Briefwechsel: Band III: 1896–1905 [2 ed.] 9783666370748, 9783525370742


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German Pages [527] Year 2018

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Briefwechsel: Band III: 1896–1905 [2 ed.]
 9783666370748, 9783525370742

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Wilhelm Dilthey

Briefwechsel Band III: 1896-1905

Vandenhoeck & Ruprecht

Wilhelm Dilthey

Briefwechsel Band III 1896–1905 Herausgegeben von Gudrun Kühne-Bertram und Hans-Ulrich Lessing

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar. © 2019, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Satz: textformart, Göttingen Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-666-37074-8

Vorwort der Herausgeber

Der vorliegende dritte Band unserer Edition von Wilhelm Diltheys Briefwechsel umfasst die Jahre 1896–1905. Die hier größtenteils erstmalig aus den Nachlässen Diltheys und seiner zahlreichen Briefpartner edierten und kommentierten Briefe geben Aufschluss über die Lebens- und Arbeitssituation Diltheys während seiner letzten zehn Jahre als ordentlicher Professor der Philosophie an der Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin. Ebenso wie schon in den Bänden I und II kommen auch hier ausgewählte Briefe von und an Dilthey zum Abdruck, die von biographischem, wissenschaftlichem, philosophischem, wissenschafts- und universitätshistorischem Interesse sind.1 Wie in den beiden bislang erschienenen Bänden  – Band I (1852–1882) wurde 2011 und Band II (1882–1895) 2015 veröffentlicht – dokumentiert dieser Band Diltheys brieflichen Austausch mit Verwandten, insbesondere seinem Schwager, dem Bonner Altphilologen Hermann Usener, sowie seinem Bruder Karl, Archäologe und Altphilologe in Göttingen, mit Mitarbeitern und Schülern, Freunden, wie z. B. dem Dichter Ernst von Wildenbruch, sowie zahl­ reichen Kollegen. Die Jahre 1896 bis zur Emeritierung im Juli 1905 stellen den Höhepunkt von Diltheys akademischer Karriere und Wirksamkeit dar, was die besondere Bedeutung dieses Bandes für das Verständnis von Diltheys Biographie und seines wissenschaftlich-philosophischen Werks ausmacht: Dilthey war Inhaber des wichtigsten philosophischen Lehrstuhls der damals bedeutendsten Universität Deutschlands, und er war eines der einflussreichsten Mitglieder der Königlich-Preußischen Akademie der Wissenschaften. Er steht auf dem ­Gipfel seiner Anerkennung als einer der führenden deutschen Philosophen. Seine Aktivitäten erstreckten sich nicht nur auf zahlreiche philosophische und geistesgeschichtliche Forschungsfelder, sondern er zeigte auch auf dem Gebiet der Wissenschafts- und (Hoch)schulpolitik größtes Engagement. Die ersten Briefe des dritten Bandes sind wesentlich geprägt durch die Nachwirkungen der radikalen Kritik, die der Psychologe Hermann Ebbinghaus an Diltheys Programmschrift Ideen über eine beschreibende und zergliedernde Psychologie (1894) geübt hatte. Diese Kritik, die von Dilthey als im hohen Maße ungerechtfertigt und persönlich verletzend empfunden wurde, beeinträchtigte auch die Fortsetzung der Ideen, die Dilthey mit einer gro

1 Zu den Auswahlkriterien vgl. das Vorwort der Herausgeber zu Band I, S. VI f.

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Vorwort der Herausgeber

ßen Abhandlung Über vergleichende Psychologie geplant hatte. Aufgrund der Ebbing­haus-Kritik, die ihn nachhaltig in seiner wissenschaftlichen Produk­ tivität und Selbstsicherheit beeinträchtigte, veröffentlichte er 1896 nur eine gekürzte Fassung der Abhandlung und brach in der Folge seine Weiterarbeit an dem Projekt einer deskriptiven Psychologie enttäuscht ab. Stattdessen nahm er die Arbeit am zweiten Band seiner Schleiermacher-Biographie wieder auf, die einige Jahre geruht hatte, und er begann, an dem geplanten zweiten Band der Einleitung in die Geisteswissenschaften weiter zu arbeiten. Ein anderer Schwerpunkt des vorliegenden Bandes sind Diltheys intensive Bemühungen um die von ihm ins Leben gerufene und verantwortlich betreute Kant-Ausgabe der Berliner Akademie der Wissenschaften. In zahlreichen Schreiben mit den vorgesehenen Herausgebern der einzelnen Bände erörterte er bis ins Detail die Struktur und Anlage der Ausgabe sowie einzelner Bände. Außerdem engagierte sich Dilthey intensiv für die ab 1901 geplante deutschfranzösische Akademie-Ausgabe der Werke und Briefe von Leibniz, indem er selbst über Leibniz und sein Zeitalter schrieb und zwei seiner engsten Mitarbeiter, die späteren Leibniz-Forscher und -Editoren Paul Ritter und Willy ­K abitz, für Recherchen und Vorarbeiten für die historisch-kritische LeibnizGesamtausgabe einsetzte. Nicht nur philosophisch, sondern auch biographisch herausragend sind die in diesem dritten Band edierten letzten Briefe zwischen Dilthey und seinem Freund Graf Paul Yorck von Wartenburg, der am 12. 9. 1897 verstarb. Yorcks Tod bedeutete für Dilthey einen tiefen Einschnitt und, wie er in einem Brief vom 26. 7. 1898 an dessen ältesten Sohn Graf Heinrich Yorck von Wartenburg schrieb, eine „Vereinsamung meiner inneren Existenz“. Einen biographischen Höhepunkt unseres Bandes stellt Diltheys 70. Geburtstag am 19. 11. 1903 dar, der von vielen Kollegen, Freunden und Schülern zum Anlass genommen wurde, Dilthey und sein Werk in zahlreichen Glückwunsch-Adressen mehr oder weniger ausführlich zu würdigen. Die Briefe zeigen dem Leser einen chronisch überarbeiteten, dabei rastlos die verschiedenen Projekte planenden bzw. weiterverfolgenden Dilthey, der versuchte, seine zahlreichen unterschiedlichen Arbeitsfelder zu strukturieren und zu bewältigen. In diesen Jahren war Dilthey oft geplagt von Krankheiten, litt unter seinen Amtsgeschäften sowie der ihn immer mehr belastenden Lehrtätigkeit, so dass er mehrfach seinen Urlaub verlängerte, mehrere Kuren unternahm und ein Semester sogar aussetzen musste. Umso erstaunlicher ist der Umfang seiner literarischen Produktion, die sich auch in seinen Briefen spiegelt. Zum Ertrag dieser Jahre zählen u. a. die Arbeiten am zweiten Band der Schleiermacher-Biographie sowie an dem Großprojekt der Studien zur Geschichte des deutschen Geistes (ab 1900), ferner die Aufsätze aus Anlass

Vorwort der Herausgeber

VII

des 200jährigen Jubiläums der Berliner Akademie der Wissenschaften (1900), die zwei ersten Studien zur Grundlegung der Geisteswissenschaften (1905) sowie die Jugendgeschichte Hegels (1905). Bemerkenswert und sehr aufschlussreich für Diltheys Arbeitsorganisation sind die häufigen Briefwechsel, die er mit seinen jungen Mitarbeitern Willy Kabitz, Paul Menzer, Herman Nohl, Paul Ritter u. a. führte. Sie geben Einblicke in die intensive Kooperation mit diesen jungen Philosophen, die zumeist jeweils für ein Arbeitsfeld Diltheys zuständig waren. Sie leisteten ihm umfangreiche Recherchedienste, beschafften ihm Literatur, exzerpierten Bücher, verfassten z. T. selbst einzelne Passagen für Texte Diltheys, wie Paul Ritter und Herman Nohl, und dienten ihm als Sekretäre. Letzteres gilt insbesondere für Paul Menzer, der Dilthey von der Akademie als Sekretär für die Kant-Ausgabe zur Verfügung gestellt wurde. Als seine Sekretäre, vor allem, aber nicht nur für persönliche Schreiben, fungierten darüber hinaus Diltheys Ehefrau Katharina und seine älteste Tochter Clara. So machen diese Briefe auch Diltheys oft rücksichtslose Vereinnahmung seines familiären und universitären Um­feldes für seine Arbeit deutlich, die ihren Grund in seinem unermüdlichen Arbeitseifer hat. Die Editionsprinzipien der Briefe dieses dritten Bandes des Briefwechsels entsprechen denen der vorausgegangenen Bände. Auch in diesem Band wurden die originale Orthographie und Interpunktion beibehalten bzw. rekonstruiert; das betrifft u. a. veraltete Schreibweisen, Uneinheitlichkeiten bei Schreib­ weisen von Familiennamen sowie die mit Ausnahme von Eigen­namen durchgehende Kleinschreibung in den Briefen Hermann Useners. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wurden in einigen Fällen Kommata, Punkte, fehlende Gedankenstriche oder Ausführungszeichen in eckigen Klammern ergänzt. Wörter, die von Dilthey oft abgekürzt wurden, sind in [ ] vervollständigt. Unterstreichungen in den Briefen sowie gesperrte oder fett gedruckte Eigennamen, Wörter und Teilsätze in schon publizierten Briefen wurden einheitlich durch kursiven Druck wiedergegeben. Auslassungen, die von den Erstherausgebern vorgenommen wurden, sind durch … und Textlücken in den Erstdrucken durch (…) angezeigt. Unleserliche sowie nicht entzifferbare Wörter in den Brief­originalen wurden von uns durch […] und unsichere Transkriptionen durch [?] markiert. Die Kommentierung der einzelnen Briefe in den zugehörigen Endnoten wurde nach denselben Regeln vorgenommen wie in den Bänden I und II unserer Ausgabe.2 Diltheys Briefpartner und in den Briefen erwähnte Personen, die



2 Vgl. das Vorwort der Herausgeber zu Band I, S. VIII.

VIII

Vorwort der Herausgeber

bereits in den vorliegenden zwei Bänden ausführlich biographisch vorgestellt wurden, sind im vorliegenden Band nur noch in verkürzter Form erläutert. Eine solche Edition kann nur unter der Mithilfe zahlreicher Institutionen und Personen gelingen. Wir danken zunächst dem Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, der unsere Brief-Edition als Ergänzung zur Ausgabe von Diltheys Gesammelten Schriften verlegerisch betreut. Außerdem danken wir den Leitern und Mitarbeitern der vielen mit uns kooperierenden in- und ausländischen Archive und Handschriftenabteilungen von Bibliotheken, die uns freund­ licherweise Briefe zur Verfügung gestellt und unsere Arbeit durch wertvolle Auskünfte unterstützt haben. Insbesondere sagen wir Dank dem Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (Berlin), dem Geheimen Staatsarchiv. Preußischer Kulturbesitz (Berlin-Dahlem), der Handschriften­ abteilung der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek (Göttingen) sowie Dr. Stefan Lorenz von der Leibniz-Forschungsstelle (Münster). Unser Dank gilt weiterhin dem Rektorat der Ruhr-Universität Bochum für die Bewilligung einer studentischen Hilfskraftstelle. Prof. Dr. Frithjof Rodi und Prof. Dr. Gunter Scholtz danken wir für ihre langjährige Unterstützung und ihr großes Engagement, das die Fortführung der Edition ermöglichte. Ferner sagen wir Prof. Dr. Volker Steenblock und Martina Tomczak Dank für die freundschaftlich gewährten organisatorischen Rahmenbedingungen sowie die Bereitstellung technischer Hilfsmittel zur erfolgreichen Fortsetzung unserer Editionsarbeit. Darüber hinaus danken wir Miriam Gahmann und Lothar Kühne für wichtige Recherchearbeiten und ihre Hilfe bei der digitalen Erfassung und Redaktion der Briefe sowie Marta García Rodriguez für ihre Mithilfe bei der Übersetzung spanischer Zitate. Bochum, im Juni 2018

Gudrun Kühne-Bertram Hans-Ulrich Lessing

Inhalt

Vorwort der Herausgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V Briefwechsel 1896–1905 [978] Max Heinze an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . . . . [979] Graf Paul Yorck von Wartenburgan Dilthey . . . . . . . . [980] Dilthey an Carl Stumpf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . [981] Dilthey an Graf Paul Yorck von Wartenburg . . . . . . . . [982] Dilthey an Hermann Diels . . . . . . . . . . . . . . . . . [983] Dilthey an Heinrich von Treitschke . . . . . . . . . . . . . [984] Graf Paul Yorck von Wartenburg an Dilthey . . . . . . . . [985] Dilthey an Ernst von Wildenbruch . . . . . . . . . . . . . [986] Ernst von Wildenbruch an Dilthey . . . . . . . . . . . . . [987] Dilthey an Ernst von Wildenbruch . . . . . . . . . . . . . [988] Jürgen Bona Meyer an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . [989] Dilthey an Friedrich Theodor Althoff . . . . . . . . . . . . [990] Dilthey an Hermann Usener . . . . . . . . . . . . . . . . . [991] Dilthey an Graf Paul Yorck von Wartenburg . . . . . . . . [992] Hermann Usener an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . . [993] Graf Paul Yorck von Wartenburg an Dilthey . . . . . . . . [994] Dilthey an Hermann Diels . . . . . . . . . . . . . . . . . [995] Max Heinze an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . . . . [996] Dilthey an Wilhelm Wundt . . . . . . . . . . . . . . . . . [997] Dilthey an Friedrich Paulsen . . . . . . . . . . . . . . . . . [998] Dilthey an Hermann Diels . . . . . . . . . . . . . . . . . [999] Graf Hans Yorck von Wartenburg an Dilthey . . . . . . . . [1000] Gräfin Bertha von Kalckreuth an Dilthey . . . . . . . . . . [1001] Dilthey an Hermann Diels . . . . . . . . . . . . . . . . . [1002] Carl Stumpf an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . . . . [1003] Georg Runze an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . . . . [1004] Hugo Münsterberg an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . [1005] Theodor Schiemann an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . [1006] Graf Paul Yorck von Wartenburg an Dilthey . . . . . . . . [1007] Otto Fiebiger an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . . . . [1008] Dilthey an Marie Glogau . . . . . . . . . . . . . . . . . . [1009] Graf Paul Yorck von Wartenburg an Dilthey . . . . . . . .

1 2 5 7 10 12 13 14 16 18 19 21 23 26 29 30 32 33 34 36 37 39 41 44 47 48 50 51 52 53 54 55

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Dilthey an Graf Paul Yorck von Wartenburg . . . . . . . . Graf Paul Yorck von Wartenburg an Dilthey . . . . . . . . Otto Fiebiger an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Wilhelm Stieda . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Graf Paul Yorck von Wartenburg . . . . . . . . Dilthey an Graf Paul Yorck von Wartenburg . . . . . . . . Dilthey an Hermann Usener . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Graf Paul Yorck von Wartenburg . . . . . . . . Dilthey an Hermann Diels . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Robert Bosse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Graf Paul Yorck von Wartenburg . . . . . . . . Dilthey an Hermann Usener . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Hermann Usener . . . . . . . . . . . . . . . . . Graf Paul Yorck von Wartenburg an Dilthey . . . . . . . . Ernst von Wildenbruch an Dilthey . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Friedrich Theodor Althoff . . . . . . . . . . . . Graf Paul Yorck von Wartenburg an Dilthey . . . . . . . . Fritz Graeber an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Friedrich Theodor Althoff . . . . . . . . . . . . Dilthey an Graf Paul Yorck von Wartenburg . . . . . . . . Alexander Tille an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Kuno Fischer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Hans Vaihinger . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Eduard Zeller . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Graf Paul Yorck von Wartenburg . . . . . . . . Dilthey an Hermann Diels . . . . . . . . . . . . . . . . . Graf Paul Yorck von Wartenburg an Dilthey . . . . . . . . Dilthey an Julius Rodenberg . . . . . . . . . . . . . . . . . Graf Paul Yorck von Wartenburg an Dilthey . . . . . . . . Dilthey an Ernst von Wildenbruch . . . . . . . . . . . . . Ernst von Wildenbruch an Dilthey . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Graf Paul Yorck von Wartenburg . . . . . . . . Graf Paul Yorck von Wartenburg an Dilthey . . . . . . . . Dilthey an Adolf von Harnack . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Kurd Laßwitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Otto Benndorf . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Lily Usener . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Hans Vaihinger . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Graf Paul Yorck von Wartenburg . . . . . . . . Dilthey an Graf Paul Yorck von Wartenburg . . . . . . . .

56 59 61 62 65 66 69 72 73 74 77 78 79 79 81 82 83 85 86 88 90 91 93 95 97 99 100 101 101 103 104 105 106 109 110 111 112 114 115 115

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Graf Paul Yorck von Wartenburg an Dilthey . . . . . . . . Dilthey an Kurd Laßwitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Hans Delbrück . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Wilhelm Schuppe . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Kurd Laßwitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Ferdinand Tönnies . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Hans Vaihinger . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Kuno Fischer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Ernst und Maria von Wildenbruch . . . . . . . Dilthey an Graf Paul Yorck von Wartenburg . . . . . . . . Dilthey an Gustav von Schmoller . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Graf Paul Yorck von Wartenburg . . . . . . . . Dilthey an Otto Benndorf . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Graf Paul Yorck von Wartenburg . . . . . . . . Dilthey an Graf Paul Yorck von Wartenburg . . . . . . . . Dilthey an Graf Paul Yorck von Wartenburg . . . . . . . . Dilthey an Graf Paul Yorck von Wartenburg . . . . . . . . Dilthey an die Verlagsbuchhandlung Georg Reimer . . . . Dilthey an Harald Höffding . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Friedrich Poske . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Hans Vaihinger . . . . . . . . . . . . . . . . . Franz Boll an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Erich Adickes . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Kuno Fischer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Walter de Gruyter . . . . . . . . . . . . . . . . Graf Paul Yorck von Wartenburg an Dilthey . . . . . . . . Dilthey an Kurd Laßwitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Gustav von Schmoller . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Graf Paul Yorck von Wartenburg . . . . . . . . Dilthey an Kurd Laßwitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Graf Paul Yorck von Wartenburg . . . . . . . . Dilthey an Kurd Laßwitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Graf Paul Yorck von Wartenburg . . . . . . . . Dilthey an Graf Heinrich Yorck von Wartenburg . . . . . . Karl Beth an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karl Beth an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Kurd Laßwitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Kurd Laßwitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Adolf von Harnack . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Walter de Gruyter . . . . . . . . . . . . . . . .

XI 117 118 120 121 122 124 124 126 127 128 129 130 132 133 136 138 140 141 142 142 143 144 145 146 148 149 151 152 153 155 155 157 158 160 161 162 163 164 167 168

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Dilthey an Reinhard Kekúle von Stradonitz . . . . . . . . Dilthey an Kurd Laßwitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karl Dilthey an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Hermann und Lily Usener . . . . . . . . . . . . Hermann Usener an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Gustav von Schmoller . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Herman Grimm . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Julius Rodenberg . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Otto Benndorf . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Fritz Jonas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Hans Vaihinger . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Friedrich Paulsen . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Graf Heinrich Yorck von Wartenburg . . . . . . Dilthey an Robert Vischer . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Graf Heinrich Yorck von Wartenburg . . . . . . Dilthey an Otto Benndorf . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Fritz Jonas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karl Dilthey an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Kurd Laßwitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Ludwig Stein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Graf Heinrich Yorck von Wartenburg . . . . . . Dilthey an Graf Heinrich Yorck von Wartenburg . . . . . . Dilthey an Friedrich Theodor Althoff . . . . . . . . . . . . Dilthey an Graf Heinrich Yorck von Wartenburg . . . . . . Eduard Zeller an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Graf Heinrich Yorck von Wartenburg . . . . . . Dilthey an Otto Benndorf . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Otto Benndorf . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Otto Benndorf . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Hans Vaihinger . . . . . . . . . . . . . . . . . Karl Frenzel an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Lily und Hermann Usener . . . . . . . . . . . . Erich Foerster an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Friedrich Jodl . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hans Vaihinger an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . . Anton von Werner an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Ernst Hagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Theodor Mommsen . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Theodor Mommsen . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Theodor Mommsen . . . . . . . . . . . . . . .

168 169 170 172 173 175 176 176 177 178 179 180 180 182 183 184 184 185 186 187 188 189 190 191 192 193 194 195 196 197 198 199 200 201 202 203 205 206 207 208

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Dilthey an Kurd Laßwitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karl Dilthey an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Heinrich Rickert . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Hermann und Lily Usener . . . . . . . . . . . . Dilthey an Graf Heinrich Yorck von Wartenburg . . . . . . Dilthey an Karl Emil Franzos . . . . . . . . . . . . . . . . Kuno Fischer an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Hermann und Lily Usener . . . . . . . . . . . . Dilthey an Friedrich Jodl . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Karl Emil Franzos . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Wilhelm Schuppe . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Rudolf Otto . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karl Emil Franzos an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . Ernst von Wildenbruch an Dilthey . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Kurd Laßwitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Kurd Laßwitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Kurd Laßwitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Johannes Vahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . Eduard Zeller an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Julius Rodenberg . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Julius Rodenberg . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Julius Rodenberg . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Kurd Laßwitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Kuno Fischer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Ernst von Wildenbruch . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Julius Rodenberg . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Harald Höffding . . . . . . . . . . . . . . . . . Ernst von Wildenbruch an Dilthey . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Hans Vaihinger . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Paul Ritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Paul Ritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Paul Ritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Hermann Usener . . . . . . . . . . . . . . . . . Hermann Usener an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Robert Vischer . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Carl Justi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Carl Justi an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Paul Ritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Paul Ritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an seine Kinder . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XIII 209 210 211 211 213 214 215 216 216 217 218 218 219 220 222 223 224 224 225 226 226 227 228 229 230 231 231 232 234 235 235 236 237 238 241 242 243 245 246 247

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Dilthey an Paul Ritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Paul Ritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Paul Ritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an seine Tochter Clara . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Paul Ritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Paul Ritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Paul Ritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Friedrich Theodor Althoff . . . . . . . . . . . . Dilthey an Ferdinand Tönnies . . . . . . . . . . . . . . . . Karl Dilthey an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Fritz Jonas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Hermann Usener . . . . . . . . . . . . . . . . . Kaiser Wilhelm II. an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . Eduard Zeller an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . . . Herman Nohl an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Julius Rodenberg . . . . . . . . . . . . . . . . . Max Lenz an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Paul Ritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Ernst von Wildenbruch . . . . . . . . . . . . . Willy Kabitz an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prinz Eduard zu Salm-Horstmar an Dilthey . . . . . . . . Dilthey an Paul Ritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Paul Ritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Paul Ritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Adolf Matthias . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Wilhelm Erman . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Max Dessoir . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Paul Ritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hans Vaihinger an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Hermann Diels . . . . . . . . . . . . . . . . . Max Heinze an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hermann Usener an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . . Hans Vaihinger an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Paul Ritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey und Frau an Ernst von Wildenbruch . . . . . . . . Dilthey an Wilhelm Raabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Paul Ritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Paul Ritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Paul Ritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Paul Ritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Dilthey an Paul Ritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Paul Ritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Paul Ritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karl Dilthey an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karl Dilthey an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Paul Natorp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Lujo Brentano . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kurd Laßwitz an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Kurd Laßwitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kurd Laßwitz an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hermann Usener an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . . Karl Dilthey an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Unbekannt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Benno Erdmann an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . . Heinrich David an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Harald Höffding . . . . . . . . . . . . . . . . . Cosima Wagner an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . . Hermann Schwarz an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Graf Heinrich Yorck von Wartenburg . . . . . . Dilthey an Ludwig Darmstädter . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Ludwig Darmstädter . . . . . . . . . . . . . . . Einige Studenten an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Paul Ritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Paul Ritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Paul Ritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Hans Vaihinger . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Cosima Wagner . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Graf Heinrich Yorck von Wartenburg . . . . . . Dilthey an Rudolf Otto . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wilhelm Windelband an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Paul Ritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Paul Ritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Wilhelm Ermann . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Ernst von Wildenbruch . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Theodor Mommsen . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Rudolf Eucken . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Hans von Wolzogen . . . . . . . . . . . . . . . Ernst Jaffé an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Hermann Diels . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Eduard Spranger . . . . . . . . . . . . . . . . .

XV 293 294 295 296 300 302 302 305 307 308 309 310 312 313 314 316 316 319 320 320 321 321 322 323 324 325 326 326 327 328 330 331 332 333 334 335 335 336 337 338

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Dilthey an Gustav von Schmoller . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Ernst von Wildenbruch . . . . . . . . . . . . . Willy Kabitz an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Hermann Diels . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Paul Ritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Paul Ritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Kurd Laßwitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Herman Nohl . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ludwig Hermann von Schelling an Dilthey . . . . . . . . Ernst von Wildenbruch an Dilthey . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Paul Ritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Rudolf Meyer an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Ludwig Hermann von Schelling . . . . . . . . Dilthey an Paul Ritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Paul Ritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Conrad von Studt an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . Paul Menzer an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Paul Wapler an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Paul Ritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karl Schultz an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Herman Nohl . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Paul Ritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Hermann Escher . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Hermann Diels . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Hermann Diels . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Ernst und Maria von Wildenbruch . . . . . . . James Lindsay an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . . . Willy Kabitz an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ludwig Stein an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konrad Burdach an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . . Benno Erdmann an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . . Jacob Freudenthal an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . Johannes Hermann an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . Karl Joël an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gräfin Bertha von Kalckreuth an Dilthey . . . . . . . . . . Friedrich Koepp an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . . Paul Natorp an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Johannes Rehmke an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . Christoph Sigwart an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . Anna Tumarkin an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Hermann Usener an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . . Erich Adickes an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . . . Friedrich Theodor Althoff an Dilthey . . . . . . . . . . . . Richard Falckenberg an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . Karl Frenzel an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fritz Graef an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Isidor Halpern an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . . . Adolf von Harnack an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . Alois Riehl an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Georg Wobbermin an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . Albert Friedrich Berner an Dilthey . . . . . . . . . . . . . Konrad Burdach an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . . William Stern an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . . . Elisabeth Schmidt an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . Robert Sommer an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . . Reinhold Seeberg an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . Eugen Hirschberg an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Herman Nohl . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ferdinand Freiherr von Richthofen an Dilthey . . . . . . . Dilthey an Ernst Bessel Hagen . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Paul Ritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Paul Natorp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an seine Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Willy Kabitz an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hermann Schönleber an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Herman Nohl . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Herman Nohl . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Friedrich Theodor Althoff . . . . . . . . . . . . Dilthey an Walter de Gruyter . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Paul Ritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Willy Kabitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Friedrich Theodor Althoff . . . . . . . . . . . . Dilthey an Willy Kabitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Walter de Gruyter an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Herman Nohl . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Willy Kabitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Friedrich Theodor Althoff . . . . . . . . . . . . Dilthey an Walter de Gruyter . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Paul Ritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Paul Ritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XVII 376 377 378 378 378 379 380 381 382 383 384 385 386 387 389 389 390 391 392 393 394 395 395 398 398 399 400 402 403 404 405 406 407 409 409 410 411 413 413 414

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Dilthey an Paul Ritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Paul Ritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Eduard Zeller . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Herman Nohl . . . . . . . . . . . . . . . . . . Conrad Rethwisch an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . Pedro de Múgica Ortiz de Zárate an Dilthey . . . . . . . . Pedro de Múgica Ortiz de Zárate an Dilthey . . . . . . . . Paul Siebeck an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Graf Heinrich Yorck von Wartenburg an Dilthey . . . . . . Dilthey an Paul Ritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Reinhold Lepsius . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Paul Ritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Paul Ritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Friedrich Theodor Althoff . . . . . . . . . . . . Dilthey an Paul Ritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Johann Oser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Paul Ritter an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Johannes Vahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . Gebrüder Paetel an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Wilhelm Raabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Georg Misch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wilhelm Raabe an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Erich Adickes . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erich Adickes an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Herman Nohl . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Erich Adickes . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Herman Nohl . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Herman Nohl . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Eduard Zeller . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erich Adickes an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . . . Paul Menzer an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Erich Adickes . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wilhelm II. an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Eduard Zeller . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Erich Adickes . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Rudolf Eucken . . . . . . . . . . . . . . . . . . Willy Kabitz an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Hermann Usener . . . . . . . . . . . . . . . . . Erich Adickes an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Hermann Diels . . . . . . . . . . . . . . . . .

415 416 416 417 418 419 420 421 422 424 425 425 426 427 429 429 430 431 432 432 433 435 436 443 449 450 452 452 454 454 457 458 460 460 461 462 463 464 465 467

Inhalt

[1370] [1371] [1372] [1373] [1374] [1375] [1376] [1377] [1378] [1379] [1380] [1381] [1382] [1383] [1384] [1385] [1386] [1387]

Dilthey an Paul Ritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Paul Ritter an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Hermann Diels . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Paul Natorp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Paul Natorp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Herman Nohl . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Ernst von Wildenbruch . . . . . . . . . . . . . Dilthey an August Schmekel . . . . . . . . . . . . . . . . . Bernhard Fürst von Bülow an Dilthey . . . . . . . . . . . Dilthey an Paul Ritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Herman Usener . . . . . . . . . . . . . . . . . Alois Riehl an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hermann Usener an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . . Lily Usener an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilthey an Hermann Usener . . . . . . . . . . . . . . . . . Albrecht Dieterich an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . Friedrich Paulsen an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . . . Conrad von Studt an Dilthey . . . . . . . . . . . . . . . .

XIX 468 469 470 470 471 472 473 473 474 475 476 477 479 480 482 483 484 485

Siglen- und Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 486 Register der Briefpartner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 491 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 496

[978] Max Heinze1 an Dilthey Leipz[ig], d[en] 4. Jan[uar] 1896. Verehrtester Freund u[nd] College! Sie werden es vorziehen, die nächsten Wochen in Meran zu bleiben u. dort den Sonnenschein zu genießen, anstatt in unsere jetzt sehr feuchte, trübe, schmutzige Atmosphäre zurückzukehren, u. ich, der ich Meran von etwa 15maligem Aufenthalt daselbst hinlänglich kenne, möchte Sie um die Spaziergänge auf der Tappeiner-Promenade u.s.w. beneiden. Vor allen Dingen wünsche ich aber, daß die Meraner Luft Ihrer Frau Gemahlin u. Ihrem Sohn 2 das bringe, was sie dort suchen, d. h. volle Gesundheit. Sehr erfreut war ich, aus Ihrem letzten Briefe zu ersehen, daß Adickes jetzt sicher für die Bearbeitung der Reflexionen u.s.w. gewonnen ist,3 da er nach Erdmann u. Vaihinger4 ohne Zweifel sich am besten dazu eignet.  – Sobald ich mit Ueberweg III, 25 fertig bin, der mir ziemlich viel zu schaffen macht, werde ich an die Vorlesungen Kants gehen, u. ich hoffe, in diesem Jahr auf ein gutes Stück damit vorwärts zu kommen. – Von den Kantstudien soll, soviel ich weiß, schon im Monat Januar das erste Heft erscheinen u. Vaihinger ist ungeheuer dahinter her, Mitarbeiter zu gewinnen. Halten Sie es nicht für angemessen, in das erste Heft eine Ankündigung der Kantausgabe zu bringen? Jedenfalls würde sich Vaihinger sehr darüber freuen, besonders weil damit zugleich eine Art Zusammenhang der K[ant]-Studien mit der K[ant]-Ausgabe angedeutet würde.6 – Die Angriffe Ebbinghausens gegen Sie7 haben mich indignirt, als sie mir erst sehr spät zu Gesicht kamen. Sie werden die Sache jetzt wahrscheinlich überwunden haben – ich hatte E[bbinghaus] für einen feiner fühlenden Menschen gehalten. Wundt8 hatte die Angelegenheit sehr ruhig aufgefaßt – er hat Ihnen ja wohl selbst darüber geschrieben.9 Dagegen scheint ihn der Abfall Külpes10 etwas mitgenommen haben, zumal er dabei merkt, daß überhaupt in der Reihe seiner Schüler manche nicht mehr fest zu ihm stehen. Machen Sie in Leipzig nicht einmal Halt, wenn Sie von Meran wieder nach Berlin zurückkehren? Ende März oder Anfang April komme ich vielleicht wieder nach Meran, nachdem ich es erst im October verlassen habe. Herzlichen Gruß u. Wunsch für das Beste im neuen Jahr

Ihr treu ergebener M. Heinze

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Graf Paul Yorck von Wartenburg an Dilthey

Original: Hs.; ABBAW, Dilthey-NL , Fasz. 169, Bl. 200–201. 1 Der Philosoph Max Heinze (1835–1909); Mithg. der Kant-Studien und der KantAkad.-Ausg. 2 D.s Ehefrau Katharina (1854–1932) und sein Sohn Maximilian (1884–1962). 3 Der Philosoph Erich Adickes (1866–1928); Mithg. der Kant-Akad.-Ausg. – Der Vertrag zwischen der Königl. Preuß. AdW zu Berlin und „dem Oberlehrer H[er]rn Dr. Adickes in Kiel“, die Bearbeitung und Herausgabe derjenigen „Abtheilung der Kantausgabe“ betreffend, welche die „Reflexionen Kants auf losen Blättern, Kompendien und Handexemplaren enthält“, wurde am 17. Februar 1896 geschlossen (Original: ABBAW, Bestand PAW ­(1812–1945), Sign. II-VIII-153, Bl. 25–26 ). 4 Der Philosoph Benno Erdmann (1851–1921).  – Der Philosoph und Kant-Forscher Hans Vaihinger (1852–1933); 1897 Gründer der Kant-Studien und 1904 der „Kant-Gesell­ schaft“. 5 M. Heinze war in den Jahren 1876–1906 Herausgeber der 5.–9. Aufl. von Friedrich Ueberwegs Grundriss der Geschichte der Philosophie. – In Vorbereitung war die 8. Aufl., deren 3. Theil: Die Neuzeit, 2. Band: Nachkantische Systeme und Philosophie der Gegenwart 1897 in Berlin erschien. 6 Vgl.: Die neue Kantausgabe, in: Kant-Studien 1 (1897), S. 148–154. 7 Der in Breslau lehrende Psychologe Hermann Ebbinghaus (1850–1909) hatte D.s Ideen über eine beschreibende und zergliedernde Psychologie, die 1894 in den Sitzungsberichten der Königl. Preuß. AdW zu Berlin erschienen waren, scharf kritisiert. 8 Der Physiologe, Psychologe und Philosoph Wilhelm Wundt (1832–1920); Gründer des ersten Instituts für experimentelle Psychologie in Deutschland. 9 Vgl. BW II, Brief [965], S. 571–572. 10 Oswald Külpe (1862–1915): Psychologe und Philosoph; 1887 Promotion in Leipzig, 1887–1894 Assistent Wundts am psychologischen Institut ebd., 1894 Prof. in Würzburg, 1909 in Bonn, 1912 in München; Begründer der „Würzburger psychologischen Schule“.

[979] Graf Paul Yorck von Wartenburg1 an Dilthey

Mein lieber Freund.

Berlin. W[est] Nürnbergerstraße 69. 15. 1. [18]96.

Anbei in zwei Couverts die Druckbogen. Erst gestern habe ich sie lesen können. Denn alternirende2 Augenentzündung, die ganz noch nicht beseitigt ist, legte mich lange Zeit ganz lahm. Es ist eben auf meine Augen kein Verlaß mehr und die Arbeitsfähigkeit dadurch sehr reduzirt. Wir sitzen nun hier fern der Stadt und die Nähe Ihrer Wohnung ist wirkungslos. Hoffentlich treffen diese Zeilen Sie in aufsteigender Gesundheit und Kräftigung.

Graf Paul Yorck von Wartenburg an Dilthey

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Was nun die Beiträge3 angeht, so kann ich sachlich nur erfreut zustimmen. Das Gegebene ist so ausgeglichen, daß die Ausschaltungen nicht bemerkbar sind. Ganz vortrefflich Alles über das historische Verstehen – Abweisung des Analogieschlusses – Gesagte. Über Typus habe ich mich schon früher ausgesprochen. Die Prägung des Terminus: Vergleichende Wissenschaften im Unterschiede von generellen Theorien, nicht ganz ohne Bedenken. Vergleichung ist doch auch das Mittel Gleichförmigkeiten zu finden. Nur die Absicht desselben Verfahrens ist eine verschiedene. Das sich Bewegen von Leben zu Leben, die Art des historischen Verstehens und der Erfassung von Persönlichkeit vollzieht sich überdem ohne Vergleichung, oder wenigstens ist diese nicht wesentlich. Eine ausgeführte Erkenntnißtheorie würde da vielleicht über diesen Terminus hinausführen, wie denn Ihre eigene Darstellung ihn überschreitet. Doch ein Terminus ist, sobald sein Sinn eindeutig bestimmt ist, sachlich nicht von Bedeutung. Im Übrigen habe ich nur kleine Formalien durch Bleistiftstriche bezeichnet. So ist pag. 7 Analogie als zweite vergleichende Methode bezeichnet. Ich meine, daß es keine Vergleichungsmöglichkeit ohne Analogie giebt. Welches die erste? Auch halte ich Analogie für keine Methode, sondern für ein methodisches Hilfsmittel. Übrigens wird m. E. der Begriff der Methode im Allgemeinen zu unbestimmt und vereinzelt angewendet. pag. 8 würde ich nicht sagen, daß an der Materie psychische Vorgänge auftreten. Materie ist ein Abstraktum aus der psychophysischen Gegebenheit derivirt, nichts Selbständiges. Auf derselben Seite würde ich das: Also streichen. Eine Folgerung stellt der Satz nicht dar. p. 10. Differentiation  – Integration oder Differentiiren und Integriren. Eben dort müssen die Worte „in der Individualität“ fortfallen. Bleiben sie stehen, so lautet der Satz: die Individuation erreicht aber hier in der Individualität ihren Höhepunkt. Jede Individuation schafft doch Individualität und Individualität ist doch nicht nur die volle und reiche menschliche, für welche der Ausdruck auch nur eine Grenzbezeichnung ist. Was nun endlich die Anmerkung4 betrifft, so ist sie ja sehr abgetönt aber diese kühle Form ist vielleicht die richtigste. Sachlich habe ich zu bemerken, daß die Ansicht von den Berührungspunkten zwischen konstruktiver und ableitender Psychologie durch den früheren Aufsatz gerechtfertigt ist, aber daß ich sie gern vermieden gesehen hätte. Wundt in seinem letzten Aufsatze5 ist m. E. mit Recht darüber hinausgegangen, indem er die ganz verschiedene Art der Hypothesen begrifflich festgestellt hat. Der Berührungspunkt bleibt da wirklich nur ein Punkt. Meines Erachtens ist aber noch über Wundt hinauszugehen. Der Begriff der Hypothese bedarf der Klärung. Eingreifender ein Anderes: die Sicherheit des Strukturzusammenhanges wird mit Recht behauptet,

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Graf Paul Yorck von Wartenburg an Dilthey

diese Sicherheit aber nicht zu einem unmittelbaren Gegebensein ‚gestei­gert‘. Dann wäre die Sicherheit eine vermittelte und als solche keine völlige. Und wodurch vermittelt? Damit wird ein starker Schritt nach rückwärts gethan. Die Sicherheit wird verifizirt aber nicht gewonnen. Sie ist unmittelbar ge­ geben. Reflexion erkennt sie, aber Reflexion produzirt nie. Selbst Wundt betont den ‚unmittelbaren direkt in der Erfahrung gegebenen Zusammenhang der psychischen Vorgänge‘. Und thatsächlich sind der Selbstbetrachtung nicht einzelne Empfindungen, Vorstellungen, gegeben sondern zusammenhängende ganze Verhaltungen. Was ich primär erfahre, ist meine strukturirte einheitliche Lebendigkeit. Sie ist das Organon für Erfassung und Erkenntniß aller Lebendigkeit. Der Zusammenhang wird auf Grund der strukturellen Differenz gelöst in jeder Projektion, in jeder Vorstellung. In dem rein Ontischen ist davon abgesehen. Aber die Tendenz der Erkenntniß führt in ihn zurück. Erkenntniß ist Aneignung. Das rein Ontische wird erkannt mittelst einer Übertragung des Zusammenhangs. Das Menschliche oder Historische bedarf einer solchen Übertragung nicht. Hier ist das Verhältniß ein unmittelbares. Ein Mensch wird dem anderen nie zur Sache. Dies haben Sie ja sehr schön betont bei der Abweisung der Analogie. – Sein ist ein Derivat des Lebens, eine partikulare Lebensmanifestation. Soviel für heute mit müden Augen und einem lahmen Beine, was mir Ausgehen und Bewegung verbietet. Berlin bekommt mir körperlich schlecht wie immer. Nun lassen Sie ein Wörtchen hören, hoffentlich nur Gutes über sich, Ihre Frau und Kinder. Original: nicht überliefert; Erstdruck: BDY, Nr. 127. 1 Der Jurist, Gutsherr und Privatgelehrte Graf Paul Yorck von Wartenburg (1835–1897) war ein enger Freund und Gesprächspartner D.s seit den frühen 1870er Jahren. 2 Wechselnde. 3 D.s Vortrag vom 25. April 1895 in der Königl. Preuß. AdW zu Berlin: Beiträge zum Studium der Individualität, in: Sitzungsberichte der Königl. Preuß. AdW, ausgegeben am 12. März 1896, S. 295–335; WA im Rahmen der Abhandlung von 1895 in: GS V, S. ­241–316. – Yorck lagen vermutlich die Korrekturfahnen des Beitrags vor. 4 D.: Beiträge, a. a. O., S. 297 ff. – In dieser „Anmerkung“ antwortet D. auf den Angriff H. Ebbinghaus’ auf D.s Ideen über eine beschreibende und zergliedernde Psychologie (1894); vgl. BW II, Brief [960], S. 562–563. 5 W. Wundt: Ueber die Definition der Psychologie, in: Philosophische Studien 12 (1896), S. 1–66.

Dilthey an Carl Stumpf 

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[980] Dilthey an Carl Stumpf 1

Lieber Freund,

Meran Hôtel Ortenstein 22 Jan[uar] [18]96.

besten Dank. Es ist mir lieb daß auch Sie die Aufschiebung der Ernennungen2 zweckmäßig finden. In Bezug auf die Correktur mit ganz besondrem Dank für die Bemühung: 1. unmittelbares Gegebensein. Die Feststellung kennt doch nur Geschehen durch Probiren, das eine innere Situation herbeiführt[,] oder durch nachträgliches aufmerksames Erinnern des Ablaufs. Denn ich kann nicht den Vorgang von einer Vorstellungslage zu einer Willensbestimmung im Leben vollziehen und zugleich zu aufmerksamem distinguirendem Auffassen seiner Theile und des Zusammenhangs derselben bringen. Daher kann ich mir nur den Zusammenhang einer Vorstellungslage mit einem Gefühl, das daraus hervorgeht, zu klarem Bewußtsein bringen, oder des Gefühls mit einer Willensbestimmung, oder auch zusammenziehend u. dunkel einer Vorstellungslage mit einer Willensbestimmung. Handelt es sich dagegen um Erinnerungen aus meinem früheren Leben oder Zukunftsbilder, so kann ich diese wohl mit dem einheitlichen Bewußtsein des ganzen Zusammenhangs durchlaufen. Aber natürlich wird auch im ersteren Falle mir der Zusammenhang, der besteht, in dem aufmerksam constatirenden Bewußtsein in getrennten Akten (nach Umfang der Aufmerksamkeit, Unmöglichkeit einer doppelten Richtung derselben) festgestellt. Stimmt das nicht auch mit Ihren Erfahrungen [überein]? Ich wollte dies nun in der Anm[erkung] wol zu kurz sagen, u. habe es mißverständlich gesagt. Schlage also etwa so vor, u. bitte was Ihnen nicht sicher scheint zu streichen: Nach: ‚wie seine einzelnen Glieder stückweise etc[.]  – dargelegt‘3 dann: ‚Doch wird in den einzelnen probirenden oder die Erinnerung nachträglich aufmerksam distinguirenden Akten nur der im Lebensverlauf selber ungetrennt von einer Vorstellungslage bis zu einer Willensbestimmung fortgehende Strukturzusammenhang, wie er der Ausdruck unserer einheitlichen strukturellen Lebendigkeit ist, zu solchem distinkt constatirenden Bewußtsein gebracht.‘ Natürlich wird hierbei nur der Zusammenhang, der besteht, von dem aufmerksam constatirenden Bewußtsein in getrennten Akten festgestellt. Und in den Erinnerungen aus unsrem früheren Leben (sowie in Zukunftsbildern) durchlaufen wir den ganzen Zusammenhang in einheitlichem Zuge. Aus solchen einzelnen Fällen wird dann der allgemeine Begriff des Strukturzusammen­hangs abstrahirt und auf das Ganze des Seelenlebens über-

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Dilthey an Carl Stumpf 

tragen. In diesem Sinne ist der Ausdruck: [,]der Strukturzusammenh[ang] wird erlebt‘ zu verstehen, worauf ja der Zusammenh[ang] dem vorhergehenden Satze hinführt etc. (Dann fällt weg: ‚so wenig – habe‘.) 2. ‚Erkenntnismittel‘[:] der Ausdruck bezieht sich auf die von E[bbinghaus] mir vorgeworfene Vermischung von ‚Erkenntnismittel‘ etc. 3. S. 4[:] Ich möchte ausdrücklich darauf hinweisen daß ich die Einwürfe gegen meine historische Darstellung der constructiven Psychologie an andrer Stelle widerlegen werde. S. 4. Schluß[:]4 Ist folgende in der Correctur enthaltene Fassung geeigneter den Ausdruck ‚incommensurabel‘ dadurch zu erläutern, daß es eben seelische Thatsachen giebt die jedenfalls für uns jetzt eine überzeugende Zergliederung d[.]h. Auflösbarkeit in rationale Beziehungen nicht zulassen? Im Aufsatz hatte ich das entschiedenst ausgesprochen, ist es nun nicht richtig, diesen äußersten Punkt meiner Überzeugung ausdrücklich zu souteniren?5 Und besser wie es war oder mit der Änderung im Corr[ektur]b[ogen]? Nun habe ich aber noch die Bitte, lieber Freund, möchten Sie nicht, da ich im Psychologischen Theil gern alles Angreifbare vermeiden möchte bis Seite 12 (Schluß von N[ummer] 2) durchlesen darauf, insbesondre dabei das S. 8 über Principium Individui. Kann ‚Beweis‘ stehen bleiben? Und dann noch S. 15. 16 über Verwandtschaft von Verstehen und Mitgefühl. Es hat gut mehrere Tage Zeit bis Sie eine freie Stunde finden. Herzlichen Dank von m[einer] Frau u. mir für Ihre u. Ihrer verehrten Frau6 Theilnahme. Nächstens mehr. Heute sollen nur die Bogen fort. Treulichst Ihr W. Dilthey Original: Hs.; ABBAW, Dilthey-NL , Fasz. 249, Bl. 467–468 R. 1 Der Philosoph und Psychologe C. Stumpf (1848–1936), der seit 1884 in Berlin lehrte. 2 Vgl. hier Brief [978]. 3 Vgl. D.: Beiträge, a. a. O., S. 297, Anm. 4 Ebd., S. 298. 5 Unterstützen, behaupten. 6 Hermine Stumpf, geb. Biedermann (1849–1930), seit 1878 mit C. Stumpf verheiratet.

Dilthey an Graf Paul Yorck von Wartenburg 

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[981] Dilthey an Graf Paul Yorck von Wartenburg Meran, Villa Hohenstein 22. Jan[uar] [18]96.   Mein lieber Freund, das sind ja Zeiten, in die man sich schicken muß, wie es gehen will. Tagtäglich dachte ich in der tiefsten Wehmuth seit dem 8ten, an welchem Tage ich Sie mir in der Nürnberger Straße vorstellte, an Berlin, Sie und meinen unermeßlichen Verlust, nicht mit Ihnen in so nachbarlicher Art beisammen zu sein. Und nun sagt mir Ihr Brief dazu daß Ihr Augenleiden immer noch nicht überwunden ist, wobei ich Ihnen doch noch besonders tröstlich hätte sein können. Ich sitze hier beim Läuten der Abendglocken noch mit offener Balkonthür. Meran hat mir viel mehr gehalten als ich mir irgend versprach. Meist wolkenloser Himmel, Sitzen im Freien, eine Gegend von wunderbarer Heiterkeit. So ist auch nach dem neuesten Urtheil des Arztes meine Erkrankung wieder gemindert, und man kann nun wol mit Sicherheit sagen daß sie ihren Grund in einer nervösen Störung hat, die überwunden werden kann. Doch lange, lange werde ich in dem Arbeiten mich sehr mäßigen müssen, und wie das bei Fortdauer der Vorlesungsthätigkeit und der übrigen Amtsgeschäfte möglich sein soll, ohne mich brach zu legen, ist mir unerfindlich. So darf ich zunächst immer nur an den nächsten Tag denken um nicht tief, tief traurig zu sein. Doppelten Dank beim jetzigen Stande Ihrer Augen für Ihre Striche, welche ich sorgfältig durchdenke, und die dazu gehörigen brieflichen Bemerkungen.1 Über den Hauptpunkt, das unmittelbare Gegebensein des Strukturzusammenhangs möchte ich mich so aussprechen, nach langer Beobachtung meiner Selbst darüber. Wenn ich die Glieder des Zusammenhangs distinkt und absichtlich auffasse, probirend oder in der Erinnerung distinguirend, kann ich, ähnlich wie man zwei Urtheile nur in zwei Denkakten auffassen kann, nur in verschiedenen Akten nacheinander den Zusammenhang einer Vorstellungslage mit Gefühlen, dieser mit Willenshandlungen zu ganz klarer Auffassung bringen. Die Einschränkung des Umfangs der Aufmerksamkeit macht mir nicht möglich den Zusammenhang von einer Vorstellungslage zu einem Gefühl und von diesem zu einem Willensvorgang in Einem Akte des Bewußtseins aufmerkend zu durchlaufen. Natürlich sind die Glieder zusammenhängend, aber zum aufmerksamen distinguirenden Bewußtsein kann ich mir nicht den ganzen Zusammenhang bringen. Wo im Lebensverlauf so rasch eine Willensintention entsteht aus einer Lage, daß ich in Einem Akte der Aufmerksamkeit den Zusammenhang mir bewußt mache, sind die Glieder nicht

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Dilthey an Graf Paul Yorck von Wartenburg 

distinkt. Mir scheint daß die Einschränkung des Umfangs der Aufmerksamkeit der Grund ist daß wir nicht distinkt und klar den ganzen Zusammenhang der Glieder zugleich umfassen können. Stumpf schreibt mir2 im selben Sinne als Sie für die Unmittelbarkeit der inneren Erfahrung des Strukturzusammenhangs: ‚In der That sind uns doch Beispiele des Strukturzusammenhangs fortwährend in der inneren Wahrnehmung unmittelbar gegeben; aus diesen Beispielen können wir uns den allgemeinen Begriff abstrahiren, den wir dann auf das Ganze übertragen. So wenigstens möchte ich die Sache auffassen.‘ In diesen Sätzen scheint mir aber der Unterschied des Zusammenhangs, sofern wir im Lebensverlauf seiner inne werden, und des in Theilen stattfindenden Heraushebens seiner distinkten genau aufgefaßten Glieder und ihrer einzelnen Zusammenhänge, wodurch erst die wissenschaftlich brauchbare Wahrnehmung entsteht, nicht beachtet. In distinkter klar deutlicher Auffassung besitzen wir den Zusammenhang auch im einzelnen Fall nur vermittelt. Die Feststellung des unmittelbar Gegebenseins der einzelnen Theile der Struktur und ihres Zusammenhangs von einer Vorstellungslage durch das Gefühl zur Willensbestimmung kann doch nur geschehen durch Probiren, das eine innere Situation herbeiführt, oder durch nachträgliches aufmerksames distinguirendes Erinnern dieses Ablaufs. Sie nennen das Reflexion. Der Ausdruck ist gleichgiltig. Aber nur durch solche Vorgänge stelle ich fest. Denn ich kann nicht den Vorgang von einer Lage zu einer Willensbestimmung im Leben vollziehen und zugleich zu aufmerksamem, distinguirendem Auffassen seiner Theile und des Zusammenhangs derselben bringen. Daher kann ich mir nur den Zusammenhang einer Vorstellungslage mit einem Gefühl, das daraus hervorgeht, zu klarem Bewußtsein bringen, oder des Gefühls mit einer Willensbestimmung, oder auch zusammenziehend und dunkel einer Vorstellungslage mit einer Willenshandlung zu aufmerksamem, feststellendem Bewußtsein bringen. Handelt es sich dagegen um Erinnerungen aus meinem früheren Leben oder Zukunftsbilder, so kann ich diese wol mit einheitlichem Bewußtsein des Zusammenhangs durchlaufen. Doch wird natürlich auch im ersteren Falle nur der einheitlich bestehende Zusammenhang in getrennten Akten durch das aufmerksame constatirende Bewußtsein festgestellt. So ist vielleicht folgende Fassung angemessener? Wie seine einzelnen Glieder stückweise erfahren etc. S. etc. dargelegt.3 Doch wird in den einzelnen probirenden oder die Erinnerung nachträglich aufmerksam distinguirenden Akten nur der im Lebensverlauf selber ungetrennt ablaufende Strukturzusammenhang von einer Vorstellungslage bis zu einer Willensbestimmung, wie er der Ausdruck unserer einheitlichen strukturellen Lebendigkeit ist, zu distinguirendem, aufmerksamem Bewußtsein erhoben. Und in Zukunftsbildern und in Erinnerungen aus unsrem früheren Leben durchlaufen wir den gan-

Dilthey an Graf Paul Yorck von Wartenburg 

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zen Zusammenhang. Aus den einzelnen Fällen wird dann der allgemeine Begriff abstrahirt und auf das Ganze des Seelenlebens übertragen. In diesem einfachen Sinne war der Ausdruck etc. Dann: zwischen die Methode, welche Eine Erscheinung durch die andre begränzt und erleuchtet, und die wissenschaftlich vergleichende Methode der Sprachwissenschaft, Mythologie etc. stelle ich die Methode der Analogie, als Übergang, die ich nun lieber so bezeichnen will: vereinzelte und unmethodische Verwerthung der Analogie für Auffindung von Generalisationen (cf. Poly­bius, Macchiavelli, Vico etc.).4 Vergleichende Methode überhaupt ist mir das Verfahren[,] die Individuation stufenweise durch Analogie zu Erfassung ihres allgemeinen Zusammenhangs zu bringen. In der Anmerkung möchte Stumpf daß der abschließende Satz: ‚es werde dabei bleiben daß Seelenleben incommensurabel sei‘, wegen seiner Unbestimmtheit wegfiele.5 Trotzdem scheint mir dies Souteniren des Standpunktes, wenn auch in unbestimmter Allgemeinheit, wichtig; wie denken Sie? Bis zu diesem Schluß sind wieder Tage des herrlichen Wetters vergangen. Ich steige täglich, und hoffe zu gesunden. Zu 5. März leider Vortrag zur Akademie6 einzusenden. Der Faden der Arbeit reißt nicht. Möge es bei Ihnen gut gehn. Heute Wildenbruchs Stück.7 Möge es gut ablaufen. Nächste Tage ruhiger. Original: nicht überliefert; Erstdruck: BDY, Nr. 128. 1 Vgl. Brief [979]. 2 Nicht überliefert. 3 D.: Beiträge, a. a. O., S. 3 [297], Anm. 4 Vgl. D.: Beiträge, a. a. O., S. 301–302. 5 Vgl. ebd., S. 299, Anm. 6 D.s Beiträge wurden am 12. März 1896 ausgegeben. – Erst in der Gesamtsitzung der Königl. Preuß. AdW vom 25. Juni 1896 hielt D. einen Vortrag „über Hermeneutik“. 7 Der Dichter Ernst von Wildenbruch (1845–1909): Heinrich und Heinrichs Geschlecht. – Der 1. Teil dieser Tragödie, König Heinrich, wurde am 22. Januar 1896 im Berliner Theater uraufgeführt und erlebte in „knapp fünf Monaten 100 Aufführungen“ (Litzmann, Bd. II, S. 159).

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Dilthey an Hermann Diels 

[982] Dilthey an Hermann Diels1

Lieber Freund,

Meran, Hôtel Ortenstein 27 Jan[uar] [18]96 Vertraulich und persönlich

Es hat mir hier in meiner Verbannung eine große Freude gemacht daß nun auch der Urlaub für A[dickes] gesichert ist. Da so die anderen Faktoren uns hilfreich sind, wäre es ja ein unfaßbarer Fehler, sollte die Ak[ademie] um zu versuchen 1000–1500 Mark zu sparen, was dann doch nicht gelingen würde, die Beendigung der Unternehmung in’s Unbestimmte zu schieben, da man so nun rechnen kann daß die Edition in etwa 6 Jahren fertig ist. Ich sende sogleich das kurze Exposé,2 an dem ich nach Ihrer besseren Kenntniß der Stimmung beliebig zu streichen oder zu ändern bitte. Ich schreibe gleichzeitig an Weinhold[,] Schmoller, Brunner u. Treitschke3 darüber. Ich verstehe doch recht daß in der Classe4 die Schlußabstimmung stattfindet; ist es anders, so bitte ich um eine Karte, u. schreibe dann noch an einige wichtige Mitglieder der anderen Classe,5 den nothwendigen Erfolg nach Möglichkeit mitsichern zu helfen. Mit dem Vertragsentwurf6 ganz einverstanden. Nur lt. Plan gebe ich zur Erwägung: Zu § 2. Nach den Ihnen bekannten Aussichten von Ad[ickes] u. seiner Natur ist eher zu große Eile als Zaudern von ihm zu erwarten. Nun kann der Druck bei der sach[lichen] u. chrono[logischen] Ordnung des ges[amten] Materials erst beginnen, wenn das ganze M[anu]scr[ipt] druckfertig ist. Auch ist eine Prüfung und Erörterung mit der Commission u. den andren Hauptmitarbeitern nur möglich vis à vis eines druckfertigen M[anu]scr[ipts] des Ganzen. Ich würde also richtiger finden nicht zu kurz den Schluß-Termin zu bemessen, bei so unberechenbaren Schwierigkeiten, zu diesem aber auch das ganze u. vollständig druckfertige M[anu]scr[ipt] zu fordern. Dann ist man sicher daß keine Ungleichheiten u. Schiebungen in der Anordnung der Aufzeich[nun]g stattfinden. Zugleich zeigt man, daß eine gründliche ruhige Durcharbeitung gefordert u. Muße dazu gegeben wird. Etwa also so: ‚diese 2 Jahre verwenden‘ dann: und spätestens nach 3 ½ Jahren, vom 1 April [18]96 ab gerechnet, das vollständige u. druckfertige M[anu]scr[ipt] vorzulegen, alsdann auch den Druck ohne Unterbrechung zu Ende zu führen. Zu § 5: Die unbedingte Selbständigkeit des Bearbeiters außerhalb der ‚das Äußere der Publikation‘ betreffenden Sphäre ist nicht ohne Bedenken, da ja

Dilthey an Hermann Diels 

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mit den Herausgebern der Vorlesungen Einverständniß bis auf einen gewissen Grad hergestellt werden muß, event[uell] durch Vermittlung der Commission, die durch die Mitarbeiter verstärkt zusammentritt. Ich will über diesen Punkt gleich an Heintze schreiben. Etwa: soweit für die Einheitlichkeit des Unternehmens es erforderlich ist, wird in Conferenzen der Commission mit den in Frage kommenden Mitarbeitern Verständigung über strittige innere Fragen zu suchen sein. Die Entscheidung in allen das Äußere etc. Eine bessere Fassung ergiebt sich viell[eicht] aus der Anfrage bei Heintze und weiterer Überlegung. Unmöglich darf eine Discrepanz zwischen den einzelnen Theilen des Unternehmens, insbesondre nicht zwischen den Ergebnissen der Edition der Vorlesungen und den Aufzeichnungen in den Hauptpunkten bestehen. Bei der großen Vorsicht und Objektivität von Heintze ist auch für das herzustellende Einvernehmen eine gute Basis da. Meine Frau u. ich erwiedern herzlichst Ihre Grüße u. Wünsche. M[eine] Gesundheit bessert sich so daß ich auf völlige Wiederherstellung wol werde rechnen dürfen. Mit best[er] Empfehl[un]g v[on] Haus zu Haus u. erneutem lebhaftesten Dank für Ihre aufopfernde Bemühung. Treu ergeben Ihr Wilhelm Dilthey Original: Hs.; StB PK Berlin, HA , Sammlung Darmstädter 2 a 1870 (8): Dilthey, Bl. 30–31R. 1 Der klass. Philologe Hermann Diels (1848–1922), der seit 1886 als o. Prof. in Berlin lehrte und seit 1895 Sekretar der philos.-histor. Klasse der AdW war. 2 Nicht überliefert. 3 Karl G. J. Weinhold (1823–1901): Philologe; seit 1889 o. Prof. in Berlin. – Gustav von Schmoller (1838–1917): Nationalökonom; seit 1882 o. Prof. der Staatswissenschaften in Berlin. – Heinrich Brunner (1840–1915): österr. Rechtshistoriker; o. Prof. seit 1873 in Berlin. – Heinrich von Treitschke (1834–1896): Historiker; o. Prof. seit 1873 in Berlin. – Die Briefe D.s an K. G. J. Weinhold, G. von Schmoller und H. Brunner sind nicht überliefert. – Der Brief an H. von Treitschke: hier Brief [983]. 4 Die philos.-histor. Klasse der AdW zu Berlin. 5 Die math.-physikal. Klasse der AdW zu Berlin. 6 Der Vertrag der Königl. Preuß. AdW zu Berlin mit E. Adickes wurde im Februar 1896 geschlossen, da H. Vaihinger die Mitarbeit an der Kant-Akad.-Ausg. im November 1895 abgesagt hatte (vgl. den Brief D.s an Vaihinger vom 15. November 1895, in: BW II, Brief [967], S. 574, Anm. 3 sowie Stark, S. 80, 90 f.).

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Dilthey an Heinrich von Treitschke 

[983] Dilthey an Heinrich von Treitschke

Lieber verehrter Freund,

Meran, Hôtel Ortenstein 28 Jan[uar] [18]96

Lassen Sie mich Ihnen die Bewilligung des Postens von 8000 Mark für ­Adickes u. seine Abtheilung der Kantausgabe noch besonders an’s Herz legen u. Sie bitten erforderlichen Falls dafür einzutreten. Zu dem was ich in einem kurzen Exposé an Diels, das in der Akademie mitgetheilt wird1 u. das ich Sie freundlich lesen zu wollen bitte, gesagt ist, füge ich nur hinzu daß es gewiß im wahren Interesse der Akademie liegt, Unternehmungen, welche ein nationales Interesse haben[,] tüchtig und rasch durchzuführen; nur dadurch kann sie ihren Charakter mit dem Bedürfniß der Nation in Einklang bringen. Die tüchtige u. rasche Durchführung der Kantedition hängt aber von dieser Bewilligung ab. Adickes ist ein hervorragend tüchtiger Holsteiner, Dozent in Kiel, hartköpfig, aber nur so jemand kann diese furchtbar schwere u. ermüdende Arbeit durchführen. Mit meinen ergebenst[en] Grüßen, denen auch meine Frau sich anschließt treulichst Ihr Wilhelm Dilthey Original: Hs.; StB PK Berlin, HA , NL H. Treitschke, K. 5, 129, Bl. 23–24. 1 Vgl. hierzu die Sitzungsberichte der Königl. Preuß. AdW zu Berlin, Jg. 1896, S. 68– 69: „Bericht des H[er]rn Dilthey über die Kant-Ausgabe“ in der „Öffentlichen Sitzung vom 23. Januar“; 2. S. 337: Beschluss der Gesamtsitzung vom 12. März 1896: „Die philosophisch-historische Classe hat zur Herausgabe der Werke Kants’ ihrer für diesen Zweck eingesetzten Commission 1 900 Mark […] bewilligt.“ 3. S. 600: die Bekanntmachung in der Gesamtsitzung vom 21. Mai 1896: Die philosophisch-historische Classe hat „H[er]rn Dilthey für die Arbeiten an der Kant-Ausgabe 2 000 Mark“ bewilligt.

Graf Paul Yorck von Wartenburg an Dilthey 

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[984] Graf Paul Yorck von Wartenburg an Dilthey Berlin W.[est] Nürnbergerstr[aße] 69 den 1. II. [18]96   Lieber Freund. Seit mehr als vierzehn Tagen bin ich von rheumatischer Anschwellung der Füße und Hände befallen und seit zehn Tagen an das Zimmer gebannt. Das dadurch hervorgerufene Gesammtbefinden macht mich wenig tauglich zu ernstem Nachdenken. Aber ich meine, daß ich auch bei frischer Stimmung nichts Anderes bezüglich der Anmerkung würde sagen können als ich letzthin schrieb. Ich könnte mich nur wiederholen. Aus Ihren Correkturen, die durchgestrichen sind, also von Ihnen verworfen sind, kann ich mich nicht zurechtfinden. Mit der Streichung der Worte: ‚so wenig ich diese Sicherheit zu einem unmittelbaren Gegebensein gesteigert habe‘ bin ich natürlich einverstanden. Dagegen müssen die Schlußworte entgegen der Ansicht Stumpfs erhalten bleiben. Stumpfs Standpunkt ist eben ein anderer. Haben Sie den Ihnen und Ihrem Bruder1 gewidmeten Usener2 angesehen? Eine Wolke der Gelehrsamkeit umgibt einen. Aber die gelehrte Arbeit bleibt nicht bloßes Material sondern dient einem geistvollen Gedanken. Die Grenze zwischen primär göttlich Gefaßtem und abstrakt und willkürlich Personifizirtem ist allerdings unbestimmt gelassen, und wie bei neuem und eigenem Gedanken häufig geschieht, scheint mir der geistreiche Verfasser den Geltungsbereich seines Gedankens häufig zu weit auszudehnen. Ich möchte glauben daß von dem religiösen Gefühle her sich diese Grenze festlegen läßt und daß sich daher als Norm der Satz ergiebt, daß jede religiöse Personifikation, welche eigene Zuständlichkeit zum Inhalte hat, ein Kunstprodukt ist. So ist Hybris, Phobos3 Kunstprodukt, nicht aber Nike4 etc. Denn dem religiösen Gefühle ist Gott stets eine unabhängig dem Religiösen gegenüberstehende Potenz. Bei meiner Unbeweglichkeit habe ich natürlich so viel gelesen als die Rücksicht auf die eben in Ordnung gebrachten Augen es gestattete. Über die mittlere Stoa von Schmekel theile ich Zellers Urtheil.5 Das Buch ist ein Zeugniß eines philosophisch stumpfen Geistes. Sachlich interessant ist mir, wie wenig in philosophischer Beziehung bei Mancherlei in philologisch-antiquarischer aus C ­ icero zu entnehmen ist. Man fühlt es, wie rhetorisch-populäres Raisonnement die Conture von an sich schon minderwerthigen Gedankengebilden verwischt hat. Von der originalen Größe der alten Stoa nur noch wenig übrig. Gomperz6 beendet. Gut und das Beste das Pythagoreische Weltbild und

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Dilthey an Ernst von Wildenbruch 

Demokrit. Schlecht und modern überschätzt die Sophisten. Der Hauptsatz des Protagoras falsch aufgefaßt trotz aller Mühe der Vertheidigung. Wildenbruchs Heinrich IV,7 gesehen trotz schon damals geschwollener Füße. Introduktion und die beiden ersten Akte vortrefflich. Dann kommt der Jammer. Theater und Coulissenwirkung tritt an die Stelle des Dramatischen. Somit alle früheren Vorzüge und Fehler. Schade daß das Halbe nie ein Ganzes werden kann. Was sagen Sie zu Grimms pour la merite?8 Nun ist die Akademie unvermeidlich. Und dies nach solcher Schreiberei wie der Raffael!9 Soviel für heute. Sie sehen aus der Weltstadt kann ich nichts erzählen. Original: nicht überliefert; Erstdruck: BDY, Nr. 129. 1 Der klass. Philologe und Archäologe Karl Dilthey (1839–1907); jüngerer Bruder D.s. 2 H. Usener: Götternamen. Versuch einer Lehre von der religiösen Begriffsbildung. Bonn 1896; vgl. BW II, Brief [969], S. 577. – D.s Freund und Schwager, der klass. Philologe Hermann Usener (1834–1905), lehrte seit 1866 als o. Prof. in Bonn. 3 Hochmut (griech.: ὕβρις); Furcht (griech.: φόβος). 4 Sieg (griech.: νίκη). 5 A. Schmekel: Die Philosophie der mittleren Stoa in ihrem geschichtlichen Zusammenhange dargestellt. Berlin 1892.  – Der klass. Philologe und Philosophiehistoriker August Schmekel (1857–1934) hatte sich 1893 in Berlin habilitiert. – Der ev. Theologe und Philosophiehistoriker Eduard Zeller (1814–1908) lehrte von 1872–1895 in Berlin. 6 Der österr. Philosoph und klass. Philologe Theodor Gomperz (1832–1912). – Ders.: Griechische Denker. Eine Geschichte der griechischen Philosophie. 3 Bde. Leipzig 1896– 1909. Bd. 1: Griechische Naturphilosophen und Sophisten. Leipzig 1896. 7 E. v. Wildenbruch: Heinrich und Heinrichs Geschlecht; vgl. Brief [981], Anm. 7. 8 Der Kunst- und Literaturhistoriker Herman Grimm (1828–1901), seit 1873 o. Prof. für Kunstgeschichte in Berlin, bekam 1896 den Orden pour le mérite verliehen, wurde aber nicht in die Königl. Preuß. AdW zu Berlin aufgenommen. 9 H. Grimm: Das Leben Raphael’s. Berlin 1886; 3. Aufl. Neue Bearb. Berlin 1896.

[985] Dilthey an Ernst von Wildenbruch Meran, 1. Febr[uar] [18]96 Lassen Sie mich, lieber Freund, Ihnen herzliche Glückwünsche zu Ihrem Geburtstag1 sagen. Es ist schön dass derselbe mit dem neuen Erfolg zusammentrifft, den Sie errungen haben und den wir auch in der Ferne hier mit treuem Antheil begleiten.2

Dilthey an Ernst von Wildenbruch 

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Eine unbeschreibliche Fülle von Sonnenschein umgiebt uns hier, und ich genieße ihn mit dankbarem Herzen. Soll er mir doch hoffentlich Genesung bringen. Aber meine Gedanken muß ich doch mühsam von dem Arbeitsleben in Berlin, von meinen Büchern u. Papieren, vor Allem aber dort von den G ­ ästen aus Klein-Oels zurückhalten, die ich mir in diesem Winter auf so schöne gemeinsame Monate gehofft hatte. Doppelt fühle ich das an Tagen wie bei der Aufführung des Heinrich u. jetzt Ihrem Geburtstag, an dem ich Sie alle zusammen weiß, u. mir sage was ich verliere. Dann verschiebt sich die Schlafdecke, die ich mir sonst über Kopf und Augen halte, um so arbeitslos fortzudämmern. Denn es ist gewiß mehr als ein Dutzend Jahre daß ich nicht so gefaullenzt habe als in diesen Wochen. Ab und zu etwas für die Kantausgabe die weitergeht. Dann lese ich irgend ein Stück aus der Zeit von Shakespeare und träume darüber. Wie entbehre ich dann das Gespräch mit Ihnen und dem Freunde darüber, was hätten nicht Alles die Aufführungen dieses Winters uns zu sprechen gegeben! Ich erinnere mich mehrerer Gespräche, in denen Sie voraussagten daß der Naturalismus zurückgehn würde; in der Malerei, die voranging, wird ja schon zum Rückzug geblasen; ihr neuester Historiker war in seinem zweiten Bande noch Naturalist, jetzt im 3ten ist er zum ‚Symbolismus‘ übergegangen, von dem man dachte daß ihn Vischer für alle Zeiten todtgeschlagen hätte.3 In der Poesie muß der Versuch im Meister von Tanagra abschrecken.4 Ich sah ihn noch in Berlin, und dieser Versuch[,] einen confusen abstrakten Gedanken in erfundenen dramatischen Symbolen darstellen zu wollen, hat mich angewidert geradezu. Geschichte und Sage und Mythos haben die großen Symbole geschaffen, in denen der unergründliche Tiefsinn des Menschendaseins sich ausspricht, machen lassen sich solche Symbole nicht, sie können eben nur vom dichterischen Genie bis zu einem gewissen Punkte entziffert werden. So hilft den kleinen Kritikern, welche nach ihrer Natur als enge Privatmenschen in engen Privatinteressen befangen, diese symbolisiert sehen möchten, ihr Widerstand nicht: da eben das Publikum von den großen Kräften der Geschichte, der Sage oder des Mythos schließlich allein über sich selbst hinausgehoben wird. Das hat sich auch jetzt wieder manifestirt. Also ein herzliches Glückauf u. viele Grüße u. Glückwünsche Ihnen u. Ihrer lieben Frau von Ihrem getreuen

Wilhelm Dilthey5

Original: Hs.; GSA Weimar, 94/169, 11. 1 E. v. Wildenbruch hatte am 3. Februar Geburtstag. 2 Vgl. Brief [981], Anm. 7.

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Ernst von Wildenbruch an Dilthey 

3 Nicht eindeutig nachweisbar. 4 E. v. Wildenbruch: Der Meister von Tanagra. Eine Künstlergeschichte aus Alt-Hellas. Berlin 1880. 5 Beigelegt ist ein von D. verfasstes Gedicht für E. von Wildenbruch zum Geburtstag, geschrieben von D.s jüngster Tochter Leni (geb. 1888), unterschrieben von D., Hôtel & Pension Ortenstein (Anton Müller). Meran (Südtirol, am 1. Februar 1896): „Zum 3. Februar 1896. Von der Passer Strand / In’s Märksche Land / Seien viel treue Wünsche Gesandt / Dem deutschen Dichter, dem niemals schwand / Jugend und Frische, ihm innig verwandt,/ Der wahre Poesie uns wiederfand,/ Und deutschen Herzschlag zu fühlen verstand./ Ihm wünschet heute an Jahres Rand / Ein langes Leben im Verband / Mit Glück wie aus dem Feenland / Und reichet über die Berge die Hand / Aus dem warmen schönen Tyroler Land,/ Wohin das Schicksal sie verbannt,/ die lustige Leni als Gratulant! Dilthey.“

[986] Ernst von Wildenbruch an Dilthey Verehrtester Freund

Berlin 3. 2. [18]96

Ihrem freundlichen Briefe sind meine Gedanken mehrmals selben Tags ent­ gegen gekommen. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, wie wir Sie in diesen bedeutungsvollen Tagen hier entbehrt haben. Bedeutungsvoll, denn die Ereignisse, die sich hier zugetragen haben, gehen über das Persönliche weit hinaus. Wir erleben das merkwürdige Schauspiel, daß die Gemüther der Menschen einen anderen Weg als den bisherigen einschlagen. Halb von dem Bewußtsein geleitet, daß die Beweggründe des Naturalismus keine unberechtigten waren, halb von den Stimmen Stimmen-Gewaltiger Wortführer eingeschüchtert, hatte das Publikum, nicht eigentlich liebevoll, aber respektvoll zuwartend den Produkten dieser Schule zugesehen. Da kamen zwei Häuptlinge der Richtung, Hauptmann und Halbe,1 und kauften den Menschen zwei Gerichte, die keinem mehr schmeckten, und plötzlich hieß es genug davon! Die Abwendung war da – und im selben Augenblick kam ein Werk, dem man sich zuwenden konnte, und da ich weiß, daß Sie mich als Nicht-Prahlhans kennen, darf ich sagen, es war mein Werk. Wenn man vom „Erfolg“ des König Heinrich spricht, klingt das äußerlich. Das Stück dringt, wie ich täglich aus Worten und Schriften erfahre, wie ein tiefer, durststillender Strom in die Seelen der Menschen. Das macht mich mehr als stolz, das macht mich glücklich. – Die Deutschen haben gehungert und gedurstet  – zu wissen daß man ihren Hunger und Durst stillt, das ist ein wunderbares Gefühl. Sie haben danach gelechzt, ihre Phantasie mit einer

Ernst von Wildenbruch an Dilthey 

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großen Gestalt, mit einem Vorgang zu erfüllen, an dem sie Einiges ehren – zu wissen, daß das heilige alte Bedürfniß in Deutschland noch vorhanden ist, daß man ihm Befriedigung zu geben vermocht hat – das ist ein großes Gefühl. Nach dem allen werden Sie ermessen, mit wie ernsten Empfindungen großer Verpflichtungen ich diesen Vorgängen gegenüber stehe. Müßte ich mir sagen, daß der Zufall mir dies Werk geschenkt hat, so würde ich verzagen, aber ich weiß welche Arbeit darin begraben liegt. Daß mein Schwager Graf Paul Yorck von Wartenburg der ersten Aufführung beigewohnt hat, ist mir eine große Freude, leider ist er so wenig wohl, daß er heut zum Essen nicht bei uns sein konnte. Ihrer werthen Frau Gemahlin bitte ich für ihren Brief zu danken, ebenso bitte ich Frl. Clärchen auch herzlich zum Geburtstag zu gratulieren2 und Lenchen für ihre Verse zu küssen.3 Wenn Sie selber mir ab und zu schreiben wollten, würden Sie aufrichtig erfreuen Ihren treu ergebenen

Ernst von Wildenbruch.

[Postskriptum von der Hand Maria von Wildenbruchs]4 Wir waren in der Aufführung des Hauptmannschen Stückes5 im deutschen Theater. Vormittag war die Hauptprobe von König Heinrich gewesen[,] die Anhänger Hauptmanns rasten, wollten deshalb einen großen Erfolg erzwingen, Ernst rang die Hände: [„]wie wird es morgen meinem einfachen schlichten Stücke gehen.“ Original: Hs.; Briefabschrift von fremder Hand; GSA Weimar, 94/300, 5. 1 Gerhart Hauptmann (1862–1921): naturalistischer Dramatiker; Studium der Naturwissenschaften und Philosophie, 1883 Promotion, ab 1891 als freier Schriftsteller in Berlin lebend. – Max Halbe (1865–1944): naturalistischer Dramatiker; Studium der Rechte, deutschen Literatur und Geschichte, 1888 Promotion in München und seitdem freier Schriftsteller. 2 D.s älteste Tochter Clara (1877–1967) hatte am 3. Februar ebenfalls Geburtstag. 3 Vgl. die beigelegten Verse D.s zu Wildenbruchs Geburtstag in Brief [985], Anm. 5, die D.s jüngste Tochter Leni geschrieben hat. 4 Maria von Wildenbruch, geb. von Weber (1847–1920) war seit 1885 mit E. v. Wildenbruch verheiratet. 5 Um welches Stück Hauptmanns es sich handelt, ist nicht eindeutig zu klären.

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Dilthey an Ernst von Wildenbruch 

[987] Dilthey an Ernst von Wildenbruch

Lieber Freund,

Meran, Hôtel Ortenstein 13⁄2 [18]96.

Eben erhalte ich von der Gräfin, Ihrer Frau Schwester, einen Brief,1 welcher mir die offenbar nicht leichte Erkrankung Ihres Schwagers mittheilt. Sie können denken wie diese Nachricht mich bewegt. Leydens2 Erklärung: verschleppte Influenza, welche sich auf die Gelenke von Füßen u. Händen u. den Magen geworfen hat schließt doch, was nun auch der Anfang sei, Gelenkrheumatismus ein, u. dieser ist immer, da er leicht auf das Herz übergeht, bei der ganzen Constitution des Grafen eine ernste Gefahr. Auf die erste Nachricht von den Anschwellungen bat ich dringend[,] schleunigst in die hießige trockensonnige Luft zu kommen: seit 1 Januar nur Sonnentage. Jetzt da Ihr Schwager an das Bett u. Berlin gefesselt ist, habe ich sehr ernste Sorge. Sie sind gewiß gut informirt. Hätten doch Sie oder Ihre liebe verehrte Frau einen Moment, mir über das was Sie wissen u. den Eindruck den Sie haben mir ein Wort zu schreiben, eben nur ein Wort! Wäre mein Gesundheitszustand nicht noch so schwankend, so käme ich selber. Noch etwas. Sie kennen unsre Wohnung. Sollte nicht diese sobald ihr Schwager den Ort wechseln kann, was hoffentlich bald sein wird, für seine Reconvalescenz u. auch für die Bequemlichkeit der Gräfin geeignet sein? Ich habe Ihrer Frau Schwester diesen Vorschlag gemacht, u. finden Sie ihn geeignet, so wollen Sie ihn ja kräftig unterstützen. Sobald möglich muß er dann natürlich nach dem Süden. Nur eilig und unruhig kann ich Ihnen heute für Ihren neulichen Brief 3 danken. Darüber u. ü[ber] so Manches was benachbart[,] nächstens sobald ich erst im Gemüthe ruhiger sein kann. Meine Frau u. Clara grüßen beide Sie u. Ihre verehrte Frau herzlichst. Treu Ihr W. Dilthey Original: Hs.; GSA Weimar, 94/169, 11. 1 Gräfin Louise Yorck von Wartenburg (1838–1918), geb. von Wildenbruch, seit 1860 Ehefrau Paul Yorcks. – Nicht überliefert.

Jürgen Bona Meyer an Dilthey

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2 Ernst von Leyden (1832–1910): Mediziner (Internist); 1853 Promotion in Danzig, 1854 Militärarzt, 1864 Habilitation in Berlin, 1865 o. Prof. u. Direktor der internistischen Klinik in Königsberg, 1872 o. Prof. in Straßburg, seit 1876 o. Prof. und Klinikleiter in ­Berlin. 3 Vgl. Brief [986].

[988] Jürgen Bona Meyer1 an Dilthey   Lieber Freund.

Bonn den 15 Februar 1896

Deinen Brief v[om] 5ten habe ich mit Hülfe meiner Frau glücklich entziffert,2 kann aber Manches schon jetzt wieder nicht lesen. Ich sehe aus demselben mit Bedauern, daß Du leidend bist und nicht blos Deine Frau Grund zur Erholung in Meran hat. Hoffentlich geht es Dir und ihr bald besser; mir ist eine Reise nach Norden von den Aerzten nicht verstattet. Sie scheuen die Anstrengung der Reise und den Wechsel der Temperatur. Ueberhaupt denkst Du Dir meinen Zustand besser als er ist. Der alte Druck im Leibe macht Beine und Arme schwer und macht Beklemmung im Kopfinnern, die mich ängstigt, zumal mein Schlaganfall damit anfing.3 Ich besorge stets, es kommt ein zweiter Schlag und bringt mir das Ende. Die Aerzte wollen davon nichts wissen, sie wüßten nur eben gegen den Druck nicht zu helfen und versichern mich auch zu kräftigen. Mir wäre eine ordentliche Prüfung durch Absuchen lieber, jedes Essen beschwert mich und betäubt mich. Am 18 Januar nahm ich an der akademischen Feier in der Aula theil, mußte dafür aber büßen. Die Erregung war zu groß, mir stieg das Blut zu sehr zu Kopf und wahrscheinlich erkältete ich mich dann beim langsamen Heimgang. Mit heftigen Schmerzen im Leibe mußte ich ½ Woche im Bett liegen und konnte kaum stehen, als ich mich wieder erhob. Seitdem sind die Aerzte ängstlicher und fordern Vorsicht und Zurückhaltung von der Arbeit. Sie rathen nochmals mir Urlaub für den Sommer zu bitten und meine Frau dringt darauf. Mein Sträuben wird nichts helfen. Erholung im Garten wird ja auch leichter sein, wenn ich ganz frei von Vortragstagen bin. Wir können dann auch ungehindert im Juli, wenn es heiß wird, reinere Luft irgendwo in der Schweiz suchen. Meine Frau meint, es sei nicht daran zu denken, daß mir verstattet werde in München den Congreß4 mitzumachen. Ich halte noch an dieser Hoffnung fest, denke und arbeite schon dafür. Jetzt bin ich dabei einen Artikel über die Privatdozentenaffaire zu schreiben,5 die weniger eine juristische Frage zu sein scheint, als eine Frage des

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Jürgen Bona Meyer an Dilthey

jetzigen Verwaltungsstoffes, den Althoff6 gewiß nicht besitzt und der Minister7 auch nicht. Für Vaihinger’s Kantstudien habe ich einen Artikel über Kant in Hinsicht von Aufgabe und System der Philosophie geschrieben, zu dem noch eine Fortsetzung geschrieben werden muß.8 Ueber […] habe ich einen Artikel in der Deutschen Biographie veröffentlicht9 und ein 2ter über Cousin10 als Pädagoge und Unterrichtsminister liegt bei Voigtländer für seine Zeitschrift für das Unterrichtswesen im Ausland.11 So war ich unablässig thätig, vielleicht mehr als ich sollte. Mehr aber als solche Arbeit greift mich die Unruhe an, in der wir zur Zeit leben. Wir sind nämlich im Hause umgezogen. Der Saal ist zu meiner Arbeitsstube gemacht und meine Arbeitsstuben zu unseren Schlafstuben. Das Umsetzen meiner Büchermassen brachte mir trotz aller Hülfe innerlich viel Unruhe und helfen dabei kann ich ja nur mit einer Hand. Es ist aber wunderhübsch geworden. Doch was nützen mir jetzt meine vielen Bücher um mich herum, aufsteigen sie zu holen kann ich ja nicht mehr und Hülfe ist nicht immer gleich bei der Hand. Die Masse des mich umgebenden […] hat jetzt leicht etwas mich Bedrückendes. Am meisten Erholung bietet mir jetzt gute Lektüre oder der Besuch von Freunden – zuletzt las ich Sudermanns Katzensteg mit großer Befriedigung, während mich sein Roman ‚Es war‘ angewidert hat.12 Spielhagens Stumme des Himmels ließ mich unbefriedigt,13 der gewöhnliche Herzenszwiespalt ist ein zu kleines Problem und das Verlieben aller Menschen in die Heldin fast lächerlich. Ebers „Im blauen Hecht“ habe ich mit Interesse gelesen,14 eine Lebensgeschichte ohne Lebensverhältniß ist kein übles Problem. Doch habe ich nicht blos geschmökert, ich habe auch Baumanns neueste kleine Schrift gelesen und Euckens neues Opus angefangen, aber ohne Befriedigung.15 Baumann giebt hier Thatsachen aus, die keine sind, und E[ucken] drückt mit schwülstigen Worten Gesamtheit alter Wahrheiten aus, die man klarer mit wenigen Worten sagen kann. Er hat einen aus Fichte und Hegel gemischten Jargon und philos[ophische] Literatur gewährt jetzt wenig Freude. […] Am liebsten denke ich über m[einen] Grundriß der Philosophie16 nach, u. noch lieber schreibe ich daran, aber es liegt immer so viel Kleines zu erledigen vor, daß ich nicht dazu komme. Viel Zeit gönne ich den Briefen, um die Freude zu haben, Briefe zu erhalten. Laß auch alsbald wieder von Dir hören.

Mit herzlichem Gruß Dein alter Freund Jürgen Bona Meyer.

Original: Hs.; ABBAW, Dilthey-NL , Fasz. 169, Bl. 190–191 R.

Dilthey an Friedrich Theodor Althoff 

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1 D.s Studienfreund, der Bonner Philosoph Jürgen Bona Meyer (1829–1897). 2 Nicht überliefert. – Agnes Mosson, Witwe des Malers Reimer, war seit 1868 die Ehefrau J. B. Meyers. 3 Einen ersten Schlaganfall erlitt J. B. Meyer im Januar 1895. 4 In München fand vom 4.–7. August 1896 der „Dritte internationale Congreß für Psychologie“ statt. 5 Nicht nachweisbar. 6 Friedrich Theodor Althoff (1839–1908): Personaldezernent für die Universitäten im preuß. Kultusministerium in Berlin, 1897 Ministerialdirektor und Leiter des Unterrichtsund Hochschulwesens. 7 Der Jurist und Politiker Robert Bosse (1832–1901); 1892–1899 preuß. Kultusminister. 8 Beiträge von J. B. Meyer sind in den Kant-Studien nicht nachweisbar. 9 Ein Beitrag von J. B. Meyer in der Deutschen Biographie ist nicht nachweisbar. 10 Victor Cousin (1792–1867): franz. Philosoph; Schüler Hegels, der dessen Philosophie in Frankreich verbreitete. 11 J. B. Meyer: Cousin als Pädagoge und Unterrichtsminister, in: Deutsche Zeitschrift für ausländisches Unterrichtswesen 1 (1895), S. 278–282. – Robert Voigtländer jun. (1849– 1935): Verleger in Leipzig. 12 Hermann Sudermann (1857–1928): ostpreuß. Schriftsteller. – Der Katzensteg. ­Roman. 1890; Ders.: Es war. Roman. Stuttgart 1894. 13 Friedrich Spielhagen (1829–1911): Schriftsteller. – Stumme des Himmels. Roman in vier Büchern und 2 Bänden. Leipzig 1895. 14 Georg Moritz Ebers (1857–1898): Ägyptologe und Schriftsteller. – Im blauen Hecht. Roman aus dem deutschen Kulturleben im Anfang des sechszehnten Jahrhunderts. Stuttgart 1896. 15 Julius Baumann (1837–1916): Philosoph; Schüler R. H. Lotzes; o. Prof in Göttingen. – J. Baumann: Die Grundfrage der Religion. Versuch einer auf den realen Wissenschaften beruhenden Gotteslehre. Stuttgart 1895. – Der Philosoph Rudolf Eucken (1846–1926) war wie D. und J. B. Meyer ein Schüler F. A. Trendelenburgs.  – R. Eucken: Der Kampf um einen geistigen Lebensinhalt. Neue Grundlegung einer Weltanschauung. Leipzig 1896. 16 J. B. Meyer: Leitfaden zur Geschichte der Philosophie zum Gebrauche bei Vorlesungen und zum Selbststudium. Bonn 1882.

[989] Dilthey an Friedrich Theodor Althoff Hochverehrter Herr Geheime Rat,

Meran Pension Ortenstein 24⁄2 [18]96

Ich muß fürchten daß das seiner Zeit besprochene gleichzeitig abgehende Gesuch um Verlängerung meines Urlaubs sich um einige Tage verspätet hat was ich gütig zu entschuldigen bitte.1

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Dilthey an Friedrich Theodor Althoff 

Ich habe gute Zuversicht daß ich das Sommersemester wieder ganz leistungsfähig sein werde. Seit ein paar Wochen habe ich nun hier meine Arbeiten langsam wieder aufgenommen, soweit ich bei der hastigen Abreise die nothwendige Auswahl meiner Papiere hatte treffen können. Das Befinden meiner Frau ist auch im Ganzen befriedigend, besonders erholt hat sich Max, sodaß denn in der ersten Hälfte des April endlich die ganze Familie wieder in Berlin sich wird einrichten können. Sehr zu Statten kam uns das herrliche Meraner Klima: seit zwei Tagen ist freilich auch hier ein verspäteter Winter eingetreten. Machte die Kantsache bei der Abreise mir besondre Sorgen, so danke ich der unermüdlichen Güte von Diels den ununterbrochenen Fortgang. Nun habe ich mich mit Reicke2 wegen seines Antheils ins Vernehmen gesetzt; Heintze kommt vielleicht nächstens hierher sodaß ich einige besonders schwierige Fragen seiner Abtheilung mit ihm besprechen kann.3 Eine Akademieabhandlung, die in den nächsten Tagen ausgegeben wird,4 bitte ich mit gewohnter freundlicher Nachsicht aufzunehmen. Ein rechtes Bedürfniß ist es für meine Frau wie mich, von dem Befinden Ihrer verehrten Frau Gemahlin5 etwas zu vernehmen. Indem wir bitten uns ihr recht sehr empfehlen zu wollen verbleibe ich in Verehrung

d[er] Ihrige Wilhelm Dilthey

Original: Hs.; GStA PK Berlin, VI. HA , FA u. NL , NL Friedrich Theodor Althoff, B Nr. 29 Bd. 2, Bl. 136–137R. 1 D. hatte sich bereits bis Ende Februar 1896 beurlauben lassen. 2 Rudolf Reicke (1825–1905): Historiker und Kantforscher; seit 1894 Oberbibliothekar der Königsberger Bibliothek; Hg. der Briefbände im Rahmen der Kant-Akad.-Ausg. 3 Max Heinze besorgte die Herausgabe von Kantischen Schriften in der I. Abtlg. der Kant-Akad.-Ausg. 4 D.s Beiträge erschienen am 12. März 1896. 5 Marie Althoff, geb. Ingenohl (1843–1925), seit 1864 Ehefrau F. Th. Althoffs.

Dilthey an Hermann Usener 

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[990] Dilthey an Hermann Usener Meran, in Tirol Hôtel Ortenstein 8⁄3 [18]961 Mein lieber Hermann, nun sind es mehrere Wochen daß ich mir getrauen durfte Dein Buch2 zur Hand zu nehmen: es hat in mir eine wahre Revolution meiner religionsgeschichtlichen Begriffe hervorgerufen: das ist ja eine geniale epochemachende Leistung u. ich bin immer von Neuem stolz darauf daß Du mir die Ehre erweises[t] meinen Namen in Beziehung zu demselben zu bringen u. so länger in der Zeit voranzutragen als ihm sonst beschieden gewesen wäre. Störungen aller Art durch die Kantausgabe, Fakultätssachen etc. haben die Lektüre nur zerstückelt voranschreiten lassen. Ich werde es nun nochmals hintereinander lesen, doch noch ehe ich das in Einem Zug nun thue, drängt mich Dir darüber zu schreiben. Zunächst nur etwas über mich selber. Die anhaltenden Erkrankungen von Max ließen mich in großer Unruhe nur zwischen Krankenzimmer und Arbeitsstube wechseln während des November u. December. Ich achtete nicht darauf wie ich immer hinfälliger wurde. Meine Schwiegermutter3 die zu uns gezogen war u. unser Arzt Prof. Goldscheider4 beunruhigten sich u. ich mußte um nicht unhöflich zu erscheinen, nachgeben u. mich von Gol[d]sch[eider] untersuchen lassen. Die Untersuchung ergab eine sehr ernste Erkrankung. Laß mich über die Natur derselben schweigen, da ich das Gefühl hatte u. habe leichter darüber wegzukommen wenn ich nicht über sie spreche u. nicht darauf angesehen werde. Ich habe daher auch Niemandem auch Karl nicht Näheres gesagt. Nunmehr hat sich herausgestellt daß sie nervös bedingt war und nicht organisch; die Erscheinungen sind almälig wieder geschwunden. Aber eben darin liegt auch die beständige Gefahr daß sie bei größerer anhaltender Anstrengung oder Aufregung zurückkehren. Diese Gefahr ist um so größer als jede Arbeit mich zur Zeit erregt, mir eine unbestimmte quälende Unruhe hervorbringt. Seit Ende des Jahres bin ich mit den Kindern hierher nach Meran gekommen, wo ich Käthen mit Clärchen fand, Käthen leidlich, doch für Katharrh der Lunge unglaublich anfällig, nicht im Stande auch nur zu einem längeren Wege, immer wieder Stiche Druck etc., da nun einmal die Lungenspitzen afficirt waren u. so höchst reizbar bleiben. Max macht mir mindestens eben so viel Sorge, da seine Lunge ungewöhnlich schwach ist u. bis auf diesen Tag sein Bronchialkath[arrh] nicht bis auf den letzten Rest beseitigt ist. Die ersten Wochen des Jahres mußte ich in völliger Unthätigkeit verbringen, sehr

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Dilthey an Hermann Usener 

erleichtert wurde mir das da ich mich von den Meinen umgeben u. gepflegt fand und hier das herrlichste beständige sonnige Wetter durch den ganzen Januar u. Februar geherrscht hat – ein unerhört glücklicher Umstand,5 der sehr günstig wirkte. Im Lauf des Februar durfte ich wieder langsam anfangen zu arbeiten. Kleine einzelne abzumachende Dinge hatte ich ja immer zu erledigen gesucht. Mit wahrer Aufopferung hat der treffliche Landsmann Diels die Angelegenheit der Kantausgabe in seine Hand bei meiner Abreise genommen und stätig gefördert. Manches konnte ich dabei mitleisten. So wurde ich dieser sehr großen Sorge enthoben. Auch den Beginn einer Reihe von Abhandlungen erhältst Du, die nun freilich in’s Stocken gerathen ist. Die Antwort auf einen unerhört groben u. flegelhaften Angriff von Ebbinghaus, den ich mir nur aus persönlichen Gründen erklären kann, da er sachlich nur aus Entstellungen der früheren Abhandlung construirt ist, mußte ich leider, da so was nicht von den Büchern entfernt gemacht werden kann, in eine Anmerkung drängen. Dir würde, was ich gegen die Construktion des Seelenlebens aus einigen analytischen Befunden u. ein paar Hypothesen, in der Abh[andlung] ü[ber] analy[sierende] Ps[ychologie]6 gesagt habe[,] selbstverständlich erscheinen, der Schwerpunkt lag ja auch in dem positiven Theil, aber die Opposition der jüngsten u. doch schon veralteten Schule, wird sich wol noch weiter äußern. Am 15. April haben wir festgesetzt wieder zu Hause zu sitzen. Der Arzt will für mich einen möglichst langen Aufenthalt in freier guter Luft, damit ich den Vorlesungen des Sommers u. aller anderen einstürmenden Arbeit gewachsen sei. Da hätte ich Euch denn von uns einen ausführlichen Bericht gesendet; möchte nur Besseres zu berichten gewesen sein! Nun aber zu Deinem herrlichen Buche. Zunächst ein wahres Muster einer Induktion, welche mit der erstaunlichsten Gelehrsamkeit den Stoff zu weittragenden Schlüssen in solchen Massen vereinigt, daß das Ergebniß nach allen Seiten gesichert ist. Wie Du mit den Römern ansetzest, zu den litauischen Göttern übergehst, nun mit solchem Schlüssel ausgerüstet bei den Griechen dieselben Sondergötter aufzeigst: Induktionen der Art sind noch selten dagewesen. Sieht man näher zu, so bewundert man mehr noch als die sichere Gelehrsamkeit, welche die sprachlichen Hilfsmittel der feinsten Art überall zur Hand hat, die Verbindung dieses Wissens mit einem in langer Übung ausgebildeten Vermögen religiöse Erscheinungen von fremdartigstem Charakter nachzuverstehen. So scheint mir das große Begebniß daß es vor der überlieferten Mytho­logie bei allen Völkern gleichmäßig Verehrung der Sondergötter u. der Augenblicksgötter gab und daß die römische u. litauische Religiosität nur Beispiele einer Religionsentwicklung sind, die nicht zu einer Mythologie, wie Griechen oder Germanen sie ausbildeten fortgeschritten ist, keinem Zweifel mehr ausgesetzt zu sein. Damit ist für die Religionswissenschaft eine ganz neue Grundlage geschaffen.

Dilthey an Hermann Usener 

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Eben so unumstößlich scheint mir das zweite große Begebniß, das7 den Übergang zu den persönlichen Göttern und der Mythenbildung über sie zur Bedingung hatte[:] die Verdunkelung der ursprünglichen Durchsichtigkeit der Götternamen, durch welche sie nun erst zu Eigennamen wurden. Das Gesetz daß ein Gottesbegriff erst dann die Fähigkeit zu persönlicher Ausgestaltung im Mythus und Kultus erhielt, wenn die Sprachentwicklung den Namen unverständlich u. so zum Eigennamen machte, ist höchst evident. Verschiedene Fragen hätte ich nun natürlich auf dem Herzen. Sie hängen miteinander zusammen u. würden am einfachsten ausgehen von Deiner Annahme gewisser Stufen in der religiösen Begriffsbildung S. 276. 280. 334. Der Augenblicksgott, als geistige Conception des Einzelwesens als einer gött­lichen Kraft, der Sondergott als Artbegriff einer höheren Denkstufe angehörig, das Auftreten von Verhältnissen der Unterordnung wodurch der Sondergott gleichsam die Dimension der Breite erhält: darüber hätte ich gar manche Frage auf dem Herzen. Nicht als ob ich nicht anerkennte daß die Begriffs­bildung wo sie auf blos Vorgestelltes sich bezieht, nicht besonders langsam, mühsam, zähe wäre u. daher nicht mit der auf andren Gebieten zu vergleichen ist. In Bezug auf dies Wort hast Du das ja sehr nachdrücklich betont. Ob aber die Augenblicksgötter nothwendig eine frühere Stufe sein müssen? Aber das Papier ist zu Ende, u. sicher auch Deine Geduld. Ich füge nur noch tausend Dank für die Besorgung des Papierverkaufs hinzu. Ich lege die Quittungen bei.8 Der Einfachheit halber habe ich gleich quittirt, u. wenn es Dir nicht zu viel Mühe macht, werde ich Dich bitten: 300 Mark in Scheinen mir, in Brief mit der Geld­angabe eingeschlossen zu senden: Dil[the]y Meran Tirol Hôtel Ortenstein. Bin ich zurück, so schreibe ich Dir u. Karle u. Du kannst dann leicht durch Posteinzahlung das von den restirenden9 18 M[ark] übrig Gebliebene, nach Abzug der Übersendungskosten, mir senden. Es wäre nämlich wol umständlich das Ganze in e[inen] Brief zu legen. Anweisung hierher ist aber mit Verlust verbunden wegen der Umrechnung in Gulden durch die Post. Nächstens sobald ich Dein Buch nochmals in Ein[em] Zug gelesen mehr darüber. Taus[en]d Grüße v[on] uns Allen an Dich[,] Lily10 u. die Kinder

In Liebe u. Treue Dein Wilhelm

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Dilthey an Graf Paul Yorck von Wartenburg 

Original: Hs.; ULB Bonn, HA , Usener-NL , S 2102, 2, Nr. 14, ein maschinenschriftliches Transkript des Briefes mit größeren Auslassungen ist hinterlegt in: StUB Göttingen, HA , cod. ms. W. Dilthey, 14 g, Nr. 22, Beilage, Bl. 1–3. 1 Im Brieforiginal daneben eine Notiz von der Hand H. Useners: „Erh[alten] & beant­ w[ortet] 12⁄ III [18]96“. 2 H. Usener: Götternamen. Versuch einer Lehre von der religiösen Begriffsbildung. Bonn 1896. 3 Clara Püttmann (1829–1915). 4 Der Neurologe Alfred Goldscheider (1858–1935); 1894 leitender Arzt am Krankenhaus Moabit. 5 Im Brieforiginal: „Umstanden“. 6 D.: Ideen über eine beschreibende und zergliedernde Psychologie, in: Sitzungsberichte der philos.-histor. Klasse der AdW zu Berlin vom 20. Dezember 1894; ausgegeben am 31. Januar 1895, S. 1309–1407 [1–99], hier S. 1310 [2]. 7 Im Brieforiginal: „daß“. 8 Der Vorgang ist nicht mehr zu ermitteln. 9 Übrig sein, Zahlungen noch ausstehend. 10 D.s Schwester Caroline Wilhelmine Friederike, gen. Lily (1846–1920).

[991] Dilthey an Graf Paul Yorck von Wartenburg Meran, Hôtel Ortenstein 10. März [18]96 Mein lieber Freund, ich habe eine rechte Sehnsucht, von Ihnen ein Wörtchen zu vernehmen, wie es Ihnen geht, wie Sie leben, welche Pläne Sie haben, ob dieselben sich irgendwo und irgendwie mit den Anforderungen meiner eigenen so vielfach bedingten und mitten in der zauberhaften Schönheit der hießigen Gegend doch vielfach unbefriedigten Existenz vereinigen lassen. Was diese äußerlich betrifft ist der feste Punkt daß ich am 15. April wieder zu Hause sitzen und die Vorlesungen vorbereiten, sowie die nöthigsten Kantgeschäfte abmachen werde. Ich habe eine körperlich recht schlechte Zeit wieder durchgemacht. Da war denn auch mein Gemüth wieder recht niedergedrückt bei dem Gedanken an all das was unvollendet und nun wol theilweise unvollendbar daliegt. Aber ich muß die Gedanken mit Gewalt fern halten, die mich bedrücken wollen: denn die nächste Aufgabe ist doch daß ich mich in den Stand setze die Vorlesungen des Sommers zu halten und doch zugleich ein Weniges die eigenen Arbeiten jetzt und im Sommer zu fördern. Ob ich die nach meiner Natur für mich immer sehr anstrengenden Vorlesungen

Dilthey an Graf Paul Yorck von Wartenburg 

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ohne einen Rückfall, der dann recht bedenklich wäre, aushalte, muß der Erfolg zeigen. Von meinen Arbeiten konnte ich hier nur die Aufsätze fördern. Sie greifen mich am wenigsten an. Ich lese sehr viel Poesie, mehr als zu irgend einer früheren Zeit meines Lebens. Für meine Förderung dabei las ich Großes Anfänge der Kunst.1 Ist schon der Weg ab initiis2 irrig (Irrthum historisch construktiven Denkens), da vielmehr rückwärts aus den uns zugänglichen Entwicklungen die Anfänge gedeutet werden müssen: so wird ein Verfahren das sich an Naturvölker hält und nicht die Analyse der ältest erhaltenen Poesie etc. der Kulturvölker hinzunimmt ganz unfruchtbar. Dann Groos, Einleitung in die Ästhetik.3 Mit systemspinnendem Talent und entsprechender Geduld, aber ein Dokument, [das,] wie der Irrthum, man sei im Besitz der bewegenden Kräfte des Seelenlebens und könne daraus nun weiter Ästhetik etc. ableiten, die philosophischen Geisteswissenschaften mit Spinneweben überzieht. Physique sociale von Tarde4 so weit ich zu lesen über mich brachte, eben solche auf Comte und Taine5 gebaute Construktionen. Wie anders Usener! mit dem ich mich nun viel beschäftige. Eine meisterhafte Induktion; abweichen muß ich nur, wenn er von dem so höchst verdienstlichen und fruchtbaren Nachweis: Sondergottheiten (dh. durchsichtige prädikativ Kräfte vereinzelnde Götter) und Augenblicksgötter sind bei Römern und Litthauern offen liegend, bei Griechen bilden sie eine Stufe vor ihrer Mythologie, überall sind sie als frühere Stufe anzunehmen, und die Bedingung der Fortentwicklung zum Mythos lag in der Verdunkelung der Namen, wodurch sie Eigennamen von Personen werden konnten – wenn er, sage ich, von diesen meisterhaft induktiv festgestellten Resultaten zu einem allgemeineren Ergebniß gelangen zu können glaubt durch Zuhilfe-Name nominalistischer (so bezeichnen kann man das Vorurtheil das vom Einzelnen Ding und seinem Namen ausgeht, und die Worte zu Vehikeln der Entwicklung macht) Voraussetzungen. Wenn er sonach den Gott der im Einzelding steckt (= Einzelvorstellung), den Gott, der als Einzelkraft eine Funktion übt (= Artbegriff), und die in einen Zusammenhang systematischer Art zu einem Ganzen eintretende Gottheit (= Begriffe höchster Ordnung) als Stufen aufeinander folgen läßt. Schon die Annahme, die Augenblicksgötter seien Reste einer Stufe, die vor der Stufe der Sondergötter liege, ist unbeweisbar. Wol aber tritt sein Ergebniß ungezwungen in den Zusammenhang einer Religionsgeschichte als wichtiges Glied ein, welche das religiöse Verhältniß des in der Noth helfenden, das Leben ermöglichenden Gottes zum Menschen als das mächtigste Motiv an den uns zugänglichen neueren Entwicklungen erkennt und nun auch als der Mythologie schließlich zu Grunde liegend darthut. (Diels schrieb mir,6 Useners Buch sei ihm nicht culturhistorisch genug – übri­ gens seien die Etymologien eine Schwäche desselben, das kann ich ja gar nicht

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Dilthey an Graf Paul Yorck von Wartenburg 

beurtheilen, wahrscheinlich meint er etwas Ähnliches?). Dieses mächtigste Motiv documentirt sich ebenso im Todten- und Ahnencultus, welchem dieselbe Allgemeinheit zugeschrieben werden muß. Wenn Usener aber dem Himmels- und Lichtgott wie der Erde eine besondere Stellung in der Religiosität zuweist, so ist in diesem dritten Ausgangspunkte Mythos mitgegeben etc. All solche Empirie führt den Psychologen auf seelische Processe, die zunächst ohne das weitbauschige nichtssagende Associationsprinzip festzustellen und zu registriren sind. Auch an diesem Punkte sinne ich über Verstärkung der psychologischen Position der Abhandlung. Von Lipps in München dieser Tage ein Brief,7 ob ich nicht auf dem psychologischen Congreß Herbst in München8 über meinen psychologischen Standpunkt einen Vortrag halten wolle. Ein Brief auch von James9 der auf den Congreß kommt. Ich kann nur sagen daß ich unter keinen Umständen in demselben Raum wieder mit Ebbinghaus zusammen sitze, wodurch ich in die Lage käme einen Gruß oder ein Wort mit ihm zu wechseln. Original: nicht überliefert; Erstdruck: BDY, Nr. 130. 1 E. Grosse: Die Anfänge der Kunst. Freiburg i. B. und Leipzig 1894. – Ernst Grosse (1862–1927): Ethnologe; 1887 Promotion in Halle, 1888 Habilitation in Freiburg i. B., 1889 PD für Völkerkunde und Kurator der Städtischen Kunstsammlungen sowie 1895 a. o. Prof. ebd. 2 Von den Anfängen an. 3 K. Groos: Einleitung in die Ästhetik. Gießen 1892. – Karl Groos (1861–1946): Psychologe und Philosoph; 1884 Promotion in Heidelberg, 1889 Habilitation in Gießen, 1892 a. o. Prof. ebd., 1898 o. Prof. in Basel, 1901 in Gießen, 1911 in Tübingen. 4 Gabriel Tarde (1843–1904): Richter, Soziologe und Philosoph; 1899 Prof. für neuere Philosophie am Collège de France. – La logique sociale. Paris 1895. 5 Auguste Comte (1798–1857): franz. Geschichts- und Sozialphilosoph.  – Hippolyte Taine (1828–1893): franz. Kunst- und Kulturhistoriker. 6 Nicht überliefert. 7 Der Philosoph und Psychologe Theodor Lipps (1851–1914) lehrte seit 1894 in München. – Nicht überliefert. 8 Der dritte Internationale Kongress für Psychologie fand vom 4.–7. August in München statt. – D. nahm nicht teil. 9 Nicht überliefert. – Der amerik. Psychologe und Philosoph William James ­(1842–1910).

Hermann Usener an Dilthey 

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[992] Hermann Usener an Dilthey Mein lieber Wilhelm,

Bonn, den 12. März [18]96

Dein grosser inhaltsreicher brief hat mir und Lili eine seltene freude bereitet. Gottlob konntest Du auch über Dich selbst beruhigende nachrichten geben. Möchtet Ihr alle drei gründlich erholt und gekräftigt nach Berlin zurückkehren! Haltet Euch, wenn das Berliner frühlingswetter um die zeit noch tückisch sein sollte, ja nicht ängstlich und pedantisch an das vorläufig angenommene datum des aufbruchs. Deine freundlichen worte über mein buch waren mir ein trost gegenüber dem schmerz, den mir unlängst Diels durch einen ausführlichen brief gemacht hat. Es ist ihm wie anderen, von denen mich das weniger überraschte, ergangen, dass er diese erörterungen für mein letztes wort über mythologie ansah und garnicht zur erkenntnis kam (trotz vorrede und p. 73 f.), dass ich lediglich den hergang der begriffsbildung zu erfassen gestrebt habe, los­gelöst, soweit das überhaupt angeht, von den dahinter liegenden vorgängen der empfindung und vorstellung, sowie von den äusseren umständen, die ja natürlich wie bei allen so auch bei diesen werden ihre macht üben. So kommt er dazu, und das ist der rote faden, der sich durch seine entgegnung zieht, mir „nominalismus“ vorzuwerfen. Er möchte statt von „Götternamen“ von „Götternumina“ gehandelt sehen. Ähnlich, ohne es so scharf auszudrücken, scheint v[on] Wilamowitz1 zu denken. Aber hinter den akt der begriffsbildung zu kommen kenne ich kein anderes mittel als die thatsachen der sprachen, die worte. Ich betrachte als den wichtigsten und ergreifendsten theil meiner arbeiten, dass was zunächst folgen muss, die lehre von personifikation und metapher. Wenn mir die glückt, so wie ich sie erstrebe, so werde [ich] damit der erkenntnislehre ein wichtiges kapitel wie propyläen vorgebaut haben, die lehre von den elementaren vorgängen unbewussten vorstellens: denn das ist schliesslich, was man mythisches denken im gegensatz zum logischen nennen kann. Übri­gens habe ich erst hintennach gemerkt, dass ich ein wichtiges kapitel ausgelassen habe, was ich gelegentlich in einer z[ei]tschr[ift] nachholen werde. Es ist jetzt zwischen kap. 17 und 18, dessen ausfüllung auch sehr dazu dienen wird, die erbosten herzen meiner fachgenossen zu beruhigen. Augenblicksgötter müssen die ursprünglichste form des relig[iösen] vorstellens sein, schon aus allgemeinen gründen. Aber selbstverständlich können sie auch später, solange lebhaftes empfinden dauert, immer neu entstehen.

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Graf Paul Yorck von Wartenburg an Dilthey 

Wir rüsten uns, Lilli und Mariechen2 mit, zu einer reise nach Italien, zu der ich urlaub bis Pfingsten mir erbeten habe. Ende nächster woche hoffen wir aufzubrechen, und werden uns dann mit kurzen aufenthalten in Genua und Pisa direkt nach Rom begeben. Eine ausspannung wird mir sehr wohl thun. Ich hatte über ein jahr ohne ausspannung durchgearbeitet, und zwar sehr verschiedenes. Dazu kommt eine noch nicht ganz behobene augenaffektion. Mit den herzlichsten grüssen an Dich und die Deinen und den besten wünschen für Eure gesundheit Dein alter H. Usener. Karl hofft ende dieser woche nach Pompeji aufzubrechen. Ich denke, wir sehen ihn dort. Original: nicht überliefert, ein maschinenschriftliches Transkript des Briefes ist hinterlegt in: StUB Göttingen, HA , cod. ms. W. Dilthey, 14 g, Nr. 24, Bl. 1–2. 1 Ulrich von Wilamowitz-Möllendorff (1848–1931): klass. Philologe; 1883 o. Prof. in Göttingen, 1897 in Berlin. 2 Marie Usener (1867–1931): Tochter Hermann u. Lily Useners.

[993] Graf Paul Yorck von Wartenburg an Dilthey

  Lieber Freund.

Berlin den 13. III. [18]96 Nürnbergerstraße 69

Endlich zwei Worte herzlichen Dankes. Auch über den sehr hübschen Brief von Max habe ich mich sehr gefreut. Für sein Alter frei und hell gesehen und leicht und liebenswürdig im Ausdruck. Bitte danken Sie dem guten Jungen in meinem Namen. Vielleicht kann ich sein gegenwärtiges Ideal noch einmal verwirklichen, gemeinsam mit ihm in Oels auf die Jagd zu gehen und ihn in die Kunst des Jägers einzuweihen. Seit Kurzem geht es mir besser, ich glaube mit der Zeit wieder leistungsfähig werden zu können. Die Füße sind zwar noch geschwollen und gestatten noch nicht längeres Sitzen. Daher müssen Sie die wenigen Worte entschuldigen. Länger als sieben Wochen bin ich nun an das Zimmer gefesselt. Luftwechsel wird gewiß heilsam wirken. Und ausnehmend freue ich mich auf die großen hellen wohlgelüfteten Zimmer des eigenen

Graf Paul Yorck von Wartenburg an Dilthey 

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­ auses, auch wenn das Wetter mir Fahrten und Gänge im Freien noch verbieH ten sollte. Am 31. dieses Monats fahre ich spätestens nach Oels. Ich habe in meiner Einsamkeit viel gelesen und in der letzten Zeit doch mit der Kraft der Reaktion, also mit Genuß. Schopenhauer merkwürdig als dichterische Kraft. Aber welch erkenntnißtheoretisches Manko. Das Instruktivste und Eigenartigste doch seine vierfache Wurzel des Satzes vom Grunde.1 Welche Verwechselung von Erkennen und Denken! Im Grunde Vergangenheit, leider nicht für den s.g. Zeitgeist, aber für die Philosophie. – Weiter 2ten Band des Lebens Ritschls von seinem Sohne.2 Es ist doch schade, daß mir Zeit und Muße nicht gegeben ist über Ritschl zu schreiben. Es ist in ihm eine bemerkenswerthe Zweiheit. Von nachhaltiger Bedeutung seine antimeta­physische Tendenz, wobei er, abstrakt, nicht die psychologische Unvermeidlichkeit approximativer Ontologisirung (Intellektualisirung) in Rücksicht nimmt. Auch darin Harnack 3 ganz Ritschlsch. Als Complement der über Bord geworfenen Metaphysik, die er von Transzendenz nicht unterscheidet, die partikulare Satzung. Hier dokumentirt sich die Enge der Persönlichkeit. Das Eliminiren des innerlich Persönlichen ist das mir Entsetzliche seiner Religion. Von contritio nicht zu reden, was wird bei ihm sogar aus der attritio?4 Die Mangelhaftigkeit – objektiv genommen – der Erkenntnißtheorie (Lotze5 und im letzten Grunde Kant) trägt die Schuld. Also bornirt genial! Diese Lehre ist der unendlichen Bedürftigkeit des religiösen Menschen gegenüber machtlos und machtlos gegenüber dem Katholizismus. Das erleben wir und wird über uns hinaus erlebt werden. Interessant auch die Methode der Forschung. Schriftmäßige Vereinzelung. Auch wo er Recht hat, ist er ärmer als Baur.6 Überall macht sich die philosophische, also historische Begrenzung fühlbar. Der intimste Punkt, der aufzuhellen wäre, das von ihm behauptete Verhältniß von Ethik und Religion. Ethik war sein Hauptkollegium. Der psychologische Gegensatz offenbar mißkannt. – Doch die Füße mahnen mit dem Sitzen ein Ende zu machen. Bleiben Sie recht gesund und wenn ich nicht nach Wiesbaden muß, was droht, dann hoffe ich auf ein gesundes Wiedersehn in Oels zu Pfingsten. Ritschl: Repristination7 des einst großen moralischen Rationalismus im Gegensatze zu dem aesthetischen resp. formalen Rationalismus (Intellektua­ lismus) den er ausschließlich Rationalismus nennt. Original: nicht überliefert; Erstdruck: BDY, Nr. 131. 1 Arthur Schopenhauer (1788–1860): Philosoph; 1813 Promotion in Jena, 1820 Habilitation in Berlin, seit 1831 Privatgelehrter. – Ueber die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde. Eine philosophische Abhandlung. Diss. Jena 1813.

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Dilthey an Hermann Diels 

2 Otto Ritschl (1860–1944): ev. Theologe; 1889 Promotion für Kirchengeschichte in Kiel, 1894 a. o. Prof. für Dogmatik in Bonn, 1897 o. Prof. ebd.; Sohn des ev. Theologen Albrecht Ritschl (1822–1889). – Albrecht Ritschls Leben. 2 Bde. Freiburg i. B. 1892–1896. 3 Der ev. Theologe und Kirchenhistoriker Adolf von Harnack (1831–1930) war durch die Theologie Ritschls beeinflusst. 4 Die lateinischen Begriffe contritio (vollkommene Reue, die aus der Liebe zu Gott hervorgeht) und attritio (unvollkommene Reue, die aus der Angst vor Strafe resultiert) bezeichnen in der katholischen Lehre zwei Arten der Reue und Buße. In der Reformation Luthers wurden sie zum Streitpunkt. 5 Der Philosoph Rudolf Hermann Lotze (1817–1881); 1882 wurde D. Nachfolger Lotzes. – System der Philosophie. Erster Theil: Logik. drei Bücher vom Denken, vom Unter­ suchen und vom Erkennen. Leipzig 1874. 6 Der ev. Theologe Ferdinand Christian Baur (1792–1860). 7 Wiederherstellung (lat.: restituere in pristinum: in den früheren Zustand versetzen); die Repristinationstheologie des 19. und frühen 20. Jhs. war eine Gegenbewegung zur „libera­len Theologie“ und hielt an der Lehre Luthers fest.

[994] Dilthey an Hermann Diels Herzlichen Dank, lieber Freund, für alle Mühewaltung und den ausführlichen Brief, der mir zeigt daß ja die eingetretenen Veränderungen an den Schreiben1 sehr geringfügig sind. Möge nun das Vorgehen guten Erfolg haben. Über Usener’s Buch haben mich Ihre Bemerkungen außerordentlich interessiert. Ich möchte wohl Ihren Brief an ihn gelesen haben. Da sich das Buch auf die ‚Begriffsbildung‘ ausschließlich einschränkt und der nächste Band die Darstellung der Processe von Personifikation etc. nach der Vorrede bringen wird: so ist sehr möglich daß der ‚Nominalismus‘, den Sie finden, nur durch die beobachtete methodische Einschränkung bedingt sei, durch welche auf das aus der Sprache für die religiösen Begriffe Erschließbare der Band sich beschränkt. Den Brief von Jonas2 lege ich bei, mit bestem Danke. Vielleicht erlaubt die Zeit auf der Rückreise, die Münchener Bibliothek einmal auf Kantiana anzusehen. Den 15 April sind wir zu Hause u. die erste Zeit muß dann Kant gewidmet werden. Meine Frau erwiedert mit herzlichem Dank Ihre freundlichen Wünsche u. Grüße sowie die Ihrer lieben Frau.

Mit herzlichen Grüßen der Ihrige Wilhelm Dilthey

Max Heinze an Dilthey 

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Meran Hôtel Ortenstein 14⁄3 [18]96 Original: Hs.; StB PK Berlin, HA , Sammlung Darmstädter 2 a 1870 (8): Dilthey, Bl. 33–34. 1 Nicht überliefert. 2 Nicht beiliegend. – Fritz Jonas (1845–1920): Gymnasiallehrer und Literarhistoriker; 1875 Erzieher des Erbprinzen Friedrich von Waldeck, Lehrer am Grauen Kloster in Berlin, 1882 Schulrat ebd. – Sohn des Theologen und Schleiermacher-Schülers Ludwig Jonas (1797–1859), der – später zusammen mit D. – die Briefe Schleiermachers edierte.

[995] Max Heinze an Dilthey Leipzig d[en] 18. 3. [18]96. Verehrtester Herr College u. Freund! Meine Telegramme werden Sie gestern erhalten haben,1 und so wissen, daß ich dies Jahr auf Kommen verzichten muß, so leid es mir thut. War es vorher schon unsicher, ob ich in den Osterferien dorthin kommen würde, so blieb mir keine Wahl mehr, als mich in voriger Woche auf einer Reise in Sachsen, um Abiturienten-Prüfungen abzunehmen, ein heftiger Rheumatismus befiel, dessentwegen ich mich genöthigt sehe, Baden-B[aden] aufzusuchen, an das ich schon vorher gedacht hatte. Befinde ich mich noch wohl genug, so werde ich mit Frau u. Tochter2 dann 10 Tage nach Paris gehen. Doch ist das bislang ganz unsicher. Jedenfalls muß ich auf den Genuß verzichten, […] bei Ihnen Kantiana ausführlich zu besprechen. – Die verschiedenen neuesten Anschreiben betreffs der Kantausgabe habe ich in diesen Tagen erhalten u. so ersehe ich, daß die Sache allmählich in Fluß kommt. – Die allgemeinen Prinzipien für die Herausgeber – Entwicklung Kants, Orthographie, Interpunction etc. – müssen doch wohl durch Bewerthung der Editionsmitglieder u. der Hinzugezogenen festgesetzt werden, so daß der einzelne Herausgeber sich diesen Abmachungen fügen muß. Möglichste Uebereinstimmung auch im Äußeren muß bei der Ausgabe jedenfalls gewahrt werden. Mir wäre es auch sehr lieb, mit Ihnen ausführlich über alles in Fragen Kommata, Punkte Rücksprache zu nehmen zu können. Ist das nicht anders zu ma-

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Dilthey an Wilhelm Wundt 

chen, so wäre ich bereit, am 22. oder 27. April auf einige Stunden nach Berlin hinüberzukommen, falls ich bis dahin wieder wohl genug bin. Daß ich so saumselig im Schreiben gewesen bin, bitte, entschuldigen Sie damit, daß ich in den letzten Wochen mit Arbeiten überladen u. dabei nicht wohl war. – Möge Ihnen und den nächsten Ihrigen der Aufenthalt in M[eran] recht wohl bekommen! In treuer freundschaftlicher Gesinnung ergebenst M. Heinze. Original: Hs.; ABBAW, Dilthey-NL , Fasz. 169, Bl. 203–204. 1 Nicht überliefert. 2 Heinzes Ehefrau Klara, geb. Lepsius (1845–1933), und seine einzige Tochter Mar­ garete.

[996] Dilthey an Wilhelm Wundt

  Hochverehrter Herr College!

Meran, Hôtel Ortenstein 20⁄3 [18]96.

In diesen Tagen wird Ihnen eine Akademie-Abhandlung von mir zugehen, und ich sage bei dieser Gelegenheit zugleich meinen verbindlichen Dank für die Mittheilung Ihrer letzten Abhandlung aus den Studien über die Definition der Psychologie.1 Ihre beiden letzten Abhandlungen über Psychologie2 haben mich so beschäftigt und gefördert wie seit langem außer den entsprechenden Partien in Sigwarts neuer Auflage3 nichts. Manche Zweifel z. B. über den stetigen Zusammenhang des ganzen Seelenlebens, wie ihn Ihre Aktua­ litätslehre voraussetzt, über die von Ihnen angebenen Merkmale der verwerflichen psychologischen Hypothesen, erlaube ich mir vielleicht einmal Ihnen brieflich vorzulegen, wofern der von Ihnen angekündigte Grundriß4 sie mir nicht hebt. In Anmerkung habe ich die Erwiderung auf die systematisch psycho-logischen Einwände von Ebbinghaus gegeben;5 dagegen die gegen meine historische Darstellung fordert mehr Raum, und die erforderlichen Bücher waren mir hier nicht zur Hand: so werde ich sie für sich geben. Dem von Ihnen geäußer-

Dilthey an Wilhelm Wundt 

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ten Bedenken, daß ich die Übereinstimmung Ihres Standpunktes von Ihren ersten Schriften ab verkannt habe, werde ich natürlich, sobald ich in Muße unter meinen Büchern das kann, genau nachgehen und das Erforderliche berichtigen. Auch begegnet mir von Unbefangenen der Vorwurf, daß ich meine Sonderstellung zu stark betont hätte. Es muß also hier ein Mangel meiner Darstellung vorliegen. Ich war ganz von der besonderen Aufgabe meiner Abhandlung hingenommen, die Form einer vom Strukturzusammenhange ausgehenden analytischen Psychologie, welche sich bis auf einen gewissen Grad der Allgemeingültigkeit nähern könne, zu entwickeln. Die sachlichen Grundgedanken über Totalität des Seelenlebens in den einzelnen psychischen Vorgängen, Stellung des Willens, das Teleologische in der Struktur, die Erzeugung neuer Werthe durch diese, das Lebendige und Schöpferische in der Reproduktion hatte ich ja seit dem ersten Bande der Einleitung6 öfters berührt: nur um die Methode, in der sie verbunden werden können[,] war es mir zu tun. Auch um eine allgemeine Diskussion der Standpunkte in der Psychologie handelte es sich mir an dieser Stelle garnicht. Von meinem methodischen Gesichtspunkte aus hatte ich es nur mit dem Gegensatz der konstruktiven und der analytischen Psychologie zu thun. Nun hatte ich schon durch die Wahl der S. 2 von mir ausdrücklich vorgezogenen Bezeichnung konstruktiv – statt erklärend viele Mißverständnisse vermieden.7 Es ist nun weiter zwar deutlich, daß ich unter der konstruktiven Psychologie die Assoziationspsychologie, die Schule Herbarts, die Materialisten und ihnen verwandten Theoretiker der psychischen Begleiterscheinungen in meinem dritten Capitel verstehe und bekämpfe. Daß ihr gemeinsamer geschichtlicher Charakter, methodisch angesehen, konstruktives Verfahren auf Grund von analytischen Befunden und Hypothesen ist, glaube ich beweisen zu können. Nachdem ich aber dann S. 28 gesagt, wie diese Psychologie durch Ihre Arbeiten, dann James und Sigwart unmöglich geworden,8 wäre ich verständ­ licher gewesen, wenn ich nun zwischen dem dritten und vierten Kapitel (p. 30) nachzuweisen versucht hätte, welche Beziehungen zwischen Ihren Arbeiten sowie dem Buch von James9 und meiner analytischen Behandlung der Psychologie, wie ich sie skizziere, bestehen. Die Scheu, in fremde Arbeiten die eigenen Gedanken hineinzuinterpretieren, hielt mich ab, und auch jetzt weiß ich noch nicht, wie weit und an welchen Punkten Sie eine Verwandtschaft meiner methodischen Ansicht mit dem Ductus Ihrer Arbeiten anzuerkennen vermöchten. Aber viel übler wäre freilich, wenn Sie fänden, ich hätte die vorhandene Verwandtschaft nicht anerkannt. Denn ich betrachte es als ein besonderes Glück meines Lebens, daß ich die psychologischen Arbeiten von Ihnen und James erleben durfte. Das ist also neben dem von Ihnen hervorgehobenen der andere Punkt, an dem mir eine Ergänzung erforderlich scheint.

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Dilthey an Friedrich Paulsen 

Diesen etwas ausführlich ausgefallenen Bemerkungen füge ich nur noch meine ergebensten Empfehlungen hinzu.

In größter Verehrung der Ihrige Wilhelm Dilthey.

Original: nicht überliefert; ein maschinenschriftliches Transkript des Briefes ist hinterlegt in: UA Leipzig, NL W. Wundt, Brief 1122. 1 W. Wundt: Ueber die Definition der Psychologie, in: Philosophische Studien 12 (1896), S. 12–66. 2 Ders.: Ueber psychische Causalität und das Princip des psychologischen Parallelismus, in: Philosophische Studien 10 (1894), S. 1–124; Ders.: Ueber naiven und kritischen Realismus. 1. Artikel, in: Philosophische Studien 12 (1896), S. 307–408. 3 Der Tübinger Philosoph Christoph Sigwart (1830–1904). – Vgl.: Logik. Erster Band. Die Lehre vom Urtheil, vom Begriff und vom Schluss, 2. durchges. und erw. Aufl. Freiburg i. B. 1889 sowie: Kleine Schriften. 2. Reihe: Zur Erkenntnißlehre und Psychologie, 2. unveränd. Aufl. Freiburg i. B. 1889. 4 W. Wundt: Grundriss der Psychologie. Leipzig 1896. 5 D.: Beiträge zum Studium der Individualität, a. a. O., S. 297–299, Anm. 6 D.s Einleitung in die Geisteswissenschaften, die 1883 erschien. 7 Vgl. D.: Ideen über beschreibende und zergliedernde Psychologie (1894). 8 Ebd. [Ideen], S. 1336 f. [28f]. 9 W. James: The Principles of Psychology. 2 Bde. New York 1890.

[997] Dilthey an Friedrich Paulsen1

Lieber Herr College,

Meran Tirol Hôtel Ortenstein 21/3 [18]96

Lassen Sie mich am Schluß des Semesters Ihnen meinen herzlichen Dank dafür aussprechen daß Sie so manche Mühwaltung während desselben für mich mitgetragen. Vorkommenden Falles bleibe ich gern zu Gegendiensten bereit. Daß das Extraordinariat zunächst im Sande verlaufen,2 hat viel für sich. Ästhe­tik muß e[ine] ord[entliche] Vertretung haben, ob Dessoir3 sich dazu

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Dilthey an Hermann Diels 

qualificirt ist mir ja auch noch nicht gewiß. Ich habe ihm stets gesagt daß er sich emancipiren u. genauso arbeiten muß. Aber die Geldmisere. Soll Sociologie eine Vertretung haben, so ist Tönnies4 ein viel originaler Kopf als D[essoir], wenn dieser nicht noch fortschreitet. Wollen Sie mir vielleicht auf einer Karte vermerken wann wol die Vorlesungen beginnen? Oder wann Sie sie beginnen? Es geht mir wieder einmal wenig gut, aber unter allen Umständen trete ich wieder in die Vorlesungs- und Amtsgeschäfte zurück. Mit herzlichem Gruß auch an Stumpf wenn Sie ihn sehen u. Empfehlung an Ihre verehrte Frau Gemahlin

der Ihrige Wilhelm Dilthey

Original: Hs.; HU Berlin, UA , NL Friedrich Paulsen, Briefwechsel, Dilthey, Brief vom 21. 3. 1896. 1 Der Philosoph Friedrich Paulsen (1846–1908). 2 Der Philosoph Georg von Gizycki (1851–1895), der 1875 in Berlin promoviert und sich 1878 hier habilitiert hatte, war seit 1883 a. o. Prof. in Berlin. Nach seinem Tod am 3. März 1895 war das Extraordinariat zunächst vakant und sollte 1896 neu besetzt werden. 3 Der Philosoph Max Dessoir (1867–1947). 4 Ferdinand Tönnies (1855–1936): Philosoph und Nationalökonom; 1877 Promotion in Tübingen, 1881 Habilitation in Kiel, 1908 a. o. Prof. ebd., 1909 o. Honorarprof. ebd. und erster Präsident der neugegründeten Gesellschaft für Soziologie, 1913 o. Prof. für wirtschaftliche Staatswissenschaften in Kiel.

[998] Dilthey an Hermann Diels Meran Hôtel Ortenstein 29⁄3 [18]96 Haben Sie herzlichsten Dank, verehrter Freund, für Ihren mir im höchsten Grade interessanten Brief über Useners Buch.1 Ich hätte ihn schon beantwortet, da das Buch mich anhaltend beschäftigt, gerade auch von Seiten der Sätze desselben über Sprache, Begriffsbildung etc., wenn nicht mein Befinden so wäre daß ich immer wieder einen guten Tag abgewartet hätte. Und die letzten Nächte waren so daß ich auch heute nicht daran denken darf.

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Dilthey an Hermann Diels 

Auch für Ihre freundlichen Worte über die Abh[andlung] sage ich Ihnen meinen besten Dank. Ich hatte Zweifel, ob es berechtigt sei, in eine Akademie­ ab[andlung] rückbezügliche Polemik aufzunehmen, doch überwog daß Eb­ b[inghaus] den feinen Takt hatte an Mitglieder der Ak[ademie], welche diesen Fragen fern stehen, seinen Abdruck zu senden. Was mich sehr geschmerzt hat war daß in diesem Ton überhaupt von mir geredet werden konnte. Hätten Sie die ausführlichen Briefe gelesen die mir Sigwart, Riehl, Eucken, Falkenberg, Lipps u. a. über meine Abh[andlung]2 geschrieben haben, so würde auch das Ihnen belegen, daß ich von der Gegenseite auf Widerspruch gefaßt sein mußte – wie ich es war – aber auf einen dieser Art nicht gefaßt zu sein brauchte. Ich habe daher auch auf einen Brief von Lipps,3 der mich aufforderte, doch ja auf den psych[ologischen] Congreß zu kommen u. womöglich in dem psych[ologischen] Congreß e[inen] Vortrag über m[einen] psych[ologischen] Standtpunkt zu halten, nur antworten können daß ich solange Ebb[inghaus] nicht das Unangemessene und Irreführende seiner Wiedergabe u. Kritik zurücknehme, nie in einem Raum mit ihm zusammen sein könne. Seinen Begleitbrief4 der mich eben so taktvoll aufforderte Sache u. Person auseinanderzuhalten, die er eben vermengt hatte habe ich natürlich nicht beantwortet. So war mir auch zuwider, durch Übersendung m[einer] Antwort – selbstverständlich ohne Brief – in irgend eine äußere Relation zu ihm zu treten. Gierke,5 der eben hier bei uns ist, mißbilligt das, ohne aber die Polemik gelesen zu haben. Sie thäten mir e[inen] Gefallen, mir Ihr Gefühl zu sagen dem entsprechend ich dann verfahren werde. Fügen Sie vielleicht hinzu, ob Sie am 23 oder 27ten die Vorlesung beginnen?

Nochmals mit herz[lichem] Dank

der Ihre

W. Dilthey

Original: Hs.; StB PK Berlin, HA , Sammlung Darmstädter 2 a 1870 (8): Dilthey, Bl. 35–36 R. 1 Nicht überliefert. – H. Usener: Götternamen. Versuch einer Lehre von der religiösen Begriffsbildung. Bonn 1896. 2 Der Brief von Theodor Lipps (1851–1914) an D. ist nicht überliefert. – Der Tübinger Philosoph Christoph Sigwart (1830–1904), mit dem D. seit den 1860er Jahren befreundet war: Vgl. BW II, Brief [922], S. 517–518. – Der österr. Philosoph Alois Riehl (1844–1924), der seit 1896 in Kiel lehrte: Vgl. BW II, Brief [921], S. 515–517. – Der Jenaer Philosoph ­Rudolf Eucken (1846–1926): Vgl. BW II, Brief [905], S. 485–486, sowie Brief [923], S. 518–520.  – Der Philosophiehistoriker Richard Falckenberg (1851–1920): Vgl. BW II, Brief [959], S. 560–561.

Graf Hans Yorck von Wartenburg an Dilthey

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3 Nicht überliefert. 4 Vgl. BW II, Brief [922], S. 562–563. 5 Der Jurist Otto Friedrich Gierke (1841–1921), den D. aus seiner Breslauer Zeit kannte und der seit 1887 ebenfalls in Berlin lehrte.

[999] Graf Hans Yorck von Wartenburg1 an Dilthey Verehrter Herr Professor. In Ihrem Auftrag gingen mir Ihre Beiträge zum Studium der Individualität vor einigen Tagen zu, und ich habe die Abhandlung sogleich mit großem Interesse, mit Genuß und Freude gelesen. Besten Dank für Ihr freundliches Gedenken, für das mich eigentlich mein stets früheres Schweigen nicht qualificirt hat. Im Ganzen wüßte ich auch heute Wenig zu sagen, als daß es mir ein Labsal war in den feinfühlendsten, dichtesten und körperlichsten Ausdrücken im Gedankengewand den eigenen Empfindungen zu begegnen. Wol machte ich mir diese und jene Bemerkung, und ich möchte einige erwähnen. Abhandeln kann ich sie als schwacher Federheld nicht, und jetzt erst recht nicht, wo es mir sehr mäßig ergeht, und ich behalte mir vor mit Ihnen zu sprechen, wenn Sie im Herbst herkommen. Daß Sie hier die Psychologie überhaupt nur auf den gedankengeläuterten und den intellectuellen Menschen anwenden, und nur in ihm das mögliche Object sehen, liegt wol in der Aufgabe und deren Schranken. Trieb und Empfindung werden doch aber wol bei Millionen nicht durch Einsicht und Ueberlegung und Urtheil durchgesiebt. Und so kann ich auch nicht ganz wie Sie alle Nicht-Menschen-Darstellung der Malerei, z. B. die Landschaft als Stimmungs-Ausdruck der Seele, nur an die Peripherie des Gebietes verweisen. Ihr Mensch ist der wissenschaftliche Mensch in einer den Unbewußten zu beschämenden Weise. Auf Seite 16, zumal in dem Satz vom Wegfall der Rückbeziehung als Motiv, möchte ich ein Fragezeichen machen im Gedanken an die heutige Kunst und ihre socialen Tendenzen. Ein Fragezeichen, nicht ganz unverwandt dem, das ich gegenüber der Kirchenobrigkeit mache, wo sie mit den „Jungen“ redet, natürlich Extreme bei Seit[?]. Ihre eigene Kunst ist ja national-historisch und die Zeit der Nährboden. S. 27 liegt, so ganz […] gesagt, bei Shaksperes Personen in der Tiefe der Seele das zur Darstellung Kommende, dann aber heißt es, sie entwickeln sich nicht als Menschen. Ich habe doch das Gefühl, daß man sich Macbeth verändern sieht unter der Hand der Frau. Othello unter der Jago’s, daß man Leid kennt im Miterleben der Veränderung als die ganz Anderen,

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Graf Hans Yorck von Wartenburg an Dilthey

die sie bisher von sich aus und ihrer Natur nach waren, daß es ein Vorher und Nachher der umverwandelten Seele giebt. S. 30 ist mir im Hamlet-Citat zuerst die paulinische Ausdrucksweise aufgefallen „als litts Du nichts, indem Du Alles littest“.2 Es hat mich interessirt, mir sind sonst nicht gerade biblische Anklänge geläufig bei Shakspere. Beglückt und berührt hat es mich, Sie mir so aus dem Herzen, möchte ich statt Ueberzeugung sagen, von Schiller reden zu hören, von dem Mann, der das historische Drama erkannte und erschuf, ehe und während die Kleiderhistorik der Romantik duftende aber trübe Blüthen zeitigte, wie in Wackenroder, Tieck, Novalis ja Arnim.3 Ein Herr Bing hat jetzt Novalis behandelt,4 ganz gut, gedankenreich, liebevoll u. einsichtig, aber für mich doch ohne die Betrachtung des Krankheitsstoffes, der, für mich, eben im Mysticismus liegt und durch den der subjective Tiefsinn in harte und nahe Berührung mit objectivem Nichtsinn gebracht wird. Merkwürdig, wie diese Dichter, eingeschlossen den alten Goethe, den Menschen ihrer Schilderung, je eingehender sie ihn behandeln, denken und sprechen und erleben lassen, so oft Fleisch und Blut entkleiden. Ofterdingen hats[,] im Sternbald5 nie, und ich gestehe, für mich verliert es W. Meister6 mehr und mehr, während es sonst im Roman Niemand besitzt. In den Wahlverwandtschaften7 die reizende Gretchenschwester, aber auch einzig die. Auf dem Gebiet liegt, wenn auch Verzerrung und Frevel, so auch die Großthat der neuen Kunst und ihrer „Beiträge zum Studium der Individualität“. Ich möchte Ihnen nur noch erzählen, daß Paul hier ist. Ich finde ihn doch sehr angegriffen und matt. Noch sind die Krankheitserscheinungen auch von außen nicht verschwunden. Ich halte einen Gebrauch von Wiesbaden, oder anderem angezeigtem Bad, bald für nöthig, und rede dringend zu, wenn Paul zu zögern beabsichtigt. Auch Sie werden gewiß dieser Ansicht sein und recht zureden. Die Beweglichkeit ist sehr gehindert und das muß sich ja in vieler Hinsicht sichtlich geltend machen. Daß es bei Ihnen gut geht, hörten wir mit theil­ nehmender Freude. Grüßen Sie bitte die Ihrigen bestens von uns Beiden, wie sich selbst, und gedenken Sie weiter in Freundschaft

Ihres ergebenen H. Yorck

Kl[ein] Oels. Villa 29. 3. [18]96 Original: Hs.; ABBAW, Dilthey-NL , Fasz. 169, Bl. 185–187 R.

Gräfin Bertha von Kalckreuth an Dilthey

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1 Hans Graf Yorck von Wartenburg (1844–1912): jüngerer Bruder Graf Paul Yorcks, der mit seiner zweiten Ehefrau Helene (1852–1925) in der dem Gut Klein-Oels zugehörigen Villa lebte. 2 W. Shakespeare: Hamlet, dritter Aufzug, zweite Szene. 3 Wilhelm Heinrich Wackenroder (1773–1798): frühromantischer Schriftsteller, der großen Einfluss auf das romantische Lebensgefühl und die Kunstauffassung der Romantik hatte. – Ludwig Tieck (1773–1853): frühromantischer Dichter; Freund und Studienkollege W. H. Wackenroders. – Novalis, eigentl. Georg Philipp Friedrich Freiherr von Hardenberg (1772–1801): bedeutender frühromantischer Dichter. – Achim von Arnim, eigentl. Carl Joachim Friedrich Ludwig von Arnim (1781–1831): Schriftsteller und einer der bedeutendsten Vertreter der Heidelberger Romantik. 4 J. Bing: Novalis (Friedrich von Hardenberg). Eine biographische Charakteristik. Hamburg-Leipzig 1893. 5 Novalis: Heinrich von Ofterdingen. Ein nachgelassener Roman. Zwei Theile. Berlin 1802. – L. Tieck: Franz Sternbalds Wanderungen, eine altdeutsche Geschichte. 2 Bde. Berlin 1798. 6 „Wilhelm Meister“ ist der Titelheld in Goethes Romanen Wilhelm Meisters Lehrjahre (1795/96) und Wilhelm Meisters Wanderjahre (1821). 7 J. W. von Goethe: Die Wahlverwandtschaften. Ein Roman. Zwei Theile. Tübingen 1809.

[1000] Gräfin Bertha von Kalckreuth1 an Dilthey Lieber Herr Professor! Haben Sie den herzlichsten Dank! Sie können sich garnicht denken welche Freude Sie mir durch die Uebersendung Ihrer Schrift gemacht haben  – ich dachte Sie hätten’s lange vergessen, daß Sie sie mir schicken wollten. Vor allem freute mich der freundschaftliche gute Gedanke den Sie für mich gehabt haben, aber auch das Lesen hat mir eine wirkliche Freude gemacht. Wie gut und wohlthuend ist’s doch einem Menschen wenn einer ihn führt, ihm das Sehens­ würdige zeigt und Sie haben mir’s so klar und verständlich gemacht was ich instinktiv fühlte als ob plötzlich die liebe Sonne über die Gegend schiene. Alles über Shakspere und Schiller was Sie sagen war mir so bedeutend, einleuchtend und wichtig. Wie Sie sie so ganz intim wieder erleben – das macht sie einem richtig lebendig und nur weil Sie sich nicht auslöschen und ganz subjektiv sind[,] meine ich[,] können Sie einen andern so ganz verstehen, mit dem inneren Verständniß, das die eigene Persönlichkeit giebt – dies lebendige, begeisterte kennen lernen. Nochmals vielen Dank! Ich hoffe Sie sind jetzt alle in guter Gesundheit in Ihr Heim zurückgekehrt und möchte Sie alle mir gern

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Gräfin Bertha von Kalckreuth an Dilthey

fröhlich denken. Wir waren schon mitten im Frühling, den ich freilich von meinem Stadtkäfig aus nur mit Herumflattern in den Stäben und doppelter Sehnsucht empfand,2 nun ist [es] wieder kälter und unsere Osterferienhoffnung[,] auf dem Land Saat und Blumen hervor kommen zu sehen, zerstört. Ich war sehr in stiller dumpfer Sorge diesen Winter um Papa. Ich kann kein Zutrauen zu dem berühmten Leyden3 fassen und mir ist’s noch nicht sicher ob er wirklich besser ist, ob er wieder ganz gesund wird. In Gottes Hände sei’s gelegt aus unsern hülfreichen Menschenhänden. Meine Schwägerin Marie4 war auch wieder sehr krank, morgen erwarte ich sie mit meinem Mann,5 der sich in München die Ausstellung6 angesehen hat. Er ist im großen ganzen hier nicht ungern, seine leichtere Natur hilft ihm alle Pläne, alles für die anderen zu übernehmen und sich zu interessiren und zu hoffen. Für sich selbst ist er sehr ernst mit radieren und Lithographie beschäftigt. Au fond7 ist er hier sehr einsam, aber ich glaube, daß er’s nicht so fühlt wie ich. Und der Verkehr mit anderen Künstlern, selbst wenn er mehr freundlich äußerlicher Natur ist, ist für ihn werthvoll und nicht zu unterschätzen. Es blüht hier eine furchtbare Bravheit, Vernünftigkeit und kleinbürgerliche Sicherheit. Unseren Wolf 8 haben wir in die Schule gegeben, die au fond auch ganz dumm ist und die Individualitäten und schönen Unwissenheiten auf die abgeschmackteste Weise aus der Welt bringen will. Der Junge sitzt 5 Stunden in der Klasse, findet sich nicht mit den schnellen, fixen, unphantastischen Jungens [zurecht] und ich finde, daß ihm die Freiheit und die ahnende Freude am Reichthum der Welt im einsamen Land bei seiner unschulmäßigen Mutter als Oberlehrer, körperlich und geistig besser bekommen ist. Die Jüngeren9 sind Gott Lob wohl, dick und rosig und wachsen noch als unbeschnittene Bäumchen. Unsere Leute, stets von Heimweh geplagt ihr Land „mit der Seele suchend“10 und ihre Hand hier wider jeden, alles freundlich empfindend wie der alte Nimrod.11 (der war’s doch?) Von mir kann ich noch nichts schreibenswerthes berichten. Ich habe mir immer eine schicksalslose Seele befestigen wollen und sehe mit Beschämung, daß meine noch sehr wackelig ist. Ich habe nie wie so ohne – Freude oder Begeisterung – wie soll ich sagen? gelebt. Und sitze meist in Erinnerungen, was so einen tristen charme hat als ob man in grünen Junitagen unablässig still im verwachsenen Garten den Sommerregen rieseln hört und manchmal den verlorenen Ruf eines Vogels wie aus großer Einsamkeit und Vergessenheit. Meine schweigenden Winter in Hoeckricht,12 nur Schnee ringsum und weite Ferne habe ich in das schmerzliche Gefühl des Alleinseins gefaßt. Daß doch ein Mensch so klein und schwach dasteht in der Riesenwelt unter allen Schatten die ihm näher heraufziehen! Aber doch mit der Forderung in sich, würdig dazustehen und still. Ich denke oft an meinen gepflanzten Garten und an meine Dorffreunde, die die Welt nicht sieht und die etwas unbehülfliches und unar-

Gräfin Bertha von Kalckreuth an Dilthey

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tikulirtes haben, aber die ich so gut kannte. Sein neues Bild, mir sehr lieb und interessant, schickt mein Mann nicht nach Berlin, wo ich oft vorgestanden und glaube, daß Sie’s recht verstanden hätten, sondern reserviert es für München. Frühlingsgewitterstimmung und wir als Staffage im hoeckritschen Garten. Es ist eine Liebe drin zum Leblosen, zum Geruch, ja Wind und Luft und Erde und wir ganz eins mit unserm Boden – so daß es fast Etwas über die Natur hinaus gesteigertes hat. Ich weiß nicht ob ich mich sehr unklar ausdrücke. Ich würde mich natürlich sehr freuen wenn Sie mir einmal schrieben, aber ich denke wohl, daß Sie zu Briefen keine Zeit haben. Viel Liebes Ihrer lieben Frau und Kindern. Feiern Sie alle zusammen ein frohes Osterfest! Treue Grüße von unserm ganzen Haus.

Ihre Ihnen von ganzem Herzen ergebene Bertha Kalckreuth.

31⁄3 [18]96. Karlsruhe. Schirmerstr. 3. Original: Hs.; ABBAW, Dilthey-NL , Fasz. 169, Bl. 192–197. 1 Gräfin Bertha von Kalckreuth (1864–1928): Graf Paul Yorcks Tochter, die seit 1885 mit dem Maler Graf Leopold von Kalckreuth (1855–1928) verheiratet war. 2 Bertha von Kalckreuth lebte seit 1895 mit ihrer Familie in Karlsruhe. 3 Der Mediziner Ernst Victor von Leyden (1832–1910), der seit 1885 Direktor der Berliner Charité war. 4 Gräfin Marie von Kalckreuth (1857–1897): Tochter des Malers Graf Stanislaus von Kalckreuth (1821–1894). 5 Der Maler Graf Leopold von Kalckreuth, damaliger Leiter der Staatl. Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe. 6 Die Internationale Kunst-Ausstellung des Vereins bildender Künstler Münchens: „Seces­ sion 1896“, die im Königl. Kunstausstellungsgebäude am Königsplatz in München stattfand. 7 Im Grunde. 8 Graf Wolf von Kalckreuth (1887–1906): ältester Sohn des Ehepaares von Kalckreuth. 9 Neben dem Sohn Wolf hatte das Ehepaar von Kalckreuth vier Kinder: Anna (1890– 1946), Johannes (1893–1956), Bertha (1894–1945) und Christine (1898–1984). 10 J. W. Goethe: Iphigenie auf Tauris, Iphigeniens Eingangsmonolog. 11 Nimrod ist eine in der Bibel und im Koran erwähnte legendäre Figur. In der Bibel (1. Mose 10, 8–10) gilt er als der „Erste, der Macht gewann auf Erden“ und als „gewaltiger Jäger vor dem Herrn“; der „Anfang seines Reiches war Babel, Erech, Akkad und Kaine im Lande Schinar.“ 12 Die junge Familie von Kalckreuth lebte, bevor sie nach Karlsruhe verzog, auf dem Gut Hoeckricht, das zum Gutsbesitz Klein-Oels der Yorck von Wartenburgs gehörte.

