in Samaria und wurde Ende des zweiten Jahrhunderts v. Chr. durch Johannes Hyrkanos I. zerstört. Zwar ist der Opferkult zumindest an Pessach bis heute weitergeführt worden, doch wurde die Synagoge mit einem Wortgottesdienst, genau wie im Judentum, zentraler Kultort. Neben den fünf Büchern Mose kennen die Samaritaner auch eine Form des Josuabuches, rechnen es aber nicht zu ihren Heiligen Schriften. Aus diesen Gründen ist es unmöglich, sie mit den Besitzern der Schriftrollen von Qumran zu identifizieren.

Die Hebräische Bibel des frühmittelalterlichen rabbinischen Judentums ist wesentlich umfangreicher. Ihre heute übliche Textform wird gewöhnlich als Masoretischer Text (MT) bezeichnet (s. u. S. 192). Sie stellt den fünf Büchern der Tora zwei weitere Sammlungen an die Seite: Propheten (neviʾim) und Schriften (ketuvim). Alles zusammen umfasst nach heutiger Zählung insgesamt 39 Bücher (s. Tabelle). Die Anfangsbuchstaben dieser drei Sammlungen, Tora, Neviim und Ketuvim bilden das Akronym TaNaKh. Die „masoretischen“ Handschriften gleichen sich bis ins kleinste Detail, nicht nur im Text der Konsonanten, der Vokale und der Rezitationszeichen (te‘ame hamiqra), sondern auch in Bezug auf das Layout. Manchmal unterscheiden sich Handschriften aber in der Anordnung gewisser Bücher im dritten und letzten Teil. Das griechische Christentum hat vom hellenistischen Judentum die Septuaginta (LXX) ererbt, die zwischen dem dritten Jahrhundert v. Chr. und vielleicht dem ersten Jahrhundert n. Chr. in Ägypten, vermutlich zum Großteil in Alexandrien, entstanden ist. Heutige LXX-Ausgaben enthalten zusätzlich zu den auch in der Hebräischen Bibel vorhandenen Büchern auch andere Bücher, die wir, wie es in anderen Veröffentlichungen üblich geworden ist, einfachheitshalber „deuterokanonisch“ nennen werden.

10.2  Die traditionellen Bibeln    177 Deuterokanonisch, zusammengesetzt aus griech. deuteros („zweiter“) und kanonisch, ist ein Begriff aus dem 16. Jahrhundert, als diese Bücher, von denen sich die meisten auch in der lateinischen Vulgata finden, von den Reformatoren polemisch als „apokryph“ zurückgestuft oder als lesenswert, aber sekundär ausgeschieden wurden. Sie meinten (fälschlicherweise), die nicht in der Hebräischen Bibel enthaltenen Bücher wären alle auf Griechisch, nicht aber auf Hebräisch/Aramäisch geschrieben worden. Da das katholische Lager einerseits eine gewisse Unterscheidung anerkennen musste, andererseits die Bücher weiterhin zu ihrem Kanon gehörten, war „deuterokanonisch“ eine willkommene Lösung. Man muss sich bewusst sein, dass die Unterscheidung zwischen „biblisch“ und „deuterokanonisch“ anachronistisch und konfessionell geprägt ist. Sie hilft aber, pragmatisch zwischen zwei modernen Buchgruppen zu unterscheiden.

Von den deuterokanonischen Büchern ist ein Teil aus dem Hebräischen oder Aramäischen übersetzt worden (z. B. Tob., Sir., 1. Makk.). Andere Kompositionen wurden direkt auf Griechisch verfasst (z. B. 2. Makk., Weisheit Salomos). Der Umfang der Septuaginta ist in der Antike nicht fix umrissen. Es gibt unter den ältesten Handschriften keinen „Pandekt“ der Septuaginta (Pandekt = ein Kodex, der alle Bücher einschließt, pan = alle), dessen Inhaltsverzeichnis mit einem anderen übereinstimmt. Die hebräischen und aramäischen Originale wurden weder von Juden noch von Christen weiter überliefert. Die manchmal in mittelalterlichen Handschriften kursierenden hebräischen Texte dieser Bücher waren – mit Ausnahme von Jesus Sirach – Rückübersetzungen aus christlich überlieferten lateinischen oder griechischen Handschriften. Der Name Septuaginta kommt vom lateinischen Wort für 70 und wird daher mit LXX abgekürzt. Nach einer erstmals im sogenannten Aristeasbrief geschilderten Legende, gab Mitte des dritten Jahrhunderts der hellenistisch-ägyptische König Ptolemäos II. Philadelphos in Alexandrien den Auftrag, den Pentateuch ins Griechische übersetzen zu lassen, um ihn in die Bibliothek Alexandrias aufzunehmen. Der Hohepriester aus Jerusalem schickte 72 Gelehrte nach Alexandrien, die sich in Diskussionen auf eine gemeinsame Toraübersetzung einigten. In einer späteren Fassung der Legende kamen sie sogar unabhängig voneinander zu einer Wort für Wort identischen Übersetzung. Nach der Tora wurden in den folgenden Jahrhunderten nach und nach die anderen Bücher übersetzt. Obgleich der Name Septuaginta ursprünglich nur für den Pentateuch galt, wurde er auch auf die anderen Bücher übertragen. Das griechischsprachige Christentum hat die ursprünglich jüdische Septuaginta aufgenommen. Die meisten Handschriften stammen von christlichen Kopisten. Doch haben Juden, vor allem die griechischsprachigen byzantinischen Juden, entgegen der landläufigen Meinung, nicht von einem Tag zum anderen aufgehört, die Septuaginta und andere griechische Übersetzungen zu benutzen. Die meisten Übersetzungen der Bibel in antike Sprachen beruhen auf der LXX – so die altlateinische (Vetus Latina), altarmenische, altgeorgische und koptische Übersetzung.

Septuaginta

178    10  Kanon und Kreativität Der Kanon mancher orientalischer Kirchen umfasst zusätzlich zu den Büchern der LXX noch weitere Bücher. So sehen Äthiopier auch das Jubiläenbuch (dazu s. u.) und das sogenannte Henochbuch (1. Hen. oder Äth. Hen.) als kanonisch an. Manche syrische Bibeln enthalten die Apokalypse des Baruch, das Gebet des Manasse, die Psalmen Salomos oder, wie auch viele lateinische Handschriften, eine Form von 4. Esra. Während heute der Umfang der Bibeln in den einzelnen TradiKanonlisten tionen fast überall genau festliegt, waren in der Antike Kanonlisten stark umstritten. Zumeist lag der Kern fest, aber die Zugehörigkeit einiger Bücher wurde lange diskutiert, bis sie schlussendlich einoder ausgeschlossen wurden. In der rabbinischen Literatur (mJad 3,5) finden sich z. B. Diskussionen über den Status von Hohelied und Kohelet (beide eingeschlossen) und von Sirach (ausgeschlossen). Einige LXX-Handschriften enthalten die Psalmen Salomos, andere nicht. Einige armenische Bibelhandschriften enthalten die Testamente der Zwölf Patriarchen, andere nicht. Oft werden derartige Bücher, die nicht zum heute üblichen Kanon der LXX gehören, als (alttestamentliche) Pseudepigraphen bezeichnet.

orientalische Kanons

pseudepigraphisch

Der Begriff pseudepigraphisch kommt von griech. pseudēs (falsch) und epigraphō (betiteln) und wurde für Bücher bzw. Texte verwendet, die fälschlich einem (meist berühmten) Autor zugeschrieben wurden. Wie biblisch, kanonisch und deuterokanonisch ist also auch pseudepigraphisch ein wertender Begriff („Lüge!“). Viele Autoren veröffentlichten in der Antike ihre Werke fälschlich unter dem Namen einer bekannten Persönlichkeit, um die Wertschätzung des Inhalts zu sichern. Dazu gehören schon die Überarbeiter der biblischen Propheten, die ihre eigenen Worte oder Worte, die ihnen überliefert wurden und die sie für gut befanden, Jesaja, Jeremia oder anderen anerkannten Autoritäten zuordneten und so ihre Überlieferung im Kreise dieser Werke sicherten. Briefe im Namen Platons, Bilder mit der Unterschrift van Goghs, Musikstücke, die Mozart zugeschrieben werden, und Sonette unter dem Namen Shakespeares haben eine höhere Chance gelesen, ausgestellt, gespielt oder weiter überliefert zu werden, als anonyme Werke oder Werke unbekannter Künstler. Die Intentionen und Arbeitsformen variieren dabei je nach Autor und Quelle. Der Zusammenhang zwischen Bekanntheitsgrad des zugeschriebenen Autors und der Chance, weiter überliefert zu werden, bleibt bestehen. Der moderne Begriff Pseudepigraphen wurde entscheidend von Johann Fabricius geprägt, der als erster eine Sammlung antiker Schriften veröffentlichte, die fälschlich vorgaben, von biblischen Figuren verfasst worden zu sein (Reed).

Neben den Buchtiteln können Textumfang, Reihenfolge oder Inhalt der einzelnen Bibeltraditionen variieren. Dies gilt innerhalb einer Tradition, wie auch zwischen verschiedenen Traditionen. Moderne Septuagintaausgaben wie die von Rahlfs überliefern oft zwei unterschiedliche Texte für einzelne Schriften wie die Königsbücher oder

10.2  Die traditionellen Bibeln    179

Daniel. Während der Psalter im MT 150 Psalmen aufweist, umfasst er in der LXX 151 Psalmen, in der (syrischen) Peschitta sogar 155. Das Buch Jeremia hat im MT einen völlig anderen Aufbau und Umfang als in der LXX. Diese Textversion haben die jüdischhellenistischen Übersetzer nicht einfach wild erfunden, denn in Qumran sind Rollen mit dem Texttypus gefunden worden, der der im rabbinischen Judentum nicht weiter überlieferten hebräischen Vorlage der LXX ähnelt. Sie basieren also auf antiken hebräischen Handschriften. Ähnliches gilt für bestimmte Kapitel in Exodus und Numeri. Es stellt sich damit grundsätzlich die Frage, ob die Vorlagen der LXX eine ältere Textform darstellen als der Masoretische Text der rabbinischen Bibeln, oder ob beide Textformen als gleichwertig betrachtet und nebeneinander überliefert wurden. Die folgende Tabelle vergleicht die in verschiedenen Bibeln enthaltenen Bücher, nicht jedoch ihre Reihenfolge oder ihre Zuordnung zu bestimmten Teilen. So kann das Danielbuch den Schriften (MT) oder den Propheten (LXX, Peshitta, Vulgata, Äthiopisch) zugeordnet werden. SP

MT

LXX

Peschitta

Vulgata

Äthiopisch

Genesis Exodus Levitikus Numeri Deuteronomium Josua Richter 1. – 2. Samuel 1. – 2. Könige Jesaja Jeremia Ezechiel Zwölfprophetenbuch (Hosea, Joel, Amos, Obadja, Jona, Micha, Nahum, Habakuk, Zefanja, Haggai, Sacharja, Maleachi) Psalmen Hiob Sprichwörter (= Proverbien o. Mischle) fünf Megillot: (Ruth, Hohelied = Shir Hashirim = Canticum, Kohelet = Ecclesiastes, Klagelieder, Esther) Daniel Esra und Nehemia 1. – 2. Chronik

180    10  Kanon und Kreativität Judit Tobit Baruch (= 1. Baruch) mit der Epistel Jeremias Jesus Sirach = Ecclesiasticus Weisheit Salomos Zusätze zum Buch Daniel (Susanna, Bel und der Drache, Gesang der drei Jünglinge) Zusätze zum Buch Esther Gebet des Manasse 3. Esra 4. Esra 1.–2. Makkabäer Psalmen Salomos 3.–4. Makkabäer Psalm 151

Ps. 152 – 155 Apok. Baruchs (= 2. Bar.) mit Ep. Baruchs SP

MT

LXX

Peschitta

Jubiläenbuch Henoch 4. Baruch 1.–3. Meqabyan

Vulgata

Äthiopisch

Die Bücher traditioneller Bibeln im Vergleich

10.3 Frühe Zeugnisse zur Kanonsgeschichte In Qumran finden sich Fragmente aller Bücher der Hebräischen Bibel mit Ausnahme des Buches Esther. Daneben gibt es Handschriften von Tobit, Sirach, dem Jubiläenbuch sowie den meisten der zusätzlichen Psalmen der LXX bzw. der Peschitta und den meisten der im 1. Henoch versammelten Schriften (s. u. Tabelle, S. 196 f). Zählten sie nun alle für den Jachad zu einem autoritativen Korpus Heiliger Schriften? Müssen wir vielleicht noch andere Bücher hinzurechnen? Was heißt überhaupt Schriftautorität in dieser Epoche? Was sagen die Rollen selbst dazu? Besonders viel diskutiert wird 4QMMT folgende Passage aus dem „halakhischen Brief“ (4QMMT) . Der Autor dieses „Briefes“ weist seinen Adressaten darauf hin, dass er durch die Lektüre des Briefes die von beiden als autoritativ akzeptierten Schriften besser verstehen würde. Und ihr wi[sst, dass nicht] 9 zu finden ist an unseren Händen (so etwas wie) Veruntreuung und Betrug und Schlechtigkeit. Denn auf solche Dinge

8

10.3  Frühe Zeugnisse zur Kanonsgeschichte    181 richten wir [unser Herz und zudem] 10 haben wir sie an dich [geschrieb] en, damit du Einblick gewinnst ins Buch Mose [und] in die Büch[er der Pro]pheten und in David[(s) Psalmen)] 11 [und hinsichtlich der Praktiken​ {/Annalen?}] einer jeden Generation. (4QMMTd (4Q397) IV 8 – 11 nach Maier 1995)

Viele sehen hier den ältesten Hinweis auf einen mehrteiligen Korpus Heiliger Schriften bestehend aus Mose, den Propheten und den Psalmen (David). Manche lesen hier zusätzlich eine Andeutung auf die Geschichtsbücher, doch ist das entscheidende Wort (ma‘ase) doppeldeutig und kann sowohl spezifisch Annalen (vergangener Generationen) als auch allgemein Taten (einer jeden Generation) bedeuten. Klarer ist, was wir im Vorwort zu Sirach (aus dem Jahr Vorwort zu Sirach 117 v. Chr.) lesen: Vieles und Großes ist uns gegeben durch das Gesetz (tou nomou) und die Propheten (tôn prophêtôn) und die anderen [Bücher] (tôn allôn), die sich daran anschließen; daher muss man Israel wegen solcher Lehre und Weisheit mit Recht loben. 2 Darum sollen, die sie haben und lesen, nicht allein selbst daraus weise werden, sondern die sich um Erkenntnis mühen, sollen mit Lehren und Schreiben auch denen dienen, die dazu nicht imstande sind. 3 So hat mein Großvater Jesus mit besonderem Fleiß das Gesetz, die Propheten und die andern Bücher unserer Väter gelesen, sich darin ein reiches Wissen erworben und es unternommen, auch etwas von rechtem und weisem Leben zu schreiben, 4 damit die, die sich um Erkenntnis mühen, auch dazu angehalten werden, im Lauf eines gesetzestreuen Lebens noch mehr in dieser Art zu schreiben. 1

Der Enkel und Übersetzer von Jesus Sirach, der fast 100 Jahre nach ihm in Ägypten lebt, kennt eine klare Dreiteilung: Gesetz, Propheten und „die anderen Bücher“. Doch sind die ersten beiden Teile schärfer umrissen als der dritte, welcher keinen eigentlichen Titel hat. Weder 4QMMT noch Sirach geben an, welche oder wie viele Bücher zum Gesetz oder zu den Propheten zählen. Das gleiche gilt für andere antike Passagen (4. Makk. 18,10; Philon, Vit. Cont. 25; Lk. 24,44). Erst gegen Ende des ersten Jahrhunderts n. Chr. benennt 4. Esra die Zahl der Quellen der Weisheit für die Allgemeinheit 4. Esra mit 24 – und für die Auserwählten zusätzlich 70 andere Werke (4. Esra 14,42 – 46). Vierundzwanzig könnte der Zahl der Bücher des mittelalterlichen rabbinischen Kanons entsprechen, wenn Samuel-, Königs- und Chronikbücher sowie Esra und Nehemia und das Zwölfprophetenbuch (unsere „kleinen“ Propheten) in Handschriften noch nicht geteilt waren, sondern als je ein Buch gezählt wurden (vgl. bBB 14b–15a). Die erste genauere Liste findet sich zur Josephus gleichen Zeit in Josephus’ Apologie gegen Apion: Es [gibt] bei uns nicht Tausende von Büchern, die nicht übereinstimmen gegen Apion und sich widersprechen, sondern nicht mehr als zweiundzwanzig Bücher, welche die Niederschrift des ganzen Zeitraums enthalten und zu Recht Ver38

182    10  Kanon und Kreativität trauen gefunden haben. 39 Und von diesen stammen fünf von Moses, welche die Gesetze umfassen und die Überlieferung vom Ursprung der Menschheit bis zu seinem eigenen Ende; dieser Zeitraum ist nur wenig kürzer als dreitausend Jahre. 40 Vom Tod des Moses bis zur Herrschaft des Artaxerxes, des Königs der Perser nach Xerxes, haben die auf Moses folgenden Propheten die Begebenheiten ihrer Zeit aufgezeichnet in dreizehn Büchern; die übrigen vier enthalten Hymnen an Gott und Lebensanweisungen für die Menschen. (Josephus, C. Ap. 1,38 – 40, Siegert)

Nach Josephus gehören also 22 Bücher zu den maßgeblichen Autoritäten. Er unterteilt sie in drei Teile: Gesetz und Geschichte von der Schöpfung bis zum Tode des Mose (5 Bücher), Propheten (13 Bücher) und Hymnen und Lebensanweisungen (4 Bücher). Josephus kennt also die Tora als Pentateuch. Seine dreizehn Propheten umfassen neben Jesaja, Jeremia, Ezechiel und dem offensichtlich als ein Buch gezählten Zwölfprophetenbuch sicher auch einige der historischen Bücher (Neviim Rischonim). Welche Bücher, bleibt unklar und umstritten; vermutlich Josua, Richter, Samuel und Könige, wahrscheinlich auch Daniel. Die Erwähnung von Artaxerxes lässt auf eines oder mehrere der Bücher aus der Perserzeit schließen (Esra, Nehemia, Esther?), ohne eine eindeutige Entscheidung zu ermöglichen. Ebenso gibt die Zahl vier für die poetischen Bücher Rätsel auf. Welches Buch ist neben Psalmen, Sprichwörter und vermutlich Kohelet das vierte Buch unter den Hymnen? Zu den Kandidaten zählen das Hohelied und Hiob. Aber vielleicht meint Josephus ein ganz anderes Buch. In jedem Fall sprechen wir in dieser Zeit höchstens von Listen einzelner Bücher, denn der Kodex, der viele oder alle Bücher zwischen zwei Buchdeckeln hätte aufnehmen können, war noch nicht erfunden. Einige Qumranrollen enthielten mehr als ein Buch der Tora, 4Q365 vielleicht sogar alle fünf. Aber dies waren Ausnahmen.

10.4 Konturen Heiliger Schriften in Qumran Für Qumran haben wir leider keine Zahlenangaben und keine detaillierte Liste wie bei Josephus. Neben dem oben angeführten Passus aus 4QMMT gibt es Passagen aus der Gemeinschaftsregel und der Damaskusschrift, welche wiederum sehr allgemein von Mose und den Propheten reden:  … Gott zu suchen 2 [mit ganzem Herzen und ganzer Seele, zu] tun, was gut und recht vor ihm ist, wie er 3 durch Moses und durch alle seine Knechte, die Propheten, befohlen hat (1QS I 1 – 3, Lohse) 1

Auch an einer anderen Stelle nennt die Damaskusschrift recht allgemein die „Bücher des Gesetzes und der Propheten“ (CD viii

10.4  Konturen Heiliger Schriften in Qumran    183

15 – 18). Um mehr über die Konturen dessen zu wissen, was in Qumran als Heilige Schriften galt, müssen wir uns konkret Zitate, Kommentare und Schriftrollen ansehen. Dies bringt uns näher an den tatsächlichen Status dieser Schriften. Denn selbst wenn wir eine genaue Liste der vom Jachad als autoritativ angesehenen Bücher hätten: Anspruch und Realität, der theoretische und der tatsächliche Status eines Buches, müssen nicht deckungsgleich sein. Auch in den modernen Religionen gibt es innerhalb eines Kanons stets Bücher, die eine zentralere Rolle einnehmen als andere. Sie bilden den sogenannten „Kanon im Kanon“, der sich je nach religiöser Gruppe unterscheidet. Einige Bücher sind nur nominell im Kanon und werden nie zitiert und sind kaum bekannt. Ein erster Weg, den Status eines Textes zu eruieren, besteht darin, seiner Verwendung in und seinem Einfluss auf andere Texte nachzugehen, d. h., die Art und Weise von expliziten und impliziten Zitaten und Anspielungen sowie ihre Zahl und ihre Verteilung Zitate und auf die unterschiedlichen Bücher zu analysieren. Einzelne Zitate ­Anspielungen werden tatsächlich explizit mit Einführungsformeln wie „wie im Einführungsformeln Buch Jeremia geschrieben steht“ (4Q182 1 4) oder „wie Gott ihnen durch den Propheten Ezechiel versprochen hat“ (CD iii 21) eingeleitet. Gleichermaßen werden Exodus, Levitikus, Numeri und Deuteronomium auch als „Buch des Mose“ eingeführt. Anderswo werden ein Buch des Jesaja, ein Buch Daniels, ein Buch Sacharjas und ein Buch der Psalmen sowie die Lieder Davids erwähnt. Wahrscheinlich sind alle Bücher mit derartigen Zitationsformeln autoritativ. Wenn die Damaskusschrift (CD vi 12 – 13) Malachi 1,10 als Worte Gottes zitiert, lässt dies auf die Wertschätzung der Worte dieses und anderer Propheten schließen. Neben den genannten Büchern gibt es aber auch einige explizite Hinweise auf autoritative Bücher außerhalb der Hebräischen Bibel oder der LXX. In einer Passage zitiert die Damaskusschrift z. B. das Jubiläenbuch unter seinem Titel „Buch der Einteilungen der Zeiten nach ihren Jubiläen und ihren (Jahr-)Wochen“: Deshalb soll sich der Mann verpflichten, umzukehren zum 2 Gesetz des Moses; denn darin ist alles genau festgelegt. Und die genaue Bestimmung ihrer Zeiten hinsichtlich der Blindheit 3 Israels für alles dieses, siehe, das ist genau dargelegt im Buch der Einteilungen der Zeiten 4 nach ihren Jubiläen und ihren (Jahr‑)Wochen. Und an dem Tage, an dem sich der Mann verpflichtet, umzukehren 5 zum Gesetz des Moses, wird der Engel der Feindschaft von ihm weichen, wenn er seine Worte einhält. (CD xvi 1 – 5, Lohse) 1

An anderer Stelle weist die Damaskusschrift auf eine Levischrift (CD iv 15). CD viii 20 – 21 nennt Worte aus einem Jeremia zugeschriebenen Werk, die sich nicht im kanonischen Propheten fin-

184    10  Kanon und Kreativität den. Erwähnt wird mehrfach ein sonst unbekanntes „Buch Hagi (oder Hagu)“ (CD x 6; xiii 2; xiv 7 – 8; und die Parallelen 4Q266 8 iii 5; 4Q267 9 v 12; 4Q270 6 iv 17; 1QSa7 vgl. auch 4Q417 1 i 16). Offensichtlich gehörte auch diese Schrift (für einige) zu den Autoritätsquellen. Gilt der Umkehrschluss, dass alle anderen nicht explizit zitierten Bücher nicht autoritativ waren? Vergeblich sucht man nach einem analogen Einführungsformular vor den Zitaten vieler heutiger biblischer Bücher, z. B. für Samuel, Josua, Richter oder Könige. Doch werden einige dieser Schriften implizit als Autoritäten verwendet, oft ohne Quellenangabe einfach nur mit „wie geschrieben“ oder „wie gesagt“. Dies ist z. B. der Fall für 2. Samuel, Jeremia, Ezechiel, fünf der Zwölfpropheten und die Proverbien, doch längst nicht für alle. Die meisten historischen Bücher fehlen in dieser Liste. Für die Erforschung der Zitate gibt es seit kurzem ein praktisches Lange/Weigold Nachschlagewerk (Lange/Weigold), welches Zitate von und Anspielungen auf biblische Bücher in Schriften der Zeit des Zweiten Tempels auflistet. Wenn für Josua, Richter, Ezra und Nehemia zusammen nur drei Seiten gebraucht werden, Ruth und Hohelied für Qumran gar nicht, Kohelet nur zweimal angeführt wird, so haben diese Bücher nur geringen Einfluss gehabt. Dagegen werden in Qumran auch Schriften außerhalb des rabbinischen Kanons (implizit und ohne Einführungsformular) zitiert: z. B. das Jubiläenbuch (4Q228 frg 1). Oder 4QTestimonia: Es besteht aus einer Reihe von vier messianisch interpretierten Zitaten. Dabei zitiert der Autor nach drei Torazitaten eine Passage aus dem Apokryphon Josuas. Selbst wenn es zuletzt angeführt wird, war sein Status im Vergleich mit dem der Tora offensichtlich nicht so verschieden, dass der Schreiber von 4QTestimonia es nicht daneben stellen ­konnte. Kommentare und Neben Zitaten stellen Kommentare und Überarbeitungen ein Überarbeitungen zweites Tor zur Erforschung des Status eines Textes dar. Einen schnellen ersten Überblick verschafft die Liste in DJD 39, 122 – 131. Fragmente expliziter Kommentare, d. h. mit Zitierung eines Basistextes und einem davon getrennten Kommentar, existieren zu Genesis (4QCommGen A – D – 4Q252 – 4Q254a), zu einigen Propheten – Jesaja (4Q161 – 4Q165), Hosea (4Q166 – 4Q167), Micha (1Q14, 4Q168), Nahum (4Q169), Habakuk (1QpHab), Zephania (1Q15, 4Q170), Malachi (4Q253a) – außerdem zu einigen Psalmen (1Q16, 4Q171, 4Q173). Dies sind die ältesten expliziten jüdischen Kommentare. Auf ihre Hermeneutik kommen wir später noch zurück. Hier genügt festzustellen, dass nur Genesis, Jesaja, einige kleine Propheten und das Psalmenbuch kommentiert worden sind, keines der Geschichtsbücher. Buch Hagi (oder Hagu)

10.4  Konturen Heiliger Schriften in Qumran    185

Die Existenz von Überarbeitungen eines Buches wird oft als Merkmal für seine Bedeutung angeführt. Zahlreiche Überarbeitungen existieren zu den Büchern der Tora, unter ihnen das Jubiläenbuch, die Tempelrolle, das Genesisapokryphon etc. Anscheinend wurde das Jubiläenbuch auch selbst zum Basistext für eine weitere, sekundäre Überarbeitung (4Q225 – 227: „Pseudo-Jubiläenbuch“). Auch zu bestimmten prophetischen Büchern gibt es Werke, die entweder echte Überarbeitungen sind oder Motive aus dem Basistext neu zusammenstellen: allen voran die Apokrypha Jeremias A, B und Ca–f, 4QPseudo-Ezechiela – e, Pseudo-Daniela – c. Andere Werke spinnen ein Motiv des Basistextes weit aus. Hier kann man das Buch der Wächter nennen (1. Hen. 1 – 36, vgl. Gen. 6,1 – 4) sowie 4QBirth of Noaha – c, 4QFour Kingdoms (4Q552 – 553, vgl. Dan. 2,31 – 45 und Dan. 7) und den Text über das Neue Jerusalem (1Q32, 2Q24, 4Q554 – 555, 5Q15, 11Q18, vgl. Ezechiel 40 – 48). Schließlich werden auch die historischen Bücher / Vorderen Propheten überarbeitet: das schon erwähnte Apokryphon Josuas (4Q378 – 379, eventuell auch 4Q123, 4Q522, 5Q9, Mas 1039 – 1211) arbeitet mit ähnlichen Techniken wie das Jubiläenbuch. Eine Serie von sieben kleinen Fragmenten (4Q160) wird einer Vision Samuels zugeordnet. Es gibt eine Paraphrase zu Samuel und den Königsbüchern (6Q9) und eine weitere Paraphrase der Königsbücher (4Q382). Beide Texte sind aber zu fragmentarisch, um ihre genaue Beziehung zu den biblischen Büchern zu präzisieren. Neben Zitaten und Überarbeitungen besteht eine dritte Möglichkeit, auf den Status eines Werkes rückzuschließen, darin, die Zahlen der Handschriften der einzelnen Bücher und eventuell ihr Layout zu vergleichen. Grundannahme ist hierbei, dass wichtige und häufig gelesene Bücher öfter abgeschrieben oder erworben werden müssen als andere oder dass für besonders hochgeschätzte Bücher de luxeEditionen angefertigt werden. Die folgende Übersichtstabelle gibt die Zahlen für Schriftrollen der häufigsten biblischen und nicht-biblischen Bücher nach der Liste von Tov (Revised) an. Die Zahlen können oft nicht genau angegeben werden, da man bei einem kleinen Fragment zwar schnell feststellen kann, dass es einem Vers in der Bibel entspricht, aber nicht, ob die ursprüngliche Rolle das ganze Buch enthielt oder nur einen Ausschnitt, oder ob es nur ein Zitat in einem anderen Text ist. Dies ist vor allem bei den Psalmen der Fall. Enthielt eine Schriftrolle, von der wir nur Fragmente eines Propheten haben, nur diesen einen oder alle? Für den Pentateuch gibt es Schwankungen, weil manche die Handschriften des sogenannten Reworked Pentateuch

Zahlen der Handschriften

Zahlen können oft nicht genau angegeben werden

Jachadisch

Äthiopische Bibel LXX

Ketuvim

Neviim Aharonim

Tora

186    10  Kanon und Kreativität Buch

Zahl von Qumranrollen

Genesis

23 – 24

Exodus

17 – 22

Levitikus

15 – 17

Numeri

6 – 10

Deuteronomium

33 – 36

Jesaja

21

Jeremia

6

Ezechiel

6

Zwölfprophetenbuch

8 – 9

Psalmen

36

Hiob

6

Daniel

8

Tobit

5

Jubiläenbuch

14 – 15

Henochischer Pentateuch – Buch der Wächter (1 – 36) – Traumvisionen (83 – 90)

5 5

Buch der Giganten

9

Aramäisches Levi Dokument

7

Neues Jerusalem

7

Sabbatopferlieder

9

MMT

6 – 7

Pseudo-Ezechiel

5 – 6

Gemeinschaftsregel (S)

12

Damaskusschrift (D)

10

Kriegsregel (M)

7

Zahl der Kopien besonders häufiger Bücher

10.4  Konturen Heiliger Schriften in Qumran    187

als Bibelhandschriften mitrechnen, andere sie eher ausschließen (s. u. S. 208–210). Auch wenn diese Zahlen erste Anhaltspunkte geben mögen, treffen wir mit einer rein quantitativen Auswertung schnell auf Grauzonen: Die Liste enthält nur die Hälfte der Bücher der Heb- Grauzonen räischen Bibel. Hatten die anderen Bücher noch keinen besonderen Status? Von der Gemeinschaftsregel, der Damaskusschrift, Miqsat Maase Hatora oder Pseudo-Ezechiel haben wir mehr Handschriften als von den meisten Büchern der Hebräischen Bibel. Galten sie deswegen als autoritativer? Zunächst gibt eine höhere Zahl nur an, dass ein gewisses Buch mehr gebraucht wurde als ein anderes, ähnlich wie ein Lehrbuch in einer Bibliothek normalerweise öfter vorhanden ist als eine mehrbändige Standardenzyklopädie, die im Status durchaus höher stehen mag. Einige biblische Bücher fehlen in der Liste. Die historischen Bü- Bücher fehlen cher sind schlecht bis sehr schlecht repräsentiert, allen voran die Chronikbücher und Ezra-Nehemia (je nur eine Handschrift). Tobit hat mehr Kopien als Josua, Richter oder Könige. Welchen Status hatten diese Bücher? Die unterschiedlichen Analysewege kommen nicht zum gleichen Ergebnis. Obwohl von Josua weniger Kopien gefunden wurden als von Tobit, wurde es mehr zitiert. Auch gibt es ein Apokryphon Josuas und Sekundärwerke zu den Königsbüchern, aber keines zu Tobit. Man kann aus diesen Zahlen nur bedingt auf den Status der Schriften schließen. In mehr und mehr Wissensgebieten vertrauen wir quantitativen Untersuchungen zu leicht. Qualitative Studien, die jeden Fall für sich detailliert analysieren, bleiben das A und O. Bibel und Kanon sind also für die jüdische Religionsgeschichte vor der Tempelzerstörung noch keine fest greifbaren Begriffe. Gleichzeitig sind die in Qumran gefundenen Schriftrollen eines der wichtigsten Zeugnisse zur Geschichte der Entstehung von Kanon und Bibel. Obgleich der Begriff „biblisch“ einerseits klar anachronistisch ist, kann er als heuristische Kategorie durchaus nützlich sein. Während eine Kernliste biblischer Schriften schon feststeht, sind die Grauzonen um sie herum noch groß. Für den Jachad können wir anhand der Zahl der Schriftrollen, der Zahl und Art der Zitate und der Kommentare und Überarbeitungen summarisch feststellen, dass den Büchern des Mose, der Tora, absolut zentrale Bedeutung als Autorität zukam, vor allem dem Deuteronomium. Auch die Propheten, allen voran Jesaja und das Zwölfprophetenbuch, dann Jeremia, aber auch die Psalmen und das Buch Daniel, die beide zu den Propheten gerechnet wurden, hatten einen hohen Stellenwert. Tora und Propheten enthielten nicht nur halakhische Anweisungen

188    10  Kanon und Kreativität Gottes, wie man sich in dieser Welt zu verhalten hatte, sondern auch esoterische, versteckte prophetische Hinweise, wie man Gottes Wirken in der jüngsten Vergangenheit und in der nahen Zukunft zu verstehen hatte (s. unten Exegese). Wie wir im nächsten Kapitel feststellen werden, waren Text und teilweise auch der Aufbau dieser Bücher noch nicht fixiert. Vermutlich hatten das Jubiläenbuch und die Henochbücher einen ähnlich hohen Stellenwert wie die gerade angeführten Bücher. Einige Überarbeitungen biblischer Bücher sind viel und/oder gut bezeugt, dazu gehören das Apokryphon Jeremias C, Pseudo-Ezechiel und das Apokryphon Josuas. Die historischen biblischen Bücher sind hingegen eher schwach bezeugt. Chronikbücher und Esra-Nehemia fehlen fast völlig. Es gibt in Qumran keine Rolle mit Esther, 1. Makkabäer oder Judith und sie werden auch nicht zitiert. Dies lässt in der Tat vermuten, dass sie für den Jachad keine besondere Autorität darstellten. In vielen Fällen ist die Zahl der Zitate für Schriften, die viel kopiert wurden, hoch und für Bücher, die wenig kopiert wurden, niedrig. Nicht alle Schriften werden implizit oder explizit zitiert. Nicht alle Schriften gehörten zu den autoritativen Schriften, nicht alle nicht-jachadischen Schriften wurden gleich bewertet. Sicher gibt es eine Grauzone zwischen den biblischen und den nicht-biblischen nicht-jachadischen Schriften. Aber sie umfasste nicht alle Kompositionen. Zuletzt ist Autorität immer relativ auf eine Gruppe bezogen. Man kann nicht von der Autorität der Quellen eines Autors auf die Autorität der gleichen Quellen für einen anderen Autor schließen oder, rezeptionsgeschichtlich gedacht, von den Heiligen Schriften einer Lesergruppe auf die einer anderen, in diesem Fall also vom Jachad auf andere Gruppen.

10.4  Konturen Heiliger Schriften in Qumran    189

11 Kopie, Korrektur, Kreativität: Textkritik und Redaktionskritik „biblischer“ und nicht-biblischer Bücher

Brooke, George, The Qumran Scrolls and the Demise of the Distinction Between Higher and Lower Criticism. In: Lyons, William/Campbell, Jonathan/Pietersen, Lloyd (Hgg.), New Directions in Qumran Studies, London 2005, 26 – 42. Carr, David, The Formation of the Hebrew Bible: A New Reconstruction, New York/Oxford 2011. Cross, Frank/Talmon, Shemaryahu, Qumran and the History of the Biblical Text, Cambridge, Mass. 1975. Harl, Marguerite/Dorival, Gilles/Munnich, Olivier (Hgg.), La Bible grecque des Septante: du judaïsme hellénistique au christianisme ancien, Paris 1988. Hempel, Charlotte, Pluralism and Authoritativeness: The Case of the S Tradition. In: Popovic, Mladen (Hg.), Authoritative Scripture in Ancient Judaism, Leiden 2010, 193 – 208. Kratz, Reinhard, Die Komposition der erzählenden Bücher des Alten Testaments. Grundwissen der Bibelkritik, Göttingen 2000. Kraus, Wolfgang/Karrer, Martin (Hgg.), Septuaginta Deutsch, Stuttgart 2009. Lange, Armin, Handbuch der Textfunde vom Toten Meer, Bd I: Die Handschriften biblischer Bücher von Qumran und den anderen Fundorten, Tübingen 2009. Lange, Armin/Weigold, Matthias, Biblical Quotations and Allusions in Second Temple Jewish Literature, Göttingen 2011. Schmid, Konrad, Schriftgelehrte Traditionsliteratur. Fallstudien zur innerbiblischen Schriftauslegung im Alten Testament, Tübingen 2011. Schmid, Konrad, Literaturgeschichte des Alten Testaments. Eine Einführung, Darmstadt 2008. Segal, Michael, 4QReworked Pentateuch or 4QPentateuch? In: Schiffman, Lawrence/Tov, Emanuel/VanderKam, James (Hgg.), The Dead Sea Scrolls. Fifty Years After Their Discovery, Jerusalem 2000, 391 – 399. van der Toorn, Karel, Scribal Culture and the Making of the Hebrew Bible, Cambridge, Mass. 2007. Tov, Emanuel, „Excerpted and Abbreviated Biblical Texts from Qumran“, Revue de Qumrân 16 (1995) 581 – 600. Tov, Emanuel/Fabry, Heinz-Josef, Der Text der hebräischen Bibel: Handbuch der Textkritik, Stuttgart 1997. Tov, Emanuel, Revised Lists of the Texts from the Judaean Desert, Leiden 2010. Tov, Emanuel, The Text-Critical Use of the Septuagint in Biblical Research, Jerusalem 1997. Ulrich, Eugene, The Biblical Qumran Scrolls. Transcriptions and Textual Variants, Leiden 2010.

190    11  Textkritik und Redaktionskritik Ulrich, Eugene, The Dead Sea Scrolls and the Origins of the Bible, Leiden 1999. Weissenberg, Hanne von/Pakkala, Juha/Marttila, Marko (Hgg.), Changes in Scripture: Rewriting and Interpreting Authoritative Traditions in the Second Temple Period, Berlin 2011.

Wir befinden uns in einem Zeitalter, in dem man mit einem Klick eine ganze Bibliothek duplizieren oder eine Nachricht an tausende von Personen verschicken kann. Auf Knopfdruck verwandelt man das Layout eines Buches von einem Stil in einen anderen. Computer und Internet und vorher Kopierer und Schreibmaschine haben unser Verhältnis zu Original, Kopie, Raum und Zeit völlig verändert. Vor hundert Jahren war das Setzen einer Bibelseite in Bleilettern ein zeitaufwändiger Arbeitsvorgang für Fachleute. Aber auch diese heute altmodische Technik ermöglicht es, einen Text mit relativ gleichbleibender Qualität und identischem Layout zu vervielfältigen. Vor dem Internet, vor Gutenberg, war dies alles ganz anders. Vervielfältigung bedeutete Abschreiben, per Hand, Buchstaben für Buchstaben. Keine Abschrift glich der Vorlage exakt. Jede Kopie handgemachtes war ein einzigartiges handgemachtes Original. Das gilt zum einen Original für das Layout: Selbst beim besten Willen, ein Manuskript völlig exakt zu kopieren, unterscheidet sich die Hand eines Schreibers von der seiner Kollegen. Jeder Papyrus, jedes Pergament hat seine eigenen Zonen, die schwierig oder unmöglich zu beschriften sind, da z. B. die Tierhaut ein Loch haben konnte. Das gilt zum anderen für den Text: Kann der Abschreiber in seiner Vorlage einen Buchstaben, ein Wort, eine Zeile nicht entziffern, weil die Vorlage beschädigt oder der Text fehlerhaft („korrupt“ oder „verderbt“) ist, der Schreiber müde, überhastet, nachlässig oder das Licht schlecht, muss er sich entscheiden: Entweder er kopiert die Zeichen ansatzweise so, wie sie ihm optisch und inhaltlich erscheinen, oder er lässt eine Lücke oder verbessert den Text mithilfe einer anderen Handschrift oder nach seinem eigenen Gedächtnis oder Gutdünken. In deutschen Bibelübersetzungen merkt man kaum, an wie vielen Stellen der hebräische Text unverständlich ist. Die Übersetzer haben sich meist für eine der Möglichkeiten entschieden, den Text in gutes Deutsch zu übertragen. Im besten Fall zeigen sie verschiedene Möglichkeiten durch eine Fußnote an. All dies setzt voraus, dass Abschreiber die Absicht haben, die Vorlage wirklich Buchstaben für Buchstaben zu kopieren. Wenn sie den Text aber noch nicht als abgeschlossen, sondern als verbesserungswürdig oder -pflichtig, mit einem Wort als zu wichtig ansehen, ihn in seinem gegenwärtigen unvollständigen Zustand zu lassen, werden Schreiber zu Redaktoren oder Mitautoren. Die

11.1  Textunterschiede und Textkritik    191

Qumranrollen dokumentieren alle diese Phänomene: mehr oder minder sklavische Abschreiber, Leser als Zweitkorrektoren und Schreiber als Autoren und Redaktoren, auch für die biblischen Texte.

11.1 Textunterschiede und Textkritik Die Qualität jeder wissenschaftlichen Arbeit hängt von der Qualität ihrer Grundlage ab. Wie beim Mechaniker Schrauben und Anleitung einwandfrei übereinstimmen müssen, so sollen Zitate aus Quellen dem Original entsprechen. Was aber, wenn wir mehrere mehr oder minder unterschiedliche Versionen einer Quelle haben? Dafür – und dies ist der Normalfall – wurde die Textkritik ent- Textkritik wickelt. Sie vergleicht die unterschiedlichen Versionen, gruppiert und ermittelt systematische Abhängigkeiten der Handschriften voneinander und erstellt einen Stammbaum (Stemma), um so einer- Stemma seits erklären zu können, wie die unterschiedlichen Versionen entstanden sind, und andererseits, wie der „Urtext“ am ehesten einmal ausgesehen hat. Unterschiede werden mit (unabsichtlichen) Fehlern und (gewollten) Änderungen erklärt. Den Urtext einmal erstellt, kann man sich mit Hilfe eines zweiten Schrittes, der Literarkritik, an die Arbeit machen, die Vorgeschichte des Textes zu studieren: seine Quellen rekonstruieren und die Intentionen des Autors (und seiner Quellen) analysieren. Dieses Modell setzt voraus, dass es ein Urtextstadium gibt. Allerdings haben Texte, die wie die biblischen Texte über Jahrhunderte gewachsen sind, normalerweise nicht einen einzigen identifizierbaren Autor, sondern eine Vielzahl von Redaktoren. Das Autorenmodell in der Antike war völlig anders als das in Europa seit der Romantik entstandene Modell des individuellen Autors und seiner Quellen (van der Toorn). In der heutigen Zeit kann man das vielleicht am einfachsten mit einem Wikipedia-Artikel vergleichen. Wäre die erste Fassung eines Wikipedia-Artikels sein Urtext? Wikipedia Manchmal kann man feststellen, dass ein elektronisches Nachschlagewerk X einen Wikipedia-Artikel übernommen und ihn dann über längere Zeit selbstständig neben der Wikipedia her weiterentwickelt hat. In der Informatik nennt man dies „Fork“ (Gabel), d. h. zwei Versionen, die parallel weiterentwickelt werden. In einigen Punkten wird X Ideen enthalten, die sich nicht in der Wikipediaversion finden. In anderen Punkten wird die Wikipediaversion um Ideen erweitert (oder gekürzt) worden sein, die sich nicht oder anders in X finden. Vielleicht vergleicht ein späterer Benutzer beide Versionen und versucht, die eine an die andere anzugleichen. Ganz

192    11  Textkritik und Redaktionskritik ähnlich kann man sich auch die Geschichte der verschiedenen Bibeltexte vorstellen. Eugene Ulrich zählt zwölf Redaktionen allein für das Buch Exodus (Evolutionary Production). Die Qumranrollen haben die Textkritik – und mindestens ebenso wichtig, die Literarkritik – der Hebräischen Bibel auf völlig neue Grundlagen gestellt. Unter christlichen Bibelwissenschaftlern galt bis zur Reformation, und bei Katholiken auch darüber hinaus, der Textus Receptus der lateinischen Bibelübersetzung von Hieronymus (Vulgata) als Primärautorität. Seit der Reformation legten vor allem protestantische Bibelwissenschaftler und Humanisten den Masoretischen Text (die Hebraica Veritas) ihren Arbeiten zugrunde, auch wenn bei beiden die LXX (Septuaginta) weiter eine große Rolle spielte. Daher war der wissenschaftliche Diskurs bis zur Moderne auch schnell konfessionell gefärbt. Vor 1947 wurden im Großen und Ganzen drei traditionelle Textformen verglichen: der Masoretische Text (MT) der mittelalterlichen rabbinischen Gelehrten, der Samaritanische Pentateuch (SP), ebenfalls aufgrund von mittelalterlichen Handschriften, und die griechische Septuaginta (LXX), (Zum Inhaltsverzeichnis dieser Bibeln s. o. S. 179 f), welche zwar die ältesten Manuskripte aufwies, deren Text aber wegen seiner Andersartigkeit an vielen Stellen als von den Übersetzern verfälscht angesehen wurde. Maßstab aller Masoretischer Text Dinge waren Handschriften des Masoretischen Texts. Im Vergleich zu Handschriften anderer Kulturen gehören die guten Handschriften des Masoretischen Texts in der Tat zu denjenigen, die sich in Layout und Text am wenigsten voneinander unterscheiden. Es gibt nur etwa 250 variae lectiones (Alternativlesarten). Dies liegt an ausgeklügelten Kontrollsystemen, die die sogenannten Masoreten entwickelt haben, welche eine möglichst fehlerlose Transmission des Textes sicherstellen sollen. Masoreten

Codex Leningradensis Ben Ascher

Der Name Masoreten (mit stimmlosem ‚s‘!) wird vom hebräischen Wort für Tradition (masora, masoret) abgeleitet. Die Masoreten lebten in Tiberias in Galiläa und waren wahrscheinlich ab ca. dem achten Jahrhundert tätig. Ihre Arbeiten beruhten auf alten mündlichen und wohl teilweise auch schriftlichen Traditionen, doch sind sie es, die das bis heute gebräuchliche komplexe System erfunden haben, mit dem u. a. Vokale und liturgische Melodie in den Konsonantentext mit eingetragen werden können, aber auch Anmerkungen zu Grammatik und Textkritik (Ketiv, Qere und andere Lesarten) in den Randglossen (Marginalien). Es gab auch andere Systeme, allen voran ein babylonisches und ein zweites palästinisches, die die Vokale über den Konsonanten anzeigten. Durchgesetzt hat sich schließlich das tiberiensische System.

Eine besonders berühmte Masoretenfamilie aus Tiberias hieß Ben Ascher. Ihr wird u. a. der Codex Leningradensis aus dem Jahre

11.1  Textunterschiede und Textkritik    193

1008/9 zugeschrieben, welcher die älteste vollständige Bibelhandschrift darstellt. Sie dient der kritischen Ausgabe der Biblia Hebraica Stuttgartensia (BHS) und ihrem noch im Erscheinen begriffenen Nachfolger, der Biblia Hebraica Quinta (BHQ), als Grundlage. Auch der um ca. 100 Jahre ältere, aber seit dem 20. Jahrhundert leider nicht mehr vollständige Aleppokodex ist von höchster Wichtigkeit. Er wird in der Bibelausgabe der Hebräischen Universität als Grundtext verwendet. Beide Kodizes sind als Faksimile im Internet einsehbar. Die ältesten, unvollständigen Handschriften des Samaritanischen Pentateuchs (SP) stammen aus dem neunten Jahrhundert n. Chr. Sie sind in samaritanischer Schrift geschrieben, welche eng mit der sogenannten paläohebräischen Schrift verwandt ist (siehe Schrifttafel, S. 40 f). Der SP war bis ins hohe Mittelalter unvokalisiert. Danach importierten die Samaritaner teilweise tiberiensische Vokalisierungen. Im Westen wurde der SP erstmals im 17. Jahrhundert bekannt, als eine von Pietro de la Valle in Damaskus entdeckte Handschrift in der Pariser und der Londoner Polyglotte publiziert wurde (Polyglotten sind Bibelausgaben mit Paralleltexten in mehreren Sprachen). Von den ca. 80 000 Worten der Tora unterscheiden sich SP und MT an etwa 6000 Stellen. Die große Mehrheit dieser Stellen betrifft aber nur die Zufügung von matres lectionis (das heißt in erster Linie waw und jod, die o/u und i/e anzeigen) und typische Schreibfehler: Verwechslung von Buchstaben ähnlicher Form (r – ‫ר‬ ‎‫ ‏‬‎‫‏‬ und d – ‎‫‏ד‏‬‎) oder ähnlicher Aussprache (vor allem Gutturale, d. h. Kehllaute, die man auch im Deutschen nicht unterscheiden kann). Andere auffällige Stellen sind typische samaritanische Lesarten, in denen z. B. der Berg Garizim als Heilige Stätte in den Text hineingeschrieben wurde. Diese können zumeist als sekundäre ideologisch motivierte Änderungen betrachtet werden. Das bedeutsamste Phänomen sind ca. 35 Abschnitte des Pentateuchs, in denen im Vergleich zum MT zusätzliche Verse aus parallelen Passagen aufgeführt werden. Dies finden wir auch in einigen Qumranrollen (s. u. Reworked Pentateuch, S. 208–210). Die herkömmlichen Editionen des SP sind überholt. Eine neue kritische Ausgabe, basierend auf MS Dublin, Chester Beatty 751 aus dem Jahre 1225 n. Chr., wird im Augenblick von Stefan Schorch (Halle) und József Zsengellér (Budapest) erarbeitet. Wie für den MT gibt es auch für den SP zusätzlich zur hebräischen Fassung einen aramäischen Targum und eine arabische Übersetzung. Von den antiken Bibelübersetzungen sind die Targume sowie viele Bücher der LXX, der lateinischen Vulgata und der syrischen

Biblia Hebraica Stuttgartensia Biblia Hebraica Quinta Aleppokodex Bibelausgabe der Hebräischen Universität Samaritanischer Pentateuch (SP)

Polyglotte

Bibelübersetzungen

194    11  Textkritik und Redaktionskritik

Septuaginta (LXX)

Papyrusfragmente Pandekte S­ inaiticus, ­ aticanus, ­Alexandrinus V Rahlfs, Sweete Göttinger Septuaginta Septuaginta Deutsch

Peschitta Übersetzungen eines hebräischen Textes und insofern indirekte Zeugen. Von diesen ist aber nur die LXX älter als die Tempelzerstörung und bezeugt eine andere Textfamilie als den Masoretischen Text. LXX und Vulgata dienten späteren Übersetzungen (z. B. ins Armenische, Georgische oder Koptische) als Basistext. Seit der Reformation basieren die meisten Bibelübersetzungen in moderne Sprachen wieder auf Handschriften des sogenannten Masoretischen Textes (MT) der Hebräischen Bibel. Einige moderne Übersetzungen beziehen dabei für ausgewählte Passagen auch abweichende Lesarten von Qumranrollen in den Text oder in die Anmerkungen mit ein (z. B. New Revised Standard Version, Bible de Jérusalem). Die Septuaginta (LXX) (zu ihrem Umfang, s. voriges Kapitel, S. 179 f) ist auch nach Entdeckung der Qumranrollen immer noch die von antiken Handschriften am besten bezeugte Bibelversion. Sie hat eine äußerst komplexe Textgeschichte und ist ein eigenständiges Forschungsgebiet (Dorival, Tov). Zum Großteil ist sie in vorchristlicher Zeit in Ägypten entstanden. Das dortige trockene Klima hat viele Papyri die Jahrhunderte überdauern lassen. Zu einigen vorchristlichen Papyrusfragmenten gesellt sich eine große Anzahl aus frühchristlicher und byzantinischer Zeit. Hauptzeugen sind eine Reihe alter christlicher Pergament-Pandekte. Die frühesten sind der Sinaiticus und der Vaticanus aus dem vierten Jahrhundert n. Chr. und der Alexandrinus aus dem fünften Jahrhundert. Die LXX ist in Handausgaben (Rahlfs, Sweete) und in der vielbändigen, aber noch nicht ganz abgeschlossenen großen Göttinger Septuaginta Edition mit ausführlichen Apparaten einzusehen. Übersetzungen in moderne Sprachen, jüngst die Septuaginta Deutsch (Karrer/Kraus), ermöglichen auch nicht des Griechischen Mächtigen einen mittelbaren Zugang. Sehr empfohlen wird dazu die Konsultation der französischen Übersetzung (Harl/Dorival/Munnich), welche den Vorzug hat, die jüdisch-christlich-hellenistische Textund Auslegungsgeschichte zu jedem Vers in einem Apparat mit anzuführen. Die in der LXX gesammelten Übersetzungen sind von unterschiedlichen Übersetzern in verschiedenen Jahrhunderten angefertigt worden und folgen unterschiedlichen Übersetzungsstilen. Manche sind freier (z. B. Jesaja), manche scheinen sich relativ eng an ihre hebräische Vorlage gehalten zu haben (z. B. Qohelet). Einige Bücher enthalten zusätzliche Teile (Esther, Daniel). Manchmal wechseln die hebräischen Vorlagen oder die Übersetzer sogar mitten im Werk, so z. B. für 2. Sam. 10:1 – 1. Kön. 2:11 und 1. Kön. 21 – 2. Kön. 25.

11.1  Textunterschiede und Textkritik    195 Neben der LXX gibt es andere antike jüdische Übersetzungen der Hebräischen Bibel ins Griechische. Im dritten Jahrhundert ordnete Origenes die verschiedenen Versionen in einer sechsspaltigen Synopse an, der sogenannten Hexapla (= griech. „sechsfach“). Neben den hebräischen Konsonantentext (I) stellte er eine griechische Transliteration des hebräischen vokalisierten Textes (II), Aquila (III), Symmachos (IV) und Theodotion (VI). Die fünfte Spalte enthielt Origenes’ Rezension der LXX mit textkritischen Anmerkungen aufgrund des hebräischen Textes. Zu einigen Büchern wie den Psalmen kamen weitere Spalten hinzu, die wohl auf Handschriftenfunden am Toten Meer beruhen (s. o. S. 12 f). Im siebten Jahrhundert wurde die fünfte Spalte ins Syrische übersetzt und ist als Syrohexapla erhalten. Die anderen Spalten dieses Mammutwerks sind leider bis auf wenige Fragmente verloren, so dass Aquila, Theodotion und Symmachos aus Zitaten in Kirchenvätern und Randbemerkungen in LXX-Handschriften rekonstruiert werden müssen. In bestimmten Fällen ist die Übersetzung Theodotions allerdings direkt in die LXX-Pandekte aufgenommen worden und hat die Erstübersetzungen verdrängt, so z. B. für Daniel. Grob vereinfachend kann man daher die Komplexität dieses Befundes damit beschreiben, dass die LXX das ist, was sich in der Ausgabe von Rahlfs findet.

Hexapla Aquila Symmachos Theodotion

Vor der Entdeckung Qumrans handelte es sich bei der Textkritik prinzipiell um den Vergleich zweier hebräischer textus recepti aus dem Mittelalter (MT, SP) mit ca. 500 Jahre älteren griechischen Handschriften (Sinaiticus, Alexandrinus und Vaticanus, etc.) und den Fragmenten von Aquila, Symmachos und Theodotion. Für die griechischen Texte musste natürlich – wie auch heute noch – in einer „Retroversion“ jeweils die hypothetische hebräische Vorlage rekonstruiert werden. Textkritik und Literarkritik waren dabei strikt getrennt. Zunächst wurde über die Textkritik der jeweils beste Urtext des MT, SP und der LXX erstellt. Da sich die Handschriften des MT untereinander stark ähneln, beruhte hier die Textkritik kaum auf Varianten der Manuskripte, sondern vielfach auf Emendationen, d. h. mehr oder minder vernünftigen Vorschlägen Emendationen ohne Handschriftenbasis. (Einige dieser Emendationen wurden nach Veröffentlichung der Qumranrollen übrigens in ihrer richtigen Intuition bestätigt). Schließlich wurde der MT im Vergleich mit SP und (der rekonstruierten hebräischen Vorlage) der LXX korrigiert und ein hebräischer „Urtext“ postuliert. LXX und SP waren also bis zur Entdeckung der Qumranrollen die einzigen Möglichkeiten, den MT auf Handschriftenbasis zu korrigieren. Bei einem Drittel der Unterschiede zwischen MT und SP stimmt der SP mit der LXX überein, manchmal sogar mit der Vulgata. Dies war im 18. und 19. Jahrhundert unter Anhängern der Vulgata und der LXX ein starkes Argument dagegen, dem MT a priori den Vorrang zu geben. Die 200 – 250 Handschriften „biblischer“ Bücher aus Qumran (s. u. S. 196 f) und anderen Orten um das Tote Meer (vor allem

196    11  Textkritik und Redaktionskritik

Tora

Masada, Nahal Hever und Wadi Murabbaat) sind um ca. tausend Jahre älter als die ältesten Zeugen des Masoretischen Textes und des SP, drei- bis fünfhundert Jahre älter als die ältesten griechischen Pandekte und auch älter als die große Mehrheit der griechischen Papyri der LXX. Viele dieser Rollen haben textkritische Erkenntnisse und Methoden auf den Kopf gestellt. Sie ermöglichen den direkten Einblick nicht nur in den Inhalt, sondern auch in die Entwicklung der Schrift, der Rechtschreibung, der Korrekturen, des Layouts, die Aufteilung in Abschnitte etc. in der „embryonalen“ Phase der Bibel. Die folgende Tabelle enthält eine Aufstellung: Buch

Qumran

anderswo vom Toten Meer

Seiten in Ulrich

Genesis

23 – 24

5

26

Exodus

16 – 21  + 1

3

81

Levitikus

13 – 15  + 2

7

30

Numeri

5 – 9  + 1

4

37

32 – 35  + 1

7

72

Josua

2

1

7

Richter

3

4

5

1. – 2. Samuel

4

64

1. – 2. Könige

3

7

Jesaja

21

2

228

Jeremia

6

1

26

Ezechiel

6

1

6

Zwölfprophetenbuch

8 – 9

1 + 2

37

Psalmen

36

3

100

Neviim Acharonim

Neviim Rischonim

Deuteronomium

Ketuvim

Hiob

4 (+ 2 Tg.)

5

Sprichwörter

4

3

Ruth

4

4

Hohelied

4

7

Kohelet / Ecclesiastes

2

3

Klagelieder

4

6

11.1  Textunterschiede und Textkritik    197 Buch

Qumran

anderswo vom Toten Meer

Seiten in Ulrich

Daniel

8

3

21

Esra – Nehemia

1

1

2

1. – 2. Chronik

1

cf. Äthiopische Bibel

deutero-­ kanonisch

Ketuvim

Esther

1

5 (4 ar + 1 hb)

Tobit Epistel Jeremias

1 (griech.)

Jesus Sirach

1

Jubiläenbuch

14 – 15

Henochischer Pentateuch Buch der Wächter (1 – 36) Bildreden (37 – 71) Astronomisches Buch (72 – 82) Traumvisionen (83 – 91) Brief / Mahnreden (91 – 108)

1

5 0 3 – 4 5 2 + 2?

Handschriften biblischer und deuterokanonischer Texte

Diese Übersichtstabelle gibt die Zahlen für Schriftrollen biblischer und deuterokanonischer Bücher nach der Liste von Tov (Revised Lists) an. Ein Pluszeichen zeigt zusätzlich die Zahl griechischer Pluszeichen Handschriften an, wenn solche in Qumran neben hebräischen (oder aramäischen) gefunden worden sind. Die vierte Spalte enthält vierte Spalte die Zahlen für die anderen Fundorte am Toten Meer, Masada, Wadi Murabbaat und Nahal Hever. Oft kann man nicht genau sagen, wie viele Handschriften es von einem Buch gibt. Ein kleines Fragment mit wenigen Worten, die sich auch in der Bibel finden, könnte auch von irgendeinem Text stammen, der diese Passage zitiert. Auch die Existenz von Exzerpten (Tov, „Excerpted“), die nur einen Teil eines biblischen Buches enthalten, ist bekannt (z. B. 4QGend, 4QDeutq und 4QPsg.h, vielleicht auch 4QExodd und 4QCanta). Für den Pentateuch sind die Schwankungen am größten, weil manche die Handschriften des sogenannten Reworked

198    11  Textkritik und Redaktionskritik Pentateuch als Bibelhandschriften mitrechnen, andere sie eher ausschließen. Wenn ein Buch in vielen Rollen existiert, impliziert dies nicht automatisch, dass auch viel Text erhalten ist. Von den meisten dieser einst stattlichen Schriftrollen sind oft nur wenige Fragmente übrig. Größeren Umfang haben z. B. 4QNumb, 4QSama, 1QIsaa und 1QIsab, 4QJera, 11QPsa und das Zwölfprophetenbuch von fünfte Spalte Nahal Hever. Um dies einfach vor Augen zu führen, gibt die fünfte Spalte die Zahl der Seiten für alle biblischen Qumranrollen jedes biblischen Buches nach Eugene Ulrichs praktischer Gesamtausgabe der biblischen Qumranrollen an (ohne die Rollen von anderen Fundorten). Diese Spalte zeigt z. B., dass die 23 – 24 rekonstruierten Genesisrollen nur 26 Seiten edierten Text ergeben. Dies ist ebenso viel wie die Fragmente von nur sechs qumranischen Jeremiarollen. Andersherum kann eine einzige Schriftrolle sehr umfangreiche Textmengen überliefern. Dies ist der Fall für 1. – 2. Sam. (4QSama). Zum schnellen Nachschlagen sind die Texteditionen aller biblischen Schriftrollen in gekürzter Form ohne ausführlichen Kommentar in Eugene Ulrichs einbändiger Ausgabe zugänglich. Kurzbeschreibungen und textkritische Auswertungen jeder einzelnen Handschrift enthält Armin Langes Einleitungsband. Eine Auflistung der Zitate von und Anspielungen auf biblische Bücher findet sich in Lange/Weigold. Beispiele für kleinere und größere Textdifferenzen

Schauen wir uns zwei Beispiele für kleinere und größere Textdifferenzen an. Für Nichthebraisten lohnt sich immer ein Vergleich zweier moderner Übersetzungen. Große Unterschiede zeigen Unsicherheiten im Verständnis oder in der Rekonstruktion des Textes an. Zum Beispiel liest die Zürcher Übersetzung für Jesaja 53,11: Der Mühsal seines Lebens wegen wird er sich satt sehen, durch seine Erkenntnis wird er, der Gerechte, mein Diener, den Vielen Gerechtigkeit verschaffen, und ihre Verschuldungen, er wird sie auf sich nehmen.

Die Einheitsübersetzung liest dagegen für denselben Bibelvers: Nachdem er so vieles ertrug, erblickt er das Licht. Er sättigt sich an Erkenntnis. Mein Knecht, der gerechte, macht die vielen gerecht; er lädt ihre Schuld auf sich.

Die Luther-Übersetzung von 1984 liest: Weil seine Seele sich abgemüht hat, wird er das Licht schauen und die Fülle haben. Und durch seine Erkenntnis wird er, mein Knecht, der Gerechte, den Vielen Gerechtigkeit schaffen; denn er trägt ihre Sünden.

Während die Übersetzungen nach dem Wort „Erkenntnis“ einigermaßen ähnlich sind, scheint der erste Teil nicht nur auf einer völlig

11.1  Textunterschiede und Textkritik    199

anderen Einteilung des Textes, sondern auch auf einem völlig anderen Text zu beruhen. Dies liegt am verderbten hebräischen Text, der in seiner augenblicklichen Form unverständlich ist: me‘amal nafscho jir’e jisba beda‘to jatzdiq tzadiq ‘avdi larabim wa‘awonotam hu jisbol. (Wort für Wort übersetzt in der folgenden Tabelle). Ein grundsätzlicher Unterschied zwischen den Übersetzungen ist das Objekt für „sehen“ (jir’eh) und der Kontext für „sättigen“ (jisba). Während in der Zürcher Bibel sich der Gerechte „satt“ sieht, „sehen“ also mit dem folgenden Verb verbunden worden ist (jir’eh jiśba), erblickt er in der Einheitsübersetzung und in der revidierten Luther-Übersetzung „das Licht.“ Dort findet sich „sättigen“ mit dem folgenden Wort „Erkenntnis“ verbunden (jisba beda‘to). Das Wort „Licht“ fehlt im MT. Dennoch haben es die Übersetzer nicht erfunden. Es findet sich an dieser Stelle in der großen Jesajarolle 1QIsaa (or), wie jeder in der elektronischen Edition in Kolumne XLIV unschwer feststellen kann (http://dss.collections.imj.org.il/isaiah). MT

MT

1QIsaa

1QIsaa

LXX

LXX

me‘amal

aus Mühe

me‘amal

aus Mühe

… apo tou ponou

… von der Mühe

nafscho

seine Seele

nafscho

seine Seele

tēs psychēs autou

seiner Seele,

jir’eh

wird sehen

jir’eh | jar’eh

wird sehen | zeigen deixai autōi

um ihm … zu zeigen

or

Licht

Licht

phōs

jisba

wird gesättigt sein wajisba

und wird gesättigt kai plasai sein

und (ihn) zu gestalten

beda‘to

in seiner Erkenntnis

uveda‘to

und in seiner Erkenntnis

tēi sunēsei

für die Einsicht,

jatzdiq

wird er gerecht machen

jatzdiq

wird er gerecht machen

dikaiōsai

gerecht zu machen

tzadiq

einen Gerechten

tzadiq

einen Gerechten

dikaion

den Gerechten,

‘avdi

meinen Knecht

‘avdi

meinen Knecht

eu douleuonta

der gut dient

larabim

für die Vielen

larabim

für die Vielen

pollois

vielen

wa‘awonotam

und ihre Sünden

wa‘awonotam und ihre Sünden

kai tas hamartias autōn

und … ihre Sünden

hu

Er

huwa

Er

autos

er selbst

jisbol.

wird ertragen

jisbol.

wird ertragen

anoisei.

wird auf sich nehmen

200    11  Textkritik und Redaktionskritik

4QJera

kompletter ­Abschnitt n­ achgetragen

Frank Moore Cross

protomasoretisch präsamaritanisch präseptuagintisch

drei Lokaltexte

Gegenargumente

Dass hier einmal das Wort „Licht“ stand, aber weggefallen war, war schon lange vermutet worden, da die LXX hier tatsächlich das griechische Äquivalent liest (phōs). Dazu hat der griechische Übersetzer von Jesaja offensichtlich die Verbform zwar mit den gleichen Konsonanten gelesen, doch anders vokalisiert (jar’eh statt jir’eh) und dementsprechend mit „zeigen“ (deixai) statt „sehen“ übersetzt. Einheitsübersetzung und revidierte Luther-Übersetzung haben das Verb wie der MT vokalisiert (jir’eh), aber das Objekt „Licht“ aus Qumran (und der LXX) hinzugenommen. Die anderen Unterschiede von 1QIsaa in diesem Vers sind zwei zusätzliche Buchstaben waw („und“) und die qumrantypische Langform des Pronomens (huwa). 4QJera ist eine der ältesten Qumranrollen überhaupt. Sie wird Ende des dritten oder Anfang des zweiten Jahrhunderts v. Chr. datiert und bezeugt eine protomasoretische Textform. In der dritten Kolumne aber fehlte ursprünglich der komplette Abschnitt Jer. 7,30 – 8,3 und ist (wohl schon sehr früh) von einer anderen Hand auf dem Rand und zwischen den Zeilen nachgetragen worden. Entweder handelt es sich um einen einfachen Schreibfehler („Parablepsis“), oder dieser Abschnitt von immerhin ungefähr 130 Worten fehlte schon in der Vorlage. In jedem Fall ist die Ergänzung optisch bemerkenswert. In den ersten Jahrzehnten der Qumranforschung waren die Fachleute vor allem davon berauscht, dass unter den Qumranrollen auch Exemplare gefunden wurden, die die Existenz von Vorlagen der Textformen von LXX und SP in der Zeit des Zweiten Tempels belegten. Unter den Qumranforschern der ersten Generation war Frank Moore Cross für die biblischen Handschriften verantwortlich und hat in vielen Fragen bis heute maßgebliche Theorien entwickelt. Er und seine Schüler identifizierten unter den Qumranrollen Texte, die dem MT, dem SP und der LXX nahestanden. Diese kann man protomasoretisch, präsamaritanisch und präseptuagintisch nennen. (Wer den Zusammenhang dieser Qumranrollen mit den mittelalterlichen Texten für weniger eng hält, tauscht „proto“ durch „prä“ aus und qualifiziert sie dann beispielsweise als präsamaritanisch). Dazu qualifizierte er einige Schriftrollen, deren Text er keiner dieser drei Textfamilien zuordnete, als „unabhängig“. Cross erklärte den Befund, indem er die Existenz von drei Lokaltexten annahm. Den protomasoretischen Text führte er auf die Exilgemeinde aus Babylonien zurück, den präsamaritanischen Text auf Judäa und den präseptuagintischen Text auf Ägypten. Diese These gilt heute, u. a. durch die Arbeiten von Shemaryahu Talmon, Emanuel Tov und Eugene Ulrich, als widerlegt. Unter anderem weisen einige biblische Qumranrollen die Merkmale aller

11.1  Textunterschiede und Textkritik    201

Abb. 22:  4Q70 mit Jer. 7,30 – 8,3 auf dem Rand nachgetragen (PAM 43.216)

drei klassischen Texttypen auf (z. B. 2Q2, 4Q13, 4Q29) (s. Lange). Auch sind die Handschriften untereinander viel heterogener als anfänglich postuliert und lassen sich nicht so einfach drei Textfamilien zuordnen. Die Zahl der als unabhängig qualifizierten Handschriften ist erheblich angewachsen. Vermutlich war die Zahl der Textfamilien größer als ursprünglich angenommen. Schließlich ist festzuhalten, dass eine einzige Bibliothek in Qumran, also in Judäa, alle diese verschiedenen Texttypen enthielt. Dies wäre nur schwer mit der Annahme von lokal unabhängig überlieferten Textformen zu erklären. Der Aristeasbrief mit der Legende der Übersetzung der Tora spricht ausdrücklich davon, dass Torarollen von Judäa nach Ägypten gebracht wurden. Schließlich sind einige Bücher der LXX sicher nicht in Ägypten, sondern in Judäa entstanden (Esther, Kohelet, Teile von Samuel – Könige, s. Tov, Text-Critical, 184). Anhand einer besonderen „Qumranorthographie“ hat Emanuel „QumranorthoTov unter den Schriftrollen zudem eine neue Gruppe identifiziert, graphie“ die er neben die protomasoretische, präsamaritanische, und präseptuagintische Gruppe stellt. Zur regelmäßig verwendeten pleneOrthographie mit jod und waw fügten ihre Schreiber noch weitere matres lectionis hinzu. Beispielsweise schrieben sie die Konjunktion ki mit einem zusätzlichen Aleph am Ende (also ‎‫‏כיא‏‬‎statt ‎‫‏כי‏‬‎). Tov weist diese Orthographie den Besitzern der Bibliothek zu, da nach

202    11  Textkritik und Redaktionskritik

Emanuel Tov

Armin Lange

große Zahl unabhängiger Handschriften

seinen Beobachtungen besonders viele Jachad-Texte in diesem System geschrieben worden sind. Seine These bleibt allerdings umstritten. Zum Beispiel ist die in Qumranorthographie geschriebene Rolle 4QQoha älter als die Ansiedlung des Jachad in Qumran. Zum anderen gibt es einige wichtige Handschriften von Jachad-Texten, die wider Erwarten diesem Schreibsystem nicht folgen. Emanuel Tov ordnet 25 % aller biblischen Rollen der speziellen Qumranorthographie zu, 40 % sind protomasoretisch, 5 % präsamaritanisch, 5 % präseptuagintisch und 25 % unabhängig (Tov / Fabry). (Solche Zahlen sind immer mit Vorsicht zu betrachten, weil bei fragmentarischen Texten derartige Zuordnungen oft nicht auf ausreichend zahlreichen Vergleichspunkten basieren). In den neuesten Analysen lehnt Armin Lange (Handbuch, 19) die Existenz einer über die Qumranorthographie als eigenständig zu identifizierenden Textgruppe ab und unterscheidet zwischen protomasoretischen (5 % für Pentateuch, 10 % für Propheten und Ketuvim), semimasoretischen (5 % vs. 35 %), präsamaritanischen (5 % vs. 0 %), masoretisch und samaritanisch gleich nahestehenden (27,5 % vs. 0 %), präseptuagintischen (5 % vs. 4 %) und eigenständigen Handschriften (52,5 % vs. 51 %). Sowohl Tov als auch Lange zeigen die große Zahl unabhängiger Handschriften (ca. 25 – 50 %).

Lange Handbuch, 19

Proto­ masoretisch

semi­ masoretisch

präsamari­ tanisch

masoretisch und samari­ tanisch

präseptua­ gintisch

eigenständig

Pentateuch

5 %

5 %

5 %

27,5 %

5 %

52,5 %

Propheten und Schriften

10 %

35 %





4 %

51 %

Das Lokaltextmodell kann die Vielfalt und Heterogenität der Texttypen ein und desselben Buches – noch dazu in einer einzigen Bibliothek – nicht erklären. In jüngster Zeit ist daher das Modell des einen Urtextes, der von seinen Kopisten immer weiter korrumpiert wurde, von der Mehrheit der Textforscher aufgegeben worden. Es wurde gewissermaßen sogar auf den Kopf gestellt. Heute geht die Mehrheit eher davon aus, dass in der Zeit des Zweiten Tempels eine Vielfalt von unterschiedlichen Textüberlieferungen existierte. Entweder wurden sie nach und nach in den drei Haupttraditionen homogenisiert, oder die drei Haupttraditionen stellen die drei Texte Shemaryahu dar, die mehr oder minder zufällig das Ende der Periode des ZweiTalmon ten Tempels überstanden haben. Shemaryahu Talmon hat dieses neues Modell neue Modell prägnant zum Ausdruck gebracht:

11.2  Textunterschiede und Redaktionskritik    203 Je weiter man die Textüberlieferung des Alten Testaments zurückverfolgt, d. h. je älter die benutzten biblischen Handschriften sind […], desto größer ist die Bandbreite der Textdivergenzen. Die bestehenden Unterschiede können daher nicht einfach dahingehend erklärt werden, dass sie der kumulative Effekt von unvollkommenem Abschreiben und Wiederabschreiben eines Textes über viele Jahrhunderte hinweg sind. Die frühesten bekannten biblischen Handschriften – und hier sind die biblischen Handschriften Qumrans von entscheidender Bedeutung – legen quasi alle Arten von Varianten an den Tag, wie wir sie in späteren Textzeugen wiederfinden. Diese Beobachtung legt nahe, dass Unterschiede in der Textüberlieferung nicht ausschließlich den sorglosen Schreibern vorgeworfen werden können bzw. den manchmal skrupellosen, manchmal wohlmeinenden Überarbeitern (Talmon in Cross/Talmon,162).

11.2 Textunterschiede und Redaktionskritik Wenn im 19. und 20. Jahrhundert die Textkritik normalerweise dazu diente, den Originaltext des Autors zu rekonstruieren oder Rekonstruktion ihm zumindest möglichst nahe zu kommen, zeigen uns die Qum- des Originaltexts ranrollen für die biblischen Bücher, dass dies in vielen Fällen mit unmöglich den uns bekannten Daten methodisch unmöglich ist: Nach George Brooke hat Qumran viel dazu beigetragen, die vermeintlich wichtige Unterscheidung zwischen Textkritik und Literarkritik, die in den Biblischen Studien lange maßgeblich war, aufzulösen (26) … Die Hauptschlussfolgerung aus der Suche nach dem Urtext war die Annahme, Schreiber wären bloß technische Handlanger gewesen und die große Mehrheit der Lesarten in den überkommenen Handschriften sei auf irgendeine Weise durch Fehler und Missverständnisse entstanden. (28 – 29).

Texte sind von Buch zu Buch unterschiedlich stabil. Bei einigen biblischen Büchern sind die Textzeugen relativ homogen. Dies ist z. B. der Fall bei Genesis und Levitikus (doch s. u. S. 208–210 zum Reworked Pentateuch). Bei anderen Büchern, allen voran Jeremia, und 1. Samuel – 2. Könige unterscheiden sich die Handschriften ganz erheblich und bezeugen die Existenz unterschiedlicher Rezensionen und die Unabgeschlossenheit ihrer Redaktionsgeschichte. Man muss in der Textkritik also die Unterschiede zwischen Texten auf verschiedenen Niveaus differenzieren. Mikrodifferenzen – Rechtschreibfehler und Kopierfehler – stehen auf einer anderen Ebene als Makrodifferenzen, der Anordnung, Absenz oder Präsenz ganzer Kapitel. Bei einigen Büchern (z. B. Exodus, Jeremia, 1. Samuel) ist der Text der Septuaginta so unterschiedlich, dass er einer anderen Textedition zugehören muss als dem MT. Die unterschiedlichen Texttraditionen sind noch vor Redaktionsschluss

204    11  Textkritik und Redaktionskritik MT

LXX

Jer. 44 Jer. 45 Jer. 46

Jer. 26

Jer. 47

Jer. 27 Jer. 28

Jer. 48 Jer. 49 Jer. 50 Jer. 51

Jer. 29 Jer. 30

MT Jer. 44 ≈ LXX Jer. 51,1–30 MT Jer. 45 ≈ LXX Jer. 51,31–35 MT Jer. 46 ≈ LXX Jer. 26 *MT Jer. 50 ≈ LXX Jer. 27 *MT Jer. 51 ≈ LXX Jer. 28 MT Jer. 47 ≈ LXX Jer. 29 *MT Jer. 49 ≈ LXX Jer. 30 (mit großen Umstellungen in einzelnen Versgruppen) MT Jer. 48 ≈ LXX Jer. 31

Jer. 31

Jer. 51

dieser Bücher entstanden und parallel nebeneinander überliefert worden. So ist das Buch Jeremia in der LXX um 13 % kürzer als der MT und ordnet einige Abschnitte völlig anders. Die unterschiedliche Editionsvorlage wird sofort ersichtlich, wenn man sich für das Ende von Jeremia im MT die unterschiedliche Kapitelanordnung in MT und LXX vor Augen führt. zwei Rezensionen Konsequenterweise spricht man von zwei Rezensionen des des Jeremiabuches Jeremiabuches, der kurzen – und wahrscheinlich auch älteren – Rezension der LXX und der langen, vermutlich jüngeren Rezension des MT. Neben der unterschiedlichen Reihenfolge der Kapitel ist also das Hauptcharakteristikum der LXX-Rezension die Kürze. Z. B. fehlen im zehnten Kapitel von Jeremia in der LXX die Verse 6 – 8 und 10 des MT. Außerdem ist Vers 5 umgestellt. Die Existenz einer hebräischen Form der Kurzrezension der LXX-Vorlage ist in Qumran durch 4QJerb bezeugt. Die wenigen vorhandenen Worte sind in der folgenden Tabelle kursiv gesetzt und belegen klipp und klar die völlig andere Reihenfolge der LXX. Erhaltene Wortreste und Zeilenlänge können mit einer rekonstruierten hebräischen LXX-Vorlage exakt aufgefüllt werden. Jeremia

11.2  Textunterschiede und Redaktionskritik    205 LXX (Septuaginta Deutsch)

MT (Einheitsübersetzung)

4 Mit Silber und Gold verschönert sind sie, mit Hämmern 4 Er verziert es mit Silber und Gold, mit Nagel und und Nägeln haben sie sie befestigt, und sie werden sich Hammer macht er es fest, so dass es nicht wackelt. nicht rühren. 5 Sie sind wie Vogelscheuchen im Gurkenfeld. Sie können nicht reden; man muss sie tragen, weil sie nicht gehen können. Fürchtet euch nicht vor ihnen; denn sie vgl. unten Verse 5a und 5b können weder Schaden zufügen noch Gutes bewirken. 6 Niemand, Herr, ist wie du: Groß bist du, und groß an Kraft ist dein Name. 7 Wer sollte dich nicht fürchten, du König der Völker? Ja, das steht dir zu. Denn unter allen Verse 6 – 8 fehlen Weisen der Völker und in jedem ihrer Reiche ist keiner wie du. 8 Sie alle sind töricht und dumm. Was die nichtigen Götzen zu bieten haben – Holz ist es. 9 Sie sind gehämmertes Silber aus Tarschisch und Gold aus Ofir, Arbeit des Schnitzers und Goldschmieds; violetter 5a Es ist graviertes Silber, sie werden sich nicht bewe- und roter Purpur ist ihr Gewand; sie alle sind nur das gen. 9 Aufgelegtes Silber wird von Tharsis eingelangen, Werk kunstfertiger Männer. Gold (von) Mophas und die Hand von Goldschmieden, lauter Werke von Künstlern sind sie. In Saphir und Purpur werden sie sie kleiden. 5b Sie erheben sich nur, vgl. oben Vers 5 wenn sie hochgehoben werden, weil sie nicht gehen können. Fürchtet sie nicht, denn sie können nichts Böses tun, aber es ist auch nichts Gutes in ihnen. 10 Der Herr aber ist in Wahrheit Gott, lebendiger Gott und ewiger König. Vor seinem Zorn erbebt die Erde, die Völker halten seinen Groll nicht aus. 11 Von jenen Vers 10 fehlt dagegen sollt ihr sagen: Die Götter, die weder Himmel noch Erde erschufen, sie sollen verschwinden von der 11 So sollt ihr zu ihnen sagen: „Götter, die den Himmel Erde und unter dem Himmel. und die Erde nicht gemacht haben, sollen von der Erde und unter diesem Himmel verschwinden.“

Auch die Langrezension des MT ist in Qumran belegt, durch die bereits oben kurz angesprochene Rolle 4QJera (s. o. Textkritik, S. 200 f). Dazu gibt es Zwischenformen, die als semimasoretisch (2QJer, 4QJerc) oder eigenständig (4QJerd) klassifiziert werden. Die Langrezension des MT und die LXX-Kurzrezension hatten eine gemeinsame Vorlage, mit der die Langrezension freier umgegangen ist als 4QReworked Pentateuch mit der Tora (s. nächstes Kapitel, S. 208–210). Die Unterschiede zwischen Autor, Redaktor und Kopist verschwimmen und fallen im antiken Schreiber zusammen. Nicht nur in Jeremia sind die Unterschiede zwischen MT und LXX zu groß, um sie durch einfache Abschreibfehler zu erklären. Ezechiel ist ca. 5 % und 1. Sam. 16 – 18 ist um ca. 45 % kürzer als

206    11  Textkritik und Redaktionskritik

große Psalmenrolle

nicht-masoreti­ sche Psalmen

Reihenfolge

ihre masoretische Parallelen. Einige Bücher, so wie Genesis und die Königsbücher, bezeugen eine andere Chronologie. An allen diesen Orten muss man von (mindestens) zwei unterschiedlichen Editionen ausgehen, von denen die eine dem MT und die anderen der Vorlage der LXX zugrundelag. Ein spannendes Beispiel für unterschiedliche Editionen „biblischer“ Bücher ist die große Psalmenrolle aus Höhle 11 (11Q5 = 11QPsa). Der erhaltene Text beginnt mit Ps. 101, enthält zehn nichtmasoretische Psalmen und ordnet die Psalmen auf andere Weise als der MT und die LXX. Wir wissen nicht, wie viel Text verloren gegangen ist, es ist aber technisch unwahrscheinlich, dass es schon Rollen gab, die alle 150 Psalmen enthalten konnten. 11QPsa ist in Qumranorthographie geschrieben und stammt wohl aus der ersten Hälfte des ersten Jahrhunderts n. Chr., ist also eine der jüngsten Qumranrollen. Unter den nicht-masoretischen Psalmen (d. h. den Psalmen, die nicht im masoretischen Psalter stehen) finden sich einige Kompositionen, die aus anderen Quellen bekannt sind: z. B. das Lied aus Sir. 51,13 – 30, Psalm 151 A – B aus der LXX oder die Psalmen 154 und 155 aus der Peschitta (s. 11QPsa xxi 11 – xxii 1 als Lied Davids; 11QPsa xxviii 3 – 14; 11QPsa xviii und xxiv 3 – 17). Dazu enthält 11QPsa neue, d. h. vorher unbekannte Psalmen: Sie haben Namen statt Nummern erhalten: Plea for Deliverance Apostrophe to Zion Hymn to the Creator David’s Compositions Zumindest Apostrophe to Zion findet sich auch in anderen Rollen mit Psalmtexten (vgl. 4Q88 VII 14 – VIII 15 und wohl auch 11QPsb fr 6). Dies zeigt, dass die Diskussion, welche Psalmen zum Psalter gehören, noch nicht abgeschlossen war. Auch die Reihenfolge der Psalmen war noch nicht ganz festgelegt. Zwei Reihen aus 11QPsa mögen als Beispiele dienen: 11QPsa fragment E : Ps. 118 → Ps. 104 → Ps. 147→ Ps. 105→Ps. 146→ Ps. 148 Seine Anordnung überschneidet sich teilweise mit 4QPse (118→ 104 … 105→ 146), ist also noch in einer anderen Handschrift belegt. 11QPsa xvii – xxvi : Ps. 145→ Ps. 154 → Plea for Deliverance → Ps. 139→ Ps. 137→ Ps. 138→ Sir. 51,13 – 30 → Apostrophe to Zion→ Ps. 93→ Ps. 141→ Ps. 133→ Ps. 144 → Syr Ps. 155→ Ps. 142→ Ps. 143→ Ps. 149→ Ps. 150→etc

11.2  Textunterschiede und Redaktionskritik    207

Auch diese Anordnung findet sich teilweise in einem anderen Psalmenmanuskript: 11QPsb (141→ 133→ 144). Inhalt und Reihenfolge des letzten Teils des heutigen Psalters scheinen also selbst in der Mitte des ersten Jahrhunderts n. Chr. noch unbestimmt gewesen zu sein. In den Samuelbüchern gibt es ebenfalls große Unterschiede in den Samuelbücher Textzeugen, die auf unterschiedliche Editionen hindeuten. Zum Beispiel fehlt 2. Sam. 24 am Ende von 1QSam. Ist dieses Kapitel eine spätere Ergänzung? Befand es sich in den Königsbüchern? 4QSama steht grundsätzlich der hebräischen Vorlage der LXX 4QSama nahe und enthielt wie 1QSam und 4QSamc sowohl 1. Sam. als auch 2. Sam. Sie ist eine der am besten erhaltenen biblischen Handschriften Qumrans. Ihre Edition füllt einen ganzen Band. Eine kleine Sensation waren die Verse, die 4QSama X 6 – 9 nach dem Text von 1. Sam. 11,2 anschließt, denn sie lösen ein exegetisches Problem im heutigen Bibeltext, in dem sowohl der MT als auch die LXX keine Antwort auf die Frage geben, warum Nachasch, der König der Ammoniter, nach der Eroberung von Jabesch Gilad verlangt, den Bewohnern das rechte Auge auszustechen. Nach 4QSama machte er dies mit allen seinen Gegnern. [Und Na]chasch, der König der Ammoniter, bedrängte die Gaditer und Rubeniten fürchterlich, und er stach jedem 7 (sein) rechtes [Au]ge aus und er brachte Ter[ror und Schrecken] über [I]srael. Und es gab keinen Israeliten jen[seits] 8 [des Jordans, de]m Nacha[sch, der König der [A]mmoniter, nicht sein rechtes Auge [aus]gestochen hatte, außer 7000 Männern, 9 [die vor] den Ammonitern [flohen] und nach Ja]besch Gilead kamen. (Übers. Lange 219). 6

Die gleiche Tradition war auf Griechisch schon früher bekannt – auch durch Josephus’ Zusammenfassung dieser Szene (Ant. Iud. 6,69 – 71). Aus stilistischen Gründen ist es unwahrscheinlich, dass diese Verse in 4QSama ein sekundärer Zusatz sind, um ein exegetisches Problem zu lösen. Vielmehr ist dieser Textabschnitt im MT durch einen Schreibfehler in den Manuskripten, die MT und LXX zugrunde liegen, verloren gegangen. 4QpaläoExm, eine der zwölf in „paläohebräischer“ Schrift ge- 4QpaläoExm schriebenen Schriftrollen, weist für die Beschreibung der Gegenstände im Zelt der Begegnung eine andere Reihenfolge auf als der MT: Die Beschreibung des goldenen Weihrauchaltars, im MT in Ex. 30,1 – 10, steht in 4QpaläoExm schon vier Kapitel vorher, zwischen dem Schaubrottisch (Ex. 26,35) und dem Vorhang vor dem Zelt der Begegnung (Ex. 26,36). Die gleiche Versanordnung findet sich auch im SP. Abgesehen von 4QpaläoExm stehen auch 4QNumb sowie in weniger eindeutigem Maße 4QDeutn und 4QLevd, und vielleicht auch 4QEx – Levf, dem SP nahe (doch ohne die späteren ideologischen klar samaritanischen Modifikationen). Eine große

208    11  Textkritik und Redaktionskritik Anzahl von Rollen mit Büchern der Tora steht dem MT und dem SP gleichermaßen nahe. Sprachlich ist höchst interessant, dass die samaritanische Vokalisierung des Pronomens der zweiten Person Plural („ihr“) atema / atena, die sich von der masoretischen Vokalisierung atem / aten unterscheidet, in qumranischen Formen sehr oft attestiert ist und also alt ist. paläohebräisch

Fast alle der fünfzehn komplett in paläohebräischer Schrift geschriebenen Qumranrollen sind Kopien biblischer Bücher. Da diese Schrift eine Vorstufe der von den Samaritanern verwendeten Schrift ist und in der hellenistischen Periode nur ausnahmsweise verwendet wurde, hat man intensiv nach Beziehungen zwischen den paläohebräischen Schriftrollen und dem SP gesucht. Allerdings ist nur eine der paläohebräischen Schriftrollen erwiesenermaßen präsamaritanisch (4Q22 Exm). 11Q1 wird als unabhängig qualifiziert, der Rest ist eher protomasoretisch. Einige biblische und nicht-biblische Schriftrollen schreiben den Gottesnamen in paläohebräischer Schrift (z. B. 1QpHab, 11QPsa).

11.3 Reworked Pentateuch oder Pentateuch? In manchen Handschriften können die Abweichungen vom uns bekannten Text so stark sein, dass sich die Gelehrten streiten, ob es sich noch um das gleiche biblische Buch oder ein neues Werk handelt. In Reworked Qumran betrifft dies insbesondere fünf gewöhnlich als Reworked Pentateuch Pentateuch bezeichnete Schriftrollen (4Q158, 4Q364 – 4Q367) und zwei weitere Rollen mit dem Titel Apokrypher Pentateuch (4Q368 und 4Q377). Diese sehr fragmentarischen Schriftrollen sind eng mit dem Pentateuch verwandt. Teils kombinieren sie wie in einem Patchwork Passagen aus ganz verschiedenen Büchern und Kapiteln der Tora (z. B. Gen. 32 und Ex. 4 in 4Q158 fr 1). Teils ist der biblische Text durch Worte, Motive oder Phrasen erweitert, oder sind Doppelungen gekürzt worden. Sind hier noch Kopisten am Werk oder schon Autoren? Ist diese Unterscheidung nach Talmons und Brookes oben angeführter Kritik für Qumran überhaupt anwendbar? Sind dies Handschriften biblischer Bücher oder neue eigenständige Werke? Diese Frage ist schwieriger zu beantworten, als es anfänglich scheinen mag. Man muss sich bei der Analyse dieser Texte vorsehen, nicht in die anachronistische bibliozentristische Falle zu tappen: Das heißt, man darf nicht einfach (unseren heutigen) Bibeltext als Standard voraussetzen, an dem Modifikationen vorgenommen worden seien. Schauen wir uns ein Beispiel genauer an: Laut Neh. 10,35 war dem Brennholz des Opferaltars eine Reihe jährlicher Festivitäten gewidmet:

11.3  Reworked Pentateuch oder Pentateuch?    209 Die Lieferung des Brennholzes haben wir ausgelost unter den Priestern, den Leviten und dem Volk. Jede Familie soll es jährlich zu der für sie bestimmten Zeit zum Haus unseres Gottes bringen. Es soll auf dem Altar des Herrn, unseres Gottes, brennen, wie es im Gesetz vorgeschrieben ist. …

Der Mischnatraktat Taanit (Fasten) kennt neun derartige Festtage (mTaan 4,5). Nach Josephus fand dieses Fest nur einmal jährlich statt (BJ 2,425). Die verschiedenen Festkalender der masoretischen Tora erwähnen hingegen kein Holzfest. So beginnt der Festkalender in Lev. 23 ausgehend von der wöchentlichen Feier des Schabbat und beschreibt dann den ganzen Jahresfestkreis von Pessach (v. 5) bis zum Laubhüttenfest (vv. 39 – 43). Darauf folgt die Beschreibung der Zubereitung des Öls des ewigen Feuers in der Menora (Lev. 24,1 – 2). Dieser Übergang liest sich in der Einheitsübersetzung folgendermaßen: Sieben Tage sollt ihr in Hütten wohnen. Alle Einheimischen in Israel sollen in Hütten wohnen, 43 damit eure kommenden Generationen wissen, dass ich die Israeliten in Hütten wohnen ließ, als ich sie aus Ägypten herausführte. Ich bin der Herr, euer Gott. 44 Da teilte Mose den Israeliten die Festzeiten des Herrn mit. 24:1 Der Herr sprach zu Mose: 2 Befiehl den Israeliten, dass sie dir für den Leuchter reines Öl aus zerstoßenen Oliven bringen, damit man ständig eine Lampe brennen lassen kann. (Lev. 23,42 – 24,2) 42

Der Abschlusssatz der Festkalenderbeschreibung aus Levitikus 23 „Da teilte Mose den Israeliten die Festzeiten des Herrn mit“ (v. 44) ist merkwürdig. Dies fiel auch den rabbinischen Lesern auf. Da es ihrer Ansicht nach keinen überflüssigen Satz in der Tora geben kann, leiteten sie aus seiner Existenz die Pflicht ab, die Festabschnitte der Tora zu den jeweiligen Festen in der Synagoge vorzulesen (mMeg 3,6). Statt als Ende könnte man den Satz aber auch als Einführungssatz eines neuen Abschnittes verstehen. Und tatsächlich findet sich in Qumran eine Schriftrolle, wo Lev. 23,44 einen uns vorher unbekannten Abschnitt einleitet – über Erntefeste für Holz und Öl. [vacat] Da sagte Mose die Festtermine des JHWH den Söhnen Israels an (Lev. 23,44). [vacat] Und JHWH sprach zu Mose wie folgt (Lev. 24,1): Befiehl den Söhnen Israels folgendes: Wenn ihr zu dem Land kommt, das 5 [i]ch euch zum Erbteil gebe du (wenn) ihr auf ihm sicher wohnt, dann bringt Höl{z}er dar für das Brandopfer und für die ganze Ver[r]ichtu[ng] 6 [des Ha]uses, welches ihr mir bauen werdet im Lande, um sie auf dem Altar des Brandopfers aufzuschichten … 9 [… Fest]termin des Frischöls bringen dar das Holz die zw[ölf Stämme – ] … (4Q365 fr 23 Übers. Maier 2, 312, nicht frg 25 wie dort angegeben) 3

Zwar bricht der Text kurze Zeit später ab, doch sind sich die Forscher einig, dass die Beschreibung des Ölfestes in die Darbringung

210    11  Textkritik und Redaktionskritik des Öls der Menora überging. Dieser Text hat z. B. in der Tempelrolle tiefe Spuren hinterlassen (11Q19 Ta XLIII).