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Dilthey an Hermann Diels 

[1001] Dilthey an Hermann Diels [Ende März 1896] Verehrter Freund, Ich beeile mich die Fragen zu beantworten, welche Ihr Brief,1 für den ich herzlich danke, und der nicht anforderungsarme Brief von Ad[ickes]2 enthält. Der Verlauf der Kommissionsverhandlung3 konnte mich nicht überraschen, denn auch gegen die Bedenken, die Dessoir erregen muß, bin ich nicht blind. Ich muß nur an Einem Punkte unentwegt festhalten. Die Professur wurde für ein[e] erhebliche Lücke des philosophischen Lehrplans geschaffen. Diese war damals die experimentelle Psychologie. Aber schon damals hat auf mein Andringen Ebbingh[aus] neben derselben Ästhetik gelesen, zudem hielt ich den hochbegabten Freih[errn] v[on] Stein4 in Berlin fest damit auch er an dieser Vertretung mitwirke. Steins Lehrerfolg war ein eindeutig sehr großer. Schon dachte ich daran für ein Extraordinariat für ihn alle Kräfte einzusetzen, und sowohl Zeller5 als Grimm waren dafür, als sein nie genug zu beklagender früher Tod Alles vereitelte. Seit dieser Zeit hat nur Dessoir diese Lücke auszu­ füllen gesucht. Ich habe ihm jederzeit gesagt daß seine Zukunft in Berlin ausschließlich daran hänge wie weit er schriftstellerisch und in Vorlesungen für dies Fach sich bewähre. Ich muß zugestehen daß er noch nicht das Wünschenswerthe dafür geleistet hat, die Probe noch nicht wie zu wünschen wäre bestanden hat. Eine ursprüngliche naturgewachsene Begabung hat er für das ästhetische Fach. Leider wie in demselben so häufig steht seine logische systematische Begabung sehr hinter der für ästhetische Eindrücke zurück. Mag er nun durch weitere Leistung sich beweisen, oder mag ein Anderer, etwa der recht begabte Groos6 in Gießen ihm voraufkommen: es ist ein Lebensbedürfniß unserer Universität daß diese mit gutem Gehalt ausgestattete Professur für Ästhetik aufbewahrt und mit der Zeit im Gehalt gesteigert, unter Umständen selbst in ein Ordinariat umgewandelt werde. Denn dies ist einer der Punkte an denen wir Leipzig und selbst München als Weltuniversität vorauskommen müssen. Unsere Sammlungen u. unsere musikalischen Leistungen machen für alle Deutschen u. die vielen Ausländer die eine freie liberale Bildung suchen, Berlin höchst geeignet zu Kunststudien. Dazu kommt, welche Grundlage Stumpfs Psychologie für Musiker bietet. Ich weiß von den Amerikanern die bei mir hören, wie sehr sie neben manchem Anderen Ästhetische Vorlesungen vermissen. So halte ich für das Richtige, Dessoir

Dilthey an Hermann Diels 

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etwas beizuhelfen, daß er leiste was er irgend kann, und wenn es nicht reicht einen Anderen an diese Stelle zu berufen von auswärts. Ich muß mich aus diesem wie aus anderen Gründen aufs Entschiedenste dagegen aussprechen daß Adickes sich habilitire und in Berlin ein Extraordinariat anstrebe.7 Es liegt das nicht im Interesse der Universität und ist gegen das Interesse der Kantunternehmung. Ich bitte also dringend, Nichts zu thun, was präjudiciren könnte indem es ihm irgend eine Aussicht dieser Art auch nur in der Ferne zeigt. (Als mit ihm verhandelt war u. ich aus dem Cultusminist[erium] nach erlangter für ihn so günstiger Abmachung, bei welcher aber sein ruhiges Arbeiten in Kiel ausdrücklich besprochen war, nach Hause ging: regte er nochmals eine solche Umhabilitirung an. Ich habe ihm damals ausdrücklich ausgesprochen daß ich eine solche als ausgeschlossen betrachte. Und ich mußte mich gegen dieselbe nachdrücklichst in der Fakultät erklären.) In welche Lage käme ich auf diese Weise A[dickes] gegenüber nun. Was er lesen würde, ist bei uns reichlichst vertreten: Ethik, Kant, neuere Philos[ophie] etc. Wir leiden hierin wie in der Psychologie an dem Zuviel. Für die Kantunternehmung ist es aber von der größten Wichtigkeit daß er zunächst ruhig in Kiel ihr lebe. Die Aufgabe die er hat kann sehr rasch oder sie kann sehr gründlich gemacht werden: es liegt schließlich doch in seiner Hand. Ich habe mich mit meiner ganzen Person dafür gleichsam verbürgt daß ihm die Akademie über das Übliche hinaus die Mittel gab, sie sehr gründlich ab­zumachen. Als Jedem ich ausdrücklich für kaum möglich erklärt daß er in 2 Jahren fertig sei, sprach ich schon von der Gefahr einer Schnellarbeit. Wie er nun ausdrücklich erklärte, daß ihm diese Arbeit ein Mittel in erster Linie für seine Laufbahn sei, würde eine Umsiedlung gleichsam die große Bühne des Berliner Privatdocenten, die eröffneten Aussichten, die ruhige Absolvirung seiner Aufgabe in Frage stellen. Kein guter Wille seinerseits könnte ihn gegen das was auf ihn eindränge schützen, da eben sein Affekt durch ethische Vorlesungen aufs Große zu wirken stärker sein würde. Für die Universität würde seine Thätigkeit nichts von dem was wir brauchen leisten. Als ein Schüler von Paulsen würde er neben dessen Vorlesungen für praktische Philos[ophie] gänzlich überflüssig sein, und für Kant u. Neuere Philosophie haben wir auch ein Zuviel. Dazu wäre es für Dozenten doch sehr kränkend, Jemanden der nicht mehr als sie geleistet hat u. keine Lücke ausfüllt nach Berlin gezogen zu sehn. So bitte ich dringend, diese Umhabilitirung nicht von Neuem bei Adickes anzuregen. In welche Lage käme ich gegenüber einem Mitarbeiter, da ich mich doch in dem Fall entschieden dagegen aussprechen mußte. Als etc. … [Briefschluss fehlt.]

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Dilthey an Hermann Diels 

Original: Hs.; Briefentwurf; StUB Göttingen, HA , cod. ms. W. Dilthey, 7, Nr. 1, Anlage 2. 1 Nicht überliefert. 2 Nicht überliefert. 3 In der philos. Fakultät wurde weiterhin die Umbildung und Wiederbesetzung des Extraordinariats, das der 1895 verstorbene Philosoph Georg von Gizycki (1851–1895) bekleidet hatte, verhandelt (vgl. Brief [997]). Im Gespräch für die Wiederbesetzung waren, neben dem von D. favorisierten M. Dessoir, Georg Simmel (1858–1918), der seit seiner dortigen Habilitation PD der Philosophie in Berlin war, Adolf Lasson (1832–1917), seit 1877 PD der Philosophie in Berlin und 1897 o. Honorarprof. ebd. sowie August Döring (1834– 1912): ev. Theologe und Philosoph; 1857 Vikar, 1864 Promotion in Jena, Gymnasialdirektor in Dortmund, 1885 Habilitation in Berlin; 1894 Ablehnung der Fakultät, Döring zum unbesoldeten Extraordinarius zu berufen (vgl. Gerhardt / Mehring / Rindert, S. 129 f.)  – A. Döring war Mitglied der sozialreformerischen „Deutschen Gesellschaft für ethische Kultur“, der auch F. Paulsen und deren Mitbegründer G. von Gizycki angehörten (vgl. zu diesem Vorgang K. Chr. Köhnke: Der junge Simmel in Theoriebeziehungen und sozialen Bewegungen. Frankfurt a. M. 1996, S. 335–379). – In die Kommission zur Wiederbesetzung des Extraordinariats wurden am 14. Januar 1896 die „Herren Stumpf, Paulsen, Diels“ und der Nationalökonom Gustav von Schmoller (1838–1917) von der Fakultät benannt. D. wurde erst im Frühjahr 1896 in die Kommission berufen, da er seit dem 19. November 1895 für drei Monate beurlaubt war (vgl. K. Chr. Köhnke, a. a. O., S. 361, Anm. 45) und erst im April 1896 nach Berlin zurückkehrte. 4 Der Philosoph Heinrich von Stein (1857–1887), der vom Wintersemester 1884/85 bis zu seinem frühen Tod in Berlin gelehrt hat. Vgl. BW II, Brief [638], S. 86–87, bes. Anm. 2. 5 Der Philosophiehistoriker und Theologe Eduard Zeller (1814–1908), der von ­1872–1895 in Berlin lehrte. 6 Der Philosoph und Psychologe Karl Groos, der seit 1892 a. o. Prof in Heidelberg mit dem Schwerpunkt Ästhetik war. 7 E. Adickes habilitierte sich im Herbst 1895 an der Universität Kiel und war dort seit 26. Oktober 1895 als PD tätig. D. hatte offenbar die Sorge, dass Adickes sich auch in Berlin habilitieren wollte, um die vakante Professur zu erlangen. Denn damit hätte er für die Herausgabe des Kantischen Nachlasses im Rahmen der Akad.-Ausg. nur noch eingeschränkt zur Verfügung gestanden.

Carl Stumpf an Dilthey 

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[1002] Carl Stumpf an Dilthey

Lieber Freund,

Berlin W[est], Nürnbergerstrasse 14 6 / Apr[il] 1896

Es liegt mir auf der Seele, daß ich Ihnen so lang nicht geschrieben, aber ich stak und stecke noch ganz und gar in einer Arbeit für die Akademie über die music[alischen] Probleme des Aristoteles,1 die mich außerordentlich fesselt. Habe darum auch noch nicht einen Tag Ferien gemacht, hoffe aber bestimmt diese Woche fertig zu werden. Daß wir die Professur-Angelegenheit bis zu Ihrer Rückkunft vertagt haben, wissen Sie ja dank Diels. Ich bin zu wenig begeistert für Dessoir, um die Verantwortung allein auf mich zu nehmen. Mündlich mehr. Hoffentlich kehren Sie alle gesund zurück. Vorläufig ists hier noch ziemlich kalt, doch sind wir heut von 5° auf 8° R[e]2 gestiegen. Inzwischen ist unser Rudi3 confirmirt, die Feier verlief äusserst würdig und erhebend, Dank dem verständigen Sinn unsres Collegen v[on] Soden.4 Leider hat sich gleichzeitig ein Herzleiden bei ihm eingestellt, das nach den Ärzten (ich frug auch Gerhardt)5 mit dem überschnellen Wachsthum zusammen hängt – er ist 14 ½ und so groß wie ich –. Wir werden ihn eine Zeit lang aus der Schule nehmen müssen. Doch ist Aussicht auf Heilung. Traurig soll’s mit Treitschke6 stehen. Ich muss nun noch eine ½ Stunde Luft schnappen, um nicht auch unter die Bresthaften7 zu kommen, und wollte Ihnen nur endlich dies Lebens- und Freundschaftszeichen geben. Recht herzliche Grüße von Haus zu Haus! Ihr C Stumpf Original: Hs.; ABBAW, Dilthey-NL , Fasz. 169, Bl. 188–189. 1 C. Stumpf hielt in der Sitzung der philos.-histor. Klasse der Königl. Preuß. AdW zu Berlin vom 23. April 1896 einen Vortrag Über die musikalische Sektion der Aristote­lischen Probleme. – Der Vortrag wurde unter dem Titel Die pseudo-aristotelischen Probleme über Musik in den Abhandlungen der Königl. Preuß. AdW zu Berlin veröffentlicht: Jg. 1897, S. 1–85. 2 Réaumur = Temperatur-Skala; in Réaumur wurden bis 1901 die amtlichen Temperaturmessungen angegeben. 3 Der Sohn von C. Stumpf und seiner Ehefrau Hermine (1849–1930). 4 Hermann von Soden (1852–1914): ev. Theologe und Pastor; 1890 Habilitation in Berlin, 1893 a. o., 1913 o. Prof. ebd.

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Georg Runze an Dilthey

5 Der Mediziner Karl Adolf Christian Jacob Gerhardt (1833–1902), der seit 1885 Prof. für innere Medizin und Direktor der Charité in Berlin war. 6 H. von Treitschke litt an einer schweren Erkrankung der Nieren („Brightsche Nierenkrankheit“, vgl. Ehlers II, S. 132), der er am 28. April 1896 erlag. 7 Mittelhochdeutscher Ausdruck für: Gebrechliche.

[1003] Georg Runze1 an Dilthey

Gr[oß] Lichterfelde, Dahlemerstr[aße] 72 den 12. April 1896 Hochverehrter Herr Geheimrat!

Nachdem ich gestern durch Fräulein Lommatzsch2 Ihre gegenwärtige Adresse erfahren habe, beeile ich mich Ihnen für die freundliche Übersendung des einleitenden Beitrags „zum Studium der Individualität“ meinen ehrerbietigsten Dank auszusprechen. Ich habe die Abhandlung mit größtem Interesse gelesen und reiche Anregung daraus gewonnen. Daß die Entwickelung der Vorstellungen vom Individuellen in Wechselwirkung mit der Entfaltung der Individualität selbst nicht bloß ein wesentlicher Gegenstand der Kultur- und Sittengeschichte, sondern ein herausragendes Objekt der Psychologie ist, stimmt zwar wenig zu der heute vorherrschenden Auffassung von dieser Wissenschaft, wird aber sicherlich für die fruchtbare Gestaltung derselben ebenso wünschenswert wie ergiebig sein. Wenn die Psychologie sich nicht an die Naturwissenschaften verlieren soll, so muß das, was Kern der ψυχή3 ist, die menschliche Persönlichkeit, in ihren reichsten Selbstobjektivierungen, in ihren verschiedenartigen künstlerischen, philosophischen, religiösen Bestrebungen und Schöpfungen beobachtet und von da aus Rückschlüsse auf das gemeinsame Wesen gezogen werden. Die Behandlung aller Individuen als seelisch gleichartiger Wesen trägt den Keim der Menschheit in sich; der allgemeinen analytischen muß eine vergleichende Psychologie zur Seite treten, die den individuellen Unterschieden gerecht wird. Da aber das Eindringen in das Einzelnste des Seelenlebens zwar dem Dichter und Musiker, aber nicht dem wissenschaftlichen Forscher gegeben ist, so ist schon viel gewonnen, wenn in vergleichender Beobachtung die typischen Verwandtschaften und Unterschiede in großen Zügen herausgestellt werden. Vielleicht ließe sich von dieser Methode aus eine wissenschaft­ liche Basis für eine sonst für problematisch geltende „Wissenschaft“ gewinnen: die Philosophie der Geschichte. Wenn man Schleiermachers Philosophische

Georg Runze an Dilthey

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Ethik4 als Bindeglied verwertet, liegt diese Kombination nahe.  – Besonders erwünscht ist mir die neueröffnete Perspektive angesichts der Thatsache, daß die analogen Bestrebungen der 60er Jahre, die in der Zeitschr[ift] f[ür] Völkerpsychologie u. Spr[ach]w[issenschaft]5 ihren Ausdruck fanden, mehr und mehr in das Fahrwasser einer rein empirisch sammelnden Ethnologie eingemündet sind. – Verhehlen will ich auch nicht, daß die Lektüre der Abhandlung mich an Rosenkranz’s Psychologie,6 ein heute vergessenes Buch, erinnert hat, das in der Methode verfährt, in den Zielen jedoch und dem umfassenden Gesichtskreise, den er eröffnete, größerer Beachtung wert war und mindestens manchen interessanten Stoff bietet für die vergleichende Seelenkunde. In einer Anmerkung haben Sie, hochverehrtester Herr Geheimrat, auch der parallelistischen Theorie gedacht und die Neutralität dieses Problems für die Psychologie behauptet. Dafür bin ich Ihnen besonders dankbar. Die Psychologie liegt m. E. jenseits dieser Frage, die mir allerdings die interessanteste der ganzen Philosophie ist, die aber mehr ontologischer als psychologischer Art ist; die Experimente der Psychophysik gehen ungestört ihren Weg, ob nun körperliche Vorgänge und Bewußtseinserfahrungen als identisch, als parallel, als in Wechselwirkung befindlich gedacht werden. Wichtiger ist die Frage für die Erkenntnistheorie; aber ich vermute, daß es sich zuletzt nur um ein sprachlichgeschichtliches und sprachphilosophisches Problem handeln wird, worüber ich schon längst schriftstellerisch mich verbreiten möchte. Mit dem Wunsche, daß der Aufenthalt im Süden Ew. Hochwohlgeborenen die vollkommene Gesundheit wiedergegeben haben möge, und die Wiederaufnahme der akademischen Thätigkeit ermögliche, bin ich

Ew. Hochwohlgeborenen gehorsamst ergebener Geo[rg] Runze

Original: Hs.; ABBAW, Dilthey-NL , Fasz. 169, Bl. 205–206. 1 Georg Runze (1852–1938): ev. Theologe und Religionspsychologe; o. Prof. in Berlin. 2 Vermutlich die Tochter des Gymnasiallehrers Carl Bernhard Lommatzsch ­(1788–1865), Schwiegersohn F. D. E. Schleiermachers und Herausgeber von Schleiermachers Vorlesungen über Ästhetik. 3 Seele. 4 F. D. E. Schleiermacher: Entwurf eines Systems der Sittenlehre. Aus Schleiermachers handschriftlichem Nachlasse. Hg. von A. Schweizer. Berlin 1835. 5 Die 1859 von Moritz Lazarus (1824–1903) und Heymann Steinthal (1823–1899) begründete und bis 1890 herausgegebene Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft. 6 Der Philosoph Karl Rosenkranz (1805–1879).  – Psychologie oder die Wissenschaft vom subjectiven Geist. Königsberg 1837.

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Hugo Münsterberg an Dilthey

[1004] Hugo Münsterberg1 an Dilthey

Verehrter Herr Geheimrat!

Freiburg i. B. 14ten April [18]96

Von einer Osterfahrt an den Genfer See heimgekehrt, fand ich Ihre neueste Akademieschrift vor, bei der ich nicht nur den formellen Zusendedank aussprechen, sondern auch ein sachliches Wort hinzufügen möchte. Ihre Grundgedanken sind ja grade von Seiten der experimentellen Psychologen zum Teil in unglaublicher Weise mis[s]verstanden worden; da mag es Ihnen nicht unwillkommen sein, zu wissen, daß einer, der in der erklärenden Psychologie aufgewachsen und für ihr unbegrenztes Recht mit Begeisterung gekämpft hat, sich nunmehr völlig auf den Boden Ihres Grundgedankens stellt: die erklärende Psychologie kann nie die Grundlage der Geisteswissenschaften werden! Ich habe da Jahre lang mit mir gerungen, aber heute sehe ich die Beziehungen klar, ich war auf falschem Wege und meine nächste Arbeit soll diese Trennung der erklärenden Psychologie von den eigentlichen Geisteswissenschaften zu ihrem Thema haben. Wieviel ich bei dieser Klärung meiner Auffassungen Ihnen zu verdanken habe, wird da deutlich hervortreten. Mein Interesse an der experimentellen Psychologie vermindert sich dadurch nicht, nur sehe ich ihr logisches Ziel nicht mehr in der Bearbeitung geisteswissenschaftlicher Probleme, ohne daß es der empirischen erklärenden Psychologie versagt wäre, auch ihrerseits sich an historische Vorgänge soweit sie erreichbar sind heranzuwagen. Nur ist es dann nicht mehr der Standpunkt der geschichtlichen Wirklichkeit. Der Gegensatz ist eben nicht ein Gegensatz der Objekte, sondern der Methoden. Nur das eine ist mir noch immer zweifelhaft, ob die Betrachtung des Geisteslebens von jenem Wirklichkeitsstandpunkt nicht besser auf den Namen Psychologie verzichtete. Dann würde die Psychologie mit den Naturwissenschaften zusammen die erklärenden objektivierenden Wissenschaften bilden, während die Geisteswissenschaften, welche das Geistesleben vom inneren subjektivierenden, erlebten Zusammenhang aus erleuchten, ihre Grundlage in der Ethik, Logik, Ästhetik und ihre Ausführung in der Geschichte, Politik, Kunstgeschichte, Literatur usw. finden. Das jedenfalls ist mir heute unent­ reißbar: durch eine atomisierende Erklärung lernen wir ein Geistesleben nie verstehen und würdigen.

Ich bleibe in aufrichtiger Dankbarkeit Ihr sehr ergebener Hugo Münsterberg

Theodor Schiemann an Dilthey

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Original: Hs.; ABBAW, Dilthey-NL , Fasz. 169, Bl. 198–199 R. 1 Der Philosoph und Psychologe Hugo Münsterberg (1863–1916).

[1005] Theodor Schiemann1 an Dilthey Sehr verehrter Herr Geheimrath. Verzeihen Sie, daß ich so spät erst für Ihre mir gütigst zugesandte Abhandlung danke. Ich wollte nicht, wie man bei gleichgiltigen Büchern zu thun pflegt, durch einen rasch erfolgten Dank mich dem Lesen entziehen, und konnte andrerseits erst in den letzten Tagen die Muße zu ruhiger Lektüre finden. Um so größer ist der Genuß gewesen und es drängt mich Ihnen zu sagen wie anregend und belehrend mir Ihre Ausführungen gewesen sind. Ich gehöre seit langem schon, vom Schleiermacher her, zu Ihren Verehrern.2 Sie haben den Beweis wie die Individualität zu fassen ist, eben vorhergeschickt und die Theorie folgen lassen, während man ja sonst bei unseren Theoretikern auf ästhetischem wie auf philosophisch-historischem Boden meist vergeblich auf den Beweis des eigenen Könnens auf diesem Felde wartet. Für den Historiker aber, dessen Lebensaufgabe ich im Studium der schöpferischen Individualität sehe, ist Ihre Ausführung ganz besonders lehrreich.

Mit ganz ausgezeichneter Hochachtung Ihr sehr ergebener Theodor Schiemann

Berlin den 14/IV [18]96. W[est] 62. Lützowstr[aße] 33 III. Original: Hs.; ABBAW, Dilthey-NL , Fasz. 172, Bl. 184–184 R. 1 Theodor Schiemann (1847–1921): Historiker und Archivar; 1867–1872 Studium der Geschichte in Dorpat, 1874 Promotion in Göttingen; 1889 Habilitation; seit 1889 Archivar im Geheimen Staatsarchiv in Berlin und PD für mittlere und neuere Geschichte; 1892 a. o. Prof. für osteuropäische Geschichte und Landeskunde ebd. 2 Gemeint ist D.s Leben Schleiermachers.

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Graf Paul Yorck von Wartenburg an Dilthey

[1006] Graf Paul Yorck von Wartenburgan Dilthey Klein Oels den 4. Mai [18]96.   Lieber Freund. Nur wenige Worte, da ich wegen noch immer andauernder Anschwellung der Beine nicht lange sitzen kann. Mir ist es schlecht gegangen. In letzter Zeit haben sich aber die Kräfte gehoben. Arbeitsfähig bin ich noch immer nicht und Schlaf ist auch sehr mangelhaft. Wenn das Wetter es zuläßt, denke ich am nächsten Freitag nach Wiesbaden abzureisen. Eine Nacht in Berlin, der nächste Tag Abends Ankunft in Wiesbaden. Sollte ich zu müde sein um am Sonnabend weiter zu reisen, dann lasse ich anfragen, ob Sie mich im Hotel Fürstenhof,1 wo ich unterzukommen hoffe, besuchen können. Ich bin zu unbeweglich um selbst kommen zu können. Möge Wiesbaden die harten letzten vier Monate günstig abschließen. Hoffentlich ist Ihre Besorgniß um Max und Ihre Frau bald ganz gehoben. Ich hatte gehofft daß Sie nunmehr in dem ge­festigten Heim geborgen und versorgt wären. Also den Schleiermacher haben Sie in Arbeit genommen.2 Da wird unter Anderem ein bedeutsamer Hinweis auf die modernste Theologie sich ergeben. Dabei ein Hauptpunkt, daß Theologie und Glaube keine psychische und darum keine historische Partikularität sein soll. Ich glaube daß der zweite Band einen dritten nach sich ziehen wird. Treitschkes Tod3 ein großer nationaler Verlust. Er ist unersetzlich für die Bildung der vaterländischen Jugend. Ein so starkes reines Herz, solch germanische naive Kraft kommt nicht bald wieder. Treitschke ließ Erne,4 wie dieser erzählte, sagen, der Schillerpreis werde ihm zugesprochen werden.5 Ich meine zu Recht. Wem sollte er werden, wenn nicht ihm? Dabei ist m. E. nicht ein einzelnes Stück zu berücksichtigen sondern der ganze dichterische Charakter. Die Schwächen auch des letzten Stücks sind ja zu Tage liegend. Es fehlt eben der normirende Verstand. Aber wer kann jetzt theatralisch verlebendigen wie es in dem Vorspiele und in dem bedeutenden II. Akte geschehen? Welcher Dichter sieht historisch wie die Gestalt Gregors des VIIten gesehen ist?6 Original: nicht überliefert; Erstdruck: BDY, Nr. 132. 1 Das im Jugendstil erbaute „Hotel Fürstenhof“ in Wiesbaden liegt direkt am Kurhaus und Kurpark.

Otto Fiebiger an Dilthey

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2 Der diesem Antwortbrief offenbar vorausgegangene Brief D.s an Paul Yorck ist nicht überliefert. 3 Heinrich von Treitschke starb am 28. April in Berlin. 4 Paul Yorcks Schwager Ernst von Wildenbruch. 5 Der preuß. Schillerpreis wurde erstmals 1859 anlässlich des 100. Geburtstags Friedrich Schillers (1759–1805) vom preuß. Prinzregenten und späteren König von Preußen und Deutschen Kaiser Wilhelm I. (1797–1888) vergeben. – 1896 wurde E. von Wildenbruch, der bereits 1884 den Preis erhielt, diese Ehrung ein zweites Mal zuteil. 6 Gregor VII., eigentlich Hildebrand (1025/30–1085): Mönch und 1073–1085 Papst. Er befand sich seit 1075 im Machtkampf mit dem römisch-deutschen König und späteren Kaiser Heinrich IV. (1050–1106). Im „Gang nach Canossa“ unterwarf sich Heinrich 1077 der Macht der katholischen Kirche. – E. von Wildenbruch: Heinrich und Heinrichs Geschlecht. Tragödie. Berlin 1896.

[1007] Otto Fiebiger1 an Dilthey Sehr geehrter Herr Geheimrat!

Dresden, d[en] 22. Mai 1896

Beifolgend erhalten Sie die Copie der gewünschten Schleiermacherbriefe, die ich in dienstlichem Auftrag ausgeführt habe. Da Herr Director Schnorr von Carolsfeld 2 die Abschrift mit dem Original verglichen hat, so hoffe ich, daß alle Einzelheiten getreu wiedergegeben sind. An 2 Stellen ist die Lesung schwankend: S. 13 steht deutlich „Esel“ da und als Verbum etwas wie „bohren“; S. 21 lese ich nach den Buchstaben das Verbum „entrieseln“ – Was Ihre sonstigen Wünsche betrifft, so werden dieselben nach den Pfingstferien ihre Erledigung finden. Mit ausgezeichneter Hochachtung

verbleibe ich Ihr ganz ergebener Otto Fiebiger.

Original: Hs.; ABBAW, Fasz. 117, Bl. 250–250 R. 1 Otto Fiebiger (1869–1946): klass. Philologe und Bibliothekar; 1893 Promotion in Leipzig, 1895 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Königl. Sächs. Öffentl. Bibliothek in Dresden, 1908 Bibliothekar, 1926 Oberbibliothekar ebd. 2 Franz Schnorr von Carolsfeld (1842–1915): Philologe und Bibliothekar; 1864 Promotion in Berlin, 1887–1907 Direktor der Königl. Sächs. Öffentl. Bibliothek in Dresden; ständiger Mitarbeiter der Allgemeinen Deutschen Biographie und Hg. des Archivs für Litteraturgeschichte seit 1874.

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Dilthey an Marie Glogau 

[1008] Dilthey an Marie Glogau1 Sehr geehrte Frau!

[Mai 1896]

Die Kantcommission der hiesigen Akademie der Wissenschaften hat darüber Mitteilung erhalten, dass sich in der Bibliothek Ihres verstorbenen Herrn Gemahls ein Collegienheft Kants über Anthropologie befindet.2 Die genannte Commission bittet Sie nun um nähere Mitteilungen über das genannte Collegienheft. Im Falle des Vorhandenseins desselben und Ihrer Bereitwilligkeit, dasselbe dem nationalen Werke einer Kantausgabe zur Verfügung zu stellen, ersucht Sie die genannte Commission dasselbe benutzen zu dürfen. Durch ein Wort der Beistimmung würden Sie die genannte Commission besonders verpflichten, über Zeit und Art, in welcher sie die Benutzung erbittet, wird sie sich dann nähere Mitteilung erlauben[.] Im Auftrage der Kantcommission der Königlichen Akademie der Wissenschaften der Vorsitzende Wilhelm Dilthey Mitteilungen an die Kantcommission werden erbeten unter der Adresse: An das Secretariat der K[öni]gl. Akademie der Wissenschaften Berlin N[ord]W[est] Universitätsstr. 8 „zu Händen der Kantcommission“.3 Original: Hs.; Diktat D.s von der Hand P. Menzers4 mit eigenhändiger Unterschrift D.s; UB Kiel, HA , Glogau-NL , Fasz. 29, 2 Bl., unpaginiert. 1 Ehefrau des verstorbenen Gustav Glogau (1844–1895): Philosoph; 1883 o. Prof. in Halle, 1884 in Kiel. 2 Im Februar 1896 hatte D. als Vorsitzender der Kant-Kommission der Berliner AdW an Zeitungs- und Zeitschriften-Redaktionen ein Informationsblatt Orientirung über die Kantausgabe der kgl. Preuss. Akademie verschicken lassen sowie einen Aufruf, in dem Bibliotheken und Privatpersonen dazu aufgefordert wurden, vorhandene Handschriften Kants, Mitschriften seiner Vorlesungen und sonstige Dokumente der Kommission mitzuteilen (Original: ABBAW, Dilthey-NL, Fasz. 339, Bl. 261–262, 264, 663) sowie Kant-Studien 1 (1897), S. 148–154. 3 In der „öffentlichen Sitzung vom 28. Januar 1897“ der Königl. Preuß. AdW zu Berlin bedankt sich D. in seinem Bericht über die Kant-Ausgabe u. a. auch bei „Frau Prof. Glogau (Frankfurt a. M.)“ für die Zuwendung von handschriftlichem Material für die Kant-Ausgabe (vgl.: Sitzungsberichte der Königl. Preuß. AdW zu Berlin. Erster Halbband. Januar– Juni 1897, S. 48 f.).

Graf Paul Yorck von Wartenburg an Dilthey 

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4 Der damalige Student, Philosoph und Pädagoge Paul Menzer (1873–1960) war seit 11. November 1895 als von der Königl. Preuß. AdW zu Berlin bezahlter Sekretär D.s im Rahmen der Kant-Akad.-Ausg. tätig.

[1009] Graf Paul Yorck von Wartenburg an Dilthey

  Lieber Freund.

Wiesbaden Kaiserhof. Den 22. 5. [18]96.

Ihr so freundschaftliches Anerbieten kann ich in Ihrem Interesse nicht annehmen.1 Der Ort hier ist überfüllt, die Preise geradezu irrational. Ich habe manch theueres Pflaster kennen gelernt. Diese hiesige Erfahrung war mir neu. Seit dem 18ten bin ich hier allein, meine Frau2 in Karlsruhe. Ich halte still, weil mir die Bäder in der That vortrefflich bekommen. … Scholz3 kommt über die Pfingsttage zum Besuche seiner hier domizilirenden4 Schwester. Da werde ich ihn sehen. Ritschl katholische Kirche IIte Auflage5 beendet. Immerhin die bedeutendste Gegenschrift gegen Tübinger Geschichtsauffassung. Geschichtlichkeit als Virtualität bleibt draußen. Während der Anwesenheit meiner Frau und so lange das Wetter es erlaubte, habe ich mehrere Fahrten gemacht. Erstaunlich und von seltener Pracht der Baumwuchs hier. Kastanien, Platanen, Pappeln wie man sie außerhalb Italiens sonst nicht findet. Eine stille kräftige Vegetation. Die schöne vierreihige Allee nach Biebrich6 gefahren, mit Gedanken an Sie und Ihre Kindheit. Wie oft mögen Sie als Knabe den Weg hin und her mit heimathschwerem und heimatfrohem Herzen gegangen sein! Meine Gabe der Transposition ließ mich das voll empfinden und vergegenwärtigen. Bei dem Ausgang aus dem nicht ohne Anstrengung durchschrittenen herzoglichen Garten traf ich den Thorwärter, den ich nach der Pfarrei fragte. Wir verständigten uns sogleich, daß es sich um die ehemalige Pfarrei handele, ohne daß ich Ihren Namen genannt hatte. Der Mann sprach alsbald von dem alten Kirchenrath Dilthey,7 der habe ihn konfirmirt, sei ihm Freund gewesen, seine Photographie besitze er noch. Eine schöne warme Nachwirkung christlicher Pädagogie über so lange Zeit hinaus. Ich fand die alte Pfarrei, aber durchaus verändert. Eine Straßenanlage hatte das Terrain des Gartens in Anspruch genommen. Die alte Scheune Ihrer Kinderzeit aber stand noch abschließend da. Meine Beine erlaubten mir nicht mehr die Droschke zu verlassen. So erkannte ich von der an dem Hause angebrachten Inschrift nur das eine breit eingemeißelte Wort: mors.8 – Wie anders die geistige Atmosphäre der hiesigen und

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Dilthey an Graf Paul Yorck von Wartenburg 

unserer Gegend, im Zusammenhange damit, daß die Natur hier sich darbietet, bei uns bewältigt werden muß. Ich sehe hier nicht arbeiten, sehe keine Armuth. Daher stille satte Partikularität, kein Staatsbewußtsein. Original: nicht überliefert; Erstdruck: BDY, Nr. 133. 1 Der von D. an Paul Yorck offenbar vorausgegangene Brief ist nicht überliefert. 2 Gräfin Louise Yorck von Wartenburg, geb. von Wildenbruch hielt sich bei ihrer Tochter Bertha mit Familie auf, die nach Karlsruhe verzogen war. 3 D.s Jugendfreund, der Dirigent und Komponist Bernhard Scholz, war seit 1883 Direktor des Hochschen Konservatoriums in Frankfurt a. M. 4 Seinen Wohnsitz haben, ansässig sein. 5 A. Ritschl: Die Entstehung der altkatholischen Kirche. Eine kirchen- und dogmengeschichtliche Monographie. Bonn 1850, 2. durchgängig neu ausgearb. Aufl. Bonn 1857. 6 D.s Geburtsort, 1926 eingemeindet in die Stadt Wiesbaden. 7 D.s Vater, Maximilian D. (1804–1867), war Pfarrer in Mosbach und Biebrich (Wiesbaden) und ab 1846 Kirchenrat und Dekan. 8 Das Wort mors (lat.: Tod), das der damals schon sehr kranke Yorck, seinen nahenden Tod wohl voraussehend, auf der Tafel von D.s Elternhaus zu erkennen glaubte, lässt sich nicht verifizieren. Die Inschrift an der Wand des barocken Hauses von 1696 lautet: „Struxerat Hasae Des Abbas Albricus In Annis, QVeis Mavors Totosaevit In Orbe Ferus.“ („Das Gebäude wurde errichtet von Abt Alberich [Abt Alberich Kraus vom Boxberg: 1667–1702 Abt des Klosters Eberbach / Pfalz] in den Jahren, als Jupiter und der wilde Mars auf der ganzen Erde wütete.“) – 1688–1697 war die Zeit der Pfälzischen Erbfolgekriege. – Graf Paul Yorck las vermutlich das Wort „Mavors“ (= Mars) als „mors“ (= Tod) aus.

[1010] Dilthey an Graf Paul Yorck von Wartenburg [vor dem 26. Mai 1896] Sehr schwer, mein lieber Freund, fällt es mir, Ihren eben erhaltenen Brief vor mir, es aufzugeben Sie ein paar Tage wenigstens zu sehen. Aber zu dem was Sie schreiben kommt hinzu daß ich ja doch nicht gleich abreisen könnte, da verschiedne Arbeiten vorher gethan sein wollen. Und da muß denn doch die Vernunft siegen, nicht auf ein paar Tage die weite Reise zu machen, sondern lieber ein ordentliches ruhiges Wiedersehen in Berlin zu erwarten, das in der von Ihnen geschilderten Unruhe des Wiesbadener Badelebens doch nicht erreichbar wäre. Aber wie freue (ich) mich über die guten Nachrichten von Ihrem Ergehen! … Ich selbst bin sehr sehr angegriffen von diesem Chaos der Geschäfte: Vorlesungen (wozu jetzt oft wenig Vorbereitung nöthig und mir nun vergnüglich),

Dilthey an Graf Paul Yorck von Wartenburg 

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Sitzungen, oft zweimal in der Woche, Kantvorbereitungsarbeiten, die nun endlich abnehmen und bald wenig merklich sein werden, zu denen ich auch einen guten Sekretär habe,1 Preisaufgaben, Dissertationen etc. etc. Dazu die Sorge um Max und entsprechende Correspondenz. So ist die Vorlesung für die Akademie und die Arbeit im Schreiben: Schleiermacher in Stolpe, noch wenig gefördert. Über Platonische Reihenfolge, Ächtheit etc. für Darstellung des Schleiermacherschen Plato viel nachgedacht und auch im Plato nachgelesen. Die Frage selbst unauflöslich. Schleiermachers Verdienst, nicht sie gelöst, sondern Plato verständlich gemacht zu haben. Sehr interessant [sind] mir die englischen Versuche und ihr jetziges Rumoren, den Parmenides und Sophistes an das Ende von Platos Schriftstellerei zu setzen und im Parmenides eine Vertheidigung des Fünfundsiebzigjährigen gegen den fünfundzwanzigjährigen Aristoteles zu sehen. Mir scheint das, wie Sie auch öfters berührten, hinzusetzen: von Antisthenes2 ab müssen ja solche Sätze, wie vom τρίτος ἄνθρωπος3 – Idee des Schmutzes etc. – gegen Nachbilder etc. – schon oft auch von andern Gegnern entwickelt worden sein: Plato wählte nur den Aristoteles, welcher von Antisthenes etc. diese Polemik auf­genommen hatte, zum Repräsentanten im Dialog. Sonst kann man die Ächtheit des Parmenides nicht festhalten: Denn der Aristoteles darin ist unstreitig unserer. So erhalten auch Ihre oft geäußerten Ansichten über das Kompromiß zwischen Antisthenes und Plato in Aristoteles einen Rückhalt an Parmenides und Sophistes. – Plato spielt gegen Antisthenes den ächten Parmenides4 aus. Dann erhält man (die) Ordnung: 1) Sokratische Dialoge 2) Jugendliche Darstellung der Ideenlehre als Ideen des Gut[en und] Schönen, übersinnliche Welt etc. Protagoras, Gorgias, Phädrus, Symposion. 3) Männlich reife: Phädon – Kratylos? – Theätet – Politie. 4) Der Alte, der die ganze Nachbildungslehre dem Mythos zuweist (Timäos), dialektisch bis zu skeptischer Haltung gegen die Construktion der Welt aus den Ideen wird und die Ideen und Zahlen als ein allein dem Wissen zugäng­ liches System behandelt. Sowol im Parmenides als Sophistes scheint er mir über seine eigene jugendliche Lehre zu scherzen, Parmenides muß (Schleiermacher) unvollendet sein.5 Ich bemerke noch: 1. man muß sich an die ganze Farbe der Dialoge halten, so sind typisch: a) erste übermüthig dichterische Jugend: Protagoras Gorgias Phädrus. Das Überschwellende. b)  Männliche, die Ideelehre durchdenkende, von ihr aus auf Lebens­ beherrschung gerichtete Seelenhaltung: Theätet, Kratylos, Politie, Phädon. Das Dichterische ist nun mit Bedacht auf die großen Punkte concentrirt, zwischen Dialektik zerstreut.

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Dilthey an Graf Paul Yorck von Wartenburg 

c)  Die Dialoge in denen das Dichterische zurücktritt und die hohe Symbolik des Alters in dem Auftreten des Parmenides, des Fremden aus Elea, des Aristo­teles, des Verhältnisses zu den Pythagoreern in einer Art von Weltperspektive der Metaphysik sich äußert. Entsprechend: während in a b die Polemik gegen die Sophisten[,] Antisthenes, die Herakliten, Megariker vorherscht, sind es nun die Angriffe von Anti­ sthenes bis Demokrit6 (Sophistes) und Aristoteles (Parmenides), gegen welche er sich wendet, denen gegenüber er die Consequenz zieht: Weltbildungslehre etc. ist mythisch, nur mathematisch dialektische Wissenschaft vom σύνδεσμος7 der Ideen und der Zahlen kann ausgebildet werden. Nun wird eleatische und pytha­goreische Schule in grandioser Symbolik in den Gestalten der Dialoge als das was seine Ideenlehre schützt und trägt herausgestellt. Entweder ist es so, oder Parmenides ist unächt, da die Polemik des Aristoteles gegen Plato im Parmenides nicht abgeleugnet werden kann. Da aber auf Antisthenes die aristotelischen Bedenken beruhen, so hat Aristoteles auch in seiner Kritik der platonischen Schule später das Seine nicht gegen den Parmenides des Plato zu wahren nöthig gehabt. Fällt Parmenides, so fallen Sophistes und Politikus mit ihm. Also entweder oder. Es hat mich tief bewegt daß Sie in Bibrich meiner so gedachten. Wol mögen wir Jeder den Wegen des Anderen in Gedanken nachgehen: denn die Freundschaft ist im Sinne der Alten außer der Philosophie das Höchste in diesem so problematischen Leben. Original: nicht überliefert; Erstdruck: BDY, Nr. 134. 1 Gemeint ist Paul Menzer. 2 Antisthenes von Athen (ca. 366 v. Chr.): Schüler des Sokrates. 3 Die Bezeichnung „dritter Mensch“ (τρίτος ἄνϑρωπος) geht auf Aristoteles zurück und spielt eine Rolle in der Ideen- und Begriffslehre Platons. – Vgl. Aristoteles: Metaphysik, I, 990 b 17 und VII, 1039 a 2–3; vgl. auch Platon: Parmenides, 130a–133a, wo allerdings der Terminus noch nicht nachweisbar ist. 4 Parmenides aus Elea (geb. ca. 540 v. Chr.): Schüler des Xenophanes; Haupt der eleatischen Schule; phil. Gegner Heraklits (Herakleitos) von Ephesus (544–480 v. Chr.) 5 Die Hg. von BDY merkt an: „Bei Ordnung der Platonischen Dialoge hat Dilthey, wie die H[and]s[chrift] lehrt, ursprünglich 4 Gruppen angesetzt. Neben 1 und 2 trug er zunächst nur die allgemein charakterisierenden Bemerkungen ein. Bei der 3. Gruppe empfand er augenscheinlich ein Bedürfnis, einzelne Dialoge anzugeben, und fügte nun auch noch der 2. Abteilung die Namen: Protagoras, Gorgias, Phädrus, Symposion, zu. Sie sind in Einem Zuge geschrieben. Dabei kamen ihm die schon hingestellten Worte: ‚3) Männlich reife‘, in den Weg, und er strich sie durch. Aus der Zeile der gestrichenen 3. Abteilung stehn jetzt: Gorgias, Phädrus, Symposion. In einigem Abstand darunter, auf einer Zeile für sich: Phädon, Kratylos, Theätet, Politie. Die 3 ist nicht wieder hergestellt, auf Nr. 2 folgt Nr. 4.

Graf Paul Yorck von Wartenburg an Dilthey 

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Die von uns versuchte Herstellung, wie sie sich als Diltheys Absicht aus Beobachtung der Handschrift ergibt, wird durch die Gruppen a und b in der Fortsetzung des Briefes gestützt. Die Dreiteilung im Brief Nr. 136 [vgl. Brief 1014] ist Ergebnis einer Revision unter Einfluß Yorcks und gibt keine genaue Auskunft über Diltheys Absicht in dem früheren Briefe.“ 6 Demokrit von Abdera (ca. 460 v. Chr. – ca. 400 oder 380 v. Chr.): griech. materialistischer Philosoph, Atomist. 7 Innerer Zusammenhang.

[1011] Graf Paul Yorck von Wartenburg an Dilthey Wiesbaden den 26. 5. [18]96   Lieber Freund. Der Parmenides ist echt. Davon hat jede philosophische Kritik auszugehen als festem Punkte. Philologie mag aus Mißverständniß die Frage aufwerfen und wird zu Mißverständnissen führen resp. hat dazu geführt. Wenn man sich die historisch-philosophische Lage Platons vergegenwärtigt, so erkennt man Ort und Nothwendigkeit des Dialogs. Die schriftstellerische Thätigkeit Platons zerfällt in drei Abschnitte. 1. Die „sokratischen“ Dialoge im sachlichen Sinne. Sie haben vor sich die Skepsis, die von zwei Seiten herkommt: a) Hera­ klit, b)  Eleaten. Diese Dialoge sind naturgemäß die frühsten und markiren sich in der Form, das heißt sie sind kurz und endlos. Sie haben keinen sachlichen Schluß sondern brechen ab mit der Confundirung1 des Gegners. Element derselben – echt sokratisch – der gesunde Menschenverstand, common sense. Die Wiederholung des sokratischen Nichtwissens keine Ironie  – gegen die romantische Auffassung  – sondern reine Wahrheit, da Wissen nach dem griechischen Ingenium ontisch bestimmt. 2. Die innerlich logischen Dialoge. Das Dialektische nur Form. (Gegen Schleiermacher, der die Tragweite der Dialektik nicht erkannt hat, wie seine eigene Dialektik beweist, die verschwiegenen Logismus zu Hilfe nehmen muß um weiter zu kommen.) Zwischen 1 und 2 fällt die italienische Reise – eine oder zwei gleichgiltig – die für Platon doch eine ganz andere Bedeutung hatte als für Goethe. Hier die große Erfahrung und die geniale Applikation des Pythagoreismus. Damit Möglichkeit der Überwindung des eleatischen Gegensatzes, Möglichkeit eines Wissens der Welt in philosophischem Sinne auf Grund griechischer Denkweise, Möglichkeit einer Erkenntnißtheorie innerhalb des griechischen Ingeniums. Damit unabweislich gegeben die Auseinandersetzung mit den Eleaten und den Or-

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Graf Paul Yorck von Wartenburg an Dilthey 

thodoxen der sokratischen Schule, deren intellektuelle Voraussetzung der Eleatismus war. Also Kampf gegen den Petrus – A ntisthenes. Was Schleier­macher für Heraklit gethan (Alles darauffolgende ist nicht bedeutend), das müßte für Antisthenes geschehen. Das steht noch aus. Damit aber ein wesentliches Moment für die Erkenntniß der schriftstellerischen Thätigkeit Platons. Aber man fängt jetzt an hellhöriger zu werden. Die Polemik gegen Antisthenes fällt in die zweite Periode. Dahin gehört der Parmenides. Die sachliche Verbindung ist hier wichtiger als die chronologische. Aber auch letztere trifft ungefähr zu. Außerdem nicht zu vergessen, daß Platon kein Chronist sondern ein Dichter ist. Die Synthese von Platon und Antisthenes ist Aristoteles, woher bei ihm die durchgehende Zweiheit z. B. bezüglich der οὐσία.2 Es wird dies klar, wenn Antisthenes’ Nominalismus erst einmal im Zusammenhang dargestellt ist mit Belägen. Daher die Rolle des Aristoteles im Parmenides, wie Sie ganz richtig gesehen haben. 3te Periode die der Construktion des menschlichen Kosmos: Staat, Gesetze und als universaler Abschluß – Resultat der Lehr- und Wanderjahre Timaeus. Aber nichts von Skepsis in all Diesem. Ich schreibe passionirt und ohne alle Möglichkeit der Verifikation dieser Behauptungen. Die letzten Tage gings nicht schön. Die Blutergüsse unter der Haut traten wieder auf und dann fühle ich mich angegriffen. Aber man ist wie ein alter Soldatengaul, der so gering es ihm geht, reagirt, wenn der Appell geblasen wird. Wäre man in Ihrer Lage und könnte schreiben und sagen, was man an Gedanken auf der Seele hat! Dies in Eile umgehend, aus dem Bedürfnisse mich auszusprechen. Gestern besuchte mich Scholz.3 Wir machten eine schöne Spazierfahrt. Jetzt erwarte ich ihn zur Wiederholung. Haben Sie Wundts Psychologie4 angesehen? Knapp und kompendiös. Ein dünner Band. Mir war die Lektüre nicht zeitgemäß, daher ließ ich das Buch zu Hause. Leider habe ich mich vergriffen und von Grote den vierten Band an Stelle des dritten, der die griechische Philosophie behandelt,5 mitgenommen. Original: nicht überliefert; Erstdruck: BDY, Nr. 135. 1 Verwirrung, Verunsicherung. 2 Sein, Wesen. 3 D.s Jugendfreund, der Komponist und Dirigent Bernhard Scholz. 4 W. Wundt: Grundriss der Psychologie. Leipzig 1896. 5 George Grote (1794–1871): engl. Historiker.  – History of Greece. 12 Bde. London 1846–1856, dt. Übersetzung nach der 2. Aufl. in 4 Bden. Berlin 1880.

Otto Fiebiger an Dilthey 

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[1012] Otto Fiebiger an Dilthey Dresden, d[en] 9. Juni [18]96. Sehr geehrter Herr Geheimrat! Ihrem geschätzten Auftrage zufolge habe ich in den letzten Tagen die Briefe der Familie Kussring[?], Niebuhrs, Varnhagens, Sacks und Windischmanns an A. W. von Schlegel durchgesehen,1 ohne etwas auf Schleiermacher bezügliches darin zu finden. Dagegen sind die Briefe der Gebrüder Tieck, Reimers2 und Schellings an Schlegel so zahlreich, daß meine Zeit es mir nicht erlaubt, dieselben einer gründlichen Durchsicht zu unterziehen. Herr Direktor Schnorr von Carolsfeld3 läßt daher ganz ergebenst bei Ihnen anfragen, ob Sie die Briefe der letztgenannten nach Berlin zugeschickt erhalten wünschen. Auch von Fichtes Briefen und seinem Entwurf über ein zu errichtendes kritisches Institut – in der Biographie seines Sohnes noch nicht verwertet – 4 ist es mir beim besten Willen nicht möglich, selbst eine Abschrift zu nehmen, da ich in meiner freien Zeit eigene dringliche wissenschaftliche Arbeiten vorhabe. Doch stehen Ihnen selbstverständlich auch Fichtes Briefe ohne weiteres zur Verfügung.

In ausgezeichneter Hochachtung ganz ergebenst Otto Fiebiger.

Original: Hs.; ABBAW, Dilthey-NL , Fasz. 117, Bl. 251–252. 1 Der Nachlass des Altphilologen, Übersetzers und Literaturhistorikers August Wilhelm Schlegel (1767–1845) wurde 1873 von der Königl. Bibliothek zu Dresden erworben. – Der Staatsmann und Geschichtsforscher Barthold Georg Niebuhr (1776–1831); der Schriftsteller Karl August Varnhagen von Ense (1785–1858); der protestantische Theologe und Hofprediger Friedrich Samuel Gottfried Sack (1738–1817); der Philosoph und Mediziner Karl Joseph Hieronimus Windischmann (1775–1839). 2 Der Dichter Ludwig Tieck (1773–1853) und der Bildhauer Christian Friedrich Tieck (1776–1851); der Verleger Georg Ernst Reimer (1804–1885). 3 Franz Leopold Schnorr von Carolsfeld (1842–1915): 1887–1907 Direktor der Königl. Sächsischen Öffentlichen Bibliothek in Dresden, 4 Johann Gottlieb Fichte’s Leben und litterarischer Briefwechsel. Hg. von seinem Sohne J. H. Fichte. 2 Theile. Sulzbach 1830 und Leipzig 1862, Erster Theil, die Lebensbeschreibung enthaltend.

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Dilthey an Wilhelm Stieda 

[1013] Dilthey an Wilhelm Stieda1 Berlin, d[en] 17. Juni 1896. Verehrtester Herr Kollege, über Ihre Philosophenfrage hat schon Schirmmacher2 bei mir angefragt; ich erlaube mir also der Kürze halber die Antwort, die ich eben aufgesetzt habe, auch Ihnen zu übermitteln. Für den durchaus und in jeder Hinsicht entsprechenden würde ich den Privatdocenten Busse in Marburg halten.3 Derselbe ist ein ausgezeichneter Docent voll Wärme und Leben, der eine wirklich tüchtige Durchbildung der Studierenden herbeizuführen und das Interesse für Philosophie in einem weiten Kreis derselben zu beleben im Stande ist. Er hat eine vortreffliche historische Arbeit und eine gute systematische geliefert,4 nur seine lange Abwesenheit von Deutschland, in Tokio, ist der Grund, dass er noch als Privatdocent wirksam ist. Von den Streitigkeiten, welche [s]eine Habilitation begleitet haben, sollte endlich nicht mehr die Rede sein. Sie können sich auf mich verlassen, dass ihn in dieser Angelegenheit kein Vorwurf trifft. Ich kenne ihn persönlich als einen durchaus ehrenwerten und besonnenen Mann. Seine Richtung ist etwa die von Lotze5 und würde sonach auch dem dortigen Bedürfniss entsprechen, nach welchem ja auch die Theologen schlechterdings auf ihn angewiesen sind. In zweiter Linie würde ich Professor Lasswitz6 am höheren Gymnasium in Gotha als die für Sie völlig geeignete Persönlichkeit ansehen. Was die wissenschaftliche Leistung betrifft, so ist seine Geschichte der Atomistik7 nach feststehendem Urteil zu den gelehrtesten und scharfsinnigsten Arbeiten zu zählen, welche in den letzten 20 Jahren geschrieben worden sind. Es ist ein Werk in grossem Styl, und in der Herrschaft über ein grosses geschichtliches Material ebenso bedeutend als in der mathematisch-naturwissenschaftlichen Sicherheit und Breite des Könnens. Steht er so in wissenschaftlicher Capacität nicht nur über Busse, sondern über jeder von Ihnen erreichbaren Person, so nenne ich ihn nur darum in zweiter Linie, weil er zwar an dem höheren Gymnasium in Gotha ein ausgezeichneter Lehrer, aber dort noch nicht in Universitätswirksamkeit bewährt ist. Seinen Character habe ich als einen vortrefflichen kennen gelernt. Ich glaube noch hinzufügen zu sollen, dass er ebenso wie der nachher zu nennende Husserl8 aus einer frühen jüdischen Familie[,] aber protestantischen Bekenntnisses [ist]. Er vertritt in dem ganz ausgezeichneten Gothaer höheren Gymnasium Mathematik und mathematische Naturwissenschaften in ausgezeichneter Weise.

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In dritter Stelle würde ich Ihnen den Privatdocenten Adickes9 empfehlen. Derselbe ist eine kräftige und tüchtige Persönlichkeit, welche ohne jeden Zweifel dazu bestimmt ist, einmal eine einflussreiche Cathederwirksamkeit zu entfalten. Seine Arbeiten über Kant sind vortrefflich, und die Akademie hat ihm soeben die Edition der wichtigsten Abteilung des Kantunternehmens übertragen.10 Eine systematische Arbeit hat er noch nicht geliefert, beschäftigt sich aber eingehend mit ethischen Fragen. Dieses sind die Personen, welche ich alle drei ganz und in jeder Rücksicht für geeignet erklären kann. Ich stehe dafür ein, dass jede von ihnen eine ausgezeichnete Wirksamkeit bei Ihnen entfalten und Ihrer Universität wissenschaftlich Ehre machen wird. Eine zweite Reihe von Personen eröffne ich mit dem Docenten Husserl in Halle. Sein Buch über Philosophie der Mathematik11 ist eine anerkannt kentnissreiche, scharfsinnige und tüchtige Leistung. Er ist wissenschaftlich durchaus zu der Stellung qualificiert. Da Sie aber dort von dem einzigen Philosophen auch die Herrschaft über die Geschichte der Philosophie fordern müssen, ja da diese bei Ihnen naturgemäss eine grosse Rolle spielen muss, so müsste Husserl sich in dieses Gebiet erst einarbeiten, was ja ausführbar, aber zumal in Bezug auf die griechische Philosophie doch wirklich recht schwer ist. Auch weiss ich nicht, ob er einen kräftigen Lehrerfolg erzielen würde. Jedenfalls ist er nicht wie die drei erstgenannten so entschieden zu einem solchen beanlagt. Martius12 in Bonn ist ein ganz ausgezeichneter experimenteller Psychologe. Wo ein solcher in Frage kommt, würde man ihn ganz besonders immer ins Auge fassen müssen. Dabei geht er von allgemeinen philosophischen Gesichtspunkten aus. Aber auch ihm ist die geschichtliche Seite der Philosophie ganz fremd. Überhorst13 in Innsbruck mag wenigstens zum Schluss als ein solcher genannt werden. Dies ist also, was ich auch Herrn Kollegen Schirmmacher mitgeteilt habe, und wofür ich einstehen kann.

In aufrichtiger Hochachtung der Ihrige Wilhelm Dilthey

Original: Hs.; Diktat D.s von der Hand P. Menzers mit eigenhändiger Unterschrift D.s; UB Leipzig, HA , NL 254: 31. 1 Wilhelm Stieda (1852–1933): Nationalökonom, Wirtschaftshistoriker und Sozialrefor­ mer; 1876 o. Prof. in Straßburg, Dorpat und Rostock, 1889 in Leipzig.

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2 Der Historiker und Bibliothekar Friedrich Wilhelm Schirrmacher (1824–1904), der seit 1866 o. Prof. in Rostock und Erster und Ober-Bibliothekar der dortigen Universitäts­ bibliothek war. – Brief nicht überliefert. 3 Ludwig Busse (1862–1907): Philosoph; 1885 Promotion in Berlin, 1886 Prof. in Tokio, 1894 Habilitation in Marburg, 1896 o. Prof. in Rostock, 1898 in Königsberg, 1904 in Münster, 1906 in Halle. – Busse war während seines Studiums in Berlin Hörer D.s. 4 L. Busse: Beiträge zur Entwicklungsgeschichte Spinoza’s. Diss. Berlin 1885; Ders.: Philosophie und Erkenntnistheorie. Erste Abteilung. Erster Teil: Metaphysik und Erkenntniskritik. Zweiter Teil: Grundlegung eines dogmatischen philosophischen Systems. Leipzig 1894. 5 Der Philosoph und Physiologe Rudolph Hermann Lotze (1817–1881), der seit 1844 in Göttingen gelehrt hatte und im Jahr seines Todes einen Ruf nach Berlin annahm. Die „durch den Tod des Professors Dr. Lotze erledigte ordentliche Professur der Philosophie“ wurde am 2. Juli 1882 mit D. wiederbesetzt (vgl. BW I, Brief [579], S. 900–901). 6 Der Philosoph, Lehrer und Schriftsteller Kurd Laßwitz (1848–1910) war ein Schüler D.s und seit 1876 als Gymnasiallehrer in Gotha tätig.  – Seit seiner Promotion 1873 in Breslau standen er und D. immer in brieflichem Kontakt: Laßwitz, der eigentlich eine wissenschaftliche Laufbahn einschlagen wollte, unterstütze seinen Lehrer durch häufiges Korrekturlesen und Besprechungen von Veröffentlichungen D.s. Dieser setzte sich mehrfach für Laßwitz bei Berufungen ein, da er von der wissenschaftlichen Befähigung seines ­Schülers sehr überzeugt war (vgl. BW II, Brief [772], S. 280; [807], S. 335; [883], S. 452; [885], S. 454). 7 K. Laßwitz: Geschichte der Atomistik vom Mittelalter bis Newton. 2 Bde. Hamburg und Leipzig 1890. 8 Edmund Husserl (1859–1938): österr.-deutscher Philosoph und Mathematiker; Begründer der Phänomenologie; 1882 Promotion in Wien, 1887 Habilitation in Halle (bei C. Stumpf) und PD ebd., 1901 a. o., 1906 o. Prof. in Göttingen, 1916 in Freiburg i. B. 9 Der Kant-Forscher E. Adickes habilitierte sich 1895 in Kiel und war dort bis 1898 als PD tätig. 10 E. Adickes schrieb 1887 seine Dissertation über Kant: Kants Systematik als mitbildender Faktor seines System. Berlin 1887. – Am 17. Februar 1896 hatte die Königl. Preuß. AdW zu Berlin mit E. Adickes einen Vertrag über die Edition des handschriftlichen Nachlasses von Kant im Rahmen der Akad.-Ausg. geschlossen (vgl. Brief [978], Anm. 3). 11 E. Husserl: Philosophie der Arithmetik. Psychologische und logische Untersuchungen. Erster Band. Halle a.d.S. 1891. 12 Götz Martius (1853–1927): Philosoph und Psychologe; 1887 Promotion in Bonn, 1885 Habilitation ebd., 1893 a. o. Prof. in Bonn, 1898 o. Prof. in Kiel. 13 Karl Ueberhorst (1847–1927): österr. Philosoph; 1885 o. Prof. in Innsbruck.

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Juni 18961

… Mit Ihrer Skizze der platonischen Dialogenfolge einverstanden darin daß seine sokratischen Dialoge voranzustellen und so zu charakterisiren. 2. Gorgias, Symposion, Phädon, Kratylos, Theätet. Aber in diese Periode auch Politie. Denn nun muß ich darauf bestehen daß mit der Rückwirkung gegen die Angriffe des Antisthenes, welcher die publicirte Ideenlehre vor sich haben mußte, gegen die homologen2 des Aristoteles eine letzte und hochwichtige Periode beginnt. Ihr gehört Parmenides an, da der Aristoteles, der den τρίτος ἄνθρωπος3 etc. vorbringt, eine Hindeutung auf den Schüler Platos Aristoteles sein muß. Entsprechend Sophistes, wo die φίλοι εἰδῶν nicht die Megariker sondern die Platoniker selbst sind.4 Diese Periode vollendet sich in Philebus, Timäus, Leges. Plato hat im Alter am meisten geschrieben. Ganz andrer Character dieser Schriften. Neue Intention von der inneren logischen Beziehung des ἕν zu dem πολλά,5 des πέρας zu (dem) ἄπειρον6 aus eine innere Dialektik der Ideen zu construiren welche zur Welt führt. Neuplatonismus als Consequenz anticipirt. Steht so neben der anderen Wendung in Aristoteles. Daß er in großartigen Tritologien7 nun an die Werke seiner Männlichen Jahre, Theätet und Politie anknüpft ist ja verständlich. Tief in Schleiermachers Plato. Mußte die Hermeneutik Schleiermachers hinzunehmen. Ebenso seinen Paulus.8 Über Hermeneutik am 25. in Akademie Abhandlung, die ich drucken lasse.9 Plato dann fertigzustellen. Freue mich unendlich auf unser Wiedersehn. Bitte recht lang, ruhig vorherangekündigt, und ein Mittagessen wo wir Sie allein haben vorsehen, habe dann mit Ihnen zu besprechen: Heinze soll ich eine Seite für Grundriß über meinen Standpunkt schreiben.10 Kann Ihnen hoffentlich Skizze vorlegen. Er fragt: ob ich unter den Neukantianern bleiben soll? … Grotes Plato11 hätte ich gesandt, besäße ich ihn selbst. In der Geschichte hat er Platon nicht behandelt. Original: nicht überliefert; Erstdruck: BDY, Nr. 136. 1 Die Datierung wurde von der Hg. von BDY übernommen. 2 Übereinstimmungen, Ähnlichkeiten (griech. ὁμολογία). 3 Dritter Mensch. – Dieser Begriff spielt eine Rolle in der Platonischen Ideenlehre und der Kritik des Aristoteles an derselben.

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4 Platon: Sophistes, 248a ff.  – Zu den φίλοι εἰδῶν (= Ideenfreunde)  vgl. ebd., 248a, 4–5. – Die Megariker sind eine Gruppe von Philosophen, die im 5.–3. Jahrhundert v. Chr. lebten. Die megarische Schule wurde von Eukleides von Megara, vermutlich einem Schüler des Sokrates gegründet. Weitere Megariker waren z. B.: Ichthyas, Eubulides, Thrasymachos, Diodoros, Kronos und Philon. Ausgangspunkt der megarischen Philosophie ist nach Platon die sokratische Begriffslehre. Vgl. E. Zeller: Grundriss der Geschichte der griechischen Philosophie, 12. verb. Aufl. bearb. von W. Nestle. Leipzig 1929, S. 120 f. mit Anm. 2; Th. Gomperz: Griechische Denker. Eine Geschichte der antiken Philosophie. 3 Bde, 4. Aufl. Ausgabe letzter Hand, besorgt von H. Gomperz. Berlin und Leipzig 1922–1931, ND Frankfurt a. M. 1999, hier Bd. II, S. 444 f. mit Anm. 1, S. 604 f. 5 Das Eine und das Viele. 6 Das Endliche, Begrenzte und das Unendliche, Unbegrenzte. 7 Von Aristoteles benutzte Stil-Form der Dreigliederung. 8 F. D. E. Schleiermacher: Platons Werke. 5 Bände in 3 Theilen, 2. verb. Auflage (3. Theil in 1. Aufl.). Berlin 1817–1828.  – Ders.: Hermeneutik und Kritik mit besonderer Beziehung auf das Neue Testament. Aus Schleiermachers handschriftlichem Nachlasse und nachgeschriebenen Vorlesungen. Hg. von F. Lücke. Berlin 1838. – Ders.: Ueber den sogenannten ersten Brief des Paulos an den Timotheos: Ein kritisches Sendschreiben an J. C. Gass. Berlin 1807. 9 D. hielt in der Gesamtsitzung der Königl. Preuß. AdW zu Berlin am 25. Juni 1896 einen Vortrag Über Hermeneutik (1. Hälfte), der allerdings nicht gedruckt wurde. 10 Friedrich Ueberwegs Grundriss der Geschichte der Philosophie, 8. Aufl. Dritter Teil: Die Neuzeit. Bd. 2: Nachkantische Systeme und Philosophie der Gegenwart, bearb. und hg. von M. Heinze. Berlin 1897, 5. Abschn., § 31: Dilthey, Wilhelm, S. 277–279. 11 G. Grote: Platon and the other Companions of Socrates. London 1865, new ed. London 1885.

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[5. oder 12. Juli 1896]1

es ist Sonntag Nachmittag, Stille, und wenn ich täglich seit Ihrer Abreise Ihrer gedachte, so wird mir heut ein ruhiger Brief möglich. Ich hoffe sehnlich daß die Wiesbadener Kur nun doch nachträglich ihre guten Wirkungen thut, wie das oftmals der Fall ist. Aber freilich hängt das von tiefster Ruhe und gründlichem Faullenzen ab das ich Ihnen immer wieder dringend empfehle; eben damit Sie später recht frei arbeiten können. Kein Geschäft darf jetzt für Sie so wichtig sein als das, gesund zu werden. Was gäbe ich darum könnte ich Ihnen durch meine Anwesenheit das Nichtsthun erleichtern: denn leicht ist es ja nicht, wenn man nicht ein Dichter ist.

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… Über Sybel und Treitschke hat Schmoller2 in der Akademie sehr schön gesprochen:3 wenn Sie die Münchner allgemeine Zeitung Beilage halten, so lesen Sie es ja darin eben. … Eine bedeutende Erscheinung doch der neugewonnene Begründer der physikalischen Chemie Van’t Hoff.4 Wir quälen uns mit dem frei gewordenen philosophischen Extraordinariat. Döring, Lasson, Simmel, Dessoir – was für eine Serie! Nicht wenige portiren5 sich dafür, nach so langen langen Jahren da Zeller fern ist Lasson eine An­ erkennung zu Theil werden zu lassen.6 Ich muß darauf bestehn daß das Extraordinariat für einen Ästhetiker offen bleibe den wir nöthig haben. Die theologische Hegelei Lassons, in ihrer dilettantischen Flachheit, macht mir wenig Lust, für ihn mich zu erwärmen. Jedenfalls ist eine Honorarprofessur, die Paulsen für ihn möchte, mir zu viel des Guten. Meinen Vortrag über Hermeneutik habe ich mit Glanz gehalten. Er rief bei den Naturforschern viel Interesse hervor, da er ihnen ermöglichte, über ihr Gatter in fremde Gärten zu blicken. Drucken kann ich ihn doch erst lassen, wenn ich nächstes Mal die andre Hälfte gelesen habe.7 Nach mancherlei Zwischenfällen überlege ich seit einigen Tagen die Darstellung für Heinze[-]Ueberweg8 und fand es kürzer, zugleich eine ausführ­ lichere Skizze anzufertigen, welche ich dem Aufsatz zur Begründung meiner psychologischen Stellungnahme zu Grunde legen könnte. 1) Frage was Philosophie sei[,] ist erfahrend geschichtlich aus ihrer Funktion in der Geschichte zu beantworten, indem dieselbe aus der Besinnung auf die Struktur aus der sie hervorging[,] interpretirt wird. Die Struktur bringt Naturerkennen, Her[r]schaft über Natur, Religiosität etc. Recht etc. hervor. Das Bewußtsein, das in diesen Formen wirksam ist, kann zur autonomen Verwirklichung, Gestaltung und damit Frohgefühl seiner Realität nur gelangen, indem es seinen inneren Zusammenhang nach Wirklichkeitserkennen, Werth­gebung und Zwecksetzung, in dem sich seine Lebendigkeit manifestirt, sich zum Wissen erhebt. Die Funktion der Gesellschaft welche dieses vollbringt ist die Philosophie. Da sich diese Schöpfungen des Geistes in Wissenschaften reflektirt haben, hat sie diese Wissenschaften zu ihrem Material. Aber schließlich sofern dieselben den Lebenszusammenhang des menschlichen Geistes in seinen Schöpfungen inmitten der Natur zur Erkenntniß bringen. Daher setzt die Philosophie sie in der Selbstbesinnung mit diesem Lebenszusammenhang in den Connex zurück, aus dem Naturerkennen, Religion etc. hervorgingen, nur daß dieser nun analytisch zum Bewußtsein erhoben wird. Diese Ana­lysis, welche von dem Zusammenhang der in die Wissenschaften erhobenen Bezüge des Menschen in den Lebenszusammenhang desselben zurückgeht, ist Philosophie. Und zwar ist der erste Theil der Philosophie die Erhebung der philosophirenden Person zu dem gegenwärtigen Standpunkt dieses philosophischen Be-

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wußtseins durch die Geschichte desselben. Diese Geschichte ist die unentbehr­ liche Propädeutik, da das Selbstbewußtsein des Menschen geschichtlich ist. 1) Die primitiven Ideen der Menschheit in ihrer gränzenlosen Mannichfaltigkeit, Variabilität derselben. 2) Die monotheistische Bewegung der östlichen Nationen und ihr höchster philosophischer Ausdruck in der indischen Priesterphilosophie. 3) Die Philosophie der Mittelmeervölker der alten Welt a) das ästhetisch-intellektualistische Verhalten der Griechen etc. Die Grundlegung der systematischen Philosophie ist Selbstbesinnung d[.]h. Analysis des inneren Lebenszusammenhangs, welcher in dem Erkennen des Wirklichen, der Werthung des Lebens und der Ideale sowie in dem Zweckhandeln die Bedingungen und demnach die Rechtsgründe des Zusammenhangs enthält, in welchem die Menschheit als in ihrer Wirklichkeit lebt. Ausgangspunkt muß sonach Bewußtsein und Analysis der Struktur dieses Lebenszusammenhangs bilden. Da aber alles weitere Philosophieren immer nur denselben genauer zum Bewußtsein bringt und analysirt, so kann es sich am Beginn der Philosophie nur um die Feststellung der Grundzüge handeln, wie sie in der inneren Erfahrung durch Besinnung als Zusammenhang auf­gefaßt werden können. Erster Satz: Die Philosophie hat keinen voraussetzungslosen allgemeingül­ tigen Anfang. Der Anfang verfällt einem Cirkel. Wir können nur denkend, analysirend, sonach urtheilend und schließend Thatsachen als unwidersprechlich gegeben feststellen, und darum handelt es sich doch. Sonach setzen wir die Geltung der Denkvorgänge für Feststellung von Thatsächlichkeit dabei voraus. Montag früh Lieber Freund, ich bin seit ich dies schrieb so in die Materie gekommen daß ich jetzt den Entwurf der Abhandlung, welche Sie zur Begründung und Rechtfertigung der psychologischen Abhandlung fo[r]dern, niederschreibe. Ich werde Ihnen immer einzelne Stücke abschreiben lassen. Hier kommt nur der Anfang. Auf diese Weise werden wir in lebendigen Zusammenhang des Denkens treten. Der Brief soll aber endlich fort, da ich eine gränzenlose Sehnsucht habe über Ihr Befinden zu vernehmen. Auch das für Heinze, das Anlaß und Ziel bildet, sende ich Ihnen dann. Bei uns Krankheit, Krankheit! … [Briefschluss fehlt.] Original: nicht überliefert; Erstdruck: BDY, Nr. 137. 1 In BDY: „[Anfang Juli 1896]“. 2 Der Nationalökonom Gustav von Schmoller (1838–1917). 3 Die Hg. von BDY merkt an: „Schmollers Gedächtnisrede auf Sybel und Treitschke erschien am 2. Juli in der Beilage der Münchener Allgemeinen Zeitung, Jg. 1896, Nr. 151.“

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Vgl.: Sitzungsberichte der Königl. Preuß. AdW zu Berlin, öffentliche Sitzung am 2. Juli 1896, S. 747. – Der Historiker Heinrich von Sybel (1817–1845) war am 11. August 1895 gestorben, H. von Treitschke (1834–1896) am 28. April 1896. 4 Jacobus Henricus van t’Hoff (1852–1911): niederl. Chemiker und Mathematiker; 1874 Promotion in Utrecht, 1876 Assistent an der dortigen Tierarzneischule, 1878 Prof. in Amsterdam, 1896 Ernennung zum Mitglied der AdW zu Berlin und „ordentlichem Honorarprofessor“; erstes Akad.-Mitglied, das „hauptamtlich an der Akademie als Forscher tätig war, ohne zuvor einen Ruf als Professor an die Universität […] erhalten zu haben.“ – Van t’Hoff hielt seine Antrittsrede in einer öffentlichen Sitzung der Königl. Preuß. AdW zu Berlin am 2. Juli 1896. – Vgl. O. Blumtritt: Jacobus Henricus van’t Hoff. – Mitbegründer der Physikalischen Chemie, in: Berlinische Lebensbilder. Naturwissenschaftler. Hg. von W. Treue und G. Hildebrandt. Berlin 1987, S. 133–145, hier S. 133. 5 Zur Wahl vorschlagen. 6 Der Theologe und Philosoph E. Zeller wurde 1894 emeritiert. Der Ausgangspunkt seiner philosophischen Tätigkeit war die Philosophie des Deutschen Idealismus, insbesondere Hegels. A. Lasson, der seit seiner Habilitation 1887 als PD in Berlin wirkte, verband Theologie und Hegelsche Philosophie miteinander und gilt als Hegelianer. 1897 erhielt er eine Honorarprofessur in Berlin. 7 Die zweite Hälfte seines Akad.-Vortrags Über die Hermeneutik von Baumgarten und Semler trug D. nicht vor. In den Sitzungsberichten der philos.-histor. Klasse vom 4. Februar 1897 heißt es: „Hr. Stumpf las an Stelle des erkrankten H[er]rn Dilthey eine Abhandlung desselben über die Hermeneutik von Baumgarten und Semler“ (vgl. Sitzungsberichte der Königl. Preuß. AdW zu Berlin. Jahrgang 1897. Erster Halbband. (Januar–Juni), S. 83. – Auch der zweite Hermeneutik-Vortrag D.s wurde nicht gedruckt. 8 Vgl. Brief [1014], Anm. 10.

[1016] Dilthey an Hermann Usener

Mein lieber Hermann,

Berlin Burggraf[enstraße] 4. 9. Juli [18]96

es ist lang daß ich Nichts von Euch vernommen. Gern hätte ich von Eurer Romreise ein Wort gehört. Ich selbst mußte während derselben Zeit in Meran sitzen, u. es ist nur das Gute daß ich wieder hergestellt bin und hoffe von der Arbeit meines Lebens nun doch noch Einiges unter Dach und Fach zu bringen. Glücklicherweise bin ich denn auch wieder von den Meinen umgeben und gepflegt, was bei der Arbeitslast die jeder Tag bringt endlich sehr nothwendig war. So ausgezeichnet meine Frau aussieht, läßt die Lunge immer noch zu wünschen übrig, und Max macht mir wegen seiner gefährl[ichen] Neigung zu Bronchitis auch immer noch Sorge. Ringsumher schwere Verluste, der schwer-

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ste der von Treitschke, welcher hier für jede gute Sache so unentbehrlich war. Mit ­Curtius1 neigt es sich nun auch zu Ende. Von dem guten J[ürgen] B[ona] Mey[er] vernahm ich durch öftere Briefe von ihm die mich tragisch berührten.2 Auch Bender3 schrieb daß er hoffnungslos sei, wie es mit der Professur dort stünde und was ich über verschiedene Personen meine. Wie wehmüthig berührte mich das Alles. Wäre ich zehn Jahre jünger, nichts hätte ich für mich selber mehr wünschen können, als für Eure herrliche Universität Philosophie wirksam zu machen zu versuchen, mit Dir zusammenwirkend. Dies hat nun nicht sein sollen. Um so inniger wünsche ich Ihr möget die rechte Wahl treffen, da Ihr ja fast unbeschränkte Wahl habt. Aber was für ein Irrweg, neben Bender, da Ihr einen ächt historischen Kopf gerade in Bonn brauchen würdet, oder, wenn das für Bender verschlossen sein sollte, einen wirk­lichen Philosophen, nun einen experimentellen Psychologen zu suchen u. damit die Philosophie wieder auf ein Menschenalter bei Euch lahm zu legen. Könnt Ihr denn nicht Windelband4 haben, oder den Halleschen Erdmann, dessen neue Auflage seines Namenvetters umfassendstes historisches Wissen zeigt:5 Erdmann ist von enormem Wissen, höchst lebendig, ein ausgezeichneter Docent: sollten wir einmal Jemanden herrufen, so würde ich an ihn zuerst denken, wie er ja auch neben mir vorgeschlagen war.6 Er besitzt die richtige Verbindung der naturwissenschaftlichen u. geschichtlichen Seite von Wissen in einem Umfang wie heute kein anderer, auch Wundt nicht so umfassend, seine Einwirkung in Halle ist sehr eingreifend, nach Wien hin hat er abgewinkt, wo die Fak[ultät] ihn vorgeschlagen hatte, ich kann dafür einstehen daß er eine höchst energische eingreifende und mit Euch harmonische Wirksamkeit entfalten würde: die Philosophie würde dann wirklich einmal in Bonn einen Vertreter haben. Ist aber dies dadurch abgeschnitten, daß B[ender] wie mir scheint möglichst wenig Concurrenz will durch Abgrenzung von der Naturwissenschaft ausgehenden Philosophen, so ist ja unter diesen eine höchst hervorragende Persönlichkeit: Riehl der jetzt nach Kiel ge­gangen ist. Er u. seine Frau7 gehören zu den liebenswürdigsten Menschen; sein Buch8 ist so daß Helmholtz,9 der es gelesen[,] damals einstimmend mit mir in der Fak[ultät] erklärte: es sei das Bedeutendste über die Hauptprobleme der Naturwissenschaften von philos[ophischem] Standpunkt was er von einem lebenden Philosophen kenne. Eine neue Auflage desselben ist im Erscheinen, welche auch nach der historischen Seite hin viel vielseitiger u. reifer sein wird.10 Er ist ein höchst wirksamer Docent. Sehr tüchtig ist dann auch Marty in Prag.11 Um Gottes Willen aber geht nicht auf Ebbinghaus ein, von dem mir Bender schrieb. Du hast wahrscheinlich in seine Schandab[handlung] gegen mich einen Blick gethan. Ich habe in jedem Schritt seiner Laufbahn ihn gefördert, und ich habe schlechterdings keine andere Erklärung für seine persönliche Gehässigkeit als den maßlosen Hochmuth der

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radicalen naturwissenschaftlichen Richtung, die sich allein für wissenschaftlich hält, e[inen] Hochmuth der sich darüber erbitterte daß ich ihn nicht hier mit vorschlug; denn wenn er sich anderwärts dahin aussprach, er habe meine Abh[andlung] als gegen ihn gerichtet ansehen müssen[,] so ist das ja gegenstandslos da er nichts Allgemeineres geschrieben hatte, und die absichtlichen Verdrehungen sind so augenscheinlich daß jedermann einen Akt persönlicher Rache in dem Aufsatz gesehen hat. Sieh Dir diesen Aufsatz an, vergleiche m[eine] Bemerkungen dazu in m[einem] letzten Aufsatz ü[ber] Indiv[iduen] – eine gründliche Darlegung werde ich in uns[erer] Zeitschrift geben, der Aufforderung in München ü[ber] m[einen] psychol[ogischen] Standpunkt in d[er] öff[entlichen] Sitz[ung] e[inen] Vortrag zu halten konnte ich nicht entsprechen da ich m[einer] Gesundheit das noch nicht zutraue – aber bitte lies es u. Du wirst sagen, eine in ihren intell[ektuellen] Operationen so grobe, so dogmatisch in die armselige Lehre von den psychischen Begleiterscheinungen verrittene, dabei so unwahrhafte Natur würde noch ein großer Rückschritt hinter J[ürgen] B[ona] Meyer sein. Wie Bender mir mitteilt[,] hat ihm Wundt geschrieben, daß er in wissenschaftlicher Rücksicht Martius Ebbinghaus gegenüber vorziehen würde, und ich kann das nur ganz zutreffend finden. Freudenthals12 Andeutungen als er mich vor dem Aufsatz einmal besuchte waren in Bezug auf das Verhalten von E[bbinghaus] gegen ihn auch so daß er dies flache hochmüthige über Alles Lesen u. Reden mißlich empfand. Also das möchte ich Euch vor Allem rathen vor dieser Calamität Ebb[inghaus] Euch zu wahren. Von Lipps setze ich voraus daß doch die Verh[andlungen] nur dahin führen würden daß man ihm seine Situation in München verbessern würde: dieser ist ja sonst kein einseitiger exp[erimenteller] Ps[ychologe] u. wirklich sehr tüchtig. Die Sache mit E[bbinghaus] hat mich damals afficirt. Daß es überhaupt möglich sei in diesem Ton über mich zu reden. Ich mußte die Dinge weg­legen. Inzwischen sind nicht nur die Tüchtigsten wie Sigw[art] ganz auf m[einer] Seite, es treten auch überall Wirkungen meiner Abh[andlungen] hervor, auch die Psychologen wie Lipps Riehl etc danken mir mein Auftreten gegen die psychophys[ischen] Excesse, ungern habe ich weg[en] m[einer] Gesundheit darauf verzichtet, in München den Vortrag zu halten, aber ich schreibe nun an einer ausführl[ichen] Abhandlung, welche hoffentlich das Recht meines Standpunktes zur Geltung bringen wird.13 Was macht denn die Sache unsrer verkrachten Hypothek? Ich habe doch nichts versäumt? Alles grüßt Euch vielmals. Laß ein Wörtchen vernehmen.

In alter Treue Euer Wilhelm

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Original: Hs.; ULB Bonn, HA , Usener-NL , S 2102, 3, Nr. 15.  – Ein maschinenschriftliches Transkript des Briefes mit größeren Auslassungen ist hinterlegt in: StUB Göttingen, HA , cod. ms. W. Dilthey, 14 g, Nr. 26, Bl. 1–3. 1 Ernst Curtius (1814–1896) war seit 1868 o. Prof. für alte Geschichte und Archäologie in Berlin sowie Leiter des dortigen alten Museums. 2 J. B. Meyer hatte 1895 bereits einen Schlaganfall erlitten; vgl. Brief [988]. 3 Der ev. Theologe Wilhelm Bender (1845–1901) war seit 1876 o. Prof. in Bonn. – Benders Brief an D. ist nicht überliefert. 4 Der Philosoph Wilhelm Windelband (1848–1915) lehrte seit 1882 in Straßburg. 5 Johann Eduard Erdmann (1805–1892) war von 1836–1892 o. Prof. für Philosophie in Halle; J. E. Erdmann: Grundriß der Geschichte der Philosophie. 2 Bde. Berlin 1865, 4. Aufl. bearbeitet von B. Erdmann. Berlin 1896. – Benno Erdmann war seit 1890 als o. Prof. für Philosophie in Halle tätig. 6 B. Erdmann war im Mai 1882 der zweite Kandidat neben D., als es um die Wiederbesetzung des durch den Tod R. H. Lotzes (1881) vakant gewordenen philosophischen Lehrstuhl in Berlin ging. 7 Sophie Riehl, geb. Reyer, war seit 1881 die zweite Ehefrau des österr. Philosophen A. Riehl (1844–1924). 8 A. Riehl: Der philosophische Kritizismus und seine Bedeutung für die positive Wissenschaft. Geschichte und System. 3 Bde. Leipzig 1876–1887. 9 Der Physiker und Physiologe Hermann von Helmholtz (1821–1894). 10 Der erste Band des Werkes erschien in zweiter Aufl. 1908 in Leipzig; die komplette zweite Auflage in 3 Bden erst ebd. 1926. 11 A nton Marty (1847–1914): schweiz. Philosoph; 1869 Prof. an der Kantonschule Schwyz, 1875 Prof. in Göttingen, in demselben Jahr o. Prof. der neu gegründeten Universität Czernowitz / Westukraine, 1880 in Prag. 12 Der Philosoph Jacob Freudenthal (1839–1907), der seit 1888 als o. Prof. in Breslau tätig war. 13 D.: Über vergleichende Psychologie, in: GS V, S. 241–316; Entgegnung auf Ebbinghaus, vgl. GS V, S. 423.

[1017] Dilthey an Graf Paul Yorck von Wartenburg 15. Juli [18]96. … Wenn ich es irgend möglich machen könnte, wäre mir Bedürfniß wenn auch nur zwei drei Tage ehe ich in die Ferne gehe Sie zu sehen, Möglichkeiten des Zusammentreffens im Herbst mit Ihnen zu besprechen. Aber bestimmtere Projekte machen kann ich im Augenblick nicht. Noch liegen der Aufsatz und die Heinzeübersicht auf mir, vom liegen gebliebenen Plato nicht zu reden,

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Dilthey an Hermann Diels 

und wenn es angeht will ich Ende des Semesters die ersten Kantsitzungen halten. Es geht ja in der Kantsache bisher Alles ungewöhnlich glatt und gut: doch fürchte ich den Neid der Götter. Sonst wäre ich bald ziemlich frei von dieser Last. Heut haben wir Curtius begraben.1 Eine ergreifende Feier, die Matthäi­ kirche ganz gefüllt wie von Einer trauernden Familie. Original: nicht überliefert; Erstdruck: BDY, Nr. 138. 1 Der klass. Philologe und Archäologe Ernst Curtius starb am 11. Juli 1896 in Berlin.

[1018] Dilthey an Hermann Diels Berlin, d[en] 22 Juli 1896 Lieber Freund, meine erste Empfindung Ihrem Vorschlag gegenüber ist unverdrängbar. Ich kann den Antrag nicht auf die Linie eines Bedürfnisses (implicite oder ausdrücklich) oder eines Lehrauftrags bringen. Das widerspricht meiner Überzeugung vom Thatbestand, und die möglichen Konsequenzen sind mir zu bedenklich. Sowohl Stumpf als Paulsen stimmen mit mir überein und halten an dem Entwurf fest. Döring1 betreffend liesse sich ja Verständigung mit Ihren Wünschen erreichen, aber wenn Sie auf Bedürfniss oder Lehrauftrag beharren, so würde dies ja nutzlos sein. Es wäre schön, könnten Sie mit unsrer Formel sich beruhigen. Sollte Ihnen das unmöglich sein, so scheint mir doch auch dann eine Commissionssitzung überflüssig. Ich würde dann vorschlagen, dass ich nun auch Schmoller und dem Dekan die beiden Fassungen vorlege und sie zwischen beiden sich entscheiden lasse. Leider sind Kantsitzungen für irgend eine Zeit vor den Ferien durch unerträgliche Steigerung asthmatischer Beschwerden bei Reicke während dieser heissen Zeit unmöglich geworden.

Mit herzlichen Grüssen treulichst Ihr W. D.

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Dilthey an Robert Bosse 

Original: Hs.; Diktat D.s von der Hand P. Menzers; StB PK Berlin, HA , Sammlung Darmstädter 2 a 1870 (8): Dilthey, 37–37 R. 1 A. Döring war seit 1895 als PD für Philosophie in Berlin tätig.

[1019] Dilthey an Robert Bosse1   Ew Excellenz

[Juli 1896]

erlaubt sich die unterzeichnete Facultät der Universität Berlin in Beantwortung der Anfrage des vorgeordneten Ministeriums über die Besetzung des Extraordinariats des verstorbenen Professor G. von Gizycki2 folgenden Bericht gehorsamst zu unterbreiten. Wenn die Extraordinate in erster Linie dem Zweck bestimmt sind, vorhandenen Bedürfnissen des Unterrichts zu dienen und die Vollständigkeit für die Studien erforderlichen Vorlesungen [zu] ermöglichen, so besteht allerdings an unsrer Universität innerhalb des philosophischen Vorlesungskreises ein solches Bedürfniss vor allem in Bezug auf die Vertretung der Ästhetik und ihrer Geschichte. Die Ästhetik ist eine altbegründete philosophische Disciplin von anerkannter Bedeutung; sie ist nun gerade jetzt wieder in einem frischen Aufstreben begriffen; in München wie in Leipzig haben ihre Vertreter es verstanden, eine erhebliche Zuhörerschaft um sich zu sammeln, und teils durch den Vortrag des ganzen Systems, teils durch anregende Vorlesungen, über3 einzelne Gebiete für ein grösseres Publicum ein starkes Interesse hervorzurufen. Auch in Berlin haben einst die Vorlesungen des zu früh verstorbenen Heinrich von Stein eine erhebliche Wirkung ausgeübt. Aber die besonderen Verhältnisse von Berlin machen die Vertretung dieses Faches zu einer überaus wichtigen Angelegenheit für diese Universität, und sie lassen für einen tüchtigen Vertreter desselben eine besonders eingreifende Wirkung erwarten. Als Sitz musterhaft für die Zwecke der Belehrung geordneter Museen, als Mittelpunkt des litterarischen und Theaterlebens von Deutschland, als das Centrum für den höheren musikalischen Unterricht, zieht diese Stadt schon um deswillen eine grosse Zahl von Studierenden an, welche hier eine allgemeinere geistige und ästhetische Durchbildung suchen; viele andere Personen bedürfen für ihre fachmässige Beschäftigung mit Kunst, deren Theorie u. Geschichte eines Unterrichts, der sie auf die höheren Beziehungen der Kunst hinweist; und es liegt im dringenden Interesse der Entwicklung der Kunst, u der Wissenschaft von der­

Dilthey an Robert Bosse 

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selben, dass sie einen solchen in geeigneter Weise finden. Eine weitere Berücksichtigung verdient dann aber die grosse Zahl von Fremden, welche durch die erwähnten Kunstanstalten theilweise bestimmt werden, hier ihre Einführung in deutsche Bildung, Litteratur und Kunst zu suchen. – Studieren doch in diesem Augenblick über 300 dem Deutschen Reich nicht angehörige Personen hier Geisteswissenschaften. Gerade auf der Zunahme dieses Zuzugs der Fremden beruht die Weltstellung unsrer Universität. Ihnen aber werden neben der Kunst- und Litteraturgeschichte, wie wir aus Kenntniss vieler von ihnen wissen, ästhetische Vorlesungen stets Bedürfniss sein. Seit einer Reihe von Jahren vertritt das ästhetische Gebiet der Privatdocent Dr. Dessoir. Derselbe besitzt eine entschiedene Begabung für das ästhetische Fach. Er hat verstanden, eine erhebliche Zahl der Kenntnisse, deren es für dasselbe bedarf, als Dr. d[er] Medicin, als einigermassen vertraut mit experimenteller psychologischer Arbeit, als bewandert in der Geschichte der Psychologie und Ästhetik, in der Litteratur und Musik zu vereinigen. Er hat auch mit seinen Vorlesungen über Ästhetik einen genügenden und mit allgemeineren Vorlesungen über dramatische Kunst einen starken Erfolg gehabt. Aber seine Arbeiten lassen noch logische Strenge und Reife des Wesens vermissen, und zu einer wirklichen Leistung auf dem ästhetischen Gebiet hat er sich noch, teilweise freilich durch seine äussere Lage gehemmt, nicht gesammelt. So haben wir die sichere Überzeugung noch nicht gewinnen können, dass er für diese wichtige Aufgabe der geeignete Mann sei. Zugleich muss hier hervorgehoben werden, dass der Privatdocent Herr Dr. Simmel in Lehrerfolg und schriftstellerischem Wirken Herrn Dessoir, Licht[-] und Schattenseiten in Erwägung gezogen, ungefähr gleichstehn mag, dass die Vertretung der Sociologie durch ihn uns ebenfalls eine werte ist, und daher, solange das Verhältniss dieses ist, eine Bevorzugung von Dessoir nicht angezeigt erscheint. Aber auch auswärts ist kein jüngerer Gelehrter so hervorgetreten, dass wir in diesem Momente bereits eine Berufung desselben befürworten könnten. So bitten wir das Ministerium möge die durch den Tod Gizyckis freigewordenen Mittel und sein Extraordinariat der Befriedigung dieses Bedürfnisses offen halten und uns gestatten, sobald die Personenfrage eine befriedigende Lösung finden kann, positive Vorschläge vorzulegen. Wir können aber diese Gelegenheit, über das philosophische Fach und dessen Docenten bei der vorgesetzten Behörde uns zu äussern, nicht vorübergehen lassen, ohne derselben einen zweiten Wunsch auszusprechen. Seit einer langen Reihe von Jahren hat Herr Privatdocent Dr. Lasson hier stets zwei vierstündige Privatcollegia gelesen, die sich eines regelmässigen und nicht unerheblichen Besuches erfreuten, und unter denselben waren insbesondere einige systematische uns nützlich für die Herstellung eines allseitigen philosophischen Unter-

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richtsplanes. Unter seinen Schriften war die über den Meister Eckart seinerzeit durch die erste eingehende und systematische Verwertung des von Pfeiffer gesammelten Materials4 von Nutzen, und seine Rechtsphilosophie5 behauptet [–] als Vertreter in der Hegelschen Richtung noch heute – unter den Lehrbüchern ihren Platz. So erlauben wir uns dem Ministerium den Wunsch vorzutragen, es möge Herrn Lasson’s Beförderung zum Extraordinarius als Anerkennung der unermüdlichen Energie einer nach den verschiedensten Seiten hin von den gegebnen Gesichtspunkten der Hegelschen Schule ausgeübten Wirksamkeit in Erwägung ziehen.6 Da Herr Lasson als Gymnasiallehrer einen auskömm­ lichen Gehalt bezieht, so können wir den geltenden Gepflogenheiten entsprechend davon absehen, einen besonderen Gehalt zu beantragen. Und seine fortgesetzte Thätigkeit im Vortrag solcher systematischer Vorlesungen, welche gar nicht (wie Religionsphilosophie), oder nicht in jedem Semester (wie Rechtsphilosophie etc.) von anderen philosophischen Docenten gelesen werden, würde immerhin im Interesse eines möglichst vollständigen philosophischen Unterrichtsplans und auch fernerhin von Nutzen sein. Neben den vorher genannten Herrn ist noch H[err] Döring seit längerer Zeit als Privatdocent bei uns thätig. Wir möchten nicht durch Übergehen seines Namens die Vorstellung erwecken als ob wir seine Thätigkeit nicht schätzten, vielmehr hat er sich durch eine regelmäßige unermüdliche Lehrthätigkeit für eine Vollständigkeit unseres Unterrichtsplans ebenfalls nützlich erwiesen, wenn auch die Zahl seiner Zuhörer stets eine bescheidene blieb. Lassen seine historischen Arbeit[en] in der Handhabung philologischer Methode viel zu wünschen übrig, so hat doch seine Güterlehre ihre Verdienste durch die Verfolgung des von Bentham7 u. Lotze gefassten Gedankens einer allgemeinen Werthlehre. Wir behalten uns daher vor zu einer späteren angemessenen Zeit auf ihn zurückzukommen. Von Wünschen solcher Art wird natürlich unser großes fachliches Anliegen nicht berührt, Ew. Excellenz möchten das Extraordinariat Gizyckis und dessen Geldmittel der Befriedigung des Lehrbedürfnisses vorbehalten, das im Fach der Ästhetik besteht.8 … [Briefschluss fehlt.] Original: Hs.; Briefentwurf; überwiegend Diktat D.s von der Hand P. Menzers mit zahlreichen Korrekturen und Ergänzungen von D.s Hand; StUB Göttingen, HA , cod. ms. W. Dilthey, 7, 1. 1 Robert Bosse (1832–1901) war 1892–1899 preuß. Kultusminister. – D. verfasste vorliegendes Schreiben im Namen der philosophischen Fakultät der Universität Berlin. 2 Gizycki war am 13. März 1895 gestorben, und ein Nachfolger wurde gesucht. – Vgl. zu diesem Vorgang K. Chr. Köhnke: Der junge Simmel in Theoriebeziehungen und sozialen Bewegungen. Frankfurt a. M. 1996, S. 360 ff.

Dilthey an Graf Paul Yorck von Wartenburg 

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3 Im Brieforiginal folgt: „ein“. 4 A. Lasson: Meister Eckhardt der Mystiker. Berlin 1868. – F. Pfeiffer (Hg.): Deutsche Mystiker des 14. Jahrhunderts. Bd. 2: Meister Eckhart. Leipzig 1857. 5 A. Lasson: System der Rechtsphilosophie. Berlin 1882. 6 Im Brieforiginal: „zu ziehen“. 7 Der engl. Jurist, Philosoph und Sozialreformer Jeremy Bentham (1748–1832), Begründer des Utilitarismus. 8 Auf die Initiative D.s hin wurde Dessoir am 15. Oktober 1897 zum Extraordinarius für Ästhetik als Nachfolger Gizyckis ernannt.

[1020] Dilthey an Graf Paul Yorck von Wartenburg Ende Juli od[er] Anfang August 1896.1 … Die Aufgabe für Heinze zwang mir auf, den Zusammenhang in dem was geschrieben und im Druck vorlag neu durchzudenken und auf die einfachste Form zu bringen. Es war sehr hart dicht nach der Anstrengung der hermeneutischen Abhandlung.2 Ich glaube aber dabei viel gewonnen zu haben. Insbesondere hat der Gedanke, daß die elementaren logischen Operationen des Vergleichens, Trennens, Verbindens, auch angewandt auf mehrere Glieder, eine Art von Wahrnehmen zweiten Grades, aus dem eigentlichen Logismus ausgelöst werden können, in den inneren Wahrnehmungen so gut als den äußeren enthalten sind, auf welchem die ganze Lehre von der Gültigkeit der inneren Erfahrungen, der Art wie ein von mir Unabhängiges gewiß ist etc. beruht, eine erweisbare Gestalt angenommen durch ein vergleichendes Verfahren, welches das Gemeinsame am Wirklichkeitserkennen, Werthbestimmen und Zweck- und Mittel-Setzen und Verbinden aufsucht und so eine generelle Logik constituirt, von welcher das Wirklichkeitserkennen nur Ein Fall ist. Selbstbesinnung ist eben Bewußtsein dieses Ganzen in der Struktur angelegten Zusammenhangs. Damit scheint mir ein wichtiger Schritt gethan, das was als Mystik und Idealismus von inneren Erfahrungen und Verstehen etc. mißachtet wird, zu klaren Begriffen zu bringen, das höhere Leben der wissenschaftlichen Rechtfertigung zugänglich zu machen. Ich habe nun das Gefühl, so weit zu sein, im Archiv in einem großen Aufsatz den Standpunkt der unermeßlich discutirten Abhandlung3 streng begründen zu können, womit dann endlich die Akten für die Discussion offen liegen und freie Bahn des 2. 3. Bandes4 da ist. … [Briefschluss fehlt.]

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Original: nicht überliefert; Erstdruck: BDY, Nr. 139. 1 Die Datierung wurde von der Hg. von BDY übernommen. 2 D. hatte am 25. Juni 1896 in der Berliner AdW einen Vortrag über Hermeneutik gehalten (vgl. Brief [1014], Anm. 9). Dieser stand im Zusammenhang mit seiner Weiterarbeit am zweiten Band des Leben Schleiermachers. 3 D. meint seine 1894 erschienene Abhandlung Ideen über beschreibende und zergliedernde Psychologie, an der sich der Streit mit Ebbinghaus entzündete. 4 Die geplanten Bände 2 und 3 von D.s Einleitung in die Geisteswissenschaften blieben ebenso ungeschrieben wie die angekündigte Abhandlung über seinen Standpunkt einer deskriptiven Psychologie.

[1021] Dilthey an Hermann Usener 5. August [1896] Liebster Hermann, danke tausendmal für d[en] ausführlich[en] Brief.1 In Begriff abzureisen. Ich nach Gastein. Die Meinen nach Kreuth. Im September bin ich dann auch dort. Wie schade mit Hans!2 Hoffentlich October. M[eine] Gesundheit wieder nicht befriedigend. Der Arbeit zu viel. Über W[in]d[el]b[and] bin ich nur schriftstellerisch unterrichtet, nach s[einer] Arbeit finde ich D[ein] Urtheil sehr streng: jedenfalls hat er Einfälle. Über Erdmann ist das von B[ender] [Geäußerte] grundfalsch, aber nach Allem gelehrt u. ausgezeichneter Docent der gründlichen u. klaren Art. Über das Geld schreibe ich noch.3

Euch Allen t[ausen]d Grüße Euer Wilhelm

Original: Hs.; Postkarte; ULB Bonn, HA , Usener-NL , S 2102, 3, Nr. 16. 1 Nicht überliefert. 2 Hans Usener (1872–1929): Physiker; Sohn Hermann Useners; 1896 Assistent am Physikalischen Institut in Jena, 1898 an der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt in BerlinCharlottenburg, 1899 am Kaiserlichen Torpedolaboratorium in Kiel, 1902 wiss. Beamter der Firma Neufeldt & Kuhnke ebd. – Der Sachverhalt, der D.s Äußerung auslöste, ist nicht mehr zu ermitteln. 3 Der Vorgang ist nicht mehr zu ermitteln.

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Dilthey an Hermann Usener 

[1022] Dilthey an Hermann Usener Berlin, 7. August 18961 Endlich liebster Hermann Morgen früh die Abreise möglich für mich, Sonnabend die Andren. Die Meinen [in] Kreuth, Käthe u Max beide sehr elend. Mich schickt der Arzt nach Gastein, sehr herunter u voll Sorge. Wie schade mit Hans! Also October, so Gott will! Mir ist nicht als sei von dem O ­ ctober Gutes zu hoffen. Das Capital bitte an d[ie] deutsche Bank zu senden. Diese wird e[ine] förmliche Quittung in m[einem] Auftrag für meine Cassa ausstellen. Gott bessre unser aller Gesundheit. T[au]s[end] Grüße Euch Allen v[on] uns. Treulichst Dein Wilhelm Original: Hs.; Postkarte; ULB Bonn, HA , Usener-NL , S 2102, 3, Nr. 17. 1 Datierung nach Poststempel.

[1023] Graf Paul Yorck von Wartenburg an Dilthey Lieber Freund.

Klein-Oels den 22. 8. [18]96.

Ein Wörtchen herzlichen Dankes für Ihre Zeilen. Mit mir geht es langsam vorwärts. … Vor Weihnachten werde ich den Süden wohl nicht aufsuchen. Zunächst bin ich noch nicht reisefähig und außerdem habe ich wirthschaftlich viel zu thun und zu sorgen. – Die Condensation für Ueberweg-Heinze bringt wohl unvermeidlich Schwerverständlichkeit und Unvollständigkeit mit sich. Wer diese komprimirte Darstellung liest, wird um zum Verständniß zu gelangen Ihre Schriften und Arbeiten selbst aufsuchen müssen. Eine übrigens wünscheswerthe und vortheilhafte Nöthigung. Hierfür wäre aber eine vollständigere Hinweisung und Anführung Ihrer Schriften wünschenswerth gewesen. Den Schlußsatz: ‚Philosophie der Geschichte ist unmöglich‘ sähe ich sehr gern gestrichen. Daß sie möglich ist und in wie fern haben Sie selbst ja durch die

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Graf Paul Yorck von Wartenburg an Dilthey 

That dargethan. Und gerade hier ist Ihre Stelle innerhalb und oberhalb des Mißverständnisses der gegenwärtigen historischen Fraktionen  – Lamprecht und die Sybelsche Schule.1 Man muß nur Philosophie nicht als Construktion fassen. Ich würde sagen: Philosophie der Geschichte allein ist Geschichte als Wissenschaft. Aller geschichtliche Stoff ist durch empirische Forschung zu ermitteln und zum höchsten Grade der Sicherheit d. h. zur höchsten Wahrscheinlichkeit zu bringen. Dies historisch Ontische ist durch die lebendige Hinbewegung des Auffassenden zu beleben. So weit Geschichtsschreibung als Kunst. Die hinzugebrachte gleichsam eingewebte psychologische Analysis giebt die Dignität der Wissenschaft. Der zunächst ontische Stoff ist rein empirisch zu erfassen. Seine geschichtliche Qualität aber wirkt alsbald, sobald die archivalische, kritisch-diplomatische Schwelle überschritten ist, als zugehörig. Die Ergreifung des Stoffes geschieht dem ontischen Charakter des Stoffs gegenüber apriorisch. Aber es ist dies keine abstrakte Apriorität. Die Aneignung ist zugleich eine erweiternde Entäußerung. Ein höherer Vorgang der Ver­ geschichtlichung des Menschen. Das Erkenntnißorganon aber ist und bleibt der Mensch und die Erkenntnißmittel sind in dem psychischen Capitale strukturirter Lebendigkeit beschlossen. Trenne ich behufs Verständlichmachung den lebendigen Vorgang, so kommen auf die eine Seite die psychischen Kategorien zu stehen, von denen man sagen könnte, daß sie an den Stoff heran­ gebracht werden, wenn nicht der Stoff eigen Fleisch und Blut wäre. Das Buch von Gobineau2 kenne ich im Originale. Eine schöne Mosaik­ arbeit eines unterrichteten und geistreichen Mannes. Keine Methode. Die muß eine historische Erkenntnißtheorie erst bringen. … [Briefschluss fehlt.] Original: nicht überliefert; Erstdruck: BDY, Nr. 140. 1 Karl Lamprecht (1856–1915): Historiker; 1880 Habilitation in Bonn, 1890 in Leipzig. – Im Unterschied zu Heinrich von Sybel (1817–1895), für den die Geschichtswissenschaft primär mit der politischen, insbesondere der preuß. Geschichte befasst war, und der einen scharfen Schnitt zwischen den Methoden der Geschichtswissenschaft und denen der Naturwissenschaften machte, lehnte K. Lamprecht eine derartige Einengung ab und räumte der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte einen wichtigen Platz in der Geschichtswissenschaft ein. Statt einer rein deskriptiven Methode forderte er eine genetische Methode, welche aufgrund empirischer Forschung allgemeine Gesetze, Strukturen und Typen in der geschicht­ lichen Entwicklung aufzusuchen und zu formulieren habe. Vgl. hierzu G. G. Iggers: Deutsche Geschichtswissenschaft. Eine Kritik der traditionellen Geschichtsauffassung von Herder bis zur Gegenwart, 2. durchges. und erw. Aufl. München 1971, bes. S. 153, 256, 258. 2 Arthur Graf von Gobineau: Les Religions et le Philosophies dans l’Asie centrale. Paris 1866 (das Buch ist verzeichnet in der Graf Yorck von Wartenburgschen Fideicommiss-Bibliothek Klein-Oels von 1874). – Offenbar ging diesem Brief ein nicht überliefertes Schreiben D.s an Paul Yorck voraus, in dem das genannte Buch Gobineaus angesprochen wurde.

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Ernst von Wildenbruch an Dilthey 

[1024] Ernst von Wildenbruch an Dilthey Verehrter Freund

Berlin 23. 8. [18]96.

Ihre spontane Kundgebung1 hat uns aus vier Gründen erfreut: 1., weil so etwas von Ihrer Seite überhaupt selten ist, 2., weil Sie schön wohnen und es Ihnen gut geht[,] 3., weil Sie zusagenden Verkehr gefunden haben, und 4., weil Sie uns die Aussicht eröffnen, mit Ihnen zusammen zu treffen. Wir gedenken, Mittwoch den 26ten d[es] M[onats] früh von hier abzureisen, Abends in München / Bayrischer Hof zu sein, Donnerstag in München zu bleiben und Freitag, 28ten, Abends in Zell am See einzutreffen, wo wir uns Wohnung bestellt haben, Zell[,] Kaiserin Elisabeth.2 Von dort aus werden wir alsdann unsere Augen „zu den Bergen“ erheben und derer warten, die von den Bergen zu uns herabsteigen. Hoffentlich kommen Sie bald einmal und vielleicht bringen Sie auch gelegentlich Frau von Helmholtz3 mit, der ich unsere Grüße zu bestellen bitte. Hier sieht es genauso aus, wie an dem Tag, als Sie von hier abreisten, grau von außen, grau von innen. Von innen beinah schwarz! Bonsarts4 Abgang empfinde ich als eine Calamität, nicht nur der Thatsache, sondern den Symptomen nach. Zeitungen mag man kaum mehr lesen – und anderseits – wenn man keine Zeitung liest was soll man in Deutschland noch lesen? Es ist mir manchmal zu Muth, als stürben alle edlen Organe Deutschlands ab, als zerbröckelte vor unseren sehenden Augen Deutschlands innerster Kern, und in das Buch, das so ensteht, kratzten gewisse Leute Blech-Runen von Worten und Begriffen und thun so, als sollten wir davon satt werden. Aber ich will das […] abbrechen, weil ich Sie sonst vielleicht, da Sie Erholung suchen, aus unserer Gesellschaft verscheuche. Für den Anfang September gedenkt auch der, Ihnen ja wohl auch sympathische Geheime Naumann aus dem Kultusministerium5 nach Gastein zu kommen. Hoffen wir auf ein fröhliches Wiedersehn! Meine Frau läßt Sie bestens grüßen – und ich bleibe in alter Verehrung Ihr E. v. Wildenbruch Original: Hs.; GSA Weimar, 94/300, 5. 1 Nicht überliefert. 2 Damaliges Hotel in Zell am See im Salzburger Land. 3 Anna von Helmholtz, geb. von Mohl (1834–1899): zweite Ehefrau des 1894 verstorbe­ nen Physikers und Physiologen Hermann von Helmholtz. – Sie führte in Berlin einen re-

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Dilthey an Friedrich Theodor Althoff 

nommierten Salon und war auch als Übersetzerin zweier physikalischer Werke aus dem Englischen tätig. 4 Hans August Alexander Bonsart von Schellendorf (1830–1913): Komponist und Organist; 1865 Leiter der „Berliner Gesellschaft der Musikfreunde“, 1867 Intendant des Königl. Theaters in Hannover, 1887 Generalintendant des Hoftheaters in Weimar, 1895 Pensionierung. 5 Otto Naumann (1852–1925): 1888 Vortragender Rat, 1907–1918 Ministerialdirektor der Hochschulabteilung im preuß. Kultusministerium.

[1025] Dilthey an Friedrich Theodor Althoff 26 Sept[ember] [18]96 Brixen im Elephanten Sehr verehrter Herr Geheimerath, Für Ihre freundliche Mühwaltung und Mittheilung1 sage ich meinen ergebensten Dank. Letztere fand mich, da ich den Aufenthalt öfters wechselte, erst vor kurzem hier in Brixen, wo ich nun bis zur Rückkehr, etwa am 6 Octo­ ber verweilen werden, in Ruhe Correkturen zu besorgen und eine Arbeit abzuschließen. Herrn Dr. Adickes habe ich veranlaßt die erforderliche Eingabe zu machen. Das Antwortschreiben der kön[iglichen] Bibliotheksverwaltung in Königsberg in der Reickeschen Sache2 stellt nun vor die Frage wie die Unkosten für den Stellvertreter aufzubringen seien. Sobald ich zurückgekehrt, werde ich mir sogleich erlauben die schon öfters angerührte Frage in Zusammenhang mit angränzenden mit Ihnen zu besprechen. Bei allem ist zu erwägen: Reicke hat als Besitzer hoch wichtiger Kanthand­ schriften diese früher in mündlichen Besprechung[en], ehe noch an schriftliche Abmachungen gedacht werden konnte, ohne jede Vergütung dem Unternehmen zur Verfügung gestellt. Für alle Fälle muß nun doch ein Zusammenhang mit der Regelung seiner Verhältnisse auf schriftliche Weise eintreten, wobei auch dies als selbstverständlich festzulegen ist.

In der Hoffnung Sie bald persönlich zu sehen in ganz besondrer Hochachtung der Ihrige Wilhelm Dilthey

Graf Paul Yorck von Wartenburg an Dilthey 

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Original: Hs.; ABBAW, Bestand PAW (1812–1945), Sign. II –VIII, 154. 1 Nicht überliefert. 2 Rudolf Reicke (1825–1905): Historiker und Kant-Forscher; Promotion in Königsberg, 1858 Bibliothekar, 1894 Oberbibliothekar ebd., ab 1863 Hg. der AMS. – Reicke gab Schriften aus dem handschriftlichen Nachlass Kants heraus und war der Herausgeber von Kants Briefwechsel im Rahmen der Kant-Akad.-Ausg.

[1026] Graf Paul Yorck von Wartenburg an Dilthey   Lieber Freund.

Klein-Oels den 12. 10. [18]96

Den Heimgekehrten sollen diese Zeilen begrüßen. Schreiben, weil Sitzen, hat bei mir noch immer seine Schwierigkeit. So müssen Sie die spärlichen Mittheilungen entschuldigen. Im Ganzen aber geht es mir weit besser. … Den dritten Band – II. 2. – von Wundts Logik,1 dem ich bisher aus dem Wege gegangen war, habe ich vorgenommen. Hat man die beiden ersten Bände überwunden, so verlangt schon die Rücksicht auf Vollständigkeit das weitere Opfer. Gewinn wird so viel ich bisher sehe, nicht herauskommen. Der prolixe2 Vortrag – man hört ordentlich die Schreibmaschine – ist schwer zu überwinden. Keine innere Gedankenbewegung, sondern eine erstaunliche Masse von Lesestoff schematisch und formal behandelt. Bei Klarheit der Oberfläche Unklarheit des Grundes. Sie können zufrieden sein, daß er Ihnen opponirt, und einer speziellen Widerlegung bedarf diese Opposition nicht. – Zur Zeit meiner ungeregelten Lektüre las ich Kierkegaard von Höffding.3 Ersterer offenbar ein tiefsinniger Mensch. Höffding aber ruft mir auch in diesem seinem Buche wie in den anderen die Geschichte von dem Examinanden ins Gedächtniß, der auf jede Frage die Antwort mit den Worten begann: nichts leichter als dieses. Solche Nichts leichter als dieses-Leute werden in Worten mit jedem Probleme fertig. Viel Goethe gelesen. Gar oft, in den Maximen und Reflexionen,4 träuft doch Weisheit von seinem Munde. Seine innere Gestalt, sein Gang von Herder zu Platon ist mir recht anschaulich geworden. – Was Sie mir über Rousseau und die in Aussicht genommene Arbeit schreiben,5 hat mich sehr interessirt. Ein neues Capitel der Philosophie der Geschichte, die eine geschichtliche Philosophie ist. Ich nahm bisher den Gegensatz zwischen Shaftesbury etc. und Rousseau6 als einen schärferen an, dort Teleologie, von der Weltauffassung bis zur Lebensgestaltung und Erziehung, hier nichts von Zweckgedan-

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Graf Paul Yorck von Wartenburg an Dilthey 

ken, nur Naturgefühl und Menschheitsempfindung. Absoluter Gegensatz gegen den Typus: Leibnitz bis in die Erkenntnißtheorie hinein. Ich möchte die schlechten Zustände der französischen Gesellschaft nur als Okkasion ansehen. Das teleologische Prinzip hatte sich ausgelebt. Auch war die Gesellschaft nicht durchaus schlecht. Das Wesen konstruktiver Souveränität war gewichen, obschon es immerhin noch Leute wie Turgot7 gab, der Glanz der souveränen Lebenswerthung, die Freiheit und Kraft des Spiels mit dem Leben, dem eigenen Leben war vorhanden und konstituirte eine formale Sittlichkeit. Der Mensch wurde gewerthet nach dem Grade persönlicher Unabhängigkeit, Ungebundenheit. Das Leben wurde gespielt, in zwiefachem Wortverstande. Und weil es ein Spiel geworden war, darum gings zu Ende und ein Neues trat ein. Rousseaus Lektüre ist aus verschiedenen Gründen unbehaglich. Z. B. weil Freiheitsgefühl, welches nur bestehen kann in der Herrschaft über die Empfindungen und über das Empfundene, fehlt, auch weil ein tiefer Widerspruch sein Denken durchzieht. Dem Gefühle will er das Construktionsmoment entnehmen. Das Gefühl ist ihm aber unartikulirt, es litte durch Bestimmung. Die Natur ist ihm ein Allgemeinbild, nicht Kosmos, der gestaltliche Unterordnung und Abhängigkeit heischt. Was folgt daraus für seine Sozietätsbildung? Daß obschon Menschheitsgefühl der Werthsmesser sein soll, der Mechanismus der Masse und Majorität entscheidet. Gefühlseleatismus,8 der durch das Gestaltsmoment der großen französischen Naturforscher, Winckelmanns,9 Goethes erst überwunden wird, für die Cultursysteme, nicht aber für die Organisation. Ein nicht artikulirtes Gefühl zerstört eigenes und Gesammtleben. Rousseaus eigene Zuständlichkeit ist eine Folge der Art seines Genies. Ich versage es mir von diesem Gesichtspunkte aus Rousseaus Erziehungsmaxime und die Versuche von Correkturen derselben durch Andere, gerade in Deutschland ins Auge zu fassen. Goethe als Erzieher wird von hier aus, aufnehmend und hinzuthuend verständlich. … Doch ich muß schließen. Die Füße melden sich. Da mir die Behandlung mit kühlem Wasser gut bekommt, gehe ich vielleicht gar nicht nach dem Süden. Dann würden wir im Januar nach Berlin kommen, wenn sich ein annehmbares Quartier findet. Wie schön wäre es, wenn wir dann einmal wieder einige Monate Zusammensein könnten. Original: nicht überliefert; Erstdruck: BDY, Nr. 141. 1 W. Wundt: Logik. Eine Untersuchung der Principien der Erkenntnis und der Methoden wissenschaftlicher Forschung. Bd. 1. Stuttgart 1880; Bd. 2. Stuttgart 1883, 2. umgearb. Aufl. in 2 Theilen. Stuttgart 1895, Theil 2: Logik der Geisteswissenschaften. 2 Weitschweifig.

Fritz Graeber an Dilthey

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3 Sören Kierkegaard (1813–1855): dän. Philosoph und ev. Theologe; 1840 theol. E ­ xamen, 1841 Magister der Philosophie und Dissertation, anschließend Fortsetzung des Studiums in Berlin (bei F. W. J. von Schelling), 1842 Rückkehr nach Kopenhagen, schriftstellerische Tätigkeit. – Harald Höffding (1843–1931): dän. Philosoph; 1870 Habilitation in Kopenhagen, 1833 o. Prof. ebd. – Sören Kierkegaard. Kopenhagen 1891; deutsche Übers. Stuttgart 1896. 4 Sammlung von Sinnsprüchen J. W. von Goethes, die aus seinen Werken zusammengestellt und postum 1833 von Johann Peter Eckermann und Friedrich Wilhelm Riemer herausgegeben wurde. 5 Der offenbar vorausgegangene Brief D.s ist nicht überliefert. – Außer einer Besprechung D.s von Friedrich Brockerhoffs Schrift Jean-Jaques Rousseau. Sein Leben und seine Werke. 1.Band. Leipzig 1863, die in der Berliner Allgemeinen Zeitung, Nr. 259, S. 1–3 am 7. Juni 1863 unter dem Titel Rousseaus Entwicklungsgeschichte anonym erschien (WA in: GS XVI, S. 429–435) ist keine spätere Arbeit D.s zu Rousseau nachweisbar. 6 Anthony Ashley Cooper, Graf von Shaftesbury (1671–1713): engl. Moralphilosoph, Schriftsteller und Parlamentarier.  – Jean-Jaques Rousseau (1712–1778): franz.-schweiz. Philosoph und Schriftsteller; Aufklärer und Wegbereiter der franz. Revolution. 7 Anne Robert Jaques Turgot, Baron l’Aune (1727–1781): franz. Staatsbeamter, Reformer, Aufklärer und Schriftsteller; Studium der Theologie und der Rechte in Paris, 1752 Staatsbediensteter, 1774 Marine-Minister und Finanzverwalter; Freund Voltaires. 8 Eleatismus: Bezeichnung, welche auf die Philosophie des Parmenides von Elea zurückgeht. Erstmals wurde der Begriff von D. Diderot und J. le Rond d’Alembert in der Encyclopédie (1751–1780) verwendet: a) für die eleatischen Philosophen Xenophanes, Parmenides, Mellisos, Zenon (eléatisme métaphysique) und b) für die Philosophen Leukipp, Demokrit, Protagoras, die im Unterschied zu den Eleaten i. e. S. die Sinneswahrnehmung und nicht das Denken als Kriterium der Wahrheit annahmen (eléatisme physique). 9 Der Archäologe und Kunsthistoriker Johann Joachim Winckelmann (1717–1768).

[1027] Fritz Graeber1 an Dilthey Sehr geehrter Herr Professor!

Stettin, den 13. 10. 1896

Anbei übersende ich Ihnen Abschrift von 17 Aktenstücken, Schleiermachers Aufenthalt und Wirken in Stolp2 betreffend, welche ich aus den hiesigen Super­intendent-Akten habe abschreiben lassen. Dieselben werden Ihnen das bieten, was ich Ihnen über den Gegenstand zu bieten vermag. Hochachtungsvoll und ergebenst Graeber, Konsistorialrath. PS. Der jetzige Pfarrer der reformierten Gemeinde in Stolp heißt Dunkmann.3

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Dilthey an Friedrich Theodor Althoff 

Original: Hs.; ABBAW, Dilthey-NL , Fasz. 100, Bl. 542. 1 Fritz Graeber (1848–1917): ev. Theologe; Prof. für neutestamentliche Exegese in Kiel, anschließend Generalsuperintendent der Kirchenprovinz Pommern. 2 Ort in Pommern, an dem F. D. E. Schleiermacher von 1802 bis 1804 als Hofprediger wirkte. 3 Karl Johannes Dunkmann (1868–1932): ev. Theologe; 1891 erstes theol. Examen in Greifswald, zweites theol. Examen in Hofgeismar, 1894 Pfarrer an der ev.-reform. Gemeinde der Schlosskirche in Stolp / Hinterpommern, 1904 Pfarrer in Greifswald, 1907 Direktor des Wittenberger Prediger Seminars, 1912 a. o. Prof. ebd.

[1028] Dilthey an Friedrich Theodor Althoff Berlin, den 27ten Okt[ober] 1896. Hochverehrter Herr Geheimrath! Indem ich anbei mit ergebensten Dank die mitgeteilten Akten über das Krausesche1 Manuscript zurücksende, bemerke ich zunächst, dass ich dieselben zunächst noch nicht an Herrn Diels weiter gegeben habe, da ich von Königsberg die Nachricht von einer schweren Lungenentzündung Dr. Reickes erhalten habe. Ich selbst habe die Papiere geprüft; in bezug auf die Rechtsfrage selber darf ich mir ja ein Urteil nicht zutrauen, wohl aber erlaube ich mir den Punkt festzustellen, an welchem mir eine günstige Entscheidung Bedenken möglicherweise ausgesetzt erscheint, welchen also die Richtererwägung vor Allem zu prüfen haben würde.2 Dass die Übereinkunft auf Benutzung des ganzen Manuscriptes durch Reicke für 3 Jahre gerichtet war, ist durch die Briefe: Pastor Krause an Haen­sell3 (Datum nicht angegeben), Dr. Haensell an Pastor Krause vom 14. Dec[ember] 1883, Dr. Haensell an Reicke vom 23. Dec[ember] 1883, erwiesen. Alle weiteren Verhandlungen setzen auch seitens Krauses das Anerkenntnis hiervon zunächst voraus. Ebenso klar ist, dass die Übereinkommen durch Überlassung einzelner Faszikel nicht erfüllt wurden, weder formell noch nach seinem wesentlichen Zwecke, denn jeder Sachverständige wird wissen, dass man für eine solche Herausgabe das Ganze vor sich haben musste. So würden Reicke, Haensell oder wem letzterer seine Rechte übertrug, zunächst zu jedem Termin auf Herausgabe des Ganzen für 3 Jahre haben klagen können.

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Aber die Frage scheint mir zu entstehen, ob dieses Sachverhältnis nicht seit Krauses Brief vom 27ten Februar 1892 verändert ist. In demselben erbietet sich Krause „bereitwilligst … Alles zu geben, was zur Edition verlangt werden kann.“ Zwar erklärt er nicht ausdrücklich nunmehr das Ganze zur Verfügung stellen zu wollen, aber man muss die Umstände erwägen, welche bei ihm eine veränderte Stellung bedingten, um zu verstehen, dass er oftmals in der That wohl ernstlicher als vorher eine Verpflichtung zu erfüllen Anstalt machte. Ein Jahr vorher war seine eigene Schrift erschienen, stützte sich auf die Reickesche Publikation des grösseren Teiles.4 Nicht nur entbehrte er nun der beiden bei Reicke befindlichen Faszikel, er empfand mehr auch wohl, wie nötig ihm Reickes Lesung der schwierigen Handschrift für seine weitere Arbeit war. Und wie dem auch sei: jedenfalls hat er damals Reicke Alles zur Edition Erforderliche angeboten. Hiervon hat Reicke thatsächlich 3 Jahre hindurch keinen Gebrauch gemacht, Krause hat nach Brief vom 12ten März 1892 Reickes vertragsmässiges Recht für hierdurch erloschen erklärt, würde sich aber gerade auf diesen Punkt stützen. Wenn Krause dann Reicke nochmals die Benutzung des Manuscripts anbot, so geschah das unter Anbotungen, welche für Reicke unannehmbar waren. Sonach scheint mir, dass rein sachlich angesehen an diesem Punkte der einzige schwache Punkt unserer Argumentation liegen würde. Wobei ich als ausserhalb meiner Competenz liegend, dahin gestellt sein lasse, welche formalen juristischen Fragen auf die Entscheidung selbst Einfluss haben könnten. Das Rechtsgutachten des Sohnes von Dr. Reicke,5 so überzeugend es noch ist, hat diesem Punkte keine Bedeutung geschenkt. So viel heute! Reickes Erkrankung erfüllt mich mit schwerer Besorgnis, nicht nur sein Alter, mehr noch sein asthmatischer Zustand steigert die Gefahr auf’s Höchste.

In aufrichtiger und grösster Hochachtung der Ihrige Wilhelm Dilthey

Original: Hs.; Diktat D.s von der Hand P. Menzers mit eigenhändiger Unterschrift D.s; ABBAW, Bestand PAW (1812–1945), Sign.: II –VIII, 154. 1 Der Hamburger Pastor und Kant-Forscher Caesar Ernst Albrecht Krause (1838–1902); Urgroßneffe Kants. 2 Um die Überlassung des Kantischen Opus postumum entwickelte sich ein schwieriger und langwieriger Rechtsstreit zwischen R. Reicke, C. E. A. Krause und P. K. A. Haen­sell, der bis 1902 dauerte und in einem Gerichtsprozess im Juli des Jahres erst entschieden wurde. Vgl. hierzu Stark, S. 53–59.

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3 Paul Karl Adolf Haensell (1840–1911): kurländischer Arzt; Haensell hatte von seiner Mutter, einer Großnichte Kants, ungedruckte Manuskripte desselben geerbt, welche sie an die Königsberger Bibliothek zu Händen R. Reickes übergeben hatte. 4 C. E. A. Krause: Das nachgelassene Werk Immanuel Kant’s: Vom Uebergange von den metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft zur Physik mit Belegen populärwissenschaftlich dargestellt. Frankfurt a. M. 1888.  – R. Reicke (Hg.): Ein ungedrucktes Werk von Kant aus seinen letzten Lebensjahren (Uebergang von den Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft zur Physik). Als Manuskript herausgegeben in: AMS 19 (1882), S. 66–127, 255–308, 425–479, 569–629; 20 (1883), S. 59–122, 342–373, 415– 450, 513–566; 21(1884), S. 81–159, 309–387, 389–420, 533–620. 5 Johannes Reicke (1861–1941): ältester Sohn R. Reickes; Bibliothekar in Göttingen.

[1029] Dilthey an Graf Paul Yorck von Wartenburg 5. Nov[ember] [18]96.   Lieber Freund, Sie können denken, wie mich die guten Nachrichten von Ihrem Befinden, die mich hier freundlich begrüßten, erfreuten. Und wie die Möglichkeit Sie könnten im Januar hier eintreffen und eine Winterstation machen, mir in den Anstrengungen der Wintercampagne die froheste ermunterndste Aussicht ist. Möchte sie sich doch verwirklichen. In der letzten Zeit der Reise befand ich mich schlecht. Reisen die zu lange sich dehnen machen mich immer innerlich elend. Auch jetzt bin ich noch angegriffen. So sind die Ausarbeitungen in denen ich begriffen war schändlich wenig gefördert worden. Ein Mißgeschick: da hier nun ganz Anderes über mich hergefallen ist. Zunächst beschäftigt mich der erste Theil der allgemeinen Geschichte der Philosophie wegen der religionsgeschichtlichen Parthien immer innerlichst sehr, und ich sehe stets Neues dazu. Dann überfiel mich Kant. Ich werde Ihnen nächster Tage Pläne der Anordnung der Werke senden, die ich unsrer Prüfung vorlege. Wie denken Sie? Das bequemste bei einer solchen Edition ist stets die vielbewunderte philologische Akribie: nämlich chronologische Anordnung und genauer Abdruck der Editio princeps1 wo kein Manuscript mehr vorhanden ist. Aber die chronologische Anordnung, wie sie Hartenstein2 in seiner 2ten Ausgabe gewählt,3 giebt ein so buntes Gemisch, daß wer über einen Gegenstand Kants Ansichten kennen lernen will in den verschiedensten Bänden nachsuchen muß. Die fundamentale Gruppe der drei Kritiken mit dem was sich auf sie bezieht wird ganz auseinandergerissen. Nun

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finde ich aber bei der systematischen Anordnung Schwierigkeiten, die ich bisher nicht zu überwinden vermochte. Bis hinter die Metaphysik der Sitten verläuft diese Anordnung ganz glatt: aber die Stellung von politischen Schriften, Pädagogik, Religionsphilosophie und Philosophie der Geschichte zu einander scheint mir bei Kant durch kein inneres Prinzip eindeutig bestimmt zu sein. Und kleine Schriften, die sich nicht einordnen lassen, bleiben als Reste. Diese Bemerkungen wollen Sie freundlich nur zunächst ad Acta legen, bis die Übersichten Ihnen vorliegen, durch die sie erst benutzbar wären. Dann wäre ich für Ihren Rath sehr dankbar. Schwieriger noch ist die Frage über den Druck. Sie werden mein Prinzip billigen, das ich als das der Übereinstimmung der äußeren Form von Grammatik Sprachgebrauch Interpunktion und Orthographie mit der inneren geschichtlichen Form des Autors bezeichnen möchte. Es ist historisch-ästhetisch. Der Autor muß ohne jeden Anstoß gelesen aber zugleich in der geschichtlich-persönlichen Form seines Geistes genossen werden. Sonach muß Alles was den ruhigen ungestörten und klaren Fluß der Auffassung wirklich stört, rücksichtslos ausgemerzt werden, dagegen Alles Eigenthümliche, welches ohne Störung genossen werden kann, als Hauch des Ausdrucks seiner inneren geschichtlichen Form festgehalten werden. Nur über diese Prinzipien, welche natürlich nur eine subjektive Behandlung ermöglichen und daher natürlich von beiden Lagern beschlossen4 werden müssen, bitte ich ein Wörtchen. Ich bin jetzt darüber hinaus, unanstößig5 meinen philosophischen Lebenswandel zu führen und will auch in dieser Sache auf dem schwereren Weg nur das Objektive das sich dann durchsetzt. Jedenfalls will ich aber sobald die Prinzipien der Edition der Abtheilung: Werke festgestellt sind die Abtheilung ebenfalls einem Leiter übergeben, um endlich freie Arme zu bekommen. Hatte ich wol schon im Sommer das größte philosophische Privatcolleg, so habe ich jetzt etwa 180 Zuhörer, und fühle deutlich wie sie mitgezogen werden. Harnack sagt mir daß er sich in dem eben uns zugehenden letzten umgearbeiteten Bande mit meinen Aufsätzen überall auseinandergesetzt habe.6 Ein leichtes Gefühl von Invasion eines ganz anderen philosophischen Prinzips in die Theologie hat er wohl. Vielleicht nehme ich daraus Gelegenheit meine almälig reife Ansicht über Natur und Entwicklung der Religion und Theo­logie zusammenzufassen. Gewirkt auf seine geschichtliche Ansicht haben meine Ansichten. … [Briefschluss fehlt.] Original: nicht überliefert; Erstdruck: BDY, Nr. 142.

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Alexander Tille an Dilthey

1 Erstausgabe. 2 Gustav Hartenstein (1808–1890): Philosoph; 1834 a. o., 1836 o. Prof. in Leipzig.  – G. Hartenstein (Hg.): Kant. Werke, sorgfältig revidirte Gesammtausgabe. Leipzig 1838–1839. 3 Kant’s Sämmtliche Werke in chronologischer Reihenfolge. 8 Bde. Neue Ausg. Leipzig 1867–1869. 4 In BDY: „beschossen“. 5 In BDY: „Unanstößig“. 6 A. von Harnack: Lehrbuch der Dogmengeschichte. Bd. 3. Freiburg i. B. 1890, 3. verb. und verm. Aufl. Freiburg i. B. 1897, Vorwort zur 3. Aufl. und passim.

[1030] Alexander Tille1 an Dilthey 1 Strathmore Gardens Hillhead, Glasgow, Scotland Nov[ember] 14 1896 Hochverehrter Herr Professor! Leider ist mein Wunsch, Sie bei meinem kurzen Aufenthalt in Berlin zu treffen, nicht geglückt. Ich habe mich aber dafür Herrn Prof. Paulsen und Herrn Prof. Stumpf persönlich vorgestellt. Seit ich in Berlin war, ist eine andere Möglichkeit aufgetaucht, mich nach Deutschland zurückzuführen, von der ich zwar noch nicht weiß, ob sie zum Ziele führen wird, die aber, wenn sie sich als ausführbar erweisen sollte mich schon im Frühjahr nach meiner Heimat zurückbringen dürfte. In Freiburg i. B. bietet sich mir nämlich die Aussicht, neben der Habilitation zugleich noch das besoldete englische Lektorat zu übernehmen, was mir, da ich finanziell wenigstens nicht ganz unabhängig bin, sehr erwünscht kommt. Obgleich ich am liebsten nach Berlin käme, erscheint mir doch die nahe Aussicht, die mir Freiburg jetzt zu bieten scheint, so verlockend, daß ich ihr nicht widerstehen kann. Läßt sich die Lektoratsangelegenheit nicht machen, so möchte ich trotzdem die Absicht einer Habilitation in Berlin nicht aufgegeben haben. Freiburg hat freilich die Schattenseite einer katholischen theologischen Fakultät. Aber hoffentlich giebt den katholischen Herren mein Interesse an der Weltanschauungsentwicklung Deutschlands keinen Anstoß. Den Glauben der weiten Schichten des Volkes einer bestimmten Zeit zu ermitteln, ist ja doch kein Frevel gegen die in derselben Zeit von der Kirche gelehrte Überzeugung. Wenn jemand in der Sache um Rat gefragt werden sollte, was ich nach den letzten Nach-

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richten aus Freiburg fest vermute, so werden Sie, der gerade auf diesem Felde mehr als jemand anderes gearbeitet hat, doch wahrscheinlich derjenige sein. Wenn Sie für diese Studien in der Form wie ich sie mir denke, ein freund­ liches Wort hätten, so wäre ich Ihnen aufrichtig dankbar. Heute erregt nun einmal alles Neue, und namentlich wenn es sich mit Weltanschauung abgiebt, leicht den Verdacht des Umsturzes und der Gefährlichkeit. Den Studien über den Einfluß der Entwicklungslehre auf die verschiedenen Gebiete, namentlich der Ethik und Soziologie, ergeht es ja nicht anders, und doch führen gerade sie soweit von den sozialistischen Idealen ab wie nur möglich.

In aufrichtiger Verehrung Ihr ergebenster Dr. Alexander Tille

Original: Hs.; ABBAW, Dilthey-NL , Fasz. 223, Bl. 444–445. 1 Alexander Tille (1866–1912): Philosoph, Germanist und Wirtschaftsfunktionär; 1890 Promotion in Leipzig, 1890 Dozent für Germanistik in Glasgow, 1900 stellvertretender Geschäftsführer im Centralverband Deutscher Industrieller, 1903 Syndikus der Handelskammer Saarbrücken. – Tille gab 1896 die erste engl. Übersetzung von F. Nietzsches Also sprach Zarathustra heraus.

[1031] Dilthey an Kuno Fischer1 Berlin, den 23ten Nov[ember] 1896 W[est]. Burggrafenstr[aße] 4. Ew. Excellenz haben für die Ausgabe der Akademie2 ein so lebendiges Interesse ausgesprochen, dass ich nicht verfehle von den gethanen Schritten Sie in Kenntnis zu setzen und für die nächstfolgenden Ihren freundlichen Beirat zu erbitten. Adickes ist schon in voller Arbeit für die Edition der handschriftlichen Aufzeichnungen, Heinze beginnt eben, sich für die der Vorlesungen3 zurechtzusetzen, die Enquête über vorhandene Manuscripte hat für beide das Material erweitert. Für die Abteilung der Briefe, die Reicke bearbeitet, ergab sich in den meisten Fällen, dass dieser bereits Abschriften genommen hatte, doch einige konnten auch zugefügt werden. Leider ist durch eine schwere Erkrankung

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Dilthey an Kuno Fischer 

Reicke in seiner Arbeit behindert und man darf nur hoffen, dass seine nun bevorstehende völlige Befreiung von allen amtlichen Pflichten ihm gut thun und den Abschluss der Briefedition bald ermöglichen wird. Für die Herausgabe der Werke entstehen nun einige Schwierigkeiten, unter denen die erste in der Anordnung derselben besteht. Und hier erlauben wir uns nun Ihren gütigen Rat zu erbitten. Zwischen einer chronologischen und einer systematischen Anordnung ist die Wahl. Die systematische scheint doch auch nur innerhalb der einzelnen Abteilungen chronologisch anordnen zu können, wie dies die zwei Vorschläge zeigen, welche wir uns erlauben, Ihnen zu unterbreiten. Gerade Ihnen würden wir ungemein dankbar sein, fände sich eine unbeschäftigte Stunde, – in welcher Sie diese Fragen erwägen und Ihr Urteil mitteilen möchten. –

In grösster Verehrung der Ihrige Wilhelm Dilthey

Ich bemerke noch: Unter den sachlichen Anordnungen kann ebenso gut als die unter B und G gegebenen diejenige gewählt werden, welche Sie in Ihrem „Kant“4 zu Grunde gelegt haben. Es würde aber ebensowohl möglich sein, indem man den methodischen Gesichtspunkt bevorzugt, zu gliedern! 1) Die drei Kritiken mit Zubehör 2) Darauf gebaut die Metaphysik der Natur und der Sitten 3) Die hauptsächlichsten darauf gegründeten Anwendungen, der entwicklungsgeschichtliche Zusammenhang, in welchem Kant durch Hypothesen bis zur Philosophie der Geschichte fortschritt. Ich brauche nicht zu sagen, wie dieser dritte Teil seines Systems in den einzelnen Ausführungen durch Umstände, wechselnde Gesichtspunkte, herannahendes Alter in der Ausführung bedingt war. Vergleicht man solche möglichen Einteilungen nach dem Gesichtspunkt der sachlichen Gliederung, so erscheint es gerade bei Kant unthunlich, allgemeine Anerkennung für Eine derselben zu erwarten. Es ist die Sache des systema­ tischen Darstellers Eine derselben zu wählen und nach ihr Kants Gedanken zu ordnen, wie Sie das so meisterhaft gethan haben. Aber der Herausgeber scheint solche Rechte nicht zu besitzen. Will man nun solchen Abteilungen das Zugehörige unterordnen, so entstehen neue Unsicherheiten. Verlässt man nun gar das System einer chronologischen Einordnung unter die Abteilungen, welche ich das gemischte nenne, und will sachlich gliedern, dann ist für den Benutzer der Ausgabe wirklich nichts mehr zu finden.

Dilthey an Hans Vaihinger 

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So bin ich für mich schliesslich nach allen Versuchen zur chronologischen Ordnung zurückgekehrt, doch dünkt mich, dass deren Schwierigkeiten erheblich vermindert würden in bezug auf Auffindung einzelner Abhandlungen etc., wenn in den drei Abteilungen, die ich unter III A gegeben, angeordnet würde.5 Doch verzeihen Sie, ich wollte eigentlich garnicht meine Eindrücke Ihnen schreiben, es ist Ihre Ansicht, um welche es mir zu thun ist.

In der grössten Verehrung der Ihrige Wilhelm Dilthey

Original: Hs.; Diktat D.s von der Hand P. Menzers mit eigenhändiger Unterschrift D.s, UB Heidelberg, HA , Heid. Hs 2610. 1 Der Heidelberger Philosoph und Philosophiehistoriker Kuno Fischer (1824–1907). 2 Die Kant-Akad.-Ausg. der Preuß. Königl. AdW zu Berlin. 3 Im Brieforiginal folgt noch einmal „sich“. 4 K. Fischer: Immanuel Kant und seine Lehre. Erster Theil: Entstehung und Grund­ legung der kritischen Philosophie (= Geschichte der neuern Philosophie. Bd. 3). Heidelberg 1869, 3. neubearb. Aufl. München 1882. – Immanuel Kant und seine Lehre. Zweiter Theil: Das Vernunftsystem auf der Grundlage der Vernunftkritik (= Geschichte der neuern Philosophie. Bd. 4). Heidelberg 1869, 3. neubearb. Aufl. München 1882. 5 Beilagen nicht überliefert.

[1032] Dilthey an Hans Vaihinger

  Lieber Herr College!

Berlin, den 23ten Nov[ember] 1896 W[est] Burggrafenstr[aße] 4

Inliegend übersende ich Ihnen ein Verzeichnis möglicher Anordnungen der Werke Kants und richte gleichzeitig an Sie die Bitte, einmal eine freie Stunde dieser für die Kantausgabe so wichtigen Frage widmen zu wollen. Vielleicht haben Sie dann die Güte mir nach Lektüre des Circulars1 Ihre Ansicht freundlichst mitteilen zu wollen. Zu dem Schema erlaube ich mir noch mitzuteilen: Giebt man die Möglichkeit der Durchführung einer systematischen Anordnung bis in die einzelnen Abhandlungen auf, so bleibt das gemischte System B und C.2 d. h. sachliche Anordnung und in den einzelnen Klassen chronologische Folge.

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Dilthey an Hans Vaihinger 

Unter den sachlichen Anordnungen habe ich von derjenigen ganz absehen müssen, welche mir als die eigentlich Kantsche erscheint, nämlich: 1) Drei Kritiken mit Zubehör3 2) Metaphysik der Natur und der Sitten 3) alles darauf Gebaute. Schon deswegen müßte ich verzichten, weil in diesem dritten Teil Kant nicht nach einem Plan arbeitete. Er gab Anwendungen, wie die „Religion innerhalb der Grenzen“, „Zum ewigen Frieden“, Pädagogik, und man kann sehen, dass vor ihm ein descriptiver und entwicklungsgeschichtlicher Zusammenhang4 stand, der von der Naturgeschichte des Himmels bis zur Philosophie der Geschichte reicht und einen hypothetischen Charakter hat. Doch in einer Edition lässt sich dieser dritte Teil nicht herstellen. Aber auch die beiden anderen Anordnungen unter Punkt C. bleiben problematisch,5 noch problematischer ist die Unterordnung. Da nun aber auch die chronologische Ordnung bei Hartenstein die Kritiken auseinanderreist, die Abhandlungen schwer auffindbar macht, so möchte ich ihre einfache Durchführung vorziehen, wie unter III A. geschehen, durch die drei äusserlichen Rubriken das Zusammenzusuchende mehr zu verbinden und die Auffindung zu erleichtern. Doch wäre wohl möglich, dass ein geeigneterer Plan sich Ihrem Nachdenken ergäbe. Jedenfalls wäre ich sehr dankbar für Ihr sachkundigstes Urteil über diese für die Ausgabe so überaus wichtige Frage.6 Mit meinen besten Grüssen der Ihrige Dilthey Original: Hs.; Diktat D.s von der Hand P. Menzers mit einer handschriftlichen Ergänzung und eigenhändiger Unterschrift D.s; StUB Bremen, HA , Autograph XXI, 6: h, Nr. 7. 1 Ein Zirkular an Zeitungen und Zeitschriften. Aufruf und ein weiteres Zirkular an Autographensammler war unterschrieben worden von den Mitgliedern der Kant-Kommission der Königl. Preuß. AdW zu Berlin D., H. Diels, C. Stumpf, dem klass. Philologen Johannes Vahlen (1830–1911) und dem Philologen Karl Gotthelf Jacob Weinhold (1823–1901). Ein drittes Zirkular richtete sich an Bibliotheken und Archive. Die drei Schreiben wurden nebst einer Vorstellung der neuen Kantausgabe, einer Orientierung über dieselbe und einem Stammbuchblatt Kants abgedruckt in: Kant-Studien 1 (1897). 2 Im Brieforiginal: darunter, von der Hand H. Vaihingers: „von A und D ist nicht die Rede“. 3 Im Brieforiginal: daneben am linken Rand, von der Hand H. Vaihingers: „Vgl. III A“.

Dilthey an Eduard Zeller 

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4 Im Brieforiginal: daneben am linken Rand, von der Hand H. Vaihingers: „?“. 5 Im Brieforiginal: daneben am linken Rand, von der Hand H. Vaihingers: „nicht auch A?“. 6 Beilage nicht überliefert.

[1033] Dilthey an Eduard Zeller Berlin, den 23ten Nov[ember] 1896. Verehrter Freund! Heute komme ich mit einer auf die Kant-Ausgabe bezüglichen Bitte, welche Sie hoffentlich in einem leidlichen Befinden und bei ruhig fortschreitender Heilung trifft. Die Sitzung der erweiterten Commission ist durch verschiedene Umstände, insbesondere zuletzt durch eine Lungenentzündung Reickes, von welcher er sich noch nicht erholt hat, hinausgeschoben worden. Da ist nun Zeit, in bezug auf einige Grundfragen, welche dieser Commission vorzulegen sind, bei einigen Männern, deren Urteil am schwersten ins Gewicht fällt, Umfrage zu halten. Und so wende ich mich allererst an Sie. Die nächste Frage ist die nach der Anordnung der Werke, welche natürlich getrennt von handschriftlichen Aufzeichnungen und Briefen eine Abteilung für sich bilden. Ich sende Ihnen nun eine Übersicht möglicher Anordnungen zu gütiger Prüfung, zunächst stehen einander die rein chronologische und die sachliche oder systematische Anordnung gegenüber. Wäre die letztere allgemeingiltig herstellbar und könnten die kleineren Arbeiten derselben in sicherer Weise eingeordnet werden, so wäre sie zweifellos übersichtlicher, bei Benutzung fände man das Erforderliche in bestimmten Bänden zusammen, die eigentlich von einander untrennbaren drei Kritiken stünden wirklich, wie sich’s gehört nebeneinander. Leider lassen sich aber trotz immer wiederholter Versuche der Anordnung diese Bedingungen nicht erfüllen. Ich brauche Ihnen die Fragezeichen nicht ausdrücklich hinzustellen, welche sowohl in bezug auf die systematische Gliederung als in bezug auf die Einreihung zu machen sein würden. Das Missliche einer Abteilung „Gelegenheitsschriften“ S. 5 oben fällt ferner in die Augen. So finde ich mich durch solche Schwierigkeiten doch immer wieder zur chronologischen Anordnung zurückgeführt. Ich bemerke noch: hinter den sachlichen Anordnungen kann ebenso gut als die unter B und C gegebenen diejenige gewählt werden, welche Kuno

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Dilthey an Eduard Zeller 

­Fischer in seinem „Kant“ zu Grunde gelegt hat. Es würde aber ebensowohl

möglich sein, indem man den methodischen Gesichtspunkt bevorzugt, zu gliedern: 1) Die drei Kritiken mit [„]Zubehör“. 2) Darauf gebaut die Metaphysik der Natur und der Sitten. 3) Die hauptsächlichsten darauf gegründeten Anwendungen, der entwicklungsgeschichtliche Zusammenhang, in welchem Kant durch Hypothesen bis zur Philosophie der Geschichte fortschritt. Ich brauche nicht zu sagen, wie dieser dritte Teil seines Systems in den einzelnen Ausführungen durch Umstände, wechselnde Gesichtspunkte, herannahendes Alter nicht zum völligen Abschluss kam. Vergleicht man solche möglichen Einteilungen nach dem Gesichtspunkt der sachlichen Gliederung, so erscheint es gerade bei Kant unthunlich, allgemeine Anerkennung für Eine derselben zu erwarten. Will man nun solchen Abteilungen das Zugehörige unterordnen, so entstehen neue Unsicherheiten. Verlässt man nun gar das System einer chronologischen Einordnung unter die Abteilungen, welche ich das gemischte nenne, und will sachlich gliedern, dann ist für den Benutzer der Ausgabe wirklich nichts mehr zu finden. So bin ich für mich schliesslich nach allen Versuchen zur chronologischen Ordnung zurückgekehrt, doch dünkt mich, dass deren Schwierigkeiten erheblich vermindert würden in bezug auf Auffindung einzelner Abhandlungen, die ich unter III f. gegeben, angeordnet würde. Doch verzeihen Sie, ich wollte eigentlich garnicht meine Eindrücke Ihnen schreiben, es ist Ihre Ansicht, um welche es mir zu thun ist. Hinzu füge [ich], lieber verehrter Freund meine herzlichsten Glückwünsche daß Sie nun noch einen Enkel1 in den Armen halten dürfen u. hoffentlich auch um sich spielen und wachsen sehen werden. Daß die Heilung langsam verläuft2 ist eine Geduldsprobe, aber bei Ihrer vorzüglichen Natur bin ich von dem guten Resultat fest überzeugt. Die Lektüre des Vorliegenden u. Überlegungen unterhält Sie vielleicht eine Stunde: der Sache selbst leisten Sie einen großen Dienst, gelänge Ihnen eine überzeugende Anordnung.3 In treuester Gesinnung Ihr Wilhelm Dilthey Original: Hs.; überwiegend Diktat D.s von der Hand P. Menzers, der letzte Briefabschnitt von der Hand D.s; UB Tübingen, HIS , Zeller-NL , Md 747–145.

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1 Eduard Zeller (geb. 1896): Sohn von E. Zellers Sohn Albert (1853–1923), Prof. der Chirurgie in Stuttgart und seiner Ehefrau Agnes. 2 E. Zeller hatte im August 1896 einen schweren Beinbruch erlitten. 3 Beilage nicht überliefert.

[1034] Dilthey an Graf Paul Yorck von Wartenburg Mein lieber Freund,

25. December [18]96.

herzliche Wünsche zu der festlichen Zeit sende ich Ihnen, den wichtigsten, daß Sie bei zunehmendem Wohlsein sie verleben mögen. Mit großer Spannung harre ich darauf welche Entschlüsse Sie für den zweiten Theil des Winters fassen. Diese erste Hälfte desselben war so überaus abscheulich, sonnenlos, lichtlos, wie nordische Mythologie, daß ich täglich Ihrer Einsamkeit gedachte. Auch bedauerte [ich] daß Sie nicht im Süden waren. Jedenfalls hoffe ich Sie denken nicht daran in Klein-Oels zu bleiben. Ich bin überzeugt daß das Stillsitzen zu dem Sie da genöthigt sind, Ihnen nicht gut thun kann für Ihr Gesammtbefinden von dem doch Alles Einzelne abhängt. Es wäre herrlich Sie kämen hierher. Zu jedem Dienst hie[r]für bereit. Thun Sie das nicht, dann gehen Sie ja nach dem Süden. Das ist eine völlige Umkrempelung des Körpers im Winter. Für diesen Fall bitten wir Sie herzlich beide, bei uns auf der Durchreise zu wohnen. … Jedenfalls würde ich dann, wenn Sie bei uns behaglich versorgt sind, rathen, Einiges hier zu sehen und zu hören, ganz con amore. Der Kampf rast um Wildenbruch Hauptmann.1 Die Studenten sind ganz für Hauptmann: denn wie sie in den Tiefen aufgewühlt sind, verlangen sie solche letzte sociale und philosophische Positionen, wie Hauptmann sie nicht gestalten kann aber doch gestaltlos in sich bewegt. Die schroffe Partheinahme des Kaisers2 schadet, wie die Dinge einmal liegen, viel mehr als sie nützt. Sehen müssen Sie. Ein paar Tage in das uferlose und formlose Meer dieser Gegenwart eintauchen. Ein Ding dergleichen seit der Renaissance nicht da war, so formlos, so chaotisch, so in den letzten Tiefen des Menschlichen bewegt, fin du siècle mit Zukunft unfaßlich gemischt. Das Befinden meiner Frau hält sich leidlich. Ich selbst habe mich in dem Wettstreit von Vorlesungen, Amtsarbeit und Eigenarbeit wieder überarbeitet und abermals wie Ende vorigen Sommers einen Rückfall erlitten. Es scheint als sei diese Verbindung von Arbeit für mich nicht mehr möglich. Schade ist es, da die Studenten wirklich begeisterten Antheil an meinen Vorlesungen nehmen:

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das kann ich sagen da Sie wissen wie frei ich von Eitelkeit bin. Der Grund liegt darin daß ein neues Geschlecht unter ihnen heraufkommt für das ich passe. Die regierungsunfähige Büreaukratie unter der wir zu leben verdammt sind, hat eine solche Stagnation der Maßregeln herbeigeführt mitten im socialen religiösen Vorwärtsdrängen, daß die Jugend das nicht mehr aushält. Ausgenommen natürlich eine Minderheit strebsamer, von jeder geistigen Bewegung durch ihre todte Faulheit abgesperrter Juristen. Die theologischen Studenten und jungen Geistlichen sind durch das Auftreten des Kaisers gegen ihre sociale Richtung tief verletzt: sie fühlen daß sie social sein müssen wenn sie existiren wollen. Die Jugend will ja Alles nur noch unter diesem Zweck-­Gesichtspunkte ansehen und werthen. Der Oberkirchenrath thut dann in seiner grauenhaften Unsicherheit und Sclavennatur „das Seine“, wie der Großinquisitor im Karlos.3 Innerlich kann die Ritschelei, mit der ich in immer schärferen Conflikt hier auch thatsächlich komme, nichts Andres als zu äußeren Mitteln blasen, um die Unhaltbarkeit ihrer inneren Position dadurch zu verdecken. So mischt sich Jugendlich-Ächtes mit Falschem, ja absichtlicher Fälschung. … Die Philo­logen sind durch die Experimente seit der unseligen Kommission und durch das alberne Regiment Stauder4 geradezu revolutionirt. Des Kaisers Einmischung in den Schillerpreis und damit verbunden seine Einmischung in die Literatur ärgert und verletzt. Erich Schmidts Auftreten hat das Cultusministerium erbost und die junge Welt entzückt.5 Ich könnte so immer fortfahren – mündlich mehr und viel mehr. Ich selbst mache bei der Kantsache und der Büreaukratie Erfahrungen, die höchst belehrend sind etc. etc. So auch: der Alte in Friedrichsruhe,6 seine Enthüllungen, die wahrscheinlich eine Drohung nach oben mit bedeuten, da er wichtige Kaiserbriefe hat. Ich habe nun am Schleiermacher zu schreiben angefangen.7 Darüber mündlich. Ich stehe vor der Frage ob ich im Sommer lesen soll. Erkenntnißtheorie und Logik als Grundlegung der Philosophie habe ich angekündigt. Ich muß heut schließen – mitten in einem Gespräch mit Ihnen dessen Fortsetzung Sie sich denken mögen. Denn nun wäre Plato gekommen in dem ich für den Schleiermacher eben lebe und webe. Original: nicht überliefert; Erstdruck: BDY, Nr. 143. 1 Die Hg. von BDY erläutert hierzu: „Des Kaisers Einmischung in den Schillerpreis: Im Jahre 1896 war der Schillerpreis doppelt zu verleihen. Die Schillerkommission hatte Wildenbruch und Hauptmann vorgeschlagen. Durch Eingriff des Kaisers fielen beide Preise am 10. Nov[ember] Wildenbruch zu. Wildenbruch aber nahm nur einen für sich in Anspruch und überwies den anderen der Schillerstiftung in Weimar. Erich Schmidt antwortete dem kaiserlichen Eingriff durch Austritt aus der Kommission.“  – Der Literaturwis-

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senschaftler Erich Schmidt (1853–1913), der seit 1887 o. Prof. für deutsche Sprache und 1887–1896 Sekretär der Schillerkommission war.  – Vgl. zu diesem Vorgang Litzmann, Bd. II, S. 160 f., sowie W. Sowa: Der Staat und das Drama. Der preußische Schillerpreis 1859–1918. Eine Untersuchung zum literarischen Leben im Königreich Preußen und im deutschen Kaiserreich. Frankfurt a. M. / Bern / New York / Paris 1988, bes. S. 252–260. 2 Wilhelm II. (1859–1941): 1888–1918 Deutscher Kaiser und König von Preußen. 3 Eine Figur in F. Schillers Drama Don Carlos. Infant von Spanien (1787). 4 Dr. Stauder: Wirklicher Geheimer Oberregierungsrat a. D. im Ministerium für geistliche, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten in der Abteilung für Unterrichtsangelegenheiten. 5 Vgl. hierzu W. Sowa: Der Staat und das Drama, a. a. O., S. 258–260. 6 Otto Fürst von Bismarck (1815–1898): ehemaliger Kanzler des Deutschen Reiches; Bismarck hatte nach dem Sieg über Frankreich 1871 von Kaiser Wilhelm I. (1797–1888) am 24. 6. 1871 den Sachsenwald (Friedrichsruh) bei Hamburg als Dotation erhalten. Nach seinem politischen Sturz 1890 zog sich Bismarck bis zu seinem Tode dorthin zurück. 7 Gemeint ist der zweite Band der Schleiermacher-Biographie.

[1035] Dilthey an Hermann Diels Lieber Freund, Ich bin wieder über das mir jetzt von der Natur zugemessene Arbeitsmaß hinausgegangen u. muß dafür büßen. Goldscheider wünscht daher dringend daß ich nicht nach Stuttg[art] gehe, zumal wegen der dann nöthigen Verdoppelungen der Vorlesungen, die durch 3 ausfallende Stunden nöthig würden, da mir gerade diese in der letzten Zeit besonders scheinen geschadet zu haben: ich wollte in der Vorl[esung] den Abschluß der alten Philosophie erreichen. Ich gräme mich über diesen Verlauf recht meinetwegen, da es mir ein Bedürfniß gewesen wäre u. eine außerordentliche Lebensfreude. Es ist nur ein Glück daß die Sache nichts dadurch verliert, da Sie ja wie ich gern gehen, und anders als ich auch mit jugendlicher Kraft es leisten können.

Mit herzlichem Gruß d[er] Ihrige Wilhelm Dilthey

26 Dec[ember] [18]96. Original: Hs.; StB PK Berlin, HA , Sammlung Darmstädter 2 a 1870 (8): Dilthey, Nr. 38.

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Graf Paul Yorck von Wartenburg an Dilthey 

[1036] Graf Paul Yorck von Wartenburg an Dilthey Klein Oels den 30. 12. [18]96.   Mein lieber Feund. Nehmen Sie herzlichen Dank für Ihre freundschaftliche Einladung, die ich ebenso dankbar empfinde als wenn ich ihr folgen könnte. Eine Lokomotion aber bekommt mir jedesmal wenig gut. Und Berlin mit seiner Unruhe ist für einen immer noch schwer Beweglichen besonders ungünstig. … Ob das Frühjahr uns nach der riviera führt, ist noch ungewiß, wird von der Art des Frühjahrs abhängen. Wenn Sie und ich nach dem Süden gehen, müssen wir uns irgendwo rendez-vous geben. Bleiben wir aber beide im Lande, dann hoffe ich, daß Sie mit Ihrer Frau hier während der Osterferien Aufenthalt nehmen. Denn wir haben doch seit langer Zeit uns nicht eingehend besprechen können. Was Sie von der Berliner – und nicht nur der Berliner – Gesammtstimmung schreiben, ist leider nur zu erklärlich. Das sozialistische Moment ist zur allgemeinen Passion geworden, ein pathologischer Zustand. Auch das Gemeindeprinzip wurzelt darin und entnimmt daher seine Kraft. Rhetorik aber ist das Machtmittel. Bandloser selbstsüchtiger Nietzscheanismus und genußsüchtiges Heerdenbewußtsein sind nur verschiedene Tonarten desselben Systems. Für die Jugend ist nun das beste Heilmittel gegen solche Exzentrizität sachliche Arbeit, aber wirkliche Schweiß treibende Arbeit. Die Herrn Studenten dürfen zu Geistreichigkeit und Urtheilsfreude auf keinem anderen Weg als dem sauerer, Selbsthingabe heischender Arbeit gelangen. Und die Lehrer dürfen in der Studentenschaft nichts anderes sehen als einen Lernkörper. An Sachen orientirt sich am leichtesten eine bodenlose Subjektivität. Daher wäre eine Reform des Unterrichtswesens so dringend nöthig. … Ich mache mir meine stillen Freuden durch zwar nicht ungehinderte und daher langsame, aber nicht erfolglose Arbeit am Schreibtische. Ich denke Einiges wird auch Ihnen gefallen. Und nun noch der Wunsch eines fröhlichen neuen Jahres, das uns zusammenführen möge. Original: nicht überliefert; Erstdruck: BDY, Nr. 144.

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Dilthey an Julius Rodenberg 

[1037] Dilthey an Julius Rodenberg1 Berlin, d[en] 31. 12. 1896. Verehrtester Herr Doktor! Am 12. Januar ist Zellers Professoren-Jubiläum. Ich schreibe eben einen kurzen Artikel darüber, um dem alten Freunde eine Freude zu machen. Natürlich würde ich ihn lieber in die „Rundschau“ zum 1. Febr[uar] geben, oder viel mehr am liebsten.2 Doch ist die Frage, ob Sie dafür Raum haben und es noch einrichten können. Dann würde ich mich verpflichten, ihn binnen einer Woche herzustellen u. einzusenden. Ich weiß, daß es Zeller ganz besonderes Vergnügen machen würde, wenn die „Rundschau“ ihm bei dieser Gelegenheit ein herzliches Wort über seine wissenschaftliche Stellung sagte; weiß auch, daß Sie es ihm wünschen. Bitte also auf angebogener Karte um ein einfaches Ja oder Nein, damit ich mich bei der Abfassung nach dem Orte richte. Mit herzlichem Gruß der Unglücksgenosse von der Schillerstiftung3 Burggrafenstr. 4 Wilhelm Dilthey Original: Hs.; Postkarte; Diktat D.s von fremder Hand mit eigenhändiger Unterschrift D.s; GSA Weimar, Sign. 81 / II, 5, 7. 1 Der Journalist und Schriftsteller Julius Rodenberg (1831–1914), der seit 1874 die Deutsche Rundschau herausgab. 2 D.: Aus Eduard Zellers Jugendjahren, in: DRS 90 (Februar 1897), S. 280–295; WA in: GS IV, S. 433–450. 3 D. war, wie auch J. Rodenberg, im Jahre 1896 Mitglied der Schillerkommission.

[1038] Graf Paul Yorck von Wartenburg an Dilthey Lieber Freund

Klein-Oels 18. 1. [18]97

Mit herzlichem Danke sende ich anbei den unerquicklichen Schuster1 zurück, welchen der Buchhändler ihn mir in zweitem Exemplare geliefert hat. Wenn

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Graf Paul Yorck von Wartenburg an Dilthey 

man im Einzelnen nachprüft, so findet man den alten Zeller2 stets als Zuverlässigsten. Nicht im höheren Sinne ein philosophischer Kopf ist er doch von einer so gesunden, ehrlichen und starken Rationalität, daß kein geistreiches Geflunker gegen ihn aufkommen kann. Der rationale bon sens und eine starke formale logische Kraft wirken schneidend und säubernd und vor den bloßen Philologen zeichnet ihn eine Gesammtauffassung aus. Von einigen, übrigens auch nicht allzu bedeutenden Funden, die mit einer gewissen Prätension serviert wurden, abgesehen ist doch seit Schleiermacher3 nichts Erhebliches in Sachen Heraklits geschehn. Vermeintliche Sinnesverbesserungen in der Schleiermacherischen Auffassung erweisen sich regelmäßig als Irrthümer in Folge Mangels historischen Sehens. Und Zeller hat im Wesentlichen damit zu thun unrichtige Interpretationen als solche nachzuweisen und abzuweisen. Die Umsicht, Vorsicht, Sachkenntniß und Beflissenheit, womit er hierbei zu Werke geht, sind musterhaft. Seine Intellektualität erscheint als unmittelbares Echo seines Ethos. Das Lösen der Aufgabe selbst bleibt diesem kritischen Verhalten allerdings unfaßlich, nur die Grenze wird berührt, das Unzulängliche der bisherigen Auffassung, und zwar mehr in den kritischen Anmerkungen als in dem mehr dem Hergebrachten zuneigenden Texte anerkannt. So erfreulich hierin das Unzureichende, so widerwärtig und, ich habe mich entschlossen, nicht berücksichtigungswerth die wilde geistreiche Rederei Lassalles.4 Teichmüller5 auch nicht auszuhalten. Heinze6 dumm, Schuster bornirt. Bernays7 von einzelnen philologischen Konjekturen abgesehen leidet an echt semitischer Geschichtslosigkeit der Auffassung. Es wäre besser gewesen der Treue[?] und Uninteressirtheit eines Hippolyt oder Clemens8 weniger, mehr aber den Folgerungen eines Platon und Aristoteles zu vertrauen. Die Sache selbst ist nicht schwierig. Streng genommen giebt es einem wirklichen Philosophen gegenüber keine Monographie. Die Zusammenhänge sind übergreifend. Die Wirkungen, aus denen das Wesen zu erschließen ist, zumal bei fragmentarischer und getrübter Überlieferung schwingen lange nach. Und dem gegenüber eine geminderte sporadische wirksame Arbeitskraft. Denn bei einiger Arbeitsausdehnung flieht der Schlaf vollständig. Ich bin in der Lage eines Forstmannes, der den Durchforstungsplan klar zu Papier gebracht hat. Die Mühe des Bearbeitens steht aber noch aus. Ich bin überzeugt, daß wenn nach Monaten die erste Niederschrift vollbracht, es zu einem vollständigen Umschreiben kommen muß – wenn ich dazu Lust behalte. Hoffentlich höre ich bald, das es Ihnen gut geht. Mit bestem Gruße treu der Ihre Yorck

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Dilthey an Ernst von Wildenbruch 

Original: Hs.; ABBAW, Dilthey-NL , Fasz. 132, Bl. 13–14 R. 1 Paul Robert Schuster (1841–1877): ev. Theologe, Philosoph und Philologe; 1869 Promotion in Leipzig, 1872 Habilitation ebd., 1873 a. o. Prof. für Philosophie in Leipzig.  – ­Heraklit von Ephesus, ein Versuch, dessen Fragmente in ihrer ursprünglichen Ordnung wieder herzustellen, in: Acta Societatis philologae Lipsiens. Hg. von Frider[icus] Ritschelius. Bd. III, S. 1–394. Lips[iae] 1873. 2 E. Zeller: Die Philosophie der Griechen in ihrer geschichtlichen Entwicklung dargestellt. 1. Teil. Allgemeine Einleitung. Vorsokratische Philosophie, 2. völlig umgearb. Aufl. Tübingen 1856. 3 F. D. E. Schleiermacher: Herakleitos der Dunkle von Ephesos, dargestellt aus den Trümmern seines Werkes und den Zeugnissen der Alten, in: Wolfs und Buttmanns Museum der Alterthumswissenschaft. Bd. I (1807), S. 313–533; WA in: Schleiermachers sämmtliche Werke. Abtheilung III. Bd. 2. Berlin 1838, S. 1–146. 4 Der Publizist und Politiker Ferdinand Lassalle (1825–1864).  – Die Philosophie ­Herakleitos des Dunklen von Ephesos. Nach einer neuen Sammlung seiner Bruchstücke und der Zeugnisse der Alten dargestellt. 2 Bde. Berlin 1858. 5 Der Philosoph Gustav Teichmüller (1832–1888). – Neue Studien zur Geschichte der Begriffe. 3 Hefte. Gotha 1876–1879. Heft 1: Herakleitos. Gotha 1876; Ders.: Herakleitos als Theolog, in: ebd. Heft 2. Gotha 1878, S. 103–253; Ders.: Heraklitisches, in: ebd., S. 279–288. 6 M. Heinze: Die Lehre vom Logos in der griechischen Philosophie. Oldenburg 1872. 7 Der klass. Philologe Jakob Bernays (1824–1881).  – Heraclitea. Bonn 1848; Ders.: Neue Bruchstücke des Heraklit von Ephesos, in: Rheinisches Museum für Philologie 9 (1854), S. 241–269; weitere Arbeiten Bernays zu Heraklit, in: Gesammelte Abhandlungen. 2 Bde. Hg. von H. Usener. Berlin 1885. 8 Hippolytos (gestorben ca. 236 n. Chr.): Priester und später Bischof in Rom. – Clemens Alexandrinus (150–211 n. Chr.): Lehrer an der Katechetenschule zu Alexandria; Vorkämpfer einer christl. Philosophie.  – Beide Autoren vertreten eine christliche Dreieinigskeitslehre, in welcher der Logos als Sohn Gottes verstanden wird.

[1039] Dilthey an Ernst von Wildenbruch Lieber Freund,

[zum 3. Februar 1897]1

es ist mir sehr schmerzlich, gerade heute nicht bei Ihnen sein zu können, nur eine Zeile des Glückwunsches kann ich Ihnen senden. In diesem Jahr ist ein grosser Schritt, den Sie in Ihrer dichterischen Entwicklung gethan haben, in der Öffentlichkeit sichtbar geworden und als solcher anerkannt worden. So

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Ernst von Wildenbruch an Dilthey 

dürfen die Freunde Ihnen ein freudiges „Glückauf“ und „Vorwärts“ an diesem Tage zurufen. Stets in derselben Treue Ihr Wilhelm Dilthey Original: Hs.; Diktat D.s von der Hand Clara D.s; GSA Weimar, Sign. 94/169, 11.  1 E. von Wildenbruch hatte am 3. Februar Geburtstag.

[1040] Ernst von Wildenbruch an Dilthey Verehrter Freund

Berlin 4. 2. [18]97.

Ich brauche Ihnen kaum zu sagen, wie sehr wir Sie gestern vermißten und wie aufrichtig wir die Umstände beklagt haben, die Sie fern zu bleiben nöthigten. Ihr Aufsatz über Zellers Jugendjahre,1 den ich mit höchstem Interesse gelesen, erweckt allgemeinen Beifall und wird Ihnen vor allem denen Dank bereiten, denen es, wie mir, darauf ankommt, über eine der wichtigsten Epochen im Leben des deutschen Geistes, über dessen inneres Geäder und Geflecht man / d. h. ich / so wenig bisher wußte, unterrichtet zu werden. Schade, daß Zellers nicht mehr hier sind; seitdem ich weiß, daß Frau Zeller eine Tochter Bauer’s2 ist, würde ich sie mit ganz anderen Augen ansehen. Es wäre in hohem Maße erfreulich, wenn Sie die deutsche Rundschau fürderhin recht oft dazu benutzten, dem Publikum über wichtige Angelegenheiten in so klarer und angenehm zu lesender Weise Auskunft zu geben. Mit besten Grüßen an Ihre Frau Gemahlin herzlichst ergeben Ihr Ernst von Wildenbruch. Original: Hs.; GSA Weimar, Sign. 94/300, 5. 1 D.s Beitrag Aus Eduard Zellers Jugendjahren erschien in den ersten Tagen des Februar 1897. 2 Emilie Zeller (1823–1904), Ehefrau E. Zellers seit 1847, war die Tochter des ev. Theologen Ferdinand Christian Baur.

Dilthey an Graf Paul Yorck von Wartenburg 

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[1041] Dilthey an Graf Paul Yorck von Wartenburg   Mein lieber Freund!

Berlin, 10. II. 1897.

Diese Zeilen sollen Sie begrüßen, wenn Sie in Ihre Thurmstube zurückkehren. … Wie freute uns, zu vernehmen, daß der Aufenthalt bei dem jungen Paar1 Ihnen so gut gethan hat und die Besserung doch in beständigem Fortschreiten begriffen ist. Eine ganz besondere Freude ist, daß Sie an den Heraklit gegangen sind. Möchten Sie diesen nun auch für unser Archiv fertig machen, als würdigen Anfang Ihrer neuen Schriftstellerei, wieder aufgenommen nach so vielen Jahren und jetzt hoffentlich in Einem Zuge fortgehend, denn Sie haben der Welt viel zu sagen. Daß Einem diese Welt nun besonders gefiele und besondere Lust machte, sich auszusprechen, läßt sich doch nur in eingeschränktem Sinne sagen. Es sind eigentlich nur ‚die Jüngsten‘ ‚die sich erdreusten‘ ein keckes, verwegenes Geschlecht von Studenten aus den ersten Semestern, an die ich jetzt alle Hoffnung einer bessern Zeit hefte. Diese sind wirklich eine ganz neue Sorte; umgewühlt bis ins Letzte und werden auch später schwerlich viel von Überkommenem gelten lassen. Aber es sind Idealisten. Wogegen wir jetzt wieder in der Universitätsfrage erleben, daß die Büreaukratie, die uns regirt, keine selbständige, auf sich ruhende Existenz mehr anzuerkennen gewillt ist.2 Wir werden erleben, daß unter dem Impuls des Klassenneides von Geheimräten und Unterstaatssekretären gegen die Situation der Professoren eine Art von sozialistischem Experiment gemacht werden wird, so sehen es auch Wagner3 und Schmoller an und sind deswegen dafür. Und dies Experiment werden die Conservativen und die national-liberale Partei mit Jubel begrüßen, weil sie die thörichte Hoffnung haben, eben dieselben Wagner, Schmoller etc., andere unbequeme Existenzen, Harnack, Philosophen und dergleichen würden so in feste Zügel genommen. Das alte Deutschland beruhte mit der ihm eigenen Kraft auf selbständig gegründeten Existenzen. Mit diesen wird man nun anfangen aufzuräumen bis nichts mehr da ist, als Masse und Regierung: Dann ist man ja wohl beim Ende angelangt. Daher ist es denn gut, daß es noch eine Jugend gibt, welche schließlich Einiges zu sagen haben wird, das diesen regirenden Herren sehr verwunderlich vorkommen wird. Ich habe daran gedacht, ob ich über die Frage schreiben sollte, aber ich habe mich damit begnügt, meinen Einfluß mit zu üben in Bezug auf den Protest unsrer Universität; es besteht ja schlechterdings keine Hoffnung, daß etwas zu machen wäre. Die sogenannten staatserhaltenden Parteien sehen überhaupt nichts mehr als Stumm,

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Graf Paul Yorck von Wartenburg an Dilthey 

­ aumann, Weber,4 und ein paar andere Professoren und Geistliche, dann als N zweiten Zug Harnack und ein paar Ritschlianer. Leider sind ja auch bei uns die entsprechenden Fehler begangen worden. Heut so viel – der nächste Brief soll über Plato und Heraklit handeln. Original: nicht überliefert; Erstdruck: BDY, Nr. 145. 1 Paul Yorcks Sohn Heinrich (1861–1923), promovierter Jurist, 1894–1897 Landrat in Groß-Wartenberg / Schlesien und 1900 in Ohlau / Schlesien sowie Mitglied des Preuß. Herrenhauses heiratete am 3. Oktober 1896 Sophie Freiin von Berlichingen (1872–1945) im Schloss Jagsthausen, dem Familienbesitz der von Berlichingen. Das „Rote Schloß“, wie es genannt wird, ist noch heute in 17. Generation im Besitz der Familie von Berlichingen. 2 Aufgrund des sprunghaften Anstiegs der Studentenzahlen und der damit verbunden stark angestiegenen Kosten für die Universitäten begann die Hochschulverwaltung unter Federführung F. Th. Althoffs einen „Gesamtbildungsplan“ zu entwerfen. Die Professoren waren von diesen Planungen ausgeschlossen, so dass sich bei einer Reihe von Hochschullehrern Protest formierte. Vgl. hierzu B. vom Brocke: Friedrich Althoff, in: Wissenschaftspolitik in Berlin. Minister. Beamte. Ratgeber. Hg. von W. Treue und K. Gründer. Berlin 1987, S. 195–214, hier S. 210–213. 3 Adolf Wagner (1835–1917): Prof. für Staatswissenschaft in Berlin; Mitbegründer des „Vereins für Sozialpolitik“, dem auch L. Brentano angehörte. 4 Carl Ferdinand Freiherr von Stumm-Halberg (1836–1901): Großindustrieller, Eisenhüttenbesitzer; Mitbegründer und Führer der Deutschen Reichspartei; einflussreicher Berater von Wilhelm II.  – Stumm-Halberg unterstütze die Reformpläne der preuß. Hochschulverwaltung, in denen viele Professoren eine Bevormundung sahen. – Otto Naumann (1852–1925): Vortragender Rat im preuß. Kultusministerium, 1907 Ministerialdirigent der Hochschulabteilung im preuß. Kultusministerium als Nachfolger F. Th. Althoffs. – Max Weber (1864–1920): Soziologe und Nationalökonom; 1889 Promotion in Berlin, 1892 Habilitation, 1893 a. o. Prof. ebd., 1894 o. Prof. für Nationalökonomie in Freiburg i. B., 1896 in Heidelberg.

[1042] Graf Paul Yorck von Wartenburg an Dilthey Lieber Freund

Klein-Oels den 12. II. [18]97

Bei meiner Rückkehr aus Görnsdorf1 fand ich hier Ihre schöne Arbeit zu E ­ hren Zellers vor und bald darauf traf Ihr Brief vom 10ten ein. Für beides den schönsten Dank. Von der großen Tübinger Bewegung haben Sie ein schönes Bild gegeben, eine historische Analysis absichtlich vermeidend, um das Kunstwerk geschlossen und einheitlich hinzustellen. Der gewaltige impetus der rationalen

Graf Paul Yorck von Wartenburg an Dilthey 

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Construktion ist so ungebrochen zur Erscheinung gelangt und damit das Lebensmoment des zu Feiernden. Daß diese Darstellung weitere Gedankengänge dem Leser wach rief, ist die natürliche Wirkung Ihrer Arbeit. Daß es sich um Vergangenheit handle, deren letztes Ueberbleibsel der alte Zeller, konnte und durfte nicht gesagt werden. Ebensowenig daß Zeller seiner Natur nach an der Grenze jener Bewegung stand und steht, indem ihm Kantscher Rationalismus kongenialer ist als der romantische Rationalismus Hegels, der der Nerv der Tübinger Schule ihres Meisters ist. Unvernunft als universales Construktionsprinzip einigt sich belebend, tragend aber auch alterirend in Baur mit geschichtlichem Instinkte. Mit der kritischen Zersetzung des tragenden Prinzips, mit dem Verluste des Glaubens an die „Vernunft“, mit dem Abklingen der romantischen Rationalität fällt dann auch ein guter Theil der historischen Ergebnisse. Das Classifikationsschema mit seiner einfachen Gegensätzlichkeit wird durch die Geltendmachung der geschichtlichen Mannigfaltigkeit durchbrochen. Die beiden wesentlichen Construktionsmomente werden zu einzelnen Bauelemente[n], als solche bleiben sie in Geltung. Philosophisch ist es Mißachtung und Mangel der Psychologie und einer allein darauf zu gründenden Erkenntnißtheorie, wodurch das Schicksal der Bewegung erklärt wird und woraus deutlich wird, daß Schleiermacher gegenwärtig noch wirksamer ist als Baur. Religiös ist das Geschick dadurch bedingt, daß das historische Menschliche zum Symbol verdünnt, entwerthet wird. Ich möchte die großartige, von einem genialen Menschen getragene Bewegung einem herabstürzenden Bergstrom vergleichen, der rücksichtslos sein Bett sich gräbt, aber nicht tauglich ist den Verkehr der tausend großen und kleinen unaufhebbaren Lebensbedürfnisse der Menschen zu tragen und zu vermitteln. – Im Grunde liegt auch hier, wie bei Hegel, der den erfinderischen Gedanken repräsentirt, das Faustische Unterfangen vor[,] das Leben zu ontologisiren. Die unüberwind­ liche Antinomie wird aesthetisch überbrückt und verschleiert. Doch diese, wie ich meine, auch jetzt noch ausstehende Einsicht ist zwar die wissenschaftliche Achillesferse, nicht aber der Todtengräber jener Bewegung gewesen. Vielmehr wirkte dahin die religiöse Insuffizienz. Das Unendliche, das Absolute ist keine religiöse, höchstens eine aesthetisch-religiös gefärbte Größe. Das religiöse Bedürfniß verlangt eine Hand, die es fassen kann, eine Person für die es reden kann. So trat bei Ritschl in die Wissenschaft die Größe, welche die Glaubenskreise stets festgehalten hatten, der historische Jesus als Christus, gegenüber dem Logos-Christus, der in Jesus sich nur partikular dargestellt hatte. Die Vermittlung war eine rein nomothetische. Setzung trat an die Stelle der Idee. Eine Partikularität trat an die Stelle der anderen, aber mit dem Anspruche religiöser Allgemeingiltigkeit. Daher der philosophische Rückgang auf Kant möglich und indizirt. Daher der dogmengeschichtliche Kampf gegen die Idee (Gnosis)

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Graf Paul Yorck von Wartenburg an Dilthey 

bei Harnack. Die innerliche Fülle der Geschichtlichkeit, die nur empirisch, experimentell zu erfassende Göttlichkeit nicht der Menschheit sondern eines als radikale Kraft wirkenden Menschen bleibt hier wie dort verborgen. – So sind meines Erachtens auch Zellers Schriften zur historischen Theologie vergangen. Einzelne kritische Schriftergebnisse der ganzen Schule sind gewiß richtig, die ihnen gegebene Tragweite, die Konsequenzen falsch. Es spielt da das deutsche litterarische Prinzip eine verderbliche Rolle. Das Johannis-Evangelium, um gleich das Extreme zu nennen, ist in Ursprung und nach dem Werthe nicht als litterarisches Machwerk zu betrachten. Die letzte litterarische Form ist geschichtlich uneinheitlich. Der mannigfaltige Inhalt und zwar gerade der soteriologische,2 nicht der offensichtlich spekulative, ist nicht schriftstellerisch vermittelt, sondern unmittelbare Exspektoration3 von der Nähe, die empfundenes Erlebniß zum Ausdruck desselben hat. Es liegen keine authentischen Schriftstücke, aber authentische Äußerungen vor. Der Vorgang ist ein weit lebendigerer als jene Schule, ja selbst als Schleiermacher, der den Kultus als Träger ansah, annahm. Allgemein gesagt: Der Weg zur geschichtlichen Erkenntniß ist der Schluss von der Wirkung auf die Ursache, das Ergreifen der Wirkung das Experiment. Doch wohin gerathe ich? Auf ihre Bemerkungen: Platon – Heraklit bin ich sehr begierig. Man sollte bezüglich Heraklits nicht unterrichteter sein wollen als Platon. Gewiß hat Hera­k lit die Platonischen Konsequenzen nicht gezogen. Aber die Konsequenzen, und daß Platon richtige gezogen[,] müßte doch als fraglos anzunehmen gerathen sein, erhellen das Prinzip wie die Mienen die Gemüthsstimmung eines Menschen. Hypokritik4 den klassischen Zeugen gegenüber ist merkwürdiger Weise verbunden mit weitem Vertrauen zu späten interessirten Citatoren. Es wird Sie interessiren, daß ich glaube den Nachweis führen zu können auf Grund sachlicher Zusammenhänge, daß auch mit der Vermuthung Schleiermacher Recht hat, daß der unter Heraklit von Laertius Diogenes angeführte Anthistenes5 in der That der sokratische Schüler gewesen ist. Doch bis dahin bedarf es noch vieler Arbeit und ich komme wenig zur Arbeit. Mit bestem Gruße treu ergeben der Ihre Yorck. Original: Hs.; ABBAW, Dilthey-NL , Fasz. 104, Bl. 31–33 R. 1 Görnsdorf ist der Ort in dem Landkreis Groß-Wartenberg / Schlesien, in dem Yorcks Sohn Heinrich mit seiner Ehefrau lebte.

Dilthey an Adolf von Harnack 

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2 Das Erlösungswerk Christi betreffend. 3 Erwartung. 4 Scheinheiligkeit, Heuchelei. 5 Diogenes Laertius: Leben und Meinungen berühmter Philosophen. 2 Bde. Übers. und erläut. von O. Apelt. Hamburg 1921, ungek. Sonderausg. nach der 3. Aufl. Hamburg 1990. Hamburg 1998, Buch IX, S. 15 f.

[1043] Dilthey an Adolf von Harnack Berl[in] 16. Febr[uar] [1897]1 Lassen Sie mich, hochverehrter Herr College, ruhiger als mir heute früh im Gedränge um Sie her möglich war, meine Freude über Ihre herrliche Rede nochmals aussprechen.2 Welch große Sache auch nach außen für uns daß die Theologie jetzt an unsrer Univ[ersität] einen Vertreter des großen Styls hat wie nicht mehr seit Schleiermacher. Denn so erscheinen Sie mir, obwol ja in unsrer Ansicht neben entschiedensten Berührungspunkten auch erhebliche Differenzen obwalten. Um so objektiver möchte mein Gefühl sein. Besondren u. persönlichen Dank weiß ich Ihnen noch dafür daß Sie meiner u. m[einer] Abh[andlung] in so ehrenvoller Weise haben gedenken wollen.3

In treuer Gesinnung d[er] Ihrige Wilhelm Dilthey

Original: Hs.; StB PK Berlin, HA , Autograph Harnack, NL 217, 29, Bl. 1. 1 D. schreibt „[18]96“. 2 A. von Harnack: Philipp Melanchthon. Rede bei der Feier zum vierhundertjährigen Gedächtnis der Geburt Philipp Melanchthons gehalten in der Aula der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin am 16. Februar 1897, in: Reden und Aufsätze. Bd. 1, 1. Abtlg., 2. Aufl. Gieszen 1906, S. 171–191. 3 D.: Aus Eduard Zeller’s Jugendjahren, in: DRS 90 (Januar–März 1897), S. 280–295.

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Dilthey an Kurd Laßwitz 

[1044] Dilthey an Kurd Laßwitz1 Berlin, den 24. II. 1897. W[est] Burggrafenstr[aße] 4. Lieber Freund!2 Es ist lange, dass ich Sie nicht mehr sah, und ich habe es wirklich vermisst. Dann hätte ich Ihnen auch Vieles mündlich zu erzählen gehabt über Bemühung zuletzt in Rostock und deren Verlauf.3 Heute komme ich nun mit einer Anfrage anderer Art. Sie werden sicher gehört haben, dass die hiesige Akademie der Wissenschaften sich zu einer Kant­ ausgabe entschlossen hat. Es kommt nun der für diese Herausgabe eingesetzten Commission sehr darauf an, die inhaltlich so weit auseinanderstehenden Werke Kants von geeigneten Fachleuten herausgeben zu lassen, zumal da die Absicht besteht, die einzelnen Werke, wo es erforderlich erscheint, mit einigen über die wissenschaftliche Situation ihrer Entstehungszeit orientierenden Bemerkungen zu versehen. Für die Abhandlungen der vorkritischen Periode habe ich nun an Sie gedacht. Diese sollen in chronologischer Reihenfolge abgedruckt werden. Nicht in Ihr Arbeitsgebiet wird die Herausgabe der Naturgeschichte des Himmels und einiger mit ihr verwandter Abhandlungen fallen, da diese von einem Astronomen bearbeitet werden sollen. Hierbei möchte ich nun als die Arbeit des Herausgebers wesentlich erleichternd den Beschluss der Commission hervorheben, nach welchem ein Germanist jeden Bogen zuerst auf das Orthographische und Grammatische lesen soll und der Herausgeber den in dieser Beziehung völlig fertig gestellten Bogen empfängt und alsdann nur mit dem, was der Inhalt hinsichtlich der Interpunktion erfordert, und mit der eigentlichen Emendation4 zu thun hat. Ich denke eigentlich, dass diese Arbeit ganz in Ihrem Sinne sei, wenn Sie nicht etwa eine andere im Werk haben. Sobald ich von Ihnen vernehme, dass der Antrag im allgemeinen Ihnen genehm sei – und ich würde bitten, mich recht bald darüber zu informieren, da ich am Anfang der Ferien zu verreisen gedenke – würde ich Ihnen das Nähere mitteilen.

Mit herzlichen Grüssen der Ihrige Wilhelm Dilthey

Dilthey an Otto Benndorf 

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Original: Hs.; Diktat D.s von der Hand P. Menzers mit eigenhändiger Unterschrift D.s; FB Gotha, Chart. B 1962 a, 165. 1 Der Philosoph, Mathematiker, Physiker und Schriftsteller Kurd Laßwitz (1848–1910); Schüler D.s; ab 1876 Gymnasiallehrer in Gotha. 2 Darüber eine Notiz von der Hand Laßwitz’: „E[ein]g[e]h[en]d b[e]a[ntwortet] 1.3.“ – Ein Brief Laßwitz’ an D. vom 1. März 1897 ist nicht überliefert. 3 D. hatte sich mehrfach dafür eingesetzt, Laßwitz zu einer Professur zu verhelfen, da er dessen wissenschaftliche Arbeiten auf dem naturwissenschaftlich-philosophischen Gebiet sehr schätzte. 4 Verbesserung, Berichtigung.

[1045] Dilthey an Otto Benndorf 1 Berlin, den 26 Februar 1897 W[est] Burggrafenstr[aße] 4 Verehrter Freund! Da Sie nun seit einiger Zeit von Ihrer Reise, zu deren grossem Erfolg ich Ihnen meinen Glückwunsch sende[,] zurück sind, erlaube ich mir die Angelegenheit des Herrn Posonyi2 in Wien, welcher für die Ausgabe wertvolle Kantiana besitzt, Ihnen wiederum in Erinnerung zu bringen. Nicht blos weil die Akademie das Vergnügen hat, Sie zu ihren Mitgliedern zu zählen, sondern auch weil ich Ihnen einen erheblich grösseren Einfluss zutraue, habe ich Abstand davon genommen, Herrn Zimmermann3 zu bitten. Die Sache ist folgende: Bei Gelegenheit unserer im Interesse der Kantausgabe bei Autographenbesitzern angestellten Umfrage sind wir mehrfach auf Herrn Posonyi in Wien hingewiesen worden mit der ausdrücklichen Bemerkung, dass der genannte Herr sicher wertvolle Kantiana besitzt. Gleichzeitig sind wir aber darauf aufmerksam gemacht worden, dass eine Verhandlung mit dem genannten Herrn nicht eine so leichte wäre.4 Wir glaubten also, um nicht uns einer schroffen Zurückweisung seinerseits auszusetzen, erst Erkundigungen einziehen zu müssen, die uns auf den Weg hätten hinweisen können, den wir betreten müssen, um erfolgreich mit ihm zu verhandeln. Besonders wurde hervorgehoben, dass der genannte Herr Verhandlungen, wenn Sie von höheren Stellen kämen durchaus nicht abgeneigt sein würde. Bei dieser Sachlage richte ich nun an Sie die ergebenste Bitte, über Herrn Posonyi, wenn es Ihnen möglich ist, Erkundigungen einzuziehen oder aber,

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Dilthey an Lily Usener 

wenn Ihnen dies unthunlich scheinen sollte, mir eine Persönlichkeit namhaft zu machen, die Ihnen für unsere Absicht die geeignetste erscheint. Ich habe Anhaltspunkte dafür, dass der genannte Herr in Kreisen von Museumsbeamten nicht unbekannt ist. Sollten diese Erkundigungen Ihnen sogleich einen Weg gehbar erscheinen lassen, im Namen und Auftrag unserer Akademie ihn um die Benutzung seiner Kantiana zu ersuchen, schlagen Sie vielleicht denselben sogleich ein, ohne mich davon vorher zu benachrichtigen. Nun entschuldigen Sie die Behelligung, nehmen Sie im Voraus unseren Dank. Ich hoffe, dass es Ihnen gut geht, Sie werden gewiß auch gehört haben, welche schwere Sorge in bezug auf die Augen, wenigstens das eine beider Augen, über meinem Schwager Usener liegt. Karl5 geht es leidlich und er sinnt auf eine wissenschaftliche Reise.

Mit herzlichen Grüssen der Ihrige Wilhelm Dilthey

Original: Hs.; Diktat D.s von der Hand P. Menzers mit eigenhändiger Unterschrift D.s; ÖNB Wien, Sign. 639/28–2. 1 Der klass. Philologe und Archäologe Otto Benndorf (1838–1907), der seit 1877 o. Prof. in Wien war. 2 Alexander Posonyi (1838–1899): Wiener Antiquar und Autographensammler. 3 Robert von Zimmermann (1824–1898): Philosoph; 1849 PD in Wien, 1850 a. o. Prof. in Olmütz, 1852 o. Prof. in Prag, 1861 in Wien. 4 A. Posonyi wird ein „schrullenhaftes Betragen“ attestiert. – Vgl.: Österreichisches Biographisches Lexikon. Bd. 8. Wien (1981). 5 D.s Bruder.

[1046] Dilthey an Lily Usener Berlin, 26. Februar 1897. Meine liebe Lilli, Mit welchem Anteil sind unsre Gedanken bei euch, wie fühle ich insbesondere, was eine solche lange Enthaltung vom Gebrauch der Augen u. die notwendige Schonung für künftige Zeit bedeutet. Ich kann ja seit Jahren bei Licht

Dilthey an Lily Usener 

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nur weniges lesen, bin immer auf Vorlesen u. Diktiren angewiesen, aber ich habe doch auch erfahren, daß man sich in dieser Rücksicht einrichten kann. Daraus, daß Du diesen Brief wieder von andrer Hand empfängst, siehst Du, daß meine Augen immer noch selbst einen Brief zu schreiben nicht gestatten. Hierdurch, daß ich dies erwartete, ist denn auch mein Brief verzögert worden, welchen ich doch am liebsten gleich selbst geschrieben hättte, um dem l[ieben] Hermann meine Teilnahme über die Fortdauer der Erkrankung auszusprechen. Zugleich wollte ich die Nachricht einziehen, die Du wünschest, aber eben derselbe Stand meiner Augen hielt mich von allen gesellschaftlichen Zusammenkünften fern. Nur dies konnte ich erfahren von einem der Beteiligten, daß M. zunächst eine andre Idee hatte, dann aber auf die mit der größten Begeisterung für H. eingegangen ist.1 Man spricht eben bei solcher Gelegenheit von dieser u. jener Person, kommt dann aber der rechte Vorschlag, so macht er sich sogleich siegreich geltend. Ich bin aufs äußerste erschöpft, teilweise eben durch die Anstrengung, die Arbeiten zu fördern, ohne selbst die Augen viel zu gebrauchen, denn es ist in diesem Winter die zweite Attacke, beide Male Bindehautkatarrh. Die KantAusgabe machte viel zu schaffen, u. mehr Sorgen u. Unruhe als Freude. Mit fremdem Geld zu wirtschaften, ist nichts Einfaches. Die Sammlung des noch vorhandenen Materials, die ich ganz allein in der Hand hatte machte mir viele Freude. Nun aber kommt die Frage, wie Orthographie, Grammatik u. Interpunction in den Werken u. in den Handschriften zu behandeln sei. Es wäre mir recht interessant, Hermanns Ansicht darüber zu hören. In den Werken ist Setzer-Orthographie, in den Handschriften die äußerste Verwilderung. So haben wir uns zunächst dahin entschieden, die noch innerhalb der Schriften Kants liegende, sonach möglichst wenig anstößige u. doch noch den Zeitcharakter enthaltende Orthographie anzuwenden: als etwas von Kants Atmosphäre. Und zwar dies auch in den Handschriften, in denen die Verwilderung so groß ist, daß man sonst diese Schätze gar nicht zu benutzen imstande sein würde. Dagegen wollen wir alles, was der lebendigen Sprache angehört u. nicht bloßes Zeichen ist, beibehalten. Die Interpunktion, – bei Kant etwas Unbeschreibliches, in den Handschriften kaum so zu nennen – muß natürlich ebenfalls ergänzt werden um das Verständnis u. den Fluß des Lesens dem ungeübten Leser möglich zu machen. Im übrigen schließest Du richtig aus der Beschäftigung mit Schlegels u. Schleiermachers Plato,2 daß ich am II. Bande des Schleierm[acher] bin. Es ist langsam unter den angegebenen Umständen damit vorangegangen. Hat nicht auch für Hermann die Auffassung etwas Einleuchtendes, welche jetzt vielfach vertreten ist, daß Parmenides, Sophistes u. Politeia dem späten Plato angehören? Und daß sie eine neue, den Einwürfen angepaßte Fassung der Ideenlehre

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Dilthey an Hans Vaihinger 

enthalten? Mit dieser Auffassung in Bezug auf Parmen[ides] wird man dann freilich folgerichtig die verbinden müssen, daß der Parmen[ides] nicht zum Abschluß gelangt ist. Wie gern sähen wir euch in Wiesbaden, aber uns ist eine Reiseroute vorgeschrieben, die Käthe möglichst rasch u. ohne Aufenthalt in den Süden versetzt: so gehen wir nach Meran od[er] Bozen. U. nun euch allen die herzl[ichsten] Grüße von Deinem tr[euen] Bruder. Original: Hs.; Diktat D.s von der Hand A. Heubaums;3 ULB Bonn, Usener-NL , S 2102, 3, Nr. 54; ein maschinenschriftliches Transkript mit größeren Auslassun­gen ist hinterlegt in: StUB Göttingen, HA , cod. ms. W. Dilthey, 14 g, Nr. 27, Bl. 1–2. 1 Der offenbar diesem Brief vorausgegangene L. Useners an D. ist nicht überliefert. – Die gemeinten Personen und der Vorgang sind nicht mehr zu ermitteln. 2 F. D. E. Schleiermacher: Platons Werke. 5 Bde. in drei Theilen, 2. verb. Aufl. Berlin 1817–1828. – Ursprünglich hatten die Freunde F. Schlegel und F. D. E. Schleiermacher beschlossen, die Werke Platons gemeinsam zu übersetzen. F. Schlegels Beiträge blieben aus, und Schleiermacher begann ab 1802 die Arbeit allein durchzuführen und vollendete sie. 3 Alfred Heubaum (1863–1910): Pädagoge und Philosoph, Dr. phil., Hilfsarbeiter im preuß. Kultusministerium, später Schuldirektor; Heubaum war ein Schüler D.s und arbeitete für ihn.

[1047] Dilthey an Hans Vaihinger

Verehrter Herr College!

Berlin, den 27sten II. 1897 W[est] Burggrafenstr[aße] 4.

Das letzte Heft habe ich mit grossem Interesse gelesen.1 Ist Ihnen vielleicht bekannt, ob die Fräuleins Tieftrunk 2 noch in Halle leben oder wohin sie verzogen sind? Ich wollte wegen etwaiger Kantbriefe bei ihnen Anfrage halten. Mit herzlichen Grüssen der Ihrige Wilhelm Dilthey

Dilthey an Graf Paul Yorck von Wartenburg 

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Original: Hs.; Diktat D.s von der Hand P. Menzers mit eigenhändiger Unterschrift D.s; StUB Bremen, HA , Autograph XX1, 6: H, Nr. 8. 1 Vermutlich der Kant-Studien. 2 Vermutlich Nachfahren des Philosophen Johann Heinrich Tieftrunk (1759–1837), der 1792 o. Prof. in Halle wurde. Er war ein Anhänger Kants, bes. von dessen Religionsphilosophie, und ein Briefpartner Kants. 1797–1799 gab er in Halle die Ausgabe I. Kant: Vermischte Schriften in 3 Bänden heraus.

[1048] Dilthey an Graf Paul Yorck von Wartenburg [zum 1. März 1897] Treu gedenke ich heute, mein lieber Freund, ob ich gleich fern bleiben muß, was dieser Tag1 auch für meine Existenz geworden ist. Die beifolgende Beethovenmaske habe ich bei Stumpf gesehen: die Originalmaske wurde über Beethovens Kopf als er im Wirthshaus saß gemacht: danach habe ich mir in Wien für Sie einen Abguß machen lassen. Möge sie Ihnen Vergnügen machen. Unter allen Wünschen, die man heut etwa für Sie noch hegen könnte, ist mir der nächste, daß die kommenden Jahre die Niederschrift Ihrer Gedanken bringen mögen die Sie der Welt schulden. Original: nicht überliefert; Erstdruck: BDY, Nr. 146. 1 Graf Paul Yorck von Wartenburg hatte am 1. März Geburtstag.

[1049] Dilthey an Graf Paul Yorck von Wartenburg   Mein lieber Freund,

Berlin, den 7. März 1897

Meinem neulichen sehr eiligen Geburtstagsbrief sende ich nun diese behaglicheren Zeilen nach, für welche Clara mein Sekretär ist.1 Gestern waren die Sitzungen über die Ausgabe Kants, durch welche nunmehr diese Periode von Arbeit, zumal des letzten Winters, abgeschlossen ist. Ich darf mit Befriedigung

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Dilthey an Graf Paul Yorck von Wartenburg 

darauf zurücksehen. Aus über ganz Deutschland, hoffnungslos, wie es schien, zerstreuten Fetzen Kantischer Handschriften wird ein Bild der menschlichen und wissenschaftlichen Entwicklung und Art Kants entstehen, welches dem wilden Hypothesenmachen des letzten Menschenalters ein Ende macht und den Blick in die Entwicklung eines philosophischen Genies doch in höherem Grade ermöglicht, als es der Nachlaß von Leibnitz thut, der etwas von absichtlichem Versteckenspielen trotz aller Fülle bemerken läßt, und zudem in der Akademieausgabe schändlich schlecht ediert ist.2 Sieht man davon ab, daß Goethe noch mehr war als Kant, so greift die Leistung dieser Ausgabe tiefer als die der Goetheausgabe. Ich bin aber auch von dem Zusammen der Amtsgeschäfte der Kantausgabe und elender Versuche, mit dem Schleiermacher weiter zu kommen, die ich nunmehr als Trümmer abreisend zurücklasse, so erschöpft und elend, daß ich den Sommer jedenfalls nicht lesen werde, da ich diese fortgehende Arbeitspannung nicht länger aushalte. Es läßt sich wohl machen. Verantwortlich fühle ich mich an der Universität nur für die Geschichte der Philosophie, wie ich bei Paulsens Beförderung3 Althoff rundweg erklärt habe. Diese hat nun Stumpf den Sommer gern einmal lesen wollen. Ich selbst hatte die Logik übernommen und überlasse diese nun anderen. Bei dieser Einrichtung ist es mir der weitaus am meisten angenehme Gedanke, daß meine Frau und ich hierdurch Freiheit zu einem endlichen behaglichen Wiedersehen in Kleinöls, und wir beide zu dem lang ersehnten Austausch unsrer wissenschaftlichen Gedanken in dem Park, zwischen den Feldern und in der Turmstube, erhalten. Wir werden Ende dieser Woche abreisen, nach Bozen, Meran gehen und etwa sechs Wochen ausbleiben. Dann habe ich hier laufende Geschäfte zu erledigen, was gewiß nicht mehr als vierzehn Tage beansprucht, danach bin ich dann für Kleinöls bereit und es wäre sehr schön, könnten Sie dann uns beide dort gebrauchen. Ich würde dann die Trümmer der Platokapitel mitbringen, welche zusammen mit Ihrem Heraklit Stoff zu den schönsten tiefersehnten Gesprächen darbieten würden. So sei denn auch, was ich alles Neues über Plato gefunden zu haben glaube, bis auf diese Gespräche verspart. Wenn Sie nicht es noch schöner machen und wir uns vorher schon in ­Bozen, Meran finden. Ich bleibe dabei, daß das für Ihre Gesundheit absolut notwendig ist, und Sie gegen sich selbst nicht billig handeln, wenn Sie es anders machen. … Ich füge heute nichts weiteres hinzu. Über die Lage, welche dem Schiffbruch unausweichlich entgegen treibt, sage ich nichts. Die bevorstehende Feier Wilhelms des Großen4 ist durch die Art ihrer Inauguration allen Gutdenken­ den verbittert. Gesprochen habe ich lange mit niemandem, da ich so lange durch meine Augen von jeder Gesellschaft abgesperrt gewesen bin.

Graf Paul Yorck von Wartenburg an Dilthey 

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Original: nicht überliefert; Erstdruck: BDY, Nr. 147. 1 D.s älteste Tochter Clara schrieb häufig für ihren Vater Briefe und Manuskripte. 2 Die Hg. von BDY merkt an: „Die Leibnizausgabe von Gerhardt hatte sich einiger Unterstützung von Seiten der Akademie zu erfreuen und wurde daher häufig ‚Akademieausgabe‘ genannt.“ – C. I. Gerhardt (1816–1899): Mathematiker; Leibniz-Forscher und Herausgeber von Werken desselben; 1837 Promotion in Berlin, Gymnasiallehrer. – Ders.: Die philosophischen Schriften von Gottfried Wilhelm Leibniz. 7 Bde. Berlin 1875–1890; Hg. von C. I. Gerhardt. – Ders. (Hg.): Leibnizens mathematische Schriften. 7 Bde. Berlin und Halle 1849–1863. – Um die Wende des 19./20. Jh. hat die Berliner AdW, auch durch die Initiative D.s, eine Akademieausgabe der Werke und Briefe Leibniz’ in Angriff genommen. 3 F. Paulsen wurde 1894 in Berlin zum Ordinarius für Philosophie und Pädagogik ernannt. 4 Am 22. März 1897 war der 100. Geburtstag von Kaiser Wilhelm I. (1797–1888), damals auch „Wilhelm der Große“ genannt.

[1050] Graf Paul Yorck von Wartenburg an Dilthey Klein-Oels den 8. III. [18]97.   Lieber Freund. Nur wenige Worte herzlichen Dankes. Ihnen, Ihrer verehrten Frau, K ­ lärchen, Max, müßte ich recht herzlich dankend antworten. Aber mit dem Sitzen und in Folge dessen mit dem Schreiben geht es wieder einmal schlecht. Auch mein Arbeiten habe ich sistiren1 müssen, was für mich einiger Maßen hart ist. So wird Gespräch eine besondere Wohlthat sein. Ich freue mich außerordentlich Ihrer Zusage mit Ihrer Frau nach dem alten Oels zu kommen. Bis zum 1. August bin ich hier. Dann will ich dem Drängen der Meinen und von ärztlicher Seite nachgeben und Höhenluft aufsuchen. Ich habe zwar keinen Glauben an wiederherstellende Wirkung, aber will nicht eigensinnig erscheinen. Jetzt kann ich keine Reise unternehmen. Wirthschaftlich bin ich im Momente nicht abkömmlich. Da ich nicht schreiben kann, lese ich. Die Stoa umfaßt doch die merkwürdigsten Nuancen. Die typischen Merkmale sind ja leicht zu fassen. Das feine Adergeflecht schwieriger zu verfolgen. Scheinbar Peripherisches, wie die Termini, höchst bezeichnend, aber mühsam aufzufinden. Das betreffende Capitel des Laertius Diogenes2 das Wüsteste, was dieser todte Compilator geschrieben. Sextus Empiricus3 auch eine schreckliche Lektüre. Es lebe der alte Zeller, der als litterarischer Statistiker und mit seinem

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Dilthey an Kurd Laßwitz 

bon sens große Verdienste hat. Als echter Theologe giebt er nur intellektuelle Dogmengestalten, diese aber rational geprüft und geordnet. Wie komme ich auf die Stoa? Von der Frage her: warum war Heraklit für die Stoa verwerthbar? Wie konnte z. B. Sextus Heraklits Fragmente mit stoischem Referate umhüllen? stoisch alteriren?4 Sehr bedeutsam daß Zeno5 semitischen Blutes war. Könnte ich nur sitzen und arbeiten. So bleibt Alles Gesprächsstoff oder beschwiegen. Also wann Sie kommen, stehen Thüren und Arme offen. Sagen Sie meinen herzlichen Dank den Ihren. Clärchen hat mir so gut geschrieben aus ihrem festen und treuen Gemüthe. Dem guten Kind wünscht ihr alter Freund das schönste Lebensglück. Max hat mich in seine Interessen hineinsehen lassen und dem elektrotechnisch Unkundigen imponirt. Seine Begabung nach dieser Richtung hin scheint mir ausgesprochen. Die Welt ist eine andere geworden. Man kommt sich im Platonischen Sinne als Stasirtes6 vor in Mitten des Flusses und der Unruhe dynamisch-mechanischer Bewegung. – Und nun zum Schlusse die besten Wünsche für Ihre Reise und auf ein fröhliches Wiedersehen am heimathlichen Orte! … [Briefschluss fehlt.] Original: nicht überliefert; Erstdruck: BDY, Nr. 148. 1 Unterbrechen, vorrübergehend einstellen. 2 Diogenes Laertius, griech. Schriftsteller, dessen um 220 nach Chr. geschriebene Geschichte der Philosophie zehn Bücher umfasst. 3 Sextus Empirikus (2. Jh. n. Chr.): Arzt und Philosoph in Alexandria und Rom, der einen empirischen Standpunkt vertrat und gegen den Dogmatismus kämpfte. 4 Verändern. 5 Zenon (Zeno) aus Elea (490–430 v. Chr.): Schüler des Parmenides; Aristoteles soll Zeno den „Erfinder der Dialektik“ genannt haben. 6 Stehengebliebenes, Stockendes.

[1051] Dilthey an Kurd Laßwitz Berlin, den 10ten III 1897. Lieber Herr College! Empfangen Sie meinen besten Dank für Ihre freundliche Bereitwilligkeit, mit welcher Sie Ihre bewährte Arbeitskraft der Kantausgabe zur Verfügung stellen.

Dilthey an Kurd Laßwitz 

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Ich erlaube mir nun heute, Ihnen inliegend den zwischen Ihnen und der Akademie abzuschliessenden Vertrag zuzusenden.1 Ihrem Wunsche gemäss will ich Ihnen aber noch nähere Mitteilungen über die bevorstehende Arbeit machen. Was den Umfang derselben anbetrifft, so würde Ihnen die Herausgabe der vorkritischen Schriften zufallen. Ausgenommen sind die Naturgeschichte und Theorie des Himmels nebst den inhaltlich mit ihr und der astronomischen Theorie Kants zusammenfallenden Abhandlungen. Dieselben werden Herrn Dr. Rahts in Königsberg (Assistent an der Sternwarte) übertragen werden. Ich werde nun den genannten Herrn bitten, direct mit Ihnen in Correspondenz zu treten und sein Arbeitsgebiet Ihnen gegenüber abzugrenzen. Ich hoffe, dass eine Einigung zwischen Ihnen und Herrn Rahts so leicht herbeigeführt werden wird. Um nun auf die weitere Frage nach Ihrer speciellen Aufgabe einzu­gehen, so ist die Arbeit des Herausgebers wesentlich dadurch erleichtert, dass ein Germanist die orthographische Durchsicht der ganzen Ausgabe übernehmen soll. Erst wenn der Germanist die einzelnen Bogen durchgesehen hat, wird Ihnen derselbe zugesandt werden. Der Bogen wird Ihnen also gedruckt und corrigiert vorliegen. Ihnen fiele dann nur noch die Aufgabe zu, den Inhalt zu prüfen und etwa nötige Verbesserung in bezug auf diesen und die Interpunktion herzustellen. Die Arbeit ist also dann nicht mehr eine allzu grosse. Was nun die von dem Herausgeber anzufertigenden Anmerkungen betrifft, so sollen diese möglich kurz sein. Dann aber sollen in ihnen Angaben über die vorliegenden Drucke, Erscheinen der vorliegenden Abhandlung etc. enthalten sein. Schliesslich soll der Leser – natürlich auch in aller Kürze – über den damaligen Stand der wissenschaftlichen Frage, welche eine bestimmte Abhandlung zum Gegenstande hat, informiert werden und gleichzeitig soll hervor­ gehoben werden, in welcher Weise nun die betreffende Abhandlung in die vorher charakterisierte Frage und ihre Lösung eingreift. Indem ich die Hoffnung ausspreche, dass diese Mitteilungen Ihren aus­ gesprochenen Wünschen genügen und Ihre Billigung finden, bitte ich Sie, da ich diese Angelegenheit noch vor meiner am Sonnabend erfolgenden Abreise erledigen möchte, mir den Vertrag mit der unter denselben geschriebenen Erklärung, dass Sie denselben billigen, möglichst bald gütigst zurücksenden zu wollen.

Mit meinen besten Grüssen der Ihrige W. Dilthey2

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Dilthey an Hans Delbrück 

Original: Hs.; Diktat D.s von der Hand P. Menzers mit eigenhändiger Unterschrift D.s; FB Gotha, Chart. B 1962 a, 167–168. 1 Nicht beigelegt.  – Der Vertrag zwischen der Königl. Preuß. AdW zu Berlin und K.  Laßwitz vom 14. Februar 1897  – unterschrieben von dem vorsitzenden Sekretar der AdW H. Diels und K. Laßwitz ist hinterlegt in: ABBAW, Bestand PAW (1812–1945), Sign. II-VIII-153, Bl. 79–80. 2 Im Brieforiginal: darunter einige Notizen von der Hand Laßwitz’: „N 1: Vorkritische Schriften zu erläutern als die von Kant selbst herausgegebenen [–] Schriften bis zum Jahre 1770 excl[usiv]. Ausgenommen die Theorie des Himmels und die zur physischen Geo­ graphie gehörigen Schriften. [–] N 2: statt ‚übernimmt die Verpflichtung‘: ‚wird sich bemühen‘. Die Feststellung des Textes ist doch den Philologen insofern […].“

[1052] Dilthey an Hans Delbrück1

Sehr geehrter Herr College!

Berlin, d[en] 11. März 1897 W[est] Burggrafenstr[aße] 4.

Ich weiß nicht, ob ich den Artikel über Evolution u Geschichte, so wie manchen anderen Ihrer Zeitschrift Ihrer Freundlichkeit verdanke. Für diesen Fall bitte ich, meinen ergebensten Dank dafür entgegen zu nehmen, sollte aber Herr Dr. Cartellieri2 ihn mir übersandt haben, so haben Sie wohl die große Freundlichkeit, ihm meinen Dank zu übermitteln. Es ist wirklich ein Verdienst, daß jemand mit dem Schwindel aufgeräumt hat, den Herr Benjamin Kidd3 mit seiner angeblichen Verbindung von Evolutionslehre u. Christentum treibt. Indem ich Ihnen von Herzen ruhige u. angenehme Ferien wünsche, bin ich in ausgezeichneter Hochachtung der Ihrige

Wilhelm Dilthey

Original: Hs.; Diktat D.s von der Hand Katharina D.s mit eigenhändiger Unterschrift D.s; Postkarte: ThULB Jena, Cartellieri-NL , unpaginiert. 1 Hans Delbrück (1848–1929): Historiker und Politiker; 1873 Promotion, 1874–1879 Erzieher des preuß. Prinzen Waldemar (1889–1945), 1881 Habilitation, 1885 a. o., 1895 o. Prof. in Berlin als Nachfolger des verstorbenen H. von Treitschke; 1884 Mitglied des Reichstags, 1885 Mitglied des Abgeordnetenhauses; seit 1883 Mithg. der PJ, ab 1897 alleiniger Hg. der PJ.

Dilthey an Wilhelm Schuppe 

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2 Alexander Cartellieri (1867–1955): Historiker; 1891 Promotion in Berlin, 1899 Habilitation in Heidelberg, 1902 a. o., 1904 o. Prof. in Jena. – A. Cartellieri: Evolution und Geschichte, in: PJ 87 (Januar–März 1897), S. 199–222. Es handelt sich um eine Besprechung von B. Kidd: Soziale Evolution. Aus dem Englischen übers. von E. Pfleiderer. Jena 1895. 3 Benjamin Kidd (1858–1916): brit. Soziologe; Sozialdarwinist.

[1053] Dilthey an Wilhelm Schuppe1

Verehrter Herr College!

Berlin, d[en] 11. März 1897 W[est] Burggrafenstr[aße] 4.

Eben da ich das Heft mit Ihren beiden Abhandlungen2 einpacke, um es auf der Reise endlich zu lesen, bemerke ich, daß ich Ihnen für dessen Übersendung meinen Dank wohl noch nicht abgestattet habe. Indem ich dies jetzt thue, behalte ich mir vor, nach der Lektüre über die von Ihnen behandelte Grundfrage der Philosophie mich näher mit Ihnen auszusprechen. Denn ich sollte doch denken, daß bis auf einen gewissen Punkt eine Verständigung zwischen uns erreichbar sein müßte. Für Ihre Zeitschrift3 werde ich gern, wenn ich einmal etwas dafür geeignet finde, Ihnen einen Beitrag geben. Sie können denken, daß ich zunächst für das Archiv verpflichtet bin.4

Mit den besten Grüßen der Ihrige Wilhelm Dilthey

Original: Hs.; Postkarte; Diktat D.s von der Hand Katharina D.s mit eigenhändiger Unterschrift D.s; Universität Krakau, Handschriften-Archiv, ohne Signatur und unpaginiert. 1 Der Philosoph Wilhelm Schuppe (1836–1913), der seit 1873 als o. Prof. in Greifswald lehrte. 2 W. Schuppe: Die immanente Philosophie, in: Zeitschrift für immanente Philosophie 2, Heft 1 (1897), S. 1–35. – Ders.: Die immanente Philosophie und Wilhelm Wundt, in: ebd., S. 51–79. 3 W. Schuppe gab 1895–1898 die Zeitschrift für immanente Philosophie heraus. 4 D. war Mitherausgeber des Archivs für Geschichte der Philosophie.

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Dilthey an Kurd Laßwitz 

[1054] Dilthey an Kurd Laßwitz Berlin, den 14. III 1897 W[est] Burggrafenstr[aße] 4. Lieber Freund!1 Besten Dank für die freundliche Annahme im ganzen. Gemeint ist aber unter „vorkritischen Schriften“ die Schriften Kants bis zum Jahre 1781 excl[usiv]. Natürlich werden die in diese Zeit fallenden lateinischen Schriften von einem Altphilologen in bezug auf das Sprachliche durchgesehen werden, so dass auch in dieser Beziehung die Arbeit erleichtert wird. Wenn Sie dann vorschlagen, an die Stelle der Worte „übernimmt die Verpflichtung“ die Worte „wird sich bemühen“ zu setzen, so muss ich leider hervorheben, dass die Kantcommission im Interesse der Vollendung der Ausgabe sich zu einer solchen Änderung kaum entschliessen darf. Da die Absicht besteht, die vorkritischen Schriften zuerst zu drucken, würde eine Unsicherheit in bezug auf die rechtzeitige Fertigstellung derselben die ganze Ausgabe der Werke in Frage stellen, ein Zustand, der unter allen Umständen vermieden werden muss. Ich hoffe, dass Sie sich doch noch entschliessen zu den vorgeschlagenen Bedingungen und dem so etwas weiter gefassten Umfang der Arbeit, als Sie es vorschlugen, die Arbeit zu übernehmen. Ich erwarte sicher, dass Sie, sobald Sie erst einmal ein einzelnes Werk in Angriff genommen haben, sogleich bemerken werden, wie gering die Anforderungen sind, welche die vorgeschlagene Arbeit an Ihre Arbeitskraft stellt. Natorp2 hat eine noch umfangreichere Arbeit neben seinen sonstigen Geschäften zu dem angegebenen Termin übernommen. Wollen Sie also freundlichst thunlichst bald in die beabsichtigte Fertigstellung der „Schätzung der lebendigen Kräfte“ hineingehen, dann wird sich Ihnen ja herausstellen, inwieweit Sie die Arbeit übernehmen können. Geht es absolut nicht, dann müssen wir noch mehr von Ihrem Anteil abzweigen, aber für das, was Sie übernehmen, muss ein bestimmter Termin fixiert werden wie auch mit den anderen Herausgebern geschieht. In bezug auf die Bearbeitung der Lesarten teile ich Ihnen mit, dass solche nur in ganz geringem, ja verschwindendem Umfange vorhanden sind. Auch hier wird natürlich der Germanist die Vorarbeiten liefern müssen, aber da die Lesarten naturgemäss auch häufig Veränderungen des Inhalts enthalten, so muss auch der Herausgeber dieselben einer Durchsicht unterziehen. Aber noch einmal: ihre Zahl ist sehr gering!

Dilthey an Kurd Laßwitz 

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Ich füge noch e[inen] persönl[ichen] Gruß hinzu u. freue mich Ihre[r] hoffentlich zu erwartenden Theilnahme an dem Unternehmen. Sie mach[en] sich zu viel Skrupel! Mit herzl[ichem] Gruß d[er] Ihrige Dilthey P. S. Die „Träume eines Geistersehers“ könnte ganz wohl Kehrbach3 Ihnen abnehmen, wenn diese Ihnen zu viel werden. Die Hauptsache bleibt doch, dass die naturwissenschaftlichen Schriften, ausgenommen das astronomische und geographische Gebiet in eine[r] Hand bleiben, da dadurch die Arbeit erheblich verringert wird, so möchte ich auch glauben, dass Sie die „Metaphysischen Anfangsgründe der Naturwissenschaft“ am besten herausgeben würden. Sollten Sie das nicht wollen, so schlagen Sie mir vielleicht eine andere dafür geeignete Persönlichkeit vor, da mir niemand beifallen will. Wenn Sie ferner wünschen sollten, dass die „nova dilucidatio“ und „de mundi sensibilii atque i­ntelligibilis forma“ etc aus Ihrem Arbeitsgebiet ausgeschlossen würden, so werde ich ­Adickes4 darum angehen. Vielleicht haben Sie die Güte sich darüber zu äussern. Original: Hs.; Diktat D.s von der Hand P. Menzers. Der letzte Abschnitt des Briefes und die Grußformel sind von der Hand D.s; FB Gotha, Chart. B. 1962 a, 169–170 R. 1 Im Brieforiginal über der Anrede von der Hand Laßwitz’: „Zugesagt mit Vorbehalt, die Zuziehung weiterer Kraft zu beantragen. 16. 3. [18]97.“ 2 Der Philosoph und Pädagoge Paul Natorp (1854–1924), seit 1893 o. Prof. für Philosophie und Pädagogik in Marburg. – Natorp war einer der Herausgeber der Werke Kants im Rahmen der Akad.-Ausg. 3 Der Germanist Karl Kehrbach (1846 oder 1848–1905). 4 Der damalige Kieler Oberlehrer Dr. E. Adickes hatte am 17. Februar 1896 einen Vertrag für die Dauer von zwei Jahren mit der „Königlichen Akademie der Wissenschaften in Berlin“ geschlossen, in dem er sich zur Herausgabe von Texten aus Kants handschriftlichem Nachlass verpflichtete. Vonseiten der Akademie wurde der Vertrag von dem Astronomen Arthur von Auwers (1838–1915) unterzeichnet, der seit 1878 Sekretar der physik.-math. Klasse der AdW zu Berlin war.

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Dilthey an Ferdinand Tönnies 

[1055] Dilthey an Ferdinand Tönnies1

Hochgeehrter Herr College!

Berlin, den 15. III. [18]97 W[est] Burggrafenstr[aße] 4

Nehmen Sie meinen ergebensten Dank für die freundliche Übersendung Ihrer Schrift über Nietzsche,2 welche ich mit dem grössten Vergnügen gelesen habe. Sie haben in der würdigsten Weise und mit wissenschaftlich durchschlagenden Gründen den Nietzschecultus widerlegt und zugleich doch das Bedeutende in Nietzsche schön zur Geltung gebracht, seine Entwicklungsgeschichte zum ersten Male sehen lassen.

In aufrichtiger Hochschätzung der Ihrige Wilhelm Dilthey

Original: Hs.; Diktat D.s von der Hand P. Menzers mit eigenhändiger Unterschrift D.s; UB Kiel, HA , Tönnies-NL , Cb 54. 56: 01. 1 Ferdinand Tönnies (1855–1936): Philosoph und Soziologe; 1877 Promotion, 1881 Habilitation in Kiel, 1909 a. o., 1913 o. Prof. ebd. 2 F. Tönnies: Der Nietzsche-Kultus. Eine Kritik. Leipzig 1897.

[1056] Dilthey an Hans Vaihinger

Verehrter Herr College!

Berlin, den 15ten III 1897 W[est] Burggrafenstr[aße] 4.

Besten Dank für Ihre freundliche Bemühung um Tieftrunk! Den Kant­studien haben Sie ja verstanden ein sehr lebendiges Interesse zu geben. Die Abhandlung von Adickes hat mich natürlich sehr interessiert, doch bin ich nicht der Meinung, dass Sie und Erdmann durch seine Entwicklungsgeschichtliche Ansicht widerlegt seien.1 Im Grunde hängt doch alles davon ab, wie man das Verhältnis des Lebenswerkes von Kant zu dem älteren Rationalismus auffasst. Da bleibe ich nun dabei, dass durch seinen Satz von der Correlation von Stoff und Form ein

Dilthey an Hans Vaihinger 

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über diesen Rationalismus hinausreichender, viel höherer Standpunkt gewonnen worden ist, welcher auch heute nur einer psychologischen Fortbildung bedarf. Der gegenwärtige Empirismus widerlegt Kant doch nicht. Von dieser Stellungsnahme, ob man Empirist ist und in Kant nur eine Erneuerung des alten Rationalismus sieht oder in der lebendigen Vermittlung dieses in der Geschichte der Philosophie fortschreitenden Gegensatzes das Ziel sieht und ihm dabei seine Stellung anweist, – das entscheidet doch über die ganze Auffassung der Entwicklung Kants, nicht natürlich über die einzelnen konkreten Thatsachenfragen. Ich würde mich nun sehr freuen, wenn Sie an dem Unternehmen, in welchem Sie für das Centrum sich nicht entschliessen konnten, doch durch Teilnahme an der Edition der Werke einen Anteil behielten. Ich denke an folgende Möglichkeiten, das liebste wäre mir, wenn Sie die Abhandlungen nach 1781 übernehmen könnten, welche in chronologischer Ordnung herausgegeben werden. Sonst aber wären noch zu vergeben, wenn Ihnen das Ganze zuviel wäre: „Zum ewigen Frieden“ und „Streit der Facultäten.“ Aber das Wichtigste bleiben doch die Abhandlungen und wenn Sie sich nicht dazu entschliessen könnten, das Ganze zu übernehmen, so würde sich vielleicht eine Teilung der Arbeit zwischen Ihnen und einem anderen Mitarbeiter ermöglichen lassen. Hierüber darf ich wohl Ihren Vorschlägen entgegensehen. Etwas lange über Kritik der Urteilskraft Gehegtes, wenn es nicht etwa für die Rundschau geeignet wird, habe ich für die Kantstudien im Sinn. Herr Dr. Menzer der Ihnen dieser Tage seine Dissertation sendet, ist mit der erneuten Durcharbeitung seiner damaligen Preisschrift beschäftigt und wird sich dann an Sie mit der Frage wenden, ob Sie diese Arbeit für die Kantstudien geeignet finden,2 woran ich nach meiner Kenntnis derselben nicht zweifle.

Mit bestem Gruss der Ihrige Wilhelm Dilthey

Original: Hs.; Diktat D.s von der Hand P. Menzers mit eigenhändiger Unterschrift D.s; StUB Bremen, HA , Autograph XXI, 6: h, Nr. 9. 1 E. Adickes: Die bewegenden Kräfte in Kants philosophischer Entwicklung und die beiden Pole seines Systems, in: Kant-Studien 1 (1897), S. 9–59, 161–196 und 352–415. 2 P. Menzer: Der Entwicklungsgang der kantischen Ethik bis zum Erscheinen der Grundlegung der Metaphysik der Sitten (I. Teil). Diss. Berlin 1897. – Die Arbeit wurde von der Philos. Fakultät Berlin preisgekrönt. – Veröffentlichung unter dem Titel: Der Entwicklungsgang der Kantischen Ethik in den Jahren 1760–1785, in: Kant-Studien 2 (1897/98), S. 290–322, und Kant-Studien 3 (1898/99), S. 41–104.

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Dilthey an Kuno Fischer 

[1057] Dilthey an Kuno Fischer Ew. Excellenz darf ich noch nachträglich meine treu ergebenen Glückwünsche senden. In dem diesmal außergewöhnlichen Gedränge der Geschäfte am Schlusse des Semesters entging mir die Notiz über das Bevorstehen des schönen Jubiläums das Sie begangen haben.1 Wie gern gedenke ich der Heidelberger Zeiten u. der Einführung in die Philosophie durch Ihre hinreißenden Vorlesungen. Sie haben mich der Geschichte der Philosophie zugeführt, u. wenn ich in diesen Beschäftigungen stets das reinste Glück gefunden habe, so bin ich Ihnen meinen erneuten Dank dafür schuldig. Die Vertiefung in die Geistesverfassung der Systeme, wie ich sie in Ihren Vorlesungen genoß u. jetzt wieder an Ihrem Schopen­hauer2 bewundere, die künstlerische Vorstellung dieser Geistesverfassung derselben: welcher von Ihren Schülern könnte das je vergessen? Sie fragten nach dem Kantschen Briefwechsel bei Reicke.3 R[eicke] ist seit Jahren kränklich, zuletzt war er jetzt durch eine Lungenentzündung bedroht. Vor meiner Abreise war er nun mit Heintze (der die Vorl[esungen] edirt) und Adickes (der die Handschriften herausgiebt) in Berlin. Was ich konnte habe ich angewandt: er ist nun von allen Geschäften entbunden im Interesse der Briefedition, jede wünschbare Mithilfe ist ihm gewährt, an die Vervollständigung seiner Briefsammlung habe ich selber eine große Arbeit gesetzt: u. so hoffe ich daß nun rasch die Publikation möglich sein wird u. so noch Ihnen zu Statten komme. Mich selbst haben die Geschäfte, Verhandlungen u. Arbeiten des großen Unternehmens im Winter aufs äußerste angestrengt. Ich bin hierher nach Bozen geflohen, um an dem 2ten Th[eil] des Schleiermacher eine Zeit durch ruhig zu arbeiten. Mit den treuesten Wünschen für Ihre Gesundheit u. die so wichtige Arbeit am Hegel4 in größter Verehrung u. Dankbarkeit der Ihrige Wilhelm Dilthey Gries b[ei] Bozen 24 März [18]97. Original: Hs.; UB Heidelberg, HA , Hs. 2610.

Dilthey an Ernst und Maria von Wildenbruch 

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1 Das 50jährige Doktor-Jubiläum K. Fischers. – Das Thema seiner Hallenser Dissertation aus dem Jahre 1847 lautete: De Parmenide Platonico. Die Arbeit wurde 1851 in Stuttgart veröffentlicht. 2 K. Fischer: Schopenhauers Leben, Werke und Lehre (= Geschichte der neuern Philosophie. Bd. 9). Heidelberg 1897. 3 Ein vorausgegangener Brief K. Fischers an D. ist nicht überliefert. 4 K. Fischer: Hegels Leben, Lehre und Wirken (= Geschichte der neuern Philosophie. Bd. 8 in 2 Thlen.). Heidelberg 1901.

[1058] Dilthey an Ernst und Maria von Wildenbruch Liebe Freunde,

Gries bei Bozen, 2. 4. 18971

lebhaft gedachte ich hier auf Runkelstein2 Ihrer Erzählungen über das herr­ liche Schloß u. so sende ich Ihnen von hier den ersten Gruß. Wäre meine Frau dabei, so würde sie sich gewiß anschließen. Des Erfolgs Ihres Festspiels3 haben wir uns sehr gefreut. Es geht mir hier gut, ich erhole mich freilich nur sehr langsam von der Überlast des Winters, u. noch ist es wenig mit der Arbeit geworden. Herzlichen Dank für Ihre Freundlichkeit gegen das Trifolium.4

M[it] herzlich[em] Gruß W. Dilthey

Original: Hs.; Ansichtskarte von Burg Runkelstein; GSA Weimar, 94/169,10. 1 Datierung nach Poststempel. 2 Mittelalterliches Schloss oberhalb des Sarntals in Südtirol, das im 14. Jh. mit Fresken ausgemalt wurde. 3 E. von Wildenbruch war aufgefordert worden, zur Feier des 100. Geburtstags des Kaisers Wilhelm I. am 22. März 1897 ein Festspiel zu schreiben. So entstand die „dramatische Legende in vier Bildern“: Willehalm. Berlin 1897. – Vgl. hierzu Litzmann, Bd. II, S. 183 f. 4 Dreiblatt; gemeint sind vermutlich D.s drei Kinder.

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Dilthey an Graf Paul Yorck von Wartenburg 

[1059] Dilthey an Graf Paul Yorck von Wartenburg   Mein lieber Freund,

Brixen (Ende April 1897.)1

Über sechs Wochen bin ich nunmehr unterwegs, wir haben erst über Gries in einer hochgelegenen Pension gesessen, dann ein paar Tage im herrlichen Waydbruck, nun in Brixen, und Morgen geht es langsam über den Brenner heimwärts. Ich habe mit Vorsicht Molken getrunken, Karlsbader nach zwei Gläsern fortgelassen und doch hat es mir meine Herzbeschwerden sehr vermehrt: allerdings wie ich glaube weil die Hitze zu groß war: vielleicht bin ich auch etwas zu viel gelaufen und gestiegen. Besser ging es mit der Arbeit. Als ich Berlin verließ: geschah es unter einem Trümmerhaufen von Plato-Schleiermacher. Ich mußte diese wichtige, aber furchtbar schwere Parthie meiner Arbeit unvollendet hinter mir liegen lassen. Zu viel Bücher waren dazu nothwendig. Ich nahm denn die systematischen Schriften Schleiermachers mit, um die zwei letzten Bücher des Bandes: Schleiermachers System als Philosophie und als Theologie anzufangen zu schreiben. Wochen lang Chaos. Gedanken über seine Entwicklung niedergeschrieben. Ethik und Dogmatik als Mittelpunkt in ihrem Verhältniß zu einander, nach alten Gedanken, die zu Ende gedacht wurden. Dann fing ich definitiv zu schreiben an, und bin mit dem schwersten Stück Arbeit, der Dialektik, bald fertig. Die Ethik ist von mir so viel erwogen und ist so leicht daß sie nicht viel Arbeit machen wird. Die angewandten Fächer, Politik, Ästhetik, sind schon schwerer, so weit ich sehe. Über die Dogmatik und christliche Ethik reden wir hoffentlich wenn wir uns wiedersehen recht viel. Mein Hauptgedanke steckt am Schluß des Aufsatzes in den preußischen Jahrbüchern. Christliche Religiosität ist eine geschichtliche Entwicklung der europäischen Religiosität. Sie darf nicht an den Anfang festgebunden werden: Die Katholicität des 12. und 13. Jahrhunderts war über diesen hinaus ein Fortschritt, die Reformation eben so über diese Stufe hinaus. Ebenso das transscendentalphilosophische Zeitalter Beginn neuer Entwicklung. Die christliche Kirche kann als Protestantismus nur bestehen, indem sie diesen progressiven Zug in der Entwicklung der christlichen Religiosität ohne Rücksicht auf den Anfangspunkt durchführt. Gerade in der Fülle großer religiöser Gestalten, welche das Christenthum hervorgebracht hat, in der Fülle von religiösen Schriften, Theologie, Bildern, Musik, Sitte und Cult aller Art, wie der europäische Boden bedeckt ist mit diesem Allem, wie es uns als Atmosphäre überall umgiebt: liegt die Macht, welche das Christenthum erhält.

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Dilthey an Gustav von Schmoller 

Zu einer Theologie dieser Art bahnt Schleiermachers Begriff vom höchsten Gut – der davon abhängige vom Reiche Gottes und vom Gemeinschaftsleben der Christen, die Stellung der Dogmatik als Beschreibung der gegenwärtigen Religiosität dieser Gemeinschaft den Weg. Bei der Dialektik stelle ich dar wie sie eine Form von Kant weiterzugehen, die dann Ritter,2 Trendelenburg,3 Sigwart, Windelband, theilweise Lotze etc. nur fortgebildet haben. … Ein Wort von Ihnen träfe mich in München oder in Stuttgart poste restante.4 Original: nicht überliefert; Erstdruck: BDY, Nr. 149. 1 Die Datierung wurde von der Hg. von BDY übernommen. 2 Heinrich Ritter (1791–1869): Philosoph und Philosophiehistoriker; Schüler Schleiermachers; 1817 PD in Berlin, 1824 a. o. Prof. ebd., 1833 o. Prof. in Kiel, 1837 in Göttingen. 3 Der Philosoph Friedrich Adolf Trendelenburg (1802–1872), der 1837–1872 in Berlin lehrte; Lehrer D.s. 4 Postlagernd.

[1060] Dilthey an Gustav von Schmoller Lieber Freund,

Brixen, 29. 4. 18971

bin etwas länger als ich dachte durch d[en] Zustand m[einer] Gesundheit zurückgehalten, trete aber nun in diesen Tagen die Rückreise über Stuttgart an u. hoffe zu der Gremium-Discussion2 noch zurück zu kommen.

Treulichst mit h[e]rzl[ichen] Grüßen v[on] Haus zu Haus Ihr Dilthey

Original: Hs.; Correspondenz-Karte; GStA PK Berlin, VI. HA , FA u. NL G. von Schmoller, Nr. 119, Bl. 115–115 v. 1 Datierung nach Poststempel. 2 Ende April 1897 fand in der AdW zu Berlin eine Sitzung über den weiteren Fortgang und die Finanzierung der Kant-Akad. Ausg. statt. Die philos.-histor. Klasse der AdW bewilligte 25 000 Mark für das Unternehmen. D. nahm an der Sitzung nicht teil, da er sich noch in Tirol aufhielt (vgl. Ehlers, Bd. II, Brief H. Diels’ an E. Zeller vom 14. Mai 1897, S. 179).

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Dilthey an Graf Paul Yorck von Wartenburg 

[1061] Dilthey an Graf Paul Yorck von Wartenburg Sonntag früh (Anfang Mai 1897.)1   Mein lieber Freund, Vorgestern Abends bin ich hierher zurückgekehrt, und als ich Abends bei Wildenbruchs vorsprach, vernahm ich, daß Sie Herzbeschwerden haben und eine Marienbader Kur gebrauchen. Es bewegt mich tief zu wissen daß Sie leiden. Nicht nur meine Gedanken sind unablässig mit Ihnen beschäftigt: ich leide mit Ihnen als begegnete es mir selbst; denn ich kann mein Lebensgefühl von Ihnen nicht sondern, wir sind durch eine innere Verwandtschaft verwachsen welche so fest hält und einigt als jede physische vermag. Möge nun nur die Marienbader Kur sich heilsam und herstellend erweisen. … Aber ich glaube auch daß mein Kommen während dieses Ihres Kurgebrauchs Ihnen nicht dienlich sein würde. Denn wie ich aus mehreren Erfahrungen über diese Kur weiß, ist ihr voller Erfolg, wie ich denselben ganz bestimmt erhoffe, von einer Art von geistiger und gemüthlicher Passivität abhängig, einem behaglichen Dämmerzustande, in welchem man den Tag hinträumt, im Freien liegend und spatzierend, und so einer thätigeren Zeit entgegenwartend. Ich bin ja diesen Sommer ein freier Mann,2 und bis zum Beginn der Sommerferien von Max, die im Anfang des Juli anheben, wo wir gemeinsam verreisen, stehe ich jederzeit ganz zu Ihrer Verfügung. So darf nur die Rücksicht auf Ihre Gesundheit und Ihr Behagen darüber entscheiden, wann Sie mich am schicklichsten und für Sie erfreulichsten bei sich sehen. Ich brauche auch nicht hinzuzufügen daß mein Vorschlag, mein Kommen bis zum Abschluß Ihres Kurgebrauchs zu verschieben, schlechterdings nur aus den Erfahrungen entspringt, welche man bei längerem Leben über die Normen eines solchen Kurgebrauchs sich gesammelt hat: mir persönlich würde ja jede Zeit gleich gut passen. Auf meiner Reise war ich fleißig an der Ausarbeitung des Schleiermacherschen Systems; die Dialektik ist bald in der ersten Niederschrift fertig, das Andere angelegt. Daß mir dieser Theil der Arbeit am Schleiermacher besonderes Vergnügen machte, kann ich nicht behaupten. Das Schönste war der Aufenthalt im Schwabenlande. Stuttgart ist eine Königsstadt, ringsum Schlösser, fürstliche Gärten. Die Menschen kraftvoll, trotzig, in sich fest und still. Die Heimath der Hohenstaufen und Hohenzollern. Und auch von Schiller versteht man hier wie er von Kind auf politisch sehen und fühlen lernte, dynastisch mächtige Charaktere und königliche Verhältnisse seinem poetischen

Dilthey an Graf Paul Yorck von Wartenburg 

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Verständniß nahe lagen. Zeller wieder ganz der Alte; wenn aus dem Teich der griechischen Philosophiegeschichte jemand den Kopf heben will, steht er immer bereit ihm drauf zu schlagen; so behauptet er seine Her[r]schaft über dieses Territorium auch wo er Unrecht hat, was sehr oft der Fall ist; so kritisirt er eben die Platostatistiker, Campbell, Siebeck 3 etc. Malt täglich mit zitternder Hand seine Buchstaben gegen sie. Auch in Tübingen war ich einen ganzen Tag bei Sigwart, und wir bedauerten beide gleich sehr daß ich von seiner Fremdenstube keinen Gebrauch machen konnte, wie er so sehr gewünscht hatte. Er hat als Millionär das Uhlandsche4 Haus mit einem Garten oder besser Park, hoch hinauf am Berge sich vom Neckar aufwärts erstreckend, gekauft, fährt im eignen Wagen in der her[r]lichen Umgebung herum, und ist so natürlich sehr bequem geworden. Klagt daß er sehr leicht ermüde bei der Arbeit, muß die Zeiten für diese aussuchen, ist also viel müßig; wenn er geistig ermüdet, glaubt er nicht gehen zu können, und versichert mich, außer ein paar psychologisch monographischen Arbeiten und deßgleichen mache er nichts mehr, an ein Ganzes dürfe er gar nicht denken. Wir waren außerordentlich vergnügt zusammen. … In München Brentano5 übermüthig im höchsten Grade, Dove6 angegriffen und elend von seiner Redaktion, geht als Historiker nach Freiburg, weil fürs Literatenthum die Jugendkräfte fehlen, deren es bedarf. Doch schweren Herzens. Die Stadt selbst in völliger moralischer Zersetzung. Für heut nun nur noch die treuesten innigsten Wünsche von Ihrem allergetreuesten Dilthey Original: nicht überliefert; Erstdruck: BDY, Nr. 150. 1 Die Datierung wurde von der Hg. von BDY übernommen. 2 D. hatte sich aus Gesundheitsgründen für den Sommer beurlauben lassen; angekündigt hatte er für das Sommersemester 1897 eine Vorlesung über Logik und Erkenntnistheorie als Grundlegung der Philosophie und der Einzelwissenschaften. 4 stündig. 3 Lewis Campbell (1830–1908): schott. klass. Philologe; 1863–1894 Prof. für Griechisch; Plato-Forscher. – Der Philosoph Hermann Siebeck (1842–1920). 4 Ludwig Uhland (1787–1862): Jurist, Dichter und Politiker; 1810 Promotion, 1811 Rechtsanwalt in Tübingen, 1812 zweiter Sekretär des württembergischen Justizministers in Stuttgart, Landtagsabgeordneter, 1829 Prof. für deutsche Sprache und Literatur in Tübingen. – Ab 1836 bewohnte Uhland mit seiner Frau ein klassizistisches Anwesen in Tübingen, nahe der Neckarbrücke. 5 Der Nationalökonom Lujo Brentano (1844–1931), der seit 1891 in München lehrte; langjähriger Freund D.s. 6 Der Historiker und Publizist Alfred Dove (1844–1916) war Redakteur der ehemals in Augsburg erschienenen Allgemeinen Zeitung, die seit 1882 in München verlegt wurde.

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Dilthey an Otto Benndorf 

[1062] Dilthey an Otto Benndorf

Hochverehrter Freund!

Berlin, d[en]19ten Mai [18]97. W[est] Burggrafenstr[aße] 4.

Ich habe lebhaft bedauert, dass aus Ihrer Reise hierher nichts geworden ist und ich so um das Vergnügen gekommen bin, Sie nach so undenklich langen Zeiten einmal wiederzusehen. Nehmen Sie nun für Ihre ausführlichen freundlichen Mitteilungen über Posonyi unseren besten Dank.1 Ob irgendein Secretär der Gesandtschaft bei diesem die Sache richtig anfassen würde, ist mir zweifelhaft. Als letzten Rückhalt kann man ja die Gesandtschaft im Auge behalten. Vielleicht verbindet man aber Ihr Gewicht mit dem der Akademie am leichtesten so, wenn Sie als correspondierendes Mitglied der Akademie im Auftrage derselben den Herren ersuchen, die in seinem Besitz befindlichen Kanthandschriften der Benutzung für die Ausgabe der Akademie zu eröffnen. Durchgehend ist bisher auch von Autographenhändlern dem entsprochen worden. Der Dank dafür wird in der öffentlichen Sitzung der Akademie ausgesprochen und gelangt in deren gedrucktem Bericht zur Verbreitung. Wir wollen aber auch in gelesenen Zeitungen Mitteilung darüber machen, aus wessen Besitz wir die neuen Kantiana haben, wenn erst die Ausgabe so weit fortgeschritten ist, dass davon nicht anderer Nachteil zu besorgen ist. Ebenso wird ja die Provenienz auch in der Edition selbst angegeben werden. So wird also Herrn Posonyi Dank und Anerkennung für seine Überlassung in mehrfacher Weise zu Teil werden. Fänden Sie also gelegentlich, wenn Ihr Weg Sie vorüber führt, denn eilig ist es durchaus nicht, die Zeit, in dieser Weise persönlich einzugreifen, so würde auf diesem Wege das Ergebnis viel sicherer sein als durch ein amtliches Akademieschreiben, welches immer etwas Fernes und ganz Unpersönliches repräsentiert, das ja aber dann im Wunschfalle leicht folgen kann.

In treuer Gesinnung der Ihrige Wilhelm Dilthey

Original: Hs.; Diktat D.s von der Hand P. Menzers mit eigenhändiger Unterschrift D.s; ÖNB Wien, Autogr. 639/28–3. 1 Nicht überliefert. – Vgl. zu diesem Vorgang Brief [1045].

Dilthey an Graf Paul Yorck von Wartenburg 

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[1063] Dilthey an Graf Paul Yorck von Wartenburg   Mein theurer Freund,

Montag früh (Mai 1897.)1

Meine Gedanken sind immer jetzt in Klein-Oels. Es hat mich mehr beruhigt von der Gräfin2 hier zu vernehmen daß die Besserung langsam fortschreitet, und ich will nur suchen unsren persönlichen Verkehr etwas durch regelmäßigeres Schreiben zu ersetzen, so wenig das für mich paßt: die Antworten behalte ich gut. Gestern traf ich bei Raths3 den Fürsten Radziwill 4 aus dem Reichstag: die Herren meinen, das Gesetz werde fallen, Hohenlohe5 aber bleiben, da er innerlich sich mit dem Gesetz nicht identificire. Merkwürdig war daß ein so hoher Herr so sehr im Partheigefühl verstrickt ist, daß er nicht fühlt, die Lage sei als eine unveränderliche in Bezug auf den Monarchen und seine Art zu handeln anzusehen, und so müßten alle die an der Erhaltung der Monarchie ein persönliches oder staatliches Interesse haben, das faule Raisonniren aufgeben und, wie mit einem Hagelwetter ein Landwirth rechnend, die Monarchie und die noch vorhandenen conservativen Kräfte mit ihren Schultern zu schützen suchen, Interessen aber die gar nicht bedroht sind, wie die katholische Kirche, dagegen zurückstellen. Merkwürdiger noch: starke Staatsgefühle, wie die Zeitalter von Stein6 und Bismarck sie hatten, sind überall in der Abnahme begriffen, ich bemerke das auch bei den bravsten Menschen, die meisten sind inficirt von der zersetzenden Persönlichkeitsphilosophie und sehen die politische Welt als ein Schauspiel an. So angesehen kann es ja nichts unterhaltenderes geben als diese Auflösung einer politisch gesellschaftlichen Ordnung, welche sich im Mittel­ alter formirte, und nun zuerst von dem 16. Jahrhundert ab eine erste Umgestaltung in ihren Grundlagen erfuhr, worauf seit der Revolution eine tiefere folgte, jetzt aber geht die Bewegung gegen noch viel weiter zurückliegende Fundamente, und sie hat einen noch gründlicheren und vielseitigeren Ausgangspunkt. Ein spaßhaftes Zeichen der modernen Jugend! In Basel hat sich eine Gesellschaft „Neusokratiker“ zusammen gethan, welche als philosophische Propaganda die persönliche Souveränität proklamiren, welche über Freude und Schmerz sich durch die Auffassung des Lebens als eines Spiels hinaussetzen will. Ihr Lebensprinzip bezeichnen sie mit: οὐχ ἔστιν ἀνδρὶ ἀγαθῷ κακὸν οὐδὲν οὔτε ζῶντι οὔτε τελευτήσαντι, οὐδὲ ἀμελεῖται ὑπὸ θεῶν τὰ τούτου πράγματα. παιδιᾶς χἀριν.7 Für diese Genossenschaft, die Gemeindemitglieder sammelt, hat eben der Sohn von Gomperz, den ich von hier als sehr kenntnißreichen begabten Menschen kenne, eine Programmschrift veröffentlicht.8 Am Schluß ist

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sie von einem unbekannten Häuptling der Genossenschaft in deren Namen approbirt. Ob nicht der nun verstorbene Dümmler,9 der sich in Basel todttrank, den Ausgangspunkt bildet? Joel10 auch als stiller Compagnon dabei. Nietzsche hat doch wirklich das furchtbare Wort der Zeit ausgesprochen. Der zweite Band seiner Biographie von seiner Schwester (Verhältniß zu R. Wagner)11 ungeheuer amüsant. Zwei gescheite aber ohnmächtige Gegenschriften gegen ihn von Tönnies und Riehl.12 Die berühmte „Socialisirung“ ist nur die andre Seite desselben jetzigen Lebensgefühls. Nur das geschichtliche Bewußtsein, daß der Mensch weder seine Häute abschälen und sich finden kann wie er an sich ist (worüber Nietzsche verrückt wurde)13 noch eine Gesellschaft machen (so wenig als eine Religion), kann über diese Standpunkte hinausführen. Sehr amüsirt hat mich, wie hübsch ich mich nun im Ueberweg-Heinzeschen Grundriß der eben erschienen ist, ausnehme, eingekapselt in die Geschichte der Philosophie, in einem Paragraphen begraben zwischen Fechner – Wundt etc. und Max Stirner und Nietzsche.14 Meine Arbeitsfähigkeit ist zur Zeit gering, da nach einer Art von Sympathie das Herz mir auch zu schaffen macht. In Sachen des heiligen Kant lebe ich wie ein Theaterdirektor dessen Truppe schwer in seinen ästhetischen Grundsätzen zu erhalten ist: jeder will eine chargirte15 Charakterrolle spielen. Ich hoffe aber doch das Ensemble aufrecht zu erhalten. Am Schleiermacher schreibe ich langsam, von vorn an den ersten Capiteln, im System noch an der Dialektik, die ja den Hauptknoten bildet. Wilamowitz noch nicht gesehen.16 Diels sagt daß seine Gesundheit schwerlich Berlin aushalten werde. Seine öffentliche Vorlesung über das griechische Drama hat durch die anthropologische Grundlegung über Drama der Naturvölker etc. große Begeist[e]rung der Studenten erregt. Er nimmt mit Diels die Position einer ganz modernen Psychologie ein. Das Gegengewicht in Bonn wird schwächer: mein Schwager hat nun das Eine Auge ganz verloren, das andre ruft bei jedem Gebrauch Schmerzen in dem todten hervor: so ist diese gewaltige Kraft gebrochen. … [Briefschluss fehlt.] Immer auf alle Weise zu Ihrem Dienst in Liebe und Treue Ihr Dilthey Original: nicht überliefert; Erstdruck: BDY, Nr. 151. 1 Die Datierung wurde von der Hg. von BDY übernommen. 2 Yorcks Ehefrau Gräfin Louise Yorck von Wartenburg. 3 Der Bankier Adolf von Rath (1832–1907) und seine Ehefrau Anna (1839–1918).

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4 Anton Fürst von Radzewill (1833–1904): preuß. General; Generaladjutant und Vertrauter von Kaiser Wilhelm I. 5 Chlodwig Fürst zu Hohenlohe-Schillingsfürst (1819–1901): 1894–1900 Reichskanzler des Deutschen Kaiserreichs. 6 Karl vom Stein zum Altenstein (1770–1840): 1817–1838 preuß. Kultusminister. 7 Zitat aus Platon: Apologie des Sokrates (ΑΠΟΛΟΓΙΑ ΣΩΚΡΑΤΟΥΣ,) 41 d, in: ­Platon. Werke in 12 Bden. Hg. von G. Eigler. Darmstadt 1990, Bd. 2, S. 66 f. (griech. und deutsch): „…daß es für den guten Mann kein Übel gibt, weder im Leben noch im Tode, noch daß je von den Göttern seine Angelegenheiten vernachlässigt werden.“ 8 Heinrich Gomperz (1873–1942): österr. Philosoph; 1896 Promotion (bei Ernst Mach), 1900 Habilitation in Bonn, 1905 PD in Wien, 1920 a. o., 1924 o. Prof. für antike Philosophiegeschichte in Wien; 1935 Emigration in die USA. – H. Gomperz stand dem „Wiener Kreis“ nahe. 1897 veröffentlichte er die Schrift Grundlegung der neusokratischen Philosophie. – D. kannte H. Gomperz vermutlich aus dessen Studienjahren Anfang der 1890er Jahre, die er nicht nur in Wien, sondern auch in Berlin verbrachte. – Sohn des österr. Philosophen u. klass. Philologen Theodor Gomperz (1832–1912). 9 Ferdinand Dümmler (1859–1896): klass. Philologe und Archäologe; 1882 Promotion in Bonn, 1887 PD in Gießen, 1889 Habilitation ebd., 1890 o. Prof. in Basel. 10 Karl Joël (1864–1934): Philosoph; 1886 Promotion in Leipzig, 1893 Habilitation in Basel, 1897 a. o., 1902 o. Prof. ebd.  – Joëls Anstellung in Basel wurde vermutlich durch seine 1892 erschienene Schrift Der echte und der xenophontische Sokrates bewirkt, die bei F. Dümmler große Anerkennung erzielte. 11 Elisabeth Förster-Nietzsche (1846–1935): Schwester Friedrich Nietzsches (1844– 1900); Nachlassverwalterin ihres Bruders u. Gründerin des Nietzsche-Archivs in Weimar. – E. Förster-Nietzsche: Das Leben Friedrich Nietzsches. 3 Bde. Bd. 1 erschien in Leipzig 1895, Bd. II/1 ebd. 1897 und Bd. II/2 ebd. 1904. – Richard Wagner (1813–1883) war in der Zeit seines Schweizer Exils 1866–1871 mit F. Nietzsche, der in Basel o. Prof. für klass. Philologie war, befreundet. Nietzsche war häufiger Gast im Hause Wagners in Tribschen / Luzern. 12 F. Tönnies: Der Nietzsche-Kultus. Eine Kritik. Leipzig 1897. – Die Schrift Friedrich Nietzsche. Der Künstler und der Denker. Ein Essay des österr. Philosophen Alois Riehl erschien 1897 in Stuttgart. 13 Vgl. F. Nietzsche: Morgenröte. Gedanken über die moralischen Vorurteile, in: Friedrich Nietzsche. Werke in 3 Bden. Hg. von K. Schlechta, 7. Aufl. München 1973. Bd. I, S. 1279, Aphorismus 573: „Sich häuten.  – Die Schlange, welche sich nicht häuten kann, geht zugrunde. Ebenso die Geister, welche man verhindert, ihre Meinungen zu wechseln; sie hören auf, Geist zu sein.“ 14 Friedrich Ueberwegs Grundriss der Geschichte der Philosophie. Dritter Theil. Die Neuzeit. Zweiter Band: Nachkantische Systeme und Philosophie der Gegenwart, 8. Aufl., bearb. und hg. von M. Heinze. Berlin 1897, § 31. Dilthey, S. 277–279.  – In den §§ 27 und 29 werden der Physiker und Physiologe Gustav Theodor Fechner (1801–1887) und W. Wundt behandelt, im § 33 die Philosophen Max Stirner (1806–1856), F. Nietzsche u. a. 15 Hier i. S. von: herausragend. 16 U. von Wilamowitz-Moellendorff wechselte von Göttingen nach Berlin, als nach R. Curtius’ Tod im Juli 1896 der Ruf an ihn im April 1897 ergangen war. Im Sommersemester 1897 nahm er seine Tätigkeit als o. Prof. der klass. Philologie in Berlin auf.

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Dilthey an Graf Paul Yorck von Wartenburg 

[1064] Dilthey an Graf Paul Yorck von Wartenburg Mein lieber Freund,

Frühsommer 18971

Mit großer Freude habe ich von der Familie Olfers2 vernommen, daß es Ihnen immer etwas besser geht3 und nun auch der Schlaf sich zu heben beginnt. So darf man ja nicht nur dies dankbarst hinnehmen, sondern auch erwarten, daß wenn die Reconvalescenz einen bestimmten Punkt erreicht hat, auch das Tempo zunehmen wird, in welchem Kräfte und Schlaf wachsen. Zumal das wirklich herrliche Wetter dem Arzt so zu Hilfe kommt. Ich selber lebe in völliger Einsamkeit, ganz in die Erfassung der Entwicklungsgeschichte Schleiermachers vertieft. Und wie sie von der seiner Zeit­ genossen, zumal Schellings, gar nicht zu trennen ist, habe ich mich denn auch in diesen Abgrund stürzen müssen: eine Art von Phänomenologie dieser ganzen monistischen, auf den Entwicklungsgedanken gegründeten Speculation schwebt mir vor, aber noch fern und unbestimmt. In Schleiermachers Entwicklungsgeschichte ist der her[r]schende Gedanke das Lebendige, Mystische, Unmittelbare (in der Wortbedeutung jener Zeit), und wie Wissenschaft und Sittlichkeit nur auf Grund dieser religiösen Total­ anschauung des Lebens sich vollenden können. Er faßt so das Problem der Transscendentalphilosphie, den ursprünglichen Vorgang, aus welchem die geistigen Leistungen von Wissenschaft, Kunst etc. entspringen, zu erkennen, an einem neuen höchst fruchtbaren Punkte an. Nun wäre von diesem Problem aus seine Entwicklung zu bestimmen, verhältnißmäßig einfach; aber man stößt dabei immer auf eine eigene Beschränkung in der Auffassung der religiösen Phänomene, immer handelt es sich um Universum, Ganzes, Individualität, Nothwendigkeit, Einheit des Endlichen mit dem Unendlichen etc., während doch diese Anschauungen und Begriffe nur einen eingegränzten Theil der religiösen Lebenserscheinungen beher[r]schen. Sie gehören der Region der Lebensauffassung von Giordano Bruno, Spinoza,4 Shaftesbury, Goethe, ­Schelling an, sind aber allerdings bei diesen Denkern lebendiges religiös-künstlerisch-anschauliches Verhalten. So bemerkt man nun eine eigentümliche Verbindung. Schleiermacher bezeichnet einen Standpunkt in der fortschreitenden europäischen Religiosität selber, und zwar denjenigen welcher Kant gegenüberliegt und ihn ergänzt, daher denn auch Ritschl zur Ergänzung von Schleiermacher und Hegel wieder auf Kants Position getrieben wurde: nur daß er ihn in das Pfäffische übersetzte. Dieses Aussprechen einer relativ neuen Religiosität verbindet sich in ihm mit der Richtung auf transscendentale Erfor-

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schung der Religion und läßt ihn nur Eine Seite sehen. Soviel sich Ritschl mit Schleiermacher beschäftigte und so selbstgewiß er in seiner Auffassung und Kritik ist, so hat er doch diesen Punkt gar nicht gefaßt. Auch inhaltlich ist seine Kritik der Reden:5 ihre Religion sei Kunstsinn – sehr billig und in dieser Einseitigkeit – thöricht. Es ist als hätte er die stärksten Brillengläser, aber so geschliffen, daß sie jede Erkenntniß verzerren. Ruhig zusehen muß ich wie ich jetzt nicht selten discutirt, gelobt, gescholten, mißverstanden werde. Eben wieder in einer Philosophie der Geschichte von Barth in Leipzig6 werde ich als Vorstufe seiner eigenen Ansicht benutzt, so in Steins Soziologie7 etc. Was ich zu sagen haben werde wird mir immer deutlicher, und ich fasse mich in Geduld. Gestern in einer herrlichen Aufführung des Brahmsschen Requiem sah ich außer unzähligen Bekannten auch Wildenbruchs, die sehr fröhlich und aufgemuntert von der Reise zurückgekehrt zu sein scheinen. Original: nicht überliefert; Erstdruck: BDY, Nr. 152; ein von der Hg. von BDY ausgelassener Passus am Beginn des Briefes wurde ergänzt aus den Korrektur­bögen (Juni–August 1923) von BDY; Erstdruck in aktualisierter Orthographie in: Gründer, S. 361. 1 Die Datierung wurde von der Hg. von BDY übernommen. 2 Marie von Olfers (1826–1924): Schriftstellerin und Illustratorin; sie führte einen literarischen Salon in Berlin, der ein Treffpunkt des geistigen Berliner Gesellschaftlebens war, wie schon zuvor der Salon ihrer Eltern – M. von Olfers war die Schwester der Stiefmutter Paul Yorck von Wartenburgs, Nina von Olfers (1824–1901). 3 Der nachfolgende, in BDY nicht aufgenommene Brieftext bis zum Ende des ersten Abschnitts wurde ergänzt aus den Korrekturbögen (Juni–August 1923) von BDY. 4 Giordano Bruno (1548–1600): ital. Naturphilosoph, der der Inquisition zum Opfer fiel. – Baruch de Spinoza (1632–1677): niederl. Philosoph. 5 A. Ritschl: Schleiermachers Reden über die Religion und ihre Nachwirkungen auf die evangelische Kirche Deutschlands. Bonn 1874. 6 Paul Barth (1858–1922): Philosoph; 1881 Promotion in Leipzig, 1890 Habilitation ebd., 1897 a. o. Prof. für Philosophie und Pädagogik ebd., 1918 o. Honorarprof. ebd. – Die Philosophie der Geschichte als Soziologie. Teil 1: Einleitung und kritische Übersicht. Leipzig 1897. 7 Der in Zürich lehrende Philosoph und Soziologe Ludwig Stein (1859–1930), der das Archiv für Geschichte der Philosophie mitbegründete und herausgab. – Die sociale Frage im Lichte der Philosophie. Vorlesungen über Socialphilosophie und ihre Geschichte. Stuttgart 1897.

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[1065] Dilthey an Graf Paul Yorck von Wartenburg Sonntag Nachmittags. Frühsommer 1897.1 Mit einem Worte wenigstens, mein lieber Freund, will ich Ihnen meine Freude über die Kalckreuthschen Bilder in der neuen Ausstellung2 aussprechen. Es ist besonders das Bild: Eintritt ins Leben,3 welches durch die tiefe Farbengebung, das plastische Heraustreten der Figuren auf dem leuchtend hellen Hintergrunde – ein wirkliches Beleuchtungskunststück, und doch so natürlich und wahr – das beständige Fortschreiten Kalckreuths zeigt. Die Häßlichkeit der Alten, ihre Gebeugtheit von Misere und Alter könnten schon etwas gemildert sein – dann würde das Bild einen rein bedeutenden Eindruck machen.4 Sehr schön ist auch in der Farben- und Lichtbehandlung und der dadurch ausgedrückten Stimmung, der Feldarbeiter mit seinem Schimmel in der Abenddämmerung.5 Der Gänsejunge, so wahr die Figur selbst ist, ist leider in einer grauen Manier gemalt. Das Portrait ist nach dem Gegenstande unsympathisch.6 Alles in Allem aber tritt Kalckreuth doch in dieser gar mittelmäßigen Ausstellung durch die Wahrhaftigkeit und eine gewisse schwere Größe in der Auffassung sehr wirksam hervor. Wie mag es Ihnen gehen, mein lieber Freund? Meine Gedanken sind eigentlich immer zwischen der Arbeit bei Ihnen. Ich lebe, da ich nun auch durch kein tägliches Sprechzimmer und Auditorium abgezogen werde, eigentlich in der tiefsten Einsamkeit und den ganzen Tag mit den Bildern der Schleiermacherbiographie beschäftigt. Ich habe eben eine Zeit wo sich nichts formen will – ich verzweifle dann ob ich je fortrücke. Entwicklungsgeschichte ist doch auch ein nur in engen Gränzen lösbares Problem, wenn man nicht phantasirend das eigne Innere hineinträgt, ohne Sorge um die Beweisbarkeit, einem möglichen Zusammenhang nachgehend. Das einzig Feste die großen Linien der geschichtlichen Denknothwendigkeiten, unter denen ein Mensch gelebt hat. Daß ich diese nun erkenne, das ist der einzige Vorzug vor dem jungen Menschen, der den ersten Band in einer Art von Dämmerung schrieb. Strauß hat einmal in irgend einem gedruckten Brief von meinem ersten Bande gesagt: ich sei zu sehr Schüler Trendelenburgs: die Einheit des Bildes leide unter dem peinlichen Streben nach Beweis im Einzelnen.7 Das schien mir früher sehr ungerecht: jetzt wo ich den Band wiederlese fühle ich doch daß etwas Wahres daran ist. Doch wird man die Ehrlichkeit ein document humain rein sehen zu lassen, der frechen Sicherheit von Kuno Fischer gegenüber, immer anerkennen müssen. Zu dieser Ehrlichkeit gehört auch das von außen sehen lassen,

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die so gegebene Unbestimmtheit an vielen Punkten der Entwicklung, die nur die mitschreitende Phantasie des Lesers ergänzen mag. Da ich nun aber gleichzeitig den vergriffenen ersten Band wieder drucken lasse,8 bringe ich doch ein paar große Linien an, oder vielmehr ich ziehe sie durch die ganze Entwicklung: das wird der Phantasie des Lesers zu Hilfe kommen. Von Sigwart ein rührender Brief:9 wie wohl ihm in der Einsamkeit seiner Existenz gethan habe, sich mit mir einmal wieder ausgesprochen zu haben. Mit einigem souveränen Spott über seinen Collegen Pfleiderer.10 Wir tragen alle an dem was wir uns eingerührt haben. Er hätte mich haben können, wie gern hätte ich im Schatten der Giebel und Klöster dort mein Leben verbracht, aber er wollte doch seine Alleinherschaft nicht eingeschränkt denken. Es war mir ein eigenes Gefühl wie er an der Bahn stand, schon sehr gebeugt, mit seinem gedankenschweren und gedankenmüden Kopf. Nun habe ich Ihnen wieder etwas vorgeplaudert, und hoffe nur daß es in Ihrer Stille Sie eine halbe Stunde beschäftigt. Hoffentlich treffen Sie diese Zeilen bei fortschreitender Besserung. … [Briefschluss fehlt.] Original: nicht überliefert; Erstdruck: BDY, Nr. 153. 1 Die Datierung wurde von der Hg. von BDY übernommen. 2 Die „Große Berliner Kunstausstellung“ fand einmal jährlich seit 1893 statt. Im Jahre 1897 währte sie vom 1. Mai – 26. September. 3 Graf L. von Kalckreuth: Die Fahrt ins Leben (1897); Öl auf Leinwand. 4 Vermutlich ist Graf L. von Kalckreuths Ölgemälde Das Alter (1894) gemeint. 5 Graf L. von Kalckreuth: Eggender Bauer mit Schimmel (1897); Öl auf Leinwand. 6 Graf L. von Kalckreuth: Der Gänsejunge (um 1897); Öl auf Leinwand. 7 Der Philosoph und ev. Theologe David Friedrich Strauß (1808–1874) hatte den 1. Band von D.s Leben Schleiermachers (1870) als eine „echt Trendelenburgsche Arbeit, fleißig, in gewissen Sinne gründlich, aber zerfasert, zergrübelt, peinlich ohne einen Hauch zusammenschmelzender Phantasie“ kritisiert; zitiert nach E. Rothacker: Einleitung in die Geisteswissenschaften, 2. Aufl. Tübingen 1930, S. 255, Anm. 2. 8 Eine zweite Auflage des Leben Schleiermachers erschien erst postum 1922. 9 Nicht überliefert. 10 Die Hg. von BDY merkt an: „Wie mir auf Grund von Akten der Tübinger Universität mitgeteilt wird, beruht Diltheys Behauptung, Sigwart habe ihn als Kollegen in Tübingen nicht gewollt, auf einem Irrtum. Vielmehr hat Sigwart ihn im Jahre 1877 an erster Stelle vorgeschlagen und die Fakultät den Vorschlag angenommen. Die Württembergische Regierung aber überging Dilthey zugunsten des Schwaben Pfleiderer.“ – Edmund Pfleiderer (1842–1902): Philosoph und ev. Theologe; 1873 o. Prof. der Philosophie in Kiel, 1877 in Tübingen.

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Dilthey an Graf Paul Yorck von Wartenburg 

[1066] Dilthey an Graf Paul Yorck von Wartenburg

  Mein lieber Freund,

Sonntag Nachmittags. Frühsommer 1897.1

Frau Gräfin Berthas freundlich-lieber Brief 2 sagt mir daß es immer jetzt ein wenig vorwärts geht. Wie meine Gedanken täglich bei Ihnen sind, darf ich doch mir Ihre Lage und Lebensweise immer etwas besser denken. Es ist Sonntag Nachmittag. Heut früh war eine beinahe dreistündige Sitzung der Kantcommision auf meiner Stube, und Morgen kommt Erdmann zu einer Berathung über die Art der Herausgabe der Vernunftkritik, da er diese für die Ausgabe übernommen hat. Das Ärgste habe ich hinter mir für diese Wochen, und ich schreibe flott am Schleiermacher. Ein interessantes Buch von einem Privatdocenten der Theologie Bernoulli in Basel;3 er schickte es gestern; steht wesentlich auf unserem Standpunkte. Gestern war ich wieder auf der Ausstellung. Zwei Landschaften von Bracht4 sind wirklich von heroischer Größe. Ein merkwürdiger Maler ist Dettmann,5 echt deutsch, gemüthstief, Thoma6 und Kalckreuth verwandt. Die Spanier mit ihrer äußerlichen stupenden Technik angewandt auf todtes Kirchengepränge, Stiergefechte etc. verlieren auf die Dauer sehr. In der Poesie regirt jetzt hier momentan  – gewiß nicht auf die Dauer  – Hauptmann. Sein letztes Stück hat auch die anderen zurückgerufen, und das Deutsche Theater, das doch das verhältnißmäßig Beste leistet, ist ein vollständiges Hauptmanntheater geworden.7 Merkwürdig wie Sudermann trotz seiner Virtuosität versinkt, weil ihm ein fester Kern fehlt. Glänzender Goldschaum um hohle Nüsse. Ich sehe kaum einen Menschen, bin so tief in die Arbeit untergetaucht daß jede Unterhaltung gesellschaftlicher Art mir schwer wird. Desto öfter denke ich zwischen der Arbeit an Sie, und wann Sie nun wol wieder ein Buch in die Hand nehmen und diese herrlichen Sommertage genießen können. Wie schön daß Sie Kinder und Enkel zur Pflege und zum Plaudern um sich haben. Wenn Ihnen da nun Jemand was vorliest, so empfehle ich sehr die Erzählungen von Seydel.8 Sie sind heiter, von liebenswürdigem Humor, der aus warmem An­theil an den Menschen stammt. Original: Nicht überliefert; Erstdruck: BDY, Nr. 154. 1 Die Datierung wurde von der Hg. von BDY übernommen.

Dilthey an die Verlagsbuchhandlung Georg Reimer 

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2 Nicht überliefert. 3 Carl Albrecht Bernoulli (1868–1937): schweiz. ev. Theologe; 1894 Lizentiat, 1895 PD für Kirchengeschichte in Basel, 1926 a. o. Prof. ebd. – Die wissenschaftliche und die kirchliche Methode in der Theologie. Freiburg i. B. 1897. 4 Eugen Bracht (1842–1921): Landschaftsmaler. 5 Ludwig Dettmann (1865–1944): Illustrator und Maler. 6 Hans Thoma (1839–1924): Maler und Graphiker. 7 G. Hauptmann: Die versunkene Glocke. Ein deutsches Märchendrama (in 5 Akten). Berlin 1897. – Das Drama wurde am 2. Dezember 1896 im Deutschen Theater Berlin uraufgeführt. 8 Heinrich Seidel (1842–1906): Ingenieur und Schriftsteller.

[1067] Dilthey an die Verlagsbuchhandlung Georg Reimer Berlin, d[en] 5. 6. 1897. Ersuche zur Besprechung im „Archiv für Geschichte der Philosophie“ zu bestellen u. mir zuzusenden: Remigius Stölzle; „Karl Ernst v[on] Baer und seine Weltanschauung“. Regensburg. Nationale Verlagsanstalt (früher G. J. Mauz) 1897.1 Prof. W. Dilthey Herrn Professor Dr L. Stein. Bern. Gew[ünschtes] Buch sandten wir Ihnen bereits am 29⁄5. zu. Hochachtungsvoll Ernst Reimer Original: Hs.; Postkarte; Diktat D.s von der Hand A. Heubaums mit eigenhändiger Unterschrift D.s; Burgerbibliothek Bern, Mss. Hist. Helv. LI. 24. 1 D.: Jahresbericht über die nachkantische Philosophie  – Schriften über Schelling, K. E. von Baer, Strauß und Vischer, in: AGPh XII (1899), S. 325–338; WA in: GS XV, S. 334–342, hier S. 338–341.

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Dilthey an Harald Höffding 

[1068] Dilthey an Harald Höffding Verehrtester Herr College!

Berlin, d[en] 9. 6. 1897.

Es war mir ein neuer Beweis Ihres Wohlwollen, daß Sie nach Ihrer trefflichen „Geschichte der neueren Philosophie“ mir jetzt den „Rousseau“ zugesandt haben.1 Aber zugleich welcher Beweis der frischesten Produktionskraft! Sie haben sich in unseren transscendentalen Idealismus wie ein Deutscher eingelebt, ja, wie wenige Jüngere bei uns das gethan haben. In schöner Gerechtigkeit haben Sie die Verdienste der einzelnen Richtung[en] gegen einander abgewogen. In Ihrer Darstellung Rousseaus waren mir, so vielfach ich selbst mich mit ihm beschäftigt habe, doch auch die philosophischen Partien höchst belehrend, so die Darlegung der Verschiedenheit in dem Naturbegriff Rousseau’s, Rousseau’s Begriff der Religion u.s.w. Wie viel hätte ich über Ihre historische Auffassung Ihnen zu schreiben; aber ich hoffe, Ihr Weg führt Sie bald einmal wieder nach Deutschland, und dann dürfen wir in aller Bequemlichkeit uns aussprechen.

Mit erneutem Dank und aufrichtigster Verehrung der Ihrige Wilhelm Dilthey

Original: Hs.; Diktat D.s von fremder Hand mit eigenhändiger Unterschrift D.s; im Besitz von Dr. Bernd Eric Jensen, Kopenhagen. 1 H. Höffding: Geschichte der neueren Philosophie. Eine Darstellung der Geschichte der Philosophie von dem Ende der Renaissance bis zu unseren Tagen. 2 Bde. Leipzig 1895/96. – Rousseau und seine Philosophie. Stuttgart 1897.

[1069] Dilthey an Friedrich Poske1 Hochgeehrter Herr Professor.

Mitte Juni 18972

Nehmen Sie meinen besten Dank für die Übersendung Ihrer Bearbeitung der Aesthetik Stein’s. Sie haben eine Pflicht erfüllt, welche in der That den Schü-

Dilthey an Hans Vaihinger 

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lern Stein’s oblag, und Sie und Ihr Freund Huber haben das ganz vortrefflich gemacht.3 Mit großer Freude habe ich die mir meist aus dem persönlichen Verkehr bekannten Gedanken in der zwar fragmentarischen, aber höchst ansprechenden Form, welche Sie denselben ganz gewiß in seinem Sinne gelassen haben, gelesen; und ich bin auch der Stelle, in welcher er von meinem Aufsatz ausgeht,4 mit Freude begegnet. Ich erinnere mich noch gern, mit welch gründlicher Liebe er sich in meine Arbeit vertieft hatte und wie erfüllt von seinen Gedanken darüber er zu mir kam. Mit erneutem Danke und größter Hochschätzung der Ihrige Wilhelm Dilthey Original: Hs.; Diktat D.s von der Hand A. Heubaums mit eigenhändiger Unterschrift D.s; Richard-Wagner-Gedenkstätte, Hs. 106 / III c-2. 1 Friedrich Poske (1852–1925): Pädagoge; 1874 Promotion, 1876 Oberlehrer und später Professor. – Poske stand dem Wagner-Kreis nahe und gab neben anderem nachgelassene Werke seines Schulfreundes Heinrich Freiherr von Stein heraus. 2 Im Brieforiginal: nachträgliche Datierung von fremder Hand. 3 H. von Stein: Vorlesungen über Aesthetik. Nach vorhandenen Aufzeichnungen bearbeitet von F. Poske (in Gemeinschaft mit R. Huber). Stuttgart 1897. 4 Ebd., S. 58 mit Anm. 2.

[1070] Dilthey an Hans Vaihinger

Sehr verehrter Herr College!

Berlin, den 16ten VI [18]97. W[est] Burggrafenstr[aße] 4.

Verzeihen Sie eine kleine Bitte. Für die Kantausgabe wäre uns ein Exemplar Ihrer Reconstruction des Aufsatzes von Kant „Über Freiheit“ aus der Krausschen Recension der Eleutheriologie hocherwünscht.1 Könnten Sie uns ein solches überlassen, wenn auch nur auf Zeit, so wäre dies sehr dankenswert.

Mit meinen besten Grüssen der Ihrige W. Dilthey

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Franz Boll an Dilthey

Original: Hs.; Diktat D.s von der Hand P. Menzers mit eigenhändiger Unterschrift D.s; UB Bremen, Autogr. XXI, 6: h, Nr. 10. 1 H. Vaihinger: Ein bisher unbekannter Aufsatz von Kant über die Freiheit, in: Philos. Monatshefte 16 (1880), S. 193–209. – Christian Jakob Kraus (1753–1807): Philosoph; Schüler und Freund Kants; 1779 Ruf nach Königsberg, 1780 Promotion in Halle und o. Prof. für praktische Philosophie und Kameralwissenschaft [= Finanzwissenschaft].  – Ch. J. Kraus verfasste eine Rezension zu dem 1788 in Jena erschienenen Werk Eleutheriologie, oder über Freyheit und Nothwendigkeit. Zum Gebrauch der Vorlesungen in den Michaelisferien. Der Verfasser war Johann Heinrich August Ulrich (1746–1813): Philosoph; 1765 Magister der Philosophie in Jena, 1766 Habilitation ebd., 1769 a. o., 1776 o. Prof. für Moralphilosophie und Politik; Kritiker Kants. – Bei der Abfassung der Rezension des Ulrichschen Werks wurde Kraus durch Kant mit unveröffentlichten Manuskripten zur Freiheitslehre unterstützt, die Vaihinger 1880 in seinem Aufsatz thematisiert.

[1071] Franz Boll 1 an Dilthey München, 21. VI. 1897 Hochgeehrter Herr Professor! Infolge längerer Abwesenheit des Herrn Direktors von Laubmann2 ist es mir erst heute möglich Ihre Anfrage zu beantworten. Die Hof- und Staatsbibliothek besitzt den Nachlaß Roths3 nicht; auch ist es mir nicht gelungen, einen Nachweis darüber zu finden, wo er zur Zeit aufbewahrt wird. Konsistorialpräsident von Stählin, der Ver[asser] des betr[effenden] Artikels in der Allg[emeinen] D[eutschen] Biogr[aphie],4 ist wenige Wochen vor Eintreffen Ihres Briefes ( – oder Karte? Denn ich habe Ihr Schreiben nicht zu Gesicht bekommen) gestorben. Ich benutze die Gelegenheit, Ihnen mitzutheilen, daß meine Suche nach Mitteilungen über Schleiermacher in unseren Autographen resultatlos verlaufen ist. Von Schleiermacher selbst besitzen wir nur drei gleichgültige Zeilen an Docen.5 Der einzige interessante Brief aus der Romantikerzeit, ein Schreiben von F. Schlegel an Novalis, ist bereits durch Walzel publiziert worden.6 Die Abschrift des Fichtebriefes, die Sie seinerzeit für wünschenswert erklärten, erlaube ich mir beizulegen.7 In ausgezeichneter Hochachtung Dr Franz Boll Sekretär der K[öniglichen] Hof- und Staatsbibliothek

Dilthey an Erich Adickes 

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Original: Hs.; ABBAW, Dilthey-NL , Fasz. 99, Bl. 145–146 R. 1 Franz Boll (1867–1924): klass. Philologe, Astronomiehistoriker und Bibliothekar; 1891 Beschäftigter und später Leiter der Handschriftenabteilung der Hof- und Staatsbibliothek in München, 1894 Promotion, 1903 Prof. in Würzburg, 1908 in Heidelberg. 2 Georg von Laubmann (1843–1909): klass. Philologe und Bibliothekar; 1875 Bibliothekar in Würzburg, 1882–1909 Direktor der Staatsbibliothek München. 3 Karl Johann Friedrich von Roth (1780–1852): Jurist und königl. bayer. Staatsrat und Oberkonsistorialpräsident; 1801 Promotion in Tübingen, 1810 Oberfinanzrat, 1817 Ministe­ rialrat in München, 1828–1848 Präsident des protest. Oberkonsistoriums in München. 4 Adolf von Stählin (1823–1897): ev. Theologe; 1847 Vikar, 1850 Pfarrer, 1866 Konsistorialrat in Ansbach, 1883 Oberkonsistorialrat in München. – A. von Stählin starb am 4. Mai 1897 in München.  – A. von Stählin: Roth, Georg von, in: ADB, Bd. 29 (1889), S. 317–333. 5 Bernhard Joseph Docen (1782–1828): Philologe und Bibliothekar; 1803 Bibliotheksangestellter an der Staatsbibliothek München, 1811 Kustos, später Adjunkt. Er pflegte Kontakte zu L. Tieck, A. W. Schlegel u. a. 6 Oskar Walzel (1864–1944): österr. Literaturwissenschaftler; 1887 Promotion in Wien, 1894 Habilitation ebd., 1897 o. Prof. in Bern, 1907 in Dresden, 1921 in Bonn. 7 Der Brief Fichtes vom 22. Mai 1790 ist diesem Brief in einer Abschrift von der Hand Bolls beigelegt.

[1072] Dilthey an Erich Adickes Berlin, d[en] 27ten Juni 1897 Hochgeehrter Herr Oberlehrer! Im Auftrage des Herrn Geheimrat Dilthey erlaube ich mir Ihnen die Beschlüsse der Kantcommission in bezug auf die von Ihnen übersandten Druckproben mitzuteilen. Es wird beschlossen, dass selbstverständliche Ergänzungen abgekürzter Worte nicht in den Anmerkungen gegeben werden sollen, so z. B. dispos[itio] S. 3 Z[eile] 29. Ebenso sollen angestrichene Worte nur dann in eckigen Klammern gegeben werden, wenn sie eine wertvolle Variante sind. Etwaige Änderungen (des Herausgebers) an der von Kant gesetzten Interpunktion sollen nur dann notiert werden, wenn in Ihnen eine Interpretation enthalten ist, welche zweifelhaft erscheinen kann. Die unsicheren Lesarten sollen nicht durch Schwabacher Lettern,1 sondern durch Zusätze in den Anmerkungen kenntlich gemacht werden.

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Dilthey an Kuno Fischer 

Anstatt der Bindestriche soll in den Anmerkungen ein Spatium2 treten, welches im Manuscript durch einen Querstrich zu bezeichnen ist. Die Zwischenstriche zwischen den einzelnen Reflexionen werden als notwendig anerkannt. e.g. S. i Z[eile] ii soll lateinisch gedruckt werden. Von den vorgeschlagenen Punkten sollen die stehenden angewandt werden. Die Anmerkungen sollen möglichst kurz gefasst werden. So z. B. zu S. i Z[eile] ii. Es genügt: Von „Dingen“ – „seyn“. Als Orthographie für die Anmerkungen des Herausgebers soll die von der Akademie in ihren Schriften angewandte gebraucht werden. Ferner erlaube ich mir Ihnen mitzuteilen, dass an dem Beschluss, die ganze Ausgabe in Fraktur zu drucken festgehalten wurde. Eine Discussion fand hierüber nicht statt. Da Herr Geheimrat Dilthey in der nächsten Woche zu verreisen gedenkt, würde es sich wohl empfehlen, etwa noch zu erledigende Angelegenheiten noch vorher mitzuteilen.

Mit vorzüglicher Hochachtung der Ihrige P. Menzer

Original: Hs.; ABBAW, NL Adickes, Nr. 2. 1 Schriftart, die zuerst im 15. Jahrhundert zum Druck verwendet wurde. 2 Zwischenraum.

[1073] Dilthey an Kuno Fischer

Ew. Excellenz

den 27 Juni [18]97 Berlin Burggrafenstraße 4.

gedachte ich längst Auskunft über den Stand der Kant-Brief-Edition zu geben, da Sie in Ihrem letzten Brief,1 mit welchem Sie mich gar sehr erfreut haben, Ihres Interesses an derselben Erwähnung thun. Aber die Verhandlungen u. Maßregeln in Bezug auf die Fertigstellung dieses Theiles der Ausgabe ver­ laufen so langsam daß ich lieber nur heute gleich schreiben will wie es steht, so unsicher auch die Bestimmung des Termins noch ist. Die Sammlung Reickes ist zunächst durch die von mir durchgeführte E ­ nquête in Bezug auf die Manuscripte Kants vervollständigt worden; jetzt sind hier zwei

Dilthey an Kuno Fischer 

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Herren an der Arbeit, das etwa in Zeitschriften, Briefwechseln u. Biographien noch nicht Aufgefundene ganz methodisch abzufangen, und ein Band von Briefen an Kant in der Dorpater Sammlung, den Sintenis2 zu copi­ren begonnen hatte, ist noch zum Abschluß zu bringen. Dann müssen die noch erforderlichen Erläuterungen zu den chronologisch zu ordnenden Briefen bei Reicke zusammengestellt werden, so viel er solche gesammelt hat – was sein Sohn im Sommer thun wird – u. es wird sich dann ergeben welche Vervollständigungen noch erforderlich sind. Sobald dies geschehen, soll dann sofort der Druck beginnen. Es versteht sich von selbst daß es uns eine Freude sein wird, jeden fertiggestellten Bogen Ihnen sofort zu übermitteln. Die Übersendung des Manuscriptes selber an Sie wäre natürlich Reicke’s Sache, in welche niemand Einfluß hat: Ostpreußen lassen sich nicht beeinflussen, und ich habe ja nicht einmal eine Vorstellung davon, auf welche Weise Reicke das etwa einrichten könnte. So lange das Gesammelte bei ihm ruhte, war ja viel eher für ihn möglich, eine solche Mittheilung zu machen, u. wenn er es damals nicht gethan hat, so ist natürlich für ihn in dem gegenwärtigen Stadium die Sache viel schwieriger: denn die Ausgabe muß mit den Briefen beginnen, da die kurzen Adnota­ tionen hinter jedem Band der Werke die Briefe müssen citiren können. Viel wichtiger würden freilich für Ihre Arbeit die etwa 5 Bände von Handschriftlichem aus seinem Nachlaß sein, welche insbesondere die mittlere Lebens­ epoche Kants doch erst in der Breite seiner Gedanken aufschließen wird. Wie weit die Hoffnung, um derentwillen ich diese Ausgabe plante und nun ins Werk zu setzen suche, daß aus der Confrontation aller Papiere Merkmale ihrer chronologischen Folge sich ergeben werden, sich erfüllen wird, wage ich noch nicht zu sagen. Bei den Schleiermacherpapieren, von denen aus ich meinen Plan faßte, haben schon die äußeren Merkmale zureichende Anhaltspunkte zur Lösung der Aufgabe gegeben, und für diese größere Aufgabe habe ich zur Berücksichtigung dieser äußeren Merkmale besonderes Zutrauen. Wann nun Adickes die Riesenarbeit, diese Papiere zu lesen, zu ordnen u. zu ediren, wird abschließen können, läßt sich noch nicht sagen, zumal ihm erst im Druck Briefe u. Werke vorliegen müssen, ehe er sein Manuscript abschließen kann. Mit größter Freude lese ich jetzt, da ich am Schleiermacher arbeite, Ihren Schelling.3 Sie haben nicht nur die äußere Klarheit, sondern auch fesselnden Reiz Ihrer Darstellung des Systems zu geben gewußt. Wie wenig darf ich hoffen entfernt dem spröden Stoff der Schleiermachers System enthaltenden Vorlesungen eine ähnliche Wirkung abzugewinnen!

In treuster Verehrung der Ihrige Wilhelm Dilthey

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Dilthey an Walter de Gruyter 

Original: Hs.; UB Heidelberg, HA , Heid. Hs. 2610. 1 Nicht überliefert. 2 Der Pädagoge und Dorpater Oberlehrer Franz Leopold Friedrich Sintenis (1835 oder 1836–1911) hatte bereits in den 1870er Jahren in verschiedenen Publikationen Briefe Kants ediert. 3 K. Fischer: Geschichte der neuern Philosophie. Sechster Band. Friedrich Wilhelm Joseph Schelling. Erstes Stück: Schellings Leben und Schriften. Heidelberg 1872.

[1074] Dilthey an Walter de Gruyter1 Berlin, den 30ten VI 1897. W[est] Burggrafenstr[aße] 4 Adr[esse] d[er] Antwort: Bureau d[er] K[öni]gl[ich]-Preuss[ischen] Ak[ademie] Universitätsstr[aße] 8. 

Euer Hochwohlgeboren2 haben den Wunsch ausgesprochen in bezug auf den Verlag der von der Königl[ich] Preuss[ischen] Akademie der Wissenschaften zu Berlin herauszugebenden vollständigen Ausgabe der Schriften Kants in Betracht gezogen zu werden. Diese Ausgabe wird etwa in dem Format und Druck des Schopenhauer von Kuno Fischer (Heidelberg, Carl Winters Universitätsbuchhandlung) erscheinen. Nach vorläufigem Überschlag wird sie 20 Bände umfassen den Band etwa im Mittel zu 35 Bogen gerechnet und zwar: Werke 9 Bände Briefwechsel 2 ” handschriftl[icher] Nachlass 5 ” Vorlesungen 4 ”. Die Akademie wünscht, dass die einzelnen Abteilungen und Bände für sich verkäuflich sind. Besondere Herstellungskosten würden nur in bezug auf die 5 Bände des handschriftlichen Nachlasses durch Anwendung eines vornehmlich in Benutzung von lateinischen Buchstaben bestehenden Zeichensystems entstehen. Erleichtert wird anderseits der Druck dadurch, dass mindestens für Werke und handschriftlichen Nachlass die Akademie auch die erste Correctur übernimmt. Es ist begründete Aussicht, dass der Druck entsprechend den Verträgen im Verlauf des Jahres 1898 beginnen und in ungestörtem Fortgang verlaufen wird.

Graf Paul Yorck von Wartenburg an Dilthey 

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Die Akademie ersucht nun Euer Hochwohlgeboren, unter Vorlegung einer genaueren Berechnung sich zunächst darüber aussprechen zu wollen unter welchen Bedingungen Sie diesen Verlag zu übernehmen geneigt sein würden. Die Akademie überlässt Ihnen zunächst die Erwägung, welche Regelung der in Betracht kommenden Fragen (Stärke der Auflage, Preis etc.) Sie in beider­ seitigem Interesse für die geeignetste halten würden und sieht Ihrer diesbezüglichen Darlegung entgegen. Die Gesamtkosten der Herstellung des druckfertigen Manuscriptes trägt die Akademie, sie verlangt aber, dass Ihrerseits ein mässiges Honorar pro Bogen gezahlt werde. Ferner erscheinen Angaben über Papier und die zu wählende Druckerei womöglich mit Proben erwünscht. Wir bemerken noch dass zugleich zwei andere Firmen eine gleichlautende Mitteilung und Anfrage erhalten haben. Im Auftrage der Commission für Herausgabe der Werke Kants. W. Dilthey Original: Hs.; Diktat D.s von der Hand P. Menzers mit eigenhändiger Unterschrift D.s; StB PK Berlin, HA , 17. Dep. 42 (de Gruyter), R 2: Dilthey. 1 Walter de Gruyter (1862–1923): Germanist und Verleger; 1887 Promotion in Leipzig, 1894 Volontär im Verlag Georg Reimer, gründete 1919 durch Zusammenschluss mehrerer Verlage den „Verlag Walter de Gruyter“. 2 Im Brieforiginal links oberhalb der Anrede von der Hand W. de Gruyters die Notiz: „30 Juni[,] 2. Juli mündl[ich] mit Dilthey besprochen. 3. Juli briefl[ich] beantwortet.“

[1075] Graf Paul Yorck von Wartenburg an Dilthey   Lieber Freund.

Klein-Oels den 1. Juli [18]97.1

… Wie hatte ich mich auf unser Zusammensein gefreut! Ich wollte Ihnen eine wenn noch nicht beendete so doch dem Ende sich nahende Arbeit vorlesen, die doch den Umfang eines Büchleins erreicht hat.2 Gerade an dem Punkte wesentlicher Ausführung brach ich zusammen. Ihre Mittheilungen über Ihre Arbeit am Schleiermacher beschäftigen mich sehr in der Stille meiner Krankenstube. In Goethes italienischer Reise ist eine Stelle aus Moritz ausgeschrieben, aber eine Goethesche Revindikation.3 Aus

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Graf Paul Yorck von Wartenburg an Dilthey 

den Gesprächen Goethes mit Moritz ist sie eben in Moritz’ Buch gekommen.4 Diese wundervolle Stelle im Keime der ganze Schelling und Schleiermacher. Mit der Kunst als Lebens- und Schöpfermacht fällt nun das Recht solchen Philosophirens. So naiv geht’s doch nicht mehr, so spinozistisch naiv. Die Dialektik ist trotz aller Schärfe ‚der Dialektik‘ prinzipiell dogmatisch. Es ist doch nun einmal geschehen, daß das Prinzip solchen Denkens zum Postulate degradirt ist. (Lotze pp.) Damit ist natürlich nicht gesagt, daß der Spätere Recht habe, wohl aber daß der Frühere nicht mehr gegenwärtig sei. Es muß eben von Neuem wieder einmal hinabgestiegen werden zum tiefen Quell des Bewußtseins um neues Lebenswasser zu schöpfen. Ritschls Kritik ist gewiß historisch bornirt, aber erkenntnistheoretisch doch nicht unrichtig. Ihn selbst freilich führte Mangel an allem Tiefsinn, Ärmlichkeit innerer Erfahrungsmöglichkeit zu der ‚Satzung‘, einem trivialisirten Kant zurück, bei dem bei aller Religion innerhalb der Grenzen der reinen Vernunft von Religion nichts zu finden ist – als Stimmung, die von Rousseau herkommt. Doch ich weiß: da liegen Differenzen der Wertungen vor, die sehr groß sind. Wenn man Kant eine Art von philosophischem5 Chemnitz nennt,6 werden Sie dies mit freundschaftlicher Entrüstung zurückweisen. – Immer mehr wird mir klar, daß mit der Kritik des Raumproblems Ernst zu machen ist, mit anderen Worten: das Verhältnis von Empfindung und Anschauung ist zu untersuchen. Dogmatik des Sensualismus von Berkeley7 bis Helmholtz. Kant hierfür ganz bedeutungslos, der die Gegensätzlichkeiten von Räumlichkeit und Zeitlichkeit schematisch nebeneinander und auf gleichen Boden stellt. – Doch mein Herz mahnt. Ich muß schließen. Nochmals tausend Dank! In Treuen der Ihre Yorck. Original: nicht überliefert; Erstdruck: BDY, Nr. 155. 1 Die Datierung wurde von der Hg. von BDY übernommen. 2 P. Yorck von Wartenburg: Heraklit. Ein Fragment aus dem philosophischen Nachlaß. Hg. von I. Fetscher, in: Archiv für Philosophie 9 (1959), S. 214–289. 3 Rückforderung, Geltendmachung eines Herausgabeanspruchs. 4 Karl Philipp Moritz (1756–1793): Pädagoge, Schriftsteller und Philosoph; 1778 Lehrer, 1789 Prof. für die Theorie der schönen Künste an der Königl. Akademie der Künste in Berlin, 1791 Ernennung zum Hofrat. – Goethe und K. Ph. Moritz hatten sich auf einer Italien-Reise 1786–1788 kennengelernt und viel Zeit miteinander verbracht. – J. W. v. Goethe: Italienische Reise. Dritter Teil, in: Sämtliche Werke in 18 Bden. (unveränd. Nachdruck der Artemis-Gedenkausg. in 17 Bden. zu Goethes 200. Geburtstag am 28. August 1949.

Dilthey an Kurd Laßwitz 

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Hg. von E. Beutler, 2. Aufl. Zürich 1961–1966) Zürich 1977, S. 588–596. – K. Ph. Moritz: ­Ueber die bildende Nachahmung des Schönen. Braunschweig 1788. – Goethe schreibt, dass das Buch aus seinen Unterhaltungen mit K. Ph. Moritz hervorgegangen sei (a.a.O, S. 588). 5 In BDY: „philosophischen“; hier korrigiert nach den Korrekturfahnen (Juni-August 1923) von BDY. 6 Martin Chemnitz (1522–1586): ev. Theologe und Reformator; Hörer Martin Luthers in Wittenberg, später Schüler Melanchthons; 1548 M. A. in Königsberg, 1557 Bruch mit Melanchthon, 1567 Superintendent in Braunschweig, 1568 Promotion in Rostock, 1576 Mitbegründer der Universität Helmstedt, 1577 Mitarbeit an der „Konkordienformel“, einem dogmatischen Luther-Bekenntnis. 7 Georg Berkeley (1685–1753): irischer Theologe und Philosoph; 1707 Magister der Theologie, 1713 Kaplan, 1729 Missionar in Amerika, 1734 Bischof zu Cloyne (Irland).

[1076] Dilthey an Kurd Laßwitz Berlin, den 3ten Juli 1897 W[est] Burggrafenstr[aße] 4. Sehr geehrter Herr College!1 Ich hatte gehofft, Ihnen ein Regulatif über das Zusammenarbeiten der Germanisten mit den Herausgebern baldigst zusenden zu können. Die Commission hat sich nun zunächst darüber geeinigt, dass Ein solcher Germanist für die ganze Ausgabe bestellt wird, dass derselbe dem verantwortlichen Herausgeber als Hilfskraft beigegeben wird und sie hat eine Persönlichkeit hierfür in Aussicht genommen. Da nun aber erst eine Probe erweisen kann, ob derselbe den nicht geringen Anforderungen gewachsen sei, so wird erst das Ergebnis einer nötigen Vor­ arbeit abzuwarten sein. Dies ist auch darum unbedenklich, weil die Erwägungen über den modus procedendi immer mehr dahin geführt [haben], dass der verantwortliche Herausgeber seine Arbeit am besten zuerst erledigt, worauf dann das Sprachliche von dem Germanisten abgemacht wird. Dies glaubte ich Ihnen mitteilen zu müssen, damit im Beginn Ihrer Arbeit nicht etwa eine Verzögerung eintritt, indem Sie auf eine Vorlage seitens des Germanisten warten. Mit meinen besten Grüssen der Ihrige Dilthey

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Dilthey an Gustav von Schmoller 

Original: Hs.; Diktat D.s von der Hand P. Menzers mit eigenhändiger Unterschrift D.s; FB Gotha, Chart. B 1962 a, 171. 1 Im Brieforiginal: über der Anrede eine Notiz von der Hand K. Laßwitz: „16. 7. Vorlage 2 Exemplare“.

[1077] Dilthey an Gustav von Schmoller 19. Juli [18]97. Oberstdorf in Südbaiern, Inselhaus bei Gschwender. Verehrter Freund, besten Dank für das Lebenszeichen; habe gleich unterschrieben u. expediert.1 Fertigzustellende Arbeit hinderte mich[,] von Ihnen u. Ihrer verehrten Frau 2 mich zu verabschieden. Wir sind mit den Kindern in Oberstdorf in Süd­baiern, wo ich mich ruhig zur Arbeit einrichten konnte: es scheint auch auf die Nachts sehr plagenden nervösen Herzbeschwerden u. den schlechten Zustand der Augen günstig zu wirken. Ich arbeite weiter an der Darstellung des Systems von Schleierm[acher] u. habe nicht geglaubt daß es noch solche Anstrengung kosten würde. Herzliche Grüße von Haus zu Haus v[on] Ihrem W. Dilthey Original: Hs.; Postkarte; GStA PK Berlin, VI. HA , FA u. NL , NL G. von Schmoller, Nr. 174, Bl. 54–54 v. 1 Der Vorgang ist nicht mehr zu ermitteln. – Das vorausgegangene Schreiben G. von Schmollers an D. ist nicht überliefert. 2 Gustav von Schmollers Ehefrau Lucia (1850–1928), geb. von Rathgen.

Dilthey an Graf Paul Yorck von Wartenburg 

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[1078] Dilthey an Graf Paul Yorck von Wartenburg 19. Juli [18]97. Oberstdorf in Südbaiern, Inselhaus bei Gschwender.   Lieber Freund, ich schreibe diese Zeilen von einem Gebirgssee über Oberstdorf, und es sind hier keine Briefbogen als diese närrischen, die mir nur erfunden zu sein scheinen, den Zuhause Sitzenden verdrießlich zu machen. Wozu besonders auch beliebige Vergrößerungen der Wirthshäuser, Berge etc. angewandt werden. Herzbeschwerden und Augenbeschwerden waren derart daß es mir ganz recht war mit der ganzen Familie bei Beginn der Kinderferien Berlin zu verlassen, und wir haben es mit dem vom Arzt gewählten Oberstdorf sehr gut getroffen, das zwischen Augsburg und dem Bodensee im bairischen Gebirge gegen 3000 Fuß hoch liegt. Hier werden wir bis zum Ende der Kinderferien bleiben, und dann werden meine Frau und ich noch etwas in die Schweitz gehen, die ich wiederzusehen mir wünsche. Ich habe mich ganz darauf eingerichtet an der Darstellung des Systems von Schleiermacher und gleichzeitiger Sammlung für seine Entwicklungs­ geschichte und für die Kritik weiterzuarbeiten. Bücherpakete fliegen ja zur Zeit noch ohne Schwierigkeit im Reiche umher, solange die finanzielle Fruktificirung1 der Post noch nicht gelungen ist. Ihr Brief, der einige Tage vor meiner Abreise anlangte, hat mir große Freude gemacht: das erste Zeichen des Fortschreitens Ihrer Gesundheit. Wie gut wird Ihnen das herrliche Sommerwetter auch weiter thun.2 Und auch darauf lege ich viel Werth, daß Sie in der regelmäßigen Behandlung des Breslauer Klinikers sind. Lassen Sie ihn ja Sie möglichst viel sehen: das ist schlechterdings nothwendig, denn der Fall Ihrer Erkrankung ist offenbar ein sehr schwieriger, und nur durch wiederholtes Kopfzerbrechen kann Ihr Arzt den richtigen Weg zu Ihrer Wiederherstellung finden, die ich bei Ihrem kraftvollen Körper als ganz sicher ansehe. Daher freue ich mich auch sehr daß Sie zu schreiben begonnen haben und ich vertraue ganz fest darauf daß Sie die Arbeit zu Ende führen werden. Mir ist das um so werthvoller als ich selbst auf über ein Jahr in das historische Gebiet verschlagen bin. Bei der Durchsicht der vielen Vorarbeiten hat sich als nöthig herausgestellt, das über die Reform des preußischen Unterrichtswesen Gesammelte, da es den Rahmen des Schleiermacher sprengt, für sich fertig zu

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machen, und das hat mein Schüler Heubaum unternommen, ein Gymnasiallehrer: sodaß ich dann nur einleitend, schließend etc. zufüge was mir nöthig scheint. So werde ich meine auf Unterrichtswesen bezüglichen Gedanken los.3 In Bezug auf Schleiermacher stimme ich darin ganz mit Ihnen überein daß sein ganzes System, durch welches auch seine Religiosität gewisse feste Punkte[,] die sie determiniren[,] erhält, in der ästhetisch gearteten Denkform Goethe-Schelling etc. gegründet ist. Die Stelle aus Moritz kenne ich nicht nur, sondern eine halbfertige Untersuchung von mir liegt [vor], in welcher ich die Abhängigkeit von Kants Kritik der Urtheilskraft von Goethe vermittelst Moritz nachweise:4 so löst sich das Problem der auffälligen ästhetischen Weisheit des ganz unästhetischen Kant. Doch haben andre Untersuchungen über den Gang von Buffon5 bis Goethe mir erwiesen (daß) die Grundvoraussetzung dieser ganzen Richtung aus der Her[r]schaft des Naturerkennens stammt: einmüthiger Causalzusammenhang des ganzen Universums als eines Systems, das dem Satz von Grunde unterworfen ist. Auch Spinoza ist hier nur abhängig. Die ästhetische Auffassung ist nur eine von Buffon etc. gegründete Steigerung dieser Bewegung. Darin bleibe ich standhaft: die andere Möglichkeit – nicht von der Natur sondern vom Selbstbewußtsein auszugehen  – ist durch Kant stabilirt, von Fichte aufgenommen worden. Ritschl hat sie theologisch in bewußt für den kirchlichen Gebrauch eingerichteter Weise fruktificirt. Original: nicht überliefert; Erstdruck: BDY, Nr. 156; ein Absatz des Briefes ist ergänzt aus den Korrekturbögen (Juni–August 1923) von BDY, hinterlegt in: ­ BBAW, Dilthey-NL , Fasz. 333; Erstdruck dieses Absatzes in aktualisierter OrA thographie in: Gründer, S. 362. 1 Nutzbarmachung, Verwertung. 2 Die nachfolgenden Sätze bis zum Ende des Absatzes, die nicht in BDY ediert sind, wurden aus den Korrekturbögen (Juni-August 1923) von BDY ergänzt. 3 Dieses Gemeinschaftsprojekt wurde nicht realisiert; A. Heubaum hat die Arbeit weitergeführt und später publiziert. 4 Diese Arbeit wurde nicht abgeschlossen, vgl. aber zu K. Ph. Moritz bereits D.s Skizze Selbstbekenntnisse eines Phantasiemenschen  – Karl Philipp Moritz, in: WM 28 (1870), S. ­192–204 (unter dem Pseudonym Georg Steven); WA in: GS XV, S. 356–371. 5 Georges-Louis Leclerc, Comte de Buffon (1707–1788): franz. Naturforscher.

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[1079] Dilthey an Kurd Laßwitz Oberstdorf, d[en] 20. Juli 1897. Adr[esse]: Oberstdorf in Südbayern. Bei Joh. Gschwender. Inselhaus. Lieber Freund, selbstverständlich handelt es sich nur um die Benutzung der Aufsätze als Druckvorlage, nicht um Abschrift. Das Princip ist, dass der Herausgeber sich diese Druckvorlage selbst verschaffe. An diesem bitte ich auch im Ganzen festhalten zu wollen, da die meisten Einzeldrucke sehr billig sind und selbstverständlich ein Exemplar genügt, wo nicht etwa die Bequemlichkeit eines zweiten so gut als keine Unkosten macht. Wie aber bei den beiden ersten Auflagen der Vernunftkritik Erdmann gegenüber eine Ausnahme gemacht wird, wegen deren Kostspieligkeit, so wird natürlich die Akademie das in einzelnen Fällen auch Ihnen gegenüber gern thun. Ich warne Sie nur, einem Antiquar Aufträge in dieser Rücksicht zu geben: Das kommt in das Blatt: und dann ist Ihnen der ganze Handel auf Monate hinaus verdorben. Sie müssen die Kataloge selbst durchsehen, wie ich das bei meinen Anschaffungen auch habe thun müssen. Über die Anmerkungen soll Ihnen Dr. Menzer näheres schreiben, da er in Berlin das Material hat. Mit herzlichem Gruss der Ihrige Dilthey. Original: Hs.; Diktat D.s von fremder Hand; FB Gotha, Chart. B 1962 a, 173.

[1080] Dilthey an Graf Paul Yorck von Wartenburg Oberstdorf, den 10. 8. [18]97 Ihr Brief, mein lieber teurer Freund, hat mich sehr erschüttert.1 Also doch ein positives Leiden am Herzen! Herzerweiterung ist ja sehr verbreitet, besonders in späteren Lebensjahren, in die wir nun einmal getreten sind; aber es be-

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darf doch einer sehr grossen gleichmässigen Schonung, damit sie innerhalb der vorhandenen Grenzen gehalten wird, und Sie sind leider nicht gewöhnt, mit dem x das man im Resultat Lebenskraft nennt sparsam umzugehen, das bringen nur die egoistischen und passiven Naturen prächtig fertig. Je älter man wird, desto mehr bemerkt man, in welch nachteiliger Stellung Güte in dieser unverständlichen Welt ist. So fürchte ich, auch Sie werden die durchgreifenden Massregeln, die nun Ihr Zustand noch dringender als früher, wo ich aus Meran Sie zu kommen bat, erfordert, wegen der grossen damit verbundenen finanziellen Opfer trotz aller Bitten Ihrer Umgebung nicht bringen wollen. Sie müssen im Oktober in einem eigenen von Ohlau ab für Sie durchgehenden Schlafwagen mit Ihrer Frau Gemahlin und der beiderseitigen Dienerschaft nach dem Süden. Ob die anregende Luft von Meran oder die mildere jenseits des Gotthard an den entzückenden Seen für Sie die bessere sein wird weiss ich nicht. Aber das weiss ich dass durch einen solchen eigens für Sie von Ohlau ablaufenden Schlafwagen die Bedenken der weiten Reise wegen viel mehr sich mindern als man das in der Regel annimmt. Der dabei mitangenommene entzündliche Zustand muss wohl freilich erst überwunden sein. Ihre Natur ist so ausnahmsweise mächtig, dass ich die entschiedene Zuversicht habe, bei rücksichtsloser Benutzung der Ihnen zu Gebote stehenden pecuniären grossen Mittel werden Sie, zwischen dem Sommersitz Klein-Oels und dem Süden wechselnd einen befriedigenden Zustand wieder erreichen. Dann werden Sie auch der Welt noch sagen was auszusprechen Sie auf dieselbe gekommen sind. Ich schreibe dies auf dem Sopha, da ich durch einen Sturz die Treppe herab mich am Fuss verletzt habe, dadurch komme ich auch erst heute zu diesen Zeilen. Im Uebrigen fahre ich fort mich vom Herzen aus sehr elend zu fühlen und fange an, die Arbeit am Schleiermacherschen System durch die Fetzen von Handschriften und Vorlesungen, aus denen zu arbeiten ist, qualvoll zu finden. Bernoullis Zerschneidung des armen Theologen in einen Hörer der wissenschaftlichen Religionsgeschichte und einen künstlichen treuen Diener am Wort2 ist interessant als Konsequenz der Lage. Treuen Herzens Ihr Dilthey. Original: nicht überliefert; ein maschinenschriftliches Transkript von der Hand S. von der Schulenburgs, mit dem handschriftlichen Vermerk „Nicht in die Ausg[abe][BDY] aufgenommen“ ist hinterlegt in: ABBAW, Ritter-NL , B. Sigrid

Dilthey an Kurd Laßwitz 

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Ritter, geb. von der Schulenburg, III, Nr. 28, Bl. 4; WA in aktualisierter Orthographie in: Gründer, S. 362–363. 1 Nicht überliefert. 2 C. A. Bernoulli: Die wissenschaftliche und die kirchliche Methode in der Theologie. Freiburg i. B., Leipzig und Tübingen 1897.