11.4 Textkritik und nicht-biblische Schriftrollen Auch unter den in Qumran neu entdeckten Texten gibt es einige, die in mehreren Handschriften mit ausreichender Textmenge die Zeiten überlebt haben, wobei diese nur wenige Jahre oder Jahrzehnte nach ihrem ersten Entwurf auf Pergament und Papyrus geschrieben worden sind. Dadurch ist es uns möglich, in die Genese, Affiliation und Traditionsgeschichte Einsichten zu gewinnen, von denen wir vorher nicht zu träumen wagten. Im Analogieschluss können Erkenntnisse aus dem Studium der neuen Texte auf die biblischen Rollen übertragen werden. Allen voran können wir in diesem Zusammenhang die Gemeinschaftsregel, die Damaskusschrift, die Hymnenrolle und die Kriegsregel nennen. Dies sind alles Texte des Jachad, deren Inhalte und deren soziologischen Sitz im Leben wir später noch genauer betrachten werden. Hier stehen die textgeschichtlichen Fragen im Vordergrund. Allgemein lässt sich sagen, dass die Stringenz der Textüberlieferung vom Genre des Inhalts abhängen kann. So finden sich in den Regelwerken des Jachad weniger Veränderungen im halakhischen Material als in den anderen Abschnitten (Hempel). Abschließend können wir also feststellen, dass die Qumranrollen mit ihren Korrekturen erster und zweiter Hand, ihrem Layout, aber auch ihrer Intertextualität faszinierende direkte Einblicke in die Text- und Literargeschichte antiker Texte geben, wie wir sie vorher für das antike Judentum nur erahnen konnten. Das gilt auf der einen Seite für Texte, die wir vorher schon kannten, d. h. vor allem Kopien der biblischen Bücher, aber auch für neu in Qumran entdeckte Texte, wie die Gemeinschaftsregel. Hebräische Vorläufer aller drei mittelalterlichen Standardtexte, MT, LXX und SP, sind in Qumran entdeckt worden. Im Laufe der letzten Jahre hat sich aber herausgestellt, dass in Qumran die unabhängigen Texte, d. h. solche, die keinem dieser drei Texttypen nahe stehen, die größte Gruppe darstellen. Texte aus dem zweiten Jahrhundert n. Chr., von anderen Fundorten als Qumran (Nahal Hever, Wadi Murabbaat), sind hingegen quasi mit dem mittelalterlichen MT identisch. Die Forschung geht daher mehr und mehr dazu über, den MT nur als eine von vielen anderen alten Textformen aufzufassen. Man muss die Qumranhandschriften und die Vorformen von LXX und SP überall gleichwertig mit dem MT diskutieren. An vielen Stellen ist

11.4  Textkritik und nicht-biblische Schriftrollen    211

der MT eindeutig sekundär. Eine Suche nach dem Urtext ist methodisch unmöglich. Textkritik und Literarkritik sind zumindest für die Bücher, für die die LXX oder der SP eine andere Rezension als der MT überliefern, nicht mehr so einfach zu trennen wie früher. Das Phänomen des „Reworked Pentateuchs“ zeigt, dass auch an Büchern der Tora noch lange weiter redaktionell gearbeitet wurde. Die Analyse des Kanonisierungsprozesses wird durch weitere Phänomene erschwert – vielleicht wird sie auch spannender. Der Text war noch mehr im Fluss, für einige Bücher gibt es Textzeugen für unterschiedliche Editionen. Die Abweichungen vom uns bekannten Text können manchmal so stark sein, dass sich die Gelehrten streiten, ob es sich noch um das gleiche biblische Buch oder ein neues Werk handelt, insbesondere in Bezug auf die „Reworked Pentateuch“ genannten Rollen.

11.4  Textkritik und nicht-biblische Schriftrollen    213

12 Gottes Wort verstehen: Auslegungstechniken und -themen

Bernstein, Moshe, „‚Rewritten Bible‘: A Generic Category which has Outlived Its Usefulness?“, Textus 22 (2005) 169 – 196. Brooke, George J, „Genre Theory, Rewritten Bible and Pesher“, Dead Sea Discoveries 17 (2010) 361 – 386. Brooke, George, Exegesis at Qumran. 4QFlorilegium in Its Jewish Context, Sheffield 1985. Brooke, George, 4QGenesisd Reconsidered. In: Piquer Otero, Andrés/Torijano Morales, Pablo (Hgg.), Textual Criticism and Dead Sea Scrolls Studies in Honour of Julio Trebolle Barrera, Leiden 2012, 51 – 70. Campbell, Jonathan, The Exegetical Texts, London/New York 2004. Campbell, Jonathan, ‚Rewritten Bible‘ and ‚Parabiblical Texts‘: A Terminological and Ideological critique. In: ders. (Hg.), New Directions in Qumran Studies, London 2005, 43 – 68. Drawnel, Henryk, An Aramaic Wisdom Text from Qumran. A New Interpretation of the Levi Document, Leiden 2004. Frahm, Eckart, Babylonian and Assyrian Text Commentaries: Origins of Interpretation, Münster 2011. García Martínez, Florentino/Vervenne, Marc, Ancient interpretation of Jewish scriptures in light of Dead Sea Scrolls. In: Piquer Otero, Andrés/ Torijano Morales, Pablo (Hgg.), Textual Criticism and Dead Sea Scrolls Studies in Honour of Julio Trebolle Barrera, Leiden 2012, 83 – 97. Greenfield, Jonas/Eshel, Esther/Stone, Michael, The Aramaic Levi Document, Leiden 2004. Henze, Matthias (Hg.), A Companion to Biblical Interpretation in Early Judaism, Grand Rapids 2012. Jassen, Alex, Mediating the Divine: Prophecy and Revelation in the Dead Sea Scrolls and Second Temple Judaism, Leiden 2007. Lim, Timothy H., Authoritative Scriptures and the Dead Sea Scrolls. In: ders./Collins, John(Hgg.), The Oxford Handbook of the Dead Sea Scrolls, Oxford 2010, 303 – 322. Segal, Michael, Between Bible and Rewritten Bible. In: Henze, Matthias (Hg.), Biblical Interpretations at Qumran, Grand Rapids 2005, 10 – 28. Steudel, Annette, Der Midrasch zur Eschatologie aus der Qumrangemeinde, Leiden 1994. Tigchelaar, Eibert, „Classification of the Collection of Dead Scrolls and the Case of Apocryphon of Jeremiah C“ Journal for the Study of Judaism 43 (2012) 519 – 550. VanderKam, James, The Dead Sea Scrolls and the Bible, Grand Rapids 2012. Vermes, Géza, Scripture and Tradition in Judaism: Haggadic Studies, Leiden 1973. White-Crawford, Sidney, Rewriting Scripture in Second Temple Times, Grand Rapids 2008.

214    12  Auslegungstechniken und -themen Zahn, Molly, Rethinking Rewritten Scripture. Composition and Exegesis in the 4QReworked Pentateuch Manuscripts, Leiden 2011.

Heilige Schriften benötigen Interpretation, um in einer Buchreligion von Bedeutung zu bleiben. Qumran zeigt die steigende Bedeutung von autoritativen Büchern im antiken Judentum noch zur Zeit des Zweiten Tempels, denn unter den Schriftrollen befindet sich eine bedeutende Anzahl unterschiedlicher Kommentartypen, Überarbeitungen verschiedener biblischer Werke, neuer Narrative, die ihren Ursprung in biblischen Passagen haben, und exegetischer Hilfsliteratur. Qumran ist ein wahres Paradies zur Erforschung antiker Exegese jüdischer Auslegungspraxis (Exegese) und Interpretationstheorie Hermeneutik (Hermeneutik). Lektüre und Interpretation von autoritativen Texten hatten eine absolut zentrale Funktion im Leben, Denken und Schreiben des Jachad: Und nicht soll an dem Ort, wo zehn Männer sind, einer fehlen, der im Gesetz forscht (doresch batora) Tag und Nacht, 7 beständig, einer nach dem anderen. Und die Vielen sollen gemeinsam wachen den dritten Teil aller Nächte des Jahres, um im Buch zu lesen und nach Recht (lidrosch mischpat) zu forschen 8 und gemeinsam Lobsprüche zu sagen. (1QS VI 6 – 8, nach Lohse). 6

Als eine der Grundregeln des Jachad wird hier offensichtlich eine permanente, Tag und Nacht andauernde Suche nach halakhischen Interpretationen gefordert, vermutlich im Pentateuch, vielleicht auch in anderen Büchern oder im mündlichen Recht. Der Text nennt denjenigen, der sich mit der Tora ernsthaft befasst, doresch batora oder doresch hatora (Gesetzesforscher). Wir werden in den Kapiteln über den Jachad sehen, dass den dorsche hatora die dorsche hachalaqot gegenüber stehen, die nicht ernsthaft nach den gottgemäßen Lebensregeln suchen, sondern nach Schlupflöchern, wie die Schwierigkeiten umgangen werden können. Die wahre Auslegung und die Kunst oder Gabe, durch den richtigen Zugang im biblischen Text die Wahrheit zu finden, stehen also im Zentrum der Identität des Jachad. Durch die zahlreichen jachadischen und nichtjachadischen Texte werden wir auch über die Grenzen des Jachad hinaus bestens über die Frühgeschichte jüdischer Interpretationskultur informiert. Wo beginnt Interpretation? Im Grunde sind schon Abschrift oder Vorlesen einer Vorlage Interpretation. Wir haben im vorigen Kapitel gesehen, dass man nicht mehr strikt zwischen Schreibern und Redaktoren trennen kann. Einige Schreiber kopierten ihre Vorlagen buchstabentreu. Andere Schreiber sahen ihre Vorlagen als noch nicht abgeschlossen an und griffen in den Text und seine Anordnung nach ihren ideologischen und ästhetischen Vorstellungen

12  Auslegungstechniken und -themen    215

ein. Auch das Grenzphänomen der als Reworked Pentateuch oder Pentateuch bezeichneten Schriftrollen ist schon erwähnt worden (voriges Kapitel, S. 208–210). Interpretation kann auf Hebräisch z. B. mit den Verben darasch und piresch wiedergegeben werden. Ersteres ist jedem durch den Namen für rabbinische Kommentare vertraut: Midrasch(im). Midrasch(im) Dieses Wort „Midrasch“ erscheint zum ersten Mal Anfang des zweiten Jahrhunderts v. Chr. bei Jesus Sirach: „Kehrt bei mir ein, ihr Unwissenden, verweilt in meinem Lehrhaus! (hebr. bet midraschi, griech. oikos paideias)“ (Sir. 51,23). Bis zur Entdeckung der Qumranrollen kamen alle anderen frühen Belege für „Midrasch“ aus der rabbinischen Literatur. Es wurde daher hauptsächlich als Titel für exegetische Werke der rabbinischen Literatur verwendet. Dort werden z. B. halakhische und aggadische Midraschim unterschieden, je nachdem ob diese Auslegungswerke mehr Halakha (religiöse Bestimmungen) oder Aggada (narrative Traditionen) beinhalten; ob sie einen Bibeltext Wort für Wort auslegen (exegetischer Midrasch) oder in einer Art kondensierter Predigt zwei in völlig unterschiedlichen Büchern stehende auf den ersten Blick unverbundene Verse in Bezug setzen (homiletischer Midrasch). In den Qumranrollen kann das Wort midrasch den Auslegungsvorgang oder das schriftlich in einem Buch niedergelegte Ergebnis bezeichnen. Eine berühmte Passage in der Gemeinschaftsregel legt Jesaja 40,3 folgendermaßen aus: Dies ist das Studium der Weisung (midrasch hatora), wel[ch]e er durch Mose befohlen hat, alles zu tun, was von Zeit zu Zeit geoffenbart worden ist, 16 wie es auch die Propheten durch seinen heiligen Geist offenbart haben. (1QS VIII 15f). 15

An zwei anderen Stellen bezeichnet midrasch ein juristisches Rechtfindungsprozedere oder ein Untersuchungsgremium des Jachad: Das sind die Ordnungen, nach denen sie in der Rechtsfindung der Gemeinschaft (midrasch jachad) entsprechend den Fällen richten sollen. (1QS VI 24). 1 Sie sollen ihn für zwei Jahre von der reinen (Nahrung), dem Rat und dem Gericht ausschließen und er darf nur zur Rechtsfindung (midrasch) und in den Rat zurückkehren, wenn er bis zum Ende der zwei Jahre nicht wieder aus Unachtsamkeit eine Sünde begangen hat. (4Q258 / 4QSd 2 ii 1 – 2). 24

„Midrasch“ konnte aber auch schon in Qumran eine Textsorte bezeichnen und Titel eines Buches sein. Ganz klar ist dies für den „Midrasch {des Buches} Mose“ (4Q249), einen der ganz seltenen erhaltenen Fälle, in denen der Titel eines Buches separat auf seiner Rückseite notiert worden ist (und dann sekundär korrigiert wurde, wobei „des Buches“ mit Punkten als gestrichen gekennzeichnet und

216    12  Auslegungstechniken und -themen dann „Midrasch“ hinzugesetzt worden ist). Von dieser Papyrusrolle in kryptischer Schrift sind aber leider nur kleine Fragmente mit wenigen Wortresten erhalten, zu wenig, um etwas zur Auslegungstechnik sagen zu können. Unter den in Höhle 4 entdeckten Fragmenten der Damaskusschrift enthalten zwei die Schlussworte der Damaskusschrift: „eschatologische / (endgültige?) Deutung der Tora (midrasch hatora ha’acharon)“ (4Q270 7 ii 15 und vgl. 4Q266 11:20 – 21). Einige Forscher sind der Meinung, diese Worte gäben den ursprünglichen Titel des Gesamtwerkes wieder. Ähnlich lautet eine Zwischenüberschrift eines Abschnitts der Gemeinschaftsregel: „Dies ist die Ordnung (serekh) für die Anhänger des Jachad (der Gemeinschaft)“ (1QS V 1) und bezeichnet wohl eine der Quellschriften dieser Regel. In anderen Handschriften der Gemeinschaftsregel lesen wir hier allerdings „Dies ist die Anweisung/ Auslegung (midrasch) des Unterweisers für die Anhänger des Jachad“ (4Q256 IX 1; 4Q258 I 1).

12.1 Rewritten Scripture

Deuteronomium Chronikbücher

„Rewritten Bible“ „Rewritten Scripture“

Josephus

Interpretation beginnt schon in den biblischen Büchern selbst, wo in einem Werk auf ein anderes Bezug genommen wird. Dies ist besonders in den späteren Überarbeitungen früherer Bücher der Fall. Das Deuteronomium schreibt zum Beispiel das Bundesbuch um. Die Chronikbücher sind eine Neufassung der Geschichtsbücher von Josua 21 bis 2. Könige 25. Auch hier sind die Übergänge von Urschrift zu Überarbeitung fließend. Narrative Lücken werden durch neue Details und Traditionen geschlossen. Manches wird gekürzt oder ganz weggelassen. Oft werden schwierige oder anrüchige Passagen durch Zusätze erläutert. Der Oxforder Judaist Géza Vermes hat dieses Phänomen „Rewritten Bible“ genannt. Da in der Zeit Qumrans, der Kanon noch nicht fixiert war, wäre „Rewritten Scripture“ weniger anachronistisch. Zwar halten sich diese Handschriften mehr oder minder eng an ihre Vorlage, doch geben sie ihr eine völlig neue Rahmenhandlung. Hierin sieht man den zentralen Qualitätsunterschied zwischen „reworked“ und „rewritten“. Diese Autorenstrategie, von manchen auch als Genre betrachtet, ist so alt wie die Literaturgeschichte und so modern wie Remakes von Filmen. Auch Josephus benutzt diese Strategie für seine Zusammenfassung der Bibel in den Jüdischen Altertümern. Die Qumranrollen haben die Zentralität von Überarbeitungen in der jüdischen Literaturgeschichte der Zeit des Zweiten Tempels neu herausgestellt. Zu den bemerkenswertesten Fällen gehören in Qumran das Genesisapokryphon, das Jubiläenbuch und die Tempel-

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rolle für die Bücher der Tora und das Apokryphon Jeremias C und Pseudo-Ezechiel für die Propheten. Im Unterschied zum Reworked Pentateuch haben die „Autoren“ bewusst neue Werke geschaffen, die sich in ihrer Rahmenhandlung von ihrer Vorlage unterscheiden. Das Genesisapokryphon (1QGenAp oder 1Q20) ist eine der etwa Genesisapokryphon fünfzehn gut erhaltenen großen Schriftrollen mit Resten von heute 22 Kolumnen. Es ist der umfangreichste aramäische Text aus Qumran. Aufgrund seiner Sprache wird es normalerweise nicht zu den jachadischen Schriften gerechnet (s. u. S. 156 f zur Unterscheidung zwischen jachadischen und nicht-jachadischen Texten). Auf Bildern ähnelt das Genesisapokryphon einem Fotonegativ, da das Pergament genau dort zerfressen ist, wo ursprünglich Tinte war, weil der herodianische Schreiber (ca. 25 v. Chr. – 50 n. Chr.) entgegen den üblichen Gewohnheiten eine metallhaltige Tinte verwendet hat. Dies und die Fragilität hat ihre Entzifferung bis 1956 in die Länge gezogen, obgleich sie zu den ersten sieben noch 1947 entdeckten Rollen aus Höhle 1 gehört. Beim Studium ist zu beachten, dass besonders spät entzifferte Fragmente auf der Rückseite der ersten Kolumne dafür gesorgt haben, dass ausnahmsweise eine Kolumne 0 bei der Nummerierung hinzugefügt werden musste. Vielleicht enthielt die Rolle am Anfang oder am Ende früher einmal noch weitere Teile.

Der erhaltene Text besteht aus drei Genesis paraphrasierenden Er- paraphrasieren zählungen, in deren Zentrum jeweils eine eigene biblische Figur steht: Henoch (bis 1QGenAp v 28), Noah (1QGenAp v 29 ff) und Abram (1QGenAp xviii 25 ff). Jeder Teil steht unterschiedlich mit Genesis in Beziehung. Während der Schluss des Abram-Zyklus nur Genesis übersetzt, finden sich im ersten sehr fragmentarischen Teil fast keine wörtlichen Anklänge an Genesis. Alle Teile sind redaktionell miteinander verbunden, so dass ursprünglich noahidische Charakterzüge sich auch bei Henoch oder Abram finden und umgekehrt. Wie bei Rewritten Scripture üblich, versucht das Genesisapokryphon, Spannungen und Anstößiges seiner Vorlagen zu glätten. Laut Spannungen Gen. 12,10 – 20 befiehlt Abram beim Umzug nach Ägypten seiner beheben Frau Sarai, sich als seine Schwester auszugeben, damit er nicht aus Neid umgebracht würde. Diese nicht ganz unproblematische Notlüge wird im Genesisapokryphon dem Abram in einem Traum offenbart und so göttlich gerechtfertigt (1QGenAp xix 14 – 21). Eine andere Passage löst ein halakhisches Problem: Wenn Sarai während ihrer Zeit beim Pharao mit diesem Geschlechtsverkehr gehabt hätte, hätte Abram nach den Bestimmungen in Dtn. 24,1 – 4 sie nicht als Frau zurücknehmen können. Das Genesisapokryphon löst diese Schwierigkeit, indem die Krankheit, die den Pharao schlägt,

218    12  Auslegungstechniken und -themen so gedeutet wird, als habe sie ihm den Geschlechtsverkehr unmöglich gemacht (1QGenAp xx 17 – 18). So kann Sarai ohne weiteres wieder als Abrams Frau gelten. Unter den Zusätzen zum kanonischen Material finden sich die wunderbaren Umstände der Geburt Noahs und ein aramäisches Gedicht zu Sarais außergewöhnlicher Schönheit von einer Art, wie wir es sonst in antiker jüdischer Literatur nur im Hohelied finden (1QGenAp XX 2 – 8; vgl. Gen. 12,14f). Das Jubiläenbuch („Buch über die Einteilung der Zeiten“, abgekürzt Jub.) ist eine ausführliche Nacherzählung der Vätergeschichte von der Schöpfung und Adam über Abraham und Jakob bis zum zusätzliche Details Auszug aus Ägypten mit vielen zusätzlichen Details. In der Rahmenerzählung wird der Inhalt des Jubiläenbuches Mose am Sinai von einem Engel offenbart (Exodus 24). Nach einer der Hauptlinien dieses Buches haben die Patriarchen die Gebote der Tora schon lange vor ihrer Offenbarung am Sinai eingehalten. Zentrale Gegebenheiten der Vätergeschichte werden in einem Jahreszyklus von jeweils 49 Jahren chronologisch verortet, manchmal mit präziser Angabe von Tag, Monat und Jahr im Festkalender. So erhalten diese Feste im gleichen Zug Ursprungsmythen und Festinhalte: An Jom Kippur wird gefastet – weil Josephs Brüder ihn an diesem Tag verkauft haben. An Shavuot wird der Offenbarung an und des Bundesschlusses mit Abraham, Jakob und Mose (Jub. 1,1; 15,1 – 3; 44,1 – 5) gedacht. Gleichzeitig wird der Jahreskalender von 364 Tagen sehr polemisch gegen den Mondkalender verteidigt und durch die enge Vernetzung mit der Patriarchengeschichte im Gründungsnarrativ Israels verankert. Der judäische Autor hat wahrscheinlich in der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts v. Chr. gearbeitet. Er nimmt besonderen Anstoß an einigen Punkten, die auf die hellenistischen Reformen verweisen (Nacktheit, Aufweichung des Gesetzesgehorsams und der Observanz der Beschneidung, Mischehen). Einige theologische Linien und Termini ähneln den Schriften des Jachad, doch ist der Autor sicher kein Mitglied des Jachad. Er wendet sich an Gesamtisrael und nicht an eine erwählte Elite; das Buch erwähnt keinerlei Gemeindestrukturen und kennt auch nicht die besonderen Erntefeste. Vielleicht kann man es als prä-jachadisch oder para-jachadisch bezeichnen. Informationslücken Typischerweise versucht Rewritten Scripture, Informationsschließen lücken der Vorlage zu schließen. Zum Beispiel lässt die Schöpfungsgeschichte in Genesis offen, wann Engel erschaffen worden sind. In der Paradiesgeschichte tauchen dann recht unvermittelt Kerubim auf. Das Jubiläenbuch beantwortet diese von manchem Jubiläenbuch

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Leser gestellte Frage in seiner Erzählung und schließt die Engel im ruach (Geist) von Gen. 1,1 – 2 mit ein: Aus „Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde; die Erde aber war wüst und wirr, Finsternis lag über der Urflut, und Gottes Geist schwebte über dem Wasser.“ wird in Jub. 2,2: „Am ersten Tag schuf er Himmel, die oben sind, und die Erde und die Wasser und alle Geister, die vor ihm dienen: die Engel … (es folgt eine Liste von verschiedenen Engeln).“ Eine weiteres Charakteristikum der Rewritten Scripture ist die Aufbesserung des Images eines Protagonisten: In Jub. 13,11 – 13 Aufbesserung des lügt Abram nicht mehr, dass Sara seine Schwester sei (vgl. Gen. Images eines Pro12,13.19). In Jub. 26,13 lügt Jakob nicht mehr, dass er der Erst- tagonisten geborene sei (vgl. Gen. 27,19). Nach Jub. 17,15 – 18,19 ist es nicht mehr Gottes Idee, Abraham anzustiften, Isaak zu opfern, sondern die des Anführers der bösen Mächte, Mastema. Gott hält dagegen und hat damit Erfolg (vgl. Gen. 22,2). In Genesis 34 wird Levi, Urvater der Priester, dafür verflucht, die frisch bekehrten Sichemiten abgeschlachtet zu haben. Im Jubiläenbuch wird Levi für seine Aktion, Mischehen zu verhindern, gelobt. Eventuellen Klagen über Landraub entgegnet Jub. 8,8 – 9,15; 10,27 – 34, dass Israel den Kanaanäern das Land rechtmäßig weggenommen hat. Sem, der Urvater Israels, war der von Gott bestimmte Inhaber. Kanaan hatte sich in Urzeiten Judäa unrechtmäßig angeeignet, weil er den ihm zugelosten Erbteil in Westafrika nicht annehmen mochte. Dafür wurde er verflucht. Vollständig ist das Jubiläenbuch nur auf Altäthiopisch (Geez) als Teil des Kanons der äthiopischen Christen und Juden (Beta Israel) erhalten. Es basiert wohl auf einer verlorenen griechischen Übersetzung. Mehr oder minder lange Fragmente existieren auf Lateinisch und Syrisch. Die frühen Kirchenväter zitieren es oft, rabbinische Quellen kennen es nicht. Unter den Qumranrollen sind Fragmente von mindestens vierzehn verschiedenen Jubiläenbuchrollen (1Q17, 1Q18, 2Q19, 2Q20, 3Q5, 4Q176a; 4Q216; 4Q218 – 4Q224, 11Q12, vgl. MasJub; 4Q217 ist unsicher). Das ist mehr als von Exodus, Levitikus, Numeri oder Jeremia. Es wird als autoritative Schrift zitiert (CD xvi 3, 4Q228). Schließlich gibt es auch ein verwandtes Werk, das „Pseudo-Jubiläenbuch“ (4Q225 – 4Q227). Man kann den Stellenwert des Jubiläenbuches für den Jachad kaum überschätzen.

Die Tempelrolle ist eine nach Themen geordnete Neufassung der Tempelrolle Tora, welche der Autor Gott persönlich in den Mund gelegt hat. Mose als Mittlerfigur wird so quasi übersprungen und die Position des Sprechers und damit der Anspruch des Buches erhöht: Und die Stadt, 4 [d]ie ich weihe, um meinen Namen und [mein] Heilig[tum in ih]r einwohnen zu lassen, sei heilig und rein 5 von jeder Sache mit jeglicher Sorte Unreinheit, mit der sie sich verunreinigen können (11Q19 Ta XLVII 3 – 5). 3

220    12  Auslegungstechniken und -themen Höhle 11 enthielt mindestens zwei Handschriften der Tempelrolle: 11QTa (11Q19) ist eine besonders schön geschriebene Rolle aus besonders feinem Material und mit 66 Spalten die längste erhaltene Qumranrolle. Neben 11QTa gibt es 11QTb (11Q20). Auch 11Q21 scheint mit der Tempelrolle zusammenzuhängen. Offen ist, ob auch zwei Texte aus Höhle 4 (4Q365a und 4Q524) Kopien der Tempelrolle darstellen.

Dem verlorenen Anfang folgen zwei lange Abschnitte über das Tempelgebäude mit dem Altarbereich (11Q19 III – XIII) und seinen Hofanlagen (XXX – XLV) mit übertriebenen Maßangaben, welche einen detaillierten Festopferkalender (XIII – XXIX) mit einem 364-Tage-Jahr und vielen in der Bibel nicht belegten Festen umrahmen. Anschließend folgen Reinheitsbestimmungen (XLV – LI) und allgemeine Gesetze ähnlich wie Deuteronomium 13 – 23 (LII – LXVI). Die Tempelrolle bzw. die in ihr eingearbeiteten Quellen versuchen, gesetzliche Regelungen, die sich in der Tora an unterschiedlichen Orten finden, thematisch zu ordnen und Widersprüche zu harmonisieren. Im Unterschied zum Jubiläenbuch mit seinem Fokus auf den narrativen Elementen von Genesis – Exodus, in welche einige halakhische Traditionen (vor allem zum Kalender) hineingeschrieben werden, konzentriert sich die Tempelrolle nur auf halakhische Traditionen. Oft folgt sie eng den überlieferten Texten der Tora, ordnet und harmonisiert sie und setzt sie in die erste Person (Yadin, Milgrom, Schiffman, Swanson). Sie hat dabei sicher auch Quellen verwendet, die sich nicht im MT, im Samaritanus oder in der LXX finden, sondern in Texten ähnlich des Rewritten Pentateuch. Während die Mehrheit der Forscher seit Yadin – in recht bibliozentristischer Manier – den Text der Tempelrolle aus zusammengepuzzelten Halbversen des MT ableitet, verdient die These, einige Quellen der Tempelrolle seien außerbiblisch (Maier) oder „vorbiblisch“ (Stegemann) durchaus ihre Aufmerksamkeit. So soll beispielsweise folgender Paragraph aus fünf Stellen zusammengestellt worden sein (Wise): Am Tag, da man ih[n] zum König einsetzt, [mu]st[ere er/man] die Israeliten vom 3 Zwanzigjährigen bis zum Sechzigjährigen nach ihren Einheiten, und {er bestellt} 4 an ihre Spitzen Befehlshaber von Tausendschaften und Befehlshaber von Hundertschaften und Befehlshaber von Fünfzigerschaften a 5 und Befehlshaber von Ze{hn}erschaften in all ihren Städten. (11Q19 T LVII 2 – 5) 2

Dtn. 17,18 Und wenn er seinen Königsthron bestiegen hat, soll er sich von dieser Weisung, die die levitischen Priester aufbewahren, auf einer Schriftrolle eine Zweitschrift anfertigen lassen. 1. Sam. 8,11 – 12 Er sagte: Das werden die Rechte des Königs sein, der über euch herrschen wird: Er wird eure Söhne holen und sie für sich bei seinen Wagen und seinen Pferden verwenden, und sie werden vor seinem Wagen herlaufen. 12 Er wird sie zu Obersten über (Abteilungen von) Tau-

12.1  Rewritten Scripture    221 send und zu Führern über (Abteilungen von) Fünfzig machen. Sie müssen sein Ackerland pflügen und seine Ernte einbringen. Sie müssen seine Kriegsgeräte und die Ausrüstung seiner Streitwagen anfertigen. Lev. 27,2 – 3 Rede zu den Israeliten, und sag zu ihnen: Will jemand ein Gelübde für den Herrn einlösen, das er nach dem üblichen Wert einer Person abgelegt hat, 3 so gilt für einen Mann zwischen zwanzig und sechzig Jahren ein Schätzwert von fünfzig Silberschekel, nach dem Schekelgewicht des Heiligtums. Num. 1,52 Im Lager soll jeder Israelit sein Zelt an der Stelle aufschlagen, zu der er gehört, und bei dem Feldzeichen, zu dem er gehört, also bei seiner Abteilung im Heer. Dtn. 1,15 Also habe ich die Führer eurer Stämme, weise und bewährte Männer, genommen und sie zu euren Führern ernannt: als Anführer für je tausend, Anführer für je hundert, Anführer für je fünfzig, Anführer für je zehn, und als Listenführer, für jeden eurer Stämme.

Tatsächlich sind alle im Abschnitt der Tempelrolle erwähnten Ideen in den genannten biblischen Passagen enthalten. Ob der Autor/ Redaktor der Tempelrolle bzw. ihrer Quelle diese Passagen in ihrer schriftlichen Form als direkte Vorlage verwendet hat, darf bezweifelt werden. In seiner editio princeps (1976) hielt Yadin die Tempelrolle noch für essenisch. Heute sehen nur noch wenige eine Identität zwischen dem oder den Autoren und dem Jachad. Sprache und Institutionen weisen zu wenige Schnittpunkte mit den zentralen jachadischen Schriften auf. Viele ordnen die Tempelrolle ähnlich wie auch das Jubiläenbuch und die Henochschriften Kreisen zu, die den Gruppen nahestanden, aus denen später einmal der Jachad entstand (zu weiteren Fragen, s. u. S. 377–392). Die Endredaktion der Tempelrolle hat im dritten oder zweiten vorchristlichen Jahrhundert stattgefunden.Viele datieren den Text in die frühe hasmonäische Zeit, d. h. die zweite Hälfte des zweiten Jahrhunderts. Ein Hauptargument ist das Königsgesetz (11QTa LVI – LIX), das angeblich gegen die Hasmonäer gerichtet sei. Keine der genannten Stellen ist aber beweiskräftig (Maier). Oft wird behauptet, das Phänomen der Rewritten Scripture würde, ähnlich wie die Existenz von Kommentaren, einen besonderen Status der zugrundeliegenden Schriften voraussetzen, nach dem alten chinesischen Sprichwort „Die Kopie ist eine Ehre für das Original.“ Doch hat dieses Phänomen für den Kanonisierungsprozess einen zwiespältigen Zeugenwert. Einerseits bezeugt es die Hochachtung vor einem Buch, dessen Ideen man ausbauen oder verbessern möchte. Andererseits genügt das Original nicht, es muss verbessert werden. Es gibt durchaus Fälle, in denen der Nachfolger das Original eliminiert hat, so z. B. ist 2. Makkabäer die Kürzung einer verschwundenen Langfassung. In einer anderen jüdischen

222    12  Auslegungstechniken und -themen Gruppe des ersten Jahrhunderts, dem Urchristentum, ist „Q“, neben Markus die zweite schriftliche Quelle für Lukas und Matthäus, völlig vom Erdboden verschwunden. Und auch Markus wurde von den beiden anderen im Gebrauch weitgehend verdrängt. Bezweckte der Redaktor der Tempelrolle, dass sie die neue Tora schlechthin werden sollte? In Qumran zumindest hat sie den Pentateuch nicht verdrängt. Wenn das Jubiläenbuch zweimal explizit auf „das erste Gesetz“ (Jub. 6,22; 30,12) verweist, will es wohl kaum die Tora ersetzen. Wer Rewritten Scripture als Genre auffasst, verkennt, dass nicht nur Erzählungen umgeschrieben worden sind, sondern auch andere Textsorten, zum Beispiel prophetische Bücher. Eines dieser Sekundärwerke wurde von den Herausgebern als Pseudo-Ezechiel bezeichnet. Ein anderes ist das sogenannte Apokryphon Jere­ mias C. Die Veröffentlichungsgeschichte der beiden Werke ist eng verknüpft. Über lange Zeit waren sich die Editoren nicht einig, auf wie viele verschiedene Kompositionen und wie viele Schriftrollen die zahlreichen Fragmente, die ursprünglich einmal sieben Sigla erhalten hatten (4Q385 – 4Q391), aufzugliedern sind. Handelt es sich um ein einziges umfassendes Prophetenapokryphon? Um zwei Werke, je eins zu Jeremia und Ezechiel? Oder sogar um drei verschiedene Werke zu Mose, Ezechiel und Jeremia? Schließlich hat Dimants Aufteilung der Fragmente auf mehrere Kopien von zwei Kompositionen zu Jeremia und Ezechiel die Mehrheit der Forscher überzeugt, zumindest bislang. Apokryphon Dem Apokryphon Jeremias C werden Fragmente von vier oder Jeremias C fünf Kopien zugerechnet (4Q385a, 4Q387, 4Q388a, 4Q389 und vielleicht 4Q387a). Eine weitere Fragmentengruppe, 4Q390, wird inzwischen nicht mehr für eine weitere Kopie des Apokryphons Jeremias C, sondern für eine separate Komposition gehalten, da sie keine Überlappungen zum Text der anderen Fragmente enthält und aus physischen Gründen nicht an der von Dimant vorgeschlagenen Stelle des Apokryphons gestanden haben kann (Davis). Den Großteil der erhaltenen Fragmente des Apokryphons Jeremias C nimmt eine Rede Gottes an Jeremia mit einer Geschichtsübersicht in der dritten Person ein: die Bitte Israels um einen König, Taten Salomos, das durch die Sünden Israels verursachte Ende des Königreichs, der Anfang des Exils und der Fremdherrschaft, das Fehlverhalten des Priestertums. Ein eschatologischer Abschnitt enthält Unheilsprophezeiungen gegen die Völker aus Nah. 3,8 – 10 (vgl. Jer. 46 – 51) und Heilsprophezeiungen für Israel. Vermutlich am Ende werden Jeremias Taten in Ägypten und Babylonien nach der Zerstörung Jerusalems geschildert. Wir finden hier auch Motive aus der wei-

12.2  Spin-Offs, Sequels, Prequels    223

teren jeremianischen Literatur. Z. B. ist der Fluss Sur aus Bar. 1,3 und der EpJer bekannt. Jeremias wird in dieser Schrift zu einer Art Mose redivivus, der als Führerpersönlichkeit Gebote verkündet und vor Götzendienst warnt. Die erhaltenen Fragmente von Pseudo-Ezechiel (4Q385, 4Q386, Pseudo-Ezechiel 4Q385b, 4Q388, 4Q385c, 4Q391) verraten uns nur bedingt die exakten Konturen der ursprünglichen Schrift. Doch ist klar, dass auch hier die üblichen Strategien der Rewritten Scripture ihre Anwendung finden. Der Prophet Ezechiel spricht in der ersten Person und verkündet Prophezeiungen, die unter anderem an Ezechiel 1 (Merkava) und 37 (Auferstehung im Tal der Knochen) anschließen (4Q385 6; 4Q385 2; 4Q386 1 i; 4Q388 7). Dazu kommen Visionen, die keine Parallelen im biblischen Ezechiel haben. Die biblischen Visionen sind gestrafft, Wiederholungen gekürzt. Die Interpretation der Visionen wird Gott vom Autor in den Mund gelegt. Die biblische Vision der Auferstehung der Knochen (Ez. 37) könnte auch metaphorisch verstanden werden. Pseudo-Ezechiel löst diese Ambiguität. Sie wird einerseits als Belohnung auf die Gerechten beschränkt und ist andererseits wie in der späteren rabbinischen und patristischen Tradition körperlich-real. Der Bezug von Pseudo-Ezechiel zum Ezechielbuch ist also viel enger als der des Apokryphons Jeremias C zum Jeremiabuch, das auch nichtjeremianische Traditionen „jeremianisiert“. Der Titel Pseudo-Ezechiel gibt uns die Möglichkeit, auf die Implikationen der Namensgebung durch die Herausgeber hinzuweisen. Dieser Titel weist dem Werk nicht nur einen sekundären Status zu, wie etwa Deutero-Ezechiel, sondern bezeichnet es auch als „unechten“ Ezechiel neben dem „echten“ Ezechiel. Es ist daher ein gutes Beispiel dafür, wie wichtig es ist, bei den modernen Titeln jeweils genau zu prüfen, inwieweit andere ebenfalls mögliche Titel den Inhalt, die Textsorte oder die Intention mit ganz anderen Anklängen zum Ausdruck gebracht hätten. Auch Josephus kannte ein alternatives Ezechielbuch (Ant. Iud. 10,80). Die Herausgeber sehen das Buch als nicht-jachadisch und datieren es auf das zweite Jahrhundert v. Chr. Es wird wahrscheinlich in frühchristlicher Literatur zitiert (s. u., S. 337 f).

12.2 Spin-Offs, Sequels, Prequels Andere alte Kompositionen, von denen auch in Qumran Fragmente entdeckt worden sind, haben biblische Figuren als Protagonisten, können aber nicht als Rewritten Scripture bezeichnet werden, weil sie mit dem biblischen Material nicht so viel gemein haben. Sie

224    12  Auslegungstechniken und -themen wählen eine oder mehrere Details oder kurze Passagen aus einem Grundtext und entwickeln daraus eine völlig neue Geschichte. Eine große Anzahl von Qumranrollen völlig unterschiedlicher Literaturformen ist dieser Kreativitätsstrategie entsprungen. Die ältesten Bücher hierunter, das Aramäische Levi Dokument und die Teilschriften des henochischen Pentateuchs, sind sicher älter als das vermutlich jüngste Buch der Hebräischen Bibel (Daniel). Die Bezeichnung „Apokryphon von X“, bei der Namensgebung der Rollen gerne vergeben, kann sich sowohl auf „Rewritten Scripture“ als auch auf „Spin-Offs“ beziehen. henochischer Der henochische Pentateuch ist zumeist als „erster“ oder „äthioPentateuch pischer“ Henoch bekannt, da er vollständig nur auf Geez (altäthiopisch) überliefert ist. Aus der byzantinischen Zeit sind eine kürzere griechische Version (Syncellus) und ein paar griechische, koptische und lateinische Fragmente erhalten. In ihrer altäthiopischen Übersetzung ist die Sammlung bis heute Teil des Kanons der äthiopischen Christen und Juden (Beta Israel). Doch ist 1. Henoch nicht ein einheitliches Buch, sondern eine Sammlung von fünf ursprünglich getrennten aramäischen Werken: das Buch der Wächter (BW)

1. Hen. 1 – 36; 4Q201 – 202, 4Q204 – 206 die Bildreden (BR) 1. Hen. 37 – 71;  – das Astronomische Henochbuch (AB) 1. Hen. 72 – 82; 4Q208 – 211 die Traumvisionen (TV) 1. Hen. 83 – 90; 4Q204 – 207 die Mahnreden oder Epistel (BE) 1. Hen. 91 – 108; 4Q204, 4Q212; vgl. die griech. Fragmente aus 7Q

Mit Ausnahme der Bildreden wurden in Qumran von jedem dieser ursprünglich separaten fünf Bücher aramäische und vielleicht auch griechische Fragmente entdeckt (s. o. Tabelle, S. 196), von de­nen einige zu den ältesten Qumranrollen gehören. Das Buch der Wächter, (ca. 3. Jh. v. Chr.) erzählt die Geschichte der gefallenen Engel (= Wächter, vgl. Gen. 6,1 – 4 und S. 225 f) und der Reisen Henochs über Erde und Scheol. Im Astronomischen ­Henochbuch (auch 3. Jh. v. Chr.) beschreibt der den Himmel bereisende Henoch die Himmelskörper und detailliert den astronomischen Hintergrund des 364-Tage-Kalenders (s. u. Wissenschaft, S. 348 f). In den Traumvisionen wird dem schlafenden Henoch in allegorischer Form die Geschichte Israels von der Sintflut bis zur Makkabäerrevolte (163 – 142 v. Chr.) offenbart. Ihnen folgen die aus verschiedenen Teilen zusammengesetzten sogenannten Mahnreden, die wiederum eine Geschichtsschau („Zehn-Wochen-Apokalypse“, 1. Hen. 91,11 – 17 u. 93,1 – 10), die sozialkritische Epistel (1. Hen. 92 – 105) und ein Narrativ der wundersamen Geburt Noahs (1. Hen.

12.2  Spin-Offs, Sequels, Prequels    225

106 – 107) enthalten. Qumran bezeugt bereits die Verbindung des Buchs der Wächter mit den Traumvisionen (4Q204 – 4Q206) und der Epistel (4Q204), nicht aber mit dem Astronomischen Henochbuch. Die aramäischen Fragmente bestätigten die lange geäußerte Vermutung, dass die Anordnung des Textes der Zehn-WochenApokalypse der äthiopischen Version korrigiert werden muss (1. Hen. 93,1 – 10 direkt vor 91,11 – 17 : 4Q212 Fr. 1 iv 13 – 14). Die Wirkungsgeschichte dieses Sammelwerkes auf die Literatur (Mythologie, Mystik, Sündenlehre) des antiken Judentums und Christentums ist enorm. Der Judasbrief z. B. zitiert es als Heilige Schrift. Alle fünf Einzelwerke stammen vielleicht aus priesterlichen Kreisen, die das Jerusalemer Tempel-Establishment kritisieren. Einige Forscher sehen in derartigen apokalyptischen Kreisen die Vorläufer der Jachad-Bewegung, bzw. der Essener (Groningen Hypothese). Das Verhältnis der einzelnen Teile des 1. Henoch zu biblischen Grundschriften ist komplex. Die Grundidee eines himmlischen Reisenden namens Henoch kann man aus Genesis 5,21 – 24 herauslesen. Henoch war fünfundsechzig Jahre alt, da zeugte er Metuschelach. Nach der Geburt Metuschelachs ging Henoch seinen Weg mit Gott (vajithalekh chanokh et ha’elohim) noch dreihundert Jahre lang und zeugte Söhne und Töchter. 23 Die gesamte Lebenszeit Henochs betrug dreihundertfünfundsechzig Jahre. 24 Henoch war seinen Weg mit Gott gegangen (vajithalekh chanokh et ha’elohim), dann war er nicht mehr da (ve’einenu); denn Gott hatte ihn aufgenommen (ki laqach oto elohim). 5,21 22

Von Henoch wird erzählt, er sei mit Gott gegangen (vajithalekh), wohl nicht zufällig 365 Jahre lang, die Zahl der Tage eines Sonnenjahres. Anstelle der üblichen Formel „und er starb“ (vajamot) wie bei den anderen Urvätern vor ihm und nach ihm, steht, dass er nicht mehr da war, da Gott ihn aufgenommen hatte (laqach). All dies ist willkommener Nährboden für einen Himmelsreisenden Henoch. Der Anfang des Buchs der Wächter behandelt die Frage, wie das Böse in die Welt gekommen ist. Gefallene Engel vermischen sich mit den Menschen und lehren sie Kriegswerk, Magie und andere Künste. Die Grundidee lässt sich aus Genesis 6,1 – 5 ableiten: Als sich die Menschen über die Erde hin zu vermehren begannen und ihnen Töchter geboren wurden, 2 sahen die Gottessöhne (bne elohim), wie schön die Menschentöchter waren, und sie nahmen sich von ihnen Frauen, wie es ihnen gefiel. 3 Da sprach der Herr: Mein Geist soll nicht für immer im Menschen bleiben, weil er auch Fleisch ist; daher soll seine Lebenszeit hundertzwanzig Jahre betragen. 4 In jenen Tagen gab es auf der Erde die Riesen, und auch später noch, nachdem sich die Gottessöhne mit den Menschentöchtern eingelassen und diese ihnen Kinder geboren hatten. Das 6,1

226    12  Auslegungstechniken und -themen sind die Helden der Vorzeit, die berühmten Männer. 5 Der Herr sah, daß auf der Erde die Schlechtigkeit des Menschen zunahm und daß alles Sinnen und Trachten seines Herzens immer nur böse war.

Der Autor dieser biblischen Zeilen scheint nicht-biblische Traditionen zu kennen, auf die er anspielt, ohne sie auszuführen. Das Buch der Wächter enthält zahlreiche mythologische Traditionen, von denen einige auch sehr alt sein können. Die Zusammenhänge der anderen henochischen Kompositionen mit biblischen Texten ist nicht immer so klar wie beim Buch der Wächter, aber das Astronomische Henochbuch (s. u. Wissenschaft, S. 348 f) kann z. B. mit der Schöpfung der Himmelslichter in Genesis 1,14 – 19 in Verbindung gebracht werden. Das aramäische Buch der Giganten war eines der am meisten Buch der Giganten kopierten Bücher unter den Qumranrollen und zwar in acht bis neun Handschriften (1Q23, 1Q24?, 2Q26, 4Q203, 4Q206a, 4Q530, 4Q531, 4Q532, 6Q8). Normalerweise separat überliefert, war eine Kopie (4Q203) vielleicht Teil einer henochischen Sammelhandschrift (4Q204). Das Buch der Giganten ist außerhalb von Qumran aus mittelalterlichen manichäischen Handschriftenfragmenten in verschiedenen zentralasiatischen Sprachen bekannt. Wie das Buch der Wächter rankt es sich um Henoch und die vorsintflutlichen Giganten/Gefallenen Engel, ihre Missetaten und Bestrafung, verwendet aber auch mehrere Elemente des altbabylonischen Gilgamesch-Epos, u. a. die Namen Gilgamesch und Humbaba/Huwawa/Chobabisch. Aramäisches Levi Die erhaltenen Teile des Aramäischen Levi Dokuments (ALD) Dokument (ALD) behandeln das Leben Levis, Sohn Jakobs und Bruder Dinas und Josephs (Gen. 34 – 37), dem Urvater der Priester und Leviten. Das besondere Interesse des ALD gilt Details der Priesterkult-Halakha und ihrer Weitergabe von Noah bis zu Levi und seinen Söhnen. Wie das Jubiläenbuch und die Tempelrolle propagiert auch das ALD einen 364-Tage-Kalender, allerdings unpolemisch.

ALD

Durch zwei in der Kairoer Geniza gefundene Fragmente (Cambridge, T.-S. 16.94 und Oxford, Bodleian Ms Heb c 27 f 56), zwei lange Zusätze in einer griechischen Handschrift des Testaments Levi aus den Testamenten der Zwölf Patriarchen in einem Manuskript des Athos-Klosters (Koutloumousiou 39) und ein Zitat in einer syrischen Anthologie (British Library Add. 17.193 f 71r) waren Teile des ALD schon vor der Entdeckung der Qumranrollen bekannt. Jüngst ist ein drittes Fragment unter den Genizatexten entdeckt worden. Alle Genizafragmente stammen vom gleichen Kodex. In Qumran wurden Fragmente von mindestens sieben Kopien entdeckt (1Q21, 4Q213, 4Q213a, 4Q213b, 4Q214, 4Q214a, 4Q214b). Zwei weitere Qumrantexte über die Vorfahren des Urpriesters Levi sind mit ALD verwandt: das Testament Qahats (4Q542) und die Visionen Amrams (4Q543 – 4Q549).

12.3  Quellen biblischer Bücher?    227

ALD gilt als frühes Werk aus dem späten vierten, dritten oder frühen zweiten vorchristlichen Jahrhundert und ist eine der Quellen des Jubiläenbuchs und des Testaments Levis (einem Teilbuch der sogenannten Testamente der Zwölf Patriarchen). Vielleicht wird es von der Damaskusschrift zitiert (CD iv 15). Wenn ALD dem Jubiläenbuch als Quelle dient und in einer Schrift des Jachad als Autorität zitiert wird, hatte es zumindest für einige einen autoritativen Stellenwert. Auch die relativ hohe Anzahl von mindestens sieben Schriftrollen spricht dafür. Wir werden es im Abschnitt über Halakha näher besprechen (S. 381 f).

12.3 Quellen biblischer Bücher? Das jüngste Buch im MT ist das Buch Daniel, von dem Teile die Ereignisse um Antiochus Epiphanes Mitte des zweiten Jahrhundert v. Chr. reflektieren. Einige Qumranrollen stehen in enger Verbindung mit Daniel und sind 4QPseudo-Daniel (4Q243, 4Q244, 4Q245, vgl. auch 4Q246) und 4QFour Kingdoms (4Q552, 4Q553, 4Q553a) genannt worden. Es handelt sich hier um „Spin-Off“Texte, die bei Daniel bezeugte Ideen weiterentwickelt haben. Eine andere Qumranrolle, Gebet des Nabonid (4Q242), hingegen könn- Gebet des Nabonid te nach einigen Forschern sogar eine der Quellen für Dan. 4 sein oder zumindest ein traditionsgeschichtlicher Vorläufer. In Dan. 4 deutet Daniel einen Traum des babylonischen Königs Nebukadnezzar: er werde sieben Jahre lang wie ein Tier verstoßen leben und erst wieder in die Gesellschaft aufgenommen werden, wenn er Gottes Herrschaft anerkennt und ihm seine Sünden vergeben werden. Kurze Zeit später wird dies Realität. Als Hintergrund dieser Erzählung galten schon lange Berichte über den letzten babylonischen König Nabonid (556 – 539 v. Chr.), der sich jahrelang in die arabische Oase Teima zurückgezogen hatte. In 4Q242 vermuten nun zahlreiche Exegeten, ein Zwischenglied gefunden zu haben. In dieser Schriftrolle erzählt der babylonische König Nabonid, wie er sieben Jahre lang krank in Teima weilte, bis ihm, anscheinend aufgrund eines Gebetes, die Sünden vergeben wurden, woraufhin ein jüdischer Seher ihn darauf hinweist, dass es Gott war, der ihn geheilt habe. Wenn diese Erklärung zutrifft, enthielt diese Qumranrolle die Vorstufe zu einem biblischen Werk. Ein etwas anders gelagerter Fall ist 4Q116, eine Gruppe von zwölf kleinen Fragmenten mit dem Gebet von Dan. 9. Einerseits ist 4Q116 zu kleinformatig, um das Danielbuch ganz enthalten zu haben. Auch weisen alle zwölf Fragmente nur Text aus einem einzigen Kapitel Daniels auf. Andererseits wurde schon vor den

228    12  Auslegungstechniken und -themen Qumranentdeckungen diskutiert, ob das Gebet komplett aus einer Quelle übernommen wurde. Ist 4Q116 eine Handschrift einer solchen Quelle? Vor der Veröffentlichung der letzten aramäischen Rollen kursierte die These, es gäbe auch Vorstufen zu Esther (4Q550a – e), doch haben diese „persischen Hoferzählungen“ (so der jetzige Titel) nur das Milieu, nicht aber ausreichend konkrete Details mit Esther gemeinsam. Bis auf weiteres bleiben also 4Q242 und 4Q116 Ausnahmen.

12.4 Pescharim und andere Kommentare Die hellenistische Epoche sieht die Geburt einer völlig neuen (schriftlichen) Textsorte in der Levante: des Kommentars, welcher Lemma (Bibelzitat) und Kommentar, Primär- und Sekundärebene oder Text und Metatext klar trennt. Kommentare bezeugen einerseits die große Wertschätzung ihres Quellentextes bis hin zum Wortlaut, andererseits den Bedarf, Stellen, die durch geographische, chronologische, ideologische oder sprachliche Entfernung dunkel oder zweideutig geworden sind, erklären zu müssen. Der Quellentext kann nicht mehr einfach durch Umschreibung und Aktualisierung angepasst werden. Er hat einen anderen Status erhalten. Kommentare sind aus Mesopotamien im zweiten Jahrtausend v. Chr. bekannt. Auf Griechisch ist das früheste erhaltene derartige Werk der sogenannte Derveni-Papyrus aus dem fünften Jahrhundert v. Chr., eine allegorische Interpretation eines orphischen Orakels. In Mode scheint diese Textsorte aber erst in der hellenistischen Zeit zu kommen. Unter den heute noch bekannten jüdischen Autoren Alexandriens haben Demetrios und Aristobulos im dritten und zweiten Jahrhundert v. Chr. exegetische Traktate geschrieben. Dies waren aber noch keine echten biblischen Kommentare im eigentlichen Sinne, d. h. Kommentare, die ein Werk Vers für Vers erklären. Für derartige Kommentare finden wir unter den Qumranrollen die ältesten Beispiele in der jüdischen Welt, gefolgt von Philon von Alexandrien (1. Jh. n. Chr.). Die wichtigste und bekannteste Form des Kommentars in den Qumranrollen ist der sogenannte Pescher. Pescher ist ein aramäisches Lehnwort für „Deutung“, insbesondere „Traumdeutung“. Die hebräische Form wird in Kohelet 8,1 benutzt: „Wer ist hier gebildet? Wer kennt die Deutung eines Wortes (umi jodea pescher davar)?“ Auf Aramäisch erscheint es in Daniel 4,3: „Und ein Befehl wurde von mir erlassen, alle Weisen Babels vor mich zu bringen, damit sie mir die Deutung des Traums (peschar chelma) eröffneten.“

12.4  Pescharim und andere Kommentare    229

Ein verwandtes Wort im Hebräischen ist das in der Josephsgeschichte viel verwendete patar. Die jachadischen Pescher (pl. Pescharim) sind u. a. daran erkenn- Pescher bar, dass sie die einem Bibelvers folgende Erklärung jeweils mit dem Begriff pescher („Deutung“) oder pischro („seine Deutung“) einleiten. Nach ihrer Struktur unterscheidet man dabei zwei PescherFormen. Der exegetische Pescher deutet Vers für Vers den Bibeltext eines bestimmten biblischen Buchs (Jesaja, Zwölfpropheten, Psalmen). Der thematische Pescher hingegen basiert auf einer zu einer bestimmten Themenstellung passenden Bibelversgruppe. Der berühmte Melkizedekpescher (11Q13) zum Beispiel gruppiert um das eschatologische Jubeljahr Auslegungen von Lev. 25,13; Dtn. 15,2; Jes. 61,2; Ps. 82,1 – 2 etc. In der englischsprachigen Literatur werden beide Typen manchmal als „continuous“ vs. „thematic“ bezeichnet. Beide Kommentararten haben gemein, das Lemma (Bibelzitat) typologisch aktualisierend auf Personen und Ereignisse der Zeitgeschichte des Autors oder der nahen Zukunft zu deuten. Das heißt, ein Bibelvers gilt als Geheimbotschaft Gottes, für dessen ultimative Wahrheit erst der prophetische Ausleger den göttlichen Schlüssel bekommen hat. Der Ausleger ist somit Besitzer esoterischen Geheimwissens und sogar dem Autor des Bibelverses überlegen. Während Pescher als eigenständiges Genre bislang nur unter den jachadischen Texten Qumrans bekannt ist, ist Pescher als Auslegungstechnik nicht jachad-spezifisch. Wir finden sie auch in Jes. 9,13f oder Apg. 4,25 – 27. Der am besten erhaltene exegetische Pescher ist der Habakukpe- exegetischer scher (1QpHab), der zu den ersten entdeckten und veröffentlichten Pescher Rollen gehört und die beiden ersten Kapitel des kleinen Prophetenbuchs kommentiert. Von den zwölfeinhalb Kolumnen dieser Rolle in früh-herodianischer Schrift (spätes erstes Jahrhundert v. Chr.) fehlen nur zwei Halbkolumnen am Anfang und dann bei jeder Kolumne die zwei bis drei unteren Zeilen. Die Rolle ist also fast vollständig und kann dort, wo ihr etwas fehlt, oft relativ eindeutig rekonstruiert werden. Der Habakukpescher gibt explizit über seine Hermeneutik, den prophetischen Ausleger und die Lesersituation Auskunft: 1QpHab VII 1 Und Gott sprach zu Habakuk, er solle aufschreiben, was kommen wird 2 über das letzte Geschlecht. Aber die Vollendung der Zeit hat er ihm nicht kundgetan. 3 Und wenn es heißt: Damit eilen kann, wer es liest (Hab. 2,2), 4 so bezieht sich seine Deutung (pischro al) auf den Lehrer der Gerechtigkeit, dem Gott kundgetan hat 5 alle Geheimnisse der Worte seiner Knechte, der Propheten.

Gott hat Habakuk also nur die Hälfte offenbart, das „was“, aber nicht das „wann“. Dem Lehrer der Gerechtigkeit hingegen, der

230    12  Auslegungstechniken und -themen Figur, die wohl hinter dieser Auslegung steht, „hat Gott alle Geheimnisse der Worte seiner Diener, der Propheten kundgetan.“ Der inspiriert Ausleger ist also, ganz wie Habakuk, göttlich inspiriert. Inspirierte Exegese ist die Weiterentwicklung der Prophetie und göttliche Prophezeiungen werden nach dieser Anschauung durch Auslegungen offenbart. (Jassen) Die direkt auf den gerade zitierten Abschnitt folgende Passage informiert uns über die aktuelle Situation der damaligen Leser: Denn noch ist eine Schau 6 auf Frist, sie eilt dem Ende zu und lügt nicht. (Hab. 2,3) 7 Seine Deutung ist, dass (pischro ascher) sich die letzte Zeit in die Länge zieht, und zwar weit hinaus über alles, 8 was die Propheten gesagt haben; denn die Geheimnisse Gottes sind wunderbar. 9 Wenn sie verzieht, so harre auf sie, denn sie wird gewiss kommen, und nicht 10 wird sie ausbleiben. (Hab. 2,3) Seine Deutung bezieht sich auf (pischro al) die Männer der Wahrheit, 11 die Täter des Gesetzes, deren Hände nicht müde werden vom Dienst 12 der Wahrheit, wenn die letzte Zeit sich über ihnen hinzieht. Denn 13 alle Zeiten Gottes kommen nach ihrer Ordnung, wie er es ihnen festgesetzt hat, 14 in den Geheimnissen seiner Klugheit. (1QpHab VII 5 – 14, nach Lohse)

Die Leser warten offensichtlich auf das apokalyptische Eingreifen Gottes in die Weltgeschichte, das sich aber entgegen ursprünglichen Ankündigungen immer weiter hinauszögert. Die Auslegung mahnt zur Ausdauer und Treue trotz dieser geheimnisvollen Erlösungsverzögerung. Die Hermeneutik des Auslegers umfasst unterschiedliche Techniken. Die häufigste Form ist die typologische Gleichsetzung eines Nomens und/oder Verbs mit Personen und Aktionen der Gegenwart des Auslegers. Im Unterschied zur allegorischen Exegese wird bei der typologischen Auslegung nicht ein konkretes oder abstraktes Lemma mit abstrakten theologischen Ideen verbunden, um typologisch eine imaginäre Welt zu konstruieren. Typologisch heißt zunächst einmal, dass ein Textelement des Lemmas mit einem historischen Element (Figur, Tat, Ereignis) gleichgesetzt wird. Die typologischen Auslegungen können auf sehr unterschiedliche Weisen vom Lemma abgeleitet werden: Zumindest an einer Stelle ist es möglich, dass der Ausleger damit spielt, midraschartig Konsonanten einer Wortgruppe des Lemmas in der Auslegung anders vokalisiert zu unterschiedlichen Worten zusammenzusetzen: wetzur lemokhicho („und, Fels, zu seinem Züchtiger“) (1QpHab V 1) wird zu betzar lamo khi hu („als sie in der Trübsal waren. Denn das“) (V 6). Mehrfach­ Ideengeschichtlich höchst interessant ist die Präsenz von Mehrdeutungen fachdeutungen, d. h. dass ein und dasselbe biblische Wort in ein und demselben Kommentar mehr als eine einzige Auslegung haben

12.4  Pescharim und andere Kommentare    231

kann. Dies sieht man besonders deutlich in einer Passage relativ zu Anfang des Habakukpeschers. [Schaut auf die Völker/Abtrünnigen (hebr. bagojjim oder bogdim) und sehet] 17 [und starrt einander an, erstarret. Denn er wirkt ein Werk in euren Tagen. Ihr glaubt es nicht, wenn [Col. II 1] es verkündet wird. (Hab. 1,5) [vacat] [Die Deutung des Wortes bezieht sich auf (pescher hadavar al)] die Abtrünnigen zusammen mit dem Mann 2 der Lüge; denn nicht [haben sie gehört auf die Worte] des Lehrers der Gerechtigkeit aus dem Munde 3 Gottes; (es bezieht sich auch) (weal) auf die Abtrün[nigen von dem] neuen [Bund]; [de]nn n[i]cht 4 haben sie an den Bund Gottes geglaubt [und haben entweiht] seinen [hei]ligen [Na]men. 5 Und ebenso bezieht sich die Deutung des Wortes (wekhen pescher hadavar al) [auf alle Ab]trünnigen am Ende 6 der Tage. Sie sind die Gewalt[tätigen am B]unde, die nicht glauben, 7 wenn sie alles hören, was kom[men wird über] das letzte Geschlecht, aus dem Munde 8 des Priesters, in [dessen Herz] Gott [Einsicht] gegeben hat, um zu deuten alle 9 Worte seiner Knechte, der Propheten, [durch] die Gott verkündigt hat 10 alles, was kommen wird über sein Volk und [sein Land. (1QpHab I 16 – II 10, nach Lohse)

Wiederum erscheint hier der Gedanke einer göttlich inspirierten Einsicht des „Priesters“, die ihm – ihn selbst zum Propheten machend – ermöglicht, die Propheten richtig zu deuten. Drei voneinander verschiedene Gruppen werden nachzeitig als bogdim (Abtrünnige) bezeichnet und mit dem Wort im Lemma gleichgesetzt: die Abtrünnigen mit dem Mann der Lüge die Abtrünnigen von dem neuen Bund die Abtrünnigen am Ende der Tage Das gleiche Wort kann also prophetisch auf unterschiedliche historische Pendants hinzeigen. Leider fehlt ausgerechnet das entscheidende Wort des Lemmas, bogdim oder bagojjim, im Text. Im MT steht hier bagojjim, was sehr leicht als Lesefehler von bogdim zu erklären ist (‎‫‏בגדים – בגוים‏‬‎). In der LXX ist das Wort mit hoi kataphronêtai übersetzt worden, was zwar nicht unbedingt identisch mit bogdim ist, ihm allerdings in der Bedeutung viel näher steht als bagojjim. Insofern ist diese Passage einer der Fälle, wo wir in Erwägung ziehen müssen, den MT nicht auf der Basis eines Bibeltextes zu korrigieren, sondern aufgrund einer Auslegung.

Im Layout folgt dem Lemma normalerweise ein vacat und dann die Deutung des Peschers. Vom Pescher geht es aber übergangslos zum nächsten Lemma. Wenn für die Trennung von Deutung und Bibeltext keine Lesehilfe eingesetzt wurde, kann man daraus vielleicht ableiten, dass der Text dieser ausgelegten Bücher Lesern mehr oder minder auswendig bekannt war. Neben dem Habakukpescher gibt es mehrere Jesajapescharim und einen relativ gut erhaltenen Nahumpescher, einen Pescher zu

232    12  Auslegungstechniken und -themen

thematische Pescharim

Melchizedekrolle

4Q176 / 4QTanh. umim

Pescherexegese integriert in ­Schriftrollen

Psalm 37 sowie kleine Fragmente eines Hoseapeschers, Michapeschers und Zefanjapeschers. Ein zentrales Charakteristikum der jachadischen Literatur und daher auch der Pescharim ist die konsequente Verwendung von Decknamen wie „Lehrer der Gerechtigkeit“ oder „Frevelpriester“ für die positiven und negativen Protagonisten. Ganz selten werden echte Namen verwendet. Ein Beispiel dafür ist der Nahumpescher (4QpNah frg. 3 – 4 i 1 – 4) (s. u. S. 266–268). Exegetische Pescharim gibt es nur zu Schriften, die als prophetisch galten – neben Jesaja und den Zwölfpropheten auch Psalmen. Wenn wir nun die Phänomene Pescher und Rewritten Scripture vergleichen, können wir feststellen, dass es zu den prophetischen Büchern mit Rewritten Scripture (Jeremia; Ezechiel; Daniel) keine Pescharim gibt und umgekehrt. Woran dies liegt, ist noch ungeklärt. Eine anders strukturierte Kommentarart, die jedoch die gleichen hermeneutischen Prinzipien und exegetischen Termini verwendet, sind die thematischen Pescharim. Diese nehmen nicht einen Bibelabschnitt, sondern ein Thema (Jubeljahr, Eschaton, Trost) zum Ausgangspunkt. Zu ihnen zählen die Melchizedekrolle (11Q13), 4QTanḥumim (4Q176), der Pescher der Zeiten / Ages of Creation (4Q180 – 181) sowie der Midrasch zur Eschatologie (4Q174 = Florilegium, 4Q177 = Catena A, vielleicht auch 4Q178, 4Q182 und 4Q183). Das eigentliche Thema der Melchizedekrolle scheint das Jubeljahr zu sein, zu dem die verschiedensten Passagen zusammengetragen worden sind. Gleichermaßen deutet der eschatologische Midrasch eine Fülle von Versen aus allen Teilen der Bibel zum Eschaton, den letzten Tagen der Welt (acharit hajamim). 4Q176 / 4QTanḥumim ist eine Anthologie verschiedener Bibelverse zum Thema Trost, hauptsächlich aus Deutero-Jesaja (Jes. 40 – 55), aber auch aus Sacharja, in der zudem einige Kommentare eingestreut sind, die u. a. den Terminus Pescher erwähnen. Pescherexegese findet sich in Qumran auch integriert in Schriftrollen, die nicht primär exegetisch sind. Zum Beispiel in der Damaskusschrift: Und in allen diesen Jahren wird 13 Belial losgelassen sein gegen Israel, wie Gott durch den Propheten Jesaja, den Sohn 14 des Amos, gesprochen hat: Grauen und Grube und Garn über dich, Einwohner des Landes (Jes. 24,17). Seine Deutung (pischro) bezieht sich auf die drei Netze Belials, von denen 15 Levi, der Sohn Jakobs, gesprochen hat, 16 dass er damit Israel fängt, und die er vor sie gestellt hat als drei Arten 17 von Recht: die erste ist die Unzucht, die zweite der Reichtum, die dritte 18 die Befleckung des Heiligtums. Wer dem einen entkommt, wird vom anderen gefangen, und wer daraus errettet wird, der wird 19 von diesem gefangen. (CD iv 12 – 19, vgl. auch unten Jachad, S. 312 f). 12

12.5 Hilfsschriften    233

Die drei von Jesaja genannten Gefahren – Grauen, Grube und Garn (pachad, pachat, pach) – werden mit drei Netzen Belials gleichgesetzt – Unzucht, Reichtum und Befleckung des Heiligtums (znut, hon, time hamiqdasch) – mit welchen er Israeliten verführt. Unter den Qumranrollen gibt es noch andere Kommentare als reine Pescharim. Dazu gehören vier Genesiskommentare Genesiskommenta(4Q252 – 254) und ein Malachikommentar (4Q253a). 4Q252 ist re (4Q252 – 254) ein aus unterschiedlichen Quellen kompilierter Kommentar zu ausgewählten exegetischen Problemen in Genesis 6 – 49. Die hermeneutischen Prinzipien wechseln dabei von Fall zu Fall: Mal wird Pescherexegese angewendet (4Q252 IV 5), mal Rewritten Scripture mit zusätzlichen Details wie präzisen Datumsangaben (I 1 – II 5). Wie im Genesisapokryphon und im Jubiläenbuch wird auch hier erklärt, dass/warum Noah Kanaan anstelle von Ham verflucht (II 5 – 8; vgl. Gen. 9,20 – 27).

12.5 Hilfsschriften Einige wenige Fragmente scheinen die Überreste von exegetischen Hilfsschriften zu sein. Die bekannteste ist die schon sehr früh veröffentlichte 4Q175 / 4QTestimonia, eine Zusammenstellung von vier offensichtlich messianisch gedeuteten Passagen (SP Ex. 20,21 = Dtn. 5,28f u. Dtn. 18,18f; Num. 24,15 – 17; Dtn. 33,8 – 11; Apokryphon Josuas [vgl. 4Q379 frg 22 ii]). Der Name Testimonia stammt von einer im frühen Christentum gebräuchlichen Anthologie für kommentarlose Zusammenstellungen von vor allem als messianisch verstandenen Bibelversen, auf Deutsch gewöhnlich Testimoniensammlung. Einige wenige antike christliche Exemplare sind in griechischen Papyri belegt (z.B. P. Oxyrhynchus 73.4933 und P. Rylands 3.460), die erste vollständige lateinische Testimoniensammlung sind die Testimoniorum libri tres ad Quirinium des Kirchenvaters Cyprian im dritten Jahrhundert. Dass viele Kirchenväter Testimoniensammlungen als Grundlage für ihre Werke benutzten und nur selten selbst direkt die biblischen Passagen neu zusammenstellten, war schon lange vermutet worden. 4Q175 belegt, dass diese Praxis im vorchristlichen hebräischen Judentum nicht unbekannt war. 4Q339 / Liste Falscher Propheten ist eine gemischt hebräischaramäische Liste von Pseudopropheten. Sie beginnt mit Bileam dem Sohn Beors (Num. 22 – 24) erwähnt auch Hananja den Sohn Azurs sowie Johannes den Sohn Simons, d. h. Johannes Hyrkanus, wenn diese stark rekonstruierte Lesart richtig ist. Bis auf den letzten Namen finden sich alle anderen in Jeremia (MT Jer. 28 u. 29,21 – 32 (LXX Jer. 35 u. 36,21 – 32).

4Q175 / 4QTestimonia

4Q339 / Liste Falscher Propheten

234    12  Auslegungstechniken und -themen 4Q559 / Biblische Chronologie

Der priesterliche Autor von 4Q559 / Biblische Chronologie hat eine Liste von Daten biblischer Ereignisse erstellt. Derartige Versuche gibt es auch bei Demetrios von Alexandrien im dritten Jahrhundert v. Chr., im Jubiläenbuch und in den Genesiskommentaren (4Q252 – 254) sowie in der frühen rabbinischen Literatur (Seder Olam Rabba) und bei den christlichen Chronographen.

12.6 Übersetzungen

Übersetzungen der Tora

Epistel des Jeremia

Epistel Henochs

8HevXIIgr

kaige-Rezension

Jede Übersetzung ist immer auch eine Interpretation. Unter den Qumranrollen gibt es auch eine größere Anzahl griechischer und aramäischer Fragmente. Von den griechischen Fragmenten, die nicht zu klein sind, um eindeutig identifizierbar zu sein, repräsentieren fünf Fragmentengruppen (4Q119 bis 4Q122 und 7Q1) unterschiedliche Übersetzungen der Tora ins Griechische. Allerdings unterscheiden sie sich vom Text der LXX. Trotz ihres etwas irreführenden Namens stehen 4Q119 (= 4QLXXLeva) und 7Q1 (7QpapLXXEx) näher am MT als an der LXX! Andere Texte (z. B. 4Q121) bezeugen eine an den MT angeglichene Version der LXX. Die Fragmentengruppe 4Q127 gehört zu einem bislang unbekannten Werk, das Exodus nahe stand. Ein weiteres griechisches Fragment gehörte zur Epistel des Jeremia (7Q2), einem wahrscheinlich auf Hebräisch verfassten Buch, welches (auf Griechisch) in die LXX aufgenommen worden ist. Hebräische Fragmente sind bislang nicht gefunden worden. Wahrscheinlich ist eine Gruppe von winzigen Fragmenten aus Höhle 7 (7Q4, 7Q8, 7Q11 – 14) mit einer griechischen Fassung der Epistel Henochs, die heute Teil des 1. Henoch ist, zu identifizieren. Besonders wichtig ist textgeschichtlich eine griechische Schriftrolle von einer anderen Fundstätte am Toten Meer, die große Zwölfprophetenrolle aus Nahal Hever (8HevXIIgr). Sie bezeugt eine frühe Revision der LXX, die den Text an den MT angleicht. Bis zur Veröffentlichung dieser Schriftrolle war das Aufkommen derartiger Revisionen oft als antichristliche Reaktion gedeutet worden. Aus folgendem Grund wird sie kaige-Rezension genannt: Während hebr. ve wie sonst auch einfach mit kai wiedergegeben wird, übersetzt sie ein weiteres hebräisches Wort für „und/auch“ hebr. gam unidiomatisch und stereotyp mit griech. kai ge. Da sich dieses Phänomen auch bei Theodotion findet, spricht man oft von der kaige-Theodotion-Rezension oder Proto-Theodotion. (s. o. S. 195). Zwei unterschiedliche aramäische Übersetzungen von Job (4Q157, 11Q10) und ein aramäischer Levitikustext (4Q156) wer-

12.6 Übersetzungen    235

den gewöhnlich als Targume oder Targumim bezeichnet. Dies ist Targume weiter zu präzisieren, da Targume äußerst unterschiedliche Übersetzungs- und Erklärungstechniken anwenden können, auf der ganzen Bandbreite von relativ wörtlich (z. B. Targum Onkelos) bis zu midraschartig expansiv (z. B. Targum Jeruschalmi). Die beiden Job-Targume bleiben nah an ihren hebräischen Vorlagen, ohne Job-Targume größere Glossen, sind also der Septuaginta, der Vulgata oder der Peschitta ähnlicher als dem Targum Jeruschalmi. Der dritte Levitikus-„Targum“ ist vielleicht gar keiner, da diese Schriftrolle zwar mit einer aramäischen Übersetzung von acht Versen von Levitikus 16 (vv. 12 – 15 und 18 – 21) abschloss, doch nicht einmal Levitikus 16 ganz, geschweige denn das ganze Buch enthielt. Schließlich ist noch zu erwähnen, dass von den fünf Tobitrollen eine in hebräischer und vier in aramäischer Sprache geschrieben sind, wobei weiter umstritten ist, in welcher Sprache Tobit ursprünglich einmal abgefasst worden war. Die in Qumran gefundenen Targume haben abgesehen von der Zielsprache nichts mit den späteren jüdischen Targumen gemein. Man hätte sie auch schlicht Übersetzungen ins Aramäische nennen können. Zusammenfassend kann man sagen, dass autoritative Schriften Auslegung brauchen, um ihre Aktualität zu bewahren. Eine weit verbreitete und schon innerbiblisch dokumentierte Strategie ist die Überarbeitung gewisser Abschnitte oder ganzer Bücher (Rewritten Scripture). Hierzu gehören beispielsweise das Genesisapokryphon, Jubiläenbuch und die Tempelrolle, aber auch Pseudo-Ezechiel und das Apokryphon Jeremias C. Der Übergang von Rewritten Scripture zu Reworked Scripture ist fließend (vgl. z. B. 11QPsa), doch kann man bei ersterer zumeist die Tendenz feststellen, der Vorlage eine neue Rahmenhandlung zu geben. Daneben werden biblische Figuren und Thematiken oft zum Ausgangspunkt neuer Schriften, wie eine Art Spin-Off. Hierzu zählen beispielsweise ALD und die im 1. Henoch versammelten Schriften wie das Buch der Wächter, aber auch die danielische Literatur Qumrans. Viele von ihnen stellen Vorgeschichten zu biblischen Episoden (Prequels) oder Weiterführungen (Sequels) dar. Eventuell haben wir in 4Q116 und 4Q242 Beispiele für Schriften, die einem biblischen Buch, Daniel, als Quelle gedient haben. In Qumran ist unter den jachadischen Texten der Pescher die häufigste und bekannteste exegetische Form. Sie deutet autoritative Texte prophetisch auf die Figuren und Ereignisse der Gegenwart des Autors, der sich selbst als Prophet versteht. Exegetische Pescharim folgen dabei einem biblischen Buch Vers für Vers, während thematische Pescharim unterschiedliche zu einem Thema zusammengestellte Bibelverse auslegen. Die hermeneutischen Regeln sind äußerst

236    12  Auslegungstechniken und -themen vielfältig und in ihren Gemeinsamkeiten und Unterschieden zur rabbinischen Hermeneutik komplex. Andere exegetische Schriften (z. B. 4Q252) bezeugen Mischformen von Rewritten Scripture und Pescher. Einige Handschriften dokumentieren Hilfsschriften der Exegeten. Schließlich wurden in Qumran auch einige Übersetzungen meist biblischer Texte gefunden, und zwar ins Griechische und Aramäische. Auch wenn sie LXX oder Targum in ihrem Namen tragen, sind ihre Gemeinsamkeiten mit LXX bzw. rabbinischen Targumim oberflächlich.

Teil 4:

Der Jachad: Quellen, Organisation und Religion der Bibliotheksbesitzer Im zweiten Teil haben wir sprachliche, formelle und inhaltliche Kriterien für die Unterscheidung zwischen jachadischen und nichtjachadischen Texten vorgestellt und sind auf die damit verbundenen methodologischen Schwierigkeiten eingegangen. Der folgende Teil mit seinen fünf Kapiteln zu Quellen, Organisationsformen, Geschichte, Ritualen und Ideologie beruht auf einer Analyse derjenigen Texte, deren jachadische Autorschaft allgemein anerkannt wird. Es handelt sich um die Damaskusschrift, die Gemeinschaftsregel, die Gemeinderegel, die Hymnenrolle, die Kriegsregel, Berakhot, die Pescharim sowie einige Einzelstücke eindeutig jachadischer Autorschaft, die teilweise schon im dritten Teil dieses Lehrbuchs angesprochen worden sind (z. B. 4Q175). Auch wenn die jachadische Autorschaft weiterer Texte diskutiert wird, soll die Analyse des Jachad in erster Linie von den universal anerkannten Quellen ausgehen.

13.1  Die Damaskusschrift (D) (Zadokidisches Werk)    239

13 Die Quellen des Jachad

Siehe auch Dimant, García Martínez, Lange, Schofield in Kapitel 9 sowie Regev in Kapitel 14. Duhaime, Jean, The War Texts, London 2004. Golb, Norman, „Who Were the Maġārīya?“, Journal of the American Oriental Society 80 (1960) 347 – 359. Hempel, Charlotte, The Damascus Texts, Sheffield 2000. Hempel, Charlotte, The Laws of the Damascus Document, Leiden 1998. Hempel, Charlotte, The Qumran Rule Texts in Context, Tübingen 2013. Hempel, Charlotte, Multiförmigkeit und Verbindlichkeit: Serekh ha-Yachad in Qumran. In: Becker, Michael/Frey, Jörg (Hgg.), Qumran und der biblische Kanon, Neukirchen-Vluyn 2009, 101 – 120. Harkins, Angela Kim, „Observations on the Editorial Shaping of the Socalled Community Hymns from 1QHa and 4QHa (4Q427)“, Dead Sea Discoveries 12 (2005) 233 – 256. Harkins, Angela Kim, A New Proposal for Thinking about 1QHa Sixty Years after Its Discovery. In: Falk, Daniel/Metso, Sarianna/Parry, Donald/ Tigchelaar, Eibert. Texts from Cave 1 Sixty Years after Their Discovery, Leiden 2010, 101 – 134. Kratz, Reinhard, „Der Penal Code und das Verhältnis von Serekh ha-Yachad (S) und Damaskusschrift (D)“, Revue de Qumrân 25 (2011) 199 – 227. Metso, Sarianna, The Textual Development of the Qumran Community Rule, Leiden 1997. Metso, Sarianna, The Serekh Texts, London 2007. Schiffman, Lawrence, The Eschatological Community of the Dead Sea Scrolls, Atlanta 1989. Schuller, Eileen, „Recent Scholarship on the Hodayot 1993 – 2010“, Currents in Biblical Research 10 (2011) 119 – 162. Schultz, Brian, Conquering the World. The War Scroll (1QM) Reconsidered, Leiden 2009. Tov, Emanuel, Scribal Practices and Approaches Reflected in the Texts Found in the Judean Desert, Leiden 2004.

13.1 Die Damaskusschrift (D) (Zadokidisches Werk) Die Damaskusschrift trägt viele Namen: Damaskusschrift, Damascus Document, Cairo-Damascus (CD), Zadokite Work, doch immer handelt es sich um das gleiche Werk mit einer Mahnschrift am Anfang (etwa ⅓ des Werkes), gefolgt von mehreren Gesetzessammlungen (etwa ⅔ des Werkes). Es ist der einzige eindeutig jachadische Text, der lange vor der Entdeckung der Qumranrollen bekannt war: Salomon Schechter veröffentlichte 1910 zwei große Manuskriptblätter, die er in der Kairoer Geniza der Ben Ezra Synagoge entdeckt

240    13  Die Quellen des Jachad hatte (s. oben Entdeckungsgeschichte). Weil der Text an zentraler Stelle Zadokiten (bne tzadoq) (CD A iv 1.3; v 5; vgl. Ezechiel 44,15) erwähnt, verknüpfte Schechter diese Schrift mit den in zwei mittelalterlichen arabischen Sektenkatalogen (des Karäers Jaqub Qirqisani, 10. Jahrhundert, und Muhammad asch-Schaharastani, 11. – 12. Jahrhundert) erwähnten (jüdischen) „Zadokiten“ und nannte den Text „Fragments of a Zadokite Work“ (Fragmente eines Zadokidischen Werkes). Einige der bei Qirqisani und Schaharastani erwähnten Details zu dieser Gruppe stimmen in der Tat gut mit CD überein, andere sind problematischer (Golb). Heute verwenden die meisten den Titel Damaskusschrift nach dem Exilort, an den sich die dem Text zugrundeliegende Gruppe zurückgezogen haben soll (s. u., S. 278). (4Q266 – 273), In Qumran sind Fragmente von insgesamt zehn Rollen mit D5Q12 Texten gefunden worden: 4QDa – h (4Q266 – 273), 5Q12 und 6Q15. 6Q15 Obwohl erst in den Höhlen 4, 5 und 6 Fragmente entdeckt wurden (nicht schon in Höhle 1), wurde CD schon vorher mit 1QpHab in Verbindung gebracht, denn beide Texte nennen sehr auffällige Termini (vor allem der Lehrer der Gerechtigkeit – more hatzedeq, Lügeneinträufler – metif hakazav).

Kodexfragmente CD A

CD B

Im Gegensatz zu den Qumranrollen handelt es sich bei den Genizafragmenten um Kodexfragmente (Codices), also um von beiden Seiten beschriebene und zu Lagen gefaltete Blättern, ähnlich wie bei einem modernen Buch. CD A (T.-S. 10 K 6) ist paläographisch auf das 10. Jahrhundert datiert worden. Der Konsonantentext wurde von späterer Hand teilweise vokalisiert. CD A hat zweimal vier Doppelblätter (d. h. 16 Seiten, durchnummeriert i – xvi) mit 21 – 23 Zeilen. Anfang und Ende fehlen. Daher sollte die römische Seitenzahl nicht mit Groß-, sondern mit Kleinbuchstaben angegeben werden. Die durchgehende Nummerierung täuscht, denn die zwei Blätter sind von unterschiedlichen Kopisten angefertigt worden. Manche sprechen daher von CD A1 und CD A2. Außerdem gibt es eine Lakune unbekannter Länge zwischen dem Ende der ersten Doppelblattgruppe in Kolumne viii und dem Beginn der nächsten Doppelblattgruppe in Kolumne ix. Schließlich hat sich später herausgestellt, dass die zweite Doppelblattgruppe (A2) ursprünglich eine andere Reihenfolge hatte, nämlich xv – xvi, ix – xiv. Man hat die Nummerierung trotzdem nicht geändert, damit die Verweise in der wissenschaftlichen Literatur verständlich bleiben. CD B (T.-S. 16 311) besteht aus einem einzigen großformatigen Doppelblatt (d. h. 2 Seiten, genannt Struktur nach Schechter  xix – xx). Es wird paläo  CD A  CD B  graphisch ins elfte oder Mahnschrift  A i – vii 6    zwölfte Jahrhundert   A vii 6 – viii 21    =  B xix 1 – 34  datiert. Die Blätter sind   B xix 34 – xx 34 Lakune      mit 34cm x 20 cm fast Halakha  A ix – xvi    doppelt so groß wie CD    

 

13.1  Die Damaskusschrift (D) (Zadokidisches Werk)    241 A (22 cm x 18 cm), größer als ein DIN-A4-Bogen. Eine Seite von CD B fasst etwa so viel Text wie zwei Seiten von CD A. Die Texte beider Handschriften überlappen. Dabei entspricht CD A vii 6 – viii 21 ungefähr dem Text von CD B xix 1 – 34. Es ist also keinesfalls so, dass CD B einfach die Fortsetzung von CD A wäre. CD xix und xx gehören vor CD xv – xvi, ix – xiv! Fotos sind im Internet zugänglich unter: http://cudl.lib. cam.ac.uk/view/MS-TS-00 010-K-00 006/1 (CD A1 und A2), http://cudl.lib.cam.ac.uk/ view/MS-TS-00 016 – 00 311/1 (CD B).

Das Studium der Damaskusschrift war bis in die 90er Jahre durch die Publikationsverschleppung der Fragmente aus Höhle 4 erschwert. Ihre Bedeutung besteht in dem umfangreichen Material, mit dem sie die beiden Geniza-Handschriften ergänzen. Die am besten erhaltenen Qumranfragmente stammen von einer einst eindrucksvollen Rolle, die ursprünglich einmal 32 Kolumnen mit je 25 Zeilen hatte (4Q266 = 4QDa), also etwa halb so lang wie Genesis und mehr als doppelt so lang wie 1QS. Die Fragmente enthalten viele neue halakhische Bestimmungen, was den halakhischen Charakter des Werkes ins Zentrum rückte und für die Geschichte der Halakha eine Goldgrube darstellt (s. u. S. 386–389). Außerdem war nun klar, dass die Reihenfolge der Seiten eines Genizadoppelblattes (A2) korrigiert werden musste (s. u. S. 243). Wie die Zeichnung unten verdeutlicht, ist das neue Material zum einen vor dem Anfang des Genizatextes einzuordnen (d. h. vor CD A i), zum anderen in der Lakune zwischen dem damals bekannten Ende der Mahnschrift (CD B xx) und dem Anfang der Gesetzessammlung (CD A xv) und schließlich nach dem damals bekannten Ende (CD A xiv). Man kann die Damaskusschrift in zwei Hauptabschnitte gliedern, die dann selbst noch weiter unterteilt werden können: 1. Eine Mahnschrift (engl. „admonition“) an die Söhne des Lichts mit Geschichtsüberblicken für die Zeit seit der Zerstörung des (Ersten) Tempels und Lehren aus der biblischen Geschichte (4QDa frg. 1,2 + 4QDb frg. 1 + 4QDc frg. 11 – 17 + CD A i – viii + CD B xix – xx + 4QDa 5 i 1 – 16). 2. Eine aus vier Blöcken zusammengesetzte Gesetzessammlung zu unterschiedlichen Themen. a. Ein kurzer, leider recht fragmentarischer Abschnitt „Gesetze für den Unterweiser“ (chuqim lamaskil) für den Ausschluss bestimmter Behinderter vom Priesteramt oder von der Toralesung (4QDa 5; 17 ff). b. Ein langer Abschnitt ist „Ordnung für die Siedlung der Städte Israels“ (serekh moschav arei jisrael) (4Q266 5 ii 14 – CD A xv – xvi, ix – xii 19) betitelt. Er enthält einerseits nicht-jachad-spezifische Halakha), wie Landwirtschaftsgesetzgebung, Haut- und Ausflusskrankheiten, die Regelung für die des Ehebruchs verdächtigte Frau (sota) und detaillierte Bestimmungen für den Schabbat. Ein anderer Teil der Anweisungen in diesem Abschnitt ist jachad-spezifisch, wie Regelungen

Publikationsverschleppung

zwei Hauptabschnitte Mahnschrift mit Geschichtsüberblicken Gesetzessammlung

Ordnung für die Siedlung der Städte Israels

242    13  Die Quellen des Jachad

Lagerordnung

Strafkatalog

für die Beitrittszeremonie (CD A xv 5 – xvi 6) und die Verwendung der gruppenspezifischen Nomenklatur („Unterweiser“ – maskil, „Lager“ – machane, „Aufseher“ – mevaqer) (4Q266 7 ii 6; 7 iii 3; CD A xv 8). Die Gesetze sind mit kurzen Zwischentiteln – z. B. „über den Schabbat“ (al haschabbat, CD A X 14) – thematisch in Blöcke geordnet (s. u. S. 384). c. Diesem Abschnitt folgt als ein besonderer Block eine Lagerordnung („Ordnung der Siedlung der La[ger]“, (serekh moschav hamacha[not], CD A xii 22 – xiv 18) mit Regeln für Jachad-Gruppen, die in Lagern um einen Aufseher (mevaqer) leben (CD A xii 22 – xiv 18). d. Daran schließt sich ein Strafkatalog an mit dem Titel „Auflistung der Rechtssätze“ (perusch hamischpatim) und zahlreichen wörtlichen Parallelen zur Gemeinschaftsregel (CD A xiv 18ff u. 4Q-Fragmente vgl. 1QS VI 24 – VII 25) sowie einer Beschreibung des Exkommunikationsritus in der jährlichen Bundeserneuerungszeremonie im dritten Monat (4Q266 11; 4Q270 7 ii). Sogar das ursprüngliche desinit (= Schlusssatz) midrasch hatora ha’acharon, also etwa „Eschatologische / endgültige Deutung der Tora“ (4Q270 7 ii 15 und vgl. 4Q266 11:20 – 21) (s. o. Exegese, S. 213 f), wird aufgeführt.

Wir werden uns die Mahnschrift im Abschnitt zur Geschichte des Jachad, S. 269–273 näher ansehen. Sie ist polemischer als die halakhischen Teile. Zentral für das Verständnis der Damaskusschrift ist die Beschreibung der Organisationsstruktur des Jachad in „Lager“ (machane, pl. machanot) unter Leitung jeweils eines „Aufsehers“ (mevaqer). Die Angehörigen leben mit Frauen und Kindern in Familien. Daher wird diese Gruppe oft mit der von Josephus (BJ 2,160f) beschriebenen zweiten Essenerart identifiziert, welche Eheschließung und Privateigentum erlaubt (s. o. S. 79 und unten S. 257). Die Damaskusschrift ist aus mehreren Quellen zusammengesetzt komplexe Redak- und hat eine komplexe Redaktionsgeschichte durchlaufen. Das ältionsgeschichte teste Exemplar (4Q266) wird paläographisch in den Anfang des ersten Jahrhunderts v. Chr. datiert. Der Tod des Lehrers der Gerechtigkeit wird erwähnt und liegt noch nicht 40 Jahre zurück (CD B xx 13 – 15). Das Werk muss also (je nach Datierung des Lehrers der Gerechtigkeit) im Zeitraum zwischen ca. 150 und 60 v. Chr. entstanden sein. Die meisten Forscher datieren die Redaktion der Quellen Damaskusschrift zwischen 130 und 90 v. Chr. Die Quellen der Damaskusschrift sind älter. Dazu gehören die Sammlungen nichtjachad-spezifischer Halakhot, die traditionsgeschichtlich teilweise mit der Tempelrolle verwandt sind (s. u. S. 295). Die genaue chronologische und soziologische Beziehung zur Gemeinschaftsregel bleibt kontrovers. Wir gehen darauf am Ende des Abschnitts zur Gemeinschaftsregel ein. Anders als für die Gemeinschaftsregel geben die Qumranfragmente der Damaskus-

13.2  Die Gemeinschaftsregel (S) und verwandte Texte (Sa und Sb)     243 Struktur nach Baumgarten / Milik / Stegemann    Mahn‐ schrift 

Halakha 

 

  Neu: Anfang      Neu: Überleitung  Neu: Gesetze für den Unterweiser   Städteordnung    Lagerordnung  Strafkatalog (vgl. 1QS VI 24 – VII 25)  Neu: Exkommunikationszeremonie,   Schluss 

CD A    CD A i – vii 6  CD A vii 6 – viii 21    ↔       CD A xv – xvi CD A ix 1 – xii 22  CD A xii 22 – xiv 18  CD A xiv 18 – 23   

CD B  4QDa    ← 4QDa 1–2 i    a   4QD 2 i – 3 iii    CD B xix 1 – 34 4QDa 3 iii – iv a CD B xix 34 – xx 34  4QD 4 1–8    ← 4QDa 4 9 – 5 i 17    ← 4QDa 5 i 17 – ii 14        4QDa 5 ii 14 – 9 ii    a   4QD 9 iii – 10 i      4QDa 10 i – ii    a ← 4QD 11   

schrift keine Hinweise auf unterschiedliche Editionen. Auch wenn im Großen und Ganzen der Text erstaunlich stabil ist, enthalten die Fragmente – neben dem neuen Material – einige wichtige variae lectiones zu den aus der Geniza bekannten Passagen. CD xi 14f verbietet zum Beispiel, den Schabbat in der Nähe von Nichtjuden zu verbringen, doch in einer Kopie der Damaskusschrift aus Höhle 4 fehlt diese Anweisung (4QDe = 4Q270 frag. 6 v 17 – 18). War die Gruppe hinter 4Q270 offener gegenüber Nichtjuden? War das Verbot nicht nötig, weil sie nicht in der Nähe von Nichtjuden wohnte?