[1081] Dilthey an Kurd Laßwitz Hôtel National Simmen Besitzer: Georg Grüßer Arnulfstrasse 6 & 8

München, den 20 Aug[ust] 1897

Lieber Herr Professor, Ihre Zeilen erhielt1 ich nach Seis vor der Abreise. Wie ich Ihnen schrieb, müssen wir auf das lebhafteste versuchen daß Ihr Antheil am ersten Bande der Abhandlungen möglichst bald nun fertig gestellt werde. Wir müssen bald thunlichst mit dem Druck beginnen nach unseren Verabredungen mit dem Verleger. Also bitte ich rasch sehr thunlichst[,] rasch nun Ihren Antheil zu erledigen. Es hat natürlich für uns keinen Zweck einen Theil Ihres M[anu]scr[ip­ tes] jetzt zu erhalten; denn wir können den Druck doch erst beginnen, wenn das M[anu]scr[ipt] des Bandes vorliegt. Mögen wir also bald günstige Nachricht erhalten wann wir das M[anu]sr[ipt] erwarten dürfen. Es wird mich freuen, bei dieser Gelegenheit auch von Ihrem Befinden u. Ihren sonstigen Bethätigungen Angenehmes von Ihnen zu vernehmen.

In größter Hochachtung u. treuster Gesinnung der Ihrige W. Dilthey

Antwort ersuche [ich] unter Adresse von Dr. Menzer Berlin Naumburger Straße. Original: Hs.; FB Gotha, Chart. B 1962 a, 163–164. 1 Nachfolgend wird „erhielt“ wiederholt. – Der Brief Laßwitz’ ist nicht überliefert.

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Dilthey an Graf Paul Yorck von Wartenburg 

[1082] Dilthey an Graf Paul Yorck von Wartenburg Lindau, Hotel Lindauer Hof Ende August / Anfang September 1897.1 Mein lieber Freund, ich denke hier lebhaft an Ihre Liebe zum Bodensee, dem großen deutschen See. Gestern sind wir hier von Oberstdorf angekommen. … Inzwischen hatten wir in Oberstdorf ein so geräumiges Quartier als wären wir zu Hause, und so habe ich unermüdlich an Schleiermachers System und seiner bei jedem Capitel eingeflochtenen Würdigung weiter gearbeitet. Es will mir wol manchen Tag scheinen, als ob ich zu viel Arbeit in Jahren, in denen ich so stark mit der Zeit zu rechnen habe, hineinstecke, insbesondre sind immer noch einige Kapitel der Dialektik, nämlich die Ableitung seiner Formeln über die Gottheit unbewältigt; die Verschiedenheit in den verschiednen Redaktionen in einen inneren Zusammenhang von 1811–[18]31 zu bringen und die letzte kurze räthselhafte Redaktion zu verstehen, enthält mir immer noch Schwierigkeiten. Aber kein Theil seines Systems kann ohne diese Dialektik verstanden werden, und bisher ist von wirklichem Verständniß nicht die Rede, weil niemand alle seine Vorlesungen zusammengenommen hat, und man sich bei der Dialektik stets an die ganz schlechte Redaktion von 1814 gehalten hat, die Jonas2 aus formalen Gründen in den Mittelpunkt stellen mußte. In dem Ausgangspunkte sind wir mit ihm einig. Auch die Weltansicht kann nur von der Analyse des Subjektes in seinen Relationen zu dem was auf es wirkt und auf welches es zurückwirkt entwickelt werden. Man kann die Natur nicht an sich haben und ihr irgendwie abgucken was Welt und Leben seien und bedeuten. Nur daß man zu dem geschichtlichen Menschen von da aus vordringen muß: das erkennt seine zeit- und geschichtslose Auffassung der Lebens­formen nicht. Auch in dem weiteren Hauptpunkte sind wir mit ihm einig, weil wir es mit allen mystischen, allen geschichtlichen und allen heroischen Philosophen sind. Man muß vom Leben ausgehen. Das heißt nicht daß man dieses analysiren muß, es heißt daß man es in seinen Formen nachleben und innerlich die in ihm liegenden Consequenzen ziehen muß. Die Philosophie ist eine Aktion, welche das Leben dh. das Subjekt in seinen Relationen als Lebendigkeit, zum Bewußtsein erhebt und zu Ende denkt. Das war das Größte in seiner Persönlichkeit: er wußte daß das in uns Liegende, der auf ein als transscendent in der Symbolisirung anzusprechende Zusammenhang, von dem der Mensch sein will[,] erlebt, in seinen größten Gestalten nacherlebt (Hermeneutik) sein will. Den Philosophen macht dann aus (φρόνηϭις,3 sokratische Schule), ihn

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zum Bewußtsein zu erheben und die in ihm liegenden Consequenzen zu Ende zu denken. Dies zu Ende denken hat Schleiermacher in der Dialektik durch seine Lehre von den Postulaten oder Voraussetzungen fehlerhaft ausgedrückt. Aber die Hauptsache bleibt: wenn man vom Lebenszusammenhang ausgeht, bleibt Alles Herausanalysiren des Elementaren, Einzelnen als dessen aus dem der Zusammenhang verstanden werden kann zurück: dieser deutet vielmehr auf die aufwärts liegende immanente Zweckmäßigkeit des Lebens, als aus welcher das Elementare als sein Bestandtheil, nie als seine erste frühere Grundlage zu verstehen ist. Die höchsten Erscheinungen der Geschichte sind in ihrem inneren Verhältnis zu diesem Zusammenhang zu verstehen, und sie bilden dann das Verständnißmittel. Diese waren ihm in seinem Christus repräsentirt. Was uns die Geschichte, von höchsten Zusammenhängen aus angesehen ist, was sie in gewissem Sinne Hegel und Ranke war, obwol ungenügend, das war ihm sein Christus, secundär sein Sokrates-Plato. Und hier liegt nun die Einheit seiner Theologie mit seiner Philosophie: diese Theologie ist ja nur der synthetische Aufbau des so begründeten höheren (dh. die niederen Lust[-] und Unlust­ gefühle dem idealen auf Gott begründeten Bewußtsein einordnenden) Lebens, in der individuell historischen Form des Christenthums. Aber ich will heute nicht fortfahren. Nur daß Sie nicht denken, ich verkenne die Differenzpunkte. Sie liegen in erster Linie inhaltlich (von der schematisch speculativen Denkweise zu reden unnöthig) in der Voraussetzung daß das Universum eine dem Satze vom Grunde unterworfene einheitliche Gliederung sei. Wie er diese als räumlich[-]zeitlich causales System von Wechsel­ wirkungen, in denen sich aber ein ideales Begriffssystem realisire, auffaßt, ist er der direkte Vorgänger von Lotze. Seine Lehre vom metaphysischen Werthe der Erkenntnißformen geht von Ritter4 zu Ueberweg, Trendelenburg, Lotze. Die von den Postulaten und der Bedeutung des Begriffs etc. zu Sigwart. Mögen diese Zeilen Sie in fortschreitender Besserung finden. Möge dann nur die Reise nach dem Süden gelingen, da der nordische Winter Ihre Besserung unmöglich fördern kann. Meine Gedanken sind täglich bei Ihnen. Sobald wir festes Quartier haben schreibe ich.

Wilhelm Dilthey5

Original: nicht überliefert; Erstdruck: BDY, Nr. 157. 1 Die Datierung wurde von der Hg. von BDY übernommen. 2 L. Jonas (Hg.): Dialektik. Aus Schleiermachers handschriftlichem Nachlasse. Berlin 1839.  – Schleiermacher hielt die Dialektik-Vorlesung zwischen 1811 und 1831 mehrfach

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Dilthey an Graf Heinrich Yorck von Wartenburg 

in Berlin. L. Jonas legte seiner Edition „das Heft von 1814“ der „ganzen Darstellung zum Grunde“ (vgl. ebd., Vorwort des Hg., S. VIII). 3 Besonnenheit. 4 Der Philosophiehistoriker Heinrich Ritter (1791–1869); Schüler Schleiermachers. 5 Die Unterschrift ist den Korrekturbögen (Juni–August 1923) von BDY entnommen worden.

[1083] Dilthey an Graf Heinrich Yorck von Wartenburg Lieber Graf Heinrich,

Gais, 17. Sept[ember] [18]97.

Sie haben den besten der Väter verloren, Ihnen bleibt nur der Trost daß sein Verhältniß zu Ihnen das schönste Glück seiner späteren Lebensjahre gewesen ist. Wie oft hat er mir ausgesprochen wie diese seltenste Verbindung des väter­lichen und des reinsten offensten freundschaftlichen Verhältnisses zu Ihnen ihm mehr als Alles Andere die spätere Lebenszeit verschöne und erheitere. Welche Ruhe es ihm gewähre, bei Ihnen die Zukunft der Yorcks in der schönsten Art gesichert zu wissen. Aber Sie wissen das ja tiefer als ich es auszusprechen vermöchte. Was soll ich von mir sagen? Seit nun fast einem Vierteljahrhundert habe ich mit Ihrem theuren Vater in der innigsten Gemeinschaft aller Ideen gelebt. Er war die genialste größte Natur die mir außer Helmholtz begegnet ist, aber mehr wog die Herrlichkeit seines Charakters. Allem was er berührte verlieh er Adel, Schönheit und Glanz, wenn er erschien, war es als gehe die Sonne auf. Ich kann mich noch nicht finden, mich dünkt, nichts Philosophisches wird künftig mich wieder mit dem alten Interesse erregen, da ich es mit ihm nicht mehr theilen kann. Welchen Werth soll was ich noch schreiben könnte für mich haben, da ich seine Beistimmung, seine Einwendungen, sein Urtheil von jetzt ab niemals wieder vernehmen werde. Recht leidend wie ich bin, empfinde ich es als ob über dem Rest tiefe Schatten sich senken.

Treuen Herzens der Ihre Wilhelm Dilthey

Original: nicht überliefert; ein handschriftliches Transkript von S. von der Schulen­ burg ist hinterlegt in: ABBAW, Ritter-NL , B: Sigrid Ritter, geb. von der Schulen-

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Karl Beth an Dilthey

burg, III, Nr. 29, Bl. 1–2; der zweite Abschnitt des Briefes ist abgedruckt in: BDY, Vorwort der Hg., S. VI.

[1084] Karl Beth1 an Dilthey Stendal, den 19/9 [18]97 Hochverehrter Herr Geheimer Rat! Mit einem belasteten Gewissen wage ich mich Ihnen mit diesen Zeilen zu nahen. Denn es ist eine geraume Zeit vergangen, seit ich Ihren geschätzten Auftrag empfing,2 und noch habe ich nichts von einer Erledigung desselben vernehmen lassen. Die Zeit in Barby3 war einesteils ziemlich ausgefüllt, andererseits bin ich erst kürzlich in den Besitz von Goß’s Geschichte der Dogmatik4 gelangt. Hoffentlich sind Sie, hochverehrter Herr Geheimrat, noch in der Lage, meine bezüglichen Arbeiten verwerten zu können. So würde ich Ihnen die Beantwortung der einen Frage betreffs der Auffassung der Dogmen durch Schleiermacher, an den Vorgängern geprüft, zunächst Ende dieser Woche zusenden. Ich nahm diese Frage zuerst in Angriff, weil ich dieselbe mit den einstweilen mir zu Gebote stehenden Mitteln am besten erledigen kann. Sollte jedoch die Frage über die Enzyclopädie dringender sein, so würde ich mich ihr sofort zuwenden. In der Hoffnung, Ihnen weiterhin mit meinen schwachen Kräften dienen zu dürfen, zeichne [ich] in ehrerbietigster Ergebenheit Ihr gehorsamer Schüler Beth. Original: Hs.; ABBAW, Dilthey-NL , Fasz. 129, Bl. 321–321 R. 1 Karl Beth (1872–1959): ev. Theologe und Religionswissenschaftler, Mitbegründer der Religionspsychologie; 1898 Promotion in Berlin, 1901 Tätigkeit an der Universität ebd., 1906 Prof. für systematische Theologie in Wien, 1908 o. Prof. ebd.; Schüler D.s – K. Beths Dissertation vom Jahre 1898 hatte Schleiermacher zum Thema: Die Grundanschauungen Schleiermachers in seinem ersten Entwurf der philosophischen Sittenlehre. 2 Ein vorausgegangenes Schreiben D.s an Beth ist nicht überliefert. 3 Stadt in Sachsen-Anhalt. 4 W. Goß: Geschichte der protestantischen Dogmatik. 4 Bde. Berlin 1854–1867.

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Karl Beth an Dilthey 

[1085] Karl Beth an Dilthey Stendal, den 30. September 1897. Hochverehrter Herr Geheimrat! Anbei sende ich die, wie mir scheint, wichtigsten Punkte, welche für die Frage nach Schleiermachers Stellung zum Dogma und Symbol erörtert werden könnten. Ob ich freilich Ihrer Meinung hiermit vollkommen entspreche, weiß ich nicht. Doch fasse ich das von Ihnen gestellte Problem so: Schleiermacher ist der Erste gewesen, der gesagt hat: die Dogmen ergeben sich als objective Größen aus der Erforschung der subjectiven Frömmigkeit, und zugleich stellt sich hierbei heraus, daß sie die Bedingungen dieses subjectiven Processes sind. – Und indem dies an der Geschichte nachgewiesen werden soll, käme es wohl darauf an zu zeigen, daß auch diejenigen Männer, welche Ähnliches gesagt haben, immer noch weit von dem entfernt sind, was Schleiermacher gemeint hat. In dieser Weise habe ich das Beifolgende auszuwählen versucht. Von den Zeitgenossen Schleiermachers ist einstweilen nur Tieftrunk berücksichtigt. Bei de Wette,1 der ja ebenfalls in Rede steht, braucht es wohl einer genaueren Untersuchung über sein Verhältnis zu Schleiermacher, und ebenso wäre hier wiederum der Briefwechsel einzusehen, in dem sich Schleiermacher über de Wettes Publicationen ausspricht. – Am 2. oder 3. October siedle ich wieder nach Berlin über und werde mir erlauben, alsdann sofort Ihnen meine Aufwartung zu machen. In ehrerbietigster Ergebenheit Ihr gehorsamer Schüler Beth. Original: Hs.; ABBAW, Dilthey-NL , Fasz. 129, Bl. 330–330 R. 1 Wilhelm Martin Ludwig Leberecht de Wette (1780–1849): ev. Theologe; 1807 Prof. in Heidelberg, 1819 in Berlin, 1822 in Basel; seit 1817 Freund und Briefpartner Schleiermachers.

Dilthey an Kurd Laßwitz 

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[1086] Dilthey an Kurd Laßwitz

Lieber Herr Professor!

Berlin, d[en] 9. Nov[ember] 1897. W[est] Burggrafenstr[aße] 4.

Der Vertragsentwurf zwischen der Akademie und Ihnen ist gestern vom Secretar der Akademie vorgelegt worden,1 dieselbe hat aber an den Zusätzen, welche Sie vorgeschlagen und ich angenommen hatte, Anstoss genommen. Von diesen beiden Zusätzen ist ja derjenige, der sich auf die etwaige Hinzuziehung eines Mitarbeiters bezieht, ganz gleichgiltig, da es ja nur von Ihnen abhängt, jetzt schon zu erklären, dass Sie etwa eine der Schriften lieber von jemand Anderem bearbeitet sähen. Ob dies nötig ist, können Sie ja jetzt übersehen und hierüber hätten Sie sich ja doch jetzt erklären müssen. In dem anderen Zusatz erregte die Bedingung rechtzeitiger Einlieferung etc. Bedenken, da der Ausdruck so unbestimmt sei, dass daraus im letzten Augen­ blick Schwierigkeiten entstehen könnten, wodurch dann eine Verzögerung der Edition herbeigeführt würde. Es wurde geltend gemacht, dass in keinem anderen Vertrage der Akademie je eine solche Clausel sich befunden habe, dass dieselbe also ganz gegen die Üsancen2 der Akademie sei und wohl im Verkehr zweier vorsichtiger Geschäftsleute, aber nicht im Verkehr mit einem solchen Unternehmen, das so ganz auf Vertrauen gegründet sei, erforderlich sein könne. Ich habe natürlich unsere vorläufige Übereinkunft auch ihrer Form nach verteidigt, aber es ist beschlossen worden, den Vertrag ohne diese Zusätze Ihnen wieder vorzulegen mit dem Wunsche, Sie möchten es der Akademie überlassen, dass das von mir Zugesicherte nemlich eine Einschränkung Ihrer Arbeit auf die sachliche Seite und die Ergänzung derselben nach der grammatischen Seite hin durch den Germanisten ausgeführt werde, während die nähere Art der Ausführung noch aussteht, aber auch für Ihre Arbeit an den Abhandlungen gar kein Interesse zunächst hat. Ich übersende sonach den Vertragsentwurf ohne die beiden Zusätze nochmals3 und bitte Sie, sich zu überlegen ob Sie denselben so unterschreiben können, wie es Windelband, Erdmann, Natorp4 etc. gethan, und mir bald thunlichst Ihre Entscheidung freundlichst zukommen zu lassen. In allem übrigen berufe ich mich auf den vor kurzem gesandten Brief und füge nur meine besten Grüsse hinzu. In grösster Hochachtung der Ihrige Dilthey

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Dilthey an Kurd Laßwitz 

Original: Hs.; Diktat D.s von der Hand P. Menzers mit eigenhändiger Unterschrift D.s; FB Gotha, Chart. B 1962 a, 175–176. 1 Der Vertrag zwischen der „Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften in Berlin und Herrn Professor Kurd Lasswitz in Gotha“ wurde am 14. Februar 1898 geschlossen. Für die AdW unterzeichnete der Vorsitzende Secretar H. Diels (Original: ABBAW, Bestand PAW (1812–1945), Sign. II-VIII-153, Bl. 79–80). 2 Usancen: Gepflogenheiten. 3 Nicht überliefert. 4 P. Natorp war neben W. Windelband, B. Erdmann, E. Adickes u. a. als Herausgeber im Rahmen der Kant-Akademie-Ausgabe vorgesehen.

[1087] Dilthey an Kurd Laßwitz Sehr geehrter Herr Professor und Freund!

Berlin, November 18971

Ich will nur gleich damit anfangen zu sagen, dass es sehr wünschbar wäre, die Weihnachtsferien brächten Sie einmal wieder wie früher nach Berlin, denn eine persönliche Besprechung würde doch sehr viel schneller, leichter und angenehmer die wünschenswerte Verständigung herbeiführen. Abgesehen davon, dass es auch sehr schön wäre, wenn wir uns einmal wiedersehen würden. Die Auswahl des richtigen Germanisten und die Feststellung der Ordnung seines Zusammenwirkens mit den verantwortlichen Herausgebern ist von solchen Schwierigkeiten umgeben, dass noch Wochen vergehen müssen, bevor Sie ein solches Regulativ erhalten können. Für Sie aber scheint mir dies auch wirklich von nicht zu grossem Belang. Der Germanist führt ja doch nur eine gewisse Orthographie durch, Sie haben dagegen mit der ganzen Äusserlichkeit der Sprache schlechterdings nichts zu thun. So steht denn doch garnichts im Wege, dass Sie Ihre ausschliesslich auf die sachliche Seite bezügliche Textrevision fertig stellen. Wir haben uns bemüht, der kleinen Schriften habhaft zu werden. Ich zweifle nicht, dass Sie Ihrerseits auch Manches besitzen oder erworben haben, kommt da einmal etwas vor, so sind ja die Preise der Regel nach so wenig erheblich, dass es einerlei ist, ob dies die Akademie bezahlt, was sie auch gern thut. Nur darum die Sachen irgendwo angezeigt zu finden, handelt es sich. Sie erhalten in diesen Tagen dasjenige, was die Akademie bis jetzt hat erwerben können, sowie die Anzeige dessen, was zu erwerben sie Aussicht hat. Haben

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Sie selbst einiges, so wäre es unnötig es zu senden und Sie geben es wohl gütigst Herrn Dr. Menzer hier S[üd] W[est] Neuenburgerstr. 26 an. Im Notfall opfere ich auch das, was ich persönlich besitze, damit die Sache vorwärts geht. Diejenigen Schriften, die nicht erlangbar sind und das sind nur kleine, teilweise in Zeitschriften und Universitätsprogrammen abgedruckte müssen aus der Hartensteinschen Ausgabe2 herausgenommen, Ihnen nebst den Originalen zu Vergleichung übergeben werden, und so muss der Hartenstein’sche Text von Ihnen zum Druck zurecht gemacht werden. Wir müssen nur erst wissen, was wir erlangen können, dann zerschneiden wir ein solches Exemplar. Die betreffenden Originale müssten von Seiten der Akademie aus Bibliotheken entliehen werden. Darin allein beruht Ihre Aufgabe: diese Kantischen Texte sind bis jetzt von keinem vollkommenen Sachkenner in bezug auf eingeschlichene Fehler durchgeprüft worden3 und das sollen Sie nun zum ersten Male thun, wovon gewiss manche schöne Emendation4 zu hoffen ist. Über Einleitung und Anmerkungen ist festgestellt: Die sachliche Einleitung soll den Leser über das in bezug auf die Schrift vorliegende äussere Thatsachenmaterial unterrichten. Es sind – soweit möglich – Angaben zu machen über: 1) Etwaige äussere Veranlassung eines Werkes. 2) Geschichte desselben bis zu seinem Abschluss. Dagegen fällt die Geschichte und Kritik des Textes dem Anhang zu und wird jener an der Spitze der Lesarten erörtert. 3) Zeit, Ort und Art des Erscheinens der einzelnen Schriften. In den wenigen Fällen von Anonymität sind die Beweise für Kants Verfasserschaft anzugeben. 4) Dedicationen. Liegen solche vor, so sind Mitteilungen über die betreffende Person und Kants Verhältnis zu ihr zu geben. Anmerkungen. Der Einleitung folgen die Anmerkungen. Sie bringen vor den Lesarten die für das Verständnis ganz unentbehrlichen Sacherklärungen. Diese betreffen vornehmlich die notwendigen literarischen Nachweise, wo eine Person oder Schrift u.s.w. genannt wird oder auf sie angespielt wird. Eventuell kann auch die nähere Angabe einer bekämpften Theorie unerlässlich sein. Da Sie es vorwiegend nur mit einmal herausgegebenen Sachen zu thun haben, so ist die Arbeit überhaupt keine sehr grosse, es sei aber nochmals das im Vertrag schon Stehende herausgehoben: sollte Ihnen die Sache zuviel werden, so können sehr bequem z. B. die „Beobachtungen über das Gefühl“ etc. als aus dem Naturwissenschaftlichen herausfallend anderweitig vergeben werden.

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Von den beiden lateinischen Schriften bemerke ich noch, dass dieselben natürlich in bezug auf ihre sprachliche Correctheit von einem Philologen werden geprüft werden. Da der erste Band der Werke die kleinen Schriften von 1747–1757 enthalten soll, so sind für diesen von Ihnen zunächst zu liefern: Gedanken von d[er] wahren Schätzung de igne nova dilucidatio monadalogia physica. Diese Sachen sind nur einmal aufgelegt; wogegen ja dann der andere Teil des ersten Bandes von den Herren Rahts und Schöne5 geliefert wird. Also, lieber verehrter Freund, wollen Sie ohne zuviel Bedenken zunächst an diese Sachen herangehen, und wenn es möglich ist, lassen Sie sich in den Weihnachtsferien mal hier sehen, eben am besten, wenn Sie schon etwas in der Sache drinstecken.

In treuer Gesinnung der Ihrige Wilhelm Dilthey

P. S. In betreff „de igne“ würde mit der Universitätsbibliothek in Königsberg zu verhandeln sein, sobald Sie es wünschen. Original: Hs.; Diktat D.s von der Hand P. Menzers mit eigenhändiger Unterschrift D.s; FB Gotha, Chart. B 1962 a, 177–177 R, 182–182 R, 178–178 R, 181–181 R, 179–179 R, 180. 1 Im Brieforiginal: „Berlin, d[en] Nov[ember] 1897.“ 2 G. Hartenstein (Hg.): Kant’s sämmtliche Werke in chronologischer Reihenfolge. 8 Bde. Leipzig 1867–1869. 3 Im Brieforiginal: „werden“. 4 Verbesserung. 5 Der Assistent der Königsberger Sternwarte Dr. Raths.  – Vermutlich Alfred Schöne (1836–1918): klass. Philologe und Literaturhistoriker; 1859 Promotion in Leipzig, 1864 Habilitation und PD ebd., 1869–1874 o. Prof. für klass. Philologie und alte Geschichte in Erlangen, 1884 Bibliothekar in Göttingen, 1887 o. Prof. in Königsberg, 1892–1902 in Kiel.

Dilthey an Adolf von Harnack 

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[1088] Dilthey an Adolf von Harnack Sehr verehrter Herr College, Verzeihen Sie wenn ich heute erst dazu komme, nach dem neulichen flüchtigen Gespräch, Ihnen meinen herzlichen Dank für die vornehme u. freundschaftliche Art auszusprechen, in welcher Sie in Ihrer neuen Ausgabe mit meinem abweichenden Standpunkte sich auseinandergesetzt haben.1 Noch gestern citirte ich den Studenten in der Vorlesung Goethes Wort: Der Kampf zwischen Glaube u. Unglaube sei im Grunde das Thema der ganzen Weltgeschichte.2 Es giebt nur zwei Weltansichten u. Philosophien: die Eine hält sich an die nach Masse u. Kraft so überlegene physische Welt, erforscht deren Gesetze u. ordnet denselben als Produkte oder Begleiterscheinungen das Geistige unter. Sie sieht im Geistigen nur Interpolationen3 im Context der Natur. Die andere weiß daß im Geistigen allein Zusammenhang gegeben und Bedeutung von Dasein, Verständniß desselben möglich ist. In diesem Kampf stehen wir auf derselben Seite. Sie sind in diesem Kampf eine wirkliche Macht. Und bei allen Differenzen empfinde ich das immer am stärksten Ihnen gegenüber u. freue mich so oft wir uns begegnen. Und etwas von solcher Genossenschaft oder Kameradschaft fühlen Sie wol mir gegenüber auch. Ich lebe ganz im Schleiermacher.

In treuer Gesinnung der Ihrige Wilhelm Dilthey

26 Nov[ember] [18]97. Original: Hs.; StB PK Berlin, HA , Autograph Harnack, NL 217, 29, Bl. 2–3. 1 A. von Harnack: Lehrbuch der Dogmengeschichte. Dritter Band: Die Entwicklung des kirchlichen Dogmas, 3. verb. und verm. Aufl. Freiburg i. B., Leipzig und Tübingen 1897, passim. 2 J. W. von Goethe: West-Östlicher Divan. Noten und Abhandlungen zu besserem Verständnis des West-Östlichen Divans: „Das eigentliche, einzige und tiefste Thema der Weltund Menschengeschichte, dem alle übrigen untergeordnet sind, bleibt der Konflikt des Unglauben und Glaubens“, in: J. W. von Goethe: Sämtliche Werke in 18 Bden, unveränd. ND der Bde. 1–17 der Artemis-Gedenkausgabe zu Goethes 200. Geburtstag am 28. August 1949. Hg. von E. Beutler, 2. Aufl. Zürich 1961–1966, Bd. 3, S. 504. 3 Einfügung, Eingriffe.

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Dilthey an Walter de Gruyter 

[1089] Dilthey an Walter de Gruyter Hochgeehrter Herr, ich bin nun in der Lage, die Zahl der Bände in gewissen Grenzen bestimmen zu können. Diese liegen zwischen 21 u. 23 Bänden. Der Druck kann beginnen sobald Reicke das Manuscript der Briefe einsendet, was hoffentlich Anfang [18]99 sein wird. Von da können dann ganz regelmäßig 2 Bände von uns geliefert werden. Im ersten Jahre müßten wir wol mit 3 Bänden kommen womöglich Anfang 1900 u. es wäre auch vorzubehalten daß wir dieses Recht, 3 Bände in einem Jahr drucken zu lassen nach Lage der Umstände hätten. Die Zahl der Freiexemplare würde 20 für das Ganze u. 7–9 für die 9 Bände der Werke nicht überschreiten, vielleicht dahinter zurückbleiben. Von England wol noch keine Nachricht?1 Vielleicht haben Sie nun einmal die Güte, Ihre Propositionen schriftlich zu fixieren, damit eine Unterlage für die Besprechung in der Commission vorhanden wäre.

In größter Ergebenheit der Ihrige Wilhelm Dilthey.

Berlin d[en] 10. 12. [18]97. Original: Hs.; Diktat D.s von der Hand Katharina D.s; StB PK Berlin, HA , 17 Dep. 42 (de Gruyter), R 2: Dilthey, unpaginiert. 1 Der Vorgang ist nicht mehr zu ermitteln.

[1090] Dilthey an Reinhard Kekúle von Stradonitz1 Hochverehrter Herr Dekan, da Sie als unser Dekan Mitglied des Kuratoriums für das stud[entische] Säkularstipendium sind, welches für Theologiestudenten bestimmt ist, so darf ich mir wohl erlauben, darauf aufmerksam zu machen, daß Herr Lic. Beth, welcher sich unter den Bewerbern befindet, eine sehr tüchtige philosophische Durchbildung besitzt und sonach auch vom Standpunkt unserer Fakultät aus das Stipendium verdient.

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Dilthey an Kurd Laßwitz 

Ich habe ihn in philosophischen Übungen und persönlichem Verkehr in dieser Rücksicht sehr schätzen gelernt.2 Auch verdient sein warmer u. wahrer Charakter alle Anerkennung.

In größter Hochachtung der Ihrige Wilhelm Dilthey

B[er]l[in] 21. 12. [18]97 Original: Hs.; Diktat D.s von unbekannter Hand mit eigenhändiger Unterschrift D.s; Archiv der HU Berlin, ohne Aktenzugehörigkeit. 1 Reinhard Kekúle von Stradonitz (1839–1911): Archäologe; 1870 a. o., 1873 o. Prof. für Alte Kunstgeschichte in Bonn, 1889 Honorarprof. und Direktor der Antikensammlung der Königl. Museen in Berlin, ab 1890 zudem o. Prof. in Berlin, 1897 Dekan der philos. Fakultät. – Im Brieforiginal darüber, von der Hand Kekúle von Stradonitz’: „Nach Wunsch erledigt. K“. 2 Im Brieforiginal: „gelehrt“.

[1091] Dilthey an Kurd Laßwitz Verehrter Freund!

Berlin, 24. 12. 18971

Mir würde der 3. und 4. Januar sehr recht sein. Ich freue mich sehr, Sie dann überhaupt einmal wiederzusehen. Was Sie von Vorarbeiten haben, bitte ich ja mitzubringen, da es uns die Besprechung erleichtern wird. Für den 3. würde ich vorschlagen, daß Sie mir nachmittags 5 Uhr Ihren Besuch freundlich zur Besprechung schenkten. In größter Hochachtung der Ihrige Dilthey. Original: Hs.; Postkarte; Diktat D.s von der Hand Maximilian D.s; FB Gotha, Chart. B. 1962 a, 183. 1 Datierung nach Poststempel.

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Karl Dilthey an Dilthey 

[1092] Karl Dilthey an Dilthey G[öttingen] 24. XII. [18]97 Liebster Wilhelm, Eben habe ich Deine Zeilen und Leni’s liebes Briefchen erhalten,1 und über Beides mich sehr gefreut. Auch hat meine Haushälterin mir auf Befragen gestanden, daß die Inschriftenbände angelangt sind; sie hatte sie bei Seite gethan, um sie an den sonst meist leeren Platz unter den Baum für mich hinzulegen. Schon jetzt vielen herzlichen Dank – es ist eine werthvolle Bereicherung meiner Bibliothek, und ich hätte etliche der Bände mir schon, obwohl seufzend, angeschafft, wenn ich nicht im Stillen gehofft hätte, daß Du diese Lücke mir füllen würdest. Die Otfr[ied] Müller-Rede ist erst am 1. Dez[ember] vom Stapel gegangen.2 Die Gedächtnißfeier war verschiedene male hinausgeschoben worden, einmal weil Bußtag, dann weil dies oder das war, zuletzt noch, weil Otfr[ied] Müller’s einziger noch lebender Sohn, Landesdirektor in Hannover,3 am betr[effenden] Tag verhindert war. Ich hatte einen Extrakt aus meinem großen Manuscript als Rede niedergeschrieben, und musste dann davon noch die Hälfte streichen, und auch so dauerte die Rede ungewöhnlich lang, an 5∕4 Stunden. Aber niemand klagte darüber, und es ist mir des Lobes von den verschiedensten Seiten überschwänglich viel gesagt worden, obwohl ich ziemlich schlecht las und meiner Stimme nicht, wie sonst, Herr war, in Folge einer Erkältung und allgemeiner Indisposition. Durch eine Flasche alten Rheinweines meinte ich mich zu montieren,4 aber die half nur für die erste Viertelstunde, dann stellte sich Ermüdung ein. Ich wollte die Rede nicht als solche drucken lassen, aber der Prorektor insistirte so beharrlich, und so viele Kollegen fragen danach, daß ich es doch versprochen habe. Ich könne ausnahmsweise, sagte der Prorektor nach Beschluß des Verwaltungsausschusses, Alles, was ich hätte, drucken lassen, wenn es auch noch so dick würde. Aber das geht doch nicht, der Charakter der Rede würde verloren gehen. So will ich einen Mittelweg einschlagen. Ich sehe auch voraus, daß sonst gar Nichts vom Manuscript gedruckt würde, da ich im Grund nicht zufrieden damit u. für jetzt die Sache satt bin. Nachher aber würde ich wohl auch nicht wieder dran gehn.5 Ich habe entsetzlich an Schlaflosigkeit gelitten, auch jetzt habe ich schlechte Nächte, eine nach der anderen, und ich wundere mich, daß es noch so weiter gehen kann. Feiertage habe ich keine, ich spüre nur die mancherlei Störungen dieser Tage. Das unselige Werk über die Sternenhimmelbilder macht mir ganz

Karl Dilthey an Dilthey 

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unsagbare Arbeit und Verdrießlichkeit. Ich hatte die Correcturbogen müssen liegen lassen, und so haben sie sich furchtbar aufgesammelt; und sie sind wie ein recht liederliches Concept. Eben habe ich 10 Tage an 1 Bogen gesessen, und das Resultat ist das negative, daß fast das ganze Capitel fallen muß. Das Schlimmste ist, daß der Kerl halsstarrig und in der Verwerthung meiner Mitwirkung durchaus unehrlich ist; so daß ich nun überall meinen Namen streiche.6 – Mit Hermann7 scheints trüb zu stehen. Jetzt erst bricht auch in seinen eigenen Briefen u. Karten die muthlose Stimmung durch. Der unglaubliche Streich, daß im Herbst auf den Dresdener Aufenthalt auch noch der Berliner gesetzt wurde, scheint wirklich, wie ich gleich fürchtete, üble Folgen gehabt zu haben. Was hatte auch ein Mann in einer gefahrvollen Lage dort in aller Welt zu suchen! Es war frevelhaft, der Prozeß scheint noch nicht zum Abschluß gekommen. Ich würde, unter diesen Umständen, zwischen Weihnacht und Neujahr nach Bonn gehen, wenn ich nur könnte. Es ist mir nun auch ein neuer großer Saal für die Erweiterung der archäol[ogischen] Sammlung überwiesen, der einzurichten ist, und ich werde gedrängt, da ich dafür ein paar kleinere Räume abgebe, die so schnell wie möglich, für anderweite Benützung geräumt werden sollen. In den neuen Etat ist endlich, nachdem ich dreimal ein … [Briefschluss fehlt.] Original: Hs.; StUB Göttingen, HA , cod. ms. W. Dilthey, 14 d, Nr. 6. 1 Nicht überliefert. – Leni D. (geb. 1888): jüngste Tochter D.s. 2 Karl Ottfried Müller (1797–1840): klass. Philologe und einer der Begründer der klass. Archäologie; 1819 a. o., 1823 o. Prof. für klass. Philologie, Kunstarchäologie und später auch Eloquenz in Göttingen, 1832 Ernennung zum Hofrat. – K. O. Müller gestaltete wesentlich die Aula der Göttinger Universität, die 1837 zum 100jährigen Bestehen der Universität fertiggestellt wurde, und zu diesem Anlass hielt er die Festrede. 3 Carl Hugo Müller (1830–1908): 1895–1899 Landesdirektor in Hannover. 4 Hier im Sinne von: sich zusammenreißen, konzentrieren. 5 Anlässlich des 50jährigen Bestehens der Aula der Göttinger Universität hielt D.s Bruder Karl eine Rede: Otfried Müller: Rede zur Saecularfeier Otfried Müllers am 1. Dezember 1897 im Namen der Georg-August-Universität. Göttingen 1898. 6 Nicht ermittelt. 7 D.s Schwager H. Usener.

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Dilthey an Hermann und Lily Usener 

[1093] Dilthey an Hermann und Lily Usener [Weihnachten 1897]

Ihr Liebsten1

treue Weihnachtswünsche wenigstens senden wir Euch. Ich denke so gern noch der schönen Stunden die wir hier zusammen verlebten, in denen ich mich einmal wieder mit Hermann aussprechen konnte. Wie wohl hat mir das gethan. Möchte ich nur vernehmen daß Du, lieber Hermann einen Dich befriedigenden Abschluß der Arbeit gefunden hast. Wie ich auch darüber nachdenke: nur wenn Du durch Vereinigung von Colleg u. Arbeit Deine Existenz vereinfachst und Resultate mit der Hauptbegründung giebst, kannst Du Dich auf die genugthuende Weise einrichten und was Du der Welt noch geben kannst im Kern geben. Ich weiß ja wol wie jeder Beweis um das Maximum an Wahrscheinlichkeit zu erreichen, auch neben den Hauptargumenten der Bestätigungen bedarf, die aus Schutt u. Geröll der Überlieferung zusammengelesen Dir zu viel Mühe machen würde: auch daß das Weitstrahliche, auf das Fernste Licht Werfende in Deinen Schriften auch solcher entfernter liegenden Combination von nur bestätigendem u. befestigendem Charakter bedarf: aber die Hauptsache bleibt doch, die Resultate Deiner Lebensarbeit hinzustellen u durch die Dir zur Verfügung stehenden Hauptargumente zu begründen. Ich schreibe am Schleierm[acher]; aber neben Vorles[ung] u. anderen Geschäften strengt es mich so an, daß ich beständig im Conflikt mit unserm vortrefflichen Arzt lebe. Käthe grüßt tausendmal. Es geht ihr gar nicht besonders. Gerade jetzt bei dem schlimmen Wetter. Die Kinder die munter sind, wenn auch Max elend aussieht, schließen sich an. Also verlebt ein fröhliches Weihnachtsfest, Ihr Liebsten u. gedenkt auch unser etwas dabei.

In Liebe u. Treue Euer Wilhelm

Original: Hs.; ULB Bonn, HA , Usener-NL , S 2102, 3, Nr. 18; ein maschinenschriftliches Transkript mit Auslassungen ist hinterlegt in: StUB Göttingen, HA , cod. ms. W. Dilthey 17, Nr. 28. 1 Im Brieforiginal darunter von H. Useners Hand: „Antw[ort] 27/XII [18]97“.

Hermann Usener an Dilthey 

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[1094] Hermann Usener an Dilthey Mein lieber Wilhelm,

Bonn, den 27. 12. [18]97.

habe herzlichen dank für Deinen brief, der mir eine rechte weihnachtsfreude war. Nur hat es uns geschmerzt, das Du über Käthens befinden uns nicht so beruhigen konntest, wie unsere stille hoffnung gewesen war. Hoffentlich hütet sie sich bei der scharfen und oft schneidenden luft. Grüsse sie und die kinder von uns allen herzlich. Dass ich einen befriedigenden arbeitsmodus gefunden hätte, kann ich leider nicht sagen. Ich war sehr muthlos, da der arzt mir das traurige maximum einer halben stunde für zusammenhängendes lesen zugemessen hatte und ich durch erfahrung fühlte, dass er recht habe und ich mir noch nichts zumuthen dürfe. Wir haben, um nicht die möglichkeit zu schaffen, wenigstens ein paar stunden des tageslichtes nach gehaltener Vorlesung für mich zu nützen, uns so eingerichtet, um mittag nur etwas zu frühstücken und erst am abend, nach fünf, mittagsmahl zu halten; sprechstunde habe ich auf ab 6–7 verlegt, an nur zwei tagen. Abends von 6–8, an freien tagen auch vormittags kommt immer einer der jungen leute, die mir griechische autoren vorlesen und dabei allen mir wichtigen stoff durch kurze notizen einsammeln; zuweilen auch noch abends. Aber ich selbst kann wenig tun, an trüben tagen wage ich nur verstohlen einmal in ein buch zu sehen; vor zusammenhängendem eigenem lesen habe ich instinktiv eine art angst. So kann ich nur äusserst wenig, bruchstücke, lächerlich, schaffen. Der arzt beruhigte mich neulich; er konstatiert dass das kranke auge wieder normal sei (lichtempfindung ist vorhanden) und sehen würde, wenn nicht das mechanische hindernis der von ablagerungen durchsetzten oder verdickten hornhaut wäre und rechnet mit bestimmtheit auf bessere tage für mich. Nun stehe ich gegenwärtig vor so schweren und verwickelten, tief in die erkenntnislehre einschneidenden problemen, dass ich wirklich nicht weiss, wie ich in dieser lage das vorgesetzte ziel werde erreichen können. Ein früherer schüler, der am meisten in meine jetzige richtung eingegangen ist, und sich in sehr selbstloser weise zu meiner hilfe angeboten hat, wird heute eintreffen zu gemeinsamer ferienarbeit; ich hoffe ihn für einzelne meiner alten pläne zu gewinnen, ihn einzuführen und zu veranlassen, das in seiner weise auszuführen, worauf ich werde verzichten müssen. Ich bin höchlichst gespannt, wie sich die sache entwickeln wird. Doch bitte ich niemandem davon zu sprechen, auch vorläufig nicht, vielleicht macht es sich auch so, dass er mir nachher in der ferne durch beobachtungen und sammlungen nützlich sein kann.

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Hermann Usener an Dilthey 

Freilich würde das niemand mehr tun können als Karl; nur ist der nicht zu erreichen, und bei jeder frage, die ich während des semesters an ihn richte, muss ich besorgen, ihm mehr zuzumuten als ihm vielleicht in dem augenblick gut ist, und dadurch sein gleichgewicht zu stören, das könnte ich nur machen, wenn er an einem orte mit mir lebte. Geschrieben habe ich in letzter zeit an einer kleinen abhandlung über die sintfluthsagen;1 die kombination ist nun etwa 28 jahre alt und ich habe sie stets im auge gehalten und dafür beobachtet, aber Du kannst dabei sehen, dass Dein rezept nicht so einfach anwendbar ist: auf schritt und tritt treten fragen auf, für mich zum theil erfahrungsmässig längst gelöst, aber die welt will bewiesen haben, was ich behaupte, und dazu bedarf es, wenn recht planmäßig vorgesammelt ist, unter umständen langen suchens und vielen lesens, um einige einleuchtende beweisstücke beibringen zu können. Zu weihnachten war die familie nicht so vollzählig wie letztes mal um uns versammelt, Hans fehlte,2 den eine influenza in Jena zurückhielt. Er soll sich nun in den nächsten tagen bei Kohlrausch3 vorstellen, um evt[uell] in der physikal[isch-]techn[ischen] reichsanstalt als hilfsarbeiter einzutreten. Es wäre uns ein grosses anliegen, wenn Ihr ihm für die zwei nächte, die er in Berlin sein wird, aufenthalt gewähren könntet. Auch wirst Du de[s]gl[ei­chen] Landolt,4 ihm wohl auch nützliche winke für seine vorstellung bei K[ohlrausch] und etwaige sonstige besuche geben können. Natürlich darf von dieser sache nirgends gesprochen werden! Mit Deinen arbeiten sieh Dich nur ja vor, nicht in das fieber des produzierens zu verfallen; berechne mit enthaltsamkeit Deine kräfte und erspare Dir einen rückschlag. Niemand kann sich mehr auf die vollendung des schreibens freuen als der, der es schreibt. Möge das neue jahr Dich ein gutes stück weiterbringen und dazu Dir und Käthe und den Kindern volle gesundheit und die sonne und den frieden der seele, ohne die nichts gedeihliches wachsen kann, verleihen. Das wünscht Dir von ganzem herzen Dein H. Usener. Original: nicht überliefert; ein maschinenschriftliches Transkript, angefertigt von C. Misch, ist hinterlegt in: StUB Göttingen, HA , cod. ms. W. Dilthey, 14 g, Nr. 25. 1 H. Usener: Zu den Sintfluthsagen (An Karl Dilthey in Göttingen), in: Rheinisches Museum für Philologie, Neue Folge 56 (1901), S. 481–496; WA in: H. Usener: Kleine Schriften. Bd. 4: Arbeiten zur Religionsgeschichte. Leipzig und Berlin 1913, S. 382–396. 2 Hans Usener, Sohn des Hermann Usener, war seit 1896 als Assistent am Physikalischen Institut in Jena tätig.

Dilthey an Gustav von Schmoller 

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3 Friedrich Kohlrausch (1840–1910): Physiker; 1866 PD, 1867 a. o. Prof. in Göttingen, 1870 o. Prof. an der TH Zürich, 1871 an der TH Darmstadt, 1875 in Würzburg, 1888 in Straßburg, 1895–1905 Präsident der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt in Berlin, 1899 zudem Honorarprof. an der Universität Berlin. 4 Hans Heinrich Landolt (1831–1910): schweiz. Chemiker; 1858 a. o. Prof. in Bonn, 1870 o. Prof. in Aachen, 1881 an der Königl. landwirtschaftlichen Hochschule in Berlin, 1891 an der Universität Berlin.

[1095] Dilthey an Gustav von Schmoller Lieber Schmoller,

[1897]1

Augenentzündung [–] Hoffnung Donnerstag kommen zu können [ist] mir durch die heftigsten Augenschmerzen in dieser Nacht hinfällig geworden. Habe darum in solchem Zustande beifolgenden Entwurf eines Antrags2 diktiert, welchen ich Ihnen zu jeder Art von Benutzung übergebe. Sollte Weinhold3 das Scriptum übernommen haben, kann er das meinige vielleicht dabei irgendwie verwerten. Ich habe selbstverständlich nichts dagegen, ev[entuell] als Verfasser in der Akademie bezeichnet zu werden, [wenn] er auch bereit ist, später den Plänen gegenüber den eingenommenen Standpunkt mit zu verteidigen. Daher habe ich sogleich unterschrieben. Machen Sie nun damit, was Sie wollen, ändern Sie nach Belieben – nur daß wir unsern Zweck erreichen. In treuster Gesinnung Ihr W. Dilthey Original: Hs.; Diktat D.s von der Hand A. Heubaums mit eigenhändiger Unterschrift D.s; GStA PK Berlin, VI. HA , FA und NL , NL G. von Schmoller, Nr. 174, Bl. 10–11. 1 Im Brieforiginal: von fremder Hand: „1897“. 2 Nicht beigelegt. 3 Der Philologe Karl Gotthelf Jacob Weinhold (1823–1901), seit 1889 o. Prof. in Berlin, war Mitglied der Kant-Kommission.

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Dilthey an Herman Grimm 

[1096] Dilthey an Herman Grimm 27. Jan[uar] 1898 Lieber Grimm, besten Dank für das Schreiben von Schmoller u. den Brief Zellers,1 welche beide mit meinen Überzeugungen so ganz übereinstimmen. Haben Sie doch als einer der Ersten eben darin einen besonderen Ton angeschlagen, der nun bei den Zeitgenossen vielfach weiterklingt: Sie gaben sich nicht in der Einheit eines Systems sondern in der einer Persönlichkeit, und dies an den verschiedensten Stoffen;2 wodurch denn eine eigene Art von Mikrokosmos entstanden ist: so wie Carlyle’s Schriften3 einen solchen bilden, Schm[oller]s Brief hat m[eine] Tochter für Zeller abgeschrieben.

Mit besten Grüßen von Frau u. Kindern d[er] Ihrige Wilhelm Dilthey

Original: Hs.; HStA Marburg, Bestand 340 Grimm, Br. 938. 1 Beides nicht überliefert. 2 Die Angelegenheit, um die es geht, ist nicht mehr zu ermitteln. 3 Der schottische Historiker, Schriftsteller und Übersetzer Thomas Carlyle (1795–1881).

[1097] Dilthey an Julius Rodenberg B[erlin] d[en] 1. II. [18]98. Verehrtester Herr Dr, gern möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, daß Diels, der Sekretär der Akademie, u. einer der hervorragendsten Gelehrten, vorigen Donnerstag in der Festsitzung eine an neuen Resultaten sehr reiche u. außerordentlich ­fesselnd geschriebene Darstell[un]g des Verhältnisses von Maupertuis u. Friedrich II gegeben hat.1

Dilthey an Otto Benndorf 

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Ich möchte glauben, derselbe würde, wie ehedem Dubois u. Helmholtz,2 ge­neigt sein, diese Darstellung der Rundschau zu überlassen, u. nach meinem Eindruck würde dieselbe eine wahre Zierde für die Rundschau sein.

Mit meinen besten Grüßen der Ihrige Wilhelm Dilthey

Geh[eimer] Rath Prof. Dr. H. Diels Magdeburgerstr. 20 Berlin, W[est] Original: Hs.; Diktat D.s von der Hand A. Heubaums mit eigenhändiger Unterschrift D.s; GSA Weimar, 81/II, 5, 7. 1 H. Diels: Festrede, am 27. Januar gehalten in der „Öffentlichen Sitzung zur Feier des Geburtstagsfestes S[eine]r Majestät des Kaisers und Königs und des Jahrestags König Friedrich’s II.“, in: Sitzungsberichte der Königl. Preuß. AdW zu Berlin. Jg. 1898, 1. Halbbd. (Januar bis Juni). Berlin 1898, S. 51–76. – Pierre-Louis Moreau de Maupertuis (­ 1698–1759): franz. Mathematiker, Physiker und Philosoph; 1724 Promotion in Paris, 1725 o. Mitglied der franz. AdW, 1746 Ernennung zum Präsidenten der Königl. Preuß. AdW durch Friedrich II. 2 Der Mediziner und Physiologe Emil Du Bois-Reymond (1818–1896). – Ders.: Maupertuis.  – Festrede in der öffentlichen Sitzung zur Feier des Geburtstages Friedrich’s II. und des Geburtstages Seiner Majestät des Kaisers und Königs am 28. Januar gehalten, in: Sitzungsberichte der Königl. Preuß. AdW zu Berlin. Jg. 1892. Erster Halbbd. (JanuarMai). Berlin 1892, S. 393–442. – H. von Helmholtz hielt am 27. Januar 1887 in der Königl. Preuß. AdW einen „Vortrag über die Geschichte des Princips der kleinsten Wirkung“; vgl. Sitzungsberichte der Königl. Preuß. AdW zu Berlin, Jg. 1887, S. 80. – Ders.: Zur Geschichte des Princips der kleinsten Action, ebd., S. 225–231. – Die Rede H. Diels’ erschien in der DRS 94 (1898), S. 439–460 unter dem Titel Maupertuis und Friedrich der Große.

[1098] Dilthey an Otto Benndorf

Verehrtester Freund!

Berlin, d[en] 16. II. [18]98. W[est]Burggrafenstr[aße] 4.

Ich bedauere lebhaft, dass es zu dem Besuch, den Sie mir freundlich einmal in Aussicht stellten, nicht gekommen ist. Wie gern hätte ich nach so vielen Jahren Sie einmal wiedergesehen! Und nun muss ich Sie schriftlich mit der An-

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Dilthey an Fritz Jonas 

gelegenheit behelligen, welche ich so viel lieber mit Ihnen mündlich besprochen hätte. Denn ich bemühe mich vergeblich, auf jemanden zu sinnen, der der Akademie so nahe stünde wie Sie und so geeignet wäre, bei Herrn Posonyi das Erforderliche zu erwirken. Sie haben so viele grosse Türken zu überreden gewusst und so hoffe ich, wenn Sie dem wunderlichen Sammler im Auftrag der Akademie deren Wunsch vortragen, die Kantiana in seinem Besitz: entweder zur Benutzung zugesandt zu erhalten oder an Ort und Stelle eine Copie vornehmen lassen zu dürfen, dass dieses verhärtete Gemüt Ihrer Beredsamkeit nicht widerstehen wird. So werden Sie sich als ächtes correspondierendes Mitglied der Akademie1 erweisen. Meinem Bruder geht es im Ganzen gut, ich wünschte ihm wohl, er könnte einmal mit Ihnen in Kleinasien sehen und graben.

In treuster Gesinnung der Ihrige Wilhelm Dilthey

Original: Hs.; Diktat D.s von der Hand P. Menzers mit eigenhändiger Unterschrift D.s; ÖNB Wien, HA , Autograph 639/28–4. 1 Der klass. Archäologe Otto Benndorf (1838–1907) legte 1898 sein Amt als o. Prof. in Wien nieder und wurde Direktor des von ihm gerade gegründeten österreichischen Archäologischen Instituts. – Benndorf war kein Korrespondierendes Mitglied der AdW zu Berlin.

[1099] Dilthey an Fritz Jonas Verehrter Freund!

Berlin, d[en] 16. II. 1898.

Nehmen Sie meinen besten Dank für das gütige Geschenk Ihrer kleinen Schrift,1 welche ich sofort mit dem grössten Interesse durchgelesen habe und die mir für das Verhältnis von Schleiermacher zu Ihrem Vater von grösstem Wert ist. Es ist ein Glück für mich bei meiner jetzigen Arbeit, dass noch einige Personen da sind, die wie Sie mit dem, was Sch[leiermacher] betrifft, von Kindes­beinen an vertraut sind.

In treuster Gesinnung der Ihrige Wilhelm Dilthey

Dilthey an Hans Vaihinger 

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Wenn Sie über den Verbleib der Kantm[anu]scr[ipte], die Hagen2 besessen, etwas hören, so wäre dem Kantunternehmen sehr genutzt. Original: Hs.; Postkarte; Diktat D.s von der Hand P. Menzers mit eigenhändiger Unterschrift D.s; StB PK Berlin, HA , Dep. 4 (Fritz Jonas) K 5, Nr. 1031. 1 Nicht eindeutig zu ermitteln. 2 Ernst Hagen (1851–1923): Sohn des Berliner Stadtkämmerers Adolf Hagen; Physiker; 1875 Promotion in Heidelberg, 1878 Assistent H. von Helmholtz’ in Berlin, 1883 Habilitation ebd., 1884–1888 a. o. Prof. für Angewandte Physik in Dresden, 1893 Direktor einer Abteilung der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt in Charlottenburg. – Ernst Hagen hatte Kant-Manuskripte von seinem Urgroßvater, dem Königsberger Apotheker und Prof. für Physik Gottfried Hagen (1749–1829), der ein Schüler und später auch Tischgenosse Kants war, sowie von seinem Urgroßvater mütterlicherseits, Johann Karl Linck (1755–1821), geerbt. Vgl. hierzu: Stark, S. 44–48.

[1100] Dilthey an Hans Vaihinger Berlin, d[en] 16. II. 1898 W[est] Burggrafenstr[aße] 4. Nehmen Sie meinen ergebensten Dank, sehr verehrter Herr College, dafür, dass Sie Ihren schönen Fund uns zuwenden wollen. Ich wende mich eben an die Besitzerin und erlaube mir natürlich, mich dabei auf Sie zu berufen.1 Mit herzlichen Grüssen und der Bitte, mich Ihrer Frau Gemahlin und der Familie Haym Bestens zu empfehlen2 treulich der Ihrige Wilhelm Dilthey Original: Hs.; Diktat D.s von der Hand P. Menzers mit eigenhändiger Unterschrift D.s; StUB Bremen, HA , Autograph XXI, 6: h, Nr. 11. 1 Kants Handexemplar der 1. Aufl. der Kritik der praktischen Vernunft (1788) war über mehrere Wege in den Besitz der Witwe des Geheimen Oberregierungsrats Eduard Crüger in Merseburg gelangt, die es für die Akad.-Ausg. zur Verfügung stellte. – Der Brief D.s an die Witwe E. Crügers ist nicht überliefert. – Vgl. H. Vaihinger: Kants Handexemplar der Kritik der praktischen Vernunft, in: Kant-Studien 2 (1898), S. 489–490.

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Dilthey an Friedrich Paulsen 

2 Der Philosoph und langjährige Herausgeber der PJ und Freund D.s, Rudolf Haym (1821–1901), war seit 1868 o. Prof. für deutsche Literatur in Halle; H. Vaihinger lehrte ebenfalls dort seit 1894 als o. Prof. für Philosophie.

[1101] Dilthey an Friedrich Paulsen 6 März [18]98

Lieber Herr College,

Ich wollte Sie die ganzen Tage fragen u. das frühe Anfangen, späte Schließen u. Testiren hinderten mich daran, ob Sie, da Sie nun so ganz in Kant in letzten Jahren gelebt haben u. leben, vielleicht Lust hätten an der Ausgabe der Werke sich zu betheiligen. Zu vergeben sind noch die Religion innerhalb der Gränzen, der Streit der Fakultäten u. die kleine Pädagogik. Die Religion ist deßhalb immer noch unvergeben, weil das Biographische was daranhängt nur von einem der es ganz durchgearbeitet hat gehörig berücksichtigt werden kann. Nun haben wol Ihre Studien Sie nach e[iner] neuerlichen Äußerung von Ihnen gerade darauf geführt. Ähnlich ists mit dem ‚Streit‘. Beide daher besonders wichtig u. mir ängstlich zu vergeben. Wenn Sie es freundlich überlegen wollen, so können wir es ja Montag in der Sitzung besprechen. Mit bestem Gruß auch an Ihre Frau Gemahlin der Ihrige Wilhelm Dilthey Original: Hs.; HU Berlin, UA , NL Friedrich Paulsen, Briefwechsel, Dilthey.

[1102] Dilthey an Graf Heinrich Yorck von Wartenburg Verehrtester Graf!

Berlin, d[en] 6. III. 1898

Verzeihen Sie, daß ich diktiere! Meine Augen sind von diesem dunklen Winter und der anstrengenden Arbeit sehr angegriffen. Da haben Sie es anders gehabt; aber ich habe es Ihnen recht gegönnt nach so furchtbar schweren Zeiten,

Dilthey an Graf Heinrich Yorck von Wartenburg 

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daß Sie mit Ihrer verehrten Frau im Sonnenschein wandeln durften. Nachdem unser Zusammentreffen bei Ihrer Durchreise so kläglich scheiterte – und hätten wir nicht sicher einen längeren Aufenthalt Ihrerseits mit Ihrer Mutter zusammen vorausgesetzt, so hätten wir doch irgend ein Zusammensein dem Gedränge des amtlichen und gesellschaftlichen Lebens abzugewinnen gesucht – hoffte ich ein wenig auf Ihre Rückreise, obwohl ich ja wußte, daß die Rückfahrt über Dresden projektiert sei. Nun aber sitzen Sie wohl in dem lieben, teuren Klein-Öls, und wir rüsten unsererseits die Abreise nach dem Süden. Selten ist dieser mir so nötig gewesen als nach dem unglaublich geschäftsüberlasteten Winter-Semester, das nun endlich in den nächsten Tagen zum Abschluß kommt. Ihr Vater ist mir täglich gegenwärtig, und ich gewinne kein Resultat geistiger Arbeit, ohne daß ich es gleichsam mit ihm bespräche, seine Antwort zu vernehmen glaube und von einer unglaublichen Sehnsucht ergriffen werde. Wenn von den Abschriften1 etwas fertig gestellt ist, so würde gerade die Stille des Ferienaufenthaltes geeignet sein, es durchzugehen; denn ich verlege doch ja nur meinen Arbeitstisch nach dem Süden in für meine Gesundheit und die meiner Frau günstigere Umgebung. So bin ich gerade recht in einer gesammelten Arbeitsstimmung. Ich werde also, wenn Ihnen das recht ist und ich ein Wort erhalte was copiert ist, ihnen den Ort nennen, an welchem wir zunächst solange verweilen, daß ich die Abschrift erwarten kann. … [Briefschluss fehlt.]

In treuster Anhänglichkeit der Ihrige Wilhelm Dilthey

Original: nicht überliefert; eine handschriftliche Abschrift von S. von der Schulenburg ist hinterlegt in: ABBAW, Ritter-NL; B: Sigrid Ritter, geb. von der Schulenburg, III, Nr. 29, Bl. 3–4; Erstdruck des letzten Abschnittes des Briefes in aktualisierter Orthographie in: Gründer, S. 375. 1 Abschriften nachgelassener Aufzeichnungen Graf Paul Yorcks.

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Dilthey an Robert Vischer 

[1103] Dilthey an Robert Vischer Verehrter College u Freund, so lange ist m[ein] Dank verzögert worden, damit ich über das Buch Ihnen gründlich schreiben könnte. Auch jetzt habe ich nur einige Capitel lesen können, u. wie sie mich reizen, außer der Ordnung. Sie haben etwas Außer­ ordentliches vollbracht, u ich will es auch im Jahresbericht unsres Archivs aussprechen: wir besitzen kaum eine so vollendete Bearbeitung von Vorlesungen. Sie haben dieselben wirklich in ein Buch verwandelt, u. dabei den Styl Ihres ­Vaters mit dem feinsten Gefühl erhalten.1 Ach lieber Freund, wenn Sie diese Anstrengungen auf ein eigenes Buch verwenden würden! Ich habe in diesem Winter Thode2 kennen gelernt. Er hat mich sehr interessirt. Aber wie weit ab von Ihrer ursprünglichen u. gesunden Kraft künstlerischen Sehens. Vorwiegend doch in der Anempfindung des Wagnerkreises formirt.3 Und nun gar die Andern! Ihr Buch ist eingepackt, es soll nach Tirol mitwandern. Wol zunächst nach Gries-Bozen. Dann denken wir an etwas Trient. Möchten wir Ihnen u. Ihrer lieben Frau wieder begegnen! Damit wir uns nicht verfehlen: über Burggrafenstraße 4 geht stets der Weg von uns zu hören wo wir sind etc. Schreiben Sie doch ein Wörtchen! Treulichst Ihr Wilhelm Dilthey W[est] Burggrafenstraße 4 6. M[ärz] [18]98 Original: Hs.; UB Tübingen, HA , Md 788–36. 1 R. Vischer (Hg.): Friedrich Theodor Vischer. Vorträge. Bd. 1: Das Schöne und die Kunst: Zur Einführung in die Ästhetik. Stuttgart 1898. – Der Literaturwissenschaftler und Ästhetiker Friedrich Theodor Vischer (1807–1887) war der Vater R. Vischers. 2 Henry Thode (1857–1920): Kunsthistoriker; 1880 Promotion in Wien, 1886 Habilitation in Bonn, 1889 Direktor des Städelschen Kunstinstituts in Frankfurt a. M., 1893 o. Prof. in Heidelberg. 3 H. Thode war in erster Ehe mit Daniela von Bülow verheiratet, einer Tochter Cosima Wagners aus ihrer ersten Ehe mit Hans von Bülow.

Dilthey an Graf Heinrich Yorck von Wartenburg 

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[1104] Dilthey an Graf Heinrich Yorck von Wartenburg

Lieber Graf Heinrich,

Gries bei Bozen d[en] 29. 3. [1898] Pension Brückl

Von zu Hause erhielt ich Ihre Zeilen,1 und für Ihren freundlichen Willen, durch das Bild Ihres lieben Vaters und das von ihm gebrauchte Messer mir in meiner Umgebung etwas von ihm nahe zu erhalten, sage ich Ihnen besten Dank. Ich habe die ganzen Tage überlegt, ob ich Sie jetzt um Fertiges von den Abschriften bitten soll. Ich lebe hier in sehr großer Stille unter Büchern und Papieren. Doch muß ich mir sagen daß nur wenn erst Alles zusammen sein wird ich mir einen Begriff bilden kann was zusammen gehöre und in wiefern es ein Ganzes zu bilden vermöge. So bitte ich, ruhig und ohne irgend welche Hast meinetwegen die Abschrift fördern lassen zu wollen. Genug wenn ich dann für meinen Aufenthalt im August und Juni das Vorhandene in Ruhe ein­packen und überlegen kann. Noch bitte ich Sie Ihre Aufmerksamkeit schon jetzt der Frage zuzuwenden, wie man durch eine biographische Darstellung, welche hinüberführt zu dem Werk seines Lebens[,] Zusammenhang in diese Bruchstücke bringen und sie dem Gemüth und Verständniß nahe bringen kann. Ich bin mit der Vollendung des Schleiermacher beschäftigt. Noch ein Band des Lebens. Davon trennbar nur für die Fachgenossen ein dritter Band: Darstellung des Systems und Denkmals nebst kritischen Untersuchungen über Leben, Werke und ihren Zusammenhang. Wie meine Frau sich mit ihren ergebensten Grüßen anschließt: so bitte ich auch uns beide Ihrer Frau Gemahlin, leider nun noch unbekannter Weise,2 zu empfehlen. In treuster Gesinnung Ihr Wilhelm Dilthey. Original: nicht überliefert; eine handschriftliche Abschrift von S. von der Schulenburg ist hinterlegt in: ABBAW, Ritter-NL , B: Sigrid Ritter, geb. von der Schulenburg, III, Nr.29, Bl. 5–6; einige Sätze des Briefes sind in aktualisierter Orthographie abgedruckt in: Gründer, S. 375–376. 1 Nicht überliefert. 2 Graf H. von Yorck hatte am 3. Oktober 1896 Sophie von Berlichingen geheiratet.

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Dilthey an Otto Benndorf 

[1105] Dilthey an Otto Benndorf Berlin, d[en] 2ten Mai 1898 Haben Sie, lieber verehrter Freund, besten Dank für Ihre freundliche Vermittlung bei Posonyi. Der nächste Schritt wäre nun wohl, dass wir von seinem Anerbieten Gebrauch machten: er will Ihnen das, was sein Archiv von Kant besitzt, zeigen und die Zahl der Stücke, das Datum, den Adressaten und die Anfangsworte jedes Briefes geben. Dies ist uns zunächst schon nützlich, da es uns doch einen Einblick in das Vorhandene gewährt. Sollte danach auf grosse Wichtigkeit zu schliessen sein, so wäre ja dann immer noch zu überlegen, ob weitere Schritte noch zu versuchen wären. Dürfte ich Sie nun zum Abschluss Ihrer gütigen Bemühung in dieser unergiebigen Angelegenheit bitten sich diesen Einblick und die entsprechende Auskunft von ihm erteilen zu lassen, wodurch Sie denn die akademische Commission der Kantausgabe sehr verpflichten würden. Mein Bruder war in Bozen ein paar Tage mit mir zusammen, ich fand ihn ziemlich wohl, natürlich als Göttinger Archäologe in seinem Fach etwas auf dem Trockenen sitzend. Er muss doch eben im Ganzen zusehen, was Andere machen. Er gedachte Ihrer in alter Freundschaft.

Mit herzlichen Grüssen der Ihrige Wilhelm Dilthey

Original: Hs.; Diktat D.s von der Hand P. Menzers mit eigenhändiger Unterschrift D.s; ÖNB Wien, Autograph, 639 / 28–5.

[1106] Dilthey an Fritz Jonas Berlin, d[en] 2ten Mai 1898 Verehrter Freund! Sie hatten in Ihrem freundlichen Schreiben vom 27ten II d[e]s J[ahre]s1 weitere Mitteilungen über die im Besitz der Familie Hagen befindlichen Kantpapiere2

Karl Dilthey an Dilthey 

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in Aussicht gestellt: Darf ich mich heute mit der Bitte um freundliche Auskunft über den Stand der Angelegenheit an Sie wenden? Im Voraus bestens dankend in grösster Verehrung der Ihrige Wilhelm Dilthey Original: Hs.; Postkarte; Diktat D.s von der Hand P. Menzers mit eigenhändiger Unterschrift D.s; StB PK Berlin, HA , Dep. 4 (Fritz Jonas) K. 5, Nr. 1031. 1 Nicht überliefert. 2 Ernst Hagen überließ die Kant-Papiere von 1898–1923 der Königl. Preuß. AdW zu Berlin für die Kant-Akad.-Ausg. (vgl: BSB München, Kantiana, Bl. 1–1a).

[1107] Karl Dilthey an Dilthey Liebster Wilhelm,

Göttingen 5. May 1898

Das Semester ist zu Ende, es war für mich ein grauenvolles Semester, aus dem ich stark reduzirt hervorgehe. Ich kann auch noch nicht reisen, so sehr ich es bedarf, ich muß bleiben, bis das Unglücksbuch, dessen Druck ich im Auftrag der Gesellschaft der Wissenschaften überwachen muß,1 fertig ist – ein Sumpf, in den mich Wilamowitz2 gelockt hat, zu einer Zeit, da ich, unmittelbar nach der schweren Krankheit, noch nicht mei compos3 war. Dazu Andres. 14 Tage werde ich noch hier sein, dann reise ich nach Venedig, Ravenna, Etrurien, falls ich dazu im Stand sein werde, denn ich bin arg herunter. Nun möchte ich wissen, wie es Dir und Käthe geht, was Ihr vorhabt. Könnten wir irgendwo und irgendwie zusammentreffen? Ich wünsche es sehr; ich muß aber auch darauf denken, Hermann in den Ferien zu sehn, weiß nur noch nicht, wie. Was ich über ihn und von ihm höre, ist traurig. Heute erwarte ich Fritz Köpp,4 der bis Montag bei mir bleiben wird. Es schien mit seiner Gesundheit nicht gut zu stehen; er hat sich Lina kommen lassen und führt eigene Haushaltung; das ist wieder für Linchen5 eine harte Entbehrung. – Marie Weiland6 ist seit Anfang Januar in Wiesbaden mit Else7 und wird bis Ostern dort residiren. Ich gebe mich auch der stillen Hoffnung hin, daß dies die Einleitung zur Uebersiedelung dorthin ist. Der Drang, das Leben zu genießen, der seit dem Tod ihres Mannes sich augenscheinlich sehr entwickelt hat, findet hier kein Genüge; und ihren Weggang würde man kaum beklagen.

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Dilthey an Kurd Laßwitz 

Ueberdies hat sich Else der Malerei gewidmet neben der Musik. (Talentlos für das Eine wie für das Andere – Schwindel!). Bitte, schreibe mir eine Zeile.

Mit herzlichen Grüßen an Alle Dein Karl

Du thätest mir einen Gefallen, wenn Du mir die 80 Mark schicken wolltest, die ich Dir im Herbst geliehen, in Gröden. Ich schwimme leider gar nicht im Ueberfluß, sondern habe eben Noth auszukommen. Original: Hs.; StUB Göttingen, HA , cod. ms. W. Dilthey, 14 d, 22. 1 Wie aus der Bibliographie Eduard Schwartz (1858–1940) hervorgeht, hat Karl D. nach 1897 nichts mehr publiziert. E. Schwartz war ein Göttinger Kollege Karl D.s zwischen 1902–1909. Die kleine Bibliographie der Schriften Karl D.s stellte er mit einem Nachruf nach dessen Tod 1906 zusammen, in: Chronik der Georg-August-Universität zu Göttingen für das Rechnungsjahr 1906. Göttingen 1907, S. 5–6. 2 Der klass. Philologe Ulrich von Wilamowitz-Moellendorf (1848–1931), war 1­ 893–1897 o. Prof. in Göttingen, wo auch Karl D. lehrte, bevor Wilamowitz-Moellendorf 1897 nach Berlin ging. 3 compus mei: im Besitz seiner selbst sein. 4 Der klass. Philologe und Archäologe Friedrich Koepp (1860–1944), der seit 1896 in Münster / Westfalen lehrte, war der Sohn von Karl D.s Cousine Karoline, geb. Rückert. 5 D.s Cousine Karoline Koepp, geb. Rückert (1831–1900), Witwe des Wiesbadener Arztes Ferdinand Georg Philipp Koepp (1825–1863). – K. Koepp wurde in der Familie „Linchen“ genannt. 6 Marie Weiland, geb. Lade, war die Witwe des Göttinger Historikers Ludwig Weiland (1841–1895) und eine Nichte D.s. 7 Nicht zu ermitteln.

[1108] Dilthey an Kurd Laßwitz Geehrter Herr College!

Berlin, d[en] 26. VI. [18]98.

Auf mein Ersuchen teilt mir heute Oberbibliothekar Reicke seine Bereitwilligkeit mit, etwaige Anfragen Ihrerseits über die Geschichte der von Ihnen herauszugebenden vorkritischen Schriften aus dem ihm vorliegenden Briefwechsel zu beantworten. Ich bitte nun sich umgehend mit unerledigten Fragen an

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Dilthey an Ludwig Stein 

ihn wenden zu wollen, da er Ende dieses Monats verreisen will und eine Anfrage ihn nicht mehr erreichen würde. Seine genaue Adresse ist: Königsberg i/P. Hinterstr[aße] 26. Erforderlichen Falls bitte ich, Herrn Reicke um Abschrift der Briefe er­ suchen zu wollen. Für die „Schätzung der lebendigen Kräfte“1 kommen 2 in Betracht. Mit besten Grüssen der Ihrige W. Dilthey Original: Hs.; Diktat D.s von der Hand P. Menzers mit eigenhändiger Unterschrift D.s; FB Gotha, Chart. B 1962 a, 184. 1 I. Kant: Gedanken von der wahren Schätzung der lebendigen Kräfte und Beurtheilung der Beweise, deren sich Herr von Leibniz und andere Mechaniker in dieser Streitsache bedient haben, nebst einigen vorhergehenden Betrachtungen, welche die Kraft der Körper überhaupt betreffen. Königsberg 1746, in: Akad.-Ausg. Bd. 1, S. 1–180.

[1109] Dilthey an Ludwig Stein   Lieber Herr College.

[Berlin, 13. 7. 1898]1

Leider ist der Druck durch Schmekels lange Zögerung2 zurückgehalten worden. Mich erschreckt nun eine Mitteilung von Reimer, wonach der Jahresbericht3 geteilt werden sollte. Wir haben ja die Sache ausführlich besprochen. Derselbe erhält einen systematischen Titel, etwa die Philosophie des 19. J[a]hr[hun]d[er]ts nach ihren Hauptformen, Jahresbericht etc. Als erster Versuch einer wirklichen historischen Erkenntnis auf diesem Gebiete wird er sicher die Leser im höchsten Grade interessieren, aber nur, wenn er ungeteilt erscheint. Sonst würde ich wirklich meinen Anteil lieber zurückziehen. Sie dürfen mir das wirklich nicht verübeln, da ich in die Sache zuviel Arbeit gesteckt habe. Hoffentlich sehen wir uns in den Ferien.

Mit herzlichen Grüßen der Ihrige W. Dilthey.

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Dilthey an Graf Heinrich Yorck von Wartenburg 

Original: Hs.; Postkarte; Diktat D.s. von fremder Hand; Fotokopien der Ori­ ginale: Dilthey-Forschungsstelle im Institut für Philosophie I der Ruhr-Universität Bochum. 1 Datierung nach Poststempel. 2 August Schmekel gab in 2 Briefen an D. (ABBAW, Dilthey-NL, Fasz. 132, Bl. 40–41 und Fasz. 258, Bl. 150–150 R), die hier nicht aufgenommen wurden, Gründe für seine immer neuen Verzögerungen der Abgabe von terminierten Schriften an. 3 In den Jahren 1898 und 1899 verfassten D., A. Heubaum und A. Schmekel gemeinsam Jahresberichte über die nachkantische Philosophie für das AGPh. 1898 erschien in Bd. 11: I. Die drei Grundformen der Systeme in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts, S. 551–586; WA unter Weglassung des Anfangs in: GS IV, S. 528–554.

[1110] Dilthey an Graf Heinrich Yorck von Wartenburg (Berlin) 26. Juli (1898) Burggrafenstr[aße] 4. Lieber verehrter Graf, Ich wollte mich nunmehr melden, in 14 Tagen bis 3 Wochen denke ich die Ferienreise anzutreten, und vielleicht sind die Abschriften1 inzwischen fertig geworden, sodaß ich sie während derselben durcharbeiten könnte. Dann könnten wir nach meiner Rückkehr über die Behandlung der Publikation uns wol am besten mündlich besprechen, gewiß führen Ihre Herrenhauspflichten Sie bald dann einmal hierher, wo wir uns Sie bei uns zu haben außerordentlich freuen würden. Und auch daran möchte ich zu erinnern erlauben daß wir gar herzlich wünschen Ihre Frau Gemahlin kennen zu lernen. Nehmen Sie schönen Dank für das Andenken an Ihren Vater, das Sie mir gesandt haben. Es vergeht kein Tag daß ich nicht seiner gedächte. Bei meiner Arbeit führen mich Erinnerung und die Sehnsucht mit ihm zu sprechen immer wieder zu ihm zurück. Manchmal wenn ich mich frage, ob es die zunehmenden Jahre sind die mein Leben so viel grauer und eintöniger machen, muß ich mir sagen, wie es doch diese Vereinsamung meiner inneren Existenz sei die auf mir laste. Ich arbeite seit fast 2 Jahren in meiner ganzen freien Zeit sehr angestrengt an der Fortsetzung des Schleiermacher,2 u. ich hoffe daß im November der Druck beginnen kann, so entfernt ich auch vom Abschluß des Manuscriptes

Dilthey an Graf Heinrich Yorck von Wartenburg 

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bin, das wie Ihr Vater mir stets voraussagte noch 2 Bände umfassen wird; dazu bedarf der erste Band bei gleichzeitigem Neudruck manche Ergänzungen.

In treuer freundschaftlicher Gesinnung der Ihrige Wilhelm Dilthey

Original: nicht überliefert; eine handschriftliche Abschrift von S. von der Schulenburg ist hinterlegt in: ABBAW, Ritter-NL , B: Sigrid Ritter, geb. von der Schulenburg, III, Nr. 29, Bl. 7–8; ein kleiner Passus des Briefes ist in aktualisierter Orthographie abgedruckt in: Gründer, S. 376. 1 Abschriften nachgelassener Schriften Graf Paul Yorck von Wartenburgs. 2 D. hatte im ersten Halbjahr 1898 zwei Vorträge über Schleiermacher in der Königl. Preuß. AdW zu Berlin gehalten, die nicht publiziert wurden: 1. Über den Plato Schleiermachers, vorgetragen am 6. Januar 1898, und 2. Die Berufung von Schleiermacher an die Universität von Halle, vorgetragen am 3. März 1898. – Veröffentlichung aus dem NL in: Leben Schleiermachers von Wilhelm Dilthey. I. Band, 2. Aufl. verm. um Stücke der Fortsetzung aus dem Nachlasse des Verfassers. Hg. von H. Mulert. Berlin und Leipzig 1922, S. 645–663 und S. 697–748; WA in: GS XIV, S. 678–683.

[1111] Dilthey an Graf Heinrich Yorck von Wartenburg Berlin d[en] 9. August 1898 Lieber Graf, Da ich Ende der Woche abreise und mich für diese Ferien eingerichtet habe, in Stille die Abschriften durchzugehen und die Möglichkeiten zu erwägen wie durch Auswahl oder Anordnung etc. denselben ein Zusammenhang zu geben sei, wodurch dann Vorschläge an Sie darüber möglich würden: so möchte ich nochmals die Frage in Erinnerung bringen, die ich in einigen Zeilen vor etwa vierzehn Tagen that, ob die Abschriften etwa so weit gediehen seien das möglich zu machen. Ich will dann die Ferien an einem ruhigen Orte dieser Aufgabe widmen. Oder hatten Sie die Zeilen nicht erhalten? Nicht wahr es ist doch nicht irgend ein Mißverständniß zwischen uns eingetreten? Dann bitte ich recht herzlich es mir offen auszusprechen. Es könnte ja nur ein leicht aufzulösendes Mißverstehen sein, da gerade Sie durch so viele Jahre mich so genau in meinen

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Dilthey an Friedrich Theodor Althoff 

Gesinnungen kennen. Seine Dauer wäre mir im höchsten Grade schmerzlich: ich bedarf des Bewußtseins mit Ihnen verbunden zu bleiben. Und nicht wahr, das konnten Sie doch nicht mißverstehen daß ich mich als wir davon sprachen nicht entschließen konnte, nach Klein-Oels zur Durchsicht der Aufzeichnungen und Besprechung zu kommen? Es ist mir bis auf diesen Tag noch ganz unmöglich die Orte wiederzusehen, an denen auf jedem Schritt die Erinnerungen an so lange schönste Jahre mit Ihrem Vater haften. Das fühlen gerade Sie mir gewiß so nach wie kein anderer Mensch.

… in treuster Gesinnung der Ihrige Wilhelm Dilthey1

Original: nicht überliefert; eine handschriftliche Abschrift von S. von der Schulenburg ist hinterlegt in: ABBAW, Ritter-NL , B: Sigrid Ritter, geb. von der Schulenburg, III, Nr. 29, Bl. 9–10. 1 S. von der Schulenburg merkt an: „Graf Heinrich hat mir gegenüber gelegentlich diese Scheu Diltheys nach Klein-Öls zurückzukehren als einen Zug seiner Schwäche hingestellt. Ich citierte ihm darauf einen Ausspruch meines Großonkels Hans Veltheim über Goethe: Goethe habe seine Stimmung geschont wie ein Mädchen seinen Teint. Doch sei ihm dies ein Mittel gewesen um immer zu Großleistungen fähig zu bleiben. Der Graf erkannte wohl auch an, daß Dilthey seiner besonderen Natur entsprechend ein Recht gehabt habe so zu verfahren.“ – Graf Hans von Veltheim (1818–1854): Jurist und Dichter; S. von der Schulenburg gab aus dem NL Veltheims heraus: Hans Graf von Veltheim: End’ und Anfang. Ein dramatisches Zeitgemälde. München 1907.

[1112] Dilthey an Friedrich Theodor Althoff Hochverehrter Herr Ministerialdirektor,1

Berlin 15. August [18]98

Für die Umwandlung von 1000 M[ark] der regelmäßigen Gratifikation in Gehalt sage ich meinen ergebensten Dank. Zugleich erlaube ich mir ein Wort hinzuzufügen in Betreff meines beabsichtigten Gesuchs wegen Dispensation von den Vorlesungen für den bevorstehenden Winter. Ich versuche zunächst durch Verlängerung meines Aufenthalts hier u. Durcharbeiten während des Ferienaufenthaltes auch ohne dieses Mittel die Vorbereitungen zum Druck des

Dilthey an Graf Heinrich Yorck von Wartenburg 

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Einen systematischen Bandes zu erledigen. Gelingt mir das nicht, so hat sich mir College Stumpf bereit erklärt neben seinen Vorlesungen die meinige mit zu übernehmen, falls nicht Herr Dr. Schmekel hier ist, welchem dann wol zu gönnen wäre daß er einmal ein Semester zu dem Versuch günstige Umstände erhielte was er durch Vorlesungen zu leisten vermöge.2 Hoffentlich bekommt bei dem herrlich beständigen Wetter die Waldeinsamkeit Ihrer Frau Gemahlin nach Wunsch. Meine Frau ist mit Max in die Nähe von Dresden vorausgereist, wohin ich nun in diesen Tagen folge: von da wollen wir weiter nach Kärnthen.

In treuer Verehrung der Ihrige Wilhelm Dilthey

Die verehrungsvollsten Empfehlungen an Ihre Frau Gemahlin. Original: Hs.; GStA PK Berlin, VI. FA und NL , NL Friedrich Theodor Althoff, Nr. 98, Bl. 138–139 R. 1 Im Brieforiginal darüber von fremder Hand: „Dilthey: Disposition für nächstes Semester – event[uell] Stumpf oder Schmekel“. 2 A. Schmekel hatte sich 1893 in Berlin habilitiert. Auf Empfehlung von U. von Wilamowitz-Moellendorff betrieb F. Th. Althoff die Versetzung Schmekels nach Greifswald, wo er ab 1899 als persönl. Extraordinarius für Philosophie und Philologie tätig war.

[1113] Dilthey an Graf Heinrich Yorck von Wartenburg

Lieber Graf,

5. Sept[ember] (1898) Admont in Steiermark.

Das Zeichen das Sie wünschen möchte ich jetzt geben. Wir werden in nächster Zeit in Villach1 auf der südlichen Seite Station machen, und ich darf nun auch hoffen daß so viel abgeschrieben sei daß ich über Auswahl und Ordnung eine Idee fassen kann. Da ich nun die italienischen Briefe2 noch in Erinnerung habe, der Heraklit aber für die Systematik weniger belangreich ist: so würde ich bitten, was von dem Übrigen abgeschrieben ist, besonders den (oder die beiden) angefangenen systematischen Abhandlungen und die kleineren Auf-

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Eduard Zeller an Dilthey 

zeichnungen senden zu wollen. Wenn es thunlich wäre, würde mir dann auch angenehm sein, wenn das Systematische, was vorhanden, zunächst weiter abgeschrieben würde, damit es vielleicht bald folgen könnte. Ihre Nachrichten über Ihrer Frau Gemahlin und Ihr Ergehen und Ihre Thätig­keit, sowie dann über die Aussicht Sie October in Berlin zu sehen haben mich sehr erfreut. Von meiner Arbeit am Schleiermacher und dem Einen und anderen Einzelnen kann ich guten Fortschritt melden. In späteren Jahren erkennt man freilich das Verwickelte jeder Frage immer mehr und es ist nur schwer zu vereinfachen.

Mit freundschaftlicher Ergebenheit der Ihrige

Wilhelm Dilthey

Original: nicht überliefert; eine handschriftliche Abschrift von S. von der Schulenburg ist hinterlegt in: ABBAW, Ritter-NL , B: Sigrid Ritter, geb. von der Schulenburg, III, Nr. 29, Bl. 10 a; ein Teil des Briefes ist in aktualisierter Orthographie abgedruckt in: Gründer, S. 376. 1 Villach in Kärnten / Österreich. 2 Graf P. Yorck von der Wartenburg: Italienisches Tagebuch. Hg. von S. von der Schulenburg. Darmstadt 1927.

[1114] Eduard Zeller an Dilthey Dr. E. Zeller Wirkl[icher] Geheimrath u. Professor

empfiehlt Ihnen u. Ihrer lieben Frau mit freundschaftlichem Gruss den Wunsch des Berliner Malers, Herrn von Willemoes-Suhm,1 dass Sie sich sein Bildniss, welches Herr v[on] W[illemoes-S[uhm] dieses Frühjahr in Baden angefertigt hat, ansehen möchten.

Meine Frau u. Schwägerin grüssen schönstens.

Stuttgart 15/9 [18]98. Reinsburgstr. 56.

Dilthey an Graf Heinrich Yorck von Wartenburg 

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Original: Hs.; Visitenkarte; StUB Göttingen, HA , cod. Ms. W. Dilthey 45, Autographenmappe Clara Misch, Nr. 39. 1 Der Berliner Bildnismaler Friedrich von Willemoes-Suhm (1853–1920), den E. Zeller im Frühjahr 1898 in Baden kennengelernt hatte, fertigte ein Gemälde von Zeller an, das er im November 1898 neben anderen in Berlin ausstellte (vgl. hierzu Ehlers, Bd. II, S. 218 und 224).

[1115] Dilthey an Graf Heinrich Yorck von Wartenburg

Lieber Graf,

Ober-Tarvis1 19 Sept[ember] [18]98

In Villach habe ich vor einigen Tagen das Manuscript in Empfang genommen, und dasselbe nun hier in Ober-Tarvis sorgsam durchgelesen. Mit welchem Entzücken habe ich wieder die kunsthistorischen Parthien durchgedacht: der Zusammenhang der byzantinischen Kunst mit der griechischen Weltanschauung ist eine wirkliche kunsthistorische Entdeckung, die gewiß großen Eindruck machen wird. In Bezug auf die philosophischen Parthien muß nun also nach Ihrem ausführlichen Brief, für den ich herzlich danke,2 von dem Bruchstück der philosophischen Hauptabhandlung, der Skizze ihrer Fortsetzung und den zwei Excursen über die Raumanschauung und die Logik weitere Aufklärung erwartet werden. Dann kann sich erst ergeben, in welcher Ordnung sich die Abhandlungen gegenseitig erläutern, und ob in dem so entstehenden Zusammenhang die beiden Excurse nicht besser zur Hauptabhandlung gezogen dh. hinter sie gestellt werden. Die philosophische Parthie des Übersandten bezieht sich so eng auf die in ihm nicht erörterten Grundbegriffe, daß ich doch erst wenn das Ganze zusammen ist, sie mir zur vollen Klarheit bringen kann. Da Sie nun bei so mannichfacher und dringender Arbeit die Hauptabhandlung und ihre Fortsetzung erst im October in Angriff nehmen können, so muß ich darauf verzichten, diesmal auf der Reise die Erwägungen zum Abschluß zu bringen, so ist nun auch nicht nötig daß Sie die Sache im October mit Aussetzung dringender Arbeiten beeilen. Ich freue mich sehr der Aussicht die Sie eröffnen, Sie im October, wo wir ja auch nach Berlin zurückkehren, wiederzusehen und Alles gründlich mit Ihnen zu besprechen. Sobald ich nach Berlin zurückgekehrt bin, werde ich mich beeilen es Ihnen zu melden. Wie sehr werde ich in schönste alte Zeiten durch Ihre Gegenwart und die Beschäftigung mit diesem theuren Nachlaß zurückversetzt werden!

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Dilthey an Otto Benndorf 

Wir haben eine herrlich Reise durch Steiermark und Kärnthen mit vielen neuen Eindrücken gemacht, und wir gedenken über Wien, auf dessen Kunsteindrücke wir uns sehr freuen, zurückzukehren. Eben sitzen wir in dem wunderbar schönen Ober-Tarvis, in einem großen Gasthof, aber schon von so italienischen Gewohnheiten, daß mein Magen auf unabsehbare Zeit operationsunfähig geworden ist. Meine Frau erwidert Ihre Grüße in alter Anhänglichkeit und wir bitten beide uns Ihrer Frau Gemahlin – einstweilen leider noch unbekannter Weise – empfehlen zu wollen. Eben so dem ganzen Schloß und der Villa. In treuster Gesinnung der Ihrige Wilhelm Dilthey Die Abschrift ist sehr gut, ich habe nur wenige Stellen als verbesserungsbedürftig mir notirt: sie gehören dem philosophischen Theile an. Original: nicht überliefert; eine handschriftliche Abschrift von S. von der Schulenburg ist hinterlegt in: ABBAW, Ritter-NL , B: Sigrid Ritter, geb. von der Schulenburg, III, Nr. 29, Bl. 11–12; der erste Abschnitt des Briefes ist in aktualisierter Orthographie abgedruckt in: Gründer, S. 366–367. 1 Tarvis mit seinen Stadtteilen Ober- und Unter-Tarvis gehörte damals zum österr. Kärnten, heute zu Italien. 2 Nicht überliefert.

[1116] Dilthey an Otto Benndorf Sonnabends d[en] 8 Oct[ober] [1898] Lieber Herr College, ich bin mit meiner Frau heut Sonnab[end] u. Morg[en] Sonntag hier u. freue mich gar sehr darauf Sie nach so langer Zeit wiederzu­ sehen. Erhalte ich nun keine Contreordre1 von Ihrer verehrt[en] Familie daß Sie nicht da, oder von Ihnen daß es Ihnen nicht paßt, so werde ich heute Sonnabend 6 Uhr den Versuch machen Sie zu finden. Paßt es Ihnen nicht bitte ja andres zu bestimmen.

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Dilthey an Otto Benndorf 

Hôtel Höller Bezirk VII Burggasse 2 neben Volkstheater wohnen wir u. ich werde 5–5 ½ Uhr im Hôtel sein,2 eventuellen Bescheid zu erwarten.

Mit herzlichem Gruß der Ihrige Prof. Wilhelm Dilthey Berlin

Original: Hs.; Correspondenzkarte; ÖNB Wien, HA , Autograph 639/28-6. 1 Gegenteilige Anweisung. 2 Das 1872 in Wien erbaute „Hotel Höller“ wurde nach anderweitiger Nutzung nach dem zweiten Weltkrieg und einem Brand in den 1950er Jahren restauriert und ist seit 2013 ein Luxus-Hotel namens „Sans Souci“.

[1117] Dilthey an Otto Benndorf Hochverehrter Freund,

Wien, 9. X. 18981

Also heute um 12 in unsr[em] Hôtel: wir freuen uns außerordentlich darauf. Wagen bitte ich noch nicht gleich mitzubringen; m[eine] Frau hat sich gestern richtig erkältet, u. ich muß erst die Mittagsstunde abwarten zu sehen ob sie in off[enem] Wagen z[u] fahren vertr[agen] wird. Unsere verehrungsvollsten Grüße u innigste Theilnahme Ihrer Frau Gemahlin[.]2 In größter Vere[hrung] Dilthey. Original: Hs.; Correspondenzkarte; ÖNB Wien, HA , Autograph 639/28-7. 1 Datierung nach Poststempel. 2 Sophie Benndorf, geb. Wagner.

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Dilthey an Otto Benndorf 

[1118] Dilthey an Otto Benndorf Verehrtester Freund.

[Mitte Oktober 1898]

Heut Morgen plötzlich beim Aufstehn, vielleicht weils gar zu früh war, fällt mir Folgendes aufs Gewissen, u. ich schreibe es in Begriff abzureisen Ihnen ­eiligst mit andeutenden Worten. Ich habe von meiner Ansicht der Usenerschen Angelegenheit, von den Gründen, welche nach derselben für sein Verbleiben in Bonn mitsprechen müssen, ganz u. rücksichtslos offen mit Ihnen zu sprechen mich verpflichtet gefühlt.1 Das Interesse das Sie an dieser Angelegenheit so herzlich nahmen, die persönl[iche] Aufopferung, mit welcher Sie dasselbe verfolgt haben, verpflichteten nach meiner Art zu denken mich dazu. Ich habe Ihnen ausgesprochen, daß ich dabei auf Ihr strengstes u. unbedingtes Stillschweigen rechnen muß. Lassen Sie mich diesen Wunsch noch einmal schriftlich wiederholen. Denn wenn meine Betrachtungsweise der Angelegenheit mit der Useners in Zusammenhang gebracht würde (was unfehlbar geschehen würde): entspränge eine Ansicht über die ganze Angelegenheit, welche in Useners Pech u. seine eigene thatsächliche Ansicht eingriffe. In Zürich werde ich wol Näheres hören von dem Verlauf. Also lassen Sie mich noch einmal aussprechen, daß[,] was ich Ihnen aussprach[,] schlechterdings nur für Sie gesagt war; denn nur Sie hatten da ich Ihnen begegnete ein Recht auf meine Offenheit. U. nun nehmen Sie noch einmal meinen herzl[ichen] Dank für den schönen Tag den wir zusammen verlebten. Und lassen Sie sich einmal in Berlin blicken. Mit herzl[ichem] Gruß Ihr Wilhelm Dilthey Original: Hs.; ÖNB Wien, HA , Autograph 639/28-8. 1 Seit Herbst 1896 litt H. Usener an einer Augenkrankheit, die zur Erblindung eines Auges führte.

Dilthey an Hans Vaihinger 

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[1119] Dilthey an Hans Vaihinger Lieber Herr Kollege!

Berlin. 20⁄10. [18]98.

Stein1 hat mir die Aussicht eröffnet, Sie in diesen Tagen noch einmal hier zu sehen; und ich will nur vermelden, daß ich mich freuen werde, wenn Sie Ihre Absicht ausführen. Hat auch die Akademie kein Geld, so meine ich doch, der Fortbestand der Kant-Studien müsse gesichert werden. Heute eine Kleinigkeit: Die Hallische Theologische Fakultät hat am 24. April 1804 über die Berufung Schleiermachers ein Gutachten erstattet. Ich möchte nun gern nachgesehen haben, ob nicht Akten der Verhandlung über diesen Antrag in den Akten der Theologischen Fakultät oder des Kuratoriums sich vorfinden. Sie können mir gewiß in irgendeiner Art vermitteln, daß diese nachgesehen werden und eine Abschrift von dem Protokoll oder anderweitigen auf Schleiermachers Anstellung 1804 bezüglichen Aktenstücken genommen würde.

Mit besten Grüßen, auch von meiner Frau, der Ihrige Wilhelm Dilthey

[Nachfolgend ein stichwortartiger Antwort-Entwurf von der Hand H. Vaihingers:] 1) v[on] Massow2 hat am 17. April an Niemeyer3 geschrieben, und Schl[eiermacher] promovirt. (Diese Anfrage ist wol da, Kähler4 sagt nicht). 2) Niemeyer antwortet am 24. April zugleich im Namen der Facultät (nach Nosselt, Knapp u. Vater).5 Hiervon ist das Concept vorhanden, und durch Kähler beigelegt (bis Schluß A/B/C der uns im Auszug mitgetheilt ist Nebensächliches) 3) Dekret des Königs6 vom 10. Mai 1804 Anstellung von Schleiermacher u. Aufbringung des Gehalts von 800 Thaler (Extraordinariat). Aus diesem hat K[ähler] eine wichtige Stelle auszugsweise mitgetheilt (und dann an Schleier[macher]; auch eine Notiz über 190 Thaler mitget[heilt]) 4) Dekret des Königs vom 7. Febr[uar] 1806 Anstellung Schleierm[achers] zum Ordinarius 5) Solch ein „formales Papier“ findet sich auch in den Rektoratsacten, resp. Univ[ersitäts]-Archiv 6) Akten über den eingegangenen u. wiedereinzurichtenden Univ[ersitäts]gottesdienst von 1799 ab.

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Karl Frenzel an Dilthey

Original: Hs.; Diktat D.s von fremder Hand mit eigenhändiger Unterschrift D.s; UB Bremen, HA , Autogr. XXI, 6: h, V, 12. 1 Ludwig Stein. 2 Julius Eberhard von Massow (1750–1816): Jurist, preuß. Politiker und Bildungsreformer; 1798 Wirklicher Geheimer Staats- und Justizminister. 3 August Hermann Niemeyer (1754–1828): ev. Theologe, Pädagoge und Bildungspoliti­ ker; Direktor der Frankeschen Stiftungen Halle, die sein Urgroßvater begründet hatte. 4 Martin Kähler (1835–1912): ev. Theologe; 1860 Promotion, 1864 a. o. Prof. in Bonn, 1867 in Halle, 1878 o. Prof. für Systematische Theologie und Neues Testament ebd. 5 Johann August Nösselt (1734–1807): ev. Theologe; 1757 Magister der Philosophie, 1760 a. o., 1764 o. Prof. in Halle. – Georg Christoph Knapp (1753–1825): 1775 Magister der Philosophie, 1777 a. o., 1782 o. Prof. in Halle; 1785 Mitdirektor der Frankeschen Stiftungen Halle. – Johann Georg Knapp (1705–1771): ev. Theologe, 1737 a. o., 1739 o. Prof. in Halle, 1740 Promotion ebd., 1769 Direktor der Frankeschen Stiftungen Halle. 6 Der preuß. König Friedrich Wilhelm III., der 1797–1804 regierte.

[1120] Karl Frenzel 1 an Dilthey Hochverehrter Freund! Haben Sie schönen Dank für den Aufsatz, den Sie mir für unser Feuilleton gesandt haben.2 Ich hoffe Ihnen im Laufe der Woche die Correctur schicken zu können. Mit herzlichem Gruße Ihr treu ergebener Karl Frenzel. Berlin, 24. Okt[ober] [18]98. Original: Hs.; StUB Göttingen, HA , cod. ms. W. Dilthey 45, Autographenmappe Clara Misch, Nr. 16–17. 1 Karl Frenzel (1827–1914): Schriftsteller, Redakteur und Theaterkritiker; 1853 Promotion in Berlin, 1861–1908 Feuilleton-Leiter der Berliner National-Zeitung. 2 D. veröffentlichte in der Berliner National-Zeitung, 51 (1898), Nr. 617, Morgenausgabe vom 11. November 1898, einen Beitrag über die Überlassung von Kant-Handschriften, die sich im Besitz der Erben des Stadtkämmerers Adolf Hagen (1820–1894) befanden, an die Königl. Preuß. AdW zu Berlin zur Nutzung für die Kant-Akad.-Ausg.; vgl. BSB München, Kantiana, Nr. 153 sowie Stark, S. 44.

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Dilthey an Lily und Hermann Usener 

[1121] Dilthey an Lily und Hermann Usener Mein liebster Hermann u. Lily

[zum 23. 10. 1898]

Nehmt zu dem schönen Ereigniß die herzlichsten Glückwünsche.1 Wenn wieder ein Professor in die Familie kommt: so gemahnt mich das an die schöne Zeit in welcher Ihr Euch verlobtet, u. ich finde es ganz vortrefflich. Und gerade dieser Professor wird ja nach seinen Arbeiten für so einen Philologen auch ein wenig Interesse noch zur Verfügung haben. Ich bitte ihn also recht herzlich von mir zu grüßen. Ihm ist in Marichen ein gutes u. schönes Loos gefallen. Und Marichen selbst wiederhole ich meine herzlichsten Glückwünsche, die Hans schon übermittelt hat. Und nun mein lieber Hermann nimm zu dem Geburtstag, der so zu einem großen Festtag geworden ist, meine innigen Glückwünsche. Wie schön werdet Ihr diesen Tag verleben. Mögen auch bei der Augenbehinderung Deine Arbeiten guten Fortgang haben in diesem Jahre u. zunächst des Weihnachtsbuches Fortsetzung2 zum Abschluß gelangen. Dies alles muß Euch heute auch für Käthen mitgelten. Wir hatten eine herrliche Reise, der schöne Schlußpunkt Wien. Von da brachte sie eine Erkältung mit, gerieth mit dieser hier in unbeschreibliches Wetter u. liegt nun an einer Pleuritis3 zu Bette, Einen Tag u. Nacht mit recht hohem Fieber: seit gestern früh ist Besserung eingetreten, aber sie ist noch sehr schwach u. muß noch längere Zeit zu Bett liegen. Ich schreibe eben am Schl[eiermacher] noch ohne Vorlesungen: nächsten Montag nimmt dieser ideale Zustand ein Ende.

T[au]s[en]d t[au]s[en]d Grüße u. Wünsche von Eurem Wilhelm

Original: Hs.; ULB Bonn, HA , Usener-NL , S 2102, 3, Nr. 25. 1 H. Usener feierte am 23. Oktober 1898 seinen 64. Geburtstag. – Seine Tochter ­Marie (1867–1931) hatte sich gerade mit dem Altphilologen und Religionshistoriker Albrecht Dieterich (1866–1908) verlobt: 1888 Promotion in Bonn, 1891 PD und 1895 a. o. Prof. in Marburg, 1897 o. Prof. in Gießen, 1903 in Heidelberg. 2 Die beiden ersten Teile von H. Useners Religionsgeschichtlichen Untersuchungen (Erster Theil: Das Weihnachtsfest; Zweiter Theil: Christlicher Festbrauch) waren 1889 in Bonn erschienen. 3 Rippenfellentzündung.

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Erich Foerster an Dilthey

[1122] Erich Foerster1 an Dilthey Hochverehrter Herr Geheimrat!

Frankfurt/M 25 X [18]98

Ihre liebenswürdigen Zeilen vom 20. haben mich in mehrfacher Hinsicht lebhaft erfreut.2 Schon vorigen Herbst versuchte ich, Ihnen meine Aufwartung zu machen, erfuhr leider, daß Sie noch über die Zeit meines Urlaubs hinaus verreist seien, und gab deshalb als ein Unbekannter – wenigstens kann ich nicht glauben, daß Sie sich eines jeden früheren Hörers erinnern, – nicht erst meine Karte ab.3 Nun begrüße ich es doppelt, daß ich auf Ihre Anfrage hin4 hilfreich mit Ihnen in Beziehung treten darf. Wichtiger aber ist mir, daß Ihr Brief die Aussicht auf den zweiten Band Schleiermacher erweckt, – eine Aussicht, die mich förmlich ein wenig elektrisiert hat. Ihre Anfrage kann ich nun dahin beantworten, daß die Akten des reform[ier­ ten] Kirchendirektoriums sich nach meinen Nachforschungen ausschließlich im Staatsarchiv befinden. Im Brandenb[urgischen] Consistorium sind nur Akten des luther[ischen] Oberkonsistoriums; ein Teil derselben ist auch an die Potsdamer Regierung übergegangen. Dort habe ich die Regestratur noch nicht selbst durchgesehen. Es könnte also sein, daß dort auch Aktenstücke des reform[ierten] K[irchen]direktoriums hin verstreut wären, – ich glaube es aber nicht, und es wären dann jedenfalls nur Bau- und Bureauakten und dergl. Ob sich unter den Akten des Geh[eimen] St[aats]A[rchivs] der von Ihnen gesuchte Bericht Sacks5 aus dem Jahre 1804 findet, weiß ich nicht, da ich längst noch nicht Alles durchgearbeitet habe. Ich habe aus den Akten des St[aats-] A[rchivs], Schleiermacher betr[effend], bisher nur Folgendes entnommen:6 Gern stelle ich Ihnen alles zur Verfügung, was Sie etwa brauchen. Die hübsche neue Arbeit von Bleek über den jungen Schleiermacher (den Titel weiß ich nicht genau)7 haben Sie wohl bemerkt? In vorzüglicher Hochachtung Ihr sehr ergebener Foerster Original: Hs.; ABBAW, Dilthey-NL , Fasz. 99, Bl. 148–149. 1 Erich Foerster (1865–1945): ev. Theologe; 1893–1895 Pfarrer in Hirschberg (Schlesien), 1895 Pfarrer in Frankfurt a. M., 1907 Habilitation; 1915 Honorarprofessor für Religions­ geschichte und Konsistorialrat in Frankfurt a. M.

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Dilthey an Friedrich Jodl 

2 Nicht überliefert. 3 Im Brieforiginal: „an“. 4 Nicht überliefert. 5 Der ev. Theologe, Hofprediger und Oberkonsistorialrat Friedrich Samuel Gottfried Sack war ein Förderer und Briefpartner F. D. E. Schleiermachers. 6 Die nachfolgende Aufzählung von Schreiben, Schleiermacher betreffend (Punkt 1–4), wurde hier nicht aufgenommen. 7 H. Bleek: Die Grundlagen der Christologie Schleiermachers: die Entwicklung der Anschauungsweise Schleiermachers bis zur Glaubenslehre mit besonderer Rücksicht auf seine Christologie. Freiburg i. B. 1898.

[1123] Dilthey an Friedrich Jodl 1 Hochverehrter Herr College,

16 Nov[ember] [18]98.

Das war ja eine Verwirrung u. außer dem ungeheuren Bedauern Sie nicht gesprochen zu haben muß ich nun auch beklagen daß Sie den Abend mich vergebens erwarteten. Es war mein Fehler daß ich m[ein] Hôtel zuzufügen vergaß. Aber hinzukam: ich hatte auch an Benndorf geschrieben,2 dieser kam in mein Hôtel u. ich hörte von ihm Sie seien nicht in Wien, sondern auf dem Lande: es würde nutzlos sein Sie aufzusuchen. Sonst wäre ja ich meinerseits zu Ihnen gekommen. Wollen Sie also gütig verzeihen daß Sie so sehr gegen meinen Willen vergeblich mich erwarteten. Ich bin es ja der davon den meisten Schaden hatte: denn denken Sie, ich war noch mehrere Tage danach in Wien! An einer Verwandtschaft unseres Standpunktes in der Psychologie in Bezug auf die methodische Grundauffassung an einigen wichtigen Punkten habe ich mich erfreut, als ich in Ihrem schönen Buche die einleitenden Kapitel las.3 Besten Dank für die ethische Recension.4 Möchte statt dieser hastigen Zeilen, die im Drang der Geschäfte endlich möglich wurden, bald nach dieser Verfehlung ein behagliches Zusammensein Gelegenheit geben, sich über Manches zu verständigen: denn auch in der Ethik wäre das vielleicht möglich.

Mit den ergebensten Grüßen der Ihrige

W. Dilthey

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Hans Vaihinger an Dilthey 

Original: Hs.; Wienbibliothek im Rathaus, Sammlung Wilhelm Börner, LQH 0044962. 1 Der Philosoph und Psychologe Friedrich Jodl (1849–1914). 2 Vgl. Brief [1116]. 3 F. Jodl: Lehrbuch der Psychologie. 2 Bde. Stuttgart 1897. 4 Nicht eindeutig nachweisbar.

[1124] Hans Vaihinger an Dilthey Halle a. S., den 16. November 1898. Verehrtester Herr Geheimrat! Gestern erhielt ich die beiliegenden Blätter von Herrn Professor Kähler, welche ich Ihnen nebst seinem Brief an mich zu übersenden ich mich beeile.1 Da diese Kählerschen Papiere nicht sehr übersichtlich sind, so gebe ich Ihnen der Bequemlichkeit halber folgendes Verzeichnis der darin erwähnten Acten. 1.) Schreiben des Ministers von Massow an Prof. Niemeyer vom 17. April. Ob dieses Schreiben vorhanden ist, sagt Kähler nicht. Auf Ihren Wunsch werde ich gerne Nachforschungen darnach anstellen. 2.) Antwortschreiben Niemeyers an Massow vom 24. April, zugleich im Namen der ganzen Facultät. Dieses im Concept vorhandene Schreiben ist auf Blatt II abschriftlich mitgeteilt. 3.) Decret des Königs vom 10. Mai 1804: Anstellung Schleiermachers als Extraordinarius. Aus diesem Decret hat Kähler auf Blatt I unten die wichtigste Stelle mitgeteilt. Dasselbe liegt jedoch, wie ich eben gefunden habe, schon vollständig gedruckt vor in Schraders Geschichte der Universität Halle II, Seite 529.2 4.) Decret des Königs vom 7. Februar 1806: Anstellung Schleiermachers als Ordinarius. Hieraus teilt Kähler nichts mit. Eine Abschrift werde ich Ihnen auf Ihren Wunsch gerne besorgen. 5.) Kähler erwähnt noch „ein solches formales Papier“ mehr in den Rectorats­ acten. 6.) Ferner erwähnt er noch Acten über den Universitätsgottesdienst vom Jahre 1799 ab. In dem oben erwähnten Werke von Schrader „Geschichte der Universität Halle“, Berlin, F. Dümmler, 1894, das Ihnen wahrscheinlich bekannt sein

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Anton von Werner an Dilthey

wird, ist Schleiermacher sehr oft erwähnt. Der Bequemlichkeit halber notiere ich für Sie hier die wichtigsten Seiten: I, 396, 461, 468, 569, 574/575, 585, 588, 596, 600, 607, 614–633, 640; II, 6, 9, 23, 33, 49, 127, 145, 158, 172. Zum Schluß beehre ich mich, Ihnen mitzuteilen, dass ich, sobald die Rückkehr S[eine]r Exc[ellenz] des Herrn Ministers Bosse erfolgt sein wird, ein Bittgesuch an denselben richten werde betr[effend] die Unterstützung der „Kant­ studien“. Vielleicht finden Sie dann einmal Gelegenheit, dabei ein kräftiges Wörtlein mitzusprechen. Wie Professor Kähler, so freuen sich auch alle anderen über die Nachricht, daß Sie den Schleiermacher wieder in Angriff genommen haben.

In aufrichtiger Verehrung Ihr ergebenster H. Vaihinger.

Original: Hs.; ABBAW, Dilthey-NL , Fasz. 107, Bl. 53–54. 1 Der Brief Martin Kählers an H. Vaihinger ist zusammen mit den Beilagen (4 Bl. ohne Signatur) hinterlegt in: ABBAW, Dilthey-NL. Fasz. 107, Bl. 55–55 R. 2 W. Schrader: Geschichte der Friedrichs-Universität zu Halle. 2 Teile. Berlin 1894, hier Teil 2, S. 529, Anlage 36: Anstellung Schleiermachers als Professor und akademischer Prediger.

[1125] Anton von Werner1 an Dilthey Königliche akademische Hochschule Für die bildenden Künste zu Berlin N[ord] W[est] Unter den Linden 38.2

Berlin, den 24. 11. 1898

Ew. Magnificenz Beehre ich mich in ganz vertraulicher Weise um Ihren Rath zu bitten. Ich erhielt vor einigen Tagen das beiliegende Schreiben.3 Obgleich so gut wie gar keine Aussicht vorliegt, daß ich in unserem Lehrplan einige Stunden für Philosophie und Aesthetik frei machen kann, möchte ich doch zunächst über Herrn Hugo Göring4 und seine etwaige Berechtigung und Befähigung zu solchen Vorträgen einige Aufklärung haben. Seine Schriften über Leibnitz, Basedow, Lessing etc. habe ich nicht gelesen.

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Anton von Werner an Dilthey

Sollte es nun Ew. Magnificenz vielleicht möglich sein, bei einem der Herren der philosophischen Fakultät, oder dem Dekan derselben etwas zu erfahren? Ich meine damit noch etwas anderes, als Herr Dr. Göring selbst in seinem Briefe über seinen Studiengang und seine Lehrtätigkeit mittheilt? Es ist ja möglich, daß einer der Ihren zufällig informirt ist; ich möchte die Sache aber nicht offiziell sondern nur ganz vertraulich behandelt sehen und wende mich deshalb nicht amtlich an die philosophische Fakultät. Mit verbindlichstem Dank im Voraus u. der Bitte um freundliche Rücksendung der Einlage behufs Ihrer Beantwortung, bin ich

Ew Magnificenz mit aufrichtiger Hochschätzung ergebener A v Werner.

Original: Hs.; ABBAW, Dilthey-NL , Fasz. 258, Bl. 151–151 R und Bl. 154. 1 Anton von Werner (1843–1915): Maler; Direktor der Akademie der Künste zu Berlin. 2 Im Brieforiginal darüber von der Hand A. von Werners: „Vertraulich!“ 3 Das Schreiben Hugo Görings lautet: „Hochgeehrter Herr! Ich erbiete mich an der Akademie der Künste Vorträge über Philosophie und Literaturgeschichte zu halten. Wenn auch die Universität nahe ist und eine grosse Auswahl von Vorlesungen über Philosophie und Literaturgeschichte gewährt, so glaube ich doch, dass den Kunstakademikern mit der ausgedehnten Darstellung der Logik, Psychologie, Ethik und Metaphysik etc. mit umfassenden Cursen der Literaturgeschichte wenig gedient ist, abgesehen davon, dass sie die Zeit dazu nicht haben. Es dürfte wohl fruchtbringender sein, wenn den Akademikern Vorträge über leitende Gesichtspunkte der Philosophie und Literaturgeschichte als Quelle der allgemeinen Bildung und idealistischen Weltauffassung gehalten würden. Dieses Ziel setzt eine Durcharbeitung beider Gebiete voraus, die das hervorhebt, was künftigen Künstlern als anwendbare Lebensweisheit dienen kann und veredelnd auf den Willen wirkt. Beide Gebiete müssten auch das geistige Band zwischen den einzelnen Gebieten der Kunst bilden. Im Kampfe um das Ideal, dem alle Kunst und Wissenschaft dient, können beide Gedankenkreise, soweit sie eine idealistische Weltanschauung umfassen, Fertigkeit im Leben geben und vor der Gefahr eines unbefriedigenden und das sittliche Leben schädigenden Subjectivismus wie vor der Einseitigkeit eines das Künstlerbewusstsein zersplitternden Specialistenthums schützen. In wöchentlich 1–2 Stunden würde ich folgende Aufgaben behandeln: Philosophie als Orientierung über Welt und Lebensführung, das Ziel allgemeiner Bildung. Selbsterziehung als Hauptbedingung der Bildung. Erziehung des Menschen. Die Geisteswelt des gebildeten Menschen. Die Kunst als völkerbildende Geistesmacht. Geist und Symbole der Kunst. Die Weltreligionen im Vergleiche mit dem Christenthume. Die Entwicklung des Christenthums. Optimismus und Pessimismus. Idealismus und Materialismus. Literaturgeschichte als künstlerisches Bild der Weltanschaung. Religion in der Literaturgeschichte. Das Rätsel des Lebens in „Hiob“, in der Göttlichen Komoedie und in Goethes „Faust“. Die Nibelungendichtungen unseres Zeitalters. Richard Wagners Kunst. Richard Wagners Weltanschauung. Die Literatur der Gegenwart. Schopenhauer und Nietzsche, ihre Leh-

Dilthey an Ernst Hagen 

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ren und ihr Einfluss auf die heutige Literatur. Stoffe künftiger Kunst aus religiöser und weltlicher Literatur. Viele dieser Themata habe ich in Vortragscursen behandelt. Seit meiner akademischen Thätigkeit bin ich fortwährend in der Übung im freien Vortrag geblieben. Am 28. December 1849 in Berka / Werra geboren, absolvirte ich das Gymnasium in Eisenach und studirte Theologie, Philosophie u. Medicin in Jena, Berlin u. Leipzig, war 12 Jahre lang Lehrer an höheren Schulen, 5 Jahre lang speciell Lehrer der Deutschen Sprache u. Literatur am Realgymnasium in Basel, 3 Semester Privatdocent der Paedagogik u. Philosophie an der Universität in Basel und Mitglied der Prüfungs-Commission für Candidaten des höheren Lehramtes. Seit 1882 habe ich mein Leben in den Dienst der Schulreform – „Neue Deutsche Schule“ – gestellt, die ich als Mitglied der Schulconferenz vom 4.–17. December 1890 vertrat u. durch Bücher u. eine Zeitschrift vorbereitete. Meine Schriften behandeln Philosophie, Paedagogik u. Literaturgeschichte: Leibniz 1878 [Leibniz als Erzieher. Ein Beitrag zur Geschichte der Pädagogik, in: Deutsche Blätter für erziehenden Unterricht 5 (1878), S. 93–96, 101–104, 109–112, 117–120], Basedow 1880 [Johann Bernhard Basedow (1723–1790): Pädagoge der Aufklärung. – H. Göring (Hg.): J. B. Basedows Ausgewählte Schriften. Mit Basedows Biographie, Einleitungen und Anmerkungen. Langensalza 1880], Lessing 1881–[18]85 [Lessings Sämtliche Werke. In zwanzig Bänden. Stuttgart 1883–1885. Hg. von H. Göring], Iselin 1882 [Isaak Iselin (1728–1782): Prof. der Theologie in Basel und historischer, politischer und philosophischer Schriftsteller; Anhänger J. B. Basedows. – H. Göring: Isaak Iselins Pädagogische Schriften. Nebst seinem pädagogischen Briefwechsel mit Joh. Casp. Lavater und J. G. Schlosser. Langensalza 1882], Jacotot 1883 [Jean Joseph Jactot (1770–1840): franz. Gelehrter und Pädagoge. – H. Göring: Joseph Jactot’s Universal-Unterricht: eine Auswahl aus dessen pädagogischen Schriften. Wien 1883], Sophie Germain [Sophie Germain (1776–1831): franz. Mathematikerin und Philosophin.  – H. Göring: Sophie Germain. Ein Lebensbild aus der Geschichte der Philosophie. Basel 1879. – Ders.: Sophie Germain. Die Vorläuferin Comtes, in: ZPhphK 91 (1887), S. 1–25 und 171–185] u. Clotilde de Vaux 1889 [Clotilde de Vaux (1815–1846): franz. Schriftstellerin; Vorläuferin und Muse A. Comtes.  – H. Göring: Sophie Germain und Clotilde de Vaux. Ihr Leben und Denken. Zürich 1889], Die neue deutsche Schule 1883–[18]92, Bühnentalente unter Kindern 1896 u. A. In größter Hochachtung ergebenst Dr. Hugo Göring. Berka / Werra. 25. October 1898.“ (Original: Hs.; ABBAW, Dilthey-NL, Fasz. 258, Bl. 153–153 R und 152–152 R.) 4 Hugo Göring (1849–nach 1935): Philosoph, Literaturhistoriker und Pädagoge; 1880 Habilitation in Basel, danach Privatgelehrter, Schriftsteller und Herausgeber.

[1126] Dilthey an Ernst Hagen Sehr verehrter Herr Director!1

Berlin, d[en] 2. XII. 1898

Durch ein Mißverständnis ist das Exemplar der Nationalzeitung, in welchem ich den Dank, den wir der Familie Hagen und in erster Linie Ihnen schulden,

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Dilthey an Theodor Mommsen 

abgestattet und Nachricht über den hohen Wert dieser Handschriften gegeben habe, verspätet in Ihre Hände gelangt.2 Ich kann nur bitten, dies freundlich entschuldigen und nochmals auch persönlich den Dank entgegennehmen zu wollen von meiner Seite, welchen ja Herr Mommsen namens der Akademie Ihnen ausgesprochen hat.3 Die Handschriften sind sogleich an die verschiedenen Abteilungen gesandt worden, denen die Bearbeitung derselben obliegt. Dies war selbstverständlich ausserordentlich erleichtert durch die ausgezeichnete Ordnung, in welche Sie dieselben gebracht haben.

In grösster Hochachtung der Ihrige Wilhelm Dilthey

Original: Hs.; Diktat D.s von der Hand P. Menzers mit eigenhändiger Unterschrift D.s; BSB München, Sign.: Kantiana 153. 1 Im Brieforiginal darüber von der Hand E. Hagens: „ beantwortet[.] H[agen] 6⁄12“. 2 Vgl. Brief [1120], Anm. 2. 3 Vgl. Sitzungsberichte der Königl. Preuß. AdW zu Berlin 1898, Sitzung der philos.-histor. Klasse vom 7. Juli 1898, S. 497: „H[er]r Mommsen legt eine Anzahl werthvoller Drucke und Manuscripte Kantischer Schriften vor, welche H[er]r Director Hagen (Charlottenburg) die Güte gehabt hat, für sich und die Glieder seiner Familie der Akademie zum Zweck der Benutzung bei der von derselben unternommenen neuen Kant-Ausgabe leihweise für einen Zeitraum von zwei Jahren zu überlassen.“

[1127] Dilthey an Theodor Mommsen Berlin, d[en] 3. Dezember 1898. Hochverehrter Herr Kollege, ich sende: 1. ein zweites Exemplar des Vertrages,1 welches ich über meiner Unterschrift zu unterzeichnen und dann an Herrn Professor Hermann,2 Anhaltstraße 13, weiterzusenden bitte, bei welchem es dann verbleibt. Vielleicht konveniert Ihnen, es zu benutzen, um Herrn Justizrat Simson3 das Ergebnis zu zeigen. Vielleicht fragen Sie ihn drum auch über die Höhe der Stempelpflichtigkeit desselben gütigst.

Dilthey an Theodor Mommsen 

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2. Die Aufforderung zur Subscription, bei welcher ich hoffentlich die Adresse der Waidmannschen Buchhandlung4 richtig angegeben habe. Ein anderes Exemplar habe ich behalten und will mein Heil damit versuchen.5

In größter Verehrung der Ihrige Wilhelm Dilthey

Original: Hs.; Diktat D.s von unbekannter Hand mit eigenhändiger Unterschrift D.s; StB PK Berlin, NL Th. Mommsen, K. 23, Bl. 10–10 R. 1 Vermutlich handelt es sich um einen nicht überlieferten Vertrag im Zusammenhang der Kant-Akad.-Ausg. 2 Ludimar Hermann (1838–1914): Physiologe; 1859 Promotion, 1865 Habilitation in Berlin, 1868 o. Prof. in Zürich, 1884 in Königsberg; Schüler Emil Du Bois-Reymonds. 3 Eduard von Simson (1810–1899): Jurist und Parlamentarier; 1829 Promotion in Königsberg, 1831 PD, 1833 a. o. Prof. ebd., 1836 o. Prof. in Breslau, 1879 Präsident des Reichsgerichts in Leipzig, 1891 im Ruhestand mit Wohnsitz in Berlin. 4 Die Weidmannsche Buchhandlung, die 1680 in Frankfurt a. M. gegründet worden war, übersiedelte im 19. Jh. nach Berlin. 1888–1928 wurde sie geführt von den Verlegern Paul Parey und Ernst Vollert. 5 Die Unterlagen sind dem Brieforiginal nicht beigelegt.

[1128] Dilthey an Theodor Mommsen Hochverehrter Herr College, Hierbei sende ich den Vertrag u. stelle anheim denselben zunächst bei sich zu bewahren oder auch Morgen in die Fakultät mitzubringen, um die Mühe der Rücksendung zu ersparen. In Verehrung Dilthey 7. Dec[ember] [18]98 Original: Hs.; StB PK Berlin, NL Th. Mommsen, K 23, Bl. 11.

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Dilthey an Theodor Mommsen 

[1129] Dilthey an Theodor Mommsen Hochverehrter Herr College, Ich habe v[on] H[errn] v[on] Rath 500 M Unterzeichnung erhalten u. derselbe ist bereit ein etwaiges Defizit zu decken. Heute gedenke ich bei Freundin Wesen­donk1 vorzusprechen. H[err] L[udimar] Hermann hat mir einen etwas unbehaglichen Brief geschrieben,2 ihm sind durch H[errn] J[ustiz]r[at] Simson die formellen Verbesserungen mitgetheilt, sie in s[einem] Exemplar einzutragen: dieses ist aber das welches ich unterschrieben von mir Ihnen zur Unterschrift sandte u. das Sie Herrn J[ustiz]r[at] Simson mitgetheilt haben. Es ist von dem Original bei Ihnen, das von Allen unterschrieben[,] natürlich unterschieden. Zweifellos liegt es bei H[errn] J[ustiz]r[at] Simson. Wenn Sie also diesen veranlassen möchten, es umgehend H[errn] Hermann Anhaltstr. 13 zu übermitteln! Denn ich bin eben in Begriff nach Verabredung mit H[errn] Meissner,3 nachdem ich H[errn] Hermann gebeten den Tag festzustellen, die Ablieferung der Papiere zu erwerben u. die Zahlung zu leisten. In treuster Verehrung mit der Bitte die Bemühung zu entschuldigen d[er] Ihrige W. Dilthey 12 Dec[ember] [18]98 Original: Hs.; StB PK Berlin, NL Th. Mommsen, K. 23, Bl. 12–12 R. 1 Mathilde Wesendonck (1828–1902): Schriftstellerin, 2. Ehefrau des Kaufmanns und Kunstmäzens Otto Wesendonck (1815–1896), Muse Richard Wagners, den O. Wesendonck in den 1850er Jahren finanziell unterstützt hat. 2 Nicht überliefert. 3 Heinrich Meisner (1849–1929): Literarhistoriker und Bibliothekar; 1894 Oberbibliothekar der Königl. Bibliothek in Berlin.

Dilthey an Kurd Laßwitz 

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[1130] Dilthey an Kurd Laßwitz Lieber Freund!

Berlin, d[en] 29sten XII. 18981

Hoffentlich ist zwischen Ihnen und Reicke alles glatt abgelaufen, da ja von Ihnen keine weitere Nachricht gekommen ist. Ich muss nun in dem Berichte über die Kantausgabe zum Königs-Geburtstagsacte der Akademie über die ganze Lage der Ausgabe mich aussprechen.2 Hierbei bildet den einen Hauptpunkt der bevorstehende Beginn des Druckes der Briefe und der von den Abhandlungen den anderen. Ich bitte Sie also um eine kurze Mitteilung, auf wann ich den Druck des ersten Bandes der Abhandlungen in diesem Bericht als beginnend zusagen kann. Dies ist unumgänglich notwendig, da in dem letzten Berichte der Plan der Ausgabe etc. vorgelegt worden war. Ich setze voraus, dass Wünsche Ihrerseits in bezug auf die Vorlagen oder Anfragen über deren Behandlung nicht mehr restiren3 und sehne mich dem Moment entgegen, an dem wir endlich nach der langen Verzögerung der Briefe den Druck beginnen können. Auch Sie werden Ihre Freude daran haben, gleich in den ersten Bänden mitaufzutreten. Herzliche Wünsche zum neuen Jahr und möge es das rüstige Fortschreiten der Ausgabe bringen. Treulichst der Ihrige Wilhelm Dilthey Original: Hs.; Diktat D.s von der Hand P. Menzers mit eigenhändiger Unterschrift D.s; FB Gotha, Chart. B 1962 a, 186. 1 Im Brieforiginal darunter von der Hand K. Lasswitz: „b[eantwortet] 30. 12.“. 2 Bericht D.s über den Stand der Kant-Ausgabe in der öffentl. Sitzung der AdW zu Berlin vom 26. Januar 1899, in: Sitzungsberichte der Königl. Preuß. AdW zu Berlin. Berlin 1899, S. 78. – D. kündigt hier an, dass das Manuskript des ersten Bandes der Werke zum 1. April 1899 vorliegen soll und der Druck der Briefe im Sommer 1899 beginnen werde. Über den ersten Band der Abhandlungen macht D. keine Angaben. 3 Übrig sein, ausstehen.

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Karl Dilthey an Dilthey 

[1131] Karl Dilthey an Dilthey   Liebster Wilhelm,

Göttingen 31 Dez[ember] [18]98

Nur einen eiligen Neujahrsgruß möcht ich Euch hineinrufen. lch wollte Dir ausführlicher schreiben, aber ich muß es für jetzt sein lassen, wie so manches Andere. Ich sehe, ich muß noch auf ein paar Tage hinaus, vielleicht daß ein frischer Luftzug meinem gepeinigten Schädel ein wenig hilft und die Sulfonatdünste zerstreut – seit Wochen finde ich keinen Schlaf mehr als durch Pulver, und der Zustand wird unerträglich. Wiesbaden, Biebrich – vielleicht auf ein paar Stunden nach Bonn, weil sie es mir sonst übel nehmen könnten. Du fragst nach meiner Otfried-Müller-Rede.1 Ja, gedruckt ist sie worden, das hat man mir abgenöthigt, aber ich habe sie nur an einige harmlose Gemüther verschickt. Nach Berlin ist blos ein Exemplar gekommen an Schöne.2 Ich kann nicht begreifen, wie Du was darüber gelesen haben könntest. Du sollst sie ja haben, wenn Du durchaus willst, aber Du wirst Nichts daraus lernen, es ist etwas ganz andres unter dem Zwang schnell abzuschließen daraus geworden, als ich wollte und als ich hätte machen können. Sie ist auf die Göttingischen Interessen zugeschnitten, und doch ist leider gerade Otfr[ied] ­Müllers Stellung zum Göttinger Humanismus etc. verfehlt. Ich bin aber über den ersten Entwurf nicht mehr hinausgekommen. Ich könnte jetzt was ganz Andres daraus machen. Es ist ein Kind der ἀνάγκη,3 und Dir kaum zu was nütze. Hier hat die Rede ja sehr gewirkt. Möget Ihr alle gesund und froh ins neue Jahr hinein[-] und hinausgehen.

Herzliche Grüße einem Jeden. Dein Karl

Original: Hs.; StUB Göttingen, HA , cod. ms. W. Dilthey, 14 d, Nr. 8. 1 K. Dilthey: Rede zu Säkularfeier Otfried Müllers. Göttingen 1897. 2 Richard Schöne (1840–1922): klass. Archäologe; 1880–1905 Direktor der Königl. Museen in Berlin. 3 Zwang, Nötigung.

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Dilthey an Heinrich Rickert 

[1132] Dilthey an Heinrich Rickert1 Berlin 17. I. [18]99 Besten Dank, sehr geehrter Herr College, für die Übersendung Ihres Vortrags[;]2 möchte ich bald durch Abschluss des Schleiermacher die Freiheit gewinnen, mich mit den abweichenden Auffassungen, darunter auch mit Ihrer Theorie auseinander setzen zu können.

Ganz ergebenst der Ihrige Wilhelm Dilthey

Original: Hs.; Postkarte; Diktat D.s von fremder Hand mit eigenhändiger Unterschrift D.s; UB Heidelberg, HA , Sign.: Heid. Hs. 2740, Erg. 93, 1.2. 1 Heinrich Rickert (1863–1936): Philosoph; 1888 Promotion in Straßburg, 1891 Habi­ litation in Freiburg i. B., 1894 a. o., 1895 o. Prof. ebd., 1915 in Heidelberg; neben seinem Lehrer W. Windelband wichtigster Vertreter des südwestdeutschen Neukantianismus. 2 H. Rickert: Kulturwissenschaft und Naturwissenschaft. Freiburg i. B. 1899.

[1133] Dilthey an Hermann und Lily Usener Ihr Liebsten,

Berlin, den 20 Jan[uar] 1899

habt für Eure guten herzlichen Briefe1 tausend Dank: ich lebe alle diese schönen Tage im Geist mit Euch mit; zumal mit dem lieben Marichen. Es ist so schön, wie eben aus Deinem Verhältniß zu Deinen Schülern, das Dir so ganz unter den Philologen als ein Gemüthsverhältniß eigen ist, weil Dir eben aus der ganzen Person Deine Philologie erwächst, auch dies neue Lebensverhältniß hervorgegangen ist: so hat Marichen den Mann gefunden der dem Geiste des Hauses innerlich nahe u. Dir geistesverwandt ist. Ich schreibe auch heute nicht sehr vernünftigerweise. Denn meine Augen sind in sehr schlechtem Zustande; ich kann nur im äußersten Nothfalle lesen und schreiben: so ist es seit Weihnachten durch Überanstrengung; daher die Verzögerung in Beantwortung Eurer lieben Briefe. Für mein Befinden sind auch diese Augenleiden nicht die Hauptsache. Die Arbeit am Schl[eier-]

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Dilthey an Hermann und Lily Usener 

ma[cher], schwere Vorlesungen, Amtsarbeiten, ewige aufregende Schwierigkeiten in der Kantausgabe: all das hat meine Kräfte gänzlich erschöpft; sie sind bis auf den letzten Rest aufgebraucht; ich bin so erschöpft wie in keinem der früheren Zeitabschnitte nach einer großen Arbeit: das liegt im Unterschied der Lebensalter. Elender Schlaf, fast beständiges Kopfweh; beständige Furcht vor jedem Gespräch oder Lärm, vor Allem eine Erschöpfung u. Reizbarkeit, die mir manchmal kaum mehr die Möglichkeit zu sprechen möglich läßt. Käthen geht es gar nicht wie zu wünschen wäre. Max ist nun in der Obertertia, aber die Leiden des Privatunterrichts waren so groß, daß ich fürchte die sehr große Anstrengung die er macht möge ihn doch nicht Ostern nach ­Secunda führen. So steht es mir dahin ob ich die Vorlesungen werde zu Ende führen können. Ich würde mich nutzlos aufregen wollte ich mir eine feste Vorstellung bilden, was im Frühjahr auf uns warten wird. Glaubt mir, Ihr Liebsten, geht es irgendwie so kommen wir: das Schönste wäre ja alle drei, u. Käthe käme gar gern wenn es ihr möglich wäre. Also laßt uns abwarten, was unsre körperlichen Zustände bringen werden. Wie würde ich mich freuen wenn wir bei so schöner Gelegenheit bei Euch zusammen sein können! Langsam, langs[am] geht unter solchen Umständen der Schl[eier]m[acher] vorwärts. – Der Kantdruck beginnt in diesem Sommer. – Den Sommer werde ich m[eine] Vorlesungen einschränken. In den Vorles[ungen] habe ich eine sehr große Zahl von Zuhörern. Wie viel hätte ich mit Dir zu sprechen m[ein] liebster Hermann! Alle meine Arbeiten, Schl[eier]m[acher], u. Sommerkolleg – weisen auf die mit Mythos, Sage, Dichtung zusammenhängenden psychol[ogischen] Fragen. Also hoffen wir Gutes. Möge ich mich jetzt nur wieder erholen u. Käthens Gesundheit sich bessern u. die von Max die Anstr[en]g[un]g[en] aushalten. T[au]s[en]d t[au]s[en]d Grüße Ihr Liebsten v[on] Euerm getreuen Wilhelm Original: Hs.; ULB Bonn, HA , Usener-NL , S 2102, 3, Nr. 20; eine maschinenschriftliche Abschrift mit Auslassungen von Clara D. ist hinterlegt in: StUB Göttingen, HA , cod. ms. W. Dilthey, Ms. 18, Nr. 29. 1 Nicht überliefert.

Dilthey an Graf Heinrich Yorck von Wartenburg 

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[1134] Dilthey an Graf Heinrich Yorck von Wartenburg Lieber Graf!

Berlin, den 2. III. 1899

Die Manuscripte sind wohlbehalten angekommen. Ich habe den Heraklit sogleich darauf angesehen, wiefern er die Urteils- und Raumtheorie erläutert. Die Urteilstheorie ist in ihm zureichend zusammen mit den anderweitigen Stellen aufgeklärt; die Raumtheorie dagegen ermangelt auch so noch der Explication. Vor allem aber fehlt in dem Vorhandenen immer noch der methodische Faden, welcher die Theorien zu dem Zusammenhang verband, in welchem sie1 – ich möchte sagen – freie Bahn schaffen sollten für den Grundgedanken, welchen er am liebsten als Transcendenz des inneren Lebens bezeichnete. So wäre die Frage, was unter den vorhandenen Papieren als Leitfaden für die Verbindung der Theorien untereinander zu dem Ziel, dem sie zustrebten, dienlich wäre. Unabhängig hiervon schließen sich die historischen Untersuchungen in dem mir Zugesandten nunmehr sehr schön zusammen zur Aufklärung dessen, was der Freund für ein tieferes Verständnis der Geschichtlichkeit und ihrer Entwicklung erarbeitet hatte. Ich finde den Heraklit in dieser Beziehung sehr bedeutend und höchst geeignet, auf das Entsprechende in den italie­nischen Briefen Licht zu werfen. Die eigentliche Schwierigkeit scheint mir in diesem geschichtlichen Teil seiner Arbeiten darin zu liegen, daß das Unfertige der ersten Niederschriften, der andeutende Character, welchen das über Eleaten, Platon u.s.w. Gesagte behält, die Lektüre so außerordentlich erschweren. Noch schwieriger ist dann die Erkenntnis der Beziehung herbeizuführen, in welcher er diese Untersuchungen über die Geschichtlichkeit des Bewußtseins zu den systematischen Gedanken sich gedacht hat. Wenn also irgend etwas von Leitfaden noch vorhanden ist, von Aufklärung über die entscheidenden Punkte, so würde dieses erwünscht sein, um es mit dem Erhaltenen zusammen zu nehmen. Um nun den Heraklit an Zeller zu senden, bedürfte es einer neuen Abschrift kaum.2 Wenn Sie ihm den Wunsch aussprechen er möchte den­selben einer Durchsicht unterwerfen, und Sie dann seine Einwilligung dazu erhalten, so kann ich von hier aus das Manuscript ihm zusenden. Dasselbe kann dann über Kl[ein]Öls mit seinen Bemerkungen und Vorschlägen an mich zurückgelangen. Es wäre in der That sehr wichtig, von ihm – ich möchte sagen – über die kritisch-philologisch-historische Technik der Arbeit im Ganzen und im Einzelnen sachkundigste Controlle zu erhalten. Ich selbst werde bis gegen die Mitte des März hier sein.

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Dilthey an Karl Emil Franzos 

Ich sage nichts von dem Gefühl, mit welchem ich mich in diese Papiere versetze und immer neu den Verlust empfinde.

In treuster Gesinnung der Ihrige Wilhelm Dilthey

Original: nicht überliefert; ein handschriftliches Transkript von der Hand S. von der Schulenburgs ist hinterlegt in: ABBAW, NL Ritter, B: Sigrid Ritter, geb. von der Schulenburg, III, Nr. 29, Bl. 13–14; Erstdruck in aktualisierter Orthographie in: Gründer, S. 377. 1 S. von der Schulenburg merkt handschriftlich an: „Im Brieforiginal: ‚in welchem sie dieselben‘. “ 2 S. von der Schulenburg notiert handschriftlich am linken Rand: „Zeller soll v[on] Publikation abgeredet haben.“

[1135] Dilthey an Karl Emil Franzos1 Hochverehrter Herr

Berlin 8. März 1899.2

Indem ich Sie bitte nach dem gestern von der Verlagsanstalt erhaltenen Schreiben, in welchem dieselbe so uneigennützig der Akademie eine Abschrift der beiden Kantbriefe versprochen hat, dieser Verlagsanstalt unsern Dank zu übermitteln: erbitten wir, da die Abschriften durch Sie nach dem Schreiben der Akademie [zu]gehen werden, diese gütigst unter der Adresse ‚an das [Bureau] der königl[ichen] Akademie d[er] Wissenschaften, Univ[ersitäts]str[aße] 8‘ übermitteln zu wollen. Zugleich sprechen wir auch Ihnen den ergebensten Dank für Ihre Mitwirkung aus, u. ersuchen daß wir bei dem Ausdruck derselben in d[er] Vorrede Sie als den bezeichnen dürfen, welcher die Abschriften angefertigt, den Druck concedirt und so durch seine Theilnahme an der Herausgabe des Ganzen diese Vervollständigung ermöglicht hat. In vorzüglicher Hochachtung V[ahlen]

Vors[itzender] Secr[etar] d[er] K[öni]gl[ich] Akad[emie] d[er] Wiss[enschaften]3

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Kuno Fischer an Dilthey 

An den Schriftsteller Herrn Karl Emil Franzos Original: Hs.; Briefentwurf von der Hand D.s, geschrieben im Auftrag der AdW zu Berlin; ABBAW, Bestand PAW (1812–1945), Sign. II-VIII-153. 1 Karl Emil Franzos (1848–1904): österr. Schriftsteller und Publizist; 1884 Redakteur der Neuen Illustrierten Zeitung in Wien, 1886 Hg. der Halbmonatsschrift für deutsche Dichtung, 1887 Umzug von Wien nach Berlin. 2 Datierung von fremder Hand. 3 Im Brieforiginal: am unteren rechten Rand: „mund[iert] & exped[iert] d[en] 9. 3. [18]99.

[1136] Kuno Fischer an Dilthey

Hochgeehrter Herr College

Berlin 17 März [18]99 früh

Ihre so liebenswürdigen Zeilen von gestern1 erwidere ich mit meinem empfundensten Danke, den ich auch im Namen meiner Frau Ihrer verehrten Frau Gemahlin auszusprechen bitte. Leider kann ich über morgen (Samstag) Abend nicht mehr disponieren, sonst würde ich mit meiner Frau Ihrer gütigen Einladung sehr gern gefolgt sein. Wir reisen erst nächsten Donnerstag. Aber ich werde Berlin nicht verlassen, ohne persönlich von Ihnen u. Ihrer Frau Gemahlin uns verabschiedet u. Ihnen wiederholt zu haben, wie sehr mich unser Wiedersehen erfreut hat.

In herzlicher Ergebenheit ganz der Ihrige K. Fischer

Original: Hs.; StUB Göttingen, HA , cod. ms. W. Dilthey 45, Autographenmappe Clara Misch, Nr. 14. 1 Nicht überliefert.

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Dilthey an Hermann und Lily Usener 

[1137] Dilthey an Hermann und Lily Usener [März 1899]

Ihr lieben Geschwister,

Herzliche treue Glückwünsche zu dem schönen Tage den Ihr morgen feiert.1 Möge aus demselben Euch Allen ein schönes Glück erblühen, u. auch Du mein lieber Hermann mögest von einem Schüler u. jungen Freunde als Tochtermann all die Freude u. die innere Herzensgemeinschaft haben, welche in einem so schönen Verhältnisse liegt. U. wie schön wird Euch in diesen Tagen sein Eure Kinder um Euch versammelt zu haben: so viel Lebensfreude u. so viel Zukunft. Es sollte nicht sein daß ich daran theilnahm. Bei schlechtestem Befinden lese ich noch nothdürftig fertig zu werden. Kantangelegenheiten, Maxens Versetzung: ich bin unfähig etwas abzumachen, u. doch giebt es für mich nun nur: abreisen u. irgendwo zur Ruhe kommen. Also verlebt, dies wünschen Euch Käthe u. ich aus innigstem treuesten Herzen, diese schönen Tage heiter u. meine Gedanken sind bei Euch wie Ihr wißt. In Treue Euer Wilhelm Dienstags Original: Hs.; ULB Bonn, HA , Usener-NL , S 2102, 3, Nr. 29. 1 Die Hochzeit Marie Useners mit Albrecht Dieterich stand bevor.

[1138] Dilthey an Friedrich Jodl Berl[in] 1 Mai [18]99 Besten Dank verehrtester Herr College für Ihren höchst interessanten so schön geschriebenen Aufsatz.1 Sehr schön d[ie] Parallele zw[ischen] d[em] gesch[los­senen] Handelsstaat u. d[er] gesch[lossenen] Erzieh[ungs-]Form, u.

Dilthey an Karl Emil Franzos 

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mir aus dem Herzen der Schluss über die unbedingten, aus d[er] Bedingtheit d[er] Gesch[ichte] herausgeh[obenen] Sätze in d[en] Wissensch[aften] d[er] ges[ellschaftlich] gesch[ichtlichen] Welt.

Mit herzlichen Grüßen d[er] Ihre W. Dilthey

Original: Hs.; Postkarte; Wienbibliothek im Rathaus, Sammlung Wilhelm Börner, LQH 0044963. 1 Nicht eindeutig zu ermitteln.

[1139] Dilthey an Karl Emil Franzos Berlin, d[en] 12. VI. [18]99. W[est] Burggrafenstr[aße] 4

Hochverehrter Herr!

Jetzt ist nun wirklich der letzte Moment für die Übersendung der mir freundlich zugesagten Copie da und so bin ich denn wohl nicht unbescheiden, wenn ich Ihnen mein Zeichen gebe. Gestatten Sie, dass ich Ihnen bei dieser Gelegenheit noch einmal ausspreche, wie sehr es mich gefreut hat, Ihre Bekanntschaft zu machen und wie dankbar Ihnen die Akademie für die unter so manchen Schwierigkeiten stattfindende, aber doch durch Ihre Bemühung durchgesetzte Überlassung der Copien1 ist.

In grösster Hochachtung der Ihrige Wilhelm Dilthey

Original: Hs.; Diktat D.s von der Hand P. Menzers mit eigenhändiger Unterschrift D.s; Wienbibliothek im Rathaus, NL K. E. Franzos, LQH 0044966. 1 Im Brieforiginal: „Copieen“.

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Dilthey an Wilhelm Schuppe 

[1140] Dilthey an Wilhelm Schuppe Hochverehrter Herr Kollege,

Berlin, d[en] 21 Juni [18]99.

Allerdings habe ich Ihre Zeitschrift1 nur am Anfang, nicht aber den weiteren Verlauf erhalten, und ich hätte natürlich mit grösstem Interesse dieselbe ge­ lesen, wie Sie mir sie denn auch freundlich hatten zuwenden wollen.2 Ich würde sehr lebhaft bedauern, wenn dieselbe eingestellt würde. Denn gerade die Zeitschriften, welche einen bestimmten philosophischen Standpunkt vertreten, sind mir immer als vor allem, wenn nicht ausschliesslich, als berechtigt erschienen. Aber freilich von leistungsfähigen Personen, welche eine philo­ sophische Zeitschrift unterstützen würden, ist mir nichts bekannt.

In treuer Verehrung zugethan der Ihrige Wilh. Dilthey

Original: Hs.; Diktat D.s von der Hand Clara D.s mit eigenhändiger Unterschrift D.s; Bibliotheka Jagiellonska Krakau, unpaginiert und ohne Signatur. 1 W. Schuppes Zeitschrift für immanente Philosophie erschien in den Jahren 1895–1898. 2 Der offenbar von Schuppe an D. vorausgegangene Brief ist nicht überliefert.

[1141] Dilthey an Rudolf Otto1   Hochverehrter Herr Kollege,

Berlin, d[en] 26. Juni 1899.

nehmen Sie meinen ergebensten Dank für die freundliche Mitteilung Ihrer Ausgabe der Reden,2 ich freue mich sehr über diese, und Ihre gütige Absicht, mir dieselbe zu widmen, nehme ich mit aufrichtigem Dank für Ihre wohlwollende Gesinnung und die Ehre, die Sie mir erweisen, an.

Ganz ergebenst der Ihrige Wilhelm Dilthey

Karl Emil Franzos an Dilthey 

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Original: Hs.; Diktat D.s von der Hand P. Menzers mit eigenhändiger Unterschrift D.s; UB Marburg, ohne Signatur und unpaginiert. 1 Rudolf Otto (1869–1937): ev. Theologe und Religionswissenschaftler; 1898 Promotion in Göttingen, 1905 Promotion in Philosophie in Tübingen, 1906 a. o. Prof. in Göttingen, 1915 o. Prof. für Systematische Theologie in Breslau, 1917 in Marburg. 2 F. D. E. Schleiermacher: Über die Religion. Erstveröffentl. (anonym). Berlin 1799; das Buch erschien dann unter dem Titel: Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern. Erst 1803 bekannte sich Schleiermacher zu dieser Schrift.  – Die Schrift wurde im 19. Jh. vielfach aufgelegt. – R. Otto besorgte 1899 eine Neuauflage der Urfassung, die er D. zueignete. Als Dank schenkte D., wie Peter Schütz, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachgebiet Systematische Theologie und Religionsphilosophie der Universität Marburg, der uns diesen Brief zukommen ließ, uns mitteilte, R. Otto sein Exemplar der Erstfassung der Reden von 1799.

[1142] Karl Emil Franzos an Dilthey Redaction der „Deutschen Dichtung“ Fernsprech-Anschluss: Amt VI, No 270

Hochverehrter Herr!

Berlin W[est] 10, den 4. VII. 1899 Von der Heydtstr. 10. Promenadenseite.

Wollen Sie freundlich entschuldigen, wie die Abschriften erst heute an Sie kommen. Ich war wiederholt verreist und mit Arbeit überlastet. Die Abschriften sind buchstabengetreu, also mit allen Sonderbarkeiten der Orthographie, Abkürzungen etc. wiedergegeben. Auch die sichtliche Verschreibung – „der der“ – habe ich belassen, weil ich nicht weiß, wie es Ihre Edition damit hält. Auch die Correctur will ich gern besorgen, erbitte sie aber bis 25. Juli oder dann vom 10. September ab, da ich in der Zwischenzeit nicht hier bin. Kann ich es irgend ermöglichen, so werde ich vor meiner Abreise für die Ehre Ihres Besuchs auch noch persönlich danken.

In ausgezeichneter Hochachtung ganz ergebenst K. E. Franzos

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Ernst von Wildenbruch an Dilthey 

Original: Hs.; StUB Göttingen, HA , cod. ms. W. Dilthey 45, Autographenmappe Clara Misch, Nr. 15.

[1143] Ernst von Wildenbruch an Dilthey Berlin 3. 8. [18]99 Verehrter Freund Ihren Brief, der mir in erfreulicher Weise bekundet, daß mein Drama Sie nachhaltig beschäftigt hat,1 erscheint mir so wichtig, daß ich ihn sogleich beantworten muß. Ich schicke allerdings voraus, daß es mir angestrengtesten Studiums ungeachtet, leider unmöglich gewesen ist, einzelne Worte und Stellen völlig zu entziffern. Immerhin bin ich mir über den Sinn des Gesamt­inhaltes durchaus klar geworden, u. dieser veranlaßt mich zu ernsten Gedanken. Sie schlagen mir eine Reihe von Äußerungen vor, die Sie dem ‚Erasmus‘ in den Mund gelegt zu sehen wünschen, Äußerungen, die sich auf religiöse Fragen, auf seine Gegenwart und Zukunft beziehen. Ich will davon absehen, ob die von Ihnen vorgeschlagenen Worte dem historischen Erasmus2 möglich gewesen wären. Angesichts der beglaubigten Thatsache, daß er in seiner letzten Lebenszeit ein Vertheidiger der Römischen Kirche gegenüber der Reformation gewesen ist, erscheint es mir zweifelhaft. Von diesem Gedanken aber abgesehen, würden Gespräche, wie oft von Ihnen vorgeschlagen, um den ganzen Konflikt, die ganze Statur des Stücks verschieben und verändern. Sie haben, als Kenner der Zeit und der Persönlichkeiten, innerhalb deren und mit denen mein Stück arbeitet, das erklärliche und beachtliche Bedürfniß, daß alles gesagt werde was über die Zeit und aus den Personen heraus zu sagen ist. Diesem Bedürfniß des Dramas aber steht die Geschlossenheit dessen gegenüber, die es, wenn das Drama eindringlich wirken soll, unmöglich macht, daß eben alles gesagt wird, was sich etwa sagen ließe. Der epischen Dichtung ist es vielleicht eher möglich, als der dramatischen; diese muß sich beschränken. Das Drama muß sich an den Konflikt halten, auf dem es aufgebaut ist. Der Konflikt in meinem Stücke ist der zwischen Natur und Natur. Der Konflikt, den Ihre Vorschläge schaffen würden, wäre im wesentlichen der zwischen Intellekt und Intellekt. In meinem Stücke beruht die Tragik in der Gestalt des Erasmus darin, daß er den Gedanken der Reformation als seinen ursprünglich eigenen, von ihm ausgegangenen empfindet, und daß er erlebt, wie eine seiner Natur fremde,

Ernst von Wildenbruch an Dilthey 

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gewalttätige, feindselige, diesen seinen Gedanken zu den seinigen macht und über seinen Kopf hin zu Konsequenzen führt, die er nicht gewollt hat. Nach den Äußerungen aber, die Sie mir für Erasmus vorschlagen, ist er schon über den Gedanken der Reformation hinaus und hinweg. Damit wäre die Tragik, die ich in der Gestalt gesehen u. gefühlt habe, aufgehoben. Erasmus braucht nicht mehr zu leiden, er kann über den ganzen Kampf, der ihn umtobt, lächeln; wie man über den untergeordneten Streit untergeordneter Menschen lächelt. In folgerichtiger Entwicklung Ihres Gedankens sind Sie alsdann zu dem Schluß gelangt, daß Erasmus sich am Schlusse des Stücks in der Superiorität eines großen Menschen schweigend siegreich wissen solle. Nicht verhehlen kann ich Ihnen, daß diese Stelle Ihres Briefes mich erschreckt hat, weil ich hier einen tiefen Zwiespalt in unserer beider Auffassungen und Anschauungen klaffen sehe. Erasmus ist für mich ein großer Intellekt, aber kein großer Mensch; es war nie und ist nicht meine Absicht, daß er sich am Schlusse des Stückes als Sieger weiß, und das Stück wäre nicht das Stück mehr, das es ist, wenn die Zuschauer mit dem Gefühl davongingen, daß Erasmus innerlich Sieger über Luther und Hutten3 geblieben sei. Das wäre nicht nur, wie Sie es aussprechen, eine Verminderung der tragischen Wirkung für den „gewöhnlichen Zuschauer“, das wäre eine Verminderung, ja eine Vernichtung der Seele, aus der das Werk entstanden ist, und die darin lebt. Schön und bedeutend haben Sie den Inhalt und Charakter des Stücks dahin erklärt, daß es denen ein Gutes thut, die den Protestantismus als die germanische Form des Christenthums gegenüber dem Ultramontanismus erkennen. Wo aber bleibt diese Gut-That des Werks, wenn am Schluss desselben der kalte, undeutsche aus dem Kopf geborene skeptische Intellekt über den vollblütigen, ganz und gar aus der deutschen Art und Natur entsprungenen Positivismus eines Ulrich von Hutten triumphiert: Denn wenn Erasmus das Wort spricht, das Sie von ihm hören wollen, daß er „für eine ferne Zukunft arbeite, und daß diese Zeit der Aufklärung kommen werde“  – und wenn die Zuschauer diesem Worte beistimmen, dann ist der Hutten meines Stücks keine mehr für unsere Zeit lebendige, sondern nur noch eine historische Gestalt. Dann ist der Kampf, den er in dem Stücke kämpft, nicht mehr ein solcher, den wir innerlich mitkämpfen, sondern ein Kampf um abgethane Fragen; dann ist das ganze Stück nicht mehr lebendige Gegenwärtigkeit, sondern historische Schilderei. Sie haben sich, verehrter Freund, zum ersten mal, seit wir uns kennen, eingehend über eins meiner Werke geäußert. Das macht mich froh und stolz auf mein Werk. Halten Sie es daher nicht für Ueberhebung, wenn ich auf Ihre

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Dilthey an Kurd Laßwitz 

Vorschläge mit dem Worte des in meinem Stücke stummen Martin Luthers erwidere „ich kann nicht anders, Gott helfe mir – Amen“. In Dank und Freundschaft ergebenst Ihr Ernst v. Wildenbruch Original: Hs.; StUB Göttingen, HA , cod. ms. W. Dilthey 45, Autographenmappe Clara Misch, Nr. 35, Bl. 1–4 R. 1 Nicht überliefert. – E. Wildenbruch: Die Tochter des Erasmus. Berlin 1900. – E. von Wildenbruch hatte einem engen Freundeskreis am 1. August 1899 sein im Frühjahr 1899 vollendetes Stück Die Tochter des Erasmus vorgelesen. D. reagierte sofort mit einem Brief an Wildenbruch, in dem er seinen „herzlichen Glückwunsch zu diesem bedeutendem Wurf“ aussprach. „Ihr schönes Stück geht mir nicht aus dem Sinn trotz Vorlesung und Amts­ geschäften“. „Und nun lassen Sie mich noch einmal aussprechen: Sie haben mit diesem Stück jedem, der den Protestantismus als germanische Form des Christenthums dem Ultramontanismus gegenüber als Stück eigenen Lebens liebt als durch eine Aktion poetischer Art, einen großen Dienst erwiesen“. – B. Litzmann gibt in Bd. II, S. 206 f. Auszüge aus diesem nicht mehr auffindbaren Brief wieder. 2 Erasmus von Rotterdam (ca. 1466–1536): niederl. Humanist der Renaissance; ev. Theologe. 3 Ulrich von Hutten (1488–1523): Humanist der Renaissance.