13.2 Die Gemeinschaftsregel (S) und verwandte Texte (Sa und Sb) Die Gemeinschaftsregel (1QS, hebr. serekh hajachad) gehört zu den zuerst entdeckten Qumranrollen aus Höhle 1. Sie ist 1,86 m lang und 24,1 cm hoch. Ihre elf fast vollständigen Kolumnen mit je 26 – 27 Zeilen und relativ breitem Rand machen sie zu einem beeindruckenden Exemplar einer Rolle mit großem Schreibblock. Die Ähnlichkeiten ihrer Bestimmungen mit den bei Josephus erwähnten Details war einer der Hauptgründe der schnellen Identifizierung der Besitzer der Rollen mit den Essenern (s. o. S. 79 f). Die Rolle wurde früher auch als „Sektenregel“ bezeichnet und ist in der englischsprachigen Literatur als Rule of the Community bekannt, in der älteren Literatur als „Manual of Discipline“. 1QS umfasst als Sammelschrift ursprünglich getrennte Texte sehr unterschiedlicher Sammelschrift Genres. Sie kann folgendermaßen in eine Einführung mit sechs Einführung mit sechs Teilschriften Teilschriften gegliedert werden: 1QS I 1 – 15, eine Überschrift in Paragraphenlänge als Einführung in die Überschrift Ideale der Gemeinschaft. 1QS I 16 – III 12 beschreibt die Formeln der jährlichen Beitritts- (I 16 – II Bundeserneue18) und Bundeserneuerungszeremonie (II 19 – 25) (s. u. Riten). rungszeremonie

244    13  Die Quellen des Jachad

Zweigeisterlehre

Vereinsstatuten

Strafkatalog

Allgemeine ­Bestimmungen

Schlusspsalm

1QS III 13 – IV 26, auch Zweigeisterlehre genannt, ist ein theologischer Traktat zum Dualismus (s. u. S. 307–309). 1QS V 1 – VI 23 setzt neu eine „Ordnung (serekh) für die Mitglieder der Gemeinschaft (jachad)“ ein. Einige Handschriften der Gemeinschaftsregel aus Höhle 4 beginnen erst mit diesem Abschnitt (s. u.). In diesem Abschnitt finden wir ähnlich wie in Vereinsstatuten eine Präambel, einen Beitrittssschwur, eine Grundregel für das tägliche Leben untereinander („Gemeinsam (jachad) sollen sie essen, gemeinsam Lobsprüche sagen und gemeinsam sich beraten“ [VI 2 – 3]), aber auch ganz praktische Anweisungen für die Sitzungsordnung der Mitgliederversammlung (serekh lemoschav hajachad) und für das Gemeinschaftsmahl sowie die Aufnahmeregeln für Neuankömmlinge (s. u. S. 284–288, 296 f). 1QS VI 24 – VII 25 Mit „dies sind die Gesetze“ beginnt ein Strafkatalog zum Verhalten in der Gruppe mit Bestimmungen wie „Wer seinem Nächsten grollt ohne Grund, der soll mit sechs Monaten bestraft werden.“ (VII 8). Dieser Abschnitt ist eine Parallele zum Ende der Damaskusschrift (s. o.). 1QS VIII 1 – IX 25 Allgemeine Bestimmungen für die Zusammensetzung des Rates der Gemeinschaft und die Ideologie der in der Wüste abgesonderten Gruppe besonderer Heiligkeit (Jes. 40,3; 60,21) sowie allgemeine Anweisungen (chuqim) für eine Führungspersönlichkeit mit dem Titel maskil („Unterweiser“) (s. u. Organisation). 1QS IX 26 – XI 22 Überleitung und Schlusspsalm (ähnlich den Hymnen aus der Hymnenrolle).

Aus den Höhlen 4 und 5 stammen Fragmente von zehn oder elf weiteren Handschriften, (4Q255 – 264 = 4QSa – j, vielleicht auch 5Q11 = 5QS). Wie bei der Damaskusschrift waren die Existenz der Fragmente und einige ihrer Details durch einen Artikel von Jozef Milik schon lange bekannt, sie wurden aber erst sehr spät viele Kopien veröffentlicht (durch Géza Vermes und Philip Alexander). Die hohe Zahl der Kopien bezeugt wahrscheinlich die Wichtigkeit der Regel für die Besitzer der Bibliothek. Dabei ist zu beachten, dass keine der Kopien aus Höhlen 4 und 5 einen annähernd großformatigen Seitenspiegel, Kolumnenhöhe und Ränder wie 1QS aufweist. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass diese Rolle besonders hohe Autorität besaß. Im Unterschied zu den Qumranfragmenten der Damaskusschrift, die zwar viel neues Material enthielten, aber nur wenig neue Lesarten und keine Informationen über andersartige Rezensionen unterschiedliche lieferten, sind die Kopien der Gemeinschaftsregel aus Höhle 4 Rezensionen sehr divers. Es scheint stark unterschiedliche Rezensionen gegeben zu haben. Dies verschafft uns höchst interessante Einblicke in die Fluidität der Genese autoritativer Texte (s. o. Text und Redaktionskritik). Für zwei Rollen (4Q255 und 4Q257) enthalten die Fragmente nur Text der ersten Abschnitte (bis 1QS IV). Diese Papyrusrollen in relativ alter kursiver und semikursiver Schrift waren vielleicht

13.2  Die Gemeinschaftsregel (S) und verwandte Texte (Sa und Sb)     245

Privatkopien für die Vorbereitung auf die Bundeserneuerungszeremonie. In anderen Fällen fehlen gerade die ersten Abschnitte (z. B. 4Q258). Natürlich kann dies manchmal einfach an Zufälligkeiten liegen, nach denen Wind, Wasser, Nager und Insekten bestimmte Rollenteile völlig, andere nur teilweise zerstörten. Gerade Texte mit wenigen kleinen Fragmenten sind für derartige Auswertungen keine zuverlässigen Zeugen. Bei 4Q258 vermuten jedoch viele, dass diese Kopie nie die Abschnitte zu den Beitritts- und Bundeserneuerungszeremonien oder die Zweigeisterlehre enthalten hat, da der ersten Kolumne ein besonders breiter Rand ohne Nahtspuren vorangeht. Ob 4Q256 je den Strafkatalog enthielt, ist unklar. Fragmente sind nicht erhalten. Einige Rollen enthalten eindeutig andere Textkollagen. 4Q255 ist einer der seltenen Fälle, in denen eine Rolle beidseitig beschrieben worden ist („Opisthograph“, s. o. S. 34), in diesem Fall auf die Rückseite einer der Hymnenrolle ähnlichen Komposition (4Q433a). Statt des Schlusspsalms endet 4Q259 mit einem ausführlichen Kalendertext mit Bestimmungen zu den Dienstzeiten der Priesterfamilien (4Q319 Otot). Auch 4Q255, 4Q256, und 4Q262 sind Fragmente mit Text zugeordnet, der sich nicht in 1QS befindet, aber zu wenig umfangreich ist, um ihn eindeutig zu identifizieren. Viele Texte aus Höhle 4 sind zu fragmentarisch (4Q260 – 264, 5Q11) für Schlüsse auf die Genese der Gemeinschaftsregel. Bei ihnen ist unklar, welche Teile seit 68 n. Chr. verlorengegangen sind bzw. nie existiert haben. Doch werfen die längeren Texte (4Q256, 4Q258, 4Q259) und auch die Parallelen zur Damaskusschrift schwierige Fragen zu Text und Redaktionskritik auf. In 4Q258 fehlen nicht nur jegliche Parallelen zu 1QS I – IV, es ist auch der Wortlaut teilweise recht anders, oft kürzer. Die inhaltlichen Unterschiede sind alles andere als marginal. So spricht 1QS V von den „Söhnen Zadoks“, wo 4Q256 und 4Q258 ein eher demokratisch anmutendes Gremium der „Vielen“ (rabim) lesen. Zwei diametral entgegengesetzte Thesen versuchen die Redak- Redaktionstionsgeschichte der Gemeinschaftsregel zu erklären. Besonders in- geschichte teressant ist dabei die Tatsache, dass jüngere Manuskripte kürzer sind als 1QS. Eine Schule hält sich an das Alter der Schriftrollen. Die fast wörtlich gleichen Handschriften 1QS und 4Q255 sind in diesem Fall nicht nur die ältesten Kopien, sondern auch die älteste Textversion. Die jüngeren S-Texte aus Höhle 4, also vor allem 4Q256 und 4Q258, haben nach dieser Theorie den Langtext gekürzt (Alexander, Dimant). Andere sind der Meinung, dass 1QS trotz des höheren Alters der Schriftrolle textlich eine sekundäre Spätform repräsentiert (Vermes, Metso). Metso hält den zu 1QS V – IX parallelen Text in der Version

246    13  Die Quellen des Jachad 1QS Parallelen Alter

100 – 75 v. 1QS mit 1QSa, 1QSb

Schrift

semiformal

I – III 12

III 13–IV V 1–VI 23 26

VI 24–VII 25

Einführung Zwei­ und Bundes­ geistererneuerungs- lehre zeremonie

Ver­ haltensregeln

Straf­ katalog (vgl. D)

x

x

x

x

(x) (anders)

4Q255 4QSa

150 – 100 v. kursiv (Papyrus) (auf verso von 4Q433a)

x

4Q256 4QSb

50 – 25 v.

formal

x

4Q257 4QSc

100 – 75 v.

semiformal (Papyrus)

x

4Q258 4QSd

30 – 1 v.

formal

4Q259 4QSe

50 – 1 v.

semikursiv

4Q260 4QSf

30 – 1 v.

formal

4Q261 4QSg

50 – 1 v.

semikursiv

4Q262 4QSh

1 – 50 n.

semiformal

4Q263 4QSi

30 – 1 v.

formal

4Q264 4QSj

50 – 1 v.

formal

VIII 1– X8

X 9–XI 22 Schlusspsalm

x

x

x

x

x

x

x

x

x

fehlt! stattdessen 4Q319 Otot

x

x

x (kürzer) x

x (kürzer; Anfang dieses ms)

x

x

x x (1 fragm) x (1 fragm)

13.2  Die Gemeinschaftsregel (S) und verwandte Texte (Sa und Sb)     247 1QS Parallelen Alter

Schrift

I – III 12

III 13–IV V 1–VI 23 26

Einführung Zwei­ und Bundes­ geistererneuerungs- lehre zeremonie 5Q11

1 – 30 n.

formal

Ver­ haltensregeln

VI 24–VII 25

VIII 1– X8

Straf­ katalog (vgl. D)

x (sehr unsicher)

weitere verwandte Texte 1Q29a 4Q280

x (kürzer) x (Fluch, anderer Text)

11Q29 5Q13

eventuell verwandt paralleles Material

von 4Q258 für den Kern. Ihm wurden später Abschnitte voran(1QS I – IV) und nachgestellt (manchmal der Schlusspsalm, einmal 4QOtot). 1QS ist theologisch überarbeitet worden. Die Datierung von 4Q255 in die zweite Hälfte des zweiten Jahrhunderts v. Chr. und die Annahme einer beiden Textformen (einerseits 1QS und 4Q255, andererseits 4Q256 und 4Q258) gemeinsamen Vorlage, die vor der jetzigen Form von 1QS und 4Q255 mehrfach erweitert und überarbeitet worden ist, setzt eine längere Textgenese voraus, die vor der Ansiedlung des Jachad in Qumran stattgefunden haben muss. Wie lassen sich die inhaltlichen Unterschiede in den Regeln sozialhistorisch erklären? In ein und derselben Gemeinschaft können ja schwerlich gleichzeitig unterschiedliche Strafen für das gleiche Vergehen angewendet worden sein. Ein eher unwahrscheinlicher Vorschlag ist es, die Regeln als völlig theoretische Texte ohne jeglichen juristischen Sitz im Leben zu verstehen (Davies). Eine andere Theorie verortet jede Schriftrolle in einer eigenen Gruppe (Schofield). Aufgrund bestimmter theologisch bedeutsamer Erweiterungen in 1QS ist es nicht undenkbar, dass 1QS die Version für die Bewohner Qumrans darstellte. Allerdings existierten auch von vielen biblischen Texten

X 9–XI 22 Schlusspsalm

248    13  Die Quellen des Jachad

das Verhältnis der Gemeinschaftsregel zur Damaskusschrift

4Q265

1QSb 1QSa

simultan sehr unterschiedliche Textversionen. Einige Forscher sind aufgrund von lexikographischen Untersuchungen und rechtsgeschichtlichen Vergleichen zu dem Ergebnis gekommen, dass die Rechtsprechung hauptsächlich mündlich verlief und die unterschiedlichen Fassungen der Gemeinschaftsregel verschiedene Überlieferungsstadien dieser mündlichen Tradition reflektieren (Baumgarten). Eine weitere zentrale Frage ist das Verhältnis der Gemeinschaftsregel zur Damaskusschrift, vor allem in den parallelen Passagen des Strafkatalogs. Das (paläographisch) älteste Manuskript der Gemeinschaftsregel ist älter als die älteste Handschrift der Damaskusschrift. Einige halten die Gemeinschaftsregel für die ursprüngliche, strikte Form, aus der sich die gemäßigtere Organisationsform der in der Damaskusschrift bezeugten Gruppe abgeleitet hat (Regev). Die meisten hingegen sehen dieses Verhältnis genau umgekehrt. Dann spiegelt die Damaskusschrift die der Struktur der Ursprungsgruppe ähnlichere Form wider, und die Gemeinschaftsregel ist daraus abgeleitet (s. u. S. 262 f). Eine dritte These schlägt eine gemeinsame Quelle vor, da sich die Parallelen auf bestimmte Passagen beschränken (Hempel). Schließlich ist ein 4QMiscellaneous Rules oder 4QSerekh-Damaskus genannter Text zu erwähnen (4Q265), der Traditionen vermischt, die sich entweder nur in der Damaskusschrift oder nur in der Gemeinschaftsregel finden, und sogar pescherähnliche Auslegungsstücke enthält (dazu Hempel, Damascus). Viele Fragen warten hier noch auf weitere Klärung. In Höhle 1 sind zwei weitere Texte gefunden worden, die das gleiche Format wie 1QS aufweisen, vom gleichen Schreiber geschrieben worden sind, vielleicht mit 1QS zusammen eingerollt waren und oft für ursprüngliche Teile derselben Handschrift wie 1QS gehalten worden sind. Es handelt sich um die nur zwei Kolumnen lange Gemeinderegel (serekh ha‘eda, engl. Rule of the Congregation) (1QSa) und die fünf Kolumnen von 1QSb, Segenssprüche des Unterweisers für Mitglieder, Priester und Nasi. Die Gemeinderegel (1QSa) enthält Bestimmungen für die Ausbildung der Jugend und andere Altersbegrenzungen sowie Regeln für den Ausschluss von Behinderten und für ein messianisches Festmahl (s. u. S. 297). Unglücklicherweise verwenden viele Wissenschaftler (z. B. Lohses einflussreiche Übersetzung) die Namen von 1QS und 1QSa genau andersherum und bezeichnen 1QS als Gemeinderegel und 1QSa als Gemeinschaftsregel. Doch ist eda sicher besser mit Gemeinde und jachad besser mit Gemeinschaft zu übersetzen (wie es Lohse auch selbst getan hat). Es ist Zeit, sich in der deutschsprachigen Wissenschaft an die korrektere Namensgebung im Englischen anzupassen.

13.3  Hymnenrolle (H)    249

Die recht fragmentarischen Segenssprüche des Unterweisers (1QSb) segnen zunächst die gottesfürchtigen Jachad-Mitglieder (I 1 – III 21), dann die Priester (III 21 – V 10) mit einer stark ausgearbeiteten Form des aaronitischen Segens (Num. 6,24 – 26). Schließlich folgt ein Segen über den Fürsten der Gemeinde (nasi ha’eda) (1QSb V 11 – 29) auf der Basis von Jes. 11,2 – 5. Weder 1QSa noch 1QSb sind für andere Handschriften der Gemeinschaftsregel bezeugt, allerdings enthalten die winzigen kryptischen Fragmente 4Q249a – i eine oder mehrere Versionen der Gemeinderegel.

13.3 Hymnenrolle (H) Wie die Gemeinschaftsregel ist auch die Hymnenrolle (1QHa) eine Anthologie. Es handelt sich um ca. 30 Loblieder Gottes für die Anthologie Errettung aus Bedrängnis und die Übermittlung von Geheimnissen Loblieder Gottes (raz). Heute wird sie zumeist einfach mit ihrem neuhebräischen Namen „Hodayot“ bezeichnet, abgeleitet von den Anfangsworten vieler Hymnen „Ich lobe Dich / danke Dir“ (odekha adonai). Sie bestand ursprünglich aus 28 Kolumnen (sieben Bögen à vier Kolumnen, insgesamt etwa 4,5 m lang) und war die längste jachadische Komposition. Mit Hilfe der Fragmente aus Höhle 4 kann man für die Kolumnen 4 – 26 etwa 75 % des Textes ergänzen. Der Inhalt der ersten drei und der letzten beiden Kolumnen ist nur in groben Zügen bekannt. Mindestens zwei Schreiber schrieben diese Rolle (Übergang in XIX 25). Unabhängig voneinander haben Hartmut Stegemann und Émile Puech herausgefunden, dass in der (posthumen) Edition Sukeniks (1956) einige Spalten in die falsche Reihenfolge gebracht worden sind. Dies ist in der jüngst erschie- Reihenfolge nenen DJD-Edition von Hartmut Stegemann und Eileen Schuller berichtigt worden. Daher muss man bei allen Arbeiten immer genau verifizieren, ob sie Sukeniks alte oder Stegemanns/Schullers neue DJD-Nummerierung verwenden. Grobe Synopse für die unterschiedliche Spaltennummerierung von 1QHa Sukenik

Stegemann/Schuller

Differenz

I – XII



IX – XX

plus 8

XIII – XVI



V – VIII

minus 8

XVII



IV

XVIII



XXIII / XXI

XIX



XXIV / XXII

250    13  Die Quellen des Jachad

Zeilenzählung

reich an Theologumena

Gemeindelieder Lehrerlieder

Aufbau und Inhalt unterschiedlich

Allerdings ist zu beachten, dass diese Liste nur sehr ungenau weiterhelfen kann, da auch die Zeilenzählung von Spalte zu Spalte sehr variiert und dazu die Fragmente völlig verschieden nummeriert worden sind. Leider vermischen einige Editionen die neue Spaltenzählung mit der alten Zeilenzählung, darunter auch die Datenbank DSSEL. Die Zeilenzählung aller Ausgaben und Übersetzungen vor DJD 40 ist hiermit hinfällig. Zur Lokalisierung von älteren Zitaten sollte man gegebenenfalls die genaue Synopse in DJD 40 oder in der Studienausgabe von Schuller und Newsom konsultieren.

Die Hymnenrolle enthält keine Informationen zu Aufbau oder Regeln der Gruppe. Eventuelle Andeutungen zur Geschichte, die in der Frühzeit der Qumranforschung intensiv studiert wurden, bleiben für eine historische Analyse zu vage. Dafür ist die Hymnenrolle reich an dichterisch formulierten Theologumena. Aufgrund von Unterschieden in Stil und Theologie unterscheidet man gewöhnlich zwei Gruppen von Hymnen innerhalb dieser Anthologie: Gemeindelieder (1QHa I – VIII und XX – XXVI) und Lehrerlieder (1QHa X – XIX) in ihrer Mitte. Oft werden letztere auf den Lehrer der Gerechtigkeit zurückgeführt, weil sie individuelle Leiderfahrungen und Übermittlung von Geheimnissen erwähnen. Als nächster Schritt wurde dann vielfach nach biographischen Andeutungen gesucht. Man sollte dieser Zuschreibung mit Vorsicht begegnen. Die Verwendung der ersten Person Singular „ich“ ist auch in den Psalmen ein Stilmittel, um den Rezitierenden die Identifikation mit der im Psalm beschriebenen psychologischen Situation zu erleichtern. Allerdings enthält die Hymnenanthologie auch eine der sogenannten „Selbstglorifizierungshymne“ sehr ähnliche Hymne, die ein besonders ausgeprägtes Selbstbewusstsein des Autors insinuiert und kaum einem Durchschnittsmitglied in den Mund gelegt werden kann, es sei denn, das Mitglied wünscht den Gründer zu vergöttlichen (s. u. S. 306). 1QHa ist nicht das einzige Exemplar einer derartigen Hymnenanthologie. Sieben fragmentarische Exemplare sollen einmal in Höhle 1 (1QHb) und Höhle 4 (4QHa – f = 4Q427 – 4Q432) gelegen haben. Aufbau und Inhalt dieser Sammlungen waren unterschiedlich. Die Fragmente von 4Q427 enthalten nur Gemeindelieder, und ihre geringe rekonstruierte Länge (3,7 m) macht klar, dass diese Rolle nicht die gleiche Textmenge aufgenommen haben kann wie 1QHa. Außerdem zeigen die Fragmente, dass die Hymnen anders angeordnet waren als in 1QHa. 4Q428 hat keinen Paralleltext zur ersten Gemeindeliedersammlung (1QHa I – VIII). Enthielt sie nur die Lehrerhymnen und den zweiten Block der Gemeindelieder (Harkins, New Proposal)? 4Q429 wiederum hatte nur zwölf Zeilen pro Spalte und in ihrem Text finden sich nur zu 1QHa XIII – XIV (Lehrerlieder) Parallelen. Sie kann bei dieser geringen Höhe un-

13.3  Hymnenrolle (H)    251

möglich den gesamten Text von 1QHa geboten haben. Enthielt diese Rolle nur Lehrerlieder? Die anderen Rollen (auch 1QHb und 4Q430 bieten ausschließlich Lehrerlieder) sind zu bruckstückhaft, um zu Schlüssen bezüglich ihres Aufbaus zu gelangen. Die redaktionsgeschichtliche Deutung dieser Rollen wird weiter verkompliziert durch die Existenz von Fragmenten, die gar keinen Paralleltext zu 1QHa aufweisen. Vielleicht bieten sie Paralleltext zu den verlorenen Spalten von 1QHa, vielleicht auch Hymnen, die nie in 1QHa standen. Schließlich gibt es dazu noch relativ kümmerliche Überreste von vier Schriftrollen mit Hymnensammlungen, deren Stil der Hymnenrolle ähnlich ist, aber ohne Textparallele zu 1QHa oder 4QHa – f. Sie wurden daher nur als Hodayot-like Text A – D bezeichnet (4Q433, Hodayot-like Text 4Q433a, 4Q440, 4Q440a). Vielleicht ist auch ihr Text parallel A – D zu verlorenem Text von 1QHa. Einem dieser Texte (4Q433a, 4Q Hodayot-like Text B) sind wir schon kurz begegnet, da er als Opis­ thograph auf seiner Rückseite eine Kopie der Gemeinschaftsregel (4QSa = 4Q255) trägt (s. o. S. 245). Es sollte nun klar sein, dass man nicht von mehreren Abschriften „der“ Hymnenrolle sprechen kann. Vielmehr handelt es sich um unterschiedliche Anthologien von Dankpsalmen. Die eine Rolle mag nur einen Teil der Gemeindehymnen enthalten haben, die andere nur einen Teil der Lehrerhymnen. Die Anordnung wurde geändert. Wir sprechen eindeutig von einer fluiden Komposition (vgl. oben Teil 2 zu Psalmenrollen, S. 206 f). In diesem Fall kann man kein Kompositionsdatum nennen, das für alle Sammlungen gelten würde. 4Q427 und 4Q428 sind paläographisch – zu Beginn des ersten Jahrhunderts v. Chr. datiert, also vor 1QHa (ca. 30 v. Chr. – 30 n. Chr.), aber auch 4Q429 soll älter sein als 1QHa. Es ist daher wahrscheinlicher, dass kleinere Sammlungen in 1QHa vereinigt wurden, als dass ein Langtext wie 1QHa exzerpiert worden ist. Wahrscheinlich ist 1QHa auf Grundlage des Textes von 4Q429 und 4Q432 korrigiert worden. Von seinem Layout her gehört 1QHa zu den „de-luxe-Editionen“ mit besonders großem Seitenspiegel und außergewöhnlich breiten Rändern. Es ist der einzige Jachad-Text in dieser exklusiven Gruppe (Tov, Scribal Practices 28, 91). Wie bei der Gemeinschaftsregel wurde also auch das beste Exemplar der Hymnenrolle in Höhle 1 aufbewahrt. Ist Höhle 1 die Vitrine des Arbeitsateliers in Höhle 4 (Hempel)?

252    13  Die Quellen des Jachad

13.4 Milchama-Texte (M) Die sogenannten Milchama-Texte (M) oder Kriegsregel beschreiben die Vorbereitung und Durchführung des eschatologischen Endkrieges der Söhne des Lichts (bnei or) gegen die Söhne der Finsternis (bnei choschekh). Wie 1QS und 1QHa gehört auch 1QM (und die unter 1Q33 veröffentlichten Fragmente) zu den sieben „großen“ Schriftrollen, die schon früh veröffentlicht wurden. 2,9 m lang und 16 cm hoch bestand sie einmal aus mindestens zwanzig Spalten (fünfzehn von ihnen sind auf http://dss.collections.imj.org.il/war einsehbar). Von jeder Spalte fehlt der untere Rand. Außerdem fehlt das Ende, das ursprünglich außen gelegen hatte. Die Schrift gehört zu den frühherodianischen Exemplaren (zweite Hälfte des ersten Gliederung Jahrhunderts v. Chr.). Die folgende Gliederung der Kriegsregel in drei Teile plus Proömium ist verbreitet:

Vorbereitung und Durchführung des eschatologischen Endkrieges

1. Proömium (I) 2. Vorbereitungen für die Schlacht unter der Führung von sieben Priestern bzw. vier Engeln (II – IX) 3. Kriegsgebete (IX – XIV) 4. Kampf gegen die Kittim unter Führung Belials mit Reden der Priester (XIV – XX?).

4QMa – f  = 4Q491 – 496

längere und kürzere Rezension

Die wechselnden Gegner (Edom, Ammon, Moab, Philister, Kittim von Assur und die jüdischen Verräter) stehen unter der Führung von Belial. Die Abfolge der verschiedenen Schlachten ist nicht kohärent und hinterlässt den Eindruck, unterschiedliche Quellen seien unvollständig miteinander verbunden worden. Auch Dubletten, Widersprüche und wechselnde Terminologie zeigen, dass der Text nicht aus einem Guss ist. Dieselbe Hymne erscheint in 1QM XII 8 – 16 und XIX 1 – 8. In 1QM II dauert der Krieg 40 Jahre, in 1QM I und XV – XIX nur einen Tag. In 1QM I gehören nur Angehörige der Stämme Levi, Juda und Benjamin als „Verbannte der Wüste“ zu den Kindern des Lichts, während sie in 1QM II Menschen aller Stämme Israels vereinigen. Die Trompetennamen und -zahlen sowie Flaggen unterscheiden sich je nach Passage. Die Schrift benutzt einen 364-Tage-Kalender. Im Schabbatjahr (alle sieben Jahre) herrscht Waffenstillstand. Kinder, Jugendliche, Alte, Behinderte und Unreine sind vom Lager ausgeschlossen, „denn die heiligen Engel sind zusammen mit ihren Heerscharen“ (1QM VII 3 – 7, vgl. 1QSa II 3 – 9). Neben 1QM gehören sechs Texte aus Höhle 4 (4QMa – f  = 4Q491 – 496) sicher zu Rezensionen dieses Textes. Die Forschung unterscheidet gewöhnlich zwischen einer längeren und einer kürzeren Rezension. Der längeren gehören neben 1QM alle Handschrif-

13.4  Milchama-Texte (M)    253

ten an, die gleich alt oder jünger sind (4Q492, 4Q494, 4Q495). Die andere Rezension hat vielfach einen kürzeren Text und umfasst alle paläographisch älteren Handschriften (4Q491, 4Q493, 4Q496). Eine weitere Rolle, 4Q497 War Scroll like Text A (eines der seltenen Opisthographe – auf der Rückseite des „Gebet oder Hymne“ 4Q499) ist zu fragmentarisch, um über sein Genre, seinen Inhalt oder seine Verwandtschaft zur Kriegsregel Verlässliches sagen zu können. Eine andere verwandte Komposition ist das „Kriegsbuch“ (sefer hamilchama) (4Q285, 11Q14). Wörtliche Parallelen zeigen sefer hamilchama an, dass es sich bei beiden fragmentarischen Schriftrollen um zwei Kopien einer Komposition handelt, die den endgültigen Sieg gegen die Kittim schildert. Der Anführer ist hier der Fürst der Gemeinde (nesi ha‘eda), der in 1QM V kurz erwähnt wird, aber sonst keine Rolle spielt. Die Kompositionszeit der Kriegsregel muss irgendwann zwischen Kompositionszeit der Abfassung von Daniel 11 – 12 (benutzt in 1QM I) und der paläographisch ältesten Handschrift (4Q493) liegen, also zwischen ca. 164 und 50 v. Chr. Eine der Hauptfragen ist dabei die Identifikation der Kittim entweder als Seleukiden (wie in Daniel) oder Römer (wie im Habakukpescher und im Nahumpescher). Vielleicht wurde eine ursprünglich seleukidische Deutung von einem späteren Redaktor auf die Römer umgemünzt. Auch ist umstritten, ob es eine nichtdualistische Vorlage gab oder ob schon die erste Fassung dualistisch war. Einige der integrierten Gebete sind dualistisch, andere nicht. Auch wenn der Text apokalyptische Szenen schildert, ist er formgeschichtlich keine Apokalypse. Die Kriegsregel ist mit den anderen jachadischen Schriften durch die Verwendung von serekh (z. B. III 13; V 3; IX 10) als Genrebezeichnung verbunden. Der anthropologische und angelologische Dualismus verbindet die Kriegsregel besonders eng mit der Zweigeisterlehre in 1QS III – IV. Auch die Fluchsprüche ähneln den Flüchen am Anfang von 1QS. Hingegen bezeichnet „jachad“ in der Kriegsregel keine besondere Gemeinschaft. Die Organisation des Heeres in Gruppen von 1000, 100, 50 und 10 wiederum findet sich in 1QSa. Dort findet sich auch der „Fürst der Gemeinde“. Überraschenderweise wird im erhaltenen Text der Kriegsregel aus Höhle 1 und Höhle 4 für dieses apokalyptische Spektakel kein Messias erwähnt (wohl aber im Kriegsbuch / sefer Hamilhama, 4Q285). Über den (liturgischen?) Sitz im Leben dieses Kriegshandbuchs können wir nur spekulieren. Es widerspricht Philons idealisierender Beschreibung pazifistischer Essener (s. o. S. 77). Josephus hingegen erwähnt einzelne essenische Aufständische.

254    13  Die Quellen des Jachad

13.5 Andere Texte: Berakhot, Pescharim, Flor, Test, 11Q13 Fragmente von fünf kleinformatigen liturgischen Handschriften mit Texten für die jährliche Bundeserneuerungszeremonie des Berakhot Jachad sind unter dem Namen Berakhot („Segen“) (4QBera – e = 4Q286 – 290) veröffentlicht worden. Neben kollektiven Bekenntnissen adressieren sie Segenssprüche an Gott und Flüche an Belial. Ein Fragment haben Sie oben versucht zu entziffern., S.  f. Die Kopien sind paläographisch ins erste Jahrhundert n. Chr. datiert. Wenn diese Datierung stimmt, wären sie die einzige Komposition des Jachad mit mehreren Handschriften, von der keine vorchristlichen Exemplare bekannt wären. Die exegetischen Pescharim zu Habakuk, Jesaja, Nahum, Hosea, Micha, Zefanja und Psalm 37 wurden bereits oben im Kapitel zur Auslegung erwähnt. Sie sind durch die Verwendung der Codenamen für Führer und Gegner der Jachad eng mit dem Prolog der Damaskusschrift verbunden (s. u. S. 266–279). Interessanterweise scheinen alle Pescharim Unikate zu sein. Bezeichnungen wie 4QpIsaa, 4QpIsab oder 4QpHosa, 4QpHosb usw. täuschen, denn sie weisen keine gemeinsame Zeile auf und man sollte sie vorsichtiger als 4QpIsa A, 4QpIsa B usw. bezeichnen. Auch die Hilfsschriften und die thematischen Pescharim wurden bereits erwähnt (s. o. S. 233 f). Die wichtigsten Texte, deren jachadische Autorschaft zwar oft behauptet wird, doch umstritten bleibt, sind die Sabbatopferlieder, 4QMMT, Instruction, Mysteries und mehrere Gebetstexte. Sie werden alle im fünften und letzten Teil dieses Lehrbuchs besprochen.

13.5  Andere Texte: Berakhot, Pescharim, Flor, Test, 11Q13    255

14 Jachad und Neuer Bund: Organisationsformen

Baumgarten, Albert, The Flourishing of Jewish Sects in the Maccabean Era, Leiden 1997. Berthelot, Katell, „La notion de ‚ger‘ dans les textes de Qumrân“, Revue de Qumrân 19 (2000) 171 – 216. García Martínez, Florentino (Hg.), Defining Identities. We, You, and the Other in the Dead Sea Scrolls, Leiden 2008. García Martínez, Florentino, La conception de ‚l’autre‘ dans le Document de Damas. In: Lemaire, André/Mimouni, Simon (Hgg.), Qumrân et le Judaïsme du tournant de notre ère, Leuven 2006, 37 – 50. Gillihan, Yonder, Civic Ideology, Organization, and Law in the Rule Scrolls. A Comparative Study of the Covenanters’ Sect and Contemporary Voluntary Associations in Political Context, Leiden 2011. Hempel, Charlotte, Community Structures in the Dead Sea Scrolls. Admission, Organization, Disciplinary Procedures. In: Flint, Peter/VanderKam, James (Hgg.), The Dead Sea Scrolls after Fifty Years, Leiden 1998 – 1999, Bd.  2, 67 – 92. Ilan, Tal, Women in Qumran and the Dead Sea Scrolls. In: Lim, Timothy/ Collins, John (Hgg.), The Oxford Handbook of the Dead Sea Scrolls, Oxford 2010, 123 – 147. Jokiranta, Jutta, Social Identity and Sectarianism in the Qumran Movement, Leiden 2012. Knibb, Michael, The Qumran Community, Cambridge 1987. Kugler, Robert (Hg.), Women at Qumran. = Dead Sea Discoveries 11 (2004). Regev, Eyal, Sectarianism in Qumran: A Cross-Cultural Perspective, Berlin/ New York 2007. Schiffman, Lawrence, Non-Jews in the Dead Sea Scrolls. In: Evans, Craig/ Talmon, Shemaryahu (Hgg.), The Quest for Context and Meaning, Leiden 1997, 153 – 171. Schuller, Eileen, Women in the Dead Sea Scrolls. Research in the Past Decade and Future Directions. In: Roitman, Adolfo/Schiffman, Lawrence/ Tzoref, Shani (Hgg.), The Dead Sea Scrolls and Contemporary Culture, Leiden 2011, 571 – 588. Stark, Rodney/Bainbridge, William, A Theory of Religion, New York 1987. Taylor, Joan, „Women, children, and celibate men in the Serekh texts“, Harvard Theological Review 104 (2011) 171 – 190. Taylor, Justin, Pythagoreans and Essenes. Structural Parallels, Leuven 2004. Wassen, Cecilia, Women in the Damascus Document, Leiden 2005. Weinfeld, Moshe, The Organizational Pattern and the Penal Code of the Qumran Sect, Fribourg/Göttingen 1986.

Die grundlegende Frage für alle weiteren Analysen ist die Organisationsform der Bibliotheksbesitzer und eventuell der mit ihnen assoziierten Gruppen. Wir haben oben schon festgestellt, dass die

256    14  Jachad und Neuer Bund: Organisationsformen

Sekte oder Strömung?

Neuer Bund im Lande Damaskus

Damaskusschrift und die Gemeinschaftsregel sich darin grundlegend unterscheiden, dass erstere von in „Lagern“ lebenden Familien mit Frauen und Kindern und Privateigentum spricht, während letztere nur Männer erwähnt, die in Gütergemeinschaft leben. Wir werden sehen, dass sich auch die Ämter, Organe und Hierarchien nicht gleichen, auch wenn sie vielfach miteinander in Beziehung stehen. Daher werden wir in der sozialhistorischen Rekonstruktion beide Quellen getrennt voneinander behandeln. Grundsätzlich stellt sich dabei das methodologische Problem, dass sich die Regelungen für Ämter und Organe manchmal auch innerhalb ein und derselben Quelle widersprechen und weniger eindeutig sind als die hier angeführte zwangsläufig homogenisierende Beschreibung. Zwischen schriftlicher Theorie und historisch realer soziologischer oder juristischer Praxis gibt es immer eine Kluft. Wir dürfen keine 1:1-Entsprechung annehmen. Die Quellen sind historisch gewachsen. Auch die Organisationsform wird sich vom Jahr der ältesten Handschrift bis zur jüngsten Handschrift gewandelt oder von einem Siedlungsort zum anderen unterschieden haben. Wir besitzen durch die Unvollständigkeit der Handschriften und der Bibliothek nur einen unvollkommenen Zugang zu diesen geographisch oder chronologisch bedingten Unterschieden. Waren die Gruppen hinter der Gemeinschaftsregel und der Damaskusschrift „Sekten“ (Baumgarten, Regev, Jokiranta) oder eine verbreitete Strömung (Stegemann)? Unter den vielen Definitionen für „Sekte“ ist vor allem Rodney Starks und William Bainbridges soziologisches Modell auf die Qumrantexte angewendet worden. Dieses Modell analysiert die Spannung zwischen einer Gruppe und der sie umgebenden Gesellschaft anhand dreier Achsen: Abweichung in Normen und Verhalten (deviance), Alleingültigkeitsanspruch im Gegensatz zur Mehrheit (antagonism) und Kontrolle und Beschränkung von Sozialkontakten (separatism). Sekten weisen dabei eine besonders hohe Spannung zur Umgebung auf. Praktisch alle Forscher, die die Qumranrollen mit Methoden der Sozialwissenschaften untersucht haben, sind sich darin einig, dass der den Neuen Bund der Damaskusschrift und den Jachad der Gemeinschaftsregel verbindende „Dachverband“ nach diesem Modell eine Sekte darstellte. Nach der Damaskusschrift hat sich 390 Jahre nach dem Exil unter Nebukadnezzar (s. u. S. 276 f) eine Gruppe als „Neuer Bund im Lande Damaskus“ herauskristallisiert (CD A vi 19, viii 21; CD B xx 12). Die Idee eines neuen Bundes Gottes mit Israel und Juda, auch aus dem Neuen Testament bekannt, findet sich schon in Jer. 31,31. Doch in dem in der Damaskusschrift beschriebenen System ist nicht von einer Erneuerung des ersten Bundes die Rede, sondern

14  Jachad und Neuer Bund: Organisationsformen    257

von einem unverzichtbaren Neuen Bund für einige Auserwählte innerhalb Israels. Einfach Jude zu sein reicht nicht mehr aus (CD A xiv 1 – 2). Man muss sich außerdem mit einem Eid exklusiv den Anschauungen „des Neuen Bundes im Lande Damaskus“ verpflichten, um Sühne (CD A xiv 19) erlangen zu können. Alle anderen Juden sind in den Fängen des Dämons Mastema verloren (CD A xv 4 – 5). Beitreten darf nicht jeder. Wer z. B. bestimmte Behinderungen hat, ist vom Beitritt ausgeschlossen (CD A xv 15 – 17). Die Mitglieder des Neuen Bundes leben in Familien, mit Männern, Frauen und Kindern in Lagern (hebr. machane, pl. machanot) (CD A vii 6 – 7, vgl. 1QSa II 15, 4Q274 1 i 6, 4Q376 1 iii 1, 4QMMT, 4QShirShab 400 2 2). Die Idee des Lagers wendet das Ideal von Israel in der Wüste aus dem Pentateuch auf den Neuen Bund an. Regeln und Strukturen des Zusammenlebens werden in der „Lagerordnung“ der Damaskusschrift (CD A xii 22 – xiv 18) beschrieben. Ein Lager besteht aus mindestens 10 Männern (darunter ein Priester) und soll je nach Größe in Gruppen aus 50, 100 oder 1000 Männern aufgeteilt werden (CD A xiii 1 – 2). Zumindest 1000 ist wohl nur theoretisch zu verstehen. Jedes Lager wird von einem örtlichen mevaqer geleitet. Dieses nicht-biblische Wort wird zumeist mit „Aufseher“ (engl. overseer) übersetzt. Die Wurzel b-q-r impliziert eher „Prüfer“ oder „Inspektor“. Zwar haben Priester theoretisch noch die traditionelle Leitungsfunktion. Ähnlich wie später bei den Rabbinen ist jedoch Fachwissen der entscheidende Punkt (CD A xiii 2 – 7), nicht priesterliche Abstammung. Die Aufgabe des Inspektors ist die Jugendlichen auszubilden, die erwachsenen Mitglieder über die Werke und Wunder Gottes zu belehren, wie ein Hirte oder ein Familienvater zwischenmenschliche Probleme zu lösen (CD A xiii 7 – 10), bis hin zur Genehmigung oder Verweigerung von Ehe und Scheidung (4Q266 fr. 9 iii 4 – 5) oder von Außenhandel (CD A xiii 15 – 17). Er allein prüft Beitrittswillige (CD A xiii 11 – 13). Der örtliche mevaqer hat also wie in einer totalitären Gesellschaft eine alles umfassende pädagogische, spirituelle, ökonomische und juristische Autorität und kontrolliert bis in die privatesten Angelegenheiten alles. Die Damaskusschrift nennt keine Details, ob er durch Wahl, Losentscheid oder andere Methoden zu seinem Amt kommt. Beitrittswillige müssen nach ihrer ersten Prüfung durch den Inspektor zunächst ein Jahr lang Tora und die esoterischen Auslegungen studieren (CD A xv 13 – 15), um dann einen Eid abzulegen (CD A xv 10 – 13). Am Schavuotfest wird der Beitrittsschwur von allen Mitgliedern in einer Bundeserneuerungszeremonie jedes Jahr wiederholt (4Q271 7 ii, vgl. 4Q275). Wahrscheinlich war die überregionale Generalversammlung (rabim) damit verbunden. Sie

mevaqer Inspektor

Generalversammlung (rabim)

258    14  Jachad und Neuer Bund: Organisationsformen

Oberinspektor

Einflüsse aus dem hellenistischen Vereinswesen

vereinte vielleicht die Bewohner der Lager mit den Mitgliedern des Jachad der Gemeinschaftsregel. Wie die Lager ist auch die Generalversammlung sehr hierarchisch strukturiert. Alle Mitglieder haben ihren Platz in einer strikten Rangordnung, mit den Priestern an führender Stelle, gefolgt von Leviten, einfachen Israeliten und gerim (Proselyten – vielleicht die Zwangsbekehrten im Zuge der hasmonäischen Eroberungen). Innerhalb ihrer Gruppe werden sie noch einmal nach dem jeweiligen persönlichen Status eingestuft (CD A xiv 3 – 6). Wir sprechen also keinesfalls von einer egalitären Demokratie. Vorsitz über die Generalversammlung führt ein 30 bis 60 Jahre alter Priester, der in den Gesetzen und im „Buch Hagi“ (dessen Inhalt ungeklärt ist) bewandert sein muss (CD A xiv 6 – 8). Die höchste Funktion nimmt der Oberinspektor (hamevaqer ascher lekhol hamachanot, wörtl. „Inspektor über alle Lager“) ein. Er ist zwischen 30 und 50 Jahre alt und muss in allen menschlichen Geheimnissen/Räten (sod) erfahren sein (CD A xiv 8 – 12). Er hat juristische und administrative Funktionen. Inspektor oder Oberinspektor (die Lesung ist hier nicht ganz eindeutig) sind auch für Sozialpolitik und Wirtschaft zuständig. Monatlich ziehen sie von jedem Mitglied zwei Tageslöhne für die Bedürfnisse der Gemeinschaft ein (z. B. Sozialhilfe für Kranke, Alte, Arme und Gefangene; CD A xiv 12 – 17). Ein Strafkodex regelt das Strafmaß für Gesetzesübertretungen mit temporärem oder permanentem Ausschluss (4Q266 10 i 14 – ii 15; 4Q266 frag 11; 4Q270 7 i – ii; CD A xiv 18 – 23; vgl. 1QS VI 13 – VII 14). Wie auf der lokalen Ebene gab es vielleicht auch auf der globalen Ebene der Generalversammlung zwei zentrale Ämter: die spirituelle Leitung durch einen Priester und die Administration durch einen Oberaufseher. Einige Passagen sind in ihrer Zuordnung von Funktionen zum lokalen Aufseher, Priester oder Oberaufseher unklar. Grund ist wahrscheinlich, dass mehrere historisch entstandene Ordnungen (für das Lager und für die Generalversammlung) miteinander verquickt worden sind. Die Existenz von priesterlichen Privilegien ist der Tradition zuzuschreiben und dem Anspruch des Neuen Bundes, dem Tempelkult entsprechende Funktionen ausüben zu können. Dass diesem priesterlichen Amt jeweils noch ein Inspektor bei- oder sogar vorgesetzt wurde, zeigt dagegen, dass in den Zirkeln des Neuen Bundes das Geheimwissen und die Toragelehrsamkeit die Grenzen der priesterlichen Kreise sprengte und eine neue Hierarchie nötig machte. Dass ein nicht-biblischer Begriff (mevaqer) dieses neue Amt bezeichnet, kann auf Einflüsse aus dem hellenistischen Vereinswesen hindeuten. Im Gegensatz zum Hebräisch der Mischna wurde nicht einfach ein griechischer Begriff übernommen, sondern mit einer hebräischen Wurzel ein neuer

14  Jachad und Neuer Bund: Organisationsformen    259

terminus technicus geschaffen. Auch der Begriff für die Generalversammlung, rabim, wörtlich „die Vielen“ (oder „die Großen“), hat zumindest für die erste Übersetzungsmöglichkeit Analogien zu Vereinsordnungen der hellenistischen Welt (griech. hoi polloi, to plēthon). Es gibt hierzu biblische Parallelen (Jes. 53,11; Dan. 11,33). Hellenistische Analogie und biblische Wurzel müssen also nicht als sich gegenseitig ausschließende Alternativen verstanden werden, sondern können konvergieren. Dies ist ein bekanntes linguistisches Phänomen. Im modernen Hebräisch ahmt beispielsweise das Wort für Tourist (tajar), abgeleitet vom Verb tur, den Laut des indoeuropäischen Wortes nach, ist also gleichzeitig übernommen und einheimisch. Auch Frauen können im Neuen Bund einen besonderen Status er- Frauen langen, selbst wenn er dem der Männer gegenüber sekundär bleibt: Wer gegen die Väter murrt (jalun), soll aus der Gemeinde (eda) [ausgeschlossen werden] und nicht zurückkommen; [und wenn] er gegen die Mütter (murrt), soll er für zeh[n] Tage bestraft werden, denn die M[ü]tter haben nicht die Autorität (roqma) (?) [in der Gemeinde] (4Q270 7 i 13 – 15).

Besonders vertrauenswürdige Frauen (naschim ne’emanot) überprüfen im Auftrag des Oberinspektors jede Braut, deren Jungfrauenschaft angezweifelt wird (4Q271 fr. 3 12 – 15). Darüber hinaus nennt die Damaskusschrift zehn Richter (darunter vier Leviten oder Priester und sechs Israeliten), die mit dem „Buch Hagi“ und den Grundlagen des Neuen Bundes vertraut sind (CD A x 4 – 9). Es ist unklar, wie Aufseher und Richter hierarchisch strukturiert sind. Im Gegensatz zum Jachad der Gemeinschaftsregel werden die in der Damaskusschrift erwähnten gemeinschaftlichen Aktivitäten viel weniger detailliert beschrieben. Wir dürfen aber aus der Möglichkeit des Ausschlusses vom reinen Essen schließen, dass es auch im Neuen Bund gemeinsame Mahlzeiten und neben der Bundeserneuerungszeremonie wohl auch andere gemeinsame Gebete gab. Allerdings sind die kollektiven Aspekte des Gemeinschaftslebens weniger intensiv ausgeprägt als im Jachad. Trotz der totalitären Kontrollmöglichkeiten durch den Inspektor gibt es Privatbesitz und – in beschränktem Maße – auch familiäres Privatleben. Die Gemeinschaftsregel beschreibt eine wesentlich straffere Form des Zusammenlebens, den Jachad (Einung), manchmal sogar „Einung Gottes“ oder „Gottesgemeinschaft“ (jachad El) (1QS II 22). Das Wort jachad kommt schon in der Bibel vor, doch nur als Adverb „zusammen“. Die Verwendung in den Qumrantexten zur Bezeichnung für eine Gruppe ist ein Novum. Vielleicht hängt es mit dem griechischen Terminus für „Verein“ koinon oder koinonia

Richter

Gemeinschaftsregel jachad El

260    14  Jachad und Neuer Bund: Organisationsformen

rabim/etza

„Älteste“ (zeqenim)

„Aufseher“ (mevaqer / paqid)

zusammen, wie auch bei mevaqer und rabim vermutet wird (Weinfeld). Doch ist es nicht einfach, auf spezifische Einflusskanäle zu verweisen. Wie ein hellenistischer Verein ist auch der Jachad der freiwillige Zusammenschluss seiner Mitglieder. Allerdings gibt es keinen hellenistischen Verein, der ähnlich totalitär alle Details des Privatlebens und des individuellen Denkens und Gewissens kontrolliert hätte oder von seinen Mitgliedern ein gleichermaßen umfassendes permanentes Zusammenleben ohne Privatbesitz gefordert hätte. Dies existierte höchstens in utopischen Beschreibungen (Gillihan). Manche vermuten, pythagoräische Kreise hätten Pate gestanden. Auch hier wurde exklusive Zugehörigkeit gefordert, war der Beitrittsprozess lang und komplex, der Besitz gemeinsam und der Zweck der Gemeinschaft die Führung echten Gemeinschaftslebens in Reinheit, Gebet und Studium (Justin Taylor). Außerdem zieht Josephus selbst diesen Vergleich (Ant. Iud. 15,371). Allerdings sind die Quellen für pythagoräische Kreise spät (drittes Jahrhundert n. Chr.). Die real historische Existenz derartiger Kreise im dritten bis ersten Jahrhundert v. Chr. wird stark bezweifelt (Gillihan). Jachad-Siedlungen bestehen aus mindestens zehn Mitgliedern, darunter mindestens ein Priester (1QS VI 3f). Höchstwahrscheinlich war Qumran eine solche Jachad-Siedlung. Die Rede von unterschiedlichen Wohnorten macht aber klar, dass Qumran nicht die einzige Jachad-Siedlung war (1QS VI 1f). Die rabim oder etza genannte Generalversammlung (1QS III 2; VI 7 f 14 – 17) ist ähnlich wie der Neue Bund hierarchisch strukturiert, wiederum mit Priestern an der Spitze (1QS VI 8 – 13). Statt Leviten werden hier allerdings „Älteste“ (zeqenim) genannt, also keine erbliche Stellung, sondern eine erworbene. Es mag daher sein, dass Abstammung eine geringere Rolle spielte als im Neuen Bund. In allen Riten, vor allem auch dem Beitrittsritus und der jährlichen Bundeserneuerungszeremonie, werden aber die Leviten nach den Priestern vor „dem Volk“ erwähnt (1QS II 19 – 21, s. u. Ritus, S. 285 f). Priester hatten auch bei kleineren Versammlungen von mehr als zehn Leuten und den Gemeinschaftsmahlen Privilegien (1QS V 1 – 3.20 – 25; VI 3; IX 5 – 7). Vorsitz über die Generalversammlung führt wieder ein „Aufseher“ (mevaqer/paqid). Er ist es, der eine vorläufige Prüfung für Bewerber durchführt. Außerdem ist er Schatzmeister (1QS VI 14 – 23; vgl. 4Q289 1 4). Inwiefern mevaqer und paqid den gleichen Funktionsträger bezeichnen oder nicht, ist in der Forschung umstritten. Im Unterschied zum Neuen Bund ist sein Amt mit wesentlich geringeren Vollmachten ausgestattet. Die endgültigen

14  Jachad und Neuer Bund: Organisationsformen    261

Aufnahmeprüfungen werden z. B. von der Generalversammlung abgenommen (1QS VI 14 – 23). Eine spirituelle Leitungsfunktion wurde wahrscheinlich von einem „Ausbilder/Lehrmeister“ (maskil) wahrgenommen (1QS III maskil 13 – IV 26; IX 12ff; 4Q256 IX 1; 4Q258 I 1; 4Q298; 1QSb I 1; III 22; V 20; vgl. Dan. 11,35; 12,3; sowie die vielleicht nicht-jachadischen Anfänge der Sabbatopferlieder). Einige Forscher halten maskil aber nur für einen Titel für jedes besonders gebildete Mitglied des Jachad. War es eine Funktion und kein Ehrentitel, benötigte jede Siedlung ihren eigenen maskil für Lehre und Kultus. Leider enthalten die Quellen keine weiteren Details, wie dieser zu seinem Amt kam und welche Bedingungen er erfüllen musste. Auch der Titel maskil kann wie schon rabim aus dem Buch Daniel abgeleitet werden (Dan. 11,33). Im Gegensatz zum Neuen Bund ist nach dem Beitritt der ganze eingebrachte Besitz Gemeinschaftsbesitz (1QS I 11 – 13; V 2f; VI Gemeinschafts2f; IX 8). Beratungen verlaufen gemeinsam, auch wenn Priester besitz weiterhin mehr Gewicht haben. Wahrscheinlich waren die priesterlichen Privilegien nicht in allen Gruppen des Jachad oder zu allen Zeiten gleich, denn an einer wichtigen Stelle unterscheiden sich einige Handschriften der Gemeinschaftsregel aus Höhle 4 von 1QS: 1QS V 1 spricht vom Gehorsam „gegenüber dem Urteil der Söhne Zadoks, den Priestern, die den Bund nach dem Urteil der Mehrheit der Mitglieder des Jachad bewahren“. 4Q256 I und 4Q258 IX hingegen sprechen vom Gehorsam „gegenüber der Generalversammlung“. Auch ist es Pflicht, dass überall, wo es eine Gruppe aus mindestens zehn Jachad-Mitgliedern gibt, zumindest ein Mitglied ununterbrochen täglich und nächtlich die Tora / die Lehre studiert (doresch batora) und die rabim ein Drittel jeder Nacht „das Buch“ lesen (liqro basefer) und das Gesetz auslegen (lidrosch mischpat) (1QS VI 6 – 8). Das Buch ist dabei vermutlich entweder die Tora order das bereits erwähnte Buch Hagi. Innenwelt und Außenwelt der Gruppe verhalten sich wie Gut zu Böse. Von Außenstehenden, den „Söhnen Belials“, soll man sich, soweit es geht, fernhalten, denn sie kennen die esoterischen Regeln nicht und übertreten sogar mutwillig die offensichtlichen Satzungen (1QS V 10 – 13). Es ist verboten, mit ihnen zu essen oder zu trinken oder von ihnen Geschenke anzunehmen (1QS V 15 – 20). Mitglieder sind aufgerufen, „alle Söhne des Lichtes je nach deren Los zu lieben und alle Söhne der Finsternis je nach deren Schuld zu hassen“ (1QS I 9 – 11). (s. u. S. 312–317). In diesem Fall war die Grenzziehung äußerst scharf. Sühne- und Reinigungsrituale sind für Außenstehende nicht wirksam (1QS III 4f). Sie versinken also allmählich in Sünde und Unreinheit. Der Beitrittsritus und die

262    14  Jachad und Neuer Bund: Organisationsformen jährliche Bundeserneuerungszeremonie inszenieren diese schwarzweiße Weltanschauung und prägen sie tief ins Bewusstsein ein (s. u. S. 284–287 und 292 f). Rat der fünfzehn Als letztes Vereinsorgan ist der Rat der fünfzehn zu nennen, in dem drei Priester und zwölf Laien das Gerichtswesen und die Sozialarbeit (ahavat chesed) ausüben. (1QS VIII 1 – 5, vgl. IX 7). Es ist nicht ganz klar, wie sich dieses Gremium zu den anderen verhält. Die Zahl Zwölf mag die zwölf Stämme symbolisieren. Manche halten sie für die Gründergeneration und diesen Abschnitt für ihr „Manifest“ (Murphy O’Connor). Andere halten sie für eine „Elitegruppe“, die das Zentrum in der Wüste Qumrans errichtet hat (Collins). Die Regeln für den Jachad erwähnen im Unterschied zu denen keine Frauen des Neuen Bundes keine Frauen. Ist dies Zufall oder kannte der Jachad keine Frauenmitgliedschaft? Im Strafkodex der Gemeinschaftsregel, (1QS VI 24 – VII 25), der im Allgemeinen zur Damaskusschrift parallel verläuft, fehlen exakt die Passagen, die von Frauen reden (4Q270 7 i 12 – 15). Auch wenn hier keine letzte Sicherheit zu erreichen ist, ist es wahrscheinlich, dass Mitglieder des Jachad im Gegensatz zu denen des Neuen Bundes grundsätzlich unverheiratet waren bzw. von ihren Frauen getrennt lebten. Die Gemeinschaftsregel enthält also zwar kein explizites Zölibatsgebot, aber ein implizites, das die archäologischen Besonderheiten des Friedhofs gut erklärt. In der Gemeinschaftsregel fehlt die legendäre Gründerfigur des Lehrers der Gerechtigkeit, die in der Damaskusschrift und in den Pescharim erwähnt wird. Doch zeigen die Pescharim, dass dieser gerade mit dem Jachad verbunden ist. In der Damaskusschrift spielt der mevaqer die Hauptrolle, der maskil nur eine Nebenrolle – in der Gemeinschaftsregel ist es genau andersherum. In der Damaskusschrift sind Bund (brit) und Gemeinde (eda) die Hauptbezeichnungen, jachad taucht nur ein- oder zweimal auf. In der Gemeinschaftsregel ist es wieder genau umgekehrt. Dennoch beweist das gemeinsame Vokabular, die Hinweise auf ähnliche Institutionen und Riten (Bundeserneuerungszeremonie, Beitrittsschwur, reine Nahrung, Generalversammlung, mevaqer, maskil) und eine ähnliche prädeterministische und dualistische Ideologie, dass es sich nicht um zwei völlig voneinander getrennte Gruppen handeln kann, sondern nur um zwei verschiedene Organisations- und Lebensweisen ein und derselben, mit Verve verfochtenen, exklusiven Weltanschauung. Seit Auffinden der Gemeinschaftsregel wird diskutiert, ob der Jachad aus dem Neuen Bund entstanden ist oder der Neue Bund aus dem Jachad. Einige untersuchen tiefgründig die äußerst komplexen Verbindungen der unterschiedlichen Handschriften der Gemein-

14  Jachad und Neuer Bund: Organisationsformen    263

schaftsregel und der Damaskusschrift und der damit verbundenen Literatur mit Hilfe der Redaktionskritik (Hempel, Kratz, Metso, Alexander, Vermes). Andere benutzen darüber hinaus (Baumgarten) oder stattdessen (Regev) Theorien aus den Sozialwissenschaften zur Entstehung von Sekten. Die Beantwortung dieses zentralen Problems muss bis auf Weiteres offen bleiben. Die paläographischen Datierungen der Handschriften unterstreichen, dass beide Regeln im gesamten ersten Jahrhundert vor und nach Christus in Verwendung waren und insofern wohl auch beide Organisationsweisen bestanden und sich gegenseitig beeinflussten.

13.5  Andere Texte: Berakhot, Pescharim, Flor, Test, 11Q13    265

15 „Pflanze der Gerechtigkeit“: Ursprung, Geschichte und Protagonisten

Berrin (= Tzoref), Shani, The Pesher Nahum Scroll from Qumran, Leiden 2004. Boccaccini, Gabriele (Hg.), Enoch and Qumran Origins, Grand Rapids 2005. Boccacini, Gabriele/Ibba, Giovanni (Hgg.), Enoch and the Mosaic Torah. The Evidence of Jubilees, Grand Rapids 2009. Brooke, George, Crisis Without, Crisis Within. Changes and Developments within the Dead Sea Scrolls Movement. In: Lange, Armin/Römheld, K. F. Diethard/Weigold, Matthias (Hgg.), Judaism and Crisis. Crisis as a Catalyst in Jewish Cultural History, Göttingen 2011, 89 – 107. Callaway, Philip, The History of the Qumran Community, Sheffield 1988. Charlesworth, James, The Pesharim and Qumran History, Grand Rapids 2002. Collins, John, Beyond the Qumran Community. The Sectarian Movement of the Dead Sea Scrolls, Grand Rapids 2010. Collins, Matthew, The Use of Sobriquets in the Qumran Dead Sea Scrolls, London 2009. Davies, Philip, The Damascus Document, Sheffield 1982. Doudna, Gregory, 4QPesher Nahum, Sheffield 2001. Eshel, Hanan, The Dead Sea scrolls and the Hasmonean State, Grand Rapids 2008. Festinger, Leon/Riecken, Henry/Schachter, Stanley, When Prophecy Fails, Minneapolis 1956. García-Martínez, Florentino, Qumranica Minora, Leiden 2007. Grossman, Maxine, Reading for History in the Damascus Document, Leiden 2002. Horgan, Maurya, Pesharim, Washington D. C. 1979. Lim, Timothy, Pesharim, Sheffield 2002. Lim, Timothy, „The Wicked Priests of the Groningen Hypothesis“, Journal of Biblical Literature 112 (1993) 415 – 425. Murphy-O’Connor, Jerome, Damascus. In: Ecyclopedia of the Dead Sea Scrolls 1, 165 f Puech, Émile, L’hymne de la glorification du maître de 4Q431. In: Penner, Jeremy/Penner, Ken/Wassen, Cecilia (Hgg.), Prayer and Poetry in the Dead Sea Scrolls and Related Literature. FS Eileen Schuller, Leiden 2012, 377 – 408. Schofield, Alison/VanderKam, James, „Where the Hasmoneans Zadokites?“, Journal of Biblical Literature 124 (2005) 73 – 87. Stegemann, Hartmut, Die Entstehung der Qumrangemeinde, Bonn 1965/1971. Wacholder, Ben Zion, The New Damascus Document, Leiden 2007.

266    15  Ursprung, Geschichte und Protagonisten Die Geschichte des Jachad und ihr Ursprung werden äußerst kontrovers diskutiert. Das liegt auch daran, dass Geschichtswerke im eigentlichen Sinne unter den Qumranrollen selten und höchst fragmentarisch sind. Die geschichtsähnlichen Werke, allen voran die Pescharim und hier besonders der Habakukpescher, der Nahumpescher und der Pescher zu Psalm 37 sind durch ihre VerwenCodenamen dung von Codenamen („sobriquets“) und durch ihren exegetischen („sobriquets“) Charakter nur schwer als historische Quellen auswertbar. Bei jedem hier genannten Element muss man sich die Frage stellen, ob es tatsächlich auf historische Figuren oder Ereignisse anspielt oder ob es auch ohne Bezug zur historischen Realität einfach nur aus dem vorliegenden Bibeltext abgeleitet worden sein kann. Die Meinungen bewegen sich dabei zwischen zwei Extrempunkten. Die einen lehnen jegliche Verwendung der Pescherstücke als historisch zu unzuverlässig ab (Davies, M. Collins). Andere glauben, nicht nur die Mehrzahl der Codenamen und die mit ihnen verbundenen Ereignisse entschlüsseln zu können, sondern auch ein System zum präzisen Verständnis der Zahlenangaben entwickelt zu haben (Stegemann, Puech). Auch der prophetische Charakter der Auslegungen erschwert die Analyse. Spricht der Autor von einem vergangenen oder zukünftigen Ereignis? (zu Pescher s. o. Exegese, S. 228–233). Schauen wir uns daher zunächst den am besten identifizierbaren Fall an. Nur eine kleine Handvoll Qumrantexte verwendet für Zeitgenossen nicht nur Codenamen, sondern spricht – zumindest teilweise – Nahumpescher Klartext, darunter der Nahumpescher (4Q169): Geschichte kontrovers

Wohin ging ein Löwe, ein Leu dorthin, ein Junglöwe, [und keiner schreckt (sie) ab (Nah. 2,12). Seine Deutung (bezieht sich) auf Deme]trios, König von Jawan, der bestrebt war, nach Jerusalem zu kommen auf Grund eines Beschlusses derer, die Ausflüchte suchen/nach Komplimenten haschen (dorschei hachalaqot) …[…] … die Könige von Jawan, von Antiochos bis zum Auftreten der Kittim-Herrschenden. (4Q169 pNah frgg. 3 – 4 i 1 – 3, Maier)

„[Deme]trios“ und „Antiochos“ weisen auf zwei Herrscher dieses Namens eines griechischsprechenden Königreichs („Jawan“ hebr. zu griech. „Ion“ bzw. „Ionier“). Es sind die zwei häufigsten Herrschernamen im seleukidischen Reich. Die Zeitspanne von Antiochos zu den Kittim ist mit der Zeit zwischen einem der vielen Herrscher dieses Namens, vielleicht Antiochos IV., vielleicht einer seiner Nachfolger, bis zum Auftreten der Römer unter Pompejus gleichzusetzen. Demetrios muss mit Demetrios III. Eukairos identifiziert werden, der 95 – 88 v. Chr. das seleukidische Reich beherrschte. Josephus erzählt, wie jüdische Kreise in Jerusalem gegen Alexander Jannai einen Aufstand lancierten und Demetrios baten, ihnen zu

15  Ursprung, Geschichte und Protagonisten    267

Hilfe zu kommen (Ant. Iud. 13,375f; BJ 1,92). Das sind offensichtlich die dorschei hachalaqot im Pescher (dazu s. u.). Alexander Jannai verlor die Schlacht und floh. Doch musste sich auch Demetrios zurückziehen, ohne Jerusalem zu nehmen, da viele Juden die Seiten wechselten. In einem mehrjährigem Krieg kämpfte sich Alexander Jannai wieder an die Macht und übte dann schreckliche Rache: Er ließ 800 seiner Widersacher als Verräter kreuzigen und ihre Frauen und Kinder grausam ermorden (Ant. Iud. 13,380f; BJ 1,97). Diese Massenkreuzigung wird wenige Zeilen später im gleichen Pescher angedeutet: [ … Und mit Raub anfüllt] seine Höhle (?) und seine Lagerstätte(n) mit gerissener Beute. (Nah. 2,13b) Seine Deutung bezieht sich auf den „Löwen des Zorns“, 7 [ … Rac]he/ Tod an denen, die „glatte“ Anweisungen geben (dorschei hachalaqot), da er Menschen lebendig aufhängen lässt 8 [ … ] in Israel vordem. Denn über einen lebendig ans Holz Gehängten [hei]ßt es … (Zitat von Nah. 2,14) (4Q169 pNah fr. 3 – 4 i 6 – 8) 6

Kein Detail ist durch den Bibeltext zwingend vorgegeben. „Lebendig ans Holz hängen“ weist eindeutig auf Kreuzigung hin. Die Episode in Josephus ist der einzig bekannte Fall einer derartigen Massenkreuzigung durch einen judäischen Herrscher. Der „Löwe des Zornes“ ist also unzweifelhaft mit Alexander Jannai gleichzusetzen. Leider fehlen im Fragment in Zeile 8 die Worte, die uns ermöglichen würden, zu entscheiden, ob der Schreiber dieser Zeilen diese Kreuzigung für rechtmäßig hält oder verdammt. (Im ersten Fall würden wir etwa „wie es recht war in Israel vordem“ erwarten. Im zweiten „wie es unerhört war in Israel vordem“). Josephus präzisiert nicht, welche Juden sich mit Demetrios alliieren wollten. Der Nachumpescher nennt sie dorschei hachalaqot. Die meisten Forscher verstehen darunter einen Codenamen für Pharisäer. Grund für diese Identifizierung ist eine andere Passage Pharisäer in Josephus: Pharisäer nämlich sind es, die zwölf Jahre später – zu Beginn der Herrschaft von Salome Alexandra (der Nachfolgerin Alexander Jannais) – verlangen, die für die Kreuzigung der 800 Juden verantwortlichen Ratgeber des Königs umzubringen (Ant. Iud. 13,410). Selbst wenn Pharisäer und dorschei hachalaqot nicht identisch gewesen sein sollten, ist doch die Nähe beider Gruppen zueinander erwiesen. Außerdem sehen wir die Tiefe der Narbe, die diese Massenkreuzigung im kollektiven Bewusstsein hinterließ, so dass man noch zwölf Jahre später Rache forderte. Josephus hätte einen guten Grund, die Pharisäer an der vorigen Stelle nicht explizit zu nennen, da er sie in seinem Gesamtgeschichtswerk als politisch vernünftige Bewegung porträtiert, die sich nicht in ­Aufstände ein- Dorschei mischt. Dorschei hachalaqot („Ausleger von Ausflüchten/Hascher hachalaqot

268    15  Ursprung, Geschichte und Protagonisten nach Komplimenten“) wären also Pharisäer und ihr Name eindeutig ein pejoratives Wortspiel auf dorschei hahalakhot („Ausleger der Halakhot“) bzw. doresch hatora („Ausleger der Weisung“). Zudem wissen wir aus den halakhischen Texten, dass der Jachad oft eine Position vertrat, die in Opposition zu den Rabbinen stand. Die Rabbiner werden aber gewöhnlich wiederum mit den Pharisäern identifiziert. In der Tat ist diese Deutung zwar nicht so unumstößlich wie die von Demetrios, aber immer noch sehr überzeugend. Zu Beginn der nächsten Kolumne des Nahumpescher werden die dorschei hachalaqot mit einem weiteren Codenamen identifiziert: „Efraim“. Wehe, du Stadt der Bluttaten, ganz und gar [Lug, von Unrecht] voll! (Nah. 3,1) 2 Seine Deutung: Das ist die Stadt Efraim(s), derer, welche die Ausflüchte suchen (dorschei hachalaqot) für das Ende der Tage, da sie mit Lug und Lüg[en u]mgehen. (4QpNah 3 – 4 ii 1 – 2)

1

Efraim und Manasse

Jehuda Sadduzäer

Die meisten Details – eine negativ interpretierte Stadt (= Gemeinde?) voll mit Lügnern – sind durch den Bibeltext vorgegeben und historisch unergiebig. Dorschei hachalaqot und Efraim aber stehen nicht in Nahum. Sie sind von außen in den Text hineingelesen worden. Der Pescherexeget identifizierte also in seiner Weltsicht die dorschei hachalaqot mit Efraim. Das Brüderpaar Efraim und Manasse taucht in verschiedenen jachadischen Texten als Codenamen für zwei Gruppen auf, mit denen der Jachad im Konflikt liegt (z. B. CD A vii 12f; 4Q167 pHosb fr 2; 4Q169 pNah 3 – 4 ii 8 – 10; iii 5; iv 1 – 6: 4Q171 pPsa 1 – 10 ii 18; 4Q175 27; 4Q379 fr 22 ii 13a). Die Autoren bezeichnen sich selbst oft als Jehuda. Efraim wird beschuldigt, viele Regierende irregeführt zu haben und die Existenz der Nation zu gefährden (4QpNah 3 – 4 ii 8 – 10). Heute wird Manasse mit den Sadduzäern identifiziert. Dabei bedient man sich folgender Logik: Josephus nennt drei jüdische Hauptbewegungen. Wenn Efraim die Pharisäer sind und Jehuda der Jachad / die Essener, muss Manasse für Sadduzäer stehen. Diese Identifikationen sind denkbar (und werden von den meisten Forschern akzeptiert). Die Identifikation von Manasse und Sadduzäern ist aber weniger zwingend als oft behauptet. Sie stammt aus einer Periode, als die Vielfältigkeit des judäischen Judentums zur Zeit des Zweiten Tempels noch nicht erkannt war. Die hier kurz analysierten Abschnitte des Nahumpeschers geben Auskunft über die Sicht des Jachad auf Episoden in der Geschichte des frühen ersten Jahrhunderts v. Chr. und über seine polemischen Beziehungen zu Pharisäern und vielleicht auch Sadduzäern in dieser Zeit. Über die Geschichte des Jachad selbst lernen wir hier hingegen

15  Ursprung, Geschichte und Protagonisten    269

nichts. Dazu müssen wir andere Passagen konsultieren, die weitaus nebulöser sind. Die Entschlüsselung der ambivalenten historischen Anspielungen gleicht ein wenig der Entschlüsselung eines Geheimcodes. Nahezu alle historischen Details, insbesondere soziologischer Ursprung, politischer Kontext und Datierung, sind umstritten. Nur die großen Linien der Geschichte des Jachad sind klar. Man könnte diesen Geschichte des Nukleus etwa wie folgt beschreiben: Viele hundert Jahre nach der Jachad ersten Tempelzerstörung formiert sich in Israel eine Gruppe, die sich Nukleus als erwählt und den Rest Israels als verdammt ansieht. Nach einem etwa zwanzig Jahre dauernden Fermentierungsprozess tritt eine charismatische Führungsperson auf, der Lehrer der Gerechtigkeit, ein Priester, welcher besondere prophetische und exegetische Fähigkeiten beansprucht. Halakhische Streitigkeiten mit einem „Lügenträufler“, „Spötter“ oder „Lügenmann“ genannten Widersacher innerhalb der Gruppe führen zu ihrer Spaltung. Zusätzlich wird der Lehrer der Gerechtigkeit von einer anderen Gruppe unter Führung des „Frevelpriesters“, einem der hasmonäischen Hohepriester, verfolgt und physisch bedrängt. Schließlich stirbt der Lehrer der Gerechtigkeit eines natürlichen Todes, doch löst sich die Gruppe nicht auf. Seine Anhänger bewahren seine Lehren und Auslegungen und erwarten das Ende der Welt 40 Jahre nach seinem Tod. Als nach 40 Jahren dieses Ende immer noch nicht eintritt, existiert die Gruppe dennoch weiter, expandiert sogar. Die meisten Handschriften werden in der zweiten Hälfte des ersten Jahrhunderts v. Chr. produziert. Anscheinend fällt das Ende des Jachad mit dem Ende des jüdischen Aufstands 66 – 74 n. Chr. zusammen. Eine Behandlung aller Detailfragen im Rahmen dieser Einleitung ist unmöglich. Wir werden uns darauf beschränken, die Hauptquellen vorzustellen und Streitpunkte und Interpretationen aufzuzeigen. Jedes historische Szenario muss 1. möglichst viele der kodierten Andeutungen schlüssig erklären können; 2. möglichst gut mit der Chronologie der Archäologie Qumrans im Einklang stehen; 3. nicht der Datierung der ältesten Handschriften jachadischer Texte und ihrer redaktionellen Vorgeschichte widersprechen (spätes zweites Jahrhundert v. Chr.; 4. in religionssoziologischer Hinsicht überzeugen. Die meisten Elemente des soeben vorgetragenen Narrativs finden sich in einem schwierigen Abschnitt der Damaskusschrift. Er beschreibt Vorgeschichte und Ursprung aus interner Perspektive (der einzigen, die wir besitzen):

270    15  Ursprung, Geschichte und Protagonisten Und nun hört, alle Kenner des Rechts und verstehet die Taten Gottes. Denn Streit hat Er mit allem Fleisch und Gericht übt Er an allen Seinen Verächtern. Denn wegen ihrer Untreue, in der sie ihn verließen, verbarg Er Sein Angesicht vor Israel und vor Seinem Heiligtum und übergab sie dem Schwerte. Doch als Er des Bundes mit den Vorfahren gedachte, ließ Er einen Rest übrig für Israel und übergab sie nicht der Vernichtung. Und in der Zeit des Zorns, 390 Jahre nachdem Er sie in die Hand Nebukadnezzars, des Königs von Babel gegeben, suchte Er sie heim. Und es spross aus Israel und aus Aaron die Wurzel der Pflanzung, die Sein Land in Besitz nehmen soll und sich gütlich tun am Gut Seines Fruchtlands. Sie sahen ihre Sünde ein und erkannten, dass sie schuldige Menschen sind. Und sie waren wie Blinde und wie solche, die nach dem Wege tasten, zwanzig Jahre lang (CD A i 1 – 10).

Das Narrativ setzt die Autorengruppe als Gottes erwählter Rest in Kontrast zum untreuen Israel. Anderswo wird diese Autorengruppe „Umkehrende Israels“ (schavei jisrael) genannt (z. B. CD A iv 2). Sie besteht aus Laien (Israel) und Priestern (Aaron). Dass Laien an erster Stelle genannt werden, mag ihre relative Bedeutung unterstreichen. Nach diesem jachadischen Text beginnt der Neuanfang nach der Tempelzerstörung bezeichnenderweise nicht 70 Jahre später, wie bei Jeremia, sondern erst nach 390 Jahren. Weder die Rückkehr eines Teils der exilierten Elite noch die Rekonstruktion des Tempels unter Kyros werden erwähnt. Die gesamte nachexilische Geschichte wird verworfen. Dies ist ein starkes Argument gegen die klassische These, nach der der Lehrer der Gerechtigkeit ein früherer Hohepriester aus der legitimen zadokidischen Familie war, der sich nicht den neuen hasmonäischen Herrschern und Hohepriestern unterwerfen wollte. Kein einziger zadokidischer Hohepriester wie Simon oder Onias wird in positives Licht gerückt. Einige Kolumnen weiter wird Ezechiel 44,15 zitiert, wo die Zadokiten, Leviten und Priester, die den Tempel hüteten, positiv erwähnt werden, während Israel fehltritt. Doch werden alle drei sogleich spiritualisiert – die Priester sind diejenigen, die umkehren; die Leviten sind ihre Begleiter und die Zadokiten sind die, die Gott am Ende der Zeit erwählen wird (CD A iii 19 – iv 4). Der wirkliche Neuanfang beginnt (auf Initiative des alles beWurzel der stimmenden Gottes) mit der „Wurzel der Pflanzung“ (schoresch ­Pflanzung mata‘at). Ähnliche Ausdrücke finden sich in der apokalyptischen Literatur des dritten Jahrhunderts v. Chr., vor allem in der sogenannten Zehn-Wochen-Apokalypse (1. Hen. 93,1 – 10; 91,11 – 17) in den Mahnreden der Henochbüchersammlung. Am Ende der sechsten „Woche“ (= Periode) findet die Tempelzerstörung statt. Und danach, in der siebenten Woche (= Periode), wird sich ein abtrünniges Geschlecht erheben, und seine Taten (werden) zahlreich (sein), aber alle seine Taten (werden) Abfall (sein). 10 An ihrem Ende werden die erwählten 9

15  Ursprung, Geschichte und Protagonisten    271 Gerechten von der ewigen Pflanze der Gerechtigkeit erwählt werden, denen siebenfache Unterweisung über seine ganze Schöpfung zuteilwerden soll. (1. Hen. 93,9f; vgl. 90,6).

Drei Ursprungstheorien für den Jachad bzw. für die Essener sind in diesem Zusammenhang zu nennen. Früher wurden diese und alle ähnlichen Texte, die von einer Reformgruppe sprechen, mit den Chasidäern verbunden. Heute sind sich die meisten einig, dass die zweieinhalb Belegstellen dafür keine ausreichende Basis hergeben (s. o. S. 76 f). Als zweite Theorie ist die Idee eines „henochischen Judentums“ zu nennen, (ein von Gabriele Boccaccini geschaffener Begriff), in dessen Zentrum die henochischen Schriften gestanden haben sollen, ein Antipode zum „mosaischen Judentum“ mit der mosaischen Tora. Die Essener stammten aus dem „henochischen Judentum“. Warum steht dann aber ausgerechnet die Tora im Jachad so stark im Zentrum? Nach der dritten Theorie, der sogenannten Groningen-Hypothese von Adam van der Woude und Florentino García-Martínez, sind die Ursprünge der Essener in den vormakkabäischen apokalyptischen Bewegungen in Judäa um 200 v. Chr. zu suchen. Die beiden Forscher erweitern also die literarischen und soziologischen Kreise, und zwar nicht nur um die in den Henochbüchern gesammelten Quellen, sondern auch um die in Daniel und das Jubiläenbuch. Auch im Jubiläenbuch findet sich die Idee eines Neubeginns von Auserwählten Gottes:

henochisches Judentum

Groningen-­ Hypothese

23,16 Und in diesem Geschlecht werden die Kinder ihre Väter und ihre Alten schelten wegen der Sünde und wegen der Ungerechtigkeit und wegen der Rede ihres Mundes und wegen der großen Bosheiten, die sie tun werden, und wegen des Aufgebens der Ordnung, die der Herr zwischen ihnen und sich festgesetzt hat, dass sie bewahreten und täten all sein Gebot und seine Ordnung und alle seine Satzung und dass sie nicht abwichen nach links und nach rechts, 17 so dass alle böse handeln … 20 Und in jenen Tagen werden die Kinder beginnen, die Gesetze zu suchen und das Gebot zu suchen und umzukehren auf den Weg der Gerechtigkeit. (Jub. 23,16.26).

Das Jubiläenbuch kennt auch die Idee der Pflanzung: „Und er wird dich segnen in all deinem Tun und wird aufrichten aus dir eine Pflan­ ze der Gerechtigkeit auf der ganzen Erde für jedes Geschlecht der Erde.“ (Jub. 21,24). Wir kommen an den geeigneten Stellen auf die anderen Aspekte der Groningen-Hypothese zurück (s. u., S. 81). Die Damaskusschrift präzisiert die Dauer dieses Fermentierungsprozesses auf zwanzig Jahre. Dann erscheint ein charismatischer prophetisch begabter Anführer, genannt Lehrer der Gerechtigkeit, dem es gelingt, aus den Umhertastenden eine Gruppe zu formen:

Fermentierungs­ prozess Lehrer der Gerechtigkeit

272    15  Ursprung, Geschichte und Protagonisten Da merkte Gott auf ihre Taten, weil sie Ihn mit ganzem Herzen suchten und Er ließ ihnen einen Lehrer der Gerechtigkeit (more tzedeq) erstehen, um sie auf dem Weg Seines Herzens zu führen und kundzutun den letzten Geschlechtern, was Er tun wird mit dem letzten Geschlecht, mit der Gemeinde der Treulosen, das sind die, welche abweichen vom Wege (CD A i 10 – 13, vgl. v 20 – vi 11; 1QpHab VII 4 – 6; 4Q171 pPsa 1 – 10 iii 15).

Der Name „Lehrer der Gerechtigkeit“ (more hatzedeq, more tzedeq oder more hatzedaqa) – auch die Übersetzung mit „Gerechter Lehrer“ wäre korrekt – leitet sich aus Passagen in den Kleinen Propheten Joel und Hosea ab: Jubelt, ihr Söhne Zions, und freut euch über den Herrn, euren Gott! Denn er hat euch den Lehrer/Herbstregen zur Gerechtigkeit (hamore litzdaqa) gegeben und er sendet euch Regen, Herbstregen und Frühjahrsregen wie früher herab (Joel 2,23). Sät Gerechtigkeit als eure Saat aus, so werdet ihr der (göttlichen) Liebe entsprechend ernten. Pflügt Brachland um! Es ist Zeit, JHWH zu suchen, bis er kommt und euch Gerechtigkeit lehrt / regnen lässt (jore tzedeq) (Hos. 10,12).

Beide Passagen spielen mit der Doppeldeutigkeit des hebräischen Wortes more / jore als Lehrer / Herbstregen. Wir werden sehen, dass mehrere Codenamen mit der Analogie zwischen Tora und Wasser spielen. Die Fermentierungsperiode mit anschließendem Auftreten einer Führungsperson wird einige Spalten weiter in der Damaskusschrift noch einmal mit anderen Worten erzählt, wo es deutlicher wird, dass das besondere Verständnis dieses Anführers die Auslegung der Bestimmungen der Tora betrifft. Hier wird er Tora-Ausleger (doresch hatora) genannt: Und Er ließ auftreten aus Aaron Verständige und aus Israel 3 Weise, und gab ihnen bekannt, Und sie gruben den Brunnen – einen Brunnen, den Fürsten gegraben haben, den ausgehoben haben 4 die Edlen des Volkes mit dem Gesetzgeber (Num. 21,16 – 18). „Der Brunnen“ – das ist die Tora, und „die ihn gegraben“ – das sind 5 die Bußfertigen Israels, die auszogen aus dem Land Juda und Wohnung nahmen im Lande Damaskus, 6 die Gott alle „Fürsten“ genannt hat, weil sie nach Ihm gefragt hatten, und nicht wurde zurückgewiesen 7 ihr Ruhm durch irgendeines Mund. [vacat] Und „der Gesetzgeber“, das ist der Tora-Ausleger (doresch hatora), von dem 8 Jesaja gesagt hat: Der ein Gerät hervorbringt für sein Werk (Jes. 54,16). [vacat] Und „die Edlen des Volkes“, sie sind 9 jene, die kommen, um den Brunnen zu graben „mit Satzungen“, die der Gesetzgeber gesetzt hatte, 10 um nach ihnen zu wandeln in der ganzen Zeit des , und abgesehen von ihnen erhalten sie nichts bis zum Auftreten 11 desjenigen, der Gerechtigkeit regnen lässt/lehrt (jore hatzedeq) (Hos. 10,12) am Ende der Tage. [vacat] (CD A v 20 – vi 11 + 4Q266 3 ii) 2

15  Ursprung, Geschichte und Protagonisten    273

Auch hier lanciert Gott eine Gruppe von bußfertigen Toralesern aus Priestern und Laien (in umgekehrter Reihenfolge!). Es ist umstritten, inwiefern das Exil im Lande Damaskus ein literarisches oder ein geographisches Exil ist und in letzterem Fall, ob Damaskus gemeint ist oder ein anderer Ort. Auch die Identifikation des Lehrers der Gerechtigkeit mit dem Tora-Ausleger und dem zukünftigen Lehrer der Gerechtigkeit wird nicht von allen akzeptiert. Die wenigen anderen Stellen zum Lehrer der Gerechtigkeit sind Lehrer der schwierig und oft sehr allegorisch. Folgende Punkte kristallisieren Gerechtigkeit sich klar heraus: Gott hat ihm besondere Erkenntnis gegeben, die diejenige der Propheten in einigen Aspekten übertrifft (1QpHab VII 1 – 5; II 7 – 10): „Gott hat ihm in sein Herz Verständnis gegeben, alle Worte der Propheten, seiner Knechte, zu erklären.“ Seine charismatische Funktion geht so weit, dass sogar von Gott vor dem Gericht gerettet werden soll, wer die Tora erfüllt, an den Lehrer der Gerechtigkeit glaubt und sich um ihn müht (1QpHab VIII 1 – 3). Schließlich erfahren wir auch, dass er Priester war (1QpHab II 8; 4Q171 pPsa iii 15). Bis vor wenigen Jahren war die Meinung weit verbreitet, der Lehrer der Gerechtigkeit sei nicht nur Priester, sondern sogar Hohepriester gewesen, z. B. der von Antiochos IV. abgesetzte Zadokit Onias III., sein Sohn Simon III. (Puech) oder der unbekannte Hohepriester, der im sogenannten Intersacerdotium zwischen Alkimos und Jonathan Makkabäus (159 – 162) Hohepriester war (Stegemann). Dafür gibt es aber keine ausreichenden Hinweise in den Qumrantexten. Auch haben wir oben schon gesehen, dass die pauschale Verdammung der nachexilischen Zeit und die Nichterwähnung des Baus des Zweiten Tempels in der Damaskusschrift gegen die Identifizierung mit einem zadokidischen Hohepriester sprechen. Halakhische Punkte tauchen in den Qumrantexten oft als Streitfragen mit anderen Gruppen auf, dynastische Kontroversen hingegen nicht. Die Pescharim unterstreichen, dass die Auslegungen des Lehrers der Gerechtigkeit für Spannungen gesorgt haben. Einige, die schon auf dem richtigen Weg waren, wenden sich vom Lehrer der Gerechtigkeit ab und folgen einer Gruppe unter der Führung eines „Spötter“ oder „Lügeneinträufler“ genannten Konkurrenten „Lügeneinträufler“ (1QpHab II 1 – 3; V 9 – 12; 1Q171 pPsa i 26 – ii 1). Wie „Lehrer der Gerechtigkeit“ leitet sich auch der Codename „Lügenträufler/ prediger“ (metif hakazav) aus einem Wortspiel mit Wasser ab, da metif (hakazav) sowohl „(Lügen)prediger“ als auch „(Lügen) träufler“ heißen kann. Diese Wortspiele (vgl. oben Tora-Brunnen) veranschaulichen das außerordentlich hohe intellektuelle Niveau der Bibelkenntnis dieser Gruppe.

274    15  Ursprung, Geschichte und Protagonisten Einige Forscher schreiben dem Lehrer der Gerechtigkeit die Lehrerlieder in der Hymnenrolle, die Gemeinschaftsregel und/oder 4QMMT zu. Die meisten zweifeln heute jedoch seine Autorschaft für diese Kompositionen an. Eine Ausnahme ist am ehesten noch folgende Hymne, die in einer erstaunlichen Selbstsicherheit den menschlichen Sprecher unter die göttlich-himmlischen Mächte zählt und mit der sogenannten „Self-Glorification Hymn“ (4Q491 fr. 11 i) verwandt ist: Wer ist mir gleich unter den Göttern (mi kamoni baelim)? […] und den Fluß 17 meiner Lippen – wer kann ihn aufnehmen? Wer übertrifft mich mit der Zunge? […] [Denn ich] bin 18 ein Vertrauter des Königs, ein Nächster den Heiligen (Engeln) und nicht komme […] Meiner Ehre 19 gleicht […] nicht! D[e]nn ich – mit den Göttern (elim) ist [mein] Platz und [meine] Ehre [mit den Königskindern!] 20 Mit Feingold […] mir Und Ophirgold [werde ich mir nicht als Krone aufsetzen]! [Purpur] zählt 21 bei mir nicht. Singet, Freunde, singt dem König [der Ehre]! [Freut Euch in der Ge]meinde des Heiligen (adat el)! Jubelt II 1 in den Zelten des Heils, lobt im Wohnsitz des Heiligen, erhöht zusammen (jachad) mit der ewigen Heerschar, 2 gebt Größe unserem Gott und Ruhm für unseren König. Heiligt Seinen Namen mit mutigen Lippen 3 und siegreicher Zunge! Erhebt einzig Eure Stimme zu allen Zeiten! Lasst den 4 Laut der Freude hören! Drückt Euch in ewiger Freude aus! Verbeugt Euch im gemeinsamen Chor (bejachad qahal) (4Q431 1a – d-2 // 4Q427 7 i // 1QHa XXVI 6 – 13, Nummerierung folgt den Zeilen von 4Q431 in Puech, doch ohne Beihilfe von 4Q491)

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Texte wie dieser verdeutlichen, dass zu den Gründen für die Spaltung nicht nur unterschiedliche halakhische Positionen (vgl. dorschei hachalaqot) gehören mögen, sondern es vielleicht auch aus Widerstand gegen derartig arrogante Ansprüche des Lehrers der Spaltung der Ur- Gerechtigkeit zu einer Spaltung der Ursprungsbewegung kommt: sprungsbewegung

Dies ist die Zeit, über die geschrieben ward: Wie eine störrische Kuh, so ist Israel störrisch (Hos. 4,16) – als (nämlich) der „Spötter“ auftrat, welcher Israel Lügenwasser einträufelte (ascher hitif lisrael mejmej kazav) und sie verführte in weglose Öde: zu beugen die „ewige Höhe“ (?) und abzuweichen von den Pfaden des Rechts; zu verrücken die Grenze, welche gesetzt die Vorfahren in ihrem Erbteil, so dass ihnen die Flüche Seines Bundes anhaften (und) sie dem Schwert überliefert werden, das die Bundesrache

15  Ursprung, Geschichte und Protagonisten    275 vollstreckt. Darum, weil sie Ausflüchte suchten (darschu bachalaqot) und sich Täuschungen erlasen, nach Breschen ausspähten und den „schönen Hals“ wählten. Sie sprachen den Frevler gerecht (wajatzdiqu rascha) und den Gerechten schuldig (wajarschi‘u tzadiq), übertraten den Bund und brachen das Gesetz (CD A i 13 – 20). I 16 [Seht hin unter die Völker und schaut; 17 starrt und staunt! Denn ich tue ein Werk in euren Tagen. ihr glaubtet es nicht, wenn] II 1 es erzählt würde (Hab. 1,5) [leer]. Seine Deutung bezieht sich auf die] Verräter mit dem Mann 2 der Lüge, denn sie haben nic[ht gehört auf die Worte] des Lehrers der Gerechtigkeit aus dem Mund 3 Gottes. Und auf die Verrä[ter am Bund], dem neuen, den]n sie haben sich [nic]ht 4 als gläubig bewährt im Bund Gottes [und entweihten] den Nam[en] Seiner Heiligkeit. (1QpHab I 16 – II 4)

Welche Gruppen sich hier wie spalten, ist äußerst umstritten: Mit der chasidäischen Theorie war es früher üblich, in dieser Passage eine Anspielung auf eine Spaltung der chasidäischen Bewegung in Essener und Pharisäer zu sehen. Boccaccini geht von einer Abspaltung der Essener vom „henochischen Judentum“ aus. Nach der Groningen-Hypothese handelt es sich um eine Abspaltung des Jachad von den Essenern. Schiffman interpretiert sie als Spaltung von Sadduzäern und Essenern. Die Benutzung von dorschei hachalaqot spricht für eine Spaltung von Pharisäern und Essenern, ohne dass man aber die Muttergruppe Chasidäer nennen müsste. Angesichts der bereits genannten Schwierigkeiten für jede dieser Thesen und angesichts unserer mangelhaften Kenntnisse der jüdischen Religionssoziologie des dritten und auch des zweiten Jahrhunderts v. Chr. ist man gut beraten, auf präzise Etiketten zu verzichten und allgemein von der Absonderung des Jachads aus priesterlich-apokalyptischen Kreisen auszugehen. Gegen Ende der Damaskusschrift erfahren wir, dass der Lehrer der Gerechtigkeit zur Zeit der Niederschrift des Gründungsnarrativs schon verstorben ist: Vom Tage des Heimgangs des Lehrers der Einung (jore hajachid) bis zum Ende aller Kriegsleute, die [m]it dem Lügenmann (isch hakazav) sich umgewandt haben, sind etwa vierzig Jahre. (CD B xx 13 – 15, vgl. 4Q171 pPsa ii 7 – 9)

Zu dieser Zeit liegt der Tod des Lehrers der Gerechtigkeit, der hier Tod des Lehrers Lehrer der Einung genannt wird, also höchstens 40 Jahre zurück. Zur großen Überraschung der Mitglieder des Jachad realisiert sich diese Prophezeiung nach 40 Jahren allerdings nicht, wie wir aus dem Habakukpescher erfahren: Denn noch gibt es Schau 6 für den Termin, er stößt es hervor zur Zeit und trügt nicht (Hab. 2,3). [vacat] 7 Seine Deutung ist, dass die letzte Zeit sich in die Länge zieht und zwar mehr als alles, 8 was die Propheten gesagt 5

276    15  Ursprung, Geschichte und Protagonisten haben, weil die Mysterien Gottes wundersam sind. 9 Wenn sie verzieht, harre darauf! Denn sie kommt gewiss und bleibt 10 nicht aus. [vacat] Seine Deutung (bezieht sich) auf die Männer der Wahrheit, 11 die Täter der Tora, deren Hände nicht abgelassen haben vom Dienst 12 der Wahrheit, als sich über ihnen die letzte Zeit hinzog, denn 13 alle Zeiten Gottes treffen ein nach ihrer Ordnung, wie Er es eingezeichnet hat 14 für s[ie] in den Mysterien Seiner Klugheit. (1QpHab VII 5 – 14)

Ausbleibende Prophezeiungen sind ein Standardproblem messianischer religiöser Bewegungen. Wir finden es auch im frühen Christentum, im Schabtaismus oder nach dem Tode des als Messias gelobten Rabbi Schneerson. Wenn man sich nicht damit herausreden kann, dass man sich einfach verrechnet hat, ist die übliche Lösung einerseits eine Uminterpretation (der Rabbi ist nicht tot! Jesus ist tatsächlich schon wiedergekommen, aber im Geheimen!) und andererseits ein Ausbruch missionarischer Versuche, Außenstehende von der Richtigkeit dieser Uminterpretation zu überzeugen (Festinger/Riecken/Schachter). Letzteres führt dazu, dass sich die Mitglieder der Gruppe in ihren Meinungen bestätigt sehen. Der Habakukpescher zeigt, dass das Ausbleiben des vorhergesagten Endes uminterpretiert wurde. Ob es auch zu einer missionarischen Bewegung kam, wissen wir nicht. Das bestenfalls schemenhafte Gründungsnarrativ stellt den Historiker vor mehrere Probleme. 1) Chronologisch: Wann hat der Lehrer der Gerechtigkeit gelebt? Sind die Zahlenangaben real zu verstehen oder symbolisch? Wenn die Zahlenangaben realistisch sind, von welchem Jahr muss man anfangen zu rechnen (welches historisches Ereignis ist hinter der Aussage „nachdem Er sie in die Hand Nebukadnezzars, des Königs von Babel gegeben“ zu verstehen)? 2) Geographisch: Wo formierte sich die „Wurzel der Pflanzung“ und wo fand die anschließende Gruppenformation stand? Ist Damaskus geographisch, symbolisch oder literarisch zu verstehen? Chronologie: 390 Jahre

Chronologie: Als stärksten chronologischen Hinweis haben wir die 390 Jahre nach Nebukadnezzar in der Damaskusschrift. Allerdings erscheint 390 in Ezechiel 4,5 als symbolische Zahl für die Tage, in denen der Prophet die Sünden Israels tragen wird. Setzt man voraus, dass der Lehrer der Gerechtigkeit 40 Jahre gewirkt hat, kommt man noch auf eine andere höchst symbolische Zahl: 390 Jahre plus zwanzig Jahre Fermentierung plus 40 Jahre Wirken des Lehrers der Gerechtigkeit plus 40 Jahre nach dem Tod = 490 Jahre oder 10 x 49, d. h. zehn Jubiläen. Dies ist die Zahl bis zum Anbruch des messianischen Zeitalters in Daniel 9.

15  Ursprung, Geschichte und Protagonisten    277

Wird eine Zahl symbolisch interpretiert, impliziert das natürlich noch nicht automatisch, dass sie nicht auch historisch sein kann. Versteht man die Zahl allerdings als reell historisch, müssen wir weiterfragen, ob wir überhaupt voraussetzen können, dass dem Autor eine genaue Chronologie der Epoche des Zweiten Tempels vorlag. Immerhin haben sich auch andere Quellen aus dieser Zeit gehörig verrechnet. So dauert für den tannaitischen rabbinischen Traktat Seder Olam Rabba die Perserzeit ganze 34 Jahre. Josephus kommt für ca. 435 Jahre von der Rückkehr aus dem Exil bis Aristobulos I. (ca. 538 – 103 v. Chr.) einmal auf 481 Jahre und drei Monate (Ant. Iud. 13,301) ein anderes Mal auf 471 Jahre und drei Monate (BJ 1,70), ein Fehler von 36 oder 46 Jahren. Demetrios der Chronograph errechnet die Zeit von der Zerstörung Jerusalems bis zu Ptolemäos IV. (ca. 586 – 221 v. Chr.) auf 338 Jahre und drei Monate anstatt 365 Jahre, ein Fehler von 27 Jahren. Mit 586 als Startpunkt und der heute gültigen Chronologie, beginnt die Gruppenformation 196 v. Chr., und der Lehrer der Gerechtigkeit erscheint um 176, kurz vor Beginn der Krise um Antiochos IV. und die Makkabäer. Mit der Chronologie von Demetrios würde dies 27 Jahre später liegen, also ca. 169 bzw. 149 v. Chr. Folgen wir Josephus, kommen wir auf 160 / 150 v. Chr. für die Gruppenformation und 140 / 130 v. Chr. für das Auftreten des Lehrers der Gerechtigkeit (bei 36 / 46 Fehljahren). Dies ergibt ein Zeitfenster zwischen 176 und 130 v. Chr. für das erste Auftreten des Lehrers der Gerechtigkeit, wenn wir die Zahlenangaben als real verstehen. Allerdings wissen wir auch nicht genau, ab welchem Jahr die 390 Jahre zu rechnen sind. Ca. 597 v. Chr. wurde Jerusalem zum ersten Mal von Nebukadnezzar erobert und es kommt zu einer ersten Deportation. Ca. 586 v. Chr. werden nach der zweiten Eroberung Tempel, Palast und Stadt zerstört und es kommt zu einer zweiten Deportation. Wir müssen also zum oberen Ende des Zeitfensters noch elf Jahre hinzurechnen. Wer für die Historizität der Zeitangabe von 390 Jahren eintritt, hat ein Fenster von ca. ca. 187 – 130  v.  Chr. 187 – 130 v. Chr. für das erste Auftreten des Lehrers der Gerechtigkeit. In diesen Zeitraum fallen die Ernennung hellenisierender Hohepriester durch Antiochos IV., der Aufstand der Makkabäer und ihre Übernahme des Hohepriesteramts. Da eine historische Persönlichkeit mit dem Titel „Lehrer der Gerechtigkeit“ sonst nicht bekannt ist, führt der Weg zu seiner Identifizierung über eine Identifizierung seines Hauptwidersachers, des „Frevelpriesters“ (hakohen harascha). Da es sich um einen Frevelpriester Priester in leitender politischer Position handelt und sein Codename Frevelpriester höchstwahrscheinlich ein Wortspiel mit dem

278    15  Ursprung, Geschichte und Protagonisten Titel Hohepriester (hakohen harosch) ist, nehmen fast alle Forscher an, es handele sich um einen der historischen Hohepriester, deren Namen bekannt sind. Allerdings ist umstritten, um welchen Hohepriester es sich handeln könnte. Folgende Theorien haben den größten Zuspruch erhalten: 1) Einer der frühen Makkabäer, d. h. entweder Jonathan (Vermes, Stegemann, Puech) oder Simon (Cross) Anfang der zweiten Hälfte des zweiten Jahrhunderts v. Chr. 2) Einer der hasmonäischen Könige, d. h. entweder Johannes Hyrkanos I. (Brownlee) oder Alexander Jannai (Nitzan) um 100 v. Chr. ± 30 Jahre. 3) Hyrkanos II. und/oder Aristobulos II. in den sechziger Jahren v. Chr. (Dupont-Sommer, Elliger, Collins). 4) Eine vierte Lösung sieht im Frevelpriester nicht einen Codenamen für eine historische Gestalt, sondern einen Schmähtitel für den jeweils wechselnden Anführer der Gegenseite (Groningen-Hypothese).

Jede dieser Theorien hat ihre Vor- und Nachteile. In die Entscheidung müssen wir neben den Anspielungen der Pescharim und der Damaskusschrift die Paläographie der ältesten Handschriften mit jachadischen Texten und die jachadische Besiedlung Qumrans einbeziehen. Alle Theorien lassen den einen oder anderen Punkt davon unerklärt. Letzte Sicherheiten bleiben für alle Vorschläge unerreicht. Wer nicht Jonathan oder Simon Makkabäus annimmt, für den sind die Zahlenangaben der Damaskusschrift symbolisch oder stark fehlerhaft oder er muss einen wesentlich späteren Ausgangspunkt annehmen als 586 v. Chr. Die meisten Forscher tendieren daher zu Jonathan Makkabäus. Ist man hingegen der Meinung, das Bruderpaar Hyrkanos und Aristobulos II. stehe hinter dem Duo Frevelpriester und Lehrer der Gerechtigkeit, wie es zuerst Dupont-Sommer vorgeschlagen hatte und nun wieder durch Collins vertreten wird, so ist man gezwungen, den Beginn der essenischen Besiedlung Qumrans erst in die sechziger Jahre des ersten Jahrhunderts v. Chr. zu datieren. Münzen- und Keramikprofil sind damit nicht einfach in Übereinstimmung zu bringen. Außerdem muss man dann entweder die paläographischen Datierungen der ältesten Jachad-Rollen ans Ende des zweiten Jahrhunderts v. Chr. ablehnen, oder in Frage stellen, dass zumindest ein Teil dieser Texte zur Zeit des Lehrers der Gerechtigkeit entstanden ist. Diese Lösung stellt also mehr neue Probleme, als dass sie alte lösen würde. Die Diskussion aller historischen Anspielungen ist zu komplex, um sie hier in Kürze zu referieren. Stellvertretend konzentrieren wir uns auf eine Passage im Habakukpescher:

15  Ursprung, Geschichte und Protagonisten    279 …der Frevelpriester, der 9 auf den Namen der Wahrheit berufen wurde zu Beginn seines Amtsantritts (bitchilat omdo). Doch als er zur Herrschaft gekommen (ka’ascher maschal) 10 in Israel, wurde sein Herz hochfahrend. Er verließ Gott und [f]iel ab und verriet die Vorschriften wegen 11 Besitztümern und er raubte und raffte Besitz von Gewaltmenschen, die sich gegen Gott empört hatten, 12 und Besitz von Völkerschaften nahm er, um Schuldverschuldung auf sich zu häufen, und Wege 13 von Grä[ue]ln beging er in jeglicher sexuellen Verunreinigung (pa‘al bekhol nidat tum’a). (1QpHab VIII 8 – 13)

Am Anfang seiner Karriere wurde der Frevelpriester offensichtlich noch positiv gesehen. Erst später wurde er „arrogant“. Der Frevelpriester herrscht (maschal) über Israel. Das für die Herrschaft des Priesters verwendete Verb maschal ist nicht dasjenige, was gewöhnlich für die Herrschaft von Königen verwendet wird (malakh). Das ist ein Argument gegen Alexander Jannai und Aristobulos II., die im Gegensatz zu den anderen oben angeführten Hasmonäern den Königstitel führten. Die Passage legt auch nahe, dass seine Herrschaft in zwei Stufen erfolgte. Unter den Hohepriestern gilt dies nur für Jonathan Makkabäus (Anführer seit 161, Hohepriester in Jerusalem erst seit 152 v. Chr.) und für Hyrkanos II. Doch passt es besser zu Hyrkanos II., der erst Hohepriester war (76 – 67) und dann Herrscher (ab 67 v. Chr.) und nicht umgekehrt, denn der Text benutzt erst eine Wendung, die auf Priestertum hindeutet (omdo) und dann auf Herrschaft (maschal). Wenn der Frevelpriester beschuldigt wird, andere Völker finanziell beraubt zu haben, spricht dies am Ehesten für die beiden großen Eroberer Johannes Hyrkanos I. und Alexander Jannai. Die Vorgänger der Makkabäer und die Nachfolger von Alexander Jannai sind davon ausgeschlossen. Auch Jonathans und Simons Kampfhandlungen summieren sich eher unter Guerillakrieg als unter Eroberungs- und Beutezügen. Man sieht – kein Kandidat entspricht diesem Phantombild einwandfrei. García-Martínez und Van der Woude haben daher vorgeschlagen, dass die sechs Erwähnungen des Frevelpriesters im Habakukpescher sich in chronologischer Reihenfolge auf sechs sukzessive Gegner von Judas Makkabäus bis Alexander Jannai beziehen. Timothy Lim hat diese Theorie mit triftigen Gründen widerlegt, die jedoch zu sehr ins Detail gehen, um sie im Rahmen dieses Lehrbuchs darzustellen.

280    15  Ursprung, Geschichte und Protagonisten Nach einer weiteren Anspielung im Habakukpescher starb der Frevelpriester durch die Hand von Nichtjuden in Gefangenschaft (4Q171 pPsa iv 8 – 10). Dies passt zu Jonathan, Simon und Hyrkanos II. Zwei enigmatische Passagen scheinen von physischen Leiden, Folter und vielleicht Verstümmelung durch seine Gegner zu sprechen (1QpHab IX 1 – 2.9 – 12). Dies passt am besten zu Hyrkanos II., der von den Parthern auf Bitten seines Bruders verstümmelt wurde, um ihn für das Hohepriesteramt untauglich zu machen (Ant. Iud. 14,366). Aber auch Jonathan und Simon Makkabäus wurden nach ihrer Gefangennahme vermutlich gefoltert. Schließlich ist eine weitere Andeutung dahingehend zu verstehen, dass der Frevelpriester dem Alkohol nicht abgeneigt war (1QpHab XI 8 – 15). Alexander Jannai soll daran gelitten haben (Ant. Iud. 13,398). Simon Makkabäus wurde betrunken auf einem Bankett gefangengenommen. Das stärkste Argument für die Identifizierung mit Hyrkanos II. und/oder Aristobulos II. ist die Deutung der Kittim als Römer. Wenn „sie (4) ihren Feldzeichen Opfer schlachten, und ihre Kriegsgeräte (5) (Gegenstand) ihre(r) Ehrfurcht sind“, (1QpHab VI 3 – 5), so kann das nur auf die römischen Legionen zutreffen, denn seleukidische, ptolemäische und parthische Armeen kannten im Gegensatz zu den Römern keinen Standartenkult. Allerdings müssen diese Kittim und der Frevelpriester keinesfalls zeitgleich sein.

Wo ist die Formation des Jachad geographisch zu lokalisieren? Einige Forscher, allen voran Jeremy Murphy O’Connor, deuten Damaskus in der Damaskusschrift als Codenamen für Babylon (CD A vi 5.19, vii 19, viii 21, CD B xix 34, xx 12), wie in der Apostelgeschichte 7,43. Dieser Meinung folgen heute nur noch wenige. Gegen einen Ursprung in Mesopotamien spricht unter anderem die starke Vorliebe für Hebräisch und die Tatsache, dass die aramäischen Texte Qumrans westaramäische und nicht ostaramäische Charakteristika aufzeigen (Fassberg). Die meisten deuten Damaskus allgemein als „Ort des Exils“ vor dem Hintergrund von Amos 5,26f, wo den Judäern ein Exil „jenseits von Damaskus“ angedroht wird, ähnlich wie man „Pampa“ oder „Timbuktu“ im Deutschen figurativ verwendet, ohne auf Südamerika oder Westafrika anzuspielen. Wer 4QMMT für einen jachadischen Text hält (s. o. S. 166–169), 4QMMT d. h. einen Brief des Anführers des Jachad an einen Hohepriester und König in Jerusalem, kann folgendes Element zur Geschichte des Jachad hinzufügen. Wir haben bereits erwähnt, dass viele der halakhischen Bestimmungen mit solchen übereinstimmen, die in der rabbinischen Literatur den Sadduzäern bzw. den Boethusiern, jedenfalls den Gegnern der Pharisäer zugeschrieben werden. Eine derartige Briefsituation ist aber nur dann verständlich, wenn der amtierende Hohepriester auch sadduzäisch gesinnt war. Wenn wir Josephus’ Angaben über die jeweiligen politischen Vorlieben der Hasmonäer Glauben schenken dürfen (und dieser Punkt ist um-

geographische Lokalisierung

15  Ursprung, Geschichte und Protagonisten    281

stritten), war dies nur für die letzten Jahre von Johannes Hyrkanos, das kurze Jahr der Herrschaft von Aristobulos I. und für Alexander Jannais lange Amtszeit der Fall, d. h. ungefähr zwischen 110 oder 105 und 76 v. Chr. Salome Alexandra hielt ja – auf Empfehlung ihres verstorbenen Gatten – wieder zu den Pharisäern. Andere, darunter auch einer der beiden Editoren von 4QMMT, äußern jedoch Vorbehalte, 4QMMT als echten Brief zu interpretieren. Anfang und Schluss des Briefes sind ja gerade nicht erhalten. Sie sehen hierin vielmehr einen nach innen gerichteten halakhischen Traktat. Die Benutzung von 4QMMT zur Rekonstruktion der Urgeschichte Qumrans ist daher umstritten. Jerusalemer Priestertum im Allgemeinen und die Hasmonäer im Besonderen werden in vielen jachadischen Texten stark kritisiert. Eine mögliche Ausnahme ist 4Q448, ein an König Jonathan adres- 4Q448 sierter Psalm, der entweder als Gebet für sein Heil oder als Fluch über ihn interpretiert werden kann. Da Jonathan Makkabäus nicht König war, handelt es sich offensichtlich um Alexander Jannai, der mit hebräischem Namen Jonathan hieß, wie seine Münzen preisgeben. Handelt es sich um ein Segensgebet, wäre es (evtl. mit 4QMMT) der einzige Text mit positiver Bezugnahme auf einen Hasmonäer. Es muss sich aber nicht um einen jachadischen Text handeln. Vielleicht hat ihn auch ein neues Mitglied als „Mitgift“ mitgebracht (s. o. S. 165 f). Verbindet man die textuellen Daten mit den archäologischen, ist interessant, dass der Siedlungsbeginn Qumrans heutzutage zumeist in die Zeit von Alexander Jannai datiert wird. Derselbe Jannai ließ unweit Qumrans in Jericho gigantische Paläste bauen. Die Siedlung in Qumran wurde dann 31 v. Chr. durch ein Erdbeben schwer beschädigt. Historische Anspielungen auf die herodianische Epoche oder die parthischen Eroberungszüge fehlen in den Pescharim. Wer den Jachad mit den Essenern gleichsetzt, kann diese Lücke mit den Hinweisen in Josephus ein wenig auffüllen. Nach ihm stand König Herodes den Essenern sehr positiv gegenüber, seitdem einer von ihnen ihm prophezeit hatte, er würde einst König werden. Die meisten Handschriften sind in die frühherodianische Zeit datiert worden, d. h. in die Zeit Herodes’ des Großen. Vielleicht kann Zeit Herodes’ des man also diese Blütezeit der Schriftproduktion mit Unterstützung Großen durch die Regierung erklären. Diese Blütezeit Qumrans hätte mit dem Brand ihr Ende genommen. In Phase II nach Herodes scheinen weniger Schriftrollen produziert worden zu sein als vorher. Dies stimmt mit einer Beobachtung von Milik überein, nach der die Siedlung in Phase II kleiner war als in Phase I. Vielleicht war Qumran in jener Zeit schon über seinen Zenit hinaus. All diese Beobachtungen sagen allerdings nur etwas über die Jachad-Siedlung

282    15  Ursprung, Geschichte und Protagonisten in Qumran aus, aber nichts über die Gesamtbewegung der unverheirateten oder der verheirateten Essener außerhalb von Qumran. Was passierte mit dem Jachad während des jüdischen Aufstands? Setzte er die Anweisungen der Kriegsregel in die Tat um? Wir wissen dazu leider nichts. Große Waffenlager oder Befestigungen sind in Qumran nicht gefunden worden. Nach Josephus ließen sich im jüdischen Aufstand 66 – 74 hunderte Essener widerstandslos niedermetzeln. Er erwähnt jedoch auch einen gewissen Essener Johannes als einen der Führer der Rebellion (BJ 2,567). Qumran wurde 68 n. Chr. zerstört. Das bedeutet zunächst nichts für den Rest des Jachad. Doch selbst wenn ein Teil der Bewohner in die Höhlen im Kliff geflüchtet sein mag – die Schriftrollen wurden nicht wieder geborgen. Auch nicht von Bewohnern anderer jachadischer Siedlungen. Dass dieser unermessliche Schatz dort bleiben konnte, spricht gegen die These Taylors, Qumran sei in den letzten Jahrzehnten des ersten Jahrhunderts weiter oder wieder von Essenern besiedelt gewesen. Alles über 68 n. Chr. Hinausgehende ist Spekulation. Wir wissen nicht, ob Teile der Essener/des Jachad in das entstehende Christentum integriert wurden. Wir wissen nicht, ob neben dem allmählich Fuß fassenden rabbinischen Judentum auch essenische Kreise weiter existierten. Wir wissen nicht, ob unter den im zweiten und dritten Jahrhundert weiter verbreiteten Täufergruppen in Palästina, Syrien, Äthiopien oder Arabien auch jachadische Gruppierungen waren, die eventuell auf späteres syrisches Christentum oder Judenchristentum, Mandäismus oder Islam Einfluss nehmen sollten. Hinweise darauf sind viel zu dürftig. Allerdings ist auch unsere Quellenlage viel zu lückenhaft, um diese Möglichkeiten völlig ausschließen zu können. Tatsache ist, dass der Jachad und die Essener völlig von der Bildfläche verschwinden, bis im achten Jahrhundert gewisse karäische Kreise wieder ähnliche Halakhot vertreten. Timotheos I. sowie die Damaskusschrift und das Aramäische Levi Dokument aus der Geniza zeigen, dass dies plausiblerweise auf die Entdeckung von Handschriften aus der Zeit des Zweiten Tempels zurückzuführen ist. Für eine lebendige Überlieferung derartiger Traditionen in weiter florierenden Konventikeln haben wir keine Beweise.

13.5  Andere Texte: Berakhot, Pescharim, Flor, Test, 11Q13    283

16 „Das Gute und Rechte vor Dir tun“: Rituale des Jachad

s. auch die Literatur zu den Kapiteln Halakha sowie Gebete im fünften Teil des Buches. Arnold, Russell, The Social Role of Liturgy in the Religion of the Qumran Community, Leiden 2006. Ben-Dov, Jonathan, Head of All Years. Astronomy and Calendars at Qumran in their Ancient Context, Leiden 2008. Collins, John/Kugler, Robert (Hgg.), Religion in the Dead Sea Scrolls, Grand Rapids 2000. Daise, Michael, Ritual density in Qumran practice. Ablutions in the „Serekh ha-Yahad“. In: Chazon, Esther/Halpern-Amaru, Betsy/Clements, Ruth (Hgg.), New Perspectives on Old Texts, Leiden 2010, 51 – 66 Doering, Lutz, Schabbat. Sabbathalacha und -praxis im antiken Judentum und Christentum, Tübingen 1999. Eckhardt, Benedikt, „Meals and Politics in the Yahad. A Reconsideration“, Dead Sea Discoveries 17 (2010) 180 – 209. Goodman, Martin, The Qumran Sectarians and the Temple in Jerusalem. In: Hempel, Charlotte (Hg.), The Dead Sea Scrolls: Texts and Context, Leiden 2010, 263 – 273. Harrington, Hannah, The Purity Texts, London/New York 2007. Hempel, Charlotte, „Who is Making Dinner at Qumran?“, Journal of Theological Studies 63 (2012) 49 – 65. Klawans, Jonathan, Impurity and Sin in Ancient Judaism, Oxford 2000. Kugler, Robert, Of calendars, community rules, and common knowledge: understanding 4QSe-4QOtot, with help from ritual studies. In: Grossman, Maxine (Hg.), Rediscovering the Dead Sea Scrolls, Grand Rapids 2010, 215 – 228. Kugler, Robert, „Making all experience religious. The hegemony of ritual at Qumran“, Journal for the Study of Judaism 33 (2002) 261 – 278. Nitzan, Bilhah, The Benedictions from Qumran for the Annual Covenantal Ceremony. In: Schiffman, Lawrence/Tov, Emanuel/VanderKam, James (Hgg.), The Dead Sea Scrolls. Fifty Years After Their Discovery, Jerusalem 2000, 263 – 271. Pfann, Stephen, The Essene yearly renewal ceremony and the baptism of repentance. In: Parry, Donald/Ulrich, Eugene (Hgg.), The Provo International Conference on the Dead Sea Scrolls, Leiden 1999, 337 – 352. Stern, Sacha, Calendar and Community, Oxford 2001. Stökl Ben Ezra, Daniel, When the bell rings: the Qumran Rituals of affliction in context. In: Lange, Armin/Tov, Emanuel/Weigold, Matthias (Hgg.), The Dead Sea Scrolls in Context, Leiden 2011, 533 – 546. Talmon, Shemaryahu, What’s in a calendar? Calendar conformity and calendar controversy in ancient Judaism – the case of the „Community of the Renewed Covenant“. In: Charlesworth, James (Hg.), The Bible and the Dead Sea Scrolls. Vol. II.: The Dead Sea Scrolls and the Qumran Community, Waco 2006, Bd. 2, 25 – 58.

284    16  Rituale des Jachad

16.1 Riten des Lebenszyklus: Kindheit, Beitritt und Bestattung Der Jachad war eine zutiefst ritualisierte Welt (Kugler). Wenn spezifische Regeln für Geburt und Beschneidung in den Texten nicht erwähnt werden, waren sie anscheinend selbstverständlich, wo es Kinder gab, und obsolet, wo es keine Kinder gab. Die Gemeinderegel fordert eine zehnjährige Ausbildung der Jugendlichen im „Buch des Hagi“ und den „Bestimmungen des Bundes“ vor dem 20. Geburtstag (1QSa  I 6 – 9). Die Damaskusschrift spricht nicht von einem spezifischen Alter: „ Gliedern des Bundes für ganz Israel (gelte es) als ewiges Gesetz, ihre Söhne, wenn sie soweit sind, um zu den Gemusterten zu treten, mit dem Bundeseid schwören zu lassen.“ (CD A xv 5f). Für den Neuen Bund der Damaskusschrift spezifiziert CD A xv 12 – xvi 1 für erwachsene Beitrittswillige einen Schwur, die Prüfung durch Aufseher, und ein Torastudium von einem Jahr. Für Beitrittsprozedur den Jachad sind wir über die Beitrittsprozedur und die damit verbundenen Rituale durch die Gemeinschaftsregel wesentlich detailreicher informiert. Jedermann von Israel, der willig ist (mitnadev), sich der Gemeinschaft des Jachad anzuschließen, den soll der Mann, der an die Spitze der Vollversammlung gesetzt ist (ha’isch hapaqud berosch harabim), nach seinem Verständnis und seinen Werken untersuchen. Wenn er Zucht (musar) annimmt, bringe er ihn in den Bund, dass er umkehre zur Wahrheit und weiche von allem Unrecht. Er unterweise ihn in allen Vorschriften des Jachad. Danach, wenn er dazu kommt, vor die Vollversammlung (harabim) zu treten, werden alle über seine Angelegenheiten befragt. Und je nachdem wie die Entscheidung (das Los; hagoral) auf Beschluss der Vollversammlung (atzat harabim) ausfällt, rücke er vor oder trete er zurück. Wenn er der Gemeinschaft (atzat) des Jachad näher rückt, rühre er (doch) nicht die reine Nahrung der Vollmitglieder (tohorat harabim) an, bis dass sie seinen „Geist“ und seine Taten untersucht haben, sobald er ein volles Jahr vollendet hat. Auch nehme er nicht teil am Besitz der Vollmitglieder (hon harabim). Hat er ein Jahr inmitten des Jachad vollendet, so werden die Vollmitglieder (harabim) über seine Angelegenheiten gemäß seinem Verständnis und seinen Taten im Gesetz befragt. Wenn die Entscheidung für ihn dazu ausfällt, dem Geheimrat (sod) des Jachad näher zu kommen nach der Weisung der Priester und der Menge der Männer ihres Bundes, dann lasse man auch seinen Besitz und seine Erwerbstätigkeit zu, (und zwar) zur Verfügung des Aufsehers (mevaqer) über die Wirtschaft(sangelegenheiten) der Vollmitglieder und der schreibe es ihm auf ein Konto gut, aber gebe es nicht für die Vollmitglieder aus. Er darf das Getränk der Vollmitglieder (maschqe harabim) nicht anrühren, bis er ein zweites Jahr inmitten der Männer des Jachad vollendet hat. Und nachdem er das zweite Jahr erfüllt hat, soll man ihn durch die Vollversammlung prüfen. Wenn ihm die Entscheidung (hagoral) dazu ausfällt,

16.1  Riten des Lebenszyklus: Kindheit, Beitritt und Bestattung    285 in den Jachad einzutreten, dann schreibe man ihn in die Ordnung seiner Rangstufe (serekh tikuno) unter seinen Brüdern ein, für Gesetz, Recht, reine Nahrung und die Beteiligung seines Besitzes und es komme sein Rat und sein Rechtsentscheid dem Jachad zugute. (1QS VI 13 – 23)

Nach einer ersten Prüfung durch einen Vorsitzenden wird der Beitrittswillige (mitnadev) für ein Jahr in allen Satzungen des Jachad (kol mischpetei hajachad) unterwiesen. Eine unbestimmte Zeit später wird er von der Vollversammlung der Vollmitglieder (harabim) geprüft, ob er dem Prozedere – zunächst noch ohne besondere Rechte – weiter folgen darf. Nach einer weiteren bestandenen Prüfung ein Jahr später darf er an der festen (trockenen) reinen Nahrung des Jachad teilhaben. Vorläufig wird jetzt auch sein Besitz notiert, aber noch nicht mit dem der Gemeinschaft vermischt. Eventuell wurden die im Aufnahmeprozess Befindlichen „Kinder/Söhne der Morgendämmerung“ (bnei schachar) genannt – zwischen den „Kindern der Dunkelheit“ und den „Kindern des Lichts“ (4Q298 Titel und CD XIII 14?). Erst nach einer weiteren Prüfung nach einem zweiten Jahr darf er auch die Getränke des Jachad berühren, die leichter Unreinheit annehmen. Sein Besitz wird Teil des Gemeinguts. Seine Stimme zählt in den Beratungen. Die Prüfung legt den Platz in der Rangordnung fest und wird jedes Jahr wiederholt (1QS V 20 – 24). „Man soll sie in die Rangordnung eintragen, einen nach dem andern, entsprechend seinem Verständnis und seinen Werken, so dass jeder seinem Nächsten gehorche, der Geringere dem Höheren.“ Zur Aufnahme gehört auch ein Schwur, zum Gesetz des Mose umzukehren und sich von den „Männern des Unrechts“ abzusondern (1QS V 7 – 13). Josephus beschreibt einen sehr ähnlichen stufenweisen Beitrittsprozess bei den Essenern, der allerdings drei Jahre dauert (s. o. S. 80). Die eigentliche Zeremonie findet jährlich an Schavuot statt (s. u.). 1QS I 16 – II 18 beschreibt Schavuot Beitrittsritual dieses Beitrittsritual: Und alle, die in die Ordnung des Jachad eintreten, sollen vor Gott einen Bundesschluss eingehen, zu handeln, gemäß allem, was Er befohlen, und nicht von Ihm zu weichen, durch keinerlei Schrecken, Furcht und Not […] unter Belials Herrschaft. Und wenn sie in den Bund treten, sollen die Priester und die Leviten den Gott der Heilstaten preisen und alle Werke Seiner Treue. Und alle, die in den Bund eintreten, sprechen nach ihnen: Amen, Amen! Und die Priester zählen die Erweise der Gerechtigkeit Gottes durch Seine Machttaten auf und verkünden alle Gnadenerweise der Barmherzigkeit an Israel. Und die Leviten zählen die Vergehen der Israeliten auf und all ihre schuldhaften Freveltaten und ihre Sünde(n) unter der Herrschaft Belials. [Und alle], die in den Bund eintreten, bekennen nach ihnen: Wir haben uns vergangen, [wir haben gesündigt(?)], wir haben gefrevelt, wir und

286    16  Rituale des Jachad unsere [Väter] vor uns, indem wir wandelten […] Wahrheit und Gerech[tigkeit …] Sein Gericht an uns und [unseren Vätern [… II] das Erbarmen Seiner Gnade erwies Er uns von Ewigkeit zu Ewigkeit. Und die Priester segnen alle Männer des Loses Gottes (kol anschei goral el), die vollkommen wandeln auf all Seinen Wegen und sprechen: Er segne dich mit allem Guten und behüte dich vor allem Bösen. Er erleuchte dein Herz mit dem Verstande des Lebens und begnade dich mit dem ewigen Wissen und Er erhebe Sein gnädiges Antlitz auf dich zu ewigem Frieden. Und die Leviten verfluchen alle Männer des Loses Belials (kol anschei goral belial) und heben an und sprechen: Verflucht seist du in allen Freveltaten deiner Verschuldung! Gott gebe dir Schrecken durch alle, die Rache ausüben und verordne dir die Vernichtung durch alle, die Vergeltung heimzahlen. Verflucht seist du ohne Erbarmen gemäß der Finsternis deiner Werke und verdammt seist du in der Dunkelheit ewigen Feuers. Gott sei dir nicht gnädig, wenn du ihn anrufst und Er gebe dir nicht, dein Vergehen zu entsühnen. Er erhebe Seines Zornes Antlitz zur Rache an dir und kein Friede sei dir im Munde aller Fürsprecher! Und alle, die in den Bund eintreten, sprechen nach denen, die segnen und verfluchen: Amen, Amen.

Vorbild dieses Rituals ist der Bundesschluss in Levitikus 26 und in Deuteronomium 32 nach einem kollektiven Sündenbekenntnis mit Bußgebeten (mit Andeutungen des späteren Jom Kippur-Rituals). Es handelt sich um eine liturgische Rewritten Scripture mit verteilten Rollen. Die Priester übernehmen die individuellen Segenssprüche, die Leviten die Flüche. Basistext ist der überarbeitete Priestersegen Segenssprüche aus dem Buch Numeri. Die individuellen Segenssprüche werden durch die Einsetzung positiver Elemente zu Bittgebeten um lebendiges Wissen oder Lebenswissen (sekhel chaim) und Weltverstand oder ewigen Verstand (da‘at olamim) für die neuen Mitglieder. In den Flüchen wird die Bedeutung der Segenssprüche durch die Zufügung von „nicht“ vor die Formeln aus Numeri 6 invertiert. Ihnen wird Sühne und Fürsprache verwehrt und ewige Vernichtung verheißen. Bundesschluss

Numeri 6,24 – 26

Segen 1QS II 2 – 4

Fluch 1QS II 5 – 9

Der Herr segne dich

Er segne dich mit allem Guten

Verflucht seist du in allen Freveltaten deiner Verschuldung!

und behüte dich.

und behüte dich vor allem Bösen.

Gott gebe dir Schrecken durch alle, die Rache ausüben, und verordne dir die Vernichtung durch alle, die Vergeltung heimzahlen.

Er erleuchte dein Angesicht

Er erleuchte dein Herz mit dem Verflucht seist du ohne Erbarmen gemäß der Finsternis Verstande des Lebens deiner Werke und verdammt seist du in der Dunkelheit ewigen Feuers.

16.1  Riten des Lebenszyklus: Kindheit, Beitritt und Bestattung    287 und sei dir gnädig.

und begnade dich mit dem ewigen Wissen und

Gott sei dir nicht gnädig, wenn du ihn anrufst, und Er gebe dir nicht, dein Vergehen zu entsühnen.

Er erhebe Sein Antlitz auf dich zu ewigem Frieden.

Er erhebe Sein gnädiges Antlitz Er erhebe Seines Zornes Antlitz zur Rache an dir auf dich zu ewigem Frieden. und kein Friede sei dir im Munde aller Fürsprecher!

Schließlich endet die Beitrittszeremonie mit einem besonderen von Priestern und Leviten gemeinsam gesprochenen Fluch über dieje- Fluch nigen, die aus unlauteren Motiven beigetreten sind, später aber wieder untreu wurden: Und die Priester und Leviten fahren fort und sprechen: Verflucht sei, wenn (er) mit den Götzen seines Herzens den Bundesschluss begeht, der in diesen Bund eintritt und den Anstoß zu seinem Vergehen vor sich hinstellt, um abtrünnig zu werden dadurch. Und wenn er, die Worte dieses Bundes hörend, sich in seinem Herzen glücklich preist: „Es wird mir (schon) gut gehen, wenn ich (auch) in der Verstocktheit meines Herzens wandle“, so werde sein Geist dahingerafft, „das Trockene samt dem Bewässerten“, ohne Vergebung. Gottes Zorn und der Eifer Seiner Gerichte sollen wider ihn zu ewiger Vernichtung entbrennen. Es haften an ihm alle Flüche dieses Bundes und Gott sondere ihn zum Unheil aus und er werde ausgerottet aus der Mitte aller Söhne des Lichts in seinem Abfall von Gott! Wegen seinen Götzen und dem Anstoß seines Vergehens gebe Er (ihm) sein Los inmitten der ewig Verfluchten! Und alle, die in den Bund eintreten, heben an und sagen nach ihnen: Amen, Amen.

Dieser Fluch ist in erster Linie eine Präventivmaßnahme, indem die am Ritual Teilnehmenden sich selbst für den Fall verfluchen, dass sie abtrünnig werden. Für diesen Fall gibt es ein Zurechtweisungsritual (engl. rebuke) durch den Inspektor (1QS V 24 – VI 1 oder CD A2 ix 16 – 20) und in extremen Fällen ein Exkommunikationsritual (4Q266 Da fr.11 17 – 18). 4Q477 (Rebukes Reported by the 4Q477 (Rebukes Overseer) enthält eine alphabetische Liste von zurechtgewiesenen Reported by the Personen, die vielleicht mit dem Zurechtweisungsritual zusam- Overseer) menhängt. Segen und Flüche des Bundeserneuerungs- und Exkommunikationsrituals zementierten zweifellos die dualistische Weltsicht auf Mitglieder und Außenwelt, zumal sie jährlich wiederholt wurden. Beerdigungsliturgien haben wir keine, doch beschreiben verschiedene nicht-jachadische halakhische Texte die bei Todesfällen für die Überlebenden anzuwendenden Reinheitsregelungen, und auch die Friedhöfe informieren uns über das Sterben. Angesichts der 1200 Gräber muss es bei ca. 150 – 200 Jahren Laufzeit jährlich im Durchschnitt zwischen sechs und acht Beerdigungen gegeben haben. Dass die Toten alle in der gleichen Weise, ohne Grabbeigaben und mit

288    16  Rituale des Jachad einem schlichten Steinhügel ohne individuelle Namensbezeichnung bestattet wurden, lässt darauf schließen, dass unabhängig von der den Alltag bestimmenden Hierarchie zwischen Priestern, Leviten und Israeliten oder bestimmten Funktionsträgern im Tod kein Unterschied mehr gemacht wurde. Spätestens jetzt waren alle gleich. Vielleicht ist die auffällige Nord-Süd-Ausrichtung der Gräber darin begründet, dass das Paradies im Buch der Wächter im Norden liegt und die Toten insofern Richtung Paradies schauen. Allerdings sind die Texte, vor allem die jachadischen Texte, zur Frage der leiblichen Auferstehung nicht eindeutig (s. u. S. 315 f).

16.2 Kalender, Fest- und Wochentagsliturgien Ähnlich wie bei einer christlichen monastischen Gemeinschaft wissen wir viel mehr über die kalendarischen und die täglichen Liturgien der Jachad-Mitglieder als über ihre Lebenszyklusriten. In der Tat gehört die Befolgung des richtigen Kalenders zu den in polemischen Kontexten am häufigsten genannten Punkten: „Denn man darf ihre Festtermine weder vorverlegen noch nach hinten verschiegroße Anzahl ben“ (4Q266 Da 2 i 2). Auch die große Anzahl an kalendarischen Handschriften unterschiedlicher Art bezeugt die alles überragende Wichtigkeit des Kalenders (u. a. 4Q317, 4Q320 – 4Q330). Wer den falschen Kalender befolgt, nicht alle Feste peinlich genau an den festgesetzten Daten begeht, gehört unweigerlich zu den Kräften des Bösen. Dieser Kalender gehörte zu den verborgenen Gesetzen, also zu den Reformen, die der Jachad in Judäa nicht hat durchsetzen können: 12 Doch durch jene, die festhielten an Gottes Gebot(en) 13 die von ihnen übriggeblieben waren, richtete Gott seinen Bund für Israel auf ewig auf, um zu offenbaren 14 für sie verborgene (Gesetze), bezüglich deren ganz Israel irregegangen: Seine heiligen Schabbate und die Festtermine 15 Seiner Herrlichkeit, die Zeugnisse Seiner Gerechtigkeit und die Wege Seiner Wahrheit und Seines Wohlgefallens Begehren, die tun sollte 16 der Mensch, um durch sie zu leben. [vacat] (CD A iii 12 – 16)

364-Tage-Kalender

Der Jachad befolgte einen 364-Tage-Kalender. Dass er nicht nur ein mathematisches Ideal war, sondern auch gelebt wurde, kommt in den liturgischen Handschriften und in einer berühmten Passage aus dem Habakukpescher klar zum Ausdruck: Weh dem, der seinen Nächsten trinken lässt, indem er beimischt seinen Grimm, ja (sie) trunken macht, um ihren Festen zuzusehen (Hab. 2,15). Seine Deutung geht auf den Frevelpriester, der den Lehrer der Gerechtigkeit verfolgte, um ihn zu verschlingen in der Wut seines Grimmes. An der Stätte seines Exils und zur Zeit des Festtags der Ruhe, des Versöhnungstages,

16.2  Kalender, Fest- und Wochentagsliturgien    289 erschien er bei ihnen, um sie zu verschlingen und sie zum Straucheln zu bringen am Tage des Fastens des Schabbats ihrer Ruhe (1QpHab XI 3 – 8).

Der hier erwähnte Versöhnungstag wird am zehnten Tag des siebten Monats (Tishri im Mondkalender; ca. September – Oktober) begangen. Es ist der höchste Feiertag, an dem völlige Arbeitsruhe herrscht und der Hohepriester den ganzen Tag mit einem äußerst komplexen Ritual im Tempel beschäftigt ist, in dessen Rahmen er das sonst unbetretbare Allerheiligste betritt und auch den Sündenbock in die Wüste schickt. Nach Philon hielten selbst die Juden, die an Religion sonst kein Interesse hatten, diesen Tag streng ein. Wie soll also ausgerechnet an diesem Tag der Frevelpriester, also ein Priester oder Hohepriester, in jedem Fall aber ein streng religiöser Jude, einen anderen verfolgen? Dies geht nur, wenn für den religiösen Verfolger an diesem Tag gar kein Versöhnungstag ist, also wenn er einen anderen Kalender befolgt als der Verfolgte! Kalender sind von absolut fundamentaler Bedeutung für Identität und soziales Zusammenleben. Zwei Gemeinschaften, die zwei unterschiedliche Kalender befolgen, demonstrieren bei jedem kalendarischen Akt ihre Unterschiedlichkeit. So schildert eine bekannte Erzählung in der Mischna wie Rabban Gamaliel Rabbi Jehoschua genau an dem Tag zu sich bat, auf den nach den Berechnungen Rabbi Jehoschuas eigentlich Jom Kippur fallen musste (mRH 2,8f). Es war also ein Loyalitäts- und Identitätstest nach dem Motto, „Wenn Du zu uns gehören willst, musst Du auch den gleichen Kalender befolgen.“ Auch für die Entstehung des Christentums war die Schaffung eines eigenen Kalenders einer der wichtigsten Schritte. Zum Beispiel verbot das Konzil von Nizäa unter anderem auch, Ostern in Absprache mit der lokalen jüdischen Gemeinde festzulegen. Der Jachad war nicht die einzige Gruppe, die einen 364-TageKalender befolgte. Die Präsenz eines solchen Kalenders im Astronomischen Henochbuch (1. Hen. 72 – 82), ALD, Jubiläenbuch, 2. Henochbuch und in der Tempelrolle belegen seine Autorität auch Autorität auch in in nicht-jachadischen Kreisen. Die meisten anderen Juden befolgten nicht-jachadischen einen Mondkalender von zwölf Monaten, die jeweils dann began- Kreisen nen, wenn der Neumond gesichtet wurde. Ein Mondjahr dauerte ca. 354 Tage. Nach Bedarf wurde ein 13ter Monat interkaliert, um den Mondkalender wieder mit dem 365,25 Jahre langen Sonnenjahr in Einklang zu bringen. Wenn dies nicht geschieht, wie zum Beispiel im Islam, wandern die Feste durch das Sonnenjahr. Da der Ramadan nicht mit einer bestimmten Jahreszeit liiert ist, gibt es hier keine theologischen Interferenzen (auch wenn das Fasten im Sommer schwerer fällt). Für ein Frühjahrsfest wie Pessach, ein

290    16  Rituale des Jachad

mathematische Ästhetik

kein Fest fällt auf Schabbat

Mischmarot

Erntedankfest wie Schavuot oder ein Herbstfest wie Sukkot wäre dies unmöglich. Vielfach wird der 364-Tage-Kalender als Sonnenkalender bezeichnet. Das ist allerdings ein grobes Missverständnis, denn ein Sonnenjahr hat ja, wie gerade erwähnt 365,25 Tage. Ein 364-TageKalender hat also grundsätzlich nicht mehr mit der Sonne zu tun als ein 354-Tage-Kalender. Die große Anziehungskraft des 364-Tage-Kalenders ist seine mathematische Ästhetik. Sein unschätzbar praktischer Vorteil liegt darin, dass 364 durch sieben teilbar ist, ein 364-Tage-Jahr also immer am gleichen Wochentag beginnt und alle Feste immer auf den gleichen Wochentag fallen. Was macht man mit den Monaten? Ein Mondmonat dauert ungefähr 29,5 Tage (genauer 29 Tage, 12 Stunden, 44 Minuten und 2,9 Sekunden) und wäre nur unter großen Mühen in ein Jahr mit 364 Tagen hineinzupressen. Der 364-Tage-Kalender hat daher auch nichts mit dem Mond zu schaffen. Stattdessen entschied man sich für eine mathematisch ästhetische Formel: Das Jahr wird in vier Jahreszeiten von je 90+1 Tagen aufgeteilt. Jede Jahreszeit besteht so aus drei Monaten und einem besonderen Zusatztag am Ende. Da 91 durch sieben teilbar ist, beginnen alle Jahreszeiten am gleichen Wochentag. Ein 364-Tage-Kalender hat nicht nur den praktischen Vorteil, dass man stets weiss, auf welchen Wochentag im nächsten Jahr ein gewisses Fest fällt, sondern auch, auf welchen Wochentag ein Fest nicht fallen wird, nämlich Schabbat. So kann ein großes Problem umgangen werden, mit dem sich spätere rabbinische Traktate oft und ausführlich befassen: Welche Regeln sind zu befolgen, wenn dieses oder jenes Fest mit Schabbat zusammenfällt: die Regeln des Schabbat oder die des Festes? Lässt man in einem 364-Tage-Kalender das Jahr an einem Mittwoch beginnen – dem Tag der Schöpfung von Sonne und Mond (Gen. 1,14 – 19), dem astronomischen Anfang von Tag und Nacht – fällt Jom Kippur immer auf einen Freitag, das Laubhüttenfest (Sukkot) beginnt am Mittwoch, Pessach am Dienstag, das Wochenfest (Schavuot) und die anderen Erntefeste am Sonntag sowie die Monatsanfänge Sonntags, Dienstags oder Freitags. Kein Fest fällt auf Schabbat. Zahlreiche Kalenderhandschriften befassen sich mit den Dienstzei­ ten (mischmarot) der 24 Priesterfamilien (vgl. 1. Chron. 24,17 – 19) im Jerusalemer Tempel (z. B. 4Q320 – 4Q324a, 4Q324c–4Q325, 4Q328 – 4Q330). Sie werden nach dem hebräischen Wort für „Dienstzeiten/Wachen“ Mischmarot genannt. Da mit den Dienstzeiten gewisse Rechte an bestimmten Opfergaben verbunden sind, ist dies nicht nur eine liturgische oder mathematische Fragestellung, sondern für die Priesterfamilien vor allem auch ökonomisch von zentraler Wichtigkeit. Um 24 Wachen gleichmäßig auf die Wochen

16.2  Kalender, Fest- und Wochentagsliturgien    291 Wochentag Monat 1 / 4 / 7 / 10

Monat 2 / 5 / 8 / 11

Monat 3 / 6 / 9 / 12

Sonntag

5

12

19

26

3

10

17

24

1

8

15

22

29

Montag

6

13

20

27

4

11

18

25

2

9

16

23

30

Dienstag

7

14

21

28

5

12

19

26

3

10

17

24

31

1

8

15

22

29

6

13

20

27

4

11

18

25

Donnerstag 2

9

16

23

30

7

14

21

28

5

12

19

26

Freitag

3

10

17

24

1

8

15

22

29

6

13

20

27

Schabbat

4

11

18

25

2

9

16

23

30

7

14

21

28

Mittwoch

Fest

Datum

Wochentag

Neujahr (im Frühling!)

1.1.

Mittwoch

Monatserster

1.1. / 1.4 / 1.7. / 1.10

Mittwoch

1.2. / 1.5. / 1.8. / 1.11

Freitag

1.3. / 1.6. / 1.9. / 1.12

Sonntag

Priesterordination

8.1.

Mittwoch

Pessach

14.1.

Dienstag

Beginn des Matzotfests

15.1.

Mittwoch

Omer

26.1.

Sonntag

2. Pessach

14.2.

Donnerstag

Wochenfest (schavuot) Weizenerntefest Bundeserneuerungszeremonie

15.3.

Sonntag

Weinerntefest

3.5.

Sonntag

Ölerntefest

22.6.

Sonntag

Beginn des Holzopferfests

23.6.

Montag

Erinnerungstag (jom teru‘a / zikaron)

1.7.

Mittwoch

Versöhnungstag (jom hakippurim / ta‘anit)

10.7.

Freitag

Beginn des Laubhüttenfests (sukkot)

15.7.

Mittwoch

Saisonecktage ([jemei] hapegu‘im)

31.3., 31.6., 31.9., 31.12.

Dienstag

292    16  Rituale des Jachad eines Jahres zu verteilen, benötigt man einen Zyklus von sechs Jahren (6 Jahre à 52 Wochen = 312 Wochen = 24 Priesterwachen mit je 13 Dienstwochen). Schavuot Unter den Festen ist Schavuot besonders wichtig, weil an ihm die Bundeserneuerungszeremonie begangen wird (s. u.). Ausgerechnet seine Datumsbestimmung ist in der Tora ambivalent: Vom Tag nach dem Schabbat, vom Tage, an dem ihr die Garbe für die Darbringung gebracht habt, sollen Euch sieben volle Schabbatot sein. 16 Bis zum Tag nach dem siebten Schabbat, zählt fünfzig Tage und dann bringt dem Herrn ein neues Speiseopfer dar! (mimochorat haschabbat, mijom haviakhem et omer hatnufa, scheva schabbatot tmimot tihejena. ad mimochorat haschabbat haschevi‘it tisperu chamischim jom) (Lev. 23,15 – 16) 15

Ab wann soll man die 50 Tage zählen? Vom Tag der Darbringung der Garbe (Omer). Leider präzisiert die Tora für diesen Tag kein spezielles Datum. Im rabbinischen Judentum (analog auch im Christentum für Ostern und Pfingsten) versteht man schabbat als den ersten Festtag von Pessach und feiert Schavuot 50 Tage nach Pessach immer am 6. Sivan (mMen 10,3), auf welchen Wochentag es auch fällt. Andere Juden verstanden schabbat wörtlicher. Boethusier, Sadduzäer und Karäer begannen ihre Berechnungen mit dem Schabbat der Pessachwoche (bMen 65a). Bei ihnen variiert also das Datum für Schavuot je nach dem Wochentag des Pessachfestes. Jachad, Jubiläenbuch und Tempelrolle zählen noch anders: Die Garbe wird erst nach der Beendigung des Pessachfestes dargebracht, und zwar mimochorat haschabbat, d. h. immer am Sonntag nach dem ersten Schabbat nach Pessach, also am 26. Tag des ersten Monats (denn die Pessachwoche vom 15. bis zum 22. beginnt und endet ja immer mit einem Mittwoch). Die Zählung der fünfzig Tage beginnt mit dem 26. Tag des ersten Monats und endet am Tag nach dem siebten Schabbat, also am 15. Tag des dritten Monats, einem Sonntag. Darüber hinaus teilen der Jachad und das Jubiläenbuch auch eine spezifische Interpretation Schavuots als Gedenktag des Bundesschlusses. Das Jubiläenbuch datiert den Bundesschluss am Sinai (Exodus 19 – Jub. 1,1) auf dieses Fest, ebenso wie die Bundesschlüsse mit Noach (Jub. 6,18) und Abraham (Jub. 15,1). Vielleicht spielte für die Assoziation auch eine Rolle, dass das hebräische Wort für „Schwüre“ (schevuot) mit den gleichen Konsonanten geschrieben wird wie Schavuot. Wenn nun der Jachad im dritten Zeremonie der Monat seine Zeremonie der Bundeserneuerung (4Q266 frag. 11 z. Bundeserneuerung 16 – 18; 4Q270 frag. 7 ii 11 – 12) feiert, wird das auch an Schavuot gewesen sein.

16.2  Kalender, Fest- und Wochentagsliturgien    293

Verschiedene Qumrantexte enthalten Details zu dieser jährlich von allen Mitgliedern zelebrierten Liturgie: So sollen sie es Jahr für Jahr, die ganze Zeit der Herrschaft Belials halten. Die Priester sollen zuerst den Bundesschluss begehen, in der (Rang-) Ordnung nach ihren „Geistern“, einer nach dem anderen. Und die Leviten begehen nach ihnen den Bundesschluss und das ganze Volk begeht ihn an dritter Stelle, in der (Rang‑)Ordnung, einer nach dem anderen, nach Tausendschaften und Hundertschaften und Fünfzigergruppen und Zehnergruppen (vgl. Dtn. 1,15), auf dass jeder einzelne Israelit seinen Posten (Rang) kenne in der Einung Gottes für die ewige Gemeinde. Keiner sei niedriger als sein Rang oder erhebe sich über den Ort seines Loses. Denn alle sollen in wahrhafter Einung, gütiger Demut, liebevoller Verbundenheit und in rechtem Denken sich einer gegenüber seinem Nächsten verhalten in der Gemeinde der Heiligkeit und als Söhne der ewigen Gemeinschaft. (1QS II 18 – 24, Maier)

Auch die Überprüfung der Rangordnung – vielleicht durch den Überprüfung der Rangordnung „Unterweiser“ (maskil) (1QS IX 12 – 16) – findet jährlich statt. Sie sollen ihren „Geist“ und ihre Werke Jahr für Jahr überprüfen, um einen (jeden) entsprechend seinem Verständnis und der Vollkommenheit seines Wandels aufrücken zu lassen oder ihn gemäß seiner Verkehrtheit zurückzusetzen. (1QS V 23 – 25).

Auf Schavuot am 15.3. folgt eine Reihe von besonderen Ernte- Erntefeste festen, die wir schon oben (S. 209 f) kurz besprochen haben, immer alle 49 Tage (also jeweils auch am Sonntag): das Neuweinfest am 3.5., das Ölfest am 22.6. mit anschließendem Holzfest, das eine Woche dauert (23. – 29.6.). Sie sind auch in der Tempelrolle und im „Reworked“ Pentateuch belegt. Die eindeutig jachadischen Texte sagen nicht, inwiefern auch andere Feste uminterpretiert wurden. Für die Festtage und die Schabbate gibt es ausführliche Gebetstexte, auf die wir weiter unten im allgemeinen Abschnitt zu den Gebeten zurückkommen, da sie von den meisten Spezialisten nicht für jachad-spezifisch erachtet werden. Ihre durchgehende Benutzung durch die Bewohner Qumrans wird durch die hohe Zahl, ihr handliches Format und die Datierung sowohl in das erste Jahrhundert v. Chr. als auch in das erste Jahrhundert n. Chr. nahegelegt. Weiter unten werden wir auch die religionsgeschichtliche Relevanz der Erfindung von festgelegten Wortliturgien lange vor der Zerstörung des Tempels diskutieren (s. u. „So lasst uns unsere Lippen Stiere opfern“, S. 351–376). Zwei Feste des heutigen Standardkalenders, Chanukka und Pu- Chanukka und rim, fehlen in den jachadischen Kalendern ebenso wie die kleinen Purim fehlen Fasttage (z. B. 3. Tischri). Das Estherbuch mit der Entstehungslegende für Purim ist das einzige Buch der Hebräischen Bibel, das in Qumran bislang nicht bezeugt ist. Das Fehlen des Buches in der

294    16  Rituale des Jachad Bibliothek und die Absenz des Festes im Festkalender können sehr wohl zusammenhängen. Dass der Jachad keinen Grund sah, mit Chanukka ein Fest zu begehen, das hasmonäische Heldentaten ins Zentrum stellt, ist angesichts seiner Polemik gegen gewisse Hasmonäer nicht ganz unbegreiflich. Ebenso ist verständlich, dass die Makkabäerbücher sich nicht unter seinen Büchern finden.

16.3 Tagzeitenliturgie: Morgen- und Abendgebet, Gemeinschaftsmahl und ewiges Studium Neben dem Jahreskalender war auch der Tagesablauf minutiös geregelt. Die Gemeinschaftsregel verlangt vom Mitglied, seinen Schöpfer täglich an festgelegten Momenten mit den Lippen zu preisen: […] an den Zeiten die Er festgelegt hat: Am Beginn der Herrschaft des Lichtes, bei seiner Wende (tequfato) und bei der Rückkehr zur Stätte seiner Bestimmung. Am Anfang der Wachen der Finsternis, wenn Er ihren Verwahrungsort öffnet und sie über die E[rde (?)] legt und bei ihrer Wende, da er sich zurückzieht vor dem Licht; beim Erscheinen der Lichter von der heiligen Wohnstatt, mit ihrem Rückzug zur Stätte der Majestät. (1QS X 1 – 3). […] Mit dem Eintritt des Tages und der Nacht will (auch) ich in Gottes Bund treten, mit Anbruch des Abends und des Morgens will ich sprechen Seine Gesetze. (1QS X 9 – 10)

Die erste Passage könnte auch auf mehr als zwei Gebetszeiten hindeuten, aber die zweite Passage ist eindeutig. Auch Josephus erwähnt für die Essener ein Gebet vor Sonnenaufgang und ein weiteres gemeinschaftliches Gebet um fünf Uhr (d. h. am späten Nachmittag) (BJ 2,128 – 133). Unter den Gebetstexten Qumrans enthalten die Words of the Luminaries („Divrei Hameorot“, d. h. Worte der [Himmels]leuchten [Sonne und Mond] – 4Q504, 4Q505, Morgen- und 4Q506) Texte für Morgen- und Abendgebete an den sieben WoAbendgebete chentagen. Daneben enthalten auch die leider sehr fragmentarischen Daily Prayers (4Q503, datiert ca. 100 – 75 v. Chr.) für jeden Tag eines Monats spezielle Abend- und Morgengebete (in dieser Reihenfolge!). Da beide Texte von der Mehrheit als nicht jachadspezifisch angesehen werden, werden wir sie erst im letzten Teil dieses Buches genauer besprechen (s. u. S. 359–363). Schabbat Für den Schabbat enthalten die Words of the Luminaries spezielle Gebete, die sich in ihrer Feierlichkeit, ähnlich wie im späteren rabbinischen Judentum, von den werktäglichen Gebeten unterscheiden. Daneben gibt es die mystischen Sabbatopferlieder. Auch sie werden wir unten besprechen, da es sich eventuell um einen nicht-jachadischen Text handelt (s. u. S. 371–375). 4Q251

16.3 Tagzeitenliturgie  295

Halakha A fr. 1 – 2 Z. 5 erwähnt Lesen und Auslegen einer Schriftrolle am Schabbat, aber leider ist der Kontext zu fragmentarisch. Philon spricht von essenischen Gebeten (Quod omnis probus 81), aber vielleicht projiziert er nur seine eigene Gemeinde auf die Essener. Josephus bezeichnet den essenischen Schabbat als besonders strikt (BJ 2,147). Tatsächlich betreffen besonders zahlreiche halakhische Bestimmungen in der Damaskusschrift den Schabbat (CD A x 14 – xi 18, Doering zur Schabbathalakha). Bereits kurz vor Schabbathalakha Sonnenuntergang, also vor dem eigentlichen Beginn des Schabbats, ist es verboten zu arbeiten (s. u. S. 387). Am Schabbat selbst ist es auch untersagt, über Arbeit oder Geld sogar nur zu reden oder Nichtjuden für sich Arbeiten erledigen zu lassen. Man darf nur am Vortag zubereitetes Essen zu sich nehmen, kein Wasser schöpfen und keinen versiegelten Krug mit Lebensmitteln öffnen. In ein Loch gefallene Tiere dürfen nicht gerettet werden, Menschen schon, allerdings nur ohne zusätzliche Hilfsmittel. Vieh darf man noch nicht einmal bei der Geburt behilflich sein. Man darf nichts ins Haus bringen oder heraus. Man darf sich nur 1000 Ellen von seiner Ortschaft entfernen, zum Vieh-Weiden auch 2000. Man muss gewaschene Kleider anziehen. Einzig Schabbatopfer sind erlaubt, keine Festtagsopfer – einer der Gründe für den 364-Tage-Kalender und die Vermeidung einer Koinzidenz eines Festes mit Schabbat. Viele dieser Regeln mögen nicht jachad-spezifisch sein, denn auch das Jubiläenbuch kennt ähnlich strikte Schabbatbestimmungen (Jub. 2,17 – 32; 50,6 – 13). Dort wird die Übertretung sogar mit dem Tod bestraft, während die Damaskusschrift eine siebenjährige Bewährungsfrist kennt (CD A xii 3 – 6). Andere Juden lehnten viele dieser Verbote hingegen ab oder wendeten eine gemilderte Form an. Nach der tannaitischen Literatur war es z. B. immer erlaubt, Leben zu retten. Dies ist die berühmte piquach nefesch-Regel (tSchab 9,22; Mekhilta deRabbi Jischmael Schabbat 1, Stemberger 415). Sie ist in Qumran nicht belegt. Nach Lukas würden Pharisäer auch am Schabbat Tiere, die in einen Brunnen gefallen waren, wieder herausziehen (Lk. 14,5). Nach den Synoptikern heilt Jesus am Schabbat auch Krankheiten, die nicht lebensbedrohlich sind – wird dafür allerdings attackiert (Mk. 3,1 – 6). Die erlaubte Wegstrecke außerhalb der Ortschaft beträgt bei anderen Juden 2000 Ellen (mSot 5,3; vgl. Apg. 1,12), nicht nur 1000 (s. o.). Wie der Kalender, das Zeitmanagement, so ist auch das gemeinschaftliche Essen identitätsbildend, ob man von einer Familie spricht, einem College, einer Konferenz oder einer religiösen Ge- Gemeinschaftsmeinschaft. Ein Gemeinschaftsmahl erscheint als zentrales Ritual in mahl

296    16  Rituale des Jachad der Gemeinschaftsregel (1QS VI 2 – 8), in Josephus (BJ 2,129 – 133) und in messianischer Form in der Gemeinderegel (1Q28a II 17 – 22). Speisesäle, Geschirrkammer und Tierknochendepots in Qumran gehören eventuell zu diesen Mahlen. Dieses Gemeinschaftsmahl hat eine zentrale Rolle in den Vergleichen von Qumran, dem frühen Christentum, der pharisäischen Chavura und den rabbinischen Segen über das Schabbatmahl gespielt. Spätestens seitdem es für möglich gehalten wird, dass der Jachad Qumran erst nach der Komposition der Gemeinschaftsregel besiedelt hat, lohnt es sich, die einzelnen Quellen zunächst sauber getrennt voneinander zu besprechen. Die Gemeinschaftsregel (1QS VI 2 – 8) stellt gemeinschaftliches Essen, Beten und miteinander Rat Halten auf eine Stufe in der Identitätsbildung, „wo auch immer sie wohnen“ (bekhol megurejhem). Ein Priester sitzt der Gruppe vor, die aus mindestens zehn Männern des Jachad besteht. Jeder sitzt (nicht liegt, wie in hellenistischen Symposien) auf dem seinem Rang (tikkun) entsprechenden Platz an einem Tisch. Erst spricht der Priester einen Segen über das Brot und dann über den Traubensaft (tirosch). Dass kein Wein (jain) verwendet wird, kann andeuten, dass man Trunkenheit meiden will. (Auch Priestern im Tempel ist der Genuss von Wein untersagt.) Im Unterschied zur Bibel wird der Segen nicht nur nachher, sondern wie in einigen frühchristlichen und tannaitischen Texten auch vorher gesprochen (Dtn. 8,10; Mk. 6,41; Lk. 22; Did. 9 – 10; mBer 6). Der Zugang zu Speis und Trank der Gemeinschaft ist streng geregelt. Nach dem ersten Jahr darf der Aspirant die reine Speise (tohora) berühren, aber erst nach dem zweiten Jahr und erfolgter Aufnahme auch die reinen Flüssigkeiten (maschqe), welche empfänglicher für Unreinheit sind (1QS VI 16 – 23). Anscheinend waren Reinigungsbäder vor dem Essen nötig (1QS V 13 – 14). So sagt es auch 4QTohorot A: „Für alles heilige Essen muss man seinen Körper in Wasser waschen“ (4Q274 2 i 9 – ii 1). Josephus stimmt mit einem Großteil dieser Details eng überein, fügt aber einige Einzelheiten und Interpretationen hinzu (BJ 2,129 – 133). Man(n) trägt weiße Kleider und unterzieht sich vorher einem Reinigungsbad. Das Mahl wird am Vormittag (zur fünften Stunde) und abends eingenommen. Außenstehenden ist die Teilnahme am Morgenmahl verboten (vielleicht auch am Abendessen). Ein Priester spricht einen Segensspruch vor und nach dem Mahl, welcher von den anderen Mitgliedern beantwortet wird. Ansonsten herrscht völlige Stille. Das Essen besteht aus Brot und einem anderen Gericht. Josephus vergleicht den Speisesaal mit einem Tempel, gibt dem Mahl also sakrale Bedeutung. Nach ihm dürfen Aspiranten nach dem ersten Jahr das reinere Wasser berühren und nach

16.3 Tagzeitenliturgie    297

weiteren zwei Jahren Speise (trophe) (BJ 2,137 – 139). Wenn ersteres das Trinkwasser ist und nicht einfach die Reinigungsmikve, widerspricht die Reihenfolge der Gemeinschaftsregel. Josephus fügt weiter hinzu, dass Mitglieder, die temporär vom Gemeinschaftsmahl ausgeschlossen sind, nur noch Gras essen können und oft elendiglich an Hunger sterben. Dies ist wahrscheinlich eine Übertreibung, um die Essener exotischer wirken zu lassen (BJ 2,143 – 144). Die in der Gemeinschaftsregel genannten Strafen nennen neben dem Ausschluss oftmals auch eine Reduktion der Essensrationen, z. B. um ein Viertel – die Bestraften hatten also noch drei Viertel ihrer Ration zur Verfügung (z. B. 1QS VI 24 – 25; VII 15 – 16). Dies bedeutet auch, dass längst nicht alle Mahle der Jachad-Mitglieder sakrale Gemeinschaftsmahle waren. Wer Gemeinschaftsregel, Josephus und Qumran als drei Quellen eines Phänomens interpretiert, für den kann die Archäologie weitere Punkte hinzufügen. L77 wird meistens als Speisesaal einer großen Gruppe interpretiert (s. o. S. 107 f). Eine Mikve L56 lag direkt neben dem Speisesaal. Brot und Speisen konnten in der Küche L38 gebacken und zubereitet werden. Die in den Qumranhöhlen gefundenen weiß gefärbten Leinenkleider unterscheiden sich eindeutig von den Wollgewändern der anderen Fundorte. Die lokale Töpferei produzierte rituell reine Keramik. Schließlich sind die merkwürdigen analogielosen Tierknochendepots, die eindeutig Reste von Festmahlen koscherer Tiere aus Periode I und II sind, vielleicht aus religiösen Gründen so behandelt worden. Hätte man sie entsorgen wollen, hätte man sie einfacher ins Wadi kippen können, was den Ort auch besser vor Schakalen geschützt hätte (Magness). Wer Qumran und Josephus von der Gemeinschaftsregel trennt, muss andere Erklärungen für diese Details vorbringen, insbesondere die Lokalisierung der Mikve und die Präsenz der Leinenkleider und der Tierknochendepots. Die Mitglieder des Jachad nahmen diese Mahlzeiten im Geiste eines endzeitlichen messianischen Mahles ein, wie man aus der Gemeinderegel (1QSa) lernen kann (Schiffman). Ihre Beschreibung eines endzeitlichen Banketts (1QSa II 11 – 22) stimmt oft bis in die Wortwahl mit der Gemeinschaftsregel (1QS) überein, mit dem Zusatz, dass nach dem Priestersegen erst der „Messias Israels“ vom Brot isst, bevor die Mitessenden mit ihrem Segensspruch antworten. Die Gemeinschaftsregel gibt im Gegensatz zu Josephus keine Regeln für den Zeitpunkt des Gemeinschaftsmahls an, doch ist es durch die Sitzregeln und die Segenssprüche klar, dass es sich um ein liturgisches Ereignis handelt. Es ist allerdings umstritten, ob sich aus dem Text auch eine sakrale Funktion des Mahls, die den

Tierknochendepots

messianisches Mahl 1QSa

298    16  Rituale des Jachad Tempelkult ersetzt, nachweisen lässt, wie Josephus sie insinuiert (BJ 2,129: autoi de katharoi kathaper eis hagion ti temenos paraginontai to deipnētērion). Dies hat weitreichende Auswirkungen im Hinblick auf die Bezüge zur und die Interpretation der christlichen Eucharistie als Opfermahl. Nimmt der Priester bei seiner Segnung nur eine Ehrenposition ein (Schiffman, Eckardt)? Dagegen spricht, dass seine Anwesenheit für die Abhaltung des Gemeinschaftsmahls als unabdingbar erachtet wird. Sein Anteil wird als Erstling (reschit) bezeichnet. Dies kann entweder profan bedeuten, dass der Priester sich als Erster bedient, oder aber, dass die Gabe mit der Erstlingsgabe (reschit) im Tempel identifiziert wird (vgl. Ex. 23,19; Lev. 2,12; Num. 15,20; Dtn. 18,4; 26,12) und eine spezifische rituelle Funktion einnimmt. Für letzteres spricht die Formulierung in der Gemeinschaftsregel (1QS VI 5f; vgl. 1QSa II 18f; 4Q251 frag. 9 z. 1). Bezugnahme auf den Tempel („Templisierung“) impliziert aber nicht automatisch ein Opfermahl oder gar eine Ersatzfunktion. Templisierungen können ganz unterschiedliche Bezugs- und Funktionsweisen haben (Stökl Ben Ezra). Auch das spätere Qiddusch am Schabbat hat ja, wie der Name schon sagt, sakrale Aspekte. gemeinschaftliches Ein drittes gruppenbildendes Ritual ist das gemeinschaftliche ununterbrochenes ununterbrochene Studium. Studium

Nicht fehle an einem Ort, wo sich zehn befinden, ein Mann, der im Gesetz studiert (isch doresch batora), (und zwar) Tag und Nacht, ständig einer den andern . Die Vollmitglieder (harabim) sollen gemeinschaftlich (bejachad) ein Drittel aller Nächte des Jahres wachen, um in / aus dem / einem Buche (basefer/besefer) zu lesen, Recht(sentscheid) zu erforschen und gemeinschaftlich (bejachad) zu lobpreisen. (1QS VI 6 – 8)

Die Bedeutung dieses ritualisierten permanenten Kollektivstudiums für die ideologische Formierung – oder sollte man sagen Formatierung – kann nicht übertrieben werden. Vermutlich waren nicht nur Texte der Tora und der Propheten, sondern auch Kompositionen wie das Jubiläenbuch, die Gemeinschaftsregel, Pescharim oder z. B. 4QMMT Studienobjekt. Einige Interpretationen, die wir in unterschiedlichen geschriebenen Texten wiederfinden, werden höchstwahrscheinlich in diesem Think-Tank entstanden sein. Überhaupt ist dieses permanente Studium ein Beleg für die außerordentliche Bedeutung, die der uns unzugängliche mündliche Diskurs gehabt haben muss.

16.4  Gebet vs. Opfer    299

16.4 Gebet vs. Opfer Zahlreiche jachadische Texte bezichtigen die Jerusalemer Priesterautoritäten der Korruption und Unreinheit und bezweifeln die Gültigkeit der dort ausgeführten Rituale. „Jerusalem, in der der Frevelpriester Abscheulichkeiten begangen und das Heiligtum verunreinigt hat.“ (1QpHab XII 7 – 9). Welche Auswirkungen hatte das miserable Verhältnis des Jachad zu Jerusalemer Priestern? Beteiligten sich seine Mitglieder nur noch indirekt am Tempelkult, wie es Josephus in einer Passage über die Essener insinuiert (Ant. Iud. 18,19)? Boykottierten sie ihn ganz? Versuchten sie gar, ihn provisorisch oder dauerhaft (durch Gebete, Gemeinschaftsmahle oder den Jachad selbst als spirituellen Tempel) zu ersetzen, ähnlich wie später im rabbinischen Judentum? Mehrere Passagen in der Damaskusschrift legen nahe, dass die Teilnahme am Teilnahme am Jerusalemer Tempelkult aus Reinheitsgründen abge- ­Jerusalemer Tempelkult lehnt wurde. Alle, die in den Bund gebracht wurden – dass sie (ja) nicht zum Heiligtum gehen, Seinen Altar umsonst anzuzünden! Sie sollen „Türenverschließer“ werden, wie Gott gesagt hat: „Wer unter euch verschließt seine Tür? Zündet nicht meinen Altar umsonst an!“ (CD A vi 11f) Niemand soll ein Brandopfer, Speiseopfer, Räucherwerk oder Holz durch einen Mann zum Altar schicken, der durch irgendeine Unreinheit unrein ist, um ihm dadurch zu gestatten, den Altar zu verunreinigen. Denn es steht geschrieben: Das Schlachtopfer der Gottlosen ist ein Gräuel, aber das Gebet der Gerechten ist gleich wohlgefälligem Speiseopfer (Prov. 15,8). (CD A xi 18 – 21)

­abgelehnt

Dazu scheint sich die Gemeinde Gremien geschaffen zu haben, die bestimmte Funktionen des Tempelkultes, wie z. B. Sühne für Vergehen, übernehmen konnten. Der Jachad selbst wird als Tempel, heiliges Haus mit einem Allerheiligsten angesehen: Wenn dies in Israel geschieht, steht die Gemeinschaft des Jachad fest in der Wahrheit, für die ewige Pflanzung, ein heiliges Haus für Israel und ein Kreis des Allerheiligsten für Aaron. Wahrhafte Zeugen fürs Recht (Gericht) und Erwählte des (göttlichen) Willens, um zu entsühnen das Land und an den Frevlern Vergeltung zu üben. (1QS VIII 4 – 6).

Es ist nicht unwahrscheinlich, dass Gebete provisorische Ersatz- Gebete als profunktionen ausübten, wie der Kontext des gerade zitierten Pro- visorische Ersatzverbienzitats sowie die folgende Passage unzweideutig ausführen: funktion Wenn dies in Israel nach allen diesen Anordnungen geschieht, zu gründen heiligen Geist für die ewige Wahrheit, um zu entsühnen die Verschuldung des Abfalls und der Missetat Sünde, zum Wohlgefallen für das Land mehr als Brandopferfleisch und mehr als des Schlachtopfers Fett: das Hebopfer der Lippen nach Vorschrift wie rechter Beschwichtigungsduft und vollkom-

300    16  Rituale des Jachad mener Wandel wie freiwillige, wohlgefällige Gabe. In dieser Zeit sondern die Männer der Einung ein heiliges Haus für Aaron aus, damit sie durch Einung ein Allerheiligstes bilden – und ein Haus der Einung für Israel, die vollkommen wandeln. (1QS IX 3 – 6)

Ähnliche Aussagen finden sich auch bei verschiedenen Propheten (Hos. 6,6), in den Psalmen (141) und in verschiedenen Schriften der Literatur des Zweiten Tempels. Sie implizieren keinesfalls, dass der Tempel und sein Kult ausgedient hatten, sondern legitimieren zusätzliche religiöse Handlungen neben dem allgemein anerkannten Opferkult. Der Jachad privilegiert Mitglieder, die Priester oder Leviten sind. Ihre Anwesenheit ist für die Gemeinschaftsmahle nötig. Sie sprechen den Segen und essen als erste. Bei der Rangordnung werden sie stets als erste genannt. Unter ihren Schriften finden sich unzählige Listen für die Priesterwachen im Tempel (4QMishmarot, s. o. S. 291 f) und viele gesetzliche Bestimmungen für den dortigen Opferkult, zum Beispiel in der Tempelrolle (Goodman).

16.5 Reinheit Im antiken Judentum gab es rituelle und moralische Unreinheit. Rituelle Unreinheit konnte z. B. durch Geburt, durch Kontakt mit Leichen, durch sexuelle oder krankheitsbedingte Körperausflüsse, durch die Anwesenheit bestimmter Kriechtiere oder unreiner Dinge in Gefäßen oder Räumen oder durch den Kontakt mit einer anderen unreinen Person verursacht werden. Die meisten Formen von Unreinheit waren unvermeidbarer Teil des täglichen Lebens und durch Rituale behebbar. Leichtere Unreinheiten blieben auf die unreine Person beschränkt, gravierendere waren hingegen auf andere Gegenstände oder Personen übertragbar. Je nach Grad der (Un)reinheit war nun die Ausführung bestimmter Tätigkeiten oder der Kontakt zu Personen zeitweise eingeschränkt. Dies galt insbesondere für alles, was mit dem Jerusalemer Tempel, seinem Kult und seinem Kultpersonal zu tun hatte. Je näher man dem Allerheiligsten des Tempels kam, desto höher war der benötigte Reinheitsgrad. Heiligkeit und Unreinheit sind also in gewisser Weise auch Antonyme. Ein(e) temporär Unreine(r) konnte sich – nach Ende des Unrein­ Riten heitsgrundes (Menstruation, Krankheit etc.) – durch spezielle Riten reinigen. Am weitesten verbreitet war die Durchführung von einem oder mehreren Tauchbädern in Verbindung mit anschließender Wartezeit (ein Tag, eine Woche, 40 Tage etc.). Ein anderes wichtiges Reinigungsritual war das Besprengen mit der Asche einer verbrannten roten Kuh (beschrieben in Num. 19 und im Mischnatraktat Para). Dieses eigenartige Ritual diente dazu, die gravierendste Unrein­heit

16.5 Reinheit    301

zu behandeln, welche durch den Kontakt mit einer menschlichen Leiche verursacht wurde. Reue war bei diesen Ritualen nicht nötig, denn ihnen lag ja kein Fehlverhalten zugrunde. Nur wer sich in der Folge den Reinigungsvorschriften nicht unterwirft, macht sich zusätzlich zu seiner Unreinheit auch noch schuldig. Am ehesten kann man Unreinheit heute mit unbeabsichtigter radioaktiver Kontamination und die Reinigungsriten mit Dekontamination vergleichen. Damals wie heute macht derjenige sich schuldig, der sich nicht den Reinigungsvorschriften unterwirft. Ein Unreiner, der den Tempel betritt, kann heute verglichen werden mit dem, der einen sterilen Bereich eines Krankenhauses absichtlich oder versehentlich ohne vorhergehende sterilisierende Reinigung betritt. Erst das unrechtmäßige Betreten macht ihn schuldig. Aber das ist ein vom Status der Unreinheit separater Akt. Daneben gab es moralische Unreinheit als Folge sündhaften Handelns. Viele betrachten moralische Unreinheit als metaphorisch, aber dem ist nicht unbedingt so (Klawans). Moralische Unreinheit verunreinigte das Land Israel und den Tempel, aber sie konnte nicht durch Kontakt auf andere Menschen übertragen werden. Für die Sünde musste, soweit es ging, Reparation geleistet werden (z. B. musste der Dieb das gestohlene Gut zurückgeben oder ersetzen und dazu eine Strafe als Wiedergutmachung zahlen). Dazu musste ein Opfer dargebracht werden, das Gott versöhnte, Reue manifestierte. Durch diesen Handlungskomplex wurde die moralische Unreinheit beseitigt. Der Jachad vertrat eine fundamental andere Konzeption: Ähnlich wie im Zoroastrismus wird rituelle Unreinheit nicht von moralischer Unreinheit getrennt, sondern beide werden miteinander identifiziert. In diesem Fall werden zur Behandlung jeglicher Art von Unreinheit Reue und Umkehr nötig. Reinigungsriten helfen nicht mehr automatisch, sondern man braucht dazu die richtige innere Einstellung: „Man wird nicht rein, außer man kehrt um von seiner Bosheit, weil Unreines an allen Übertretern seines Wortes haftet“ (1QS V 13). Umgekehrt benötigt man nun zur Behebung der Folgen von Sünde Reinigungsbäder (1QS III 6 – 9; 4Q512 VII 8f). Wer sündigte, wurde von Speise und Trank der Gemeinschaft ausgeschlossen. Sündige Unreinheit gilt offensichtlich als ansteckend (1QS VI 24 – VII 25; VIII 16 – 18, vgl. CD ix 16 – 23). Und wer nicht zum Jachad gehört, ist automatisch bei den unreinen Sündern; für ihn sind alle Reinigungsriten zwecklos: Und jeder, der es ablehnt zu kommen (in den jachad) … nicht wird er schuldlos durch Sühneriten, kann sich nicht reinigen durch Reinigungswasser. Nicht kann er sich heiligen in Seen und Flüssen, noch sich reinigen in jeglichem Wasser der Waschung. Unrein, unrein bleibt er, solang er die

moralische ­Unreinheit

rituelle Unreinheit nicht von moralischer Unreinheit getrennt

302    16  Rituale des Jachad Satzungen Gottes verachtet, sich nicht unter Zucht stellt in der Einung (jachad) Seines Rates. (1QS II 26 – III 6)

Wer also moralisch fehlbar ist, weil er nicht zu den Kindern des Lichts gehört, ist automatisch unrein. Die extremen Auswirkungen auf zwischenmenschliche Beziehungen und auf die jachadische Beurteilung des seiner Ansicht nach durch Unreine ausgeführten Jerusalemer Tempelkults kann man sich ausmalen. Der gestufte Beitrittsprozess regelt in erster Linie den Zugang zu besonderer fester und flüssiger Nahrung des Jachad (tohora und maschqe) (1QS VI 16 – 23). Interessanterweise spielt die Diskussion von koscheren und unkoscheren Tieren überhaupt keine Rolle in den Qumrantexten. Aber anscheinend waren Reinigungsbäder vor dem Essen nötig (1QS V 13 – 14). So sagt es auch 4QTohorot A: „Für alles Heilige Essen muss man seinen Körper in Wasser waschen“ (4Q274 2 i 9 – ii 1). All dies passt gut zu den Aussagen bei Josephus über die Essener und zu den archäologischen Gegebenheiten. Zahl und Größe der Mikvaot in Qumran lassen keinen Zweifel daran aufkommen, dass Reinheitsriten im Leben der hier lebenden Gruppe eine große Rolle spielten, sei es beim Eintritt in die Siedlung (L132), vor dem gemeinsamen Mahl (Mikve L56) oder nach dem Stuhlgang (L51).

16.5 Reinheit    303

17 „Einen Mann im Herzen erleuchten“: Zur Ideologie des Jachad

Angel, Joe, „The Liturgical-Eschatological Priest of the Self-GlorificationHymn“, Revue de Qumrân 24 (2010) 585 – 605. Chazon, Esther, Human and Angelic Prayer in Light of the Dead Sea Scrolls. In: dies./Clements, Ruth/Pinnick, Avital (Hgg.), Liturgical Perspectives: Prayer and Poetry in Light of the Dead Sea Scrolls, Leiden 2003, 35 – 57. Collins, John, The Scepter and the Star. Messianism in Light of the Dead Sea Scrolls, Grand Rapids, ²2010. Collins, John, Apocalypticism in the Dead Sea Scrolls, London 1997. De Jong, Albert, Iranian Connections in the Dead Sea Scrolls. In: Lim, Timothy/Collins, John (Hgg.), The Oxford Handbook of the Dead Sea Scrolls, Oxford 2010, 479 – 500. Frey, Jörg, Different Patterns of Dualistic Thought in the Qumran Library. Reflections on Their Background and History. In: Bernstein, Moshe/ García Martínez, Florentino/Kampen, John (Hgg.), Legal Texts and Legal Issues, Leiden 1997, 175 – 335. Hogeterp, Albert, Expectations of the End. A Comparative Traditio-Historical Study of Eschatological, Apocalyptic and Messianic Ideas in the Dead Sea Scrolls and the New Testament, Leiden 2009. Ibba, Giovanni, Qumran. Correnti del pensiero giudaico (III a.C. – I d.C.), Rom 2007. Lange, Armin, Weisheit und Prädestination, Leiden 1995. Mach, Michael, Entwicklungsstadien des jüdischen Engelglaubens in vorrabbinischer Zeit, Tübingen 1992. Osten-Sacken, Peter von der, Gott und Belial. Traditionsgeschichtliche Untersuchungen zum Dualismus in den Texten aus Qumran, Göttingen 1969. Popovic, Mladen, Reading the Human Body. Physiognomics and Astrology in the Dead Sea Scrolls and Hellenistic-Early Roman Period Judaism, Leiden 2007. Puech, Émile, La croyance des esséniens en la vie future. Immortalité, resurrection, vie éternelle? Paris 1993. Ringgren, Helmer, The Faith of Qumran, Philadelphia 11963, Expanded Edition. Edited with a New Introduction by James H. Charlesworth. New York ²1995. Stegemann, Hartmut, „Zu Textbestand und Grundgedanken von 1QS III,13 – IV,26“, Revue de Qumran 13 (1988) 95 – 131. Stuckenbruck, Loren, The Interiorization of Dualism within the Human Being in Second Temple Judaism. The Treatise of the Two Spirits (1QS III: 13 – IV: 26) in Its Tradition-Historical Context. In: Lange, Armin/ Meyers, Eric M./Reynolds, Bennie H./Styers, Randall (Hgg.), Light Against Darkness. Dualism in Ancient Mediterranean Religion and the Contemporary World, Göttingen 2011, 145 – 168.

304    17  Ideologie des Jachad Thomas, Samuel, The ‚Mysteries‘ of Qumran. Mystery, Secrecy, and Esotericism in the Dead Sea Scrolls, Atlanta 2009. Xeravits, Géza (Hg.), Dualism in Qumran, New York 2010. Xeravits, Géza, King, Priest, Prophet. Positive Eschatological Protagonists of the Qumran Library, Leiden 2002. große methodologische Probleme

Wer eine Theologie Qumrans schreiben möchte, steht vor großen methodologischen Problemen. Erstens ist die Literatur Qumrans in keiner Weise nach irgendwelchen philosophischen Prinzipien systematisch geordnet (Ausnahme ist nur die Zweigeisterlehre). Dann macht sich das fundamentale Problem bemerkbar, welche Texte zur jachadischen Literatur zählen. Zudem ist es selbst innerhalb der jachadischen Texte problematisch, aus heterogenen Quellen eine Theologie zu harmonisieren. Schließlich ist es unvorstellbar, dass sich die Theologie des Jachad in den 150 – 250 Jahren ihrer Existenz nicht entwickelt hätte. Doch ist es bislang zu schwierig, diese Entwicklung genau aufzuzeigen. Dennoch kann man gewisse besonders spezifische Grundlinien zeichnen und auf Problemstellungen in der gegenwärtigen Diskussion aufmerksam machen. Dualismus, doppelte Prädestination und zweigleisiger Messianismus als Hauptphänomene der Theologie des Jachad werden heute komplexer wahrgenommen als noch vor zwanzig Jahren.

17.1 Gott, Engel, Mensch Der Gott der jachadischen Rollen ist in erster Linie ein Gott der Erkenntnis (da‘at), mehr als beispielsweise des Heils (jeschu‘a), obgleich dies natürlich auch genannt wird (Tigchelaar). Die jachadischen Autoren haben in ihren Texten den Gottesnamen JHWH nach Möglichkeit umgangen und sprechen normalerweise nur von „Gott“ (el). Darüber hinaus unterschieden die Kopisten Wörter für Gott oft graphisch vom Rest des Textes dadurch, dass sie althebräische statt judäische Schriftzeichen für Begriffe wie el oder eloheikha oder für den Gottesnamen JHWH (bei Abschrift von Texten, die das Tetragramm doch verwenden) benutzen. Die Aussprache des Gottesnamens war ein schweres Vergehen im Strafkatalog. Daneben finden wir, dass der Himmel mehr und mehr mit Engeln und Geistern bevölkert wird. Einige Texte bezeichnen die Engel mit Plural für Gott dem Plural für Gott (elim) (z. B. 1QM I 10; X 8; die Hymne(n) in (elim) 4Q431 1 4 / 4Q491 11 i 18), so dass Gott als „Prinz der Götter“ angeredet werden kann (sar elim – 1QHa XVIII 10) oder sogar als „Gott der Götter“ (el elim – 4Q403 ShirShabd 1 ii 26). Ist das ein

Gott der Erkenntnis (da‘at)

17.1  Gott, Engel, Mensch    305

Schritt zum Polytheismus? Bei dieser Diskussion ist es wichtig zu verstehen, dass Poly- und Monotheismus keine neutralen Begriffe sind, sondern aus der religiösen Polemik des Juden- und Christentums gegen „die anderen“ stammen. Später benutzte vor allem auch der Islam diese Kategorie – gegen das Christentum. Selten kommt in abrahamitischen religiösen Systemen Gott ohne himmlische Assistenten oder ohne einen Widersacher wie den Teufel aus. Wenn man dann argumentiert, dass Gott aber hierarchisch immer höher steht, übersieht man schnell, dass auch in vielen nicht-abrahamitischen klassischen Philosophien eine Gottheit über allen anderen stand, man also auch hier von Monotheismus reden müsste. Trotz der Beförderung der Engel zu „Göttern“ gibt es auch in Qumran eine Unterscheidung zwischen dem einen Gott und seinen Assistenten und Widersachern. Nie wird z. B. das Wort el beim Gebrauch für Engel in althebräischen Buchstaben geschrieben. Diese himmlischen Wesen sind in zwei Lager geteilt (s. u. Dualismus, S. 307–312). Die guten Kräfte werden vom Prinzen des Lichts / Michael / Melkizedek, die bösen Kräfte vom Prinzen der Finsternis / Belial / Melkirescha beherrscht. Wir dürfen aber nicht davon ausgehen, dass diese Namen austauschbar waren. Ein Autor bevorzugte den einen Namen, ein anderer einen anderen, ohne dass sie damit unbedingt dieselbe Figur meinten. Nicht nur die Engel konnten zu „Göttern“ aufsteigen – auch die Menschen konnten – vorübergehend – an der Gemeinschaft der Engel teilnehmen: Ich danke Dir, Herr, denn Du hast meine Seele aus Verderben erlöst und aus Höllenabgrund 21 mich erhoben zu ewiger Höhe, dass ich wandle auf ebenem Plan ohne Grenze. Ich weiß, dass es Hoffnung gibt für einen, den 22 Du gebildet aus Staub für einen ewigen Rat, einen verkehrten Geist hast Du gereinigt von viel Vergehen, um sich hinzustellen am Posten mit 23 einem Heer von Heiligen (qedoschim) und in Gemeinschaft (jachad) zu treten mit der Gemeinde (eda) der Himmelssöhne. Du warfst dem Mann ein ewiges Los mit Geistern der 24 Erkenntnis (ruchot da‘at), Deinen Namen zu loben in gemeinschaftlichem Jubel und Deine Wunder zu erzählen vor all Deinen Werken. (1QHa XI 21 – 24) 20

Das Wort jachad ist hier wohl bewusst ambivalent. Gott hat die Macht, Menschen so zu reinigen, dass sie einen Jachad mit den Himmelswesen bilden können, um mit ihnen zusammen Gott zu loben. Der Mensch lobt mit Engeln zusammen, wird also nach dieser Passage nicht selber Engel. Die Grenzen werden jedoch nicht immer so sauber gezogen. Manchmal kann sich das Wort „Heilige“

Prinz des Lichts / Michael / Melkizedek Prinz der ­Finsternis / Belial / Melkirescha

Gemeinschaft der Engel

306    17  Ideologie des Jachad (qedoschim) im gleichen Kontext sowohl auf Engel als auch auf Menschen beziehen (1QM XII 1 – 8): Wegen Deiner Ehre hast Du (den) Menschen von Vergehen gereinigt, so dass er sich heiligen kann 14 für Dich von allen Unreinheits-Greueln und Veruntreuungsschuld, um mit den Söhnen Deiner Wahrheit sich zu vereinigen und aus Staub ein Totengewürm im Los mit 15 Deinen Heiligen (qedoschim) zum Rat Deiner Wahrheit zu erheben und aus verkehrter Gesinnung zu Deiner Einsicht, 16 sich mit ewigem Heer und ewigen Geistern auf den Posten vor Dir hinzustellen, um sich mit allem S[ein] 17 und Gewordenen und mit Kennern in der Gemeinschaft des Lobsingens (bejachad rina) zu erneuern. [vacat] (1QHa XIX 13 – 17) 13

Mit den Anhängern des Jachad befinden sich Engel im eschatologischen Lager (1QM VII 6). Gemeinschaft mit Engeln war jedoch keinesfalls nur eine utopische Vorstellung, sondern ein Ziel des regelmäßigen gemeinschaftlichen Gebets. Auch nach 4QBerakhot nehmen Engel am Gottesdienst teil. Die Self-Glorification Hymn setzt den Sprecher in den Kreis der „Götter“ um Gottes Thron: Ich, unter die Götter werde ich gezählt und mein Lager ist in der Gemeinde des Heiligen. Mein Verlangen ist nicht fleischlich, alles, was mir teuer ist, ist in der Ehre der Stätte des Heiligen. Wer ist so wie ich verachtet worden, doch ähnelt mir in meiner Ehre? (4Q491 11 i 14 – 15).

Wenn der Sprecher unter die Götter gerechnet wird und kurz darauf in gemeinsamen Lobgesang mit den Engeln einstimmt, gibt es kaum Zweifel, dass er sich zum himmlischen Chor zählt. Wir werden darauf im Abschnitt zur Mystik noch ausführlicher zurückkommen (s. u. S. 370–375). Nach Josephus (BJ 2,142) hüteten die Essener streng die ihnen Engelnamen bekannten geheimen Engelnamen. Im Gegensatz zu jüdischen Texten der Spätantike, wie der Hekhalotliteratur, die unzählige Engelnamen erwähnt, finden wir in Qumran allerdings nur sehr wenige spezielle Engelnamen. Die meisten explizit angeführten Engelnamen sind weit verbreitet: z. B. Michael, Gabriel, Rafael und Sariel in der Kriegsregel (1QM IX 14 – 16). Viele Geisterwesen tragen generische Namen wie Geist der Bescheidenheit (ruach anwa), Geist der Unzucht (ruach znut), Faust der Bosheit (egrof rescha) oder Geist der Unreinheit (ruach tmea), wie in der Zweigeisterlehre und in einer leider sehr fragmentarischen Liste unreiner Geister (4Q230). Die Grenze zwischen Geistern und menschlichen Eigenschaften muss dabei – wie in den Testamenten der Zwölf Patriarchen und in der zoroastrischen Theologie (s. u. S. 307–312) – offenbleiben.

17.2 Dualismus    307

Es sind derartige Geister, die schlechtes menschliches Verhalten verursachen (vgl. 4Q286 7 ii). Allerdings sind diese Texte nicht unbedingt jachadisch. Auf der Seite der Finsternis kennt die Bibliothek des Jachad beispielsweise Belial (vgl. Jubiläenbuch), die babylonische Dämonin Lilit und Azazel (4Q180 fr. 1 7f; 4Q510 fr. 1 5). Unter den bekannten bösen Himmelswesen ist Azazel besonders interessant. Im Kapitel über Nacherzählungen und Erweiterungen biblischer Narrative haben wir den Mythos der gefallenen Engel zu Beginn vom Buch der Wächter erstmals kennengelernt, der den Ursprung der Sünde so ganz anders erklärt als die Paradiesgeschichte. Das Böse kommt nicht aus dem Menschen selbst, sondern er ist von bösen Mächten verführt worden. Unter der Führung von Asael oder Schemihaza paaren sich gefallene Engel mit Menschenfrauen und es entstehen Wächter, die – ähnlich wie Prometheus in der griechischen Mythologie – den Menschen verwerfliche Künste (Krieg, Schminken, etc.) beibringen, welche sie zur Sünde verführen. In 4Q180 – 181 heißt der Führer dieser gefallenen Engel Azazel, genau wie die Destination des Sündenbocks im Tempelritual an Jom Kippur. Der Hohepriester begegnet im Ritual dieses besonderen Festtags also einerseits Gott beim Eintritt ins Allerheiligste, andererseits schickt er die Sünden zum Chef der bösen Mächte, Azazel. Nach dieser Auffassung ist das wichtigste Tempelritual klar dualistisch.