[1144] Dilthey an Kurd Laßwitz Berlin, d[en] 15ten VIII. [18]99. Verehrter Freund! Sie haben aus den erhaltenen Correcturbogen gesehen, dass nunmehr dem Beginn des Druckes der Abhandlungen nichts mehr im Wege steht. So wünschen wir nun lebhaft, es möge das Manuscript von Ihnen jetzt abgeschlossen werden, damit der Druck beginnen kann. Hierzu sind wir dem Verleger gegenüber verpflichtet. Mit herzlichen Grüßen der Ihrige Wilh. Dilthey

Dilthey an Kurd Laßwitz 

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[Von der Hand D.s:] Eiligst, da ich nächste Tage abreise. Ich bekomme wol noch ein Wörtchen von Ihnen. Original: Hs.; Postkarte; Diktat D.s von der Hand P. Menzers mit eigenhändiger Unterschrift D.s; FB Gotha, Chart. B 1962 a, 189.

[1145] Dilthey an Kurd Laßwitz Hôtel National Simmen Besitzer: Georg Grüßer Arnulfstrasse 6 & 8.

München, den 20 Aug[ust] 1899 Lieber Professor, Ihre Zeilen erhielt1 ich noch dicht vor der Abreise. Wie ich Ihnen schrieb, müssen wir auf das lebhafteste wünschen daß Ihr Antheil am ersten Bande der Abhandlungen möglichst bald nun fertig gestellt werde. Wir müssen bald­ thunlichst mit dem Druck beginnen nach unsren Verabredungen mit dem Verleger. Also bitte ich recht sehr thunlichst rasch nun Ihren Antheil zu erledigen. Es hat natürlich für uns keinen Zweck einen Theil Ihres M[anu]scr[ipts] jetzt zu erhalten; denn wir können den Druck doch erst beginnen, wenn das M[anu]scr[ipt] des Bandes vorliegt. Möchten wir also bald günstigen Bescheid erhalten wann wir das M[anu-] scr[ipt] erwarten dürfen. Es wird mich freuen, bei dieser Gelegenheit auch von Ihrem Befind[en] u. Ihren sonstigen Beschäftigungen Angenehmes von Ihnen zu vernehmen.

In größter Hochachtung u. treuster Gesinnung d[er] Ihrige W Dilthey

Antwort ersuche [ich] unter Adresse von Dr. Menzer Berlin Neuenburger Straße. Original: Hs.; FB Gotha, Chart. B 1962 a, 163. 1 Im Brieforiginal folgt nochmals: „erhielt“. – Laßwitz’ Brief ist nicht überliefert.

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Dilthey an Kurd Laßwitz 

[1146] Dilthey an Kurd Laßwitz1 Berlin, d[en] 17 ten X. [18]99.

Verehrter Freund!

Es wird immer dringender mit dem Druck des ersten Bandes der Abhandlungen zu beginnen. Ich setze Ihnen die einzelnen Umstände nicht auseinander: sie sind aber zwingend. Die Übersendung des Fertiggestellten kann uns hierbei nicht helfen, da wir vor Abschluss des ganzen Manuscriptes mit dem Druck des Bandes nicht beginnen. Es wäre daher sehr wertvoll, könnten Sie mitteilen, zu welchem Termin Sie die auf Ihren Anteil fallenden bis zum Jahr 1757 reichenden Schriften druckfertig machen können. Verzeihen Sie, dass ich wieder als lästiger Mahner erscheine, dies ist unter den mehrfachen unangenehmen Seiten meiner Thätigkeit für dies Unternehmen sicherlich die allerunangenehmste.

In grösster Hochschätzung der Ihrige Wilhelm Dilthey

Original: Hs.; Diktat D.s von der Hand P. Menzers mit eigenhändiger Unterschrift D.s; FB Gotha, Chart. B 1962 a, 191. 1 Im Brieforiginal am oberen linken Rand von der Hand K. Laßwitz’: „Bis Weihnachten. [–] b[eantwortet] 18. 10. [18]99“.

[1147] Dilthey an Johannes Vahlen1 Berlin, d[en] 22. X. 1899. Verehrtester Herr Secretar und Freund! Darf ich Ihnen als dem zeitig vorsitzenden Secretar der Klasse die folgende Angelegenheit unterbreiten. Den anliegenden Brief Plessings2 an Kant vom 3ten April 1784 (S. ­352–366) hat Reicke in die Sammlung aufgenommen. Ich habe ihm nun sofort meine Überzeugung ausgesprochen, dass diese abenteuerlichen[?] Confessionen trotz

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Eduard Zeller an Dilthey 

des regierenden Grundsatzes, die vorhandenen Briefe an Kant unverkürzt abzudrucken, nicht aufgenommen werden können, sondern nur die Angabe über den vorhandenen Brief mit der Mitteilung, dass der betreffende Brief nicht mitteilbar sei. Reicke kann sich hiervon nicht überzeugen. In dem Vertrag ist der Commission der Akademie die Leitung vorbehalten, worin implizite – eine besondere Bestimmung existiert nicht – bei Differenz der Überzeugung ihr die Entscheidung zufällt. Ich hatte mich nicht autorisirt gegen seinen Einspruch die Entscheidung allein zu fällen, andererseits ist die Sache wegen der notwendigen Suspension des Druckes sehr eilig. Ich werde mir erlauben mit Ihnen heute nachmittags gegen 6 Uhr Rücksprache zu nehmen, wenn diese Zeit Ihnen convenirt.

In Verehrung der Ihrige Wilhelm Dilthey

Original: Hs.; Diktat D.s von der Hand P. Menzers mit eigenhändiger Unterschrift D.s; StB PK Berlin, HA , NL J. Vahlen, Nr. 1. 1 Der klass. Philologe Johannes Vahlen (1830–1911) war seit 1893 Sekretar der philos.histor. Klasse der Königl. Preuß. AdW zu Berlin, seit 1895 gemeinsam mit H. Diels. 2 Friedrich Victor Leberecht Plessing (1749–1806): Philosoph. Der Brief F. V. L. Plessings an Kant ist ediert in: Kant-Akad.-Ausg. Bd. 10, S. 374.

[1148] Eduard Zeller an Dilthey 13. November 1899 … Die Sprache, Orthographie und Interpunktion zur Bequemlichkeit der heutigen Leser, für deren Bedürfniss schon von anderer Seite gesorgt wird, zu modernisiren, halte ich um so weniger erlaubt, da vieles was jetzt correct erscheint, in 100 Jahren vielleicht wieder antiquirt ist. … Original: nicht auffindbar; obiger Absatz des Briefes ist ediert in: Gerhard Lehmann: Zur Geschichte der Kant-Ausgabe 1896–1955, in: Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin 1946–1956. Hg. von der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Redaktion J. Irmscher und W. Radig. Berlin 1956, S. 424; WA in: Gerhard Lehmann: Beiträge zur Geschichte und Interpretation der Philosophie Kants. Berlin 1969, S. 6.

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Dilthey an Julius Rodenberg 

[1149] Dilthey an Julius Rodenberg Berlin, 2. Dezember 18991 Hochverehrter Herr Professor, Sie werden eben auch die schmerzliche Nachricht vom Tode der Frau von Helmholtz gelesen haben.2 Ein Wort zum Gedächtniss an dieselbe in der Rundschau würde sicher am eindrucksvollsten von Zeller geschrieben werden, der mit ihr verwandt und ihr innigst befreundet war. Sollte er sich nicht entschliessen können, so bin ich selbstverständlich gern bereit über die vieljährige Freundin etwas zu sagen.3

Mit herzlichen Grüssen der Ihrige Wilhelm Dilthey4

Original: Hs.; Postkarte; Diktat D.s von der Hand Clara D.s mit eigenhändiger Unterschrift D.s; GSA Weimar, 81/II, 5, 7. 1 Datierung nach Poststempel. 2 A. von Helmholtz starb am 1. Dezember 1899. 3 D.: Anna von Helmholtz, in: DRS Bd. 102 (Februar 1900), S. 226–235; WA in: GS XI, S. 258–270. 4 Im Brieforiginal, wahrscheinlich von der Hand J. Rodenbergs, darüber: „Bis 9. De­ c[em­ber]“.

[1150] Dilthey an Julius Rodenberg Verehrtester Herr Professor und Freund!1 Vorgestern mit der Arbeit fertig geworden, von der ich Ihnen sprach, gestern seit 11h Morgens von Vorlesungen und drei Sitzungen beansprucht, habe ich heute die nötige Information einzuziehen begonnen und mich sogleich überzeugt, daß ich ausser Stande bin, einem Gegenstand gegenüber, der soviel Zartheit und Genauigkeit fordert, so schnell mich zu unterrichten. Ich bin aber selbst mit Ihnen überzeugt, daß am besten jetzt schon ein paar Seiten erscheinen. Das Beste, Sie selbst schreiben dieselben nach Ihrem Verhältnis zu ihr oder Sie wissen sonst jemand. Andernfalls würde ich sehen, ob es sich zum

Dilthey an Julius Rodenberg 

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nächsten Hefte machen lässt, wenn es dann noch opportun ist. Verzeihen Sie die so entstandene Verzögerung.

In alter Verehrung der Ihrige Wilhelm Dilthey

Berlin, d[en] 7 XII 1899. Original: Hs.; Diktat D.s von der Hand B. Groethuysens2 mit eigenhändiger Unter­ schrift D.s; GSA Weimar, 81/II, 5, 7. 1 Im Brieforiginal, vermutlich von der Hand J. Rodenbergs darüber: „d[e] d[ato]. 9. De­ c[ember]. Ms. ev[entuell] bis 24. Dec[ember]“. 2 Bernhard Groethuysen (1880–1946): Philosoph und Historiker; 1898 Studium in Wien, München und Berlin, 1903 Promotion in Berlin, 1907 Habilitation und PD ebd.; Schüler D.s.

[1151] Dilthey an Julius Rodenberg Lieber Herr Professor u. Freund,1

B[erlin] d[en] 11. 12. [18]99.

ich schreibe erst jetzt, da ich allerhand Versuche angestellt habe, Informationen einzuziehen u. zu schreiben. Das Gefühl überwiegt durchaus, daß ich Frau von H[elmholtz] nicht nahe genug gestanden habe: die Linien wollen nicht zusammen gehen. So würden Sie mich verbinden, falls Sie nicht eine geeignetere Person wissen mich in Bezug auf die Zeit der Ablieferung nicht in so enge Grenzen einzuschließen. Ich kann erst in den Weihnachtsferien eine günstige Stunde zu finden hoffen u. dann müßten Sie gestatten, daß mein Name dabei wegbleibt,2 da ich für die Richtigkeit meiner Eindrücke nicht einstehen kann, wie ich sonst mich dazu verpflichtet fühle. Was ich sage wird ja nur ganz kurz sein.

In alter Gesinnung der Ihrige W. Dilthey

Original: Hs.; Diktat D.s von der Hand Katharina D.s mit eigenhändiger Unterschrift D.s; GSA Weimar, 81/II, 5, 7.

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Dilthey an Kurd Laßwitz 

1 Im Brieforiginal: vermutlich von der Hand J. Rodenbergs darüber: „Ms. bis 31. De­ c[ember]“. 2 D.s Nachruf ist unterzeichnet mit „W. D.“.

[1152] Dilthey an Kurd Laßwitz Berlin, d[en] 17 ten XII. 1899. Verehrter Freund! Besten Dank und lebhafte Freude in bezug auf die mitgeteilte Nachricht.1 In bezug auf die Korrespondenten bitte ich Sie sich selber sowohl an Herrn Oberbibliothekar Reicke als Herrn Prof[essor] Arnoldt,2 da man nicht wissen kann, welcher von beiden gerade einzelne Auskunft besitzt, wenden zu wollen. Ist dieses erledigt, so haben Sie freundlich das Manuscript zu senden: an das Bureau der K[öni]gl[ichen] Preuss[ischen] Akad[emie] d[er] Wiss[enschaften] Berlin N[ord] W[est], Universitätsstr[aße] 8. Wir erwarten zu Neujahr auch den Beitrag von Rahts zu dem Bande: dann kann sogleich die Einrichtung zum Druck gemacht werden. Ich muss mir vorwerfen, dass Ihr Herr Sohn3 mir aus den Gedanken gekommen ist, werde es aber, sobald er aus den Ferien zurückgekehrt ist, nachzuholen suchen. Sollten Sie in denselben Berlin wieder berühren, so bitte ich ja mich nicht zu übergehen. Ich freue mich darauf, in Ihre Schrift Einsicht zu nehmen.4 Mit meinem Befinden kann ich im Ganzen zufrieden sein, wenn auch meiner Augen wegen die Arbeiten langsamer als wünschenswert vor­ rücken. Von der Kantausgabe schliessen wir nun demnächst den ersten Band der Briefe ab und ich hoffe, dass diese ohne Stockungen in dem etwas langsamen Tempo, in dem der Satz fortschreitet, weitergehen. Von den Werken ist nach Schluss der Abhandlungen Zögerung nicht zu fürchten, die Vernunft­ kritik ist schon von Erdmann druckfertig gestellt.5 Mögen Sie mit den Ihrigen angenehme Weihnachtsfeiertage haben!

In treuer Gesinnung der Ihrige Wilhelm Dilthey

Original: Hs.; Diktat D.s von der Hand P. Menzers mit eigenhändiger Unterschrift D.s; FB Gotha, Chart. B. 1962 a, 193–194.

Dilthey an Kuno Fischer 

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1 Nicht überliefert. 2 Emil Arnoldt (1828–1905): Philosoph, Privatgelehrter und Kant-Forscher; 1853 Promotion, 1874 Habilitation in Königsberg. 3 Erich Laßwitz (1880–1959): zweiter Sohn von K. Laßwitz. 4 K. Laßwitz: Wirklichkeiten. Beiträge zum Weltverständnis. Berlin 1900 (Vorwort vom November 1899). 5 B. Erdmann (Hg.): I. Kant: Kritik der reinen Vernunft, 5. durchgängig revidierte Aufl. Berlin 1900.

[1153] Dilthey an Kuno Fischer Berlin am 2[.] Weihnachstage [18]99 Hochverehrte Exzellenz, Sie werden schon auf irgend einem anderen Wege das durch Mißgeschick verspätet mir zugegangene Heft der Lit[eratur-]Z[eitung] höchstwahrscheinlich erhalten haben.1 Als ich Ihren Hegel mit Bewunderung las, regte sich in mir das Bedürfniß nochmals u. eingehender auszusprechen, was die deutsche Litera­tur u. Philosophie Ihnen verdanken u. insbesondere ich u. soviele andere persönliche Schüler. Die Heidelberger Jugendtage, u. in deren Mittelpunkt Ihre mich so mächtig ergreifende Persönlichkeit stehen noch so lebendig vor mir wie von gestern. Der Redakteur hatte mir einen Platz zugesagt, der nachher von ihm dem Verleger gegenüber als die Annoncenfluth hereinbrach u. ein Abdruck in 12000 Exempl[aren]! herzustellen war nicht aufrechtzuerhalten war; daher der abscheuliche beigelegte Papierlappen. Ich denke in den Jahresberichten, wenn erst das Werk fertig vorliegt den Aufsatz erweitert zum ordentlichen Abdruck zu bringen.2 Für die schöne Goetheabhandlung3 sage ich meinen ergebensten Dank. Wie wird der Tod der Frau v[on] Helmholtz, der so plötzlich kam, Sie bewegt haben! Mit der Bitte mich u. meine Frau Ihrer Frau Gemahlin4 empfehlen zu ­wollen treugesinnt d[er] Ihr[i]g[e] Wilhelm Dilthey Original: Hs.; UB Heidelberg, HA , Kuno Fischer-NL , Sign.: Heid. Hs 2610.

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Dilthey an Ernst von Wildenbruch 

1 D.: Besprechung von Kuno Fischer: Geschichte der neueren Philosophie. 8. Bd.: Hegels Leben, Werke und Lehre. Lieferung 1–4. Heidelberg 1898/99, in: Deutsche Litteraturzeitung 21 (1900), S. 20–25, und Beilage zu Nr. 1 (1900), S. 1–8; WA in: GS XV, S. 343 –355. 2 D., A. Heubaum und A. Schmekel: Jahresbericht über die nachkantische Philosophie, darin D.: III. Schriften über Schelling, K. E. von Baer, Strauss und Vischer, in: AGPh 12 (1899), S. 325–338. 3 K. Fischer: Goethe und Heidelberg. Festrede zur städtischen Goethefeier aus Anlaß des 150. Geburtstages Goethes in Anwesenheit Ihrer Königlichen Majestäten des Großherzogs und der Großherzogin gehalten im Saalbau zu Heidelberg am 29. Oktober 1899, 2. Aufl. Heidelberg 1900. 4 K. Fischer war in zweiter Ehe verheiratet mit der Dänin Christiane Louise, geb. Hieron (1832–1903).

[1154] Dilthey an Ernst von Wildenbruch Lieber Freund, Es drängt mich wenigstens schriftlich Ihnen meine Glückwünsche zu sagen. Sie sind diesmal mit dem sicheren Gefühl verbunden daß Sie in dem großen Beruf Ihres Lebens bei der Aufführung der Tochter des Erasmus1 einem schönen, vielleicht einem großen Erfolg entgegengehen. Das Letztere sicher, wenn in unsrem Publikum noch die armselige moderne Vergnüglichkeit, in Liebeleien aller Sorten nach[-] u. vorzugenießen, nicht den Sinn für die großen Angelegenheiten der Nation ganz ertötet hat. Denn diese haben Sie noch tiefer als in irgend einem andren Stücke erfaßt. Also Glückauf zum neuen Lebensjahr, lieber Freund. Ich selber fühle mich sehr elend u. wirklich leidend, mehr als ich meine Umgebung merken lasse. So mußte ich gestern verzichten u. muß es heute.

In Treue der Ihre Wilhelm Dilthey

Zum 3[.] Febr[uar] 19002 Original: Hs.; GSA Weimar, 94/169, 11. 1 E. von Wildenbruch: Die Tochter des Erasmus. – Das Schauspiel in vier Akten wurde im Frühsommer 1899 vollendet. Wildenbruch las es am 1. August im engsten Freundeskreis

Dilthey an Julius Rodenberg 

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vor, zu dem auch D. zählte; vgl. Litzmann, Bd. II, S. 206. – Die Erstaufführung fand am 10. März 1900 statt. 2 Datumseintrag von fremder Hand. – E. von Wildenbruch hatte am 3. Februar Geburtstag.

[1155] Dilthey an Julius Rodenberg Verehrtester Herr Professor und Freund! Ich weiss nicht, ob Sie etwas über Harnacks Geschichte der Akademie1 schon jemandem vergeben haben; sollte es nicht der Fall sein und wäre ich Ihnen genehm, so würde ich mich hiermit für bereit erklärt haben.2 Mit besten Grüßen der Ihrige Dilthey d[en] 11. II. 1900 Original: Hs.; Postkarte; Diktat D.s von fremder Hand mit eigenhändiger Unterschrift D.s; GSA Weimar, 81/II, 5, 7. 1 A. Harnack: Geschichte der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Im Auftrage der Akademie bearbeitet von Adolf Harnack. 4 Teilbände. Berlin 1900. 2 D.: Die Berliner Akademie der Wissenschaften, ihre Vergangenheit und ihre gegenwärtigen Aufgaben, in: DRS 103 (1900), Heft 9, S. 416–444, und 104 (1900), Heft 10, S. 81–118.

[1156] Dilthey an Harald Höffding Verehrtester Herr College. Wie ich zu meiner Freude vernehme, werden Sie zum Jubiläum der Akademie1 hierherkommen. Es würde mich nun sehr freuen, wollten Sie mit einigen anderen philosophischen Collegen, darunter Kuno Fischer, Sonntag, d[en] 18. um 4 Uhr bei uns essen. Abends schliesst sich dann die Zusammenkunft der Aka-

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Ernst von Wildenbruch an Dilthey 

demiegäste an einem öffentlichen Orte an. Auch der Herr College Stumpf sprach mir von der Absicht, Sie für diesen Tag, der überhaupt dazu ausersehen ist, zu bitten; für diesen Fall haben wir verabredet Ihnen die Entscheidung anheimzustellen. In der Hoffnung auf eine fr[eun]dl[iche] Zusage

mit besten Empfehlung der Ihrige Prof. W. Dilthey

Berlin, 2. März 1900. Original: Hs.; Diktat D.s von der Hand B. Groethuysens; das Brieforiginal ist im Besitz von Dr. Bernd Eric Jensen, Kopenhagen. 1 Die Königl. Preuß. AdW zu Berlin war am 11. Juli 1700 von dem Brandenburgischen Kurfürsten Friedrich III. gegründet worden; ihr erster Präsident war der Universalgelehrte Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716). Im Jahre 1900 wurde das 200jährige Bestehen der Akademie gefeiert.

[1157] Ernst von Wildenbruch an Dilthey Verehrtester Freund

Berlin 14. 3. 1900

meinen herzlichen Dank für Ihren schönen Brief!1 Sie wissen, daß ich unter allen denen, die heut Literarhistoriker u. Beurtheiler sein wollen, als einen solchen eigentlich nur einen anerkenne, den Mann, der nicht Literarhistoriker sein will, Wilhelm Dilthey. Und das fürchterliche Schicksal des Dramatikers ist, daß er mit seinem Werk, mit dem Erzeugniß alles dessen, was in ihm ernst, groß und tief ist zunächst  – und ach, sooft, ausschließlich  – bei jenen sogenannten Literarhistorikern, bei den Journal-­ Aesthetikern sich sein Urtheil holen muß, die in einer halben Stunde, eben aus dem Theater heimgekehrt, der Welt klar machen, was der Dichter mit seinem Drama, an dem er ein halbes, vielleicht ein ganzes Jahr gewirkt hat, eigentlich hat sagen wollen, und wieweit ihm das geglückt ist. Vom Theater ist die Dramatik freilich nicht zu trennen – daß sie aber auch von dem Theater-Unwesen, zu dem ich hauptsächlich das kritische Aburtheilen nach kaum herabgelassenen Vorhang rechne, daß sie auch davon nicht zu

Ernst von Wildenbruch an Dilthey 

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trennen ist, das kann den Menschen wenn er älter und ernster wird, wirklich zu der Erwägung bringen, ob er seine Lebens- und Seelenkraft der Thätigkeit, die man Dramatik nennt, fürderhin widmen soll. Beurtheilen Sie nach alledem, wie wohlthuend Ihr wahrhaft bedeutender Brief mich berühren mußte. Sie haben darin, meiner Ansicht nach, mit intuitivem Blick das instinktive Grundgesetz meines ganzen dramatischen Schaffens klargelegt, und es macht mich stolz, daß dieses mein Gesetz mit dem großen Gesetz des Kosmos überhaupt, wie ich es auffasse, zusammenfällt. Hoffentlich habe ich nun bald, bald wieder die Möglichkeit, persönlich mit Ihnen hierüber weiterzusprechen. Bis dahin bitte ich Sie, Ihrer lieben Frau Gemahlin meinen herzlichen Dank für die Karte zu sagen, mit der sie mich erfreut hat. Treulichst Ihr Ernst v. Wildenbruch Original: Hs.; StUB Göttingen, HA , cod. ms. W. Dilthey, 14 k, Bl. 1–4; eine handschriftliche Abschrift des Briefes von unbekannter Hand ist hinterlegt in: GSA Weimar, 94/300, 5. 1 Nicht überliefert. – Die nicht mehr auffindbaren Briefe D.s an Wildenbruch, die D. nach Angabe von B. Litzmann gleich nach der Aufführung des Stückes am 10. März 1900 „nach Schluß des Verbringens in einem Zustande von Erschöpfung, der sich nicht schildern läßt“, wie D. dort schrieb, verfasst haben muss, werden in Auszügen wiedergegeben in: Litzmann, Bd. II, S 206 f.: „Glänzender als irgend vorher in einem anderen Stücke außer den mir so besonders werten ‚Quitzows‘ tritt die Verbindung der Volksszenen, des Untergrundes aller Historie, in den Stimmungen der Menschenmenge, auf die sie sich aufbaut, ihres Daseins, ihrer Ausdrucksweise, ihrer Gegensätze hervor. Sie konnten das diesmal so steigern, daß in der größten (Wormser)-Szene die beiden großen Richtungen, welche den Konflikt des Dramas bilden, wie ausgelöste, antike Chöre einander gegenübertraten. Dies wird Ihre große geschichtliche Leistung für die Entwicklung des historischen Dramas bleiben, daß Sie ihm diesen Untergrund gegeben haben, und demgemäß Shakespeares Manier, zwei Sprachen durchgehen zu lassen, die bei ihm der Gegensatz von Plebs und Aristokratie ist, erhöht haben zu der Sprache des Volks, ja hier der bürgerlichen Klassen unserer Nation, unterschieden von der Sprache der handelnden Personen, welche noch aus dieser Nation selbst hervorgegangen sind. Und vollkommen ist Ihnen die Aufgabe das historische Drama auch darin zu lösen geglückt, daß die rein menschliche Geschichte, die es braucht, äußerlich, besonders aber innerlich aufs einfachste und tiefste mit dem geschichtlichen Konflikt selbst verbunden ist, und zugleich ganz auf den geschichtlichen Ton gestimmt ist.“

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Dilthey an Hans Vaihinger 

[1158] Dilthey an Hans Vaihinger Berlin, d[en] 17. III. 1900. Lieber Herr College! Endlich erhalten Sie jetzt durch den Verleger das Exemplar des ersten Bandes der Briefe.1 Der zweite ist im Druck schon weit vorgeschritten. Der Druck der Werke wird im Mai be­ginnen und es kann mit Sicherheit versprochen werden, dass mit grosser Geschwindigkeit zwischen 2 u 4 Bänden im Jahr die Ausgabe fortschreiten wird. Die Werke werden dadurch, dass sie durch Fachmänner emendirt2 und in kürzester Form mit den nötigen Erläuterungen versehen sind, ebenfalls einen erheblichen Fortschritt bedeuten. Auch ist es jetzt ge­ sichert, dass die Manuscripte in 2 Jahren druckfertig erledigt sind. Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit meinen herzlichen Dank aussprechen für die Dienste, welche Sie durch Ihre „Kantstudien“ wenigstens als unser treuer Begleiter der Sache leisten. Gewiss haben wir nun von Ihnen selbst eine Be­sprechung des ersten Bandes zu erwarten und es wäre schön, wenn Sie bei dieser Gelegenheit über das ganze Unternehmen das Publikum unterrichten wollten.3 Dies wäre für unsere Ausgabe vom grössten Werte. Mit herzlichen Empfehlungen auch an Ihre Frau Gemahlin, treulichst Ihr Wilhelm Dilthey Original: Hs.; Diktat D.s von der Hand P. Menzers mit eigenhändiger Unterschrift D.s; StUB Bremen, HA , Autograph XXI, 6: h, Nr. 13. 1 Die Bde. 1–2 von Kants Briefwechsel im Rahmen der Akad.-Ausg. (Bde. X–XI). Hg. von R. Reicke, erschienen 1900 in Berlin. Bd. XII wurde 1902 publiziert. 2 Verbessert, korrigiert. 3 Erst in den Kant-Studien 5 (1901) erschien ein Beitrag von H. Vaihinger: Die neue Kant-Ausgabe: Kants Briefwechsel, S. 73–115.

Dilthey an Paul Ritter 

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[1159] Dilthey an Paul Ritter1

Lieber Freund,3

Weisser Hirsch, 21. 4. [19]002 Sonnabend

wir wohnen weißer Hirsch bei Dresden. Villa Haiderose bei Frau Schwartz und es wäre mir lieber Sie könnten umgehend die Bücher senden, und wenn es auch nur Zeller wäre, der mir am wichtigsten.4 Meine Aufzeichnungen kann ich dann doch erst Mittwoch mitbringen: ohne d[ie] Bücher unmöglich. Da sie aber nur Verzierungen sind lassen sie sich leicht einfügen. Wichtig wäre[,] das M[anu]scr[ipt] wäre bis auf diese Einfügungen und etwaige Umschreibungen fertig, da es Ende der Woche abzuliefern ist. Original: Hs.; Postkarte; ABBAW, NL Ritter, A.: Paul Ritter, I.1. Bd. II, Nr. 49. 1 Paul Ritter (1872–1954): Philosoph und Historiker; enger Schüler und Mitarbeiter D.s; 1898 Promotion in Berlin, 1900 Prüfung für das Lehramt an höheren Schulen, 1901– 1910 wissenschaftlicher Hilfsarbeiter für die Leibniz-Ausgabe der Königl. Preuß. AdW zu Berlin, 1910 wissenschaftlicher Beamter in der Leibniz-Forschung und später Leiter der Leibniz-Edition, 1913 Verleihung des Professorentitels. – Ritter war seit seiner Promotion einer der engsten Mitarbeiter D.s. 2 Datierung nach Poststempel. 3 Im Brieforiginal nachträglich darüber von der Hand D.s: „Es ist sehr schön, ich aber merke jetzt erst wie müde ich bin“. 4 E. Zeller: Friedrich der Große als Philosoph. Berlin 1886.

[1160] Dilthey an Paul Ritter Berlin, 16. Mai 19001 Lieber Freund, Die Revision da,2 zugleich auch an Sie gesandt. Es wäre dem Verleger lieb, möglichst bald den abgeschlossenen zweiten Teil des Manuskripts zu bekom­men oder doch den bestimmten Einlieferungstermin zu erfahren, da er sonst der Pfingstferien wegen in Schwierigkeiten mit der Druckerei kommen könnte. Passt es Ihnen, so finden Sie mich morgen Donnerstag Vormittag zu Hause bis

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Dilthey an Paul Ritter 

1 Uhr. Sind Sie einberufen, so würde ich dann das Manuskript, das ich mitzubringen bitte, gleich ganz hier behalten.

Mit bestem Gruss der Ihrige W Dilthey.

Original: Hs.; Postkarte; Diktat D.s von der Hand Clara D.s mit eigenhändiger Unterschrift D.s; ABBAW, NL Ritter, A.: Paul Ritter, I.1. Bd. II, 54. 1 Datierung nach Poststempel. 2 Vermutlich die Revision von D.s Beitrag über die Berliner Akademie der Wissenschaften, die in zwei Teilen in der DRS erschien; vgl. Brief [1155], Anm. 2.

[1161] Dilthey an Paul Ritter Lieber Freund,

Berlin, 27. Mai 19001 Sonntag

ich erwarte Sie also nach wohl vollbrachtem Examen2 am Dienstag früh u. wünsche alles beste Glück (ich: Sekretärin auch!) zu morgen. Vor allem nicht mehr arbeiten u. sich ganz ruhig u. bedachtsam verhalten. Herzliche Grüße! Ihr W. Dilthey Original: Hs.; Postkarte; Diktat D.s von der Hand Katharina D.s; ABBAW, NL Ritter, A.: Paul Ritter, I.1. Bd. II, Nr. 57. 1 Der 27. Mai war im Jahr 1900 ein Sonntag. 2 P. Ritter legte, nachdem er im August 1898 promoviert hatte, im Jahre 1900 seine Prüfung für das Lehramt an höheren Schulen ab. Er ging jedoch nicht in den Schuldienst, sondern arbeitete weiterhin an der Universität Berlin mit D. zusammen.

Dilthey an Hermann Usener 

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[1162] Dilthey an Hermann Usener Liebster Herrmann,1 das sind ja die üblichen telegraphischen Confusionen. Ich habe nun doch an Dich telegraphieren müssen, denn ich möchte gern Herrmanns Wunsch entsprechen, aber ich kann das doch nur thun, wenn ich weiss, dass Du ihm mehr geben willst als den regelmässigen monatlichen Zuschuss.2 Nun möchte ich aber doch die Gelegenheit benutzen, Dir von unserem Ergehen zu berichten und womöglich von Eurem zu vernehmen. Während der Ferien sind wir hier geblieben, und ich war sehr fleissig. Dann waren Käthe und Leni einige Zeit auf dem weissen Hirsch über Dresden, und ich bin dreimal dorthin gefahren, freilich dort genötigt angestrengt zu arbeiten[,] wenige Tage ausgenommen. Den Artikel hast Du ja erhalten.3 Du bekommst dann sobald er da ist, den ersten von drei grossen Artikeln in der Rundschau über die Berliner Akademie.4 Ich habe geglaubt, der Auffassung von Harnack gegenüber welche sich gleich­sam als die officielle zur Geltung gebracht hat, und nach der die Akademie nun definitiv ein grosser Apparat für Unternehmungen geworden ist, womit sie dann ihr letztes Ziel erreicht hätte, unter Bestimmung des Wertes jedes früheren Stadiums als des Wegs dahin, die Auffassung, die ich nun seit so vielen Jahren in der Akademie vertrete, zur Geltung bringen zu müssen. Die Sache ist sehr actuell da ja nun wirklich die Erweiterung der Akademiearbeiten durch die Verstärkung dessen was für deutsche Litteratur geschehen soll au­genscheinlich sich verwirklichen wird. Ich bin Mitglied der Commission für diese Sache und hoffe, dass wir einiges durchsetzen werden, auch gegen­über den Neigungen in der Akademie selbst am Bestehenden möglichst wenig zu ändern. Ein weiterer Artikel im Archiv ist in Arbeit. Vom nächsten Mittwoch ab werden wir nun in einer Conferenz im Ministerium über das Gymnasium der Zukunft verhandeln. Wir hatten neulich schon eine solche welche die Stellung zu den Reformgymnasien betraf und in der doch einiges Bedrohliche abge­wehrt werden konnte. Erreicht wird werden, dass das Lateinische in seiner alten Ausdehnung wieder zum wirklichen Mittelpunkt des Gymnasiums wird. Wohl auch, dass dieses Gymnasium den Realgym­nasien gegenüber Stand hält, vielleicht sogar eine Kraftvermehrung erfährt. Aber die Stellung des Griechischen ist bedroht durch Ideen, die Wahl zwischen ihm und dem Englischen allen Schülern frei zu überlassen. Hast Du über die Sache etwas zu sagen, das Du gern ausgesprochen wünschest, so bitte ich es mir, sobald Du kannst, zu schreiben. Ich muss schliessen, da der zweite Artikel über die Akademie schleunigst fertig zu machen ist.

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Hermann Usener an Dilthey 

Im Übrigen geht es uns allen gut. Meine unvermeidliche Überarbeitung ausgenommen. Und auch über Dich haben wir von Hermann in Bezug auf die Augen nur Gutes vernommen. Tausend herzliche Grüsse von uns allen an Euer ganzes Haus. Treulichst Dein Wilhelm. Schreiberin fügt noch besonders recht herzliche Grüsse hinzu and bittet um Entschuldigung für die fürchterliche Schrift, aber es ging wirklich zu schnell, und Papa kann’s nicht vertragen, wenn man mit dem Schreiben zurückbleibt. Wir machen eine Pfingsttour nach Rheinsberg, die Kinder und ich, vielleicht dass die Eltern nachkommen, auf die wir uns unbändig freuen. Viel herzliche Grüsse Dir und Tante Lili Clara. Berlin, d[en] 31. Mai 1900. Original: Hs.; Diktat D.s von der Hand Clara D.s; ULB Bonn, Usener-NL , S 2102, 3, Nr. 20; ein maschinenschriftliches Transkript des Briefes mit mehreren Auslassungen ist hinterlegt in: StUB Göttingen, HA , cod. ms. W. Dilthey, 14 g, Nr. 31. 1 Im Brieforiginal darüber von der Hand H. Useners: „Antw[ort] 4/VI 1900“. 2 Vgl. hierzu den folgenden Brief [1163]. 3 D.: Der entwicklungsgeschichtliche Pantheismus nach seinem geschichtlichen Zusammenhang mit den älteren pantheistischen Systemen, in: AGPh 13 (1900), Heft 3, S. 307–360; Heft 4, S. 445–482; WA in: GS II, S. 312–390. 4 D.: Die Berliner Akademie der Wissenschaften, ihre Vergangenheit und ihre gegenwärtigen Aufgaben, in: DRS 103 (1900), Heft 9, S. 416–444; ebd. Heft 10, S. 81–118; WA (umgearb.) in: GS III, S. 1–80: Leibniz und sein Zeitalter, und ebd. S. 81–205: Friedrich der Große und die deutsche Aufklärung.

[1163] Hermann Usener an Dilthey Mein lieber Wilhelm,

Bonn, 4⁄6. 1900

ich will die pfingsttage nicht verstreichen lassen, ohne Dir und den Deinigen von uns einen herzlichen gruss und dank, für das, was Ihr an Hermann ge-

Hermann Usener an Dilthey 

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tan, zu senden. Dass du H[ermann] nicht ohne weiteres den gewünschten vorschuss leistest, war durchaus in unserem sinne gehandelt. Die M. 140.–, die er nach seiner angabe von Dir erhoben hat, werde ich Dir, sobald die post wieder zugänger sein wird, also in den nächsten tagen durch posteinzahlung wieder zugehen lassen. Für die neuen früchte Deines wirklich ausserordentlichen fleisses, pantheismus I und den heute eingetroffenen essay über Eure akademie bin ich Dir sehr dankbar. Die heutige sendung habe ich sofort verschlungen und bewundert; sie kommt überaus zeitgemäss, und es wird besonders wirkungsvoll sein, dass sie Harnacks buch auf den fersen folgt. Lass aber auch, ich bitte dringend, nicht los, bis Du den faden zu ende gesponnen hast. Auch Deine kollegen, Diels nicht ausgenommen, werden mancherlei zu lernen finden.  – Es ist eine freude, wie Du es verstanden hast, die verwickelten fäden von Leibniz’ geistigem1 inhalt und streben auch einem weiteren publikum fassbar und verständlich zu machen. Durch den aufsatz aus dem archiv, bin ich, bei starker hetze von aussen und innen, noch nicht vollständig durchgedrungen. Vermisst habe ich s. 311 z. 5/4 von unten den namen Gassendis’2 des erneurer[s] der epikuräischen philosophie, der durch die wiedereinführung des unendlich kleinen nicht nur den grundbegriff der moder­nen physik und chemie gewonnen, sondern auch für die infinitesimalrechnung Leibn[iz]’s und Newton’s den ersten anstoss gegeben hat. Bei Euren ministerialverhandlungen über das gymnasium der zukunft möge wenigstens der schatten der grossen männer, die im anfang des jahrhunderts das preussische bildungswesen und damit die voraussetzung für Deutschlands wissenschaftliche grösse in diesem jahrhundert geschaffen als stiller ernster mahner vor allen denen stehen, die zur mitarbeit berufen sind und jene schöpfungen zu würdigen wissen. Früher hat Stauder die nun wieder drohende gefahr, das griechische aus dem festen lehrplan zu entfernen, nur durch den hinweis auf die bundesstaaten, die in dem punkte dem vorbild Preussens nicht folgen würden, wie Sachsen, Württemberg, Bayern, und die bemerkung, dass dann Preussen in sachen der jugendbildung vor jenen auf den zweiten rang herabsinken würde, abgeschlagen. Bei dem wahnwitz, der unsere regierenden kreise ergriffen hat, ist ja leider nicht zu erwarten, dass verständige einsicht eher zum durchbruch kommt, als bis man durch schaden klug geworden ist. Dir brauche ich nicht vorzuhalten, um welchen verlust, ja selbstmord es sich handelt. Du weisst, dass Deutschland den ruhm hat dank ­Melanchton, Camerarius,3 usw. dem griechischen die erste feste stätte im jugendunterricht gegründet zu haben; Du weisst, wie die grosse epoche unserer deutschen litteratur an die wiederentdeckung griechischer kunst und dichtung durch Winckelmann, F. A. Wolf4 usw. geknüpft ist; Du wirst auch

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Hermann Usener an Dilthey 

wissen, dass die geistige befreiung nicht von den römischen bearbeitern sondern von den griechischen originalen herkommt. Gegen die geistige knechtung, die in der katho­lischen jugend unserer uni­versitäten unglaubliche fortschritte seit etwa 20 jahren gemacht hat, fortschritte, von denen Ihr im pro­testantischen N[ord]­deutschland keine blasse ahnung haben könnt, giebt es kein besseres bollwerk als Homer, Sophokles und Platon. Nun müssen sie wirklich gelesen und ver­arbeitet werden, und die schullektüre darf nicht diese karrikatur von unterricht sein, zu der sie in den katholischen anstalten des Rheins seit 1891 rapid heruntergesunken ist. Ich habe 1896 unser ministerium gelegentlich eines gutachtens gewarnt, bin aber dafür mit einer rüge für ungerechtfertigte äusserungen, zu denen ich nicht aufgefordert gewesen sei, belohnt worden. Du kannst gewiss sein, dass, wenn nicht schleunigst von dem unheilvollen wege, den die konferenzen des j[ahres] 1890/1 gebahnt haben5 zurückgelenkt wird, binnen einer bis zwei generationen unsere deutsche wissenschaft auf den stand,6 den heute etwa die französische oder italienische einnimmt, herabgesunken sein wird. Glaube nicht, dass ich engherzig pro domo rede. Ich sehe es aus der erfahrung eines ganzen lebens und aus der vergleichung der auf realanstalten gebildeten männer (die ich ja haufenweise in examina kennen gelernt habe), sehe es endlich aus dem seit 1892 jahr für jahr rapid herabsinkenden niveau unserer studenten. Dass es sich bei der stellung der klass[ischen] sprachen im jugendunterricht tatsächlich um die frage handelt: welches bildungsmittel gewährt die allseitigste schulung, die beste gymnastik der geistigen muskelkraft, die erziehung zu selbständige[m] denken und gei­stiger initiative? In dem maaße, als das gymnasium nachlässt, seine aufgabe zu erfüllen, muss auch die neigung und fähigkeit der jugend zu geistiger initiative zurückgehen, und für die deutsche wissenschaft bedeutet das sicheren niedergang. Die politische seite der frage habe ich schon früher mit Dir besprochen. Du wirst mir zugeben, dass nur solange das feuer echter wis­senschaft bei uns lodert, der staat das feste gefüge nach in­nen und aussen haben kann, das er im wettkampf der nationen bewahren muss; die materielle kultur und die blüte von in­dustrie und handel üben auf die dauer eher entgegengesetzte wirkung. Mit den besten wünschen für Euch alle und mit den herzlichsten grüssen, auch von Lili, Dein H. Usener. Karl in G[öttingen] geht es in diesem sommer Gottlob recht gut, wie ich noch heute von einem Göttinger kollegen hörte.

Dilthey an Robert Vischer 

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Original: nicht überliefert; ein maschinenschriftliches Transkript des Briefes ist hinterlegt in: StUB Göttingen, HA , cod. ms. W. Dilthey, 14 g, Nr. 26. 1 Im Transkript: „geistigen“. 2 Petrus Gassendi (1592–1655): franz. Philosoph und Mathematiker; Wegbereiter der neuen physikalisch-mechanischen Weltanschauung, aufbauend auf der epikuräischen Atomistik. 3 Joachim Camerarius der Ältere (1500–1574): Humanist, Philologe und Universal­ gelehrter. 4 Johann Joachim Winckelmann (1717–1768): Kunsthistoriker, Archäologe und Bibliothekar; Gründer der modernen vergleichenden Kunstgeschichte. – Friedrich August Wolf (1759–1824): klass. Philologe. 5 Die preuß. Schulkonferenz vom 4.–17. Dezember 1890 hatte die Zukunft des Gymnasiums zum Thema. Tragend waren die gegensätzlichen Forderungen nach einer humanistischen vs. realistischen Bildung. Die Konferenz wurde vom 4.–8. Juni 1900 in Berlin fort­ gesetzt. D. nahm an der Schulkonferenz im Dezember 1890 teil. 6 Im Transkript; „rand“.

[1164] Dilthey an Robert Vischer Berlin Burggrafenstr[aße] 4 am 19. Juli 1900 Verehrtester Herr Kollege! Ich habe mich sehr gefreut, einmal wieder Nachricht von Ihnen zu erhalten.1 Die Bearbeitung des Hegelschen Preisthemas kann ich nur lebhaft empfehlen, sofern der junge Mann die erforderliche Vorbereitung für den Gegenstand einiger­maßen be­sitzt.2 Die Behandlung dieses Themas ist gewiß ge­eignet, ihm eine Position zu geben. Die Manuscripte sind auf der Bibliothek jedem Bearbeiter in bequemer Weise zugänglich. Herzliche Grüße von uns an Sie und Ihre verehrte Frau Gemahlin! Wo gehen Sie in den Ferien hin. Es wäre uns die größte Freude, Ihnen zu begegnen. Dann sprechen wir auch über den Shakespeare, für den ich vielmals danke,3 und über die vollkommene Art, in der Sie Ihre Aufgabe gelöst haben.

Treu gesinnt der Ihrige Wilhelm Dilthey

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Dilthey an Carl Justi 

Original: Hs.; Diktat D.s von der Hand Clara D.s; Stadtarchiv Fürth, Autographensammlung H. Glockner, unpaginiert;  – Erstdruck in: Hermann Glockner: Beiträge zum Verständnis und zur Kritik Hegels sowie zur Umgestaltung seiner Geisteswelt (= Hegel-Studien. Beiheft Nr. 2). Bonn 1965, S. 484. 1 Nicht überliefert. 2 Die Königl. Preuß. AdW zu Berlin stellte 1900 eine Preisaufgabe, „aus dem von H[er]rn von Milozewski gestifteten Legat [= Zuwendung] für philosophische Preisfragen“, die D. so formulierte: „Die Entwicklungsgeschichte des Hegel’schen Systems soll mit Benutzung der auf der Königlichen Bibliothek zu Berlin befindlichen Manuscripte Hegel’s dargestellt und historisch verständlich gemacht werden. Hierbei soll insbesondere berücksichtigt werden die Ausbildung seines Pantheismus, seiner dialektischen Methode, der Anordnungen der Kategorien in der Logik und seines Verfahrens, die Gestalten des geschichtlichen Lebens in einen philosophischen Zusammenhang zu bringen.“ Der ausgesetzte Preis betrug 2000 Mark, in: Abhandlungen der Königl. Preuß AdW zu Berlin aus den Jahren 1899 und 1900. Berlin 1900, S. XXXVI f.; vgl. auch H. Glockner: Beiträge zum Verständnis und zur Kritik Hegels sowie zur Umgestaltung seiner Geisteswelt (= Hegel-Studien. Beiheft Nr. 2). Bonn 1965, S. 482. – Der „junge Mann“, von dem D. hier schreibt und der ihm namentlich nicht bekannt war, ist Hugo Falkenheim (1866–1935): Studium der Philo­ sophie und Promotion in Berlin; Hegel-Forscher und später Bibliothekar an der UB in München. 3 R. Vischer gab zwischen 1899 und 1905 die Shakespeare-Vorträge seines Vaters Friedrich Theodor Vischer in 6 Bänden heraus.

[1165] Dilthey an Carl Justi1 Lieber verehrter Freund,

[23. 07. 1900]

Verzeihen Sie das kurzhandige Telegramm;2 es ist nach unsrer Commissionssitzung3 verfaßt, um so schleunig als möglich Ihr uns so werthvolles u. wichtiges Urtheil zu erhalten. Wo möglich soll Mittwoch noch die zweite Sitzung sein, da die Regierung die Sache gern schleu­nigst erledigt sähe. Grimm hat von vorn herein erklärt, daß sein Gesundheitszustand ihm unmöglich mache, sich mündlich oder schriftlich zu betheiligen. Also bitte ich um Indemnität4 daß ich Sie mit dem Telegramm überfallen habe. Und ich bitte nochmals in jedem Falle falls auch Mittwoch Ihr Brief nicht anlangen könnte den im Telegramm ausgesprochenen Wunsch zu erfüllen. Wie wünschte ich, Sie, lieber verehrter Freund, wir begegneten uns einmal wieder, Ihre verehrte Schwester5 miteingeschlossen.

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Carl Justi an Dilthey 

Tausend herzl[iche] Grüße auch von meiner Frau und an Ihr Fr[äu]l[ein] Schwester Treulichst in alter Verehrung Ihr Wilhelm Dilthey Berlin Burggrafenstr. 4 Original: Hs.; ULB Bonn, HA , Justi-NL , S 1703, 1, Nr. 5. 1 Der Kunsthistoriker und Philosoph Carl Justi (1832–1912), der seit 1873 o. Prof. der neueren Kunstgeschichte in Bonn war. 2 Am Morgen des 23. Juli 1900 schickte D. an C. Justi ein Telegramm mit folgendem Inhalt: „erbitte herzlich umgehend, wenn Ihnen möglich, briefliches, wenn auch knappes urtheil über thode, wieckhof und wölfflin[.] dilthey commissionsmitglied burggrafen­ strasse 4“. 3 In der Philosophischen Fakultät der Universität Berlin wurde ein Nachfolger für die Professur der Neuen Kunstgeschichte, die H. Grimm (1828–1901) seit 1873 inne hatte, gesucht. In der engeren Wahl waren: 1. Henry Thode (1857–1920): Kunsthistoriker; 1880 Promotion in Wien, 1886 Habilitation in Bonn, 1889 Direktor am Städelschen Kunstinstitut in Frankfurt a. M., 1893 o. Prof. in Heidelberg; 2. Franz Wickhoff (1853–1909): österr. Kunsthistoriker; 1880 Promotion in Wien, 1882 PD, 1885 a. o., 1891 o. Prof. für Kunstgeschichte in Wien. 3. Heinrich Wölfflin (1864–1945): schweiz. Kunsthistoriker; 1886 Promotion in München, 1888 Habilitation ebd., 1893 o. Prof. in Basel (Nachfolger J. Burckhardts), 1901 in Berlin, 1912 in München, 1924 in Zürich. – Die Wahl fiel im Januar 1901 auf H. Wölfflin (vgl. hierzu: Ehlers, Bd. II, S. 281). 4 Nachträgliche Bewilligung. 5 Friederike Justi (1842–1922).

[1166] Carl Justi an Dilthey Verehrter Herr College!

Bonn, den 24. Juli 1900

Ich wüßte kaum etwas dem hinzuzusetzen was ich damals in Gastein über die fraglichen Herren geäußert. Alle sind Männer von Talent und innerem Beruf zu dem Fach, sie beherrschen, soviel ich beurteilen kann das Gebiet, haben eigene Gedanken und sind bewährt als Lehrer. Wieckhoff1 dürfte zweifellos als die bedeutendste wissenschaftliche Capacität gelten. Als Forscher hat er sich nicht blos durch glückliche Einzelent­

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Carl Justi an Dilthey 

deckungen, sondern auch durch Aufstellung bestechender2 neuer Gesichtspunkte weitreichender Art be­rühmt gemacht und auch außerhalb der engeren Kreise,3 z. B. bei Archäologen, Anerkennung gefunden. Wölfflin und Thode würde man sich gewiß4 nicht bedenken für andere Universitätsposten zu empfeh­len. Ernstlicher Sorgen kann man sich jedoch kaum erwehren,5 wo es sich darum handelt, die wichtigste Stelle und das6 jetzt zu solcher Bedeutung gekommene Fach, möglicherweise für lange Zeit einem von beiden zu überliefern. Wölfflin ist ein Mann von lebhafter Phantasie u.7 interessanter Schreibweise, aber nicht ohne Neigung zu Verkündigung unbewiesener Einfälle u. des etourdi.8 Neuerdings hat er sich durch beinah9 fanatische Verkündigung der (meiner Ansicht nach) verfehlten Theorie des Bildhauers Adolf Hildebrand10 bemerklich gemacht. Da er wahrschein­lich11 noch manche Evolution durchmachen wird, so hat er sich selbst durch voreilige Behauptungen gleichsam Balken über die Pfade seiner Zukunft geworfen. Thodes Begabung ist bekannt, ebenso seine reiche Anschauung und Bilder- und Denkmalkenntniß. Zu bedauern ist die lächerliche12 Überzeugung von der Unfehlbarkeit aller seiner Einfälle und Hypothesen, und seine Nachgiebigkeit13 gegen den Hang zum Visionären, und Sentimentalen, der sich übrigens mit dem scharf ausgeprägten Charakter des Propagandisten und14 Sektierers15 verbindet. In allem übrigen außer diesem einen Punkt, ist er nichts weniger als Pedant. Dies,16 mein hochver­ehrter Freund, ist alles was ich bei der Knapp­heit der Zeit u.17 der jetzt sehr großen Inan­spruchnahme zu schreiben weiß. Möchte die Entscheidung so ausfallen, daß sie später nicht be­reut zu werden braucht.

Mit freundlichem Gruß Ihr ergebener

C. Justi

Original: Hs.; StUB Göttingen, HA , cod. ms. W. Dilthey 45, Autographenmappe Clara Misch, Nr. 21. – Erstdruck in: Carl Justi: Moderne Irrtümer. Briefe und Aphorismen. Hg. von Johannes Rößler. Berlin 2012, S. 415–417. 1 Im Erstdruck: „Wickhoff“. 2 Im Erstdruck: „beherrschender“. 3 Im Erstdruck: „Künste“. 4 Im Erstdruck: „gewiss“. 5 Im Erstdruck: „machen“. 6 Im Erstdruck: „dieses“. 7 Im Erstdruck: „und“.

Dilthey an Paul Ritter 

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8 Unüberlegtheit, Zerstreutheit. – Im Erstdruck: „Hourdi“. 9 Im Erstdruck: „beinahe“. 10 Adolf von Hildebrand (1847–1921): Bildhauer.  – H. Wölfflin: Adolf Hildebrands „Problem der Form“, in: Heinrich Wölfflins Kleine Schriften (1866–1933). Hg. von Joseph Gantner. Basel 1946, S. 104–106, sowie S. 89–104. 11 Im Erstdruck: „wa[h]rscheinlich“. 12 Im Erstdruck: „lächelnde“. 13 Im Erstdruck: „Nachsichtigkeit“. 14 Im Erstdruck: „u“. 15 Im Erstdruck: „Sektirers“. 16 Im Erstdruck: „Dieß“. 17 Im Erstdruck: „und“.

[1167] Dilthey an Paul Ritter Lieber Freund, Eben erhalte ich Ihren Brief und beeile mich Ihnen die 300 Mark gleichzeitig in Geldkarten zu senden.1 Es ist mir vorwurfsvoll daß ich in der Hast der letzten Zeit, da wir nur ein paar Worte darüber wechselten, dies nicht gleich erle­ digt habe. Entschuldigen Sie mich freundlich. In der Karte, die mir die richtige Ankunft des Geldes melden soll u. die ich bitte umgehend zu ­schicken, wollen Sie nur sagen, daß Sie meine ‚beiden Zuschriften‘ richtig erhalten haben, da ich unbe­dingt will daß die Sache nur zwischen uns beiden bleibt, wie wir es besprochen haben. Wollen Sie den Rest ruhig ausarbeiten und bis zu meiner Rückkehr im Octo­ ber bei sich be­halten. Ich bin entschlossen die Sache nur ganz vollendet u. reif zu geben, und ich habe in diesem Sinne mit Rodenberg Verabredung getroffen. Auch habe ich in Bezug auf die Ausdehnung der beiden Artikel ganz freie Hand erhalten. Die Sache muß die Gestalt bekommen, in welcher sie ohne Weiteres in den Schleiermacher fertig übergehen kann. Was zu speciell auf Schleierm[acher] sich bezieht, bitte ich in gleichförmig fortgehender Zählung auf besondere Blätter die so ausgesondert werden können zu schreiben, damit es dann zugesetzt werden kann zu dem Gedruckten. Dies wird insbesondere den Aristoteles und etwa die Sekretariatsgeschäfte betreffen. Es ist angenehm in dem Schlei[er]m[acher] etwas mehr zu geben als in der Aka­demieschrift. Für das Universitätskapitel finden Sie jederzeit den Schrank mit allen Papie­ ren für Sie offen. Ich freue mich sehr daß Ihre polit[ische] Abh[andlung] vorwärtsschreitet.2 Es ist ein sehr glücklicher Coup für Sie.

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Dilthey an Paul Ritter 

Ich selbst will meine Abh[andlung] üb[er] die Form d[er] Weltansichten auf der Reise zu fördern suchen. Mein Befinden ist viel besser, da ich das Produciren 14 Tage eingestellt habe. Also Glückauf zur Arbeit lieber Freund.

In treuer Gesinnung d[er] Ihrige W. Dilthey

2 August 1900 Original: Hs.; ABBAW, NL Ritter, A.: Paul Ritter, I, 1. Bd. II, Nr. 65. 1 Ein Einzahlungsbeleg über „300 Mark“ vom 2. August 1900 ist hinterlegt in: A ­ BBAW, NL Ritter, A: Paul Ritter, I. 1. Bd. II, Nr. 64. 2 P. Ritter, der seit 1891 in Berlin Geschichte und Geographie studiert hatte, promovierte 1898 bei dem Berliner Historiker Max Lenz (1850–1932) mit einer Arbeit über die „Konvention von Reichenbach“ mit dem Abschluss „magna cum laude“ (vgl. den handschriftlichen Lebenslauf P. Ritters, in: ABBAW, NL Ritter, A: Paul Ritter, I. 1. Bd. XIV). – Max Lenz (1850–1932): Historiker; 1874 Promotion in Greifswald, 1875 Tätigkeit im Geheimen Staatsarchiv Marburg, 1876 Habilitation ebd., 1881 a. o., 1885 o. Prof. in Marburg, 1888 in Breslau, 1890 in Berlin.

[1168] Dilthey an Paul Ritter

Lieber Herr Doktor,

St. Ulrich in Gröden 19. August 19001

Sie werden schon vernommen haben daß meine Tochter mit den Kindern2 zurückgekehrt ist. So ist der Zugang zum M[anu]script jetzt frei.3 Bitte nur jedesmal gleich wieder sorg­fältig den Schrank zuzuschließen. Ihre Durch­ arbeitung wird gewiß auch dem ersten Theil u. diesem von Anfang ab (auch die projektirte Einleitung einbegriffen) zu Gute kommen, da ich dann d[a]s M[anu]sc[ript] möglichst bald abliefern möchte. Verhältniß der Revolution zum absoluten Staat, der Aufklärung etc., Eindruck in Deutschl[and], Widerstand der friderician[ischen] Aufklärung Verstärkung der Vermittlung vom Staat und ihr, Wöllner,4 dann Blick auf Burke,5 Schlegel etc. Ich fände gut Sie sähen die polit[isch] histor[ische] Arbeit von Freytag sich bald an u. fügten s[ie]

Dilthey an seine Kinder 

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der Darst[ellung] noch ein.6 Auf kön[iglicher] Bibl[iothek] bitte abzu­geben: Goethes Werke B[an]d 26–29. Sie stehen in der Bibliotheksstube, auf dem breiten Vorsprung des Regals.

Herzl[iche] Grüße in treuer Gesinnung W. D.

Original: Hs.; Postkarte; ABBAW, NL Ritter, A.: Paul Ritter, I. 1. Bd. II, Nr. 68. 1 Datierung nach Poststempel. 2 Gemeint sind die beiden jüngeren Geschwister Clara D.s, Maximilian und Leni. 3 D. arbeitete zusammen mit P. Ritter an dem Beitrag Die deutsche Aufklärung im Staat und in der Akademie Friedrichs des Großen, der 1901 in der DRS 107, Heft 7, S. 21–58; Heft 8, S. 210–235 erschien; WA in: GS III, S. 83–205 (umgearb. von P. Ritter). 4 Johann Christoph von Woellner (1732–1800): Pastor und preuß. Staatsmann; 1754 Pastor, 1760 Niederlegung des Amtes, Mitglied in verschiedenen Freimaurerlogen, 1788– 1797 Staats- und Justizminister unter Friedrich Wilhelm II., auf den er großen Einfluss hatte.  – Das „Woellnersche Religionsedikt“ vom 9. Juli 1788 schränkte den Einfluss der Aufklärung auf die Religion ein. 5 Edmund Burke (1729–1797): irischer Staatsphilosoph und Politiker zur Zeit der Aufklärung; Gegner der franz. Aufklärung. 6 Gustav Freytag (1816–1895): Schriftsteller und Politiker. – G. Freytag: Bilder aus der deutschen Vergangenheit. 4 Bde. Leipzig 1859–1867.

[1169] Dilthey an seine Kinder Ihr Liebsten Kinder,

[nach dem 19. August 1900]

endlich muß ich Euch einmal ordentlich schreiben. Die Anweisung habe ich so eingerichtet daß Du den Zusatz abschneiden konntest wenn er genirt. Möchten wir nur von Max gute Nachrichten bekommen. Ich bin voller Sorge wegen der Schule. Herrn Schulrektor lasse ich bestens grüßen u. bitten, mir in einer Zeile seine Ansicht mitzutheilen wie es steht. Ich bitte dann zu schreiben, wann die Entscheidung sein wird, wann die Ferien beginnen und was ich etwa thun kann. Ich hoffe daß das behaglich gesunde Leben in der weiten Wohnung der Gesundheit und Arbeit sich nützlich erweisen. Scheint ein Brief von mir an Coste1 nützlich, bitte ich auch das zu überlegen. Meine Gedanken sind immer bei Euch u. Eurem Leben u. Befinden.

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Dilthey an Paul Ritter 

Es geht mir hier wirklich ausgezeichnet. Wenn Alles erwünscht verläuft ist dies Wolkenstein2 der herrlichste Ferienaufenthalt für uns Alle im künftigen Jahre. Dicht unter 3 Pässen. Es bekommt uns beiden außerordentlich gut. Alle paar Tage wandern wir einen ganzen Tag auf einen der Pässe in eine der Hütten. ­ epsius4 dazu Broichers3 sind für den Verkehr sehr angenehm. Jetzt ist der Maler L gekommen mit dem ich sehr anregende Gespräche habe denn er hat über die Technik der Kunst sehr viel nachgedacht. Von Schwindel spüre ich nichts mehr, Kopfdruck auch nicht, Hitze im Kopf u. leichtes Kopfweh nur selten. Arbeiten freilich läßt sich in dieser hohen Luft nur wenig da das sogleich heiß macht. Wir denken jedenfalls bis Mitte September wenn das Wetter günstig zu bleiben. Dann aber sehne ich mich nach ruhig anhaltender Arbeit: so wenigstens ist im Augenblick meine Stimmung. Und ich möchte gern ins November[-] u. Dezemberheft den 3. großen Theil der Akademie bringen, damit sie zu Weihnachten als Buch erscheinen kann. Doch ist Alles bei mir noch nebelhaft: Wetter, Befinden, Gelingen von Arbeit, Nachrichten von Ritter u. Rodenberg wirken nach.5 Tausend Grüße Euch Liebsten. Schreibe doch ja einmal ausführlicher. Umgehend aber soll Leni einmal melden wie es geht mit ihrer Musik, Schule, mit Max etc. Euer Papa Original: Hs.; StUB Göttingen, HA , cod. ms. W. Dilthey, 13 k, Nr. 5. 1 David Coste (1853–1915): Althistoriker und Lehrer; 1873 Promotion in Tübingen, 1875 Lehramtsexamen, Gymnasiallehrer, ab 1896 Direktor des Bismarck-Gymnasiums in Berlin / Wilmersdorf. 2 Dorf in den Dolomiten. 3 Der Kammergerichtsrat Otto Broicher (1844–1913) und seine Ehefrau, die Schriftstellerin und Übersetzerin Maria Charlotte Broicher, geb. Snethlage (1848–1917). 4 Reinhold Lepsius (1857–1922): Porträtmaler und Vertreter des Berliner Impressionismus. 5 Nicht überliefert.

[1170] Dilthey an Paul Ritter Lieber Freund,1 ich bin sehr begierig von Ihnen ein Wörtchen zu vernehmen. Ich meine vorläu­ fig es würde thunlich sein den ersten Aufsatz in das Novemberheft zu bringen sonach Anfang October abzuschließen. Schreiben Sie mir doch mit einer Zeile wie Sie den Umfang taxiren, wenn die Charakteristik von Humboldt Schl[eier-]

Dilthey an Paul Ritter 

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m[acher] u. Niebuhr ¾ Bogen ausmachen, und wo Sie meinen daß man schließen könne. Ich will dann an Rodenberg wegen des Raumes anfragen. Mein Befinden ist sehr gut. Ich habe mich sehr erholt u. für den Winter gestärkt. Möchte gern bis zu Beginn d[er] Vorlesungen die ganze Akademie­arbeit abschütteln. Sitze zeitweilig an der großen Abh[andlung] von der sie wissen.2 Der Umfang der Probleme ist gar zu groß, u. doch läßt sich die Sache nur so machen. Und Ihre Schrift? Ich habe rechte Sehnsucht ein Wort von Ihnen zu vernehmen. Adresse ­Tirol, Grödener Thal, Hôtel Wolkenstein. Auch meine Frau grüßt vielmals.

In treuer Gesinnung der Ihrige Wilh. Dilthey

[1. September 1900. Hôtel Wolkenstein Grödener Thal Tirol]3 Original: Hs.; ABBAW, NL Ritter, A.: Paul Ritter, I. 1. Bd. II, unpaginiert. 1 Im Brieforiginal darüber am rechten Rand von der Hand Katharina D.s: „Herzl[ichen] Gruß!“ 2 Vermutlich ist D.s Projekt einer „Geschichte des deutschen Geistes“ gemeint. 3 Im Brieforiginal: D. schreibt: „1. April 1900“.

[1171] Dilthey an Paul Ritter Lieber Freund ich bin beunruhigt, von Ihnen keine Nachricht zu erhalten. Sie sind doch nicht krank? Ich schrieb Ihnen neulich einen ausführlichen Brief;1 Sie könnten auch vielleicht diesen gar nicht erhalten haben. Oder sind Sie in den Abschluß Ihrer Arbeit über Grot[ius] und Alth[usius]2 ganz versunken? Also bitte ein Wörtchen. Tirol, Grödner Thal Hôtel Wolkenstein. Mit herzl[ichen] Grüßen von uns Beiden Ihr W. Dilthey 5 Sept[ember]1900

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Dilthey an Paul Ritter 

Original: Hs.; Postkarte; ABBAW, NL Ritter, A.: Paul Ritter, I. 1. Bd. II, Nr. 71. 1 Vgl. die Briefe [1167] und [1168]. – Parallel zu dieser Nachfrage D.s schrieb Clara D. von Berlin aus einen entsprechenden Brief an P. Ritter: „Mein Vater beunruhigt sich, lieber Herr Ritter, Sie möchten krank sein, oder es möchte Ihnen etwas zugestossen sein. Wollen Sie mir mit einer Zeile sagen, ob dem wirklich so ist? Mein Vater hatte Ihnen zweimal geschrieben; sollte das vielleicht nicht angekommen sein? Mit bestem Gruss Clara Dilthey.“ (Original: Hs.; ABBAW, NL Ritter, A: Paul Ritter, I. 1. Bd. II, unpaginiert). 2 Der niederl. Philosoph und Rechtsgelehrte Hugo Grotius (1583–1645). – Der Rechtsgelehrte Johannes Althusius (1563–1638). – Eine Publikation P. Ritters über Grotius und Althusius ist nicht nachweisbar.

[1172] Dilthey an Paul Ritter

Wolkenstein in Gröden 8. September 19001

Lieber Freund,

nur als Nachtrag: Max ist wieder anhaltend aus der Schule; könnten Sie es Ihrer Zeit abgewinnen ihm ein paar mal Geschichte auseinander zu setzen (u. Geographie) so wäre ich sehr dankbar.2 Treulichst Ihr W. Dilthey Original: Hs.; Postkarte; ABBAW, NL Ritter, A.: Paul Ritter, I. 1. Bd. II, Nr. 72. 1 Datierung nach Poststempel. 2 D.s Mitarbeiter P. Ritter hatte 1891–1898 Geschichte und Geographie in Berlin studiert.

[1173] Dilthey an seine Tochter Clara Meine liebste Clara,

[nach dem 16. September 1900]

Du hast doch die letzte Karte von uns aus S[ankt] Ulrich erhalten, von der Wanderung hierher nach Seis.1 S[an]kt Ulrich war sehr schön, Verpflegung,

Dilthey an seine Tochter Clara 

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Luft vorzüglich, die Luft schon ganz anders obwol nur 300 m[eter] tiefer. Ich verfiel in eine gesunde Müdigkeit. Leider brachte ich eine Erkältung – veranlaßt durch das Zusammentreffen von Haarschneiden, das Lepsius künstlerisch auf der großen Wiese am Hôtel vollbrachte2 und einem Nebeltag – mit herunter, ebenso die Magenaffektion. Die Wanderung nach Seis den Tag über war sehr schön, wir hatten einen Träger als Führer mitgenommen. Blick auf den Ortler3 etc., weite Matten. Hier in Seis trotz der beinahe 1000 Meter sehr heiß. Das Schlimme aber ist daß es hier durch Glocken[-]Lärm der Bauern und in dem Privathaus in dem wir wohnen Nachts höchst unruhig ist. Letzte Nacht habe ich fast gar nicht geschlafen. Dies wirkt natürlich auf die Möglichkeit zu arbeiten sehr ungünstig. Eben in der hohen Luft habe ich wol nachdenken, Notizen machen, den Schmoller – ein sehr schönes u. gutes Buch – 4 lesen können; aber ich diktirte nur einmal u. bemerkte gleich daß es meinen Kopf ganz unverhältnißmäßig anstrenge: sodaß ich es dann gelassen habe. So ist meine große Abhandlung nur wenig gefördert, auch die Magenaffektion beschränkte die ganze letzte Zeit in Ulrich u. hier gar sehr die Möglichkeit der Arbeit. Aber wenn ich nur die erlangte Frische des Kopfes so nach Hause bringe kann ich ja nur mit der Reise sehr zufrieden sein. Auch das ist mir sehr wichtig, daß ich meinen Körper einmal wieder tüchtig durchgearbeitet u. die Freude des Wanderns einmal wieder gekostet habe. Wenn wir also etwa den 1[.] October wieder heimkehren, hoffe ich mit Behagen den Akademieaufsatz erledigen zu können und mich in den Schleiermachercapiteln so weit bis Januar zu fördern, daß ich die Ablieferung der Papiere an unser Archiv mit einiger Gemüthsruhe vollbringen kann. Für dies Alles ist Ritters Unfall ein rechtes Mißgeschick.5 Es schiebt sich dadurch Alles unerfreulich in die kürzere Zeit. Vor Allem ist es mir auch für ihn außerordentlich leid. Er ist jetzt wol wieder in seiner Privatwohnung. Sieh doch ja was Du ihm etwa Freundliches u. Tröstliches erweisen kannst. Er ist wirklich ein Pechvogel! Wegen des Grundrisses für die Vorl[esung] ü. Gesch[ichte] d[er] Ph[iloso­ phie]6 habe ich Dir geschrieben. Du mögest auf dem Speicher u. in m[einem] Bibliothekszimmer die Anzahl der Ex[emplare] nachsehen. Ich brauche mindestens 200. Ist diese Zahl nicht vorhanden, so schreibe doch an den auf dem Titel angegebenen Drucker (dess[en] Rechnungen auch unter meinen; nicht Geibel7 in Altenb[urg]) ob er zum alten Preis dieselbe Anzahl von Ex[emplaren] drucken könne. Ist es noch nicht geschehen, so schreibe darüber ob 200 da sind umgehend e[ine] Karte hierher u. 1 Karte München poste restante, u. sende auch nach München Ex[emplar] postlagernd damit ich mich schon auf der Reise orientiren kann, ob Veränderungen die tiefer greifen nothwenig sind. Hoffentlich bekommen wir heute endlich Nachrichten von Euch Seis postlagernd wie es Euch allen geht wonach wir uns gar sehr sehnen. Gewiß ist nun

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Dilthey an seine Tochter Clara 

auch über Max schon etwas Definitives zu erwarten. Ich bin voll Sorge wie Alles abgelaufen. Die Trennung in einer für ihn so wichtigen Zeit war mir sehr schwer. Die Verpflegung ist hier für meinen Magen ausgezeichnet. Die Gegend schön. Ich wundere mich daß Dr Schlieper die Papiere in unsrer Wohnung nicht benutzt, da er für die Vorber[eitung] für die Capitel Rügen u. Berlin8 sie noth­ wendig hat. Nun nur noch taus[en]d Grüße Euch drei lieben Kindern. Meine Gedanken sind in jeder Abwesenheit immer bei Euch. Möge Alles gut gehen.

In Liebe u. Treue Euer Papa.

Original: Hs.; StUB Göttingen, HA , cod. ms. W. Dilthey, 13 k, Nr. 2. 1 Nicht überliefert. – Seis am Schlern / Gemeinde Kastelruth in Südtirol. 2 R. Lepsius schreibt hierzu an seine Frau Sabine am 16. September 1900 aus Wolkenstein, Gemeinde Gröden in Südtirol: „Eben, Sonntagnachmittag, habe ich ihm [= D.] im Sonnenschein auf der Wiese mit meiner Milimeterschere den ganzen Kopf rasiert, es war äusserst spasshaft. Sein Schädel ist wundervoll gewachsen und er klagte mir über den Schopf (vielleicht ½ cm hohe Borsten). Da benutzte ich die Gelegenheit, denselben noch genauer zu studieren und schor ihn wie ein Lämmlein.“ (Original: DLA Marbach, NL Lepsius, Briefe von R. Lepsius an Sabine Lepsius. Bestandnr. 661556). 3 Höchste Erhebung in den Südtiroler Alpen. 4 G. von Schmoller: Grundriss der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. 2 Teile. Leipzig 1900 und 1904. 5 P. Ritter hatte eine langwierige Fußverletzung. 6 D. hielt im Wintersemester 1900/01 wie schon in den Wintersemestern davor und danach eine Vorlesung über Allgemeine Geschichte der Philosophie bis auf die Gegenwart, in ihrem Zusammenhange mit der Cultur (5 stündig). – Offenbar plante D. seinen Grundriss der allgemeinen Geschichte der Philosophie erneut an seine Studenten auszugeben, wie bereits 1885, 1889, 1893, 1897 und 1898. 7 Der Buchhändler und Verleger Carl Stephan Geibel (1842–1919), der den Berliner Verlag Duncker & Humblot seit 1866 führte. – Pierersche Hofbuchdruckerei Stephan Geibel & Co in Altenburg. 8 Dr. Schlieper: Vermutlich ein ehemaliger Student D.s und sein Mitarbeiter. – Evtl. handelt es sich um H. Schlieper, der 1901 mit einer Dissertation über Emmanuel Swedenborgs System der Naturphilosophie besonders in seiner Beziehung zu Goethe-Herderschen Anschauungen in Berlin promovierte.

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Dilthey an Paul Ritter 

[1174] Dilthey an Paul Ritter Lieber Herr Ritter,

[Ende September 1900]

Mit m[einem] größten Bedauern habe ich Ihren Brief erhalten, der den schwierigen Verlauf Ihrer Heilung meldet. Handeln Sie ja nur so daß das Interesse Ihrer ganz sicheren Herstellung allein regiert. Es giebt Momente in denen Interessen irgend welcher andrer Art, Geld[,] Zeitverlust etc. gänzlich zurückstehen müssen hinter dem der Gesundheit. Sie haben Ihr bisheriges Leben so angestrengt gearbeitet daß Sie sich nicht zu scheuen nöthig haben auch einmal tüchtig zu faulenzen. Und es wird sich schon Alles dann wieder ausgleichen. Machen Sie sich nur keine Sorgen. Zu Anfang October kehre ich nach Berlin zurück. Vielleicht ist Ihnen keine unerwünschte Lektüre, wenn Sie die polit[ischen] Schriftst[eller] d[er] deutsch[en] Aufklärung, besonders aber die welche neben Hertzberg1 und diesem selbst sich betheiligt haben durchlaufen. Ich selber habe mich trotz nun langer Magenaffektion sehr gut erholt, und hoffe recht tüchtig in Arbeit und Seminar zu kommen. Das ist auch sehr nöthig. Denn gearbeitet habe ich Einiges, gedacht viel, aber außer Religion in d[er] hohen Luft fast nichts schreiben können. Und hier unten sind wir jetzt von allerhand Unfällen, nächtlicher Unruhe etc. heimgesucht, sodaß ich die Frische zum Schreiben nicht habe […]. Wollen Sie von Büchern irgendetwas aus unserm Hause, so verfügen Sie nur. Und nun seien Sie geduldig, ohne Sorge u. blicken Sie in die Zukunft, die Ihnen sich reich gestalten wird, weil Sie zugleich historisch forschen, philo­ sophieren u. schreiben in Ihre Gewalt bekommen haben. Sie wissen was ich thun kann, Ihnen den Weg zu ebnen, thue ich mit Freuden. M[eine] Frau grüßt herzlich[.] Treulichst Ihr W. Dilthey Original: Hs.; ABBAW, NL Ritter, A: Paul Ritter, I. 1. Bd. II, unpaginiert. 1 Ewald Friedrich von Hertzberg (1725–1795): preuß. Staatsmann und Vertreter der Aufklärung.

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Dilthey an Paul Ritter 

[1175] Dilthey an Paul Ritter

[Mitte Oktober 1900]

Lieber Freund,

Es freut mich sehr daß es so viel besser geht. Ich werde also wie Sie wünschen nicht zu Ihnen kommen, sondern hoffe Sie bald bei mir zu sehen. Bitte sich dann so einzurichten daß Sie den ganzen Tag bleiben bei uns u es vorher mitzutheilen. Nur dies möchte ich noch voraus bemerken: diese lange Krankheit muß nachtheilig auf Ihre pecuniäre Lage gewirkt haben, Sie können natürlich bei mir Erforderliches erhalten; ich hätte versandt wenn ich nicht zweckmäßiger fände es Ihnen persönlich nach Rücksprache zu geben: Sie können also sofort wenn Sie mich aufsuchen darüber disponieren. Dieser Schaden wenigstens läßt sich ausgleichen. Was Sie von Büchern von mir haben bringen Sie dann mir freundlich mit damit wir hintereinander die Arbeit abmachen können. Ich finde mich sehr zum Schreiben aufgelegt, kann indeß vorläufig nicht sagen daß es mir sehr glücke, das Hereindenken nach so langer Pause ist immer mißlich.

Herzliche Grüße u Wünsche von Ihrem W. Dilthey

Sonnabends. Original: Hs.; ABBAW, NL Ritter, A: Paul Ritter, I. 1. Bd. II, Nr. 79.

[1176] Dilthey an Paul Ritter Berlin, 1. 11. [19]001 Lieber Freund, eben höre ich von meiner Tochter, dass Ihr Fuß sich verschlimmert habe. Ich beschwöre Sie, nichts zu thun, was schaden kann. Kommen Sie ja am Freitag nicht, wenn es Ihnen irgend schädlich sein kann. Geben Sie ja auch Ihre Stunden nur, wenn es Ihnen nicht schadet. Bitte nur um eine Zeile

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darüber, falls Sie Freitag früh nicht kommen, die Freitag bei mir ankommt. Ist es Ihnen besser, so bringen Sie Pantoffeln mit.



Treulichst Ihr W. D.

Original: Hs.; Postkarte; Diktat D.s von der Hand seiner Tochter Clara; ABBAW, NL Ritter, A: Paul Ritter, I. 1. Bd. II, Nr. 82. 1 Datierung nach Poststempel.

[1177] Dilthey an Friedrich Theodor Althoff Hochverehrter Herr Ministerialdirector,1 erlauben Sie, dass ich einen Wunsch vortrage, an dessen Erfüllung mir sehr viel gelegen ist. Es besteht im Kultusministerium die Absicht, eine Centralstelle für eine Sammlung aller in preussischen Schulen gebrauchten Lehr­ bücher anzulegen. Und wie ich höre, bringen Sie dieser Aufgabe lebhaftes Interesse entgegen. Wird diese auf ältere Lehrbücher und Lehrmittel ausgedehnt, so wäre sie eines der wichtigsten Hilfsmittel, um einen Einblick in die Entwicklung des Unter­richtswesens und besonders der Methodik zu ge­winnen. Denn das unterliegt keinem Zweifel, dass die Geschichte des Unterrichtswesens nur dadurch Nützlichkeit und einen festen Mittelpunkt gewinnt, dass sie in strengster Weise die Technik des Un­terrichts zu ihrem Mittelpunkte macht. Auch würde so dem Ministerium gleichsam ein Archiv aller vergangenen Versuche immer zur Verfügung stehen, und diese sind keineswegs damit abgethan, dass man zur Zeit die Sache anders macht. Zugleich vernehme ich, dass diese Stelle auch einen praktischen Zweck hat, jede wünschbare Auskunft über diese Dinge zu erteilen. Ich vernehme nun zwar, dass eine bestimmte Person hierbei schon in Aussicht genommen ist. Dennoch möchte ich auf meinen jungen Freund Herrn Oberlehrer Dr. Heubaum aufmerksam machen. Sie wissen, dass derselbe mit mir gemeinsam an einer Geschichte des preussischen Unterrichtswe­sens arbeitet,2 welche an die Stelle der Debatten über Prinzipienfragen und der kulturhistorischen Schilderung von Standpunkten eine strenge exacte Geschichte der Technik, welche für die Lehrpraxis brauchbar ist, setzen soll. Ich brauche nicht zu sagen, dass die Durchführung eines solchen Planes wesentlich auf der

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Dilthey an Friedrich Theodor Althoff 

Arbeit beruht, zu welcher Er als praktischer Schulmann die Befähigung erworben hat. Nach allgemeinem Urteil ist Oberlehrer Heubaum, der jetzt in städtischem Dienst ist, einer der tüchtigsten jungen Schulmänner, einer der ausge­zeichnetsten Lehrer von Berlin. Auch hat er sich durch litterarische Arbeiten, wie über Becher und die Entstehung der Realschulen, über Schleiermachers Pädagogik, als guten Schriftsteller bewährt.3 Ich kann dafür einstehen, dass derselbe ganz besondere Fähigkeiten besitzt, auch in der höheren Schulverwaltung später dem Staat in her­vorragender Weise nützlich zu werden. Jedenfalls besitzt er für die in Frage stehende Stellung einen Inbegriff von Vorkenntnissen und Fähigkeiten, die sich kaum bei einer anderen Person so vorfinden wird. Ist die Stelle zunächst besetzt, so wird vielleicht eine zweite Stelle erforderlich, oder seine Benützung im Nebenamt erwünscht. Wenn Sie eine Viertelstunde gewönnen, ihn einmal zu sich kommen zu lassen, so würde ich dies sehr dankbar empfinden, da Sie dann sicher Ihr Augen­merk nach dem Eindruck seiner schlichten, sachlichen, energischen Persönlichkeit dauernd auf ihn richten würden. In Bezug auf das geeignetste Mittel, für unsere Archivgesellschaft4 Raum und Förderung zu gewinnen, sind mir noch Bedenken gekommen, und ich verspare mir die Sache auf eine persönliche Rücksprache.

In grösster Ergebenheit der Ihrige Wilhelm Dilthey

Berlin, d[en] 17. 11. [19]00. Original: Hs.; Diktat D.s von der Hand Clara D.s mit eigenhändiger Unterschrift D.s; GStA PK Berlin, VII. HA , FA u. NL , NL Friedrich Theodor Althoff, B Nr. 71, Bd. 2, Bl. 1–4 R. 1 Im Brieforiginal: darüber, von der Hand F. Th. Althoffs: „H[er]r Koll[ege] Rath wird ihn veranlassen, mich zu besuchen. – Ist Realgymnasial. Abiturient.“ 2 D. arbeitete mit seinem Schüler und Mitarbeiter A. Heubaum an einer „Geschichte der preußischen Erziehung“. Das Buch kam nicht zustande, und D. übergab die Materialien Heubaum. Dieser veröffentlichte 1905 in Berlin die Schrift Geschichte des deutschen Bildungswesens seit der Mitte des 17. Jahrhunderts. 1. Band: Bis zum Beginn der allgemeinen Unterrichtsreform unter Friedrich dem Großen 1763 ff. – Heubaum widmete das Buch D. 3 Johann Joachim Becher (1635–1682): Universalgelehrter, insbes. Mediziner, Ökonom und Wirtschaftspädagoge; 1661 Promotion (Medizin) in Mainz, 1667 Prof. ebd. – Becher setzte sich für eine gesellschaftlich-wirtschaftlich orientierte Schul(aus)bildung ein. Er gilt daher als einer der Vorläufer der Realschulen, die 1882 in Deutschland gegründet wurden. –

Dilthey an Ferdinand Tönnies 

257

A. Heubaum: Johann Joachim Becher. Ein Beitrag zur Geschichte des 17. Jahrhunderts, in: Monatshefte der Comenius-Gesellschaft für Kultur und Geistesleben 9 (1900), S. 154– 174. – Ders.: Christoph Semlers Realschule und seine Beziehung zu A. H. Francke, in: Neue Jahrbücher für Philologie und Paedagogik. NF 39 (1893), S. 65–77. – Ders.: Schleiermacher, in: Encyclopädisches Handbuch der Pädagogik. Hg. von W. Rein. 7 Bde. Langensalza 1895 ff., 2. Aufl. in 12 Bänden. Langensalza 1903–1911, hier Bd. 7 (1908), S. 675–724. 4 Die „Literaturarchiv-Gesellschaft“ in Berlin wurde auf die Initiative D.s hin 1891 gegründet zum Zwecke der Sammlung, Aufbewahrung und Auswertung von Nachlässen bedeutender Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Literatur und Kunst. Sie wurde 1944 aufgelöst.

[1178] Dilthey an Ferdinand Tönnies Verehrtester Herr Kollege,

Berlin, d[en] 17. 11. [19]00

lebhaft muss ich bedauern, dass der von Ihnen gefasste Plan sich nicht verwirklichen lässt;1 dass in demselben etwas prekäres lag, da Einnahmen aus Kollegiengeldern gerade in hiesigen Verhältnissen immer problematisch bleiben, ist nicht zu leugnen. Seien Sie überzeugt, dass ich immer bemüht sein werde, wo sich mir Gelegenheit bietet, der Erhaltung Ihrer wissenschaftlichen hohen Leistungskraft für rein wissenschaftliche Zwecke zu dienen.

In grösster Hochachtung der Ihrige Wilhelm Dilthey

Original: Hs.; Diktat D.s von der Hand P. Menzers mit eigenhändiger Unterschrift D.s; SHLB Kiel, HA , NL Tönnies, Nr. 02. 1 Der Vorgang ist nicht mehr zu ermitteln.

[1179] Karl Dilthey an Dilthey Mein lieber Bruder,

Göttingen 18. Nov[ember] 1900

Es ist gegen meinen Wunsch und Willen doch Dein Geburtstag herangekommen, ehe ich die Zeit gefunden, einen Brief vom 5[.] Sept[ember] (aus „Wollen-

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Karl Dilthey an Dilthey 

stein“?),1 wie ich es wollte zu beantworten, wurde mir nach Neapel geschickt und traf dort gerade ein, als ich mich zur Heimreise rüstete. Hier langte ich dann viel später an, als ich beabsichtigt hatte, kurz vor Beginn der Vorlesungen, und fand so viel Arbeit vor, daß ich meine Zeit zusammenhalten musste, und eigentlich bis jetzt kaum Athem schöpfen konnte. Es staut sich hier jedesmal während so langer Abwesenheit vieles auf, und gerade den ersten Theil meiner Privat-Vorlesung (Griechische Plastik), die „mykenische“ Kunst, ein schwieriges Kapitel, musste und muß ich, da mittlerweile die Lage dieser Fragen sich stark verändert hat und eine Masse neuer Funde und Litteratur zugewachsen ist, von der ich das Wenigste gelesen hatte, von Grund auf um­ arbeiten. Ich bin froh, nun in dieser Woche endlich aus diesem Dickicht hinaus zu gelangen auf freieres Feld – so ungeheuer interessant auch die Sachen und Probleme sind. Nun also, liebster Wilhelm, treulichste Wünsche für das neue Lebensjahr, daß Dir Gesundheit und Arbeitslust erhalten möge,2 und Du vor Sorgen bewahrt bleibest. Das Horazische natalis grate numerare,3 wird Einem ja immer schwerer gemacht je älter man wird, aber wenn man die Lebensarbeit so tüchtig voranrücken und seine Kinder erfreulich heraufkommen sieht, so wird es doch beträchtlich erleichtert, ich denke dann wandelt man auch unter den Schatten des Alters zufrieden und versöhnt. Aus Deinem letzten Brief entnahm ich, daß der Gebirgsaufenthalt Dir recht wohl gethan, und da er so kurz ge­wesen zu sein scheint, wirst Du auch nicht bereut haben, daß die Bücherkiste unausgepackt blieb. Ich freue mich, daß Du befreit worden bist von dem Glauben, Du vertrügest gar kein Bergsteigen u. Höhenluft. Denn der war doch wirklich so lange nun schon ein Hemmniß für Deine Erholung – Du wirst Dich erinnern, daß ich ihn immer bekämpft habe. Wer nicht angethan ist für Seebäder (und das gilt ja von uns beiden) ist doch eben angewiesen auf die Berge – ich erfrische mich nun schon so lange Zeit jedesmal in der Höhe, diesmal wieder köstlich auf dem unvergleichlichen Maloja.4 Ueber das Engadin geht doch nichts, und die landschaftliche Schönheit, die herrlichste Luft, vortreffliche Verpflegung ist wohl nirgend so beisammen, und Maloja ist die Perle des Ober-Engadin. Leider kam ich nur zu spät hin und blieb zu kurz dort, wenig über 14 Tage. Es wurde mir dann zu einsam, das Wetter war ja noch wunderschön. St. Ulrich und die umliegenden Punkte sind dir auch wohlbekannt, aber ich kann nicht sagen, daß ich gerade entzückt davon gewesen wäre. Ein Rendezvous in Florenz war ja für mich von vornherein ausgeschlossen, da ich dort Nichts zu thun hatte, aber um so mehr drunten, und die mir angewiesene Zeit nur allzu kurz war. Deshalb fuhr ich auch mit dem Loyddampfer direkt von Genua nach Neapel. Uebrigens: Ihr könnt Euch gratu­liren, daß Ihr nicht nach Florenz gegangen seid! Ihr hättet schwer gelitten unter der furcht-

Karl Dilthey an Dilthey 

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baren, beispiellosen Hitze. Selbst in Neapel, und obwohl ich am Meer wohnte, war der Aufenthalt geradezu qualvoll. Ich gebrauchte doppelt so viel Zeit, als ich veranschlagt hatte, und erledigte mit Mühe das Nothwendigste, kam über Neapel nicht hinaus, abgesehen von einem fünftägigen Aufenthalt in Pompei, und einem ebensolchen in Capri, wohin ich flüchtete, um eine kurze Erfrischung zu finden. Tarent,5 Sizilien, auch Capua6 gab ich gänzlich auf. Und die Nachwirkungen dieser bösen Tage und Nächte habe ich noch jetzt zu spüren. Natürlich war ich nicht unmittelbar vom Maloja hinuntergegangen, ich hatte auf halber Höhe, in dem wunderbaren Soglio (hoch über Promon­togno),7 eine 6tägige Zwischenstation gemacht. Indessen habe ich doch viel Neues gesehen und gelernt, Beobachtungen gemacht an den Wandgemälden, die wichtig sind für Arbeiten, die ich gerade unter den Händen habe – jetzt freilich wenig fördern kann. Habe herzlichen Dank für Dein Anerbieten mit Althoff zu sprechen über meine Gehaltstellung. Aber ich möchte doch nicht, daß Du es thust, so sehr ich die Enge meiner Lage fühle, nach dieser doch notwendigen theuren Reise, und bei gewissen unangenehmen Erfahrungen, die die Vermietherei etc. begleiten: wovon ein andermal. Ich mag nicht riskiren, von dem Gewaltigen in beleidigender Weise abgewiesen zu werden als Supplikant,8 wie doch nur zu wahrscheinlich ist nach den Beweisen von Nicht-Achtung, die mir in den letzten Jahren geworden sind. Aber einen anderen Dienst könntest Du mir thun. Es ist fast unvermeidlich geworden, daß ich in Berlin den Bau eines archäol[ogischen] Museums beantrage und einen Plan vorlege. Eine in vieler Beziehung schwierige und mühevolle Sache; ich muß dafür auch einige Reisen machen, um mir die Museen in Halle und Straßburg anzusehen (natürlich auf meine Kosten!). Nun fürchte ich aber, daß meine Bemühungen geringe Aussicht haben, angesichts der bei A[lthoff] herrschenden Gewohnheit, das Gewicht eines Anliegens abzumessen nach dem Gewicht der Person, die dahintersteht. Vor 5 Jahren erschien A[lthoff] bei mir und anvisirte in bekannter Weise den Geheimrath, indem er in jedem Satz mich fünfmal „Herr Geheimrath“ titulirte. Aber die Ernennung kam bis heut nicht, ich bin längst übergangen. Ein Vierteljahr später aber erhielt ich auf ein vom Kurator lebhaft unterstütztes Gesuch eine schnöde, beleidigende Abweisung. Es ist klar, daß ich in der Zwischenzeit in Ungnade gefallen bin, vermuthlich auf irgendeine Denun­ziation hin – das pfeifen ja die Spatzen auf den Dächern, wie A[lthoff] das Spionenund Denunziantenwesen großgezogen hat. Du wirst mir zutrauen, daß ich die Würde des Geheimraths nicht überschätze (obwohl das Fehlen dieses Altersschmuckes des Professors, namentlich hier, manchmal zu fatalen Explikationen führt)  – die Ungerechtigkeit wird

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Karl Dilthey an Dilthey 

hier allgemein empfunden, und Niemand, auf dessen Urtheil Werth zu legen, taxirt mich deshalb geringer. Ich führe die Sache aber an als Symptom, aus dem ich auf einen Sturz schließe: wobei ja Wilamowitz in seiner Weise auch mitbetheiligt sein wird. Nun wäre mir begreiflicherweise lieb, eine Sicherheit zu haben, ob die Sache wirklich so sich verhält, wie ich sie ansehe: dann verspare ich mir unnütze Anstrengungen. Du wirst wohl ohne Mühe, wenn Du die Rede bei A[lthoff] auf mich bringst, auf den Grund sehen können. Hätten wir noch den alten Kurator v[on] Meier,9 und nicht statt seiner den traurigen Nachfolger, so wäre ich ja im Klaren. Aber dieser meidet das Eingehen auf die Sache, die ihm offenbar peinlich ist. Natürlich aber darfst Du bei Leibe keine Anspielung auf den Geheimrath machen – Als ob dieser das Ziel wäre! Also Thode bleibt in Heidelberg? Er hat hier vor 8 Tagen10 einen öffentlichen Vortrag gehalten, u. mir auch da schon gesagt, daß er schwanke, nament­ lich angesichts der vom Großherzog u. Großherzogin11 gedachten Anstrengung, und weil er voraussähe, daß er in Berlin nach einigen Jahren fertig sein würde. Nächstens mehr. Ich muß schließen, ich habe meine Studenten zu Tisch, und muß mich fertig machen.

Viele herzliche Grüße an Käthe u. die Kinder Dein Karl.

Original: Hs.; StUB Göttingen, HA , cod. ms. W. Dilthey, 14 d, Nr. 9. 1 Nicht überliefert. – Gemeint ist: Wolkenstein. 2 Im Brieforiginal: „mögen“. 3 Horaz: Epistulae II, 2, 210: Natalis grate numeras? (Du zählst dankbar die Geburtstage?). 4 Berg im Kanton Graubünden / Schweiz. 5 Ort in Apulien / Italien. 6 Südital. Stadt in der Provinz Caserta. 7 Ort im Bezirk Maloja des Kantons Graubünden / Schweiz. Kirchlich gehörte Soglio zu Promontogno. 8 Bittsteller. 9 Ernst von Meier (1832–1911): Jurist; 1855 jurist. Examen in Berlin, 1856 Promotion in Kirchenrecht, 1856 Habilitation in Göttingen, 1866 2. Habilitation in Berlin, 1868 a. o. Prof. in Halle, 1886 Kurator der Marbuger Universität, 1888 Kurator der Universität Göttingen, Aufgabe des Amtes 1894 wegen Auseinandersetzungen mit F. Th. Althoff. 10 Im Brieforiginal: „hier“ ist wiederholt. 11 Großherzog Friedrich I. von Baden (1826–1907) und seine Ehefrau Prinzessin Luise von Preußen (1838–1923), seit 1856 Großherzogin von Baden.

Dilthey an Fritz Jonas 

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[1180] Dilthey an Fritz Jonas Lieber Herr Schulinspektor und Freund. Nehmen Sie sogleich meinen herzl[ichen] Dank für die schöne Schrift,1 die Sie mir zusenden. Ich habe mir sogleich einige Abschnitte derselben vorlesen lassen, da ich schon seit einiger Zeit wieder im Gebrauch meiner Augen sehr gehemmt bin. Sie haben den Ton einer Volksschrift für die gebildeten Klassen meisterhaft getroffen, Ihre Charakteristiken sind trotz der vom Zweck geforderten Zurückhaltung des Stils höchst anschaulich und lebendig, und ganz besonders habe ich mich über die schöne Art gefreut, in der Sie die Trennung des Kanzlers vom Kaiser behandelten. Also besten Dank und fröhliche Weihnachten von Ihrem allzeit treu ergebenen Wilhelm Dilthey 20. XII. 1900. Original: Hs.; Diktat D.s von der Hand B. Groethuysens, mit eigenhändiger Unterschrift und Datumsangabe D.s; StB PK Berlin, Dep. 4 (Fritz Jonas), K 5 (C. Nachträge: Briefe an Fritz Jonas und Autographen), Dilthey, Wilhelm 949. 1 F. Jonas: 200 Jahre Preußischer Geschichte. Berlin 1900.

[1181] Dilthey an Hermann Usener Mein liebster Hermann u. Ihr Lieben

[vor Weihnachten 1900]

Einen Gruß wenigstens will ich zum Fest in Deine noch immer umdunkelte Stube senden.1 Täglich, ja fast stündlich gedenke ich Deiner. Ich durchlebe u. durchleide mit Dir die unendliche Prüfung in der Geduld, all die Gedanken an die Verzögerung Deiner für die Wissenschaft so hoch­wichtigen Arbeiten. Ich selbst bin vom Arzt wieder auf Diät eines geringen Arbeitspensums gesetzt. Es scheint daß ich die Verbindung von Vorles[ungen] wichtiger Art mit

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Dilthey an Hermann Usener 

einer großen Zuhörerzahl – was mit Anstren­gung meiner Stimme verbunden – mit produk­tiver Arbeit immer weniger vertrage. Man muß sich bescheiden. Die Zeit unglaublich interessant. Die Studen­ten die jetzo kommen von ganz neuer Art  – innerlichst durchwühlt von den sozialen relig[iösen] u. allg[emeinen] Fragen – radikal durch u. durch – ein Quantum Juristen aus­ genommen die sich vorbereiten uns so weiter zu regieren. Damit werden sie kein Glück haben. Unsere Büreaukratie hat sich ausgelebt – die große Lebensform unsres Beamtenthums ist harmlos geworden. Dassel­be fange ich an von unsrer Monarchie zu glauben. Der Schwerpunkt muß daher durch Gesetz der Natur wie schon Platos Gesetze u. Aristoteles es aussprachen, der Leistungskraft folgen u. nach unten rücken. Wir werden demokratisch u. sozia­listisch, unaufhaltsam, durch die Schuld der Monarchie seit Bismarcks Sturz u. die zunehmenden flachen Machtstrebungen des Beamtenthums. Auch die neuesten Schritte in Bezug auf Univers[itäts-]Honorarwesen ge­ hören derselben Richtung. Die Verkörperung des Frivolen ist Miquel.2 Das Cultusministerium geht fröhlich mit. Sobald diese Pläne Gestalt gewinnen[,] werden die Universitäten müssen Stellung nehmen und heraustreten wie wir es seiner Zeit bei dem Umsturz verlegen thaten. Damals verschworen wir uns in Zellers Stube, wir drei Personen. Möchte ich bald Besseres von Dir vernehmen.

Treusten Gruß von uns Allen Dir, Lily u. den Kindern Dein alter Wilhelm

Original: Hs.; ULB Bonn, HA , Usener-NL , S 2102, 3, Nr. 24; ein maschinenschriftliches Transkript des Briefes mit einer Auslassung und einigen handschrift­ lichen Ergänzungen u. Korrekturen von der Hand C. und G. Mischs ist hinterlegt in: StUB Göttingen, HA , cod. ms. W. Dilthey, 14 g, Nr. 30. 1 H. Usener war auf einem Auge weitgehend erblindet. 2 Johannes Franz von Miquel (1828–1901) war seit 1890, nach der Abdankung O. von Bismarcks, preuß. Finanzminister. Er führte 1891 Steuerreformen ein.

Kaiser Wilhelm II. an Dilthey

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[1182] Kaiser Wilhelm II.1 an Dilthey Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden König von Preußen etc.: haben dem ordentlichen Professor an der Universität hierselbst und Mitgliede der Akademie der Wissenschaften, Geheimen Regierungsrath Dr. Wilhelm Dilthey, den Rothen Adler-Orden dritter Klasse mit der Schleife verliehen und ertheilen demselben über den rechtmäßigen Besitz dieser Auszeichnung das gegenwärtige Beglaubigungs-Schreiben mit Unserer eigenen Unterschrift und dem beigedruckten Königlichen Insiegel. Berlin, den 18. Januar 1901. Wilhelm R[ex] Original: Hs.; Kanzleischreiberhand mit eigenhändiger Unterschrift des Kaisers Wilhelm II.; StUB Göttingen, HA , cod. ms. W. Dilthey 45, Autographenmappe Clara Misch, Nr. 10. 1 Wilhelm II. (1859–1941): 1888–1914 Deutscher Kaiser.

[1183] Eduard Zeller an Dilthey

Lieber Freund!

Stuttgart 31. Jan[uar] 1901. Reinsburgstr. 56.

Ihnen u. Ihrer lieben Frau, u. nicht zum wenigsten auch der guten Leni, spreche ich für Ihre freundlichen Briefe u. Wünsche den wärmsten Dank aus.1 Sie haben mir damit eine um so größere Freude gemacht, da Sie zum Glück befriedigendes von Sich u. den Ihrigen berichten konnten. Be­sondere Freude macht mir – auch als Beweis Ihres Wohlbefindens – was Sie mir von dem Fortschritt Ihrer Litterarischen Arbeiten schreiben; mir geht leider die einzige, an der ich zur Zeit bin, die letzte Bearbeitung des letzten Bandes meiner Griechen, viel zu

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Eduard Zeller an Dilthey 

langsam von der Hand;2 u. doch würde ich mit dem Schicksal grollen, wenn es mir nicht gestattete, wenigstens mit diesem Stück noch fertig zu werden. Würde ich’s, so stände freilich alsbald noch eine ganze Reihe weiterer Aufgaben vor mir, die doch wahrscheinlich alle[n] Anderen zur Lösung überlassen werden müssen. Aber es hilft nichts: man mag so alt werden, wie man will, so wird man doch mit sei­nem Pensum nie fertig. Und am Ende ist’s so auch besser, denn wer nichts mehr hätte, was noch zu thun ist, der wäre geistig eben so übel daran als es für sein leibliches Befinden der ist, der nichts mehr zu essen hat. Daß es bei uns abwärts geht, merken wir freilich alle beide. Aber ich will nicht klagen, u. es wäre dieß auch undankbar. Nur daran möchte ich erinnern, daß es von unsern Freunden wohlgethan ist, wenn Sie uns die Freude des Wiedersehens bereiten, so lange wir noch da sind u. ihnen noch irgend etwas sein können. Kennen Sie Tom Moore’s Lied: oft in the stilly night, das ja wohl in den Irish songs, oder wie der Titel heißt, steht?3 Mir hat sichs vor 70 Jahren eingeprägt u. summt mir jetzt noch oft in den Ohren, besonders wenn in den Kreis der alten Freunde, wie so oft in den letzten Jahren, neue Lücken gerissen werden. Unlängst rühmte sich unser kleiner Enkel:4 er könne schönere Purzelbäume machen als sein Freund A., u. fügte mit gehobenem Selbstge­fühl bei: „Das muß man mir lassen“. Ich aber dachte, wie viele es doch auch unter den Er­wachsenen gibt, deren Ehrgeiz sich auch nicht höher versteigt, als zu dem Ruhm, schönere Purzelbäume zu machen als die Andern. Doch ich komme in’s Schwatzen. Nochmals meinen besten Dank u. Ihnen allen die herzlichsten Grüße

Ihres Z[eller]

Original: Hs.; StUB Göttingen, HA , cod. ms. W. Dilthey 45, Autographenmappe Clara Misch, Nr. 40. 1 Nicht überliefert. 2 E. Zeller: Die Philosophie der Griechen in ihrer geschichtlichen Entwicklung dargestellt. 3. Theil, 2. Abtheilung: Die nacharistotelische Philosophie. 2. Hälfte, 4. Aufl. Leipzig 1903. 3 Thomas Moore (1779–1852): irischer Dichter, Schriftsteller, Übersetzer und Balladensänger. – In der Sammlung Irish Melodies (10 Bde. 1808–1834) ist das Lied Oft in the Stilly Night enthalten. 4 Eduard Zeller, geb. 1896.

Herman Nohl an Dilthey

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[1184] Herman Nohl 1 an Dilthey [Anfang 1901] Sehr geehrter Herr Geheimrat! Als ich mich im vorigen Sommer mit Hölderlin beschäftigte, wurden mir Gedanken, mit denen ich als Schüler mit meinem Freund gespielt, wieder lebendig und packten mich so, daß ich alles, was mir in die Hände kam, mit Ihren Augen ansehen mußte.2 Ich brachte es aber nicht zur Klarheit, bis ich eines Tages durch Zufall auf Ih­ren herrlichen Aufsatz „Über d[ie] Einbildungskraft der Dichter“ in d[er] Zeitschrift für Völkerpsychologie3 stieß. Das öffnete mir ein neues Land. Ich las dann Ihre Grundlegung der Poetik in dem Buche ­Zellers.4 Hier war der Weg schon fertig gebahnt, den ich dunkel geahnt. Aber gerade das eine Verhältnis, das mich am tiefsten faßte, weil ich es erlebt habe, ich meine das zwi­schen subjektiver und objektiver Dichtung, hatten Sie zwar oft berührt, namentlich bei der Entwicklungsgeschichte Goethes, aber nicht systematisch begründet. Hier glaube ich nun auf dem Weg, den Sie gezeigt, weitergehen zu können und habe das heiße Verlangen, meine erste Arbeit dieser Aufgabe zu widmen. Ich möchte aber keinen Schritt weitergehen, ohne von Ihnen, ge­ehrter Herr Geheimrat, ein Wort der Zustimmung gehört zu haben. Persönlich mit meiner Bitte zu Ihnen [zu] kommen, habe ich nicht gewagt, so lege ich einige Blätter bei, damit Sie einen Blick über d[ie] Grundgedanken thun können. Es sind ganz schematisch gezogene erste Linien, ich könnte es unendlich viel reicher gestalten, aber ich meine, der Wert oder Unwert wird Ih­nen auch so nicht entgehen. Der Zielpunkt ist sicher richtig, es ist das alte Problem, die Frage ist nur, ob Sie glauben, daß ich auf dem richtigen Weg bin; daß es nötig ist, den Gegensatz noch einmal zu untersuchen, wird mir immer klarer, je mehr ich die heutige Ästhetik und Literaturgeschichte studiere. Schließlich bleibt mir noch d[ie] Frage, ob Sie mir d[ie] Kraft zu­ trauen für ein so schwieriges Beginnen. Ich kann nur sagen, daß der Trieb in mir, mich der Frage ernstlich zuzuwenden, auch alles andere vergessen läßt, und so bitte ich Sie, hochverehrter Herr Geheimrat, gütigst einen Blick in d[ie] beigelegten Blätter zu thun und falls Sie daraus einen Eindruck gewinnen, daß es Zweck hat, wenn ich mich tiefer in die Frage hineinbohre, mir eine Unterredung mit Ihnen zu gestatten, im andern Fall mir wenigstens ein Wort zu schreiben, damit ich aus der Unruhe, in der ich seit Wochen schwebe, gerissen bin. … [Briefschluss fehlt.]

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Dilthey an Julius Rodenberg an Dilthey

Original: Hs.; Briefentwurf mit 10-seitiger handschriftlicher Beilage; StUB Göttingen, HA , cod. ms. H. Nohl, 94, Beilage 1–2 mit Anlage 1, Bl. 1–10; Erstdruck: Blochmann, S. 29 f. 1 Herman Nohl (1879–1960): Philosoph und Pädagoge; 1898–1904 Studium in Berlin, 1904 Promotion bei D. in Berlin, 1908 Habilitation in Jena, 1919 a. o. Prof. für Philosophie in Göttingen, 1920 o. Prof. für praktische Philosophie mit besonderer Berücksichtigung der Pädagogik. – H. Nohl war viele Jahre Famulus D.s. 2 H. Nohl hatte seinem Studienfreund Willy Kabitz, einem Schüler D.s, seine Ideen zu einer Theorie der Künste vorgestellt, welche die verschiedenen Funktionen der unterschiedlichen Kunstarten psychologisch zu fundieren versuchte. Kabitz wies Nohl auf Arbeiten D.s hin, in denen diese Fragen und Probleme erörtert sind, und ermunterte den Freund, seinen Plan D. vorzustellen. Daraufhin entwickelte Nohl auf zehn Seiten einen entsprechenden Entwurf, den er als Beilage zum vorliegenden Brief, der nicht mehr auffindbar, aber doch als Entwurf hinterlegt ist, an D. schickte. D. bestellte Nohl daraufhin zu sich. – Willy Kabitz (1876–1942): Philosoph und Pädagoge; 1901 Promotion, Mitarbeiter an der Leibniz-Ausgabe der AdW Berlin, 1905 Habilitation in Hannover, 1908 zweite Habilitation in Breslau, 1914 apl. Prof. in Breslau, 1915 a. o., 1921 o. Prof. in Münster; Leibniz-Forscher und -Editor; enger Mitarbeiter D.s. 3 D.: Über die Einbildungskraft der Dichter, in: Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft 10 (1877), S. 42–104; WA unter dem Titel Goethe und die dichterische Phantasie in: GS XXVI, S. 113–172. 4 D.: Das Schaffen des Dichters, in: Philosophische Aufsätze. Eduard Zeller zum 70. Geburtstag gewidmet. Leipzig 1887, S. 303–482; WA unter dem Titel Die Einbildungskraft des Dichters. Bausteine für eine Poetik in: GS VI, S. 103–241.

[1185] Dilthey an Julius Rodenberg Hochverehrter Herr Professor,

[4. März 1901]1

die Revision des ersten Artikels ist also nunmehr abgegeben und so ist er druckfertig. Wenn Sie ihn überblicken, werden Sie bemerken, wie nothwendig die Seiten 33 unten – 38 oben zu ihm gehören, und wie fremdartig sie als Anfang des nächsten sich ausnehmen würden. So möchte ich nochmals ein Wort für das Zusammenbleiben dieses Ganzen einlegen. Ich bleibe noch mindestens eine Woche hier und werde so auch die Revision des anderen Artikels noch durchsehen können.2 Erdmannsdörffer todt!3 Können Sie nicht Hermann Grimm, der ihm bis zuletzt sehr nahe gestanden hat, bestimmen in der Rundschau ein paar Seiten

Max Lenz an Dilthey 

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über ihn zu sagen!4 Es wäre so sehr schön. Thut er es nicht so wäre ich ja dazu bereit, irgendwo es zu thun ist mir Bedürfniß: aber ich habe den Eindruck das Publikum der d[eutschen] R[undschau] würde sich von mir überfüttert finden. Verehrungsvoll der Ihrige Wilhelm Dilthey Montags früh Original: Hs.; GSA Weimar, 81/II, 5, 7. 1 Der 4. März 1901 war ein Montag. 2 D.: Die deutsche Aufklärung im Staat und in der Akademie Friedrich’s des Großen, in: DRS 107 (April–Juni 1901), S. 21–58 und ebd., S. 210–235; WA in: GS III, S. 83–205. 3 Der Historiker Bernhard Erdmannsdörffer (geb. 1833), Studienfreund D.s, starb am 1. März 1901. 4 Im Jahre 1901 erschien nachweislich kein Nachruf H. Grimms auf B. Erdmannsdörffer in der DRS.

[1186] Max Lenz an Dilthey Sehr verehrter Herr Kollege! Hier haben Sie einige Daten für die Jenaer Zeit u. die Reise S[chleiermacher]s; sie werden die Conturen des von Ihnen geplanten Bildes verschärfen. Über Kindheit u. Gymnasium findet sich leider nichts; auch mündlich wissen die Heidelberger nichts anzugeben. Aber Ihr Zweck ist ja jedenfalls auf die spätere Zeit bes[onders] gerichtet; Sie wollen ihre Freundschaftszeit u. die späten Jahre schildern. Hoffentlich hat der giftige Gast, der Sie unverhofft überfiel,1 wieder seinen Abzug genommen. Glückauf zur Reise! Ihr Lenz. B[erlin] 14. 3. [19]01. Original: Hs.; StUB Göttingen, HA , cod. ms. W. Dilthey, 14 k, unpaginiert. 1 Vermutlich war D. krank.

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Dilthey an Paul Ritter 

[1187] Dilthey an Paul Ritter

Lieber Freund,

Berlin W[est] Burggrafenstr. 4 [März 1901]

ich wollte die Frage der Benutzung der Schleiermacherpapiere durch Lenz mit Ihnen besprechen u. schrieb darum nicht. Jetzt sehe ich aber, daß Sie noch nicht nach Berlin kommen. Ist das so, dann bitte ich über den Sachverhalt mir doch gleich ein paar Zeilen zu schreiben. College Lenz teilte mir mit, daß er von Ihnen Auszüge aus dem Schleier­ macher[-]Nachlaß erhalten habe unter Vorbehalt meiner Genehmigung u. dieselben zunächst in seinem Seminar benutzen wolle, dann für sein Buch.1 Selbstverständlich habe ich hieraufhin meine nachträgliche Einwilligung gegeben. Ich hoffte in wenigen Tagen mit Ihnen die Sache besprechen zu können, u. es wäre mir natürlich sehr angenehm, wenn das möglich wäre. Kommen Sie jetzt nicht, so bitte ich doch [um] umgehende nähere Nachricht, was an College Lenz gegangen ist, welche Art von Arbeit darin steckt u. jedenfalls bitte ich in dieser Sache schlechterdings nichts zu tun, bevor wir uns mündlich gesprochen haben.

Mit besten Grüßen der Ihrige W. D.

Original: Hs.; Diktat D.s von der Hand G. Mischs2; ABBAW, NL Ritter, A: Paul Ritter, I. 1. Bd. III, Nr. 3. 1 M. Lenz verwendete Materialen zu Schleiermacher in seiner Geschichte der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin. Bd. 1–4. Halle a.d.S. 1910–1918, hier bes. Bd. 2, Erste Hälfte. Halle a.d.S. 1910. 2 Georg Misch (1878–1965): Philosoph; 1900 Promotion in Berlin bei D. über den franz. Positivismus, 1900 Beginn der Arbeit an der Geschichte der Autobiographie, für deren 1. Band Misch 1904 den Hauptpreis durch die Erledigung einer Preisaufgabe zu diesem Thema erhielt, welche die Königl. Preuß. AdW zu Berlin im Jahre 1900 ausgeschrieben hatte, 1905 Habilitation in Berlin und PD ebd., 1911 a. o. Prof. in Marburg, 1916 in Göttingen, 1919 o. Prof. ebd., 1935 Vertreibung aus dem Amt, 1938 Emigration nach Cambridge, 1946 Rückkehr nach Göttingen. – Misch war ein enger Mitarbeiter D.s und hat 1908 Clara D. geheiratet.

Dilthey an Ernst von Wildenbruch 

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[1188] Dilthey an Ernst von Wildenbruch Verehrter Freund,

17 März 1901

Die Geldangelegenheit von Frl. P[rellwitz]1 ist nach m[einer] Kenntniß er­ledigt. lch benutze die Gelegenheit eine irrthümliche Aufstellung zu berichtigen, die mir in den Zeitungen sehr gleichgiltig ist, die ich aber bei meinen Freunden nicht aufkommen lassen möchte. Ich habe das Stück durch meine Freundin, Frau J. Schmidt2 kennen gelernt. Aus meinem Urtheil über dasselbe habe ich ihr kein Hehl gemacht. Sie haben ja dasselbe Urtheil vor der Aufführung schon von mir gehört. Entschiedene Gefühlskraft, doch ohne Originalität darin; kein dramatisches Talent. An Frl. Pr[ellwitz] selber mußte ich ein achtbares Streben, sich zu bilden u. sich einen Weg zu geistigen Leistungen zu bahnen schätzen, wie ich denn diesem Theil der Frauenbewegung immer ein starkes Interesse entgegengebracht habe, wie vieles auch in den einzelnen Personen bedenklich machen kann. Als sie mich besuchte, um meine Namensunterschrift zu erbitten, war die Verabredung mit Frau Lorenz3 über die Aufführung abgeschlossen. Sie theilte mir mit daß es nur darauf ankomme den äußeren Erfolg einigermaßen zu sichern. Harnack u. Wilamow[itz] hätten zu diesem Zweck ihre Unterschrift gegeben. Nach meinem Interesse für ihre harte Arbeit im Leben gab ich ihr auch die meinige, und wir haben überall bei meinen Bekannten gern Aufmerksamkeit für die Aufführung zu erregen gesucht, um das Haus zu füllen. Dies ist der Thatbestand, um welchen die Zeitungen bei mir u. den andern ‚Professoren‘ ihre Dichtung von den weisen Rathgebern gewoben haben. Mit besten Grüßen von Haus zu Haus Ihr Wilhelm Dilthey Original: Hs.; GStA Weimar, 94/169, 11. 1 Gertrud Prellwitz (1869–1942): Lehrerin und Schriftstellerin; 1888 Lehrerin in Königsberg, ab 1895 in Berlin. – G. Prellwitz hörte an der Universität Berlin Vorlesungen in Theologie und Literaturgeschichte, ab 1898 freie Schriftstellerin und Frauenrechtlerin. – Der Vorgang ist nicht mehr zu ermitteln. 2 Gemeint sein könnte eine Aufführung der Tragödie Oedipus oder Das Rätsel des Lebens von G. Prellwitz, die 1898 in Freiburg veröffentlicht wurde. – Elisabeth Schmidt, die Witwe des Literaturhistorikers Julian Schmidt (1818–1886). 3 Nicht mehr zu ermitteln.

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Willy Kabitz an Dilthey 

[1189] Willy Kabitz an Dilthey

Hochverehrter Herr Geheimrat!

Berlin, d[en] 29. III. 1901

Nachdem ich vorgestern mit Herrn Prof. Stein eine neue Unterredung gehabt habe, nehme ich mir die Freiheit, Ihnen das Resultat derselben mitzuteilen und um Ihre Genehmigung resp. Ihren freundlichen Rat zu bitten. Ich habe ihm den Vorschlag gemacht, dass ich die beiden ersten Kapitel der Arbeit, die vorkritische Periode Fichtes und sein ursprüngliches Verhältnis zu Kant, als Dissertation für sich drucken lassen wolle.1 Dann könnte der übrige Teil mit einer knappen Recapitulation der Ergebnisse meiner Dissertation im Archiv anstandslos veröffentlicht werden. Prof. Stein war damit einverstanden: er will die 3 oder 4 Bogen vielleicht in 2 Teilen erscheinen lassen. Zu meinem Vorschlage haben mich folgende Punkte bestimmt: 1) der besondere Druck meiner Dissertation kostet mich genau so viel, wie die Mehrabdrücke, welche mir Reimer liefern würde; 2) meine Promotion braucht dann nicht bis in den Juli oder August hinausgeschoben zu werden; 3) brauche ich auch meine Meldung zum Staatsexamen, welcher ich doch meine Dissertation beilegen muss, nicht soweit hinauszuzögern. Sie würden mich, sehr geehrter Herr Geheimrat, zu grösstem Danke verpflichten, wenn Sie mir hierüber Ihre Meinung sagten. Ich würde Sie, falls Sie mit dem von mir vorgeschlagenen Auswege einverstanden wären, auch freundlichst bitten, mir Ihre Zustimmung zum Drucke von 2 Bogen der eingereichten Arbeit als Dissertation für den Herrn Dekan auf einem besonderen Blatte zu erteilen, damit ich alles zur Promotion vorbereiten kann. Mit Max 2 habe ich am Montag und Mittwoch Griechisch getrieben. Ich will mit ihm Platos Kriton u. vielleicht auch die Apologie lesen; beide Schriften halte ich nicht für allzu schwer, und er scheint sich doch sehr für den Gegenstand zu interessieren. Ist es Ihnen recht? Indem ich Ihnen recht schöne Tage wünsche, schönere, als wir sie augenblicklich hier erleben, wo der Schneefall nicht aufhören will, bin ich mit er­ gebensten Empfehlungen auch an Ihre hochverehrte Frau Gemahlin

Ihr ergebenster Willy Kabitz

Original: Hs.; ABBAW, Dilthey-NL , Fasz. 42, Bl. 110–111.

Prinz Eduard zu Salm-Horstmar an Dilthey

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1 W. Kabitz: Studien zur Entwicklungsgeschichte der Fichteschen Wissenschaftslehre aus der Kantischen Philosophie. Mit bisher ungedruckten Stücken aus Fichtes Nachlaß. Berliner Inaugural-Diss. Berlin 1901. Die Arbeit wurde publiziert in: Kant-Studien 6 (1901), S. 129–205. 2 D.s Sohn Maximilian.

[1190] Prinz Eduard zu Salm-Horstmar1 an Dilthey Berlin N[ord] W[est] 7, den 10. April 1901. Schadowstraße 10⁄11 Beifolgend übersenden wir das Patent über den Rothen Adler-Orden dritter Klasse mit Schleife, welche Dekoration Ihnen, von des Königs Majestät Allergnädigst verliehen worden ist. Gleichzeitig ersuchen wir um Rücklieferung des von Ihnen nunmehr statutengemäß abzulegenden Adler[-]Ordens vierter Klasse.

Prinz Salmhorstmar

An den Königlichen Geheimen Regierungsrath, Mitglied der Akademie der Wissenschaften, Herrn Professor Dr. Dilthey hochwohlgeboren hier.

Original: Hs.; Kanzleischreiberhand mit eigenhändiger Unterschrift des Prinzen zu Salm-Horstmar; StUB Göttingen, HA , cod. ms. W. Dilthey, 17, Nr.10. 1 Prinz Eduard Max Vollrath Friedrich zu Salm-Horstmar (1841–1923): preuß. General; 1895–1910 Präses der General-Ordens-Kommission, 1914–1918 Generaladjutant von Wilhelm II.

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Dilthey an Paul Ritter 

[1191] Dilthey an Paul Ritter 17. 04. [19]011

Lieber Freund,

sehr erfreut über Ihre guten Nachrichten. Das Manuscript über die Wirkungen von Leibniz2 sende ich in diesen Tagen in meine Wohnung[;] gleichzeitig an Sie die Notiz von Absendung. Correkturbogen I bitte hierher senden, Ein Exemplar an Sie, eins an Dr. Misch[,] Eins an mich. Correkturvorschläge von Ihnen beiden sehr erwünscht.

Herzl[iche] Grüße Ihr W. Dilthey

Original: Hs.; Correspondenz-Karte; ABBAW, NL Ritter, A: Paul Ritter, I. 1. Bd. III, Nr. 100. 1 Datierung nach Poststempel. 2 D.s Abhandlung Die deutsche Aufklärung im Staat und in der Akademie Friedrichs des Großen.

[1192] Dilthey an Paul Ritter 20. April 19011

Lieber Freund,

eben sende ich das Stück M[anu]script ab, welches den Schluß der ersten Ab­ theilung bildet: das Zeitalter von Leibniz. Bitte es durchzusehen und dann der Druckerei zu überliefern. Es geht an meine Tochter.2 M[eine] Frau war leider krank, erst in diesem Moment machen wir uns für den Gardasee reisefertig. Unter diesen Umständen bin ich mangelhaft erholt.

Viele Grüße Ihr W Dilthey

Correctur bitte jedenfalls 1 Exemplar senden Gardore Riviera am Gardasee poste restante

Dilthey an Paul Ritter 

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Original: Hs.; Correspondenz-Karte; ABBAW, NL Ritter, A: Paul Ritter, I. 1. Bd. III, Nr. 101. 1 Datierung nach Poststempel. 2 Clara D.

[1193] Dilthey an Paul Ritter Berlin, 13. Mai [19]011 L[ieber] Fr[eund] Wenn Sie einverstanden sind, bitte ich Morgen Dienstag Vormittags. Bisher nichts als Leibniz, aber heute wird diese furchtbare Angelegenheit erledigt. Das Beste[,] was ich nebenbei gedacht. Wir machen dann auch die Correktur fertig. Möchte doch der Druck rasch gehen da ich so mit Leibniz angefüllt bin! Beste Gr[üße] Dilthey Original: Hs.; Postkarte; ABBAW, NL Ritter, A: Paul Ritter, I. 1. Bd. I. Nr. 107. 1 Datierung nach Poststempel.

[1194] Dilthey an Adolf Matthias1 Sehr geehrter Herr Geheim-Rat Ich freue mich sehr Ihrer Absicht eine Monatsschrift für die höheren Schulen zu begründen;2 mit dem Prospekt bin ich durchaus einverstanden und ich stelle mich in jeder Rücksicht, die Sie für Förderung des Unternehmens wünschenswert halten, Ihnen zur Verfügung. Da ich mit Herrn Oberlehrer H ­ eubaum gemeinsam an einer Geschichte des preuss[ischen] Unterrichts­ wesens arbeite, so wird sich gewiss Gelegenheit geben, auch einen eigenen Beitrag zu geben und ich darf vielleicht darauf aufmerksam machen, dass Sie an

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Dilthey an Wilhelm Erman 

Herrn Dr. Heubaum in jeder Rücksicht einen vorzüglichen und thätigen Förderer der Sache finden werden.

In grösster Hochachtung der Ihrige Wilhelm Dilthey

Berlin, 16. Mai 1901. Original: Hs.; Diktat D.s von der Hand B. Groethuysens mit eigenhändiger Unterschrift D.s; StB PK Berlin, HA , Sammlung Darmstädter 2 a 1870 (8): Dilthey, Bl. 57–57 R. 1 Adolf Matthias (1847–1917): Pädagoge; Oberregierungsrat im preuß. Kultusministerium. 2 A. Matthias gab ab 1902 die Monatsschrift für höhere Schulen heraus.

[1195] Dilthey an Wilhelm Erman1 Hochverehrter Herr Generaldirektor!2

[vor dem 22. 05. 1901]

Mit grosser Freude habe ich vernommen, dass Sie den Ankauf der für Kants Persönlichkeit so bedeutsamen Aktenstücke: Entwürfe zu seiner Ant­wort auf die Cabinetsordre Friedrich Wilhelms II[.] bewirkt haben.3 Ich möchte um im Interesse der Akademieausgabe, welcher Sie ja auch bisher so viel Wohlwollen erzeigt haben, darum ersuchen, dass dieser Entwurf welcher zu dem [in] Band II des Briefwechsels veröffentlichten Briefe die Erläuterung bildet, der Publiktation in diesen Erläu­terungen (Apparat) vorbehalten bleibe, sonach nicht irgendwie vorher publicirt werde. Die Benutzung würde dann Herrn Oberbibliothekar Reicke in Königsberg zufallen und ich möchte er­ gebenst ersuchen, wenn es die Statuten gestatten, demselben, wenn er von seiner Reise zurückgekehrt ist und darum nachsucht, die Handschrift zur Abschrift und Bearbeitung auf die Königsberger Bibliothek zukommen lassen zu wollen. Sollte nach Ihren Statuten diese Vorbehaltung der Benutzung für die Edition unthunlich sein, so ersuche ich gehorsamst, dass dem Secretär der Kantausgabe, dem Privatdocenten Herrn Dr. Menzer hier gestattet werde, in einem

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Dilthey an Max Dessoir 

gleichsam officiellen Zusammenhang mit der Edition diesen Entwurf zur Veröffentlichung zu bringen.

In grösster Verehrung der Ihrige Wilhelm Dilthey

Original: Hs.; Diktat D.s von der Hand P. Menzers mit eigenhändiger Unterschrift D.s; StB PK Berlin, HA , Sammlung Darmstädter, 2 a 1870 (8): Dilthey, Bl. 53–54. 1 Wilhelm Erman (1850–1932): klass. Philologe, Philosoph und Bibliothekar; 1874 Bibliothekar der Königl. Bibliothek in Berlin, 1889 Leiter der UB Berlin, Juli 1901 Direktor der UB in Breslau, 1907 in Bonn. 2 Im Brieforiginal darüber ein Eingangsstempel der Bibliothek: „Vorgelegt 22. Mai [19]01. Königl. Bibliothek“. 3 Kant: Akad.-Ausg. Bd. XI, Brief Nr. 642, S. 527: Briefentwurf Kants an Friedrich Wilhelm II., datiert „nach 12. Oct. 1794“.

[1196] Dilthey an Max Dessoir Berlin, 22. Mai 19011 Lieber Herr College, für das Wintersemester möchte ich nochmals besonders den Wunsch aussprechen, daß Ästhetik gründlich u. ausführlich vertreten sei, daß nun im Ineinandergreifen mit Herrn Wölfflins Vorlesungen den lebhaften Aufschwung dieser Studien gewiß herbeiführen wird.2 Ich lese in der üblichen Stunde die allgemeine Geschichte d[er] Philosophie. Mit besten Grüßen d[er] Ihrige Dilthey Original: Hs.; StB PK Berlin, HA , Sammlung Darmstädter, 2 a 1870 (8): Dilthey, Bl. 10. 1 Datierung nach Poststempel. 2 M. Dessoir war seit 1897 o. Prof. für Psychologie mit dem Schwerpunkt Psychologie der Ästhetik in Berlin. – Der schweiz. Kunsthistoriker H. Wölfflin lehrte von 1901–1912 in Berlin.

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Dilthey an Paul Ritter 

[1197] Dilthey an Paul Ritter

Berlin, 22. Mai [19]011 L[ieber] F[reund]

Ich ersehe, dass ich Donnerstag, d[en] 8ten, in der Akademie lesen muss, gedenke über Schleiermacher[s] Staatslehre im Zusammenhang mit der politischen Lage 1808–[18]17 und der historischen Schule zu lesen,2 bitte Treitschke3 mitzubringen u. was sonst dazu nützlich sein kann, da ich bei gutem Wetter Freitag Mittag reise, wäre mir sehr lieb, Sie könnten Donnerstag recht früh hier sein und noch Freitag Vormittag.

Mit besten Grüßen W. D.

Original: Hs.; Postkarte; Diktat D.s von der Hand seiner Tochter Clara D.s; ­ BBAW, NL Ritter, A: Paul Ritter, I. 1. Bd. III, Nr. 108. A 1 Datierung nach Poststempel. – Der 22. Mai 1901 war ein Mittwoch. 2 D. las in der Gesamtsitzung der AdW vom 6. Juni 1901 über die Staatslehre Schleiermachers’ (vgl. Sitzungsberichte der Königl. Preuß. AdW zu Berlin, Jg. 1901, S. 697). – D.s Vortrag wurde nicht gedruckt; vgl. GS XIV, S. 361–417. – Bereits in der Sitzung der philos.histor. Klasse der Königl. Preuß. AdW zu Berlin hatte D. am 5. Juni 1900 über Beziehung und Zusammenhang der Ideen Schleiermachers’ über Cultur und Staat gelesen: „Er legte den Einfluss Fichte’s auf das historische Denken dar, die Stellung Schleiermacher’s zur histo­ rischen Schule, den Zusammenhang der Ethik Schleiermacher’s und seiner Staatslehre“, in: Sitzungsberichte der Königl. Preuß. AdW zu Berlin, S. 709. – D.s Vortrag wurde nicht veröffentlicht. 3 H. von Treitschke: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Zweiter Theil: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig 1882 sowie Dritter Theil: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig 1885.

Hans Vaihinger an Dilthey 

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[1198] Hans Vaihinger an Dilthey Halle a. S., den 17. Juni 1901. Hochzuverehrender Herr Geh[eimer] Regierungsrat!1 Für Ihre gütige Bereitwilligkeit, zu unserer Festschrift die Vorrede zu schreiben,2 danke ich Ihnen bestens. Ich übersende Ihnen zugleich die gewünschten biographischen Notizen in Form eines Aufsatzes, welchen ein Schüler von Haym vor einiger Zeit in der Allgemeinen Zeitung veröffentlicht hat.3 Sie finden darin alles Wesentliche. Sollten Sie irgend noch einer weiteren Notiz bedürfen, so bin ich sehr gerne bereit, Ihnen zu dienen. Im Voraus für Ihre Mitwirkung unseren gemeinschaftlichen besten Dank aussprechend

Ihr ganz ergebenster H. Vaihinger

PS. Der Zurücksendung des Crönertschen Artikels4 bedarf es nicht. Original: Hs.; ABBAW, Dilthey-NL , Fasz. 203, Bl. 61. 1 Im Brieforiginal darüber: eine unleserliche Notiz D.s zu B. Erdmannsdörffer. 2 Vermutlich plante H. Vaihinger eine Festschrift zum 80. Geburtstag des Philosophen, Literaturhistorikers und Publizisten Rudolf Haym, geb. am 5. Oktober 1821. Haym starb jedoch am 27. August 1901 auf einer Urlaubsreise in St. Anton am Arlberg / Österreich. 3 Wilhelm Crönert: Rudolf Haym. Zum Antritt seines 80. Lebensjahres, in: Allgemeine Zeitung, Jg. 1900, Nr. 237 (München, Dienstag, 16. Oktober), Beilage, S. 1–3 sowie ebd. Nr. 238 (München, Mittwoch, 17. Oktober), Beilage, S. 1–3. 4 Wilhelm Crönert (1874–1942): klass. Philologe; 1896 Promotion in Halle, 1911 Habilitation in Straßburg, 1914 a. o. Prof. ebd., ab 1920 Privatgelehrter. – W. Crönert: Neues über Epikur und einige Herkulalensische Rollen, in: Rheinisches Museum für Philologie  56 (1901), S. 607–626 [oder] W. Crönert: Der Epikureer Philonides (vorgelegt von Herrn Diels) in: Sitzungsberichte der Königl. Preuß. AdW zu Berlin, Juli–December 1900, Gesamtsitzung vom 25. October. Berlin 1900, S. 942–959.

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Dilthey an Hermann Diels 

[1199] Dilthey an Hermann Diels 10. Juli 1901 Hier, verehrter Freund, habe ich Ihnen meine Gedanken über die Leibniz­ ausgabe niedergeschrieben,1 zu Ihrer freien Benutzung, vornehmlich aber zu Ihrer eigenen freundlichen Erwägung. Sie sehen wie wenig sie dazu angethan sind irgend abzuschrecken. Am wenigsten konnte ich daran denken einen Mann, den ich aufs höchste verehre und für den größten Theologen nach Schleiermacher und Baur halte und der sich zugleich ein vollendetes Geschick in der Behandlung der Geschäfte überall bewahrt hat, vom größtmöglichen Antheil an dem Unternehmen zurückhalten zu wollen. Ich habe nur pflichtmäßig die Einrichtungen herbeizuführen mitwirken wollen, welche einem jeden der Mitwirkenden seine Thätigkeit erleichtern. Nur Eines kann ich nicht verschweigen. Es hat mich tief verletzt, daß ohne Hinzuziehung der beiden Fachmänner  – oder[,] da ich nicht weiß wie weit College Stumpf in der Lage war sich zu äußern, desjenigen der die Philo­sophie mitvertritt und an der Kantausgabe lange Erfahrungen gesam­melt hat[,] das Eintreten in dies unermeßliche Unternehmen und die erste Stellungnahme unserer Akademie in Paris zu demselben stattfinden konnte. Ich ziehe vollständig die Breite der Beschäftigung von Leibniz in Rechnung, ebenso Ihre und College Harnacks eingehende Beschäftigung mit demselben; dennoch wird Niemand es begreifen daß nicht die guten Dienste der philosophischen Fachmänner in Anspruch genommen worden sind.2 Dann wären wir gleich mit dem Vorbehalt von Abth[eilung] 3 in das Unternehmen eingetreten, und die gegenseitige Verständigung von Anfang an hätte das was Sie als störend hervorheben von Anfang beglichen. Noch ein Wort über Ihre thatsächliche Berichtigung meiner Äußerung über die Stellung des Vorsitzenden in den Commissionen während der Zeit vor Schleiermacher, Niebuhr etc. Nach Harnack I 2, 670 wurde für das Corp[us] In­ scr[iptionum] Gaec[arum] sofort 1815 eine Commission gebildet, ebenso (eb[en]­ d[a]s[elbst] 677) 1821 eine solche für die Aristotelescommission.3 Von Anfang der Unter­nehmungen unsrer Classe ab bestanden also solche Commissionen. Ich kann nur von Neuem mit dem Wunsch schließen daß unser freundschaft­ liches Verhältniß nicht durch unsre sachliche Differenz in dieser Angelegenheit beeinträchtigt werden möge. Von meiner Seite ist das sicherlich nicht der Fall.

In der alten treuen Gesinnung der Ihrige Wilhelm Dilthey

Dilthey an Hermann Diels 

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Original: Hs.; StB PK Berlin, HA , Sammlung Darmstädter, 2  a 1870 (8): Dilthey, Bl. 39–40 R. 1 Dem Brieforiginal ist nichts beigelegt. Allerdings ist im Dilthey-Nachlass der ABBAW ein vierseitiges Manuskript von der Hand D.s hinterlegt, bei dem es sich vermutlich um die im Brief genannten Gedanken über die Leibnizausgabe handelt. Das von D. geschriebene Manuskript trägt keine Überschrift und ist auf den „10. Juli 1901“ datiert und von ihm unterschrieben: „Man darf als festen Punkt ansehen, von welchem bei der Leibnizausgabe auszugehen ist: (1) dieselbe muß in große sachliche Abtheilungen zerfallen, neben welchen als selbstständiger Theil der Briefwechsel steht, Werke, getheilt in sachliche Abtheilungen, und Briefwechsel – dies fordern schon die äußeren Richtlinien. Nur so ist erreichbar daß der Mathematiker etc. das Erforderliche zusammenfindet und eventuell sich den Theil der Ausgabe erwirbt. Es ist aber auch dadurch geboten daß nur so die chronologische Ordnung einen belehrenden Zusammenhang ergiebt. Die Dreitheilung in: mathematisch-naturwissenschaftliche[,] philosophische[,] politische und historische Schriften wird sich wol als die natürliche herausstellen. Manche Abgrenzung ist controvers. So ist die Protogaea [G. W. Leibniz: Protogaea oder Abhandlung von der ersten Gestalt der Erde und den Spuren der Historie in Denkmalen der Natur.  – Die Abhandlung erschien erstmals 33 Jahre nach dem Tod Leibniz’ 1749 in Leipzig], diese so wichtige Schrift, entweder als Abschluß der naturwissenschaftlichen Reihe, oder, da sie im Zusammenhang der historischen Arbeiten von Leibniz entstanden ist, an deren Anfang zu setzen. – Die weitere Gliederung kann sich erst aus der Arbeit selber ergeben. Wenn man den sehr ansprechenden Gedanken Harnack’s, Werke die Leibniz hat drucken lassen von den Handschriften zu sondern dahin unternimmt, von ihm selbst abgeschlossene (wenn auch nicht darum als druckreif angesehene) Schriften von den Vorarbeiten und Entwürfen zu sondern – und dies ist unvermeidlich weil gerade Ein Hauptwerk ungedruckt blieb und auch andere Nebenwerke nicht zur Veröffentlichung gelangten: dann ergeben sich doch auch hierbei große Schwierigkeiten. Es könnte durch Unterscheidung des Drucks und besondern Abdruck der Hauptschriften nach dem Text der Ausgabe vielleicht dieser Zweck auch erreicht werden. – Von diesem festen Punkte aus zeigt sich nun die Möglichkeit (2), von vorn herein für die Berliner Akademie, (ev[entuell] unter Zusammenwirken mit der Wiener) die dritte Abtheilung vorzuschalten. Dies ist hier auch schlechterdings die Vorbedingung, unter der allein wir uns betheiligen können. Und ebenso ist unsre Mitwirkung am Briefwechsel billig, thunlichst aber die Leitung desselben anzustreben, zumal wir unter uns die dazu eminent geeignete Person haben, die sich bereits mit dem Briefwechsel zu beschäftigen Anlaß hatte. – Und ebenso ergiebt sich aus dieser Anordnung und der völligen Selbstständigkeit wie totalen Fachsonderungen dieser Abtheilungen (3): diejenigen in unsrer Akademie, welche die Arbeit der Führung dieser Abtheilungen und die Verantwortlichkeit für sie haben, müssen auch die Verhandlungen, welche in Bezug auf die Gleichartigkeit ihrer Abtheilung mit den anderen und die Mitwirkung der anderen Akademien erforderlich werden, selber führen, mag dies nun brieflich oder in Conferenzen geschehen. Auch für die dritte Abtheilung ist ja für die französischen Texte die auswärtige Hilfe erforderlich. Hierdurch würde auch ein Hauptzweck der internationalen Association, die Gelehrten der einzelnen Fächer in den verschiedenen Ländern in Beziehung miteinander zu setzen, erreicht werden. – Bei einer solchen Anordnung der Ausgabe und der Leitung derselben wird das Amt des Vorsitzenden

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Max Heinze an Dilthey 

der Commission sehr entlastet. Schon die Vorbereitungen, Enquête, Catalog des Gedruckten und Vervollständigung des Erdmann’schen Catalogs [Johann Eduard Erdmann (1805– 1892): Philosoph und Philosophiehistoriker.  – God. Guil. Leibnitii Opera Philosophica quae exstant Latina Gallica Germanica omnia. Pars Altera. Berolini MDCCCXXXIX, Pars Prioir. Berolini MDCCCXL]. In äußerlicher Verzeichnung, werden durch einen engeren Ausschuß leicht in die Wege geleitet werden; dann aber fällt ja die Arbeit wahrscheinlich den Leitern der Abtheilungen zu. Ich habe immer nur hervorheben wollen, daß nur bei einer solchen Dezentralisation der Vorsitzende der Commission die Aufgabe des Vorsitzenden bewältigen werden könne. Es scheint mir sogar keine Überlastung für den Leiter des Briefwechsels, der am meisten mit den anderen Akademien zu verhandeln hat, wenn er zugleich den Vorsitz führt. Wilhelm Dilthey[,] Berlin, d[en] 10 Juli 1901.“ (Original: Hs.; ABBAW, Dilthey-NL, Fasz. 256, Bl. 14–15 R). 2 Die Anregung zu einer histor.-krit. Gesamtausgabe der Werke und Briefe G. W. Leibniz’ kam von dem franz. Philosophen Jules Lachelier (1832–1918). Am 16. April 1901 beschloss die Generalversammlung der „Association internationale des Académies“ in Paris, eine solche Leibniz-Gesamtausgabe vorzubereiten. Vertreter des Akademienverbundes von seiten der Königl. Preuß. AdW zu Berlin waren H. Diels und Th. Mommsen, von der „Académie des Sciences“ der franz. Mathematiker, Physiker und Philosoph Henri Poincaré (1854–1912) und von seiten der „Akadémie des Sciences morales et politiques“ der franz. Philosoph Émile Boutroux (1845–1921). Man beschloss, Handschriften und Schriftstücke Leibniz’ zu recherchieren, zu sammeln und zu katalogisieren, um dann einen Editionsplan aufzustellen. – Vgl. hierzu Stefan Lorenz: „Auferstehung eines Leibes dessen Glieder wunderbahrlich herum zerstreut sind“. Leibniz-Renaissancen und ihre editorischen Reflexe, in: Beihefte zu editio: Editionen – Wandel und Wirkung. Hg. von A. Sell. Tübingen 2007, S. 65–92, hier S. 83 f. 3 A. von Harnack: Geschichte der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Im Auftrage der Akademie bearbeitet. Erster Band. Zweite Hälfte. Berlin 1900, S. 670 und 677.

[1200] Max Heinze an Dilthey

L[ei]pz[ig], d[en] 21. Juli 1901. Verehrter und lieber Freund!

Hoffentlich leiden Sie u. Ihre verehrte Frau Gemahlin, der ich mich zu Füßen lege, nicht zu sehr unter der tragischen Hitze u. Trockenheit dieses Sommers. Jetzt leuchtet ja auf der Hoffnungsstern des Semesterschlusses. – Seit einiger Zeit hat der Druck des 4. Theils von Ueberweg-H[ein]zes Grundriß wieder begonnen;1 so erlaube ich mir, unsrer Verabredung gemäß, Ihnen die Sie betreffenden Seiten zu übersenden mit der Bitte, sie durchzusehen u. etwaige nöthig

Hermann Usener an Dilthey 

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scheinende Veränderungen oder Zusätze gütigst anzubringen. Erhalte ich die Seiten bis 7. August nicht zurück, so nehme ich an, daß Sie nichts zu verbessern finden. Was werden Sie in den Ferien thun? Ich will, nachdem ich die letzten 6 Wochen unter einer Fülle von Dissertationen, Prüfungen und sonstiger Arbeiten zu seufzen gehabt habe, am 7. August nach Bayreuth fahren, um mit meiner Tochter2 Parsifal einmal sehen u. hören zu lassen, dann mich mit Muße in der Nähe der Wartburg[?] etwa 9 Tage aufhalten, hierauf 5–6 Wochen in Leipzig möglichst fleißig sein u. zum Schluß vom 2. Sept[ember] bis 19. October mich in Meran festsetzen. Es wäre sehr schön, wenn ich Sie irgendwo sehen könnte. Treulichst Ihr M. Heinze. Original: Hs.; ABBAW, Dilthey-NL , Fasz. 80, Bl. 246–247. 1 Friedrich Ueberwegs Grundriss der Geschichte der Philosophie. Vierter Theil: Das neunzehnte Jahrhundert, 9. Aufl. Hg. von M. Heinze. Berlin 1902, hier § 34. Dilthey, S. 317–320. 2 M. Heinzes einzige Tochter Margarete.

[1201] Hermann Usener an Dilthey Mein lieber Wilh[elm],

Bonn 3/VIII 1901

aus Deinem höchst willkommenen briefe1 haben wir mit bedauern ersehn, dass Du durch ein fussleiden behindert und gequälst wirst, aber ich auch die freude gehabt zu erfahren, dass Du damit beschäftigt bist Deine summarischere geschichte Eurer akademie durch zufügung der dritten periode zum abschluss zu bringen. Diese fortsetzung hast Du wohl wie die früheren abschnitte der Deutschen Rundschau zugedacht. Aber ich hoffe, wenn das ganze fertig ist, wird der redacteur und verleger gerne darein willigen, dass Du das ganze in buchform zusammenfassest. Ich habe Dir diesen wunsch im interesse vieler wohl früher schon ausgesprochen, empfinde es aber als pflicht ihn nachdrücklich zu wiederholen. Du möchtest über phil[ologen] Buttmann2 unterrichtet sein. Was ich Dir da sagen könnte, findest Du im wesentlichen von mir ausgesprochen in einem

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Hermann Usener an Dilthey 

kleinen aufsatze des Rhein[ischen] Museums 60. XLII (1887) s. 628 f.3 Diese blätter habe ich zwar anonym drucken lassen, der gute Ribbeck, der sich beleidigt fühlte, hat noch eine launige polemik s. 633 daran geknüpft, aber es hindert heute nichts, dass ich mich als urheber bekenne. Dort habe ich die grundzüge von B[uttmann]’s wesen gesucht und sein verdienst um die sprachwissenschaft ins licht gerückt. Hinzuzufügen ist dieser skizze, dass Buttmann in nicht geringerem grade wie für dies verständniss der sprachlichen form auch für die erforschung des wortschatzes bahnbrechend geworden ist. Der heute von unseren linguisten vergessene und verachtete „Lexilogus oder Beiträge zur griechischen Worterklärung, hauptsächlich für Homer und Hesiod“ (Berl[in] I 1818 u[nd] II 1825)4 kann noch heute in hinsicht der methode als mustergültiges vorbild aller gediegenen worterklärung bezeichnet werden. Durch sorg­ fältige interpretation aller einzelnen stellen, wo ein schwieriges wort vorkommt, weiss er die anordnung und bedeutung des worts festzustellen, und wenn der griechische wortschatz selbst nicht anhalt in worten desselben stamms bietet, weiss er durch heranziehung verwandter sprachen, des lat[einischen] u. deutschen, den etymologischen zusammenhang zu gewinnen. In jener grundlegenden operation ist B[uttmann] den späteren linguisten wie Pott, Benfey usw. […]5 himmelweit überlegen; in der zweiten ist er natürlich durch die linguistik, welche für die sprachvergleichung eine breite und gesicherte grundlage geschaffen, weit überholt worden, aber gleichwohl hat er grade hierin ihnen die wege gewiesen: Potts Etymolog[ische] Forschungen erschienen 1833–[183]6; Th. Benfey’s Griechisches Wurzellexikon 1839.6 – Noch heller tritt die geistige überlegenheit B[uttmanns]’s über seine zeit in der sammlung seiner mytho­ logischen forschungen hervor, die er unter dem titel „Mythologie“ kurz vor seinem ende (1829) veranstaltete.7 Mit scharfer kritik weiss er wie in der jüdischen so in der griechischen und röm[ischen] geschichte die grenze zwischen mythischer und geschichtlicher überlieferung zu ziehn, fasst die Mosaische urgeschichte ohne weiteres als mythos an (seit 1802), und hat das erste sichere ergebnis vergleichender mythosforschung in dem IV. excurs zu Spaldings ausgabe von Demosthenes’ Midiana, angeführt in Mythol[ogie], I, 22 ff. zu tage gefördert,8 die sprachliche und begriffliche identität von Dione und Juno und ihrer beider zusammenhang mit Zeus lat[einisch] Iovis. Unsere schnelllebige zeit vergisst zu leicht, wer ihr die ersten festen sprossen in die leiter gesetzt haben, auf der sie heraufgestiegen. Kein wunder, dass selbst ein so selbst überzeugter mann wie F[riedrich] A[ugust] Wolf, sobald als er nach Berlin übergesiedelt war, nichts eiligeres zu thun hatte als mit B[uttmann] in engere beziehung zu treten. Beide begründeten die erste deutsche philol[ogische] Z[eit]schr[ift], das „Museum für alter­ thumswissenschaft“ (1807), eingeleitet durch Wolfs bekannte „Darstellung der

Hermann Usener an Dilthey 

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A[ltertums-]W[issenschaft]“, Buttm[ann] hat dazu die abh[an]dl[ung] „über die Benennungen einiger mineralien b[ei] d[en] alten, vorzüglich des ma­ gnetes u. des basaltes“ und „Üb[er] d[ie] echtheit des Adulitanischen monuments“ (2, 1–1-104 und 2, 105–166) gestiftet.9 Wie F[riedrich] A[ugust] Wolfs pöbelhafter angriff auf Heindorf in den Litter[arischen] Analekten I (1816) s. X ff. dann einen unheilbaren bruch herbeiführte, der sich in Buttmanns und Schleiermachers broschüre „Buttm[ann] u. Schl[eiermacher] über Heindorf u. Wolf“ (Berl[in] 1816) auch öffentlich documentierte, weisst Du zur genüge.10 Walter ist nun um mitte juli mit dem langstieligen11 und an leidenspatronen reichen medicin[ischen] staatsexamen zu ende gekommen, und hat das grosse glück gehabt, sogleich in eine besoldete asissentenstelle an der chirurgischen abtheilung des „Neuen Vincentiushauses“ in Carlsruhe eintreten zu können, was ende der nächsten woche geschehen soll.12 Bis dahin hat er und noch mehr seine mutter alle hände voll zu thun, um ihn zum eintritt ins leben und uns zur reise bereit zu machen. Wir denken in 8 tagen mit ihm abzureisen, wir, wie Du von L[illy] wissen wirst, nach der Friedau[?].13 Ich habe gestern zugleich vorlesung u. seminar geschlossen und habe das erleichternde gefühl voller pflichterfüllung: trotzdem ich anfänglich wieder von meiner 5 stündig angekündigten vorl[esung], exegese des Plat[onischen] Symposion, eine wöchentl[iche] stunde gestrichen und auch im anfang etwas lang verweilt hatte, ist mir, allerdings mit angestrengtem jagen, gelungen, das ganze kunstwerk durchzunehmen und noch in einer schlussstunde einen rückblick darauf zu werfen. Die ferien sollen mir nun wohlthun. Wir sind in einem alter, wo man auch an concentrierung denken darf. Den andern kranken geht es gut, auch Hermanns übel ausgewachsener[?] kehlkopfkatarrh ist dank homöopathischer behandlung und einer Reichenhaller kur gut beseitigt. Lili hat die entspannung natürlich eben so oder noch mehr nöthig wie ich. Sie bittet mich, da sie in der heutigen hetze nicht zum schreiben kommen wird, Euch herzliche grüsse zu senden, Dir und Käthe – die kinder sind also alle auf reisen in sachen Deutschlands?? Mit treuem gruss und besten wünschen für Deine gesundheit und arbeiten und nicht minder für Käthes und Eurer kinder wohlbefinden

Dein H. Usener

Entschuldige, lieber, dass ich nicht schneller geantwortet. Ich war in dieser schlusswoche des semesters völlig besetzt. Grosse freude habe ich über das kürzlich angelegte gedenkbuch an unseren O[tto] Ribbeck14 empfunden, Du wohl auch.