17.2 Dualismus Dualismus ist ein Wort, das weiterer Präzisierung bedarf, denn zahlreiche Aspekte des menschlichen Lebens definieren sich durch zwei gegenübergestellte Extreme (links-rechts, heiß-kalt, großklein). In der Religionsgeschichte spricht man z. B. von ethischem Dualismus (gut vs. böse), physischem Dualismus (Körper vs. Seele), kosmisch-theologischem Dualismus (Engel vs. Dämonen, Gott vs. Teufel). Platos Philosophie baut auf physischem Dualismus auf. Qumran hingegen verbindet einen stark ausgeprägten ethischen mit einem kosmisch-theologischen Dualismus. Menschen und Engel sind auf zwei diametral entgegengesetzte Lager verteilt, das Lager des Lichts (or) und der Wahrheit (emet) und das Lager der Finsternis (choschekh) und des Unrechts (awel, ewla). Am deutlichsten kosmisch-ethische tritt dieser kosmisch-ethische Dualismus in der sogenannten Zwei- Dualismus geisterlehre des Unterweisers für die Söhne des Lichts (1QS III Zweigeisterlehre 13 – IV 26) zutage:

308    17  Ideologie des Jachad Er schuf den Menschen zur Beherrschung der Welt und setzte ihm zwei Geister, um in ihnen zu wandeln bis zur festgesetzten Zeit Seiner Heimsuchung. Das sind die Geister der Wahrheit und des Unrechts. An der Stätte des Lichts ist der Ursprung der Wahrheit, und aus der Quelle der Finsternis der Ursprung des Unrechts. In der Hand des Fürsten der Lichter liegt die Herrschaft über alle Söhne des Rechts, auf den Wegen des Lichtes wandeln sie. In der Hand des Engels der Finsternis liegt alle Herrschaft über die Söhne des Unrechts, auf den Wegen der Finsternis wandeln sie. Durch den Engel der Finsternis geschehen die Verirrungen aller Söhne des Rechts, all ihre Sünden, ihre Vergehen, ihre Verschuldung und ihre treulosen Taten geschehen durch seine Herrschaft, gemäß Gottes Geheimnis, im Verlauf seiner Zeit. (1QS III 17 – 23)

Auch wenn Gott beide Geister geschaffen hat, ist Gott selbst nicht neutral, sondern mit dem Lager des Lichts und der Wahrheit verbunden. Der Dualismus reicht also nur bis zur zweithöchsten Etage. Es gibt keine böse Kraft, die Gott gleichwertig wäre. Den einen (Geist) liebt Gott für alle ewigen Zeiten und an all seinen Werken hat Er Gefallen für immer. Den anderen – Er verabscheut sein Wesen und all seine Wege hasst Er für immer. (1QS IV 1)

„Die Söhne des Rechts“ bzw. „Söhne des Lichts“ (bnei or) sind natürlich die Mitglieder des Jachad. Die Außenstehenden zählen zu den Kindern der Finsternis (bnei choschekh): Die Kinder des Lichts sind angehalten, alles zu lieben, was er erwählt hat, […] anzuhangen allen guten Werken […] alle Söhne des Lichtes zu lieben, jeden nach seinem Los in der Ratsversammlung Gottes [… und …] alles zu hassen, was er verworfen hat; sich fernzuhalten von allem Bösen […] aber alle Söhne der Finsternis zu hassen, jeden nach seiner Verschuldung in Gottes Rache (1QS I 1 – 11).

4Q298

unterschiedliche dualistische Positionen

Ähnlich drastisch drückt sich sonst noch die Kriegsregel (z. B. 1QM I 1) aus. Schon die antithetischen Formulierungen (lieben-hassen; erwählt-verworfen, Söhne des Lichtes-Söhne der Finsternis) zeigen die ihnen zugrunde liegende bipolare Einstellung. Viele meinen, dass die im Beitrittsprozess befindlichen Menschen zu einer Übergangsgruppe der „Kinder der Morgenröte“ (bnei schachar) gehören, denen der Maskil eine Ansprache widmet (4Q298 in kryptischer Schrift). Zu Beginn der Qumranologie galt die Zweigeisterlehre der Gemeinschaftsregel als Glaubensbekenntnis des Jachad. Doch hat die Veröffentlichung aller Texte gezeigt, dass derartige Formulierungen weniger verbreitet sind, als man hätte annehmen sollen. Nicht alle jachadischen Texte vertreten eine derartig extrem bipolare Sicht der Menschheit (Anthropologie) und Engelwelt (Angelologie). Die einzelnen Kompositionen formulieren recht unterschiedliche dualistische Positionen (Frey).

17.2 Dualismus    309

Seit der Veröffentlichung der Fragmente aus Höhle 4 wissen wir außerdem, dass 1QS I – IV in einigen Versionen der Gemeinschaftsregel fehlte. Sie war also weniger zentral als erwartet. Die Terminologie der Kinder des Lichts taucht in den späteren Kolumnen der Gemeinschaftsregel, den Ordnungen der Gemeinschaft, nicht auf. Viele Forscher nehmen an, die Zweigeisterlehre habe eine Vorgeschichte als separater Traktat und sei ursprünglich gar nicht jachadisch (Stegemann). Doch selbst wenn dies richtig ist, steht für 1QS dieser Text eindeutig im Zentrum. Sie hat ihn quasi jachadisiert. Auch findet er sich – mit einem anderen Wortlaut – in 4Q255, der ältesten Kopie. Schließlich wird der anthropologische, angelologische und kosmische Dualismus rituell jedes Jahr neu im Bewusstsein aller Teilnehmer der Bundeserneuerungszeremonie ver- Bundeserneueankert: Alle Männer des Gottesloses werden gesegnet, alle Männer rungszeremonie des Loses Belials verflucht (1QS II 2 – 10). Dieses Ritual findet sich auch in Handschriften, in denen die Zweigeisterlehre fehlt (z. B. 4Q256, 4Q257): Er soll sich durch den Bund(esschluss) binden, sich abzusondern von allen Männern des Frevels, die auf gottlosem Wege wandeln; denn sie werden nicht zu seinem Bund gerechnet; (1QS V 10f // 4Q256 IX 6 – 8 // 4Q258 I 5 – 7, vgl. 4Q257 II – III).

Auch der ursprüngliche Anfang der Damaskusschrift wendet sich an die „Söhne des Lichts“ (4Q266 1a – b 1). Nach der Damaskusschrift hat Gott seit Urzeiten festgelegt, welche Kreatur zu welchem Lager gehört: Aber Macht und Kraft und großer Grimm mit Feuerflammen durch alle Engel des Verderbens gegen die, die dem Wege widerstreben und die Satzung verabscheuen, so dass es keinen Rest und kein Entronnenes für sie geben wird. Denn Gott hat sie von uralter Zeit an nicht erwählt; und bevor sie geschaffen wurden, kannte er ihre Werke. (CD A ii 5 – 8)

Die Fürsten der guten und bösen himmlischen Mächte walten dabei über ihre menschlichen Akteure wie Marionettenspieler: Einstmals stand Mose auf und Aaron durch den Fürsten der Lichter, aber Belial ließ den Jannes aufstehen und seinen Bruder in seiner Tücke, als Israel zum ersten Mal gerettet wurde. (CD A v 17 – 19)

Die Zweigeisterlehre vertritt dabei keinen simplen Schwarz-WeißDualismus. Innerhalb jedes Menschen stehen sich Geister beider Kräfte in unterschiedlichem Maße gegenüber und bekämpfen sich. Bis dahin streiten die Geister der Wahrheit und des Unrechts im Herzen des Mannes. Sie wandeln in Weisheit oder Torheit. Je nach jemandes Erbteil an Wahrheit und Recht so hasst er das Unrecht und gemäß seinem Anteil am Lose des Unrechts frevelt er darin und verachtet so die Wahrheit. Denn

310    17  Ideologie des Jachad zu gleichen Teilen setzte sie Gott bis zur bestimmten Zeit und der neuen Schöpfung und Er kennt das Werk ihrer Taten für alle Zeiten [auf ewig]. (1QS IV 23 – 25) [Gelobt bist Du, ]O Herr, der in das Herz Deines Knechtes Verständnis gegeben hat, 20 damit er bezüglich all dieser Dinge Einsicht erhalte und be[trachte …] und sich angesichts der üblen Geschehnisse zurückhalte und segne 21 mit Gerechtigkeit alle, die Deinen Willen wählen, [und wähle alles, w]as Du liebst, und verabscheue alles, was 22 [du haßt]. Du hast Deinem Knecht Einsicht gegeben […Lo]se der Menschheit, denn nach den Geistern hast Du sie geworfen zwischen 23 Gut und Böse und hast bestimmt […] ihr Wirken. Und ich, ich weiß aufgrund der von Dir kommenden Einsicht, 24 dass Du durch Deinen Gutwillen für den Men[sch]en, ihm [sein Erbteil] an Deinem heiligen Geist vergrö[ßert hast]. So bringst Du ihn Deiner Einsicht nahe und je nach 25 seiner Nähe wird sein Eifer gegen alle Übeltäter und Betrüger sein. Denn alle, die Dir nahekommen, werden nicht gegen Deinen Mund rebellieren, 26 und alle, die Dich kennen, werden Deine Worte nicht verändern. Denn Du bist gerecht und Wahrheit ist alles, was Du wählst. Alles Übel 27 und Böse wirst Du auf ewig vernichten. Deine Gerechtigkeit wird angesichts all Deiner Werke offenbart werden. (1QHa VI 19 – 27) 19

Die Rangordnung eines Mitglieds hängt davon ab, wie stark bei der Prüfung die Kräfte des Guten in ihm überwiegen (1QS II 19 – 23; 4Q186 IX 14 – 16, s. o. S. 285–287). Früher galt 4Q186 mit seinem „Haus des Lichts“ und „Loch der Finsternis“ als Beispiel für eine derartige Evaluation der Anteile des Lichts in einem Menschen: „Er hat Geist(anteile) im Haus des Lichts sechs, und drei im Loch der Finsternis.“ (4Q186 1 ii 7f). Nach den jüngsten Forschungen soll es sich vielleicht um astronomische Phänomene handeln, aber dies bleibt unsicher (s. u. S. 346 f). In der Diskussion um den Ursprung dieses Dualismus spielt zunächst die zoroastrische Religion aus dem antiken Iran eine Kernrolle. Auch im Zoroastrismus stehen sich zwei Geister gegenüber, die wie in der Zweigeisterlehre je nach Kontext individuelle Geisterwesen, Teilaspekte einer menschlichen Seele oder eine abstrakte Idee sind (de Jong). Die Parther werden in den griechischen und lateinischen Quellen viel zu stark vernachlässigt, da diese mehr an Rom und Ägypten interessiert sind. Als bedeutender Machtfaktor in der Geschichte Judäas tauchen sie meist nur im Rahmen des Eroberungszuges 40 v. Chr. und der Krönung von Antigonos II. Mattathias bzw. Herodes auf. Doch war die jüdische Präsenz im

17.2 Dualismus    311

parthischen Reich stark. Mesopotamien, das Kernland des parthischen Reiches, war den Seleukiden entrissen worden. Die Annahme persischen Einflusses kann viele Aspekte der Zweigeisterlehre er- persischer Einfluss klären. Allerdings gibt es auch wichtige Unterschiede, u. a. keine Prädestination. Außerdem bleibt die Quellenlage schwierig (siehe Kasten). Andere dualistische Religionen oder Strömungen wie der Manichäismus oder die Gnosis erscheinen zu spät, um Qumran beeinflusst zu haben. Der Name Zoroastrismus kommt vom legendären Religionsgründer Zoroaster (Zarathustra). Hauptquellen sind einerseits die Ritualtexte (Yasna) der Avesta (ca. 1000 v. Chr.?) mit den Gathas (Hymnen Zoroasters), und andererseits die erst viel später verschriftlichten mittelpersischen Quellen wie das Denkard (9. Jahrhundert n. Chr.). Viele Aspekte finden sich erst in den mittelpersischen Quellen und machen eine historische Analyse zu Spekulation. Die Welt ist Schauplatz eines kosmischen Kampfes zwischen zwei diametral entgegengesetzten Gottheiten, dem guten Ahura Mazda und dem bösen Angra Maynu (Ahriman). Ahura Mazda wird von sieben Geistern (amisha spenta) assistiert. Jeder Mensch muss sich entscheiden, mit welchem der beiden er sich alliieren möchte. Alle anderen Kreaturen sind genetisch der guten (z. B. Hunde) oder bösen (z. B. Katzen) Seite zugeordnet. Im statuenlosen Kult wurde das heilige Feuer verehrt. Die heiligen Elemente (Wasser, Feuer, Erde, Luft) durften nicht durch Leichen verunreinigt werden, daher werden Tote „guten“ Tieren (Hunden oder Geiern) zum Fraße vorgeworfen. Der kosmische Kampf zwischen Ahura Mazda und Angra Maynu wird mit dem Sieg Ahura Mazdas enden. Verschiedene eschatologische Ideen sind zum ersten Mal in zoroastrischen Quellen attestiert (z. B. ein Messias).

Zoroastrismus

Die Existenz zeitweilig mächtiger böser kosmischer Kräfte ist eine naheliegende Lösung für das Problem der Theodizee im Monotheismus, der gleichzeitig einen guten allmächtigen und allwissenden Gott annimmt und eine durch menschliche Sünden zerrüttete Weltrealität kennt. Alle Schlechtigkeit kann so als Teil von Gottes Plan erklärt werden, die doch nicht von ihm gewirkt ist, sondern nur einer zeitweilig von ihm geduldeten bösen Kraft zugeschrieben wird. Einige sehen diesen Dualismus daher als innerjüdische Entwick- innerjüdische lung (Duhaime, Osten-Sacken), denn Ansätze dualistischen Den- ­Entwicklung kens finden sich auch in zahlreichen Texten, deren Zugehörigkeit zu den jachadischen Quellen bezweifelt oder abgelehnt wird. Die aramäischen Visionen Amrams sind vielleicht das deutlichste Beispiel: Denn jeder Tor und Fr[evler wird verfinster]t und jeder Wei]se und Wahrhaftige erleuchtet. [Denn alle Söhne des Lichts (bnei nahora?)] 13 werden zum Licht und zur Vollkommenheit [und zum wahren] Recht gehen und alle Söhne der Finst[ernis (bnei chaschokha) werden zur Finsternis und zum 12

312    17  Ideologie des Jachad Tod] 14 und zum Untergang gehen. (4Q548 Visionen Amramsf ar) 1 ii + 2  Zeilen 5 – 14)

Die Terminologie (Söhne des Lichts vs. Söhne der Finsternis) und die anderen Gegenüberstellungen gleichen den in jachadischen Texten üblichen Formulierungen so stark, dass García-Martínez diesen Text sogar für jachadisch hält. Da er in Aramäisch verfasst ist, stimmen ihm die wenigsten zu. Im Unterschied zur Damaskusschrift und zur Zweigeisterlehre lassen die Visionen Amrams dem Menschen explizit völlige Wahlfreiheit: Und siehe, da gab es zwei, die über mich diskutierten und sagten […] und einen großen Streit meinetwegen hatten. Da fragte ich sie „Warum herrscht ihr über mich?“ Sie sagten „Wir […] haben Macht und haben Macht über alle Menschen.“ Und sie sagten mir „Von wem von uns möchtest Du beherrscht werden?“ (4Q547 (Visionen Amramse ar) 1 – 2 III 10 – 13 + 4Q543 4 – 9 + 4Q544 1)

Wie in den jachadischen Texten haben also zwei himmlische Wesen alle Macht über die menschlichen Geschicke innerhalb ihrer jeweiligen Herden, aber im Unterschied zu den jachadischen Texten erst, sobald der Mensch seinen Machthaber gewählt hat. Auch Texte der johanneischen und der paulinischen Schulen reden von „Kindern des Lichts“ (hyioi / tekna fōtos: Joh. 12,36; 1. Thess. 5,5; Eph. 5,8) (s. u. S. 336 f). Und mit ethischen Mahnungen verbundener Licht-Finsternis-Dualismus ist verbreitet (z. B. 2. Kor 6,14; Joh. 3,19 – 21; 1. Joh. 1,5 – 10, die manichäischen Kephalaia 16 aber auch Aristoteles, Metaphysik, 986a, 22 – 26 und wiederum Eph 5).

17.3 Doppelte Prädestination Neben dem kosmisch-ethischen Dualismus ist die doppelte spezielle Prädestination eines der Hauptcharakteristika jachadischen Denkens. Prädestination heißt, dass die Geschehnisse der Welt von Gott bereits vorherbestimmt sind. Die meisten jüdischen Gruppierungen, die von einem Weltende ausgehen, kennen eine allgemeine Prädestination, nach der die Kräfte des Guten eine Endschlacht gewinnen, der das Endgericht folgt. Bei der jachadischen Theorie handelt es sich um spezielle Prädestination, nach der alle einzelnen Ereignisse und das Schicksal einer jeden Kreatur vorherbestimmt sind: Und er kennt die Jahre des Bestehens und die Zahl und Bestimmung ihrer Zeiten für alle 10 ewigen Geschehnisse und ewigen Ereignisse, was in ihren Zeiten kommen wird für alle Jahre der Weltzeit. (CD A ii 9 – 10) 9

17.3  Doppelte Prädestination    313 In Deiner Weisheit [setztest Du fest die Geschlechte (?)] der Weltzeit und ehe Du sie geschaffen, kanntest Du {all} ihre Werke für immer und ewig. [Denn ohne Dich wird ni]chts getan und ohne Deinen Willen wird nichts erkannt! Du formtest jeden Geist und ihre [Werke hast Du bestim]mt und das Gericht für all ihre Werke (1QHa IX 9 – 11) Darin liegt die Herkunft aller Menschen und an ihren Klassen haben Anteil all ihre Gruppen nach ihren Geschlechtern. Auf ihren Wegen wandeln sie und all ihrer Taten Werk (geschieht) in ihren Klassen entsprechend dem Anteil eines jeden, ob mehr oder weniger, für alle ewigen Zeiten. Denn Gott setzte sie zu gleichen Teilen bis zur letzten Zeit und setzte ewige Feindschaft zwischen ihre Klassen. (1QS IV 15 – 17) Denn nicht beim Menschen steht sein Weg und ein Mann setzt nicht seinen Schritt, sondern bei Gott liegt das Urteil und aus Seiner Hand (kommt) 11 der vollkommene Wandel. Mit Seinem Wissen ist alles geworden, alles Werdende setzt Er fest durch sein Denken und ohne IHN wird es nicht vollbracht. (1QS XI 10 – 11)

10

Ich habe erkannt, daß Wahrheit Dein Mund und in Deiner Hand Gerechtigkeit (liegt), in Deinem Denken 11 liegt alle Erkenntnis und in Deiner Kraft alle Macht, alle Herrlichkeit, sie ist bei Dir. Durch Deinen Zorn (kommen) alle Plagegerichte, 12 und durch Deine Güte reiche Vergebungen und Dein Erbarmen gilt allen Söhnen Deines Wohlgefallens. (1QHa XIX 10 – 12) 10

Das Problem zwischen menschlicher Entscheidungsfreiheit und göttlicher Vorherbestimmung löst der Jachad, indem dem einzelnen Jachad-Mitglied in den Mund gelegt wird: „Ich will erwählen, was Er mich anweist und ich will annehmen, wie Er mich richtet“ (1QS X 12 – 13). Gottes Kontrolle reicht dabei bis in die Rede der Einzelnen: „Du schufst den Hauch auf der Zunge und kennst ihre Worte, setztest der Lippen Frucht fest, noch ehe sie sind.“ (1QH IX 29 – 30). Offensichtlich hatte Gott also auch vorhergesehen, wer wann welche Bittgebete sprechen würde. Auch die Entscheidung, dem Jachad zuzugehören, oblag offensichtlich der Vorbestimmung Gottes: „Denn ohne Dich wird kein Wandel vollkommen und ohne Deinen Willen geschieht gar nichts.“ (1QS XI 17). In Josephus’ dreiteiliger Religionssoziologie passt dieses zentrale Dogma nur zu

314    17  Ideologie des Jachad den Essenern, nach welchen Gott alles vorherbestimmt hat, während die Sadduzäer Menschen völlige Entscheidungsfreiheit zubilligen und die Pharisäer eine Zwischenposition einnehmen (Ant. Iud. 13,172; s. o., S. 81 f).

17.4 Mysterium, Esoterik, Geheimlehren und Schriftauslegung Die Regeln für Beitrittswillige verdeutlichen die große Rolle von esoterischen Geheimlehren im Jachad (Thomas). Sie dürfen erst Vollmitgliedern mitgeteilt werden. Geheimnisverrat wurde hart bestraft (1QS VIII 11f; BJ 2,141). Die Präsenz von Texten in kryptischen Schriften bezeugt höchstwahrscheinlich den Willen einiger Jachad-Gelehrter, selbst innerhalb des Jachads bestimmte Ideen nicht allen Augen zugänglich zu machen. Die beste Methode, Texte geheim zu halten, ist, sie nicht zu verschriftlichen und sie nur mündlich von Lehrer zu Schüler weiterzugeben. Wir dürfen daher sicher nicht davon ausgehen, dass uns alle Arkanlehren des Jachad Buch des Hagi bekannt sind. Mehrere Qumrantexte erwähnen ein Buch des Hagi (manchmal mit Meditation übersetzt), in dessen Regeln mevaqer und maskil besonders bewandert sein müssen. Dies war offensichtlich ein schriftliches Werk. Wir wissen aber nicht, ob eines der Qumranfragmente einmal zu diesem Buch gehörte. Von fundamentaler Bedeutung ist, dass Gott nach Auffassung des Jachad nur Mitgliedern die verborgenen Deutungen der Tora nistar (nistar) eröffnet hatte. Außenstehende konnten nur den offenbaren nigle Sinn (nigle) erkennen: esoterische Geheimlehren

Doch durch jene, die festhielten an Gottes Gebot(en) 13 die von ihnen übriggeblieben waren, richtete Gott seinen Bund für Israel auf ewig auf, um zu offenbaren 14 für sie verborgene (Gesetze), bezüglich deren ganz Israel irregegangen: Seine heiligen Schabbate und die Festtermine 15 Seiner Herrlichkeit, die Zeugnisse Seiner Gerechtigkeit und die Wege Seiner Wahrheit und Seines Wohlgefallens Begehren, die tun sollte 16 der Mensch, um durch sie zu leben. (CD iii 12 – 16) 12

Wenn nur Auserlesene gewisse Gesetze Gottes verstehen können, ist die Entstehung einer sektiererischen Gemeinschaft unvermeidbar.

17.5 Präsente Eschatologie, Auferstehung Die Mitglieder des Jachad glaubten, dass das Ende der Zeiten (eschaton griech. „das Letzte“) bereits begonnen hatte, in welchem die Herrschaft Belials besonders stark sei (1QS I 16 – 18; 1QM XIV

17.5  Präsente Eschatologie, Auferstehung    315

9) und er mit seinen drei Netzen Unzucht, Reichtum und Verunreinigung des Heiligtums die Menschen verführt (CD A iv 12 – 14). Die endgültige Zerstörung Belials und seiner himmlischen und irdischen Kräfte in einem von der Kriegsregel beschriebenen Krieg zwischen den Söhnen des Lichts und der Finsternis steht aber vor der Tür: Da]s ist eine Rettungszeit (et jeschu‘a) für Gottes Volk und eine Herrschaftsperiode für alle Männer seines Loses, aber ewige Vernichtung für das ganze Los Belials. (1QM I 5f).

Auch die Nichtjuden werden vernichtet:  … alle die Völker (gojim), 2 die da (kultisch) dem Stein und dem Holz dienten, Aber am Tag 3 des Gerichts wird Gott austilgen alle die Götzendiener (ovdei ha‘atzavim) 4 und die Frevler von der Erde (1QpHab XIII 1 – 4). 1

Die Männer der Partei Gottes hingegen, Seine Wahrer, das sind die Armen/Demütigen der Herde, 10 diese werden gerettet in der Zeit der Heimsuchung, doch die übrigen werden dem Schwert überliefert beim Kommen des Gesalbten 11 Aarons und Israels (CD B xix 9 – 11). 9

Nach den meisten Texten erwarteten die Mitglieder des Jachads zwei unterschiedliche Messiasse, einen priesterlichen Messias (meschiach aharon) und einen nicht-priesterlichen (meschiach jisrael) (vgl. CD A xii 23f; 1QS IX 10f par; 1QSa II 11 – 14), in der Gemeinschaftsregel auch zusätzlich einen Propheten (1QS IX 11). Der nicht-priesterliche Messias scheint königlicher Abstammung zu sein. Vielleicht ist er mit dem Prinz der Gemeinde (nasi ha‘eda) zu identifizieren, einer eschatologischen Figur mit davidischer Abstammung (tzemach david) (4Q252 V 3; 4Q174 Florilegium 1+2 i+21  Zeilen 10 – 13; vgl. CD vii 20). Er wird auch in Texten erwähnt, welche mit der Kriegsrolle verwandt sind, und hat dort prinzipiell militärische Funktionen (4Q285 5 3f // 11Q14 1 I 11 – 13; 1QM V 1; vgl. 1Q28b V 20 – 24). Die Taten des (hohe)priesterlichen Messias schildert besonders der sogenannte Melkizedekpescher (11Q13): Befreiung der von Belial Gefangenen; Sündenvergebung und Versöhnung; Gericht mit den Heiligen Gottes über Belial und die Frevler und Vernichtung Belials durch Feuer. Wer dem Los Gottes angehört, erhält ewiges Leben (chajei netzach, CD A iii 20; vii 4 – 6), Frieden (schalom), Segen (berakha), Ehre (kavod) und Freude (simcha) (1QM I 9). Wie ist das „ewige Leben“ zu verstehen? Nach Josephus glaubten die Essener an die Auferstehung der Seele, während die Pharisäer an leibliche Auferstehung glaubten, und die Sadduzäer beides ganz ablehnten (vgl. auch Mk. 12,18 – 27 par; Apg. 23,6f). Nach Hippolytus glaubten die Essener auch an die leibliche Auferstehung (so

priesterlicher Messias (meschiach aharon) und nichtpriesterlicher Messias (meschiach jisrael)

316    17  Ideologie des Jachad Auferstehung

auch Puech). Die Idee der leiblichen Auferstehung war dem Jachad in jedem Fall bekannt, denn wir finden sie in einigen nicht-jachadischen Texten, u. a. Daniel 12,1 – 3, 4Q521, 4Q385 2 / 4Q386 und 4Q418 Fr. 69 ii 6 – 9. Die Qumrantexte halten sich bezüglich der Auferstehung erstaunlich bedeckt. In den eindeutig jachadischen Texten finden wir sie nur in den Hymnen und nur an zwei Stellen, deren Interpretation umstritten ist. Wegen Deiner Ehre hast Du (den) Menschen von Vergehen gereinigt, so dass er sich heiligen kann 14 für Dich von allen Unreinheits-Greueln und Veruntreuungsschuld, um mit den Söhnen Deiner Wahrheit sich zu vereinigen und aus Staub ein Totengewürm (tola‘at metim) im Los mit 15 Deinen Heiligen zum Rat Deiner Wahrheit zu erheben und aus verkehrter Gesinnung zu Deiner Einsicht, 16 sich mit ewigem Heer und ewigen Geistern auf den Posten vor Dir hinzustellen, um sich mit allem S[ein] 17 und Gewordenen und mit Kennern in der Gemeinschaft des Lobsingens (bejachad rina) zu erneuern. [vacat] (1QHa XIX 13 – 17). 13

Dieser Text spricht nicht von einer zukünftigen Auferstehung, sondern von einer bereits vollzogenen Reinigung irdisch unreiner Menschen, um sich am Kreis der himmlischen Geschöpfe zu beteiligen. Überhaupt ist von Tod nur indirekt die Rede. Collins schließt daraus, dass der Grund, „warum Tod in diesen Texten nicht als Problem erscheint [ist, dass] die Mitglieder des Gemeinderates glaubten, dass sie die Metamorphose in das engelhafte ewige Leben bereits in ihrer Lebenszeit vollbracht hätten“ (Apocalypticism, 1997, 118). Dies kommt Josephus sehr nahe.

Teil 5:

Schlüsselloch Qumran: Neue Einblicke ins antike Judentum Der abschließende Teil dieses Lehrbuchs analysiert vier zentrale Themen, zu denen jeweils die einschlägigen nicht-jachadischen und die nicht-eindeutig-jachadischen Texte vorgestellt werden. Da es sich thematisch anbot, finden sich in jedem Kapitel methodologische Grundüberlegungen zum Vergleich mit außerqumranischen Quellen: in Kapitel 18 zu Eschatologie, Apokalyptik und Messianismus steht der Vergleich mit urchristlichen Quellen im Vordergrund; in Kapitel 19 (Weisheit, Wissenschaft und Magie) der Vergleich mit Texten des Judentums des zweiten Tempels. Der erste Teil in Kapitel 20 zu Liturgie und Gebet enthält methodologische Überlegungen zu Vergleichen mit dem großen Korpus der antiken jüdischen Gebetsliteratur. Der zweite Teil (zur Mystik) bespricht Ähnlichkeiten und Differenzen zur Hekhalot-Literatur. Methodologie in Vergleichen von Qumrantexten mit halakhischen rabbinischen Quellen wird im abschließenden Kapitel 21 zu Tora und Halakha reflektiert.

17.5  Präsente Eschatologie, Auferstehung    319

18 „Das Ende der Tage“: Eschatologie, Apokalyptik und Messianismus – Qumran und das christliche Judentum

Brooke, George, The Dead Sea Scrolls and the New Testament, Minneapolis 2005. Brooke, George, From Jesus to the Early Christian Communities. Modes of Sectarianism in the Light of the Dead Sea Scrolls. In: Roitman, Adolfo/ Schiffman, Lawrence/Tzoref, Shani (Hgg.), The Dead Sea Scrolls and Contemporary Culture, Leiden 2011, 413 – 434. Charlesworth, James (Hg.), Jesus and the Dead Sea Scrolls, New York 1993. Charlesworth, James (Hg.), The Bible and the Dead Sea Scrolls. Volume Three. The Scrolls and Christian Origins, Waco 2006. Charlesworth, James/Lichtenberger, Hermann/Oegema, Gerbern (Hgg.), Qumran-Messianism, Tübingen 1998. Collins, John J., The Scepter and the Star. Messianism in Light of the Dead Sea Scrolls, Grand Rapids 2010. Collins, John J., Apocalypticism in the Dead Sea Scrolls, London 1997. Collins, John J./Evans, Craig (Hgg.), Christian Beginnings and the Dead Sea Scrolls, Grand Rapids 2006. DiTommaso, Lorenzo, The Dead Sea ‚New Jerusalem‘ Text, Tübingen 2005. Frey, Jörg/Becker, Michael (Hgg.), Apokalyptik und Qumran, Paderborn 2007. Frey, Jörg, Die Textfunde von Qumran und die neutestamentliche Wissenschaft. Eine Zwischenbilanz, hermeneutische Überlegungen und Konkretionen zur Jesusüberlieferung. In: Beyerle, Stefan/Frey, Jörg (Hgg.), Qumran aktuell, Neukirchen-Vluyn 2011, 225 – 293. Frey, Jörg, Critical Issues in the Investigation of the Scrolls and the New Testament. In: Lim, Timothy/Collins, John (Hgg.), The Oxford Handbook of the Dead Sea Scrolls, Oxford 2010, 517 – 545. Frey, Jörg, Recent Perspectives on Johannine Dualism and Its Background. In: Clements, Ruth/Schwartz, Daniel R. (Hgg.), Text, Thought, and Practice in Qumran and Early Christianity, Leiden 2009, 127 – 157. García-Martínez, Florentino, Qumran and Apocalyptic. Studies on the Aramaic Texts from Qumran, Leiden 1992. García-Martínez, Florentino (Hg.), Echoes from the Caves. Qumran and the New Testament, Leiden 2009. Hamidovic, David, „L’eschatologie essénienne dans la littérature apocalyptique“, Revue des Études Juives 169 (2010) 37 – 55. Knibb, Michael, Eschatology and Messianism in the Dead Sea Scrolls. In: Flint, Peter/VanderKam, James (Hgg.), The Dead Sea Scrolls after Fifty Years, Leiden 1998 – 1999, 379 – 402. Nodet, Etienne/Taylor, Justin, The Origins of Christianity, Collegeville 1998.

320    18  Qumran und das christliche Judentum Puech, Émile, „Messianisme, eschatologie et résurrection dans les manuscrits de la mer Morte“, Revue de Qumrân 18 (1997) 255 – 298. Rey, Jean-Sébastien (Hg.), The Dead Sea Scrolls and Pauline Literature, Leiden, 2014. Smith, Jonathan Z., Drudgery Divine. On the Comparison of Early Christianities and the Religions of Late Antiquity, Chicago 1990. Stuckenbruck, Loren, The Dead Sea Scrolls and the New Testament. In: David, Nóra/Lange, Armin (Hgg.), Qumran and the Bible, Leuven 2010, 131 – 170. Xeravits, Géza, King, Priest, Prophet: Positive Eschatological Protagonists of the Qumran Library, Leiden 2003. Zimmermann, Johannes, Messianische Texte aus Qumran, Tübingen 1998.

Oft werden die drei Worte Apokalyptik, Eschatologie und Messianismus in einem Atemzug genannt. Das liegt an ihrer engen Verbindung im neutestamentlichen Weltbild. Grundsätzlich aber gibt es Apokalyptik ohne Eschatologie und Eschatologie ohne Messias. Terminologie Es ist also wichtig, zunächst einmal diese Termini zu definieren. Eschatologie (von griech. eschaton = das „Letzte“) ist die Lehre (vgl. griech. logia = Aussprüche), die sich mit den Ereignissen der letzten Periode, dem Ende der Geschichte vor dem Anfang der Endheilszeit befasst. Das Wort Messias kommt vom hebr. maschiach „gesalbt“ und bezeichnet im biblischen Hebräisch zunächst einmal jede (mit Salböl) gesalbte Person, insbesondere Könige und Priester, seltener Propheten. Die Übersetzer der LXX haben es mit christos übersetzt. Nie bedeutet es in diesen Texten allerdings das, mit dem man es heute allgemein assoziiert: ein menschlicher eschatologischer Protagonist und Heilsbringer. Die meisten antiken jüdischen Texte, die von einer derartigen Figur sprechen, benutzen andere Begriffe. Daher darf man sich beim Studium der antiken jüdischen messianischen Vorstellungen nicht an diesen Begriff klammern. Stattdessen jedes Mal von „eschatologischem Protagonist und Heilsbringer“ zu sprechen (mit welchem Adjektiv?), würde jegliche Rede unnötig komplizieren. Der moderne allgemeine Sprachgebrauch von Apokalypse Apokalypse (griech. apokalyptō = „offenbaren“, „enthüllen“) ist primär von der Apokalypse des Johannes des Neuen Testaments geprägt: die prophetische Schilderung von furchtbaren Schlachten und Leiden bis hin zum Ende der bekannten Welt und der Schaffung einer Neuen, eine kosmische Katastrophe. Die verstärkte Erforschung der Literatur des Zweiten Tempels führte in den 70er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts dann aber zu einem gründlichen Umdenken. Ausgangspunkt wurden die altjüdischen Apokalypsen. Ihr Hauptinteresse liegt in kosmologischen Offenbarungen, Schilderungen des Aufbaus der irdischen und himmlischen Welten, zu

18 Eschatologie, Apokalyptik  321

denen das Weltende (apokalyptische Eschatologie) ebenso dazugehört wie ihre Entstehung. Zu den Charakteristika von Apokalypsen gehören im Allgemeinen folgende vier Punkte: – Das Wissen über irdische und/oder himmlische Welten wird durch göttliche Offenbarung vermittelt z. B. durch Traumvisionen oder eine zauberhafte Reise durch Himmel oder Hölle in Begleitung eines Engels. – Die Autorschaft wird bekannten Figuren der Heilsgeschichte (Henoch, Esra, Baruch, Daniel, Johannes, Petrus, Paulus) in den Mund gelegt (Pseudoepigraphik). – Die gegenwärtige Welt wird als zeitlich begrenztes Übel verstanden, die in einer kosmischen Katastrophe endet, nach der eine neue, bessere Welt ersteht. – Die Geschichte wird dabei schematisch periodisiert. Perioden, Königreiche oder Figuren werden oft allegorisch durch Symbole dargestellt, die erst durch einen Engel erklärt werden (angelus interpres). John Collins definiert Apokalypse dementsprechend als eine Gattung von Offenbarungsliteratur mit einem narrativen Rahmen, in welchem einem menschlichen Empfänger durch ein himmlisches Wesen eine Offenbarung vermittelt wird, die eine transzendente Realität enthüllt, welche einerseits zeitlich ist, da sie eschatologische Rettung anvisiert, und andererseits auch räumlich, da sie sich mit einer anderen übernatürlichen Welt befasst (Collins, Apocalypticism, 9).

Später wurde diese Definition noch dahingehend erweitert, dass Apokalypsen zum Ziel haben, „die gegenwärtigen irdischen Umstände im Licht der himmlischen Welt und der Zukunft zu interpretieren und sowohl das Verständnis als auch das Verhalten der Leserschaft mit Hilfe göttlicher Autorität zu beeinflussen.“ Dazu muss man zwischen Apokalypse und Apokalyptik unterscheiden. Ersteres bezeichnet eine Literaturgattung, letzteres die dahinterstehende Weltanschauung. Während im Bezug auf die literarische Gattung sich allmählich der angeführte Konsens herausgebildet hat, wird der sozialgeschichtliche Hintergrund weiter diskutiert. Hartmut Stegemann sieht in der Apokalyptik ein rein Apokalyptik literaturgeschichtliches Phänomen, während die meisten hinter solchen Texten auch eine spezifische Weltanschauung sehen. Ob diese Weltanschauung in einer soziologisch kohärenten Gruppe oder Strömung verankert war (García-Martínez) oder als eine Art Zeitgeist soziologisch separate Gruppierungen umfasste (Collins), ist umstritten. Wie schon die Einordnung des apokalyptischen Buches Daniel unter die Propheten (in der LXX) und der Einschluss apokalypti-

322    18  Qumran und das christliche Judentum scher Visionen in bekannten prophetischen Büchern (Jes. 24 – 27) verdeutlicht, sind Apokalyptik und Prophetie verwandt. Doch wird die gegenwärtige Welt von den Propheten nicht in der gleichen Schärfe als zeitliches Übel verstanden. Sie enthalten keine Reisen in Himmel oder Hölle oder Periodisierungen der Geschichte. In der apokalyptischen Literatur erhalten die Engel, aber auch die Kräfte des Bösen eine detailliertere Darstellung. Schließlich verbinden die Enthüllungen über den Kosmos die Apokalyptik inhaltlich mit der Weisheitsliteratur und der antiken Wissenschaft. Während Qumran zutiefst von einer apokalyptischen Weltanschauung geprägt ist, kann man – auch aufgrund der Unvollständigkeit vieler Rollen – nur wenige Schriften sicher als echte Apokalypsen Apokalypsen klassifizieren. Von den hebräischen Texten kommen ihr die jachadische Kriegsregel und die vermutlich nicht-jachadische Schrift Pseudo-Ezechiel am nächsten, ohne aber Apokalypsen im strengen Sinne zu sein. Die Kriegsregel ist formell eine Regel. Pseudo-Ezechiel ist wiederum zu fragmentarisch für eine sichere Bestimmung seines Genres. Die meisten Apokalypsen sind aramäisch. Neben Daniel (Kap. 7 – 12) und den Apokalypsen in den henochischen Schriften, die schon vor 1947 bekannt waren, gibt es eine Reihe neuer Texte: Neues Jerusalem, Four Kingdoms, Words of Michael, Birth of Noah, Apokryphon Levis und Visionen Amrams. Die meisten Forscher rechnen sie wegen der Abfassungssprache zu den nicht-jachadischen Texten. Einzig zu den Visionen Amrams gibt es eine Kontroverse, da wir hier dualistische Terminologie vorfinden (daher sind sie schon oben im Abschnitt zur jachadischen Theologie angesprochen worden, s. o. S. 311 f). Einige dieser Texte existieren in mehreren Kopien (vor allem Neues Jerusalem, Visionen Amrams), was ihre Bedeutung für die Besitzer der Bibliothek unterstreicht. Neues Jerusalem Der Neues Jerusalem (New Jerusalem, Jérusalem Nouvelle) genannten aramäischen Komposition sind sieben fragmentarische Kopien zugeordnet worden (1Q32, 2Q24, 4Q554, 4Q554a, 4Q555, 5Q15, 11Q18). Die älteste Kopie (4Q554a) ist paläographisch in die erste Hälfte des ersten Jahrhunderts v. Chr. datiert worden, eine andere (4Q554) in die Mitte desselben Jahrhunderts. Die anderen Kopien stammen alle aus späteren Zeiten. Manche datieren auch 4Q554 und 4Q554a später. Die Komposition wurde vielleicht im späten dritten oder zweiten Jahrhundert v. Chr. verfasst. Es handelt sich um architektonische Beschreibungen für ein gigantisches neues Jerusalem: Stadtmauern mit zwölf nach den Patriarchen benannten Stadttoren, Straßen, Häuserblöcke, Tempel, Altar und Schaubrottisch. Die virtuelle Stadtführung durch einen angelus interpres verläuft also von außen nach innen. Dabei

18  Eschatologie, Apokalyptik    323

ist die Stadt leer, der Tempel hingegen aktiv. 11Q18 beschreibt neben den Gebäuden auch Tempelrituale: einige Feste, Opfer, die hohepriesterlichen Gewänder sowie als Höhepunkt den Thron Gottes. 4Q554 2 iii erwähnt einen eschatologischen Krieg gegen Kittim, Edom, Ammon und Moab, der vermutlich ans Ende der Komposition gehört. Utopie und Eschatologie sind hier also verbunden. Nichts lässt auf jachadische Autorschaft dieser Apokalypse schließen. Vorbilder sind die Tempelbeschreibungen in Ezechiel 40 – 48 und der Tempelrolle (11QTa XXXIX – XLI). Allerdings weist der Stadtplan ganz andere Maße auf und ist nicht quadratisch, sondern rechteckig, und die Patriarchentore haben eine andere Reihenfolge. Parallelen zur Tempelrolle betreffen z. B. die Architektur von Privathäusern: Wendeltreppen, ein offener Innenhof und Schlafgemächer im ersten Stock. Die Tempelrolle hat jedoch ein viel größeres Interesse am Tempel als an der Stadt und ist präsentisch, während das Neue Jerusalem futuristisch ist. Manche erklären die Ähnlichkeiten bei gleichzeitigen Unterschieden durch die Verwendung einer gemeinsamen Quelle durch die Autoren der Tempelrolle und des Neuen Jerusalem. Im Gegensatz zum Tempelkult der Engel in den Sabbatopferliedern und der Beschreibung des aus dem Himmel herabsteigenden zukünftigen Jerusalems in der neutestamentlichen Offenbarung des Johannes 21 – 22 sind Stadt und Tempel des Neuen Jerusalem irdisch. Die apokalyptische Komposition Four Kingdoms ist in mindes- Four Kingdoms tens zwei Handschriften aus hasmonäischer Zeit bekannt (4Q552, 4Q553, vielleicht auch 4Q553a?). Jemand (ein Engel?) erklärt einem Seher (Daniel?) eine Vision mit vier Bäumen, die vier Königreiche symbolisieren, darunter Babylonien, Medien und vermutlich Griechenland. Das zukünftige vierte Königreich werde von einem gerechten König und seinen Richtern regiert werden. Vermutlich ist die Komposition daher älter als die römischen Eroberungen in Judäa. Im Buch der Richter stehen vier Bäume für vier Könige (nicht Königreiche). In der Vision von Daniel 7 werden vier Königreiche durch vier Tiere symbolisiert. Im Gegensatz zur herkömmlichen durch das Neue Testament und in geringerem Maße auch durch das rabbinische Judentum geprägten Meinung, die Erwartung eines Messias sei im Judentum des Messias Zweiten Tempels zentral gewesen, ist die Zahl der Texte aus jener Zeit, die eine derartige Messiaserwartung klar ausdrücken, relativ gering. Wenn man von den frühchristlichen und den qumranischen Schriften einmal absieht, sind dies die Psalmen Salomos 17, die henochischen Bildreden (1. Hen. 37 – 71), 2. Baruch und 4. Esra.

324    18  Qumran und das christliche Judentum Die jachadischen Texte zum Messias haben wir oben bereits angesprochen. Die nicht-jachadischen Texte aus Qumran bezeugen unterschiedliche eschatologische, apokalyptische und messianische Szenarien und Vorstellungen. Unter den nicht-jachadischen Texten gibt es drei, die in der Diskussion eine besonders große Rolle spielen, unter anderem, da sie eschatologischen Retterfiguren Charakteristika zuschreiben, die wir sonst primär in der frühchristlichen Literatur finden. Der bekannteste dieser Texte ist ein aramäisches Einzelfragment 4Q246 (4Q246) mit 1 ½ Kolumnen in herodianischer Schrift mit den Son of God Namen Apokryphon Daniels bzw. „Son of God“. Wie der zweite Name verrät, war der Paukenschlag, den die Veröffentlichung dieses Textes verursachte, die mögliche Bezeichnung einer positiven eschatologischen Figur als „Sohn Gottes“: „… gr]oß(er)“ wird er genannt, und mit seinem Namen wird er bezeichnet (bischme jitqane). ii 1 Er wird „Sohn Gottes“ genannt werden (bre di el jit’amar) und man wird ihn „Sohn des Höchsten“ rufen (bar eljon jiqrune). Wie die Sternschnuppen, 2 die du gesehen, so wird ihre Königsherrschaft sein: Jah[re] werden sie herrschen über 3 die Erde und, sie werden alles niedertreten, ein Volk wird ein anderes Volk niedertreten und eine Provinz eine andere Prov[inz.] 4 [vacat]. Bis aufsteht Gottes Volk (/bis er Gottes Volk aufrichtet) und allem Ruhe verschafft vor Verwüstung(/ und alles das Schwert niederlegt.) [vacat] 5 Seine Herrschaft wird eine ewige Herrschaft sein und alle seine Wege sind (der) Wahrheit (gemäß). Es(/Er) rich[tet] 6 die Erde in Wahrheit und wird alles vollkommen ausführen, Verwüstung/Schwert wird von der Erde verschwinden 7 und alle Provinzen huldigen ihm. Der große Gott wird zu seiner Hilfe 8 da sein. Er führt für es Krieg, Völker gibt Er in seine Hand und sie alle 9 wirft Er hin vor ihm. Seine Herrschaft ist eine ewige Herrschaft und alle Gebiete. (4Q246 i 9–ii)

Zwei gegensätzliche Deutungsmöglichkeiten haben die Diskussion dieses Textes bestimmt. Nach der ersten These handelt es sich um eine negative historische Figur, wie Antiochos IV., die gegen Israel Krieg führt und sich die Titel „Sohn Gottes“ und „Sohn des Höchsten“ anmaßt, bis Gottes Volk ihn besiegt (Milik, Stegemann, Maier). Die meisten Forscher sehen dagegen heute im Protagonisten eine positive Heilsfigur (Fitzmyer, Collins, Puech, García-Martínez). Die erste, fragmentarische Kolumne erwähnt den König Assyriens und Ägyptens und große Not durch Krieg, die Auslegung einer Traumvision, vermutlich eines Königs. Die zweite Kolumne redet von Befriedung, ewiger Herrschaft und Gericht, die entweder durch Gottes Volk oder durch eine messianische Figur ausgeführt werden. Eine sichere Entscheidung über die Identität bleibt schwierig, da das Subjekt der zweiten Kolumne im Verb implizit ist und die mangelnde Unterscheidung des Schreibers zwischen waw und jod zu-

18  Eschatologie, Apokalyptik    325

sätzliche Interpretationsmöglichkeiten schafft (die Buchstaben für „es steht auf“ jaqum können auch kausativ als „er stellt auf“ jaqim gedeutet werden). Bei aller Ambiguität der Übersetzungsmöglichkeiten ist jedoch die wörtliche Ähnlichkeit zu einer neutestamentlichen Passage so frappierend, dass sich die zweite, positive Interpretation nahelegt: Er wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden. Gott, der Herr, wird ihm den Thron seines Vaters David geben. 33 Er wird über das Haus Jakob in Ewigkeit herrschen, und seine Herrschaft wird kein Ende haben. 34 Maria sagte zu dem Engel: Wie soll das geschehen, da ich keinen Mann erkenne? 35 Der Engel antwortete ihr: Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten. Deshalb wird auch das Kind heilig und Sohn Gottes genannt werden. (Lk. 1,32 – 35)

32

Schon vor der Entdeckung der Qumranrollen vermuteten Exegeten eine vorchristliche Quelle hinter diesem lukanischen Text. Eine derartige Dichte wörtlicher und motivischer Parallelen mit 4Q246 („er wird groß sein“, „er wird Sohn des Höchsten genannt werden“, „er wird Sohn Gottes genannt werden“, „seine Herrschaft wird kein Ende haben“) bei den gleichzeitig vorhandenen Unterschieden legt eine beiden Texten zugrundeliegende schriftliche Quelle nahe. Ein anderer messianischer Text, 4Q521, ist von seinem Editor 4Q521 Apocalypse messianique genannt worden, da er explizit einen Apocalypse oder mehrere Gesalbte (maschiach = Messias) Gottes erwähnt. ­messianique Während Puech den Text einem jachadischen Autor zuordnet, hält die Mehrheit der übrigen Forscher die vorgebrachten Gründe für nicht ausreichend. Dem Text sind sechzehn hebräische Fragmente zugeordnet worden, die paläographisch an den Beginn des ersten Jahrhunderts v. Chr. datiert worden sind und früher vielleicht einmal sechs Kolumnen umfassten. Die zweite Kolumne des größten Fragmentes enthält folgenden Text: [ … der/des Hi]mmel(s) und die/der Erde werden hören auf Seine(n) Gesalbten (meschicho/meschichaw), 2 [und alles, w]as in ihnen, wird nicht weichen von dem/den Gebot(en) Heiliger. 3 Stärkt euch, Sucher des Herrn (mevaqschei adonai), in Seinem Dienst! [vacat] 4 Findet ihr nicht darin den Herrn, alle, die da hoffen in ihrem Herzen, 5 dass der Herr sich um Fromme (chasidim) kümmert und Gerechte mit Namen ruft, 6 über Armen/Demütigen (anavim) Sein Geist schwebt und Er Getreue neu stärkt durch Seine Kraft, 7 dass Er Fromme (chasidim) ehrt 1

326    18  Qumran und das christliche Judentum auf einem Thron ewiger Herrschaft, Gebundene löst, blinde (Augen) öffnet, G[ebeugte] aufrichtet (Vgl. Ps. 145,14)? 9 Und (so) will für [im]mer ich anhaf[ten den Ho]ffenden und auf(/in) Seine(r) Huld [ … ] 10 und die Fruch[t guter Ta]t wird sich einem Mann nicht verzögern, 11 und glorreiche Dinge, die (so noch) nicht gewesen, wird der Herr tun, wie Er ges[agt hat.] 12 Dann heilt Er Durchbohrte und Tote belebt Er, Armen(/Demütigen) verkündet Er (Gutes) (Jes. 61,1), 13 und [Niedrig]e (?) wird er sät[tigen, Ve]rlassene (?) wird Er leiten und Hungernde rei[ch machen (?).] (4Q521 2 ii) 8

Viele der in 4Q521 genannten Heilstaten werden in der christlichen Tradition Jesus zugeschrieben: [Jesus] antwortete den beiden: Geht und berichtet Johannes, was ihr gesehen und gehört habt: Blinde sehen wieder, Lahme gehen, und Aussätzige werden rein; Taube hören, Tote stehen auf, und den Armen wird das Evangelium verkündet. (Lk. 7,22 // Mt. 11,5)

Einige dieser Heilstaten stammen aus den Psalmen und Jesaja (Ps. 145,7f; Jes. 26,19; 35,5f; 61,1f). Doch reichen die beiden Texte zur Erklärung der Ähnlichkeiten mit der frühchristlichen Tradition nicht aus. Zwei Argumente sprechen dafür, dass dieser qumranischen Schrift und den neutestamentlichen Texten eine gemeinsame schriftliche Tradition als Vorlage zugrunde lag. Kein anderer antiker Text hat nämlich die oben genannten biblischen Heilstraditionen auf die gleiche Weise zusammengestellt. Außerdem haben beide zu den biblischen Motiven die Auferstehung hinzugefügt (s. o. S. 315 f). Es bleibt allerdings unklar, ob 4Q521 von einem Messias (meschicho) oder mehreren Messiassen (meschichaw) spricht, da er eine besonders defektive Orthographie ohne Vokale aufweist, in der beide Worte gleich buchstabiert, aber anders gelesen werden. Zu beachten ist auch, dass es nach 4Q521 Gott ist (und nicht der Messias), der die Heilstaten vollbringt. Ein vacat nach der Erwähnung des Messias in Zeile 3 spricht dafür, die folgenden, Gott zugeschriebenen Heilstaten vom Wirken des Messias zu trennen. Einige Exegeten haben dagegen vorgeschlagen, dass die Erwähnung des Messias in diesem Kontext impliziert, dass Gott die Heilstaten mit Hilfe des Messias durchführt. Auch in Jesaja 61 werden die Heilstaten von einer menschlichen Gestalt, einem gesalbten Propheten, vollbracht, und in Pseudo-Ezechiel, einem der ganz wenigen anderen Texte, die leibliche Auferstehung explizit erwähnen,

18  Eschatologie, Apokalyptik    327

erweckt Gott die Toten durch die Worte des Propheten. Schließlich wäre es in der Tat äußerst merkwürdig, wenn Gott höchstpersönlich den Armen die Gute Nachricht verkündet, eine Tätigkeit, die sonst stets Mittlerfiguren zugeschrieben wird. Die methodologische Gefahr in einem solchen Vorgehen ist allerdings, die Qumranrollen zu stark durch eine durch die christliche Tradition gefärbte Brille zu lesen (Schiffman). Ein weiterer mehrheitlich messianisch interpretierter nicht-jachadischer Text ist das aramäische Apokryphon Levis. Aus den Qum- Apokryphon Levis ranfragmenten sind zwei Handschriften rekonstruiert worden, die diesen Namen tragen (4Q540, 4Q541), aber durchaus nicht 4Q540, 4Q541 Kopien der gleichen Komposition sein müssen. Dies wird durch ein Fragezeichen am Ende des Namens angezeigt: 4Q540 Apokryphon Levisa (?). Beide Handschriften sind paläographisch um 100 v. Chr. datiert worden. Nur zwei Fragmente (4Q541 Frg. 9 und 24) sind ausreichend groß, um in einer Einführung sinnvoll vorgestellt werden zu können. In Fragment 9 ist die Rede von einer zukünftigen Heilsfigur: . … er wird [ih]nen seine [W]eisheit vermitteln. Und er wird für alle seiner Generation Sühne erwirken und er wird gesandt werden zu den Kindern seines 3 Volkes. Seine Rede wird sein wie die Rede des Himmels und seine Lehre wie der Wille Gottes. Die ewige Sonne wird leuchten 4 und ihr Feuer wird alle Enden dieser Erde erwärmen. Sie wird auf die Dunkelheit leuchten und sodann wird die Dunkelheit vergehen 5 von der Erde und der Nebel vom trockenen Land. Sie werden viele Worte gegen ihn reden und viele 6 [Lüge]n; sie werden Verleumdungen gegen ihn erfinden und alle möglichen Diffamierungen gegen ihn aussprechen. Seine Generation ist böse und pervers. 7 […] wird sein; sein Dienst wird durch Lügen und Gewalt ausgezeichnet und das Volk wird in seinen Tagen fehlgehen […] (4Q541 Frg. 9 Col. i) 2

Es handelt sich um einen priesterlichen Protagonisten, denn die zunächst bewirkten Heilstaten, Sühne und Weisheitslehre, werden traditionell mit Priestern verbunden. Seinen Heilswerken folgt noch eine Periode mit Auseinandersetzungen, die sich gegen die Heilsfigur persönlich richten. Andere Fragmente (z. B. 6) legen nahe, dass es nicht nur bei verbaler Gewalt blieb. Handelt es sich um einen leidenden Messias? Seit dem Buch „Jesus der Jude“ von Géza Vermes hat es sich mehr und mehr durchgesetzt, das Urchristentum nicht nur im Kontext des antiken Judentums zu interpretieren, sondern es als Form antiken jüdischen Lebens zu verstehen. Dieses „christliche Judentum“ christliches war seit der Entdeckung der ersten Qumranrollen ein natürlicher Judentum

328    18  Qumran und das christliche Judentum Vergleichspunkt: geographisch, zeitlich, theologisch (z. B. Messianismus, Eidverbot, Exegese prophetischer Passagen als auf ihre Gegenwart bezogen), liturgisch (Beitrittszeremonie und Gemeinschaftsmahl vs. Taufe und Eucharistie), soziologisch (z. B. charismatische Gründerpersönlichkeit, gemeinsames Eigentum, später Mönchtum). Beides sind in Krisenzeiten entstandene Reformbewegungen gegen das Establishment. Die Jesus-Bewegung und der Jachad haben gemeinsam, dass sie die einzigen hochmessianischen Gruppen des Judentums des Zweiten Tempels sind, von denen eine größere Zahl an Schriften auf uns gekommen ist. Da die zum Christentum starken Kontrast bietenden halakhischen Texte erst spät veröffentlicht wurden, waren in den ersten Jahrzehnten Ähnlichkeiten in der Tat auffälliger. Einige verstanden die Essener als Wurzeln des Christentums, andere Jesus als Kopie des Lehrers der Gerechtigkeit. Heute sehen die meisten die Wichtigkeit des Vergleichs eher in der Kontextualisierung beider Strömungen als im direkten Einfluss. Die Veröffentlichung der Texte aus Höhle 4 hat die Kontraste stärker ins Licht gerückt, aber auch die Bedeutung der vielen nicht-jachadischen Texte. Für das Studium des Neuen Testaments ist eine Kenntnis der Qumranrollen ebenso unabdinglich wie die Kenntnis frühchristlicher Texte für das Verständnis der Qumrantexte. In vielen Fällen haben Qumran-Parallelen zu frühchristlichen Ideen einen palästinisch-jüdischen Ursprung erwiesen und nicht einen jüdisch-hellenistischen oder nicht-jüdisch hellenistischen Hintergrund. Wenn man heute das Urchristentum viel stärker auf dem Hintergrund des Judentums interpretiert als noch vor 70 Jahren, liegt dies zu einem guten Teil auch an der Entdeckung der Qumranrollen. Für jeden ernsthaften Vergleich ist die Frage des Objekts und der Motivation/Intention fundamental: Was soll warum verglichen werden? Sollen einfach analoge Entwicklungen in zwei antiken jüdischen Reformbewegungen Palästinas aufgezeigt werden, beispielsweise um einen Qumrantext mithilfe christlicher Texte zu verstehen (oder andersherum), oder möchte man eventuell genealogische Verflechtungen eruieren? Es ist wichtig, sich seiner eigenen Prädisposition bewusst zu sein, denn oft sieht man dort Unterschiede, wo man unterscheiden will, und Ähnlichkeiten, wo man nicht trennen will (J. Z. Smith). Die Interpretation Qumrans mithilfe christlicher Texte setzt sich immer der Gefahr aus, Qumran zu sehr durch eine christliche Brille zu betrachten. Das gleiche gilt auch für rabbinische Texte (s. u. Halakha, Gebet und Mystik). Qumranische und christliche Texte bringen durch ihre unterschiedlich zusammengesetzte Provenienz jeweils eigene Probleme mit sich. So kommen die meisten in Qumran gefundenen Texte aus Judäa

18  Eschatologie, Apokalyptik    329

und sind insofern Zeugen für das judäische Judentum. Die geographische Provenienz der frühchristlichen Schriften ist viel breiter und umfasst Syrien, Kleinasien, Griechenland, Rom und Ägypten, und nur für die frühesten Schichten der Evangelien Judäa, Samaria und Galiläa. Desweiteren sind folgende methodologische Grundfragen genau- methodologische Grundfragen estens zu beachten (vgl. Frey): 1. Was sind die Vergleichspunkte? Handelt es sich um sprachliche Formulierungen, exegetische oder theologische Ideen, Rituale, Personen oder Gruppenstrukturen? 2. Wo finden sich die Vergleichspunkte? Finden sie sich auf qumranischer Seite in jachadischen oder in nicht-jachadischen Texten (oder anderen archäologische Objekten)? Wenn sie sich in jachadischen Texten befinden, muss man weiter fragen, ob diese Elemente tatsächlich spezifisch jachadisch sind oder ob es sich um allgemeine Charakteristika handelt, die in jachadische Texte integriert worden sind? In letzterem Fall muss man weiter fragen, ob es sich um Traditionen handelt, die aus breiteren Kreisen des Judentums des Zweiten Tempels übernommen worden sind, oder enger um judäisch-palästinische Traditionen? Finden sich die Vergleichspunkte konzentriert in bestimmten Qumrankompositionen oder in Texten spezifischer christlicher Schulen? 3. Warum existieren die Vergleichspunkte? Einfluss verlangt immer den Beweis eines plausiblen Übermittlungskanals und die Existenz von präzisen Parallelen, deren Existenz ohne die Annahme von direktem Einfluss unplausibel wäre. War dieser Einfluss direkt, entweder mündlich, rituell oder schriftlich, oder wurzelt er in Beobachtung, ist er gar als polemische Gegenreaktion zu verstehen? Manche parallelen Sprachformulierungen zwischen qumranischen und urchristlichen Texten mögen dabei helfen, hinter den griechischen Text des Neuen Testaments zur Sprache von Jesus und seinen Jüngern zurückgehen zu können (Aramäisch, vielleicht auch Hebräisch). Unter Umständen kann man dadurch die Bedeutungsbreite eines griechischen Wortes mit seiner semitischen Semantik abgleichen. Sprachliche Parallelen zu Qumrantexten, selbst von jachadischen Texten, sollten aber nicht sofort derart einengend überinterpretiert werden, dass hier eine direkte Verbindungslinie von jachadischen zu frühchristlichen Sprachformen gezogen wird, sondern allgemeiner von judäisch-semitischen Sprachformen. Schließlich ist Qumran bislang die einzige größere Quelle für semitische Texte aus dieser Raumzeitzone.

330    18  Qumran und das christliche Judentum

7Q5 Markusevangelium?

Jesu Bruder Jakobus hinter dem Lehrer der Gerechtigkeit?

Johannes der Täufer

Was sonst noch geschah: Nur kurz angesprochen werden muss die in den 80er und 90er Jahren manchmal geäußerte These, dass einige der hochfragmentarischen griechischen Papyri aus Höhle 7 in Wirklichkeit die frühesten Zeugnisse für Schriften des Neuen Testaments darstellen. 7Q5 sollte beispielsweise ein Fragment des Markusevangeliums sein. Diese These gilt heute überall als widerlegt. Erstens enthalten die wenigen Buchstabenreste der winzigen Fragmente keine ausreichend spezifischen Worte oder Wortreste, die eine eindeutige Identifizierung mit einem bestimmten Text möglich machen. Tatsächlich können die gleichen Fragmente mit einer großen Zahl anderer Texte identifiziert werden. Schließlich ist es zur Identifizierung mit neutestamentlichen Schriften jedes Mal nötig, Schreibfehler anzunehmen bzw. Textversionen, die so in keinem neutestamentlichen Papyrus erhalten sind. Wenn man derartige Emendationen auch für andere Schriften zulassen würde, würde sich die Zahl der Identifikationsmöglichkeiten noch stark erhöhen. Weiterhin wird von einzelnen behauptet, dass einige Qumrantexte, vor allem die Pescharim, auf Figuren des Urchristentums Bezug nehmen. In diesen Szenarien verbirgt sich dann beispielsweise Jesu Bruder Jakobus hinter dem Lehrer der Gerechtigkeit und Paulus hinter dem Lügenmann (Eisenman) oder Jesus hinter dem Frevelpriester (Thiering). Diese Theorien sind allein schon durch die paläographische und radiologische Datierung der Schriftrollen in vorchristliche Zeiten widerlegt. Heute schenkt kein seriöser Qumranologe diesen oft phantastischen Theorien Glauben.

Verschiedene Studien versuchten zu zeigen, dass Johannes der Täufer (Mk. 1,2 – 11 // Mt. 3,1 – 17 // Lk. 3,1 – 22; Ant. Iud. 18,116 – 119) in den späten zwanziger Jahren des ersten Jahrhunderts n. Chr. zumindest zeitweise Mitglied des Jachad gewesen sei. Nach Lk. 1,80 soll er seit seiner Kindheit in der Wüste gelebt und im Jordan getauft haben. Die geographische Nähe seines Wirkens zu Khirbet Qumran ist also groß. Ebenso wie führende Mitglieder des Jachad war Johannes Priester (Lk. 1,5). Der gleiche Jesajavers „Stimme eines Rufenden (qol qore) in der Wüste: Bereitet dem Herrn den Weg: Ebnet ihm die Straßen!“ (Jes. 40,3), der Johannes’ Wirken in den Evangelien prophetisch umschreibt, findet sich an herausragender Stelle in der Gemeinschaftsregel (1QS VIII 13f). Seine Hauptbotschaft war die Taufe im Jordan für die Vergebung der Sünden nach vollzogener Umkehr. Auch für ihn war Sünde also mit Unreinheit verbunden, die nach vorhergehender innerer Wandlung in fließendem Wasser wie dem Jordan abwaschbar wurde. Sein Beiname „der Täufer“ zeigt allerdings, dass sich die Leute nicht eigenständig untertauchten, sondern er selbst diese Handlung vollbrachte. Derartige Mittlertätigkeit ist in Qumran unbelegt. Es ist nicht klar, ob Johannes’ Taufe einmalig war (und somit ein Initiationsritual) oder mehrfach wiederholt werden konnte, wie in Qumran. Sicher stellt sie eine Alternative zum Sühnekult im Tempel dar. Der Rückzug zum Jordan mag symbolisch an den Neuanfang Israels in Gilgal nach dem Durchzug durch die

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Wüste anknüpfen. Wenn er sich angeblich nur von wildem Honig und Heuschrecken ernährte, so kann das auf Traditionen deuten, die ihm die Beachtung von strikten Reinheitsgesetzen zuschreiben, nämlich kein von Menschen kultiviertes Essen anzunehmen. Es kann aber auch auf die Manna-Tradition im Zusammenhang mit Israels Wanderung durch die Wüste Bezug nehmen. In Qumran finden wir weder Heuschrecken noch wilden Honig, weder Kamelhaare noch lederne Gürtel als Teil der Gewänder. Herodes Antipas ließ Johannes umbringen – angeblich, weil Johannes seine zweite Ehe als widerrechtlich predigte. Herodias war früher die Frau seines Halbbruders gewesen (Mk. 6,17 – 19). Dies mag die Ursache für den öffentlichen Aufruhr um sein späteres Wirken gewesen sein, der Grund für Johannes’ Festnahme durch Herodes nach Josephus (Ant. Iud. 18,118). Wir müssen feststellen, dass die Ähnlichkeiten zwischen Johannes und Qumran über die zeitliche und örtliche Nähe hinaus recht allgemein sind und auf dem Hintergrund verbreiteter Tendenzen des Judentums des Zweiten Tempels erklärt werden können. Es handelt sich also wahrscheinlich eher um Analogien und nicht unbedingt um eine genealogische Verbindung. Jesus selbst war sicher kein Mitglied des Jachad/Essener. Doch Jesus ist er, vor allem in der Frühzeit der Qumranforschung, oft als ein Abklatsch des Lehrers der Gerechtigkeit gedeutet worden (vor allem Dupont-Sommer). Allerdings sind die Unterschiede größer als die vermeintlichen Gemeinsamkeiten. Im Gegensatz zum Lehrer der Gerechtigkeit kam Jesus nicht aus einer (hohe-)priesterlichen Familie, sondern sein Stammbaum war, vor allem nach priesterlichen Weltanschauungen, höchst suspekt. Zu den Hauptcharakteristika seines Wirkens und Lehrens finden wir in den jachadischen Texten wenig Parallelen. Jesu Tora-Auslegung ist – im Allgemeinen – milder als Tora-Auslegung die seiner pharisäischen Gesprächspartner. Jachadische und jesuanische Reinheits- und Schabbatgebotsauslegung könnten nicht gegensätzlicher sein. Jesus wandte sich speziell an die halakhisch eher marginalen sozialen Schichten (Unreine, Behinderte, Frauen, Kinder, marginal auch Nicht-Juden). Das für Qumran so zentrale Reinheitskonzept ist diametral demjenigen von Jesus entgegengesetzt, wie es von den Evangelien beschrieben wird. Während Qumran die Unreinheit auch den reinen Wasserfluss gegen den Strom „hochkriechen“ lässt, wird die blutflüssige und daher unreine Frau durch die Berührung des reinen Jesus geheilt. Jesus isst gemeinsam mit Sündern, Behinderten und Unreinen und hat keine Berührungsängste gegenüber unreinen Aussätzigen (Lk. 14,13; Mk.2,15 // Lk. 5,29 // Mt. 9,10; Mk. 1,41 // Lk. 5,13 // Mt. 8,3; Mk. 7,33), während der Jachad aus Reinheitsgründen kein Nichtmitglied zu Speis und Trank des Gemeinschaftsmahls zulässt und Behinderte grundsätzlich von

332    18  Qumran und das christliche Judentum der Mitgliedschaft ausschließt (1QSa II 3 – 9). Jesus zeigt gegenüber Nichtjuden eine gewisse Offenheit – ohne sie als gleichberechtigt in die Gruppe aufzunehmen – , während einige Handschriften der Damaskusschrift es untersagen, den Schabbat mit Nichtjuden zu verbringen. Allen diesen Randgruppen gegenüber war der Jachad sicher weniger aufgeschlossen als Jesus und seine Bewegung, aber auch als durchschnittliche Pharisäer oder Rabbinen. Auch in der Schabbathalakha ist Jesu Position weit näher an der Auslegung der Pharisäer bzw. der späteren Rabbinen als an der des Jachad. Jesus sucht seine pharisäischen Gesprächspartner für die Tendenz seiner Schabbathalakha, bestimmte hilfreiche Tätigkeiten zu erlauben, mit dem Argument zu gewinnen, sie selbst würden am Schabbat einem Tier heraushelfen, das in ein Loch gefallen ist (Mt. 12,11 // Lk. 13,15). Selbst dies wird in der Damaskusschrift strikt abgelehnt (CD A xi 13f). Es gibt allerdings auch einige wenige Regelungen, bei denen Jesus eine weniger liberale Haltung einnimmt als das rabbinische Judentum. In manchen dieser Themen ähneln sich jachadische und jesuanische Halakha. Dazu gehören beispielsweise das Verbot des Schwurs und der Wiederverheiratung nach Scheidung (Mk. 10,2 – 12; vgl. CD A iv 21; Mt. 5,33 – 37 vgl. CD A xvi 1f). Parallelen stammen oft gerade aus Texten, die als nicht-jachadisch eingestuft werden, beispielsweise Erwähnungen von Handauflegung und Exorzismen (z.B. Mt. 8,3; 9,29; Lk. 4,40; 1QGenAp XX 16 – 30; 4Q521; 4Q560; 11Q11). Unterschied Im Unterschied zum Lehrer der Gerechtigkeit wurde Jesus als zum Lehrer der Messias angesehen. Es bleibt zwar umstritten, ob Jesus selbst mesGerechtigkeit sianische Ansprüche vertrat, doch ist sichergestellt, dass sich derartige Aussagen in der Urgemeinde finden. Wenn der Lehrer der Gerechtigkeit mit dem Autor der Selbstglorifizierungshymne zu identifizieren ist, hatte er zwar ein äußerst ausgeprägtes Selbstbewusstsein und einen unverkennbaren Autoritätsanspruch. Wir kennen aber keinen Text, in dem der Lehrer der Gerechtigkeit eindeutig als Messias bezeichnet wird. Auch die Bedeutung des Todes ist grundverschieden. Jesus wurde in jungen Jahren von den Römern gekreuzigt, und seinem Tod wurde in der Urgemeinde eine stellvertretend sündenvergebende Wirkung zugeschrieben. Der Lehrer der Gerechtigkeit wurde zwar verfolgt (1QpHab XI 2 – 8), starb hingegen vermutlich eines natürlichen Todes, ohne dass diesem Tod positive Nebenwirkungen zugeschrieben wurden. Der berühmte Text 4Q285 spricht zwar vom gewaltsamen Tod (fr. 7 4 – 5) im Kontext einer eschatologischen Retterfigur, des Fürsten der Gemeinde (nasi ha‘eda) und Spross Davids (Jes. 11,1 zitiert in 4Q285 fr 7 2 – 3 // 11Q14 i). Entgegen den ersten Veröffentlichungen handelt sich al-

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lerdings nicht um den Tod der Retterfigur, sondern vielmehr darum, dass diese Retterfigur ihren Feind tötet (vehemito statt vehemitu). Parallelen finden sich dagegen in zwei wichtigen thematischen und programmatischen Verbindungen, die vor der Entdeckung der Qumranrollen als christliches Novum angesehen wurden. Es handelt sich zum einen um die Verbindung von Weisheit und Apokalyptik (s. o. S. 344), zum anderen um die paradoxale Verschmelzung von zukünftiger und gegenwärtiger „präsentischer“ Eschatologie, nach der einige Zukunftserwartungen von den Gläubigen als schon in der Gegenwart realisiert angesehen werden. Vor der Entdeckung der Qumranrollen wurde Paulus in erster Linie vor hellenistischem Hintergrund interpretiert, d. h. jüdischhellenistischem und nicht-jüdisch hellenistischem Hintergrund. Zu vielen Termini und Ideen fehlten palästinische Parallelen in der Hebräischen Bibel und in der anderen Literatur aus der Zeit des Zweiten Tempels. Dies zog seine eigene Behauptung, Pharisäer zu sein, in Zweifel. Die Qumranrollen ermöglichen für viele zentrale paulinische Ausdrucksformeln eine neue Sicht und heute weitgehend eine Neuinterpretation von Paulus’ Vorstellungswelt auf dem Hintergrund des palästinischen Judentums. Seine authentischen Briefe gehören zu den ältesten Schriften des Neuen Testaments. Mehrheitlich werden dazu Röm., 1. Kor., 2. Kor., Gal., Phil., 1. Thess. und Phlm. gezählt. Bezüglich Kol., Eph. und 2. Thess. ist die Authentizität umstritten. Die anderen Briefe werden mehrheitlich als pseudepigraphisch angesehen. Konzeptuell erinnern der Gebrauch von „Kinder des Lichts“ (1. Thess. 5,5) und der Hinweis auf „Werke der Finsternis“ (Röm. 13,12) stark an den kosmologisch-ethischen Dualismus in der Gemeinschaftsregel und anderen Schriften (z. B. 1QS I 9 – 11; 1QS II 7). Doch stellt Paulus beiden Ausdrücken nie ihr Gegenteil diametral gegenüber. Zwei andere Termini haben große Aufmerksamkeit auf sich gezogen: Griechisch (Paulus)

Hebräisch (Qumran)

die Werke des Gesetzes

[ta] erga [tou] nomou Gal. 2,16; 3,2; 5,10; Röm. 3,20.28

ma‘ase [ha]tora 4QMMT und vielleicht 4Q265 4 ii 6 (rekonstruiert) (vgl. 1QS V 21, VI 18)

die Gerechtigkeit Gottes

dikaiosunē tou theou tzidqat el Röm. 1,7; 3,5.21f; 10,3; 2. Kor. 5,21, 1QS X 25, XI 12 vgl. 2. Thess. 1,6; 2. Ptr. 1,1 tzedeq el 1QM IV 6

Parallelen

Weisheit und Apokalyptik „präsentische“ Eschatologie Paulus

Werke des ­Gesetzes

Gerechtigkeit Gottes

334    18  Qumran und das christliche Judentum Bei den „Werken des Gesetzes“ handelt es sich um „konkrete Normen, deren Umsetzung oder Ablehnung für die Gruppenidentität für essentiell gehalten werden“ (García-Martínez in Rey, 56). Paulus lehnt dies im Gegensatz zum Autor von 4QMMT ab. Darüber hinaus können wir feststellen, dass 4QMMT debattiert, welche Halakha heilsnotwendig ist, während Paulus diskutiert, ob Halakha – für Nichtjuden – heilsnotwendig ist (Doering in Rey). Auch wenn beide Texte nicht genetisch verwandt sind, hilft uns der Vergleich, sie besser zu verstehen. Gegenüberstellung Eine besonders auffällige konzeptuelle Parallele ist die Gegenvon Geist überstellung von Geist (griech. pneuma) und Fleisch (griech. sarx), und Fleisch welches als Hort der Sünde die Gnade Gottes zur Erlösung absolut notwendig macht. Denn das Begehren des Fleisches richtet sich gegen den Geist, das Begehren des Geistes aber gegen das Fleisch; beide stehen sich als Feinde gegenüber, so dass ihr nicht imstande seid, das zu tun, was ihr wollt. (Gal. 5,17) 3 Weil das Gesetz, ohnmächtig durch das Fleisch, nichts vermochte, sandte Gott seinen Sohn in der Gestalt des Fleisches, das unter der Macht der Sünde steht, zur Sühne für die Sünde, um an seinem Fleisch die Sünde zu verurteilen; 4 dies tat er, damit die Forderung des Gesetzes durch uns erfüllt werde, die wir nicht nach dem Fleisch, sondern nach dem Geist leben. 5 Denn alle, die vom Fleisch bestimmt sind, trachten nach dem, was dem Fleisch entspricht, alle, die vom Geist bestimmt sind, nach dem, was dem Geist entspricht. 6 Das Trachten des Fleisches führt zum Tod, das Trachten des Geistes aber zu Leben und Frieden. 7 Denn das Trachten des Fleisches ist Feindschaft gegen Gott; es unterwirft sich nicht dem Gesetz Gottes und kann es auch nicht. 8 Wer vom Fleisch bestimmt ist, kann Gott nicht gefallen. (Röm. 8,3 – 8)

Eine derartige Antithese zwischen Fleisch und Gott findet sich so nicht in der Hebräischen Bibel. Sicher gehören Fleisch und Gott unterschiedlichen Gefilden an, doch wird auch in jüdisch-hellenistischen Quellen das Fleisch bzw. der Körper, nicht als Ursache für Sünde angesehen, höchstens als Ort der Sünde. Diese Idee finden wir jedoch in in jachadischen Schriften aus Qumran, wie der Gemeinschaftsregel und der Hymnenrolle: Ich hingegen (gehöre) zum Frevel-Menschen und zur Versammlung von Unrechtsfleisch, und meine Verschuldungen, meine Vergehen, meine Sünde(n) mit meines Herzens Verkehrtheit 10 zu einer Versammlung von Würmern und zu denen, die in Finsternis wandeln. Denn dem Menschen ist sein Weg und ein Mann bereitet seine Schritte nicht. Vielmehr ist das Urteil bei Gott, und aus Seiner Hand 11 der vollkommene Wandel. Mit Seinem Wissen wird alles. Alles Sein bereitet Er in Seinem Denken vor. Ohne Ihn wird es nicht vollbracht. Und ich, wenn 12 ich wanke, sind Gottes Gnadenerweise (chasdei el) meine Rettung (jeschuati) auf Ewigkeit, und wenn ich strauchle durch Fleischesschuld, steht mein Urteil in Gottes Gerechtigkeit auf Ewigkeit fest. 13 Und wenn Er meine Bedrängnis aufschließt, aus Ver9

18  Eschatologie, Apokalyptik    335 derben meine Seele errettet und meinen Fuß auf den Weg setzt, lässt Er in Seinem Erbarmen mich nahen und durch Seine Gnadenerweise bringt Er 14 mein Recht (uvechasdaw javi mischpati). Er richtet mich in seiner wahren Gerechtigkeit, sühnt in der Fülle Seiner Güte für alle meine Verschuldungen, und reinigt mich in Seiner Gerechtigkeit von menschlicher 15 Unreinheit und Sünde von Menschensöhnen, um Gott Seine Gerechtigkeit zu bekennen und dem Höchsten seine Pracht! (1QS XI 9 – 15)

Paulus und der jachadische Dichter dieser Hymne gleichen sich in ihrer Ansicht, dass die durch ihr Fleisch automatisch sündigen Menschen nur durch die Gnade und Erwählung Gottes gerettet werden können. Diese Idee ist allerdings nicht zum ersten Mal in jachadischen Kreisen erdacht worden, denn wir finden ihre Wurzeln schon im höchstwahrscheinlich vorjachadischen Text Instruction (dazu s. den nächsten Abschnitt, S. 341–343): Da hat Er dich abgesondert von jedem 2 fleischlichen Geist (ruach basar), und du sondere dich ab von allem, was Er hasst, und Du, enthalte dich von allen Abscheulichkeiten der Seele! (4Q418 81 1f)

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Diese Texte implizieren, dass Paulus und der Dichter der Hymne in der Gemeinschaftsregel den Gegensatz zwischen Gott und dem Fleisch als Hort der Sünde sowie die Notwendigkeit göttlicher Gnade zur Errettung des fleischlich-sündigen Menschen aus palästinischen hebräischen Quellen lernen konnten. Wir müssen also keinen direkten jachadischen Einfluss auf Paulus annehmen, können nun aber die beiden Aufnahmen des Konzeptes im Jachad und im Urchristentum im Detail vergleichen und unser Verständnis beider Korpora schärfen. Nun lohnt sich noch ein Blick auf das Johannesevangelium und die drei Johannesbriefe des Neuen Testaments. Neutestamentler nennen die Autoren dieser Schriften die sogenannte johanneische johanneische Schule, da sie alle eine ähnliche Theologie vertreten. Einige For- Schule scher datieren das Evangelium und die Briefe um 100 n. Chr. und lokalisieren sie in Syrien. Andere folgen weiterhin der traditionellen Verortung in Kleinasien. Wenn diese Gruppe speziell enge Verbindungen zum Jachad gehabt haben soll, müssten wir besonders diejenigen Parallelen zwischen johanneischen und jachadischen Texten in Augenschein nehmen, die sich nicht in den anderen urchristlichen Texten oder nicht-jachadischen Texten finden. Auffällig ist z. B. die von den synoptischen Evangelien abweichende Chronologie – drei Jahre Wirkungszeit, mehrere Besuche in Jerusalem sowie Kreuzigungstag an Pessach selbst parallel zum Opfer und nicht am Vortag zu Pessach. Aber alle Versuche, diese Chronologie auf dem Hintergrund eines unterschiedlichen Kalenders zu erklären, sind bislang nicht überzeugend (Jaubert; zuletzt Nodet/Taylor).

336    18  Qumran und das christliche Judentum Wenn zweitens nach dem Johannesevangelium Kaiphas und die Hohepriester Pilatus’ Haus nicht betreten, um sich nicht rituell unrein zu machen (Joh. 18,28), kann dahinter die Auffassung stehen, dass eine unreine Person ein Gebäude beim Betreten unrein macht und sich diese Unreinheit auf die anderen im Gebäude befindlichen Personen überträgt (11QTa L 10 – 13). Die Tempelrolle ist jedoch ein nicht-jachadischer Text und die Parallele ist nicht spezifisch genug, um mehr daraus zu folgern als nur, dass beide Texte jüdisch sind und hier eine ähnliche Tradition bezeugen. Theologisch tritt die johanneische Schule durch einen ausgeprägten ethisch-kosmischen Dualismus hervor, vor allem in der ersten Hälfte des Werkes des Johannesevangeliums. Dieser ist auch ein zentrales Element der unterschiedlichen Ausprägungen jachadischer Weltanschauung. Wenn eine enge Verwandtschaft beider Dualismen gezeigt werden kann, wäre dies ein starkes Argument für einen jachadischen Einfluss auf die johanneische Schule (denn umgekehrt ist es aus chronologischen Gründen unmöglich). Jachad und Johannes stellen nicht nur Wahrheit und Lüge (Joh. 8,44), Leben und Tod (Joh. 3,15; 5,24), Licht und Finsternis gegenüber, sondern sogar ‚Kinder des Lichts‘ und ‚Kinder der Finsternis‘ (1QS I 9f; III 13; Joh. 12,35f; 1. Joh. 1,6f; 2,11). Allerdings wird der Widersacher Christi Antichrist, Satan oder Teufel (diabolos) genannt und gerade nicht Belial (dagegen vgl. 1. Kor. 6,15 und vor allem die Testamente der Zwölf Patriarchen). ‚Kinder des Lichts‘ gibt es auch schon vorjohanneisch bei Paulus (1. Thess. 5,5; vgl. Eph. 5,8) und auch in den bereits erwähnten, vermutlich nichtjachadischen Visionen Amrams, so dass es sich wohl eher allgemein um frühjüdische Terminologie handelt als um spezifisch essenischen Einfluss. Der 1. Johannesbrief redet von Gemeinschaft (koinōnia) zwischen Adressaten, Absender, Gott und Jesus (1. Joh. 1,3), welche an die Gemeinschaft des Jachad mit den Engeln erinnert. Zahlreiche Ausdrücke finden sich in jachadischen und johanneischen Schriften: – „lebendiges Wasser/Wasser des Lebens“ (majim [ha]chajim – hudōr zōn) (CD B xix 34; 1QHa XVI 17; 4Q418 Instructiond 103 ii 6; Joh. 4,10 – 14) – „Licht des Lebens“ (or hachajim – to fōs tēs zōēs) (1QS III 7; Joh. 8,12) – „Geist der Wahrheit“ (ruach [ha]emet – to pneuma tēs alētheias (1QS IV 21; 4Q177 12 – 13 i 5; vgl. 1QS III 18f; Testament Judas 20,1 – 5; Joh. 14,17; 15,26; 16,13; 1. Joh. 4,6) Von diesen Parallelen sind wiederum diejenigen besonders aussagekräftig, die aus johanneischem und jachadischem Sondergut

18  Eschatologie, Apokalyptik    337

stammen und in anderen frühchristlichen und frühjüdischen Texten fehlen. Dazu gehört in erster Linie der „Geist der Wahrheit“. 5 Gott ist Licht, und keine Finsternis ist in ihm. 6 Wenn wir sagen, daß wir Gemeinschaft mit ihm haben, und doch in der Finsternis leben, lügen wir und tun nicht die Wahrheit. 7 Wenn wir aber im Licht leben, wie er im Licht ist, haben wir Gemeinschaft miteinander, und das Blut seines Sohnes Jesus reinigt uns von aller Sünde. (1. Joh. 1,5 – 7) 9 Wer sagt, er sei im Licht, aber seinen Bruder hasst, ist noch in der Finsternis. 10 Wer seinen Bruder liebt, bleibt im Licht; da gibt es für ihn kein Straucheln. 11 Wer aber seinen Bruder hasst, ist in der Finsternis. (1. Joh. 2,9 – 11)

Wir sehen also, dass zahlreiche Ausdrücke und theologische Ideen, die im Neuen Testament auf Griechisch formuliert sind, sich in den jachadischen und nicht-jachadischen Schriften Qumrans auf Hebräisch und Aramäisch finden. Einige andere haben wir oben schon angeführt (s. vor allem S. 323–327). Z. B. erinnert die Anrede des Lehrers der Gerechtigkeit als „Säule“ für den Gemeindeaufbau (4Q171 pPsa iii 15f) an eben den gleichen Titel für die drei Säulen der Urgemeinde, Jakobus, Petrus und Johannes (Gal. 2,9). Nun stellt sich die Frage, auf welchen Kanälen der Jachad überhaupt auf frühchristliche Gruppen Einfluss nehmen konnte? Sicher kann Jesus Essenern begegnet sein, auch wenn sie im Neuen Testament nicht erwähnt werden. Dies wäre für Jerusalem (Essenerviertel? Gräber bei Beit Tsafafa) oder die Gegend um Jericho in seiner Zeit als Jünger bei Johannes dem Täufer wahrscheinlicher als für Galiläa, wo es bislang keinerlei Belege für Jachad-Mitglieder, Jachad-Gräber oder Jachad-Siedlungen gibt. Manchmal wurde aus der Erwähnung des Beitritts von Priestern zur Jesus-Bewegung (Apg. 6,7) geschlossen, unter diesen Priestern hätten sich auch Mitglieder des Jachad befunden. Dies ist pure Spekulation. Auch für schriftlichen Einfluss haben wir keinen Beweis. Kein einziger klar jachadischer Text wird in erhaltenen frühjüdischen oder frühchristlichen Quellen, die von christlichen Tradenten kopiert wurden, zitiert. Tatsächlich sind 4Q246 und der Beginn des Lukasevangeliums sehr ähnlich, doch ist gerade 4Q246 nicht-jachadisch und die Abhängigkeit von Lukas wohl nicht direkt, sondern von einer gemeinsamen Tradition. Zwar weisen die von christlichen Redaktoren bearbeiteten Testamente der Zwölf Patriarchen an vielen Stellen eine Theologie auf, die jachadischen Theologumena nahekommt. Doch wurden gerade von dieser Textsammlung keine Fragmente in Qumran gefunden. Das Aramäische Levi Dokument ist nur eine Quelle der Testamente der Zwölf Patriarchen und vorjachadisch. Der Barnabasbrief spielt offensichtlich auf Pseudo-

338    18  Qumran und das christliche Judentum Ezechiel an (Barn. 12,1), aber auch dies ist keine unzweifelhaft jachadische Komposition. Vielleicht sind tatsächlich irgendwann einige Essener auch in christlichen Gruppierungen aufgegangen, aber wir haben dafür keine Belege. Ein solcher Schritt würde außerdem einen diametralen Umschwung der halakhischen Perspektive verlangen.

17.5  Präsente Eschatologie, Auferstehung    339

19 „Das Verborgene erkennen“: Weisheit, Wissenschaft und Magie

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340    19  Weisheit, Wissenschaft und Magie Weisheitsliteratur ist eine moderne Bezeichnung für seit Menschengedenken von Mesopotamien und Ägypten bis in die hellenistische Welt verbreitete Schriften, deren Hauptinhalt praktische Lebensweisheiten für das Zusammenleben in Familie, Arbeit und Politik sind. Von den Büchern der Hebräischen Bibel können das Buch der Sprüche (Proverbien, mischlei schlomo), Kohelet (Prediger, Ecclesiastes) und Job, und aus der LXX auch das auf Griechisch verfasste Buch der Weisheit und das aus dem Hebräischen ins Griechische übersetzte Werk Jesus Sirach (Ecclesiasticus) dazugerechnet werden. Darüber hinaus enthalten viele andere Werke weisheitliche Abschnitte. Oft sind Weisheitslehren poetisch abgefasst. Diese Mnemotechnik erleichtert das Auswendiglernen. Hierin ähneln sie Sprichwörter bis heute Sprichwörtern, von denen im Übrigen viele dem biblischen Gut entstammen wie:

Weisheitsliteratur

Wer eine Grube gräbt, fällt selbst hinein, wer einen Stein hochwälzt, auf den rollt er zurück. (Prov. 26,27; vgl. Sir. 27,26)

Wie in den modernen Sprichwörtern handelt es sich vielfach um ganz allgemeine Lebensweisheiten, die auf die meisten Kulturen übertragbar sind, wie z. B.: Wenn die Axt stumpf geworden ist, und ihr Benutzer hat sie nicht vorher geschliffen, dann braucht er mehr Kraft – Wissen hätte ihm den Vorteil gebracht, dass er sein Werkzeug vorbereitet hätte. (Koh. 10,10) Gott und Kosmologie

Viele Weisheitsregeln enthalten auch Überlegungen über Gott und Kosmologie, Anfang und Ende der Welt. Hier kreuzen sich also nicht nur die Wege von Weisheitsliteratur und Wissenschaft, sondern auch von Weisheit und Theologie. Hört also, ihr Könige, und seid verständig, lernt, ihr Gebieter der ganzen Welt! 2 Horcht, ihr Herrscher der Massen, die ihr stolz seid auf Völkerscharen! 3 Der Herr hat euch die Gewalt gegeben, der Höchste die Herrschaft, er, der eure Taten prüft und eure Pläne durchforscht. 4 Ihr seid Diener seines Reichs, aber ihr habt kein gerechtes Urteil gefällt, das Gesetz nicht bewahrt und die Weisung Gottes nicht befolgt. 5 Schnell und furchtbar wird er kommen und euch bestrafen; denn über die Großen ergeht ein strenges Gericht. (Weish. 6,1 – 5) Alle Flüsse fließen ins Meer, das Meer wird nicht voll. Zu dem Ort, wo die Flüsse entspringen, kehren sie zurück, um wieder zu entspringen. (Koh. 1,7)

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19  Weisheit, Wissenschaft und Magie    341

Zumeist bleiben die Lehren universell übertragbar und schließen nur wenige partikularistisch auf das Judentum beschränkte Weisheiten ein. Jesus Sirach (hebr. Ben Sira, lat. Siracides oder Ecclesiasticus, Jesus Sirach nicht zu verwechseln mit Ecclesiastes = Kohelet) schlägt hingegen dezidiert eine andere Richtung ein. Ben Sira ist um 175 v. Chr. auf Hebräisch von einem Jerusalemer Priester dieses Namens verfasst worden (Sir. 50,27) und im Jahre 132 v. Chr. von seinem Enkel in Ägypten ins Griechische übertragen worden (Prolog zu Sir. in der LXX). Kennzeichnend für seine Ideologie ist die Verbindung von Weisheit mit Torastudium: Verweile gern im Kreis der Alten (zeqenim / presbyteroi), wer weise ist, dem schließ dich an! 35 Lausche gern jeder ernsten Rede, keinen Weisheitsspruch (meschal bina / paroimia syneseōs) lass dir entgehen! 36 Achte auf den, der Weisheit hat, und suche ihn auf; dein Fuß trete seine Türschwelle aus. 37 Achte auf die Furcht vor dem Herrn, sinn allezeit über seine Gebote (mitzvotaw / entolai) nach! Dann gibt er deinem Herzen Einsicht, er macht dich weise, wie du es begehrst. (Sir. 6,34 – 37)

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Von den Weisheitssprüchen der Alten geht Sirach übergangslos zu den Geboten Gottes, d. h. der Tora, als Quelle für Einsicht über. Der Autor setzt das Weisheitsstudium mit dem Studium der Gebote und Gottesfurcht mit Weisheit gleich (Sir. 1,14 – 26; 19,20). Wer keine Gottesfurcht hat, kann nicht weise sein. Andersherum kann auch nur der Weise wirklich fromm sein: „Begehrst du Weisheit, so halte die Gebote, und der Herr wird dir die Weisheit schenken.“ (Sir. 1,26). In Qumran sind neben hebräischen Kopien der oben genannten „biblischen“ Bücher (4 Prov.; 2 Koh.; 4 Job; 1 Sir. [+ 1 in Masada]) einige vorher unbekannte Kompositionen gefunden worden, die zur Weisheitsliteratur gerechnet werden können, allen voran In- Instruction struction und Mysteries. Der ersten Komposition sind sechs bis acht Fragmentengruppen als Handschriften zugeordnet worden (1Q26, 4Q415 – 418, 4Q418a, 4Q423c, vielleicht auch 4Q418c). Neben Instruction werden die Titel 4QInstruction oder Sapiential Work A, auf Hebräisch musar lamevin, d. h. „Ethik für den Verständigen“ verwendet. Alle Handschriften sind paläographisch um die Zeitenwende datiert. Die hohe Zahl der Handschriften ist wahrscheinlich ein Indiz für das Interesse des Jachad an diesem Werk. Tigchelaar postuliert, dass 4Q418 ursprünglich aus acht Folios mit über zwanzig Kolumnen bestand, also nicht nur in der Zahl

342    19  Weisheit, Wissenschaft und Magie der Handschriften, sondern auch im Umfang ein sehr bedeutender Text war. Kompositionszeit und Identität des Autors wird heftig diskutiert. Jachadische Autorenschaft wird z. B. von Dimant befürwortet. Goff und Tigchelaar vertreten hingegen die These eines nicht-jachadischen Autors, die es ermöglicht, den Text schon früher, im späten dritten oder frühen zweiten vorchristlichen Jahrhundert zu verorten. Obgleich manche sprachliche Formen an jachadische Texte erinnern (Dimant), gibt es doch auch Unterschiede, und der Inhalt spricht eher dagegen (Rey). Vielleicht stammen einige Ähnlichkeiten zu jachadischen Sprachformen aus einer Überarbeitung durch ein Jachad-Mitglied. In der Schrift wendet sich ein Weiser an einen Jünger, der ein normales Leben mit Privatgeschäften, Ehefrau und Kindern innerhalb der Gesellschaft führt, also nicht dem unverheirateten Jachad zugerechnet werden kann. Es gibt aber auch nicht ausreichend terminologische Übereinstimmungen mit der Damaskusschrift, um den Autor jenem Bund zuzuweisen. Er ist arm, offensichtlich aber nicht freiwillig (4Q416 2 iii 8 – 21). [Verkaufe nicht] deine Seele gegen Geld; besser, du bist ein Sklave im Geist und dienst deinen Bedrängern umsonst, und verkaufst um keinen Preis 18 deine Ehre (4Q416 2 ii 17f // 4Q417 2 ii 22) Wenn Du aufgrund Deines Mangels von Menschen Geld leihst, [ruhe] weder Tag noch Nacht, keine Ruhe Deiner Seele bis Du Deinem Gläubiger alles erstattet hast (4Q417 2 i 21f vgl. dagegen Sir. 29,1 – 6).