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Hermann Usener an Dilthey 

Original: Hs.; ABBAW, Dilthey-NL , Fasz. 76, Bl. 85–86 R. 1 Nicht überliefert. 2 Philipp Karl Buttman (1764–1829): Pädagoge und Aufklärer; Erzieher Leopold I.; Lehrer am Joachimsthalschen Gymnasium in Berlin; 1806 Mitglied der Königl. Preuß. AdW zu Berlin. 3 H. Usener: Ein Brief Philipp Buttmanns, in: Rheinisches Museum für Philologie. Neue Folge 42 (1887), S. 627 ff. (ohne Angabe des Verf.). 4 Ph. K. Buttmann: Lexilogus oder Beiträge zur Worterklärung für Homer und Hesiod. 2 Bde. Berlin 1818, 2. Aufl. Berlin 1825 und 1860. 5 August Friedrich Pott (1802–1887): Sprachforscher; 1827 Promotion in Göttingen, 1830 Habilitation in Berlin, 1833 a. o., 1838 o. Prof. für allgemeine Sprachwissenschaft in Halle. – Theodor Benfey (1809–1881): Sprachforscher und Orientalist; 1834 Habilitation in Göttingen, 1848 a. o., 1862 o. Prof. ebd. 6 A. F. Pott: Etymologische Forschungen auf dem Gebiete der Indo-Germanischen Sprachen, mit besonderem Bezug auf die Lautumwandlung im Sanskrit, Griechischen, Lateinischen, Littauischen und Gothischen. Lemgo 1833; Dass.: Zweiter Theil. Grammatischer Lautwechsel und Wortbildung. Lemgo 1836. – Th. Benfey: Griechisches Wurzellexikon. Bd. 1. Berlin 1839; Bd. 2: Griechische Grammatik. Erste Abtheilung: Griechisches Wurzellexikon, als Grundlage der griechischen Grammatik. Berlin 1842. 7 Ph. K. Buttmann: Mythologie oder gesammelte Abhandlungen über die Sagen des Alter­thums. Berlin 1828. 8 1794 veröffentlichte der Philologe Georg Ludwig Spalding (1762–1811) die Schrift In Midiam des Demosthenes; Ph. K. Buttmann gab sie 1823 neu heraus: Demosthenis Oratio In Midiam Cum Annotatione Critica Et Exegetica, Euravit Philippus Buttmannus Dr. Berolini MDCCCXXIII. 9 F. A. Wolf: Darstellung der Alterthums-Wissenschaft nach Begriff, Umfang, Zweck und Werth, in: Museum für Alterthums-Wissenschaft. Hg. von F. A. Wolf und Ph. K. Buttmann. Bd. 1. Berlin 1807, S. 1–145.  – Ph. K. Buttmann: Bemerkungen über die Benennungen einiger Mineralien bei den Alten, vorzüglich des Magnetes und des Basaltes. Nebst einer Zugabe über die Echtheit des Adulitanischen Monumentes und einem Abdruck desselben, in: ebd. Bd. 2. Berlin 1808, S. 1–104 sowie S. 105–166: Ueber die Echtheit des Adulitanischen Monumentes. 10 F. A. Wolf: An H. W. G. H. statt einer Vorrede, in: Litterarische Analekten, vorzüglich für alte Litteratur und Kunst, deren Geschichte und Methodik. Hg. von F. A. Wolf. 4 Thle. in 2 Bden. Berlin 1816–1818, hier Bd. 1. Berlin 1816, S. III–XXII. – Ludwig Friedrich Heindorf (1774–1816): klass. Philologe; Schüler F. A. Wolfs; 1809 Prof. an der neugegründeten Universität Berlin, 1811 in Breslau, 1816 in Halle. – Die Broschüre: Buttmann und Schleiermacher über Heindorf und Wolf. Berlin 1816. 11 Altes norddeutsches, im 19. Jahrhundert gebräuchliches Adjektiv.  – Hier im Sinne von: langwierig. 12 H. Useners Sohn Walther (geb. 1875). 13 Burg Friedau in Graubünden / Schweiz. 14 Otto Ribbeck. Ein Bild seines Lebens aus seinen Briefen 1846–1898. Hg. von Emma Ribbeck. Stuttgart 1901. – Otto Ribbeck (1827–1898): klass. Philologe.

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Hans Vaihinger an Dilthey 

[1202] Hans Vaihinger an Dilthey Halle a. S., den 5. August 1901. Hochzuverehrender Herr Geh[eimer] Regierungsrat! Das neueste Heft VI, 2/3 der „Kantstudien“ ist soeben erschienen. Ich beehre mich, Ihnen 30 Abzüge der „Anfrage“ zu gefälliger Verwendung zu übersenden.1 Gleichzeitig bin ich so frei, Ihnen nochmals das Vorwort für unsere HaymFestschrift 2 an’s Herz zu legen. Bis zum 12. August bin ich selbst noch hier. Von da ab würde ich bitten, das Manuscript an den Verlagsbuchhändler Dr. Niemeyer3 hier direct zu senden.

In ausgezeichneter Verehrung Ihr ganz ergebenster H. Vaihinger

Original: Hs.; ABBAW, Dilthey-NL , Fasz. 80, Bl. 269. 1 D.: Anfrage, in: Kant-Studien 6 (1901), S. 352. 2 Der Philosoph und Literaturhistoriker Rudolf Haym, geb. 1821, starb am 27. August 1901. Eine Festschrift zu seinem 80. Geburtstag war in Vorbereitung, die im darauf folgendem Jahr, nach Hayms Tod, erschien: Philosophische Abhandlungen. Dem Andenken Rudolf Hayms gewidmet von Freunden und Schülern. Halle a.d.S. 1902. – Das Vorwort zur Festschrift schrieb Alois Riehl (vgl. ebd. S. V–XXVII). – D. lieferte keinen Beitrag zur Haym-Festschrift. 3 Maximilian David Niemeyer war Buchhändler in Halle. 1870 gründete er den gleichnamigen Verlag.

[1203] Dilthey an Paul Ritter

Lieber Freund,

Rheinsberg, 6. 8. [19]011

ich vergaß neulich an Treitschke Bd. 22 u. an den zweiten Band von G ­ ebhardt Humboldt3 zu erinnern.

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Dilthey und Frau an Ernst von Wildenbruch 

Correkturen nicht eingetroffen.4 Ich bin sehr sehr fleißig, langsam freilich vorrückend. Die Dinge sind eben ungeheuer schwer und das 19. Jahrh[undert] dagegen so viel einfacher!

Treulichst mit best[en] Gr[ü]ß[en] Ihr Dilthey

Original: Hs.; Postkarte; ABBAW, NL Ritter. A: Paul Ritter. I. 1. Bd. III, Nr. 22. 1 Datierung nach Poststempel. 2 H. Treitschke: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Leipzig 1882. 3 Bruno Gebhardt (1858–1905): Historiker; 1884 Promotion in Breslau, 1887 Lehrer in Berlin. – Ders.: Wilhelm von Humboldt als Staatsmann. 2 Bde. Stuttgart 1896–1899. 4 In drei weiteren Schreiben an P. Ritter (Diktate D.s von der Hand Katharina D.s), die nicht in die Edition aufgenommen wurden, mahnt D. an, dass die Manuskripte und Korrekturen noch nicht in Rheinsberg eingetroffen seien: ABBAW, NL Ritter. A: Paul Ritter. I. 1. Bd. III, Nr. 123 (Postkarte mit Poststempel: „Rheinsberg[,] 7. 8. [19]01“); ebd. Nr. 124 (Postkarte mit Poststempel: „Rheinsberg[,] 12. 8. [19]01“); ebd. Nr. 125 (Postkarte mit Poststempel: „Rheinsberg[,] 13. 8. [19]01“); ebd. Nr. 126 (Postkarte mit Poststempel: „Rheinsberg[,] 15. 8. [19]01“).  – Erst am 22. August 1901 meldet D. an P. Ritter: „M[anu]skript richtig erhalten.“ (ebd., Nr. 126; Postkarte mit Poststempel: „Rheinsberg[,] 22. 8. [19]01“).

[1204] Dilthey und Frau an Ernst von Wildenbruch

Lieber, verehrter Freund,

Rheinsberg, 8. 8. [19]01 Villa Lindenhof

Ihr freundlicher Brief über meine verlegte Abhandlung1 hat mir eine Freude gemacht, für die ich Ihnen nicht genug danken kann. Die Gedanken, welche Sie darin ausgesprochen, haben mich im höchsten Grade angeregt u. beschäftigt. Ich empfand wieder so recht die Verwandtschaft Ihrer Denkart mit der meinigen u. wie ich bei jeder Berührung mit Ihnen von Ihnen lerne. Und doch mußten die Ferien erst herankommen, ehe ich Ihnen diesen Dank aus­ sprechen konnte. Unser lebhaftester Wunsch, in Weimar ein paar Tage mit Ihnen zu ver­ bringen, konnte nicht er­ füllt werden, denn zunächst waren die Amtsgeschäfte diesmal viel größer als sonst, weil zu Allem Anderen der Akademie sehr verfrüht u. in einer leidigen Verbindung mit der französischen plötzlich

Dilthey und Frau an Ernst von Wildenbruch 

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die Aufgabe zufiel, eine Leibniz-Ausgabe zu machen, für welche ich in das unermeß­liche Material mich einige Zeit begeben mußte. Zugleich kam die Beurtheilung der Arbeiten über eine große Preis-Aufgabe über Leibniz, die umso verdrießlicher war als nur ein mäßiger Ertrag daraus hervorging.2 Ein Vortrag in der Akademie über Schleiermacher3 bestimmte mich, ein wichtiges Kapitel auszuarbeiten. So sind denn auch die bei­den Artikel in der Rundschau, deren ersten Sie jetzt erhalten haben werden, obwohl in der Haupt­sache lange fertig doch ziemlich übereilt abge­schlossen worden, was Sie besonders bei dem zweiten im Septemberheft recht sehr empfinden werden. Nur ein mäßiger Teil meiner großen Sammlungen konnte zur Verwertung kommen, u. ich muß mich damit trösten, daß nun wenigstens ein Grundriß mir vorliegt, an dessen Ergänzung ich, wie es die Gelegenheit bietet, fortarbeiten kann, u. der denn schließlich einen Teil des II Bandes der Einleitung in die Geisteswissenschaften ausmachen wird, denn auch die Parthien über die nächsten Jahrzehnte der Geschichte der histori­schen Wissenschaften liegen nun ausgearbeitet vor. Und jetzt druckse ich nun an dem Ganzen u. ar­beite an dem letzten Teil desselben über Schleiermacher, Humboldt, Niebuhr 4 und Ranke 5 mit großem Vergnügen aber auch mit einem starken Kraftauf­wand, den ich nur hier in Rheinsberg, in der Stille unserer villegiatura6 mir zumuten darf. Im letzten Drittel des August gedenken wir uns nun auf die Wanderung zu begeben u. daran knüpfen sich natürlich neue Wünsche, irgendwo mit Ihnen Beiden zusammen zu sein. Von der Akademie vernehme ich gar nichts, da ich Althoff in der letzten Zeit nicht gesehen habe. Nun scheide ich mit vielen Grüßen für Sie Beide u. überlasse meiner Sekretärin das Wort. Ja, liebe Freunde, das hat mir ungemein leid gethan, daß ich nicht einmal einen Blick in Ihr Weimaraner Idyll7 thun durfte – ich wäre so gern gekommen. Aber es ging nicht, ich war meinem Mann unentbehrlich, da ich seit Wochen seine alleinige Sekretärin bin. Dazu kommt, daß wir seit Wochen allein sind; die Kinder schwärmen seit mehr als 5tem im bayrischen Hochgebirge herum, haben die Zugspitze bestiegen u. viele anderen Spitzen; wenn auch immer mit Führern war mir doch himmelangst daß ihnen noch was passieren würde. Die Leni immer mit u. Allen voran. Hoffentlich kommen sie nun nächste Woche glücklich heim, u. wir gehen dann auch nach Berlin zurück um uns reisefertig zu machen. Wohin? Jedenfalls in die südlichen Alpen, wo man von Wärme u. gutem Wetter begünstigt ist. In Wolken­stein haben wir Quartier bestellt, aber mein Mann ist mit einem Fuße nicht recht in Ordnung u. so weiß ich nicht ob’s für ihn das Richtige denn dort ist das Dasein nur auf Wandern u. Steigen gestellt. Gehen Sie wieder nach Campeglio?8 Ich möchte so gern nach St. Martino di Castrozza,9 wo viel Wald u. viel ebene

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Dilthey und Frau an Ernst von Wildenbruch 

Spatziergänge sein sollen u. der schönste von all den Orten – auch ein gutes Hôtel dort. Hätten Sie nicht auch Lust dorthin? Ich sehe so gern immer wieder eine neue Gegend. Da wir so spät diesmal fortkommen werden wir auch länger als sonst blei­ben u. ich möchte dann im Oktober so gern nach Florenz. Nach dem langen, einsamen Stillsitzen u. Schreiben hier – wir haben manchen Tag keine 10 Worte zusammen gesprochen, selbst im Kahn haben wir gelesen u. gearbeitet – sehne ich mich nach menschlichem Verkehr u. nach wechselnden Bildern. Sie werden in Weimar umso geselliger gelebt haben; immer freute ich mich, soviel Schönes davon zu hören u. auch an Hausbesuch wird’s Ihnen auch nicht gefehlt haben. Die Weimaraner konnten sich gratulieren, Sie diesen Sommer zu haben, uns haben Sie in Berlin sehr ge­fehlt. Nun lassen Sie doch bald mal ein kleines Wort hören, bis zum 14ten sind wir noch hier u. hoffen wir bis dahin im Wesentlichen fertig zu sein. Mein Mann arbeitet nach dem langen heißen Semester, daß ich innerlich staune. Es ist wie ein Fieber, die reifen Früchte abzuschütteln. Wir sitzen in einem ganz großen u. etwas wilden Garten, an den sich weite Seen u. unendliche Buchenwälder schließen. Ich habe hier den Stechlin von Fontane10 noch einmal gelesen u. mich gefreut wie meisterhaft er Stimmung u. Ton dieser Gegend in sich aufgenommen. Seien Sie, liebe Frau von Wildenbruch u. Ihr verehrter Mann herzlich gegrüßt von Ihren getreuen Diltheys Original: Hs.; Diktat D.s von der Hand Katharina D.s nebst Brief Katharina D.s; GSA Weimar, 94/169, 11. 1 Nicht überliefert. 2 In der Leibniz-Sitzung der Königl. Preuß. AdW zu Berlin vom 30. Juni 1898 war die akademische Preisaufgabe für das Jahr 1901 mit dem Thema gestellt worden: „Darstellung des Systems von Leibniz, welche in eindringlicher Analyse der Grundgedanken und ihres Zusammenhangs, sowie in der Verfolgung ihrer Quellen und ähnlichen Entwicklung über die bisherigen Darstellungen wesentlich hinausgeht. […] Der ausgesetzte Preis beträgt fünftausend Mark.“ – Der Bewerbungsschluss war der 31. Dezember 1900. Die „Verkündigung des Urtheils“ sollte in der Leibniz-Sitzung des Jahres 1901 erfolgen. (Vgl. hierzu: Abhandlungen der Köngl. Preuß. AdW zu Berlin. Aus dem Jahre 1898, S. XX f.). – Zum gesetzten Termin gingen „zwei Bearbeitungen der Aufgaben“ fristgerecht im Büro der Akademie ein. Beide Arbeiten aber wurden des Preises nicht würdig erachtet, einer jedoch, wenn auch nicht der Preis, so doch „das Accessit [i. S. von Annäherung] mit 3000 Mark“ zuerkannt. „Die Eröffnung des versiegelten Umschlags“, der die Namen der Bewerber enthielt, „ergab als Verfasser H[er]rn Dr. Ernst Cassirer zu Berlin.“ – Gleichzeitig wurde die Preisaufgabe noch einmal ausgeschrieben. Wiederum wurde ein Preis von 5000 Mark aus-

Dilthey an Wilhelm Raabe 

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gesetzt, und als Einlieferungstermin wurde der 31. Dezember 1904 festgelegt. (Vgl.: Abhandlungen der Königl. Preuß. AdW zu Berlin. Aus dem Jahre 1901, S. XVII f.). 3 In der Gesamtsitzung der Königl. Preuß. AdW zu Berlin vom 6. Juni 1901 las D. über „die Staatslehre Schleiermacher’s“; vgl. GS XIV, S. 361–417. 4 Der Historiker Barthold Georg Niebuhr (1776–1831). 5 Der Historiker Leopold von Ranke (1795–1886). 6 Sommerfrische, Landaufenthalt. 7 Wildenbruchs hatten im Mai 1901 für die Sommermonate ein Haus in Weimar gemietet, die „Villa Alisa“; vgl. hierzu Litzmann, Bd. II, S. 235 f. 8 Ortsteil von Cannobio in der piemontischen Provinz Verbano-Cusio-Ossola / Italien. 9 Ort in Nordostitalien, in den Dolomiten. 10 Th. Fontane: Der Stechlin. Roman. Berlin 1899.

[1205] Dilthey an Wilhelm Raabe1 Unsere Dichtung möchte mit Macht die Wirklichkeit ohne Abzug und ohne Rückstand zur Darstellung bringen. Da stößt sie denn auf die Discrepanzen des Äußeren und des Inneren, der Ansprüche und des Werthes, des Ideals von Lebensschönheit, das uns erfüllt, und des Schick­sals. Nur der Dichter, der des Humors fähig ist, vermag diese Widersprüche aufzulösen, und nur aus ihrer Auflösung kann das Gleichgewicht der Seele entspringen, dessen ein tüchtiger in sich geschlossener Mensch bedarf. Und das characterisirt unsren universalen Realismus daß wir diese Discrepanzen überall, auch in dem größten Leben finden: sodaß die humoristische Stimmung dem Menschendasein gegenüber für uns nirgend eine Gränze findet. d[en] 24[.] August 1901 Berlin

Wilhelm Dilthey

Zum 8[.] September 1901. Original: Hs.; Stadt-Archiv Braunschweig, NL Wilhelm Raabe, Sign.: H III 10 Nr. 36, Bl. 43; Erstdruck in: Wilhelm Raabe im Urteil bedeutender Zeitgenossen. Briefe von und an Wilhelm Raabe, ausgewählt von Karl Hoppe. Braunschweig 1960, S. 53. 1 D. kannte den Dichter Wilhelm Raabe (1831–1910). Er hatte ihn im Januar 1860 in Wolfenbüttel besucht; vgl. BW I, S. 116.

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Dilthey an Paul Ritter 

[1206] Dilthey an Paul Ritter L[ieber] Fr[eund]

München, 31. 08. 19011

gestern Freitag Abends hier in München angelangt, gehen zunächst Sankt Ulrich, via Waidbruck Südtirol, u. wenn wir nach Wolkenstein hinaufgehen kann uns Correktur von da ohne Zeitverlust nachkommen, bitte also dahinsenden. 2 Tage in Weimar mit Wildenbr[uch]s, viel mir Belehrendes gründlich gesehen, das nun zur Verwerthung kommt. H[err] Dr. Misch schrieb2 u. bot freundlich Correkturhilfe nochmals an, es war zu spät ihn nochmals zu sehen, es geht also meine an ihn u. Correktur, u. dann an mich beide. Wollen Sie freundlich ihn grüßen u. ich schriebe nächstens. Vorläufig noch ziemlich schreibunfähig. Also zunächst alles S[t.] Ulrich.

Herzl[iche] Grüße v[on] Ihrem W. Dilthey

Sonnabends früh Original: Hs.; Postkarte; ABBAW, NL Ritter, A: Paul Ritter I. 1. Bd. III, 131. 1 Datierung nach Poststempel. 2 Nicht überliefert.

[1207] Dilthey an Paul Ritter Wolkenstein, d[en] 13. 9. [19]011 Lieber Freund, ich warte immer noch sehnsüchtig auf Nachricht von Ihnen u. auf den Zusatz im Manuskript oder Correktur. Dies jetzt umso dringender da bei dem hier sehr schlechten Wetter ich in wenigen Tagen nach Italien weitergehen will. Ich erbitte jetzt Nachricht nach St. Ulrich postlagernd[.] Im Grödener Thal. SüdTirol. Und abgekürzt dieselbe Nachricht: Bozen[,] Süd-Tirol. Postlagernd  –

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falls nicht schon eine solche von Ihnen unterwegs ist. Den Zusatz bitte [ich] gleich setzen zu lassen u. hinzuzufügen, daß der Satz schnellmöglichst gemacht u. derselbe nach Bozen, postlagernd gesandt werde. Die Correktur aller Bogen liegt fertig u. wartet auf die Ihrige, um die ich ebenfalls bitte.

Beste Grüße von uns Beiden.

[Am Rand von der Hand D.s:] Wenn Sie das M[anu]script schicken, so müßte es der Sicherheit wegen Abschrift sein u. eingeschrieben. P. S. [von der Hand Katharina D.s] Lieber Herr Ritter, bitte schreiben Sie doch gleich, mein Mann hat sonst gar keine Ruhe u. regt sich auf. Ihre K. D. Original: Hs.; Correspondenz-Karte; Diktat D.s von der Hand Katharina D.s; ABBAW, NL Ritter, A: Paul Ritter. I. 1. Bd. III, Nr. 136. 1 Datierung nach Poststempel.

[1208] Dilthey an Paul Ritter

Wolkenstein 14 Sept[ember] 19011 L[ieber] Fr[eund]

Eben erhalten. Das Wetter hier so schlecht daß wir spätestens in ein paar Tagen wol nach […]2 reisen. Unter diesen Umständen ist das Beste, Sie machen die Sache fertig u. geben sie in die Druckerei. Wie Sie es einrichten überlasse ich Ihnen. Im Ganzen bin ich für Kürze. Wenn Sie das Reichsrecht ohne Schaden verkürzen könnten, so kann das nur nützlich sein. Von dem 5 ist auch nur das Wesentliche aufzunehmen, das erste Drittel und dann der Schluß. Und die Universitäten wollen wir auch nicht zu umfangreich machen. Vielleicht schreibe ich heut noch näher. Vor allem: fertig u in die Druckerei.

Derweil beste Grüße Ihr Dilthey

Briefe Sankt Ulrich Grödner Thal Südtirol.

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Dilthey an Paul Ritter 

Original: Hs.; Correspondenz-Karte; ABBAW, NL Ritter. A: Paul Ritter. I. 1. Bd. III, Nr. 137. 1 Datierung nach Poststempel. 2 Im Brieforiginal: Wort unlesbar wegen ausgelaufener Tinte.

[1209] Dilthey an Paul Ritter Lieber Freund, Ihr Mißgeschick habe ich halb u halb aus Ihrem Schweigen geahnt. Wären Sie doch mit uns in Rheinsberg geblieben. Nun ist nur zu hoffen daß die ­Sache glatt verläuft, woran ich nicht zweifle. Dazu gehört aber vor Allem daß Sie abwarten bis Sie hergestellt sind. Wann die Fortsetzung in der Rundschau erscheinen kann,1 ist ja dagegen völlig gleichgültig. Pflegen Sie sich, beunruhigen Sie sich um nichts. Soviel heute eilig. Ich schreibe nächste Tage mehr. Ich fahre nun auch da unser Zusammenarbeiten sich hinzieht nicht vor Ende September zurück. Sie sollen jedenfalls später erst zurückkehren. Es ist ja im Grunde einerlei, wann wir fertig werden. Ich arbeite an der großen Abhandlung.2 Ich verlange also in Ihrem ernstesten Interesse daß Sie diese schlimme Zeit dort ganz in der guten Luft u bequemen Verhältnissen abmachen. Auch bei guter Heilung ist große Vorsicht nöthig. In treuster Gesinnung – auch meine Frau nimmt herzlich Antheil – Ihr Wilhelm Dilthey3 Wolkenstein, im Grödener Thal Tirol 15 Sept[ember] [1901] Original: Hs.; ABBAW, NL Ritter. A: Paul Ritter, I. 1. Bd. III, unpaginiert. 1 D.: Das 18. Jahrhundert und die geschichtliche Welt, in: DRS 108 (1901), S. 241–262 und S. 350–380; vgl. GS III, S. 209–268. 2 D. plante, eine „Geschichte des deutschen Geistes“ zu schreiben, in welche der Aufsatz über das 18. Jahrhundert, seine Arbeiten zu Leibniz u. a. einfließen sollten; vgl. das Vorwort P. Ritters zu GS III, S. V f.

Dilthey an Paul Ritter 

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3 Es folgt ein Brief Katharina D.s an P. Ritter: „Lieber Herr Ritter, ich möchte Ihnen auch sagen, wie sehr ich Ihr Mißgeschick bedaure, das Sie zu liegen zwingt u. wie ich größte Theilnahme an Ihrem Leiden nehme. Wer hätte das geahnt, als wir in Rheinsberg bei Kantor Peukert so vergnügt zusammen waren! Nicht wahr, Sie sind doch noch bei Ihren Freunden im Harz? Ich kann aus Hermsdorf nicht recht klug werden, ich meine der Ort hieß anders oder ist dies die Poststation? Hoffentlich werden Sie wenigstens recht treu u. liebevoll gepflegt denn das ist in solcher Lage doch noch ein Trost. Wir hoffen also zuversichtlich, daß Sie ganz geheilt werden, wir fragten gestern einen Mediziner hier, der meinte, das würde wieder ganz gut. Freilich, die schöne verlorene Arbeitszeit! Können Sie denn wenigstens im Garten im Freien liegen, daß die Nerven nicht zu sehr herunter kommen. Ich wünschte wir hätten Sie hier unter dem immer blauen Himmel von Süd-Tirol u. in dieser Wunderluft der 1500 Meter, u. umgeben von dieser märchenhaften Schönheit, die man garnicht beschreiben kann. Dieser Aufenthalt ist der schönste der letzten Jahre, wie sind so frisch, daß wir ganz große Touren machen, auf Kyensburger-Hütte, Sellreijoch, Grödner Joch immer 2200–2400 M[eter] hoch u. morgen wollen wir mit Führer auf den Schlern, im Schutzhaus übernachten. Meinem Mann geht’s viel besser mit seinem Kopf, nur noch selten meldet sich der Zustand u. ich hoffe, es wird noch ganz fortgehen. Diese Höhe ist das Richtige für ihn. Und das Gute, daß diese selbst das Arbeiten verbietet. Wir nehmen auf unsern T[o]uren […] mit u. ich lese auf den Matten liegend meinem Manne vor. 8 Tage waren wir noch mit den Kindern zusammen, u. Clara, Max u. Leni haben von Igl’s [Dorf in Nordtirol] den Patscherkofel [Berg in der Nähe von Innsbruck / Tirol] bestiegen in der Schutzhütte übernachtet. Max war sehr wohl, aber in Berlin ist er gleich wieder krank geworden u. hat 14 Tage fehlen müssen, das hat uns sehr betrübt. Nun 1000 herzliche Grüße Herr Ritter, diese Edelweiß [auf der ersten Seite des Brieforiginals aufgeklebt] habe ich selbst gepflückt auf den himmelhohen Felsen rumkletternd. Wir sind hier ganz im Herzen der Dolomiten, u. jeden Tag sehn wir die Hocht[o]uristen mit Führer, Seilen, Eispickeln diese Riesen zu besteigen, ausziehen. Schreiben Sie uns bitte wieder, wie’s Ihnen geht. Herzlichst die Ihrige Katharina Dilthey. Eben sehe ich: Hermsdorf i / M. Wie kommen Sie dahin, lieber Herr Ritter. Dachten Sie wären im Harz.“

[1210] Dilthey an Paul Ritter L[ieber] Fr[eund]

16. Sept[ember] 19011 S[ankt] Ulrich Grödener Thal

Schönes Wetter, so bleiben wir noch c 6 Tage hier, vielleicht 1. 2 länger. Ich habe nun von H[errn] Dr. Misch alle bisher eingelaufenen Correkturen bis ‚Staat als Erzieher‘. Nun fehlt aber die Vergleichung mit dem Manuscript, wenn Sie diese noch nicht vorgenommen haben bitte ich es doch schleunigst zu thun u. die Correktur hierherzusenden (eventuell bogenweise)[.] Das Ma-

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Dilthey an Paul Ritter 

nuscript [u. die] Ergänzung haben Sie nun wol gleich in die Druckerei gesandt. Bitte lassen Sie zunächst einen uncorrigirten Abdruck von der Druckerei aus sofort an mich gelangen. Nur bitte lassen Sie uns jetzt Alles zu Ende bringen damit ich ohne Sorgen weiterreisen kann. Sie schreiben mir wol umgehend wie alles steht u. zu welchem Datum ich das letzte erwarten darf. Es ist jetzt hier sehr schön geworden. Doch[?] war ich sehr an der Fortsetzung bei dem schlechten Wetter. Die Correkturen sind meinerseits fertig u ich brauche nur Ihre nach M[anu]script einzutragen. Meine Frau grüßt auch bestens, für Meißner2 ja keine weitere Anstrengung hineinstecken.

Viele herzl[iche] Grüße von uns W Dilthey

Original: Hs.; Correspondenz-Karte; ABBAW, NL Ritter, A: Paul Ritter. I. 1. Bd. III, Nr. 139. 1 Datierung nach Poststempel. 2 Gemeint ist der Oberbibliothekar Heinrich Meisner.

[1211] Dilthey an Paul Ritter

L[ieber] Fr[eund]

21 Sept[ember] [19]011 Sankt Ulrich

Ich bleibe noch so lange hier, daß Sie noch an mich heute sogleich senden können. Jedenfalls bitte ich die andre Correktur sofort zu senden nach dem M[anu]script von dem gesetzten Bogen, eine Zeile wie Alles steht und sobald möglich die Correktur (von Ihnen noch uncorrigirt) von dem Zugefügten. Ich verstehe schlechterdings nicht ob ich nicht deutlich genug schrieb oder woran die Verzögerungen hängen. Bitte umgehend eine Zeile. Wir müssen vorwärts, u ich kann hier eben nur warten. Also lieb[er] Freund ich bitte herzlich Alles zu thun daß wir mit dem gesetzten Bogen sofort zu Ende kommen. Es wäre mir lieb Sie schrieben mir was zuzusetzen in Staat als Erziehung2 zur Fortsetzung Ihnen wichtig erscheint. Sankt Ulrich Grödener Thal

H[er]zl[iche] Gr[ü]ße Ihr Dilthey

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Original: Hs.; Correspondenz-Karte; ABBAW, NL Ritter, A: Paul Ritter. I. 1. Bd. III, Nr. 140. 1 Datierung nach Poststempel. 2 Ein Thema in D.s geplantem und damals intensiv betriebenen Projekt „Geschichte des deutschen Geistes“ (vgl. z. B. GS III, S. 158–170).

[1212] Dilthey an Paul Ritter [Ende September 1901] Lieber Freund, ich bin immer noch bei schönem Wetter hier in Sankt Ulrich, 1260 Meter hoch. Ich habe mich sehr langsam erholt von den Strapazen des Semesters, besonders der letzten Wochen, dazu kam daß wir in Wolkenstein bei abscheulichem Wetter u schlechter Ernährung eine Woche verloren, ich in angestrengter Arbeit im Zimmer[,] was bei solcher Höhe (1600 M[eter]) mir sehr schlecht schließlich bekam. Nun aber habe ich mich hier bei trefflicher Küche u behaglicher Existenz vorzüglich erholt und wenn es geht bleiben wir noch bis zur Rückkehr hier. Es ließ sich diesmal bei dem so wechselnden Wetter über dauernden Aufenthalt nie etwas voraussagen, Florenz war immer in Sicht u. wurde dann doch aufgegeben um den Vortheil des herrlichen Spätherbstes in der Höhe nur zu genießen. Wozu auch noch kam daß das Lesen[,] Träumen und Schreiben für den letzten Theil mich seit Wolkenstein ganz gefangen genommen hatte. Dieser Theil wird nun doch der schönste werden. Und was mir noch wichtiger ist, ich habe für den Schleiermacher zugleich den Punkt auf dem i gefunden, was mich sehr glücklich macht. Die Correkturen liegen nun fertig vom zweiten Buch seitdem die Ihren ankamen u soweit sie reichen, da auch H[err] Dr. Misch die seinen gesandt hatte. Alles stockt aber da ich den Schluß des ersten Buches nicht erhalten habe. Ich schrieb nun an Paetel’s,1 erhielt aber zu m[einem] Schrecken heute früh nur wieder auf m[ein] Ersuchen um die neue Correktur die alte. Dies ist nun hoffentlich ein Mißverständniß. Ich bitte Sie nun inständig, Sorge zu tragen daß ich schleunigst die neue Correktur des Schlusses erhalte. Denn es ist die dringende Befürchtung eine große Mißstimmung bei Paetel’s hervorzurufen, und zwar mit dem besten Rechte, da ausdrücklich der fortschreitende Druck, der sie entlastet versprochen war. Schreiben Sie mir doch sogleich ein tröstliches Wort.

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Hoffentlich sind Ihre Arbeiten auch für Ihre so wichtige Habilitation2 gut vorwärts gegangen. Es sind jetzt für Sie entscheidende Zeiten in denen Sie um jeden Preis fertig machen müssen. Und wenn Sie hinter Ihrer Habilitationsschrift alles Andere zurückstehen ließen, diese also fertig gestellt haben: so will ich nicht klagen: denn fertig werden müssen Sie. Ich denke den 15[.] October zurückzukehren, wenn nicht irgend ein Zufall die Rückkehr verzögert um ein paar Tage. Also bitte lassen Sie was – auch was Ihre Habilitation b[e]tr[ifft] – vernehmen. Möchte ich nur von Ihnen vernehmen daß Sie gesund und munter seien und nur das natürliche Bedürfniß hatten, bei Ihrer so anstrengenden Existenz, einmal ruhig an den Vormittagen bei sich selber in den vier Wänden zu sein. Ich bin jetzt mit der Durchsicht des Artikels fix u. fertig und bin tüchtig an dem folgenden. Mit herzl[ichem] Gruß in Treue Ihr W. Dilthey Original: Hs.; ABBAW, Ritter-NL , A: Paul Ritter, I, 1, Bd. III, Nr. 141. 1 In dem 1871 von Elwin und Hermann Paetel übernommenen Verlag Gebrüder Paetel wurde die Deutsche Rundschau verlegt. 2 P. Ritter hat sich nie habilitiert – vermutlich aufgrund seiner Arbeitsbelastung durch die Leibniz-Ausgabe und seine Arbeit für D. – 1913 wurde Ritter zum Professor ernannt.

[1213] Karl Dilthey an Dilthey Liebster Wilhelm,

G[öttingen] 6 Nov[ember] 1901.

Obwohl in Zeitbedrängniß, antworte ich gleich auf Deine Frage.1 ­Schröder und Röthe,2 zwei Schwäger, sind beide vortrefflich tüchtige Männer. Nach Äußerungen von Germanisten, die ich vernahm, ist Schröder der unbedingt bedeutendere, auch viel mehr Grammatiker als Röthe, der zwar zweifelsohne auch nach dieser Seite gut beschlagen und völlig auf der Höhe ist, den aber seine Interessen, nun schon seit Jahren, zur neueren Litteratur hin ziehen. Auch an Produktivität ist Schröder ihm überlegen, freilich ja auch der ältere von den zweien, wir haben Schröder hier als Privatdozent gehabt, und ich

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habe damals näher mit ihm verkehrt und ihn öfters als Gast bei mir gesehen: unter den vielen jungen Leuten, die hier an mir vorübergegangen, wußte ich kaum einen, der mir so sympathisch und anziehend gewesen. Er ist übrigens so ganz ohne Ehrgeiz, ohne Trieb sich geltend zu machen und ins Große zu wirken, und fühlt sich in Marburg so wohl, daß ich zweifle, ob er Lust hat nach B[erlin] zu gehen – namentlich wenn er mit seinem Schwager R[öthe] in Concurrenz tritt. Ich zweifele nicht, daß er auch ein sehr guter Lehrer ist. Röthe ist der temperamentvollere, von einem jugendlichen Ungestüm und idealen Feuer, das in seiner äußeren Erscheinung mich manchmal an Usener, wie er gewesen, erinnert – aber doch freilich ohne die schwere innere Fülle, ringende Kraft, und geistige Freiheit, die unseren Hermann schon in frühen Jahren auszeichnete. Röthe hat, so lang Wilamowitz hier war, in dessen Banden gelegen – gerade kein Beweis für geistige und moralische reife Klarheit – das hätte Schröder nicht passiren können. Zum Schluß freilich u. nach W[ilamowitz]’s Weggang sind ihm die Augen dann halb aufgegangen  – ich zweifele aber kaum, daß er, neben W[ilamowitz], auch wieder seinem Bann verfällt. Obwohl R[öthe]’s gährige Jugendlichkeit sich ja auch zu setzen beginnt. Er ist ein Mensch von edlem Stoffe, und ich würde seinen Verlust sehr beklagen. Auch für die Universitätsangelegenheiten ist er uns außerordentlich viel werth: schneidig, furchtlos, ein vortrefflicher Sprecher, immer von guten idealen Motiven getragen, von einer Reinheit der Natur u. der Absichten die Alle anerkennen müssen. Er hat wenig geschrieben; sieh Dir doch seine Abhandlung (in den Ab­ h[andlungen] der Göttinger Gesellschaft d[er] W[issenschaften] 1901) über Brentano’s Ponce de Leon3 an, die Dich ja doch des Stoffes wegen interessiren muß. Es ist dabei schwer begreiflich, wie ein so gescheidter Mensch ein solches Machwerk mit einer Gründlichkeit nehmen u. behandeln kann, wie etwa ein Shakspear’sches Lustspiel. Das ist eben Scherer’sche Schule,4 für die in ihren philologischen Untersuchungen alle Größenverhältnisse schwinden. Was wollt Ihr denn aber in aller Welt mit Sievert,5 dem Vater des Unfugs der Lautphysiologie, der fast die ganze armselige Gesellschaft der Romanisten toll gemacht u. so auch die armen Studenten hineingezogen hat, die doch Wichtigeres zu lernen hätten. Eine Kalamität für unsere Gymnasien. Warum nicht, wenn Ihr einen richtigen, streng-trockenen Grammaticus wollt, lieber Wilmanns in Bonn?6 Oder ist Euch der zu alt? Er ist doch immerhin ein Jüngling, glaube ich, im Vergleich zu Weinhold zu der Zeit, da er nach Berlin ging.7 Ich fürchte, Ihr habt Lust uns auch unseren Wilh[elm] Schulze,8 als Nachfolger für Joh[annes] Schmidt9 fortzunehmen? Das wäre viel Verlust auf einmal, nachdem wir eben erst Kaibel10 verloren, der uns unersetzlich ist. Jetzt

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gewahrt man erst die ganze Misere der gegenwärtigen Philologie, die Bescherungen der Wilamowitzischen Zucht u. Zunft. Leute genug, die hier u. da einen guten lebhaften Vorstoß gemacht haben, aber keine Männer, keine Fachvertreter, in die man Vertrauen haben könnte, daß sie heilsam wirken  – so mancher gute Bonner in den Strudel hinüberzogen – die Blendung der „Moderne“. Geht das so fort, so wird eine fürchterliche Deroute11 erfolgen – und die Kathederpolitik ist für W[ilamowitz] eine seiner wichtigsten Angelegenheiten geworden. Ich habe mit Hermann seinen 67. Geburtstag gefeiert, mit dem Gefühl, daß es sein letzter sein könnte. Und das war auch sein Gefühl, wiewohl er es nicht geradezu aussprach. Schon im Frühjahr sagte er mir: „Freund Hein hat bei mir angeklopft, er kann jede Stunde kommen mich abzuholen.“ Aber das sage ich Dir, mit dringendster Bitte um Schweigen nach allen Seiten: schon seit Jahren gehen von Berlin Geschwätze aus über Useners Zustand, die von gewisser Seite mit übertreibender Genugthuung colportirt werden; es giebt Leute, die ungeduldig auf die Erbschaft warten. – Ich kann Dir nicht sagen, wie tief mir das in die Seele greift, wenn ich vorwärts schaue. Ich habe aber wiederum Hermanns großartige Natur bewundern müssen. Wann kommt so ein Mensch wieder! – Mir selber gehts schlecht genug. Die Begleiterscheinungen eines Darmkatharr’s, der sich seit dem März eingestellt hat und nicht weichen will, machen mir das Leben sauer. Jetzt dieser Tage das Jubelfest unserer Gesellschaft d[er] W[issenschaften],12 – dann stehen die schweren u. widerwärtigen Beratungen über Kaibels Nachfolge vor der Thür, auf denen der Geist v[on] W[ilamowitz] schwer lasten wird. A propos  – Du fragtest mich doch vor längerer Zeit, ob ich u[nter] A[nderem] den Band des Corp[us] Inscr[iptum] Lat[inarum] mit den pompeijanischen Inschriften und den mit den stadtrömischen haben wolle, und ich meine auch Dir geantwortet zu haben, daß beide mir äußerst nützlich und erwünscht sein würden. Bitte, vergiß sie doch nicht! Ich hatte die Hoffnung gehegt, daß meine Privatvorlesung in diesem Winter nicht zu stand käme, und ich tüchtig für mich arbeiten könnte  – aber es ist anders gekommen; und im archäol[ogischen] Seminar habe ich sogar 13 Mann, soviele wie in den guten Zeiten, habe aber wenig Freude daran. Soviel heut – laß bald wieder was hören, und grüße alle die Deinen, über Anderes schreibe ich demnächst. Treulich Dein Karl Ich habe für diese Jubiläumstage (Freitag, Sonnabend) Diels zu mir eingeladen, weiß aber noch nicht, ob er kommt. Der Minister13 u. Althoff wollen uns

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auch beehren. Wie gewöhnlich hat das Jubiläum Schatten voraus geworfen und allerlei Kämpfe veranlaßt, die aber glücklich geschlichtet sind. − Ist aber ein häßlicher unruhiger Semester-Anfang. Original: Hs.; StUB Göttingen, HA , cod. ms. W. Dilthey, 14 d, Nr.10. 1 Nicht überliefert. 2 Edward Schröder (1858–1942): Germanist (Mediävist); 1885 PD in Berlin, 1887 a. o. Prof., 1889 o. Prof. in Marburg, 1902 in Göttingen. – E. Schröder war der Schwager ­Gustav Röthes (1859–1926): Germanist (Mediävist); 1881 Promotion in Berlin, 1886 Habilitation in Göttingen, 1888 a. o. Prof. ebd., 1902 o. Prof. in Berlin. 3 G. Röthe: Brentanos Ponce de Leon, eine Säkularstudie. Berlin 1901. 4 G. Röthe hatte zunächst in Göttingen und Leipzig klass. Philologie und Germanistik studiert, anschließend in Berlin, wo der Germanist Wilhelm Scherer (1841–1886) von 1878 bis zu seinem Tode lehrte. 5 Eduard Sievers (1850–1932): Germanist (Mediävist und Linguist); 1870 Promotion, 1871 a. o., 1876 o. Prof. in Jena, 1883 in Tübingen, 1887 in Halle, 1892 in Leipzig. 6 August Wilmanns (1833–1917): klass. Philologe und Bibliothekar; 1863 Promotion in Bonn, 1870 Oberbibliothekar in Freiburg, Habilitation ebd., 1871 o. Prof. in Innsbruck, 1873 in Kiel, 1874 in Königsberg, 1875 o. Prof. und Oberbibliothekar in Göttingen, ­1886–1905 Generaldirektor der Königl. Berliner Bibliothek. 7 K. G. J. Weinhold wechselte 1889, im Alter von 66 Jahren, als o. Prof von Breslau nach Berlin. 8 Wilhelm Schulze (1863–1935): klass. Philologe und Sprachwissenschaftler; 1887 Promotion in Greifswald, 1890 Habilitation, 1892 a. o. Prof. in Marburg, 1895 in Göttingen, 1902 in Berlin. 9 Johannes Schmidt (1843–1901): Sprachwissenschaftler; 1865 Promotion und Lehrerexamen, 1866 Lehrer am Louisenstädtischen Gymnasium in Berlin, 1868 PD, 1872 a. o. Prof. für vergleichende Sprachwissenschaft in Bonn, 1873 o. Prof. in Graz, 1876 in Berlin. – J. Schmidt war am 4. Juli 1901 gestorben. 10 Georg Kaibel (1849–1901): klass. Philologe, 1871 Promotion in Bonn, 1878 Habilitation in Göttingen, 1879 a.o. Prof. in Breslau, 1882 o. Prof. in Rostock, 1883 in Greifswald, 1886 in Straßburg, 1897 in Göttingen. – G. Kaibel starb am 12. Oktober 1901. 11 Kurssturz, Preisverfall, hier: Verfall. 12 Die Göttinger Akademie der Wissenschaften wurde 1751 gegründet und feierte ihr 150jähriges Bestehen. – Karl D. war seit 1892 o. Mitglied der AdW zu Göttingen. 13 Der preuß. Kultusminister Conrad von Studt (1838–1921), der das Amt von 1­ 899–1907 inne hatte.

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[1214] Karl Dilthey an Dilthey G[öttingen] 18 Nov[ember] 1901 Liebster Wilhelm! Müde und geärgert komme ich aus der Kommissionssitzung, wo ich einen scharfen Zusammenstoß mit Leo1 hatte. Nun, man kommt über Alles weg, auch über die Thorheiten der Menschen – doch am schwersten über sich selber, resp. seine Nerven; das geht schließlich nicht ohne eins von den gött­ lichen -alen, nenne es sich nun Choral oder Sulfonal, den wunderbaren rettenden ὑπνοπουποί.2 Diesmal ist der Semester-Anfang überhaupt sehr bewegt. Die Jubiläumstage haben mir Diels ins Haus gebracht, das Beste vom Ganzen, und ich freute mich, daß es ihm bei mir behaglich war. Althoff war von eisiger Kälte; ich ging ihm ja keineswegs nach, wurde aber doch ein paarmal auf ihn gestoßen durch die Wogen des Feststrudels; sein Verhalten zu mir war die deutlichste Widerlegung seiner Behauptung, daß er Nichts gegen mich habe, es ging hart an die Grenze ostentativer Unhöflichkeit. Wer da gewirkt hat, vermuthlich durch Zutragen mündlicher Äußerungen, weiß ich nicht. Auf ­Lexis3 räthst Du wohl mit Unrecht. Dergleichen liegt nicht in seiner Art, – so verächtlich ich es auch finde, wenn ein Universitätsprofessor, dazu einer ders nicht nöthig hätte, sich als Racheknecht, Preßreptil etc. in den Dienst v[on] A[lthoff] begiebt, als Regierungskomissarius in Senat oder Fakultät sitzt, die Universitäten u. ihre Professoren herunterdrücken hilft. Aber das steht auf einem anderen Blatt: mangelndes Rück[g]rat, phänomenale Abwesenheit v[on] Ehrbegriffen und allem u. jedem ethischen Hintergrund, bei starkem Erwerbstrieb. Er ist eine Arbeitsmaschine. Aber er intriguirt nicht gegen einen Kollegen. Höchstens bei einer Anfrage grinst er, hebt die Schultern, und murmelt etwas Nichtssagendes. Meine Vermuthungen gehen in anderer Richtung. Aus den Ferien habe ich diesmal wenig Erholung heimgebracht, und das Gegentheil von Erholung war die Besuchsreise zum Schluß, sowohl Anderen als mir zu Liebe, in Hannover, Münster, Bonn. Aber es ist doch gut, daß auch dies geschehen. Der gute Fritz fing schon an, es mir übel zu nehmen, daß ich keine Anstalten machte, seine junge Frau und meinen Pathen kennen zu lernen.4 Seine Frau5 hat mir sehr gefallen, und ist gewiß als Gattin, Hausfrau, Mutter gleich vortrefflich, dabei hell und klug, künstlerisch entschieden begabt. Im Frühjahr wird schon N. 2 folgen, und in Gießen wird etwa um dieselbe Zeit der Erstling erwartet.6 Gut, daß für die Verjüngung der Familie einiger­maßen gesorgt ist.

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Dieterich,7 den ich unter allen Philologen der jüngeren und mittleren Generation für die stärkste wissenschaftliche und persönliche Potenz halte, kommt, wie vorauszusehen war, hier nicht auf die Liste. Es schadet seinem Fortkommen, daß er so ganz in die Religionsgeschichte eingetaucht ist, und den Beweis nicht liefert, daß er die Sprachphilosophie beherrscht. Indessen, er ist ja in Gießen sehr glücklich und versteht trefflich den Boden dort zu bestellen. Was Du über Wilamowitz schriebst,8 interessirt mich sehr. Das hab ich immer gesagt: er ist ein sehr berühmter Philologe, aber er hat doch seine Zeit und seinen Beruf verfehlt; er würde noch weit berühmter als Wandersophist geworden sein. Nur versetze ich ihn in die zweite Sophistik. Er zeigte uns neulich bei Kaibels Beerdigung, wie er seine Redekunst in Berlin noch höher entfaltet hat, und wie namentlich auch der schöne Gestus hinzu erworben ist. Aber, so an diesem Sarg, hat’s mich doch kalt überlaufen; und den verständigeren Kollegen war’s auch unheimlich. Hier ist für diese Kunsthöhe weniger Boden. Nun wollte ich Dir noch so Vielerlei schreiben, aber der Brief muß fort, wenn Du ihn morgen noch haben sollst. Meine Haushälterin hat nur die Hälfte der Äpfel, die sie für Dich ausgesucht hatte, einpacken können, weil das Gewicht der Kiste nicht über 10 Pfund sein sollte – sonst könntest Du sie nicht morgen haben. Es folgt aber demnächst eine zweite Sendung. Unser Dienstmädchen, das dem Tod verfallen schien – dies ist der Grund, warum ich vorzeitig zurückkam – kommt morgen als Reconvalescentin wieder aus der Klinik ins Haus zurück, worüber wir uns sehr freuen. In meinen Übungen habe ich 14 Mann, aber fast lauter Tirones,9 auch mit der Frequenz der Vorlesung bin ich zufrieden. Doch steht mein heißes Verlangen viel mehr nach Muße für eigene Arbeit. Ich will sehen, ob ich es mir für den Sommer so richten kann. An Alle die Deinen herzlichste Grüße, Dir selber innigste Wünsche.

Dein Karl

Original: Hs.; StUB Göttingen, HA , cod. ms. W. Dilthey, 14 d, Nr. 11. 1 Der klass. Philologe Friedrich Leo (1851–1914). 2 Schlafmittel. 3 Wilhelm Lexis (1837–1914): Mathematiker und Nationalökonom; 1859 Promotion in Bonn, 1872 a. o. Prof. für Nationalökonomie in Straßburg, 1874 o. Prof. in Dorpat, 1876 in Freiburg, 1884 o. Prof. der Staatswissenschaften in Breslau, 1887 o. Prof. für Volkswirtschaftslehre in Göttingen. 4 Der Archäologe Friedrich Koepp (1860–1944). – Fr. Koepp war ein Neffe Karl D.s. 5 Die Malerin Martha Koepp, geb. Susemiehl, verheiratet mit Fr. Koepp seit 1899.

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Dilthey an Paul Natorp 

6 Der erste Sohn Friedrich wurde am 14. September 1900 geboren, der zweite Sohn Wilhelm am 21. Januar 1902. 7 Albrecht Dieterich (1866–1908): klass. Philologe und Religionshistoriker; 1888 Promotion in Bonn, 1891 Habilitation in Marburg, 1895 a. o. Prof. ebd., 1897 o. Prof. in Gießen, 1903 in Heidelberg. – Seit 1899 war A. Dieterich mit Marie (1867–1931), der Tochter seines Lehrers H. Usener, verheiratet. Ihr gemeinsamer Sohn Hermann Albrecht wurde 1902 geboren. 8 Nicht überliefert. 9 Anfänger.

[1215] Dilthey an Paul Natorp Berlin, d[en] 20. XI. 1901 W[est] Burggrafenstr[aße] 4

Hochverehrter Herr College!

Wir haben unter den Werken Kants noch die Bearbeitung der von Rink herausgegebenen Päda­gogik zu vergeben.1 Niemand ist so competent in dieser ­Sache als Sie. Da nur ein Paar Bogen in einer Ausgabe durchzusehen sind, was in 2–3 Tagen bequem zu machen ist, so unterziehen Sie sich vielleicht diesem Geschäft. Ich muss es aber wegen des Vorberichtes baldigst wissen und darf Sie also um baldfreundliche Ent­scheidung bitten.

In grösster Hochachtung der Ihrige W. Dilthey

Original: Hs.; Dikat D.s von der Hand P. Menzers mit eigenhändiger Unterschrift D.s, UB Marburg, HA , Ms. 831/689. 1 Immanuel Kant über Pädagogik. Hg. von D. F. Th. Rink. Königsberg 1803; vgl. KantAkad.-Ausg. I. Abtlg. Bd. IX, S. 437–500.

[1216] Dilthey an Lujo Brentano Lieber Freund, Die an sich gute Sache ist durch die unüberlegte Haltung der Mommsenschen Erklärung1 heillos verfahren.

Dilthey an Lujo Brentano 

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Der „Axtschlag“, der in Anstellung liegt, „die Schranken dem Forschungsgeist zieht“, trifft ja ebenso wie die Professoren die theologischen Fakultäten, und das „abgesehen von der theologischen Fakultät“ ist eine von diesem Standpunkte mir unfaßliche Inconsequenz, die sich in dieser Erklärung verwunderlich genug ausnimmt.2 Sind einmal die Universitäten irgendwo, an irgend einer Stelle durch das Verhältnis der Kirchen zu ihnen bedingt, so kann das auch an anderen Stellen durch den Zwang der Dinge stattfinden. Und unter diesem stehen wir heute! Die Macht der katholischen Kirche übt diesen Zwang. Wenn heute in Bonn, Breslau dies Übereinkommen, mit dem dort die Universitäten bestehen, verletzt würde durch Aufhebung dieser Stellen: wer könnte dann aufhalten, daß die Fakultäten aufgehoben und durch Seminarordnung ersetzt würden? Und das wäre ein großer gegenwärtig aktuell das deutsche Interesse gegen Polen treffender Schaden. Wenn man nicht auf Baisse3 speculiren will. Anders wäre die Sache, wenn dies neue Vorgehen ohne gleichzeitige Beziehung auf die theologische Fakultät in Straßburg zum Gegenstand einer scharfen doch eingeschränkten Erklärung gemacht worden wäre. Warum hat nicht Mommsen mit den Collegen, die von Einfluß sind, vor seiner Erklärung das Erforderliche besprochen? Ich habe mit Gierke, Kahl4 etc. viel verhandelt, ob jetzt noch dieser Weg gehbar erscheine. Angesichts der Mommsenschen Erklärung ist keine Fassung zu finden, die nicht zugleich gegen Mommsen und schwächlich dieser Schwierigkeit gegenüber erschiene. So ließen wir es schließlich beruhen. Denn für das Pronunciamiento5 Mommsens war keine erheb­ liche Zahl der (Collegen), und für diese einschränkende Erklärung eben auch nicht.6 Es war mir sehr arg durchreisen zu müssen, ich hätte Sie so gern gesprochen. Aber meine Frau war auf der Reise wieder erkrankt, und knapp so weit, daß sie sich die Rückreise zumuthen konnte, unter der Bedingung jeden Luftzug zu meiden. Sie hütet jetzt wieder seit fast drei Wochen Bett und Zimmer. Doch ist der schwere Bronchialkatarrh nun endlich wieder beseitigt. Ich hätte Ihnen gern gesagt wie ich mich Ihres Kampfes gegen die agra­ rischen Zölle freue.7 Ihnen ist die Führerrolle in diesem Kampf zugefallen, der lange dauern wird, aber zum Sieg führen muß. Alles grüßt tausendmal Ihre beiden Damen und Sie[.] Mit treuester Freundschaft Ihr W. Dilthey 22/11. [1901]

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Dilthey an Lujo Brentano 

Original: nicht überliefert; Erstdruck in: Kurt Rossmann: Wissenschaft, Ethik und Politik. Erörterung des Grundsatzes der Voraussetzungslosigkeit in der Forschung. Mit erstmaliger Veröffentlichung der Briefe Theodor Mommsens über den „Fall Spahn“ und der Korrespondenz zu Mommsens öffentlicher Erklärung über „Universitätsunterricht und Konfession“ aus dem Nachlass Lujo Bretanos. Heidelberg 1949, S. 152–153 1 Die Erklärung des Berliner Historikers Theodor Mommsen (1817–1903) über Universitätsunterricht und Konfession erschien am 15. November 1901 in den Münchener Neusten Nachrichten. Darin plädierte er für eine „voraussetzungslose Forschung“, die er durch den „Konfessionalismus“ bedroht sah. – Der Hintergrund war, dass am 17. Oktober 1901 der Bonner Historiker Martin Spahn (1875–1945) auf den Lehrstuhl für Mittelalterliche und Neuere Geschichte an der Reichsuniversiät Straßburg berufen wurde. Spahn (1896 Promotion, 1898 Habilitation in Bonn, 1901 a. o. Prof. für Geschichte in Bonn) war Katholik und zugleich Zentrumspolitiker. Gegen diese Berufung, die gegen das explizite V ­ otum der Philosophischen Fakultät Straßburg „von oben“ durchgesetzt wurde, richtete sich ein scharfer Protest der liberal-protestantischen Professoren, der von dem Münchener Nationalökonomen Lujo Brentano (1844–1931), einem Freund D.s, initiiert war und von der Professorenschaft vieler deutscher Universitäten mit getragen wurde. – Mommsen und Brentano versuchten, das Eindringen des Katholizismus in die Universität zu verhindern. Das Kultusministerium dagegen, namentlich F. Th. Althoff, verfolgte politische Ziele: Die Einrichtung von konfessionsgebunden Lehrstühlen für Philosophie u. Geschichte mit Katho­ liken sollte die Gründung einer katholisch-theologischen Fakultät in Straßburg vorbereiten. Deren Einrichtung hatte das Ziel, die katholisch-theologische Ausbildung, die bis dahin ausschließlich in den bischöflichen Seminaren stattfand, in die Universität zu verlagern. Althoff wollte so die Kontrolle darüber gewinnen und damit den Einfluss der katholischtheologischen Kirche im überwiegend katholischen Elsass minimieren.  – Vgl. zu diesen Vorgängen Rebenich / Franke, S. 41 f., 824 f. mit Anm. 2983. 2 Mommsens Erklärung, betreffend Universitätsunterricht und Konfession vom 15. November 1901, in: St. Rebenich: Theodor Mommsen und Adolf Harnack. Wissenschaft und Politik im Berlin des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Mit einem Anhang: Edition und Kommentierung des Briefwechsels. Berlin / New York 1997, S. 857 f. 3 Absinken, Fallen (franz.). 4 Der Rechtshistoriker Otto von Gierke (1841–1921), der seit 1887 in Berlin lehrte. – Wilhelm Kahl (1849–1932): Rechtswissenschaftler; 1874 Promotion, 1879 o. Prof. in Rostock, 1883 in Erlangen, 1888 in Bonn, 1895–1921 in Berlin. 5 Aufruf. 6 Mommsens Protest gegen die Straßburger Lehrstuhlbesetzung u. seine Forderung nach einer „voraussetzungslosen Wissenschaft“ fand bei zahlreichen deutschen Universitäten große Zustimmung, lediglich die norddeutschen Universitäten und Berlin waren zurückhaltend. 7 Der Sozialpolitiker und Ökonom Lujo Brentano (1844–1931). – 1901 veröffentlichte er die beiden Schriften Die Schrecken des überwiegenden Industriestaats und Ethik und Volkswirtschaft in der Geschichte (erschienen im November 1901); bereits 1897 hatte er die Schrift Die Agrarpolitik publiziert.

Kurd Laßwitz an Dilthey 

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[1217] Kurd Laßwitz an Dilthey Hochverehrter Herr Geheimrat.

Gotha, 28. 11. [19]01

Lange habe ich mit einem Entschlusse ge­kämpft, den zu fassen und Ihnen mitzuteilen mir gleich schwer fällt; nach der reiflichsten Prüfung aber bin ich zu der klaren Überzeu­gung gelangt, daß ich nicht anders kann. Ich bin nicht mehr in der Lage, die weitere Arbeit zu leisten, die für den 2. u. 4. Band der Kantausgabe für die Druckvorbereitung der von mir über­nommenen Schriften nötig wäre. An Bedenken, die Mitarbeit an der Ausgabe zu übernehmen, hat es mir ja nicht gefehlt. Inzwischen aber haben sich die Verhältnisse noch wesentlich zu Ungunsten meiner Aufgabe gewendet. Seit 27 Jahren bin ich im Schuldienst thätig und habe daneben eine umfangreiche litterarische Thätigkeit entfaltet. Das macht allmählich mürbe. Meine amtliche Thätigkeit strengt mich jetzt so an, daß ich größerer Erholungszeit und reichlicherer Ausspannung bedarf, wenn ich nicht binnen Wochen durch überhandnehmende Nervosität tags überhaupt ungeeignet werden soll. Ich muß also meine private Arbeitslast einschränken. Es ist mir aber unmöglich, das an demjenigen Teil meiner litterar[ischen] Thätigkeit zu thun, der für meinen wirtschaftlichen Erhalt notwendig ist. Mein Gehalt, das hier etwa 1500 M weniger beträgt als die Einnahme der gleichaltrigen Collegen in Preußen, reicht nicht aus, um die bedeutenden Ausgabever­pflichtungen zu decken, die an mich herantreten. Ein Zuschuß aus eigenem Vermögen ist infolge der Ungunst der Verhältnisse nicht mehr vorhanden. Ich bin also aus Rücksicht auf meine Familie auf den Ertrag eigener Arbeit angewiesen. Hierin liegt der unabweisbare äußere Zwang, mich für diese Arbeit frei zu machen. Ein innerer Zwang unterstützt diese Forderung. Es ist mir nicht vergönnt gewesen, in einer Stel­lung zu leben, die es mir ermöglicht hätte, meine volle Kraft den wissenschaftli­chen Arbeiten zu widmen, die mir am Herzen lagen. Was ich etwa in dieser Hinsicht leisten konnte, das mußte ich nach anstrengendem, meinem Interesse verhältnißmäßig fern liegendem Dienst auf Kosten meiner Lebenskraft schaffen. Trotzdem bilde ich mir ein, noch Einiges sagen zu sollen, was ich hoffe, sagen zu können, ehe es zu spät wird. Sie werden meinen, die Arbeit den Kantischen Text kritisch herzustellen, sei objektiv für die Wissenschaft von größerem Werte, als eigene systematische Produktion. Das bestreite ich nicht. Aber das können andere besser als ich; es muß sich aber jeder fragen, wozu er sich berufen fühlt. Die philologische Arbeit, wie ich sie ja in diesem Falle auch sonst schon üben mußte, ist mir, je älter ich werde, um so

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Kurd Laßwitz an Dilthey 

unliebsamer; sie ist überhaupt nicht mein Feld, und nach der trockenen Schularbeit macht sie mich doppelt nervös. Wenn ich daher überhaupt noch zur wissenschaftlichen Arbeit komme, so fühle ich es als Pflicht, dies auf einem meiner Eigenart günstiger liegendem Gebiete zu thun. Beides neben einander zu betreiben, ist für mich aus den oben angeführten Gründen ausgeschlossen. Bei dem unbehaglichen Gefühle, einer über­nommenen Verpflichtung nicht nachkommen zu können, tröstet mich der Gedanke, daß die Sache selbst darunter nicht leiden wird. Für die kleinen Schriften wie für die Metaph[ysischen] Anfangsgr[ünde] werden Sie leicht [einen] jungen Mitarbeiter finden.1 Die philologischen Mitarbeiter müssen ja doch die Prüfung der Textvergleichung selbst durchführen; der Fachherausgeber tritt bei diesen Schriften sehr in den Hintergrund, da specielle phys[ikalische] od[er] math[ematische] Fachkenntnisse kaum erforderlich sind. Es war etwas anderes bei der „Schätzung“;2 hier durfte ich annehmen, daß meine specielle Beschäftigung mit der Gesch[ichte] der Theorie der Materie der Sache zugute kommen konnte. Ich hoffe, sehr geehrter Herr Geheimrat, Sie werden den obigen Darlegungen, in denen ich mich Ihnen gegenüber ganz offen ausgesprochen habe, Ihre Aner­kennung nicht versagen, meiner Bitte nachgeben und den An­trag bei der K[öniglich] P[reußischen] Akademie] d[er] W[issenschaften] befürworten, mich von der weiteren Mitarbeit an der Kantausgabe zu entbinden. Es versteht sich von selbst, daß ich die Kartei der Anmerkungen und die Varianten zu den ge­ druckten Schriften zu lesen bereit bin, sowie ich auch gern, sollte es gewünscht werden und der Fall vorkom­men, in speciellen Fach-Fragen meine Ansicht äußern würde. Nur, was ich nicht kann, ist das Zusammentragen des Materials, die Vergleichung vornehmen, die eine ganz ungleich große Zeit und Anstrengung erfordert, als ich bei Übernahme der Arbeit vermutete. Schließlich ist es offenbar auch vorteilhafter für das Ganze, wenn der Fachheraus­geber in Berlin wohnt. Nehmen Sie, sehr geehrter H[err] G[eheimrat], meine Zeilen freundlich auf und seien Sie versichert der vor[züglichsten] H[ochachtung] I[hres] K. L. Original: Hs.; FB Gotha, Chart. B 1962 a, 153–154. 1 Im Brieforiginal davor von Laßwitz gestrichen: „Herrn“. 2 I. Kant: Gedanken von der wahren Schätzung der lebendigen Kräfte und Beurtheilung der Beweise deren sich Herr von Leibniz und andere Mechaniker in dieser Streitsache bedient haben, nebst einigen vorhergehenden Betrachtungen, welche die Kraft der Körper überhaupt betreffen. Königsberg 1747; vgl. Kant-Akad.-Ausg. 1. Abtlg. Bd. 1: Vorkritische Schriften 1: 1747–1756. Berlin 1902, S. 1–181.

Dilthey an Kurd Laßwitz 

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[1218] Dilthey an Kurd Laßwitz Verehrtester Freund!

Berlin, d. 30. XI. 1901

Ihr Brief versetzt mich natürlich in die peinlichste Lage. Der Druck des zweiten Bandes soll im Januar oder Februar beginnen und ich bin ganz ausser Stande, einen Ersatz bis zu dieser Frist zu schaffen, welcher den Anforderungen der Ausgabe entspricht. Ich bitte also dringend, von Ihrer Verpflichtung sich nicht lösen zu wol­len, Sie haben in diesem Bande durch Ihre ausge­zeichneten Emendationen und Erklärungen gezeigt, wie vollauf Sie die Aufgabe beherrschen. Da es nun aber immer peinlich ist, jemanden an einer Verpflichtung festhalten zu wollen, welche dem Stand seiner Arbeiten und seinen Neigungen nicht mehr entspricht, so möchte ich Ihnen vorschlagen, dass wir uns dahin verständigen, dass Sie die garnicht erhebliche Arbeit am 2ten Bande unserem Unternehmen noch zu gute kommen lassen, wogegen die Akademie Sie von der Verpflichtung für den 4ten entbinden würde. Ich bitte ja nicht aus diesem Vorschlag schliessen zu wol­len, dass ich mich nun auch wohl entschliessen würde, der Akademie vorzuschlagen, Sie auch von dem Anteil an dem zweiten Band zu entbinden. Bedenken Sie, dass ich das Interesse der Unter­nehmung zu vertreten habe, also schlechterdings einen solchen Vorschlag, der für den Fortgang der Ausgabe Stockungen befürchten liesse, nicht machen kann. Gehen Sie im Gegenteil davon aus, dass ich die Verantwortlichkeit sehr schwer nehme, den Antrag zu machen, Sie vom 4ten Bande zu entbinden. Auch wüsste ich nicht, was ich denen gegenüber ins Feld führen sollte, welche auf die Gefahr, die die Entbindung vom 4ten Bande einschliesst[,] aufmerksam machen, und dann überhaupt, Sie an dem Vertrag festzuhalten, vor­schlagen würden. Nun lassen Sie mich noch als Freund hinzufügen, wie grossen Wert ich selbst auf den Fortgang Ihrer systematischen Arbeiten lege. Ich bitte nun thunlichst rasch mir Mitteilung von Ihrem Ein­verständnis mit dieser Proposition zu machen, damit ich schon in der nächsten Sitzung Ihre Entbindung vom 4ten Bande beantragen kann. Mit herzlichen Grüssen der Ihrige Dilthey Original: Hs.; Dikat D.s von der Hand P. Menzers mit eigenhändiger Unterschrift D.s; FB Gotha, Chart B 1962 a, 195–196.

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Kurd Laßwitz an Dilthey 

[1219] Kurd Laßwitz an Dilthey Gotha, 3. 12. [19]01 Verehrter H[err] Geh[eim]R[at] Die aus Ihrem Antwortschreiben sprechende freundschaftliche Gesinnung weiß ich zu würdigen und sage Ihnen dafür besten Dank. Auf die jur[istische] Seite der Frage die Sie mit der Bemerkung andeuten, die Aka­demie könne mich an dem Vertrag festhalten wollen, brauche ich jetzt nicht eingehen, da ich meinerseits die Absicht habe, das Möglichste zu thun, eine Schädigung des Unternehmens abzubiegen. Gestatten Sie mir aber zur Rechtfertigung der persönlichen Auffassung meiner Verpflichtung noch ein Wort mit Bezug auf unsern Briefwechsel vom Jahre [18]97. Ich hatte im Vertrag1 gewünscht, daß statt „übernimmt die Verpfl[ichtung] gesetzt würde „wird sich bemühen“, und daß als Beding[un]g der rechtzeitigen Abgabe meiner Arbeit eine Klausel eingesetzt würde, (etwa) „vorausgesetzt, daß der bereits gram[matisch] u. orth[ogra­ phisch] richtig gestellte Text rechtzeitig geliefert wird.“ Die Ak[ademie] hat das abgelehnt, weil solche Abmachung „wohl im Verkehr zwischen vorsichtigen Geschäftsleuten, aber nicht im Verkehr mit einem solchen Unternehmen, der so ganz auf Vertrauen gegründet sei, erforderlich sein könne“. Ich habe dann den Antrag ohne diese Änderungen unterschrieben, in dem Vertrauen, daß die Akad[emie] auch ihrerseits nicht auf diesem Standpunkt stehen würde, wenn ich stichhaltige Gründe für eine Verhinderung an meiner Arbeit anführen könnte. Deshalb jetzt meine Bitte, weil ich allerdings hoffe, daß noch rechtzeitig ein Ersatz geschaffen werden könnte. Da Sie das als unmöglich bezeichnen, so will ich auf Gefahr meiner Gesundheit hin nun nochmals versuchen, was ich eben thun kann, um zu einer beide Teile befriedigenden Einig[un]g zu gelangen. Ich bitte Sie also, zunächst den Antrag zu machen, daß ich von der Bearbeitung der Metaphys[ischen] Anf[an]g[sgründe] entbunden werde. Andrerseits will ich mich bemühen, die zunächst in Betracht kommenden 4 Schriften mög­lichst bald zu liefern. Vielleicht gelingt es Ihnen für den Rest d[es] 2. Bandes einen Stellvertreter zu finden. … [Briefschluss fehlt.] Original: Hs.; Briefentwurf; FB Gotha, Chart. B 1962 a, 155. 1 Der Vertrag zwischen „der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften in Berlin und Herrn Professor Kurd Lasswitz in Gotha“ über die Herausgabe von 15 Schriften Kants im Rahmen der Akad.-Ausg. war am 14. Februar 1897 geschlossen worden.

Hermann Usener an Dilthey 

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[1220] Hermann Usener an Dilthey Bonn 31 / XII 1901 Liebster Wilhelm Es ist wirklich an der zeit, Dich einmal zu einer lebensäusserung wachzurufen. Ich nehme gerne den jahreswechsel zum anlass, Dich und die Deinigen durch herzliche und treue neujahrswünsche gleichsam zu binden. Wenn dann einer von Euch schreibt, wird, so bitte ich, auch mein verlangen ge­stillt werden, endlich einmal wieder von Dir und den Deinigen, von Deinem ergehen, Deinen plänen und arbeiten un­mittelbare nachricht zu erhalten, wonach ich mich so lange schon sehne. Freilich, wenn du auf alles eingehen wolltest, was jetzt bei Euch vorgeht würde des schreibens kein ende sein. Lass Dich das nicht irren, ich bin bescheiden, und Du schreibst mir die hauptsache; was Du von Althoff und dem vor der zeit berühmt gewordenen liebesmahle, von dem scepter ­Eures rectors,1 von der durch berufung seiner flügeladjutanten immer mehr erstarkenden tyrannis u. Wil[amowitz] schreiben magst, das bleiben parerga,2 so willkommen es sein wird. Aus Deiner anfrage von R[h]einsberg schloss ich, dass Du vor Eurer ferienreise das schlussstück Deines essay über die geschichte Eurer akademie fertig stellen und an die Rund­schau einliefern würdest. Du scheinst es also noch zurück gehalten zu haben. Hoffentlich rückst Du nun bald damit hervor – es ist hohe zeit – und lässt dann das ganze sammt den excursen als ein elegantes bändchen erscheinen. Von uns ist gottlob im ganzen gutes zu melden, wenigstens … [Briefschluss fehlt.] Original: Nicht überliefert; eine maschinenschriftliche Abschrift des Brief-Fragments ist hinterlegt in: StUB Göttingen, HA , cod. ms. W. Dilthey, 14 g, Nr. 27. 1 Rektor der Berliner Universität war 1901/02 der Archäologe R. Kekulé von Stradonitz. 2 Hier i. S. von: Beiwerk.

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Karl Dilthey an Dilthey 

[1221] Karl Dilthey an Dilthey G[öttingen] 5. Jan[uar] 1902. Liebster Wilhelm, seit ein paar Tagen bin ich Tag über wieder theilweise außer Bett, aber es geht mir noch schlecht, und das Uebelste ist, daß ich meine treue Pflegerin an der der ganze Gang des Haushaltes hängt, angesteckt habe. Der Kopf, das Hirn ist der empfindlichste und am Meisten leidende Theil, so wie vor Jahren bei meiner schweren gefährlichen Influenza liege ich unthätig, so sprengen mir die Gedanken und Entwürfe den Kopf, bis dann das Sulfonat zu Hilfe kommen muß, das doch auch kein Heilmittel ist, aber doch wenigstens dem Gehirn ein Ausruhen schafft. Ich hatte mich gesehnt nach diesen Ferien, wollte fleißig laufen und fleißiger arbeiten, hatte mir für einen Aufsatz Alles bereit gelegt, nun muß ich, matter als vorher, wieder an die Vorlesung gehen, und ich sehe voraus, daß die Nachwehen dieser Influenza, die jetzt in die dritte Woche dauert, sich bis ins Frühjahr erstrecken werden. Ich habe kein Glück mehr. Wie lange ists, daß ich gern einen Urlaub zum Arbeiten nähme – aber vorher will ich doch zeigen, daß ich noch arbeiten und etwas fertig machen kann, und wie viel gute Sachen liegen nun da oder rumoren in meine Kopf, auch nachdem so Manches mir vorweggenommen oder von Anderen angepickt worden ist. Aber so oft ich daran will, spuckt mir dem Teufel seine Großmutter in die Suppe. Dieser Zustand macht mich noch toll. Dazu kommen dann die Wirkungen des beharrlich fortdauernden Mastdarm-Katharrs. Aber, sage, das ist ja entsetzlich, wie Berlin die preußischen Universitäten plündert! Uns nimmt man mit einem Mal Schulze u. Röthe – Leo soll, wie es heißt, nachfolgen, die Ersatzprofessur (für Vahlen) sei in den Etat eingestellt – und Wilam[owitz] muß doch seinen „Leibjuden“, wie Wellhausen1 Leo nennt, bei sich haben, obwohl er auch hier ihm gute Dienste that. So hat denn Wil[amowitz] in Berlin seinen Göttinger Stab wieder um sich: Leo, Schulze, Röthe.2 Weißt Du Nichts davon, wie weit die Sache ist? Es ist merkwürdig, daß Ihr oder Althoff in Berlin die Besseren verschmäht habt, Wackernagel (anstatt Schulze), Schröder (anstatt Röthe), oder auch Kretschmer in Wien3 (anstatt Schulze). Weder Wackernagel, noch Kretschmer, noch Schröder sind gefragt worden!!! Einfluß v[on] Wilamowitz? – Ihr hättet diese Leute ja bekommen, ob wir? das ist sehr viel fraglicher, zumal nun in Halle auch Burdachs4 Stelle frei wird, der als „Akademiker“ nach Berlin soll, damit es die 3 verhältnißmäßig beßten Litterarhistoriker habe! Paris –

Karl Dilthey an Dilthey 

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und die Provinz! Wir sind auf beßtem Weg, daß es bei uns in Preußen ebenso werde. Ich finde dieses Verfahren sehr kurzsichtig. Dagegen geben wir Lexis5 sehr gern ab. Seine Lehrthätigkeit ist ja ohnehin Nichts werth, da er alle paar Wochen ad nutum domini6 nach Berlin fahren muß, um Akten-Arbeiten zu verrichten, und überhaupt als Lehrer untauglich ist. Aber er soll noch nicht entschlossen sein, auch die ihm zugedachte Stelle noch nebelhaft. Der Kampf um A[lthoff] ist recht widerlich. Welche Summe von Verlogenheit u. Profitmacherei kommt da zu Tag! Man sieht, wie wahr der Gemeinplatz der Griechen ist, daß jede Tyrannei auf die Dauer demoralisirt. Leider hat auch Göttingen sein Theil dabei. Ein höchst frivoles Advokaten-Machwerk ist Kehr’s Rettung im Lotsen.7 Dieser joviale Kollege ist einer der durchtriebensten Kameraden die mir je vorgekommen sind. Um Röthe thuts mir leid; sein Pathos u. feurige Eloquenz wird in Berlin gewaltig einschlagen – und er daran wissenschaftlich und wohl auch gesundheitlich untergehn. Du wirst bald sehn: ein scharfer Kopf und wissenschaftlich bedeutendes Talent ist er nicht: aber als Persönlichkeit kraftvoll, interessant, und liebenswerth. Wer, über 30 Jahre alt, noch Lagarde-Schwärmer8 ist, wie er, noch dazu hier am Ort, an dessen Urtheilskraft u. Reife und Reifefähigkeit glaube ich nicht. Du wirst denken, ich sei recht grimmig gestimmt; und [es] kann sein. Nehmt Alle miteinander herzliche Wünsche für das angebrochene Jahr. An Leni schreibe ich noch besonders, dieser Tage. Auch über die Inschriftenbände. Treulich Dein Karl. Original: Hs.; StUB Göttingen, HA , cod. ms. W. Dilthey, 14 d, Nr. 12. 1 Julius Wellhausen (1844–1918): ev. Theologe und Orientalist; 1868 Tätigkeit am Theologischen Stift in Göttingen, 1870 PD in Göttingen, 1872 o. Prof. für ev. Theologie in Greifswald, 1882 2. Habilitation und a. o. Prof. für semitische Sprachen in Halle, 1885 o. Prof. in Marburg, 1892–1918 in Göttingen. 2 W. Schulze wurde 1902 o. Prof. für vergleichende Sprachwissenschaft in Berlin. – Der Germanist G. Röthe ging ebenfalls 1902 von Göttingen nach Berlin. – Der klass. Philologe F. Leo blieb in Göttingen, wo er seit 1889 lehrte. 3 Jacob Wackernagel (1853–1938): schweiz. klass. Philologe und Sprachwissenschaftler; 1875 Promotion in Basel, 1876 Habilitation ebd., 1879 a. o., 1881 o. Prof. für griech. Sprache in Basel, 1902 o. Prof. für indogermanische Sprachwissenschaft in Göttingen, 1915 in Basel. – Der Germanist E. Schröder wechselte 1902 von Marburg nach Göttingen. – Paul Kretschmer (1866–1956): Linguist; 1889 Promotion in Berlin, 1891 Habilitation ebd.,

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Dilthey an Unbekannt 

1897 a. o. Prof. für vergleichende indogermanische Sprachwissenschaft in Marburg, 1899 o. Prof. in Wien. – P. Kretschmer lehrte bis zu seiner Emeritierung in Wien. 4 Der Germanist und Literaturwissenschaftler Konrad Burdach (1859–1936).  – Ab 1902 war K. Burdach hauptamtlicher Leiter der Forschungsstelle für deutsche Sprach­ wissenschaft der Königl. Preuß. AdW zu Berlin, deren Mitglied er auch war. 5 Der Nationalökonom und Mathematiker Wilhelm Lexis (1837–1914) war seit 1887 o. Prof. in Göttingen und lehrte dort bis zu seinem Tod. 6 Zu Befehl des Herrn – gemeint ist U. von Wilamowitz-Moellendorff. 7 Paul Kehr (1860–1944): Historiker und Archivar; 1889 PD, 1893 o. Prof. in Marburg, 1895 in Göttingen, 1903 Direktor des „Preußischen Historischen Instituts“ in Rom, 1915 Generaldirektor der Preußischen Archive, 1919 Vorsitzender der Monumenta Germaniae historica und Direktor des 1917 gegründeten Kaiser-Wilhelm-Instituts für deutsche Geschichte.  – Etwa ein Jahr später, am 7. Dezember 1902, schreibt H. Diels an E. Zeller, dass „nicht bloß die Monumenta germanica paedagogica sondern auch die wirklichen Mon[umenta] G[ermaniae] historica im Begriffe sind via Kehr in Göttingen, den Ultramontanen ausgeliefert zu werden“. Vgl. Ehlers, Bd. II, S. 319. 8 Der ev. Theologe und Orientalist Paul de Lagarde (1827–1891).

[1222] Dilthey an Unbekannt Verehrter Herr Doktor Es hat mich sehr gefreut daß Sie unsres ehemaligen Zusammenseins so freundlich gedenken. Führt mich einmal wieder der Weg nach Wien so werde ich den Versuch machen Sie wiederzusehen. Wenn Sie uns nun die Handschrift gönnen wollen, so bitte ich dieselbe an Herrn Professor Adickes Kiel Holtenauer Str[aße] 146 gelangen zu lassen. Dieser hat sie zu copiren u. Ihnen dann zurückzusenden. Berlin Burggraf[enstraße] 4 12. Jan[uar] 1902

Mit ergebensten Grüßen D[er] Ih[ri]g[e] Wilhelm Dilthey

Original: Hs.; UB Erlangen, Ernst Meyer-Camberg-Sammlung, Ms. 3001.

Benno Erdmann an Dilthey 

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[1223] Benno Erdmann an Dilthey Prof. Dr. Benno Erdmann BONN

Lennerstraße 11

Sehr geehrter Herr College

16⁄1 [19]02

Ich komme erst heut dazu, Ihnen auf Ihren Brief1 von Ende Dec[ember] zu antworten. Auf die Umstände, welche Steins Übernahme der Redaction von Bd. VIII für mich unerfreulich machten, komme ich nicht zurück. Ich bemerke nur, dass Natorp völlig außer Schuld ist. Schon im Herbst habe ich zwar erklärt, dass mit dem Rücktritt Natorps für mich der Zeitpunkt definitiv gegeben sei, die unklare Redaktionsstel­lung an dem A[rchiv] f[ür] s[ystematische] Ph[ilosophie] aufzuge­ben.2 So tadellos sich trotzdem für mein Empfinden die unbequeme Zusammenarbeit abwickelte, so muss ich daran festhalten, dass die schiefe Stellung, in die ich eintrat, um das Ganze nicht zu gefährden, jetzt für immer aufzugeben ist. Ich habe demgemäß eine kürzlich eingegangene Abhandlung an Stein überwiesen.  – Ein Fortbestehen des A[rchivs] f[ür] s[ystematische] Ph[ilosophie] aber scheint mir mit Ihnen angezeigt. Aber ich sehe zu einem solchen, so lange De Gruyter3 bei seinen Be­dingungen beharrt, keinen Weg. Denn ich bin sicher nach unseren Erfahrungen, dass eine systematische Zeitschrift wertvolle Mitarbeiter nur gewinnen kann, wenn sie ihnen wenigstens das übliche HonorarAequivalent bietet, und nicht wieder einen Redacteur gewinnen wird, der ebenso selbstlos, ohne jede Ent­schädigung, wie Natorp, die Last auf sich nimmt. Sind dies die wirtschaftlichen conditiones sine qua non, so sehe ich die Möglichkeit, dass die Zeit­schrift innerlich erstarke nur auf einem Wege, der die Eigenart einer systematischen Zeitschrift ge­genüber einer histor[ischen] gewinnen lässt. Von vornherein für verfehlt würde ich halten, einer solchen Zeitschrift eine bestimmte Richtung aufzuprägen oder sie auf ein bestimmtes Gebiet zu beschränken. Sie muss ein Sprechsaal für Alle sein, welche Ernsthaftes zu sagen haben. 2⁄2 [19]02 Vielleicht urteilen Sie wie ich, dass die sytem[atischen] J[ahr]-Bü[cher], auch wenn sie nicht, wie bisher, völlig verspätet kommen, nicht entfernt die Bedeutung haben, welche solche histor[ischen] Berichte besitzen. Sie rechtzeitig fer-

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Heinrich David an Dilthey

tig zu stellen, halte ich nach unseren Erfahrungen für ausgeschlossen. Sie sollten fallen. An ihre Stelle sollten Recensionen treten, wel­che nach Auswahl der Redaction auf hervorragende oder einflussreiche neue Schriften schnell kritisch eingehen, sie von allgemeineren Gesichtspunkten aus bewerten. – Dazu, wie bisher, umfassende, jedoch auf das Systematische beschränkte Litteraturberichte mit Einschluss einer kurzen Serie einschlä­giger Zeitschriften-Abhandlungen, orientirende No­tizen über neue Zeitschriften. Kurz die Z[ei]tschr[ift] müßte mehr Actualität zu gewinnen suchen. Von einer formellen Conferenz über diese Fragen verspreche ich mir nichts. Alles hängt an dem Versuch De Gruyter für eine wirtschaftliche Finanzierung zu gewinnen u. an dem Versuch einen geeigneten Redacteur zu finden. In freundlicher Erwiderung Ihrer Jahreswünsche hochachtungsvoll B. Erdmann Original: Hs.; StUB Göttingen, HA , cod. ms. W. Dilthey, 14 k, Nr. 1. 1 Nicht überliefert. 2 Das Archiv für systematische Philosophie ist die 2. Abteilung des Archivs für Philosophie, dessen 1. Abteilung das Archiv für Geschichte der Philosophie ist. Diese „zweite Abtheilung“ erschien erstmals 1895 in Berlin. Die Bände I–VII wurden „in Gemeinschaft mit Wilhelm Dilthey, Benno Erdmann, Christoph Sigwart und Eduard Zeller“ von Ludwig Stein und Paul Natorp herausgegeben. Ab Bd. VIII (Berlin 1902) war L. Stein der alleinige Herausgeber. 3 Der Verleger Walter de Gruyter hatte seit 1894 in dem damals von Ernst Heinrich ­Reimer (1833–1897) geführten gleichnamigen Verlag als Volontär gearbeitet. 1897 kaufte er den Reimer-Verlag, dessen Name bis 1919 bestehen blieb.

[1224] Heinrich David 1 an Dilthey Herrn Professor Dr. Dilthey Berlin.

Basel, den 31. Januar 1902.

Hochgeehrter Herr Professor. Die Kuratel der Universität Basel ist in der Lage, die philosophische Professur neu zu besetzen, da Herr Prof[essor] Dr. Groos, der das Amt zuletzt bekleidet hat, nach Gießen übergesiedelt ist.

Heinrich David an Dilthey

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Nach eingehenden Beratungen im Schoße der Kuratel hat sich diese entschieden, über zwei Kandidaten noch besondere Gutachten einzuholen. Diese zwei Kandidaten sind der außerordentliche Professor Dr. Joël in Basel und der außerordentliche Professor Dr. Adickes in Kiel.2 Die Kuratel glaubt sich nun vertrauensvoll an Ihren sachverständigen Rat wenden und um Ihr wissenschaftliches Gutachten über die beiden Genann­ten, das für uns von hohem Werte wäre, bitten zu dürfen. Herr Prof. Groos wollte sich aus begreiflichen und anerkennenswerten Grün­den nicht über einen Kollegen, mit dem er in per­sönlichem Verkehr stand, aussprechen. Wir sehen uns daher genötigt, uns an Ihre be­währte Einsicht und Güte zu halten. Wir sehen uns zu unserem Gesuche um so eher ermutigt, als Sie, aus früheren Jahren mit unseren, nicht wesentlich veränderten Verhältnissen der philosophischen Pro­fessur vertraut, vielleicht schon aus diesem Grun­de geneigt sein dürften, einer Ihnen nicht ganz fernstehenden Hochschule einen Dienst zu erweisen. Indem ich Ihnen, sehr geehrter Herr Professor, Namens der Curatel zum Voraus meinen ergebenen Dank ausspreche, bitte ich Sie, die Versicherung meiner ausgezeichneten Hochachtung entgegennehmen zu wollen. Kuratel der Universität. Der Präsident: David. Original: Hs.; Diktat von fremder Hand mit eigenhändiger Unterschrift H. Davids; StUB Göttingen, HA , cod. ms. W. Dilthey, 17, Nr. 11. 1 Heinrich David (1856–1935): Schweizer Jurist und Politiker; 1883–1887 Staatsanwalt in St. Gallen, 1887–1890 in Basel, 1890–1897 Strafgerichtspräsident in Basel-Stadt, ­1897–1910 Regierungsrat. 2 Der Philosoph und Psychologe Karl Groos (1861–1946), der seit 1898 in Basel gelehrt hatte, ging 1901 nach Gießen. – Der Philosoph Karl Joël (1864–1934) lehrte seit 1897 als a. o., ab 1902 als o. Prof. in Basel. – Erich Adickes war seit 1898 als a. o. Prof. in Kiel tätig, ab 1902 als o. Prof. in Münster / Westfalen.

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Dilthey an Harald Höffding 

[1225] Dilthey an Harald Höffding Verehrtester Herr College. Mein Dank für die gütige Übersendung Ihrer beiden Schriften ist ein verspäteter, da ich zurückhielt, um dieselben zu lesen. So sehr ich nun den Wunsch dazu hatte, da von Ihren Schriften für mich immer eine anregende Kraft ausgeht, wie ich jetzt zumal beständig an Ihrer Geschichte der Philosophie1 erfahre, so habe ich sie2 im Gedränge der Arbeit für die Ferien zurücklegen müssen und ich mag doch nicht länger zögern, Ihnen vorläufig meinen er­ gebensten Dank auszusprechen. Gern gedenke ich der angenehmen Stunden immer noch, welche ich mit Ihnen hier verlebt habe, und immer planen wir eine Tour nach Kopenhagen zu Ihnen.



In größter Hochachtung und Anhänglichkeit der Ihrige Wilhelm Dilthey

Berlin, 18. II. [19]02. Original: Hs.; Diktat D.s von der Hand Clara D.s mit eigenhändiger Unterschrift D.s; das Brieforiginal ist im Besitz von Dr. Bernd Eric Jensen, Kopenhagen. 1 H. Höffding: Geschichte der neueren Philosophie. Eine Darstellung der Philosophie der Geschichte von dem Ende der Renaissance bis zu unseren Tagen. 2 Bde. Leipzig ­1895–1896. 2 Im Brieforiginal: „Sie“.

[1226] Cosima Wagner1 an Dilthey Lieber u hochgeehrter Herr Professor! Seit wenigen Tagen erst heimgekehrt, fand ich beim Eintritt in mein Heim, die mir von Ihnen in so liebenswürdiger Weise zugesendeten Hefte der Deutschen Rundschau. Ich war bei dem ersten durch den Gegenstand so lebhaft

Cosima Wagner an Dilthey

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angezogen, dass ich vielfache Obliegenheiten zu erledigen unterliess, um mich der wehmütigen Freude hinzugeben, mit der Freundin zu verkehren. Sie haben, lieber Herr Professor, diese bedeutende und nicht leicht zu fassende Frau so lebendig geschildert,2 dass die Stunden unseres Zusammenseins und unser brieflicher Austausch mir gegenwärtig wurden und ich ihre warme Nähe empfand. Mit Zartsinn haben Sie das berührt, worunter sie an sich selbst litt, (worüber wir öfters mit ernstem Sinn gescherzt haben!) und ganz verschwiegen, was die schwerste Prüfung ihres Daseins war; für das wohlwollende Wort, welches Sie bei dieser Gelegenheit für mich fanden, sage ich Ihnen, hochgeehrter Herr Professor, meinen lebhaft empfundenen Dank. Es war uns, wie sich von selbst versteht, von grösstem Werthe, dass Hermann Helmholtz und seine Gemahlin sofort Theilnahme für Bayreuth bekundeten, als der Gedanke des Theaters hier ausgesprochen wurde. Auf diese Theilnahme gründete sich unsere herzliche Freundschaft, und Anna hat mich mit ihrem Vertrauen und ihrer Sympathie beehrt. Von der bewegten Lectüre dieses in seltenem Maasse beglückten Lebensbildes ging ich gleich zu Ihrer Abhandlung: „Das 18. Jahrhundert u. die geschichtliche Welt“ über, und habe es mit dem grössten Interesse und mit Gewinn an Kenntniss und Auffassung gelesen. Da ich in Frankreich erzogen worden bin, kenne ich die Schriften Montesquieus,3 das Werk Condorcets4 und einige der anderen, von Ihnen an­ geführten Bücher. So konnte ich Ihrer Darstellung gut folgen und mich Ihres sicheren Urtheils belehrt erfreuen. Die Gerechtigkeit, welche Sie Montesquieu widerfahren lassen, that mir wohl, weil ich eine lebendige Erinnerung diesem geistvollen Denker bewahrt habe. Ganz ausgezeichnet fand ich Ihre Darstellung der englischen Geschichtsauffassung, der französischen gegenüber. Das englische Wesen, wie es sich unterscheidet und diese Nation zur Weltherrscherin bestimmt hat, stand durch Ihre Schilderung plastisch vor mir. Vor Allem aber möchte ich Ihnen für die Zuführung des herrlichen Mannes (wie ihn Goethe nennt) Justus Möser5 danken. Ich kannte ihn nur dem Namen nach und trotz der eingehenden Besprechung, in Dichtung und Wahrheit, war mir seine Bedeutung fremd. Wie schön haben Sie, lieber Herr Professor[,] in dieser einen Persönlichkeit das ächte deutsche Wesen, dem mächtigen, stolzen eng­ lischen Charakter, der glänzenden, geistvollen französischen Art gegenüber­ gestellt, und wie empfindet man die Ueberlegenheit dieses schlichten, der Tiefe zugewandten Wesens mit bestimmtester Sicherheit; den abstracten constructiven Theorien gegenüber, die Erkenntniss des Lebendigen, und seine Pflege. Und als Lohn dieser fast als religiös zu bezeichnenden Fähigkeit den Humor, wie er den Franzosen leider ganz fehlt. (Hier fällt mir Gibbon6 ein, gegen welchen Sie mir ein wenig streng erscheinen; mir ist er geradezu naiv und

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Cosima Wagner an Dilthey

auch farbig in seinen Schilderungen vorgekommen und er hat mich weit mehr angeregt als die Franzosen.) Brauche ich Ihnen zu sagen, lieber Herr Professor, dass der Schluss Ihrer schönen Arbeit, Ihre Darstellung Winkelmanns und der Göttinger7 mich sehr gefesselt haben? Das versteht sich nach dem vorangegangenen von selbst. Ich verweile aber bei Möser, weil ich durch diese neue Bekanntschaft mich bereichert fühle – (ich habe beim Antiquar seine Werke mir verschafft und bereits begonnen) und weil die Eigenart des ächten Deutschen zu mir unwiderstehlich herzgewinnend spricht. Vielen, vielen Dank, lieber Herr Professor! In meiner stillen Abgeschiedenheit geniesse ich eine geistige Darbietung, wie Sie sie mir gönnten, voll und ungestört und lebe den erhaltenen Eindrücken. Es würde mich sehr freuen, wenn eine Begegnung mit Ihnen, es mir in nicht zu ferner Zeit gestattete, Ihnen von diesen Eindrücken zu berichten. Leider traf ich Sie bei meinem, in jeder Hinsicht beschränkten Aufenthalt, in Berlin nicht, freute mich aber sehr über den Zufall der Begegnung mit Ihrer Frau Gemahlin. Indem ich mich Ihnen Beiden angelegentlichst empfehle, wiederhole ich Ihnen, lieber hochverehrter Herr Professor, meinen herzlichsten Dank und versichere Sie meiner freundlichsten Hochachtung. Bayreuth, 18. Febr[uar] 1902

C. Wagner

Original: Hs.; StUB Göttingen, HA , cod. ms. W. Dilthey 45, Autographenmappe Clara Misch, Nr. 30. 1 Cosima Wagner (1837–1930): Tochter des Komponisten Franz Liszt; 1857 Ehe­ schließung mit dem Dirigenten Hans von Bülow (1830–1894) in Berlin, 1870 Eheschließung mit Richard Wagner. Seit dessen Tod 1883 hatte Cosima die Leitung der Bayreuther Festspiele. 2 D.s Nachruf auf Anna von Helmholtz, die am 1. Dezember 1899 gestorben war, in: DRS 102 (1900), S. 226–235; WA in: GS XI, S. 258–270. 3 Montesquieu, Baron de (1689–1755): franz. Philosoph und Staatstheoretiker. 4 Condorcet, Marquis de (1743–1794): franz. Philosoph und Mathematiker. 5 Justus Möser (1720–1794): Jurist, Staatsmann und Historiker.  – J. W. von ­Goethe äußert sich im 3. Teil, Buch 13 und 15 seiner Autobiographie Dichtung und Wahrheit (Sämtl. Werke, Artemis-Gedenkausg. zu Goethes 200. Geburtstag am 28. August 1949. Hg. von E. Beutler. ND der 2. Aufl. Zürich 1961–1966. Zürich 1977. Bd. 10, S. 651 f., 702 f.) sehr lobend über den „herrlichen Justus Möser“ (S. 651), dessen Patriotische Phan­ tasien er besonders schätzte. Hg. von J. Mösers Tochter Jenny von Voigts, geb. Möser. 4 Thle. Berlin 1775–1786.

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Hermann Schwarz an Dilthey

6 Edward Gibbon (1737–1794): engl. Historiker. 7 Vgl. D.: Das 18. Jahrhundert und die geschichtliche Welt, in: DRS 108 (1901), S. 241– 262, und S. 350–380; WA in: GS III, S. 209–268.

[1227] Hermann Schwarz1 an Dilthey Halle a/S. 22. 2. [19]02. Jägerplatz 19. Hoch zu verehrender Herr Geheimer Regierungsrat! Als ich vor Weihnachten in Berlin war und die Ehre hatte, von Ihnen empfangen zu werden, hatten Sie die sehr große Güte, zur Festschrift für Herrn Prof. Haym einen Beitrag aus Ihrer hochverdien­ten Feder in Aussicht zu stellen. Seitdem bin ich durch eine chirurgische Operation und die hernach gebotene Schonzeit verhindert gewesen, mich mit ge­schäftlichen Angelegenheiten zu befassen. Ich bitte es hiermit zu entschuldigen, wenn ich erst jetzt, nach längerer Pause, mir wiederum gestatte, mich mit einer großen Bitte an Sie zu wenden. Es würde alle hiesigen Herren Kollegen auf das aufrichtigste freuen, wenn Sie gütigst geneigt wären, für Herrn Prof. Haym die Dedikation zu schreiben. Vielleicht darf ich hoffen, daß diese Bitte auch Ihren eignen Wünschen entgegenkommt, indem sie Ihnen die etwa vorhandene Unbequemlichkeit erspart, aus einem größeren Ganzen, das Sie für andere Zwecke be­stimmt haben, etwas für die Festschrift Geeignetes erst herauszusuchen. In der angenehmen Hoffnung auf gütige Gewährung unserer Bitte zeichnet ganz ergebenst in ausgezeichneter Hochachtung H. Schwarz. Original: Hs.; StUB Göttingen, HA , cod. ms. W. Dilthey, 14 k, unpaginiert. 1 Hermann Schwarz (1864–1951): Philosoph; 1888 Promotion in Halle, 1894 Habilitation ebd., 1908 a. o. Prof. in Marburg, 1910 o. Prof. in Greifswald; 1917/18 Mitbegründer der Deutschen Gesellschaft für Philosophie.

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Dilthey an Graf Heinrich Yorck von Wartenburg 

[1228] Dilthey an Graf Heinrich Yorck von Wartenburg 23. Febr[uar] 1902 … Das Buch über Leibniz ist von Couturat.1 Auch ein deutsches ist von Cassirer erschienen, aber es ist aus der Schule von Cohen2 – der Schule der Unbestimmtheit und jüdischen Gespreitztheit. … [Briefschluss fehlt.] Original: nicht überliefert; eine handschriftliche Abschrift des Briefauszuges von der Hand S. von der Schulenburgs ist hinterlegt in: ABBAW, NL Ritter, B.: Sigrid Ritter, geb. von der Schulenburg, III, Nr. 29. 1 L. Couturat: La loqique de Leibniz. D’Après des documents inédits. Paris 1901. 2 E. Cassirer: Leibniz’ System in seinen wissenschaftlichen Grundlagen. Marburg 1902. – Ernst Cassirer studierte seit 1896 bei Hermann Cohen (1842–1918) in Marburg, gehörte zu dessen engem Schülerkreis und promovierte dort 1899. Seine o.g. Arbeit über Leibniz wurde an mehreren Universitäten nicht als Habilitationsschrift angenommen. 1906 habilitierte sich Cassirer in Berlin und war dort bis 1919 als PD tätig. Erst 1919 wurde er o. Prof. an der neu gegründeten Universität in Hamburg. 1933 emigrierte er nach England.  – Als H. Cohen 1912 emeritiert wurde, setzte er sich  – allerdings erfolglos  – für E. Cassirer als Nachfolger auf seinem Marburger Lehrstuhl ein.

[1229] Dilthey an Ludwig Darmstädter1 Verehrtester Herr Professor. Ich gestatte mir, Herrn Dr. Köhler,2 den ich als einen zuverlässigen jungen Mann kenne, zu der Erlaubnis zu empfehlen, die Ihnen unterstellten Handschriften in Ihrer Abteilung zu benutzen. 1. III. [19]02.

In grösster Hochachtung Der Ihrige Wilhelm Dilthey

Original: Hs.; Diktat D.s, von der Hand B. Groethuysens mit eigenhändiger Unterschrift D.s; StB PK Berlin, HA , Sammlung Darmstädter, 2 a 1870 (8): Dilthey, unpaginiert.

Dilthey an Ludwig Darmstädter 

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1 Ludwig Darmstädter (1846–1927) Chemiker, Wissenschaftshistoriker und Auto­ graphensammler; 1867 Promotion in Heidelberg, Tätigkeit in Laboratorien in Leipzig und Berlin. – 1907 überreichte Darmstädter der Königlichen Bibliothek in Berlin eine Sammlung von 23.000 Autographen („Sammlung Darmstädter“), die noch heute einen wichtigen Bestandteil der HA der Berliner Staatsbibliothek ausmacht. Seitdem verbrachte er viel Zeit in der Königl. Bibliothek, um seine Sammlung zu katalogisieren. 2 Max Frischeisen-Köhler (1878–1923): Philosoph; Schüler D.s; 1902 Promotion in Berlin, 1906 Habilitation, 1907 PD in Berlin, 1915 a. o., 1921 o. Prof. in Halle.

[1230] Dilthey an Ludwig Darmstädter Hochverehrter Herr Professor! Ich gestatte mir Ihrem Wohlwollen Herrn stud. phil. Österreich1 zu empfehlen, der in Verfolgung seiner wissenschaftlichen Aufgaben die Abteilung der Handschriften zu benutzen wünscht. In größter Verehrung Der Ihrige Wilhelm Dilthey2 13 März 1902. Original: Hs.; Diktat D.s von der Hand H. Nohls mit eigenhändiger Unterschrift und Datumsangabe D.s; StB PK Berlin, HA , Sammlung Darmstädter, 2 a 1870 (8): Dilthey, unpaginiert. 1 Traugott Konstantin Oesterreich (1880–1949): Philosoph und Philosophiehistoriker; 1905 Promotion in Berlin über „Kant und die Metaphysik“ (bei F. Paulsen und C. Stumpf), 1910 Habilitation in Tübingen, 1922–1933 planmäßiger a. o. Prof. ebd. 2 Im Brieforiginal: darunter von der Hand H. Nohls: „T. Oesterreich[.] W[est] 30 Goltz­ str. 19“.

[1231] Einige Studenten an Dilthey Hochverehrter Herr Geheimrath Das ganze Semester hindurch verfolgten wir mit lebhaftem Interesse und aufrichtigster Teilnahme und Aufmerksamkeit Ihre Vorträge über die Geschichte

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Dilthey an Paul Ritter 

der Philosophie, die einen tiefen Eindruck auf uns machten. Aus allen existierenden in die Philosophie einleitenden Uebersichtswerken ist keines imstande so vorzüglich in die Tiefe des philosophischen Denkens einzuführen, wie Ihre Vorlesungen, hochverehrter Herr Geheimrath. Wenn man noch am Eingange in das gewaltige Reich der philosophischen Probleme steht, will man etwas lebendiges, innerliches, klares haben, damit der Muth zum Weiterarbeiten nicht völlig verloren geht. Das erste Wichtige, das keimt, das Ahnen der Unermesslichkeit von Kraft und Ernst und Daseinsfülle, die im Denken steckt, ist über uns gekommen, über uns, denen nun von Ihnen in die Tiefen dieses Denkens, seine Schönheiten der Grösse ein Einblick gewährt worden ist, welcher uns erkennen liess, wie gross die Unempfänglichkeit des Menschen sein soll, der teilnahmslos an diesen Problemen vorbeigeht. Nur ein Wunsch gesellte sich zu unserer Bewun­derung Ihrer Vorträge, nämlich – der Wunsch diesen Kursus als gedruckt in der Hand zu haben.1 Wir möchten daher die Versicherung abgeben, daß die Herausgabe von den Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie für die Studierenden von allen unseren Commilitonen mit grosser Freude begrüsst würde. Mit dieser Versicherung und den Gefühlen der dankbaren Schüler, hoffen wir sehr vielen aus dem Herzen gesprochen zu haben. Einige Ihrer Schüler, hochverehrter Herr Geheimrath, geben hiermit ihrer Dankbarkeit und Verehrung den aufrichtigen Ausdruck. Berlin 4. 3. 1902. Original: Hs.; von fremder Hand; StUB Göttingen, HA , cod. ms. W. Dilthey, 14 o, Nr. 2. 1 D. hatte einen Grundriß der allgemeinen Geschichte der Philosophie zuletzt 1898 ­drucken lassen; vgl. GS XXIII, S. 1–160.

[1232] Dilthey an Paul Ritter Lieber Freund, In dem Wandern in ital[ienischen] Städten kam ich nicht zur Beantwortung Ihres Briefes,1 und so kann ich es heute, zurückgekehrt, Ihnen sagen daß Ihre Interessen mir immer voranstehen werden, so warte ich selbstverständlich bis

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Dilthey an Paul Ritter 

Sie mit dem Anfang des Juni Ihre Arbeit abgeschlossen haben. Und nicht ungern, sondern sehr erfreut daß so die Umstände den Abschluß dieser Ihrer Arbeit herbeiführen. Also lieber Freund, wollen Sie nur in eifriger Arbeitsfreude das Begonnene zu Ende führen, aber auch mit beständigem Hinblick auf das Wünschenswerthe eines nahen Abschlusses. Alles Nähere mündlich wenn Sie mich einen Nachmittag aufsuchen (jeden außer Mittw[och] u Donnerst[ag]).

Mit den treuesten Wünschen Ihr Wilhelm Dilthey

3 Ap[ril] [19]02 Original: Hs.; ABBAW, NL Ritter. A: Paul Ritter. I. 1. Bd. IV, Nr. 168. 1 Nicht überliefert.

[1233] Dilthey an Paul Ritter Lieber Freund,

Bozen, 23. April 19021

ich sitze hier [in] Bozen (Stigl) um zu schreiben an dem Hegel der neben ­Goethe mich die ganze Reise begleitet hat. Ich hoffe daß es gut werden wird. Am 28ten spätestens bin ich zurück. Hoffentlich können wir dann Alles vereinigen, u. dann sehe ich die Möglichkeit abzuschließen, Lücken zu füllen, u. den Druck zu beginnen von mir. Lassen Sie doch, bitte, ein Wörtchen noch gleich hierher Bozen Hôtel Stigl vernehmen. Ich bin ganz ohne Nachricht von Ihnen. Herz[liche] Grüße Dilthey Original: Hs.; Correspondenz-Karte; ABBAW, NL Ritter, A: Paul Ritter, I, 1. Bd. IV, Nr. 167. 1 Datierung nach Poststempel.

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Dilthey an Paul Ritter 

[1234] Dilthey an Paul Ritter Bozen, Hôtel Stigl[.] Zimmer 17. [Ende April 1902]   Lieber Freund, gleichzeitig mit diesem Brief an Sie sende ich an meine Tochter in meiner Wohnung das Manuscript des Anfangs.1 (Gottlob!) Dasselbe ist ausführlich, aber so eingerichtet, daß es dem ganzen Buche einen gewissen Zusammenhang giebt u. auch für den letzten Teil über die historische Weltanschauung die Voraussetzungen enthält, welche die Bedeutung dieser Wendung ganz verständlich machen. Unzufrieden bin ich mit dem Abschnitt: Naturrecht: für den mir hier das Material fehlte. Ich bitte einzufügen was Sie zur Completierung erforderlich finden. Wo das Manuscript aufhört ist nun der Absatz Seite 422, 423 zu ergänzen aus den Manuscripten über die Akademien, die ich Ihnen mitgab. Dazu tritt der Absatz 420: „so weit wir“ bis 421: „Akademien stehen“. Einzufügen ist in diesen Abschnitt ferner: I die Stelle bei Voltaire[:] Zeit­a lter Ludwig XIV[.] über die Funktionen der Akademien im 17. Jahrhundert[,] II Die Notwendigkeit gegen die theologischen Verfolgungen einen Schutz durch Zusammenschluß u. die Unterstützung der Höfe zu finden. Wo nun der Übergang zu den Akademieplänen von Becher2 etc. in Deutschland kommt finde ich richtig, das Erforderliche über die historische Position von Leibniz zu sagen, damit dieser nicht abrupt auftritt. Hierfür das Ihnen diktierte 4a[,] das ich mitsende[,] über das Eindringen der neuen Philosophie von Süden u. Westen, die Kultur der Reformierten[.] Dabei schließlich dann das Reformierte Hohenzoller’sche Haus. Dann folgt Überschrift: Leibniz u. die Gründung der Akademie. 1. Leibniz etc. Dieser Abschnitt reicht bis 437. Dann folgt: So im Zeitalter u. die ersten Schicksale seiner Stiftung S. 437: Die Akademie vor etc. Die beiden Nummern bis 444 schließen mit: am 31. Mai 1740 starb Friedrich Wilhelm I. Es war für die Akademie die Erlösung aus langer Knechtschaft (Es endet[:] Subjekten fällt weg.) Dann kommt 3. ein kurzer Abschnitt über das Zeitalter von Leibniz, den ich ebenfalls bald sende. Ich bitte nun sobald Sie das Manuscript completiert haben, es freundlich der Verlagshandlung zu übergeben, damit der Druck beginnen kann. Sie haben ja das corrigierte Exemplar des Juniheftes.

Dilthey an Hans Vaihinger 

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Mögen diese Zeilen Sie wohl u. heiter antreffen. Wir haben hier erst kaltes Wetter gehabt[,] jetzt aber ist es endlich sehr schön u. wir beginnen uns zu erholen. Viele herzl[iche] Grüße, auch von der Sekretärin u. lassen Sie möglichst umgehend hierher ein Wörtchen vernehmen. Treu gesinnt der Ihrige Wilh. Dilthey. Original: Hs.; Diktat D.s von der Hand Katharina D.s; ABBAW, NL Ritter, A: Paul Ritter, I. 1. Bd. IV, unpaginiert. 1 Vgl. D.: Leibniz und sein Zeitalter, in: GS III, S. 1–80. 2 Der Universalgelehrte, Mediziner, Ökonom und Wirtschaftspädagoge Johann J­ oachim Becher (1635–1682).

[1235] Dilthey an Hans Vaihinger Nehmen Sie meinen ergebensten Dank, verehrter Herr College, für die fr[eun]d[liche] Übersendung Ihrer Schrift über Nietzsche.1 Eben zurückgekehrt, habe ich nur einen Blick in dieselbe werfen können, hoffe aber bald die Lektüre derselben mir gestatten zu können. Mit herzlichen Grüssen der Ihrige Wilhelm Dilthey Berlin, 3. V. 1902. Original: Hs.; Diktat D.s von der Hand Clara D.s mit eigenhändiger Unterschrift D.s; UB Bremen, HA , Autogr. XXI, 6: h, Nr. 14. 1 H. Vaihinger: Nietzsche als Philosoph. Berlin 1902.

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Dilthey an Cosima Wagner 

[1236] Dilthey an Cosima Wagner Gnädigste Frau, Mit Freuden würde ich bereit sein, was im Interesse des Verständnisses des großen Lebenswerkes von Richard Wagner geschehen kann zu fördern. In Rücksicht auf den Nobelpreis habe ich mich leider durch einen Antrag gebunden welchen ich gemeinsam mit Erich Schmidt1 u. einer ganzen Anzahl von Vertretern der hiesigen Akademie für die Ertheilung desselben an Herrn Mommsen gestellt habe dem es eine letzte große Lebensfreude sein würde das Schicksal seiner Familie durch die Ertheilung dieses von ihm so sehr verdienten Preises gesichert zu sehen und für den die Zuertheilung dieses Preises ein Akt der Gerechtigkeit für die von ihm gethane so wichtige Arbeit sein würde.2 Was ich irgend werde im weiteren Verlauf der Zeit thun können, Herrn Glasenapp3 zu fördern, wird, wie Sie denken können, gern von mir geschehen. In der größten Verehrung der Ihrige Wilhelm Dilthey Berlin d[en] 20[.] Mai [19]02 Original: Hs.; Richard-Wagner-Museum Bayreuth, Sign.: Hs 75/II –61. 1 Der Berliner Literaturwissenschaftler Erich Schmidt (1853–1913). 2 Theodor Mommsen wurde 1902 für sein Hauptwerk Römische Geschichte der Nobelpreis für Literatur verliehen. 3 Carl Friedrich Glasenapp (1847–1915): Studium der klass. Philologie und Kunst­ geschichte; 1873 Gymnasiallehrer, 1898 Dozent am Polytechnikum in Riga; seit 1877 intensive Beschäftigung mit Biographie und Werk R. Wagners. – Glasenapp wurde 1903 für den Nobelpreis nominiert.

[1237] Dilthey an Graf Heinrich Yorck von Wartenburg 28. Mai 1902 Die Goethephotographien sind sehr interessant: Sie sind schönes Zeugniss für seinen außerordent­lichen Sinn für die Form jeder Erscheinung, zumal das Morphologische der Landschaft. … [Briefschluss fehlt.]

Dilthey an Rudolf Otto 

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Original: nicht überliefert; eine handschriftliche Abschrift des Briefauszuges von der Hand S. von der Schulenburgs ist hinterlegt in: ABBAW, NL Ritter, B.: Sigrid Ritter, geb. von der Schulenburg, III, Nr. 29.

[1238] Dilthey an Rudolf Otto Sehr verehrter Herr Kollege, einen bestimmten Rath Ihnen zu erteilen, wäre ich nicht im Stande.1 Meine eigene Arbeit an Schleier­macher ist soweit fortgeschritten, dass nach Abschluss einer anderen Schrift im Herbst, wenn meine Gesundheit standhält, der Druck im Laufe des Winters beginnen wird. Und zwar wird eine zweite Auflage des längst vergriffenen ersten Bandes zugleich mit dem 2. erscheinen.2 Um diese Bände, die für ein grösseres Publikum berechnet blieben, möglichst von der Darstellung gelehrter Details und abstrakter Systematik zu entlasten, habe ich eine Darstellung seines Systems verfasst, welche nur noch der Durchsicht und des Schlusskapitels bedarf, und nur für das gelehrte Publikum bestimmt ist. Auch Dürer3 wird dann so­gleich gedruckt werden. Dies ist die Sachlage. Ob es nun aber für Sie rätlich ist, die kürzere Darstellung, welche Sie beabsichtigen, vor dem Erscheinen mei­nes Buches auszuarbeiten, darüber wage ich wirk­lich kein Urteil. Dagegen möchte sprechen, dass meine Darstellung aus jahrelanger archivalischer Beschäftigung und aus dem sehr umfassenden vorhan­denen Nachlass bearbeitet ist, sodass in ihr doch erst die Grundlage für künftige Darstellungen ent­halten sein wird. Doch spricht andrerseits dafür, Ihr Interesse an dem Gegenstande und Ihre fortge­setzte Beschäftigung, aus der gewiss für Sie eigene Gesichtspunkte hervorgegangen sind. Da müssen Sie denn selber entscheiden. Haben Sie für das Vertrauen Dank, dass Sie mir entgegen bringen.

In grösster Hochachtung der Ihrige Wilhelm Dilthey

Berlin, d[en] 5. Juni [19]02. Original: Hs.; Diktat D.s von der Hand Clara D.s mit eigenhändiger Unterschrift D.s; UB Marburg, Sign. 797/755.

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Wilhelm Windelband an Dilthey 

1 Der diesem Antwortschreiben offenbar vorausgegangene Brief R. Ottos an D. ist nicht überliefert. 2 D. arbeitete weiterhin intensiv am Zweiten Band des Leben Schleiermachers. In der Sitzung der philos.-histor. Klasse der Königl. Preuß. AdW zu Berlin vom 30. Januar 1902 hatte er einen Vortrag gehalten „Über die Aesthetik Schleiermacher’s in ihrem Verhältnis zu den Kunstlehren der Vorgänger und der Zeitgenossen. Er entwickelte, wie die Aesthetik Schelling’s auf Goethe’s Auffassung der Kunst beruht, wogegen Schleiermacher neben Solger [Karl Wilhelm Ferdinand Solger (1780–1819): Philologe und Philosoph; 1808 Promotion in Berlin, 1809 Prof. in Frankfurt / Oder, 1811 o. Prof. in Berlin] Vertreter der romantischen Aesthetik ist.“ (Sitzungsberichte der Königl. Preuß. AdW zu Berlin. Berlin 1902, S. 75). – Der Vortrag blieb unveröffentlicht; vgl. GS XIV, S. 421–448. – Weder eine 2. Auflage des ersten Bandes vom Leben Schleiermachers wurde zu D.s Lebzeiten gedruckt noch wurde der zweite Schleiermacher-Band von ihm fertiggestellt. 3 Eine Abhandlung D.s über Albrecht Dürer ist nicht nachweisbar.

[1239] Wilhelm Windelband an Dilthey Straßburg, d[en] 16. 7. [19]02 Hochverehrter Herr College, besten Dank für die freundliche Zusendung der Revision für die „Vorrede“:1 ich schicke sie hierbei mit einigen unvorgreiflichen for­malen Ände­ rungsvorschlägen mit roter Tinte zurück. Es ist sehr erfreulich daß die Sache so weit gediehen ist; und ich beglückwünsche Sie dazu. Mich selbst bangt einigermaßen vor der Ausgabe der „Urteils­k raft“.2 Es ist eigentlich so garnicht meine Art und Arbeit. Ich bin viel zu wenig Philo­loge. Nun hagelt es ja auch noch neue Ausgaben. Ich denke es wird doch nichts dagegen einzuwen­den sein, wenn ich mir das Technische, Varianten­verzeichnisse etc. von irgend einem jüngeren, solcher Technik Gewachsenen machen lasse und dann das Ganze von mir aus durch- und überarbeite. Wann meinen Sie denn, daß man an eines der spä­teren Werke, wie die „Urteilskraft“ wird ge­hen können? Die Briefe sind ja nun da,3 sie bringen für meine specielle Aufgabe nicht viel, aber die Vorlesungen und der Nachlaß sollten doch wohl in Betracht gezogen werden: wenigstens hat schon Schlapp’s Arbeit4 gezeigt, wie starkes Licht sie darauf werfen. Wenn die Akademie Conferenzen veranstalten will, bin ich natürlich gern bereit, sofern sie nicht gar zu störend in die Vorlesungszeit fallen. Die Entscheidung wegen Tübingen ist mir sehr schwer geworden;5 es waren lauter incommensurable Größen zu balancieren. Neben Sigwart, mit dem

Wilhelm Windelband an Dilthey 

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mich lange Freundschaft verbindet, eine sehr ausgebreitete Wirksamkeit zu haben, war schon verlockend genug – die Anerbietungen von Stuttgart glänzend –, aber eine Notwendigkeit, viel zu lesen und nicht ohne Abhängigkeit vom Studienplan des „Stifts“.6 Mir aber liegt, seit ich das „docendo discimus“7 genügend genossen, mehr an der Concentration auf die Arbeiten, die meiner harren. Hier andrerseits viel Un­bequemes, ruhige Arbeit Störendes, Heterogenes: und doch ein Gefühl der Pflicht, nicht unnötig zu versagen, wo man 10 Jahre tätig und zweimal Rector war;  – dagegen wieder das Bedenkliche, eine Ablehnung in meinen Jahren könne den Ein­druck erwecken, als wollte ich mich für stabil erklären – was mir sehr fern liegt. Es war eine Entscheidung von denen, wobei man sicher darauf rechnen kann, daß Tage kommen werden, an denen man sie, wie sie auch ausgefallen sein möge, einmal bereut. Und manchmal kommen schon jetzt solche Stunden: jedesmal, wenn man wieder irgendwie zu merken hat, wie schwankend und unsicher die hiesigen Zustände sind. – Für die Ferien haben wir vor, etwa vom 10. August bis in die ersten Septembertage in die französische Schweiz zu gehen, vielleicht in die Nähe von Chamonix. Führt nicht Sie ein­mal Ihr Weg in unsre Nähe? Es wäre schön, sich wiederzusehen. Mit bestem Gruß und allen guten Wünschen für die Ferien getreulich der Ihrige Windelband Original: Hs.; StUB Göttingen, HA , cod. ms. W. Dilthey 45, Autographenmappe Clara Misch, Nr. 38. 1 D.: Vorrede zur Kant-Akademie-Ausgabe vom Juli 1902, in: Kant’s Gesammelte Schriften. Hg. von der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften. Erste Abtheilung: Werke. I. Bd. Vorkritische Schriften I: 1747–1756. Berlin 1902, S. V–XV. 2 W. Windelband war damals als Herausgeber im Rahmen der 1. Abteilung der KantAkad.-Ausg. vorgesehen. 3 Den Briefwechsel Kants gab als 2. Abteilung der Akad.-Ausg. R. Reicke heraus. Bd. I und II erschienen 1900, Bd. III 1902. 4 Otto Schlapp (1859–1939): Philosoph und Germanist; 1881 Promotion in Straßburg, 1887 Deutschlehrer in Edinburgh / Schottland, 1894 Lektor an der Universität ebd., ­1926–1929 Prof. für deutsche Sprache ebd. – Ders.: Kants Lehre vom Genie und die Entstehung der ‚Kritik der Urteilskraft‘. Göttingen 1901. 5 Vermutlich hatte Windelband einen Ruf nach Tübingen erhalten, doch er blieb in Straßburg, wo er seit 1882 als o. Prof. lehrte; 1903 ging er als Nachfolger seines Lehrers Kuno Fischer nach Heidelberg.

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Dilthey an Paul Ritter 

6 Ev.-theol. Studienhaus, das 1536 in Tübingen gegründet wurde und eine Vielzahl bedeutender Philosophen, Theologen und Literaten beherbergte, wie z. B. Hölderlin, Hegel und Schelling. 7 Wahrscheinlich auf L. Annaeus Seneca zurückgehend (Briefe an Lucilius. 1. Buch: Brief 7, Abs. 8: „Homines dum docent discunt.“): Man lernt durch Lehren.

[1240] Dilthey an Paul Ritter 11. Sept[ember] [1902] Dorf Kreuth.

Lieber Freund,

ich erhole mich sehr langsam, aber es geht doch vorwärts. Bisher[?] waren wir beim Grafen York hier zu Gast; da ist dann auch mehr gesprochen als gelesen worden. Inzwischen habe ich Hegels Briefwechsel1 gelesen, und ich bin durch denselben von Neuem auf Niethammers Schulreform in Baiern […] aufmerksam geworden.2 Es ist das durchaus eine wichtige Etappe zur preuß[ischen] Reform. Für Schule das Griech[isch] im Gymnas[ium] u daneben der Realweg als selbständig. Für das ganze Werk in dem neuen Staat, und den Kampf zwischen Ultramont[anismus] u Aufklärung das Fremde, das da von Anfang an besteht, ist der erste Band des Hegelschen Briefwechsels höchst instruktiv. Auch Reichlin-Meldegg, Leben v[on] Paulus3 muß viel enthalten. Auch hier interessant wie 1815 alle diese Staaten von dem ungeheuren Reformstreben erfaßt. Es würde mich freuen wenn ich ein Wörtchen von Ihnen vernehme. Doch werde ich erst auf e[iner] Karte Ihnen Nachricht senden wo wir weiteren Aufenthalt nehmen. Viele herz[iche] Grüße auch v[on] m[einer] Frau. Getreulich Ihr W. Dilthey Original: Hs.; ABBAW, NL Ritter, A: Paul Ritter, I. 1. Bd. IV, Nr. 173. 1 Briefe von und an Hegel. Hg. von K. Hegel. Erster Theil. Leipzig 1887 (= Georg Wilhelm Friedrich Hegel’s Werke. Vollständige Ausgabe durch einen Verein von Freunden des Verewigten. Berlin 1832–1845, Bd. 19).

Dilthey an Paul Ritter 

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2 Friedrich Immanuel Niethammer (1766–1848): Philosoph, Theologe und Pädagoge; 1784 Stipendiat im „Tübinger Stift“, 1794 a. o. Prof. für ev. Theologie in Würzburg, 1806 protest. Oberschulkommisar von Franken, 1807 bayer. Zentralschulrat.  – Niethammer setzte eine Gymnasialreform durch, die sich am Ciceronischen Begriff der humanitas orientierte und sich gegen die von der Aufklärung geprägte Pädagogik richtete. 3 Heinrich Eberhard Gottlob Paulus und seine Zeit, nach dessen literarischem Nachlasse, bisher ungedrucktem Briefwechsel und mündlichen Mittheilungen dargestellt von Karl Alexander Freiherr von Reichlin-Meldegg. 2 Bde. Stuttgart 1853.  – K. A. Frh. von Reichlin-Meldegg (1801–1877): Philosoph und Theologe; 1822 Priesterweihe, 1823 Promotion in Freiburg, 1825 Dozent für Kirchengeschichte ebd., 1828 a. o., 1840 o. Prof. in Freiburg, 1839 a. o., 1840 o. Prof. der Philosophie in Heidelberg.

[1241] Dilthey an Paul Ritter Mein lieber Freund,

Maderno 5 Oct[ober] [1902]

eben vor ein paar Tagen Kunst u Historie in Brescia u Bergamo hierher nach Maderno zurückgekehrt1 erhalte ich Ihren Brief vom 2ten u beantworte sofort die eiligste Frage über die Honorirung.2 Die Akademie hat die Art der Bezahlung nach dem Stundensatz vorge­ schrieben, und so ist unbedingt wichtig, an diese sich zu halten. Die 1500 Mark für die Arbeit, deren mechanischer Charakter Sie zum Opfer macht, ist auch nicht übermäßig. Jedenfalls 1200 Mark angemessen. Ich schlage Ihnen also vor, die genaue Stundenrechnung vorzulegen, mit dem Ergebniß 1500. Dann würde ich zufügen daß ein bestimmter Theil dieser Stunden nicht direkt für die formale Erledigung des Verzeichnißes sondern für die weiteren Aufgaben als Vorarbeit verwendet seien: dies brauchen Sie nicht zu specificiren und können es nicht. Sie würden also anheimstellen etwa 300 Mark in dieser Rücksicht nach Ihrem Überschlag abzuziehen. Was von Nachträgen in Hannover etc erforderlich wird, scheint mir eine besondere Bezahlung zu erheischen, da es spätere Arbeit ist die also neuerer späterer Verrechnung anheimfällt. So rathe ich unbedingt, da die Akademie diese Bezahlungsart einmal beschlossen hat. Es wird lieber gezahlt als neu berathen und beschlossen. Und Sie bleiben mit Dr Kabitz in ungefähr gleicher Linie, was für Sie beide das Richtige ist. Wenn Dr. K[abitz] größere Massen erzielt hat, so sind Sie jedenfalls in der Durcharbeitung Ihres Materials weiter gediehen.3 Ob Sie die Zeit für das Pro Memoria4 ebenfalls schon berechnen sollen ist mir zweifelhaft. Es ist doch eine von der anderen getrennte Arbeit, welche mehr mit dem Zukünftigen

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Dilthey an Wilhelm Ermann 

zusammenhängt. Andrerseits ist es die Zusammenstellung des in der ersten bewahrten. Die Sonderung für die beiden Classen im Anschreiben finde ich so richtig. Zum Zweiten: d[ie] Akademie vereinigt diese Arbeit die den größten der deutschen Philosophen neben Kant betrifft. Es sei im Interesse nicht nur der europäischen Bekanntschaft sondern auch der Ehre des deutschen Namens daß die von den Deutschen zu leistende Arbeit, die einen ächt deutschen Denker u Forscher angehn, möglichst vollständig u exakt geleistet werde. Im Vertrauen auf das Interesse des p p.5 hierfür werde die Berl[iner] Ak[ademie] sich an ihn etc. Ich eile diesen Brief zur Post zu bringen und hoffe nur daß er Ihnen auch nützt. Alles Andre aus Ihrem lieben Brief nächster Tage zur Beantwortung.

In treuer Gesinnung Ihr W. Dilthey

Original: Hs.; ABBAW, NL Ritter, A: Paul Ritter, I. 1, Bd. IV, Nr. 176. 1 Brescia und Bergamo sind Städte in der Lombardei / Norditalien.  – Toscolano Maderno liegt am Gardasee. 2 Nicht überliefert. 3 P. Ritter und W. Kabitz waren im Rahmen der geplanten deutsch-franz. histor.-krit. Leibniz-Ausg. von der Königl. Preuß. Berliner AdW mit der Auffindung Leibnizscher Handschriften und deren Katalogisierung beauftragt. – P. Ritter war von 1901–1910 als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter für die Leibniz-Ausgabe der AdW zu Berlin tätig. 4 Denkschrift. 5 Und so weiter.

[1242] Dilthey an Wilhelm Ermann Berlin, d[en] 24. Oktober 1902. Hochgeehrter Herr Generaldirector! Ew. Hochwohlgeboren werden entschuldigen, wenn ich im Interesse des von mir geleiteten Unternehmens der Kantausgabe, Sie in einer Angelegenheit bemühe, die Sie schon einmal beschäftigte. Herr Prof. Adickes schreibt mir,1 dass seine Bitte um Übersen­dung der Kantmanuscripte von der Königlichen Bibliothek abschläglich beschieden worden ist, da lose Blät­ter nicht mehr

Dilthey an Ernst von Wildenbruch 

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nach ausserhalb versandt würden. So sehr ich nun die Gründe, welche zu dieser Entschei­dung geführt haben, zu würdigen vermag, so bitte ich doch Ew. Hochwohlgeboren sich zu einer Ausnahme entschließen zu wollen, wenn ich Ihnen die besondere Natur des Falles darlegen darf. Es gilt, die einzenen losen Blätter chronologisch durch die Vergleichung der Handschrift in den ver­ schiedenen Jahren zu bestimmen. Herrn Prof. Adickes sind von verschiedenen Bibliotheken und Privatpersonen Manuscripte (Briefe mit sicheren Daten) zur Verfügung gestellt worden und er sucht nun durch eine Vergleichung der Handschrift in den verschiedenen Manuscripten das Material im bezeich­neten Sinne zu ordnen. Es ist deutlich, dass eine solche Vergleichung nur an den Originalen stattfin­den kann. Eine Vereinigung und Benutzung des ganzen Materials in Berlin ist unmöglich und so bleibt nur die Möglichkeit einer Übersendung der Manuscripte an die Universitätsbibliothek zu Münster.2 Um diese Übersendung ersuche ich aus den ange­führten Gründen und in Erinnerung an das von Ew. Hochwohlgeboren unserer Ausgabe bisher bewiesene freundliche Interesse.

Mit vorzüglicher Hochachtung Wilhelm Dilthey

Original: Hs.; Diktat D.s von der Hand P. Menzers mit eigenhändiger Unterschrift D.s; StB PK Berlin, HA , Sammlung Darmstädter, 2 a 1870 (8): Dilthey, Bl. 55–56. 1 Nicht überliefert. 2 E. Adickes, Hg. des handschriftlichen Nachlasses Kants im Rahmen der Akad.-Ausg., lehrte seit 1902 als o. Prof. in Münster / Westfalen.

[1243] Dilthey an Ernst von Wildenbruch Lieber Freund,

Sonntag, 8. Nov[ember] [19]02

In ihre selbstgewählte Stille möchte ich Ihnen wenigstens diese Zeile herz­ lichen Wunsches senden, die verschobene Aufführung1 möge ganz nach Ihrem Wunsche, glücklich u. erfolgreich verlaufen. Nachdem ich vorigen Winter sehr leidend war[,] bin ich [im] Herbst nicht ungefährlich krank gewesen, eine große Müdigkeit blieb. Für die wenigen

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Dilthey an Theodor Mommsen 

Jahre die noch übrig sind möchte ich um so mehr in treuer Gesinnung mit den Weggenossen verbunden bleiben. Treulichst Ihr W. Dilthey Original: Hs.; GSA Weimar, 94/169, 11, Bl. 5–6. 1 E. von Wildenbruchs Schauspiel Königin Laurin wurde am 11. November 1902 im Königl. Schauspielhaus Berlin mit großem Beifall uraufgeführt.

[1244] Dilthey an Theodor Mommsen Hochverehrter Herr College, Eben überraschen uns Graf Heinrich Yorck und seine Frau (die Sie als abstammend von Goetz von Berlichingen und ein Typus des dortigen Adels gewiß sehr erfreuen würde).1 Sie wollen Freitag den 28sten um 6 Uhr bei uns essen, es wird nur der Maler Lepsius mit seiner Frau2 noch da sein. Ich weiß nun welche unendliche Freude es Yorcks machen würde, wenn sie mit Ihnen zusammen sein würden. Wollen Sie mit Ihrer verehrten Frau Gemahlin3 an diesem kleinen einfachen Mittagessen theilnehmen? Falls Ihre Frau Gemahlin es sich nicht zumuthen darf, begleitet Sie vielleicht eine Ihrer Töchter. Wie lange haben wir Fräulein Hulda nicht gesehen!4

In treuester Verehrung der Ihrige Wilhelm Dilthey

26ter Nov[ember] 1902 Original: Hs.; StB PK Berlin, HA , NL Theodor Mommsen, K. 23, Bl. 20–21 1 Graf Heinrich Yorck von Wartenburg war seit dem 3. Oktober 1896 verheiratet mit Sophie von Berlichingen (1872–1945), Nachfahrin des fränkischen Reichsritters Götz von Berlichingen (ca. 1480–1562). 2 Die Malerin Sabine Lepsius, geb. Graef (1864–1942). 3 Der Historiker Theodor Mommsen (1817–1903) war seit 1854 mit Maria Auguste, geb. Reimer (1832–1907) verheiratet.

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Dilthey an Rudolf Eucken 

4 Th. Mommsen und seine Ehefrau Marie Auguste hatten sechzehn Kinder, neun Jungen und sieben Mädchen.  – Vermutlich meint D. Mommsens Tochter Hildegard (1866 –1951).

[1245] Dilthey an Rudolf Eucken

Berlin, 1. Dezember 19021 L[ieber] Fr[eund],

herzlichen Dank. Sie haben das sehr schön gemacht.2 Tr[endelenburg]3 war ein ganzer Mann u. eine universalische Forschernatur, in dem Milieu des damal[igen] preuß[ischen] Staats in welchem Moderantismus,4 Vermittelung, allen Gegensätzen gegenüber die tiefere Entelechie alles durchdrang. Sie haben ihn ganz zur Ansch[auun]g gebracht.

H[er]zl[iche] Grüße der Frau Professorin.5 Treulichst Ihr Dilthey

Original: Hs.; Postkarte; ThUL Jena, HA , Abt. Hs und Ss, Nr. 10. 1 Datierung nach Poststempel. – D. schreibt: „1 Nov[ember]“. 2 R. Eucken: Zur Erinnerung an Adolf Trendelenburg (Geb. 30. November 1802), in: DRS 113 (Oktober–Dezember 1902), S. 448–458. 3 Friedrich Adolf Trendelenburg (1802–1872) war D.s und R. Euckens akad. Lehrer. 4 Gemäßigte Gesinnung. 5 R. Eucken war seit 1882 mit Irene, geb. Passow (1863–1941) verheiratet.

[1246] Dilthey an Hans von Wolzogen1 Hochgeehrter Herr von Wolzogen,

d[en] 11 Dec[ember] [19]02

Nachdem wir mit unsrem Ersuchen wegen Ertheilung des Nobel[-]Preises so freundliches Gehör dort gefunden, obwol ja derselbe eigentlich für große Leistungen in der Literatur in dieser Branche [vergeben wird,] trage ich, wie Sie

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Ernst Jaffé an Dilthey

begreifen, Bedenken nunmehr einen weiteren Antrag zu unterzeichnen der noch mehr außerhalb des Umkreises der Bestimmungen für diesen Preis liegt. Denn das vortreffliche Werk um das es sich handelt kann als eine künstlerische Leistung nicht angesehen werden, welche als solche in der biogr[aphischen] Literatur eine eminente Stellung einnähme. Vor Allem: es ist unvollendet; und die Unterstützung und Förderung werdender Leistungen liegt außerhalb der Region dieses Preises. Aber wie ich schon mich äußerte: es muss ein Weg sich finden lassen, dem Verfasser der Wagnerbiographie2 die Vollendung seiner wichtigen Arbeit zu ermöglichen, u. ich bin zu jeder Beihilfe hierzu bereit.

Ganz ergebenst Wilhelm Dilthey

Original: Hs.; Richard-Wagner-Museum Bayreuth, Sign.: Hs 75/II –62. 1 Hans von Wolzogen (1848–1938): Redakteur, Biograph und Werkinterpret R. Wagners; seit 1877 Redakteur der Bayreuther Blätter; Anhänger Wagners. 2 C. F. Glasenapp: Das Leben Richard Wagners. In 6 Büchern. Leipzig 1894–1911.

[1247] Ernst Jaffé1 an Dilthey Sehr geehrter Herr Geheimrat,

Berlin, d[en] 13. 12. [19]02.

Auf Ihren gütigen Vorschlag, am Donnerstag, d[en] 18. Dec[ember], von 4–6 Uhr Nachmittags lesen zu wollen bezugnehmend, erlaube ich mir, Sie gehorsamst darauf aufmerksam zu machen, daß in dieser Zeit Herr Prof. Wölfflin liest. Da nun viele Schüler des genannten Herrn, zu denen zu gehören auch der ergebenst unterzeichnete die Ehre hat, Ihr Colleg „Geschichte der Philosophie“ hören, so geraten diese in ein unangenehmes Dilemma. Es wird sich ja schwerlich ein Nachmittagskolleg extemporieren lassen, gegen das aus der großen Zahl Ihrer Hörer, hochverehrter Herr Geheimrat, niemand seinen Einwand erheben würde. Hier handelt es sich aber um eine ganze Kategorie – ich bitte um Verzeihung, wenn ich dieses Wort anwende –, und daher wäre vielleicht doch eine Abänderung in Erwägung zu ziehen. Ich für meine Person würde es wenigstens aufs höchste bedauern, wenn ich gerade bei der in Aussicht gestellten gedrängten Darstellung zwei kostbare Stunden verlieren müßte.

Dilthey an Hermann Diels 

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Mit der Bitte, diese Belästigung verzeihen zu wollen empfehle ich mich Ihnen, hochverehrter Herr Geheimrat als Ihr Sie hochschätzender dankbarer Hörer Ernst Jaffé Stud. phil. (Hauptfach: Kunstgeschichte). Original: Hs.; ABBAW, Dilthey-NL , Fasz. 200, Bl. 120–120 R. 1 Der vor 1905 promovierte Kunsthistoriker und -wissenschaftler Ernst Jaffé war in den Jahren 1905–1907 neben dem Musikethnologen Curt Sachs (1881–1959) Herausgeber der in Berlin erschienenen Monatshefte der kulturwissenschaftlichen Literatur.

[1248] Dilthey an Hermann Diels Verehrtester Freund, Nachdem ich in der Darstellung der griech[ischen] Phil[osophie] in m[einer] Vorlesung auf allerhand gekommen bei mancher neuer Durcharbeitung: habe ich in der Ferienruhe ein großes Verlangen es an Ihrer nun bei der Ausgabe bevorstehenden vollständigen Sammlung und Anordnung1 zu erproben. Es hat zunächst keinen Zweck, stehe noch in dringenderem, aber das Verlangen ist nun einmal unwiderstehlich. Da nun noch Monate bis zu Ihrer Edition vergehen, frage ich an, ob Sie vielleicht von Ihrem Druck Correktur-Bogen mir auf ein paar Tage anvertrauen wollen. Es ist selbstverständlich daß ich Niemandem etwas davon mittheile. Ist es der Fall dann lasse ich auf einen Wink sie bei Ihnen abholen.

Mit besten Grüßen d[er] Ihre Wilhelm Dilthey

21. Dec[ember] [19]02. Original: Hs.; StB PK Berlin, HA , Sammlung Darmstädter, 2 a 1870 (8): Dilthey, Bl. 41–42. 1 H. Diels: Die Fragmente der Vorsokratiker. Griechisch und deutsch. Berlin 1903. – Diels hat das Buch „Wilhelm Dilthey zugeeignet“.

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Dilthey an Eduard Spranger 

[1249] Dilthey an Eduard Spranger1 B[erlin] d[en] 25. 12. [1902]

Geehrter Herr Spranger!

Wollen Sie morgen d[en] 26ten 5 Uhr in allerkleinstem Kreise bei uns essen? Da morgen die Post nicht bestellt, darf ich Sie um Antwort per Rohrpost 2 bitten?

Der Ihrige Prof. W. Dilthey

W[est] Burggrafenstr. 4II Original: Hs.; Postkarte; Diktat D.s von der Hand Katharina D.s; BA Koblenz, N 1182, AB 159. 1 Eduard Spranger (1882–1963): Philosoph, Pädagoge und Psychologe; führender Vertreter der geisteswissenschaftlichen Pädagogik; 1905 Promotion in Berlin (bei F. Paulsen und C. Stumpf), 1909 Habilitation ebd., 1911 a. o. Prof. für Philosophie und Pädagogik in Leipzig, 1919 o. Prof. in Berlin, 1946 in Tübingen. – E. Spranger studierte ab 1900 in Berlin mit dem Hauptfach Philosophie. – In seinem dritten Semester schlug D. ihm eine Arbeit zum Thema „Entwicklungsgeschichte Friedrich Heinrich Jacobis“ als Dissertation vor. Der Promotionsversuch schlug fehl. 2 Form des Transports von Briefen und anderen Gegenständen in Behältern mittels Druckluft in Röhren. Diese Versandart gab es seit der Mitte des 19. Jahrhunderts in Berlin wie auch in anderen deutschen Großstädten.

[1250] Dilthey an Gustav von Schmoller [1902]1 Lieber Freund, Wenn die Wahl frei ist für Gremium auch einen Kirchenhistoriker oder Theologen zu wählen, so kann ja dieselbe niemanden, der es mehr verdiente, als Harnack treffen. Nach Schleiermacher und dem großen Tübinger2 ist er nach m[einer] Überzeugung der größte Theologe und Kirchenhistoriker. Ich würde ihn auch höher als seinen Lehrer Ritschl einschätzen.

Dilthey an Ernst von Wildenbruch 

339

Was die Philologen betrifft traue ich mir kein Urtheil zu. Aber andre Nachbarfächer? Hat Wellhausen d[en] O[rden] p[our] l[e] m[érite]?3 Das wäre benachbart und nöthig. Herzl[iche] Grüße Ihr W. Dilthey Original: Hs.; StB PK Berlin, NL Gustav von Schmoller, Rep. 92, Nr. 194 b, Bl. 5–6. 1 Im Brieforiginal: nachträgliche Datierung von fremder Hand: „1902“. 2 Gemeint ist der Theologe Ferdinand Christian Baur, Begründer der „Tübinger Schule“. 3 A. von Harnack wurde im Jahre 1902 in den Orden Pour le Mérite aufgenommen, J. Wellhausen war seit 1901 Mitglied.

[1251] Dilthey an Ernst von Wildenbruch Montag d[en] 9ten [Februar 1903]1 Lieber Freund, Wir waren Sonnabend Nachmittag bei Ihnen, unsre Geburtstagswünsche Ihnen nachträglich auszusprechen. Mein Befinden ist der Art daß es uns den Tag vergessen ließ. So lassen Sie mich wenigstens schriftlich Ihnen meine treu gemeinten Wünsche für Ihr kommendes Lebensjahr wünschen. Möge aus der tiefen Zurückgezogenheit die Sie gewählt für uns Alle etwas Schönstes hervorgehen. Was mich betrifft, so entbehre ich gar sehr die abendlichen Plauderstunden mit Ihnen zu dreien oder vieren. Doch weiß ich nur zu gut daß Gesundheit und Lebenswerk harte Forderer sind.

In treuer Gesinnung Ihr Wilhelm Dilthey.

Original: Hs.; GSA Weimar, 94/169, 11. 1 Im Jahr 1903 war der 9. Februar ein Montag.

340

Willy Kabitz an Dilthey 

[1252] Willy Kabitz an Dilthey

Sehr verehrter Herr Geheimrat!

Hannover, Gretchenstrasse 16 III d[en] 16. II. 1903

Nicht als ob ich der Überzeugung wäre, Ihnen in der Anlage ein vollstän­diges Verzeichnis derjenigen Stellen in Fichtes Schriften vorzulegen, die für die von Ihnen bei unserem letzten Zusammensein in Berlin aufgestellten „Gesichtspunkte“ in Betracht kommen, sondern lediglich um den Fortschritt Ihrer Arbeit an Fichte wenigstens in etwas dienlich zu sein und Sie zugleich zu vergewissern, dass ich für Sie mit allem Ernste thätig bin, übersende ich Ihnen beifolgende Papiere.1 Ich habe von dem ersten Tage an, wo ich mein neues Heim bezog, daran gearbeitet, soviel mir bei dem Einleben in die neuen Geschäfte des Tages Zeit übrig blieb und soweit mir auf der hiesigen Bibliothek Bücher zur Verfügung standen. Meine eigenen Bücher und Manuscripte habe ich leider erst Ende der vorigen Woche erhalten. – Noch ein zweiter Grund bestimmt mich aber außerdem, Ihnen heute gerade zu schreiben. Ich habe heute Morgen Ihre Karte nachgesandt erhalten,2 auf der Sie zwei Fragen an mich richten: 1) „Kommt bei Fichte vor 1800 Reflexion vor in dem Sinne, dass sie das Leben trennt, in Unendliches und Endliches unterscheidet, die Beschränkung des Endlichen für sich betrachtet.“ 2) „Objectiv als Reich der Toten im Gegensatz zur lebendigen Auffassung?“ Ich glaube in Beantwortung dieser Fragen auf Fichtes „Rückerinnerungen, Antworten, Fragen“ (W. W. V, 337ff) verweisen zu müssen. Diese Schrift oder wenigstens der Teil, der gerade für uns in Betracht kommt, stammt aus dem Jahre 1799; es ist Abschnitt 5–8.3 Er wurde 1799 einem Briefe F[ichte]s an Reinhold und Jacobi als Beilage mitgegeben (s. Leben u[nd] Briefe. II, 171 Anm.)[.]4 In diesem Abschnitt stellt F[ichte] die Wissenschaftslehre als philosophische Speculation in Gegensatz zum Leben (vgl. dazu auch 2. Einleitung i[n] d[ie] W[issenschafts]l[ehre] I. 455 Anm.)[.] „Leben ist ganz eigentlich Nicht-Philo­ sophiren; Philosophiren ist ganz eigentlich Nicht-Leben.“ In dieser Entgegensetzung wird (an dieser Stelle, IV, 343) in dem „Leben“ auch das „gemeine, reelle Denken“, die Wissenschaft (im Gegensatze zur Wissenschaftslehre) miteinbegriffen und das Leben als die „Totalität des objectiven Vernunftwesens“ bezeichnet. Verstehe ich F[ichte] recht, so gilt ihm als eigentliches Leben aber jeder Bewusstseinszustand, in welchem für das Ich ein Nicht-Ich, ein Sein, eine Realität da ist (vgl. V, 342). Insofern nun die W[issenschafts]l[ehre] von diesem Sein absieht und nur dem Handeln des Ich zusieht, um es zu beschreiben

Willy Kabitz an Dilthey 

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und aus seinen Gründen abzuleiten, ist sie nicht dies Leben und Handeln selbst und hat auch keinen Einfluss auf dies Leben. Diesen allgemeinen Satz auf einen concreten Fall anwendend sagt Fichte: „Religionsphilosophie ist nicht Religion …: die Religion ist wirklich und kräftig, die Theorie ist tot an ihr selber.“ (V. 351) An anderen Stellen wird nun zwar das „reelle Denken“ nicht in dem „Leben“ miteinbegriffen, sondern neben ihm besonders aufgeführt (vgl. V, 339 „das gemeine Leben und die Wissenschaft (materialiter sic dicta)“), 340: „für das Leben und die (materielle) Wissenschaft“, ja in den späteren Abschnitten der Schrift (vgl. S. 351, 52) wird das „Leben“ als „System der Gefühle und des Begehrens“ geradezu wieder in Gegensatz zur Erkenntnis gebracht, die nur das Zusehen haben solle, – immer aber werden beide doch als Gegensätze gegen die Speculation gedacht. Somit: habe ich den Sinn Ihrer zweiten Frage richtig erfasst, so meine ich sie allerdings angesichts dieser „Rückerinnerungen“ bejahen zu müssen. Betreffs der ersten ist mir keine Stelle gegenwärtig, aus der sich ein solcher Standpunkt ableiten liesse. – 17/II [1903] Ich hätte Ihnen, besonders auch zu dem Obigen noch manches zu sagen. Aber da der Brief so wie so schon von gestern bis auf heute (Dienstag) Morgen liegen geblieben ist, so muss ich mir das, was ich noch auf dem Herzen habe, bis auf das nächste Mal aufsparen und Sie bitten, mit dieser Kleinigkeit vorlieb zu nehmen. Mit herzlichsten Grüssen u. besten Wünschen für den Fortschritt Ihrer Arbeiten in Verehrung Ihr ergebenster Willy Kabitz5 Original: Hs.; ABBAW, Dilthey-NL , Fasz. 51, Bl. 211–212 R und Beilage, Bl. 213–218. 1 Der D.- und Paulsen-Schüler W. Kabitz hatte 1901 seine Diss. über Studien zur Entwicklungsgeschichte der Fichteschen Wissenschaftslehre aus der Kantischen Philosophie. Mit bisher ungedruckten Stücken aus Fichtes Nachlass fertiggestellt, die in den Kant-Studien 6 (1901), S. 129–205 veröffentlicht wurde. 2 Im Brieforiginal folgt ein Sternchen: der unten auf dem Blatt von Kabitz ergänzte Text lautet: „Darf ich bei dieser Gelegenheit mir die Anfrage erlauben, ob meine Karte hier aus Hannover richtig in Ihre Hände gelangt ist? Ich hatte Ihnen darauf meine neue Adresse

342

Dilthey an Hermann Diels 

mitgeteilt. Die Ihrige ist aber nach meiner früheren Wohnung in Berlin adressiert.“ – Beide Karten sind nicht überliefert. 3 J. G. Fichte: Rückerinnerungen, Antworten, Fragen (ungedr., aus dem Anfange des Jahres 1799), in: Fichtes Werke. Hg. von I. H. Fichte. Bd. V: Zur Religionsphilosophie. ND Berlin 1971, S. 335–373, hier S. 339–343. 4 I. H. Fichte: Johann Gottlieb Fichte’s Leben und litterarischer Briefwechsel. 2 Bde. Sulzbach 1830–1831, 2. sehr verm. und verb. Aufl. Leipzig 1862. Bd. 2: Actenstücke und literarischer Briefwechsel, S. 181 ff. 5 Im Brieforiginal folgen 11 Blätter mit handschriftlichen Exzerpten Kabitz’ aus Schriften Fichtes.

[1253] Dilthey an Hermann Diels 26 Febr[uar] 1903 Kein schöneres Geschenk, lieber Freund, hätte mir zu meinem herannahenden siebzigsten Geburtstag zu Theil werden können als die Zueignung Ihres meisterlichen Werkes.1 Indem Sie mich öffentlich gewürdigt haben, meinen Namen mit Ihren großen Arbeiten für die Geschichte der alten Philosophie in Beziehung zu setzen, haben Sie mir die größte Ehre erwiesen die mir neben der Zueignung des mythologischen Werkes von Usener in meinem Leben zu Theil geworden ist. Mit stiller Bewunderung bin ich im Gang Ihrer Arbeiten und Ihrer ganzen umfassenden auf die höchsten Ziele gerichteten kraftvollen Wirksamkeit gefolgt und habe mich immer unserer Landsmannschaft und unsrer inneren Zugehörigkeit gefreut, wie sie durch die gemeinsame Liebe für die alte Philosophie und die gemeinsame Lebensbeziehung zu Usener und Zeller fest begründet ist. Möge dies schöne Lebensverhältnis in den Jahren die mir etwa noch beschieden sind, mich getreu und gedeih­lich begleiten. Daß diese große Freude mir gerade jetzt geworden ist, in einer Zeit in der das Stocken meiner Arbeiten während des Winters schwer auf mir lastet, dafür danke ich Ihnen noch ganz besonders. Sie wird mir neuen Lebensmuth geben. In treuester Gesinnung Ihr Wilhelm Dilthey Original: Hs.; StB PK Berlin, HA , Sammlung Darmstädter, 2 a 1870 (8): Dilthey, Bl. 43–44 R. 1 Der erste Band von H. Diels: Die Fragmente der Vorsokratiker. Griechisch und Deutsch. Berlin 1903, der D. zugeeignet ist, war gerade im Februar des Jahres erschienen.

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Dilthey an Paul Ritter 

[1254] Dilthey an Paul Ritter Mein lieber Freund,

Februar 19031

Besten Dank für Ihre Zeilen. Ihr Herr Nathe2 schrieb mir eine Zeile3 daß er auf den Besuch bei mir verzichte da derselbe gegenstandlos geworden. Ich schloß daraus schon was Sie geschrieben.4 Nun halten Sie den Kopf oben, und Ihre Zukunft wird sich auch schön gestalten. Selbstverständlich müssen Sie das was von dorther Ihnen zukam zurück­erstatten.5 Aber jetzt können Sie das nicht, auch nicht in den nächsten Jahren. Sie müssen Ihr Geld zusammenhalten um selbständig sich zu erhalten, sich zu habilitiren etc. Die Zeit wird schon kom­men wo die Rückerstattung möglich wird. Und man wird auch allmälig lernen die Dinge billig u. objektiv anzusehen.6 Es ist mir lieb daß Sie Herrn Dr. Kabitz mit seiner heiteren Zuversicht neben sich haben. Und gerade angestrengte Arbeit muß Sie heilen. Denn allem Leid gegenüber ist sie das einzige Heilmittel. Also gute Fortschritte in der Arbeit lieber Freund. In alter Treue Ihr Wilhelm Dilthey Original: Hs.; ABBAW, NL Ritter, A: Paul Ritter. I. 1. Bd. V, Bl. 3–4. 1 Im Brieforiginal: nachträgliche Datierung von der Hand P. Ritters. 2 Max Nath, geb. 1859: Gymnasiallehrer in Berlin, Hilfsarbeiter im preuß. Kultus­ ministerium, Mitarbeiter am Königl. Provinzial-Schulkollegium in Berlin; 1892 Promotion in Halle, 1903 Ernennung zum Prof. 3 Nicht überliefert. 4 Nicht überliefert. 5 Der Vorgang ist nicht mehr zu ermitteln. 6 Der 1898 promovierte P. Ritter hatte 1900 die Prüfung für das höhere Lehramt bestanden. Er trat jedoch nicht in den Schuldienst ein, da er bereits ab 1901 mit Vorarbeiten zur Leibniz-Akad.-Ausg. beauftragt wurde. Er gab die „Lehrerlaufbahn endgültig auf, als die Königl[iche] Akademie in ihm die geeignete Persönlichkeit für die Durchführung des gesamten Unternehmens zu erkennen glaubte. Infolgedessen hat Dr. Ritter seit dem 1. Februar 1903 gegen eine feste Monatsrenumeration dauernd und ausschließlich für die Königl[iche] Akademie gearbeitet und thatsächlich schon seit jenem Zeitpunkt die Ob­ liegenheiten eines wissenschaftlichen Beamten der Königl[ichen] Akademie wahrgenommen.“ (Original: Hs.; ABBAW, NL Ritter, A: Paul Ritter I. 1. Bd. II, Bl. 14).

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Dilthey an Paul Ritter 

[1255] Dilthey an Paul Ritter [Februar 1903]1 Mache aufmerksam auf Sulzer, Lebensbeschreibung von ihm selber aufgesetzt, von Merian herausgegeben.2 Zu Sulzer. Er ist der Repräsentant der Staatspädagogie im Gebiete der Kunst, welche die Biedermeier[-]Zeit repräsentirt. Die Kunst soll zunächst ergötzen, sie tritt aber dann in den Dienst der Vorbereitung des Lebens durch die Erhöhung der Gebrauchsgegenstände, aber ihr vornehmster Zweck ist, den Menschen über die Sinnlichkeit zu erheben, ihm das Erstrebenswerthe anziehend, das Verwerfliche als verabscheuenswerth durch die Mittel der Sinne erscheinen zu lassen. Eben durch die Emotionen, die sie hervorruft, soll sie moral-pädagogisch wirken. Sie erhöht das Wirken unsrer inneren Kraft. Sie ist auf Vollkommenheit gerichtet. Sie soll sie „wie selten die Philosophie dem Gemüth mit einer Kraft eindrücken, dergleichen die nackte Wahrheit niemals hat“. In der Zweckbestimmung der Malerei betont er unermüdlich die Vergegenwärtigung der ‚höhern unsichtbaren Welt‘ in der Expression[?]: wodurch dann versittlichende Wirkungen entstehen. Die Musik ensteht aus den Anregungen des Gemüthes und wirkt auf sie zurück: so setzt sie die Kräfte des Gemüthes in lebendige Bewegung und entwickelt ihren Reichthum: sie vermag sie zum Vollkommenen und Erhabenen hinzulenken. Hierin ist also enthalten daß in der Entwicklung dieser Künste und ihrer Leitung ein Interesse des erziehenden Staates liegt. Nun aber hebt er zugleich, im Sinn seiner schweizerischen Landsleute u. des Franzosen Dubos,3 von dem er bedingt war, hervor: das Vermögen des Künstlers ist etwas Angeborenes, es ist in seiner ethischen Organisation gegründet, in der Stärke und Freiheit seiner Sinne. […] B[e]ste Gr[ü]ße Dy Original: Hs.; ABBAW, NL Ritter, A: Paul Ritter. I. 1. Bd. V, unpaginiert. 1 Im Brieforiginal: nachträgliche Datierung von fremder Hand: „(1903)“. 2 Johann Georg Sulzer (1720–1779): schweiz. Theologe und Philosoph der Aufklärung; 1741 Vikar, 1747 Prof. der Mathematik am Joachimsthalschen Gymnasium in Berlin, 1750 Mitglied der Königl. Preuß. AdW zu Berlin, später Prof. der Philosophie an der neugegründeten Ritterakademie in Berlin. – Johann George Sulzer’s ehedem Professors zu Berlin und

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Dilthey an Kurd Laßwitz 

Mitgliedes der Königlichen Akademie der Wissenschaften Lebensbeschreibung von ihm selbst aufgesetzt. Mit Anmerkungen von J. B. Merian und F. Nikolai. Berlin / Stettin 1809. 3 Jean-Baptiste Dubos (1670–1742): Theologe und Ästhetiker. – Ders.: Réflexions critiques sur la poésie et sur la peinture. Paris 1709.

[1256] Dilthey an Kurd Laßwitz Berlin, d[en] 16. 3. 1903

Verehrter Freund!

Wir sind hier sehr unruhig keine Nachricht von Ihnen zu empfangen, auch Prof. Höfler1 teilte mit, dass eine solche ihm nicht zugegangen. Hoffentlich ist nicht Unwohlsein, sondern nur Arbeitslast hiervon der Grund. Nicht wahr, wenn Sie können, teilen Sie nur mit einem Worte Ihre Antwort auf die Anfragen des Herrn Dr. Menzer mit? Da ich in diesen Tagen verreise, schreiben Sie wohl an Herrn Dr. Menzer.

In treuer Gesinnung der Ihrige Wilhelm Dilthey

Original: Hs.; Diktat D.s von der Hand P. Menzers mit eigenhändiger Unterschrift D.s; FB Gotha, Chart. B 1962 a, 197 und 198 R. 1 Alois Höfler (1853–1922): österr. Philosoph und Pädagoge; 1876 Lehramtsprüfung, Gymnasiallehrer in Wien, 1886 Promotion in Graz, 1895 Habilitation in Wien, 1903 o. Prof. für Pädagogik in Prag, 1907 in Wien.

[1257] Dilthey an Herman Nohl L[ieber] Fr[eund]

Maderno Lago di Garda Italia. 6. 4. [19]031

Heute noch eine Zeile der ein Brief folgen soll heute abend. Ich fange jetzt erst an mich wohl zu fühlen u. wenigstens steigt die Neigung ein wenig zu arbei­ten.

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Ludwig Hermann von Schelling an Dilthey

Ich finde nun daß ich meinen Aufsatz aus der Zeitschrift für Völkerpsycho­ logie nöthig habe (objektive u. subjektive Dichter).2 Dagegen würden die Manuscripte keinen Nutzen zunächst haben u. hierher besteht Unsicherheit. Es fragt sich nun wie ich sie am sichersten erhalte. Es muß eingeschrieben gesandt werden, es kann aber als Drucksache gehn, wenn Sie es durch Leim oder Oblate fest machen, damit es nicht herausfallen kann. Es muß bei meinen Schriften stehen.



Viele Grüße v[on] Ihrem W. Dilthey

Original: Hs.; Postkarte; StUB Göttingen, cod. ms. H. Nohl, 94, Nr. 3. 1 Datierung nach Poststempel. 2 D.: Ueber die Einbildungskraft der Dichter, in: Zf V 10 (1878), S. 42–104; WA in: Ders.: Das Erlebnis und die Dichtung. Lessing, Goethe, Novalis, Hölderlin. Vier Aufsätze. Leipzig 1906 sowie in: GS Bd. XXV, bes. S. 113–172.

[1258] Ludwig Hermann von Schelling1 an Dilthey Mein hochverehrtester Herr!

Berlin 6 April [19]03

Ich habe Ihrem Wunsche gemäß unter den Briefschaften meines Vaters Nachsuchung gehalten, aber nur einen Brief Schleiermacher’s vom 14. Febr[uar] [18]33 gefunden. Ich beehre mich Ihnen denselben mit der Bitte um spätere Rückgabe anliegend zu überreichen. In den Brief eingewickelt befand sich ein leider nicht datirtes Concept der Antwort, welche im Wesentlichen dahin ging, daß die gewünschten Codices, sobald sie näher, namentlich auf ihre Katalog-Nummern bezeichnet sind, nach Berlin abgehen würden. Am Schluß tritt Schelling dem Wunsch auf ein Zusammentreffen mit dem Bemerken bei, daß es ihm zu diesem Zweck auf einige Tagesreisen nicht ankomme. Ich behalte das schwer leserliche Concept, da es im übrigen nichts interessantes enthält, einstweilen zurück. Ein weiterer Brief Schleiermacher’s ist nicht vorhanden, wie ich nach dem sorgfältig geführten Verzeichnisse der Briefe entnehme. Der interessante Brief Eichhorn’s nach dem Tode Schl[eiermacher]’s ist bereits abgedruckt (Schelling’s Leben in Briefen III, S. 79).2 Auch die demselben beigefügt gewesenen 2 Aufsätze werden Ihnen schon bekannt sein.

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Ernst von Wildenbruch an Dilthey 

Von und an Hegel ist nichts zu finden. Es scheint, daß die Spannung viel weiter zurückreicht, als man gemeiniglich annimmt. Ich bedauere, daß ich Ihnen, hochverehrtester Herr, keine reichere Ausbeute darzubieten im Stande bin, indem ich in größter Anhänglichkeit bin

Ihr ganz ergebenster v. Schelling3 N[ord-] W[est] Brücken Allee 5.

Original: Hs.; ABBAW, Dilthey-NL , Fasz. 116/1, Bl. 74–76. 1 Ludwig Hermann von Schelling (1824–1908): Jurist, preuß. Staatsminister; jüngster Sohn des Philosophen Friedrich Wilhelm Joseph Schelling (1775–1854); 1842 Promotion in München, 1844 Assessor, Staatsanwalt und Justizrat ebd., 1866 Justizrat ebd., 1875 Vizepräsident im preuß. Obertribunal, 1876 Unterstaatssekretär im preuß. Justizministerium, 1879 Staatssekretär des Reichsjustizamtes, 1889–1894 preuß. Justizminister. 2 Aus Schellings Leben. In Briefen. Bd. 3: 1821–1854. Leipzig 1870, S. 79–86: Eichhorn an Schelling, Berlin, 16. März 1834. – Johann Albrecht Friedrich Eichhorn (1779–1856): preuß. Staatsmann; 1840–1848 preuß. Kultusminister; Freund F. D. E. Schleiermachers. 3 Im Brieforiginal: Es folgt auf 3 Blättern der handschriftliche Brief Schleiermachers an F. W. J. Schelling vom 14. Februar 1833.

[1259] Ernst von Wildenbruch an Dilthey [12. April 1903]1 An Dilthey’s in Maderno Gegengruß am Osterso[n]ntag 1903 mit Ansichtskarte von Hohenzollernstrasse 14.2

Tief aus grünem Baumverstecke Grüßt Euch die vertraute Ecke Gute Stunden, gute Worte Ausgetauscht am lieben Orte, Alles was Erinnerung spendet Sei als Gruß Euch zugesendet. Ernst von Wildenbruch.

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Dilthey an Paul Ritter 

Original: Hs.; GSA Weimar, 94/169, 11.  1 Der Ostersonntag fiel im Jahr 1903 auf den 12. April. 2 Wohnort des Ehepaares von Wildenbruch in Berlin.

[1260] Dilthey an Paul Ritter 17⁄5 [19]031 Lieber Freund, spät komme ich dazu Ihren lieben Brief 2 und dessen Vorschläge zu beantworten. Ich bin mit denselben ganz einverstanden. Sie fühlen mit wie nothwendig es für mich ist zum Abschluß dieser langen Arbeit zu gelangen. Und aus dieser Sachlage heraus nehme ich auch dankbar an daß Sie zunächst Ihre eigene Arbeit zu­rückstellen, um das durch Ihre Beihilfe zu ermöglichen. Dabei fühle ich, nach meinem freundschaftlichen Interesse für Sie und Ihre Laufbahn sehr tief das große Opfer welches Sie mir damit bringen, und ich werde Ihnen stets dankbar dafür verschuldet bleiben. Der Termin Ihres Kommens ist dadurch zu­nächst bedingt wann Ihre Arbeit insbesondere in Bezug auf die Berliner Universität so weit gediehen ist. In der Pfingstwoche3 von Donnerstag oder Freitag vor Pfingsten bis Dienstag d[en] 9 Juni dachte ich nach Rheinsberg zu gehen dort ruhig zu arbeiten. Wenn Sie nur dann können, fragt sich ob wir in Rheinsberg die Fragen alle ohne den Manuskriptenschrank gut be­sprechen könnten: ich möchte zweifeln: günstiger wäre also Sie kämen vorher oder nachher. Ein anderes Moment liegt darin daß es sich vielleicht ohnehin einmal in diesen kommenden Wochen empfiehlt wenn Sie wegen des Leibniz u. seines Verlaufs einmal hier Rücksprache nehmen. Selbstverständlich aber ordne ich mich den Verhältnissen, die für Ihre Reise maßgebend sind, ganz unter u. kann auch in den Ferien es einrichten, wenn Sie zum Abschluß gediehen sind. Viel[e] herzliche Grüße (auch Herrn Dr. Kabitz) von

Ihrem getreuen Wilhelm Dilthey

Original: Hs.; ABBAW, NL Ritter, A: Paul Ritter, I. 1. Bd. V, Nr. 14.

E. Rudolf Meyer an Dilthey

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1 Im Brieforiginal: nachträgliche Datierung von der Hand P. Ritters mit dem Zusatz: „Ms. gleichzeitig fertig“. 2 Nicht überliefert. 3 Im Brieforiginal: darüber von der Hand P. Ritters: „Pfingsten 1903: 31. V.“ sowie „Dienstag 9. VI. = 1903“.

[1261] E. Rudolf Meyer1 an Dilthey Hochverehrter Herr Professor!

Niesky, den 17⁄5. [19]03

Für Ihre gütigen Zeilen2 sage ich Ihnen meinen herzlichsten Dank. Ich werde nicht verfehlen Ihnen meine Auskunft in Berlin rechtzeitig mitzuteilen. An direktem neuen Material habe ich benutzt 1) Charlottens3 Lebenslauf (durch den ein nicht nach Niesky datierter Brief Schleiermachers sicher nach Barby gewiesen wird)  2) Schl[eiermacher]s eigenhändigen Lebenslauf, am Ende des Pädagogiums geschrieben, 3) die Protokolle der Unitätsdirektion über seine Aufnahme in Niesky und seinen Abgang von Barby, 4) die Notizen des Nieskyer Diarium über seine Aufnahme in die Gremien, seine Konfirmation.4 5) Mannigfache Notizen über Brinckmanns5 Gang durch Pädagogium und Seminar. Die klassischen Grundlinien seiner Jugendentwicklung, die Sie gezogen haben, werden dadurch nicht verändert; höchstens stellenweise etwas näher oder um eine Kleinigkeit anders beleuchtet. Mein Ziel war auch weniger ihn in neuem Lichte zu zeigen – das ist unmöglich – als die brüderische Umwelt, in die er eintrat, namentlich Persönlichkeiten wie Hilmer, Baumeister, Moore,6 etwas eingehender zu zeichnen, als es der Plan Ihres Werkes forderte und gebot. Ferner bringe ich Ihnen eine Abschrift eines Schleiermacherschen Briefes von 1829 über den Tod seines Nathanael7 an den Berliner Prediger ­Stobwasser mit (aus Herrnhuter Archiv);8 er scheint mir ohne sonderliche Bedeutung. Verzeihen Sie gütigst, daß ich noch zwei Bitten erneuere, die ich in einem anscheinend verloren gegangenen Briefe an Sie, verehrter Herr Professor,9 ausgesprochen: mir gütigst mitzuteilen I[.] die Adresse der Besitzer des Okelyschentagebuches10 II[.] die Adresse der Besitzer des Brinckmannschen Nachlasses. Erstens hoffe ich, trotz der Sprödigkeit der Besitzer, die ich aus Ihrem Schreiben an Direktor Bause11 kenne, durch Vermittelung englischer Freunde doch vielleicht erhalten zu können.

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E. Rudolf Meyer an Dilthey

Aus Brinckmanns Nachlaß benutze ich gern die Tagebücher seiner Nieskyer und Barbyer Zeit (er war 7 Jahre in Niesky.) Ich weiß, daß er hier sehr eingehende Tagebücher geführt hat, aus denen er im Jahre 1803 in einem langen Brief an Zembsch12 Stellen zitiert. Mit der Bitte um gütigen Bescheid und herzlichen Dank im voraus zeichne ich als Ihr ganz ergebener Rud. Meyer Pädagogium – Niesky Original: Hs.; ABBAW, Dilthey-NL , Fasz. 96, Bl. 2–3 R. 1 E. Rudolf Meyer, Biograph Schleiermachers, veröffentlichte wenig später ein materialreiches Buch über den jungen Schleiermacher: Schleiermachers und C. G. von Brinkmanns Gang durch die Brüdergemeine. Leipzig 1905. 2 Nicht überliefert. 3 Charlotte Schleiermacher (1765–1831): Erzieherin; Schleiermachers unverheiratete, ältere Schwester. 4 Im Frühjahr 1783 trat Schleiermacher zur theologischen Ausbildung in das Pädagogium in Niesky / Kreis Görlitz in Sachen ein, eine 1742 als Kolonie der Herrnhuter Brüdergemeine gegründete höhere Internatsschule für Jungen.  – Im September 1785 wechselte Schleiermacher in das Seminar der Brüdergemeine in Barby / Sachsen-Anhalt. 5 Carl Gustav von Brinkmann (1764–1847): deutsch-schwed. Diplomat und Schriftsteller; 1782–1785 Besuch der Herrnhuter Brüdergemeine in Barby / Sachsen-Anhalt, wo er Schleiermacher kennenlernte, 1791 Tätigkeiten im schwed. Staatsdienst, 1798 schwed. Gesandter in Berlin, London etc. 6 Konsistorialrat Hilmer (1759–1797): Lehrer Schleiermachers in Niesky. – Christian August Baumeister (1741–1818): 1789–1792 theol. Lehrer in der Herrnhuter Brüder-Unität Barby, später dortiger Bischof. – Thomas Moore: Seelsorger und Chorhelfer in der Herrnhuter Brüdergemeine in Barby. 7 Der jüngste Sohn Schleiermachers und seiner Ehefrau Henriette von Willich ­(1788–1840). – Nathanael wurde 1820 geboren und starb 1829 an Scharlach. 8 Christian Heinrich Stobwasser war Prediger an der Brüdergemeine Berlin. 9 Nicht überliefert. 10 Der Engländer Okeley war ein Jugendfreund Schleiermachers in Niesky und Barby. 11 Nicht überliefert. 12 Theodor Christian Zembsch (1728–1806): Leiter des Pädagogiums in Niesky.

Dilthey an Ludwig Hermann von Schelling 

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[1262] Dilthey an Ludwig Hermann von Schelling Ew. Excellenz spreche ich meinen allergebensten Dank für die gütige Mühwaltung aus.1 Dieser Dank ist dadurch verspätet, daß ich jetzt erst von einer längeren Reise zurückgekehrt bin. Sobald ich den in seinem Schlußpassus höchst interessanten Brief werde verwertet haben, darf ich mir gestatten denselben Ew. Excellenz persönlich zurückzubringen.

In der größten Verehrung der Ihrige Wilhelm Dilthey

Berlin 29. 5. [19]03 Original: Hs.; Diktat D.s von der Hand H. Nohls mit eigenhändiger Unterschrift D.s; ABBAW, NL Schelling, Nr. 916. 1 Vgl. Brief [1258].

[1263] Dilthey an Paul Ritter Mein lieber Freund,

Ende Mai 19031

Ich hatte gehofft wir sähen uns zu Pfingsten, ich könnte Ihnen dann für das mit Freuden Gelesene meinen Dank sagen u. Künftiges besprechen. Ich vernehme indeß nichts von Ihrem Kommen und gehe selber zunächst ein paar Tage nach Rheinsberg. Falls Sie herzukommen u. über Pfingsten hier zu sein gedenken, bitte ich um ein Wort was Sie beabsichtigen damit ich mich einrichten kann wie wir zusammenkommen. Ich dachte über die Pfingstwoche bis Dienstag danach in R[heinsberg] zu bleiben: wenn Sie aber kommen werde ich sehen wie ich die Dinge einrichte. Ich müßte ein Stück der Culturentreprise über Welten der Philosophie fertig machen2 u. endlich nähert dieses sich seinem Ende, in dem ich mir recht

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Dilthey an Paul Ritter 

viel vom Herzen geredet habe. Ziemlich sicher werde ich kommenden Winter ganz m[einen] Arbeiten leben. T[au]s[en]d Grüße Ihr W Dilthey Original: Hs.; ABBAW, NL Ritter, A: Paul Ritter, I. 1. Bd. V, Nr. 16. 1 Im Brieforiginal: nachträgliche Datierung von der Hand. P. Ritters: „Ende V 1903“. 2 Entreprise: Unternehmung. – Vorgang unbekannt.

[1264] Dilthey an Paul Ritter Freitags, d[en] 5 Juni [1903]1 Lieber Freund, Ich bin noch sehr im Rückstande mit meiner Arbeit sodaß ich es nicht für nöthig finde daß Sie am 14ten kommen. Denn alles was in den ersten Band gehört müßte doch vorher geschrieben sein. Nun aber macht mir insbesondere Hegel immer noch die größte Mühe u. ich bin entschlossen ihn nach jahrelanger Beschäftigung ganz fertig zu machen bevor ich zum Umdiktieren des zum ersten Band Gehörigen zurückkehre. Auch ist besser wenn auch Berlin durchgearbei­tet ist.2 Denn ich wünsche sehr innig mit Ihnen nun auch meinen Plan der Disposition des Ganzen zu besprechen. Vielleicht daß etwas später auch sich die Möglichkeit ergiebt daß Sie hier Bericht erstatten. Obwohl ich das nicht für wahrscheinlich halte. Alles ist commissions- und berichtsmüde. Für den Augenblick halte ich auch nicht für richtig davon zu sprechen. Mein Befinden ist nicht besonders. Einen Winter wie den letzten mit großen Anstrengungen, zwischen zwei Feuern, Band u. so angestrengter eigner Arbeit die drängt3 darf ich zunächst nicht wieder haben. Die Anstrengung der Vorlesung macht Alles Andre todt u. diese ganze Lage hat mich bestimmt den Winter nicht zu lesen, um meine Gesundheit wieder herzustellen u. m[eine] Arbeit zu vollenden. Es wäre nun außer­ordentlich werthvoll könnte ich bis Ende des Jahres das ganze fertig haben, das wie Sie sehen werden wenn Sie

Conrad von Studt an Dilthey 

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kommen, viel umfangreicher wird als gedacht war, aber wie ich hoffe auch anerkennungsfähiger. Und wie geht es Ihnen lieber Freund? Ich wünsche gar sehr Sie wiederzusehen, wir wollen beide dahin arbeiten daß der Band möglich wird. Ich kann nur immer wieder dringend rathen an die Franzosen keine überflüssige Zeit zu wenden.4 Mit herzl[lichen] Grüßen Ihr W. Dilthey Original: Hs.; ABBAW, NL Ritter, A: Paul Ritter. 1. I. Bd. V, Nr. 18. 1 Im Brieforiginal: nachträgliche Datierung von der Hand P. Ritters: „5. VI. [19]03“. 2 D. arbeitete am Leben Schleiermachers weiter und war bestrebt, den zweiten Band abzuschließen. 3 D. arbeitete an verschiedenen Projekten gleichzeitig: 1. am zweiten Band des Schleiermacher, 2. an der Jugendgeschichte Hegels, 3. am zweiten Band der Einleitung in die Geisteswissenschaften. 4. an dem Projekt der Studien zur Geschichte des deutschen Geistes. – Parallel lief die Organisation und Betreuung der Kant-Akad.-Ausg. sowie die Begleitung der Anfänge der Leibniz-Akad.-Ausg. 4 Am 29. Dezember 1902 hatte eine interakademische Leibniz-Kommissionssitzung in Paris stattgefunden, an der von französischer Seite Henri Poincaré sowie Émile Boutroux, von deutscher Seite H. Diels und – anstelle des fast 85jährigen Th. Mommsen – erstmals P. Ritter teilnahm. Es wurde beschlossen, P. Ritter und W. Kabitz offiziell mit der Katalogisierung der Schriften und Briefe Leibniz’ zu beauftragen (vgl. St. Lorenz: „Auferstehung eines Leibes dessen Glieder wunderbahrlich zerstreuet sind“, a. a. O., S. 84).

[1265] Conrad von Studt an Dilthey Der Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal-Angelegenheiten

Berlin W[est]. 64, den 5. Juni 1903. Auf die Zuschrift vom 23. Mai d[es] J[ahres] will ich Ew. Hochwohlgeboren für das nächste Wintersemester von der Verpflichtung zum Abhalten von Vorlesungen hiermit entbinden. Im Auftrage. Althoff

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Paul Menzer an Dilthey 

An den Königlichen ordentlichen Herrn Geheimen Regierungsrat Dilthey Hochwohlgeboren hier.

Original: Hs.; Kanzleischreiberhand mit eigenhändiger Unterschrift F. Th. Althoffs; StUB Göttingen, HA , cod. ms. W. Dilthey, 17, Nr. 12.

[1266] Paul Menzer an Dilthey Berlin, d[en] 2. Juli 1903. Hochverehrter Herr Geheimrath! Endlich finde ich Zeit Ihre Anfrage zu beantworten. Ich kann für die Ansicht, dass „die Verstandesdefinitionen“ (wohl richtiger „Verstandesbegriffe“) für alle Vernunftwesen giltig sind nicht Belege in der Kritik d[er] r[einen] V[ernunft] finden. Allerdings unterscheidet Kant in § 23 die Verstandesbegriffe von Raum und Zeit, „welche nur in den Sinnen sind und ausser ihnen keine Wirklichkeit haben.“ Es heisst dort: „Die reinen Verstandesbegriffe sind von dieser Einschränkung frei und erstrecken sich auf Gegenstände der Anschauung überhaupt, sie mag der unsrigen ähnlich sein oder nicht, wenn sie nur sinnlich und nicht intellectuell ist.[“] Diese weitere Ausdehnung über unsere sinnliche Anschauung hinaus hilft uns aber zu nichts. Denn sie sind alsdann leere Begriffe von Objekten etc. Dasselbe führt Kant dann aus in dem Abschnitt über die Phaenomena und Noumena, wo er über die Unmöglichkeit einer „realen Definition“ der Kategorien handelt. Dort beweist er an einzelnen Kategorien, dass sie ohne die Beziehung zur Zeit nicht erklärt werden können: vgl. Hartenstein1 III S. 213. Zu dem obigen Zitat vgl. auch S. 220 „Wenn ich das Denken“ etc. Der Begriff eines „vernünftigen Wesens überhaupt“ und Beweisführung in bezug auf ein solches tritt meines Wissens in der Kritik d[er] r[einen] V[ernunft] erst auf im Abschnitt: „Von dem Ideal des höchsten Guts“ etc. Hartenstein III S. 533. Leider konnte ich im „Schleiermacher“ nicht nachlesen, da ich das Buch verliehen habe. Ich will aber gern in einer Woche die Frage eingehender untersuchen, da ich dann mehr freie Zeit haben werde.

Paul Wapler an Dilthey

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Lasswitz schrieb mir, dass er die letzten Bogen vor seiner Abreise nicht mehr erledigen könne. Ich habe ihn dringend gebeten dies zu thun, da wir sonst nicht weiter können. Mit hochachtungsvollem Gruß Ihr P. Menzer. Original: Hs.; ABBAW, Dilthey-NL , Fasz. 49, Bl. 14–15. 1 Immanuel Kant’s Sämmtliche Werke in chronologischer Reihenfolge. Hg. von G. Hartenstein. 8 Bde. Leipzig 1867–1869.

[1267] Paul Wapler 1 an Dilthey Berlin, Mittwoch d[en] 29. Juli 19032 S[üd] 14 Sebastianstraße 25.  Hochverehrter Herr Geheimrat, Ihrem Wunsche gemäß erlaube ich mir Ihnen die Zusammenstellung der Hauptpunkte meiner Schopenhauer-Arbeit3 zu übersenden nebst einigen Anlagen, deren Abschrift Sie zu haben wünschten. Meine negative Beantwortung der Bouterwek-Frage4 konnte ich im Rahmen dieser kurzen Zusammenfassung nicht begründen. Indem ich um Verzeihung bitte, so lange mit der Sendung gezögert zu haben – ein Krankheits- und Todesfall in meiner Familie hat mich längere Zeit abgelenkt –

verbleibe ich Ihr sehr ergebener Paul Wapler stud. phil.

Ps. Ich gestatte mir die Bemerkung daß natürlich jeder Satz dieser Zusammenfassung sich auf quellenmäßige Belege stützt. Original: Hs.; ABBAW, Dilthey-NL , Fasz. 77, Bl. 23 und 33–33 R.

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Dilthey an Paul Ritter 

1 Ein Student D.s. 2 Jahreszahl nach Poststempel. 3 P. Wapler: Die geschichtlichen Grundlagen der Weltanschauung Schopenhauers, in: AGPh 18 (1905), S. 369–394 und S. 507–536. 4 Ebd., S. 534–536.

[1268] Dilthey an Paul Ritter Karlsbad in Böhmen Villa Strunz (Westend)  Anfang September 19031 Lieber Freund,2 Ihren Brief vom 14 August3 habe ich im Drang damaliger Arbeit nicht beantworten können, seit 14 Tagen bin ich hier in Karlsbad, mit Lenz4 u. anderen Collegen zusammen recht vergnügt, in der Mitte des Monats will ich dann irgendwo noch Nachkur halten. Es freut mich daß ich recht behielt daß ein großer Theil d[er] H[an]d­schr[ift] nicht gedruckt zu werden braucht. Daß Sie Ihre ganze Zeit auf die Handschriften verwenden,5 ist positiv nicht richtig. In dem Verhältniß zur Akademie kann nur erwartet werden daß Sie den übernommenen Verpflichtungen entsprechen. Sie müssen durchaus an den ganzen Gang Ihrer Zukunft denken. Ob die Franzosen mit ihrem Antheil fertig werden geht uns hierseits gar nichts an. Ihre Redaktion der Kataloge kann sich doch nur auf das Formale beziehen, im Übrigen müssen die Herren ihre Haut selbst zu Markte tragen. Auch dafür daß sie fertig werden haben Sie nicht einzustehen. Sie werden sehen wenn der I Oct[ober] da ist, stecken Sie weiter in denselben Arbeiten. Also lieber Freund, sehen Sie daß Sie daneben den Universitätenrest aufarbeiten u. Ihre Habilitation fördern. Ich bitte Sie auf das dringendste Ihre freie Zeit hierauf zu verwenden, wie Sie sich dieselbe ausgehalten haben u. aushalten mußten. Verzeihen Sie einem alten Practicus diese Predigt. Diese ganzen Vorarbeiten sind provisorisch: was wird wissen die Götter. Ich lese hier für den gewünschten Abschnitt. Für Königsberg, die Univer­ sität, Kant sind einzelne Lebensläufe eine herrliche Quelle. Der Genius loci von Königsberg in ihm Hamann,6 Kant, Scheffner7 höchst ebenbürtig […].

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Karl Schultz an Dilthey

Herzl[iche] Grüße u lassen Sie ein Wörtchen hören, auch wann das Univer­ sitätm[anu]sc[ript] zum ersten Bande zu erwarten. Treulichst Ihr Dilthey Original: Hs.; ABBAW, NL Ritter, A: Paul Ritter. I. 1. Bd. V, Nr. 21. 1 Im Brieforiginal: nachträgliche Datierung von der Hand P. Ritters: „(Anf[ang] Sept[ember] [19]03)“. 2 Im Brieforiginal: am oberen Rand von der Hand D.s daneben: „Bitte lassen Sie doch auch von sich ein Wörtchen hören“. 3 Nicht überliefert. 4 Der Historiker Max Lenz (1850–1932) war seit 1890 o. Prof. für neuere Geschichte in Berlin. 5 Es geht um die Katalogisierung der Schriften und Briefe Leibniz’ für die LeibnizAkad.-Ausg. 6 Johann Georg Hamann (1730–1788): Philosoph und Schriftsteller; Freund Kants. 7 Johann Georg Scheffner (1736–1820): Jurist und Schriftsteller; Aufklärer; langjähriger, engster Freund Kants.

[1269] Karl Schultz1 an Dilthey Oranienburg, Kolonie Eden2 d[en] 15. IX. 1903. Sehr geehrter Herr Geheimrat! Ich habe verschiedene Ihrer Werke gelesen und bin dadurch mitangeregt zu einem philosophischen Buche, worüber ich gerne mit Ihnen sprechen möchte.3 Würden Sie wohl freundlich gestatten, daß ich Sie zu einer Ihnen angenehmen Zeit besuche? Mit Hochachtung Dr. Karl Schultz Original: Hs.; ABBAW, Dilthey-NL , Fasz. 59, Bl. 447. 1 Karl Schultz (1878–1956): Lehrer und Heimatforscher.

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Dilthey an Herman Nohl 

2 Die „Kolonie Eden“ war eine im Zuge der Lebensreformbewegung um die Wende des 19./20. Jahrhunderts 1893 entstandene Gartenstadt nahe Berlin; die Genossenschaft nannte sich „Vegetarische Obstbau-Kolonie Eden“. 3 Eventuell K. Schultz: Vom Meisterbuch. Eine schlichte grundlegende Literatur-Betrachtung. Berlin 1905.

[1270] Dilthey an Herman Nohl Flüeli1 bei Sarnen, Schweiz 27. Sept[ember] [1903]2 Lieber Freund, ich melde nur eilig dass wir von Lungern3 hierhergegangen [sind.] Adresse: Flüeli-Ranft, Kurhaus Nünalphorn4 bei Sarnen (Schweitz). Es ist hier herrlich zum Arbeiten, auch Züricher Bibliothek nahe, und eine Stunde von uns Wölfflin5 zu behaglich[em] Verkehr. Möge es Ihnen gut wieder gehen u. dauern Sie ja möglichst lange aus. Beste Grüße an Wilbrandts.6 Gute Zeiten Ihr

W Dilthey

Original: Hs.; Postkarte; StUB Göttingen, HA , cod. ms. H. Nohl, 94, Nr. 4. 1 D. schreibt hier wie des Öfteren: „Flüeli“ statt Flühli. 2 Im Brieforiginal: nachträgliche Ergänzung der Jahreszahl von fremder Hand. 3 Ort im schweiz. Kanton Obwalden, gelegen am Lungensee am Fuße des Brünigpasses. 4 Das Kurhotel Kurhaus Nünalphorn, das 1896 erbaut wurde, existiert noch heute und trägt den Namen Hotel Paxmontana. 5 Der schweiz. Kunsthistoriker Heinrich Wölfflin (1864–1945), der seit 1901 in Berlin lehrte. 6 Adolf Wilbrandt (1837–1911): Schriftsteller und Übersetzer; 1859–1861 Leiter der Münchener Neusten Nachrichten, seit 1881 Direktor des Wiener Burgtheaters; Wilbrandt war seit 1873 mit der Schauspielern Auguste Baudius verheiratet.  – H. Nohl verbrachte seine Ferien in Heiligenblut, einem Ort in Kärnten (Österreich) am Fuße des Großglockner. Dorthin ist D.s Postkarte adressiert. Vermutlich traf Nohl hier mit dem Ehepaar Wilbrandt zusammen.

Dilthey an Paul Ritter 

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[1271] Dilthey an Paul Ritter Lieber Freund, ich melde nur daß m[eine] jetzige Adresse ist: Flüeli-Ranft, Kurhaus Nünalphorn bei Sarnen (Schweitz). Kann hier gut arbeiten. Bringe hof­fentlich das Meiste vom Rest des ersten Bandes1 ziemlich fertig mit sodaß der Rest desselben rasch gedruckt werden kann. Hätte ich Sie doch hier! Möge die Leibnizarbeit recht günstig vorwärtsgehen! Lassen Sie ein Wort vernehmen. Karlsbad gut bekommen sodaß für den Zeitverlust doch Entschädigung da ist. Ich werde hier im Kurhaus bis Octob[er] bleiben wenn das Wetter es zuläßt. Jetzt unglaublich schön. Herzl[iche] Grüße u. Wünsche für Sie. Treulichst Ihr Dilthey 27 Sept[ember] [190]3 Flüeli bei Sarnen. Original: Hs.; ABBAW, NL Ritter, A: Paul Ritter, I. 1. Bd. V, Nr. 23. 1 Der Studien zur Geschichte des deutschen Geistes.

[1272] Dilthey an Hermann Escher 1

Flühli-Ranft (Obwalden), den 1 Oct[ober] 1903 Hochverehrter Herr Oberbibliothekar,

Darf ich Ihnen meinen ergebensten Dank für die gütige Übersendung der Briefe sagen. Sie haben mich dadurch sehr verpflichtet. Sehr dankbar wäre ich[,] wenn ich wie Sie mittheilen[,] den Briefwechsel Schiller-Körner2 noch erhalte, da er für die Arbeit allerdings unentbehrlich ist.

Ganz ergebenst Ihr dankbarer Wilhelm Dilthey

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Dilthey an Hermann Diels 

Original: Hs.; geschrieben auf Briefpapier des Hotels „Nünalphorn Sarnen“; ZB Zürich, Autographensammlung, ohne Signatur. 1 Hermann Escher (1857–1938) war seit 1887 Leiter der Stadtbibliothek Zürich. 2 Briefwechsel zwischen Schiller und Körner. Von 1784 bis zum Tode Schillers. Hg. von K. Goedecke. Mit einer Einleitung von Ludwig Geiger. Erster Band. Stuttgart / Berlin 1892. – Christian Gottfried Körner (1756–1831): Jurist und Schriftsteller; Freund, Förderer und Herausgeber der ersten Gesamtausgabe der Werke F. von Schillers.

[1273] Dilthey an Hermann Diels Flühli-Ranft (Obwalden) Lieber verehrter Freund, indem ich diese Eingabe schnell zurücksende, die mir hierher nachgesandt wurde, bitte ich die Verzögerung freundlich zu entschuldigen die hierdurch veranlaßt ist. Ich muß das Gewicht der Gründe anerkennen, glaube aber nicht, daß nachdem die Sache soweit gediehen ein Rückzug ohne Schädigung der guten Verhältnisse zu den fremden Gelehrten möglich sein wird, wenn nicht etwa in Anknüpfung an das S. 2 unten Gesagte eine Verständigung mit den Historikern der Akademie über die Erfüllung der einschlägigen Aufgaben durch die internationale Organisation der Akade­mien erreichte wird; jedenfalls ist von ausgiebigen Bewilligungen unsrer Regierung für die würdige Gestaltung eines solchen Congresses unsre Mitwirkung abhängig zu machen.1 Ich bin nach einer dreiwöchentlichen Karlsbader Kur, bei der sich ein ganzer Theil unsrer Fakultät, Landolt,2 Lenz[,] Kekulé […] etc. vergnüglich zusammenfand, hier bei herrlichem Wetter in der Nordschweiz geblieben wo ich von Zürich aus bequem Bücher beziehen kann. Mitte des Monats will ich über Stuttgart, wenn Zellers sich zu Besuch aufgelegt finden und über Tübingen wenn Sigwarts sehr unbefriedigender Zustand es gestattet nach Berlin zurückkehren. Mit meinen ergebensten Grüßen, denen meine Frau sich anschließt, auch an die Ihrigen Ihr Wilhelm Dilthey 5 Oct[ober] [19]03.

Dilthey an Hermann Diels 

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Original: Hs.; geschrieben auf Briefpapier des Hotel „Nünalphorn Sarnen“; StB

PK Berlin, HA , Sammlung Darmstädter, 2 a 1870 (8), Dilthey, Bl. 45–45 R.

1 Für das Jahr 1904 war eine zweite Generalversammlung der Akademien in London geplant, in der es auch um die weitere Vorbereitung der Leibniz-Akad.-Ausg. gehen sollte. 2 Der Chemiker Hans Heinrich Landolt (1831–1910).

[1274] Dilthey an Hermann Diels

Verehrter Freund,

12 Oct[ober] [19]03 Kurhaus Nünalphorn Flühli-Ranft / Obwalden (Schweiz)

Ein Ausflug hat die Beantwortung Ihrer Anfrage1 verzögert. Ich könnte einstehen für Herrn Dr Gruthuysen (Schreibung des Namens mir im Augenblick fraglich) und Herrn Stud. Spranger. Aber beide würden, als pecuniär un­abhängig, doch nur zu gewinnen sein, wenn sie den Franzosen gegenüber unabhängig und ihrer Tüchtigkeit entsprechend gestellt und für die Sache interessirt würden. Dr. Gr[oethuysen] hat wie Sie sich erinnern werden Schluß des Sommers summa cum laude seinen philos[ophischen] Doktor gemacht. Herr Spranger ist mit seiner ph[ilosophischen] Doctorarbeit beschäftigt.2 Näheres über Beide, Wohnung, ob Dr. Gr[oethuysen] von einer Reise nach Rußland zurückgekehrt ist etc., wird m[eine] Tochter Clara gern mittheilen, da sie das Verzeichniß der Adressen m[einer] Bekannten hat. Da ich einmal schreibe, gestatte ich mir auch etwas mich selbst Betreffendes das ich H[errn] v[on] Richthofen zugleich schreibe3 vorzulegen. Es könnte wie in anderen Fällen ein officielles Essen der Collegen von Universität und Akademie zu meinem 70. Geburtstag in Anregung kommen[;] ich bitte davon abzu­sehen.4 So dankbar ich für jeden Glückwunsch an diesem Tage sein werde, da ich den höchsten Werth auf die Hochschätzung meiner Collegen lege, die manche Wehmuth bei solchem Rückblick auf halbes Gelingen aufwiegen mag: so hat doch die moralische Nöthigung der Collegen zu einem Essen und Allem was damit zusammenhängt für mich etwas Peinliches. Das Wetter ist hier herrlich u. [ich] habe mich etwas länger verweilt.

Herzliche Grüße von Ihrem Wilhelm Dilthey

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Dilthey an Ernst und Maria von Wildenbruch 

Original: Hs.; StB PK Berlin, HA , Sammlung Darmstädter, 2 a 1870 (8), Dilthey, Bl. 46–47 R. 1 Nicht überliefert. – H. Diels hatte offenbar in seiner Funktion als deutscher Delegierter der „Assemblée générale de l’Association internationale des Académies“ bei D. angefragt, ob dessen Schüler B. Groethuysen und E. Spranger evtl. für eine Mitarbeit an der LeibnizAkad.-Ausg. in Frage kämen. 2 Bernhard Groethuysen (1880–1946), der 1903 in Berlin mit der Dissertation Das Mitgefühl (veröffentlicht in: Zeitschrift für Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 34 (1904), S. 161–270) promovierte, arbeitete in den folgenden Jahren an seiner Habilitationsschrift und wurde 1907 PD. – Eduard Spranger (1882–1963) promovierte 1905 in Berlin, nachdem sein erster Promotionsversuch 1901 gescheitert war. 3 Nicht überliefert. – Ferdinand Freiherr von Richthofen (1833–1905): Geograph; 1856 Promotion in Berlin, 1873 Präsident der Berliner „Gesellschaft für Erdkunde“, 1875 Prof. in Bonn, 1883 in Leipzig, 1886 in Berlin. – Freiherr von Richthofen war 1903/04 Rektor der Berliner Universität. 4 D.s 70. Geburtstag am 19. November 1903 stand bevor.

[1275] Dilthey an Ernst und Maria von Wildenbruch

Liebe verehrte Freunde,

Hôtel Central Zürich, den 25 Oct[ober] 1903

Aus einem Reiseplan von 6 Wochen sind nun zwei Monate geworden, u. noch sind wir, jetzt durch eine Erkältung meiner Frau aufgehalten, noch auf der langsamen Rückreise begriffen, wollen übermorgen Zeller’s u. Kalkreuth’s in Stutt­gart wiedersehen u. dann endlich nach Berlin zurückkehren. Ich habe rechte Sehnsucht Kinder, Freunde, Bücher u. Papiere wiederzusehen. Und diese Zeilen sollen Ihnen beiden sagen wie sehr ich mich auf Sie freue. Einen rechten Schrecken hat bei uns die Zeitungsnotiz erregt, daß Sie in Weimar sich anbauen u. ganz dahin übersiedeln wollen.1 Es bleibt die Hoffnung daß wie Zeitungsnotizen gewöhnlich nur halb wahr sind, es auch mit dieser so geht. Daß Sie eigenen Grund u. Boden u. Heim zu haben wünschen, kann ich dabei Ihnen sehr nachfühlen. Ich selber habe leider den rich­tigen Moment dafür verpaßt. Jetzt lohnt es so ausführliche Einrichtungen im Diesseits nicht mehr. Wir sind zuerst in Ihren Spuren in Karls­bad gegangen wo wir drei Wochen eine leichte Kur gebraucht. Dann waren wir an verschiedenen Orten der Schweitz die ruhige Arbeit gestatte­ten, zuletzt in Wäggis.2 Gesehen haben wir

James Lindsay an Dilthey

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außer in Karlsbad, wo ein ganzer Theil unsrer Fakultät war u. wir sehr vergnügte Wochen bei herrlichstem Wetter verbrachten, nur in Canton Unterwalden Wölfflin, der dicht neben uns in Kerns3 sich seinen Arbeitsplatz eingerichtet hatte. Sie wissen daß ich den Winter nicht lese, und so hoffe ich den Druck des Buchs von dem eine Anzahl von Bogen lange im Druck vorliegen nach Weihnachten wieder aufnehmen und ununterbrochen die zwei mäßigen Bände zu Ende führen zu können. Ein ganzer Theil desselben behandelt die deutsche Dichtung vom siebzehnten Jahrhundert ab u. so sehen Sie daß ich Ihre Wünsche mir zu Herzen genommen habe. Möchten Sie nur auch mit meinem verwege­ nen Versuch das Ding einmal ganz anders anzu­fassen zufrieden sein. Jedenfalls drängte die Zeit zu einem solchen. Sie können denken wie ich daher auf unsre ausführlichen Gespräche mich freue. Ihnen beiden unsre herzlichsten Grüße. In alter Treue ergeben Ihr Wilhelm Dilthey [Am linken Rand der ersten Seite des Brieforiginals:] Meine Frau nahm an daß Sie noch in Weimar seien, nun hat sich aber unsere Reise so verzögert daß ich annehme Sie sind nicht mehr da. Wäre es doch der Fall, so bekämen wir ja wohl bei Zellers eine Nachricht. Original: Hs.; GSA Weimar, 94/169, 11, Nr. 7. 1 Das Ehepaar Maria und Ernst Wildenbruch hatte bereits seit 1892 die Wintermonate in Weimar verbracht. 1906 ließen sie sich dort eine neobarocke Villa bauen und zogen 1907 von Berlin nach Weimar um. 2 Ferienort am Ufer des Vierwaldstättersees / Schweiz. 3 Gemeinde im Kanton Obwalden / Schweiz.

[1276] James Lindsay1 an Dilthey Kilmarnock Scotland, 16. Nov[ember] 1903 Dear Professor Dilthey, You very kindly expressed your willingness to do what you could to have me elected a Corresponding Member in the Philosophical Branch of the Royal

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Willy Kabitz an Dilthey an Dilthey

Academy of Sciences, Berlin. But the session was too near a close to set it done. May I therefore remind you of your kind promise to do so, for which I was very grateful. I feel so deeply interested in your German philosophies of every sort, that I would greatly like this bond of connection. And I shall feel greatly ­obliged to you by this renewal of your valued interest. I am sending you under separate cover, a fresh List of my philosophical publications.

With best regards, Yours very Sincerely James Lindsay

Original: Hs.; StUB Göttingen, HA , cod. ms. W. Dilthey, 14 l, Nr. 33. 1 James Lindsay (1846–1931): schott. Religionsphilosoph, der damals in Kilmarnock, südwestlich von Glasgow lebte. – J. Lindsay schrieb zwischen 1902 und 1906 mehrere Beiträge für die Bände 15–19 des AGPh.

[1277] Willy Kabitz an Dilthey Hannover, d[en] 17. Nov[ember] 1903 Gretchenstrasse 16. Sehr verehrter Herr Geheimrat! Herzlich bedauernd, dass mich die Pflicht zwingt, auf das schöne Glück zu verzichten, an Ihrem 70. Geburtstage im Kreise Ihrer Familie, Ihrer Freunde und Schüler persönlich zu erscheinen und den Empfindungen meines Herzens vor Ihnen beredten Ausdruck zu verleihen, bescheide ich mich, Ihnen aus der Ferne innigst Glück und Segen zu wünschen.1 Mit Ihnen zurückblickend auf die Bahn, die Sie durchmessen haben, erfülle ich mich ganz mit Ehrfurcht vor der Größe der göttlichen Liebe, mit der ich Sie in unvergesslichen Stunden sich in die tiefsten Lebens- und Weltprobleme versenken sah, erfülle ich mich mit Bewunderung vor dem Scharfblick und jener einzigen Divination, mit der Sie sieghaft durch den Nebel menschlicher Irrtümer hindurchdrangen, um Ungekanntes und Ungeahntes zu erschauen und dem froh erstarrten Auge zu enthüllen, erfülle ich mich mit Freude an dem Reichtum dessen, was Sie mit nie rastender Energie aus der Fülle Ihres begnadeten Geistes uns, Ihren Freunden und Schülern, ja der ganzen Mensch-

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Ludwig Stein an Dilthey 

heit geschenkt haben. Und wie könnte ich dabei vergessen, was Sie in der Güte Ihres Herzens mit vielen andern, die Ihnen näher treten durften, auch mir rein persönlich gewesen sind, hilfreich fördernd durch Rat und That. Lassen Sie mich Ihnen heute, sehr verehrter Herr Geheimrat, meine treueste Gesinnung versichern, – versichern, wie sehr ich mit Ihren Wohlthaten zugleich die Verpflichtung übernommen zu haben fühle, mich Ihrer würdig zu erzeigen, indem ich nach meinen schwachen Kräften in der Richtung weiterschreite, die Sie mir gezeigt haben. Ich hege die frohe Zuversicht, dass es uns noch lange vergönnt sein möge, uns Ihrer segensreichen Arbeiten und Ihres Lebensglückes zu erfreuen, und bin mit den besten Empfehlungen

Ihr ergebenster Willy Kabitz.

Original: Hs.; StUB Göttingen, HA , cod. ms. W. Dilthey, 14 l, Nr. 28. 1 W. Kabitz hielt sich in Hannover auf, weil dort der Hauptteil der Materialien für die Leibniz-Akad.-Ausg., die er zusammen mit P. Ritter zu erfassen und zu katalogisieren hatte, hinterlegt war.

[1278] Ludwig Stein an Dilthey

Hochverehrtester Meister,

Villa Schönburg Bern 17. November 1903

Übermorgen werden sich Ihnen aus allen Gegenden […] Schüler, Verehrer und Freunde sehen, um Ihnen allesamt auszudrücken, was die Denkenden unter den Zuschauern unseres kunterbunten Weltplaneten Ihnen zu danken haben. Ich hatte die Freude, den Reigen in der Deutschen Rundschau zu eröffnen1 und die große Genugtuung, aus Ihrem prächtigen Briefe2 zu ersehen, daß mein Versuch, in Ihre Wesenheit einzudringen, nicht ganz erfolglos gewesen ist. In meinem Festartikel der N[euen] freien Presse in Wien, der übermorgen erscheinen wird,3 versuche ich, Ihre Stellung als führenden Philosophen der historischen Schule zu kennzeichnen. Und nun die eigentliche Festgabe: Frau Geheimrath wird Ihnen Donnerstag früh mein jüngstes, Ihnen gewidmetes

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Konrad Burdach an Dilthey

Buch überreichen.4 Ich habe das Erscheinen dieses seit drei Jahren vorbereiteten Werkes so einrichten können, daß es mit Ihrem siebzigsten Geburtstag zusammentraf. Das Ihrer „Einleitung“ entnommene Motto des ganzen Buches wird Ihnen zeigen, wohin das Weltbild, das ich in zwanzig Essays niederzulegen versuchte, tendiert. Sie werden nicht mit Allem, vielleicht auch nicht mit Vielem einverstanden sein, was dieses Buch Ihnen bringt, aber der Grundton und die Grundstimmung – die Dankbarkeit für Alles, was ich aus Ihren Werken und Gesprächen in mich aufgenommen habe – werden Sie überall heraushören.

Ein herzliches Frischauf zum achtzigsten5 wünscht Ihr getreuer Ludwig Stein

Original: Hs.; StUB Göttingen, HA , cod. ms. W. Dilthey, 14 l, Nr. 53. 1 L. Stein: Wilhelm Dilthey. (Zu seinem siebzigsten Geburtstag.), in: DRS 117 (Oktober–Dezember 1903), S. 222–233. 2 Nicht überliefert. 3 L. Stein: Der Philosoph der historischen Schule. Zum siebzigsten Geburtstag von Wilhelm Dilthey (19. November 1903), in: Neue freie Presse. Morgenblatt. Nr. 14092. Wien, Donnerstag, den 19. November 1903. Feuilleton, S. 1. 4 L. Stein: Der Sinn des Daseins. Streifzüge eines Optimisten durch die Philosophie der Gegenwart. Tübingen 1904. 5 D. feierte am 19. November 1903 seinen 70. Geburtstag!

[1279] Konrad Burdach1 an Dilthey

Hochgeehrter Herr Geheimrath,

Grunewald d[en] 18/11 [19]03 Paulsbornerstr. 8

leider macht es ein Schnupfenfieber, das mich plötzlich überfallen hat, ziemlich zweifelhaft, ob ich morgen Mittag und übermorgen Abend in der Lage sein werde, Ihnen persönlich durch Wort und Erscheinen meine aufrichtigen und ergebensten Glückwünsche zu Ihrem 70. Geburtstage darzubringen. Deshalb bitte ich Sie, diese Zeilen freundlichst als Ersatz, vielleicht auch nur als Vorboten, anzunehmen. Ihnen und uns allen, die wir die feinen und weitgreifenden Künste Ihres wundervollen wissenschaftlichen Ingeniums dankbar bewundern, wünschen

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Benno Erdmann an Dilthey 

wir ja morgen ein und dasselbe: daß es Ihnen noch lange gegönnt sei als Führer reicher geistiger Bewegung, erfolgreicher Forscherarbeit und fruchtbarer mündlicher und schriftlicher Lehre voranzuschreiten, nicht mit der Fahne, auf der die blendenden Einfälle und Combinationen des Subjektivismus prunken, sondern mit dem einfachen, aber erhabenen Banner ernsthafte[r], entsagende[r], unermüdliche[r] Bemühung um die Menschen erreichbare Mensch­heit. Der Geist Lessings und Herders, der Geist Goethes stehen Ihnen auch ferner zur Seite auf daß aus Ihrem Forschen und Denken noch manche, lange und langsam gereifte köstliche Frucht uns in den Schoß falle. Dazu brauchen Sie eins: das körperliche und seelische Gleichgewicht und Wohlgefühl, die Lebens- und Schaffensfrische, die ohne Sorgen und Furcht fröhlich nach außen, vorwärts und aufwärts blickt. Möge Ihnen davon noch für lange Zukunft ein reiches Maß beschieden sein. Mit dem Ausdruck meiner unbegrenzten Verehrung und Dankbarkeit Ihr wahrhaft ergebener Konrad Burdach. Original: Hs.; StUB Göttingen, HA , cod. ms. W. Dilthey, 14 l, Nr. 4. 1 Der Germanist Konrad Burdach (1859–1936).

[1280] Benno Erdmann an Dilthey

Sehr verehrter Herr Geheimer Rat,

Berlin 18⁄11 [19]03

Es ist mir eine Freude, Ihnen zu Ihrem 70. Geburtstage meine innersten Glückwünsche aussprechen zu dürfen. Die Pflichten des Semesters haben es für mich ausgeschlossen, Ihnen meine Wünsche persönlich darzubringen. So sollen Ihnen diese Zeilen sagen, was Sie wissen, daß ich die Feinsinnigkeit Ihrer historischen Analyse und die Reife des Gesichtspunktes, die sich in der Art Ihres Philosophierens geltend macht, stets mit warmer Anerkennung des Dankes, den ich Ihnen schulde, hochgeschätzt habe. Es wird ein zahlreicher Kreis von Freunden sowie engeren und weiteren Weggenossen morgen um Sie versammelt sein, deren Anerkennung Ihnen den Tag verschönern wird, von dem Sie auf ein ergebnisreiches Leben in voller Rüstigkeit des Schaffens zurück­

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Jacob Freudenthal an Dilthey 

sehen. Möge die geistige Frische, die Sie sich bewahrt haben, zu Gunsten unserer Wissenschaft, für das Licht, das von der Berliner Universität und Akademie ausstrahlt, uns nur zuletzt, nicht am wenigsten für Sie selbst, für den engeren und engsten Kreis der Ihren, noch auf lange Jahre erhalten bleiben. In aufrichtiger Verehrung Ihr B. Erdmann Original: Hs.; StUB Göttingen, HA , cod. ms. W. Dilthey, 14 l, Nr. 12.

[1281] Jacob Freudenthal an Dilthey

Hochverehrter Herr Geheimrath!

Breslau, Körnerstr. 12 18. XI. [19]03

Ich empfinde es schmerzlich, der großen Zahl von Schülern, Freunden und Verehrern, die sich morgen um sie vereinigen, fern bleiben zu müssen. Aber ich möchte wenigstens mit diesen Zeilen an Ihrem Feste theilnehmen und mit herzlichem Gedenken. Ich bin mir wohl bewusst, was die siebzig Jahre, auf die Sie zurückblicken, für die Wissenschaft und für uns Alle bedeuten, die wir heute zu Ihnen emporschauen. Es sind Jahre rastlosen Forschens und Schaffens, reichster Förderung geistigen und sittlichen Lebens. Möchte nun die Kraft und die Frische, die Sie zu diesen großen Erfolgen geführt haben, Ihnen noch viele Jahre dazu bleiben und auch das siebte Decennium Ihres Lebens mit Arbeiten schmücken, auf die Deutschland, wie auf die der früheren Jahre, stolz sein darf. Lassen Sie mich noch eine Bitte anfügen. In einigen Wochen erscheint der erste Band meines Spinoza.1 Wollen Sie mir erlauben, ihm Ihren Namen  – neben dem Ihres verehrten Collegen Diels – voranzustellen? Ich bitte um gütige Empfehlung und Uebermittelung meines aufrichtigen Glückwunsches auch an Ihre Frau Gemahlin und bin, Ihr allezeit verehrungsvoll ergebener Freudenthal Original: Hs.; StUB Göttingen, HA , cod. ms. W. Dilthey, 14 l, Nr. 15.

Johannes Hermann an Dilthey

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1 J. Freudenthal: Spinoza. Sein Leben und seine Lehre. Erster Band: Das Leben Spinozas. Stuttgart 1904. – Das Buch enthält die Widmung: „Hermann Diels und Wilhelm Dilthey in treuer Gesinnung zugeeignet“.

[1282] Johannes Hermann1 an Dilthey

Berlin d[en] 18. XI. [19]03. Hochverehrter Herr Geh[eimer] Rat!

Gestatten Sie einem Ihnen ferner Stehenden, sich im Geiste am morgenden Tage zu Ihren zahlreichen Verehrern und Schülern zu gesellen und Ihnen herzlich glückwünschend zu nahen. Es ist in den letzten Wochen dem Unterzeichneten durch des grossen Meisters Th[eodor] M[ommsens] Hinscheiden2 recht lebendig ins Gedächtnis zurückgerufen worden, welchen Vorzug vor vielen er Ihrer Freundlichkeit und Gastfreiheit verdankt: Vor wenigen Jahren durfte er an zwei ganzen Sommernachmittagen bis zum Abend mit zwei Fürsten im Reiche der Geisteswissenschaften zu Tische sitzen! Wohl darf man von Ihnen und von Ihrem Hause sagen: Wohl dem hochbeglückten Haus, wo das ist kleine Gabe!3 Mir war es eine grosse Gabe und ist es in dem Schatze der Erinnerung sorgfältig aufgehoben! Dass Schleiermacher dabei das ideale Bindeglied gleichsam darstellte, indem ich den ehrlichen Makler zwischen Familie und Wissenschaft spielte, gibt der Sache für mich noch einen besonderen Reiz und lässt mich mit Spannung der Vollendung Ihres gewiss bahnbrechenden Werkes entgegen sehen. Möge der liebe Gott Ihnen Kraft verleihen, der Schleiermacher-Gemeinde und der Wissenschaft die reife Frucht Ihrer Forschung zu allgemeiner Befriedigung und Freude am Lebensabend darzubieten. Möge die Akademie der Wissenschaften sich Ihrer Führung in philosophicis noch lange erfreuen, und die akademische Jugend noch manches Semester sich geistig von den Früchten nähren, die am Baume Ihrer wissenschaftlichen Arbeit so reichlich zu finden sind. Mögen Ihre verehrte Frau Gemahlin, Fräulein Töchter und Sohn noch lange sich Ihres Schaffens und Wirkens und des sonnigen Familienlebens freuen! Möge von Ihnen und den Ihrigen niemals der Segen von oben weichen. Hochachtungsvollst J. Hermann.

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Karl Joël an Dilthey

Original: Hs.; StUB Göttingen, HA , cod. ms. W. Dilthey, 14 l, Nr. 21. 1 Vermutlich Johannes Hermann, Dr. phil., Gymnasiallehrer. 2 Theodor Mommsen starb am 1. November 1903 in Berlin im Alter von fast 86 Jahren. 3 J. W. von Goethe: Wilhelm Meisters Lehrjahre (1795–1796), 2. Buch, 11. Kap.: Ballade des Sängers: „[…] O! dreimal hochbeglücktes Haus, / Wo das ist kleine Gabe! […]“.

[1283] Karl Joël 1 an Dilthey Hochverehrter Herr Geheimrat!

Basel d[en] 18. 11. [19]03

Das erste Kolleg meines Lebens hörte ich bei Ihnen  – und ich sehe mich noch vor mehr als 20 Jahren berauscht von Philosophie davon heimkommen. So darf ich Ihnen wohl meine Glückwünsche darbringen als meinem ersten philo­sophischen Lehrer, zugleich aber auch als dem Manne, der mir fast allein und jedenfalls am meisten heute geschichtlichen und philosophischen Geist zu verbinden und gleicherweise berührt scheint vom Geiste der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft. Ihnen und Ihrer verehrten Frau Gemahlin mich bestens empfehlend verbleibe ich in aufrichtigster Hochschätzung Ihr ergebener Karl Joël Original: Hs.; StUB Göttingen, HA , cod. ms. W. Dilthey, 14 l, Nr. 27. 1 Der Philosoph Karl Joël (1864–1934) hatte bei D. in Breslau sein Studium begonnen.

[1284] Gräfin Bertha von Kalckreuth an Dilthey 18. 11. Stuttgart 1903. Lieber und verehrter Herr Professor! Morgen ist Ihr Geburtstag und, daß er Ihr 70ster ist scheint mir nachdem ich Sie, Gott sei Dank, so frisch und jung wiedergesehn habe1 ganz unglaublich. Nun

Gräfin Bertha von Kalckreuth an Dilthey 

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ist mir wirklich die Zeit einerlei bei meinen wahren Gefühlen und die sind auch ohne Gedenktag frisch und grün. Wenn Sie aber morgen wie an einem Meilenstein Ihres Wegs, der sich noch in goldene hoffende Formen für Sie und viele andere zum Segen verlieren möge, stehn bleiben und rückschauen[,] werden Sie verehrende treue Freundschaft bescheiden hinter sich hergehn sehn – und, ob Sie dies nun wollen oder nicht, die läuft jetzt weiter mit. Ich denke mir, daß unaussprechliche treue Gefühle des Freundes2 bei diesem Rückblick Ihr Herz bewegen werden. Aber noch mehr als Trauer für die Erinnerung segenwirkende lebendige Kraft. Papa freute sich immer wenn Sie – als ich noch so ganz jung war – sich freundlich zu mir bezeigten und daß Sie ein wenig Ihres Gefühls für ihn auf mich, auf seine Kinder, übertragen[,] würde ihn sehr freuen. Er würde Ihnen gern morgen die Hand gereicht haben. Leben Sie glücklich lieber Herr Professor unter Ihren Lieben, in dem stillen[,] hellen[,] weiten Reich all der geistigen Freuden, das Sie sich aufgeschlossen haben, beglückt im Schaffen. So wie an einem klaren goldenen Sommertag. Es war so lieb Sie mal wiederzusehn und ich denke dies werden wohl meines Mannes3 und meine Freunde gemerkt haben. Und daß es Ihnen im Atelier wohl war freute uns so. Schade schade (für uns) daß wir so auseinander leben. Ihrer lieben Frau, Ihren lieben großen Kindern die schönsten Grüße. Sie werden’s sehr gespürt haben  – festlich und unruhig vor lauter Liebe. Aber wie ich Sie kenne sind Sie dann ganz froh wenn die Thür mal wieder still von außen zu gemacht wird – und wenn Sie dann froh sind und allein in Ihrer Welt dann möchte ich Ihnen bescheidene Waldblümchen und Immergrün auf Ihren Geburtstagstisch stellen. Gottes Segen sei über Ihnen und Ihrer reichen Welt! In Liebe und Verehrung grüßen wir Sie alle, am meisten Ihre alte

Berta Kalckreuth.

Original: Hs.; StUB Göttingen, HA , cod. ms. W. Dilthey, 14 l, Nr. 29. 1 D. und seine Ehefrau hatten auf der Rückreise von der Schweiz Kalckreuths Ende Oktober 1903 in Stuttgart besucht. 2 Der am 1. September 1897 verstorbene Graf Paul Yorck von Wartenburg, Vater der Gräfin B. von Kalckreuth. 3 Der Maler Graf Leopold von Kalckreuth (1855–1928).

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Friedrich Koepp an Dilthey

[1285] Friedrich Koepp1 an Dilthey

Münster i[n] W[estfalen] Lazarettstraße 3 18. November 1903

Lieber Onkel,

An Deinem siebzigsten Geburtstag möchten wir, meine Frau 2 und ich, unter den Gratulanten, die sich persönlich und schriftlich gewiß zahlreich einstellen werden, nicht fehlen. Ich hoffe daß Du, nach, wie ich höre, langer Ferienerholung, den Tag in guter Gesundheit und mit der Aussicht auf noch viele arbeitsreiche Jahre begehst, im Kreis der Deinigen und in dem weiten Kreis der Freunde und Verehrer. Meine Schwestern werden ihre Glückwünsche wohl persönlich überbringen, und durch sie hoffe ich, bald einmal wieder Gutes von Euch zu hören. Auf demselben Weg werdet Ihr auch von uns erfahren, daß es uns gut geht, und vielleicht einmal die Bilder unserer beiden Söhne3 sehen, die dieses Wohlergehen für die Jungen wenigstens durch den Augenschein bezeugen. Da auch meine Lehrtätigkeit sich in diesem Semester  – und hoffentlich nicht nur vorübergehend! – erheblich erfreulicher gestaltet hat, so bleibt mir in der That nichts zu wünschen als etwas weniger ferienfressende Ausgrabungen, etwas mehr, bei der Doppelspännigkeit mit Archäologie und alter Geschichte[,] doppelt nützige Arbeitskraft und – ein Ordinariat! Eine Erfüllung dieser drei Wünsche ist aber ungefähr gleich wenig [in] Aussicht, und so muß ich mich bescheiden. Das hohe Ministerium hat ja für unsere Hochschule in letzter Zeit mancherlei getan, und dadurch ist die Aussicht derer, für die nichts geschehen ist, natürlich immer schlechter geworden. Aber die meisten Ordinariate, die verliehen worden sind, waren ja freilich auch nur die jetzt so belobten, die nichts oder nur möglichst wenig kosten, also auch für den, der nicht den Ehrgeiz hat, vor der Facultät zu sitzen, und nicht das Ordinariat braucht um unter den Collegen einiges Ansehen zu genießen, schließlich kein Ziel sind, aufs dringste zu wünschen. Mit herzlichen Grüßen an Dich und alle Deinen von Martha und mir, mit allen guten Wünschen für das neue beginnende Jahrzehnt Dein F. Koepp

Paul Natorp an Dilthey 

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Original: Hs.; StUB Göttingen, cod. ms. W. Dilthey, 14 l, Nr. 32. 1 Friedrich Koepp, Sohn von D.s Cousine Karoline Koepp, geb. Rückert (1831–1900). 2 F. Koepp war seit 1899 mit der Malerin Martha Susemihl verheiratet. 3 Das Ehepaar Koepp hatte damals zwei Söhne: Friedrich (geb. 1900) und Wilhelm (geb. 1902).

[1286] Paul Natorp an Dilthey Marburg 18. Nov[ember] 1903 Hochverehrter Herr Geheimrat! Herr Dr. Menzer schreibt mir, daß Sie in Unruhe seien wegen des Ausbleibens meiner Antwort bez[üglich] des M[anu]sk[ripts] zur Kr[itik] d[er] pr[aktischen] V[ernunft]. Ich war, wie fort u. fort, so auch jetzt an anderweitiger dringender Arbeit festgehalten u. konnte nicht früher Sicheres zur Antwort geben, als ich wenigstens Zeit fand, meine Papiere daraufhin durchzusehen, in wie viel Zeit die Fertigstellung möglich sei. Erst seit wenigen Tagen habe ich der Sache wenigstens einen Teil meiner Zeit widmen können, u. heute als am Bußtag habe ich so viel von meiner Sündenschuld abgewälzt als mir möglich war. Ich mußte immerhin die ganze „Kritik“, unter nochmaliger genauer Vergleichung der beiden ersten Ausgaben, wieder lesen, um mein immer von neuem schwankendes Urteil endlich festzulegen, darüber, was als sichere Verbesserung in den Text zu setzen, oder als nur mögliche bloß im Kommentar zu erwähnen ist. Ich bin mehr und mehr gestimmt die Textänderungen aufs äußerliche zu beschränken, weil auch uns klar ist, daß ein Verderben vorliegt, doch in den seltensten Fällen das Wie der Verbesserung allem möglichen Streit der Meinungen entzogen ist. So wird man einen lesbaren Text zwar nicht erhalten, aber darauf wird ja wohl überhaupt verzichtet. Es ist richtiger, daß man die Überlieferung vor Augen hat, u. wo man Anstoß nimmt, im Kommentar Aufschluß findet. Da ich mit der erneuten Durcharbeitung wohl heute noch fertig werde, so hoffe ich, in wenigen Tagen Herrn Dr. Menzer das M[anu]sk[ipt] – in Gestalt von Eintragungen in mein Exemplar der 1. Ausg[abe] – übersenden zu können, es wird dann – so nehme ich an – Herr Dr. Frey1 in dasselbe Ex[emplar] die orthogr[aphischen] sprachl[ichen] u. interpunktionellen Änderungen (sofern sie Sachliches nicht berühren) eintragen, so daß ich alles dahin Gehörige (auch den Unterschied beider Ausgaben in diesen Bereichen) bei Seite lassen darf. Zu meinem Trost glaube ich aus H[errn] Dr. Menzers heutiger Mitteilung entneh-

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Johannes Rehmke an Dilthey

men zu dürfen, daß eine Notwendigkeit den Satz augenblicklich zu beginnen, nicht vorliegt. (Nach früheren Mitteilungen hatte ich angenommen, daß der Satz überhaupt nicht vor Jahresschluß in Angriff genommen werden sollte.) Diese Zeilen treffen Sie, wenn ich nicht irre, an Ihrem 70. Geburtstag. Gestatten Sie daher, daß ich Ihnen die besten Glückwünsche ausspreche, deren näherer Inhalt zu selbstverständlich ist, als daß ich Sie mit Worten darüber ermüden dürfte. Die Erhaltung Ihrer Arbeitsfrische ist unsrer Wissenschaft not u. darum der einhellige Wunsch derer die ihr dienen.

Ihr ergebener P. Natorp

Original: Hs.; StUB Göttingen, HA , cod. ms. W. Dilthey, 14 l, Nr. 38. 1 Adolf Frey (1855–1920): schweiz. Literaturhistoriker; 1878 Promotion in Bern, 1882 Deutschlehrer im schweiz. Kanton Aarau, 1898 o. Prof. für deutsche Literatur in Zürich.

[1287] Johannes Rehmke1 an Dilthey

Greifswald, Am Graben 3 den 18. 11. 1903 Hochverehrter Herr College!

Äußere Umstände hindern mich, Ihnen an Ihrem Ehrentage persönlich meine Glückwünsche darzubringen. Ungern fehle ich unter den Festfeiernden, weil gerade Sie mir von Beginn meiner philosophischen Studien an unter all den zeitgenössischen Philosophen die sympathischste Persönlichkeit gewesen sind, zu der ich mich stets hingezogen gefühlt habe. Aus vollem Herzen stimme ich daher in den Chor der Glückwünschenden ein und hoffe sehnlichst, daß Sie uns noch lange Jahre erhalten bleiben. In treuer Zuneigung bin ich ganz der Ihrige J. Rehmke. Original: Hs.; StUB Göttingen, HA , cod. ms. W. Dilthey, 14 l, Nr. 44. 1 Der Philosoph Johannes Rehmke (1848–1930).

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Christoph Sigwart an Dilthey 

[1288] Christoph Sigwart an Dilthey

Lieber verehrter Freund

Bern, Sanatorium Ebers 18. Nov[ember] 1903

Zu Ihrem Geburtstag die herzlichsten Glückwünsche! Sie treten in die 70er in voller Tätigkeit – mögen die nächsten Jahre Ihnen ebenso glücklich u heiter verlaufen wie mir seit Anfang 19001 u dann nicht ein plötzlicher u ganz unerwarteter Stoß Ihr Wohlsein erschüttern u Ihre Thätigkeit lähmen, wie es mir diesen Sommer begegnet ist. Ich warte nun hier auf bessere Zeiten obwohl sie langsam kommen wollen – möge Ihnen ununterbrochene Thätigkeit beschieden sein! In treuem Andenken an Alles was Sie mir gewesen sind u mit den besten Empfehlungen Ihrer verehrten Frau in alter Anhänglichkeit Ihr C. Sigwart Original: Hs.; StUB Göttingen, HA , cod. ms. W. Dilthey, 14 l, Nr. 50. 1 Chr. Sigwart hatte seinen 70. Geburtstag am 28. März 1900 gefeiert.

[1289] Anna Tumarkin 1 an Dilthey Bern. D[en] 18. XI. [19]03 Hochverehrter Herr Professor! Darf an Ihrem Ehrentage auch eine Stimme stillen Dankes zu Ihnen dringen? Lebhafter noch als sonst muss ich in diesen Tagen all’ des Schönen gedenken, das mir durch Sie zu Theil geworden; und da wusste ich Niemand, mit dem ich meine Erinnerungen theilen möchte, als meine Schüler  – Ihre geistigen Nachkommen. Ihnen versuchte ich am letzten Sonntag den Eindruck, den ich nun auch all’ die Jahre von Ihrer geistigen Persönlichkeit gewonnen, zu vermitteln, jene Lebensstimmung, die, wie Sie schreiben, Ihrem Lebenswerk zu Grunde liegt, näher zu bringen. Ob es mir gelungen, weiss ich nicht, aber das

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Hermann Usener an Dilthey 

weiss ich, dass ich es mit Liebe und Hingebung that und dass meine Zuhörer diese Gefühle begriffen. Um noch einmal auf Ihren Brief an A. Stein zu kommen;2 resigniert fragen Sie, ob es Ihnen gelingen werde, Ihren Standpunkt in seinem Kern noch einmal zur Darstellung zu bringen. Es kommt mir vor, als ob es dessen zur Herstellung einer Einheit Ihres Lebenswerkes gar nicht bedürfte: Die Einheit, bei welcher der ganze Inhalt des Wirkens und Lebens in einem System zusammengefasst, aber auch erschöpft werden kann, die gewinnen Sie nicht, die haben Sie nicht und Gott sei Dank, dass Sie sie nicht haben. Jene andere Einheit aber, die jede einzelne Aeusserung zum Glied eines lebendigen Ganzen macht – wer die nicht sieht, längst schon sieht, dem ist nicht zu helfen. Und nur weil die Einheit Ihres Wirkens der letzteren Art ist, hört man nie auf, von Ihnen zu lernen und lernend, im stillen den Dank abzutragen. Als eine von den Vielen, die Ihre heilsame Wirkung erfahren, empfiehlt sich Ihnen und den verehrten Ihrigen in dankbarer Verehrung Anna Tumarkin Original: Hs.; StUB Göttingen, HA , cod. ms. W. Dilthey, 14 l, Nr. 55. 1 Anna Tumarkin (1875–1951): russ.-schweiz. Philosophin; 1895 Promotion in Bern, 1898 Habilitation ebd. als erste Frau in Europa, 1909 a. o. Prof. für Philosophie und Ästhetik – 1895 hörte A. Tumarkin während eines Forschungsaufenthaltes in Berlin bei D. 2 Nicht überliefert.  – Arthur Stein (1888–1978): Philosoph; Studium in Bern, Berlin und Freiburg i. B.; 1912 Promotion in Freiburg i. B. bei H. Rickert, 1920 Habilitation in Bern, 1931 a. o. Prof. ebd., 1946 o. Prof. für Philosophie und Pädagogik in Bern. – A. Stein war der Sohn Ludwig Steins und so bereits mit den Schriften D.s, z. B. dessen Beiträgen im AGPh, bekannt geworden. – Seine Dissertation, die 1913 in Bern veröffentlicht wurde, ist die erste über D. geschriebene: Der Begriff des Geistes bei Dilthey, 2. Aufl. unter dem Titel Der Begriff des Verstehens bei Dilthey. Tübingen 1926.

[1290] Hermann Usener an Dilthey

Mein liebster Wilhelm,

Bonn 18⁄ XI 1903

Zu Deinem siebzigsten geburtstage senden wir Dir und den Deinigen warme treue und herzliche glückwünsche. Uns alle erfüllt dieser ehrentag mit tiefem dank für das gesegnete leben und wirken, das Dir vergönnt war, und mit

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Erich Adickes an Dilthey 

heissen wünschen für die fernere dauer. Am liebsten hätte ich zusammen mit Lili persönlich mit Euch den tag begangen; aber ich durfte aus vielen gründen diese reise nicht unternehmen, und Lili, die ich dazu bestimmen suchte allein nach Berlin zu fahren, konnte sich nicht dazu entschliessen, weil sie mich nicht für längere zeit allein lassen mochte. So müssen wir uns bescheiden, in gedanken unter Euch zu sein, und an der hoffnung getrosten, recht bald einmal in grösserer ruhe uns des lange ersehnten wiedersehens zu freuen. Es sind jetzt gerade 45 jahre, dass unsere beziehungen sich enger knüpften. Du warst aus unserem Joachimsthalschen collegium ausgeschieden, und begannst Dich zur akademischen laufbahn vorzubereiten. Ich war staunender zeuge eines wunderbar raschen geistigen wachsthums, mit dem auch nur im kleinen zu wetteifern mich die fesseln der schule hinderten. Um so tiefer und nachhaltiger war für mich die einwirkung dieses vorbilds, um so grösser und reiner das glück, in immer engeres freundschaftsverhältniss zu Dir zu treten. Aus einem freund bist Du mir dann ein schwager geworden, und Deine lieblingsschwester schlang ein neues festeres band um uns, das stärker ist als raum und zeit. Ich brauche nur ein paar saiten anzuschlagen um auch in Dir klingen zu lassen was in mir tönt, und mag nicht aussprechen, was Du selbst empfindest. Mögen Dir diese tage bei aller unruhe eine erfrischung und erholung bedeuten, und einen glückbesonnten ertragreichen lebensabend einleiten. Alles beste Dir und den Deinigen wünscht mit treusten grüssen

Dein H. Usener.

Original: Hs.; StUB Göttingen, HA; cod. ms. W. Dilthey, 14 l, Nr. 57.

[1291] Erich Adickes an Dilthey

Münster, 19. 11. 1903

Dem jubilare wünsch ich noch viele schaffensreiche jahre. zum port er führ’ sie klug, durch strudel und riff der kantausgabe schwer beladen schiff, und bald vollende er lang ersehnte zweite bände[.] adickes Original: Hs.; Telegramm, StUB Göttingen, HA , cod. ms. W. Dilthey, 14 m, Nr. 1.

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Friedrich Theodor Althoff an Dilthey 

[1292] Friedrich Theodor Althoff an Dilthey

Berlin, 19. 11. 1903

Dem allverehrten Meister der Geisteswissenschaften[,] dem nie versagenden Führer und Freunde sendet auch von Meran herzlichste Glückwünsche Althoff Original: Hs.; Telegramm, StUB Göttingen, HA , cod. ms. W. Dilthey, 14 m, Nr. 2.

[1293] Richard Falckenberg an Dilthey

Hochverehrter Herr Geheimrat!

[zum 19. 11. 1903]

Da ich es mir leider versagen muss, persönlich unter den Gratulanten zu erscheinen, möchte ich Ihnen wenigstens aus der Ferne zur Vollendung des siebzigsten Lebensjahres meine wärmsten Glückwünsche darbringen mit dem Ausdruck innigster Verehrung und unauslöschlichen Dankes für die vielfache Förderung, die auch ich Ihrer wundervollen Kunst, die geschichtliche Forschung zu vertiefen, verdanke. Möge Ihr reiches und gesegnetes Können und Leisten noch lange der Wissenschaft und dem Lehramte erhalten bleiben. In verehrungsvoller Ergebenheit und aufrichtigster Dankbarkeit Ihr Richard Falckenberg Original: Hs.; StUB Göttingen, HA , cod. ms. W. Dilthey, 14 l, Nr. 14.

[1294] Karl Frenzel an Dilthey

Berlin, 19. 11. 1903

Dem verehrten Lehrer und Meister in der Philosophie und Literatur, dem geistvollen und tiefsinnigen Biographen Schleiermachers sendet zum heuti-

Fritz Graef an Dilthey

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gen Tage in treuer Anhänglichkeit und Wahlverwandtschaft die herzlichsten Grüße und Wünsche Karl Frenzel Original: Hs.; Telegramm, StUB Göttingen, HA , cod. ms. W. Dilthey, 14 m, Nr. 12.

[1295] Fritz Graef 1 an Dilthey

Flensb[ur]g, 19. Nov[ember] 1903 Hochzuverehrender Herr Professor!

In dankbarer Erinnerung an die tiefe Einwirkung, die ich durch Ihre Einführung in die Gedankenwelt der neueren Philosophie – sie ist für mich die Grundlage alles höheren Denkens geworden – wie durch Ihre Empfehlung in das Haus Yorck erfahren habe, darf auch ich meine herzlichsten Glückwünsche zum heutigen Tage mit denen vieler Anderer verbinden. Je mehr ich meines Unterrichts – Deutsch und Geschichte in Prima und Obersekunda – froh wurde, um so tiefer erwacht das Bewußtsein an das, was ich jenen Stunden und jenem Kreise verdanke. Günstiger als in jenen Tagen des schärfsten Kampfes ist heute trotz des äußeren Scheines die Lage der Geisteswissenschaften. Denn selbst in den Kreisen der Gegner hat sich die Erkenntnis von der Unzulänglichkeit ihrer philoso­ phischen Grundlegung Bahn gebrochen, und der Versuch Lamprechts,2 die Geschichte in ein Gebiet einer Gesetzlichkeit zu verwandeln, die der naturwissenschaftlichen gleichartig ist, führt im Gegenteil zu der Einsicht, daß der Kern des geistig-geschichtlichen Lebens sich uns der historischen Besinnung öffnet. Wir dürfen deshalb die Zuversicht haben, daß die historische Anschauung, welche von Herder ausgeht und in der eindringenden Betrachtung des Gefühls bei Schleiermacher ihre Grundlage findet, daß diese Anschauung, deren Fortbildung und Ausgestaltung ihr Lebenswerk ist, sich siegreich behauptet. Diese Überzeugung erfüllt mich am heutigen Tage mit tiefer Freude, mit der ich in tiefer Ehrerbietung bin

Ihr dankbar ergebener Fritz Graef.

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Isidor Halpern an Dilthey

Original: Hs.; StUB Göttingen, HA , cod. ms. W. Dilthey, 14 l, Nr. 16. 1 Fritz Graef (1860–1936): Studium der Germanistik, Geschichte und Philosophie in München, Jena und Berlin; Lehrer an der Oberrealschule in Flensburg; Schüler D.s. 2 Karl Lamprecht (1856–1915): Historiker; 1878 Promotion in Leipzig, 1880 Habilitation in Bonn, 1888 a. o. Prof. in Marburg, 1890 o. Prof. ebd., 1891 in Leipzig. – Deutsche Geschichte. 12 Bde. Berlin 1891–1909. – Lamprecht löste mit diesem Werk einen Methodenstreit in der deutschen Geschichtswissenschaft aus, der bis zur Jahrhundertwende andauerte. Er kritisierte scharf die idealistische Geschichtsauffassung der Ranke-Schüler und ihrer deskriptiven Methode. Da die Geschichtswissenschaft eine Wissenschaft sei, müsse sie versuchen, allgemeine Gesetze über die Entwicklung der Geschichte aufzustellen, auch wenn dies, im Vergleich zu den Naturwissenschaften nur begrenzt möglich sei. Vgl. hierzu: G. G. Iggers: Deutsche Geschichtswissenschaft. Eine Kritik der traditionellen Geschichtsauffassung von Herder bis zur Gegenwart (1968), 2. erw. Aufl. München 1971, bes. S. 256–260.

[1296] Isidor Halpern1 an Dilthey

Zum 19. November 1903.

Hochzuverehrender Herr Professor! Ehrfurchtsvoll menge ich mich unter die große Zahl der Glücklichen, welche, dem Brauche folgend, ihren innigsten Gefühlen für ihren wegweisenden Meister Ausdruck verleihen wollen. Ein schöner Brauch, der die Wünsche nicht bloß eine Folge der Besorgnis sein läßt! Er löst sie aus, während Sie rüstig inmitten der Arbeit vor uns stehen, eine Leuchte und ein Beispiel, wie jemals. Ein schöner Brauch, weil er jeden von uns veranlaßt, die Summe dessen zu ziehen, was er Ihnen verdankt, und weil er Sie selbst veranlaßt, sich die Früchte Ihrer segensreichen Wirksamkeit zu vergegenwärtigen. Auf die Schar Ihrer Schüler herabsehend, werden Sie auch mich unter den treuesten erblicken. Mit heißem Eifer studiere ich Ihre Historik, Ihre Psychologie und folge bewundernd Ihrem Kampf mit der Hydra der Metaphysik, um diesen Ihren Werken Geltung zu verschaffen. Ich glaube an Sie und je mehr ich schöpfe, um so mehr muß ich begehren, und darum schließe ich mich dem Chor der Gratulanten mit dem Wunsche an: Möge Ihrem Geiste vergönnt sein, lange Jahre in vollster Frische das höchste Glück gelungener Produktion zu genießen, möge diese Frische Ihnen er­lauben,

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Adolf von Harnack an Dilthey 

lange Jahre in persönlichem Umgang uns zu erziehen, auf daß Sie wachsende Freude an uns haben!

I. Halpern.

Original: Hs.; StUB Göttingen, HA , cod. ms. W. Dilthey, 14 l, Nr. 19. 1 Isidor Halpern (1876–1932): poln. Philosoph; Schleiermacherforscher und -editor; Schüler D.s. – Halpern gab 1903 Schleiermachers Dialektik in Berlin heraus. In seiner Einleitung nimmt er sehr häufig Bezug auf D.s Schleiermacher-Studien.

[1297] Adolf von Harnack an Dilthey

W[est] 15.  19. XI. 1903. Hochverehrter Herr College!

Ich wollte Ihnen meine Glückwünsche heute persönlich darbringen; aber meine Stimme ist so leidend, daß ich heute Vorles[un]g u. Seminar aussetzen muß. Gestatten Sie daher, daß ich schriftlich komme mit den herzlichsten Wünschen. Siebzig Jahre haben Sie vollendet; Sie haben ein großes Stück philosophischer Entwicklung in dieser Zeit erlebt. In allem Wandel der Dinge und der Interessen haben Sie nicht nur Ihre ursprüngliche Position behauptet, sondern auch zu vertiefen verstanden und gezeigt, daß die Aufgaben und Ziele, die Sie der philosophischen Forschung gesetzt haben, bestehen bleiben, mag das actuelle Interesse sich nun zeitweilig der Psychophysik oder dem Gnosti­cismus oder dem Augusticismus zuwenden. In der höheren menschlichen Cultur und der höheren menschlichen Psychologie haben Sie kein bloßes Farbenspiel sehen wollen, sondern den wichtigsten Stoff für das philosophische Nachdenken und den sich enthüllenden Kern des Wesens der Dinge. Darum haben Sie Geistesgeschichte und „Metaphysik“ in engstem Zusammenhang gehalten und mit einer Feinheit, die Ihnen Niemand ablauschen kann, Geschichte durch Philosophie und Philosophie durch Geschichte gedeutet. Die historische Schule innerhalb dieser philosophischen Bewegung ist unter Ihrer Führung eine wahrhaft philosophische geblieben. Gestatten Sie, daß Ihnen der Historiker, soweit ich die Rolle desselben führen darf, dafür herzlich

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Alois Riehl an Dilthey 

dankt, und auch der Theologe betheiligt sich an diesem Danke. Gott schenke Ihnen noch viele Jahre.

Verehrungsvoll Ihr A. Harnack.

Original: Hs.; StUB Göttingen, HA , cod. ms. W. Dilthey, 14 l, Nr. 20.

[1298] Alois Riehl an Dilthey Halle a/S. zum 19. Nov[ember] 1903. Hochverehrter Herr College, wenn es nach meinem Wunsche ginge, mischte ich mich heute unter die Schaar der Glückwünschenden, Sie Ehrenden. Wir danken Ihnen für Ihre geisteswissenschaftlichen Werke: wir denken daran, wie Sie, Kants tiefsten Gedanken verfolgend und entwickelnd, uns in der Einheit, in dem Zusammenhang das ursprünglich Gegebene der psychologischen Erfahrung und Erkenntnis zeigten; wie Sie neben der Wirklichkeitserforschung den Wertbestimmungen und Zwecksetzungen ihr Recht und ihre selbständige Bedeutung wahrten und durch Sonderung des geschicht­ lichen Lebenszusammenhanges in Kultursysteme die wahren Grundlagen für die einzelnen Geisteswissenschaften aufdeckten; wie Sie endlich die Eigenart der descriptiv-psychologischen Aufgaben zum Nutzen selbst der gegnerischen Auffassungen vertraten und bis zum Grenzproblem der psychologischen Forschung, dem Studium der Individualität[,] vordrangen. Um das Studium Kants haben Sie sich durch die Anregung und Leitung der Akademie-Ausgabe der Werke unvergängliche Verdienste erworben. Auf so reiches und fruchtbares Wirken dürfen Sie heute mit der vollkommensten Befriedigung zurückblicken; Sie sollen und dürfen aber auch mit der größten Zuversicht ausblicken auf eine lange Reihe von Jahren weiteren Wirkens und Schaffens. Wenn ich Ihnen meine Gesinnung und meine Wünsche nur schriftlich ausdrücke, so geschieht es in dem Gefühle, daß ich in dieser Zeit kein rechter Gast und Teilnehmer an Ihrem Feste sein kann; es ist die Zeit der schmerzlichsten Erinnerungen für mich und meine Frau.1

Georg Wobbermin an Dilthey

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Nehmen Sie darum meine Zeilen nicht weniger freundschaftlich auf und lassen Sie mich wiederholen, daß mich unter anderen Umständen nichts von meinem persönlichen Erscheinen hätte abhalten können. Mit den herzlichsten Wünschen für Sie und die Ihren und der Bitte, mich Ihrer verehrten Frau Gemahlin, der ich zu Ihrem Ehrentage gleichfalls alles Glück wünsche, angelegentlich zu empfehlen, bin ich Ihr treu ergebener A. Riehl. Original: Hs.; StUB Göttingen, HA , cod. ms. W. Dilthey, 14 l, Nr. 46. 1 A. Riehl war seit 1881 in zweiter Ehe mit der Tochter des Grazer Prof. der Medizin Alexander Reyer, Sophie, verheiratet. – Der Vorgang ist nicht mehr zu ermitteln.

[1299] Georg Wobbermin1 an Dilthey

Steglitz, d[en] 21. XI. [19]03.

Hochverehrter Herr Geheimrat! Es war meine Absicht gewesen, die Glückwünsche, die ich Ihnen vorgestern bei der gemeinsamen Gratulation aussprechen durfte, heute persönlich zu wiederholen und Ihnen als sehr bescheidenes Zeichen meiner Dankbarkeit und Verehrung einen Aufsatz zu überreichen, den ich für die Christliche Welt geschrieben und in dem ich die Bedeutung des 19. Nov[ember] speziell für die Förderung des Verständnisses von Religion und theologischer Arbeit darzulegen versucht habe.2 Die Christliche Welt ist die Sonnabends erscheinende kirchlich-theologische Wochenschrift, die Dr. Rade3 in Marburg herausgiebt und der Prof. Harnack nahesteht. Zu meinem größten Ärger erhalte ich nun aber soeben von Dr. Rade die Nachricht, daß er durch redaktionelle Gründe gezwungen worden sei, meinen Artikel, der auch länger sei als er erwartet habe, zurückzustellen, daß er mir indes verspreche, ihn zu bringen „sobald es irgend angehe“. Unter diesen Umständen wage ich es nicht, Ihre Zeit augenblicklich durch Wiederholung meines Besuches in Anspruch zu nehmen; andererseits glaubte ich, die Mitteilung dieser Notiz nicht unterschlagen zu sollen.

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Albert Friedrich Berner an Dilthey

Unter Wiederholung meiner aufrichtigsten Glück- und Segenswünsche verbinde ich mit diesen den Ausdruck tiefgefühlter Dankbarkeit für alle Anregung und Förderung, die ich Ihnen verdanke,  – von den unvergeßlichen Eindrücken Ihrer Philosophie- und Pädagogik-Vorlesungen an bis zu den herrlichen Stunden, die ich in Ihrem Hause verleben durfte. Für die letzteren bin ich aber zugleich Ihrer hochverehrten Frau Gemahlin zu größter und unauslöschlicher Dankbarkeit verpflichtet.

In ehrerbietigster Verehrung Ihr ergebenster Georg Wobbermin.

Original: Hs.; StUB Göttingen, HA , cod. ms. W. Dilthey, 14 l, Nr. 60. 1 Georg Wobbermin (1869–1943): ev. Theologe; 1894 Promotion in Berlin, 1895 Lic. theol., 1898 Habilitation in Berlin, 1906 a. o. Prof. in Marburg, 1907 o. Prof. in Breslau, 1915 in Heidelberg, 1922 in Göttingen, 1935 in Berlin. 2 G. Wobbermin: Die Philosophie Wilhelm Diltheys, in: Die christliche Welt 18 (1904), Nr. 4, Sp. 323–328. 3 Martin Rade (1857–1940): ev. Theologe und linksliberaler Politiker; Pfarrer in Schönbach / Oberlausitz und Frankfurt a. M., 1899 Prof. in Marburg, 1886/87 Herausgeber der Zeitschrift Evangelisch-lutherisches Gemeindeblatt für die gebildeten Glieder der evangelischen Kirche; ab 1888/89 erschien die Zeitschrift unter dem Namen Die christliche Welt.

[1300] Albert Friedrich Berner1 an Dilthey Charlottenburg 22. 11. [19]03 Teurer Herr College! Die heutige National-Zeitung berichtet, daß Sie jüngst Ihren siebzigsten Geburtstag gefeiert haben. Freudig benutze ich die Gelegenheit um Ihnen meine Verehrung auszusprechen. Aus jenem Bericht ersehe ich wie sehr ich bedauern muß bisher keinen geistigen Verkehr mit Ihnen gehabt zu haben. Wie nahe würden wir uns gestanden haben durch die uns gemeinsame enge Verbindung mit Schleiermacher und Trendelenburg,2 und wie nahe hätte mich der von Ihnen gewonnene Standpunkt interessirt.

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Konrad Burdach an Dilthey

Kaum wage ich zu hoffen, daß ich – fast Fünfundachtzigjähriger [–] noch Einiges von dem wiedererlangen zu können was mir bisher entgangen ist.

Glück auf zum neuen Lebensjahr! F. Berner

Bismarckstr. 11 Original: Hs.; StUB Göttingen, HA , cod. ms. W. Dilthey, 14 l, Nr. 1. 1 Albert Friedrich Berner (1818–1907): Jurist und Philosoph; 1842 Promotion in Berlin, 1844 Habilitation und PD für Strafrecht ebd., 1848 a. o., 1861 o. Prof. in Berlin. 2 A. F. Berner hatte wie D. in Berlin bei F. A. Trendelenburg Philosophie studiert.

[1301] Konrad Burdach1 an Dilthey Grunewald bei Berlin Paulsbornerstr. 8II [22. November 1903] Hochverehrter Herr Geheimrath, gerade als ich vorgestern (Freitag) mich auf den Weg machen wollte zu dem Festmahl im Kaiserhof, erfuhr ich zufällig durch eine Karte Erich Schmidts, daß dieses Ehren-Symposion auf Dienstag verschoben worden sei. Auf der mir zugesandten Mitteilung war der 20. genannt worden.2 Eine weitere Nachricht hatte ich nicht erhalten. So ist es denn gekommen, daß ich am nächsten Dienstag leider durch feste Zusage anderweit verpflichtet und so zu meinem größten Bedauern verhindert bin, diesem zweiten Teil der Ihnen geweihten Feier beizuwohnen. Im Geiste werde ich aber im Kreise derer sein, die auf Sie das Glas erheben. Mit ergebensten Empfehlungen, in die ich auch Ihre Frau Gemahlin und Fräulein Tochter einschließe, Ihr K. Burdach. Original: Hs.; StUB Göttingen, HA , cod. ms. W. Dilthey, 14 l, Nr. 5.

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William Stern an Dilthey

1 Der Germanist Konrad Burdach (1859–1936), seit 1894 o. Prof. in Berlin, war seit 1902 Leiter der von der Königl. Preuß. AdW zu Berlin neugeschaffenen Forschungsstelle für deutsche Sprachwissenschaft. 2 Zur Vorbereitung der Feierlichkeiten zu D.s 70. Geburtstag am 19. November 1903 wurde von Seiten der Universität ein Festkomitee gegründet, bestehend aus D.s Kollegen und Freunden C. Stumpf, A. vom Rath und D.s Schüler A. Heubaum. Im September wurde beschlossen, zu seinen Ehren ein Bildnis D.s in Auftrag zu geben. Der Berliner Maler R. Lepsius, mit D. seit Jahren gut bekannt, erklärte sich „mit Freuden zur Ausführung des Bildes bereit“. – Das Bildnis wurde im August 1904 fertiggestellt; vgl. hierzu den Brief von R. Lepsius an seine Ehefrau Sabine vom 21. August 1904: „Mein Dilthey ist glaube ich sehr gut geworden.“ (Original: DLA Marbach, NL Lepsius, Briefe R. Lepsius an Sabine Lepsius (1904). Bestandsnr. 661556 ). Die Kosten in Höhe von ca. 2500 Mark sollten von Kollegen, Freunden und Schülern eingesammelt werden. – D. sollte an seinem Geburtstag eine mit den alphabetisch sortierten Namen sämtlicher Beteiligter versehene „Glückwunsch-Adresse“ von C. Stumpf im Beisein aller Geldgeber überreicht werden, in welcher D. gebeten wird, „Herrn Lepsius die zur Herstellung des Portraits erforderlichen Sitzungen zu gewähren“. – Weiterhin wurde geplant, D. mit seiner Familie zu einem Festessen im „Kaiserhof“ unter Teilnahme aller Gratulanten einzuladen. Als Termin wurde Freitag, der 20. November, festgesetzt. Offenbar aber wurde dieser Termin geändert, denn aus einer gedruckten Mitteilung vom 23. November an P. Ritter heißt es: „Das Festessen zu Ehren des Herrn Dilthey findet Dienstag, den 24. November, 7 ½ Uhr, im Kaiserhof in den Sälen Eingang Mauerstraße statt“. (Original: ABBAW, NL Ritter, A: Paul Ritter, I. 1. Bd. V, Nr. 31). – Das damalige Grandhotel „Kaiserhof“, eröffnet 1875, lag am Wilhelmsplatz in Nähe der Reichskanzlei. Es wurde im November 1943 durch Bombeneinschläge völlig zerstört.

[1302] William Stern1 an Dilthey

Sehr verehrter Herr Geheimrat!

Breslau, den 22. 11. [19]03 Höfchenstr[aße] 101.

Ein alter Schüler, der mit Freude und Dankbarkeit an die Zeiten zurückdenkt, da er durch Ihre Lehre in das Gebiet seines zukünftigen Lebensberufes eingeführt wurde, spricht Ihnen aus vollstem Herzen seinen aufrichtigen Glückwunsch zu Ihrem siebzigsten Geburtstag aus. Mögen Sie in unveränderter Rüstigkeit noch viele Jahre wirken und schaffen; möge es noch vielen Jüngern der Wissenschaft vergönnt sein, von Ihnen Lehre und Anregung zu empfangen! In hochachtungsvoller Verehrung begrüßt Sie Ihr William Stern.

Elisabeth Schmidt an Dilthey

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Original: Hs.; StUB Göttingen, HA , cod. ms. W. Dilthey 14 l, Nr. 54. 1 William Stern (1871–1938): Psychologe und Philosoph; 1812 Promotion in Berlin bei H. Ebbinghaus, 1907 o. Prof. für Pädagogik in Breslau, 1916 o. Prof. der Philosophie in Hamburg, 1933 Flucht in die Niederlande, später in die USA. – W. Stern war der Begründer des „kritischen Personalismus“, der auf einem ganzheitlichen Menschenbild als „Grundtatsache der Welt“ beruht, und er war ein Vertreter der differentiellen Psychologie, die versucht, Merkmale von Typen, Gruppen etc. aufzufinden statt psychologischer Gesetze.

[1303] Elisabeth Schmidt 1 an Dilthey

Verehrter Freund

Bad Harzburg, den 23. 11. [19]03 Bergstrasse Villa Wiesé

Ein paar Stunden nach meiner Ankunft hier in Harzburg reichte mir gestern Abend mein Tischnachbar die Zeitung und der erste Blick, den ich hinein werfe, begegnet Ihrem Namen lieber Freund!2 So lese ich von dem schönen Fest, das Ihnen bereitet worden ist. Schade Schade! daß ich Ihnen nicht auch habe die Hand drücken können, es wäre so leicht möglich gewesen: ich brauchte nur ein, zwei Tage eher abzufahren und statt nach Harzburg nach Berlin! An solchem Tag dürfte Niemand fehlen, der Sie so lange auf Ihrem Lebensweg begleitet und von den schönen Früchten, die Ihre Hand gepflückt, sein reichlich Theil mitempfangen hat. Ich begreife ­Lilli3 nicht, die gewiß unter den Beglückwünschenden gegenwärtig war, daß sie mich nicht zu rechter Zeit davon benachrichtigt hat. Sie haben wol gehört wie wir in Bonn uns trafen, die Heimreise zusammen machten, uns wie Schwestern ein wenig zankten und vertrugen und uns erst in Freiburg von einander trennten, wo ich meinerseits mit dem Gefühl, ihr, wie gleichfalls U ­ sener, an Güte und Nachsicht unendlich viel schuldig geworden zu sein, Abschied von ihr4 nahm. Natürlich hatten wir öfters von Ihnen gesprochen und ich durch Usener aus Ihrer ersten Berliner Zeit, die Sie in Ihrer Rede als die mächtigste an Beeinflußungen schildern, noch mancherlei erfahren – wie verheißend schon damals der jungen Menschen chuzpe5 war! Dann ging Usener, wir kamen[;] so konnte ich das Bild der nächsten Jahre ihm meinerseits ergänzen. Welche Zeit war das lieber Freund die wir zusammen erlebten! Der unvergeßlichste Tag von allen [war] wol der, an dem wir Beide Abends über den Gendarmenmarkt gingen, wo aus offenen Pechschaalen an den Bildsäulen die ersten Flammen-

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Elisabeth Schmidt an Dilthey

zungen einer neuen Zeit gen Himmel loderten. Wir wußten von einander, daß Jeder das Gleiche empfand, es drängte uns unter das Fenster des Mannes, dem wir sie zu verdanken haben.6 Nun konnten wir beruhigt in Hoffnung und Vertrauen der großen Zukunft entgegen gehen, die sich schneller und herrlicher als gedacht entfaltete. Leider erlebten Sie das Jahr der Erfüllung nicht mit in Berlin und wir verloren uns im Rausch der Überraschungen etwas aus den Augen bis Sie mir Ihre liebe Käthe zuführten – wie erstaunt ich über das goldblonde Glück Ihres Lebens [war]! Wie flog ihr mein Herz entgegen, und wie bereitwillig war sie, das alte Freundschaftsband von neuem anzuknüpfen[,] wie treu half sie, es für immer zu erhalten. Laßen Sie mich an diesem wichtigen Abschnitt Ihres Lebens Ihnen Beiden meinen schönsten Dank einmal aussprechen, für alles geistig Fördernde, Lebenschmückende, Verlaßenheit erleichternde das mir durch Ihre beiderseitige Freundschaft zu Theil geworden ist. Möchten doch aus dieser langen Verbindung einige Setzlinge auch in den Herzen Ihrer Kinder Wurzel gefaßt haben und ihnen die Tante Julian durch Alter und Form und dergleichen böse unerfreuliche Dinge nicht völlig entfremdet werden. Leben Sie wohl! Vielleicht erfreuen Sie[,] liebe Frau Käthe, mit einem ausführlicheren Bericht als die Zeitungen bringen.

Ihre alte Freundin Julian Schmidt

Original: Hs.; StUB Göttingen, HA , cod. ms. W. Dilthey, 14 l, Nr. 47. 1 Elisabeth Schmidt war die Witwe des Literaturhistorikers und Publizisten Julian Schmidt (1818–1886); Freunde D.s. seit 1862. 2 In der Täglichen Rundschau vom 22. November 1903 (Nr. 547, Vierte Beilage, S.2) wird über D.s Feier zu seinem 70. Geburtstag berichtet: „Auf eine Ansprache des Geh[eimen] Reg[ierungs]-Rats Prof. Stumpf erwiderte der Gefeierte mit einer Rede, die in meisterhaft knappen Linien ein Bild der großen Bewegung entwarf, in der seine Lebensarbeit gegründet ist.“ – Es folgt in dem Beitrag eine Wiedergabe der Rede D.s in ungefährem Wortlaut (Original: ABBAW, Dilthey-NL, Fasz. 138, unpaginiert); vgl. GS V, S. 7–9. 3 Lilly Usener, D.s Schwester. 4 Im Brieforiginal: „ihnen“. 5 Frechheit, Dreistigkeit. 6 Vermutlich ist die Gründung des Deutschen Reiches 1871 gemeint.

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Robert Sommer an Dilthey

[1304] Robert Sommer1 an Dilthey

Gießen, 24. 11. 1903

dem verehrten lehrer der psychologie als lebendige wissenschaft heil! heute leider verhindert[.] professor sommer Original: Typoskript; Telegramm, StUB Göttingen, HA , cod. ms. W. Dilthey, 14 m, Nr. 34. 1 Robert Sommer (1864–1937): Psychiater und Philosoph; 1887 Promotion in Philosophie, 1888 Approbation, 1889 Assistenzarzt in der Psychiatrie, 1895 a. o., 1896 o. Prof. in Gießen. – Seit 1885 hatte Sommer Philosophie in Berlin studiert und D. kennengelernt; Briefpartner D.s.

[1305] Reinhold Seeberg1 an Dilthey Sehr verehrter Herr Kollege

Berlin W[est] 50, den 25. November [19]03 Nürnbergerstr. 40

Heute erst las ich in der Zeitung von der Feier Ihres siebzigsten Geburtstages und dem schönen Fest, das sich an denselben geschlossen hat. So kann ich nur als ein sehr verspäteter Gratulant vor Sie treten und mit diesem Gruß wähle ich den brieflichen Weg. Von Herzen wünsche ich Ihnen Glück und Segen für Ihren ferneren Lebensweg. Ich verdanke Ihren Arbeiten große Fülle von Anregungen und methodischen Gesichtspunkten, die mir für meine eigene wissenschaftliche Entwicklung wertvoll geworden sind, daß es mir ein inniges Bedürfnis ist, Ihnen an der Wende eines bedeutungsvollen Dezenniums im Leben einmal meine warme Verehrung und aufrichtige Dankbarkeit auszudrücken. Daran schließe ich den herzlichen Wunsch, daß Sie uns noch lange in der Originalität Ihres geistigen Schaffens und in der anregenden Kraft Ihres Wirkens erhalten bleiben!

Mit dem Ausdruck aufrichtigster Verehrung bleibe ich stets Ihr ergebenster R. Seeberg.

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Eugen Hirschberg an Dilthey

Original: Hs.; StUB Göttingen, HA , cod. ms. W. Dilthey, 14 l, Nr. 49. 1 Reinhold Seeberg (1859–1935): ev. Theologe; 1884 PD für systematische Theologie in Dorpat, 1894 o. Prof. in Erlangen, 1898–1927 in Berlin.

[1306] Eugen Hirschberg1 an Dilthey

Berlin W[est] 30 Nov[em]b[e]r 1903. Victoriastr[aße] 17.

Hochverehrter Herr Geheimer Regierungsrath! Erlauben Sie gütigst einem Nachzügler, der bisher durch Krankheit verhindert war, bescheiden an Ihre Thüre zu klopfen, um Ihnen zu Ihrem 70ten Geburtstage seine wärmsten Glückwünsche in herzlicher Dankbarkeit zu überbringen. In meinem 50ten Lebensjahr habe ich meinen bürgerlichen Beruf aufgege­ ben, um mich dem Studium zu widmen und bis vor einem Jahre habe ich vier Semester lang zu Ihren Füßen gesessen und Ihren Vorlesungen über Geschichte und System der Philosophie mit Spannung, mit Begeisterung und – was mehr bedeutet – mit Nutzen gelauscht. Mit Entzücken gedenke ich namentlich auch der kurzen Anreden, mit denen Sie stets für die trampelnde Gratulation den Studenten an Ihren Geburtstagen dankten und die stets eine Wahrheit u. eine Anregung, ein Bekenntniß u. eine Lehre aus dem vollen und abgeklärten Born 2 Ihrer philosophischen Lebensweisheit offenbarten. Ich hoffe nicht anmaßend zu sein, wenn ich Ihnen meine Dissertation, auf Grund derer ich vor 5 Monaten als 54-Jähriger zum Doctor promoviert wurde, als Beweis meiner Dankbarkeit für die von Ihnen erhaltene Anregung übersende. Ich würde mich unendlich freuen, wenn Sie besonders in Vor- und Schlußvortrag u. in dem Kapitel über D’Alembert eine Frucht Ihrer reichen Belehrung entdecken würden, eine Spur Ihres Geistes, mit dem Ihr beredter Mund die Hörer erfüllte und begeisterte. Die Gewißheit dieser Annahme würde für mich die Ehre einer zweiten Promotion bedeuten. Mögen Sie noch viele Jahre in geistiger und körperlicher Kraft der Wissenschaft und als Zierde der Berliner Universität erhalten bleiben, die – nach Mommsens Heimgang – nicht viele gleich universale Geister und als Philo­ sophen keinen zweiten auch nur annähernd Ihnen zur Seite stellen kann.

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Dilthey an Herman Nohl 

Genehmigen Sie, Herr Geheimrath, die aufrichtige Versicherung meiner steten Dankbarkeit und ausgezeichneten Hochachtung. Ihr ganz ergebener Eugen Hirschberg. Dr. phil. Original: Hs.; StUB Göttingen, HA , cod. ms. W. Dilthey, 14 l, Nr. 23. 1 Eugen Hirschberg (geb. 1849): 1903 Promotion.  – Ders.: Die französischen Ency­ klopädisten und die Französische Oper im 18. Jahrhundert. Leipzig 1903. 2 Brunnen.

[1307] Dilthey an Herman Nohl Lieber Freund,

Berlin, 18.12. [19]031

der Hegel ist Ihnen unangenehm und es ist mir leid, dass ich wieder auf ihn zurückgekommen bin. Das einzige, was ich wünschte, wäre, einigermassen das Verhältnis zu den Manuscripten, die Ihnen weit gegenwärtiger sind als mir. Von allem andren bitte ich nur aufzuschreiben, was Sie gerade haben. Und dies gethan, und zwar nur so gut es eben im Momente geht, wollen Sie zu Ihrer eignen Arbeit zurückkehren und sie fertig machen.2 Ich mache indess das System fertig und schreibe die Akademieabhandlung.3 Herzliche Wünsche zu erneutem behaglichen Wohlsein treulichst Ihr W. D. Original: Hs.; Postkarte; Diktat D.s von der Hand Clara D.s, StUB Göttingen, HA , cod. ms. H. Nohl, 94, Nr. 6. 1 Datierung nach Poststempel. 2 H. Nohl versuchte – trotz der zeitraubenden, „absorbierenden“ Tätigkeiten für D. – an seiner Dissertation über Sokrates zu arbeiten und war gerade mit einem Aufsatz über Feuer­ bach befasst: Anselm Feuerbach. Ein Beitrag zu seinem Verständnis, in: WM 48 (1904), S. 657 ff.  – Seinem Lehrer D. zu Ehren schrieb er zu dessen 70. Geburtstag: 1) Wilhelm

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Ferdinand Freiherr von Richthofen an Dilthey

Dilthey zum 70. Geburtstag, in: Unterhaltungsbeilage zur „Täglichen Rundschau“, Nr. 271, Donnerstag, den 19. Nov[ember] 1903; 2) Aus dem Leben eines deutschen Gelehrten. (Bericht über die Feier von Diltheys 70. Geburtstag), in: Tägliche Rundschau, Nr. 547 vom 22. November 1903; 3) Wilhelm Dilthey, Leben und Schaffen eines deutschen Philosophen der Gegenwart, in: WM 48 (1904), S. 389 ff. 3 D. hielt am 7. Januar und 11. Februar 1904 einen Vortrag in der Akademie über Die Function der Anthropologie in der Cultur des 16. und 17. Jahrhunderts, in: Sitzungsberichte der Königl. Preuß. AdW zu Berlin, philos.-histor. Klasse, Jg. 1904, S. 2–33 und S. 316–347; WA in: GS II, S. 416–492.

[1308] Ferdinand Freiherr von Richthofen1 an Dilthey Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin, 21. 12. 1903 Sehr geehrter Herr Kollege! Im Anschluß an unsere mündliche Verabredung möchte ich nun auch noch das schriftliche Ersuchen an Sie richten, Rektor und Senat unser Universität bei der Feier des 90sten Geburtstages des Seniors unsres Lehrkörpers, des Wirklichen Geheimen Raths Professor Dr. Zeller in Stuttgart,2 persönlich vertreten und dem Jubilar den Ausdruck unsrer auf­richtigsten Glückwünsche und allseitigen hohen Verehrung übermitteln zu wollen. Mit verbindlichstem Dank für Ihr freund­liches Anerbieten, die Vertretung zu übernehmen Ihr ergebener Richthofen Original: Hs.; StUB Göttingen, HA , cod. ms. W. Dilthey 45, Autographenmappe Clara Misch, Nr. 24. 1 Der Geograph Ferdinand Freiherr von Richthofen (1833–1905), der seit 1886 in Berlin lehrte. 2 E. Zellers 90. Geburtstag am 22. Januar 1904 stand bevor. – Fr. Freiherr von Richt­ hofen war von 1903 bis 1904 Rektor der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin.

Dilthey an Ernst Bessel Hagen 

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[1309] Dilthey an Ernst Bessel Hagen1 Berlin, S[üd] W[est] 13, Neuenburger Straße 26. 26. XII. 1903. Hochgeehrter Herr Geheimrat! Herr Geheimrat Dilthey hat mich beauftragt, Ihnen die gewünschten Mitteilungen über die seiner Zeit von Ihnen gütigst der Kantausgabe überlassenen Manuscripte und Drucksachen zu machen. Ich thue dies hiermit und erlaube mir darauf hinzuweisen, dass die Papiere etc. in ihrer grossen Mehrzahl bereits zurückgeliefert sind und im Geldschrank der Akademie aufbewahrt werden. Es fehlen einmal die Kantmanuscripte, welche Herr Professor A ­ dickes in Münster aufbewahrt. Auf meine Anfrage teilt er mir mit, dass er den Wunsch hat, sie bis zur Drucklegung benutzen zu dürfen, wodurch ihm die Arbeit sehr erleichtert werden würde. Ich darf aber nicht verhehlen, dass diese sich noch einige Jahre hinziehen wird. Für eine feuersichere Aufbewahrung ist allerdings Sorge getragen worden und es ist vielleicht besser, wenn eine Übersendung jetzt noch nicht erfolgt, um eine nochmalige an Herrn Prof. Adickes die wir vielleicht erbitten müssten, zu vermeiden. Ausserdem werden für Bd. II einige Drucksachen in diesen Wochen noch verwertet. Dieselben würden aber bis zum 1. April ebenfalls frei werden und zurückgegeben werden können. Herr Geheimrat Dilthey bittet nun gütigst entscheiden zu wollen, wie verfahren werden soll. Soll der schon erledigte Teil sofort zurückgegeben werden oder erst mit den erwähnten Drucksachen zum 1. April? Wie soll mit den Papieren, welche Prof. Prof. Adickes aufbewahrt, verfahren werden? Sobald Ihre Entscheidung eingetroffen ist, werden wir danach verfahren und eventuell Antrag um Verlängerung der Leihfrist stellen. Herr Geh[eimrat] Dilthey hat mich beauftragt, Ihnen, hochverehrter Herr Geheimrat, seinen verbindlichsten Dank auszusprechen für die seltene Liberalität, mit welcher Sie die Papiere so lange Zeit in unseren Händen liessen und er bittet um Entschuldigung, dass im Drange der Geschäfte nicht schon längst um eine Verlängerung der gütigst gewährten Leihfrist gebeten wurde. Mit vorzüglicher Hochachtung ergebenst Dr. Paul Menzer Secretär der Kantcommission.

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Dilthey an Paul Ritter 

Original: Hs., im Auftrag D.s geschrieben von P. Menzer; BSB München, HA , Autogr. Menzer, Nr. 8. 1 Ernst Bessel Hagen (1851–1923): Physiker; 1873 Assistent von Robert Wilhelm Bunsen in Heidelberg, 1875 Promotion ebd., 1878 Assistent von H. von Helmholtz in Berlin, 1883 Habilitation ebd., 1884 a. o. Prof. in Dresden, 1893 Direktor einer Abteilung der „Physikalisch-Technischen Reichsanstalt“ in Charlottenburg / Berlin. – E. B. Hagen besaß Kant-Handschriften aus seinem Familienerbe; der Königsberger Apotheker und Prof. für Physik, Chemie und Mineralogie Karl Gottfried Hagen (1749–1829) war ein Hörer und Tischgenosse Kants (vgl. hierzu Stark, S. 44 ff.).

[1310] Dilthey an Paul Ritter

Dezember 19031

Eben, Lieber Freund, erhalte ich Ihre Zeilen.2 Sie haben wohl recht, meines Anteils an Ihrem Verlust sich gewiß zu fühlen, u. was Ihnen jetzt in diesen Tagen das Bewußtsein treuer Gesinnung eines Anderen sein kann, das ist Ihnen sicher von meiner Seite. Wollen Sie nur, ich bitte Sie, dem Schmerz nicht zu sehr sich hingeben, in all das was der Tod eines Vaters in uns aufruft, nicht zu sehr sich vertiefen. Wenn es wünschenswerth erscheint daß Sie über Donnerstag bleiben, so wollen Sie nur wenn nicht direkt an Herrn Diels an mich telegraphieren oder schreiben. Erhalte ich von Ihnen Donnerstag früh Nachricht so kann ich mit H[errn] Diels in d[er] Akademie das Ihnen etwa Wünschenswerthe besprechen. Noch einmal[:] geben Sie sich der Weichheit Ihres Gemüthes nicht allzusehr hin, und wenn Sie zurückkehren, so suchen Sie mich ja gleich Abends auf, damit Sie sich auszusprechen Gelegenheit finden. In Treue Ihr Wilhelm Dilthey Original: Hs.; ABBAW, NL Ritter, A: Paul Ritter, I. 1. Bd. V, Nr. 33. 1 Im Brieforiginal: nachträgliche Datierung von der Hand P. Ritters. 2 Nicht überliefert.

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Dilthey an Paul Natorp 

[1311] Dilthey an Paul Natorp 13. Jan[uar] [1904]1 Verehrter Herr College, ich möchte Ihnen doch mittheilen daß am 22 Januar d[er] 90[.] Geburtstag v[on] Zeller ist u. Diels und ich von hier hin­ gesandt sind, von Heidelb[erg] wird wol Windelband wie er eben schreibt 2 kommen, von Bern Stein. Bleibt v[on] d[en] Universitätsaufenthalten Marburg. Es wäre schön Sie thäten auch was, am schönsten Sie kämen. Treulichst Ihr Dilthey Original: Hs.; Postkarte; UB Marburg, HA , ms. 831/690. 1 Datierung nach Poststempel. 2 Nicht überliefert.

[1312] Dilthey an seine Familie Hôtel Marquardt Stuttgart

Sonnabends 6 Uhr [23. Januar 1904]1

Ihr Liebsten, ich komme Morgen Sonntag Abend 10 Uhr 30.2 Wenn mich jemand ab­holt ist es mir lieb. Es ist hier sehr schön mit den lieben Menschen, aber das Wetter ist trüb und ich kann mich beständiger Gesellschaft nicht ent­ziehen. Heute saß erst Diels Morgens zum Geplauder bei mir bis er fortfuhr, dann war ich mit Windel­band bis zum Essen, dann lebhaftest bei Kalkreuths, die Gräfin be­ gleitete mich dann und wir saßen noch eine wundervolle Stunde bei Zellers deren treue Liebe zu uns ich innigst empfand. Jetzt brachte die Gräfin mich ins Hôtel – und ich habe mich losreißen müssen. Will ganz für mich sein u. Morgen 9 ¾ Uhr abfahren. Ein Nebenerfolg ist daß ich Windelband kennen lernte u. mir doch eine bestimmtere Vorstellung bilden konnte von einer eventuellen Einrichtung einer

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Dilthey an seine Familie 

freilich sehr eventuellen Zukunft und auch mit Diels eines Sentiments in der Beurtheilung der Person [einig] bin. Dies Alles ist mir sehr lieb.

Also auf frohes Wiedersehen Dein Wilhelm

Von Euch keine Nachricht. Original: Hs.; StUB Göttingen, HA , cod. ms. W. Dilthey, 13 f, Nr. 23. 1 Datierung nach Poststempel. 2 Der 23. Januar war im Jahre 1904 ein Sonnabend. – D. war zur Feier von E. ­Zellers 90. Geburtstag am 22. Januar 1904 nach Stuttgart gereist, wo dieser seit 1895 lebte. – Als Vertreter der Universität Berlin und ehemaliger Kollege Zellers hielt D. folgende Rede: „Ew. Exzellenz soll ich die verehrungsvollen Glückwünsche der Universität Berlin zu Ihrem 90. Geburtstag darbringen. Auch die philosophische Fakultät, der Sie zweiundzwanzig Jahre hindurch näher zugehört haben, gestattet sich, ihr Gefühl fortdauernder dankbarer Erinnerung am heutigen Tage von neuem auszusprechen. Zweimal und auf zweierlei Weise ist unsre Universität Berlin mit Ihnen verbunden gewesen. Eine gute alte schwäbische Sitte hat einst den jungen Theologen ins ‚deutsche Ausland‘ geführt, und damals zuerst haben Sie auch Berlin aufgesucht. Eben waren Hegel und Schleiermacher hingegangen, aber der Schüler von Baur und Strauß fand sich doch noch auf der Berliner Universität von dem fortwirkenden Geiste der beiden großen Denker umgeben. Und dann wieder, viele Jahre danach, auf der Höhe Ihres Ruhmes und Ihrer Arbeitskraft, beinahe schon ein Sechzigjähriger, sind Sie nach Berlin zurückgekehrt. Es war damals eine der größten Zeiten der Universität. Sie traten unter Naturforscher, wie Helmholtz und Kirchhoff, unter Historiker, wie Mommsen und Treitschke als ein Ebenbürtiger. Ihre Geschichte der Griechischen Philosophie war langsam von Auflage zu Auflage zu einem Hauptwerk der historischen Wissenschaft herangereift. Es ist eines jener Geschichtswerke, in denen wie in Boeckhs Staatshaushalt der Athener oder in den römischen Geschichten von Niebuhr und Mommsen, das Leben eines alten Staates oder Volkes erschöpfend nach einer seiner Hauptseiten zur Darstellung gelangt ist. Wie hier jeder Satz auf umfassende Durchforschung aller Zeugnisse gegründet, jede philosophische Lehre im Zusammenhang eines Systems erfaßt und jedes System aus der ganzen geistigen Entwicklung Griechenlands begriffen ist, alles durchdrungen von der lauteren Strenge des historischen Gewissens, überall die Distanz von der Gegenwart gewahrt, kein falscher Zug von Interessantheit oder Modernität eingemischt: ist es eines der Hauptwerke aus der Epoche, in welcher von der Philologie aus die deutsche Forschung mit objektivem historischem Bewußtsein das geistige Leben der alten Nationen zu erschaffen begann. Doch nicht allein in den Kreisen der Gelehrten, nicht nur durch das reine, strenge geschichtliche Denken haben Sie auf Berlin gewirkt. Wenn man heute von dem Tiergarten her durch das Brandenburger Tor tritt und Ihre Büste neben der von Hofmann und von Helmholtz gewahrt, so ist eine solche Ehrung in Ihrem Verhältnis zu dem zweiten deutschen Kaiser und seiner Gemahlin, zugleich aber auch in dem Bewußtsein Ihres Zusammenhangs mit dem Geiste des damaligen Berlin gegründet. Ihr eigenstes Ver-

Dilthey an seine Familie 

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mögen war immer, den verschiedenen Seiten der Dinge gerecht zu werden, durch ein solches Verfahren zu einer festen, scharfen, objektiven Auffassung derselben zu gelangen, an dieser dann aber auch mit unerschütterlicher Charakterstärke festzuhalten. Sie repräsentierten in sich die Autonomie des Geistes, der gewiß ist, das auch die höchsten Angelegenheiten des Menschen, sein Verhältnis zu den göttlichen Dingen, dem moralischen Bewußtsein und dem Denken unterstehen und nur von ihnen aus richtig gewertet werden können. Sie haben aus dem Christentum den auf das moralische Bewußtsein gegründeten rationalen Glauben an die Freiheit des Menschen, an seine Würde und seinen Zusammenhang mit der Gottheit selber geschöpft, und diese selbe ideale Ueberzeugung vom geistigen Zusammenhang des Universums und unserer Verwandtschaft mit ihm fanden Sie in der griechischen Philosophie wieder. Und so entstand Ihnen eine große historische Anschauung von den Kräften der Vergangenheit, welche den Glauben an den geistigen Zusammenhang der Dinge bei den neueren Völkern begründet haben und für seinen Fortbestand beständig wirksam sind. So leben Sie in dem festen Zutrauen, daß auch die christliche Religiosität und als deren Organ die christlichen Gemeinschaften eine uns unentbehrliche Mission haben, wofern sie ihren ideellen Gehalt zur Geltung bringen wollen. Und eben in diesem Zusammenhang haben Sie den unvergänglichen Wert der klassischen Studien mit unerschütterlicher Festigkeit verteidigt. Für die Freiheit der Universität und der Wissenschaft traten Sie bei jeder notwendigen Gelegenheit ein. Am meisten aber wirkten Sie für die Wahrung der Selbstständigkeit unserer Universität durch den sachlichen Geist, in welchem Sie an deren Selbstverwaltung sich beteiligten und durch die strenge Gewissenhaftigkeit, in welcher Sie Ihr Amt in derselben geführt haben. Unvergeßlich ist es jedem, der erlebt hat, wie Sie und Helmholtz gemeinsam durch die strenge Objektivität Ihres Verfahrens in jeder unsere Fakultät betreffenden Personenfrage ein Vorbild gaben, das für die ganze Körperschaft bestimmend war: durchdrungen davon, daß der Anteil unserer Körperschaft an ihrer Regierung solange sich behaupten wird, als rein sachlicher Gebrauch desselben seine Nützlichkeit bewährt. Hierdurch sind Sie uns allen ein Muster gewesen. Die Ideen, von denen Ihr Wirken getragen gewesen ist, hatten aber ihren Ursprung in dieser Ihrer schwäbischen Heimat, in welche Sie nach langem bedeutendem Wirken zurückgekehrt sind. Wenn in diesen Räumen die Bilder von Baur, Strauß, Vischer, Schwegler Sie umgeben, wenn diese Erinnerungen an längst vergangene Tage hier rings in den Zimmern und in Ihren Schränken verbreitet sind, wenn die alten deutschen Berge der Heimat Sie wieder umgeben: hier liegen doch die Ursprünge Ihres ganzen geistigen Daseins. Und wenn die Abenddämmerung hereinbricht, dann mag wohl auch die hohe ernste Erscheinung Baurs zu Ihnen hereintreten, wie ehedem in das Zimmer des Stiftes, und die schlanke Gestalt von Strauß, mit dem idealen Blick und Ausdruck und die andern Genossen Ihrer Jugend. Denn das ist doch das Große in Ihrem Leben, daß Sie von Ihrer ersten Jugend an teilgenommen haben mit treuen tapferen Genossen an einer Bewegung, in der es sich um letzte und höchste Güter des Lebens handelte. Von da ist Ihnen die Kraft gekommen, in dem großen geistigen Zusammenhang zu leben, der die ewigen Wahrheiten des Christentums, die in seiner Geschichte und seinem Dogma verkörpert sind, mit dem idealen Gehalt der griechischen Philosophie verknüpft. Hier wurzelt der feste rationale Wille, in dem die praktische Kraft Ihrer Philosophie gelegen ist, und hierin bleiben wir alle Ihre Schüler!“, in: Vom neunzigsten Geburtstag Eduard Zellers. 22. Januar 1904. Als Manuskript gedruckt. Stuttgart 1904, S. 9–12.  – ­Gustav Robert Kirchhoff (1824–1887): Physiker; 1875 o. Prof. für theoretische Physik in

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Willy Kabitz an Dilthey 

Berlin.  – Der klass. Philologe August Boeckh (1785–1867); Schüler Schleiermachers.  – Friedrich Hofmann (1820–1895): klass. Philologe und Pädagoge; 1864 Schulrat für Berlin, 1875 Direktor des Gymnasiums zum Grauen Kloster; Übersetzer von Werken Ciceros. – Albert Schwegler (1819–1857): ev. Theologe; Schüler D. F. Strauß’; 1841 Promotion in Berlin, 1843 Habilitation in Tübingen und hier PD, 1848 Prof. für Römische Literatur ebd.

[1313] Willy Kabitz an Dilthey

Charlottenburg, d[en] 26. I. 1904

Sehr verehrter Herr Geheimrat!

Ich glaube Ihnen die Mitteilung schuldig zu sein, dass ich aus Hannover den endgiltigen Bescheid erhalten habe, wonach ich für tauglich befunden worden bin und am 2. April zum Dienst antreten muss. Es hat sich aber leider herausgestellt, dass meine Augen schlecht sind und ich mindestens beim Schiessen nach Ansicht des Stabsarztes eine ganz besondere Brille tragen muss. Ich hörte von Herrn Dr. Groethuysen, dass Ihre Frau Gemahlin erkrankt ist. Darf ich Sie bitten, mich ihr zu empfehlen und gute Besserung zu wünschen.

In Verehrung Ihr ergebenster Willy Kabitz

Original: Hs.; ABBAW, Dilthey-NL , Fasz. 234, Bl. 500–500 R.

[1314] Hermann Schönleber 1 an Dilthey

Stuttgart, 30. Januar [19]04. Hasenbergsteige 15III. Hochgeehrter Herr Geheimerat!

Später als erwünscht ist es mir möglich, das Erträgnis meiner stenographischen Aufzeichnungen nach Ihrer Ansprache am 90. Geburtstage Eduard Zeller Ihnen vorzulegen. Zu meiner Beschämung mußte ich bei dem Umschrei-

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ben feststellen, daß die Zahl der Lücken und Unklarheiten in meinem Stenogramm doch recht groß ist und daß ich zu einer anständigen Reproduktion Ihrer Worte nicht ohne Ihre gütige Beihilfe gelangen kann. Wollten Sie die große Güte haben, hochgeehrter Herr Geheimerat, das Concept, das Sie anbei erhalten,2 zu berichtigen und zu ergänzen und dann an meine Adresse zurückgehen zu lassen, damit ich dann eine vervollständigte Reinschrift dem verehrten Jubilar übergeben kann.3 Meinen allerverbindlichsten Dank erlaube ich mir gleich im voraus auszusprechen.

Mit vorzüglicher Hochachtung Dr. H. Schönleber.

Original: Hs.; ABBAW, Dilthey-NL , Fasz. 204, Bl. 43–43 R. 1 Hermann Schönleber (1860–1943): klass. Philologe und Redakteur. 2 Nicht beiliegend. – Vgl. Brief [1312], Anm. 2. 3 Die kleine von H. Schönleber redigierte Jubiläumsschrift hat E. Zeller in einer Auflage von 100 Exemplaren für seine Familie und Freunde drucken lassen. Schönleber erhielt von Zeller zum Dank einige Freiexemplare und 100 Mark Honorar; vgl. hierzu ­Ehlers, Bd. II, S. 343 ff.

[1315] Dilthey an Herman Nohl [Ende Januar / Anfang Februar 1904]1 Dictat. Lieber Freund, nicht wahr, Sie haben das ganze Manuscript der Darstellung der theologischen Fragmente?2 Dieses ist mir nun am jetzigen Punkte auch nicht entbehrlich. Ich schlage vor, dass Sie Fehl[?]3 behalten und das Manuscript mir morgen Vormittag von 11 ab zu irgend einer Zeit wiederbringen und zunächst nur für die Phänomenologie die Excerpte machen, aber nur soweit Ihr Gesundheitszustand Ihnen das erlaubt.4

Mit den herzlichsten Wünschen für gute Besserung der Ihrige Wilhelm Dilthey.

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Dilthey an Herman Nohl 

Aber besser wär’s, wenn Sie fort könnten. Seien Sie auch mal Egoist, überlassen Sie die Menschen sich selbst, auch die bei Ihnen zu Hause, und machen Sie, dass Sie fortkommen. Es giebt nämlich auch sowas wie eine Pflicht gegen sich selbst, meinen Sie nicht auch? Es grüsst Sie herzlich Ihr Quälgeist. Original: Hs.; Diktat D.s von der Hand Clara D.s; StUB Göttingen, HA , cod. ms. H. Nohl 94, Nr. 47. 1 Im Brieforiginal nachträglich von fremder Hand: „[1904?]“. 2 In der öffentlichen Sitzung vom 28. Juni 1900 hatte die Königl. Preuß. AdW zu Berlin aus einem gestifteten Legat eine philosophische Preisfrage gestellt: Es sollte die „Entwicklungsgeschichte des Hegel’schen Systems“ unter „Benutzung der auf der Königlichen Bibliothek zu Berlin befindlichen Manuscripte Hegel’s dargestellt und historisch verständlich gemacht werden.“ Der ausgesetzte Preis betrug 2000 Mark. Die Abgabefrist wurde auf den 31. Dezember 1902 festgesetzt. – Eine Schrift wurde zeitgerecht eingereicht; dem a­nonymen Verfasser wurde aber der Preis nicht zugesprochen, da er das gestellte Thema nicht in der vorgegebenen Weise bearbeitet hatte. Die Preisfrage wurde nochmals gestellt und als Abgabetermin der 31. Dezember 1905 festgesetzt. – H. Nohl befasste sich bald nach der Ausschreibung dieser Preisaufgabe  – angeregt durch D.  – mit den theologischen Jugendschriften Hegels, noch bevor er seine Dissertation über Sokrates und die Ethik Ende Februar 1904 fertiggestellt hatte. 3 Nicht zu ermitteln. 4 Wenig später, am 4. Februar 1904, schreibt D. eine Postkarte an H. Nohl mit folgendem Wortlaut: „L[ieber] Fr[eund] darf ich Sie bitten mir Fehl Morgen[,] Freitag oder Sonnabend früh vor 10 Uhr (da ich dann in [den] Grunew[ald] gehe) zu bringen? Beste Grüße Dilthey“. (Original: Hs.; StUB Göttingen, HA, cod. ms. H. Nohl, 94, Nr. 7.)

[1316] Dilthey an Herman Nohl

[Mitte Februar] 19041

Wie geht’s eigentlich Ihrem Feuerbach?2 Ich hörte nämlich mal sagen, dass neuerdings 3 Briefe von ihm über Schwind veröffentlicht worden sind, und zwar in „Kunst und Künstler“.3 Ich dachte nur, Sie würden sie gewiss gern lesen und merkte mir’s, und eh ich den Zettel verliere, will ich’s Ihnen doch lieber schreiben. Das ist aber nur eine Ausrede (für’s Schreiben nämlich), dafür der rechte Grund nichts weiter ist, als ein einfacher Thatendurst, der sich nur auf die

Dilthey an Herman Nohl 

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unnützesten Dinge wirft und sich auf annähernd Vernünftiges absolut nicht will ausdehnen lassen. So sitz ich denn (oder liege eigentlich) wie das Kind im Schlaraffenland, lasse mir die gebratenen Tauben buchstäblich in den Mund fliegen, lasse mich von Grete und Lulu und Frida unterhalten,4 lese hie und da ein bischen und liege am liebsten still auf dem Rücken und brüte über dem Rätsel Hamlet, gegen den genommen der Doctor Faust mich klar dünkt und einfach wie ein Kindermärchen. Fühl mich so recht wohl in meinem Schlaraffenland, muss mich nur in Acht nehmen, dass ich nicht etwas unversehens einen Blick auf die Mauer thue, die weich und süß und dick aus Kuchenteig um mich sich aufbaut, so eine Mauer, über die man nicht mit frischem Anlauf hinüberkann; nein durch die man sich durchfressen muss, wenn man wie weiland5 einer, der vor einem Buch sass, das ein gewisser Hegel geschrieben hatte hinaus will. Ja für mich giebt’s keine Rettung, ausser quer durch6 den Wust von Papieren, aus denen man eine „Selbsteinschätzung“ zusammenschustert. Ich kriege augenblicklich Kopfschmerzen, wenn ich dran denke! Nein, heute noch nicht, morgen – ja sicher morgen! Hinter der Mauer fängt dann das vernünftige Leben wieder an, zu dem hab ich bis jetzt auch gar kein bis­ chen Lust. Mir fehlt einer, dazu mir sagte: Mensch, Du bist ja wieder ganz gesund! Nun mal raus aus dem faulen Leben! Aber das sagt keiner, da Kati7 leider fort ist. Das Schmuckli8 fühlt sich als Krankenpflegerin und möchte mich am liebsten in Watte packen, und unser dicker kugelrunder Doctor sagt blos: ‚Na soll ich doch nicht mal untersuchen? Wie, gut geht’s? aber Sie husten doch? Ganz oben sitzt’s und überhaupt höchst unbedeutend? Na ja, dann nehmen Sie sich aber noch recht schön in Acht.‘ Und der Effect: ich sinke befriedigt, sogar höchst zufrieden, auf mein Chaiselongue9 zurück und fange an zu lesen: ‚Briefe, die ihn nicht erreichten‘. Ein Buch, ebenso langweilig als berühmt.10 Dann wird mir’s auf einmal langweilig zu Mute und ich denke, wie vergnüglich es doch wäre, wenn Sie plötzlich reinkämen und mir alles mögliche erzählten und ich brauchte blos so recht gemütlich zuzuhören. Und dann denke ich an alles mögliche Nette, schliesslich kommt ein schauderhafter Thatendrang über mich und ich schreibe Briefe, die nur so lange ich liege, in Gedanken passend sind, die aber schrecklich öde würden, sobald ich sitze. Könnt ich Sie wenigstens damit zum Lachen bringen, so wäre doch ein Gutes damit erwirkt. Denn Lachen und Schlafen, das sind die letzten unterhaltenden Zwei, ohne die sich’s schwer leben lässt, und wem das zweite nicht gelingt, der sollte sich umsomehr an das erste halten. Das schrieb ich gestern. Und heute bin ich nun wirklich leider wieder ganz gesund und hab den ganz festen Entschluss gefasst, mich morgen durchzufres-

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Dilthey an Friedrich Theodor Althoff 

sen. Aber bestimmt! Und es wird schon gehen, denn der Entschluss ist allemal das schwerste, wenigstens bei mir. Leben Sie wohl, Sonntag in 8 Tagen auf Wiedersehn. Denken Sie nur, auf die grosse […]-Kati-Schlittschuh[-]Partie hab ich nicht mitgekonnt, war das nicht scheusslich? Und noch dazu war Frau Wilbrandt11 mit! Und Sie waren in Rheinsberg? Ich hab Sie von ganzem Herzen drum beneidet. Ihr alter Quälgeist. Original: Hs.; Diktat D.s von der Hand Clara D.s; StUB Göttingen, HA , cod. ms. H. Nohl, 94, Beilage 7, Bl. 1–3. 1 Im Brieforiginal: nachträgliche Datierung von der Hand Clara Mischs: „1904“. 2 H. Nohls Aufsatz Anselm Feuerbach. Ein Beitrag zu seinem Verständnis erschien in: WM 48 (1904), S. 756 ff.; vgl. E. Blochmann, S. 27. 3 Anselm Feuerbach und Moritz von Schwind. Drei Briefe Feuerbachs. Hg. von C. Neumann, in: Kunst und Künstler: illustrirte Monatsschrift für Kunst und Kunstgewerbe 2 (1903–1904), S. 99–103. 4 Nicht mehr zu ermitteln. 5 Vormals. 6 Im Brieforiginal folgt nochmals „durch“. 7 D.s Ehefrau Katharina. 8 D.s Tochter Clara. 9 Sofa-ähnliche Liege ohne Rückenteil. 10 E . Baronin von Heyking: Briefe, die ihn nicht erreichten. Berlin 1903 (zunächst a­nonym in sechs Folgen 1903 abgedruckt in der Täglichen Rundschau, noch in demselben Jahr als Buch erschienen). – Der autobiographische, zunächst anonym erschienene Brief­ roman erreichte im ersten Jahr 59 Neuauflagen. 11 Auguste Wilbrandt, geb. Baudius (1843–1937): Schauspielerin in Wien; seit 1873 verheiratet mit dem Schriftsteller und zeitweiligen Direktor des Wiener Burgtheaters Adolf Wilbrandt (1837–1911), einem Freund D.s.

[1317] Dilthey an Friedrich Theodor Althoff Hochverehrter Herr Ministerialdirector,

19. II. [19]04.

gestatten Sie, dass ich Ihnen nachträglich, (da ein an Sie bestimmtes Telegramm liegen blieb), die treuesten Glückwünsche zu Ihrem Geburtstag ausspreche.1 Möge vor allem Ihre Frau Gemahlin in verbessertem Befinden zu-

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Dilthey an Walter de Gruyter 

rückkehren,2 was sonst etwa von Wünschen Ihnen übrig bleibt, kommt Ihnen ja mit ruhigen Schritten entgegen. Ich hätte Sie so gern vor meiner Abreise nach Meran am nächsten Freitag noch einmal gesehn, da es mir doch ein grosses Entbehren ist, solange Ihnen nicht begegnet zu sein. Aber in den heiligen Räumen Sie aufzusuchen, ist durch die Besorgniss, Sie zu stören, immer peinlich; würden Sie sich irgendwie zu Frühstück oder Mittag bei uns ansagen, so würden Sie meine Tochter und mich dadurch sehr glücklich machen.3 Sollte ich für Ihre Frau Gemahlin etwas mitnehmen, so stehe ich gern zur Verfügung.

In treuer Ergebenheit der Ihrige Wilhelm Dilthey

Sekretärin erlaubt sich, ebenfalls ihre Glückwünsche hinzuzufügen. Clara Dilthey. Original: Hs.; Diktat von der Hand Clara D.s; mit eigenhändiger Unterschrift D.s; GStA PK Berlin, I. HA , Rep. 76 V a Sekt. 2. Tit. IV, Nr. 47, Bd. 18, Bl. 143–144. 1 F. Th. Althoffs Geburtstag war der 19. Februar. 2 Marie Althoff (1843–1925) hielt sich zur Erholung in Meran auf. 3 D.s Ehefrau Katharina war nach Meran abgereist und traf dort am 20. Februar 1904 ein; D. hatte offenbar vor, ihr nachzureisen.

[1318] Dilthey an Walter de Gruyter 13. März 1904 Meran Jaufenburgvilla.1 Sehr verehrter Herr de Gruyter, wenn Sie es ein­richten könnten daß das erste Stück der Sokrates[-]Abhandlung von Nohl2 im Juliheft noch Aufnahme fände, so wäre es mir sehr lieb, theils wegen Nohl, theils im Interesse des Archivs da es eine hervorragende Arbeit ist. Herr College Stein wollte mit Ihnen darüber sprechen. Beste Empfehlungen der Ihrige Dilthey3

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Dilthey an Paul Ritter 

Original: Hs.; Correspondenz-Karte; StB PK Berlin, HA , 16. Dep. 42 (VA de Gruyter), R1: Dilthey, 7. 1 Datierung nach Poststempel. – Mittelalterliche Burg oberhalb von St. Leonhard im Passeiertal / Tirol. 2 H. Nohls Dissertation Sokrates und die Ethik wurde im Verlag J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) gedruckt und erschien 1904 in Tübingen und Leipzig. 3 Darunter eine handschriftliche Notiz de Gruyters: „Herr Prof. Dr. Stein zur freundlichen Kenntnißnahme mit der Bitte um Rückgabe und Rückäußerung. Freundliche Grüße Ihr W. Gruyter [.] 15⁄ III [19]04“.

[1319] Dilthey an Paul Ritter Meran Jaufenburg [nach dem 16. März 1904]1 Lieber Freund, mit vieler Freude habe ich von Dr. Kabitz ver­nommen, dass die Kommission alle Ihre Vor­schläge angenommen hat u. so die Leibnizsache in gutem Gange ist.2 Ich sel­ber habe mich weiter hier in Leibniz vertieft und hoffe doch in dem einleitenden und grundlegenden Capitel des Dritten Buches3 zu einem geschichtlich tiefer reichenden Verständnis beitragen zu können. Couturat erschienen 19014 finde ich höchst einseitig, vorschnell in seinen Schlüssen, trotzdem das erste Hervorragende, was über Leibniz geschrieben ist und im höchsten Grade belehrend. Da ich durch Zerrung eines Muskels beim Steigen zur Ruhe verurteilt bin finde ich Zeit zu ruhiger Arbeit. Vielleicht lassen Sie ein Wörtchen von sich vernehmen.

In treu freundschaftlicher Gesinnung der Ihrige Wilhelm Dilthey

Original: Hs.; Diktat D.s von der Hand Maximilian D.s mit eigenhändiger Unterschrift D.s; ABBAW, NL Ritter, A: Paul Ritter, I. 1. Bd. VI, Nr. 2. 1 Im Brieforiginal: nachträgliche Datierung von der Hand P. Ritters: „März 1904“.

Dilthey an Willy Kabitz 

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2 Am 16. März 1904 hatte in London die zweite interakademische Konferenz zur weiteren Planung und Vorbereitung der Leibniz-Akad.-Ausg. stattgefunden. Einer Verlängerung der Recherche- und Katalogisierungsarbeiten, die von P. Ritter und W. Kabitz durchgeführt wurden, um weitere drei Jahre wurde zugestimmt. 3 Gemeint ist D.s unvollendet gebliebenes Projekt Studien zur Geschichte des deutschen Geistes. 4 Louis Couturat (1868–1915): franz. Philosoph und Mathematiker; Leibnizforscher; 1895 Prof. für Philosophie in Toulouse, 1896 in Caën, 1905 am Collège de France in Paris. – La logique de Leibniz d’après des documents inédits. Paris 1901.

[1320] Dilthey an Willy Kabitz 21 März [1904] Lieber Herr Doktor, Allerhand widrige Umstände haben gehindert daß ich Ihnen über die Leibni­ tiana schrieb. Sie erhalten nun einen Tag nach diesem Brief den Anfang einer versuchsweisen Auseinandersetzung für die ich nur Erdmann1 hier hatte. Es käme dann darauf an ob Sie meine Leibnizsicht aus den anderen Quellen im Kern bestätigen, corrigiren, erweitern können. Couturat hat sicher recht wenn er die Idee der Rationalität der Wirklichkeit für die leitende des Systems ansieht. Er hat auch recht, daß diese Idee in Leibniz die Form annimmt: die strenge allgemeingiltige Wissenschaft ist ein System der Beziehungen, welche wie in einer Gleichung zwischen deren bezeichneten oder unbezeichneten Elementen bestehen. Im Gegensatz gegen Cou[turat] u. Cassirer2 finde ich nun daß Leibn[iz] d[ie] Einheiten nicht versteht in Funktion oder Integral etc., nicht in Gesetzlichkeit, sondern sie als Selbständige betrachtet, welche zwar ihre Bestimmtheit durch das S[ystem] d[er] Log[ik] erhalten, aber eben als Thatsächlichkeit anzunehmen sind, ansieht. Sie sind keine Hineinsetzungen in d[as] System[,] folgen vielm[ehr] aus dem Lebensprinzip möglichst viel Leben u Vollk[ommen]heit so gut als die Naturprincipien etc. Ich finde ferner Cout[urat] irrig in der Ableit[ung] des Prinzips der Größe […]. Der Unterschied der Selbstverständlichkeit der identischen S[ache] u. der Thatsächlichkeit etc bleibt einer seiner wichtigst[en] Gedanken. Leibn[iz] in s[einer] Reife sucht eine demonstrative Methode von der ­scientia generalis aus. Nun versuche ich aber die hierdurch zurückgenomme-

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Dilthey an Friedrich Theodor Althoff 

nen älteren constituirenden Ideen vor Differentem[?] der späten Dynamik festzustellen, um die Antriebe seiner Weltanschauung aufzudecken: die Seelen­ betrachtung etc. Hier setzt nun das was ich sende3 ein. Beste Grüße[,] Dank auch für Couturat W. Dilthey I[talien] Tirol Meran Jaufenburgvilla Bitte Wort wie lang Sie in Berlin bleiben. Original: Hs.; Leibniz-Forschungsstelle der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster – Forschungsvorhaben der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen – NL Willy Kabitz, Bl. 1 recto – Bl. 2 verso. 1 God. Guil. Leibnitii opera philosophica quae extant Latina Gallica Germanica Omnia. 2 Bde. Hg. von J. E. Erdmann. Berlin 1839/40. 2 E. Cassirer: Leibniz’ System in seinen wissenschaftlichen Grundlagen. Marburg 1902. 3 Nicht beigelegt.

[1321] Dilthey an Friedrich Theodor Althoff Meran d[en] 22ten März [1904]. Jaufenburg Verehrtester Herr Ministerialdirektor! Darf ich, da Geheimrat Elster1 verreist ist Sie mit folgender Kleinigkeit behelligen? Adickes hat die löbliche Absicht sein Kantmanuscript, bevor er nach Tübingen geht ab­zuschließen, will deshalb dort erst Herbst ein­treten,2 die angekündigte Psychologie nicht lesen und hierdurch entsteht die Schwierigkeit, daß das garantirte Sommerhonorar von 400 Mark von den Einnahmen nicht erreicht werden wird. Wenn Sie gütigst die so ent­stehende Schwierigkeit aus dem Wege räumen wollen, so wäre dies höchst werthvoll für die Kantausgabe, denn diese ist durch die beständige Zögerung Adickes jetzt auf einem toten Punkte angelangt und wenn er diesen Sommer seine Arbeit nicht abschließt entsteht große Verlegen­heit, da sein Pflichtbewußtsein keineswegs ent­wickelt ist.

Dilthey an Willy Kabitz 

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Ihre verehrte Frau Gemahlin ist von dem Tode der Mutter recht angegriffen, doch ist zu hoffen, daß bei dem herrlichen Wetter sie bald wieder so frisch ist, als ich sie bei meinem Kommen antraf. Sie sehnt sich sehr nach Ihnen.

Verehrungsvoll der Ihrige Wilhelm Dilthey

Original: Hs.; Diktat D.s von der Hand Katharina D.s mit eigenhändiger Unterschrift D.s; GStA PK Berlin, VI. HA , FA und NL , NL Friedrich Theodor Althoff, B Nr. 29 Bd. 2, Bl. 161–161 R. 1 Ludwig Elster (1856–1935): Nationalökonom und Jurist; 1878 Promotion in Jena, 1880 Habilitation in Halle a.d.S., 1883 a. o. Prof. in Königsberg, 1887 o. Prof. in Breslau, 1897–1916 Vortragender Rat für Universitätsangelegenheiten. 2 E. Adickes wechselte von Münster / Westfalen nach Tübingen, wo er das Ordinariat Chr. Sigwarts (1830–1904) übernahm.