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In der Antike ist Bildung noch stärker als heute mit finanziellen Mitteln verbunden. Daher ist der Autor vielleicht nicht immer arm aus einer ver- gewesen, sondern stammt aus einer verarmten Gruppe. Die Schrift armten Gruppe impliziert einen Leser, der trotz der Begrenztheit seiner Mittel nicht auf das Studium der Weisheit verzichten soll. Die finanzielle Situation von Jesus Sirach und seinen Lesern war höchstwahrscheinlich nicht die gleiche, wenn wir in Sirach lesen: Mein Sohn, entzieh dem Armen nicht den Lebensunterhalt, und lass die Augen des Betrübten nicht vergebens warten! (Sir. 4,1) 30 Es gibt Arme, die wegen ihrer Klugheit geehrt sind. Es gibt Leute, die wegen ihres Reichtums geehrt sind. 31 Wird einer als Armer geehrt, wie viel mehr, wenn er reich wird. Wird einer als Reicher verachtet, wie viel mehr, wenn er arm wird. (Sir. 10,30f)

19  Weisheit, Wissenschaft und Magie    343

Instruction und Sirach repräsentieren bei allem gemeinsamen Interesse für Weisheit zwei gegenläufige soziale Strömungen. Weitere Hinweise auf das Milieu des Autors geben halakhische Andeutungen. Die wenigen erhaltenen halakhisch auswertbaren Äußerungen gehen nicht in die gleiche Richtung wie die Damaskusschrift oder die Tempelrolle, sondern weisen eine größere Nähe zu rabbinisch belegten Meinungen auf. Ob man daraus schon schließen kann, dass sie pharisäisch oder protopharisäisch sind (Schiffman), sei dahingestellt. Wahrscheinlich begann das Werk mit einer kosmologisch-eschatologischen Rahmenhandlung. Andere Überlegungen betreffen Engel, Endgericht, das Leben nach dem Tod, wahrscheinlich mit den Engeln. Die Verbindung von offenbarter Weisheit und Eschatologie unterscheidet Instruction von sonstiger biblischer, altorientalischer oder hellenistischer Weisheitsliteratur. Kosmologisch-eschatologischer Reflexion maß der Autor auch in anderen Abschnitten eine zentrale Rolle bei: Das Mysterium vom Gewordenen (raz nijhe) erforsche und betrachte alle Wege von Wahrheit und auf alle Wurzeln von Übel 15 blick hin, dann wirst du erkennen, was bitter für einen Menschen ist und was süß für einen Mann. (4Q416 2 iii 14f, Maier)

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Was ist dieses „Mysterium vom Gewordenen“ (so Maiers Über- Mysterium vom setzung)? Der zugrundeliegende hebräische Ausdruck raz nijhe ist Gewordenen zentral für Instruction (30 mal in diesem Text). Daneben erscheint der Begriff noch in einem Text, dem er sogar den Namen gegeben hat, Mysteries (drei oder vier Handschriften: 1Q27, 4Q299, 4Q300 und vielleicht auch 4Q301) und außerdem im Schlusslied der Gemeinschaftsregel (1QS XI 3f). Raz ist ein persisches Lehnwort im Hebräischen und Aramäischen (vgl. Dan. 2,18f; 4Q204 = 4QEnochc 5 ii 26 – 27 = 1. Hen. 106.19]), das mit Mysterium übersetzt werden kann. Die Form Nihje von der Wurzel h-j-h („sein“) ist ambivalent und schwierig zu übersetzen. Es kann entweder Passiv (nif‘al) sein – und zwar in der Gegenwart („das Werdende“) oder der Vergangenheit („das Gewordene“) – oder Aktiv im Futur der ersten Person Plural („was wir sein werden“). Der Leser soll also das Mysterium, von dem was war, was ist und was sein wird, studieren (4Q418 123 ii 3). Vielleicht ist es am besten mit „Existenz“ zu übersetzen, denn im Hebräischen gibt es sonst kein Wort für „Sein“ und im Deutschen kann man schlecht drei Zeitaspekte in einem Wort ausdrücken.

344    19  Weisheit, Wissenschaft und Magie Nach Goff handelt es sich bei diesem Mysterium um Gottes Plan für die Schöpfung bis zum eschatologischen Gericht. Derartige Spekulationen stehen – wiederum – im direkten Kontrast zu Sirach oder auch zu Kohelet: Such nicht zu ergründen, was dir zu wunderbar ist, untersuch nicht, was dir verhüllt ist. 22 Was dir zugewiesen ist, magst du durchforschen, doch das Verborgene hast du nicht nötig. 23 Such nicht hartnäckig zu erfahren, was deine Kraft übersteigt. Es ist schon zu viel, was du sehen darfst. 24 Vielfältig sind die Gedanken der Menschen, schlimmer Wahn führt in die Irre. (Sir. 3,21 – 24) 21

Verbindung von Weisheit und eschatologischapokalyptischem Gedankengut

Andere sehen im raz nihje das Mysterium, die Wege des Guten und die Wurzeln des Bösen als Schlüssel des eschatologischen Heils zu verstehen (Rey) (4Q416 2 iii 14 – 15 // 4Q418 9a – c 16). Der Autor vermeidet den Gebrauch von spezifisch jüdischen Konzepten in diesem Zusammenhang und redet weder von Bund noch von Tora, JHWH oder Israel. In dieser Logik wäre das Heil nicht auf den Jachad beschränkt, sondern auf alle, die dieses Mysterium studieren. Die Verbindung von Weisheit und eschatologisch-apokalyptischem Gedankengut ist im Vergleich zu den anderen frühen Weisheitstexten sehr auffällig. Lebhaft diskutiert wird ihr genaues Verhältnis. Wird hier ursprünglich un-eschatologische Weisheit gewissermaßen eschatologisiert (Lange)? Kann man zwei unterschiedliche Strata unterscheiden (Elgvin)? Oder handelt es sich schlichtweg um den ersten Weisheitstext aus einer Gruppe mit eschatologisch geprägter Weltsicht? Die Nähe zu Daniel und zum 1. Henoch ist groß, wie auch der Einfluss auf jachadische Werke wie die Hymnenrolle und die Zweigeisterlehre in 1QS III 16–IV. Vielleicht zitiert 1QHa XVIII 29 sogar 4Q418 55 10. Beide Texte teilen viele seltene Sprachformen (Rey). Es ist insofern sicher kein Zufall, dass in Qumran so viele Handschriften von Instruction gefunden worden sind. Kommen wir nun von der Weisheitsliteratur zur wissenschaftlichen Literatur. Es gibt Forscher, die behaupten, das antike Judentum wäre an (Natur-)Wissenschaften überhaupt nicht interessiert gewesen (s. Literatur in Ben-Dov/Sanders). In dieser Diskussion spielt oft der Hintergedanke mit, inwiefern das Judentum besonders rational oder besonders irrational ist. Wir wissen sicher, dass einzelne Juden in der Antike z. B. medizinische Traktate geschrieben haben (Kommentar von Rufus von Samaria zu Hippokrates). Gibt es wissenschaftliche Texte in Qumran? Die Antwort auf diese Frage hängt

19  Weisheit, Wissenschaft und Magie    345

stark an der Definition dessen, was man unter Wissenschaftlichkeit versteht. Dabei darf man sich nicht von modernen Vorstellungen irreleiten lassen. In der Antike kann man nicht anachronistisch Wissenschaft von Religion oder Magie trennen. Astronomen gaben Wissenschaft Horoskope. Zeitmessung diente der Bestimmung von religiösen Festen. Ärzte sprachen Beschwörungsformeln. Auch die Anfänge der Geologie, der Zoologie und der Botanik sind oft vom Interesse an Kräften geleitet, die wir heute der Magie zurechnen würden. Tatsächlich finden sich in – der religiösen Bibliothek von – Qumran einige höchst interessante Texte aus der Grauzone zwischen Wissenschaft und Religion: Physiognomie, Astronomie/Astrologie, Chronologie, Kalender, und man könnte auch die Beschreibungen der Architektur des zukünftigen Jerusalems im Neuen Jerusalem dazu zählen. Einige der exorzistischen Gebetsformeln wurden bei Situationen angewendet, in denen man heute den Arzt holen würde. Gewisse halakhische Traktate und exegetische Hilfsschriften haben geisteswissenschaftlichen und juristischen Charakter. Metrologie, die Lehre der Maße (z. B. Gewichte, Längen, Volumina) erscheint im Aramäischen Levi Dokument (in den griechischen Fragmenten der Athoshandschrift). Geographische Exkurse gibt es im Genesisapokryphon und im Jubiläenbuch. Astronomie ist vor allem im Astronomischen Henochbuch wichtig (4Q208 – 4Q211), das später Teil des henochischen Sammelwerks wurde. Andererseits fehlen in Qumran ganze Disziplinen antiker Wissenschaften: Es gibt keine rein geometrischen, mathematischen, physikalischen oder geographischen Traktate, wie sie die Wüsten Mesopotamiens und Ägyptens für andere Zeiten und Kulturen preisgegeben haben. Vielleicht liegt dies am prinzipiell religiösen Charakter der Bibliothek. Trotz der unterschiedlichen Sprachen fehlen Lexika oder Wortlisten völlig. Auch hätte man für die angeblich so sehr für Heiltechniken begabten Essener (Taylor) medizinische, anatomische, zoologische, botanische oder mineralogische Traktate erwarten können. Wurde dieses Wissen mündlich tradiert oder waren die Bewohner daran uninteressiert? Wir werden uns in der folgenden kurzen Übersicht auf die eigenständigen Schriften konzentrieren. Diese betreffen Physiognomie, Astronomie/Astrologie und Exorzismus. In Mesopotamien und Griechenland galt Physiognomie als Physiognomie Wissenschaft, die es ermöglicht, vom Aussehen eines Menschen Schlüsse auf seinen Charakter zu ziehen. Mit dieser Wissensdisziplin beschäftigt sich der aramäische Text 4Q561, bestehend aus 4Q561 etwa einem Dutzend Fragmente von vielleicht zwei Kolumnen, paläographisch in die erste Hälfte des ersten Jahrhunderts v. Chr.

346    19  Weisheit, Wissenschaft und Magie datiert. Insgesamt fünf physiognomische Beschreibungen sind darin erhalten – allerdings sehr fragmentarisch. Die Beschreibung beginnt jeweils mit dem Kopf und reicht bis zu den Füßen: Seine Augen sind hell (?) bis schwarz, seine Nase ist lang und schön, und seine Zähne sind gleichmäßig und sein Bart gleichmäßig und fein, aber nicht voll, seine Glieder […] (4Q561 1 i 1 – 4).

Leider ist alles, was von den Interpretationen der jeweiligen Physiognomien noch übrig ist, sehr bruchstückhaft. Dies macht die Entschlüsselung der Funktion des Textes im Leben seines/seiner ­Besitzer schwierig. Allerdings ist 4Q561 nicht der einzige physiognomische Text. Diese Disziplin spielt auch in der sogenannten 4Q534 – 4Q536 Geburt Noahs (4Q534 – 4Q536) eine wichtige Rolle (z. B. 4Q534 1 i 1 – 6). (1) der Hand [und] seiner beiden Kn[i]e […] sein rotes Mal (2) [seine] Haare [und] Einkerbungen/Linsen (?) auf […] [vacat] (3) und kleine Male an seinen Hüften, […] unterschiedlich voneinander, so [wird] Erkenntnis in seinem Herzen sein (4) In seiner Jugend, wird er wie ein Intelligentes Wesen sein [...] damit sei [....], der kein Wissen kennt [bis ]zur Zeit, da (5) [er] die drei Bücher kennenlemt. [vacat] (6) [D]ann wird er klug und (er)kennt. […] eine Vision, um hinzugelangen zur ’rkbh […] 4Q186

Ein weiterer physiognomischer Text ist 4Q186, diesmal auf Hebräisch. Er ist in einer einzigartigen Mischung aus griechischen, judäischen und althebräischen Buchstaben von links nach rechts geschrieben (vgl. 4Q363a). Paläographisch datiert er in die frühe herodianische Zeit. Er besteht aus einer Handvoll Fragmenten von mindestens sechs teilweise recht gut erhaltenen Kolumnen. Der Text schildert seine Portraits immer in der gleichen Reihenfolge: 1) 2) 3) 4) 5)

physiognomische Details, Licht- /Dunkelheitsanteile des Geistes, Tierkreiszeichen bei Geburt, Lebensumstände, Tier.

[…] seine Schenkel sind lang und dünn, und seine Zehen sind dünn und lang – er gehört in die zweite Kolumne (?). Sein Geist hat sechs Teile im Haus des Lichts und drei im Brunnen der Finsternis. Und dies ist das Tierkreiszeichen (molad), in dem er geboren worden ist, im Fuß des „Stiers“. Er wird arm/bescheiden sein. Und das ist sein Tier: ein Stier. (4Q186 1 ii 5 – 9).

Die Licht- /Dunkelheitsanteile des Geistes wurden bislang auf dem Hintergrund der Zweigeisterlehre (1QS III 16–IV) als Hinweis auf eine jachadische Autorschaft interpretiert. Die oben genannte Person hatte also zu zwei Dritteln Lichtanteile und ein Drittel Fins-

19  Weisheit, Wissenschaft und Magie    347

ternis. Der Text hätte dann seinen Sitz im Leben in den Prüfungen der Aufnahmeprozedur (Alexander). Vor kurzem hat Popovic dagegen vorgeschlagen, es handele sich bei den Lichtanteilen des Geistes nicht um die Lichtanteile der Person, sondern um die Lichtanteile des Tierkreiszeichens, ihre Höhe im Verhältnis zum Horizont. Diese Anschauung kommt zum Beispiel auch im Testament Salomos vor (z. B. Test. Sal. 18,4f). Die Höhe des Tierkreiszeichens im Verhältnis zum östlichen Horizont zur Zeit der Geburt der Person war in der griechischen Astrologie ein wichtiges Merkzeichen. Nach 4Q186 glaubte man also, aus dem Aussehen einer Person auf das Tierkreiszeichen bei seiner Geburt rückschließen zu können. Es wäre ein physiognomisch-astrologischer Text. Allerdings haben wir keine Parallele für eine derartige Mischung in der mesopotamisch-griechischen Welt. Auch stellt sich die Frage, warum gerade dieser Text in der einzigartigen Geheimschrift verfasst worden ist? Deswegen sollte man die jachadische Interpretation vielleicht nicht aus dem Spiel bringen (Ben-Dov). Die aramäische Rolle 4Q318 wird Zodiology and Brontology 4Q318 genannt. Aus etwa einem halben Dutzend Fragmente, paläographisch in die zweite Hälfte des ersten Jahrhunderts v. Chr. datiert, haben Greenfield und Sokoloff die Reste von drei von ursprünglich elf Kolumnen rekonstruieren können, die zwei verschiedene Texte enthielten. Es handelt sich also um eine seltene Sammelhandschrift. Der erste Text ist ein sogenanntes Selenodromion (von griech. se­ Selenodromion lēnē und dromein = „Mond“ und „laufen“). Der Mond durchläuft in seinem 28-Tage-Zyklus den ganzen Himmel, alle zwölf Sternzeichen des Tierkreises. Alle zwei bis drei Tage betritt er dabei also ein neues Tierkreiszeichen (Zodiac). Das Selenodromion gibt eine Liste mit der jeweiligen Position des Mondes in einem der Sternzeichen für jeden Tag eines idealisierten 360-Tage-Jahrs an. (Ein 360-Tage-Jahr war für ähnliche Rechentafeln in babylonischen astronomischen Traktaten [oft MUL.APIN genannt] vielfach üblich). Auch in der griechischen Welt und selbst Philon waren ähnliche Rechenprinzipien bekannt (Somn. 2,112f). 4Q318 enthält die älteste vollständige Liste der aramäischen Tierkreiszeichen, die man später so oft auf Mosaiken der palästinischen Synagogen findet. Einige dieser astronomischen/astrologischen Texte können vielleicht in Verbindung mit der sogenannten „Sonnenuhr“ gestanden haben. Wie genau, bleibt zu erforschen. Die erhaltenen Fragmente von 4Q318 zeigen auch den Übergang zu einer anderen astronomisch-astrologischen Komposition auf der gleichen Rolle. Da beide Texte erstaunlicherweise nicht mit dem sonst üblichen Sternzeichen „Widder“, sondern mit „Stier“ beginnen, gehören sie konzeptuell zusammen. Hier lesen wir:

348    19  Weisheit, Wissenschaft und Magie [Wenn es im (Sternzeichen) Stier] donnert, [werden] msbt? [der] Jüng[linge sein [… und] Not den Provinzen und Zerstörung dem Königspala[st], und in den Provinzen […] wird sein. Und den Arabern […], Hunger, und sie werden sich gegenseitig plündern. [vac]at Wenn es im (Sternzeichen) Zwillinge donnert, wird es Angst und Leiden durch die Fremden (nekaraja) geben und […] (4Q318 VIII 6 – 9) Brontologion

Aramäisches Astronomisches Buch 4Q208 – 4Q210, 4Q211

4Q317 Mondphasen

Dieser Teil von 4Q318 war ein sogenanntes „Brontologion“, aus Mesopotamien und in Griechenland bekannt. In diesen Texten wird Donner (griech. brontē) je nach Position von Sonne, Mond und/ oder Sternen als Omen zur Vorhersage für das eine oder andere politische oder landwirtschaftliche Ereignis gedeutet. In 4Q318 hängt es mit den Konstellationen des Selenodromion zusammen, also mit dem Mond. Texte dieses Genres blieben auch später weit verbreitet und gehörten beispielsweise zum Reisegepäck des byzantinischen Kaiserhofs. Dagegen findet sich ein anderes verbreitetes Genre, nämlich praktische Schriften zur Traumdeutung (Oneiromantie), nicht in Qumran. Dies ist angesichts der von Josephus erwähnten berühmten Vorhersagekünste der Essener auffällig. Drei oder vier Kopien des Aramäischen Astronomischen Buchs (AAB) sind rekonstruiert worden (4Q208 – 4Q210, vgl. 1. Henoch 72 – 82, und vermutlich auch 4Q211). Keine dieser Handschriften scheint schon damals Teile eines anderen henochischen Werkes enthalten zu haben, wie sie später im äthiopischen 1. Henoch zu finden sind. Die Fragmente enthalten nicht einmal den Namen Henoch. Die älteste Handschrift 4Q208 ist paläographisch um 200 v. Chr. datiert worden und gehört damit zu den ältesten Qumranhandschriften. Das jüngste Manuskript datiert in die herodianische Zeit und belegt somit ein andauerndes Interesse an diesen astronomischen Rechentafeln. Der Text der aramäischen Handschriften bezeugt eine frühere Textfassung im Vergleich zur äthiopischen Version, 4Q211 enthält sogar vorher unbekannten Text mit den ältesten Bruchrechnungen auf Aramäisch. AAB enthält eine lange Tafel, die die Sichtbarkeit des Mondes innerhalb eines Monats anzeigt, einen Vergleich zwischen dem Halbjahr eines Mondkalenders und eines 364-Tage-Kalenders sowie Überlegungen zu Jahreszeiten, Winden und Himmelsrichtungen. Die äthiopische Version hat die astronomischen Berechnungen stark abgekürzt, dafür aber die Ausführungen über die Offenbarung und Überlieferung von Wissen erweitert. Die astronomischen Berechnungen weisen große Ähnlichkeiten zu den akkadischen MUL.APIN-Texten aus Mesopotamien aus dem Ende des zweiten Jahrtausends v. Chr. auf. Die Schriftrolle 4Q317 („4Q cryptA Lunisolar Calendar“) übersetzt und vereinfacht die ältesten Abschnitte des Astronomischen Buches zu den Mondphasen ins Hebräische. Mit 33 Zeilen ist sie

19  Weisheit, Wissenschaft und Magie    349

relativ großformatig und war früher vielleicht 6 m lang. 4Q317 ist wie der kalendarische Text (4Q324d – f, h – i) in kryptischer Schrift geschrieben. Die Rolle fügt jeweils die für die Feste und Schabbate wichtigen Wochentage hinzu und adaptiert also die alte babylonische Astronomie des Astronomischen Buches an den 364-TageKalender (s. o. S. 288–292). Abschließend können wir festhalten, dass viele wissenschaftliche Texte auf Aramäisch verfasst sind. Vielleicht kam dieses Wissen aus dem persischen Reich, in dem Aramäisch – auch noch in der hellenistischen Zeit – Wissenschaftssprache war. „Magie“ ist – ähnlich wie die Begriffe „Sekte“ oder „Häretiker“ – Magie immer eine Fremdbezeichnung. Oft ist es die Religion des anderen oder Aspekte der eigenen Religion, die offizielle Amtsträger nicht unterstützen. Was aus „emischer“ Perspektive, also im Innendiskurs einer Religion, als Magie bezeichnet wird und was als Religion, ist insofern immer auch eine Frage von Macht und Autorität. Dennoch hat der Begriff aus „etischer“ Perspektive, also dem Außendiskurs, als pragmatische Kategorie für bestimmte Phänomene einen Sinn. Meistens sind magische Rituale eher individuell-privat, nicht-öffentlich, verbunden mit einem akuten, präzisen und konkreten Notfall. Jemand ist physisch oder psychisch krank, unglücklich verliebt, hat akute Geldprobleme, benötigt bestimmte ihm unzugängliche Informationen – die Liste der möglichen Fälle ist lang. Während die regelmäßigen, kollektiven und öffentlichen Rituale normalerweise von den offiziellen Würdenträgern, Priestern (oder später Rabbinern), ausgeführt werden, werden „magische“ Rituale von nicht-offiziellen Spezialisten ausgeführt. Oft sind derartige Praktiken von offizieller Seite verboten oder zumindest stark eingeschränkt. So enthalten auch die Tora und die Tempelrolle Verbote gegen bestimmte Geisterbeschwörungen. Wenn du in das Land kommst, das ich dir gebe, dann sollst du nicht lernen zu tun 17 gemäß den Gräueln dieser Völker. Keiner soll sich bei Dir finden, der seinen Sohn oder seine Tochter 18 durch das Feuer gehen lässt, kein Wahrsager und kein Zeichendeuter und kein Schlangenbeschwörer und kein Zauberer und keiner, der Bannflüche spricht, und keiner, der Totengeister befragt oder 19 Wahrsagegeister, keiner, der die Toten (direkt) befragt (11Q19 Ta LX 16 – 19). 16

Nach dem Buch der Wächter sind Magie und Astronomie/Astrologie Teile der Verführungskünste, die die gefallenen Engel die Menschen lehrten (1. Hen. 7,1; 8,3). Wir haben schon gesehen, dass die soziologische Unterscheidung auf den Jachad nicht wirklich anzuwenden ist, da Beschwörungen gegen Besessenheit als Teil des kollektiven Kampfes der Söhne des

350    19  Weisheit, Wissenschaft und Magie Lichts gegen die dämonischen Attacken der Söhne der Finsternis gesehen und vom maskil und dem Kollektiv ausgesprochen wurden (s. o. zu 4Q510 – 4Q511). Qumrans Magie ist keine volkstümliche Zauberei, sondern Gelehrtenmagie. Unter den vermutlich nichtjachadischen Texten zählen 4Q560 (Exorcism ar) und 11Q11 Geisteraustreibung (Apokryphe Psalmen) eindeutig zu den mit Geisteraustreibung beschäftigten Schriften (vgl. auch 8Q5). 4Q560 4Q560 Exorcism ar sind nur zwei Fragmente, ein großes und ein kleines, zugeordnet. Es ist paläographisch in die erste Hälfte des ersten Jahrhunderts v. Chr. datiert und enthält in seinen acht sehr fragmentarischen Zeilen aus zwei Kolumnen aramäische Beschwörungsformeln „Ich beschwöre Dich, O Geist“ (1 ii 6). Die Interpretationen des fragmentarischen Textes gehen sehr weit auseinander (vgl. Puech in DJD mit Beyer oder Bohak), aber die vorige Kolumne scheint, wie in späteren Formeln üblich, jeweils männliche und weibliche Dämonen (dkr/nqbt) anzusprechen, um sicherzugehen, dass die Beschwörungsformel auch wirklich wirkt. Die Beschwörungsformel enthält zwei hebräische Worte aus Exodus 34,17, einer in der späteren Liturgie weit verbreiteten Formel: „Sünde und Vergehen (avon vafescha), Fieber und Schüttelfrost und Herzfeuer“ (4Q560 1 i 4). Hebräische Worte konnten also eine aramäische Formel verstärken. 4Q560 ist außerdem das früheste Beispiel für ein aramäisches oder jüdisches Zauberbuch (allerdings vermutlich ein sehr kurzes), lange vor den ausführlichen Schriften aus der Geniza und den babylonischen Zauberschalen. Die in die Mitte des ersten Jahrhunderts n. Chr. (also spät) datier11Q11 te Fragmentengruppe 11Q11 (Apokryphe Psalmen) ist eine Sammlung mit Beschwörungsformeln zur Geister- und Dämonenaustreibung (ruchot, schedim), inklusive einer umformulierten Version des biblischen Psalms 91. Es gibt keine Anzeichen für eine jachadische Autorenschaft. Eine der besser lesbaren Passagen lautet: Von David üb[er … Be]schwörung im Namen JHW[Hs. Rufe zu jed]er Zeit 5 den Himm[el] an. [Wenn] er wird zu Dir kommt in der N[acht, soll] st Du ihm sagen: 6 „Wer bist Du, [Abkömmling] eines Menschen und des Samens der Hei[ligen (Engel)]? Dein Angesicht 7 ist […] und Deine Hörner sind Tra[u]mhörner. Finsternis bist Du und kein Licht, 8 Unrecht und nicht Gerechtigkeit […] der Offizier der Armee JHWHs [wird] Dich [herunterbringen in den] tiefen [Sheo]l [und die] Kupfer[Tü]ren [schließen]. (11Q11 V 4 – 9) 4

Gott soll hier offensichtlich jemandem beistehen, der schlechte Träume hat. Andere Fragmente erwähnen vermutlich Salomo (11Q11 II 2), Raphael (V 3), Belial (VI 3), die aus anderen antiken jüdischen Beschwörungstexten bekannt sind (z. B. Testament Salomos).

17.5  Präsente Eschatologie, Auferstehung    351

20 „So lasst unsre Lippen Stiere opfern“: Liturgie, Gebet, Mystik

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20.1  Gebete: Qumran und das synagogale Gebet    353

20.1 Gebete: Qumran und das synagogale Gebet Rituale dienen dazu, Zeit, Raum und Gesellschaft zu strukturieren. Manche würden sagen, dass Zeit, Raum und Gesellschaft sogar erst durch Rituale konstruiert werden. Aus dem monotonen Fluss der Zeit werden bestimmte Momente ausgewählt, die ihr einen Sinn geben. Der unendliche Raum wird in unterschiedlich wichtige Gebiete (z. B. Eretz Israel, Jerusalem, Synagoge oder Tempel) und Richtungen (Osten, Jerusalem, Himmel) geordnet. Die Unterscheidung in aktive Teilnehmer mit unterschiedlich hierarchisierten Rollen, in Zuschauer und Außenstehende, spiegelt die religiösen Machtverhältnisse der Gesellschaft. Der Großteil dieser zeitlichen, geographischen, sozialen und psychologischen Strukturierung geschieht durch non-verbale Aspekte: die Auswahl des Moments, des Orts, der Teilnehmer, der Melodie und des Vortragsstils (Stökl Ben Ezra, When the bell). Die – in den Qumranrollen gerade nicht bezeugten – Gesten, Stellungen und Bewegungen spielen dabei eine entscheidende Rolle (Ehrlich für die rabbinische Literatur). Angesichts der übermäßigen philologischen Konzentration der Qumranologie auf Buchstabenreste und rekonstruierte Satzteile muss man mit den Performance Studies betonen, dass die in Texten und Köpfen enthaltenen theoretischen Konzepte zu Zeit, Raum, Gesellschaft, Engeln und Gott erst durch die Ausführung der nichtverbalen und der verbalen Aspekte der Liturgie in die wirkliche Welt übertragen, in Szene gesetzt oder realisiert werden. Gottesdienst hieß in der griechisch-römischen Mittelmeerwelt in erster Linie, Tier- oder Speiseopfer darzubringen. Gebete begleiteten Opfer, oder sie wurden in zeitlich nicht festgelegten Notsituationen oder Glücksmomenten gesprochen. So war es auch im Jerusalemer Tempel des nachexilischen Judentums, wo der Psalmengesang der Leviten, Segenssprüche und Gebete den täglichen Opferkult sowie die besonderen Opfer an Schabbaten und Feiertagen begleiteten (Josephus, C. Ap. 2,196f). Es gab aber keine Religion in dieser Region, die auf Opfer verzichtete oder das Wort als Zentrum ihres Kults ansah. Die Entstehung von regelmäßigen kollektiven Wortgottesdiensten im antiken Judentum und im frühen Christentum, die nicht nur Beigabe zu Tier- oder Speiseopfern waren, sondern von ihnen unabhängige Hauptereignisse, ist daher eine der religionsgeschichtlich bedeutsamsten Entwicklungen, eine radikale religiöse Revolution. Angesichts des gerade Gesagten ist es nicht verwunderlich, dass die Entwicklung der jüdischen Wortliturgie ihre Wurzeln zumindest teilweise im Tempelgottesdienst hat. Nach 1. Chr. 23,30 sollen die

Rituale strukturieren Zeit, Raum und Gesellschaft

non-verbale Aspekte

Opfer

Wortliturgie: Wurzeln im Tempelgottesdienst

354    20  Liturgie, Gebet, Mystik Leviten (im Tempel) „jeden Morgen und Abend bereitstehen, um den Herrn zu loben und zu preisen.“ Die Mischna schildert die priesterliche Rezitation von einigen biblischen Texten im Rahmen des morgend- und abendlichen Tamid-Opfers im Tempel (mTam 5,1): das Schma Jisrael (Dtn. 6,4 – 9; Dtn. 11,13 – 21; Num. 15,37 – 41) zusammen mit dem Dekalog und dem aaronitischen Priestersegen (Num. 6,24 – 27) begleitet von einigen festgelegten Segenssprüchen. Neben diesen feststehenden Elementen gab es wechselnde Teile: An Schabbaten wurde dazu ein weiterer Segensspruch für den Wechsel der diensthabenden Priesterfamilie gesprochen (mTam 5,1). Für jeden der sieben Wochentage sangen die Leviten einen besonderen Psalm (mTam 7,4, vgl. die entsprechenden Psalmenüberschriften in der LXX). Auch wenn die Mischna erst um 200 n. Chr. redigiert wurde, halten viele Forscher die groben Züge der Traditionen über den Tempelgottesdienst für historisch relativ verlässlich. Schon seit dem frühen zweiten Jahrhundert v. Chr. wohnte eine größere Menge an Zuschauern den sichtbaren Teilen des Tempelkults bei – außerhalb der dem Volk unzugänglichen inneren Höfe. Sie konnten über Gebete und Gesten sogar am Kult partizipieren (Sir. 50,19). Aus Qumran ist in folgendem Abschnitt aus der höchstwahrscheinlich nicht-jachadischen Psalmenrolle aus Höhle 11 ein enger Zusammenhang zwischen Opfer- und Wortliturgie erkennbar. Er schreibt David für jeden Tag und jeden Schabbat und jeden Festtag die Komposition eines Psalms zu, der zum Opfer im Tempel gesungen wird: Und David, Isais Sohn, war weise und leuchtete wie das Sonnenlicht, ein Schriftsteller, verständig und vollkommen auf all seinen Wegen vor Gott und Menschen. Da gab ihm JHWH einen verständigen Geist und Erleuchtung, und er schrieb 3600 Psalmen; und Lied(er), zu singen vor dem Altar zum täglichen Brandopfer (olat hatamid) für jeden einzelnen Tag, für alle Tage des Jahres, (schrieb er): 364; und zum Opfer der Schabbate: 52 Lied(er); zum Opfer der Monatsersten und für alle Festtage sowie für den Versöhnungstag: 30 Lied(er). So waren alle Lied(er), die er gesprochen hatte, 446. Und Lied(er) zum Spielen an den Ecktagen (pegu‘im) vier. So betrug die Gesamtsumme 4050. Und alle diese sprach er durch Prophetie, die ihm der Höchste von sich gab. (11Q5 XXVII 2 – 11  = Davids Compositions)

Wo fanden Gebetsgottesdienste außerhalb des Tempels statt? Vielleicht dienten in Judäa große Plätze für liturgische Versammlungen, wie es z. B. im Traktat Taʿanit der Mischna geschildert wird. Für das Diasporajudentum ist die Existenz von speziellen Gebetsräume Gebetsräumen schon seit dem dritten vorchristlichen Jahrhundert inschriftlich belegt (JIGRE 22, 117: proseuchai = „Gebete“ als Ge-

20.1  Gebete: Qumran und das synagogale Gebet    355

bäudebezeichnung). Archäologisch sind im heutigen Israel für die Zeit vor dem dritten nachchristlichen Jahrhundert nur ganz vereinzelt Gebäude als Synagogen identifiziert worden (Gamla, Masada, Herodion, umstritten: Jericho). Sie weisen allesamt bescheidene Maße auf und können nur kleinen Gruppen als Versammlungsräume gedient haben. In Qumran wurde vielleicht der große Saal (L77) oder die Esplanade im Süden als Gebetsversammlungsraum genutzt. Literarisch sind Synagogen für die Zeit des Tempels öfter belegt als archäologisch (z.B. Mk. 1,21 – 29; Ant. Iud. 16,164). Aber ihre Größe und Frequentierung ist unbekannt. Oft können sie Diasporajuden zugeordnet werden (Theodotus-Inschrift in Jerusalem; Apg. 6,9), oder sie befinden sich außerhalb Judäas, relativ weit von Jerusalem entfernt (z. B. in Kapernaum in Galiläa). Für keine dieser Konstellationen ist bekannt, wie oft in ihnen Versammlungen stattfanden und welche Art von Veranstaltungen hier abgehalten wurden – nur am Schabbat und an Festtagen oder täglich? Gab es für die gemeinsamen Gebete schon wörtlich festgelegte Liturgien oder thematisch vorgegebene Liturgieabläufe? Bezüglich regelmäßiger Gebetszeiten deuten der Aristeasbrief Gebetszeiten (zweite Hälfte des zweiten Jahrhunderts v. Chr.) und Josephus an, dass einige Juden außerhalb der Tempelliturgie morgens und abends das Schma Jisrael beteten (Aristeas 160; Ant. Iud. 4,212). Nach Philon versammelten sich die Therapeuten zweimal täglich zweimal zu Gebeten bei Sonnenauf- und -untergang (Vit. Cont. 27). Andere Texte sprechen allgemein von drei täglichen Gebetszeiten. So sagt Daniel im dritten Jahrhundert oder zu Beginn des zweiten Jahrhunderts v. Chr.: […] ging er [Daniel] in sein Haus. In seinem Obergemach waren die Fenster nach Jerusalem hin offen. Dort kniete er dreimal am Tag nieder und richtete sein Gebet und seinen Lobpreis (metzale umode) an seinen Gott, ganz so, wie er es gewohnt war (kol qavel di hava aved min qadmat dna). (Dan. 6,11)

Daniel spricht von einer überkommenen Sitte, aber noch nicht von Pflichtgebeten wie in der rabbinischen Zeit. Es handelt sich um ein Individuum in seinen Privatgemächern, nicht um eine Gemeinde in einem öffentlichen oder halböffentlichen Raum wie einer Synagoge. Die Passage lässt ebenfalls offen, ob der Gebetstext frei war oder festgelegt. Oft wird Ps. 55,17f als Beleg für drei Gebetszeiten angeführt: drei Gebetszeiten „17 Ich aber, zu Gott will ich rufen, der Herr wird mir helfen. 18 Am Abend, am Morgen, am Mittag seufze ich und stöhne; er hört mein Klagen“. Allerdings kann es sich bei diesem Text durchaus um eine Ausnahmesituation handeln und nicht um regelmäßige Gebete. Nach Daniel sind die zwei frühesten sicheren Belegstellen

356    20  Liturgie, Gebet, Mystik für drei regelmäßige tägliche Gebete zwei Texte des christlichen Judentums aus dem ersten Jahrhundert: Die Didache schreibt vor, das Vaterunser dreimal täglich zu beten (Didache 8,3). Hier ist also nicht nur Rhythmus, sondern auch Text definiert. Die Apostelgeschichte nennt Gebete zur dritten, sechsten und neunten Stunde (Apg. 2,1.15; 3,1; 10,3. 9. 30). Auch der (Slavische) 2. Henoch, dessen Grundschicht vielleicht aus der gleichen Epoche wie die Apostelgeschichte und die Didache stammt, spricht von drei Gebetszeiten: „es ist gut, am Morgen des Tages, und in der Mitte des Tages und am Abend des Tages in das Haus des Herrn zu gehen, um den Schöpfer von allem zu verherrlichen“ (2. Hen. 51,4). Die frühesten rabbinischen Belege oszillieren zwischen zwei und drei Gebetszeiten: abends (aravit/ma‘ariv), morgens (schacharit) und nachmittags (mincha) (mBer 4,1). Noch in talmudischer Zeit wurde diskutiert, ob sie alle gleich wichtig sind. Dies deutet darauf, dass zwei Traditionen unterschiedlichen Ursprungs miteinander verbunden worden sind, eine mit zwei Tagzeitengebeten und eine mit dreien. Neben dem Schma und seinen begleitenden Segenssprüchen, die zweimal täglich rezitiert wurden und vielleicht im Tempelkult wurzeln, nennt die rabbinische Literatur in den frühesten Schichten vor allem noch die Amida, die normalerweise „das Gebet“ (hatefilla) schlechthin genannt wird. Der Name Amida (= „Stehen“) kommt von der Gebetshaltung. Der dritte Name dieses Gebetes ist Schmone Esre (= 18), da es werktags ursprünglich aus 18 (heute 19) Bitt- und Segenssprüchen (berakhot) zusammengesetzt war (mBer 4,3). Am Schabbat und an Feiertagen werden die dreizehn mittleren Bitten durch einen besonderen Lobspruch ausgetauscht, der die Heiligkeit des Fest- oder Schabbattages (qeduschat hajom) betont. Dann hat die Amida nur sechs Segenssprüche. Die Entstehungszeit der Amida und die Periode der Festlegung ihres Wortlautes sind umstritten. Schon die rabbinische Tradition ist sich darüber nicht einig. Eine Tradition schreibt es der legendären nachexilischen Institution der „Großen Versammlung“ zu (anschei knesset hagedola, bBer 33a), eine andere Tradition hingegen einem gewissen Schimon haPakuli zu Zeiten des Patriarchen Gamaliel II. in Javne wenige Jahre nach der Tempelzerstörung (bBer 28b). Beide Meinungen werden von Einzelnen auch in der Forschung vertreten: Wie die erstgenannte rabbinische Tradition setzt Ismar Elbogen die Redaktion der Amida in die Frühzeit der Epoche des Zweiten Tempels. Diese These wird heute allerdings nur noch von wenigen Forschern akzeptiert. Der zweiten rabbinischen Tradition folgend hat Ezra Fleischer argumentiert, Rabbiner aus der Zeit Gamaliels II. hätten die Amida ex nihilo verfasst. Anders

20.1  Gebete: Qumran und das synagogale Gebet    357

ließe sich nicht erklären, wieso der Wortlaut sich in allen Genizahandschriften so stark ähnelt. Die meisten Forscher folgen heute einer zuerst von Joseph Heinemann geäußerten Theorie, welche auf den in der rabbinischen Literatur bekannten Gebetstexten basiert: Zunächst wurde nur sehr allgemein das Thema der einzelnen Bitten und ihre Abschlussformel (chatima) festgesetzt, dann in talmudischer und nachtalmudischer Zeit der gesamte Wortlaut. Qumran und Ben Sira waren erste Tastversuche. Bis zur Entdeckung der Qumranrollen waren antike jüdische Gebetstexte – wie auch in der klassischen griechischen und römischen Welt – nur als Abschnitte in größeren literarischen Kompositionen bekannt (z. B. Esra 9,5 – 15; 2. Chr. 6,14 – 42; Tob. 3,1 – 15; Jdt. 9,2 – 14; Dan. 3,25 – 45.51 – 90 LXX; 1. Makk 4,30 – 33; Mt. 6,9 – 13) oder es fehlten präzise Angaben zur regelmäßigen liturgischen Verwendung in bestimmten Gebetsgottesdiensten (z. B. Psalmen, Psalmen Salomos). Auch wenn die Autoren sie im Hinblick auf die ihnen bekannte Realität bestimmter liturgischer Veranstaltungen in Synagogen oder auf Marktplätzen komponiert haben dürften, können wir aus diesen Texten nicht ableiten, dass sie den tatsächlich verwendeten liturgischen Texten dieser Treffen wortwörtlich entsprachen, dass ihr Wortlaut fixiert war oder dass sie gar mehreren Gemeinden als fixe autoritäre liturgische Texte dienten. Die Funktion der in literarischen Texten enthaltenen Gebete ist in erster Linie literarisch. Die liturgischen Qumranrollen revolutionieren diesen Befund, denn sie bezeugen, dass es auch in Judäa, und zwar schon im zweiten Jahrhundert v. Chr., lange vor der Zerstörung des Tempels, in bestimmten Kreisen einen institutionalisierten, außerordentlich komplexen Wortgottesdienst mit ausführlichen, je nach Stunde, Tag und Fest wechselnden, wörtlich festgelegten Liturgietexten gab, und zwar auch außerhalb des Tempels. Diese Texte weisen in einigen Fällen ähnliche Motive und Formen wie rabbinische Gebete auf, sind aber im Großen und Ganzen zu unterschiedlich, um daraus auf direkte genealogische Verbindungen schließen zu können. Vergleichsarbeiten verlangen besonders sorgfältige philologische Arbeit. Wer dazu moderne Druckausgaben der Gebetsbücher verwendet, ignoriert die äußerst komplexe Geschichte der jüdischen Liturgie. Einzelne Gebete finden sich zwar schon in der talmudischen und midraschischen Literatur (Heinemann). Auf Griechisch ist eine – christianisierte – Frühform der Schabbat-Amida (also mit sieben Segenssprüchen) schon im vierten Jahrhundert n. Chr. bezeugt (Const. Apost. 7,33 – 38; 8,37 – 39). Das älteste vollständige hebräische Gebetsbuch mit verlässlichem Text ist jedoch erst der

institutionalisierter Wortgottesdienst mit wechselnden, wörtlich festgelegten Liturgietexten

358    20  Liturgie, Gebet, Mystik Siddur Rav Saadja Gaon

Siddur Rav Saadja Gaon in Sura (im heutigen Irak) zu Anfang des zehnten Jahrhunderts, also 1000 Jahre nach Qumran! Einige Arbeiten stützen sich auf den Seder Rav Amram Gaon, einen etwas älteren Siddur (um 800). Dieser hat zwar den Vorteil, ins Englische übertragen worden zu sein. Leider sind seine Handschriften aber von späteren Traditionen korrumpiert worden und geben daher mehr über das vierzehnte Jahrhundert preis als über das neunte. Für historische Arbeiten zu Gebetstexten in rabbinischer Zeit ist der Seder Rav Amram Gaon untauglich. Heutzutage werden mehr und mehr Genizagebetsfragmente veröffentlicht, die wertvolle Informationen über Unterschiede zwischen palästinischen und babylonischen Gebetstextrezensionen preisgeben und von denen die ältesten aus etwa der gleichen Periode stammen wie der Siddur Rav Saadja Gaon (www.genizah.org). Dieser Befund hat schwerwiegende methodologische Konsequenzen für vergleichende Arbeiten (zu denen alle liturgiegeschichtlichen Arbeiten zwangsläufig gehören). Der Forscher ist gezwungen, einen methodologischen Mittelweg zwischen Skylla und Charybdis zu finden, d. h. zwischen einer Überschätzung der Wichtigkeit des rabbinischen Korpus durch unreflektierte anachronistische Projizierung nachtalmudischer rabbinischer Liturgietexte in die römische Zeit einerseits und andererseits der Unterschätzung des rabbinischen Korpus als im Ganzen zu spät und daher irrelevant für die Kontextualisierung der Qumranfragmente. Wir werden sehen, dass dies auch für das Verhältnis von Qumran zur rabbinischen Literatur gilt. Wenn man die notwendige methodologische Sorgsamkeit walten lässt, können die historischen Implikationen von großer Tragweite sein. Ähnelt ein Qumrangebet in Inhalt und Form einem Gebet aus dem Siddur Rav Saadja Gaon, kann das ein hohes Alter dieses Gebetes oder des Motivs implizieren und sogar hindeuten auf eine traditionsgeschichtliche, d. h. genetische Linie zwischen beiden Texten oder gar den Gruppen, die diese Texte verwendeten. Dies gilt aber nur, wenn auch die liturgische Funktion des Gebets gleich ist, wenn das Motiv nicht zu allgemein ist und wenn es weder aus biblischen Texten („DNA“) noch durch den liturgischen Sitz im Leben (Analogie) hergeleitet werden kann. Wenn ein Morgengebet aus Qumran zu einem rabbinischen Gebet mit einem anderen liturgischen Ort (z. B. Zusatz am Schabbat) parallele Motive aufweist, können wir daraus nicht auf eine liturgische Kontinuität schließen. Wahrscheinlich hat das gemeinsame Motiv die beiden liturgischen Orte durch nicht-liturgische Kanäle erreicht, z. B. über exegetische Traktate.

20.1  Gebete: Qumran und das synagogale Gebet    359

In Qumran sind Gebetstexte für zeitlich festgelegte Liturgien an allen Tagen einer Woche oder eines Monats, an Schabbaten und Festen gefunden worden sowie – weniger zahlreich – Gebetstexte für zeitlich nicht unbedingt fixierte Rituale, z. B. Reinheitsriten. Außerdem gibt es zahlreiche Hymnen. Da liturgische Gebrauchstexte besonders oft auf Papyrus geschrieben worden sind, ist leider gerade die liturgische Textfamilie speziell von der Fragmentierung betroffen. Eine „Tägliche Gebete“ genannte, sehr fragmentarische Papy- Tägliche Gebete rusrolle (4Q503, Daily Prayers, 4QPrières quotidiennes), paläo- 4Q503 graphisch auf den Anfang des ersten Jahrhunderts v. Chr. datiert, Daily Prayers enthält für jeden einzelnen Tag eines Monats je ein Abend- und ein Morgengebet (vgl. auch 4Q408). Jedes Gebet ist nur ca. 4 – 6 Zeilen lang, und zwar einschließlich seiner Rubrik, das heißt der Formel, die besagt, unter welchen Umständen (zeitlich, örtlich, etc.) der folgende Text gebetet wird. Dank der Regelmäßigkeit der Struktur kann man trotz der extremen Fragmentarität – 225 größtenteils winzige Fragmente – und trotz der Tatsache, dass dies das einzige Exemplar der Komposition ist, Gebete für den 4. bis zum 28. Tag zumindest in rudimentärer Form rekonstruieren. Es handelt sich um Gebete für den ersten oder siebten Monat des Jahres, denn der 15. und der 22. Tag sind Festtage. Da im Gebet für den 14. Tag das Verb passach auftaucht, ist der erste Monat (mit Pessach) wahrscheinlicher als der siebte (mit Sukkot). Auf der Rückseite von 4Q503 befindet sich ein zweiter liturgischer Text, 4Q512 (papRitual of Purification B). Auch dies hilft bei der Rekonstruktion, denn jeder Vorschlag eines join oder eines distant join muss natürlich auf beiden Seiten einen Sinn ergeben. Insgesamt muss der Text von 4Q503 ca. 300 – 350 Zeilen umfasst haben. Die Zeilenzahl einer Kolumne ist nicht klar entscheidbar: entweder 16 – 17 oder 28 – 29 Zeilen, was sich auf ca. 19 oder ca. 11 Kolumnen verteilen lässt. Liturgische Rollen sind normalerweise eher kleinformatig. Der Beginn der Gebete ist am Rand meistens mit einem Merkzeichen (paragraphos) gekennzeichnet (z. B. 4Q503 1 – 6 iii 6). Der Text von 4Q503 enthält Angaben sowohl zu den Mondphasen als auch zur Sonne. Der Vollmond bestimmt die Daten für die Festtage, die Sonne die täglichen Gebetszeiten. Da auch die Wochentage im Monat festgelegt werden (z. B. die Schabbate auf Tage 4, 11, 18 und 25) können wir schließen, dass 4Q503 einen 364-Tage-Kalender mit einem liturgischen Mondkalender synchronisiert (Ben-Dov). Es ist umstritten, ob dieser Text von Mitgliedern des Jachads verfasst worden ist (Dimant, Falk) oder eher nicht (Chazon, Schiffman). Jachadische Ideologie ist im Vokabular nur schwer erkennbar (aber vgl. Dimant 389f), und die

360    20  Liturgie, Gebet, Mystik Ausrichtung der Liturgie nach dem Vollmond macht eine jachadische Autorschaft eher unwahrscheinlich. Lektüre und Analyse des höchst fragmentarischen Exemplars sind schwierig, wie der folgende noch relativ gut erhaltene Abschnitt zeigt: Am sech[zehnten des Monats -- ] sich geheiligt hat[ -- ] 4 und die Nacht[..............]. mit dem Ged[enken (?) -- ] 5 [...] …[............] … und Frie[d]en[ -- ] 6 [………………Go]tt segne jeschuru[n -- ] 7 [...................ü]ber [der Er]de sollen sie benedeien[ und anheben und sprechen: Gepriesen ist der Gott Israels,] 8 [der ...............].[.....]Licht freuen sich in[ -- ] 9 [lobsin]gen Deinem Namen, Licht[e]r-Gott, der Du erneuert hast [ -- sech-] 10 [zehn ]Tore von Licht, und mit un[s] im Jubel Deiner Herrlichkeit in [ -- ] 11 [Scha]ren (der) Nacht (sei) Gottes Friede [ü]ber dir, Israel, beim Aufga[ng der Sonne -- ] (4Q503 Kol. VIII = Frg. 29 – 32) 2 3

Ähnlich dem heutigen Omer-Zählungsritus, an dem jeder Tag von Pessach bis Schavuot gezählt wird, erwähnt jedes Gebet die an diesem Tag gültige Mondphase. Die Texte sind also sehr eng mit dem Kalender verbunden, verbalisieren ihn gewissermaßen. Für Pessach enthalten die Segenssprüche Erinnerungen an die Heilsgeschichte – den wunderwirkenden, mächtigen Arm Gottes und seine Befreiungstaten. Verschiedene Forscher haben die Gebetstexte Qumrans intensiv Parallelen zur sy- auf Parallelen zur synagogalen Liturgie in der rabbinischen Linagogalen Liturgie teratur untersucht und festgestellt, dass sich ein Motivcluster von 4Q503 auch in einem der aus der rabbinischen Literatur bekannten alten Segensspruch vor dem Schma findet, der sogenannten Qeduschat Jotzer (bBer 11a–12a): Beide Gebete werden morgens und abends gesprochen, und zwar […] für die Schöpfung und tägliche Erneuerung der himmlischen Lichter. Eine Beschreibung des Lobpreises im Einklang mit den himmlischen Wesen ist in der morgendlichen Qeduschat Jotzer und in den Morgen- und Abendgebeten von 4Q503 enthalten. Dazu enthalten die Segenssprüche für die Schabbate in 4Q503 die traditionellen Schabbathemen wie Ruhe, Freude, Heiligkeit und Erwählung, die typisch für rabbinische Schabbatliturgie, einschließlich der Schabbatfassung der Qeduschat Jotzer, sind. (Chazon, „Prayers from Qumran“, 282f).

Die Parallelen zwischen dem Qumran-Gebet und dem rabbinischen Text sind also recht erheblich. Schiffman fügt hinzu, dass der Wortlaut eines Segensspruchs aus 4Q503 stark der Formel des Qeduschat Jotzer ähnelt (Schiffman, 225f):

20.1  Gebete: Qumran und das synagogale Gebet    361 [Gelobt sei der Gott Israels, d]er uns aus allen Völkern (mikol [ha]gojim) erwäh[lt] hat (4Q503 Kol. VII Frg. 24 – 25) denn uns hast Du aus allen Völkern (mikol am) erwählt (Siddur Rav Saadja Gaon, 14).

Stehen wir hier vor einer Kontinuität in Inhalt, Form und liturgischem Sitz im Leben? Bei näherer Untersuchung muss man feststellen, dass viele dieser schönen Beobachtungen methodologisch anfechtbar sind. Bei mehreren Parallelen handelt es sich um Allgemeinplätze, die auch aus der liturgischen Situation erklärbar sind. Es ist naheliegend, in einem Morgengebet Dunkelheit, Licht und Sonne zu erwähnen. Auch die Nennung von Ruhe, Freude, Heiligkeit und selbst Erwählung überrascht bei Schabbatgebeten nicht, denn der Schabbat zeichnet sich ja durch diese Motive aus und gilt als Zeichen der Erwählung und Besonderheit Israels. Bei aller Ähnlichkeit des Segensspruchs zur Erwählung Israels aus den Völkern in 4Q503 und Qeduschat Jotzer wählen beide Texte gerade nicht das gleiche Wort für „Völker“. Von der eindrucksvollen oben genannten Liste bleibt schließlich nur das Motiv, dass in beiden Texten Menschen und Engel Gott im Einklang loben. Daraus aber zu schließen, dass es sich bei den Segenssprüchen in 4Q503 um eine Frühform der Qeduschat Jotzer handelt, mit dem Unterschied, dass „dieser Segensspruch in der rabbinischen Tradition nur für Morgen und Abend variierte, mit späteren Zusätzen für Schabbate und Festtage, in Qumran aber von Tag zu Tag variierte“ (so Schiffman, 226) überlastet die Tragfähigkeit der Argumente angesichts der phänomenologisch ähnlichen Position beider Gebete. Die Bedeutung von 4Q503 für die Erforschung der antiken jüdischen Liturgie erschöpft sich in der Frühdatierung von Analogien zu späteren rabbinischen Gebeten, ohne den Schluss auf genealogische Zusammenhänge zu ermöglichen. Eine weitere Sammlung täglich gesprochener Gebete sind die „Worte der Himmelslichter“ (Words of the Luminaries, Divrei Hameorot, 4Q504, 4Q506, vielleicht auch 4Q505). Im Gegensatz zu 4Q503, das Gebete für jeden Tag eines Monats enthält, handelt es sich bei den Divrei Hameorot um eine Sammlung von Gebeten für jeden der sieben Wochentage. Phänomenologisch ähnelt dies den oben erwähnten Tagespsalmen der Leviten im Tempel. Textlich besteht aber keine Verbindung zwischen beiden Phänomenen. Von den zwei oder drei sehr fragmentarischen Kopien ist 4Q504 die älteste Handschrift, paläographisch in die Mitte des zweiten Jahrhunderts v. Chr. datiert und daher wahrscheinlich nicht-jachadisch. 4Q506 ist auf die herodianische Zeit datiert und bezeugt die kontinuierliche Verwendung dieses alten Textes. Bei 4Q505 bestehen Zweifel, ob die Parallelen mit 4Q504 eindeutig genug

Worte der Himmelslichter, Words of the Luminaries, Divrei Hameorot, 4Q504, 4Q506

362    20  Liturgie, Gebet, Mystik sind, um hieraus zu schließen, dass es sich um eine dritte Kopie handelt. 4Q504 umfasste ursprünglich ca. 21 Kolumnen à 22 Zeilen. Jedes Tagesgebet bestand also durchschnittlich aus 66 Zeilen Text, wesentlich mehr als bei den Texten der Daily Prayers. Die Wochentagesgebete der Divrei Hameorot enthalten historische Anspielungen und führen jeweils unterschiedliche Bitten um Erleuchtung, Umkehr und Vergebung an. Wie auch in den Daily Prayers zeichnen sich die Schabbatgebete im Vergleich zu den einfachen Wochentagen durch eine besondere Betonung der Heiligkeit Gottes aus. So heißen die Schabbatgebete „Lobgesänge“, Hodot (4Q504 XX 5). Eine andere der Schabbatliturgie gewidmete Komposition sind Sabbatopferlieder die Sabbatopferlieder, von denen die Editoren neun Kopien in Qumran (4Q400 – 4Q407, 11Q17) und eine in Masada (Mas 1k) unterscheiden. Die älteste Handschrift ist in die späthasmonäische Epoche datiert worden, die jüngste ins erste nachchristliche Jahrhundert. Die Komposition wird in das zweite vorchristliche Jahrhundert datiert. Dass eine der zehn Kopien dieser Komposition in Masada gefunden worden ist, ist ein Argument dafür, sie soziologisch nicht unbedingt im Jachad zu verorten (Newsom heute). Doch ist dies u. a. wegen zahlreicher sprachlicher Reminiszenzen zu jachadischen Texten umstritten und viele sehen den Text als jachadisch an (Alexander, Eshel, Newsom früher). Wahrscheinlich deutet die große Anzahl der Handschriften auf die Beliebtheit der Gebete unter den Besitzern der Bibliothek. Vielleicht liegt ihr Ursprung in der Priesterliturgie im Tempel. Die dreizehn Lieder für die dreizehn Schabbate eines dreimonatigen Quartals im 364-Tage-Kalender schildern in sehr repetitiven, sperrigen und für den modernen Leser etwas ermüdenden Formulierungen den himmlischen Kult der Engel. Wir werden sie unten im Abschnitt zur Mystik näher diskutieren. Neben Wochentags- und Schabbatgebeten gibt es schließlich Festtagsgebete auch mehrere Kopien einer Sammlung von Festtagsgebeten (Festival Prayers; Prières de Fêtes; 1Q34; 4Q507; 4Q508; 4Q509+4Q505, dazu wahrscheinlich 4Q409 und 4Q502. (1Q34bis ist ein heute überflüssiges Kürzel für Fragmente von 1Q34, die etwas später veröffentlicht wurden, da sie in einer Privatsammlung waren). Wie ihr Name besagt, beinhalten die Festtagsgebete Gebete für die großen Festtage, beginnend mit dem 1. Tishri (dem heutigen Rosch Haschana). Dieser Anfangstermin widerspricht dem im Jachad üblichen 364-Tage-Kalender und deutet auf einen nicht-jachadischen Ursprung der Sammlung. Der fragmentarische Charakter erschwert die Analyse. Explizit sind Gebete für Jom Kippur und für den Tag der Erstlingsgabe (bikkurim) erwähnt, deren Worte mit den Fest-

20.1  Gebete: Qumran und das synagogale Gebet    363

inhalten (Fasten, Erbarmen, Umkehr, Gottes Allwissen auch der verborgenen Sünden für Jom Kippur und Erstlinge für die bikkurim) übereinstimmen. Nicht belegt sind hingegen Anspielungen zu Ereignissen aus der Heilsgeschichte, wie sie in der rabbinischen Liturgie – oder im Jubiläenbuch – mit den Festtagen verbunden werden. Auch gibt es keine spezielle Anamnese (Erinnerung) an die Tempelliturgie für diesen Tag, wie zum Beispiel in den späteren Sidrei Avoda, die den Ritus des Hohepriesters am Jom Kippur nacherzählen und ausmalen. Gemeindegottesdienste können je nach Gemeinschaft unterschiedlich formalisiert werden, wie jeder bezeugen kann, der einem Jugendgottesdienst, einem Quäkertreffen und einer orthodoxen Liturgie beigewohnt hat. Texte und Vortragsweise können wörtlich fixiert oder thematisch vorgegeben sein oder auch völlig improvisiert werden. Die Gebete Qumrans sind bis auf Barkhi Nafshi (4Q434 – 4Q438) alle im Plural („wir“) formuliert und betonen die Gemeinde gegenüber dem Individuum. Vielleicht sprach sie ein Vorbeter für die Teilnehmer, aber es handelt sich in jedem Fall um kollektive Gebete aus Gemeindegottesdiensten mit wörtlich fixierten Gebetsteilen. Vielleicht gab es dazu zusätzlich auch freiere Gebetsteile, aber die sind schriftlich nicht mehr auszumachen. Die Systematisierung der Rubriken, der Eingangs- und der Abschlussformeln setzt einen längeren Entstehungsprozess und eine hohe Komplexität des Ritus voraus. Normalerweise geht jedem Gebet eine Rubrik (liturgische Anweisung) voran, wann es zu sprechen ist. Bei den Daily Prayers folgt sie einer Formel (z. B. „Am fünfzehnten [Tag] des Monats, am Abend, sollen sie benedeien und anheben und sagen …“ für die Abendgebete und „Und wenn die Sonne aufgeht, die Erde zu erleuchten, sollen sie benedeien und anheben und sagen“ für die Morgengebete). Die Rubrik der Divrei Hameorot und der Festtagsgebete folgt einer anderen Formel: „Gebet für … (z. B. den vierten Tag; oder: Jom Kippur)“, und auch die Sabbatopferlieder haben die ihnen eigene Rubrikformel: („Für den Maskil, achtes Sabbatopferlied am 23. Tag des 2. Monats“). Die Existenz dieser Rubriken spricht dafür, dass es einerseits für jeden Anlass speziell vorgegebene Gebete gab (im lateinisch-christlichen Mittelalter heißt dies „Proprium“), andererseits auch Gebete, die an jedem Tag mehr oder weniger gleich blieben („Ordinarium“). Die unterschiedlichen Ereignisse gleichen denen des Opferkults des Tempels, gehen aber darin über sie hinaus, dass sie auch für die einzelnen Tage eines Monats unterschiedliche Gebetstexte vorschreiben. Jedes einzelne Gebet weist formgeschichtlich für die jeweilige Sammlung charakteristische Einführungsformeln und abschließende

Systematisierung der Rubriken

formgeschichtlich charakteristische Einführungsformeln

364    20  Liturgie, Gebet, Mystik Segenssprüche auf. So beginnen die Daily Prayers jeweils „Gelobt sei der Gott Israels, der …“ (barukh el jisrael ascher / ha …) (vgl. 4Q502, 4Q512 und 1QM) und enden „Gelobt seist Du Gott Israels, der“ (barukh ata el jisrael ascher / ha …). Dies ähnelt typischen Formeln der rabbinischen Zeit. Das Ende betont jeweils den Frieden über Israel (schalom al jisrael). Dagegen beginnen Divrei Hameorot und Festtagsgebete mit „Erinnere Dich, mein HERR“ (zekhor(a) adonai) und verwenden zwischendurch immer wieder die Segensformel „Gelobt sei mein Herr, der“ (barukh adonai ha … / ascher), die sich nicht in den Daily Prayers finden, die diese Umschreibung des Tetragramms JHWH vielleicht absichtlich umgehen. Die Sabbatopferlieder wiederum fangen mit „Lobet Gott“ (hallelu (le)elohei) an. Gewöhnlich schließen alle Gebete mit doppeltem amen. Die qumranischen Gebetstexte lassen – abgesehen von der oben beschriebenen Liturgie der jachadischen Bundeserneuerungszeremonie und dem Gemeinschaftsmahl (s. o. S. 284–288 und 296 f) – keine Ämterteilung zwischen unterschiedlichen Funktionsträgern erkennen, wie wir sie für den Tempel voraussetzen müssen (Priester, Leviten, „Maamadot“ der Laien). Wir wissen nicht, ob es in Qumran einen Vorbeter gab oder ob die Gebete gemeinschaftlich gesprochen wurden. Immerhin setzen Damaskusschrift und Gemeinschaftsregel die Existenz eines Mindestquorums von 10 Teilnehmern voraus (CD xii 23 – xiii 2; 1QS VI 3.6), die dem rabbinischen Quorum (minjan) entspricht. Die Existenz mehrerer komplexer Gebetssammlungen, deren Koordination Ereignisse sich überschneiden, verlangt rituelle Koordination wie verschiedene Rollen in einem Theaterstück. Wurden sowohl die täglichen Gebete der Daily Prayers als auch die von Divrei Hameorot in der gleichen Gemeinde gesprochen? In welcher Reihenfolge? Daily Prayers sieht auch eigene Gebete für Schabbate und Festtage vor. Wurden diese täglichen Gebete irgendwann in den gleichen liturgischen Versammlungen mit Sabbatopferliedern oder Festtagsgebeten verknüpft, auch wenn sie traditionsgeschichtlich aus unterschiedlichen Kreisen stammen mögen, oder war dies nie der Fall? Wenn ja, welche Reihenfolge wurde eingehalten? Für fixe Liturgien muss so etwas verschriftlicht werden. Ein Beispiel 4Q334 Ordo für derartige Texte mag 4Q334 Ordo sein, welches Zahl und Art unterschiedlicher Hymnen auflistet, die für bestimmte liturgische Ereignisse zusammengestellt worden sind. Leider ist der Text sehr fragmentarisch: Am achten (Tag des Monats) in der Nacht: Acht Lieder und 40[+X] Lobpreisungen und am Tag [Y] Lieder und 16 Lob[preisungen]. Am neunten (Tag) […]“ (4Q334 Fr. 2 – 4 Z. 1 – 5 nach Rekonstruktion A in DJD 21, 175)

20.1  Gebete: Qumran und das synagogale Gebet    365

Immer wieder taucht in den Texten ein Bezug zum himmlischen Kult Beziehungen auf. Man kann die Beziehungen der Betenden zu den himmlischen der Betenden zu den himmlischen Wesen auf unterschiedlichen Niveaus kategorisieren (Chazon): 1. Synchronisierung: Irdisches Gebet zur gleichen Zeit mit den anderen Weltkräften. Wenn Menschen generell alle Kreaturen des Universums, darunter auch die Engel, auffordern, Gott unisono zu preisen (Ps. 148; Divrei Hameorot), so ist dies nur eine allgemeine Synchronisierung der Liturgien. 2. Harmonisierung: Irdisches Gebet mit himmlischem und wie himmlisches Gebet: Wenn Menschen speziell die Engel auffordern, unisono mit ihnen zusammen Gott zu preisen, beten sie nicht nur mit, sondern wie Engel. Doch bleiben die Chöre getrennt und eine Transformation wird abgelehnt (Berakhot, 4Q503 Daily Prayers, Sabbatopferlieder). 3. Transformation: Irdisches Gebet wird Teil des himmlischen Gebets: Mitglieder des Jachad preisen Gott unisono in Gemeinschaft mit den Engeln als Teil des himmlischen Chores (1QHa XI 20 – 23, XIX 13 – 17; Self-Glorification Hymn). Neben zeitlich festgelegten Liturgien kennen Religionen meistens auch Riten für Notsituationen. Die Tora erwähnt die unterschiedlichsten Reinigungszeremonien nach Krankheit (z. B. Tripper) oder Kontakt mit unreinen Flüssigkeiten oder Objekten (z. B. Sperma, Menstruationsblut oder Leichen), nennt jedoch keine speziellen Gebete, die den Ritualakt begleiten. Umso größer war die Überraschung, als unter den Qumranfragmenten derartige Texte entdeckt wurden. 4Q284 (Purification Liturgy), 4Q414 (Ritual of Purification A) und 4Q512 (papRitual of Purification B) enthalten Gebete für verschiedene liturgische Ereignisse, zu denen auch gewisse Reinigungszeremonien gehören. 4Q512 ist paläographisch in das frühe erste Jahrhundert v. Chr. datiert, 4Q414 ist jünger, aus der herodianischen Zeit. In 4Q512 lesen wir: A:1 Und am Tag, [dem] dritten, [… und er bene]deit und hebt an und spri[cht: Gepriesen] 2 [bist D]u, Gott Israels, [der Du] den [zeit]weilig [Unreinen (tam’ei itim) befohlen hast], sich zu reinigen von[…] 3 […]Seele durch Sühn[ungen …] Asche von Heiligkeit […] 4 […] durch Wasser der Rein[heit …] [au]f ew[igen] Tafeln 5 und Ba[de]wasser zur zeitweiligen Reinigung (toharat itim) […] B: seine [K]leider und danach[ sprenge er auf ihn] 6 das Wasser {der Besprengung}, um ihn zu reinigen, und all[ …] 7 und na[ch] seinem [Aus] sprengen des Wasse[rs der Besprengung …] C: Gepriesen bist Du,] 8 Go[tt Israe]ls, der Du un[s] gegeben […] 9 und von Sexualbefleckungen-Unreinheit (minidot tum’a). (4Q512 Fr. 1 – 6 XII)

Wesen

Riten für Notsituationen

4Q512 (papRitual of Purification B)

366    20  Liturgie, Gebet, Mystik Offensichtlich geht der Besprengung (B) ein Gebet voran (A) und ein anderes folgt (C). Die Rubriken adressieren sich an eine Einzelperson, das Gebet selbst ist im Plural formuliert. Wie die Erwähnung von Sühne zeigt, sind moralische und rituelle Reinheit – wie auch in anderen in Qumran gefundenen Reinheitstexten üblich – nicht getrennt. Im rabbinischen Judentum wird die Erfüllung der Gebote durch einen vorher gesprochenen speziellen Segensspruch verbalisiert Gebotssegen (yBer 6,1 [10a]), die sogenannte birkat ha-mitzva (Gebotssegen). Zum Beispiel wäscht man sich vor dem Brotessen die Hände und sagt dazu: „Gepriesen seist Du, JHWH, unser Gott, König der Welt, der uns durch seine Gebote geheiligt und uns das Händewaschen geboten hat.“ Bei einem Untertauchen nach Ende der Menstruationsunreinheit schließt man den Segensspruch stattdessen mit „das Untertauchen geboten hat.“ Wenn Maurice Baillets oben angeführte Rekonstruktion stimmt, kommt sie einem Birkat Mitzva sehr nahe: „Gepriesen] 2 [bist D]u, Gott Israels, [der Du] den [zeit]weilig [Unreinen (tam’ei itim) befohlen hast], sich zu reinigen von …“ (4Q512 1 – 6 XII 1f) Abschließend ist beim Vergleich mit der rabbinischen Liturgie wichtig, auch die Kontraste zu erwähnen. Die liturgische Benutzung von Dekalog und Schma ist nur indirekt in Tefillin und Einzelhandschriften bezeugt (s. u. S. 315 f), nicht aber durch Integration dieser Stücke in liturgische Handschriften. Es gibt zwar einige Gebetstexte mit parallelen Motiven zur Amida, aber keine Frühform der Amida. 4Q503 bezeugt nur zwei tägliche Gebetszeiten bei Sonnenauf- und -untergang, wie für das Schma, nicht drei, wie für die Amida. Die liturgische Verwendung der im Judentum und Christentum so zentralen Qeduscha ist nur sehr spärlich bezeugt. Auch wenn viele poetische Texte aus Qumran auch liturgisch verwendet worden sein mögen, gibt es doch keine Parallelen zur komplexen Sprachform der spätantiken Piyyutim mit ihrer ausgeprägten Metonymie und ihrer Vorliebe, speziell seltene Wurzeln zu verwenden (van Bekkum). Die liturgische Verwendung des aaronitischen Priestersegens aus Numeri 6,24 – 26 ist nur in einer adaptierten Fassung in der Bundeserneuerungszeremonie belegt. Wo liturgische Texte erwähnt werden, scheint ihr Wortlaut festzuliegen. Freie Improvisationen zu vorgeschriebenen Themen, wie sie teilweise für die rabbinische Liturgie aufgezeigt werden können, sind in Qumran textlich nicht nachweisbar.

Schriftlesung

In einigen jüdischen Gruppierungen wurden in der Antike besonders autoritative Texte vorgelesen, in erster Linie eine Schriftlesung der Tora und/oder Propheten (Philon, Hypothetica apud Eusebius,

20.1  Gebete: Qumran und das synagogale Gebet    367

Abb. 23:  Tefillin

praeparatio evangelica 7,11 – 14; Lk. 4,17 – 21; Apg. 13,14 – 15; vgl. Josephus, Ant. Iud. 20,115; BJ 2,229). Wir wissen jedoch nicht, ob dies überall der Fall war und wenn ja seit wann, noch ob die Textauswahl vorgeschrieben war. Die Mischna schreibt für eine geringe Gruppe liturgischer Ereignisse die Lektüre bestimmter biblischer Texte vor (z. B. Traktat Megillah). Für Qumran haben wir diesbezüglich keine expliziten Informationen. Tov vermutet, dass Rollen von geringer Höhe oft liturgischen Zwecken gedient haben mögen (dazu gehören z. B. 4QDeutj,n,q, 4QExode, 4QDane, 4QPsg) und dass auch die Layout-Einteilung biblischer Rollen in Textabschnitte auf öffentliche Lesungen zurückgeht (Tov, Scribal, 135ff). In 4QNumb und 2QPs werden neue Abschnitte durch rote Tinte gekennzeichnet, was auch liturgischen Zwecken gedient haben mag. Selten sind poetische Abschnitte biblischer Bücher stichographisch notiert, d. h. mit einer optischen Verdeutlichung der Verseinteilung. Stichographische Notation ist wahrscheinlich aus dem Bedürfnis entstanden, das Vorlesen dieser Stücke zu erleichtern. Nach Auskunft der Beduinen stammen zahlreiche von ihnen gefundene Gebetsriemen und Mezuzot aus den Höhlen Qumrans. Mezuzot Gebetsriemen (hebr. tefilla, tefillin, griech. phylaktērion) sind Rie- Gebetsriemen men, die Kapseln mit Fächern für winzige in Miniaturschrift geschriebene Schriftrollen enthalten. Sie werden dann an Kopf und Arm gebunden. Die früheste Erwähnung des hebräischen Wortes tefillin im Plural findet sich erst

368    20  Liturgie, Gebet, Mystik in der Mishna (mSan 11,3; mKel 18,8, u. ö.) und mag mit tefilla „Gebet“ zusammenhängen. Wahrscheinlich ist jedoch schon eine frühe Assoziation mit „Amulett“. Ein aramäischer Text aus Ägypten aus dem dritten Jahrhundert v. Chr. bezeichnet mit tefilla ein Silberamulett eines gewissen Jonathan (Porten/Yardeni 3, C3.28; vgl. mMiq 10,2). Wer auch immer das griechische Wort für Gebetsriemen, phylaktērion (vgl. engl. phylactery) vom Verb phylassein, „bewachen“ gewählt hat, war sich sicher dessen bewusst, dass es auf Griechisch auch für Amulette verwendet wird. Mezuza bedeutet eigentlich Türpfosten. Übertragen bezeichnet es winzige Schriftrollen mit biblischen Texten, die an den Türpfosten angebracht werden. Beide Gebote werden aus einer wörtlichen Deutung von Deuteronomium 6,1 – 9, besonders Verse 8f, abgeleitet: Und das ist das Gebot, das sind die Gesetze und Rechtsvorschriften, die ich euch im Auftrag des Herrn, eures Gottes, lehren soll und die ihr halten sollt in dem Land, in das ihr hinüberzieht, um es in Besitz zu nehmen. 2 Wenn du den Herrn, deinen Gott, fürchtest, indem du auf alle seine Gesetze und Gebote, auf die ich dich verpflichte, dein ganzes Leben lang achtest, du, dein Sohn und dein Enkel, wirst du lange leben. 3 Deshalb, Israel, sollst du hören und darauf achten, (alles, was der Herr, unser Gott, mir gesagt hat,) zu halten, damit es dir gut geht und ihr so unermeßlich zahlreich werdet, wie es der Herr, der Gott deiner Väter, dir zugesagt hat, in dem Land, wo Milch und Honig fließen. 4 Höre, Israel! Jahwe, unser Gott, Jahwe ist einzig. 5 Darum sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft. 6 Diese Worte, auf die ich dich heute verpflichte, sollen auf deinem Herzen geschrieben stehen. 7 Du sollst sie deinen Söhnen wiederholen. Du sollst von ihnen reden, wenn du zu Hause sitzt und wenn du auf der Straße gehst, wenn du dich schlafen legst und wenn du aufstehst. 8 Du sollst sie als Zeichen (ot) um das Handgelenk binden. Sie sollen zum Schmuck (totafot) auf deiner Stirn werden. 9 Du sollst sie auf die Türpfosten (mezuzot) deines Hauses und in deine Stadttore schreiben. (Dtn. 6,1 – 9, vgl. Ex. 13,9.16; Dtn. 11,18 – 21) 1

Die früheste explizite literarische Bezeugung für den Gebrauch von Gebetsriemen findet sich im Matthäusevangelium (Mt. 23,5 – phylakteria, altsyrische Übersetzung Cureton: teflehon) und bei Josephus (Ant. Iud. 4,213) gegen Ende des ersten Jahrhunderts n. Chr. Andere frühe Texte werden manchmal zu Unrecht als Beleg angeführt (Arist. 158 – 160; Philon, Spec. Leg. 4,137 – 142), doch ist ihr Wert fraglich, da sie Deuteronomium einfach resümieren oder auch metaphorisch gedeutet werden können (vgl. Prov. 6,20 – 22). Zwar beschreiben die Qumranrollen die Praxis nicht explizit, doch sind die dort entdeckten Gebetsriemen (1Q13, 4Q128 – 148, 5Q8, 8Q3, XQ1 – 4) und Mezuzot (4Q149 – 155, 8Q4), von denen einige in das zweite Jahrhundert v. Chr. datiert werden, die ältesten physischen Belege. Wie viel älter die Praxis selbst ist, wissen wir

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nicht. Da Samaritaner keine Gebetsriemen tragen, ist die Praxis wohl erst nach der Spaltung entstanden. Manche setzen den Beginn in der makkabäischen Epoche an. Die rabbinischen Vorschriften für Tefillin sind hingegen schon sehr spezifisch. Die Mekhilta deRabbi Jischmael zu Ex. 13,16 (Stemberger 99) untersagt die Verwendung von anderen Texten als den vier Abschnitten (Ex. 13,1 – 10.11 – 16; und Dtn. 6,4 – 9; 11,13 – 21) und verlangt die kanonische Reihenfolge. Der babylonische Talmud überliefert eine Kontroverse zur Reihenfolge, die von Raschi und Rabbenu Tam bis ins Mittelalter weitergeführt wurde (bMen 34b–35a). Kopftefillin haben vier Fächer für vier Einzelpergamente, Handtefillin haben ein Fach für ein Pergament, auf dem alle vier Abschnitte stehen. Runde Tefillinkapseln sind untersagt. Viele der Gebetsriemen und Mezuzot aus Qumran weichen von den rabbinischen Vorschriften für Auswahl und Reihenfolge der Texte ab. Sie bestehen aus Kapseln (kleiner als heute üblichen) mit einem, drei oder vier Fächern, die manchmal noch beschriebene Pergamentstückchen enthielten. Dazu gibt es eine größere Menge separater Lederriemen. Diejenigen Stücke, die weniger radikal platzsparend und auf dickerem Pergament notiert sind als Tefillin, hat man als Mezuzot klassifiziert. Doch sind keine Mezuzot-„Häuser“ (Umhüllungen) erhalten. Die Texte für Qumrans Gebetsriemen und Mezuzot sind manchmal zusätzlich zu den vier oben genannten Passagen auch aus den direkt vorhergehenden Abschnitten Dtn. 5,1 – 6,3 (mit dem Dekalog), 10,12 – 11,12 und aus Dtn. 32 (Lied des Mose auf 4Q141) gewählt worden. Auswahl der Passagen, Wortlaut, Orthographie, Reihenfolge, Layout und Zahl der jeweiligen Pergamentstreifen variieren stark von einem Exemplar zum nächsten. Der Dekalog erscheint bekanntlich auch im Nash-Papyrus (s. o.), der vielleicht Teil eines Gebetsriemens oder einer Mezuza war, und wurde nach mTam 5,1 täglich im Tempel rezitiert. Erst viel später verlor er seine zentrale liturgische Rolle als Reaktion gegen „Sektierer“ (minim – wahrscheinlich Christen), die dem Dekalog eine höhere Bedeutung beimaßen als den anderen Geboten (yBer 1,5 [3c], bBer 12a). Vielleicht dienten übrigens auch einige heute als Kopien des Deuteronomiums klassifizierte Qumranrollen ursprünglich als Tefillin oder Mezuzot oder als Vorlagen für ihre Herstellung (z. B. 4Q37, mit Perikopen aus den relevanten Texten aus Deuteronomium und Exodus, sowie 4Q38, 4Q41 und 4Q44). Hier findet sich auch Dtn. 32 wieder in auffälligen Konstellationen. Einige Forscher haben versucht, den qumranischen Befund in jachadische und „pharisäische“ (= rabbinische) Gebetsriemen

Passagen, Wortlaut, Orthographie, Reihenfolge, Layout und Zahl variieren stark

370    20  Liturgie, Gebet, Mystik aufzuteilen. Alle Gebetsriemen, die gegenüber den rabbinischen Vorschriften eine Anomalie bezüglich Auswahl, Anordnung oder der (tiberiensischen) Orthographie der Toraabschnitte aufweisen, werden als „sektiererisch“, d. h. jachadisch aussortiert. Wenn man die rabbinischen Vorschriften strikt anwendet, bleiben jedoch so wenige Exemplare übrig, dass man kaum von zwei Gruppen sprechen kann. Daher wird diese Differenzierung heute mehr und mehr angezweifelt (Cohn, Adler). Festzuhalten ist allerdings, dass kein Exemplar aus den Bar Kosba-Funden im zweiten Jahrhundert n. Chr. den rabbinischen Vorschriften widerspricht. Die wahrscheinlichste Erklärung für den Befund ist diachron: die Praxis war halakhisch noch nicht festgelegt, sondern stabilisierte sich erst in den Jahren nach der Tempelzerstörung. Bereits vorher können wir aber eine gewisse Begrenzung der Textauswahl und der physischen Form feststellen. Bezüglich ihrer Verwendung wissen wir nicht, ob die Gebetsriemen vor der Tempelzerstörung den ganzen Tag lang getragen wurden (wie in der tannaitischen Epoche) oder, wie später üblich, nur zum Morgengebet, bei speziellem Schutzbedarf, z. B. bei Krankheit, oder als allgemeines Abwehrmittel, wie es in der nichtjüdischen Welt des Mittelmeers für Amulette weit verbreitet war (Cohn).

20.2 Mystik: Qumran und die Hekhalotliteratur Im Laufe der Geschichte der monotheistischen Religionen versuchten Menschen immer wieder aktiv, Gott in seiner transzendenten Wohnstatt aufzusuchen, ihn unmittelbar zu erleben, zu sehen oder sich sogar mit Gott zu vereinigen. Die moderne Forschung Mystik nennt dieses aktive Bestreben Mystik, wobei allerdings sehr unterschiedliche Definitionen und Formen existieren. Im Judentum ist vor allem die Kabbala aus dem Hochmittelalter bekannt. Relevanter für Qumran und chronologisch näher (wobei immer noch mindestens 500 Jahre dazwischenliegen) ist aber die sogenannte Hekhalot Hekhalot-Literatur der Spätantike. Sie umfasst Texte, in denen die Protagonisten durch sieben Paläste oder Tempel (hebr. hekhal) aufsteigen und der himmlischen Liturgie beiwohnen. Manchmal werden diese Menschen sogar selbst zu himmlischen Wesen transformiert. Bis zur Entdeckung der Qumranrollen waren die engsten antiken Parallelen zu den Hekhalot-Texten die apokalyptischen Beschreibungen himmlischer Heiligtümer wie z. B. 1. Henoch 14. Auch einigen apokalyptischen Visionen mögen aktive Bemühungen des

20.2  Mystik: Qumran und die Hekhalotliteratur    371

Autors vorangegangen sein. Allerdings ist es nicht einfach, anhand dieser Texte festzumachen, ob es sich bei den hier aufgestellten Beobachtungen um authentische praktische Erfahrungen oder um theoretische Behauptungen handelt. Viele Motive finden sich in früheren Texten und lassen sich auch als exegetische Aufnahmen älterer Traditionen erklären. Eine Schule sieht daher hinter den antiken Beschreibungen ein rein literarisches Phänomen (Himmelfarb). Andere sind der Meinung, dass zumindest einigen der apokalyptischen und mystischen Visionen authentische Erfahrungen zugrundeliegen, die der Autor dann mit Motiven aus der ihm bekannten traditionellen Vorstellungswelt zum Ausdruck brachte (Stone, Alexander). Eine bestehende Tradition bestimmt und formt immer auch die Möglichkeiten, eigene Erfahrungen auszudrücken. Daher muss man diese Möglichkeiten nicht unbedingt als unvereinbare Alternativen verstehen. Die Qumrantexte bieten im Vergleich zu den bereits bekannten Beschreibungen himmlischer Gefilde in apokalyptischen Texten der gleichen Epoche etwas Neues: Unter ihnen befinden sich rituelle Texte, die die Beschreibungen liturgisch umsetzen (Alexander). Die Sabbatopferlieder nehmen den Rezitierenden in das Beschriebene Sabbatopferlieder mit auf. Wir haben bereits oben erwähnt, dass in Qumran neun Kopien und in Masada eine weitere Kopie gefunden worden sind und dass ihre jachadische Autorschaft lebhaft diskutiert wird. Trotz des höchst fragmentarischen Zustands ermöglichen Zerstörungsmuster, Parallelen zwischen Handschriften und repetitiver Inhalt den Schluss, dass eine vollständige Rolle ursprünglich einmal 20 Kolumnen mit 13 Liedern umfasste. Vor allem die ersten Lieder sind leider stark zerstört. Oft wird eine Klimax mit Höhepunkten in der Mitte (Lied 7) und am Ende (Lieder 12 – 13) rekonstruiert, doch sollte der fragmentarische Zustand, bei dem ganze Lieder fast vollständig fehlen, vorsichtig stimmen. Die Wiederholungen und die gestelzte Ausdrucksweise in der Beschreibung des himmlischen Kultes haben den Effekt, den Betenden in die Szene mit aufzunehmen. Zitieren wir als Textbeispiel hier einen Abschnitt aus dem sechsten relativ vollständigen Sabbatopferlied. Es ist das einzige Mal, dass die Worte der Engel selbst zitiert werden. Eine laute feierliche Rezitation ermöglicht das Erfassen des mantrahaften Charakters dieses Textes. [Lob der Erhebung durch die Zunge] des Dritten der Haupt-Fürsten (der Engel). Er erhebt den Gott von Höhen-[E]ngeln, sieben mal sieben Worte von Erhebung von wunderbarer Art. Lobpreis durch die Zunge des Vier[ten] für den Machtvollen über allen [Gottesengeln] durch sieben Wunder-Machterweise, und Preis für den Gott

372    20  Liturgie, Gebet, Mystik von Machterweisen, sieben mal siebe[n] Worte von Preis[ungen wunderbarer Art]. Lo[b von Be]kenntnisliedern durch die Zunge des Fünf[ten für den [K] ö[ni]g der Herrlichkeit mit sieben Bek[enntnislie]dern von wunderbarer Art. Und er bekennt dem gee{h}rten Gott sie[ben mal sie]b[en Wor]te von Bekenntnisliedern wunderbarer Art. [Lob]jubelgesang durch die Zunge des Sechsten für Gott, [den] Guten, mit sieben Jubelgesängen [von wunderbarer Art, und] Jubelgesang für den Kön[ig, den] Guten, sieben mal si[eben Worte] von Jubelgesängen von wunderbarer Art. Lobgesang [von Spielgesang durch die Z]unge des Siebten der [Haupt-] Für[sten], Spielgesang der Stärke [für den Got]t von Hei[ligkeit] durch si[eben Spielgesänge] von wu[nd]er[b]a[rer Art, und] Spielgesang [für den] Köni[g der Heil]igkeit, sieben mal si[eben Worte von Spielg[esängen wunderbarer Art. Sieb]en Lob[lieder Seiner Benediktionen, sieb]en [Psalm]en von der Größe [Seiner Gerechtigkeit, sieben Psalmen] der Erhabenheit [Seines] Königtu[ms, sieben] Psalmen von [Preisgesängen Seiner Herrlichkeit, sieb]en [Bekenntnislieder-]Ps[almen Seiner Wundererweise, [sieben Psalmen von Ju]belgesäng[e]n Seiner Kraft, sieben [Psalmen von Spielgesänge]n Seiner Heiligkeit, G[enerationen von …].[…] sieben mal sieben Worte wunderbarer Art, Worte von [… . Der erst]e der H[aupt-]Fürsten [preist] im Namen der Herr[lichk]eit Gottes alle[-] … mit [sieben Worten von wunderbarer Art, um zu preisen alle Kreise (/Geheimnisse) von Ewigkei]t im Heiligtum [Seiner Heiligkeit mit sie] ben Wo[r]ten von wunderbar[er Art], und er segnet die ew[i]g [Wissen]den. [Der zweite von den Haupt-Fürsten segnet im Namen] Seiner Wahrheit (?) alle …[… mit sie]b[en] Worten von wunderbarer Art, und segnet mit sieben Worten von wunderbarer Art, [und segnet alle, die da den] König[ erheben], mit sieben W[orten der Herrlichkei[t Seiner Wundererweise alle Reinen von Ewigkeiten. Der d[ritte von den Haupt-Fürsten segnet im Namen] der Erhabenheit Seines Königtums [alle Erha]benen von [Er]kenntnis mit sie[ben Worten von Er[haben]heit und alle [Göttlichen der] [vacat] Erkenntnis [Seiner Wahrheit] segnet er mit sieben Worten wunderbarer Art, und er segnet alle […] von Gerechtigkeit [mit sieben Wo]rten von wunderbarer Art. [Der vierte] von den Haupt-Fürsten segnet im Namen der Majest[ät des Kö]nigs all[e,] die da in Red]lichkeit wandel[n,] mit [sie]ben Worten von Ma[jestät] und segnet die von Majestät] mit sie[ben] Wort[en von wunderbarer Art. Und] er segnet alle Göt[tlichen …] … Erkenntnis [Seiner] Wahrhei[t mit siebe]n Worten von Gerechtigkeit für das Erbarmen [Seiner] [Herr]lich[keit].

20.2  Mystik: Qumran und die Hekhalotliteratur    373 Und der fünf[te] von den [Haupt-]Für[sten] segnet im Namen [der Majestät] Seiner Wunder [all]e [Kenner von Mysterien …] Reinheit mit sieben W[orten der] Erhabenheit [Seiner] Wahrhei[t und er segnet] alle, die beflissen sind für seinen Willen mit sieben [Worten von wunderbarer Art. Und er se]gn[et] alle, die Ihn bekennen, mit sieben [Wor]ten von Majestät [für] Majestätische [von wunderbarer Art.] Der sechste von den Haupt-Fürsten segnet im Namen der Machterweise Gottes alle Machtvollen von Verstand mit sieben W]orten von Machterweisen Seines Wunders. Und er segnet alle vollkommen Wandelnden mit [si]eben Worten von wunderbarer Art, zum [regel]mäßigen Opfer mit allen Wesenheiten von [Ewig]kei[te]n. Und er segnet alle, die auf Ihn harren, mit sieben Wort[en] von wunderbarer Art für die [Wie]derkehr der Barmherzigkeiten Seiner Gnadenerweise. [Der sieb]te von den Haupt-Fürsten segnet im Namen Seiner Heiligkeit alle Heiligen von den Begründern von Er[kenntnis] mit sie[ben] Worten von Heiligkeit wunderba[rer Art, und er segnet a]lle, die da hochhalten Seine Gesetze, mit sie[ben Wor]ten von wunderbarer Art, die Schützer von Kraft, und er segnet alle Beru[fenen von] Gerechtig[keit, Lob]ende des Königtums Seiner Herrlichkeit […]Ewigkeit mit sieben W[orten von wunderbarer Art für] einen Frieden von Ewigkeiten. Und alle [Haupt-]Fürsten [preisen gemein]sam den Go[t]t Göttlicher im [Namen Seiner Heiligkeit mit] allen Siebenheiten [ihrer] Bezeugun[gen und] segnen die Berufenen von Gerechtigkeit und alle Gesegneten von[ …] … Ewi[gk]eit[en …] für sie: „Gepriesen sei [der] He[r]r, Köni[g von] Allem, über jede Benediktion und Lob[preisung] hinaus“ (barukh [ha]’ad[o]n mele[kh ha]kol me‘ale lekhol berakha veti[schbacha]). Und er segnet alle Heil]igen, die Ihn preis[en und Ihn gerecht heiß]en im Namen Seiner Herrlichkeit. [Und er pr]eist alle ewig Gepriesenen. [vacat – es folgt das siebte Lied) (4Q403 1 i + Mas 1k ii 6b-26 + 4Q404 1,3 – 5 + 4Q405 3 ii + 4Q405 6 40ff)

Auffällig ist die Fixierung auf die Zahl Sieben. Die Hymnen beschreiben nur den Gottesdienst der Engel, nicht der Menschen. Doch vermischt die ambivalente Erwähnung der „Heiligen“ im letzten Vers sicher bewusst die rezitierenden Betenden und die beschriebenen Engel. Eine andere Passage unterstreicht allerdings die bleibende Kluft bleibende Kluft zwischen beiden Lagern: […] 1 Zu lobsingen Deiner Herrlichkeit auf wunderbare Art unter Göttlichen von Erkenntnis (elei da‘at) und Preislieder Deines Königtums unter Hochh[eiligen.] 2 Sie sind Geehrte in allen Gottes(engel)-Lagern (machanei elohim) und furchtbar für Menschen-Gründungen.

374    20  Liturgie, Gebet, Mystik Wu[nderbarer] 3 als Gottesengel{} und Menschen, künden sie den Prunk Seines Königtums entsprechend ihrer Erkenntnis und erheben [Seine Herrlichkeit, in allen (?)] 4 Himmeln Seines Königtums und in allen hohen Höhen, Psalmen wunderbarer Art gemäß all […] 5 der Herrlichkeit des Königs von Gottesengeln (elohim) erzählen sie an ihren Standortstätten. [vacat] Und […] 6 was gelten wir [unter] ihnen? Und unser Priestertum, was gilt es an ihren Stätten? Und [unsere] H[eiligtümer, – ] 7 ihren Heili[gtü]mern? [Was] gilt das Hebopfer unsrer Staub-Zunge in der Erkenntnis Gött[licher? (4Q400 2 1 – 7 + 4Q401 14 i 7f, Maier)

Bei aller Harmonisierung der Liturgie von Menschen und Engeln werden die menschlichen Rezitierenden also gerade nicht in Engel transformiert. Ob die Sabbatopferlieder und die Hekhalot-Texte verwandt sind, ist umstritten. Befürworter verweisen auf den parallelen Fokus auf sieben himmlische Tempel, eine ähnliche Angelologie (z. B. die Verwendung von elohim / elim und die Unterscheidung in priesterliche und nichtpriesterliche Engel) (Alexander, Davila, Elior). Kontraste Die meisten Forscher unterstreichen eher die Kontraste. Die Hekhalot-Literatur verwendet viel Energie auf die Beschreibung des Aufstiegs des Mystikers. Dieser Aufstieg (oder Abstieg) fehlt in den Sabbatopferliedern ebenso wie in Ezechiels Merkava (Ez. 1). Die Hekhalot-Texte enthalten wesentlich mehr Engelnamen und sind weniger detailreich in ihrer Beschreibung des himmlischen Tempelkults. Trotz mancher Parallelen zur Hekhalot-Literatur ist eine genetische Verbindung höchst unsicher. Wir haben oben im Teil zur Ideologie, S. 306 f schon gesehen, dass eindeutig jachadische Texte wie die Self-Glorification Hymn und die Hymnenrolle im Gegensatz zu den Sabbatopferliedern nicht vor einer Transformation zurückscheuen. Im Extremfall führt die mystische Erfahrung dort zu einer echten Beförderung in den Chor der Engel. Doch ist selbst dies nicht mit einer unio mystica mit Gott zu verwechseln. Im Zentrum der Beschreibung stehen stets Schau Gottes die Engel, nicht Gott. Einer Schau Gottes kommt das Schlusslied der Gemeinschaftsregel am nächsten, ein klar jachadischer Text: Denn Gottes Wahrheit 5 ist der Fels meiner Schritte, und Seine Macht die Stütze meiner Rechten, aus dem Born Seiner Gerechtigkeit kommen Rechtssprüche des Lichts in mein Herz aus Seinen Wundermysterien (raze pil’o). Ewig Seiendes (havaja olam) 6 betrachtete mein Auge: Weisheit (tuschija), welche verborgen vor dem Mensch(en), Wissen (de‘a) und Scharfsinn (mezimat orma) (verborgen) vor Menschensöhnen, eine Gerechtigkeits-Quelle und ein Macht-Brunnen 7

20.2  Mystik: Qumran und die Hekhalotliteratur    375 mit einem Teich der Herrlichkeit, (verborgen) vor Fleisches-Rat. Den von Ihm Erwählten, gab Gott sie zu ewigem Besitztum, gab ihnen ein Erbteil im Lose 8 Heiliger, und mit Himmelssöhnen verband Er ihren Rat zum Kollegium der Einungsgemeinschaft (jachad) und zum Rat des heiligen Bauwerks, zur ewigen Pflanzung für alle 9 künftige Zeit. (1QS XI 4 – 9)

Doch vielleicht handelt es sich hier nur um die Betrachtung göttlicher Emanationen, Weisheit, Wissen und Scharfsinn.

20.2  Mystik: Qumran und die Hekhalotliteratur    377

21 „Gottes Willen ordnen“: Tora und Halakha – Qumran und das Rabbinische Judentum

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Eine der zentralen Kategorien für das Verständnis der unterschiedlichen Manifestationen des Judentums ist ohne Zweifel Halakha, Halakha

378    21  Qumran und das Rabbinische Judentum der traditionelle terminus technicus für Jüdisches Gesetz oder die Vorschriften jüdischen Lebenswandels (oft in Unterscheidung zu „Aggada“ (Erzählung oder Legenden). Das Wort „Halakha“ leitet sich von der Wurzel h-l-k mit Grundbedeutung „gehen“ ab: „und stelle ihnen Gesetze (chuqim) und Weisungen (torot), dass du sie lehrest den Weg, darin sie wandeln (jelkhu von halakh), und die Werke, die sie tun sollen“ (Ex. 18,20). Halakha umfasst nicht nur Kult und Liturgie, sondern nahezu alle Aspekte des Lebens. Agrargesetze, Ehe- und Scheidungsrecht, Strafrecht, Arbeitsrecht, Reinheitsbestimmungen regeln z. B. Handel, Familie, nachbarschaftliche Beziehungen, Steuerwesen (für jüdische Gremien), Gerichtswesen, Interaktion mit Nichtjuden, Hygiene und kultische Reinheit. Natürlich haben alle säkularen und religiösen Gemeinschaften bestimmte Vorschriften, um das tägliche Miteinander zu regulieren. Auch das Christentum kennt seine Gesetze, Synodengeschäftsordnungen, Ämterbestimmungen, Rechte und Pflichten einzelner Individuen und Gruppen. Im Unterschied zu anderen Gruppierungen wird gottgegeben im Judentum aber die Wurzel der Halakha grundsätzlich als gottgegeben angesehen. Der Wunsch, Gottes Willen bis ins kleinste erfüllen zu können, führt dabei zu einer immer weiterführenden Verfeinerung der Ableitungen. Existierende Vorschriften können nicht einfach durch Votum geändert oder abgeschafft werden, sondern nur durch Gegenüberstellung mit anderen existierenden Vorschriften neu ausgelegt, abgeschwächt, verstärkt oder zeitweise entkräftet werden. Der Erfolg einer Auslegung ist ein komplexer, oft langwieriger, kollektiver Meinungsfindungsprozess, der nicht nur von den inhaltlichen und hermeneutischen Argumenten abhängt, sondern auch von der Soziologie der an diesem Dialog Beteiligten. Viele Forscher verwenden den rabbinischen Begriff Halakha zur Analyse der Qumrantexte. Das Wort Halakha selbst ist allerdings zum ersten Mal erst in der Mischna bezeugt (z. B. mEruv 4,8). Manche lehnen daher die Verwendung dieses Begriffes für Qumran anachronistisch als anachronistisch ab (Strugnell). Eine dritte Gruppe unterscheidet zwischen jachadischer Gesetzgebung und allgemein jüdischer Halakha (Hempel). Trotz seiner Anachronistik ist Halakha aber heuristisch hilfreich und als Begriff kürzer als beispielsweise „antike jüdische Gesetzgebung“. Es ist präziser, von „halakhischer Auslegung“ zu sprechen als von „gesetzlicher Auslegung“, denn der Jachad und die anderen halakhischen Schriften betrachten die Vorschriften eindeutig als göttlich autorisiert und nicht einfach als profanes Gesetz. Außerdem wird das Verb halakh oft als „in seinem Willen wandeln“ mit halakhischer Konnotation verwendet: „Und (jeglicher) Besitz der Männer der Heiligkeit, die in Vollkommenheit wandeln (haholkhim betamim)“ (vgl. CD A vi 10, xii 21; 1QSa I

21  Tora und Halakha    379

1). Auch ist der Spottname dorschei hachalaqot am besten vor dem Hintergrund einer Parodie zu halakhot zu erklären. Halakha ist ohne Zweifel einer der Bereiche, in denen seit der Freigabe der Qumrantexte besonders viele Entdeckungen gemacht worden sind. Bis zur Entdeckung der Qumranrollen war man für die Erforschung der Entwicklung der Halakha zwischen Bibel und Mischna auf das Jubiläenbuch, Josephus, Philon und das Neue Testament, dann auch die Damaskusschrift angewiesen. Da kein Mitglied der Scrollery Halakhaspezialist war, wurden die halakhischen Texte Qumrans aber auch nach ihrer Entdeckung vernachlässigt. Sie waren unverständlich oder galten als uninteressant. Dass Halakha des Zweiten Tempels weniger zum Verständnis des frühen Christentums beizutragen schien als die theologischen und exegetischen Konzeptionen der Pescharim und der Gemeinschaftsregel, mag in diesem Zusammenhang ein Faktor für die (christlichen) Forscher gewesen sein. Die Abstempelung Qumrans als sektiererische marginale Gruppe hielt wiederum Experten für rabbinische „Mainstream“-Halakha von diesem Korpus fern. Einzelne Ausnahmen wie Shaul Lieberman, Chaim Rabin und später Joseph Baumgarten bestätigen die Regel. Dann veröffentlichte Yadin 1977 die Tempelrolle. Zwar verstand Yadin die Tempelrolle noch als Komposition des Jachad, aber mit einem Schlag rückte Halakha ins Zentrum der Qumranforschung. Nun war Qumran nicht mehr nur die kleine Sekte, in deren Texten sich theologische Ideen und Ausdrücke fanden, die Analogien zu frühchristlichen Texten enthielten, denn hier gab es einen Text, der hauptsächlich aus Vorschriften bestand. Derartige Texte waren nur unter Einbeziehung von Fachleuten für frühe rabbinische Literatur verständlich. 1984 erfolgte mit 4QMMT der zweite Paukenschlag: Wenn die Halakha dieses Textes Analogien zu Vorschriften aufweist, die in den rabbinischen Quellen Sadduzäern zugeschrieben werden, ist dann der Ursprung der Besitzer nicht essenisch, sondern sadduzäisch? 1996 veröffentlichte Baumgarten die Fragmente der Damaskusschrift, die den halakhischen Teil gegenüber den zuvor bekannten Zeilen aus der Geniza um ein Vielfaches erweiterten. Dazu kam 1999 eine beachtliche Zahl an Fragmenten kleinerer halakhischer Traktate. Lawrence Schiffman forderte mit seinem provokanten programmatischen Buchtitel Reclaiming the Dead Sea Scrolls, die Qumranrollen den Händen der „christianisierenden“ Exegeten zu entreißen, die in Qumran eine Art Prototyp für das spätere Christentum sahen, und sie zurück in ihren jüdischen Kontext zu stellen, zu dem Halakha genuin dazugehört. Nach einer Generation, die die Gemeinsamkeiten – und Unterschiede – zu

380    21  Qumran und das Rabbinische Judentum frühchristlichen Schriften verstärkt untersucht hatte, werden sie seither intensiv mit rabbinischen Schriften verglichen. Dadurch, dass die Historiker das Urchristentum heutzutage als Teil des antiken Judentums verstehen, als christliches Judentum, ist der Graben zwischen beiden Interpretationsmodellen weniger breit, als er noch vor 30 Jahren schien. Endlich konnte man – auf Hebräisch – die zwischen Bibel und Mischna klaffende Lücke füllen! Doch stellen sich heute vielleicht noch mehr Fragen als vor 1947. Leitet sich die in den Qumrantexten belegte Halakha aus der Bibel ab, liegt ihr Ursprung also prinzipiell in exegetischer Aktivität, oder wurde sie parallel entwickelt und überliefert und man muss ihre Quellen anderswo suchen? Wichtig sind natürlich Fragen, die mit der rabbinischen halakhischen Literatur zusammenhängen: Welche rabbinischen halakhischen Elemente – Genres, Konzepte, Kategorien, Terminologie, Begründungen – finden sich bereits in den Qumranrollen? Gibt es so etwas wie eine Vorstufe der rabbinischen Auslegungsregeln? Wo unterscheidet sich die in Qumran bezeugte jachadische oder nicht-jachadische Halakha von rabbinischer? Kann man eine Tendenz zu mehr oder weniger Strenge, generell oder auf bestimmten Teilgebieten, ausmachen? Woher stammt die Autorität einer Halakha – vom Sprecher, aus der Bibel, aus einer Ableitung? Groß ist die Versuchung, die Qumranrollen nicht nur zeitlich zwischen Tora und Mischna zu verorten sondern auch hermeneutisch als Vorstufe der späteren rabbinischen Halakha zu verstehen. Wer versucht, die Tora als Gesetzeswerk zu lesen, sieht sich bald mit vier immensen Schwierigkeiten konfrontiert: Erstens herrscht vielerorts eine verwirrende Unordnung. Zweitens wiederholen sich viele Vorschriften. Drittens sind die Wiederholungen manchmal so formuliert, dass sie sich gegenseitig widersprechen. Viertens sind biblische Bestimmungen für die Umsetzung im täglichen Leben oft viel zu wenig detailliert oder entsprechen nicht mehr den Gegebenheiten der Gegenwart. Die ersten drei Punkte resultieren aus der komplexen Redaktionsgeschichte der Tora. Der letzte Punkt ist jedem Gesetzeswerk inhärent, das aus einer anderen Epoche stammt, aber seine Autorität beibehalten hat. Eine der Antworten auf diese Grundgegebenheiten ist die halakhische Literatur. Vorschriften werden thematisch geordnet, Widersprüche und Wiederholungen werden harmonisiert oder erklärt, Details werden abgeleitet oder hinzugefügt. Bei der Untersuchung der Halakha der Zeit des Zweiten Tempels darf man aber nicht den Fehler begehen, Quellen auf die Tora einzuschränken und versuchen zu wollen, alles aus der Tora abzuleiten. Um die Durchführung des Kultes zu sichern, welcher eine größere Detaildichte erforderte, als in der

21  Tora und Halakha    381

Tora vorhanden war, überlieferten priesterliche Kreise schon sehr früh halakhische Traditionen schriftlich, auch zusätzlich zur Tora. Zu den ältesten erhaltenen schriftlichen Quellen gehört das Aramäische Levi Dokument (ALD) aus dem späten vierten, dem Aramäisches Levi dritten oder dem frühen zweiten Jahrhundert v. Chr. (s. o. S. 226 f). Dokument Im folgenden Abschnitt schildert der Autor, wie ein Priester im Allgemeinen Opfer auszuführen hat, und geht dabei weit über die biblischen Bestimmungen hinaus: Und wenn du (Levi) in das Haus Gottes eintreten willst, sei im Wasser gewaschen und anschließend bekleidet mit dem priesterlichen Gewand. Und wenn du bekleidet bist, wiederhole es noch einmal und spüle deine Hände und Füße mit Wasser, bevor du dem Altar irgendetwas nahebringst (vgl. Ex. 30,19 – 21; Jub. 21,16). Und wenn Du irgendetwas, was Du auf dem Altar opfern willst, nimmst, um es darzubringen, wiederhole es, deine Hände und Füße zu waschen. Und opfere gespaltene Holzscheite und prüfe sie erst auf Würmer und anschließend bringe sie dar, denn derartig habe ich gesehen, wie Abraham, mein Vater, achtgab (vgl. Gen. 22,3). Von allen zwölf zum Opfer akzeptierten Holzarten, sagte er mir auf dem Altar diejenigen darzubringen, deren Rauchgeruch als Wohlgeruch aufsteigt. Und dies sind ihre Namen: Zeder und Wacholder, Mandel und Weißtanne, Tanne und Esche, Zypresse und tkkh (?) und Ölbaum, Lorbeer und Myrte und Kameldornbaum. Dies sind die Bäume, die er mir nannte, die zum Darbringen des Brandopfers auf dem Altar erlaubt sind (vgl. Jub. 21,12f mit teilweise unterschiedlichen Baumarten). Und wenn Du von diesen Holzscheiten auf dem Altar angezündet hast und das Feuer in ihnen zu brennen beginnt, so sollst du anschließend beginnen, Blut an die Wände des Altars zu sprenkeln. Und wasche noch einmal deine Hände und Füße vom Blut und beginne die gesalzenen Glieder (des Opfertiers) darzubringen. Sein Kopf werde als erstes dargebracht und bedecke ihn mit Fett, so dass das Blut des Stieropfers unsichtbar ist. Danach seinen Hals und nach dem Hals seine beiden Vorderfüße und nach den Vorderfüßen die Brust mit der Flanke und nach den Vorderfüßen die Schenkel mit dem Schwanzwirbel und nach den Schenkeln die Hinterbeine gewaschen mit den Eingeweiden. Und alle seien gesalzen mit dem Salz, wie es für ihr Opfer notwendig ist. Und danach das Feinmehl gemischt mit Öl. Und nach all dem gieße Wein aus und räuchere über sie Weihrauch. So werden deine Werke in Ordnung erscheinen und all Deine Opfer angenehm als Wohlgeruch vor dem höchsten Gott. Und alles, was du machst, tue es in der Ordnung, nach und Gewicht. Füge nichts Unwürdiges hinzu und lass nichts weg von der rechten Berechnung der Holzscheite, die notwendig sind, um jede Sache, die auf dem Altar aufsteigen soll, zu opfern. (ALD 19 – 32, nach ed. Drawnel, Bodleian A, Athos // 4Q214 fr 1,2 // 4Q214a fr 1 // 4Q214b fr 2 – 6)

Zahlreiche Angaben zu diesen Details erlaubter Objekte, zur Reihenfolge, Art und Wiederholung bestimmter Handlungen, erscheinen nicht in der Tora, finden sich aber in anderen Quellen aus der Zeit des Zweiten Tempels oder in der frühen rabbinischen Literatur.

382    21  Qumran und das Rabbinische Judentum Es gab offensichtlich schriftliche halakhische Quellen. Besonders auffällig ist die Liste der zulässigen Baumsorten. Eine verwandte Form erscheint im Jubiläenbuch, in der einige Baumarten anders lauten (Jub. 21,12 – 15). Rabbinische Listen differieren stark (z. B. mTam 2,3; Sifra Nedaba 6,4). Nach ALD wäscht sich der Priester vier Mal: vor dem Ankleiden, nach dem Ankleiden, vor dem Opfern und zwischen Sprenkeln und Darbringung der Gliedmaße des Opfertieres. Eine Waschung nach vollzogenem Opfer wird in Lev. 16,24 nur für Jom Kippur genannt und mag ursprünglich von hier abgeleitet sein. Die anderen beiden Waschungen sind nicht biblisch (vgl. 11QTa XXVI 10; Jub. 21,16). Schließlich präzisiert ALD die Reihenfolge für die Darbringung der Gliedmaße des Opfertieres. Eine ähnliche Sequenz wird auch in der Mischna erwähnt (mYom 2,3; mTam 4,2 – 4). Die Hinterbeine werden auch nach 11Q18 Fr. 13 Z. 2 gewaschen. Dass einige Details durch Exegese abgeleitet sind, geht eindeutig aus dem expliziten Hinweis auf Gen. 22,3 hervor, dass dargebrachtes Holz gespalten sein muss. Die Existenz der detaillierten Parallelüberlieferungen unterstützt die Annahme, dass ALD die Details nicht einfach erfunden hat, sondern dem Autor aus dem Priesterkult bekannt waren. Priester stützten sich also nicht nur auf die Tora, um die Durchführung von Ritualen der nächsten Generation weiterzugeben. ALD half der nächsten Priestergeneration, Details zu lernen. Zu Texten wie ALD kam sicher auch mündliche Überlieferung dazu und rituelle durch Imitation (Modelllernen), wie heutzutage unter Ärzten, Handwerkern oder Sportlern, die schriftliche und mündliche Quellen, aber dann immer auch das Anlernen von Bewegungsabläufen zum Wissenstransfer benutzen (müssen). ALD führt die Vorschriften für die Durchführung des Opfers leicht verständlich nach ihrer zeitlichen Abfolge an. Der Priesterstudent muss sich nicht mehr aus unterschiedlichen Passagen die maßgeblichen Anweisungen zuSystematisierung sammensuchen. Systematisierung ist eine Grundtendenz juristischer Literatur. Schauen wir uns dazu kurz die Grundzüge der frühen rabbinischen („tannaitischen“) Literatur an. Tannaitische halakhische Literatur ist entweder nach juristischen Themen geordnet (Mischna, Tosefta) oder folgt Vers für Vers dem biblischen Grundtext (halakhische Midraschim zu Exodus bis Deuteronomium). Seit Beginn der wissenschaftlichen Erforschung der Midrasch oder rabbinischen Literatur stellt sich die Frage, was älter ist, Midrasch Halakha oder Halakha. In der Mischna sind die wenigsten Halakhot explizit aus einem Bibelvers abgeleitet. Wie ein Blick auf Parallelen in den halakhischen Midraschim zeigt, ist es aber in vielen Fällen – mit mehr oder weniger Phantasie – möglich, die jeweilige Halakha

schriftliche halakhische Quellen

21  Tora und Halakha    383

aus der Kombination einiger Bibelstellen zu ermitteln. In anderen Fällen ist eine Ableitung unmöglich. Hierzu unterscheidet die rabbinische Literatur zwischen halakha de-oraita (Halakha der Tora) und halakha de-rabanan (Halakha der Rabbinen). Erstere sind mit Hilfe der rabbinischen Hermeneutik aus den Bestimmungen der Tora ableitbar, letztere nicht. Erstere besitzen normalerweise höhere Autorität. Die Mischna ist in sechs Ordnungen strukturiert (zeraim = Landwirtschaft, moed = Feiertage, naschim = Ehe- und Scheidungsrecht, neziqin = Zivil- und Strafrecht, qodaschim = Opfer und schließlich toharot = (Un)reinheit). Die sechs Ordnungen sind wiederum in 60 (heute 63) Traktate unterteilt: z. B. Zehntensteuer, Schabbat, Scheidebrief, Eide, Speiseopfer oder Unreinheit von Gefäßen. Die thematische Anordnung der Mischna hat in den späteren Jahrhunderten den Diskurs bestimmend geprägt. Die Tosefta („Zusatz“), eine zweite, etwas spätere Sammlung früher Halakhot, folgt dem gleichen Aufbau wie die Mischna. Die wichtigsten Texte des rabbinischen Judentums werden der babylonische Talmud und – mit Abstrichen – der palästinische Talmud. Beide folgen nicht mehr den biblischen Versen als Organisationsprinzip, sondern nehmen Wortlaut und Ordnung der Mischna als Ausgangspunkt. Sie sind nicht mehr Auslegungen der Bibel, sondern Auslegungen der Mischna. Manchmal werden noch Bibelverse miteinander harmonisiert. Meistens sind es aber Sätze der Mischna, die untereinander kombiniert oder harmonisiert und neuen Fragen und Gegebenheiten angepasst werden. Außerdem werden sie mit anderen tatsächlich oder angeblich frühen Überlieferungen (Baraitot von aram. bar = außerhalb) verglichen, die nicht in der Mischna gesammelt worden sind, sondern in der Tosefta, oder nur mündlich überliefert wurden. Wo biblische Passagen gelesen werden, werden sie oft durch die Brille der Mischna gelesen (ganz ähnlich wie Christen, das „Alte“ Testament durch die Brille des „Neuen“ Testamentes lesen). Die Mischna wird so der zweite Kanon des rabbinischen Judentums. Viel später wird sie von ihrem Kommentar, dem Talmud abgelöst. Dieser Zyklus von assoziativer Sammlung und anschließender Neuordnung wiederholt sich immer weiter: Da auch die talmudische Diskussion oft von einem Thema assoziativ zu einem anderen springt, haben mittelalterliche Autoritäten wiederum die talmudischen und posttalmudischen Halakhot ihren eigenen Ordnungsprinzipien unterworfen. Vor der Mischna versuchen schon die Tempelrolle, aber auch z. B. Josephus die verstreuten biblischen Weisungen thematisch zu ordnen. Unter den Qumranrollen sind mehrere Kompositionen ganz oder zum Großteil halakhischen Fragestellungen gewidmet: 4QMMT, die Tempelrolle und der zweite nicht Jachad-spezi-

Mischna

Tosefta

Talmud

Baraitot

thematische ­Ordnung

384    21  Qumran und das Rabbinische Judentum fische Teil der Damaskusschrift. Dazu gibt es den jachadischen Strafkodex in der Gemeinschaftsregel (1QS VI 24 – VII 25) und der Damaskusschrift (CD A XIV; 4Q266 10; 4Q270 7). Meistens, aber nicht immer (4Q251, 4Q159, 4Q513 – 514) ist Halakha von erzählerischen Abschnitten getrennt. Der oben zitierte halakhische Abschnitt aus ALD ist in ein Narrativ eingebettet. Das viel zitierte Jubiläenbuch ist ein Narrativ mit vielen halakhischen Details. Alle genannten Schriften (4QMMT, Tempelrolle, Damaskusschrift) stellen Halakhot mit sehr unterschiedlichen Themen – Festhalakha, Unreinheit, Zivilrecht – eng nebeneinander. Nur wenige Traktate scheinen spezifischen halakhischen Problemen gewidmet gewesen zu sein, z. B. 4QToharot (4Q274, 4Q276 – 278) und 4QHarvesting (4Q284a) (Unreinheit). Allerdings sind auch sie zu fragmentarisch, um sich dessen wirklich sicher zu sein. Wie schon in den Büchern der Tora, gibt es in diesen Kompositionen Ansätze zu einer thematischen Ordnung der Vorschriften. Die Damaskusschrift gruppiert ähnliche Halakhot zu einem halakhischen Thema und versieht einige Abschnitte mit einer Überschrift („bezüglich X“ = hebr. ‘al X), manchmal gekoppelt mit einem vacat: „Über Eide“ (CD A ix 8); „Über Reinigung mit Wasser“ (CD A x 10 // 4Q270 6 iv 20); „Über den Schabbat, um ihn nach seinem Gesetz zu halten“ (CD A x 14). Der Abschnitt zu den Schabbatregelungen in der Damaskusschrift umfasst 26 Halakhot (CD A x 14 – xii 1). Nichts lässt darauf schließen, dass diese Halakha-Sammlung jachadisch ist. Die meisten halten sie für eine ältere Sammlung, die vom Redaktor in die Damaskusschrift integriert worden ist. biblische Exegese Welche Rolle spielt biblische Exegese bei der Genese dieser Halakhot? Wir haben die in der Tempelrolle verwendete Technik der Rewritten Scripture bereits angeschaut (s. o. S. 219–222). Das oben angeführte Beispiel der zusätzlichen Feste zeigt aber, dass auch nicht-biblische Traditionen, d. h. Traditionen, die nicht in den heute verwendeten masoretischen Bibeln stehen, verwendet wurden. 4QMMT 4QMMT präsentiert die Meinung des Autors zu ca. 20 Streitpunkten, meist Opfer und Reinheit betreffend, zwei Themen, die besonders Priester interessierten. Die Vorschriften werden autoritär als „Tora-Praktiken“ (ma‘asei ha-tora) (4Q398 14 ii 3) bezeichnet oder aber bescheidener als „unsere Worte“ (devarenu) (4Q394 3 – 7 i 4). Ersteres erhebt den Anspruch absoluter Gültigkeit. Oft werden sie eingeleitet durch die Formel „und bezüglich X meinen wir Y.“ Dabei wird das Thema X so knapp und stichworthaft eingeführt, dass wir voraussetzen können, dass es dem Adressaten bekannt war: Und auch bezüglich der Pflanzung von Essfruchtbäumen (al atzei ma’akhal): Das Gepflanzte im Lande Israel, es ist Erstlingsertragsabgabe (reschit) und es gehört den Priestern (vacat), und der Zehnt (me‘aser) vom Rind und vom

21  Tora und Halakha    385 Kleinvieh: den Priestern gehört er. (4Q394 8 iv + 4Q396 1 – 2 iii+ 4Q397 Fr. 6 – 13 Z. 4 – 5)

Beim Leser wird erstens folgende Passage aus Levitikus als bekannt vorausgesetzt, die durch das Stichwort angedeutet wird. Wenn ihr in das Land (Israel) kommt und einen Essfruchtbaum (etz ma’akhal) pflanzt, sollt ihr seine Früchte behandeln, als ob sie seine Vorhaut wären. Drei Jahre lang sollen sie für euch etwas Unbeschnittenes (orla) sein, das man nicht essen darf. 24 Im vierten Jahr sollen alle Früchte als Festgabe für den Herrn geheiligt sein. 25 Erst im fünften Jahr dürft ihr die Früchte essen und den Ertrag für euch ernten. Ich bin der Herr, euer Gott. (Lev. 19,23 – 25) 23

Darüber hinaus muss dem Leser die Interpretationsschwierigkeit bekannt sein, dass es unklar ist, wem die Früchte des vierten Jahres gehören und wie mit der „Festgabe für den Herrn“ zu verfahren ist: Gehören sie den Besitzern und müssen nach Jerusalem gebracht und dort von ihnen selbst im Tempel geheiligt und verzehrt werden, oder müssen sie den Priestern gegeben werden? 4QMMT propagiert, seiner Gesamttendenz treu, dass sie den Priestern gehören, ebenso wie der Zehnt des Viehs (vgl. Lev. 27,32; 11QTa LX 2 – 4). Die Mischna hingegen vertritt die Gegenmeinung: der Genuss der Gegenmeinung Früchte der ersten drei Jahre (orla) ist untersagt, die Früchte des vierten Jahres (neta revi‘i) müssen von den Besitzern im reinen Zustand im Jerusalemer Tempel verzehrt werden. Während 4QMMT zu diesem Beispiel keine Gegenmeinung zitiert, führt sie sie in mehreren anderen Fällen explizit an und disqualifiziert sie. Darin unterscheidet sich 4QMMT von allen anderen halakhischen Schriften des Zweiten Tempels, die immer nur eine Meinung anführen, und ähnelt mehr der Polyphonie von Mischna und Talmud. Allerdings disqualifiziert 4QMMT als polemischer Traktat die Gegenmeinung stets, während rabbinische Quellen mehrere halakhische Ansichten gleichberechtigt nebeneinander stehen lassen können. Oben haben wir diskutiert, wie 4QMMT sich auf die Autorität der Schriften Mose und der Propheten und der Psalmen Davids beruft (s. o. S. 180 f). Wie wir gerade gesehen haben, wird die Tora im halakhischen Teil tatsächlich eher implizit angeführt. Meistens werden die Meinungen ohne explizite Begründung vorgetragen, die über das Stichwort hinausgehen würde. Wo im halakhischen Teil (B) Schriftbelegtexte angeführt werden, stimmen sie manchmal nicht mit den uns bekannten Texten der Tora überein: Und] es steht auch geschrieben, dass (ve’af katuv sch …) er von der Zeit an, da er geschoren wird und (seine Kleider) gewaschen hat, [sieben Ta]ge außerhalb [seines Zeltes] bleibe. (Lev. 14,8) (4Q396 2 i 6f)

386    21  Qumran und das Rabbinische Judentum Nur die zweite Hälfte des Satzes (oben kursiv gesetzt) entspricht dem Masoretischen Text von Levitikus 14,8: Der sich der Reinigung unterzieht, der soll seine Kleider waschen, sein ganzes Haar scheren, sich in Wasser baden und dann rein sein. Nachher darf er ins Lager kommen, bleibe aber noch sieben Tage außerhalb seines Zeltes. (Lev. 14,8)

Entweder handelt es sich um eine Paraphrase, oder der Schreiber von 4QMMT verwendete eine unbekannte Quelle nach der Art der Tempelrolle. Wir können also nicht einfach eine lineare Entwicklungsgeschichte postulieren, die mit der Tora beginnt, mit Rewritten Scripture à la Tempelrolle weitergeht, um dann zu halakhischer Exegese einzelner zusammenhängender Bibelabschnitte überzugehen und schließlich bei Halakhot-Listen mit und dann verlorene nicht-­ ohne biblische Begründung zu landen. Verlorene nicht-biblische biblische Quellen Quellen und mündliche Überlieferungsstadien und Auslegungen komplizieren den Prozess. Damaskusschrift Auch in der Damaskusschrift ist nur in wenigen Fällen die biblische Ableitung explizit. Und bezüglich dessen was Er gesagt hat: Du sollst nicht Rache üben und du sollst nicht zürnen gegenüber den Söhnen deines Volkes (Lev. 19,18): Jedes Mitglied 3 des Bundes, das gegen seinen Nächsten eine Sache ohne (vorherige) Zurechtweisung vor Zeugen vorbringt, 4 sondern sie in Zornesglut vorbringt oder den Ältesten erzählt, um ihn herabzusetzen, ist ein „Rächender“, ist ein „Zürnender“. 5 [vacat] Ist nicht geschrieben, dass nur ER ein Rächender für seinen Gegner und ein Zürnender für seinen Feind ist? (Nah. 1,2) 6 Wenn (das Mitglied) darüber von einem Tag zum nächsten geschwiegen hat und dann in Zornesglut gegen ihn bezüglich einer todeswürdigen Strafsache 7 aussagt, ist sein Vergehen auf ihm, weil er Gottes Gebot nicht erfüllt hat, das Er zu ihm gesagt hat: Zurechtweisen, 8 ja zurechtweisen sollst du deinen Nächsten und nicht Sündenschuld auf ihn laden. (Lev. 19,17) [vacat] (CD A ix 2 – 8 // 4Q270 De 6 iii 16 – iv 1) 2

explizite halakhische Auslegung

Dies ist eines der wenigen Beispiele für eine explizite halakhische Auslegung zweier aufeinanderfolgender Verse. Der halakhische Abschnitt beginnt nicht mit einer apodiktisch vorgetragenen Vorschrift, sondern mit einem Toravers (Lev. 19,18), der mit Hilfe des vorigen Verses (Lev. 19,17) und einem Vers aus den Propheten (Nah. 1,2) ausgelegt wird: Man soll nicht zürnend petzen, sondern zunächst nüchtern (vor Zeugen) zurechtweisen, denn Zorn ist Rache und Rache obliegt einzig Gott. Man muss einen Täter auch sogleich zurechtweisen und nicht damit warten, um sich nicht selbst die Strafe für dieses Vergehen aufzuladen. Die beiden Toraverse Lev. 19,17f folgen unmittelbar aufeinander. Der prophetische Vers Nah. 1,2 ist durch die Verwendung gleicher Worte („Rächender,

21  Tora und Halakha    387

Zürnender“) mit der Torastelle verbunden. In der rabbinischen Hermeneutik nennt man eine solche Verbindung gezera schava. Das gleiche Zornverbot und Zurechtweisungsgebot taucht in Qumrantexten noch mehrfach auf, aber immer ohne Schriftbeweis. Dies ist auch der Normalfall für alle anderen Gebote. In den meisten Fällen werden Halakhot apodiktisch, ohne biblische Begründung, vorgetragen. Darin ähnelt qumranische Halakha der Mischna. Ihre Autorität beziehen diese Texte anscheinend aus der Reputation des Autors. In der oben genannten Schabbathalakha-Sammlung der Damaskusschrift führen einzig die erste und die letzte Halakha ein Schriftzitat an. Die erste Halakha wird wie folgt begründet: Über den Schabbat, um ihn nach seiner Vorschrift einzuhalten: [vacat] Niemand verrichte am 15 sechsten Tag eine Arbeit von der Zeit an, da die Sonnenscheibe 16 von dem Tor (ihres Untergangs) ihren vollen Durchmesser entfernt ist, denn das ist es, was Er gesagt hat: Halte den 17 Schabbattag, um ihn zu heiligen. (Dtn. 5,12) (CD A x 14 – 17) 14

Die erste Halakha verlangt also, eine gewisse Zeit vor dem eigentlichen Sonnenuntergang und Beginn des Schabbats mit der Arbeit aufzuhören, um den Schabbat wirklich einhalten zu können. Eine Verlängerung des Schabbats kennen wir auch aus der rabbinischen Halakha. In einem rabbinischen halakhischen Midrasch zu Exodus, der Mekhilta deRabbi Jischmael, wird sogar der gleiche Vers für die Begründung der Verlängerung benützt wie in der Damaskusschrift. Gedenke des Schabbats, ihn zu heiligen (Ex. 20,9). Die beiden (Worte) „Gedenke (des Schabbats, ihn zu heiligen)“ (Ex. 20,9) und „Halte (den Schabbat, ihn zu heiligen)“ (Dtn. 5,12) wurden als ein einziges Gebot ausgesprochen. […] „Gedenke und halte“. Gedenke – vor seinem (Beginn) und halte – nach seinem (Ende). Daher sagen sie: Man vermehrt das Heilige durch Zufügen (eines Teils) des Profanen. (Mekhilta deRabbi Jischmael zu Ex. 20,9, Übers. Stemberger 279f)

Der inhaltliche und formelle Unterschied zur Damaskusschrift ist inhaltlicher groß (Fraade, Doering). Obgleich im rabbinischen Midrasch der und formeller gleiche Bibelvers (Dtn. 5,12) als Belegstelle verwendet wird, ist Unterschied er hier nicht der Schriftbeweis für die Vorverlegung des Beginns, sondern für die Verlängerung nach Sonnenuntergang. Außerdem macht der rabbinische Midrasch seine Hermeneutik explizit: Wenn jedes Wort in der Tora seine Bedeutung hat, hat auch die Wiederholung von „Schabbat, ihn zu heiligen“ in Ex. 20,9 und Dtn. 5,12 ihre besondere Bedeutung, mit der Gott dem Ausleger einen Wink gibt. Die Mekhilta schließt die Ausdehnung des Schabbats nach vorne und nach hinten daraus, dass die Tora das gleiche zweimal wiederholt. Schließlich wird noch eine allgemeine Regel daraus

388    21  Qumran und das Rabbinische Judentum abgeleitet: „Man vermehrt das Heilige durch Zufügen (eines Teils) des Profanen.“ Im Gegensatz zur Mekhilta verwendet die Damaskusschrift nur einen Text und spricht nur von einer Vorverlegung des Anfangs des Schabbats, nicht von einer Verlängerung am Samstagabend. Doch weist die Damaskusschrift damit im Vergleich zu anderen Qumrantexten noch am meisten explizit angeführte biblische Belegstellen für Halakhot auf. Außerdem erklärt die Damaskusschrift den Zusammenhang von Verlängerung and Schriftvers nicht. Der halakhische Midrasch ist also allenfalls implizit. Die Damaskusschrift zitiert noch ein paar andere explizite Verbindungen von Halakha und Bibel, aber nicht viele. Die meisten Gesetze werden nicht begründet, nicht biblisch und nicht anderweitig. In der Tat kann man in Qumrans halakhischen Schriften im Gegenteil zur rabbinischen halakhischen Exegese, die klar definierte explizite Regeln kennt, davon allenfalls leise Andeutungen festmachen (aber vgl. Bernstein). Auch eine Hierarchisierung von Halakhot im Stil der rabbinischen de-oraita vs. de-rabbanan ist in Qumran nicht auszumachen. Beides sind anscheinend Entwicklungen, die erst nach der Tempelzerstörung stattgefunden haben. Ist die exegetische Ableitung eine nachträgliche Erklärung einer bestehenden Halakha, oder umgekehrt? Einige Forscher sind der Meinung, dass Halakhot ohne eine explizite biblische Ableitung das Endergebnis eines komplexen impliziten Herleitungsprozesses aus biblischen Bestimmungen sind. Der geschriebene Text sei also nur die Spitze eines verborgenen Eisberges biblischer Exegese. Tatsächlich kann man manchmal mit Intelligenz und Phantasie, oft auch durch einen Vergleich Reverse mit frühen rabbinischen Quellen, versuchen, in einer Art „ReE­ ngineering verse Engineering“ den Vorgang zu rekonstruieren, mit dem eine Halakha aus biblischen Passagen abgeleitet worden sein könnte (Noam, Shemesh, Halakhah in the Making). Manche sehen hier die Gefahr eines hermeneutischen Zirkels (Fraade, Legal Fictions): Unter der Annahme, dass eine Vorschrift aus der Bibel abgeleitet worden ist, wird gezeigt, wie dies möglich ist. Oder in Verbindung mit einem Vergleich mit rabbinischen Quellen: Aufgrund der Beobachtung, dass eine Halakha in den rabbinischen Quellen aus einer Kombination bestimmter Bibelverse abgeleitet worden ist, wird geschlossen, dass dies auch in Qumran so gewesen sein wird. Wird hier also anachronistisch rabbinische Hermeneutik in Texte aus dem Zweiten Tempel hineingelesen? Da diese Diskussion fortgeschrittene Kenntnisse sowohl rabbinischer Literatur als auch der von Qumran erfordert, soll Interessierten hier ein Hinweis auf die jüngsten Veröffentlichungen von Bernstein, Noam und Shemesh

21  Tora und Halakha    389

genügen. Für jachadische Halakha leuchtet ein, dass die meisten Präparationsschritte für diese Texte mündlich abgelaufen sein müssen. Denn zum einen handelt es sich um eine Gemeinschaft, deren Gemeinschaftsregel tägliches, 24 Stunden andauerndes Torastudium verlangt, zum anderen sind deren Texte durchweg höchst komplexe, fertige Produkte. Ob ähnliche Prozesse auch in weniger intensiven nicht-jachadischen Schulen abliefen, muss offenbleiben. Ein zentraler Unterschied zwischen den halakhischen Schriften Qumrans und der rabbinischen Literatur ist auch die Polyphonie Polyphonie letzterer. Sehr oft überliefern Mischna, Talmudim oder Midraschim unterschiedliche Meinungen zu ein und demselben Streitpunkt, ohne einer Meinung den Vorzug zu geben. Die in Qumran gefundenen Schriften kennen diese Form nicht. Allenfalls 4QMMT kann als Dialog aufgefasst werden, doch sind die Stimmen nicht gleichberechtigt. Die Gegenposition wird referiert, aber auch als solche abgekanzelt. Werfen wir nach dieser Übersicht über einige formale Aspekte einen Blick auf den Inhalt. Lässt sich eine Tendenz in den in Qumran Tendenz gefundenen halakhischen Schriften ausmachen? Besteht eine Verbindung zu einer der in den rabbinischen Quellen genannten Gruppen? Wir haben schon gesehen, dass Tempelrolle und 4QMMT speziell priesterliche Themen interessieren und dass sie meist für die Priester Partei ergreifen (z. B. bei der Abgabe der Früchte des vierten Jahres). Unter der Vielzahl möglicher Beispiele werden zwei besonders oft diskutiert, die in der rabbinischen Literatur mit tevul jom und nitzoq bezeichnet werden. Wenden wir uns zunächst dem ersten Beispiel zu. Einige Reinigungsrituale verlangen ein Reinigungsbad an ihrem letzten Tag. Wie in vielen juristischen Situationen stellt sich dabei die Frage, was den Vorgang abschließt: das Bad oder erst der Sonnenuntergang. Darf jemand, der das Bad genommen hat, ohne dass die Sonne schon untergegangen ist, bereits bestimmte Dinge tun? In der rabbinischen Literatur wird dieser Fall als tevul jom diskutiert (tevul = gebadet und jom = Tag, also noch tevul jom nicht Nacht). Die in Qumran gefundenen halakhischen Schriften beziehen klar die strikte Position: Und hat e[iner] einen nächtlichen Samenerguss, dann komme er nicht zum ganzen Heiligtum, bis er drei Tage [vollen]det. Und hat er seine Kleider gewaschen und sich gebadet – am ersten Tag und am dri[t]ten Tag, wasche er seine Kleider – {und hat er gebadet} und die Sonne ist untergegangen (uva’a haschemesch), dann komme er zum Heiligtum; doch dürfen sie nicht in der Befleckung ihrer Unreinheit zu meinem Heiligtum kommen und verunreinigen (11QTa XLV 7 – 10 vgl. CD A xi 21 – 23; 4Q266 9 ii)

390    21  Qumran und das Rabbinische Judentum Wer sich im Reinigungsbad gebadet hat, gilt erst, wenn auch die Sonne untergegangen ist, als ausreichend rein. Die rabbinische Literatur bezeichnet letztere als me‘uravei schemesch (diejenigen, über denen die Sonne untergegangen ist). Eines der wichtigsten Reinigungsrituale ist die Besprengung mit der Asche einer verbrannten roten Kuh (Num. 19). Diese Asche wird in einem komplexen Ritual im Tempel hergestellt und wird z. B. bei Kontakt mit Leichen angewendet. Speziell für diesen Ritus verlangt 4QMMT die absolute rituelle Reinheit der ihn durchführenden Priester, d. h. nicht nur Tauchbad, sondern auch Sonnenuntergang: Und auch bezüglich der Reinheit der Kuh des Sühneritus: 17 Der sie schächtet und der sie verbrennt und der die Asche einsammelt und der da aussprengt das [Wasser] 18 des Sühneritus, für diese gilt, dass man [d]ie Sonne unterge[h]en lassen muss (laha‘ari[vo]t haschemesch), um rein zu sein, 19 damit der Reine den Unreinen besprenge, denn den Söhnen (1) [Aarons] ziemt es, zu[ sein .:.] (4Q394 3 – 7 i 17 – 19 ii 1; 395)

In der Schilderung des Herstellungsprozesses dieser Asche im Traktat Para sieht die Mischna eine absichtliche Verunreinigung des durchführenden Priesters vor: Sieben Tage vor dem Verbrennen der Roten Kuh sondert man den Priester, der die Kuh verbrennt, von seiner Familie … ab. … und während der sieben Tage besprenkelt man ihn mit allen Sündopfern, die dort waren. … und (am siebten Tag) holte man die Kuh und all die, die sie gefüttert hatten, zum Ölberg hinaus … Es gab dort ein Tauchbad. Und man verunreinigte den Priester, der die Kuh verbrennt. (Dies tat man) der Sadduzäer wegen (mipnei hatzeduqim), damit sie nicht sagen (konnten) „(die Kuh ist) von (Priestern), über die die Sonne schon untergegangen war, zubereitet worden (bim‘uravei schemesch na‘aset)“ (mPar 3,1 – 7; vgl. mNeg 14,3).

Nach der absichtlichen Verunreinigung konnte der diensthabende Priester vor dem Verbrennen im nahegelegenen Tauchbad noch untertauchen, aber nicht mehr den Sonnenuntergang abwarten. Die Mischna behauptet, die Prozedur sei absichtlich angewandt worden, damit das Ritual nach der Ansicht der Sadduzäer ungültig war. Somit waren alle, die durch Kontakt mit Leichen verunreinigt worden waren und mit der Asche der Roten Kuh gereinigt wurden, nach sadduzäischer Auffassung weiterhin unrein. Da so in kürzester Zeit die gesamte Bevölkerung, alle Priester, die Sadduzäer selbst und auch der Tempel unrein würden, wird die sadduzäische Position unpraktikabel. Die Position der Sadduzäer entspricht derjenigen in 4QMMT und in der Tempelrolle. Sogar die Terminologie ist sehr ähnlich (laha‘arivot haschemesch – me‘uravei schemesch). Ein zweites vieldiskutiertes Beispiel ist die für das tägliche Leben absolut grundlegende Frage, ob eine unreine Flüssigkeit eine reine nitzoq Flüssigkeit gegen den Strom verunreinigen kann (rabbinisch nitzoq).

21  Tora und Halakha    391

Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn ein Reiner aus einer Karaffe mit reinem Wein in ein Glas gießt, aus dem ein Unreiner getrunken hat und in dem sich noch Reste nun unreinen Weins befinden. Verunreinigt der unreine Wein im Glas den reinen Wein in der Karaffe oder nicht? Im ersten Fall kann Unreinheit auch gegen den Fluss übertragen werden und verhält sich also wie elektrischer Strom beispielsweise beim Urinieren gegen einen elektrischen Weidezaun. Beide Flüssigkeiten gelten als eine einzige ungetrennte Flüssigkeit. Im zweiten Fall verhält sich Unreinheit wie Bakterien in einem Wassertropfen, die nicht einfach einen Wasserfall hochschwimmen können. Der Autor von 4QMMT vertritt die erste Ansicht: Und auch bezüglich der ausgegossenen (Flüssigkeiten) (ha-mutzaqot): Wir sagen, dass dies (solche Dinge) sind, an denen keine Reinheit (haftet). Und die ausgegossenen (Flüssigkeiten) trennen auch nicht zwischen dem Unreinen und dem Reinen, denn die Flüssigkeit der ausgegossenen (Gefäße) und die (in den) von ihnen aufnehmenden (Gefäßen) sind wie jene selber: eine (einzige) Flüssigkeit. (4Q394 8 ii + 4Q396 1 ii 6 – 9 + 4Q397 6 – 13)

In der rabbinischen Literatur wurde hingegen die zweite Ansicht adoptiert und die erste den Sadduzäern zugeschrieben: „Die Sadduzäer sagen: Wir klagen Euch an, Pharisäer, dass ihr das Ausgegossene (ha-nitzoq) für rein erklärt“ (mJad 4,7). Die halakhischen Begriffe sind zwar nicht identisch, aber sehr ähnlich. In der rabbinischen Literatur wird die ausgegossene Flüssigkeit nitzoq genannt, in 4QMMT mutzaqot von der gleichen Wurzel. Wir haben also mindestens zwei Fälle, in denen die polemisch vorgetragene Meinung von 4QMMT der in der rabbinischen Literatur den Sadduzäern zugeschriebenen Auffassung entspricht. Auch andere Praktiken und halakhische Kontroversen, die bislang nur aus der rabbinischen Literatur bekannt waren, können demnach aufgrund von 4QMMT und anderen halakhischen Schriften aus Qumran in die Zeit des Zweiten Tempels zurückdatiert werden. Wir halten deshalb 4QMMT nicht für jachadisch, sondern für sadduzäisch (zu den anderen Interpretationsmöglichkeiten s. o. S. 166–169). Abschließend können wir zur Halakha in den Qumranrollen und ihrem Verhältnis zur rabbinischen Literatur Folgendes festhalten: Ähnlich wie bei der frühchristlichen Literatur besteht auch bei der rabbinischen Literatur die absolute Notwendigkeit, sie zusammen Notwendigkeit, mit Qumran zu studieren, doch gleichzeitig auch die Gefahr der doch Gefahr der Kontextualisierung – die rabbinischen Texte, ihre Hermeneutik und Kontextualisierung ihre Konzepte in die Texte von Qumran hineinzulesen und sie durch diese Brille anachronistisch zu interpretieren. Die letzten zwanzig Jahre haben die halakhischen Texte endlich ins Zentrum der Qumranforschung gestellt und so gewisse

392    21  Qumran und das Rabbinische Judentum Fehlkonstruktionen korrigiert, die durch den Fokus auf Theologie und Exegese im Vergleich zu frühchristlichen Quellen entstanden waren. Man kann qumranische Gebete, Halakha und Exegese ohne die rabbinische Literatur nicht mehr ernsthaft studieren. Doch obwohl die Worte Midrasch (CD B xx 6; 1QS VI 24; u. ö.) und Talmud (4Q169 3 – 4 ii 8; 4Q525 14 ii 15) in den Qumranrollen auftauchen, sind gleichzeitig ihre Bedeutungen und Konnotationen andere. 4QMMT beweist die Existenz mancher Kontroversen 300 Jahre vor der Redaktion der Mischna. Doch haben wir hier weder Rabbiner noch eine Mischna in nuce. Andererseits sind auch manche Unterschiede zwischen Jachad und dem rabbinischen Korpus überbetont worden, etwa bezüglich jachadischer und rabbinischer Hermeneutik. Wenn einerseits die Rabbinen himmlische Stimmen in der Rechtsfindung ablehnen und behaupten, dass die Tora in der Sprache der Menschen geschrieben ist und sich nicht mehr im Himmel befindet (lo baschamajim hi) (bBM 59b / Dtn. 30,11), so ist die Differenz zu Qumrans Auslegung der esoterischen Aspekte der Tora (nistar), die den Auserwählten von Gottes offenbarendem Geist vorbehalten ist, soziologisch nicht so groß. In beiden Fällen hängt die Autorität der Auslegung letztendlich vom Charisma ihres Vertreters ab (Shemesh). Die rabbinischen Texte gemeinsam mit den Qumranrollen zu studieren, schärft das Verständnis für die Gemeinsamkeiten und historischen Entwicklungen wie auch für die unterschiedlichen Profile der dahinter stehenden Gesellschaften.

Abbildungsverzeichnis    393

Abbildungsverzeichnis

Abb.   1: 4Q448 mit Verschluss (Zeichnung D. Stökl) Abb.   2: Rekonstruktion  einer Schriftrolle (Quelle: De Vaux, DJD 6, 26) Abb.   3: 4Q286 fr 20a (PAM 43 312, Foto Najib Anton Albina), mit freundlicher Genehmigung der Israelischen Antikenbehörde Abb.   4: Paläographie 1 (Zeichnung D. Stökl, „Alphabets and scripts (Judaism) “ In R. Bagnall et alii, Encyclopedia of Ancient History, Malden 2012) Abb.   5: Paläographie 2 (Zeichnung D. Stökl, „Alphabets and scripts (Judaism)“ In R. Bagnall et alii, Encyclopedia of Ancient History, Malden 2012) Abb.   6: Entwicklung des Samekh (Zeichnungen aus unterschiedlichen Publikationen von Ada Yardeni in eine Reihe zusammengestellt von D. Stökl) Abb.   7: Scrollery (PAM 41 212, mit freundlicher Genehmigung der Israelischen Antikenbehörde) Abb.   8: Die unmittelbare Umgebung von Qumran (D. Stökl nach F. Rohrhirsch in de Vaux, Roland, Die Ausgrabungen von Qumran und En Feschcha. Bd. I. A. Die Grabungstagebücher, Göttingen 1996, 4). Abb.   9: V  erwerfungslinie in der Treppe von Locus 48 (Foto © D. Stökl) Abb. 10: Q  umranische Krugtypen nach Perioden (Quelle: De Vaux, Archaeology, XLII) Abb. 11: L  77 Speisesaal (links) und L89 Geschirrkammer (rechts) (Foto: Qumranarchiv © Alexander Schick / www.bibelausstellung.de) Abb. 12: Z  erstörte Geschirrstapel in Locus 89 (mit freundlicher Genehmigung der Israelischen Antikenbehörde) Abb. 13: Z  isterne (L91) vs. Mikve (L48/49) (Zeichnung Galor in Humbert/Gunneweg, Khirbet Qumrân et ʿAïn Feshkha. II, Göttingen, 2003, 298, 300) Abb. 14: „  Tisch“ und „Bank“ aus L30 (Foto Qumranarchiv © Alexander Schick / www.bibelausstellung.de mit freundlicher Genehmigung der Israelischen Antikenbehörde) Abb. 15: G  ipsmöbel: „Tablett“ (vorne), „Tisch“ (Mitte), dahinter verdeckt die „Bank“ (Foto Qumranarchiv © Alexander

394    Abbildungsverzeichnis Schick / www.bibelausstellung.de mit freundlicher Genehmigung der Jordanischen Antikenbehörde) Abb. 16: Tierknochendepot (Foto © École biblique, Jerusalem) Abb. 17: Steinscheibe aus L45 (Quelle: Hirschfeld, Qumran, Gütersloh 2006, 204) Abb. 18: Gräber im Hauptfriedhof (Foto © D. Stökl) Abb. 19: Höhlen 4a, 4b (links) und 5 (rechts) (Foto © D. Stökl) Abb. 20: Höhle 4a von innen (Foto Qumranarchiv © Alexander Schick) Abb. 21: Jachad Ostrakon nach Cross/Eshel (links), Yardeni (Mitte), Puech (rechts), Cross/Eshel, „Ostraca“, 19, Yardeni, „Draft“, 237, Puech, L‘ostracon, 28 Abb. 22: 4Q70 mit Jer. 7,30 – 8,3 auf dem Rand nachgetragen (Foto PAM 43.216 von Najib Anton Albina), mit freundlicher Genehmigung der Israelischen Antiken­ behörde Abb. 23: Tefillin (Quelle: Hirschfeld, Qumran, Gütersloh 2006, 71) Abb. 24: Judäa – hasmonäische Eroberungen (© D. Stökl) Abb. 25: Judäa – Tetrarchen (© D. Stökl) Abb. 26: Totes Meer mit Fundstätten, erwähnten Forts, Wegen und Friedhöfen (© D. Stökl nach J. Taylor, Qumran Connected, in Frey, Qumran und die Archäologie, Tübingen 2011) Abb. 27: Qumran, Schriftrollenhöhlen (D. Stökl nach Humbert/ Gunneweg, Khirbet Qumrân et ʿAïn Feshkha. II, Göttingen, 2003, 415) Abb. 28: Qumran, Ein Feshkha, Expeditionshöhlen (D. Stökl nach Humbert/Gunneweg, Khirbet Qumrân et ʿAïn Feshkha. II, Göttingen, 2003, 414) Abb. 29: Qumran Ib (© D. Stökl) Abb. 30: Qumran II (© D. Stökl) Abb. 31: Qumran III (© D. Stökl) Abb. 32: Qumran mit nahen Höhlen und Friedhof (© D. Stökl nach F. Rohrhirsch in de Vaux, Roland, Die Ausgrabungen von Qumran und En Feschcha. Bd. I. A. Die Grabungstagebücher, Göttingen 1996, 4) Abb. 33: Rekonstruktion Qumrans (Zeichnung: Domitille Héron-Hugé, Quelle: Mébarki/Puech, Les manuscrits de la mer Morte, 152f)

Allgemeine Bibliographie    395

Allgemeine Bibliographie

1 Übergreifende Internet-Datenbanken und digitale Handschrifteneditionen Aleppokodex: http://www.aleppocodex.org/ Bar Ilan Torat HaTannaim (versch. Handschriftentranskriptionen zu tannaitischen Werken): http://www.biu.ac.il/JS/tannaim/ Codex Leningradensis: https://archive.org/details/Leningrad_Codex Codex Sinaïticus: http://www.codex-sinaiticus.net/. Digital Dead Sea Scrolls: dss.collections.imj.org.il (die großen Rollen im Schrein des Buches im Israel-Museum) eRabbinica.org : Internetportal für elektronische kritische Editionen rabbinischer Texte. Friedberg Jewish Manuscript Society (Bilder, Metadaten zur Geniza, zum Talmud und zu anderen Handschriften): http://www.jewishmanuscripts. org/ zur Geniza speziell: http://www.genizah.org Kaufman, Steven, The Comprehensive Aramaic Lexicon : http://cal1. cn.huc.edu/ Leon Levy Dead Sea Scrolls Digital Library: www.deadseascrolls.org.il (die neuen Multispektralaufnahmen der Fragmente in der Israel Antiquities Authority sowie alle PAMs) Leuven Database of Ancient Books (www.trismegistos.org/ldab) (Katalog antiker literarischer griechischer, koptischer, syrischer u. a. Handschriften) Maagarim (grammatikalisch erschlossene Handschriftentranskriptionen fast aller nachbiblischen hebräischen Schriften bis zum Mittelalter): http://maagarim.hebrew-academy.org.il

2 Datenbanken auf CD-Rom Accordance Bible Software 11 (Datenbank für Bibeltexte Qumrantexte, sowie antike jüdische und christliche Literatur): http://www.accordancebible.com/ Bible-Works 11: http://www.bibleworks.com/ Logos (Datenbank für Bibeltexte, Qumrantexte sowie antike jüdische und christliche Literatur): www.logos.com Tov, Emanuel (Hg.), The Dead Sea Scrolls Electronic Library, Leiden 2006.

396    Allgemeine Bibliographie

3 Kataloge van Haelst, Joseph, Catalogue des papyrus littéraires juifs et chrétiens, Paris 1976. Reed, Stephen/Lundberg, Marilyn/Phelps, Michael (Hgg.), The Dead Sea Scrolls Catalogue. Atlanta, Georgia, 1994. Tov, Emanuel (Hg.), Revised List of the Texts from the Judaean Desert, Leiden 2010. Tov, Emanuel (Hg.), The texts from the Judaean desert: indices and an introduction to the ‚Discoveries in the Judaean desert‘ series. Oxford, 2002 (DJD 39).

4 Textausgaben s. o. Datenbanken Hebräische und griechische Bibeln Elliger, Karl/Rudolph, Wilhelm, Biblia Hebraica Stuttgartensia, editio quinta emendata opera Adrian Schenker, Stuttgart 1997. Schenker, Adrian/u. a. (Hgg.), Biblia Hebraica Quinta, Stuttgart 2004ff (noch nicht vollständig). Rahlfs, Alfred (Hg.), Septuaginta, id est Vetus Testamentum graece iuxta LXX interpretes, Stuttgart 1971. Septuaginta. Vetus Testamentum graecum auctoritate academiae scientiarum Gottingensis editum, Göttingen 1931 ff. Kraus, Wolfgang/Karrer, Martin (Hgg.), Septuaginta Deutsch, Stuttgart 2009. Die Bibel nach der Übersetzung Martin Luthers, herausgegeben von der Evangelischen Kirche in Deutschland, revidierte Fassung, Stuttgart 1984. Deissler, Alfons/Schütz, Ulrich, Neue Jerusalemer Bibel. Einheitsübersetzung mit dem Kommentar der Jerusalemer Bibel, neu bearbeitete und erweiterte Ausgabe, Freiburg 2005.

Philo und Josephus Clementz, Heinrich, Des Flavius Josephus jüdische Altertümer, Nachdruck Wiesbaden 142002. Cohn, Leopold/Heinemann, Isaak/Adler, Maximilian/Theiler, Willy (Hgg.), Philo von Alexandria. Die Werke in deutscher Übersetzung, 7 Bde., Berlin, ²1962 – 1964. Cohn, Leopold/Wendland, Paul/Reiter, Siegfried (Hgg.), Philonis Alexandrini opera quae supersunt, Berlin 1896 – 1930. Colson, Francis Henry/Whitaker, George Herbert/Marcus, Ralph (Hgg.): Philo. In Ten Volumes (= Loeb Classical Library 226, 227, 247, 261, 275, 289, 320, 341, 363, 379, 380, 401), Cambridge, Mass. 1929 – 1962. Michel, Otto/Bauernfeind, Otto (Hgg.), Flavius Josephus. De Bello Judaico. Der jüdische Krieg. Griechisch und Deutsch, München 1959 – 1969. Niese, Benedictus (Hg.), Flavii Iosephi opera, Berlin 1885 – 1895.

Allgemeine Bibliographie    397 Schreckenberg, Heinz/Vogel, Manuel/Siegert, Folker (Hgg.), Flavius Josephus: Aus meinem Leben. Vita, Tübingen 2001. Siegert, Folker (Hg.), Über die Ursprünglichkeit des Judentums (Contra Apionem), Göttingen 2008.

Pseudepigraphen Bauckham, Richard/Davila, James/Panayotov, Alexander (Hgg.), Old Testament Pseudepigrapha. More Non Canonical Scriptures, Grand Rapids, Mich. 2013. Charlesworth, James. (Hg.), The Old Testament Pseudepigrapha, New York 1983 – 1985. Kümmel, Werner/Lichtenberger, Hermann/u. a. (Hgg.), Jüdische Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit, Gütersloh 1973 ff (JSHRZ) sowie auch die Neue Folge dieser Reihe (JSHRZ.NF), Gütersloh 2002 ff.

Texte aus Qumran und anderen Orten um das Tote Meer Für spezifische Qumranrollen, s. Tov, Revised List. S. auch oben unter Datenbanken. Wichtigste Ausgabe der meisten Fragmente: DJD = Discoveries in the Judaean Desert (of Jordan), 40 Bde., Oxford 1955 – 2010. Hauptherausgeber der Reihe: de Vaux, Roland (Bde. 1 – 5); Benoit, Pierre (Bde. 6 – 7); Strugnell, John (Bd. 8); Tov, Emanuel (Bde. 9 – 40).

Andere Editionen: Berthelot, Katell/Langlois, Michael/Legrand, Thierry/Paul, André (Hgg.), La Bibliothèque de Qumrân, 3 Bde., Paris 2008 ff. Beyer, Klaus, Die aramäischen Texte vom Toten Meer, 2 Bde., Göttingen 1984 – 2004. Burrows, Millar (Hg.), The Dead Sea Scrolls of St. Mark’s Monastery, New Haven 1951. Charlesworth, James (Hg.), The Dead Sea Scrolls: Hebrew, Aramaic, and Greek Texts with English Translations, 9 Bde., Tübingen 1994 ff. Cotton, Hannah/Geiger, Josef, Masada II, The Yigal Yadin Excavations Masada II 1963 – 1965, Final Reports: The Latin and Greek Documents, Jerusalem 1989. Dušek, Jan, Les manuscripts araméens du Wadi Daliyeh et la Samarie vers 450 – 332 av. J.-C., Leiden 2007. Eisenman, Robert/Robinson, James, A Facsimile Edition of the Dead Sea Scrolls, Washington, D. C. 1991. Freedman, David-Noel/Mathews, Kenneth, The Paleo-Hebrew Leviticus Scroll, Winona Lake, Ind. 1985. García-Martínez, Florentíno/Tigchelaar, Eibert, The Dead Sea Scrolls. Study Edition, 2 Bde., Leiden 1997 – 1998. Grohmann, Adolf, Arabic Papyri from Hirbet el-Mird, Louvain 1963.

398    Allgemeine Bibliographie Lemaire, André, Inscriptions du Khirbet, des grottes et de Ain Feshkha. In: Humbert, Jean-Baptiste/Gunneweg, Jan (Hgg.), Khirbet Qumrân et ʿAïn Feshkha. II, Göttingen 2003, 341 – 388. Lewis, Naphtalie/Yadin, Yigael/Greenfield, Jonas, The Documents from the Bar Kokhba Period in the Cave of the Letters: The Greek Papyri, Aramaic and Nabatean Signatures and Subscriptions, Jerusalem 1989. Lohse, Eduard, Die Texte aus Qumran: Hebräisch und Deutsch, Darmstadt 1981. Maier, Johann, Die Qumran-Essener: Die Texte vom Toten Meer I–III, München 1995 – 1996. Milik, Joseph, The Books of Enoch, Oxford 1976. Qimron, Elisha, Megillot Midbar Jehuda, 3 Bde., Jerusalem 2010ff (hebr.). Qimron, Elisha, The Temple Scroll. A Critical Edition with Extensive Reconstructions, Beersheva/Jerusalem 1996. Steudel, Annette, Die Texte aus Qumran II. Hebräisch/Aramäisch und Deutsch, Darmstadt 2001. Sukenik, Eliezer, The Dead Sea Scrolls of the Hebrew University, Jerusalem 1955. Talmon, Shemaryahu, Hebrew Fragments from Masada. In: ders./Yadin, Yigael (Hgg.), Masada VI, The Yigal Yadin Excavations 1963 – 1965, Final Reports, Jerusalem 1999, 1 – 149. Tov, Emanuel (in Zusammenarbeit mit Pfann, Stephen), The Dead Sea Scrolls on Microfiche: Companion Volume, Leiden 1993. Tov, Emanuel/Parry Donald (Hgg.), The Dead Sea Scrolls Reader, Leiden 2004. Trever, John, Scrolls from Qumran Cave I (= Three Scrolls from Qumran), Jerusalem 1972. Ulrich, Eugene, The Biblical Qumran Scrolls. Transcriptions and Textual Variants, Leiden 2010. Wacholder, Ben-Zion/Abegg, Martin, A preliminary edition of the unpublished Dead Sea scrolls. The Hebrew and Aramaic texts from Cave Four reconstructed and edited, 3. Bde. Washington D. C. 1991 – 1995. Yadin, Yigael, Tefillin from Qumran, Jerusalem 1969. Yadin, Yigael, The Ben Sira Scroll from Masada, Jerusalem 1965. Yadin, Yigael, The Temple Scroll, Jerusalem 1983. Yadin, Yigael/Greenfield, Jonas/Yardeni, Ada/Levine, Baruch, The Documents from the Bar Kokhba Period in the Cave of Letters: Hebrew, Aramaic and Nabatean-Aramaic Papyri, Jerusalem 2002. Yadin, Yigael/Naveh, Josef, Masada I: The Yigael Yadin Excavations 1963 – 1965, Final Reports: The Aramaic and Hebrew Ostraca and Jar Inscriptions, Jerusalem 1989. Yardeni, Ada, Textbook of Aramaic, Hebrew and Nabatean Documentary Texts from the Judaean Desert and Related Material, Jerusalem 2000.

Neues Testament

Aland, Kurt/Aland, Barbara/Karavidopoulos, Johannes/Martini, Carlo/ Metzger, Bruce (Hgg.), Novum Testamentum Graece, Stuttgart 282012.

Allgemeine Bibliographie    399

Rabbinische Literatur Hier beschränken wir uns auf Mischna, Tosefta und Mekhilta deRabbi Jischmael. Für die zahlreichen wissenschaftlichen Ausgaben und Übersetzungen, s. Stemberger, Einführung. Viele hervorragende Transkriptionen sind auf den Internet-Datenbanken der maagarim und torat haTannaim zugänglich. Mischna (Text auch: Maagarim): Krupp, Michael/u. a. (Hg.), Die Mischna. Textkritische Ausgabe mit deutscher Übersetzung und Kommentar. Jerusalem 2002ff/Frankfurt 2007 ff. Tosefta (Text: Torat haTannaim oder Maagarim): Neusner, Jacob (Hg.), The Tosefta. Translated from the Hebrew. New York 1977 – 1981. Mekhilta deRabbi Jischmael (Text: Torat haTannaim oder Maagarim): Stemberger, Günter, Mekhilta de-Rabbi Jishma’el – Ein früher Midrasch zum Buch Exodus, Frankfurt 2010.

Hekhalot Schäfer, Peter/u. a. (Hgg.), Übersetzung der Hekhalot-Literatur, Tübingen 1987 ff. Schäfer, Peter/u. a. (Hgg.), Synopse zur Hekhalot-Literatur, Tübingen 1981 ff.

Jüdische Liturgie

Asaf, Simha/Davidson, Israel/Yoel, Issachar (Hgg.), Siddur Rav Saadja Gaon. Kitab jamiʾ al-salawat wa-al-tasabih, Jerusalem 1941, Neudruck 2000.

Klassische Autoren zu Juden und Judentum

Stern, Menahem, Greek and Latin Authors on Jews and Judaism, 3 Bde., Jerusalem 1974–1984.

5 Archäologie Bar Adon, Pesach, The Cave of the Treasure, The Finds from the Caves in Nahal Cave of the Treasure Mishmar, Jerusalem 1980. Galor, Katharina/Humbert, Jean-Baptiste/Zangenberg, Jürgen (Hgg.), Qumran – The Site of the Dead Sea Scrolls. Archaeological Interpretations and Debates, Leiden/Boston 2006. Humbert, Jean-Baptiste/Gunneweg, Jan (Hgg.), Khirbet Qumrân et ʿAïn Feshkha. II, Etudes d’anthropologie, de physique et de chimie, Göttingen 2003. Humbert, Jean-Baptiste/Chambon, Alain (Hgg.), Fouilles de Khirbet Qumran et de Aïn Feshkha. I, Album de photographies, répertoire du fonds photographique, synthèse des notes de chantier du Père Roland de Vaux OP, Göttingen 1994. Laperrousaz, Ernest, Qumrân. L’établissement essénien des bords de la mer Morte, Paris 1976.

400    Allgemeine Bibliographie Magen, Yizhak/Peleg, Yuval, The Qumran Excavations 1993 – 2004. Preliminary Report, Jerusalem 2007. Magness, Jodi/at alii, http://virtualqumran.huji.ac.il de Vaux, Roland, Archaeology and the Dead Sea Scrolls, London 1973. de Vaux, Roland, Die Ausgrabungen von Qumran und En Feschcha. Bd. I. A. Die Grabungstagebücher, Göttingen 1996.

6 Hilfsmittel Konkordanzen s. o. Datenbanken sowie: Abegg, Martin/Bowley, James/Cook, Edward (Hgg.), The Dead Sea Scrolls Concordance, Leiden 2003. Brown, Raymond/Fitzmyer, Joseph/Oxtoby, William/Teixidor, Javier, A Preliminary Concordance to the Hebrew and Aramaic Fragments from Qumran Caves II–X, Including Especially the Unpublished Material from Cave IV, Göttingen 1988 (Privatdruck). Charlesworth, James, Graphic Concordance to the Dead Sea Scrolls, Tübingen 1991. Even-Shoshan, Avraham, A New Concordance of the Bible, Jerusalem 1993. Hatch, Edwin/Redpath, Henry, A Concordance to the Septuagint and the Other Greek Versions of the Old Testament, Grand Rapids ²1998. Muraoka, Takamitsu, Hebrew/Aramaic Index to the Septuagint, Grand Rapids 1998.

Kodikologie und Paläographie Cross, Frank, The Development of the Jewish Script. In: Wright, George Ernest (Hg.), The Bible and the Ancient Near East. Essays in Honor of William Foxwell Albright, Garden City, 1961, 133 – 202. Cross, Frank, Palaeography and the Dead Sea Scrolls. In: Flint, Peter/VanderKam, James (Hgg.), The Dead Sea Scrolls After Fifty Years, Leiden 1998, Bd.  1, 379 – 402. Johnson, William, Bookrolls and Scribes in Oxyrhynchus, Toronto 2004. McLean, Mark, The Use and Development of Palaeo-Hebrew in the Hellenistic and Roman Periods, (unpubl. Ph.D. diss., Cambridge, Mass. Harvard University, 1982). Tov, Emanuel, Scribal Practices and Approaches Reflected in the Texts Found in the Judean Desert, Leiden 2004. Yardeni, Ada, Understanding the Alphabet of the Dead Sea Scrolls. Development. Chronology. Dating, Jerusalem 2014. Yardeni, Ada, Textbook of Aramaic, Hebrew and Nabatean Documentary Texts from the Judaean Desert and Related Material, Jerusalem 2000.

Allgemeine Bibliographie    401

Wörterbücher s. oben unter Datenbanken und CD-Roms (speziell maagarim, Comprehensive Aramaic Lexicon) Clines, David/u. a. (Hgg.), The Dictionary of Classical Hebrew, Sheffield 1993 – 2008. Fabry, Heinz-Josef/Dahmen, Ulrich (Hgg.), Theologisches Wörterbuch zu den Qumrantexten, Stuttgart 2011 ff. Köhler, Baumgartner (Hgg.), Hebräisches und Aramäisches Lexikon zum Alten Testament, Leiden 1967 – 1996 (HALAT).

Grammatiken Muraoka, Takamitsu, A Grammar of Qumran Aramaic, Leiden 2011. Qimron, Elisha, The Hebrew of the Dead Sea Scrolls, Atlanta 1986. Reymond, Eric, Qumran Hebrew. An Overview of Orthography, Phonology, and Morphology, Atlanta 2014. Schattner-Rieser, Ursula, L’araméen des manuscrits de la mer Morte, Prahins 2004.

Bibelzitate und -anspielungen

Lange, Armin/Weigold, Matthias, Biblical Quotations and Allusions in Second Temple Jewish Literature, Göttingen 2011.

Enzyklopädien und Nachschlagewerke Brooke, George/Hempel, Charlotte (Hgg.), T&T Clark Companion to the Dead Sea Scrolls. Sheffield, voraussichtlich 2016. Collins, John/Harlow, Daniel (Hgg.), Eerdmans Dictionary of Early Judaism, 2010. Lim, Timothy/Collins, John (Hgg.), Oxford Handbook of the Dead Sea Scrolls, Oxford 2010. Schiffman, Lawrence/VanderKam, James (Hgg.), Encyclopedia of the Dead Sea Scrolls, Oxford 2000.

Bibliographien Bibliographische Suchmaschine des Orion Center for the Study of the Dead Sea Scrolls and Associated Literature: http://orion.mscc.huji.ac.il (spezialisiert auf Literatur zu den Qumranrollen). RAMBI. Bibliographische Suchmaschine der Jüdischen Nationalbibliothek: http://aleph.nli.org.il (allgemeine Judaistik). Burchard, Christoph, Bibliographie zu den Handschriften vom Toten Meer, Berlin 21959, Bd. 2: 1965. Clements, Ruth Anne/Sharon, Nadav, The Orion Center Bibliography of the Dead Sea Scrolls and Associated Literature (2000–2006), Leiden 2007. Fitzmyer, Joseph, A Guide to the Dead Sea Scrolls and Related Literature, Grand Rapids ²2008.

402    Allgemeine Bibliographie García-Martínez, Florentino/Parry, Donald W., A Bibliography of the Finds in the Desert of Judah, 1970 – 1995, Leiden 1996. Pinnick, Avital, The Orion Center Bibliography of the Dead Sea Scrolls (1995–2000), Leiden 2001.

7 Moderne Einleitungen Alte Geschichte der Levante

Sartre, Maurice, D’Alexandre à Zénobie, Histoire du Levant antique, IVè siècle av. J.-C.–IIIè siècle ap. J.-C., Paris 2001.

Antikes Judentum Bloch, René, Jüdischer Hellenismus. Tübingen, voraussichtlich 2017. Cohen, Shaye, Judaism from the Maccabees to the Mishnah, Philadelphia ²2006. Davies, William D./Finkelstein, Louis (Hgg.), The Cambridge History of Judaism. Vol. 2 The Hellenistic Age, Cambridge 1984. Grabbe, Lester, A History of Jews and Judaism in the Second Temple Period. Vol. 2. The Coming of the Greeks. The Early Hellenistic Period (335 – 175 BCE), London 2008. Grabbe, Lester, Judaism from Cyrus to Hadrian, Minneapolis 1992. Horbury, William/Davies, W. D./Sturdy, John (Hgg.), The Cambridge History of Judaism. Vol. 3. The Early Roman Period, Cambridge 1999. Stemberger, Günter, Einführung in Talmud und Midrasch, München 92011. Vermes, Géza/Millar, Fergus/ Goodman, Martin (Hgg.), E. Schürer, The History of the Jewish People in the Age of Jesus Christ (175 B. C.–A. D. 135), Edinburgh 1973 – 1987.

Entdeckungs- und Forschungsgeschichte Dimant, Devorah/Kottsieper, Ingo (Hgg.), The Dead Sea Scrolls in Scholarly Perspective. A History of Research, Tübingen 2012. Fields, Weston, The Dead Sea Scrolls. A Full History. Volume 1, Leiden 2009.

Hebräische und griechische Bibel Carr, David, Einführung in das Alte Testament, Stuttgart 2012. Gertz, Jan (Hg.), Grundinformation Altes Testament. Göttingen/Stuttgart 4 2010. Harl, Marguerite/Dorival, Gilles/Munnich, Olivier (Hgg.), La Bible grecque des Septante: du judaïsme hellénistique au christianisme ancien, Paris 1988. Kratz, Reinhard, Die Komposition der erzählenden Bücher des Alten Testaments. Grundwissen der Bibelkritik, Göttingen 2000. Römer, Thomas/Macchi, Jean-Daniel, Einleitung in das Alte Testament: Die Bücher der Hebräischen Bibel und die alttestamentlichen Schriften der katholischen Bibel, Zürich 2013.

Allgemeine Bibliographie    403 Schmid, Konrad, Literaturgeschichte des Alten Testaments. Eine Einführung, Darmstadt 2008. Tov, Emanuel, Textual criticism of the Hebrew Bible, Minneapolis ³2012.

Qumran Collins, John, The Dead Sea Scrolls. A Biography, Princeton 2013. Cross, Frank, Die antike Bibliothek von Qumran und die moderne biblische Wissenschaft, Neukirchen-Vluyn 1967. Dahmen, Ulrich/Stegemann, Hartmut/Stemberger, Günter (Hgg.), Qumran – Bibelwissenschaften – Antike Judaistik. Paderborn 2006. Davies, Philip/Brooke, George/Callaway, Philip, Qumran. Die Schriftrollen vom Toten Meer, Stuttgart 2002. Eshel, Hanan, Qumran. Scrolls, Caves, History, Jerusalem 2009. Kister, Menahem/Qimron, Elisha (Hgg.), Megillot Qumran: Mevo’ot uMechqarim, Jerusalem 2009. Lange, Armin, Handbuch der Textfunde vom Toten Meer. Bd I: Die Handschriften biblischer Bücher von Qumran und den anderen Fundorten, Tübingen 2009. Magness, Jodi, The Archaeology of Qumran and the Dead Sea Scrolls, Grand Rapids 2002. Maier, Johann/Schubert, Kurt, Qumran-Essener. Texte der Schriftrollen und Lebensbild der Gemeinde, München 1991. Mébarki, Farah/Puech, Émile, Les manuscrits de la mer Morte. Rodez 2002. Milik, Józef, Ten Years of Discovery in the Wilderness of Judaea, London 1959. Schiffman, Lawrence, Reclaiming the Dead Sea Scrolls, New York 1994. Stegemann, Hartmut, Die Essener, Qumran, Johannes der Täufer und Jesus, Freiburg 1993, 102007. Taylor, Joan, The Essenes, the Scrolls and the Dead Sea, Oxford 2012. VanderKam, James, Einführung in die Qumranforschung. Geschichte und Bedeutung der Schriften vom Toten Meer, Göttingen 1998. VanderKam, James/Flint, Peter, The Meaning of the Dead Sea Scrolls. San Francisco 2002. Vermes, Géza, The story of the scrolls. London 2010.

Neues Testament Ebner, Martin/Schreiber, Stefan (Hgg.), Einleitung in das Neue Testament, Stuttgart 2008. Pilhofer, Peter, Das Neue Testament und seine Welt: Eine realgeschichtliche Einführung, Tübingen/Stuttgart 2010. Schnelle, Udo, Einleitung in das Neue Testament, Göttingen 62007.

404    Allgemeine Bibliographie

8 Auswahl zentraler Konferenzbände außerhalb von STDJ Die folgende Liste führt nur diejenigen Konferenzbände auf, die in diesem Band mehrfach erwähnt werden und nicht in der zentralen Reihe für Qumranstudien bei Brill (STDJ: Studies in the Texts of the Desert of Judah) erschienen sind. In der STDJ sind insbesonders die thematischen Bände der jährlichen Konferenzen des OrionZentrums an der Hebräischen Universität in Jerusalem erschienen. Beyerle, Stefan/Frey, Jörg (Hgg.), Qumran aktuell, Neukirchen-Vluyn 2011 Charlesworth, James (Hg.), Jesus and the Dead Sea Scrolls, New York 1993. Charlesworth, James (Hg.), The Bible and the Dead Sea Scrolls. Volume Three. The Scrolls and Christian Origins, Waco 2006. Frey, Jörg/Claußen, Carsten/Kessler, Nadine (Hgg.), Qumran und die Archäologie. Texte und Kontexte, Tübingen 2011. Schiffman, Lawrence/Tov, Emanuel/VanderKam, James (Hgg.), The Dead Sea Scrolls. Fifty Years After Their Discovery, Jerusalem 2000. Wise, Michael/Golb, Norman/Collins, John/Pardee, Dennis (Hgg.), Methods of Investigation of the Dead Sea Scrolls and the Khirbet Qumran Site, New York 1994.

Anhang

1

1

Karten und Pläne

407

Karten und Pläne

Damaskus Tyros Ptolemais

Galiläa

Sepphoris

Gaulanitis

Skythopolis

Stratons Turm

Pella

Dekapolis

Samaria-Sebaste

Samaria

Judäa Aschkalon Gaza

Jericho

Jerusalem

Marescha

Idumäa

Trakonitis

Peräa Philadelphia

Qumran

Totes Meer

Nabatäa Provinz Jehud / Judäa bis Juda Makk. Joh. Hyrkanos Alexander Jann. 0

Petra

100 km

Abb. 24: Judäa – hasmonäische Eroberungen

408

1

Karten und Pläne

CHALKIS

Chalkis

Cäsaräa Philippi

Tyros

GALILÄA

GAULANITIS

Tiberias Sepphoris TRAKONITIS

Cäsaräa maritima Sebaste

Skythopolis Pella

DEKAPOLIS PERÄA

SAMARIEN

Jericho Philadelphia Qumran Jerusalem

JUDÄA Aschkalon Gaza

IDUMÄA

Totes Meer

Masada

NABATÄA

0

100 km

Philippos Herodes Antipas Archelaos

Abb. 25: Judäa – Tetrarchen

1

Karten und Pläne

409

Abb. 26: Totes Meer mit Fundstätten, erwähnten Forts, Wegen und Friedhöfen

410    1  Karten und Pläne

Abb. 27:  Qumran, Schriftrollenhöhlen

1  Karten und Pläne    411

Abb. 28:  Qumran, Ein Feshkha, Expeditionshöhlen

412

1

Karten und Pläne

138 135 132

130 120 115 114 111

118

110 38

117 13

51

4 102

30

50 49

1 104

48

83

56

91 86

52

58

←45

77

89

72

65

68 70

69

71

Abb. 29: Qumran Ib

84 64

1

413

Karten und Pläne

138 135 132

130 120 115 114 111

118

110 38

117 13

51

4 102

30

50 49

1 104

48

83

56

91 86 89

52

58

←45

77 72

65 68 70 64 69

71

Abb. 30: Qumran II

84

414

1

Karten und Pläne

135 132

9

10

8

110

41 20

150 1

2

24

15 16

46

26

11

40 38

39 145

37

33 31

151 ←45

43 91

77 72

68

64 69

71

Abb. 31: Qumran III

1  Karten und Pläne    415

Abb. 32:  Qumran mit nahen Höhlen und Friedhof

416    1  Karten und Pläne 1. Aquädukt 2. Mikvaot – L128 3. Dekantationsbecken – L132 4. Kanal 5. Lagerräume– L120, 123, 124 6. Lagerraum – L121 7. Zisternen 8. Werkstätten  – L125 – 127 9. Haupteingang – L134 10. Turm  – L8 – 11 11. Küche – L41/38 + 40/16 + 39/47 12. „Scriptorium“? – L30 13. Versammlungssaal – L1/2/4

14. Räume mit Trögen – L32 – 36 15. Toilette – L51 16. Wäscherei  – L52 – 53 17. Brennofen – L64/84 18. Töpferei – L63 – 65, 80, 84 19. Trennmauer zum Hauptfriedhof 20. Esssaal und Versammlungsraum – L77 21. Geschirrkammer – L86 22. Stall – L97 23. Mühle – L102 24. Treppe 25. Esplanade

1  Karten und Pläne    417

Abb. 33:  Rekonstruktion Qumrans

2 Zeittafel    419

2 Zeittafel

Allgemeine jüdische Geschichte 8. – 7.  Jh. v. Chr.

Erste bekannte Besiedlung Qumrans

5. – 4.  Jh. v. Chr.

Judäa als Jehud Provinz des persischen Imperiums

334 – 330  v.  Chr.

Alexander der Große erobert das persische Reich, darunter auch Jehud

323 v. Chr.

Alexander der Große stirbt, sein Großreich wird unter die Diadochen aufgeteilt, Judäa fällt den Ptolemäern in Ägypten zu

Mitte 3. Jh. v. Chr.

Übersetzung der Tora ins Griechische, vermutlich unter König Ptolemäos II. Philadelphos. In den darauffolgenden Jahrhunderten Übersetzung der anderen Schriften

200 v. Chr.

Schlacht von Panium. Judäa wird seleukidisch

241 – 187  v.  Chr.

Antiochos III. der Große

175 – 164  v.  Chr.

Antiochos IV. Epiphanes

174 v. Chr.

Absetzung des Hohepriesters Onias III.

174 – 171? v.  Chr.

Jason Hohepriester

171 – 162  v.  Chr.

Menelaos Hohepriester

162 – 159  v.  Chr.

Alkimos Hohepriester

168 v. Chr.

Antiochos IV. schlägt einen Putschversuch in Jerusalem nieder Aufstand der „Makkabäer“

–160 v. Chr.

Qumran

Judas Makkabäus Anführer der Revolte

420    2 Zeittafel Allgemeine jüdische Geschichte 164 v. Chr.

Wiedereinweihung des Tempels am 25. Kislev (Chanukka).

160 – 143  v.  Chr.

Jonathan Anführer der Revolte; erste Erwähnung von Pharisäern, Sadduzäern und Essenern für seine Regierungszeit

159 – 152  v.  Chr.

Intersacerdotium?

152 v. Chr.

Jonathan wird zum Hohepriester ernannt

143 – 134  v.  Chr.

Simon Hohepriester und Anführer

134 – 104  v.  Chr.

Johannes Hyrkanos I. Hohepriester Eroberung Samarias, Idumäas und des Ostjordanlands und Judaisierung der Bevölkerung

104 – 103  v.  Chr.

Aristobulos I. Hohepriester und Köng Eroberung Galiläas und Ituräas

103 – 76  v.  Chr.

Alexander Jannai (Jonathan) Eroberungen von Städten, im Ostjordanland und im Golan

88 v. Chr.

Kreuzigung von 800 Pharisäern

76 – 67  v.  Chr.

Salome Alexandra (Schlomtzion) Königin

76 – 66 und 63 – 40  v.  Chr.

(Johannes) Hyrkanos II. Hohepriester

67 – 66  v.  Chr.

Erbfolgestreit zwischen Hyrkanos II. und seinem Bruder Aristobulos II.

63 v. Chr.

Pompejus erobert Syrien und Judäa

40 v. Chr.

Invasion der Parther in Syrien und Judäa, welche Antigonos, den Sohn von Aristobulos II., als Vasall einsetzen

40 – 37  v.  Chr.

Krieg zwischen Parthern/Antigonos und Römern/Herodes

Qumran

Beginn der Neubesiedlung Qumrans (Phase I)

2 Zeittafel    421 Allgemeine jüdische Geschichte

Qumran

37 – 4  v.  Chr.

Herodes der Große König von Judäa

31. v. Chr.

Verheerendes Erdbeben in Judäa

Beschädigung Qumrans durch Erdbeben?

Tetrarchen Herodes Archelaos: Judäa, Samaria, Idumäa Herodes Antipas: Galiläa, Peräa Philippos: Ituräa, Golan, Trachonitis

Zerstörung Qumrans durch Feuer? Wiederaufbau, Beginn von Phase II?

4 v. Chr. – 6 n. Chr. 4 v. Chr. – 34 n. Chr. 37 – 44  n.  Chr.

(Herodes) Agrippa I. König von Judäa

44 – 66

Judäa römische Provinz unter Prokuratoren

66 – 74

1. Jüdischer Aufstand

68

Zerstörung von Jericho durch römische Armee

70

Zerstörung des Tempels und Jerusalems

73/74

Eroberung Masadas

115 – 117

Jüdischer Aufstand in Ägypten, Libyen und Zypern

132 – 135

2. Jüdischer Aufstand unter Bar Kosba (Kokhba)

Zerstörung Qumrans Bau/Nutzung als römischer Wachposten (Periode III)

Qumran Periode IV

zwischen 188 und 217

Entdeckungen von Schriftrollen bei Jericho (Eusebios)

um 800

Entdeckungen von Schriftrollen (Timotheos I.)

frühes 10. Jahrhundert

Jaqub Qirqisani beschreibt die Magharier Genizahandschriften von CD und ALD Entdeckung der Geniza in Kairo

1903

Veröffentlichung des Nash-Papyrus

422    2 Zeittafel Allgemeine jüdische Geschichte Ende 1946 / Anfang 1947 29. November 1947

Qumran Beduinen entdecken Höhle 1

Abstimmung in der UNO zur Errichtung von zwei Staaten, Israel und Palästina

12. April 1948

Sukenik kauft in Bethlehem zwei Rollen (später noch eine dritte) Pressemitteilung über die Entdeckung der Qumranrollen durch die American School of Oriental Research

1947 – 1949

Unabhängigkeitskrieg Israels

7. 1. 1949

Waffenstillstand

Qumran, Rockefeller und die westlichen Forschungsinstitute unter Jordanischer Herrschaft

März 1950 dann 1951

Veröffentlichung von 1QIsaa und 1QpHab, dann 1QS

1951 – 1956 im Winter

Wissenschaftliche Ausgrabungen in Qumran und Ein Feshkha

November 1951

Beduinen entdecken Wadi Murabbaat

November 1951

Beduinen entdecken Höhle 2

März 1952

Suchexpedition: Forscher entdecken Höhle 3

September 1952

Beduinen entdecken Höhlen 4 und 6

Herbst 1952

Forscher entdecken Höhle 5

1952 1952 – 1960

Entdeckungen in Nahal Hever Scrollery, Roland de Vaux, Direktor der École biblique, Chefherausgeber von DJD Ankauf der von Beduinen gefundenen Fragmente

2 Zeittafel    423 Allgemeine jüdische Geschichte

Qumran

Juli 1954

Ankauf der Rollen des Metropoliten Samuel durch Israel

Februar – April 1955

Forscher entdecken Höhlen 7 – 10

Sommer 1955

Veröffentlichung von 1QM, 1QH und 1QIsab

Sommer 1955

Veröffentlichung von DJD 1

Februar 1956

Beduinen entdecken Höhle 11 Tempelrolle kommt zu Kando

Oktober 1956 – März 1957

Suezkrise

1958 – 1960 1963 – 1965

Konkordanz abgeschlossen Ausgrabungen in Masada

1965 5. – 10.  Juni 1967

Fragmente in Banksafe in Amman

DJD 4 6-Tage-Krieg

Qumran, das Rockefellermuseum (Fragmente), Kandos Antiquitätenladen (Tempelrolle) und die École biblique werden von Israel erobert

1977

Veröffentlichung der Tempelrolle (Yadin)

1984

Erste Vorstellung von 4QMMT durch Qimron und Strugnell

1990

DJD 8

Dezember 1990

Abberufung Strugnells als Hauptherausgeber von DJD infolge eines Interviews

1991 – 2009

Emanuel Tov Hauptherausgeber von DJD

424    2 Zeittafel Allgemeine jüdische Geschichte

Qumran

1991

Freigabe der PAMFotos der unveröffentlichten Fragmente durch die Huntingdon Library

1992

DJD 9

1992

Erste Gesamtübersetzung Textos de Qumran (Florentíno García Martínez)

1993

Veröffentlichung der Mikrofiche-Edition aller Fotos, auch der unveröffentlichten Fragmente

1997

DJD 20

2001

DJD 30

2009

DJD 40

September 2011

Online-Veröffentlichung von fünf Qumranrollen auf der Website des Shrine of the Book

Dezember 2012

Online-Veröffentlichung der PAM Fotos und neuer Fotos auf der Website des LeonLevy-Archivs der IAA

Sommer 2016

Beginn des Internetportals Scripta Qumranica Electronica zu den Texten vom Toten Meer

3 Glossar    425

3 Glossar

Für die mit ↑ bezeichneten besonders komplexen Termini empfehlen wir die Lektüre des jeweiligen Abschnitts des Lehrbuchs (s. Inhaltsverzeichnis). Abecedarium: Schreibübung mit Buchstaben in der Reihenfolge des Alphabets. Aggada, aggadisch: Erzählung von hebr. lehaggid, erzählen. Oft im Kontrast zu halakhisch, Halakha für eher erbauliche narrative Texte verwendet. Agrippa I.: Herodes Agrippa, Enkel von Herodes dem Großen, war ab 37 n. Chr. Tetrarch der Gaulanitis und Trachonitis und zwischen 41 und 44 n. Chr. auch König von Judäa und Samarien. Agrippa II.: Zum Zeitpunkt des Todes seines Vaters Agrippas I. 44 n. Ch. zu jung, um König zu werden. Nach dem Tode seines Onkels 48 n. Chr. als dessen Nachfolger König von Chalcis (im heutigen Libanon), dann auch der Gaulanitis und Trachonitis und schließlich auch von Tiberias und der Peräa. Auf Seiten der Römer während des jüdischen Aufstands. Akrostichon, akrostichisch: Text, bei dem man man aus den ersten Buchstaben einander folgender Abschnitte (z. B. Sätze oder Verse) ohne Veränderung der Reihenfolge das Alphabet, ein Wort, einen Namen oder einen ganzen Satz bilden kann. Aleppokodex: Ältester erhaltener (bis ca. 1947) vollständiger masoretischer biblischer Kodex (10. Jh.). Alexander der Große: König von Mazedonien und Eroberer des persischen Weltreiches. Lebte von 356 – 323 v. Chr. Alexander Jannai: König Judäas und Hohepriester (103 – 76 v. Chr.) aus der Dynastie der Hasmonäer, Sohn von Aristobulos I. und verheiratet mit Salome Alexandra. Alexandrinus: Griechische Bibelhandschrift aus dem 5. Jh. Allegorie, allegorisch: Erklärung eines Sachverhalts durch bildliche Rede. Amoräer, amoräisch: Rabbinische Gelehrte ab dem 3. Jh. Ihre Texte (Talmud, aggadische Midraschim sind auf – mit Hebräisch vermischtem – Aramäisch verfasst). Anachronismus, anachronistisch: griech. „Verwechslung der Zeiten“. Verwendung späterer Termini auf Objekte zu deren Zeit es diese Termini noch nicht gab. Anthologie, anthologisch: griech. „Blütenlese“. Zusammenstellung von verschiedenen Texten in einem Buch.

426    3 Glossar Antigonus Mattatias: König Judäas und Hohpriester (40 – 37 v. Chr.) in der Zeit der parthischen Herrschaft Judäas. Sohn von Aristobulos II. Antiochos IV. Epiphanes: Seleukidischer König, ca. 215 – 164 v. Chr. Apokalypse, apokalyptisch, Apokalyptik: ↑ Aquila: Besonders wortgetreuer Übersetzer der Hebräischen Bibel ins Griechische, ca. Anfang des 2. Jh. n. Chr. aramäische Kanzleischrift: Hauptschriftart für offizielle Korrespondenz im persischen Weltreich, aus der die jüdische Quadratschrift entstand. Archäometrie: Anwendung physikalischer, chemischer und biologischer Methoden auf antike Daten. Archelaos: Sohn Herodes des Großen aus vierter Ehe. Tetrarch und Ethnarch von Judäa, Idumäa und Samarien (4 v. Chr. – 6 n. Chr.), abgesetzt und nach Gallien verbannt. Sein Gebiet wurde bis zur Herrschaft Agrippas I. römische Provinz. Aristobulos I.: Hohepriester und erster König Judäas (104 – 103 v. Chr.) aus der Dynastie der Hasmonäer, Sohn von Johannes Hyrkanos I. und Vater von Alexander Jannai. Aristobulos II.: König Judäas und Hohepriester (66 – 63 v. Chr.) aus der Dynastie der Hasmonäer, Sohn von Salome Alexandra und Alexander Jannai und Bruder von Johannes Hyrkanos II. Bar Kosba (oft: Bar Kochba): Anführer des zweiten jüdischen Aufstandes gegen die Römer 132 – 135 n. Chr. Baraita, pl. Baraitot: (Angeblich) frühe Tradition, die in einem späten rabbinischen Text zitiert wird, aber nicht in der Mischna oder Tosefta steht. Beit Safafa: Heute ein arabischer Stadtteil im Südwesten von Jerusalem. Ben Ascher: Die bekannteste Familie der Masoreten. Buch Hagi (oder Hagu): Eine in mehreren jachadischen Texten erwähnte Schrift, deren Inhalt in der Forschung diskutiert wird. Bundeserneuerungszeremonie: Jährliche jachadische Zeremonie zur Neuaufnahme von Mitgliedern und zur Festigung der Gruppenidentität. 14C (oft C14 oder C14): Physikalische Methode, das Alter eines organischen Objektes mit Hilfe eines Vergleichs der Proportionen eines stabilen (12C) und eines radioaktiven Kohlenstoffisotops (14C) zu messen. Calamus: Schreibobjekt aus Schilfrohr. Cave of Horrors: Höhle im Nahal Hever (8Hev) mit Schriftrollen aus der Bar Kosba-Revolte. Cave of Letters: Höhle im Nahal Hever (5/6Hev) mit Schriftrollen aus der Bar Kosba-Revolte.

3 Glossar    427 Cave of the Pool: Höhle im Wadi Sdeir mit einem ausgehauenen Wasserbecken. Cave of Treasure: Höhle im Nahal Mishmar. Chanukka: Fest im Winter im Angedenken an die hasmonäische Reinigung des Tempels. Fehlt im jachadischen Kalender. Chasidäer: Jüdische Gruppe zu Beginn des Aufstands der Makkabäer. Chorvat Aqav: Ein großes befestigtes Landgut nordöstlich von Cäsarea, unweit von Chorvat Eleq. Chorvat Eleq: Ein Landgut 6 km nordöstlich von Cäsarea, unweit von Chorvat Aqav. Christentum: Jüdische Gruppe im 1. Jh., aus der sich eine eigenständige Religion entwickelt hat. Codex Leningradensis: Ältester vollständiger masoretischer Bibelkodex (1008 n. Chr.). Contra Apionem: s. u. Gegen Apion deuterokanonisch: Bücher der LXX oder der Vulgata, die sich nicht in der Hebräischen Bibel finden. Deuteronomium: 5. Buch Mose. Dio Chrysostomos: Griechischer Historiker und Philosoph (ca. 40 – 115 n. Chr.) aus Kleinasien. Erwähnt in einer verlorenen Schrift die Essener. Discoveries in the Judaean Desert (DJD), Discoveries in the Judaean Desert of Jordan (DJDJ): Offizielle Publikationsserie der großen Mehrzahl der Qumranfragmente. 40 Bände. distant join: Verbindung zweier Fragmente ohne direkten materiellen Kontakt. dorschei hachalaqot: hebr. „Die das Glatte suchenden“. Eine Insider-Bezeichnung für die Gelehrten der Gegner, die wohl auf einem Wortspiel mit Halakhot vs. Chalaqot basiert und ihnen unterstellt, nicht ernsthaft nach Halakha zu suchen. Doxologie, doxologisch: Formel zur Preisung Gottes. Dualismus: ↑ Efraim: Sohn des Erzvaters Joseph und Zwillingsbruder von Manasse. Jachadischer Codename für die Pharisäer. Ein el-Ghuweir: Oase, 15 km südlich von Qumran mit kleinem qumranähnlichen Friedhof. Emendation: Moderne Textkorrektur ohne Handschriftengrundlage aufgrund von inhaltlichen oder sprachlichen Argumenten.

428    3 Glossar Epigraphik: Inschriftenkunde. Epiphanios von Salamis: Kirchenvater im 4. Jh. Eschatologie, eschatologisch: gr. Lehre von den „letzten Dingen“ in einem Weltbild, das ein Ende der Welt vorsieht. Essener: Jüdische Gruppe, meist mit dem Jachad Qumrans identifiziert. Exegese: Auslegung eines Textes. Exodus: 2. Buch Mose. Formgeschichte, formgeschichtlich: Methode der historisch-kritischen Quellenanalyse, die in größeren Texten enthaltene Mikroformen nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden untersucht und ihre Vorgeschichte, Entwicklung und Intention erschließt. Frevelpriester: Priesterlicher Anführer der Gegner des Lehrers der Gerechtigkeit. Gegen Apion: Lat. Contra Apionem. Verteidigungsschrift (Apologie) von Josephus gegen antijüdische Anschuldigungen. Gemeindelieder: Die der Gemeinde zugeschriebenen Hymnen der Hymnenrolle. Generalversammlung (rabim): s. rabim. Genesis: 1. Buch Mose. Geniza: Abfallraum für alte Handschriften. Groningen-Hypothese: Von Adam van der Woude und Florentíno García-Martínez aufgestellte These zum Ursprung des Jachads in von den Essenern abgespaltenen apokalyptischen Kreisen. Halakha: Jüdisches Recht. Hekhalot: hebr. wörtlich „Paläste“. Bezeichnung für ein Genre jüdischer mystischer Literatur. Hermeneutik: Auslegungsmethode. Herodes Antipas: Seit dem Tode Herodes des Großen (4 v. Chr.) bis zu seiner Verbannung nach Südgallien (39 n. Chr.) Tetrarch von Galiläa und Peräa. Gründer von Tiberias. Unter ihm wurde um 28 n. Chr. Johannes der Täufer hingerichtet. Herodes der Große: Gegenkönig Judäas von Roms Gnaden gegen Antigonus Mattatias (40 – 37 v. Chr.) und nach dessen Exekution erster nachhasmonäischer König Judäas 37 – 4 v. Chr. Sohn eines Idumäers und eine Nabatäerin. Hexapla: Sechsspaltige Bibelausgabe des Origenes, die hebr. Urtext mit griech. Transkription und vier griech. Übersetzungen (LXX, Aquila, Symmachus, Theodotion) zum Vergleich nebeneinanderstellt.

3 Glossar    429 Hiam el-Sagha: Ort nördlich vom Wadi Murabbaat mit kleinem qumranähnlichem Friedhof. in situ: lat. „am Platz“ – am ursprünglichen Ort entdecktes archäologisches Objekt. Infrarotfotos: Bildtechnik, die es ermöglicht, bei verfärbten Pergamenten die Tinte auf Fotos deutlich vom Hintergrund zu unterscheiden, da die Tinte das Licht verschluckt, gedunkeltes Pergament hingegen das Licht reflektiert. Inspektor: s. mevaqer. intersacerdotium: Periode ohne Hohepriester zwischen 159 und 152 v. Chr. Jachad, jachadisch: Selbstbezeichnung der Besitzer der Schriftrollensammlung. Jehuda: Sohn des Erzvaters Jakob und Bruder des Joseph. Jachadischer Codename für den Jachad / die Essener. johanneische Schule: Autoren, die theologisch dem Autor des Johannesevangeliums nahestehen. Johannes Hyrkanos I.: Hohepriester und Herrscher Judäas (134 – 104 v. Chr.) aus der Dynastie der Hasmonäer, Sohn von Simon Thassi und Vater von Aristobulos I. Johannes Hyrkanos II.: König Judäas (67 – 66 v. Chr.), Hohepriester (76 – 66 und 63 – 40 v. Chr.) und als Vasall Roms Ethnarch Judäas (63 – 40 v. Chr.) aus der Dynastie der Hasmonäer, Sohn von Salome Alexandra und Alexander Jannai und Bruder von Aristobulos II. Jonathan „Apphus“: Nachfolger von Judas Makkabäus als Anführer der jüdischen Partei gegen die Seleukiden und Hohepriester seit 152 v. Chr. durch Ernennung von Alexander Balas. Jonathan wurde 143 v. Chr. ermordet. Josephus: Jüdischer General und Historiker. Ca. 37 – 100 n. Chr. zunächst in Judäa, dann in Rom. Judas „Makkabäus“: Anführer des jüdischen Aufstandes gegen die Seleukiden. Getötet 160 v. Chr. kaige-Rezension: Revision der LXX, die sie stärker an den (Proto-) Masoretischen Text angleicht und hebr. gam (auch) unidiomatisch mit griech. kai ge wiedergibt, um es von hebr. we (und) = griech. kai zu unterscheiden. Kando: Antiquitätenhändler in Bethlehem, der als Mittelsmann die Rollen und Fragmente von den Beduinen ankaufte und den Forschern weiterverkaufte. Kanon, kanonisch: ↑ Kanonisierung: Prozess der Kanonsbildung.

430    3 Glossar Ketef Jericho: arab. Wadi el-Mafjar, etwa 1 km westlich von Jericho, mit Höhlen, in denen u. a. auch Schriftrollen entdeckt wurden. Khirbet: arab. „Ruine“. Khirbet el-Muraq: „Hilkias Palast“. Villa 12 km westlich von Hebron. Khirbet Mazin: Auch Qasr al-yahud. Anlegestelle 5 km südlich von Qumran. Khirbet Mird: Arabischer Name für die Ruine eines Klosters in der ehemaligen Festung Hyrkania etwas westlich von Qumran, in der viele Texte aus der byzantinischen und arabischen Zeit gefunden worden sind. Khirbet Qazone: Großer nabatäischer Ort am Südostufer des Toten Meeres mit großem Friedhof, der gewisse Ähnlichkeiten zum Friedhof bei Qumran aufweist. Kodikologie: Wissenschaft der Buchkunde, die sich mit den materiellen Aspekten des Buches befasst (Beschreibstoff, Bindung, Schreibstoff, Layout). Konkordanz: Tabelle, die für jedes Wort eines Textes alle Stellen in diesem Text auflistet, ggf. mit dem Wort in seinem Kontext. Kosmologie: Theorie über die Gestaltung der Welt. Krugform, eiförming, oval: Krug aus Periode I. Krugform, zylindrisch: Krug aus Periode II. kryptisch: griech. „geheim, verborgen“. In der Qumranologie bezeichnet es die qumranspezifische Geheimschrift. Lehrer der Gerechtigkeit: Führerfigur des Jachad aus der Gründungszeit. Lehrerlieder: Die dem Lehrer zugeschriebenen Hymnen der Hymnenrolle. Levitikus: 3. Buch Mose. locus: Bezeichnung eines mit einer Identifizierungsnummer versehenen Abschnittes einer archäologischen Ausgrabung. Lügeneinträufler: Anführer der Gegner des Lehrers der Gerechtigkeit. LXX: s. Septuaginta. Magharier: Jüdische Gruppe in mittelalterlichen arabischen Sektenkatalogen, die ihren Namen „Höhlenmenschen“ nach ihren in Höhlen gefundenen Schriften erhielt. Manasse: Sohn des Erzvaters Joseph und Zwillingsbruder von Efraim. Jachadischer Codename für die Sadduzäer. Masada: Große Festung auf dem Bergplateau am Westufer des Toten Meers, ca. 55 km südlich von Qumran. Auch hier wurden Schriftrollen aus der Zeit vor der Tempelzerstörung gefunden. maskil: „Unterweiser“, „Ausbilder“ oder „Lehrmeister“ des Jachad.

3 Glossar    431 Masoreten: Spezialisten für textgetreue Kopien der Bibel im frühmittelalterlichen Tiberias, die ein besonderes (masoretisches) Kopier- und Kommentarsystem entwickelt haben, das die textgetreue Überlieferung garantiert. Masoretischer Text (MT): Vokalisierter Text der Hebräischen Bibel aus den Schreibstuben der Masoreten, der bis heute der Standardtext geblieben ist. material join: Verbindung zweier Fragmente mit direktem materiellen Kontakt. mevaqer: Hoher Funktionsträger im Jachad, etwa mit Inspektor zu übersetzen. Midrasch: Rabbinische Bibelkommentare. Es gibt halakhische Midraschim aus der tannaitischen Zeit und verschiedene Arten von aggadischen Midraschim aus der amoräischen Epoche. Mikve: Jüdisches Ritualbad. moralische Unreinheit: ↑ multispektrale Digitalfotografie: Bildtechnik, bei der mehrere Fotos von einem Objekt mit Licht jeweils nur einer einzigen Wellenlänge übereinandergelegt werden. Mit Computertechniken kann dann z. B. bei Palimpsesten manchmal die untere Schreibschicht von der oberen getrennt werden. Mystik: ↑ Nabatäer, nabatäisch: Arabischsprachiges Volk, besonders aktiv im internationalen Handel, mit einem Reich im Osten und Süden des Toten Meeres mit der Hauptstadt Petra. Nahal Hever: Wadi ca. 38 km südlich von Qumran mit Höhlen (u. a. Cave of Letters) mit Schriftrollen aus der Bar Kosba Revolte. Nahal Mishmar: arab. Wadi Mahras, ca. 33 km südlich von Qumran mit Höhlen (u. a. Cave of Treasure) mit Funden aus der Kupfersteinzeit und der Bar Kosba-Revolte, darunter auch Dokumente. Nahal Tseelim: arab. Wadi as-Seyal, Wadi 5 km nördlich von Masada mit Höhlen mit Schriftrollenfunden aus der Bar Kosba-Epoche. Nash Papyrus: Bis zu den Qumranrollen älteste bekannte hebräische Handschrift. Neuer Bund im Lande Damaskus: Selbstbezeichnung der Besitzer der Schriftrollensammlung in der Damaskusschrift. Neutronenaktivierungsanalyse (NAA oder INAA): Physikalische Analyse, die Informationen über die Spurenelemente des Objektes (z. B. Keramik) herausfinden kann. Diese Informationen können dann wiederum mit Datenbanken über andere Analyse-Ergebnisse abgeglichen werden und manchmal die geographische Provenienz des Materials enthüllen.

432    3 Glossar Numeri: 4. Buch Mose. Numismatiker, numismatisch: Spezialist für Münzen. Oberinspektor: Hoher Funktionsträger in der Gruppe der Damaskusschrift. Origenes: Kirchenvater in der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts. Ostrakon, pl. Ostraka: Beschriftete Tonscherbe. Paläographie, paläographisch: Kunst der Entzifferung alter Schriften, die versucht aus der Schrift Rückschlüsse auf Datierung, Lokalisierung, Zuschreibung an eine Schule, etc. zu ziehen. Paläohebräisch: In der Periode des Ersten Tempels übliche Schriftart für hebräische Texte. Aus dem Phönizischen entwickelt. Im Zweiten Tempel wenig gebraucht. Palimpsest: Rolle oder Kodex, bei dem der ursprüngliche Text abgerieben worden ist, um die Rolle oder den Kodex mit einem anderen Text neu zu beschreiben. PAM-Fotos: Fotos von Qumranrollen und -objekten des Fotographen des Palestine Archaeological Museum. Pandekt: Kodex, der alle oder nahezu alle Schriften der Bibel zwischen zwei Buchdeckeln vereint (s. Alexandrinus, Sinaiticus, Vaticanus). Papyrus: Aus Papyrushalmen gewonnener Beschreibstoff. paqid: Ein Funktionsträger des Jachad. para-jachadisch: Begriff zur Bezeichnung von Texten, die Elemente mit jachadischen Texten gemein haben, ohne dass eine Zuschreibung an jachadische Autoren sicher ist. Parther: Iranisches Volk, das nach und nach die östlichen Provinzen des seleukidischen Reiches, Mesopotamien und im Jahre 40 v. Chr. sogar Judäa eroberte und so ein Weltreich errichtete, bis es um 224 n. Chr. von den Sassaniden abgelöst wurde. Pentateuch: Die fünf Bücher Mose. Pergament: Durch Spannen aus Tierhaut gewonnener Beschreibstoff. Pescher: Typologischer Textauslegungstyp, bei dem Worte als Code für Personen und Ereignisse in der Gegenwart des Auslegers gedeutet werden. Pharisäer: Jüdische Gruppe in hellenistisch-römischer Zeit. Philippos: Tetrach der Gaulanitis (Golan) und Trachonitis (Nordjordanien) 4 v. Chr. – 34 n. Chr. Sohn von Herodes dem Großen aus fünfter Ehe. Selbst kinderlos. Philon von Alexandrien: Jüdischer Philosoph aus Alexandrien. Ca. 25 v. Chr.  – 50 n. Chr.

3 Glossar    433 Plinius der Ältere: Römischer Gelehrter, Politiker und Offizier. Autor einer umfangreichen Naturkunde. Kam beim Ausbruch des Vesuvs 79 n. Chr. ums Leben. Polyglotte: Bibelausgabe, die Bibeln in mehreren Sprachen (z. B. Hebräisch, Syrisch, Griechisch, Lateinisch) tabellarisch nebeneinanderstellt. Pompejus: Gnaeus Pompejus Magnus (106 – 48 v. Chr.). Römischer Feldherr und Politiker, der 63 v. Chr. Judäa eroberte. präsamaritanisch: Hebräischer Bibeltext, der große texttypologische Ähnlichkeiten zum Samaritanischen Pentateuch aufweist, ohne die gruppenspezifischen samaritanischen Zusätze zu kennen. präseptuagintisch: Hebräischer Bibeltext, der große texttypologische Ähnlichkeiten zur vermuteten Vorlage der Septuaginta aufweist. Prinz der Finsternis / Belial / Melkirescha beherrscht: Anführer der bösen Engelsmächte. Prinz des Lichts / Michael / Melkizedek: Anführer der guten Engelsmächte. protomasoretisch: Hebräischer Bibeltext, der große texttypologische Ähnlichkeiten zum Masoretischen Text aufweist. Pseudepigraph, pseudepigraphisch: Wörtlich „Fälschlich zugeschriebene Schriften“. Antike jüdische Schriften, die keinem anderen Korpus (Bibel, Philon, Josephus, Neues Testament) zugehören. In diesem Buch schließt dies Schriften, die sich im äthiopischen Kanon befinden (z. B. 1. Hen.) aus. Ptolemäer: Dynastie der Nachfolger Alexander des Großen für Ägypten und Zypern. Purim: Fest im Frühjahr basierend auf der Legende von der Errettung der Juden Persiens. Fehlt im jachadischen Kalender. Qumranorthographie: Theorie von Emanuel Tov zur Unterscheidung von Handschriften aus der Schreibstube Qumrans aufgrund von orthographischen Konventionen. rabim: Ein Gremium, das in etwa der Generalversammlung der Mitglieder des Jachad entsprochen haben mag. Radiokarbon: Physikalische Methode, das Alter eines organischen Objektes zu messen. Redaktionsgeschichte: Methode der historisch-kritischen Quellenanalyse, die aus den Änderungen, die ein Redaktor eines Textes an seinen Quellen vorgenommen hat, Rückschlüsse auf seine Intention, seinen Hintergrund und sein Lesepublikum zieht. Reflectance Transformation Imaging (RTI): Bildtechnik, bei der mehrere Bilder mit Licht, das aus verschiedenen Richtungen kommt, übereinandergelegt werden. Der Benutzer kann dann am Bildschirm die Belichtungsrichtung nach Belieben verändern und so in Versenkungen

434    3 Glossar verborgene Details dreidimensionaler Objekte, vor allem Inschriften, besser studieren. Reworked Pentateuch: Handschriften zu einem der Bücher Mose, die einen überarbeiteten Text aufweisen. Rewritten Bible, Rewritten Scripture: Texte, die Schriften der Bibel so stark überarbeiten, dass sie neue Kompositionen darstellen. Rewritten Scripture ist dabei weniger anachronistisch als Rewritten Bible. rituelle Unreinheit: ↑ Röntgenfluoreszenzspektroskopie: Technik, bei der Röntgenstrahlen auf ein Objekt gesandt werden und durch die reflektierte Fluoreszenz Informationen über die chemischen Elemente an diesem Ort preisgeben. RTI: s. Reflectance Transformation Imaging. Rubrik: Von lat. ruber = rot. Bezeichnung für die Ausführungsanweisungen in einem liturgischen Text. Rujm el-Bahr: Befestigte Anlegestelle nordöstlich von Qumran. Sadduzäer: Jüdische Gruppe in hellenistisch-römischer Zeit. Salome Alexandra: Königin Judäas (76 – 67 v. Chr.), Frau von Alexander Jannai, Mutter von Johannes Hyrkanos II. und Aristobulos II. Samaritaner, samaritanisch: JHWH verehrende Gruppe, die das Heiligtum auf dem Berg Garizim bei Sichim/Samaria/Sebaste zum Zentrum hat und bis heute existiert. Samaritanischer Pentateuch (SP): Pentateuch der Samaritaner. Schabbat: Wöchentlicher Ruhetag (Sabbat). Schavuot: Fest, ca. 7 Wochen nach Pessach im Frühsommer, im Jachad mit Fokus auf die Bundeserneuerungszeremonie. Schriftregister: Schreiber haben unterschiedliche Register, in denen sie ihre Arbeiten ausführen, in unserem Fall vor allem Kursivschrift für Dokumente, Buchschrift für literarische Texte. Beide Register können je nach Fähigkeiten und Intention mehr oder weniger kalligraphisch ausgeführt werden. Scriptorium: Schreibstube in spätantiken und mittelalterlichen Klöstern. Scrollery: Bezeichnung für den Arbeitsraum der Editoren in den 50er Jahren im Rockefeller-Museum. Seleukia Ktesiphon: Doppelstadt aus Seleukia und Ktesiphon am Tigris ca. 30 km südöstlich von Bagdad. Erstere war bis zu ihrer Eroberung durch die Parther Mitte des 2. Jh. v. Chr. eine der beiden Hauptstädte des seleukidischen Reiches (die andere war Antiochia am Orontes im heutigen Nordwestsyrien). Letztere (auf dem Seleukia gegenüberliegenden Ufer) war eine der Hauptstädte des Partherreiches und des Sassanidenreiches bis zur Eroberung durch die Araber ca. 638.

3 Glossar    435 Seleukiden: Dynastie der Nachfolger Alexander des Großen für Syrien und Mesopotamien. Septuaginta (LXX): Griechische Übersetzung der Bücher der Hebräischen Bibel durch Juden zwischen dem 3. Jh. v. Chr. und dem 1. Jh. n. Chr.mit Einschluss einiger direkt auf Griechisch verfasster Schriften. Shapira-Fragmente: Mit dem Deuteronomium verwandte Lederfragmente in paläohebräischer Schrift, die Moses Shapira Ende des 19. Jahrhunderts an unterschiedliche Sammlungen zu verkaufen versuchte. Ihre Authentizität ist umstritten. Damals wurden sie für Fälschungen gehalten. Simon „Thassi“: Bruder und Nachfolger von Jonathan Apphus als Anführer der jüdischen Partei gegen die Seleukiden, Hohepriester 143 – 134 v. Chr., Vater von Johannes Hyrkanos I. und daher eigentlicher Begründer der hasmonäischen Dynastie. Sinaiticus: Griechischer Pandekt aus dem 4. Jh. Sobriquets: Codenamen des Jachads für Personen und Gruppen ihrer Zeit. Stemma: griech. „Stammbaum“. Rekonstruktion der Verwandtschaftsverhältnisse von Handschriften. Strafkatalog: Abschnitt zu Strafregelungen für bestimmte Vergehen, der sowohl in der Gemeinderegel als auch in der Damaskusschrift erscheint. Stratigraphie: Schema der unterschiedlichen Schichten in einer archäologischen Ausgrabung. Survey Caves: Höhlen am Nordwestufer des Toten Meeres, die von Archäologen auf Gegenstände untersucht wurden, in denen aber zumeist keine Schriftrollen gefunden wurden. Symmachos: Stilgerechter Übersetzer oder Übersetzergruppe der Hebräischen Bibel ins Griechische. Ta‘amire: Beduinenstamm, dessen Mitglieder die Rollen zuerst entdeckten. Talmud: Amoräischer Kommentar zur Mischna unter Aufnahme vieler Dikta der Tosefta. Es gibt einen palästinischen und einen babylonischen Talmud. TaNaKh: Bezeichnung für die Hebräische Bibel aus einem Akronym der Anfangsbuchstaben ihrer drei Teile: „Torah“, „Neviim“ (= Propheten), „Ketuvim“ (= Schriften). Tannaiten, tannaitisch: Rabbinische Gelehrte bis zum 3. Jh. Ihre Texte (Mischna, Tosefta, halakhische Midraschim sind auf Hebräisch verfasst). Targume: Aramäische Übersetzungen der Texte der Hebräischen Bibel. Taylor-Schechter (T.-S.): Sammlung von Genizafragmenten in der Cambridger Bibliothek.

436    3 Glossar terminus a quo / terminus post quem: lat. a = „von“, lat. post = „nach“. Zeitpunkt, nach dem ein Text verfasst oder kopiert worden sein muss. terminus ante quem / ad quem: lat. ante = „vor“, lat. ad = „bis“. Zeitpunkt, vor / bis zu dem ein Text verfasst oder kopiert worden sein muss. Tetrarchen: Die drei Söhne von Herodes dem Großen, Philippos, Herodes Antipas und Archelaos, die unterschiedliche Gebiete als Herrschaftsbereiche erhielten (s. Karte). Textkritik: Methode der Textanalyse, die versucht, aus einem Vergleich verschiedener Handschriften Rückschlüsse auf die Gründe ihrer Unterschiede zu ziehen, ihre Verwandtschaften zu rekonstruieren (Stemma) und so einen Urtext zu erstellen. Theodotion: Wortgetreuer Übersetzer oder Übersetzergruppe der Hebräischen Bibel ins Griechische. Therapeuten (therapeutai): Jüdische Gruppe in Ägypten. Tierknochendepots: Zahlreiche, an verschiedenen Loci der Qumransiedlung gefundene Tontöpfe mit Tierknochen. Timotheos I. von Seleukia Ktesiphon: Katholikos (Patriarch der Kirche des ehem. persischen Reiches) um 800 n. Chr. Tosefta: Frühe rabbinische Rechtsspruchsammlung mit der gleichen Struktur wie die Mischna. Triklinium: Mit Liegen ausgestattetes Esszimmer in einer römischen Villa. Vaticanus: Griechischer Pandekt aus dem 4. Jh. Wadi Daliyeh: Wadi 14 km nördlich von Jericho in Samarien, in dem Höhlen mit Funden aus dem 4. Jh v. Chr. entdeckt worden sind. Wadi Murabbaat: Wadi westlich des Toten Meeres, ca. 18 km südlich von Qumran, mit Höhlen aus der Bar Kosba-Revolte. Wadi Sdeir: hebr. Nahal David. Wadi bei Ein Gedi, mit Höhlen, in denen Schriftrollen gefunden worden sind (verm. Cave of the Pool). Weisheitsliteratur, weisheitliche Literatur, weisheitlich: ↑ XRF: s. Röntgenfluoreszenzspektroskopie. Zeloten: Jüdische Gruppe zur Zeit des ersten jüdischen Aufstandes gegen die Römer 66 – 74  n.  Chr. Zweigeisterlehre: Abschnitt in der Gemeinderegel, der aus der dualistischen Gegenüberstellung zweier Geister ein Menschen- und Weltbild erstellt.

Quellenverzeichnis

1.  Hebräische Bibel

Genesis  152, 179, 186 1,1 – 2  219 1,14 – 19  226 5,21 – 24  225 6,1 – 4  185, 224, 225 12,10 – 20  217, 219 22,2 219 27,19 219 34 – 37  226 Exodus  179, 186 20,21 SP 233 26,35.36 207 30,1 – 10  207 Leviticus  179, 186 19,23 – 25  385 23,15f 292 23,39 – 24,2  209 25,13 229 27,2 – 3  221 Numeri  179, 186 1,52 221 6,24 – 26  286f 19 390 Deuteronomium  179, 186 1,15 221 15,2 229 17,18 220 24,1 – 4  217 27 – 28  168 Josua  179, 187 Richter  179, 187 1. Samuel  153, 179 8,11 – 12  220 11,2 207 2. Samuel  153, 179 10 : 1 – 1. Kön. 2 : 11  194 24 207

1. Könige  152f, 179 21 – 2. Kön. 25.  194 Jesaja  179, 186 9,13f 229 40,3  215, 330 53,11  198, 259 61  229, 326 Jeremia  179, 186, 204 7,30 – 8,3  200f 10,6 – 8.10  204 26 – 31 LXX 204 31,31 256 32,14  10, 32 44 – 51  204 51,1 – 30 LXX 204 51,31 – 35 LXX 204 Ezechiel  179, 186 1 223 2,10 34 4,5 276 37  155, 223 40 – 48  185, 323 40,46 83 Zwölfprophetenbuch  179, 186 Hosea 10,12  272 Joel 2,23  272 Nahum 3,8 – 10  222 Malachi 1,10  183 1. Chronik  153, 179, 188 24,7 67 24,17 – 19  291 2. Chronik  153, 179, 188

438    Quellenverzeichnis Psalmen  179, 186 55,17f 355 82,1 – 2  229 103,1 155 104,1 155 145 161 148 365 151  180, 206 152 – 155  180 150 (Peschitta)  165, 206 151 (Peschitta)  206 Job  153, 179, 186 Proverbien 179 26,27 340 Hohelied 178 Kohelet  178, 201 1,7 340

8,1 228 10,10 340 Esther  180, 188, 201 Dan.  153, 179, 186, 227 Dan. 2,31 – 45  185 Dan. 4  227 Dan. 4,3  228 Dan. 6,11  355 Dan. 7  185 Dan. 9  277 Dan. 11,33  259, 261 Dan. 11 – 12  253 Esra  153, 179, 188 Nehemia  153, 179, 188 10,35 208

2.  Apokryphen und Pseudepigraphen Aristeasbrief  177, 201 1. Baruch 1,3 223 Apokalypse Baruchs (= 2. Bar. o. syr. Bar. )  178, 180

83 – 90  186, 224 91 – 108  224 91,11 – 17  224, 270 92 – 105  224 93,1 – 10  224f 106 – 107  224

Epistel Baruchs 180

2. Henoch 157 51,4 356

4. Baruch 180

Epistel Jeremias  180, 223

Zusätze zum Buch Daniel  180

Jub.  152, 157, 160, 178, 180, 186, 188, 208 – 210 1,1 218 2,17 – 32  295 2,2 219 6,22 222 8,8 – 9,15  219 10,27 – 34  219 13,11 – 13  219 15,1 – 3  218 17,15 – 18,19  219 21,24 271 23,16.26 271 26,13 219

3. Esra 180 4. Esra  178, 180 14,42 – 46  181 Zusätze zum Buch Esther  180 1. Henochbuch  157, 178, 180, 188, 224 – 226 1 – 36  153, 185f, 224 37 – 71  224 72 – 82  224, 289

Quellenverzeichnis    439 30,12 222 44,1 – 5  218 50,6 – 13  295

1. – 3. Meqabyan 180

Judith  180,188

Psalmen Salomos  83, 178, 180 17  76, 323

1. Makkabäer  177,180,188 1,41 – 67  67 2,42 76 7,10 – 14  76 13 – 15  68 2. Makkabäer  177, 180 5,7 67 5,11 – 23  67 6,1 – 9  67 10 67 12 – 13  68 14,6 76

Gebet des Manasse  178, 180

Sirach  14, 129, 153, 177f, 180, 341 Vorwort 181 1,14 – 26  341 3,21 – 24  344 6,34 – 37  341 10,30f 342 51,13 – 30  206 51,23 215 Testamente der Zwölf Patriarchen  178, 306, 337

3. – 4. Makkabäer 180

Tobit  177, 180, 186, 187

4. Makkabäer  18,10 181

Weisheit  177, 180 6,1 – 5  340

3. Qumran Damaskusschrift  239 – 243 CD A (=T.-S. 10 K 6) i 1 – 10  270 i 10 – 13  272 i 13 – 20  274f ii 5 – 8  309 ii 9 – 10  312 iii 12 – 16  288, 314 iii 19 – iv 4  270 iii 21  183 iv 1.3  83 iv 12 – 14  315 iv 12 – 19  232 iv 15  183, 227 v 17 – 19  309 v 20 – vi 11+ 4Q264 3 ii  272f vi 12 – 13  183 vi 19  256 vii 6 – 7  257 viii 15 – 18  182 viii 20 – 21  183, 256 ix 2 – 8  386 ix 16 – 20  287

x 4 – 9  259 x 6  184 x 14 – 17  387 x 14 – xi 18  295 xi 13f  332 xi 18 – 21  299 xii 3 – 6  295 xii 15 – 17  80 xii 22 – xiv 18  257 xiii 2  184 xiv 1 – xv 17  257 xiv 3 – 23  258 xiv 6 – 8  184 xv 5f  284 xv 10 – 15  257 xv 12 – xvi 1  284 xvi 1 – 5  183 xvi 3  219 CD B (=T.-S. 16 309) xix 9 – 11  315 xx 12  256 xx 13 – 15  275

440    Quellenverzeichnis 1Q7 Sam  207 1QIsaa  11, 28, 198 XII, XVI 30 1QIsab (=1Q8)  10, 18, 28, 198 1Q14 pMic  184 1Q15 pZeph  184 1QpHab Habakukpescher 28, 184 I 16 – II 10  231 I 16– II 4  275 II 7 – 10  273 V 1.6  230 VI 3 – 5  280 VII 1 – 5  229, 273 VII 5 – 14  230, 276 VII 11  77 VIII 1 – 3  273 VIII 8 – 13  279 IX 1 – 2.9 – 12  280 XI 3 – 8  288f XI 8 – 15  280 XII 7 – 9  299 XIII 1 – 4  315 1Q16 pPs  184 1Q17 – 1Q18 Jubiläenbuch 218f 1QGenAp (=1Q20) Genesisapokryphon  28, 142 xix 14 – 21  217 xx 2 – 8.17 – 18  218 1Q23 Buch der Giganten 226 1QS (=1Q28) Gemeinschaftsregel  28, 32, 34, 159, 243 – 249 I 1 – 3  182 I 1 – 11  308 I 9 – 13  80, 261 I 16 – 18  314 I 16 – II 18  285 II 2 – 4  286f II 18 – 24  293 II 19 – 21  260 II 22  259 II 26 – III 6  302 III 2  80, 260 III 13 – IV 26  261 III 15f  80 III 16 – IV 346 III 17 – 23  308 III 20 – 25  80 IV 6  80

IV 12  80 IV 15 – 17  313 V 1  216 V 1 – 3  80, 260 V 2.9  83 V 7 – 13  285 V 10 – 20  261 V 13 – 14  296, 302 V 20 – 25  260, 285 V 23 – 25  293 V 24 – VI 1  287 VI 1 – 23  260 VI 2 – 8  296 VI 4 – 5  80 VI 6 – 8  214, 298 VI 10 – 13  80 VI 12.20  80 VI 13 – VII 14  258 VI 13 – 23  80, 261, 285 VI 16 – 23  296, 302 VI 17 – 21  80 VI 24  215 VI 24 – VII 25  80, 262, 384 VI 24 – 25  297 VII 13  80 VIII 1 – 5  262 VIII 4 – 6  299 VIII 11f  314 VIII 15f  215 IX 3 – 6  300 IX 5 – 7  260 IX 11  315 IX 12 – 16  293 X 1 – 3.9 – 10  294 XI 4 – 9  375 XI 9 – 15  334f XI 10 – 11  313 1QSa (1Q28a) Gemeinderegel I 2  83 I 7  184 I 6 – 9  284 II 3 – 9  332 II 17 – 22  296 II 11 – 14  315 II 11 – 22  297 1QSb (1Q28b) Segenssprüche des Unterweisers 248f

Quellenverzeichnis    441 1Q29a Zweigeisterlehre 247 1QHa Hymnenrolle  28, 51, 134, 141, 151 VI 19 – 27  310 IX 9 – 11  313 XI 21 – 24  305, 365 XIX 10 – 12  313 XIX 13 – 17  306, 316, 365 XXV – XXVI 52 1QM Kriegsregel  28 I 5f  315 VII 6 – 7  142 IX 14 – 16  306 XII 1 – 8  306 2Q2 Exoda 201 2Q12 Jer  205 2Q14 Ps  367 2Q19 – 2Q20 Jubiläenbuch 218f 2Q26 Buch der Giganten 226 3Q4 pIsa  164 3Q5 Jubiläenbuch 218f 3Q9 Sectarian Text 164 3Q15 Kupferrolle  16, 28, 34, 125, 136, 154, 163 VI 1 – 6  163 4Q3 Genc 51 4Q4 Gend 196 4Q9 Genj 51 4Q13 Exodb 201 4Q15 Exodd 196 4Q22 paläoExm 207f 4Q27 Numb  34, 198, 367 4Q29 Deutb 201 4Q44 Deutq 196 4Q51 Sama  151, 198, 207 4Q70 Jera  45, 198, 200, 201 4Q71 Jerb 204 4Q72 Jerc 205 4Q72a Jerd 205 4Q88 Psf 206 4Q89 Psg 196 4Q90 Psh 196 4Q106 Canta 196 4Q109 Qoha 202 4Q116 Dane 227 4Q119 LXXLeva 234 4Q120 papLXXLevb 234

4Q121 LXXNum 234 4Q122 LXXDeut 234 4Q127 papparaExod gr  234 4Q156 tgLev  234 4Q157 tgJob  234 4Q158 Reworked Penta­ teucha 208 4Q160 VisSam  185 4Q161 – 4Q165 pIsaa–e 184 4Q166 – 4Q167 pHosa – b 184 4Q168 pMic ?  184 4Q169 pNah  184, 268, 266 – 269 4Q170 pZeph  184 4Q171 pPsa  77, 167, 184, 280 4Q173 pPsb 184 4Q174 Flor=MidrEschata 315 4Q175 Test  28, 29, 184, 233 4Q176 Tanhumim  232 4Q176a Jubiläenbuch 218f 4Q180 AgesCreat A  307 4Q181 AgesCreat B  307 4Q182 Catena B =Midr­ Eschatc ? 183 4Q183 MidrEschate? 232 4Q186 Horoscope  310, 346f 4Q201 – 4Q207 Ena–f ar  224 4Q203 Buch der Giganten 226 4Q206a Buch der Giganten 226 4Q208 – 211  Enastra–d ar  224 4Q212 Eng ar  225 4Q213 Levia ar  51, 226 4Q213a Levib ar  51, 226 4Q213b Levic ar  51, 226 4Q214 Levid ar  51, 226 4Q214a Levie ar  51, 226 4Q214b Levif ar  51, 226 4Q216 – 4Q224 Juba – h 218f 4Q225 – 4Q227 psJuba–c 185 4Q228 Text with a Citation of Jub  184, 219 4Q230 Catalogue of Spirits  306 4Q235 unid. nabat. Text  154 4Q243 psDana ar  227 4Q244 psDanb ar  227 4Q245 psDanc ar  227 4Q246 Apokryphon Daniels bzw. »Son of God«  227, 324f, 337 4Q249 Midrasch {Sefer} Mosche  32, 34, 52, 215 4Q248a – i Gemeinderegel 249

442    Quellenverzeichnis 4Q251 Halakha A  295 4Q252 Genesiskommentar A  152, 315 4Q252 – 4Q254a  184 4Q253a Malachikommentar  184, 233 4Q255 – 264  = 4QSa – j 244 4Q256 = 4QSb 216 4Q258 = 4QSd  157, 215f 4Q265 Miscellaneous Rules / 4QSerekh-Damaskus  248, 333 4Q266 – 4Q273  = 4QDa–h  239 – 243 4Q266 = 4QDa  216, 258, 287, 292, 309 4Q270 = 4QDe  216, 258, 259, 262, 293 4Q271 = 4QDf 259 4Q274 Toharot A  152, 296, 302, 384 4Q276 – 278  Toharot Ba, Bb, C  152, 384 4Q280 Curses  247 4Q284 Purification Liturgy  365 4Q284a Harvesting  384 4Q285 sefer hamilchama  23, 315, 332 4Q286 Berakhota  36f, 50, 254, 307 4Q286 – 4Q290  Berakhota–e  254 4Q298 Words of the Maskil to all Sons of Dawn  261, 285, 308 4Q299 – 4Q300 Mysta–b 343 4Q301 Mystc? 343 4Q313 cryptA MMTg? 166 4Q317 (»4Q cryptA Lunisolar Calendar«)  288, 348 4Q318 Zodiology and Brontology ar 347f  4Q319 Otot  245 4Q320 – 4Q330  288, 349, 291 4Q324d – f, h – i  349 4Q334 Ordo  364 4Q339 / Liste Falscher Propheten 233 4Q342 – 4Q361  153 4Q364 Reworked Pentateuchb 208 4Q365 Reworked Pentateuchc 208f 4Q365a T?  220

4Q366 Reworked Pentateuchd 208 4Q367 Reworked Pentateuche 208 4Q368 Apokrypher Pentateuch A 208 4Q370 Admonition of the Flood  130, 132 4Q377 Apokrypher Pentateuch B 208 4Q378 – 4Q379  Apokryphon Josuas 185 4Q383 Apokryphon Jeremias A 185  4Q384 Apokryphon Jeremias B? 185 4Q385 – 4Q391  152, 160, 188, 217, 222f, 235, 316 4Q385 Pseudo-Ezechiela 185, 223, 316 4Q385a Apokryphon Jeremias Ca 222f 4Q385b Pseudo-Ezechielc 185, 223 4Q386 Pseudo-Ezechielb 185, 223, 316 4Q387 Apokryphon Jeremias Cb 222f 4Q387a Apokryphon Jeremias Cf 222f 4Q388 Pseudo-Ezechield  185, 223 4Q389 Apokryphon Jeremias Cd 222f 4Q390 Apokryphon Jeremas Ce  52, 222 4Q391 Pseudo-Ezechiele  185, 223 4Q394 – 399  = 4QMMTa–f  22, 67f, 84, 153, 158, 161, 166, 254, 281, 333, 379, 384-386 4Q394 = 4QMMTa  166, 390, 391 4Q395 = 4QMMTb  166, 390 4Q396 = 4QMMTc 391 4Q397 = 4QMMTd  166, 181, 391 4Q398 = 4QMMTe 166f 4Q399 = 4QMMTf  166, 168 4Q400 – 4Q407, 11Q17, Mas 1k Sabbatopferlieder  362, 369 – 374 4Q403 = ShirShabd 304

Quellenverzeichnis    443 4Q414 (Ritual of Purification A) 365 4Q415 – 4Q418, 1Q26, 4Q418a, 4Q423c, 4Q418c? Instruction  341 – 344 4Q417 = 4QInstrc 184 4Q418 = 4QInstrd  316, 335 4Q427 – 4Q432  = Ha – f 250f 4Q427 = Ha  52, 274 4Q430= He  52f, 274, 304 4Q433 Hodayot-like Text A  251 4Q433a Hodayot-like Text B  245f, 251 4Q434 – 438  Barkhi Nafschi  53, 363 4Q440 Hodayot-like Text C  251 4Q440a Hodayot-like Text D  251 4Q448 Apocryphal Psalm and Prayer  30f, 161, 165f, 281 4Q457a Creation?  34 4Q457b Eschatological Hymn  34 4Q468e Historical Text F  34 4Q471 War Scroll-like Text B  51f 4Q471a Polemical Text  52 4Q471b Self Glorification Hymn 52f 4Q471c Prayer Concerning God and Israel  52 4Q477 Rebukes Reported by the Overseer 287 4Q491 – 4Q496  = 4QMa – f 252f 4Q491 = 4QMa Frag. 11  53, 274, 304, 306 4Q491a 53 4Q491b 53 4Q491c 53 4Q496 = 4QMf 34 4Q497 War Scroll like Text A  253 4Q499 »Gebet oder Hymne«  253 4Q503, Daily Prayers, 4QPrières quotidiennes  294, 359 – 366 4Q504 Divrei Hameorota 294, 361f 4Q505 Divrei Hameorotc? 34, 294, 361f 4Q506 Divrei Hameorotb 34, 294, 361f 4Q507 – 4Q509 Festtagsgebetea – c  34, 362 4Q512 (papRitual of Purification B) 365

4Q521 Apocalypse messianique  161, 316, 325 4Q524 T?  220 4Q530 – 4Q532 Buch der Giganten 226 4Q534 – 4Q536 Birth of Noaha – c ar 346 4Q540 – 4Q541 Apokryphon Levisa – b (?) ar  327 4Q543 – 4Q548 Visionen Am­ ramsa – f ar  311f 4Q550a – e Persische Hoferzählungena – e  ar 228 4Q559 Biblische Chronologie  234 4Q560 Exorcism ar  350 4Q561 Physiognomie  345f 4Q552 Four Kingdomsa  185, 227 4Q553 Four Kingdomsb  185, 227 4Q553a Four Kingdomsc 185, 227 5Q11 = 5QS 244 5Q12 = 5QD 239 5Q13 Rule  247 5Q15 Neues Jerusalem ar  322f 6Q8 Buch der Giganten 226 6Q15 = 6QD 239 7Q1 LXXExod 234 7Q2 EpJer gr  234 7Q4 Epistel Henochs? gr  234 7Q5 Biblischer Text? gr  330 7Q8 Epistel Henochs? gr  234 7Q11 – 14  Epistel Henochs? gr  234 11Q1 paläoLevitikusrolle  28, 125 11Q4 Ezechielrolle  28, 125 11Q5 Psalmenrollea  28, 125, 198, 206 XXVII 2 – 11 = Davids Compositions 354 11Q6 = 11QPsb fr 6  206 11Q10 tgJob  125, 234 11Q11 Apokryphe Psalmen  28, 350 11Q12 Jubiläenbuch 218f 11Q13 Melkizedek-Pescher  165, 315 11Q14 sefer hamilchama 165 11Q17 Schabbatopferlieder  28

444    Quellenverzeichnis 11Q18 Neues Jerusalem ar  28, 322f 11Q19=11QTa Tempelrolle  28, 125 I – V  30 XXIII – XXIV 30 XXXIX – XLI 323 XLV 7 – 10  389 XLVII 3 – 5  219 XLIX 13 – 16  142 LV 4f  111 LVI – LIX 221 LVII 2 – 5  220 LX 16 – 19  349 11Q20 = 11QTb Tempelrolle  125 11Q21 = 11QTb? 220 11Q23 cryptA unidentified Text 154 11Q29 Fragment related to Serekh HaYahad  165, 247

Die zentralen Stellen für die wich­ tigsten erwähnten Rollen Admonition of the Flood 130 Apokrypher Pentateuch  208 Apokryphon Jeremias A  58 Apokryphon Jeremias B  58 Apokryphon Jeremias C  222f Apokryphon Josuas  185 Apokryphon Levis  327 Apostrophe to Zion  206 Aramäisches Levi Dokument (ALD)  226, 381 – 383 Aramäisches Astronomisches Buch (AAB)  348f Barkhi Nafshi  363 Berakhot (»Segen«)  254 Birth of Noah, s. Geburt Noahs Buch der Giganten 226 Buch der Wächter  224 – 226 Daily Prayers  294, 359f Damaskusschrift  239 – 243 David’s Compositions  206, 354 Divrei Hameorot 361f Ezechielrolle  28, 125

Four Kingdoms  227, 323 Gebet des Nabonid 227 Geburt Noahs  224, 346 Gemeinderegel (1QSa) 248f Gemeinschaftsregel (1QS)  243 – 249 Genesisapokryphon  142, 217f Genesiskommentare 233 Habakukpescher  229 – 231, 273 – 280 Hodayot-like Text A – D 251 Hymnenrolle 249-251 Instruction  341 – 343 Jachad-Ostrakon  146 – 149 Jubiläenbuch  218 – 220 Kriegsregel 252f Levitikusrolle  28, 125 Malachikommentar 233 Melchizedekpescher  232, 315 Miqsat Maase HaTora  22, 67f, 84, 153, 158, 161, 166, 254, 281, 333, 379, 384-386 Midrasch zur Eschatologie 232 Mysteries 343f Nahumpescher  231f, 266 – 269 Neues Jerusalem 322f Pescher der Zeiten / Ages of Creation  232, 307 Psalmenrolle (11Q5)  206f Pseudo-Daniel 227 Pseudo-Ezechiel 223 Pseudo-Jubiläenbuch  185, 219 Reworked Pentateuch  208 – 210 Sabbatopferlieder  362 – 365, 371 – 374 sefer hamilchama  253 Segenssprüche des Unterweisers (1QSb) 248f Tempelrolle  219 – 221 Visionen Amrams  311f Words of the Luminaries, Worte der [Himmels]leuchten, s. Divrei Hameorot Zwölfprophetenbuch von Nahal Hever (8HevXIIgr) 234

4.  Philon von Alexandrien Hypothetica  7,11 – 14  366

8,11,1 – 18  77

Quellenverzeichnis    445 De migratione Abrahami 89 – 94  75

De somniis 2,112f 347

Quod omnis probus liber sit 75 – 91  75, 77 81 295

De vita contemplativa  77 1 75 25 181 27 355

5. Josephus Antiquitates Iudaicae  74 3,171 – 173  74 6,69 – 71  207 10,80 223 12,246f 67 13,171 – 173  68, 82, 314 13,201 68 13,255 – 258  68 13,288 – 298  68 13,297f 82f 13,301 277 13,375f 267 13,380f  69, 267 13,398 280 13,401 – 423  82 13,410  82, 267 14,366 280 15,121 – 125  98 15,371 260 17,42 82 18,116 – 119  330 18,18 – 22  80 18,19 299 18,23 84 18,9 – 23  74 20,97 – 99  71 20,102 71 20,115 367 20,169 – 172  71 20,237 67 De bello judaico  74 1,70 277

1,110 – 112  82 1,370 – 372  98 1,92 267 1,97 267 2,119 – 166  74, 79 2,122f 80 2,123.129.137 142 2,128 – 133  80, 294, 296 2,129 298 2,136 77 2,137 – 139  297 2,137 – 144  80 2,141 314 2,142 306 2,143 – 144  297 2,147  80, 295 2,149 142 2,160 – 161  143 2,163 81 2,229 367 2,261 – 263  71 2,425 209 2,567 282 4,450 – 451  71 Contra Apionem  74 1,38 – 40  182 2,194f 353 Vita  74 1,10 – 11  79 1,12 82

6.  Neues Testament Matthäus 11,5 326 12,11 332

Markus 1,2 – 11  330 3,1 – 6  295 6,41 296

446    Quellenverzeichnis 10,2 – 12  332 12,18 – 27  83, 315 Lukas 1,32 – 35  325 1,80 330 4,17 – 21  367 7,22 326 13,15 332 14,5 295 22 296 24,44 181

8,3 – 8  334 10,3 333 13,12 333 2. Korinther 5,21 333 6,14 312 Galater 2,9 337 2,16 333 5,17 334

Johannes 157 2,6 115 3,19 – 21  312 12,35f  312, 336 18,28 336

Epheser 5,8 312

Apostelgeschichte 1,12 295 12,18 – 23  71 21,38 71 23,6f 315 23,8 83 4,25 – 27  229 5,36f 71 6,7 337 7,43 280 13,14 – 15  367

1. Thessalonicher 5,5  312, 333, 336

Römer 1,7 333 3,5 333 3,20 – 22  333

Philipper 3,5 82

1. Johannes 1,3 336 1,5 – 10  312 1,5 – 7  336f 2,9 – 11  336f Judas 225 Offenbarung 5,1 34 21 – 22  323

7.  Frühchristliche Literatur Apostolische Konstitutionen 7,33 – 38  357 8,37 – 39  357

Eusebios von Cäsarea, Kirchengeschichte VI 16  12

Barnabas 12, 1  338

praeparatio evangelica 7,11 – 14  366 8,11,1 – 18  77

Didache 8,3 356 9 – 10  296 Epiphanios von Salamis, De Mensuris et Ponderibus 12

Hippolytos, Refutatio 9,18 – 28  81

Quellenverzeichnis    447

8.  Klassische Literatur Aristoteles, Metaphysik, 986a, 22 – 26  312

Plinius der Ältere  10 Hist. nat. 5,73  78

Dio Chrysostomos  145

Synesios 79 Stern, GLAJJ, Bd. 2,118f  79

Diodoros von Sizilien 34 – 35,1.3 – 4  67

9.  Gnostische Literatur Kephalaia 312

10.  Rabbinische Literatur Mischna 383 Avot (mAv) 3,15 82 5,4.13 77 Bava Batra (mBB) 2,9 143 Bekhorot (mBekh) 8,7 99 Berakhot (mBer) 4,1 356 5,1 77 6 296 Eruvin (mEruv) 6,2 83 Hagiga (mHag) 2,17 77 Jadaim (mJad) 1,2 115 4,7 391 3,5 178 4,6f 84 Kelim (mKel) 10,1 115 18,8 368 Makkot (mMakk) 1,6 83 Megilla (mMeg) 3,6 209 Menahot (mMen) 10,3 292 Maaser Sheni (mMSh) 4,11 125 5,15 68

Nidda (mNid) 4,2 83 Ohalot (mOh) 5,5 115 Para (mPar) 3,1 – 7  390 3,3.7 83 5,5 115 Rosh Hashana (mRH) 2,8f 289 Sanhedrin (mSan) 11,3 368 Sheqalim (mSheq) 2,4 99 8,2 111 Sota (mSot) 5,3 295 9,15 77 Sukka (mSuk) 5,4 77 Taanit (mTaan) 4,5 209 Tamid (mTam) 5,1 354 7,4 354 Tosefta 383 Maaser Sheni (tMSh)  5,1 125 Nidda (tNid)  5,3 84 Schabbat (tSchab) 9,22 295

448    Quellenverzeichnis palästinischer Talmud  383 Berakhot (yBer) 1,5 [3c]  369 6,1 [10a]  366 Sanhedrin (ySan) 29c 74

34b–35a 369 65a 292 Qiddushin (bQid) 66a 68 Schabbat (bShab) 115a 10

babylonischer Talmud  383 Bava Batra (bBB) 14b–15a 181 Bava Metsia (bBM) 59b 392 Berakhot (bBer) 11a–12a  360, 369 28b 356 33a 356 Megilla (bMeg) 26b 10 Menahot (bMen)

Andere rabbinische und verwandte Schriften Mekhilta deRabbi Jischmael Schabbat 1 (Stemberger 415) 295 Mekhilta deRabbi Jischmael zu Ex. 20,9 (Stemberger 279f)  387 Seder Olam Rabba  277 Siddur Rav Saadja  357, 361, 399 Sopherim 28 Genizapsalmen 14

Personenregister

Abegg, Martin  53, 398, 400 Abraham (Patriarch)  218f, 292, 381 Abusch, Ra’anan  351 Adler, Jonathan  370 Agrippa I  71 Akkash al-Zebn  15 Albright, William  11 Alexander der Große  66 Alexander Jannai  68, 82, 129, 166, 266f, 279 – 281 Alexander, Philip  25, 59, 244f, 263, 347, 351, 362, 371, 374 Alkimos  67, 76, 273 Allegro, John  3, 17, 19f, 163f Angel, Joseph  303, 339 Antigonos 69 Antiochos IV. Epiphanes  67, 76, 266, 324 Antipater 69 Aquila 195 Archelaos 70 Ariel, Donald  89, 99 Aristobulos (jüd Exeg)  228 Aristobulos I.  68, 281 Aristobulos II.  69, 278 – 280 Arnold, Russell  283, 351 Azarja de Rossi  81 Babatha 130 Baillet, Maurice  17, 20 Bar Adon, Pesach  130, 399 Bar Kosba  17f, 72, 104, 130 Bar Nathan, Rachel  105 Bar-Asher Siegal, Elitzur  149, 168 Barthélemy, Dominique  16f Bauckham, Richard  396 Baumgarten, Albert  65, 73, 159, 255f, 263 Baumgarten, Joseph  243, 248, 377, 379 Beall, Todd  73, 79 Bearman, Gregory  46 Bélis, Mireille  126, 128

Ben-Dov, Jonathan  105, 116, 283, 339, 344, 347, 359 Benoit, Pierre  17 Bergmeier, Roland  73, 79 Bernstein, Moshe  213, 377, 388 Berrin (= Tzoref), Shani  265 Berthelot, Katell  62, 255, 396 Beyer, Klaus  46, 63, 350, 396 Beyerle, Stefan  404 Bloch, René  65, 402 Boccaccini, Gabriele  265, 271, 275 Bohak, Gideon  339, 350 Bowley, James  400 Braun, Oskar  13 Brooke, George  63, 173, 189, 203, 213, 265, 319, 401f Broshi, Magen  27, 34, 102, 105, 124, 133, 138, 144 Brown, Raymond  400 Brownlee, William  278 Burchard, Christoph  401 Burrows, Millar  3, 10f, 15, 396 Caligula 71 Callaway, Philip  265, 402 Campbell, Jonathan  213 Cansdale, Lena  90, 133, 137 Cargill, Robert  89f, 95, 133f, 137f Carr, David  189, 402 Chambon, Alain  89, 93, 399 Charlesworth, James  265, 319, 396, 400, 404 Chazon, Esther  303, 351, 359f, 365 Claudius 71 Clines, David  400 Cohen, Shaye  65, 73, 82, 402 Cohn, Yehudah  370 Collins, John  63, 89f, 133f, 262, 265, 278, 283, 303, 316, 319, 321, 324, 401f, 404 Collins, Matthew  265f

450    Personenregister Cook, Edward  400 Cotton, Hannah  396 Cross, Frank  3, 17, 19f, 27, 39, 133, 146 – 149, 189, 200, 278, 400, 402 Dahmen, Ulrich  63, 401f Daise, Michael  283 Daniel (bibl. Figur)  153, 323, 355 David (der bibl. König)  315, 325, 350, 354,  Davies, Philip  173, 247, 265f, 402 Davies, William D.  65, 402 Davila, James  351, 374, 396 Davis, Kipp  222 De Jong, Albert  303, 310 de Vaux, Roland  15f, 19, 89f, 94 – 105, 108, 112, 114, 125 – 128, 134 – 139, 150, 399f Deines, Roland  105 Deissler, Alfons  396 del Medico, Henrico  19 Demetrios der Chronograph  228, 234, 277 Demetrios III. Eukairos  266 Demetrios 68 Dimant, Devorah  3, 149f, 161, 222, 245, 342, 351, 359, 402 DiTommaso, Lorenzo  319 Doering, Lutz  283, 295, 334, 377, 387 Donceel und Donceel-Voute  19, 24, 89f, 114, 133f, 139 Dorival, Gilles  189, 194, 402 Doudna, Greg  27, 42, 265 Drawnel, Henryk  213, 339, 381 Duhaime, Jean  239, 311 Dupont-Sommer, André  155, 278, 331 Dušek, Jan  132, 396 Ebner, Martin  402 Eckhardt, Benedikt  283, 298 Ehrlich, Uri  351, 353 Eisenman, Robert  23, 85, 330, 396 Elbogen, Ismar  351, 356 Elgvin, Torleif  344 Elior, Rachel  133, 149f, 374

Eshel, Esther  133, 146 – 149, 149, 213, 339 Eshel, Hanan  65, 89, 105, 122, 125, 131, 133, 139, 144, 149, 166, 265, 362, 402 Evans, Craig  319 Fabry, Heinz-Josef  63, 189, 202, 401 Falk, Daniel  351f, 359 Fassberg, Steven  280 Festinger, Leon  265, 276 Fields, Weston  3, 402 Fitzmyer, Joseph  324, 400f Fleischer, Ezra  352, 356 Flint, Peter  402 Fraade, Steven  73, 168f, 177, 387f Frahm, Eckart  213 Freedman, David-Noel  396 Frey, Jörg  89, 303, 308, 319, 329, 404 Galor, Katharina  89, 110f, 399 García-Martínez, Florentino  24, 46, 53, 57, 62, 81, 149, 159, 173, 213, 255, 265, 271, 275, 278f, 319, 321, 324, 334, 339, 401 Gillihan, Yonder  255, 260 Goff, Matthew  339, 342, 344 Golb, Norman  3, 19, 24f, 89f, 133f, 138, 149f, 239, 404 Goodman, Martin  65, 73, 76, 79, 149f, 283, 300, 402 Grabbe, Lester  65, 402 Greenfield, Jonas  213, 347, 398 Grossman, Maxine  168, 265 Gunneweg, Jan  89, 105, 107, 399 Hahn, Oliver  60 Hamidovic, David  319 Harding, Gerald Lankester  15, 96 Harkins, Angela Kim  239 Harl, Marguerite  189, 402 Harlow, Daniel  63, 401 Harrington, Hannah  283 Heinemann, Joseph  352, 357

Personenregister    451 Hempel, Charlotte  63,168, 189, 210, 239, 248, 251, 255, 263, 283, 378, 401 Hengel, Martin  65 Henze, Matthias  213 Herodes Antipas  70, 331 Herodes der Große  69f, 99, 281 Himmelfarb, Martha  352, 371 Hippolytus 315 Hirschfeld, Yizhar  89f, 95f, 99, 102 – 104,114, 128, 134, 138f, 144 Hogeterp, Albert  303 Horbury, William  65 Humbert, Jean-Baptiste  24, 89f, 93 – 95, 102 – 105, 134, 139, 144, 399 Hunzinger, Claus-Hunno  17 Ibba, Giovanni  265, 303 Ilan, Tal  255 Israeli, Raphael  3 Jakob  218f, 325 Jason 67 Jassen, Alex  213, 230 Jaubert, Annie  335 Jesus  74, 295, 326 – 332, 336f, Johannes der Täufer  70, 330f Johannes Hyrkanos I.  68, 82, 176, 278, 281 Johannes Hyrkanos II. 69, 278 – 280 Johnson, William  27, 400 Jokiranta, Jutta  255f Jonathan Makkabäus  67f, 166, 273, 278f, 281 Josephus  66, 68, 71, 74 – 76, 82 Judas »Makkabäus«  67 Jull, Timothy  27 Kahle, Paul  15 Kampen, John  73 Kando  9, 15, 18, 21 Karrer, Martin  189, 396 Katzoff, Ranon  377 Kaufman, Steven  395 Kessler, Nadine  89, 404 Khalil Iskandar Schahin (s. Kando)  Kister, Menahem  402

Klawans, Jonathan  283, 301 Knibb, Michael  255, 319 Kottsieper, Ingo  3, 402 Kratz, Reinhard  239, 263, 402 Kraus, Wolfgang  189, 396 Kugler, Robert  255, 283f Lang, Bernhard  173 Lange, Armin  46, 149, 173, 189, 198, 201f, 303, 339, 344, 401f Langlois, Michael  62, 396 Laperrousaz, Ernest  89, 144, 399 Leach, Bridget  27 Legrand, Thierry  62, 396 Leicht, Reimund  339 Lemaire, André  105, 117, 133, 398 Lichtenberger, Hermann  319 Lilit 307 Lim, Timothy  25, 59, 63, 213, 265, 279, 401 Lohse, Eduard  182f, 398 Louis Ginzberg  83 Mach, Michael  303 Magen, Yitzhak  89, 94, 103f, 133f, 137f, 399 Magness, Jodi  89, 95, 99, 101 – 111, 117, 126, 133, 139, 399, 402 Maier, Johann  3, 24, 61, 167, 181, 209, 220f, 266, 293, 324, 352, 398, 402 Main, Emmanuelle  149 Mar Athanasius Jeschua Samuel  9, 10, 15 Mathews, Kenneth  396 McLean, Mark  27, 400 Mébarki, Farah  402 Menelaos 67 Meshorer, Yaacov  89 Metso, Sarianna  239, 245, 263 Milik, Józef  3, 16f, 19f, 105, 136, 163f, 243f, 281, 324, 398, 402 Millar, Fergus  65, 402 Mizzi, Dennis  89, 105, 117, 133 Mlynarczyk, Jolanta  105 Mohammad edh-Dhib  8 Muhammad Al Biruni  13

452    Personenregister Muhammad asch-Schaharastani  13, 239 Munnich, Olivier  189, 402 Muraoka, Takamitsu  46, 400f Murphy-O’Connor, Jerome  262, 265, 280 Najib Anton Albina  18 Newsom, Carol  149, 250, 362 Nir-El, Yoram  27, 34 Nitzan, Bilhah  37, 278, 283, 352 Noam, Vered  377, 388 Nodet, Etienne  319, 335 Oegema, Gerbern  319 Onias III  67, 273 Origenes  12, 131 Osten-Sacken, Peter von der  303, 311 Oxtoby, William  400 Panayotov, Alexander  396 Pardee, Dennis  404 Parry, Donald W.  61, 398, 401 Patrich, Josef  105, 126 Patrick Skehan  17 Paul, André  396 Paulus  82, 333 Peleg, Yuval  89f, 94, 103f, 134f, 137f, 399 Penner, Jeremy  352 Petronius 71 Pfann, Stephen  46, 84, 149f, 162, 165, 283, Phelps, Michael  46, 396 Philippos 70 Philon von Alexandrien  75f, 228 Pilhofer, Peter  402 Pitholaus 69 Plinius 145 Poffet, Jean-Michel  149 Pompejus 69 Poole, John  27, 32 Popovic, Mladen  149, 303, 339, 347 Porten, Bezalel  352 Porton, Gary  73f Ptolemäos II. Philadelphos  177 Ptolemäos IV. 277

Puech, Émile  133, 136, 146 – 149, 149, 163f, 166, 249, 265f, 273f, 278, 303, 316, 320, 324, 350, 402 Qimron, Elisha  22f, 46, 62f, 167, 398, 401f Qirqisani, Jakub  13, 239 Rabin, Chaim  73, 83, 379 Rabin, Ira  46, 60, 133f, 141, 165 Rachel Elior  83, 134 Reed, Annette  173, 339 Reed, Ronald  27, 32 Reed, Stephen  46, 396 Regev, Eyal  65, 73, 255f, 263, 377 Reich, Ronen  89, 103, 105, 111 Reif, Stefan  352 Reiner, Fred  3 Rengstorff, Karl-Heinrich  3, 19, 150 Rey, Jean-Sébastien  320, 339, 342, 344 Reymond, Eric  46, 401 Ringgren, Helmer  303 Robinson, James  23, 396 Rockefeller, John  17 Römer, Thomas  402 Salahi, Faida (George Isaiah)  9f, 15 Saldarini, Anthony  73, 82 Salome Alexandra  69, 82, 267, 281 Salome Komaise  130 Sanders, Seth  339, 344 Sarason, Richard  352 Sartre, Maurice  65, 402 Schäfer, Peter  352, 399 Schaps, David  377 Schattner-Rieser, Ursula  46, 63, 401 Schechter, Solomon  14 Schemihaza 307 Schenker, Adrian  396 Schiffman, Lawrence  3, 21, 63, 73, 84, 122, 135, 150, 239, 255, 275, 297f, 327, 343, 352, 359 – 361, 377, 379, 401f, 404

Personenregister    453 Schmid, Konrad  189, 402 Schnelle, Udo  402 Schofield, Alison  133f, 136, 149f, 161, 247, 265 Schreiber, Stefan  402 Schubert, Kurt  3, 402 Schuller, Eileen  52, 173, 239, 249f, 255 Schultz, Brian  105, 239 Schütz, Ulrich  396 Schwartz, Daniel  65, 67, 73, 76, 377 Schwartz, Seth  65 Segal, Michael  189, 213 Segal, Moshe  3 Shamir, Orit  133 Shanks, Hershel  23 Shapira, Moses  9 Sharon, Nadav  401 Shemesh, Aharon  377, 388, 392 Siegert, Folker  182, 396 Simon III. 273 Simon Makkabäus  68, 280 Smith, Jonathan Z.  320, 328 Starcky, Jean  17 Stark, Rodney  255f Stec, David  3, 14 Stegemann, Hartmut  3, 19, 25, 46, 54, 65, 67, 90, 114, 128, 135, 220, 243, 249, 256, 265f, 273, 278, 303, 309, 321, 324, 402 Stemberger, Günter  73, 377, 399, 402 Stern, Menahem  399 Stern, Sacha  283 Steudel, Annette  46, 52, 54, 149, 213, 398 Stökl Ben Ezra, Daniel  84, 133, 135, 149, 162, 169, 283, 298, 352f Stone, Michael  12, 73, 149, 213, 352, 371 Strange, James  146 Strugnell, John  17, 20, 22f, 168, 378 Stuckenbruck, Loren  303, 320 Sukenik, Eliezer  9 – 11, 150, 249, 398

Sussman, Yaakov  73, 84, 169, 377 Swartz, Michael D.  352 Symmachos 195 Tabor, James  89 Takamitsu Muraoka  63 Talmon, Shemaryahu  159,189, 200, 202, 283, 398 Taylor, Joan  77 – 79, 81, 89, 98, 102 – 104, 125, 133f, 138, 149f, 255, 282, 345, 402 Taylor, Justin  255, 260, 319 Tcherikover, Victor  65, 67 Theodotion 195 Theudas 71 Thiering, Barbara  85, 330 Thomas, Samuel  304, 314, 352 Tigchelaar, Eibert  46, 57, 62, 105, 132, 135, 150, 161, 173, 213, 239, 304, 339, 342, 396 Timotheos I. Patriarch von Seleukia Ktesiphon  12, 131 Titus 72 Tov, Emanuel  3, 22, 24, 27, 29, 34, 44 – 46, 48, 56, 59, 61, 151, 154, 157, 173, 185, 189, 194, 200 – 202, 239, 251, 367, 395f, 398, 400, 402, 404 Trever, John  3, 10f, 58, 398 Ulrich, Eugene  48, 61, 173, 189f, 192, 198, 200, 398 van der Kooij, Arie  173 van der Plicht, Johannes  27 van der Toorn, Karel  189, 191 Van der Woude, Adam  81, 159, 271, 275, 278f van Haelst, Joseph  396 van Strydonck, Mark  27 VanderKam, James  63, 65, 173, 213, 265, 401f, 404 Vermes, Géza  3, 19, 21, 65, 77, 79, 84, 213, 216, 244f, 263, 278, 402 Vespasian  71, 98 Wacholder, Ben Zion  23f, 265, 398

454    Personenregister Wassen, Cecilia  255 Weigold, Matthias  173, 189, 198, 401 Weinfeld, Moshe  255 Weissenberg, Hanne von  150, 190 Werman, Cana  377 White-Crawford, Sidney  213 Wise, Michael  404 Wold, Benjamin  339 Xeravits, Géza  304, 320

Yadin, Yigael  9, 16, 21, 129, 221, 379, 398 Yardeni, Ada  27, 39, 132, 133, 135, 146­­–149, 352, 398, 400 Zahn, Molly  214 Zangenberg, Jürgen  89, 133f, 399 Zeitlin, Solomon  15 Zias, Joseph  89

Sachregister    455

Sachregister

Abecedarium  117, 425 Abkürzungssystem  55 – 58 Accordance  25, 59f, 61, 63,395, Aggada, aggadisch  75, 153, 215, 377f, 425, 431 Akrostichon, akrostichisch  425 Aleppokodex  193, 395, 425, Allegorie, allegorisch, Allegoristen  75f, 224, 228, 230, 273, 321, 425, Älteste (zeqenim)  260, 341, 386 Amoräer, amoräisch  75, 82, 425, 431, 435 Ankaufssystem 18, Apokalypse, apokalyptisch, Apokalyptik  6, 19, 81, 152f, 155, 178, 224f, 230, 253, 270, 271, 275, 317, 319 – 324, 333, 344, 370f, 426, 428, Aquädukt  102, 110, 124, 416 Aramäisch  4, 5, 6, 8, 11, 38, 39, 43, 49, 57, 63, 64, 76, 77, 129, 131, 132, 153f, 160, 177, 193f, 217f, 224 – 226, 228, 234 – 236, 280, 311f, 322, 324, 329, 337, 344f, 347, 348, 349f, 368, 381, 395, 397, 401, 425, 426, 435 Archäologie  7, 11, 15f, 18f, 87 – 170, 262, 269, 281, 297, 302, 329, 355, 399f, 404, 429, 430, 435, Archäometrie  93, 426, Asael 307 Aufseher (mevaqer / paqid) 80, 148f, 156f, 241f, 257 – 260, 262, 284, 314, 431, 432 Aufstand  15, 24, 67, 69, 71f, 84, 97, 104, 129f, 141, 253, 266f, 269, 277, 282, 419, 421, 425, 426, 427, 429, 436 Auslegung, Exegese  152, 166, 174, 189, 194, 213 – 236, 248, 254, 257, 266, 269, 272f, 293, 314, 324, 328, 331f, 378 – 388, 392

Azazel 307 Balsam  90, 126f, 128, 134, 139 Baraita 426, Beit Safafa  120, 337, 426 Beitrittsprozedur, Beitrittsritual, Beitrittswillige  80, 241, 243 – 245, 257, 260 – 262, 284 – 286, 302, 308, 314, 328 Belial  305, 307 Beschreibstoff  29, 32, 34, 39, 48, 430, 432 Besiedlungspause  96 – 104 Besitzer der Schriftrollen  6, 15, 19, 21, 60, 77, 83 – 95, 133 – 169, 176, 201, 243f, 255, 322, 346, 362, 378, 385, 429, 431, Bibelhandschriften  61, 173 – 212, 213 – 236 Bibliothek  3, 11, 15, 19, 24f, 32, 77, 114, 133, 135f, 150f, 151 – 169, 177, 201f, 244, 294, 345, 362, Bibliothèque de Qumrân  62, 397 Buch Hagi (oder Hagu)  184, 258, 259, 261, 284, 314, 426 Bundeserneuerungszeremonie  242 – 245, 254, 257, 259f, 262, 287, 291, 309, 364, 366, 426, 434 Bundesschluss  218, 285 – 287, 292f C  15, 27, 42, 93, 426 Cave of Horrors  130, 426 Cave of Letters  130, 398, 426, 431 Cave of the Pool  130, 427, 436 Cave of Treasure  130, 399, 427 Chanukka  67, 293f, 420, 427 Chasidäer  73, 76f, 161, 271, 275, 325, 427 Chorvat Aqav  139 – 141, 427 Chorvat Eleq  140, 427

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456    Sachregister Christentum, christliches Judentum  3 – 7, 21, 23, 85, 131, 174, 176f, 219, 221 – 223, 224f, 233f, 276, 282, 288f, 296, 298, 305, 319 – 338, 353, 356f, 366, 369, 378 – 380, 383, 391f, 427 Codenamen  254, 266 – 268, 272f, 278 – 280, 427, 429, 430, 435 Damaskus  193, 256f, 272f, 280 Datenbanken  24, 59 – 61, 63, 250, 395 Dead Sea Discoveries  62 Deuterokanonisch  176 – 178, 197, 427 Diaspora  73, 174, 354f Dictionary of Classical Hebrew  63, 400 Discoveries in the Judaean Desert (DJD)  3, 18, 24, 396, 397, 427 distant join  50, 58, 359, 427 dorschei hachalaqot 156, 266 – 268, 274f, 379, 427 DSSEL  62, 250, 395 Dualismus  156f, 243, 253, 261f, 286f, 303 – 314, 319, 322, 333, 336, 436 Editionsteam  17, 20f Ein el-Ghuweir  119, 128, 139, 145, 427 Eisenzeit  96, 102, 104, 112, 128, Engel  53, 80, 83f, 155, 183, 218f, 224 – 226, 252, 274, 301, 304 – 309, 316, 321 – 323, 325, 336, 343, 349, 350, 353, 361, 362, 365, 371 – 374, 433, Erntefest  209, 218, 290f, 293 Eschatologie, eschatologisch  7, 53, 72, 74, 152f, 155, 216, 222, 229, 232, 242, 252, 303f, 306, 311, 314 – 317, 319 – 338, 343, 344, 428 Essener  6, 10, 11, 19, 68, 73 – 81, 82 – 85, 90, 103, 134, 136, 138, 142 – 146, 150, 158 – 160, 162, 165, 166, 169, 242, 243, 253, 268, 271, 275, 281, 282, 285, 294, 295, 297, 299, 302, 306,

314, 315, 328, 331, 337f, 345, 348, 420, 427, 428, 429 etza 260 Exegese, s. Auslegung Expeditionshöhlen, s. Survey Caves Facsimile Edition  23, 397 Festung  70, 72, 78, 90, 95, 96, 103, 104, 120, 128f, 131, 134, 137 – 139, 430 Formgeschichte, formgeschichtlich  253, 363, 428 Frauen  69, 77f, 80, 84, 119f, 130, 143, 158, 217f, 225, 241f, 256, 257, 259, 262, 267, 307, 331, 342, 434 Frevelpriester  156, 269, 278 – 280, 288f, 299, 330, 428 Friedhof  7, 95, 109, 117 – 120, 137, 139f, 143 – 145, 159, 262, 287f, 409, 415, 417, 427, 429, 430, Gabriel 306 Gebet  6, 79, 84, 126, 152, 160, 174, 227f, 252 – 254, 259, 281, 286, 293, 294 – 300, 306, 313, 345, 352 – 370, 392, Gebetsriemen, Tefillin  34, 121f, 124, 130, 367 – 370, Geheimlehren 314f Geisteraustreibung 350 Gemeindelieder  250, 428 Gemeinschaftsbesitz  144, 166, 261 Gemeinschaftsmahl 260, 296 – 298, 299f, 328, 331 Generalversammlung (rabim) 156, 199, 245, 258 – 262, 284f, 298, 433 Geniza  10, 13f, 15, 19, 56, 130, 150f, 226, 239 – 241, 282, 350, 357f, 379, 395, 421, 428, 435 Geschirrkammer  100f, 108, 296, 417 Glas  24, 105, 116f, 139, 143, 145 Grabungstagebuch  89, 92 – 95, 102, 126, 400

Sachregister    457 Griechisch  4, 6, 28, 32, 39, 42, 44, 57, 66, 72, 77, 80, 81, 83, 121, 122, 129, 131, 132, 154, 158, 162, 163, 175 – 177, 195 – 197, 219, 224, 226, 228, 232, 234, 236, 258f, 266, 329f, 337, 340f, 347, 353, 357, 368, 425, 426, 427, 433, 435, 436 Groningen-Hypothese  81, 159, 271, 275, 278, 428 Halakha  21, 24, 33, 57f, 76, 83, 143, 152, 166, 168, 215, 221, 226f, 241 – 243, 295, 328, 332, 334, 377 – 392, 427, 428 Handelswege  137, 409 henochisches Judentum  271, 275 Hermeneutik  184, 214, 229f, 236, 383, 387f, 391f, 428 Hexapla  12, 195, 428 Hiam el-Sagha  119, 429 Höhle 1  15f, 18, 25, 28, 42, 96, 97, 124, 141f, 154, 162, 217, 243, 248, 250f, 253, 422 Höhle 2  16, 124, 165, 422 Höhle 3  16, 28, 121, 124, 125, 126, 136, 163 – 165, 422 Höhle 4  16, 17, 20, 27, 32, 52, 97, 122, 123, 135, 141, 145, 154, 162, 241, 245, 251, 328 Höhlen 4a und 4b, s. auch Höhle 4  95, 121, 122f, 141 Höhle 5  16, 97, 122, 162, 422 Höhle 6  16, 124, 154, 162 Höhle 7  97, 121, 154, 162, 234, 330, Höhle 8  97, 107, 121f, 126, 145, Höhle 9  97, 122 Höhle 10  97, 122 Höhle 11  18, 28, 35, 124f, 165, 206, 220, 354, 423 Infrarotfotos  18, 33, 48, 58 – 60, 429 Inspektor  s. Aufseher Intersacerdotium  67f, 273, 420, 429 Jachad, jachadisch  6, 81 – 84, 133 – 170, 237 – 392

Jachad-Ostrakon  117, 146 – 149 Jerusalem  9, 11f, 15, 17, 19, 20, 24, 44, 66 – 72, 74, 78, 95, 103, 106, 107, 111f, 115, 117 – 120, 129, 134f, 137, 141, 143 – 145, 150, 154, 164, 167, 174, 177, 225, 266f, 277, 279 – 281, 291, 299 – 302, 322f, 337, 341, 345, 353, 355, 385 johanneische Schule  312, 335, 336, 429 Judenchristentum, s.a. christliches Judentum  15, 282 kaige-Rezension  234, 429 Kalender  13, 80, 84, 116, 152f, 156f, 160, 166, 209, 218, 220, 224, 226, 245, 252, 288 – 294, 427, 433, Kanon, Kanonisierung  5, 173 – 188, 211, 216, 218, 219, 221, 224, 383, 385, 429 Karawanserei  90, 120, 137 Keramik  15, 24, 32, 92, 94, 96f, 100 – 103, 106 – 108, 114f, 119, 122, 125, 126, 127, 134, 137, 139, 143f, 145, 154, 278, 297, 431 Ketef Jericho  19, 129, 131, 132, 430 Khirbet el-Muraq  139, 141, 430 Khirbet Mazin  128f, 138, 430 Khirbet Mird  128, 129, 131f, 397, 430 Khirbet Qazone  119, 430 Kodikologie  8, 29 – 35. 61, 400, 430 Kommentare  75, 79, 152, 156, 183 – 185, 187, 198, 214f, 221, 228 – 234, 431, 435 Konkordanz  19, 23f, 49, 61, 63, 395, 423, 430 Kosmologie  155, 320, 333, 340, 343, 430 Krug  8, 10, 12, 14, 32, 54, 98, 100f, 106f, 109, 114, 119, 121f, 124 – 126, 132, 134f, 137, 141, 143, 151, 164f, 295, 430

458    Sachregister Kryptische Schrift  17, 39, 43, 44, 57, 154, 166, 216, 249, 308, 314, 349, 430 Küche  106f, 140, 145, 297, 416f Lagerordnung  242f, 257 Landgut  103, 138 – 140, 427 Lederwerkstatt  107, 122 Lehrer der Gerechtigkeit  19, 22, 53, 67, 156, 167, 229, 231f, 240, 242, 250f, 262, 269 – 278, 288, 328, 330 – 332, 337, 428, 430 Lehrerlieder  250f, 274, 430 Leon-Levy Digital Archive  37, 48, 57, 60, 395, 424 Liturgie  254, 283, 286 – 300 Lokaltexttheorie  200 – 203 Lügeneinträufler  156, 240, 273, 430 Magharier  13, 421, 430 Magie  225, 345, 349f Mahnschrift  155, 239 – 243 Masada  19, 56, 70, 72, 78, 84, 97, 98, 105, 106, 111, 115, 129f, 132, 134, 136, 138, 196f, 341, 355, 362, 371, 397f, 421, 423, 430, 431 Maskil  241, 244, 261f, 293, 308, 314, 350, 363, 430 Masoreten, Masoretischer Text  62, 176, 179, 189 – 210, 384, 425, 426, 427, 429, 431, 433 material join  50, 58, 431 Meghillot 62 Melkirescha, s. Prinz der Finsternis Melkizedek  229, 305, 315, 433 Messias, messianisch  71, 184, 233, 248, 253, 276f, 296f, 303f, 311, 315, 319f, 323 – 328, 332, 337 Mevaqer  s. Aufseher Mezuza  121, 368f Michael  53, 305, 306, 433 Midrasch  4, 6, 14, 72, 75, 153, 215f, 230, 235, 242, 357, 382, 387 – 389, 392, 425, 431, 435 Mikrofiche-Edition  48, 398

Mikve  7, 102f, 107, 110 – 112, 127, 137f, 140f, 143, 145, 159, 297, 302, 416f, 431, Mühle  107, 416f multispektrale Digitalfotografie  60, 395, 431 Mysterium vom Gewordenen (raz nihje) 343f Mystik  306, 370 – 375 Nabatäer, nabatäisch  11, 38f, 42, 57, 70, 106, 119, 154, 398, 400, 428, 430f Nahal Hever  18, 22, 56, 129, 130, 132, 154, 196, 197, 198, 210, 234, 422, 426, 431 Nahal Mishmar  18, 130, 132, 399, 427, 431 Nahal Tseelim  56, 129, 130, 132, 431 Nash-Papyrus  10f, 37 Neuer Bund im Lande Damaskus  256 – 262, 284, 231, 256, 431 Neues Testament, s. oben Stellenverweise  74 – 76, 81, 312, 323, 379, 398, 403, 433 Neutronenaktivierungsanalyse (NAA oder INAA)  93, 107, 164, 431 nigle 314 nistar  314, 392 nitzoq  389 – 391 Numismatik  92f, 98, 99, 102, 432 Oberinspektor  258f, 432 Opfer, s.a. Sabbatopferlieder  77, 115, 166, 174, 176, 208 – 210, 219, 220, 280, 291 – 293, 298, 299f, 301, 323, 335, 353f, 373f, 381 – 383, 385, 390 Orion Center  62, 95, 401, Ostrakon, s.a. Jachad-Ostrakon  34, 56, 94, 117, 130, 131, 432 Paläographie, paläographisch  11, 15, 37 – 45, 61, 85, 130, 132, 330, 432

Sachregister    459 Paläohebräisch  9, 18, 38, 39, 43 – 44, 57, 96, 125, 129, 154, 193, 207, 208, 432, 435 Palimpsest  34, 59, 131, 431, 432 PAM Fotos  17f, 23, 51, 59f, 432 Pandekt  177, 194 – 196, 432, 434, 436 Papyrus  10f, 29, 32, 33, 48, 57, 121, 131, 154, 176, 190, 194, 359, 432 paqid, s. a. Aufseher  260, 432 para – jachadisch  161, 218, 432 Parther, parthisch  69, 103, 280, 310, 420, 432, 434 Pentateuch, s.a. Samaritanischer Pentateuch  152, 176f, 182, 185f, 208 – 210, 432, 433, 434 Pergament  28 – 34, 42, 48, 51 – 55, 57, 58f, 154, 194, 217, 369, 429, 432 Pescher  57, 156, 228 – 233, 235, 248, 266 – 282, 432 Pharisäer, pharisäisch  22, 68f, 71, 73 – 76, 79, 81 – 83, 110, 146, 161, 267f, 275, 280f, 295f, 314, 315, 331 – 333, 343, 369, 391, 420, 427, 432, präsamaritanisch  433, 200 – 202 Präseptuagintisch 200 Preliminary Edition  23, 398 Priester, Hohepriester, priesterlich, s.a. Frevelpriester  19, 22, 53, 66 – 71, 74f, 79, 80, 83, 112, 142, 152, 156, 163, 164, 166, 167, 174, 177, 209, 219, 222, 225, 226, 230, 232, 234, 241, 245, 248, 249, 252, 257 – 262, 269f, 273, 275, 277 – 281, 285 – 289, 291 – 293, 296 – 300, 307, 315, 320, 323, 327, 330, 331, 336, 337, 341, 349, 354, 362f, 374, 381f, 384f, 389f, 419, 420, 425, 426, 428, 429, 435 Princeton Theological Seminary Dead Sea Scrolls Project  62 Prinz der Finsternis, s.a. Belial  305, 433 Prinz des Lichts  305, 433

Prophet  7, 13, 79, 153, 174, 176, 178 – 187, 202, 215, 217, 222, 223, 229 – 235, 266, 269, 271, 272, 273, 276, 300, 304, 315, 320 – 322, 326, 327, 328, 330,  354, 385, 386, 435, Protomasoretisch  200 – 202, 208, 433 Pseudepigraphen  5, 74f, 83, 178, 397, 433 Ptolemäer  66 – 68, 177, 277, 280, 419, 433 Purim  293f, 433 Qumranorthographie  157, 201f, 206, 433 Qumranwörterbuch  57, 63 Rabbinisch  4 – 8, 28, 33, 72, 74 – 77, 81 – 84, 90, 110, 125, 143, 163, 168, 176, 178, 179, 181, 184, 192, 209, 215, 219, 223, 234, 236, 277, 280, 282, 290, 292, 294, 296, 298, 299, 323, 328, 332f, 353, 355 – 370, 377 – 392, 395, 399, 425, 426, 431, 435, 436 Rabim, s. Generalversammlung 433 Radiokarbon, s. a. 14C Rafael 306 Rat der fünfzehn  262 raz nihje, s. Mysterium vom Gewordenen Redaktionsgeschichte  203, 242, 245, 251, 380, 433 Reflectance Transformation Imaging, s. RTI Reinheit, Unreinheit  77, 79, 80, 140f, 145f, 152, 159, 166, 219f, 260f, 285, 287, 296, 299, 300 – 302, 306, 316, 330f, 335f, 365, 366, 383f, 389, 391 Revue de Qumrân  20, 62 Reworked Pentateuch  185, 193, 203, 205, 208 – 210, 214f, 217, 293, 434 Rewritten Scripture  152, 202, 210, 214, 216 – 227, 232, 233, 235, 286, 384, 386, 434

460    Sachregister Ritual  261, 283 – 302 Römer, römisch  65 – 72, 78f, 84, 96f, 98, 104, 109, 116, 129, 253, 266, 280, 420, 421 Röntgenfluoreszenzspektroskopie  60, 93, 134, 141, 142, 434 RTI  60, 433 Rubrik  34, 359, 363, 366, 434 Rujm el-Bahr  129, 137, 138, 139, 434 Rußtusche 32 Sadduzäer  12, 22, 68, 73f, 76, 79, 81f, 83 – 85, 146, 150, 168f, 268, 275, 280, 292, 314, 315, 379, 390f, 420, 430, 434 Samaritaner, samaritanisch  56, 174, 175f, 192, 207, 208, 220, 369, 434 Samaritanischer Pentateuch (SP)  176, 193, 207 Sariel 306 Schabbat  67, 76, 79, 84, 143, 152, 155, 174, 209, 241f, 243, 252, 283, 288f, 290 – 293, 294 – 296, 298, 314, 331f, 349, 353 – 363, 383f, 387f, 434 Schatz  69, 100, 163f Schavuot  257, 285, 290, 292f, 360, 434 Schreibgerät  32, 35 Schreibstoff  32, 39, 430 Schriften  37 – 46 Schriftlesung 366 Schriftrollenhöhlen, s. a. Höhlen  121f, 124 – 126, 141f, 410, 415 Schwarzmarkt  16, 18, 56, 91 Scriptorium  112, 114, 416f, 434 Scrollery  17 – 20, 21, 42, 48, 49, 51f, 55f, 63, 379, 422, 434 Sekte, sektenspezifisch, Sektenkatalog  6, 11, 13, 19, 25, 74, 81, 82, 150, 157, 167, 240, 243, 256, 263, 349, 379, 430 Seleukiden  66 – 69, 253, 266, 280, 311, 419, 426, 428, 432, 434, 435, 436 Septuaginta (LXX)  176 – 180, 186, 192 – 211, 220, 231, 234, 236,

320, 321, 340, 341, 354, 357, 396, 427, 428, 429, 435 Shapira-Fragmente  3, 9, 435 Siedlungspause  s. Besiedlungspause Sobriquets, s. Codenamen Speisesaal  107 – 109, 112, 114, 137, 140, 144, 145, 296f Sprache  6, 7f, 38f, 49, 57, 121, 153f, 155, 163f, 177, 193, 345, 433 Steingefäße  105, 115, 139f Steinscheibe 116 Strafkatalog  242 – 248, 304, 435 Stratigraphie  92, 93f, 102f, 112, 131, 138, 435 Studium  72, 77f, 84, 155, 215, 260, 284, 298, 341f, 389 Survey Caves  125, 435 Symmachos  195, 428, 435 Synagoge  13f, 72, 76f, 93, 130, 174, 176, 209, 239, 347, 351, 353 – 370 Ta’amire  8, 16, 125, 435 Talmud  4, 6, 10, 14, 28, 75, 356f, 369, 383, 385, 389, 392, 395, 402, 425, 435, Tannaiten, tannaitisch  7, 72, 75, 82, 146, 277, 295f, 370, 382, 395, 399, 431, 435 Targum  125, 193f, 235f, 435 Taylor – Schechter  14, 435 Tempel  67 – 72, 84, 99, 112, 116, 136, 163f, 174, 176, 220, 225, 258, 270, 273, 277, 289, 291, 296 – 302, 307, 322f, 330, 353f, 356, 361 – 365, 369, 370, 374, 385, 390, 420, 421, 427 Tetrarchen, s. Archelaos, Herodes Antipas, Philippos, Agrippa I  70, 71, 408, 421 tevul jom 389f Textkritik  189 – 203, 210 – 212, 436 Theodotion  195, 234, 428, 436 Theologisches Wörterbuch zu den Qumrantexten  63, 401 Therapeuten (therapeutai)  75, 76, 84, 355, 436

Sachregister    461 Tierknochendepots  103, 109, 115, 137, 139, 140, 142, 296, 297, 436 Toilette  109, 142f, 145, 416f Töpferei  90, 102 – 104, 106, 107, 108, 109, 110, 120, 137, 138, 140, 143, 144, 145, 297, 416f Tora, s. Pentateuch  Tosefta  75, 382f, 399, 426, 435, 436 Triklinium  24, 114, 139f, 436 Typologie  229f, 432 Unreinheit, s. Reinheit Verein  74, 164, 244, 258 – 262 Villa  24, 90, 103, 104, 120, 134, 137, 139 – 141, 430, 436

Wadi Daliyeh  19, 56, 129, 131, 132, 154, 176, 397, 436 Wadi Murabbaat  16, 18, 56, 119, 129, 131, 132, 154, 196, 197, 210, 422, 429, 436 Weisheitsliteratur  322, 340 – 344, 436 Werke des Gesetzes  7, 333f XRF, s. oben Röntgenfluoreszenzspektroskopie Zadokiten  13, 67, 239f, 270, 273, Zeloten  15, 71, 74, 84, 436 Zisterne  96f, 102, 106, 109 – 112, 130f, 138 – 140, 144, 416f Zoroastrismus  301, 306, 310, 311 Zweigeisterlehre  153, 243, 245 – 247, 253, 304, 306, 307312, 344, 346, 436

462    Archäologische Loci

Archäologische Loci

L1  114, 135 L2  114, 135 L4  98, 114 L8  102, 106 L9  102, 106 L10  102, 106 L11  102, 106 L13 98 L30  98, 112f, 137, 139, 142 L38  107, 297 L41 107 L45 116 L48  98, 111f L49  98, 111f L50 112 L51  109, 142f, 302 L52 117 L56  107, 111f, 297, 302 L58  107, 111f L60 110 L64 106 L65 106 L68 110f L69 111

L70 110 L71  110 – 112 L77  107f, 140, 144, 297, 355 L83 111 L84 106 L86  99, 107 L87 107 L89  99, 107 – 109, 144 L91 111f L102 107 L104 107 L110  110 – 112 L111 98 L114 109 L115 98 L117  102f, 111f L118  98, 102f, 111f L120 99 L126 98 L130 109 L132  109, 302 L135 109 L138 111f