[1322] Dilthey an Willy Kabitz Lieber Herr Doktor, hier also ein erstes Stück, das die Intention zeigt. Vor der nur freien Übersicht des Systems von L[eibniz] in freieren u. größeren Umrissen verständlichen u wichtigen Parthien soll gezeigt werden wie dasselbe in der Idee der Zeit, der Eigenart des damal[igen] Geistes gegründet ist. Wie die Lebenseinstellung von L[eibniz], die hierin gegründet ist, die für die Lebensstimmung[,] Ideale etc. entscheidenden Züge des Systems hervorbringt, ehe er noch die letzte Fassung seiner Grundintention in Manuscripten [unter] dem Einfluß d[es] mech[anischen] Naturism[us] entwickelte. Halten Sie die Feststellung solcher Züge (b. Entwicklungsgeschichte)  für ausführbar? Es wären: 1. Verh[ältnis] v[on] Ganze[m] u. Theilen als Problem. 2. Neue Werthung der Individuen[.] 3. Die Harmonie des Ganzen. 4. Der Werth der varietas rerum.1 Die Welt dazu[,] da ungleichste Mannig­ f[altig]k[ei]t versch[iedener] Theile etc. 5. Analogie, Verwandtschaft, Sympathie etc. der Theile.

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Dilthey an Willy Kabitz 

6. Übergang v[om] Mechanismus zu dem Sein der Welt das sich in d[er] Zwecksetzung Gottes ausdrückt = varietas etc. als diesen Zweck der darin enthaltenen Theorien. Besonders wichtig scheint der von Kuno Fischer exzerpierte Brief an Johann Friedrich v[on] Braunschweig, welcher die Antwort auf dessen Schreiben vom 6 Juni [16]71 ist und einen Bericht v[on] L[eibniz] über seine Arbeit enthält.2 Überhaupt d[ie] Corresp[ondenz] mit ihm [17]71. Ich habe ihn leider nicht hier. Meine Aufzeichnung können Sie ja als Grundtext ansehen zu welchem Sie Zusätze[,] Correkturen etc. geben. Da ich sie nicht abgeschrieben habe, bitte ich sie neu geschrieben mit Ihren Notizen zurückzusenden. Darf ich Couturat etwas behalten? Übrigens habe ich vielleicht selbst ein Exemplar, das ich dann vorläufig zu annektiren bitte. Ist dies nicht der Fall: so kaufen Sie für mich eins u behalten es zunächst für sich. Wann reisen Sie? Beste Grüße Ihr W. Dilthey 22 März [1904] Tirol Meran, Jaufenburgvilla (diese Adresse genügt) Original: Hs.; Leibniz-Forschungsstelle der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster – Forschungsvorhaben der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen – NL Willy Kabitz, Bl. 1 recto – Bl. 2 verso. 1 Mannigfaltigkeit, Vielfalt der Dinge. 2 Johann Friedrich, Herzog von Braunschweig und Hannover (1625–1679), 1665–1679 Fürst von Calenberg und Lüneburg; 1676 holte er G. W. Leibniz als Hofhistoriographen und Bibliothekar an seinen Hof nach Hannover. – K. Fischer: Geschichte der neuern Philosophie. Jubiläumsausgabe. Bd. 3: Gottfried Wilhelm Leibniz. Leben, Werke und Lehre, 4. Aufl. Heidelberg 1902, S. 115–116; vgl. G. W. Leibniz: Schriften und Briefe. Hg. von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. 2. Reihe: Philosophischer Briefwechsel. Bd. I, 2. neubearb. und erw. Aufl. Berlin 2006: Brief 63: Herzog Johann Friedrich von Hannover an Leibniz vom 6. (16.) Juni 1671, S. 203; Brief 84: Leibniz an Herzog Johann Friedrich von Hannover [2. Hälfte Oktober 1671], S. 260–269.

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Walter de Gruyter an Dilthey 

[1323] Walter de Gruyter an Dilthey Verlagsbuchhandlung Georg Reimer in Berlin W[est] 35. Lützowstrasse 107–[10]8, 22. März 1904 Hochverehrter Herr Geheimrath! Wegen der von Ihnen befürworteten baldigen Aufnahme der Nohl’schen Arbeit in’s Archiv konnte ich Herrn Prof. Stein erst gestern sprechen. Wir haben miteinander alle Möglichkei­ten überlegt, aber keinen Ausweg gefunden, Herrn Nohl’s Wunsch zu erfüllen und nicht gleichzeitig die Interessen Anderer allzu stark zu schädigen. Es ist Herrn Professor Stein und mir herzlich leid – Ihres gütigen Verständnisses für die Widerspenstigkeit der Situation dürfen wir gewiß sein. In ehrerbietiger Ergebenheit Ihr Walther de Gruyter. Original: Hs.; StUB Göttingen, HA , cod. ms. H. Nohl, 94, Nr. 8.

[1324] Dilthey an Herman Nohl 1 [nach 22. März 1904] Dies, mein lieber Freund, ist nun die letzte Entscheidung. Es wäre nun die Frage ob 1 Oct[ober] Zeit wäre oder ob wir uns an eine andere Buchhandlung wenden, in letztem Falle schlagen Sie mir vor u. ich schreibe dahin.

Beste Grüße u. glück[liches] Arbeiten! W. Dilthey

Original: Hs.; StUB Göttingen, HA , cod. ms. H. Nohl, 94, Nr. 8, Anlage. 1 D. schrieb diese Mitteilung an H. Nohl auf den von W. de Gruyter erhaltenen Brief.

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Dilthey an Willy Kabitz 

[1325] Dilthey an Willy Kabitz

Lieber Herr K[abit]z,

[Meran, Ende März 1904]

ich bitte noch das folgende Blatt zu überlegen und alsdann zu den anderen hinzuzufügen. Der Ausgangspunkt der praestabilierten Harmonie liegt schon in dem Satz („ad Thomasium“ und „contra atheistas“): Es muss für jede individuelle Exi­ stenz einen zureichenden Grund geben, dass sie ist, wie sie ist. (viereckig, in bestimmter Richtung bewegl[ich]) Dieser Grund darf nicht in einen Anfangszustand zurückverlegt werden. Aus dieser Annahme folgt, dass ideell oder für Gott der Begriff jeder Einzelsubstanz im Zusammenhang des Universums erklärt ist. Sonach ist in der Definition des Einzeldings alles, was mit ihm geschieht, gerade so gut enthalten als im Zusammenhang des Ganzen. Sonach sind alle Erfahrungssätze ideell oder für Gott analytisch. Sonach hat Couturat recht: die absolute Begreiflichkeit jeder Tatsache im Weltzusammenhang schließt in sich den analytischen Zusammenhang derselben. Aber er irrt vollständig, wenn er aus den Prinzipien der Logik von Leibniz dessen Metaphysik ableiten zu können glaubt[,] wenn man nicht den Nachdruck auf den Teil des zureichenden Grundes legt nach welchem jedes Das für seine Existenz einen Grund fordert[;] in diesem Satz aber ist der Begriff der praestabilierten Harmonie bereits enthalten nämlich die Bestimmung jeder Individualtatsache aus dem Sinn der Welt. Der Satz vom Grunde besagt: Wie in einer Gleichung der Wert des x bestimmt ist durch ein System von Beziehungen der Elemente, das x eingeschlossen, so ist in der Welt durch ein stetes System jede Einzelexistenz determiniert.

Mit den besten Wünschen für Hannover.1

Original: Hs.; Diktat D.s von der Hand Clara D.s; ohne Unterschrift; LeibnizForschungsstelle der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster  – Forschungsvorhaben der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen – NL Willy Kabitz, Bl. 1 recto – Bl. 2 verso. 1 W. Kabitz wurde am 1. April zum Militärdienst nach Hannover einberufen.

Dilthey an Friedrich Theodor Althoff 

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[1326] Dilthey an Friedrich Theodor Althoff Hochverehrter Herr Ministerialdirektor!1

Meran den 7. April 1904.

Das gestrige Gespräch und die Freude, daß Sie einer Teilung des Ministeriums2 Ihr Interesse zu­wenden, klingen in mir nach und ich möchte folgen­de Möglichkeit vorlegen. Das Ministerium umfaßt die Funktionen, welche der Staat in bezug auf die geistige Kultur der Nation ausübt. Der Staat hat nun eine zwiefache Stellung zu dieser geistigen Kultur. Die großen Kulturzusammenhänge der Religion, der Kunst und der Wissenschaft leben aus eigener Kraft. Sie sind Selbständigkei­ten, die in einem freien Verhältnis zum Staate stehen. Während sie nach ihrem Gesetz sich ent­wickeln, hat der Staat die oberste Fürsorge, kraft der Souveränität die ihm zusteht, daß diese ihre Entwicklung sein Interesse nicht schädige, daß das ihm Nützliche in ihrer geistigen Leistung durch seinen Einfluß gestärkt werde, und hierzu stellt er dann wo es erforderlich, seine Geldmittel, Rechtsanordnungen und Verwaltungsmaßregeln bereit. Ein ganz anderes Verhältnis hat er zum Unterrichtswesen, das als höheres (Universitäten, Poly­techniken etc.) mittleres (Gymn[asien] etc.) und unteres (Volksschulen etc.) ein aus den selb­ständigen Höhen der Wissenschaft, Religiosität etc. gespeistes und genährtes Ganze bildet. Das Unter­richtswesen ist Staatsanstalt durch die historische Entwicklung unserer aufgeklärten Monarchie geworden. Die Selbständigkeiten in ihm, seine Verhältnisse zu den Familien, Gemeinden, kirchlichen Gemeinschaften unterstehen doch alle direkt dem auf die Vorbildung der Bürger für die Staatszwecke gerichteten Willen des Staates. So entsteht ein doppeltes Verhältnis, das am besten durch die Sonderung in zwei Ministerien aus­gedrückt und gewahrt wird. Der Minister dem geistliche, wissenschaftliche und künstlerische Angelegenheiten unterstellt sind, hat mit freiem Blick für die geistige Kultur der Nation zu wirken. Das Gleichgewicht dieser großen Kräfte, ihr nationales Wirken, da sie doch an sich international sind, soll durch seinen großen politischen Blick gewahrt, das verwickelte Verhältnis des Monarchen zu diesen Kräften nach der Natur dieser drei Branchen vermittelt werden. Der Minister des Unterrichts, losgelöst von jenen politischen Aufgaben, kann seine Mission rein erfüllen. Diese ist: höchste Steigerung der Volkskraft durch Vorbildung der Bürger für die verschiedenen Berufe.

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Dilthey an Friedrich Theodor Althoff 

Ich bin gern bereit dies näher auszuführen und bitte nur zu verzeihen, daß ich ungefragt unser Gespräch fortzuspinnen mir gestattet habe.

Mit besten Wünschen für die Reise verehrungsvoll (gez.) Dilthey

Original: Typoskript; ABBAW, Dilthey-NL , Fasz. 33, Bl. 320–321; Erstdruck in: Neue Sammlung. Göttinger Zeitschrift für Erziehung und Gesellschaft 10 (1970), S. 109–110. Hg. von Ulrich Herrmann. – Das Brieforiginal ist zusammengelegt mit einem Manuskript, das D. überschrieben hat: „Denkschrift über die Gründe, welche für die Trennung von Kultur und Unterricht in zwei Ministerien sprechen“. Diese „Denkschrift“ ist paginiert von Bl. 1–41. Es handelt sich um ein Diktat D.s, von mehreren seiner Mitarbeiter sowie von Clara D. geschrieben (Original: ABBAW, Dilthey-NL , Fasz. 33, Bl. 297–319). 1 Im Brieforiginal links daneben von der Hand F. Th. Althoffs: „Herrn Geh[eimen] Rath Prof. Dr. Dilthey mit Bezug auf unsere gestrige Unterredung ganz ergebenst Althoff 22. Ap[ril].“ 2 Das Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten war in vier Bereiche gegliedert. Der zweite Bereich des preuß. Kultusministeriums, nämlich der für Unterrichtsangelegenheiten, war zweigeteilt. Die Abteilung II  a für das Unterrichtswesen an Universitäten, wissenschaftlichen Anstalten, höheren technischen Schulen sowie Kunsthochschulen etc. war das stets wachsende Arbeitsfeld F. Th. Althoffs. Da sein Tätigkeits- und Verantwortungsbereich immer umfangreicher und komplexer wurden, befasste sich Althoff „noch in seinen letzten Amtsjahren“ mit Plänen einer Teilung und Neuordnung des gesamten Ministeriums. – Vgl. hierzu: R.-J. Lischke: Zur wissenschaftspolitischen und wissenschaftsorganisatorischen Leistung Friedrich Althoffs unter besonderer Berücksichtigung seines Beitrags zur Herausbildung Berlins als bedeutendes Wissenschaftszentrum. Diss. Berlin 1984, bes. S. 29 mit Anm. 53 sowie Ulrich Herrmann: Wilhelm Dilthey: Gutachten. Ein unveröffentlichtes Gutachten Wilhelm Diltheys zur Reorganisation des preußischen Kultusministeriums aus dem Jahre 1905, in: Neue Sammlung. Göttinger Zeitschrift für Erziehung und Gesellschaft 10 (1970), S. 104–123.

Dilthey an Walter de Gruyter 

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[1327] Dilthey an Walter de Gruyter Hochgeehrter Herr de Gruyter,

9 April [1904] Labers

Indem ich Sie ergebenst bitte, den Druck des schwierigen Manuscriptes von Prof. Adickes zu unternehmen, sichere ich Ihnen zu, daß ich dafür eintreten werde, die etwa entstehenden höheren Kosten möge die Akademie übernehmen. Versuchen wir, wie sich dieselbe bei diesem Verfahren stellen [werde,] dann können wir uns klar machen wie wir aus dieser sehr großen Schwierigkeit uns herausziehen. Mit meinen ergebensten Empfehlungen Der Ihrige Wilhelm Dilthey1 Original: Hs.; Diktat D.s von der Hand Katharina D.s mit eigenhändigem Datums­ eintrag und Unterschrift D.s; StB PK Berlin, HA , 16. Dep. 42 (VA de Gruyter), R 1: Dilthey, 8. 1 Im Brieforiginal darunter eine unleserliche Notiz W. de Gruyters vom 12. April 1904.

[1328] Dilthey an Paul Ritter 20 April [1904] Meran Jaufenburg Mein lieber Freund, ich bin recht unruhig auf m[eine] Zeilen von Ihnen keine Nachricht er­halten zu haben. Es ist mir hier mannigfach schlecht gegan­gen; indeß bin ich sehr fleißig gewesen u. fühle mich arbeitsfrisch. So ist ganz gewiß daß ich zum November den Druck Bd I fertig bringe,1 wobei ich dann freilich sehr auf Sie rechne, dem verabredeten Plan entsprechend. Ich kehre Ende des Monats zurück, und die frohe Aussicht auf die Berliner Arbeit würde mir sehr erleichtert wenn ich bis dahin von Ihnen hierher ein Wort erhielte.2

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Dilthey an Paul Ritter 

Wir waren hier sehr von Mißgeschick ver­folgt. M[eine] Frau [hatte] ein Knieleiden von einem Fall. Ich selbst eine Zerrung beim Steigen, wo sich dann in die schwache Stelle ein Rheumatis­mus niederzulassen die Nichtswürdigkeit hatte. Das Liegen etc. hat mir dann nicht gut gethan. Max [hat] wieder einen Bronchialkatharrh. Glücklicher Weise habe ich die Courage u. die Arbeitsstimmung nicht verloren. Das erste Concept des dritten Buches wird wenn ich zurückkehre keine zu großen Lücken mehr haben. Aber der Schluß des zweiten! Papa Pätel3 hier u. drängt sehr!

Herzliche Grüße von Ihrem getreuen Wilhelm Dilthey

Meine Adresse: D[ilthe]y Meran, Jaufenburg, lange Gasse Original: Hs.; ABBAW, NL Ritter, A: Paul Ritter, I. 1. Bd. VI, Nr. 3–4. 1 Gemeint sind D.s Studien zur Geschichte des deutschen Geistes. 2 Im Brieforiginal: nachfolgend wird „von Ihnen“ wiederholt. 3 Elwin Paetel (1847–1907): Berliner Verlagsbuchhändler und Geheimer Kommerzienrat; seit 1870 Inhaber des Verlags „Gebrüder Paetel“; seit 1899 Mitarbeit seines Sohnes ­Georg Paetel (1871–1936) im Verlag, der nach dem Tode des Vaters 1907 in seinen Besitz überging.  – In diesem Verlag sollten D.s Studien zur Geschichte des deutschen Geistes er­ scheinen.

[1329] Dilthey an Paul Ritter Lieber Freund, Herzlichen Dank für Ihren Brief u. dessen Inhalt.1 Diesmal muß ich in der That Ihre freundliche Absicht für die Fortsetzung festhalten. Denn ich bin fest entschlossen bis November den Band zu publiciren koste es was es wolle. Und August – 10 September muß ich für Karlsbad u. Nachkur frei haben. So gilt es mit dem Druck bald in Gang zu kommen u. ohne Unterbrechung dabei zu bleiben. Drucken läßt sich ja auch langsam im August. Ich glaubte daß d[ie]

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Dilthey an Paul Ritter 

Darst[ellung] v[on] Litt etwas ganz Neues bieten wird.2 Alles Andere mündlich. Ich bin Dienstag in Berlin lese Mittwoch u. bin dann am Donnerstag zur Arbeit ganz frei. H[erz]l[ich]e Grüße Ihr getreuer Wilhelm Dilthey Meran 28. [April 1904] Original: Hs.; ABBAW, NL Ritter, A: Paul Ritter, I. 1. Bd. VI, Nr. 5. 1 Nicht überliefert. 2 Theodor Litt (1880–1962): Philosoph und Pädagoge; 1904 Promotion in Bonn, Gymnasiallehrer, 1919 a. o. Prof. in Bonn, 1920 o. Prof. für Philosophie und Pädagogik in Leipzig, 1947 in Bonn. – De Verrii Flacci et Cornelii Labeonis Faustorum librio. Diss. Bonn 1904.

[1330] Dilthey an Paul Ritter Lieber Freund,

[Ende April 1904]

eben sende ich das Stück Referat ab, welches den Schluß der ersten Abtheilung bildet: das Zeitalter von Leibniz. Bitte es durchzusehen und dann der Druckerei zu überliefern. Es geht an meine Tochter.1 M[eine] Frau war leider krank, erst in diesem Moment machen wir uns für den Gardasee reisefertig. Unter diesen Umständen bin ich mangelhaft erholt.

Viele Grüße Ihr W Dilthey

Correctur bitte jedenfalls 1 Exemplar Gardore Riviera am Gardasee poste restante Original: Hs.; ABBAW, NL Ritter, A: Paul Ritter, I. 1. Bd. VI, Nr. 6. 1 Clara D.

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Dilthey an Paul Ritter 

[1331] Dilthey an Paul Ritter

Lieber Freund,

Berlin W[est], den 8. Mai [1904] Burggrafenstr. 4

Sie haben doch m[eine] Zeil[en] aus Meran erhalten? Denselben entsprech[end] bin ich seit dem 2ten Mai hier, und hoffe nun täglich Sie als den willkommensten Gast in die Stube treten zu sehen. Diesmal wird die gemeinsame Thätigkeit wirklich recht dringend wenn zu Weihnachten der Band ausfliegen soll. Also auf frohes Wiedersehen Ihr Wilhelm Dilthey Original: Hs.; ABBAW, NL Ritter, A: Paul Ritter, I. 1. Bd. VI, Nr. 7.

[1332] Dilthey an Eduard Zeller Verehrter theurer Freund,

18 Mai [19]04

Was soll ich Ihnen zu dem Verlust sagen der Sie betroffen hat?1 Was die herrlichste edelste reinste Frau Ihnen gewesen ist, weiß ich wie alle die[,] welche das Glück hatten in Ihrer beider Nähe sein zu dürfen. Und ich weiß es vielleicht besonders gut da die tiefste Verwandtschaft des Fühlens durch süddeutsche Stammesverwandtschaft und Gemeinsamkeit der Interessen mir jede ihrer Äuße­rungen ganz u. voll verständlich gemacht hat. Und so kann ich den ganzen vollen Verlust ermes­sen, den Sie in Ihrem Lebensalter nun haben er­ leiden müssen. Das lebendigste überallhin Leben ver­breitende Gemüth, das tapferste Herz, der treueste rechtschaffende Character – Alles das ist nun von Ihrer Seite genommen. Möchten wir doch bald von einem der Ihrigen Nachricht erhalten wie Sie diese schweren Zeiten Ihres Lebens überstanden haben. Die Nachricht gelangte so spät zu uns daß eine Reise zum Begräbniß nicht ausgeführt werden

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Dilthey an Herman Nohl 

konnte; aber sobald als möglich müssen wir Sie wieder sehen und am Grabe der Verewigten stehen. Denn auch wir haben in ihr viel verloren. Ich sehe sie immer noch als ich im Winter abreiste und sie unten an der Hausthür in Tränen stand nur voll Sorge um Sie. Sprechen Sie allen Ihrigen meine innige Theilnahme aus. Und halten Sie sich aufrecht. In Treue Ihr Wilhelm Dilthey Original: Hs.; UB Tübingen, HA , Md 747–145. 1 E. Zellers Ehefrau, Emilie Zeller, Tochter des Theologen Ferdinand Christian Baur, erlag im Alter von 81 Jahren am 14. Mai 1904 einem Schlaganfall. – Vgl. den Nachruf D.s in: Nationalzeitung 57, Nr. 315 vom 17. 5. 1904 [gez. W. D.]; WA in: GS XV, S. 265 f.

[1333] Dilthey an Herman Nohl 23. Mai 19041 Besten Dank. Mein Weltrich-B[an]d 2 (ausgezeichnet!) enthält nur Räuber3 u. Anthologie. Wirklich nichts weiter erschienen? Brauche dann eine Biographie die vollständig; können Sie mir die beste schicken? wohl Hoffmeister.4 Dann die d[eu]tsche Literaturgeschichte v[on] der wir sprachen [–] wenn Sie sie nicht haben, für mich zu bestellen bei Weber,5 umgehend zusenden! Ferner die Briefe Schillers ed[iert von] Jonas6 von Bd II ab. Wäre lieb Morgen schon; gehe wahrsch[einlich] e[in] paar Tage [nach] Rheinsberg u. lasse erst etwas nachsenden. Beste Grüße W Dilthey Original: Hs.; Postkarte; StUB Göttingen, HA , cod. ms. H. Nohl, 94, Nr. 9. 1 Datierung nach Poststempel. 2 Richard Weltrich (1844–1913): Literaturhistoriker; Gymnasiallehrer, 1875 Prof. an der Bayerischen Kriegsakademie, 1890 freier Schriftsteller, 1902 Promotion in Tübingen. – Friedrich Schiller. Geschichte seines Lebens und Charakteristik seiner Werke. Bd. 1. Stuttgart 1899 (mehr nicht erschienen).

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Conrad Rethwisch an Dilthey

3 F. Schiller: Die Räuber. Ein Schauspiel. Frankfurt und Leipzig 1781. 4 Karl Hoffmeister (1796–1844): Literaturhistoriker; Verwalter eines Teils des Nachlasses von Friedrich Schiller. – Schillers Leben, Geistesentwicklung und Werke im Zusammenhang. 5 Bde, Stuttgart 1838; Supplemente zu Schillers Werken, aus seinem Nachlass im Einverständnis und unter Mitwirkung der Familie Schiller. Hg. von K. Hoffmeister. 4 Bde. Stuttgart 1840–1841. 5 Der Leipziger Verlagsbuchhändler Johann Jacob Weber (1803–1880) hatte in Berlin eine Zweigstelle eröffnet, die nach seinem Tod sein Sohn Johannes und nach dessen Tod im Jahre 1889 sein Sohn Fritz leitete. Die Verlagsbuchhandlung befand sich am Gendarmenmarkt in Berlin. 6 F. Jonas (Hg.): Schillers Briefe. Kritische Gesamtausg. 7 Bde. München 1892–1896.

[1334] Conrad Rethwisch1 an Dilthey

Hochgeehrter Herr Geheimerat!

Charlottenburg, 3. 6. [19]04. Berliner Str. 47.

Vor der Beratung im Reichsamt des Inneren über die Umgestaltung der G[esellschaft] f[ür] d[eutsche] E[rziehung] u[nd] Sch[ul]g[e]sch[ichte]2 am 16. d[es] M[onats] hätte ich sehr gern mit Ihnen eine Besprechung hierüber und wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir gütigst eine Zeit bestimmen wollten, wann ich Sie hierzu aufsuchen dürfte. Mit ausgezeichneter Hochachtung Ihr sehr ergebener C. Rethwisch. Original: Hs.; ABBAW, Dilthey-NL , Fasz. 65, Bl. 279–280. 1 Conrad Rethwisch (1845–1921): Pädagoge und Historiker; 1868 Promotion in Berlin, 1869 Lehrer, 1883 Oberlehrer, später Gymnasialdirektor in Berlin. 2 Die Gesellschaft wurde 1890 gegründet und bestand bis 1938. Einer der Gründer war Karl Kehrbach (1846–1905): Germanist, Lehrer und Bibliothekar; 1885 Promotion in Berlin bei W. Scherer, 1877–1884 Herausgeber von Werken Kants im Reclam-Verlag, ab 1886 Herausgeber einer textkritischen Ausgabe der Werke J. F. Herbarts sowie der Monumenta Germaniae Paedagogica. – Das Organ der Gesellschaft war die älteste erziehungsgeschichtliche Zeitschrift Deutschlands, die Mitteilungen der Gesellschaft für deutsche Erziehung und Schulgeschichte, die bis 1905 von K. Kehrbach herausgeben und redigiert wurde. 1909 übernahm der Literaturwissenschaftler Max Herrmann (1865–1942) die Redaktion. 1911 wurde das Organ umbenannt in Zeitschrift für Geschichte der Erziehung und des Unterrichts.

Pedro de Múgica Ortiz de Zárate an Dilthey

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[1335] Pedro de Múgica Ortiz de Zárate1 an Dilthey

Sehr geehrter Herr Geheimrath.

Berlin 25. 6. [19]04

Leider kann ich Ihnen die erwünschte Auskunft nicht geben.2 Nachdem ich mich mit der Sprache des Don Quichotte eingehend beschäftigt habe, um ein grosses Werk, das jetzt geordnet wird zu vervollständigen, wollte ich den Cervantes3 selbst näher kennen lernen. Dazu hatte ich am 10 Juni „Documentos Cervánticos“ und „Crónica de los Cervantistas“ in der königl[ichen] Bibliothek bestellt, aber beide Werke waren verliehen. Ich besitze etwas interessantes darüber, z. B. 1. „El Loaysa“, von einem früheren Freunde, der jetzt nicht mehr schreiben will, weil von uns beiden vormaligen Antiakademikern er Akademiker geworden ist.4 2. „Bosquejo Cervántico“, von Sbarbi, ein Priester mit dem man nicht in Verbindung treten kann.5 3. „La Verdad sobre el Quijote“, von dem verstorbenen Revilla,6 ein grosser Kritiker. Nach der Meinung dieses, hatte Cervantes nie in einer Universität studirt, er besass eine allgemeine gute Erziehung wie ein Mann der nicht besondere Studien gemacht habe, und hält die Meinungen über Cervantes „Cervantes, theologe“, „Cervantes, humanist“ u. v. m. für reinen Unsinn.7 Der erstere, ein eifriger Cervantiker, will in einer Broschüre, die er meinem Schwager schenkte, beweisen, dass Cervantes in Sevilla bei den Jesuiten studirt hat. Thatsache scheint zu sein, dass Cervantes als er dort Beamter war, mit keinem Menschen verkehrte. Erst das Erscheinen des Don Quichotte machte ihn bekannt. Revilla klagt mit Recht über „la oscura y mal conocida biografía de Cer­ vantes“.8 Eine Sammlung von wichtigen Dokumenten, die etwas Licht in sein Leben bringen könnten, wurden in Sevilla an eine Pappenfabrik verkauft. Er verkehrte mit allerhand Strolchen und niedrigem Volke, und vermied die gute Gesellschaft, weil er sich seiner Armut und seines unsympathischen Amtes9 schämte. Ich halte es für zweckmässig Ihren Brief 10 abzuschreiben und die Copie an meinen intimen Freund Unamuno,11 Rector der Universität Salamanca, zu schicken. Er wird sofort darauf antworten. Hochachtungsvoll ganz ergebenst P. de Mugica Original: Hs.; ABBAW, Dilthey-NL , Fasz. 216, Bl. 12–13.

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Pedro de Múgica Ortiz de Zárate an Dilthey 

1 Pedro de Múgica Ortiz de Zárate (1854–1944): span. Philologe und Musikkritiker; Lektor für castellanische Sprache und Literatur an der Universität Berlin. 2 D.s Brief ist nicht überliefert. 3 Miguel de Cervantes (1547–1616): span. Nationaldichter. – El ingenioso hidalgo Don Quixote de la Mancha. 2 Thle. Madrid 1605 und 1615. 4 José Maria Asensio (1829–1905): Historiker, Journalist und Cervantes-Forscher. – El Loaysa de „El celoso extremeño“, in: Boletín de la Real Academia de la Historía. Tomo 42 (1903), S. 442–445. 5 José Maria Sbarbi (1834–1910): kath. Priester; Prof. am Colegio de San Felipe Neri in Cadiz. – In Illo Témpore, y otras frioleras. Bosquejo Cervántico. Pasatiempo Quijotesco por todos cuatro costados. Madrid 1903. 6 Manuel de la Revilla Moreno (1846–1881): span. Philosoph und Literaturwissenschaftler. – La Verdad sobre el Quijote. Madrid 1878. 7 Vgl. J. M. Sbarbi: Cervantes teólogo. Toledo 1870. 8 … über „die dunkle und wenig bekannte Biographie des Cervantes“. 9 Cervantes arbeitete u. a. als Steuereintreiber. 10 Nicht überliefert. 11 Miguel de Unamuno (1864–1936): span. Philosoph und Schriftsteller; 1891 o. Prof. für Altgriechisch, 1900–1914 für Vergleichende Philologie und Geschichte der spanischen Sprache in Salamanca, Amtsenthebung aus politischen Gründen und Flucht aus Spanien, 1936 Rektor der Universität Salamanca und kurz darauf erneute Amtsenthebung.

[1336] Pedro de Múgica Ortiz de Zárate an Dilthey

Sehr geehrter Herr Geheimrath.

Berlin 26. 6. [19]04.

Nachdem ich gestern an Sie den Brief geschrieben habe, fand ich etwas, was die Sache betrifft. In „Historia de las ideas estéticas en España“ Tomo II. S. 389 ist zu lesen: „Uno de los libros que Cervantes debió de leer con más asiduidad es este ­comento de Herrera. Bien sabido es que de palabras de la epístola al marqués de Ayamonte, que le precede, y del Discurso de Medina, tejió literalmente la ­dedicatoria de la primera parte del Quijote.“ Und auf S. 391: „… Herrera … nos dejó en sus notas un verdadero curso de teoría literaria, no copiada casi a la letra de Scaligero, como malignamente dice Faria.“1 Menéndez Pelayo sagt genau dasselbe über die wissenschaftlichen Kenntnisse von Cervantes, wie sein grosser Gegner Revilla: „Pero Cervantes era poeta, y sólo poeta, ingenio lego, como en su tiempo se decía. Sus nociones científicas no podían ser otras que las de la sociedad en que

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Paul Siebeck an Dilthey

vivía. Y aun dentro de ésta, no podían ser las más peregrinas, las más adelantadas, las del menor número, sino las del número mayor, las ideas oficiales, digámoslo así, puesto que no había tenido tiempo ni afición para formarse otras.“2 Hochachtungsvoll ergebenst P. de Mugica Original: Hs.; ABBAW, Dilthey-NL , Fasz. 213, Bl. 77–77 R. 1 Historia de las ideas estéticas en España. Tomo I–IX. Madrid 1883–1889. – Der Autor des Werkes ist Marcelino Menéndez y Pelayo (1856–1912): span. Philosoph, Literaturwissenschaftler und Historiker; 1878–1898 Prof. für Spanische Literatur in Madrid, 1898 Direktor der span. Nationalbibliothek ebd. – Übersetzung der Zitate: „Eines der Bücher, die Cervantes mit Eifer gelesen haben muss, ist der Kommentar von Herrera. Es ist gut bekannt, dass die Worte, die dem Brief an Marquis de Ayamonte und dem Diskurs von Medina voraus gegangen sind, in den ersten Teil des Quijote eingearbeitet wurden.“  – „… Herrera … wir finden in seinen Worten einen wahren Kurs in Literaturtheorie und nicht eine Kopie des Briefes an Scaligero, wie Faria bösartig sagt.“ – Fernando de Herrera (1534–1597): span. Lyriker. – Giulio Cesare Scaligero (1484–1558): ital. Universalgelehrter und Kommentator; tätig als Arzt in Frankreich. – Manuel de Faria e Sousa (1590–1649): span. Dichter und Historiker. 2 „Aber Cervantes war ein Dichter, und nur Dichter, ein genialer Laie, wie es in seiner Zeit hieß. Seine wissenschaftlichen Vorstellungen konnten nicht anders sein als diejenigen in der Gesellschaft seiner Zeit. Sie konnten nicht die fremdartigsten, die fortschrittlichsten, die seltensten sein, sondern die häufigsten, die offiziellen Ideen, sozusagen, weil er keine Zeit oder Neigung dafür hatte, sich andere zu bilden.“

[1337] Paul Siebeck1 an Dilthey An Herrn Geheimen Regierungsrat Professor Dr. W. Dilthey in Berlin

Tübingen, 27 Juni 1904.

Hochverehrter Herr Geheimrat, im Besitz Ihres freundlichen Briefes2 danke ich Ihnen verbindlichst dafür dass Sie mich auf Herrn Nohl und seine Arbeit „Die Moralphilosophie des Sokra-

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Graf Heinrich Yorck von Wartenburg an Dilthey 

tes“ aufmerksam gemacht haben. Ich bin auf Ihre mir sehr wertvolle Empfehlung hin prinzipiell bereit, Herrn Nohl meine verlegerischen Dienste zu widmen und darf Sie vielleicht bitten, ihn an mich zu verweisen. Seinem Briefe könnte er gleich das Manuscript beifügen, sofern es schon druckfertig vorliegt. Mit nochmaligem verbindlichstem Danke für Ihre freundliche Bemühung und für die Berücksichtigung meiner Firma begrüsse ich Sie in vorzüglicher Hochachtung als Ihr ergebenster Dr. P. Siebeck.3 Original: Typoskript mit eigenhändiger Unterschrift P. Siebecks; StUB Göttingen, HA , cod. ms. H. Nohl, 94, Nr. 11. 1 Paul Siebeck (1855–1920): Verleger; ab 1877 Leiter des gleichnamigen Tübinger Verlages. 2 Nicht überliefert. 3 D. hat den Brief P. Siebecks sofort an H. Nohl weitergeleitet. D. schreibt: „Hier die Antwort. Ich würde ihm die Bedingungen von denen Sie sagten nicht vorschlagen sondern ihn herankommen lassen. Dilthey“ (Original: Hs.; StUB Göttingen, cod. ms. H. Nohl, 94, Nr. 11, Anlage).

[1338] Graf Heinrich Yorck von Wartenburg an Dilthey

Klein. Oels den 12. Juli 1904 Verehrtester Herr Professor

Anbei die versprochenen Notizen über Cervantes. Ich habe folgende Biographien ersehen. a[.] diejenige von Navarrete Madrid 18191 (die beste) b. die gelehrte u. gespenstische vida von Pellicer im ersten Band seiner großen Ausgabe des D[on] Quichote.2 c. De Vida de Cervantes von Aribau in seiner Biblioteca española[.]3 d. Di vida in der großen Academie-Ausgabe. […] Ausgabe mit ­Suplemmenten redigirt f[ür] die philologisch vernünftigen Notizen von Bowle in seinem Commentar zu D[on] Quichote Salisbury 1781.4 […]. Wie Sie aber sehen werden ist über seinen Bildungsgang wenig, über den Grund seiner umständlichen principiellen Situation fast nichts zu ermitteln. Mit seinen Dramen hat er augenscheinlich nichts verdient. Lope de Vega5 als Theaterprinz wird ebenso Alles an sich gerissen haben wie Góngora.6

Graf Heinrich Yorck von Wartenburg an Dilthey 

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Ich sitze hier als Strohwithwer zwischen Rechnungen[,] Papiermassen und Büchern in großer Mitte. Bertha ist in Höckricht, so haben wir Ihrer […] gedacht. Es geht ihr gut und ihren Kindern auch. Von den meinen und meiner Frau habe ich gute Nachrichten aus Gießen[?]. Mit der Bitte Ihrer Frau Gemahlin und Fräulein Clara viele Empfehlungen und Grüße zu Füßen zu legen immer der Ihre H. Yorck. Sehr interessant das Portrait des Cervantes. Copie nach dem verlorenen Original des Pacheco (unfehlbar).7 Erinnert sehr an den Shakespeare vor dem folio von 1623.8 Original: Hs.; ABBAW, Dilthey-NL , Fasz. 216, 15–16. 1 Martín Fernández de Navarrete (1765–1844). – Vida de Miguel de Cervantes Saavedra, escrita e illustrada con varias noticias y documentas inéditos pertenencientes a la historia y literatura de su tiempo. Publíca la Real Academia Española. Madrid 1819. 2 Juan Antonio Pellicer (1738–1806): span. Bibliothekar und Cervantes-Biograph.  – Cervantes Saavedra, Miguel de: El ingenioso hidalgo Don Quixote de la Mancha, compuesto por Miguel de Cervantes Saavedra. Nueva edición corregida denuevo, con nuevas notas, con nueva vineta, con Nuevo analisis, y con la vida de el autor nuevamente aumentada por D. Juan Antonio Pellicer. 5 Bde. Madrid 1797–1798. – Vgl. auch Ders.: Vida de Miguel de Cervantes Saavedra. Madrid 1800. 3 Buenoventura Carlos Aribau (1798–1862): span. Schriftsteller, Politiker und Ökonom. – Biblioteca de Autores Españoles, desde la formación del lenguaje hasta nuestros días, ordenada e ilustrada por D. Buenaventura Carlos Aribau: Obras de Miguel de Cervantes Saavedra. Cuarta edición. Madrid 1860. 4 El ingenioso hidalgo Don Quixote de la Mancha compuesto por Miguel de Cervantes Saavedra. Tercera edición corregida. Por la Real Academia Española. Parte I y II. Madrid 1787. – John Bowle (1725–1788): engl. Priester, Schriftsteller und Editor von Werken Shakespeares u. a. – J. Bowle edierte die erste wissenschaftliche Ausgabe des Don Quixote: Historia de famoso cavallero, Don Quixote de la Mancha. Por Miguel de Cervantes Saavedra. 3 Bde. London und Salisburg 1781. Bd. 3: Annotationes a la Don Quixote de la Mancha. Por el Reverendo D. Juan Bowle. 5 Lope de Vega (1562–1635): span. Dichter; Zeitgenosse des M. de Cervantes. – Während Cervantes zu seinen Lebzeiten kaum beachtet wurde und in ärmlichen Verhältnissen lebte und starb, war Lope de Vega ein gefeierter und viel aufgeführter Dichter, der in fürstlichen Verhältnissen lebte. 6 Der span. Lyriker und Dramatiker Luis de Góngora (1561–1627), ebenfalls ein Zeitgenosse Cervantes’.

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Dilthey an Paul Ritter 

7 Francisco Pacheco del Rio (1564–1654): span. Maler; tätig in Sevilla; Lehrer des Diego Velásquez (1599–1660). – Pacheco fertigte u. a. im Jahre 1599 Zeichnungen von 170 Zeitgenossen an, in: Ders.: Libro de descriptión de verdaderos retratos de ilustres y memorables varones. Sevilla 1599. 8 Mr. William Shakespeares comedies, histories & tragedies: published according to the true originall copies. London 1623.

[1339] Dilthey an Paul Ritter

Lieber Freund,

[Karlsbad, August 1904]1 Sonnabends

der Brunnen greift mich so an daß ich nicht recht über mich disponiren kann zu welcher Zeit ich werde zurück sein können. Diese Unsicherheit könnte für Sie unbequem u nachtheilig werden. Da ich nun doch nach meiner Rückkunft durch die Vorlesung neben welcher die Redaktion und Correctur der 2  Aufl[age] d[er] Geisteswissenschaften herlaufen soll hinlänglich zu thun habe: so können wir ebenso gut die gemeinsame Arbeit zu irgend einem andern Termin vor Weihnachten oder in der Weihnachtszeit vornehmen. Es ist dies nur eine Anfrage an Sie. Denn wenn es nicht gehen sollte: so würden wir bei der ersten Einrichtung verbleiben. Heut nur diese wenigen Worte. Ich habe wol allerlei für die ‚Revolution in d[er] Litt[eratur]‘ gelesen aber darf mir in den nächsten Wochen durch­aus nicht zumuthen, etwas zusammenhängend aufzu­schreiben. Ich muß mich der Sachlage fügen, um im Winter desto frischer hoffentlich zu sein. Und wie gehts Ihnen? Eine Zeile von Ihnen fände mich nächsten Mittwoch in München[,] Adresse: Mathildenstraße Christliches Hospiz.2 Mit herzlichen Grüßen Ihr Wilh. Dilthey Original: Hs.; ABBAW, NL Ritter, A: Paul Ritter, I. 1. Bd. VI, Nr. 11–12. 1 Im Brieforiginal: nachträgliche Ortsangabe und Datierung von der Hand P. Ritters. 2 Das „Christliche Hospiz“ in der Mathildenstraße 4–5 war 1904 ein Hotel in M ­ ünchen.

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Dilthey an Reinhold Lepsius 

[1340] Dilthey an Reinhold Lepsius Lieber verehrter Freund,

[Weggis, 12. 09. 1904]1

eben sind wir hier in Wäggis Hôtel Post angelangt u. haben zu unsrer großen u. freudigen Überraschung Tochter u. Sohn angetroffen, die uns entgegen­ gekommen waren. Wohin wir gehen, noch ganz zweifelhaft: das Wetter höchst schwankend: mein Befinden leider gar nicht gebessert; das Aufhören des Trinkens hat nichts geändert. Morgen wollen wir über Brunnen in Morschach Pension Veyenbalnen[?] ansehen,2 etwa 700 Meter, u ich versuche es vielleicht. Ich schrei­be augenblicklich sobald wir fixiert sind. Vor Allem bitte ich daß Sie hierher Wäggis Nachricht geben wo Sie sind. Wir erhalten diese dann. Ihrer Frau Gemahlin herzl[iche] Grüße. Auch m[eine] Frau grüßt. Ihr Wilhelm Dilthey Original: Hs.; Postkarte; StA Fürth, NL-Sammlung, Mappe 82. 1 Datierung nach Poststempel.  – Weggis ist eine Gemeinde im Kanton Luzern /  Schweiz. – Das „Hotel Post“ ist seit 1897 nachweisbar. 2 Brunnen ist ein Ort oberhalb des Vierwaldstättersees im Kanton Schwyz / Schweiz, Morschach liegt direkt an dem Vierwaldstättersee. – Die Pension ist nicht mehr nachweisbar.

[1341] Dilthey an Paul Ritter Hôtel Post & Terminus Weggis, Vierwaldstättersee

[nach dem 12. 09. 1904]1 Lieber Freund, herzlichen Dank für den Plan der Arbeit, den Ihr Brief enthält.2 Ich bin natürlich sehr froh über denselben. Mein Befinden hat sich noch immer nicht gebessert; das schlechte Wetter und der leidige Südwind sind aber auch der Besserung sehr hinderlich. Einen höhern Ort nach meinem Bedürfniß haben wir

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Dilthey an Paul Ritter 

hier nicht gefunden, u. so werden wir noch heute trotz des Regens nach Nünalphorn,3 das wir von vorigen Jahren kennen und förderlich u. angenehm gefunden haben übersiedeln. Ich schreibe sobald wir einen festen Platz haben. Wollen sie nur Herrn Stud. Zucker4 zu Vorarbeiten nach Ihrem Bedürfniß in Anspruch nehmen, besonders für das Verhältniß zur Biblio­thek u. dort zu Arbeitendes. Ich komme zu wenig Anderem als Lektüre u. Notizen zu Jean Paul.5 Nicht einmal einen halbfertigen Aufsatz für die Rundschau den ich mitnahm getraue ich mich fertig zu machen, da direkt nach der Kur jede geistige Arbeit schädlich wirkt. So nehmen Sie auch mit diesen flüchtigen Zeilen vorlieb; sobald ich festen Aufenthalt habe schreibe ich. Mit herzlichen Grüßen Ihr Wilhelm Dilthey Original: Hs.; ABBAW, NL Ritter, A: Paul Ritter, I. 1. Bd. VI, Nr. 14. 1 Im Brieforiginal von der Hand P. Ritters: „Sept[ember] 1904“. 2 Nicht überliefert. 3 Berg zwischen Melchtal und Engelbergtal in der Schweiz. 4 J. Zucker: Student D.s, der für D. langjährig als Sekretär tätig war. 5 Jean Paul (1763–1825): Dichter und Schriftsteller. – Seit 1895 plante D. eine Sammlung literaturhistorischer Aufsätze unter dem Titel Dichter als Seher der Menschheit. – Zwischen 1904 und 1906 arbeitete er an einem Aufsatz über Jean Paul. Vgl. GS XXV, Vorbericht der Hg., S. X und S. 683–703.

[1342] Dilthey an Paul Ritter

Mein lieber Freund,

Hôtel Monopol & Metropole1 Luzern 29 Sept[ember] [1904]

Ich habe mich nach langem Nachdenken jetzt definitiv entschlossen, mich von meinen Vorlesungen schon diesen Winter zurückzuziehen. Mein augenblickliches Befinden bietet den Anlaß. Der Ge­danke ist mir unerträglich daß

Dilthey an Friedrich Theodor Althoff 

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ich eventuell genöthigt würde durch die bevorstehenden unvermeid­lichen Anstrengungen im Lauf des Winters die Vorlesungen etwa abzubrechen und so jämmerlich vom Schauplatz langjähriger Thätigkeit abzutreten. Wie lange ich unter der Doppelthätigkeit gelitten wissen Sie besser als ein Anderer irgend. Ich bitte vorläufig mit Niemandem hierüber zu reden, da sehr fatal wäre wenn vor der amtlichen Mit­theilung etwas verlautete. Diese bedarf aber noch manche Vorbereitung. Und nun mein lieber Freund! Es lebe das Buch! Mein letzter gestriger Brief wird nun hinfällig.2 Ich hoffe bald zurückzukehren, spätestes den 12–15 October, und dann soll die Arbeit be­ginnen. Zu d[er] polit[ischen] Parthie Vieles in Jean Paul.

Viele Grüße v[on] Ihrem W. Dilthey

Ich würde nicht aus der Univ[ersität] ausscheiden sondern nur nach Befinden lesen, [bis] ein guter Philosoph berufen würde. Original: Hs.; ABBAW, NL Ritter, A: Paul Ritter, I. 1. Bd. VI, Nr. 16–17. 1 Das „Hôtel Monopol“, das heute noch in Luzern besteht, wurde im Jahre 1899 er­ öffnet. 2 Nicht überliefert.

[1343] Dilthey an Friedrich Theodor Althoff Stresa, Lago Maggiore Pension Beauregard d[en] 1. Oct[ober] 1904. Hochverehrter Herr Ministerialdirektor! Dem Gesuch, welches gleichzeitig in Ihre Hände gelangen dürfte, füge ich zunächst den Ausdruck unendlichen Bedauerns hinzu, daß, nach­dem die Regierung so gütig für meine Wiederherstel­lung im letzten Winter Sorge getragen hatte, ich nun durch ein ganz unerwartetes Mißgeschick außer Stande bin, in diesem Winter die Geschichte der Philosophie zu lesen. Irgend ein Fehler meinerseits während der Karlsbader Kur – der dor­tige Arzt meinte, ich sei zu viel

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Dilthey an Friedrich Theodor Althoff 

gestiegen  – hat einen qualvollen Zustand von Herzklopfen durch die ganze Nacht u. eine fast völlige Schlaflosig­keit herbeigeführt. Ich hoffte auf eine wenn auch nur leise Besserung, aber es steht ganz unver­ändert bis heute. Und ich muß annehmen daß wenn ich auch in diesem Zustand die Vorlesung begönne, ich sie nach wenigen Wochen abbrechen müßte. Schon vor einigen Tagen habe ich Herrn Geh[eimen] Rath Stumpf über die Sachlage orientiert.1 Ich kann nun mit meinem Gesuch nicht länger zögern, wenn die Ankündigungen meinerseits u. seitens des­sen, der meine Vorlesung übernehmen würde nach dessen Bewilligung rechtzeitig am schwarzen Brett stattfinden soll. Falls Herr Stumpf verhindert wäre, die Vor­lesung zu übernehmen, so würde Herr Dr. Menzer, der Sekretär der Kantkommission, wohl qualificiert sein, die Aufgabe zu lösen; ich habe auch ihn auf diese Eventualität vor einigen Tagen vorbereitet. Gelingt auch dieses nicht, so wird höchst wahr­scheinlich Herr Prof. Simmel,2 der soeben die allgemeine Geschichte der Philosophie gele­sen hat, die Vorlesung gerne übernehmen. Wenn die Antwort in meine Berliner Wohnung gerichtet wird, so wird meine Tochter sofort demjenigen Herrn Mitteilung von ihr machen, welcher die Vorlesung übernimmt, damit dieser unverzüglich seinen Anschlag machen kann. Ich selber warte nur, ob der Aufenthalt auf der Südseite der Alpen bei günstigerem Wetter, als wir’s bisher hatten, mir irgend eine Besserung bringt u. kehre jedenfalls vor Beginn der Vorlesung zurück, um meine Übungen abzuhalten.3 Ich werde dann auch um ein Gespräch über die von mir in meinem Gesuch angedeuteten Erwägungen bitten. In treuer Ergebenheit (der sich auch die traurige Sekretärin anschließt)

der Ihrige W. Dilthey

Original: Hs.; Diktat D.s von der Hand Katharina D.s mit eigenhändiger Unterschrift D.s; GStA PK Berlin, VI. HA , FA u. NL , NL Friedrich Theodor Althoff, B Nr. 29, Bd. 2, Bl. 145–146. 1 Nicht überliefert. 2 Der Philosoph Georg Simmel (1858–1918) war seit 1900 als unbesoldeter a. o. Prof. in Berlin tätig. 3 D. hatte für das WS 1904/05 neben seiner fünfstündigen Vorlesung über Allgemeine Geschichte der Philosophie bis auf die Gegenwart, in ihrem Zusammenhang mit der Kultur einstündige Philosophische Übungen angekündigt.

Dilthey an Paul Ritter 

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[1344] Dilthey an Paul Ritter L[ieber] F[reund] Angekommen, sehne mich sehr, sie zu sehen; wissen Sie, wo ich meinen Schlüssel zum Pult eingeschlossen habe? Sie finden mich heut von 5 Uhr ab und morgen Früh. Ihren LeibnizBericht1 eben vorgefunden. Herzl[iche] Grüße Ihr Dilthey 14. X. [19]04 Original: Hs.; Postkarte; Diktat D.s von der Hand Clara D.s; ABBAW, NL Ritter, A: Paul Ritter, I. 1. Bd. VI, Nr. 18. 1 P. Ritter hat „den größten Teil der eigentlichen Vorarbeiten“ für die Leibniz-Akad.Ausg. geleistet, der vor allem in der „kritischen Ordnung und Verzeichnung des LeibnizNachlasses in Hannover bestand“. Zudem konnte er wertvolle neue, teilweise verloren geglaubte Materialien zu Leibniz in anderen Bibliotheken Deutschlands auffinden (vgl. den unvollständigen, handschriftlichen Lebenslauf P. Ritters in: ABBAW, NL Ritter, A: Paul Ritter, I. 1. Bd. XI, Nr. 9–10).

[1345] Dilthey an Johann Oser1 Hochgeehrter Herr Professor, Ihre Anfrage beantworte ich gern, da ich von Herrn Nohl außerordentlich viel halte.2 Sein Charakter ist von einer seltenen sittlichen Reinheit und Ideali­tät. Sie werden selbst empfunden haben, wie ganz dieser Charakter durch eine unbedingte, keiner Situation gegenüber ver­sagende Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit, durch die Abwe­senheit aller kleinlichen Züge, durch die entschiedene Richtung zum Echten und Tüchtigen sich über das Durchschnittsmaß weit erhebt. Hieraus entspringt denn auch seine treue Anhänglich­keit da, wo ihm an den Menschen das Echte entgegentritt, und die herbe Abweisung des Gegenteils. Von seiner Begabung habe ich einen sehr hohen Begriff. Kann er ruhig fortarbeiten, so wird er sicher seinen Weg als Gelehrter machen, und meiner subjektiven Überzeugung nach wird er so­gar Außerordentliches leisten können.

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Paul Ritter an Dilthey 

Ich habe nicht die Ehre, Ihr Fräulein Tochter3 zu kennen, aber die Wahl, welche dieselbe getroffen hat, macht ihr alle Ehre, und wenn Sie Ihre4 Einwil­ ligung erteilen, so habe ich nur noch den innigen Wunsch, daß den beiden jungen Leuten die Lebensbahn recht eben gemacht werden könnte, damit die Begabung Nohls zu einer fröhlichen Entfaltung gedeihe. Indem ich für Ihr Vertrauen danke, bin ich ganz ergebenst

der Ihrige Wilhelm Dilthey.

15. Oktober [19]04. Original: Hs.; StUB Göttingen, HA , cod. ms. H. Nohl, 875, Nr. 4, Bl. 1–3; Erstdruck in: E. Blochmann, a. a. O., S. 46. 1 Johann Oser (1833–1912): österr. Chemiker; 1862 Promotion in Wien zum Dr. phil., 1863 Habilitation für Organische Chemie ebd., 1867 Prof. an der Forstakademie in Mariabrunn, 1876 a. o., 1883 o. Prof. an der TH Wien. – J. Oser war verheiratet mit Hermine Fanny Josephine Wittgenstein (1844–1933), einer Schülerin des Sängers und Dirigenten Julius Stockhausen. 2 J. Oser, späterer Schwiegervater H. Nohls, erbat von dessen akademischen Lehrern, D. und F. Paulsen, Auskünfte über seinen Schwiegersohn in spe. 3 Bertha Oser-Wittgenstein (1878–1963): österr. Pianistin; Cousine des Philosophen Ludwig Wittgenstein.  – Die Verlobung von H. Nohl und B. Oser-Wittgenstein war im Spätherbst 1904, die Heirat erfolgte im Mai 1905 in Kalksburg bei Wien, dem Elternhaus der Braut. 4 Bei E. Blochmann: „ihre“.

[1346] Paul Ritter an Dilthey Berlin S[üd] W[est] 61 Am Johannistisch 17. 10. [19]04 Hochverehrter Herr Geheimrath. Herr Geheimrath Diels hat mir meinen Bericht zurückgeschickt mit dem dringenden Ersuchen, die notwendigen Änderungen und Ergänzungen (Litte­ raturnachweise etc.) sofort vorzunehmen, damit der Bericht in der Donnerstag[-]Sitzung vorgelegt werden und dann in die Druckerei gehen kann.1

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Dilthey an Johannes Vahlen 

Diese mühsame Arbeit nimmt mich ganz in Anspruch, und so bitte ich Sie, mich erst am Sonntag vormittag zu erwarten. Ich habe übrigens das ganze Manuscript des einleitenden Kapitels zum 3. Buch bei mir: wenn Sie einiges davon brauchen sollten, bringe ich es Ihnen sofort auf kurze Karte hin. Ihr getreuer, dankbarer Ritter Original: Hs.; ABBAW, Dilthey-NL , Fasz. 66, Bl. 251–251 R. 1 Abhandlungen der Königl. Preuß. AdW zu Berlin aus dem Jahre 1904. Abhandlung 4, S. 1–47: Neue Leibniz-Funde. Reisebericht, von Dr. Paul Ritter in Berlin; vorgelegt von H. Diels in der Gesamtsitzung am 20. Oktober 1904 (vgl. Sitzungsberichte der AdW zu Berlin. Jg. 1904, S. 1233). – Am 22. Dezember 1904 lag Ritters Bericht gedruckt vor.

[1347] Dilthey an Johannes Vahlen Hochverehrter Herr College

Berlin, d[en] 19. X. 1904.

Gestatten Sie, daß ich den Vielen, welche heute dankbar Ihrer so selten fruchtbaren 50-jährigen Universitätstätigkeit gedenken, mich zugeselle mit meinem Glückwunsch und mit den besten treugemeinten Wünschen für Ihr ferneres Wirken und Wohlbefinden.1 In größter Hochachtung der Ihrige Wilhelm Dilthey Original: Hs.; Diktat D.s von der Hand P. Menzers mit eigenhändiger Unterschrift D.s; StB PK Berlin, HA , NL Vahlen, Bl. 2. 1 Der klass. Philologe Johannes Vahlen (1830–1911) hatte sich 1854 in Bonn habilitiert.

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Gebrüder Paetel an Dilthey 

[1348] Gebrüder Paetel an Dilthey Berlin W[est] 35, den 7. 11. 1904. Herrn Geheimrat Professor Dr. Wilhelm Dilthey Berlin

Sehr geehrter Herr Geheimrat! In der Anlage senden wir Ihnen eine Karte, auf welcher bei uns angefragt wird, wann Ihr Werk „Drei Epochen deutschen Geisteslebens“ er­scheint;1 solche Anfragen erhalten wir in letzter Zeit des öfteren. Da wir nicht wissen, was wir auf diese wiederholten Reklamationen antworten sollen, bitten wir Sie höflichst, uns den Termin angeben zu wollen, an welchem wir das fehlende Manuscript erwarten dürfen. Es wäre uns vorläufig gedient, wenn Sie uns das Schlußmanuscript des ersten Bandes senden würden, damit wir diesen nunmehr fertigstellen und ausgeben können. Wir sehen Ihrer gütigen Rückäußerung ent­gegen und zeichnen

mit vorzüglicher Hochachtung Gebrüder Paetel

Original: Hs.; ABBAW, NL Ritter, A: Paul Ritter, I. 1. Bd. VI, Nr. 21. 1 1901 fasste D. „den Plan, eine Geschichte des deutschen Geistes zu schreiben“, beginnend mit Leibniz. Er wollte hierfür bereits Niedergeschriebenes und Publiziertes verwenden und Neues ergänzen. Im Jahre 1902 schien der erste Band dieses geplanten Werkes im Wesentlichen abgeschlossen zu sein. D. schloss einen Vertrag mit dem Verleger. Der Druck begann, wurde aber auf Veranlassung D.s schließlich eingestellt. – Maßgebliche Hilfe bei der Texterstellung erhielt D. durch seinen Mitarbeiter P. Ritter, dem das Buch auch gewidmet werden sollte. Es wurde jedoch von D. nicht fertiggestellt (vgl. das Vorwort von P. Ritter zu GS III, bes. S. V–VII).

[1349] Dilthey an Wilhelm Raabe1 Lassen Sie mich, verehrter Herr Jubilar, meine herzlichsten Glückwünsche Ihnen darbringen.2 Sie und nach Ihnen Polenz3 haben in der Zeit meines Le-

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Dilthey an Georg Misch 

bens in Deutschland starke deutsche Charactere hingestellt, an denen ich immer neue Freude gehabt habe. Gerne gedenke ich meines Besuches bei Ihnen in Ihrer Einsamkeit zu Wolfenbüttel, den Sie vielleicht lange vergessen haben.4 Mögen Sie uns noch lange wirksam erhalten bleiben! Berlin, 14. November 1904

In treuester Verehrung der Ihrige Wilhelm Dilthey

Original: Hs.; Diktat D.s von der Hand Clara D.s mit eigenhändiger Unterschrift D.s; StUB Göttingen, HA , cod. ms. E. Weniger, 3: 23, 13, Beilage 1; Erstdruck in: Wilhelm Raabe im Urteil bedeutender Zeitgenossen. Briefe von und an Wilhelm Raabe, ausgewählt von Karl Hoppe. Braunschweig 1960, S. 46. 1 Wilhelm Raabe (1831–1910): Schriftsteller. 2 Der 1854–1856 als Gasthörer der Universität in Berlin lebende W. Raabe begann seinen ersten Roman Die Chronik der Sperlingsgasse mit dem ersten Eintrag „Am 15. November [1854]“. Raabe veröffentlichte dieses erste Werk, das im September 1856 (vordatiert auf 1857) in Berlin erschien unter dem Pseudonym „Jacob Corvinus“. – D. gratuliert Raabe zu dessen 50jährigem schriftstellerischen Schaffen. 3 Wilhelm von Polenz (1861–1903): Schriftsteller und Dichter; 1883 Studium der Rechtswissenschaften, 1886 Referendar im sächsischen Staatsdienst, ab 1887 freier Schriftsteller. 4 D. hatte, zusammen mit seinem Jugend- und Studienfreund, dem Schriftsteller und Redakteur Adolf Glaser (1829–1915), im Januar 1860 Wilhelm Raabe in Wolfenbüttel einen Besuch abgestattet. Vgl. hierzu BW I, Brief [66], S. 116 und 118.

[1350] Dilthey an Georg Misch Mein lieber, junger Freund,

Berlin, d[en] 20. XI. 1904

herzlichen Dank für Ihre guten Wünsche.1 Ihre Zeilen haben mich wahrhaft erfreut, weil sie mir eine sichere Hoffnung geben, daß Sie zum Abschluß dieser großen und wichtigen Arbeit rechtzeitig gelangen werden,2 was um jeden Preis auch den der flüchtigeren Arbeit an manchen Punkten schlechterdings notwendig ist. Denn wie nun einmal Akademien und Universitäten allein urteilen können nach der Einschränkung, welche die Lektüre eines Manuscrip-

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Dilthey an Georg Misch 

tes von solchem Umfang bei der fast unerträglichen Arbeitslast der betreffenden Personen notwendig fordert[,] ist der äußere Maßstab des Fertigseins, und zwar in einer gleichen Gleichmäßigkeit der Teile die notwendige Vorbedingung des Erfolges. Dazu kommt, daß gegen eine Instanz, die aus einem Deficit an diesem Punkt entkommen war, von der Gegenseite nie etwas zu sagen ist, während jede inhaltliche Kritik stets durchführbar bleiben wird. So bin [ich] auch sehr froh, daß Sie von der neueren Zeit nach Goethe nun doch noch einen Überblick gegeben haben. Die Dietzsche Arbeit3 verzögert sich und ich bitte also, auf sie nicht mehr für die Fertigstellung zu rechnen. Bei der Lektüre der deutschen Romane des 18. Jahrhunderts fällt mir immer mehr die Überlegenheit der Deutschen inbezug auf die Durchführung der Idee der Entwickelung im Lebenslauf auf. Sie beruht ohne Zweifel auf der Entwickelungslehre von Leibnitz. Der Gesichtspunkt, unter welchem eine Monade die Welt abspiegelt, die so bedingte Perspektive des Sehens enthielt einen ersten Begriff von der Erklärung von individueller Struktur. Längst vor Moritz4 stellt sich Wezel5 von seinem Tobias Knaut ([17]74) ab[,] dann auch in „Hermann u. Ulrieke“ (1780)6 das Problem die Entwickelungsgeschichte indiv[idueller] Eigenart psychologisch-genetisch darzustellen. Das Hauptmerkmal des Übergangs aus selbstbiographischer Betrachtung zum Roman bleibt dann das gleichzeitige Hauptwerk von Hippel,7 der sicher im tiefen Sehen starker persönlicher Eigenheiten[,] ihrer Vererbung etc. jedem an­ dren deutschen Roman des 18. Jahrhunderts überlegen ist. Sehr interessant ist, wie die Form und Technik durch die psychologisch-biographische Tendenz bestimmt ist. Der Mangel aller dieser Romane, auch des Sigwart8 ist in ihrer Richtung auf die Darlegung der Continuität des Lebens gegründet. Sie zerlegen nicht in Scenen. Sie sind zu innerlich u. ermangeln so der Sinnfälligkeiten etc. In dem Sigwart entsteht in einer katholischen Region die einfache, kindliche, gefühlvolle Form der Erzählung, die dann im Walther9 wiederkehrt […], wie katholische geistliche Schriftsteller ein Leben nehmen u. hinstellen. Sie haben doch wohl das selbstbiographische Fragment Jean Pauls in „Wahrheit aus Jean Pauls Leben“ herausg[egeben] von Otto. Bd. I besichtet.10 Jean Paul hat diese Jugend­ idylle z. T. höchst gewaltsam in verschiedene seiner Romane verwoben. Übrigens kennt er sowenig als in seinem Leben selbst u. seinen Romanen eine Entwickelung. Die Flegeljahre11 brechen ab vor deren Beginn. Nur im Titan12 hat er unter Goethes Einwirkung u. sichtlich nach dessen Muster eine solche versucht.

Beste Wünsche zum Fortgang, in treuer Gesinnung der Ihrige Wilhelm Dilthey

Wilhelm Raabe an Dilthey 

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Original: Hs.; Diktat D.s von der Hand Clara D.s mit eigenhändiger Unterschrift D.s; StUB Göttingen, HA , cod. ms. G. Misch, Nr. 108, 1/1. 1 D. hatte am 19. November Geburtstag. 2 Nicht überliefert.  – G. Misch hatte seine Geschichte der Autobiographie 1904 frist­ gerecht bei der Königl. Preuß. AdW zu Berlin eingereicht, die am 25. Januar 1900 folgende Preisaufgabe ausgeschrieben hatte: „Es wird eine Geschichte der Autobiographie im strengsten Sinne (mit Ausschluß aller Memoirenlitteratur) gewünscht […].“ (Vgl.: Abhandlungen der Königl. Preuß. AdW zu Berlin aus den Jahren 1899 und 1900, S. XXXI f.). – Das Preisgeld betrug 5000 Mark; der Abgabetermin wurde auf den 31. Dezember 1904 festgesetzt. 3 Nicht zu ermitteln. 4 Karl Phillip Moritz’ Werk Anton Reiser. Ein psychologischer Roman. 5 Bde. Berlin 1785–1794. 5 Johann Karl Wezel (1747–1819): Schriftsteller und Pädagoge. 6 J. K. Wezel: Lebensgeschichte Tobias Knauts, des Weisen, sonst Stammler genannt: aus Familiennachrichten gesammelt. Leipzig 1733–1776. – Ders.: Hermann und Ulrike. Komischer Roman. 4 Bde. Leipzig 1780. 7 Theodor Gottlieb von Hippel der Ältere (1741–1796): Jurist, preuß. Beamter und Schriftsteller; Schüler Kants. – Lebensläufe nach Aufsteigender Linie nebst Beylagen A, B, C. 3 Thle., 4 Bde. Berlin 1778–1781. 8 Johann Martin Miller (1750–1814): Theologe und Schriftsteller.  – Siegwart. Eine Klostergeschichte. 3 Thle. Leipzig 1777. 9 J. M. Miller (Hg.): Die Geschichte Gottfried Walthers, eines Tischlers, und des Städtleins Erlenburg. Ein Buch für Handwerker und Leute aus dem Mittelstand. 2 Thle. Ulm 1786. 10 Wahrheit aus Jean Pauls Leben. Bd. 1. Hg. von Chr. Otto. Breslau 1826. Der Band enthält autobiographische Kindheitserinnerungen Jean Pauls, die Chr. Otto aus dessen Nachlass herausgab. 11 Jean Paul: Flegeljahre. Eine Biographie. 4 Bde. Tübingen 1804–1805. 12 Jean Paul: Titan. 5 Bde. Berlin 1800–1803.

[1351] Wilhelm Raabe an Dilthey Herzlichen Dank für den freundlichen Gruß, Herr Wilhelm Dilthey! O wohl erinnere ich mich noch Ihres Besuches in unserem kleinen aber „gewählten“ Kreise! Es liegen freilich anderthalb Menschenalter zwischen ihm und dem heutigen Tage; – um so mehr aber habe ich mich Ihrer liebenswürdigen Zuschrift erfreut! Hoffentlich geht das Alter auch mit Ihnen nicht allzu schlimm um! Mit herzlichen Wünschen für Ihr Wohlergehen Ihr Wilh. Raabe

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Dilthey an Erich Adickes 

28 November 1904 Original: nicht überliefert; Erstdruck in: Wilhelm Raabe: Sämtliche Werke. Im Auftrag der Braunschweigischen Wissenschaftlichen Gesellschaft herausgegeben von Karl Hoppe. Ergänzungsband 2: Briefe, bearb. von Karl Hoppe unter Mit­ arbeit von Hans-Werner Peter. Göttingen 1975, S. 458 f., sowie in: Wilhelm ­Raabe in Urteil bedeutender Zeitgenossen. Briefe von und an Wilhelm Raabe, ausgewählt von Karl Hoppe. Braunschweig 1960, S. 46.

[1352] Dilthey an Erich Adickes Sehr geehrter Herr College!

30. 11. 1904

In Bezug auf Ihre Anordnung ersuche ich in einigen Punkten um Aufklärung.1 Es ist ja selbstverständlich, daß schließlich der Herausgeber selber den Inbegriff der Gründe für die Anordnung überblickt, da die Masse der Manuskripte selbst hier die Entscheidungsgründe in erster Linie in sich enthält: aber da doch unter der Verantwortlichkeit der Commission die Ausgabe stattfindet, ist es doch zweckmäßig, daß vor Ihrer Übergabe der Manuskripte, solange Ihre Arbeit noch im Fluß ist, eine Verständigung stattfindet. I. So viel ich sehe, handelt es sich darum, eine Vermittlung zu finden, welche das in den Phasen Zusammengehörige zusammenzuhalten und doch eine Anordnung im Sinne Kants zu geben ermöglicht. Jede solche Anordnung von B[an]d I–V kann sich in den Hauptabteilungen nur an die spätere Kantische Anordnung halten. Diese aber kann nach zwei Gesichtspunkten geschehen. Entweder legt man die bei seinem akademischen Unterricht befolgte Idee zu Grunde, wie sie im Aufsatz „Über die verschiedenen Racen“ gegeben ist.2 Dort bezeichnet er die Vorlesungen über physische Geographie und Anthropologie als „Vorübung in der Kenntnis der Welt“. Ich habe mich hierüber öfter geäußert, daß das über Anthropologie vereinigte Material unter diesem Gesichtspunkt seine inneren Zusammenhänge besitzt; will man sie nicht zerreißen, was ich mit Ihnen gemeinsam als notwendig erachte, dann muß man diesen Gesichtspunkt auch in

Dilthey an Erich Adickes 

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der Anordnung zur Geltung bringen. Alsdann sind Geographie zur Anthropologie vorauszuschicken. Hierauf würden dann Logik, Metaphysik (Tran­ scendentalphilosophie)  und die beiden Zweige der Metaphysik, Metaphysik der Natur als reine und dann als angewandte Wissenschaft in der Abfolge von Mathematik, Physik und Astronomie zu stehen kommen. Der andere Zweig, Metaphysik der Sitten und ihre Anwendungen, wovon nachher ein Mehreres. Will man nun diese Anordnung nicht wählen, so müßte man von der Einteilung ausgehen, wie sie Kant seit der Niederschrift der Methodenlehre in der Vernunftkritik entworfen hat, in gewissen Hauptzügen übereinstimmend, sonst mit manchen Unterschieden. Die Unterscheidung in reine und empirische Philosophie müßte entweder principiell als Haupteinteilung zu Grunde gelegt werden oder bei den einzelnen Disciplinen gemacht werden. Ich darf nun voraussetzen, daß der Bestand der Manuskripte die erste Einteilung nicht möglich macht, bliebe dann die zweite. So entstünde das Schema Logik Metaphysik (Transcendentalphilosophie) Metaphysik der Natur Metaphysik der Sitten  a) Körperlehre  a) Moral  b) Seelenlehre  b) Rechtslehre. Dies wäre zunächst die Anordnung des Rationalen Systems. Schwierigkeit böte dabei nur, daß die Transcendentalphilosophie der Moral eigentlich der Metaphysik der Sitten vorangehen müßte, worauf dann diese als Rechtslehre und Sittenlehre folgen müßte: ein Verfahren, das wohl dem Material gegenüber unausführbar ist. Die weitere Frage wäre dann, wie diesen Disciplinen der rationalen Philosophie als Metaphysik der Natur und der Sitten die weiteren angewandten Disciplinen zuzuordnen wären. Wählt man nun diese Einteilung, dann müßten aus Ihrer Anordnung Mathematik, Physik, Astronomie und physische Geographie den Platz wechseln, es gibt wohl in Kants Anordnung eine Möglichkeit, die Mathematik da zu belassen, dagegen die drei anderen naturwissenschaftlichen Disciplinen würden nach keiner Kantischen Einteilung an dieser Stelle Platz finden. Die Anthropologie weiter müßte dann ihre systematische Stelle als zweiter Teil der Metaphysik der Natur einnehmen, und wenn sie so vor die Moral zu stehen kommt, so entspricht das auch der Stelle, in welcher er die3 Anthro­ pologie als den empirischen Teil der Moral im weiteren Sinne bezeichnet. Soll nun diese Anordnung zu Grunde gelegt werden, dann muß auch ihre Systematik angegeben und bei der ganzen Einteilung durchgeführt werden, so

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Dilthey an Erich Adickes 

daß der Leser sich nach dem Schema Kants leicht zurecht findet und in Kants Anordnung überall4 der Rechtsgrund für die Abfolge der Disciplinen ersichtlich ist. Soweit kann ich selbst mir die Dinge klarlegen. Da Sie nun aber für Ihre Einteilung die Gründe nicht angegeben haben und in dieser offenbar ein anderes Princip der Einteilung obwaltet, so möchte ich zu meiner Aufklärung die Angabe dieser Gründe erbitten. Die Einteilung in gleichmäßige Bände ist ja sicher wünschenswert, wenn wir sie aber bei der sachlichen Anordnung mit­ spielen ließen, so würden wir der Kritik gegenüber schweren Stand haben. Und da diese Bände ja in erster Linie für in Kants Werken Orientierte bestimmt sind, so würden diese sich ungern in eine aus Kant selbst nicht begründbare Einteilung finden. Da die Masse des in Bd. I–V Vereinigten vornehmlich der älteren Zeit Kants angehört, so ist jede Einteilung nach Kants späterer Systematik dem Stoff gegenüber gewaltsam. Ich glaube aber, daß der hieraus entstehende Schaden sich am wenigsten stark geltend macht, wenn man die ursprüngliche Intention der Anthro­ pologie, wie sie in jener ersten Einteilung zu Grunde liegt, frei walten läßt, entsprechend also5 physische Geographie und Anthropologie voraussendet, denn dann ist ganz freier Raum, die Bezüge der Anthropologie insbesondere zur Völkerkunde, Philosophie der Geschichte und Moral sich ausbreiten zu lassen. Dagegen bei jeder späteren Einordnung Anthropologie nach dem sonst angewandten Princip einer sachlich systematischen Einteilung einzurücken wäre auf das Ihrem Begriff Zugehörige. Dies ist die große Inconvenienz, auf welche ich Sie schon früher aufmerksam gemacht habe. Nach wie vor will mir scheinen: soll Anthropologie der später rubricirte systematische Teil sein, so besteht kein Recht, die Reflectionen in ihrem natürlichen Zusammenhange zu belassen, was doch selbstverständlich notwendig ist. Ich habe untergeordnete Fragen der Einteilung, die Schwierigkeiten bieten, hier übergangen. Es handelt sich ja zunächst darum, die Hauptzüge der Einteilung festzustellen und diese meine Bemerkungen sollten Ihnen die Anregung geben, mich zunächst über die Gründe Ihrer Anordnung zu orientieren. Wenn ich gern auch Anderen diese Fragen vorzulegen, mir offen halten wollte, so haben diese immerhin darin, daß der weitaus größte Teil dieser Abteilung I–V ja gedruckt vorliegt, einen Anhalt für die Erwägung der Sache, aber wenn es uns gelingt, die Anordnung so zu gestalten, daß sie Durchsichtigkeit der Gruppierung mit den Anforderungen das Material nicht zu zerreißen, verbindet, so bedarf es ja in diesem Fall der Urteile anderer Kantkenner durchaus nicht. Ich bemerke noch hierzu, daß zu meinem eigenen Urtheil und meiner Intention wünschenswert wäre zu wissen, welches der Inhalt der Abtheilungen

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Mathematik, Physik und Astronomie sei, wie dieselben systematisch orientiert sind, ob außerphilosophischen Vorlesungen angehörig. II. Eine besondere Frage hätte ich noch in Bezug auf die Anordnung der Reflectionen zur Anthropologie zu thun. Da Kant sowohl in der Grundidee seiner Anthropologie als in der Einteilung und Behandlung des Stoffes vielfach von den Compendien Baumgartens abweicht und zumal in seinen geschichtsphilosophischen Betrachtungen Gegenstände zuzieht, die außerhalb des Rahmens des Compendiums liegen, so möchte ich gerne wissen, warum Sie die Einteilung des Stoffes bei Erdmann nach der Anordnung der Kantschen Anthropologie der nach6 dem Compendium vorziehen. Hier ist jedenfalls ein Punkt, den sowohl die Kritik als die Benutzer stark erwägen und discutieren werden. Darin verstehe ich Sie doch richtig, daß Sie eine Anordnung der Logik und der Anthropologie nicht durchführbar finden, weil die chronolo­ gischen Anhaltspunkte die Möglichkeit nicht darbieten. Sonst würde ich immer noch, obwohl ja in diesem Sinne bei den Verhandlungen die Sache schon erörtert ist, eine Gleichmäßigkeit der Anordnung auf allen Gebieten und zwar in Bevorzugung des chronologischen7 Einteilungsgrundes wünschenswerter finden. Bei der Anthropologie mindestens besteht doch ein sehr starkes Interesse, den Gang seiner Arbeit und die Gruppe seiner Untersuchung beisammen zu haben, gerade besonders auch die Art, wie eine solche Untersuchung aus anderen entspringt. Könnte dies geleistet werden, so wäre das von außerordentlichem Werte. Endlich verstehe ich nicht ganz, wie Sie es, da wo Sie die Phasenfolge zu Grunde legen,8 mit dem Abdruck des Baumgartenschen Compendiums halten wollen, da ja dann die in diesem enthaltene sachliche Anordnung nur zweiter Einteilungsgrund ist. Der Abdruck der Seiten 37–108 von Eberhard9 ist natürlich überflüssig.

Mit ausgezeichneter Hochachtung der Ihrige Wilhelm Dilthey

Original: nicht überliefert; ein handschriftliches Transkript des Briefes von der Hand Gerhard Lehmanns ist hinterlegt in: StB PK Berlin, HA , NL Gerhard Lehmann, K 131, Nr. 1, 7 Bl.; Erstdruck in: Gerhard Lehmann: Zur Geschichte der Kantausgabe 1896–1955, in: Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin 1946–1956. Hg. von der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Redaktion J. Irmscher und W. Radig. Berlin 1956, S. 422–434, hier S. 429–431;

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WA in: G. Lehmann: Beiträge Zur Geschichte und Interpretation der Philosophie

Kants. Berlin 1969, S. 12–15.

1 Der mit diesem Brief beginnende und bis Anfang Februar 1905 andauernde Briefwechsel zwischen D. und E. Adickes wurde veranlasst durch Adickes’ Bericht über die 3. Abteilung der Kantausgabe an die Königl. Preuß. AdW zu Berlin vom „August 1904“ (vgl. hierzu den Hinweis bei Stark, S. 92, Anm. 2). Dieser Bericht ist als Typoskript im DiltheyNL der ABBAW hinterlegt (Fasz. 49, Bl. 259–267) und ist mit einigen unleserlichen Notizen D.s versehen.  – „Bericht über die 3. Abteilung der Kantausgabe (August 1904) [:] 1) Vorschlag betreffend die Stoffverteilung. Bd. I. Einleitung in die ganze Abteilung, 50 S. Physik, Mathematik, Astronomie, 62 S. Physische Geographie, 40 S. Logik, 330 S. Text von Meier, 84 S. [Summe:] 566 S. Bd. II. III. Metaphysik. Reflektionen Kants in der Dorpatie, Metaphysik, in den Losen Blättern, in den Kiesewetteraufsätzen. 800 S. Text der Baumgarten’schen Metaphysik excl. Psychologia empirica, 110 S. Bemerkungen im Handexemplar von Eberhards Natürlicher Theologie, 66 S. Text Eberhards Seite 1–36, 37–108, 40 S. [Summe:] 1016 S. Bd. II würde Baumgartens Text bringen, die Losen Blätter und Reflektionen Kants bis etwa 1776; Bd. III. den Rest der Reflektionen und die EberhardBemer­kungen mit Text. Bd. IV Anthropologie. Kants Reflektionen, 486 S. Text der psychologia empirica von Baumgarten, 35 S. [Summe:] 521 S. Bd. V. Moral, Rechtsphilosophie, Politik, Religion. Bemerkungen in Baumgartens Initia, philosophiae practicae, 160 S. Text, 55 S. Bemerkungen in Achenwalls Jus naturae [in usum auditorium. Pars I und II, ed. V. Göttingen 1763], 105 S. Text, 91 S. Lose Blätter etc., 73 S. [Summe:] 484. Bd. VI. VII. Vorarbeiten und Nachträge Kants zu den von ihm veröffentlichten oder projektierten Werken ca. 730 S. Bemerkungen im Handexemplar der „Beobachtungen“, 123 S. Die von Rink veröffentlichte „Preisfrage“, 75 S. Vorarbeit zum „Gemeinspruch“, 25 S. Vorarbeit zur „Religion i[n] d[en] Gr[enzen]“, 42 S. Vorarbeit zum „Streit der Fakultäten“, 57 S. Vorarbeit zum „Ewigen Frieden“, 34 S. Vorarbeit zur Rechtslehre, 228 S. Vorarbeit zum letzten projektierten Werk, 22 S. Nicht abgeschätzt sind 1) die Recension von Ulrich Eleutheriologie. 2) Die Nachträge zur Kritik der reinen Vernunft. 3) Zur Kritik der praktischen Vernunft. 4) Die Einleitung zur Kritik der Urteilskraft. 2) Erläuterungen zu obigen Vorschlägen. A). Die Compendien von Baumgarten (2), Meier, Achenwall sind ganz abzudrucken, und zwar in den Anmerkungen, wie die früher vorgelegte Druckprobe zeigt. Auch da, wo Kants Bemerkungen zu den einzelnen Abschnitten sich nicht direkt als Erläuterungen an die Paragraphen anlehnen, sind sie doch voll von inneren Beziehungen zu den Ansichten des jedesmaligen Autors. Ebenso sind auch Kants Vorlesungen ganz unverständlich ohne die Compendien, nach denen gelesen wurde. Baumgartens Compendien sind garnicht mehr aufzutreiben. Werden die 4 Compendien, wie vorgeschlagen, in den Anmerkungen abgedruckt, so können sie dort auch von dem Leser der Vorlesungsschriften benutzt werden. Bei Eberhards Compendium kann man zweifelhaft sein, ob die Seiten 37 bis 108 abzudrucken sind. Bemerkungen Kants zu den betreffenden Seiten sind fast garnicht vorhanden. B). Es scheint für Physik, Mathematik, Astronomie und physische Geographie kein anderer Platz zu bleiben als im ersten Bande. Die physische Geographie von Physik etc. zu trennen und zum 4. Bande zu schlagen, würde wohl kaum ratsam sein. Ich halte es immerhin für möglich, dass der Faktor bei Band 4 auch zu niedrig gerechnet hat, und dass er 540–600 Seiten stark wird. Die Einleitung von 50 Seiten in Band 1 ist von mir geschätzt. Sie ist noch nicht

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geschrieben, wird aber wohl kaum mehr in Anspruch nehmen. C). Die Bemerkungen zu Eberhards Theologie müssen in Band 2. 3.[,] nicht in Band 5. Es handelt sich in dem betreffenden Colleg Kants nur um ausführliche Darstellung der rationalen Theologie, wie sie sich auch in Baumgartens Metaphysik findet, also um metaphysische Probleme, nicht (oder wenigsten nur ganz ausnahmsweise)  um Fragen, wie sie Kant in der Religion i[n] d[en] Gr[enzen] und im Streit der Fakultäten behandelt. In der Pölitz’schen Nachschrift der rationalen Theologie schliesst Kant sich in der zweiten Hälfte garnicht mehr an Eberhard, sondern an Baumgarten an. D). In dem 7. Band kommen an den Schluss die Beschreibungen der sämtlichen Manuskripte, die erst während und nach der Drucklegung der früheren Bände gemacht werden können. Abgesehen von der Beschreibung der Losen Blätter und Anführung dessen, was an festen Anhaltspunkten zur ihrer Datierung vorliegt (Briefe mit Datum etc., die von Kant benutzt sind), wird in Band 7 von jeder Seite der Handexemplare angeführt werden, welche Reflexionen darauf stehen und welche sicheren Stellungsindizien vorliegen betreffend die Reihenfolge, in welcher die einzelnen Reflexionen geschrieben wurden (ob die eine die andere umrahmt, oder von ihr umrahmt wird, auf die andere folgt oder ihr vorhergeht etc.). Diese Beschreibungen werden leicht 200–300 Seiten füllen, so dass Band 6 und 7 zusammen ca. 1000–1100 Seiten stark würden. E). Die „Vorarbeiten und Nachträge“ müssen natürlich von dem übrigen Material ganz getrennt werden. Was ihre Aussonderung aus dem übrigen Material betrifft, so habe ich Verschiedenes versucht. Jetzt bin ich zu folgenden Grundsätzen gekommen, die sich auch in der Praxis bewährt haben: 1) die Einreihung unter die „Vorarbeiten“ geschieht nur dann, wenn die Beziehung auf eine projektierte oder wirklich erschienene Druckschrift sicher oder wenigstens höchst wahrscheinlich ist. 2). Dann wird alles auf dem betreffenden losen Blatt auf die Gedankengruppe des fraglichen Werks bezügliches zu den Vorarbeiten geschlagen, auch wenn bei manchen einzelnen Bemerkungen die Zugehörigkeit zu jenem Werk nicht über allen Zweifel erhaben sein sollte, besonders wenn es auch an wörtlichen Anklängen fehlen sollte. Es können in Druckwerken Gedanken ausgefallen sein, die bei den vorbereitenden Schritten eine grössere oder grosse Rolle spielten. Das Entscheidende muss auf jeden Fall sein: die Associationsfäden, welche zwischen den Bemerkungen der Zettel hin- und herspielen, möglichst wenig zu zerreissen. 3). Wo Reflexionen Vorarbeiten zu mehreren Werken Kants sein können, die ungefähr gleichzeitig erschienen, sind sie zu den früheren Bänden zu schlagen, und es ist bei ihnen zu bemerken, mit welchen Druckwerken sie Berührungen haben. Bei der Kritik der reinen Vernunft liegen die Verhältnisse ganz besonders: Die ganzen Arbeiten der 70er Jahre sind ja eigentlich Vorarbeit. Es ist unmöglich, hier eine prinzipielle Grenze zu setzen; man muss von vornherein verzichten, aus dem Material der 70er Jahre für den 6. Band eine Auswahl zu treffen. Das Interesse des inneren Zusammenhanges erfordert hier, dass man das ganze Material der 70er Jahre chronologisch nach einander abdruckt. Nur die 1. Seite von B 22 muss selbstverständlich in den 6. Band. Dagegen würde ich auch B 12 in den früheren Band stellen, um die einheitliche Entwickelung in den Reflexionen nicht durchzubrechen. Bei den Losen Blättern zur Rechtslehre wird nur das als Vorarbeit zur Metaphysik der Sitten geschlagen, was seine Zugehörigkeit zum werdenden Druckwerk zweifellos an der Stirn trägt. Frühere blosse Materialsammlungen aus dem Anfang der 90er Jahre kommen in Band 5. Gerade hier hatte ich zuerst versucht, möglichst viel zu den Vorarbeiten zu schlagen; aber es zeigte sich, dass dann kein Halten und keine feste Grenze war; und ich habe in den letzten Wochen gerade in diesen Reflexionen eine ganz neue Ordnung eintreten lassen.

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F). In Band 1 in der Logik wird, wie in der Sitzung der erweiterten Kant-Kommission im Frühjahr 1897 abgemacht wurde, die Haupteinteilung nach den Abschnitten von Meier gemacht; bei den einzelnen Thematen werden jedesmal Kants Gedanken chronologisch abgedruckt. In Band 2, 3 wird die Haupteinteilung nach Schriftphasen gemacht, damit man zusammenhat, was Kant überhaupt zu einer Zeit über metaphysische Gegenstände gedacht hat. In den einzelnen Schriftphasen erfolgt die Gruppierung nach Abschnitten Baumgartens. An passenden Stellen wird bei der jedesmaligen Schriftphase das Material der Losen Blätter eingeordnet. In Band 4 erfolgt die Haupteinteilung nach den Abschnitten Baumgartens in der Anthropologie; Kants Gedanken über die einzelnen Themate wieder in chronologischer Ordnung. In Band 5 kommen zuerst die „Initia“ von Baumgarten dran: Deren Inhalt nach Schriftphasen, diese wieder nach Baumgartens Abschnitten geordnet. Darauf Achenwalls Jus naturae auf dieselbe Weise. Schliesslich die Losen Blätter nach Schriftphasen: Erst Moral – Rechtsphilosophie, Religion. Der Leser, der wissen will, was Kant um 1763 über Recht, Moral etc. gedacht hat, muss also zwar dreimal die betreffende Phase aufsuchen in Band 5; aber es ist ganz unmöglich, die beiden Compendien in einander zu arbeiten. G). In Betreff der Schriftphasen bin ich davon zurückgekommen, möglichst viel einzelne zu unterscheiden. Jetzt kommen auf die 50er Jahre 2, auf die 60er Jahre bis 1769 5, 1769–70 2–4 hauptsächlich nach Tinte verschieden, auf die 70er 7, auf die 80er 5, auf die 90er 4 Stufen oder Phasen: Im Ganzen also etwa 26. Schwierigkeiten macht nur noch die Phase 1769–70, wobei so vielerlei zu berücksichtigen ist, und wobei immer noch neue Schwierigkeiten auftauchen, sodass ich mit Bezug darauf noch nicht zu voller Klarheit gekommen bin. H). Da Herr Reicke jetzt die meisten seiner Kant-Blätter hergegeben zu haben scheint, kann die Anordnung bei Beginn des Drucks eine endgültige sein in allen Bänden. Die Rohnummern können also wegfallen, die Reflexionen durch alle Bände durchgezählt werden; zugleich aber wird neben der Nummer der Reflexion jedesmal der Band angegeben, in dem sie steht. Erich Adickes.“ 2 In G. Lehmanns Transkript: „angegeben“. – Vgl. Kant: AA. 1. Abtlg.: Werke. Bd. II: Vorkritische Schriften II, 1757–1777. Berlin 1905, 21912, S. 427–444: Von den verschiedenen Racen der Menschen (1775). 3 Der Ersthg. merkt an: „er die [im] Text versehentlich[:] es die. Gemeint ist die Stelle [AA. 1. Abtlg.: Werke. Bd.] IV [. Berlin 1911, S.] 388: Die Physik wird also ihren empirischen, aber auch einen rationalen Theil haben; die Ethik gleichfalls, wiewohl hier der empirische Theil besonders praktische Anthropologie, der rationale aber eigentlich Moral heißen könnte. (Grundlegung zur Metaphysik der Sitten.)“ 4 Im Erstdruck: „überall,“. 5 Der Ersthg. merkt an: „also [im] Text versehentlich: als“. 6 Der Ersthg. merkt an: „der nach [im] Text: die nach Vgl. hierzu [AA. 3. Abtlg.: Handschriftlicher Nachlaß. 1. Bd. Berlin 1911, Berlin und Leipzig 1925. Bd.] XIV, S. LI unten.“ 7 Der Ersthg. merkt an: „des chronologischen [im] Text versehentlich: der chronolo­ gischen“. 8 Der Ersthg. merkt an: „Siehe hierzu ebenfalls [AA. 3. Abtlg. Bd.] XIV [,] S. LI.“ 9 Johann August Eberhard (1739–1809): Philosoph; 1778 Prof. in Halle, 1786 Mitglied der Königl. Preuß. AdW zu Berlin. – Ders.: Vorbereitung zur natürlichen Theologie zum Gebrauch akademischer Vorlesungen. Halle 1781. – Vollständig abgedr. in: Kant-Akad.Ausg. Bd. XX, S. 491–606.

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[1353] Erich Adickes an Dilthey Hochverehrter Herr Geheimrat!

Tübingen, 21/12 [19]04.

Verzeihen Sie gütigst, dass ich erst heute auf Ihren Brief vom 30/11 antworte; es war mir wirklich nicht eher möglich – so steckte ich in den Arbeiten für meine Collegs drin, und gestern wurde hier erst geschlossen, wegen der Stiftler und Conviktler wird der Betrieb ja sehr lang ausgedehnt. Was nun Ihre Wünsche betrifft hinsichtlich der Anordnung, so hoffe ich sicher, daß wir zu einem befriedigenden Ergebnis kommen werden, ohne noch weitere Forscher zuziehen zu brauchen. Ich halte letzteres nach wie vor für unerspriesslich, zumal nicht, wie Sie meinen, der „weitaus grösste Teil“ der B[än]de I–V schon gedruckt vorliegt, sondern der weitaus kleinste Teil. Reickes lose Blätter gehören zum grössern Teile in Bd. VI, VII. Der Druck der Reflexionen in der Akademie-Ausgabe ist als viel kompresser1 gerechnet als der bei Erdmann, vor allem auch der leere Raum zwischen den einzelnen Reflexionen viel geringer, so dass also das von Erdmann veröffentlichte Material in der Akademie-Ausgabe einen viel kleineren Raum einnehmen wird. Was nun die Gründe meiner Anordnung betrifft, so ging ich von der Ansicht aus, dass Kants Einteilungen so künstlich seien, dass schon aus diesem Grunde ein Anschluss an sie die Anordnung nur unübersichtlich machen würde. Des Weiteren haben wir dann ja die Aufeinanderfolge gemeinsam festgelegt in der Sitzung bei meiner Rückreise von dem Würzburger Studienaufenthalt (es war ja wohl Herbst 1901? oder 1900?). Herr Dr. Menzer war dabei. Ich habe mir damals die gemeinsam festgelegte Reihenfolge aufgezeichnet und sah sie für die endgültige an, abgesehen von den naturwissenschaftlichen Sachen, deren Platz wir noch offen liessen. An jene Reihenfolge hielt ich mich dann einfach bei meinem Bericht vom August dieses Jahres.2 Übrigens entsinne ich mich nicht, dass Sie früher mich darauf aufmerksam gemacht hätten, dass bei Einordnung der Anthropologie an eine spätere Stelle die Reflexionen aus ihrem Zusammenhang gelöst werden müssten, soweit sie sich nicht auf die eigentliche Anthropologie beschränken. Herrn Dr. Menzer gegenüber u. sonst mögen Sie das betont haben – mir gegenüber sicher nicht, denn ich hätte dagegen opponiren müssen, u. das würde mir in der Erinnerung geblieben sein. Ich meine, wohin man auch die Anthropologie stellt: es fällt ihr auf jeden Fall der ganze von Kant in seinem Colleg u. in der gedruckten Anthropologie verarbeitete Stoff zu. Man muss doch die einzelnen Wissenschaften selbstver-

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ständlich in dem Umfang nehmen, in dem Kant sie behandelt hat; u. man darf nicht nach heutigen Begriffsbestimmungen gehen. Sonst müsste man ja auch aus der Logik sehr viel entfernen und sie der Psychologie zuweisen. Das zum Begriff der Anthropologie Gehörige umfasst nach Kant sowohl die Aesthetik (Lehre vom Genie u. Geschmack) als die Philosophie der Geschichte (Charakter der Gattung); u. ich kann nicht einsehen, was es ausmacht, wo die Anthropologie ihre systematische Stelle erhält. Ebenso ist es auch für den Inhalt der Logik einerlei, wo sie steht. Auf jeden Fall müssen ihr gewisse aesthetische Untersuchungen verbleiben, wie sie ja auch im Colleg von Kant an den betreffenden Stellen gegeben sind u. auch in Jäsches Logik 3 aufgenommen wurden. Eine völlig sachliche Trennung lässt sich ja gar nicht durchführen, ebensowenig wie sie von Kant in seinen Schriften u. Collegs durchgeführt ist; auf gewisse Probleme stösst man eben an verschiedenen Stellen. Und die Anthropologie hat sich ganz aus der empirischen Psychologie des Metaphysikkollegs entwickelt, steht also in engstem Zusammenhang mit Baumgartens Metaphysik:4 das ist das für mich eigentlich Entscheidende. Der erste Teil der Anthropol[ogie] schliesst sich ja ganz u. gar an Baumgarten an, nur dass einige §§ umgestellt, also die Probleme zuweilen in etwas anderer Reihenfolge behandelt werden als bei Baumgarten. Und der 2. Teil (anthropol[ogische] Charakteristik) ist hervorgegangen ursprünglich aus den §§ 730–[73]2 u. 733 ff. Auf §§ 730–[73]2 bezieht sich die ganze Lehre vom Charakter, Temperamenten etc. Auf § 733 ff. bezieht sich die Physiognomik. Aber auch der übrige Inhalt ursprünglich, wie auch in der gedruckten Anthropol[ogie] noch aus dem Nebentitel des 2. Teils hervorgeht („Von der Art, das Innere des Menschen aus dem Äusseren zu erkennen“).5 Weil doch Kants Handexemplar von Baumgartens Metaphysik den Bänden II–III (Metaphysik) u. IV (Anthropologie) zu einem guten Teil zu Grunde liegt, darum scheint es mir richtig zu sein, die Anthropologie nicht von Bd. II–III zu trennen, sondern die Zusammenhänge, die in dem Handschriftenmaterial vorliegen, auch in der Anordnung der Bände zum Ausdruck zu bringen. Bei II–III muss man sich ja ganz an Baumgartens Gang anschliessen, mit Überschlagung der empirischen Psychol[ogie]. Naturgemäss folgt dann die Anthropologie als Bd. IV, zum grossen Teil ja auch sie in örtlichem Zusammenhang mit der Psychol[ogica] empirica stehend, u. zum allergrössten Teil in sachlichem. Wo die Reflex[ionen] zu phys[ischer] Geogr[aphie], Math[ematik] etc. hinkommen, ist mir ganz gleichgültig. Mir schien, weil sie eine nur so geringe Rolle spielen, das Beste zu sein, sie vorauszuschicken; u. ausserdem fanden sie in Bd. I am leichtesten Platz. Ich gebe eine Übersicht über sie:

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1) Phys[ische] Geographie, c. 20–22 Druckseiten nehmen nach des Faktors Schätzung die bei Rosenkranz-Schubert Bd. VI,6 S. 762–766, 779–805 enthaltenen Nachlassfragment ein. Hierher gehören ferner Teile von E 60. Ausserdem aus Convolut J die bisher nicht veröffentlichten Stücke 2 (ein altes Blatt vom Inwendigen der Erde, ihren Veränderungen etc.), 5 (60ger Jahre, über Veränderungen der Erdoberfläche), 6 (ähnlichen Inhalts, untermengt mit geschichtsphilosophischen Betrachtungen, wie sie vielleicht von Kant bei Teil II, Abschn[itt] 1 der Rinkeschen Geographie vorgetragen wurden).7 c. 18 Druckseiten. Dazu kommen noch 2 Blätter mit Notizen über Polen, resp. Asien, und paar8 kleinere Reflexionen, zusammen 2–3 Seiten umfassend. 2) Mathematik, Physik etc. Mathematik (Ende [17]70ger Jahre): L Bl. A 5–8. 13. 14. 18. D 29. soweit diese Blätter mathemat[ischen] Inhalts sind. c. 10 Druckseiten. Mathematik, Physik, Astronomie (90ger Jahre): C 1 (c. 14 Zeilen), A 10, A 16, F 4, F 19 (c. 14 Zeilen), E 77, G 22 c. 4 Druckseiten. Überall nur das Naturwissenschaftliche! Physik ([17]80ger Jahre) D 1, D 22II, B 6 (paar Zeilen) Ha 7 (etwa 7 Zeilen), c. 2–3 Druckseiten. P h y s i k Reicke I: Beweis eines Lehrsatzes über die bewegende Kraft, c. 2 Druckseiten. x P h y s i k (um 1775). D 20, 26–28, 30; das Blatt von Schulinspektor Jonas.9 Wahrscheinlich Collegvorarbeiten, das Blatt von Jonas vielleicht der Anfang des Collegs. c. 27 Druckseiten x P h y s i k c. 1767 aus Kants Handexemplar seiner „Beobachtungen“ (diese Bemerkungen stehen ausser allem Zusammenhang mit dem Text sowie mit den übrigen Notizen von Kants Hand; sie handeln von Licht, Wärme, Feuerstoff, Kälte). c. 6 Druckseiten. x P h y s i k . Aus Baumgartens Metaphysica. Über Aether, Wärme, absolut leeren Raum, Attraction, Undurchdringlichkeit, Elasticität. Grösstenteils zusammenhängende Erörterungen. c. 8 Druckseiten. Sie sehen: viel Staat ist nicht damit zu machen, abgesehen von den 3 bekreuzten Convoluten vielleicht. Setzt man die paar Sachen vornan in Bd. I, dann kann sie jeder leicht finden, u. jeder behält es auch leicht, wo sie zu suchen sind. Aber es würde jedesmal (auch für den, der in Kant einigermassen zu Haus ist) einiges Nachdenkens bedürfen, um sich zu erinnern, dass Physik –  Mathemat[tik] etc. sich unter dem Titel „Metaphysik der körperl[ichen] Natur“ verstecken und demgemäss in Bd. … (ja, in welchem denn?) zu suchen sind. Der Gedanke also, von dem ich geleitet wurde bei der damaligen Be­ sprechung mit Ihnen, war: dass es sich bei dem handschriftlichen Nachlass

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(abgesehen von den Vorarbeiten für Werke Bd. VI/VII) hauptsächlich um Vorbereitungen für Collegs handelt. Da schien es mir das Richtige zu sein, nach Voranschickung der naturwissenschaftlichen Sachen mit den beiden Hauptkollegs (Logik u. Metaphysik) zu beginnen, der Metaphysik dann die ihr eng verwandte Anthropologie (auch demselben Compendium grossenteils entstammend) folgen zu lassen, u. dann Moral, Rechtsphilosophie, Religion. Auch nach Lektüre Ihres Briefes scheint mir jene Anordnung die zu sein, welche die natürlichste ist u. dem Leser die Orientierung am leichtesten macht. Aber ich lege auf die Art der Verteilung auf die einzelnen Bände kein grosses Gewicht. Wollen Sie es lieber anders, ist es mir recht; nur würde ich dann in der Einleitung mitteilen, dass die Anordnung von Ihnen stammt. Es wäre das ja leicht damit zu begründen, dass in Abteil[ung] III u. IV die Anordnung eine einheitliche hätte sein sollen. Nur eins würde ich dringend raten: Mathemat[ik], Physik, Astronomie, Chemie in Abteil[ung] III nicht zu trennen. Es ist ja vielfach gar nicht möglich. In der Anthropologie schliesse ich mich an die Reihenfolge in Kants Druckschrift an, setze aber jedesmal noch die §§ Baumgartens dabei. Kants Überschriften u. Paragraphenzahlen wiederholen sich also bei mir, z. B.: „Von dem willkürlichen Bewusstsein seiner Vorstellungen. § 3. M. § 529.“ „Von dem Bezeichnungsvermögen. (Facultas signatrix.) § 38. 39.10 M § 619–623. 347–350.“ Im Anfang eines jeden solchen Abschnittes werden dann die betreffenden §§ Baumgartens unter dem Text abgedruckt. An einigen Stellen ist eine Abweichung von Kants Handbuch erforderlich, z. B.: „§ 44. 55 (Von dem produktiven Witze). M § 572–577.“ Hier kann man die Reflexionen nicht trennen, sie beziehen sich gleichzeitig auf § 44 u. 55. Ebenso nehme ich § 65–68 zu § 55 hinzu, um die ganze Aesthetik auf einmal zu bringen. Auch da ist eine Sonderung der Reflexionen nicht möglich, ohne die wichtigen sachlichen Zusammenhänge zu zerreissen. Eine Äußerung der Anordnung innerhalb der Logik u. Anthropologie würde grosse Arbeit nach sich ziehen. Beide sind nach dem von der Commission seiner Zeit gutgeheissenen Princip schon bis in die Einzelheiten hinein geordnet. Und ich vertrete dies Princip noch immer, es hat sich mir durchaus bewährt. 1) Ist es selbstverständlich in beiden Wissenschaften schwer, chronologisch das Richtige zu treffen, da sachliche Indicien meistens fast ganz feh-

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len, mindestens eine viel geringere Rolle spielen als in Metaphys[ik], Ethik. Aber 2) die chronologische Ordnung tritt ja auch ein, nur innerhalb der kleineren sachlichen Gruppen. Und das erleichtert die Sache sehr, da ich nach Stellungsindicien oft sicher sagen kann: No 2079 ist nach 2078 geschrieben, aber nicht: ob nun in Phase μ oder υ. Die sachlichen Zusammenhänge wahre ich natürlich, wo sie wichtig sind. Z. B. die ganze Aesthetik wird bei § 55, ­65–[6]8 nach Phasen geordnet im Zusammenhang abgedruckt; es gibt da zusammenhängende Partien, die sich über mehrere Durchschussseiten hinziehen: da wird natürlich nichts an der Aufeinanderfolge geändert. Dagegen ist es ausserordentlich unwahrscheinlich, dass wichtige innere Zusammenhänge bestehen zwischen dem, was Kant zu einer Zeit über den Sinn des Ohrs und den Charakter des Menschen gesagt hat. Will jemand ihnen nachspüren, so braucht er nur das Register am Ende des Anthropologiebandes nachzuschlagen, in dem die Nummern der Reflexionen nach Phasen geordnet stehen (Phase α: R[e]fl[exion] 785, 973. … etc.). Was den Leser in Logik u. Anthropol[ogie] interessirt, ist doch zu wissen: was hat Kant über diesen bestimmten Gegenstand (5 Sinne, Aufmerksamkeit, Temperament, Leib etc.) in chronologischer Folge gedacht? nicht: was hat er zu einer Zeit überhaupt über Anthropol[ogie] gedacht? Es ist darin ja nur sehr wenig Entwicklung. Grosse Teile zweier Collegentwürfe aus etwa der Mitte der 70ger u. der 80ger Jahre sind ja erhalten: eine grosse Entwicklung liegt nicht vor in ihnen. Wo diese Entwürfe im Zusammenhang mit einander stehen, werden sie natürlich darin belassen u. dann der Behandlung der einzelnen Paragraphen vorausgeschickt. Z. B. beim zweiten Bande kommen zunächst 5 Refl[exionen], die sich direkt als Erläuterungen auf die §§ 651–662 von Baumgarten beziehen, dann loses Blatt M 9 (Collegentwurf 70ger Jahre, auf § 58–73 von Kants Anthrop[ologie] bezüglich), dann H[andschrift] 35, H[andschrift] 43 (auf § 58–70 bezüglich, auch [17]70ger Jahre), dann H[andschrift] 6 (dito, [17]80ger J[ahre]), H[andschrift] 48, 38 (zusammengehörig, Mitte [17]80ger); dann erst beginnt die auf einzelne §§ bezügliche Reflexionen-Reihe mit der „Einteilung“ vor § 58. Das Interesse geht hier doch darauf aus, die verschiedenen Bearbeitungen desselben Stoffs neben einander zu haben zu sofortiger Vergleichung. Will man bei H[andschrift] 48, 38 zurück- oder vorgreifen auf andere Collegentwürfe aus derselben Zeit (etwa „oberes Erkenntnisvermögen“ oder „Charakter des Geschlechts“), dann gibt eine Anmerkung am Anfang der Reflex[ionen], (die die andern demselben Collegentwurf zugehörigen Stücke aufzählt) auch dafür Anweisung. In der Metaphysik wird das Baumgartensche Compendium unter der Phase α abgedruckt u. mit dieser Phase werden zugleich auch noch solche Reflexionen verbunden, die nicht einigermassen sicher chronologisch unterzubringen sind oder nur direkte Erläuterungen oder Übersetzungen oder Änderungen des

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Baumgartenschen Textes bieten, die ohne diesen absolut unverständlich sind. Vielleicht wäre es gut, diese Reflexionen ganz vorauszuschicken, oder noch vor die älteste Phase (α) zu stellen. Darüber bitte ich Ihre Meinung zu äussern. Am Ende des 1. Metaphysikbandes müsste natürlich ein Register angeben, auf welcher Seite des Bandes jeder Baumgarten-Paragraph sich findet. Nun ist es mittlerweile der 22. [12. 1904] geworden, da sich gestern Nachmittag herausstellte, dass ich mir noch den Band VI der Rosenkr[anz]Schub[ertschen] Ausgabe von der Bibliothek holen musste, was erst heute geschehen konnte. Zu meiner Freude habe ich im hiesigen Botaniker Vöchting11 einen Mann gefunden, der sich (bei Gelegenheit eines gerichtlichen Gutachtens) einmal intensiver mit Vergleichung von Handschriftenphasen (resp. mit Indicien dafür, welche von 2 aus verschiedenen Zeiten stammenden u. sich kreuzenden Schriftzügen als die älteren oder jüngeren[)], anzusehen sind,12 beschäftigt hat. Bei Kant kommt so etwas ja oft in Betracht. Ich habe den Collegen für Kant zu interessiren gesucht u. hoffe im März öfter mit ihm über die Sache con­ feriren zu können. Mit den besten Wünschen für Ihre Gesundheit und vorzüglicher Hoch­ achtung Ihr ergebenster Adickes. Original: nicht überliefert; ein maschinenschriftliches Transkript ist hinterlegt in: StB PK Berlin, HA , NL Gerhard Lehmann, K 131, 7 Bl.; Erstdruck in: Gerhard Lehmann: Beiträge zur Geschichte und Interpretation der Philosophie Kants, a. a. O., S. 16–20. 1 Dicht, zusammengedrängt. 2 Vgl. Anm. 1 zu Brief [1352]. 3 Logik, ein Handbuch zu Vorlesungen. Hg. von G. B. Jäsche. Königsberg 1800. 4 A. G. Baumgarten: Metaphysica. Halle 1739. 5 Der Ersthg. merkt an: „Vgl. [AA. 1. Abtlg.: Werke. Bd.] VII [, S] 283; hier keine Sperrung. Ad[ickes] setzt unter Innere: anima und unter Äussere: corpus.“ 6 Immanuel Kant’s Sämmtliche Werke. 12 Bde. Hg. von K. Rosenkranz / F. W. Schubert. Leipzig 1838–1842. 7 Der Ersthg. merkt an: „c 18 Druckseiten steht verklammert 1. neben dem Absatz.“ – Physische Geographie. 2 Bde. Hg. von F. Th. Rink. Königsberg 1802. 8 In G. Lehmanns Transkript: „zwar“. 9 Fritz Jonas war in den Jahren 1882–1912 Schulrat in Berlin. 10 Der Ersthg. merkt an: „in H[andschrift] versehentlich § 36. 37.“

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11 Hermann von Vöchting (1847–1917): Botaniker; Promotion in Göttingen, 1874 wissenschaftlicher Assistent in Bonn, Prof. in Basel, 1887 Leiter des Botanischen Instituts in Tübingen; Begründer der experimentellen Morphologie. 12 Der Ersthg. merkt an: „Hinter sind in H[andschrift]: z. B. ich Wo (nicht ganz sicher).“

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Lieber Freund,

Berlin W[est] Burggrafenstr[aße] 4. [23. Dezember 1904]

gestern endlich habe ich das erste Stück der system[atischen] Abh[andlung] in der Akademie einigermaßen fertig vorgelegt1 nach sehr intensiver Arbeit. Ich war dann gleich im Weihnachtsoratorium u. sah mich auch nach Ihnen um – doch vergeblich. Ihre Hinrichtung von Gomperz2 ist sehr gelungen: indeß in Wien freilich wird sie Ihnen sehr verübelt werden.3 Wenn es richtig ist daß Ihr Fr[äu]l[ein] Braut Weihnachten herkommt: so wollen Sie sie doch auch von mir herzlich einst­weilen willkommen heißen. Fröhliche Weihnacht braucht man Ihnen nicht zu wünschen. In der Hoffnung Sie bald jetzt einmal zu sehn treulichst Ihr Dilthey Original: Hs.; Briefkarte; StUB Göttingen, HA , cod. ms. H. Nohl, 94, Nr. 13. 1 D. hielt am 22. Dezember 1904 in der philos.-histor. Klasse der Königl. Preuß. AdW zu Berlin einen Vortrag über die Grundlegung der Geisteswissenschaften. – Der Vortrag wurde nicht gedruckt. – Vgl. GS VII, S. 295–303: Zusätze zu den Studien zur Grundlegung der Geisteswissenschaften. Zur Theorie des Wissens sowie die Anm. des Hg. B. Groethuysen auf S. 374 ebd. 2 H. Nohls Besprechung von H. Gomperz: Die Lebensauffassungen der griechischen Philosophen und das Ideal der inneren Freiheit, in: Wochenschrift für klass. Philologie, Nr. 49 (Berlin 1904), S. 1333 ff. 3 H. Gomperz lehrte seit 1905 als PD in Wien.

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Dilthey an Erich Adickes 

[1355] Dilthey an Erich Adickes Sehr geehrter Herr College!

Berlin 31. XII. 1904.

Gern würde ich ja, da Sie es wünschen, darauf verzichten, auch die Ansicht anderer Kantkenner insbesondere Erdmanns, der dem Gegenstande so nahesteht, zu hören und in Überlegung zu ziehen  – jedoch hängt dies davon ab, daß wenigstens wir uns über die Anordnung verständigen und hierbei ist natür­lich ausgeschlossen, daß die Anordnung als die meinige in der Ausgabe aufträte. Können wir beide nicht zu einer gemeinsamen Überzeugung gelangen, so sehe ich keine Möglichkeit, daß einer von uns sich dabei beruhige, diese wichtige Sache gegen seine Überzeugung geschehen zu lassen, als wenn er sieht, daß auch Andere, die die Frage überblicken können, als Sachverständige die Ansicht für richtig halten, der er sich fügen soll. Ohnehin muß ich ja doch nach dem Geschäftsgang in einer so wichtigen Frage der Commission von den Hauptpunkten der Anordnung schriftlich oder mündlich Bericht erstatten. In Bezug auf diese Verständigung bitte ich davon auszugehen, was ja auch mein letzter Brief deutlich aussprach, daß ich gänzlich unvoreingenommen an die Sache herantrete und, da Sie ja letztlich die Verantwortung zu tragen haben, nur so weit beteiligt bin, daß ich Klarheit über die Gründe haben muß, und da jede Einteilung nur relativ genügen kann, nicht geradezu etwas, das mir unmöglich dünkt, acceptieren kann. Daß ich es in unserer Besprechung acceptiert hätte, darüber ist weder in meiner Erinnerung noch in der Aufzeichnung, die Dr. Menzer gemacht hat und die bei den Akten liegt, etwas enthalten. In diesen letzteren findet sich nur, daß über unsere beiderseitigen Ansichten eine Aussprache stattgefunden hat. Nimmt man die Anthropologie in dem Umfang, in welchem Kant sie in seiner Vorlesung behandelt hat, dann muß man sie auch nach dem Zusammenhang des didaktischen Planes, der Menschen- und Weltkenntnis vorausschickt, in ihrer Stellung bestimmen. Will man dies nicht, will man vielmehr die Anthropologie hinter Logik und Transzendentalphilosophie1 stellen, dann muß sie an diesem systema­tischen Orte auch auf den Umfang eingeschränkt werden, welcher ihr derselben entsprechend als zweiter Teil der Metaphysik der Natur zukommt. Ich bin nun ganz selbstverständlich mit Ihnen der Ansicht, daß gerade das Wesentliche ist, daß gerade das Zusammengedachte nicht auseinandergerissen werde. Und wie dem Nachlaß, der die Vorbereitung der Werke und ihre Verbesserung enthält, naturgemäß gegenübersteht der Inbegriff derjenigen Aufzeichnungen, die in näherer oder entfernterer Verbindung mit seinen Vorlesungen in ihm entstan-

Dilthey an Erich Adickes 

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den sind, scheint mir auf diese Weise eine völlig einleuchtende Anordnung des Ganzen zu entstehen, gerade so wird dann auch plausibel, daß die Aufzeichnungen über Logik sich auch auf ästhetische Objecte erstrecken und auch hier kein äusserliches2 Richtmaß nach einer strengen Systematik vom Herausgeber angelegt wird. Ich gehe nun auf die Bedenken ein, welche Sie einer solchen Anordnung gegenüberstellen. Erstens ich kann die Einteilung, in welcher Kant sein System entwickelt von Logik und Transzendentalphilosophie3 aufwärts in den Hauptzügen nicht künstlich finden. Die Anordnung Logik – Transzendentalphilosophie4 als die Methode, das Apriori zum Bewußtsein zu bringen und dann Metaphysik der Natur und der Sitten als die Darlegung dieses Apriori ist in sich notwendig und natürlich und so fürchte ich auch nicht, daß irgend ein mit Kant einigermaßen Vertrauter – und an diese ist ja vornehmlich in diesem schwierigen Studium des Nachlasses zu denken – an den Nachlaß heranträte ohne die Kenntnis dieser Anordnung. Wenn ein solcher im Nachlaß etwas aufsucht, wird er immer in diesem Zusammenhang der Teile der Philosophie Kants sich orientieren wollen. In der Einleitung wird zudem die Anordnung angegeben. Wollen wir eben Kant geben und nur ihn, dann können wir unmöglich dies in einer Einteilung thun, die nicht Kantisch ist. … [Briefschluss fehlt.] Original: nicht überliefert; ein handschriftliches Transkript des Briefes von der Hand Gerhard Lehmanns ist hinterlegt in: StB PK Berlin, HA , NL Gerhard Lehmann, K 131, Nr. 2; Erstdruck in: Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin 1946–1956, a. a. O., S. 432; WA in: Gerhard Lehmann: Beiträge zur Geschichte und Interpretation der Philosophie Kants, a. a. O., Berlin 1969, S. 20 f. 1 In G. Lehmanns Transkript: „Transcendentalphilosophie“. 2 In G. Lehmanns Transkript: „äußerliches“. 3 In G. Lehmanns Transkript: „Transcendentalphilosophie“. 4 Wie Anm. 3.

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Dilthey an Herman Nohl 

[1356] Dilthey an Herman Nohl Berlin W[est] Burggrafenstr[aße] 4, den 30. XII. 1904.

Lieber Freund,

wir haben uns doch nicht mißverstanden? Ich erwarte Sie morgen, am Silvesterabend, nachdem ich mit Herrn Menzer gearbeitet habe, der von 5h ab kommt. Wenn Sie zwischen 6 ½ u. 7h kommen, so finden Sie1 mich frei und ich muß dann erst wieder um 8 ¾h zu Wildenbruchs gehen.

Einstweilen beste Grüße von Ihrem W. Dilthey.

Original: Hs.; Diktat von der Hand Clara D.s; StUB Göttingen, cod. ms. H. Nohl, 94, Nr. 15. 1 Im Brieforiginal: „sie“.

[1357] Dilthey an Herman Nohl [1904]1 Lieber Freund, Einverstanden in Bezug auf Ihren Aufsatz.2 Übriges darüber mündlich. Darüber daß Sie gerade auch mit musikal[ischen] Fragen beschäftigt [sind] freue ich mich sehr. Für die Formprobleme ergeben sich wol folgende Prä­missen. 1. In allen Kunstbranchen ist der germanische, insb[e]s[ondere] der deutsche Genius von dem Schwereren, Massigen, Großen in seiner concreten Totalität erfüllt. Die künstlerischen Naturen tragen den ganzen objektiven Zusammenhang ernst u. tief in sich, um dessen Ausdruck es sich handelt. Ihre Kunstform entbehrt daher an sich der Abstraktion, die das in den Kunstmitteln sinnlich Wirkende aussondert. Dagegen hat sie den Vorzug die ganze concrete Kraft des Inhaltes wirksam zu machen.

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Dilthey an Herman Nohl 

Im 16. 17. Jahrh[undert] ist nun die deutsche Kultur barbarisch, roh u. doch vom Ausland verkünstelt, sie neigt zu Allem was durch bauschige Form, zerknitterte Linien wirkt. Leibniz [bringt] in d[er] Philosophie im Gegensatz zu dem Ausdruck von Gesetzmäßigkeit des Universums zugleich die concrete Kraft der einzelnen Dinge[,] das Zusammenklingen derselben mit dem Gesetz in Harmonie […]. In bildender Kunst Aufbau von concreter Kraft im Portrait, keine Ausschaltung, die ganzen Szenen in Mannigfaltigkeit der Objekte, die unschönen zerrissenen gebrochenen Linien der Wirklichkeit. Nun durch italieni[schen] Einfluß Dürer etc[.] Versuch der Simplifikation zur sinnlich, dem Gesichtssinn genugthuenden Schönheit. Immer aber die ungeheure Kraft aus der concreten Struktur der Wirklichkeit künstlerische Gestaltung hervorzubringen. In der Musik von Bach dieselbe Kraft Alles was die Bedingungen des Tonmaterials hergeben zu der tiefsten ernstesten Verwerthung in erschöpfender Darstellung der relig[iösen] Innerlichkeit zu verwerthen. Einerseits Werke, welche der musikalischen Gestaltung bis zur äußersten Künstlichkeit nach­ gehen, anderseits Verwerthung in d[er] großen Schöpf[ung]. In Händel universale Benutzung aller vorhand[enen] Kunstmittel die d[ie] europ[äische] Musik ausgebildet. Dort alles unter dem der Innerlichkeit als solcher entsprech[end] instrumentalen, besser: rein musikalischen Gesichtspunkt, welcher das Moment des vocalen Ausdrucks zurückstellt. Händel etc. Unsre class[ische] weltliche Musik als Verbindung mit italienischen For­ m[en], welche das sinnlich Wirksame etc. aussondert. […]

Ihr Dilthey

Original: Hs.; StUB Göttingen, HA , cod. ms. H. Nohl 94, Nr. 52. 1 H. Nohl beabsichtigte, einen Aufsatz über Musik zu veröffentlichen. Doch aufgrund seiner zahlreichen und zeitraubenden Arbeiten für D. publizierte er erst 1912 seinen Aufsatz Die Stellung der Musik im deutschen Geistesleben, in: Die Tat. Monatsschrift für die Zukunft deutscher Kultur 4 (1912), S. 453–464; vgl. E. Blochmann, S. 33. 2 H. Nohl: Lyrik. 1903 (IV, 2a = N. 9081–9940), in: Jahresberichte für neuere deutsche Litteraturgeschichte. Hg. von J. Elias u. a. Bd. 14 (Jahr 1903). Berlin 1906, S. 647–660.

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Dilthey an Eduard Zeller 

[1358] Dilthey an Eduard Zeller Berlin W[est], den 1 Januar [1905] Verehrter theurer Freund, die herzlichsten treuest gemeinten Wünsche zum neuen Jahr. Ich hoffe sicher in demselben Sie in Stuttgart zu sehen; denn die Kantausgabe macht nothwendig daß ich einige Tage in Tübingen zubringe, wenn es irgend sich einrichten läßt. Mögen Sie rechte Freude an Kindern u. Enkeln in diesem Jahre haben. Möge die Erziehung ihrer Jugendjahre die so unermeßlich wichtig für das Verständniß des wichtigsten geistigen Vorgangs, der religiösen Befreiung, ist, gedeihen. U. möge Ihre wundervolle Fähigkeit der Theilnahme an dem was in der Welt geschieht u. des Genusses daran Ihnen erhalten bleiben. Treulichst Ihr W. Dilthey Original: Hs.; Briefkarte; UB Tübingen, HA , Md 747–145.

[1359] Erich Adickes an Dilthey Hoch verehrter Herr Geheimrat!

Tübingen, 7/I [19]05.

Ihre Ausführungen haben mich leider immer noch nicht überzeugen können. Doch hoffe ich zum Schluß einen Vorschlag machen zu können, der beide Seiten befriedigt. Zunächst einige Worte über die einzelnen Punkte Ihres Briefs. Die Hauptdivergenz zwischen uns beruht darauf, dass Sie sich an die Einteilungen des späteren Kant halten, während ich den Stoff genetisch betrachte u. von dem Gesichtspunkt aus disponiren möchte. Wenn ich Kants Einteilungen als künstlich bezeichnete, so hatte ich allerdings nicht die Hauptzüge im Sinn, an die Sie sich halten, sondern grade die Einzelheiten; dass diese künstlich sind, geht doch schon daraus hervor, dass sie an den verschiedenen Stellen seiner Werke jedesmal anders angewendet werden: es stimmen ja doch keine

Erich Adickes an Dilthey 

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2 Einteilungen ganz überein, soweit ich mich entsinne; handelte es sich um natürliche, von selbst sich ergebende Gruppierungen, so könnte das nicht der Fall sein. Ganz unmöglich scheint es mir zu sein, die Anthropol[ogie] als 2. Teil in die Metaphy[sik] der Natur hineinzunehmen (wie Sie im 1. Brief als Eventualvorschlag vorbrachten); denn die Metaphysik der Natur darf doch nichts Empirisches enthalten. Das ist doch auf jeden Fall gegen den Sinn aller Kantischen Einteilungen, die Metaphys[ik] u. eigentliche Philosophie überhaupt ganz auf das Apriorische [zu] beschränken. Dies Letztere ist aber nicht der Fall bei dem Kant vor der Krit[ik] d[er] rein[en] Vern[unft]. Und daher passen die späteren Einteilungen so durchaus nicht für den Stoff. Man müsste ja doch z. B. in Physik – Chemie eigentlich das Apriorische vom Empirischen sondern, letzteres ganz voranschicken, jenes – wenn man etwa der Architektonik in der Krit[ik] d[er] r[einen] V[ernunft] folgen wollte – zwischen Ontologie u. rationaler Psychologie. Genetisch betrachtet liegt die Sache doch so: Kant hat von vornherein Interessen, die weit über das eigentlich philos[ophische] Gebiet hinausgehen: Naturwissenschaft im weitesten Sinn bildet den Grund, auf dem seine Philosophie sich aufbaut. Diese Grundlage (Math[ematik] – Phys[ik] – Astronomie – Chemie – phys[ische] Geogr[aphie]) wollte ich deshalb voraufschicken. Dann kommen die philos[ophischen] Hauptdisciplinen u Hauptkollegs: Logik u. Metaphysik. Aus der empirischen Psychol[ogie] der letzteren ent­wickelt sich seit Anfang der [17]70ger Jahre die Anthropologie, die deshalb auf die Metaphysik folgt, während die empir[ische] Psych[ologie] aus ihr fortgelassen wurde. Und dann Ethik – Rechts-[,] Relig[ions]phil[osophie]. Dass die Anthropol[ogie] sich aus der empir[ischen] Psychol[ogie] ent­ wickelt hat, zeigt ja schon ein Vergleich zwischen den Vorlesungsnachschriften der Metaph[ysik] (etwa Pölitz)1 u. der Anthropologie. Die emp[irische] Psychol[ogie] schäumte über vor Stoff: das war doch wohl der tiefste Grund der Verselbständigung der Anthropol[ogie]. Die Geschichte mit der Vorübung zur Menschenkenntnis durch phys[ische] Geogr[aphie] u. Anthropol[ogie] ist ein nachträglicher architektonischer Zierrat, der doch das ursprüngliche Verhältnis nicht verdecken kann. Die Abhängigkeit von Baumgarten behaupte ich natürlich nur in dem Sinn, dass Kant sich an ihn als Vorlage äusserlich angeschlossen hat u. sich ausserdem auch die Probleme oft von ihm hat geben lassen. Die § 36, 37, auch wohl 33, 34 der Anthropologie würden sonst doch nicht entstanden sein. Nun mein Vorschlag! Es ist wünschenswert, dass die 3. u. 4. Abteilung in gleicher Weise geordnet sind. Diese Ordnung, die also auf 2 Abteilungen übergreift, kann unmöglich von mir oder Geh[eimem] Rat Heinze gemacht werden, sondern nur von Ihnen, ev. nach Anhörung Beider. Diese Thatsache, dass die Leitung der Ausgabe die Reihenfolge so2 festgelegt habe – gleich für beide

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Erich Adickes an Dilthey 

Abteilungen –, wird dann in der Einleitung zu meiner Abteilung einfach mitgeteilt, natürlich ohne jede Widerworte meinerseits. In einer Sache, die mir wesentlich für die Ausgabe zu sein scheint, würde ich mich nicht gegen bessere Überzeugung fügen, ohne meine Position auf das Äusserste verteidigt zu haben. Aber diese Verteilung des Stoffs auf die einzelnen Bände erscheint mir wirklich sehr unwesentlich, so daß ich mich Ihnen gern u. rückhaltlos u. ohne jeden bitteren Nachgeschmack füge. Ich kann nur nicht Ihre Einteilung als die mir am besten erscheinende vertreten. Überzeugt mein heutiger Brief Sie aber nicht, so bin ich gern bereit, phys[ische] Geogr[aphie] u. Anthropol[ogie] zu verbinden. Zu trennen bat ich im vorigen Brief auf keinen Fall Math[ematik], Phys[ik], Chemie, Astronomie; das würde ausserordentlich schwer sein in manchen Fällen. Nun ist in den betreffenden losen Blättern ja sehr viel Empirisches, in die Metaphy[sik] der Natur scheinen die Sachen mir aber schlechterdings nicht zu passen. Und gerade so ist es mit den Collegs über Physik, wo auch sehr viel Empirisches behandelt wird. Mathematik gehört ja doch noch so eigentlich ganz an den Anfang als Construktion der Begriffe u. damit aller Philosophie entgegengesetzt. Könnte aber nicht auch in Abteil[ung]3 IV mit Mathemat[ik] – Physik begonnen werden, dann phys[ische] Geogr[aphie], dann Anthropol[ogie], Log[ik], Metaphysik? Letzterer müsste dann gleich das Colleg über philos[ophische] Religionslehre folgen, das ja nicht zu Religion geschlagen werden darf (auch in meiner Abteilung steht es in den beiden Metaphysikbänden; es ist fast nur transscendentale Theologie). Bei Moral u. Rechtsphilosophie würde besser nicht von Metaphysik der Sitten gesprochen: denn der handschriftliche Nachlass zur Ethik wenigstens stammt grösstenteils aus der Zeit bis etwa 1777 u. enthält des Empirischen mehr als des (angeblich) Apriorischen. Ihre freundlichen Neujahrswünsche erwidere ich bestens mit verbindlichstem Dank. Wie sehr mir die Vollendung der Ausgabe u. der Beginn des Drucks am Herzen liegt, mögen Sie daraus ersehen, dass ich lockende Gedanken, in den Osterferien nach Rom zu gehen zum Psychologenkongress, a limine abwies.4 Jetzt muß ich leider wieder ins Geschirr der Arbeit für die Vorlesungen, nachdem die Weihnachtsferien ganz mit der Arbeit an meiner Antrittsvor­ lesung, die ja hier leider noch Sitte ist, hingegangen sind. Ich halte sie Donnerstag über „Charakter u. Weltanschauung“,5 ein Thema, daß mich schon seit 1897 beschäftigt u. bei dessen Behandlung ich sehr bedauerte, Ihre ähnliche Akademievorlesung (über Typen der Weltanschauung)6 noch nicht in Händen haben zu können. Mit vorzüglicher Hochachtung Ihr ergebenster Adickes.

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Paul Menzer an Dilthey 

Original: nicht überliefert; eine maschinenschriftliches Transkript des Briefes ist hinterlegt in: StB PK Berlin, HA , NL Gerhard Lehmann, K 131, 3 Bl.; Erstdruck in: Gerhard Lehmann: Beiträge zur Geschichte und Interpretation der Philosophie Kants, a. a. O., S. 21 ff. 1 Vorlesungen über die Metaphysik. Zum Drucke befördert von dem Herausgeber der Kantischen Vorlesungen über die philosophische Religionslehre. Nebst einer Einleitung. Hg. von K. H. L. Pölitz. Erfurt 1821. 2 Der Ersthg. merkt an: „Vor: so[:] unleserliches Wort.“ 3 Im Erstdruck: „im Abteil.“ 4 Der fünfte internationale Kongress für Psychologie fand 1905 in Rom statt.  –  A limine: hier i. S. von: von vornherein, kurzerhand. 5 E. Adickes war 1904 als Nachfolger Chr. Sigwarts als o. Prof. nach Tübingen berufen worden. – Charakter und Weltanschauung. Akademische Antrittsrede vom 12. Januar 1905 als o. Prof. der Philosophie an der Universität Tübingen. Tübingen 1905. 6 D.: Die Typen der Weltanschauung und ihre Ausbildung in den metaphysischen Systemen, in: Weltanschauung. Philosophie und Religion. Hg. von M. Frischeisen-Köhler. Berlin 1911, S. 1–51; WA in: GS VIII, S. 73–118 (nebst handschriftlichen Zusätzen und Ergänzungen der Abhandlung, S. 119–165 ebd.).

[1360] Paul Menzer an Dilthey Hochverehrter Herr Geheimrat!

1. I. [19]05

Die von Ihnen gewünschte Stelle konnte ich nicht auffinden. Über Seelen­ vermögen vermag ich nur hinzuweisen auf N0 III in der Einleitung zur Kritik der Urteilskraft und auf die Abschnitte der Anthropologie, wo Kant die Vermögen jedesmal constatiert. Auch Mellin,1 welchen ich nachsah, giebt eine solche Stelle nicht an. Mit ergebensten Grüssen Ihr P. Menzer Original: Hs.; Postkarte; ABBAW, Dilthey-NL , Fasz. 48, Bl. 314–314 R. 1 Georg Samuel Albert Mellin (1755–1825): Philosoph und Pfarrer; Kommentator Kantischer Werke. – Ders.: Encyclopädisches Wörterbuch der Kritischen Philosophie oder Ver-

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Dilthey an Erich Adickes 

such einer fasslichen und vollständigen Erklärung der in Kant’s kritischen und dogmatischen Schriften enthaltenen Begriffe und Sätze. 6 Bde. Züllichau und Leipzig 1794–1795, später Jena und Leipzig 1797–1804.

[1361] Dilthey an Erich Adickes Berlin, den 10. I 1905 Sehr verehrter Herr College Ihr Vorschlag, womöglich die beiden Abteilungen1 gleichmäßig zu gestalten und zwar „nach Anhörung beider“, was ich so fasse, daß wir uns darüber verständigen müssen unter Mitwirkung Heinzes wird von mir gern acceptiert. Denn auch der in Ihrem letzten Brief entwickelte Gesichtspunkt, „den Stoff genetisch zu betrachten“, scheint mir nicht auf die Stellung zu führen, welche Sie der Anthropologie gegeben haben. Genetisch betrachtet bildet, wie Sie ausführen, Naturwissenschaft im weiteren Sinn die Grundlage. Und wenn Sie nun diese voranschicken wollen, wie Sie erklären, dann können Sie die Anthropologie nicht ausschließen. Denn wie diese aus der kosmischen Betrachtung Kants entstanden ist, welche in den Relationen des Kosmos, des in ihm befaßten Sonnensystems, der so bestimmten Erde und des hierdurch bestimmten Menschen als eines Naturwesens verläuft, so kann sie auch unmöglich aus diesem Zusammenhang herausgenommen und an eine späte Stelle versetzt werden. Ich bitte in dieser Rücksicht die Andeutungen in der „Naturgeschichte des Himmels“ und dann Hartenstein II 447 unten (Racen der Menschen)2 vergleichen zu wollen. Hier ist ausdrücklich der Standpunkt als kosmologisch bezeichnet und diese anthropologische Betrachtung unterschieden3 von der empirischen Seelenlehre. Die Thatsache, daß Kant sich so äußerte, als sich die Loslösung der Anthropologie als einer gesonderten Vorlesung vollzog, giebt dieser Stelle eine besondere Bedeutung, die ich nicht so, wie Sie es thun, interpretieren kann, daß jene Einteilung als „ein nachträglicher architektonischer Zierrat“ hinzu gekommen sei. Dagegen finde ich für Ihre Ansicht, daß aus der empirischen Psychologie sich seit Anfang der [17]70ger Jahre die Anthropologie entwickelt habe und zwar aus der empirischen Psychologie, wie sie im Grundriß Baumgartens sich darstellte, keinen Beweis.4 Selbstverständlich dasjenige zugestanden, was eben aus der Benutzung eines solchen Compendiums sich ergab. Endlich scheint mir die Reihenfolge überhaupt einen solchen genetischen Zusammenhang nicht darstellen zu können, dieser müßte dann auch

Dilthey an Erich Adickes 

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auf die weiteren Teile Anwendung finden. Kant hatte ja selbstverständlich von Anfang an nebeneinander die verschiedenen Disziplinen im Kopfe und eben das Verhältnis des Menschen als eines Naturwesens und des Menschen im späteren transzendentalen5 Verstande bildete für seine Weltanschauung (nicht natürlich für seine Transzendentalphilosophie)6 das Problem. So wenigstens möchte ich die Sache ansehen. Ich werde nun also unsere beiderseitigen Auffassungen pure Heinze mitteilen und ihn um Äußerung bitten, wie er sich zu einer solchen einheitlichen Anordnung stelle und welche Einteilung als die gemeinschaftlichste7 er selber als wünschenswert ansehe. So hoffe ich, daß wir bald uns dem Beginn des Druckes nähern können.

Mit meinen besten Grüßen der Ihrige Wilhelm Dilthey.

Original: nicht überliefert; ein handschriftliches Transkript des Briefes von der Hand Gerhard Lehmanns ist hinterlegt in: StB PK Berlin, HA , NL Gerhard Lehmann, K 131 Nr. 3, 3 Bl.; Erstdruck in: Gerhard Lehmann: Zur Geschichte der Kantausgabe 1896–1955, in: Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin 1946–1956, a. a. O., S. 432–433; Ders.: Beiträge zur Geschichte und Interpretation der Philosophie Kants, a. a. O., S. 23–24. 1 Der Ersthg. merkt an: „Abteilungen: Handschriftlicher Nachlaß und Vorlesungen; als Leiter der Abteilung Vorlesungen war Heinze bestimmt.“ 2 Der Ersthg. merkt an: „[AA. 1. Abtlg.: Werke. Bd.] II [,S.] 443.“ 3 Der Ersthg. merkt an: „unterschieden [im] Text: unterstrichen.“ – Immanuel Kant’s Werke, sorgfältig revidirte Gesammtausgabe. 10 Bde. Hg. von G. Hartenstein. Leipzig 1838–1839. 4 Kant-Akad.-Ausg. Bd. XV: Handschriftlicher Nachlaß: Anthropologie, S. 3–54: Erläuterungen zur Psychologica empirica in A. G. Baumgartens Metaphysica. 5 In G. Lehmanns Transkript: „transcendentalen“. 6 In G. Lehmanns Transkript: „ Transcendentalphilosophie“. 7 In G. Lehmanns Transkript: „gemeinschaftliche“.

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Wilhelm II. an Dilthey 

[1362] Wilhelm II. an Dilthey Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden, König von Preußen etc: haben dem ordentlichen Professor an der Universität hierselbst und Mitglied der Akademie der Wissenschaften, Geheimen Regierungsrath Dr. Wilhelm Dilthey, Unsern Königlichen Kronen-Orden zweiter Klasse verliehen und ertheilen demselben über den rechtmäßigen Besitz dieser Auszeichnung das gegenwärtige Beglaubigungs-Schreiben mit Unserer eigenen Unterschrift und dem beigedruckten Königlichen Insiegel. Berlin, den 18. Januar 1905

Wilhelm von P[reußen]

Original: Hs. von Kanzleischreiberhand mit eigenhändiger Unterschrift des Kaisers Wilhelm II.; StUB Göttingen, HA , cod. ms. W. Dilthey, 17, Nr. 14.

[1363] Dilthey an Eduard Zeller Lieber, hochverehrter Freund,

Berlin, d[en] 20. I. 1905.

Heute folgt meinem verspäteten Neujahrsbrief eine Zeile zu Ihrem Geburtstag.1 Trotz so manchem, was dieser Tag Schmerzliches in der Erinnerung an so manche Schicksalswendungen des abgelaufenen Jahres mit sich bringt, weiß ich doch, daß Sie es als ein dankbar hinzunehmendes Geschenk der Natur ansehen, einen so weiten Umlauf von Leben durchmessen zu dürfen, eine lange geschichtliche Periode voll spannender Dramen mächtigen Vorwärtsschreitens. Ihnen ist ja eigen, absehend von der eignen Subjektivität eine große und beständige Freude an den Geschehnissen der objektiven Welt zu genießen, mit reifer Lebenserfahrung folgen Sie jetzt dem Verlauf der großen Krisen des religiösen socialen und politischen Lebens. Sie nehmen gewiß wie ich den lebhaftesten und wärmsten Anteil an dem großen Fortschritt, der sich jetzt in Frankreich

Dilthey an Erich Adickes 

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durch die Loslösung des Staates von der Katholi­schen Kirche vollzieht. Ich halte diesen Fortgang für unaufhaltsam. Kein Ministerwechsel kann etwas ändern an den Lebensbedürfnissen einer mächtigen Republik, welche von den Kräften des Katholizismus entweder aufgelöst wird oder derselben sich erwehren muß. Mit den herzlichsten Grüßen an Ihre Fr[au] Schwägerin,2 Ihre Kinder und Enkel, in treuer und unveränderlicher Verehrung der Ihrige Wilhelm Dilthey Original: Hs.; Diktat D.s von der Hand Clara Ds. mit eigenhändiger Unterschrift D.s; UB Tübingen, HA , Md 747–145. 1 E. Zeller hatte am 22. Januar Geburtstag. 2 Pauline Baur, jüngste Schwester Emilie Zellers (1823–1904), der verstorbenen Ehefrau Eduard Zellers.

[1364] Dilthey an Erich Adickes Sehr geehrter Herr College!

Berlin d[en] 24. I. [19]05.

Wie ich Ihnen schon mitteilte, bin ich im Verfolg der Frage einer gleichmäßigen Anordnung beider Abteilungen Ihrer Äußerung, daß Herr Heinze darüber zuzuziehen sein würde, nachgegangen, habe ihm die über die Einteilungsfrage gepflogene Correspondenz vorgelegt und hier liegt nun seine Antwort vor.1 Ich denke, daß wir uns nun wohl auf dieses Superarbitrium 2 einigen können, ich wenigstens ordne mich gern in bezug auf die Stellung der Religionsphilosophie unter, da in diesem Punkte auf Grund Ihrer Darlegung über den Inhalt der entsprechenden Manuskripte Herr Heinze Ihnen beipflichtet. Und3 nun, lieber Herr College, wenn Sie sich einverstanden erklären können, so schlage ich vor möglichst rasch an den Druck des ersten Bandes zu gehen. Ich verzichte ungern darauf das fertiggestellte Ganze vor mir zu haben, aber ich sehe ein, daß es schwer ist, ein zu umfangreiches Ganze vor dem Beginn des Druckes von vorn bis hinten fertig zu stellen. Vielleicht komme ich im Frühjahr auf einige Tage nach Tübingen um mir wenigstens einen flüchtigen Einblick in den Zusammenhang des Ganzen zu verschaffen. Dem Druck stehen gerade jetzt keine Schwierigkeiten entgegen, vielmehr ist Raum für ununterbrochene Edition der ganzen Abteilung.

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Dilthey an Rudolf Eucken 

Eines ist natürlich nicht möglich: eine Edition darf nicht durchblicken lassen, indem sie mir die Anordnung zuschreibt, was in diesem Umfange nicht einmal richtig ist, da verschiedene Möglichkeiten desselben bestehen.4 Sie muß geschlossen auftreten. Sollten Sie sich also nicht entschließen können, daß ohne einen solchen Zusatz diese Anordnung nun so gewählt wird (als unter denen, die auf Kant gegründet, und am meisten dem Material entsprechend), dann würden wir doch wieder dahin gelangen, daß der Commission die Entscheidung anheimfiele, wobei natürlich andere Sachverständige zugezogen werden müßten, um so zu einem möglichst objectiven Urteil gleichsam von außen zu gelangen. Aber da weder Sie noch Heinze auf die Anordnung Wert legen und doch sicher auch nach Ihrer Ansicht die so eintretende starke Gründe für sich hat, so wünschte ich sehr, daß mit dem Urteil Heinzes Sie sich zufrieden geben könnten, und zwar vornehmlich, weil die Befragung anderer Kantautoritäten Ihnen nicht genehm ist.

In größter Hochachtung der Ihrige Wilhelm Dilthey.

Original: nicht überliefert; ein handschriftliches Transkript des Briefes von der Hand Gerhard Lehmanns ist hinterlegt in: StB PK Berlin, NL Gerhard Lehmann, K 131, Nr. 4, 2 Bl.; Erstdruck in Gerhard Lehmann: Zur Geschichte der Kantausgabe 1896–1955 in: Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin ­1946–1956, a. a. O., S. 433–434; Ders.: Beiträge zur Geschichte und Interpretation der Philosophie Kants, a. a. O., S. 24. 1 Nicht beigelegt. 2 Oberentscheidung. 3 Im Erstdruck: „Und,“. 4 Der Ersthg. merkt an: „indem sie[:] lies: daß sie?[;] desselben[:] lies: derselben?“.

[1365] Dilthey an Rudolf Eucken Lieber Freund,

[Ende Januar 1905]

Freitag, d[en] 3. Februar, Abends 8 Uhr, wird Wildenbruch’s 60. Geburtstag im Kaiserhof gefeiert1 von einer Anzahl von Freunden. Ich weiss, dass er Sie

Willy Kabitz an Dilthey 

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und Ihre verehrte Frau an diesem Tage sehr vermissen würde, dass Sie ihm mit Ihrem Kommen eine ausserordentliche Freude bereiteten, und so frage ich an, ob Sie nicht kommen könnten, zumal das Ende der Woche die Sache erleichtert?

Treu ergeben der Ihrige Wilhelm Dilthey

Original: Hs.; Briefkarte; Diktat D.s von der Hand Clara D.s mit eigenhändiger Unterschrift D.s; ThULB Jena, NL R. Eucken, 1: Korrespondenz; Erstdruck in: Othmar Feyl: Briefe aus dem Nachlaß des Jenaer Philosophen Rudolf Eucken (1900–1926). Zeitüberlegenheit und historisch-politische Wirklichkeit eines idealistischen Philosophen, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Friedrich-SchillerUniversität Jena 10 (1960/61). Gesellschafts- und Sprachwissenschaftliche Reihe, H. 2, S. 249–294, hier S. 281. 1 E. von Wildenbruch hatte am 3. Februar Geburtstag.

[1366] Willy Kabitz an Dilthey

Sehr verehrter Herr Geheimrat!

Charlottenburg, Krummestr. 70 [Januar 1905]

In der Beilage1 habe ich den Versuch gemacht, die Stellen, die für Leibnizens Lehre von den Affecten in Betracht kommen könnten, zu verzeichnen. Vielleicht gelingt es mir, das Verzeichnis noch zu ergänzen. Ich bin zugleich auch daran gegangen, die zahlreichen sporadischen Äusserungen zu einer Darstellung zusammenzufassen. Doch kann ich damit noch nicht sogleich zu rande kommen, besonders weil mich der Leibniz-Katalog zu sehr in Anspruch nimmt.2 Im Februar hoffe ich ja nun endlich meine Arme freier zu haben.

In Verehrung Ihr ergebenster Willy Kabitz

Original: Hs.; ABBAW, Dilthey-NL , Fasz. 23, Bl. 184–184 R.

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Dilthey an Hermann Usener 

1 Nicht beigelegt. 2 W. Kabitz war zusammen mit Paul Ritter und franz. Gelehrten im Jahre 1902 von der interakademischen Leibniz-Kommission beauftragt worden, Schriften und Briefe sowie Drucke und weitere Materialien Leibniz’ für die Akademie-Ausgabe aufzufinden und zu katalogisieren. Die Frist für den Abschluss der Katalogisierungsarbeiten wurde 1904 um weitere drei Jahre verlängert.

[1367] Dilthey an Hermann Usener Berlin, 4. II. 1905 Mein liebster Hermann, wie wirkte der Anblick Deiner Handschrift auf mich ein!1 Genesen, in die alten Räume zurückgekehrt, wieder in voller Relation zur Welt wie auch die Sendung Deiner herrlichen Abhandlung beweist2  – so trittst Du uns nun wieder entgegen und ich vertraue nun fest, Du werdest nun bald wieder der alte sein. Ich arbeite mühsam. Doch liegt es allerdings auch an der schwierigen Aufgabe, die das Systematische an der neuen Auflage der Geisteswissenschaften mir stellt. Bücher wie Rickert und Husserl,3 die durchzulesen sind, erscheinen mir, der ich eben aus dem grünen Gefilde der Historie komme, recht mühsam zu lesen. Husserl ist höchst bedeutend. Jetzt sind nur alle meine Gedanken darauf gerichtet, das Systematische der 2. Aufl[age]4 vor der Abreise im Ganzen zum Ab­schluß zu bringen. Und so müde als ich bin, ist dies nicht leicht. So nimm mit diesen wenigen flüchtigen Zeilen vorlieb, und seid alle tausendmal gegrüßt von Eurem getreuen Wilhelm Original: Hs.; Diktat D.s von der Hand Clara D.s mit eigenhändiger Unterschrift D.s; ULB Bonn, HA , NL Usener, S 2102, 3, Nr. 21; eine maschinenschriftliche Abschrift des Briefes mit Auslassung des Briefschlusses ist in zwei Exemplaren hinterlegt in: StUB Göttingen, HA , cod. ms. W. Dilthey, 13 n, Nr. 32. 1 Der Brief H. Useners ist nicht überliefert.

Erich Adickes an Dilthey 

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2 H. Usener: Keraunos, in: Rheinisches Museum 60 (1905), S. 1–30. 3 H. Rickert: Der Gegenstand der Erkenntnis. Ein Beitrag zum Problem der philosophischen Transcendenz. Freiburg 1892; Ders.: Die Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung. Eine logische Einleitung in die historischen Wissenschaften. Freiburg i. B. 1896; Ders.: Kulturwissenschaft und Naturwissenschaft. Ein Vortrag. Freiburg i. B. und Leipzig 1899. – E. Husserl: Logische Untersuchungen. 2 Bde. Halle 1900–1901. 4 D.s geplante 2. Aufl. der Einleitung in die Geisteswissenschaften.

[1368] Erich Adickes an Dilthey Tübingen 5/2 [19]05. Hochgeehrter Herr Geheimrat! Erst heute, in der relativen Ruhe des Sonntags, komme ich dazu, Ihnen auf das Schreiben vom 26/11 zu antworten. Mit der Voranstellung der Anthropologie bin ich, wie die Sachen jetzt liegen, einverstanden, da ich persönlich sie ja nicht mehr zu vertreten habe. Natürlich braucht in der Edition von abweichenden Meinungen nicht die Rede zu sein. Ich würde raten, in die Einleitung zu meiner Abteilung einen Passus aufzunehmen etwa des Inhalts: Dem Vorsitzenden der Commission sowie dem Herausgeber der 3. u. 4. Abteilung schien es zweckmässig zu sein, die beiden letztern mit Bezug auf die Reihenfolge der einzelnen Disciplinen gleichmässig zu gestalten. Folgende Einteilung wurde gewählt … die dabei leitenden Gesichtspunkte waren: … [.] So treten wir geschlossen auf, und ich, der ich noch immer die genetische Betrachtung (mit Ausserachtlassung der aus den späteren Verhältnissen des Systems der reinen Philos[ophie] sich ergebenden Gesichtspunkten) für die richtige halte, werde nicht gezwungen, direkt – unter meiner Firma – Ansichten zu vertreten, die ich nicht teile. Ich würde Sie dann nur bitten, die Gründe für Voranstellung der Anthropologie selbst zu entwickeln, damit sie die wünschenswerte Stärke bekommen. Die ganze betreffende Stelle in meiner Ein­ leitung müsste ja von uns dreien gemeinsam entworfen werden. Der I. Bd. würde also dann Physik, Mathem[atik], Astronomie, Phys[ische] Geographie u. die ganze Anthropologie umfassen, also etwa 620 S. ohne meine Einleitung. Es wäre dann wohl wünschenswert, in dieser Einleitung nur das Allernotwendigste zu sagen, u die nähere Begründung der chronolog[ischen] Anordnung dem letzten Band zu überlassen, wo sie ja der Hauptsache nach an der Hand der Stellungsindicien (bei der Beschreibung der einzelnen

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Erich Adickes an Dilthey 

M[anus[ript]e) auch allein gegeben werden kann. Oder ist es Ihnen einerlei, wenn der I. Bd. fast 700 S. dick werden sollte? Bd. II: Logik würde dann sehr zusammenschrumpfen. Aber es ist doch kaum angethan die Metaphysik in 3 Teile zu teilen? Oder wie denken Sie? Und in 2 Bänden Logik und die ganze Metaphysik unterbringen, geht doch auch kaum? Abgesehen von der Anthropol[ogie] bleibt also doch die vorgeschlagene Reihenfolge? Auf Ihren Vorschlag, mit der Physik etc., Anthropologie zu beginnen, bevor das Ganze druckfertig ist, gehe ich natürlich mit Freuden ein. Sowie das Semester zu Ende ist, werde ich mich in Kant stürzen u kann dann also die zeitraubende Arbeit des Vergleichs der Reickeschen Losen Blätter mit den Originalen zurückstellen, womit schon vieles gewonnen ist. Ihren Besuch hier in Tübingen würde ich mit grosser Freude begrüssen. Es ist mir ein lieber Gedanke, mit Ihnen dann die einzelnen Teile durchgehen zu können u. Punkte, in denen ich etwa selbst unsicher bin, mit Ihnen besprechen zu können. Nur bitte ich Sie, zum Schluss der Ferien zu kommen, damit ich in den Ferien alles vorbereiten u. mich wieder richtig in den Stoff vertiefen kann, an dem ich seit August vor[igen] Jahres ja nur sehr wenig thun konnte. Ob es Ende April oder Anfang Mai ist, macht mir nichts aus. Nur bitte ich die „einigen Tage“ nicht zu kurz zu bemessen. 2 Fragen bedürfen noch der Erledigung. 1) Sollen die Anmerkungen zu den Blättern physikal[ischen], mathem[atischen], astronom[ischen] Inhalts auch inhaltliche Erklärungen liefern, etwa die Stellung der betreffenden Lehren zu den in Kants Schriften vorgetragenen u. zu den zu seiner Zeit üblichen? Es wäre ja an sich wohl wünschenswert, doch müsste ich mich erst sehr hinein­ arbeiten, um das leisten zu können. 2) Wer soll den lateinischen Text von Baumgarten, Achenwall herausgeben: Herr Thomas2 oder ich? Auf ein gemeinsames Arbeiten wie bei der Dissertation lass ich mich auf keinen Fall wieder ein. Es ist ja nur doppelte Mühe. Für Schreibung und Interpunktion (die ja von der heute üblichen sehr abweichend ist) müssten dort Regeln festgesetzt werden. Sollte Herr Thomas die latein[ischen] Texte ediren, müsste er verpflichtet werden, die Correkturbogen stets am Empfangstage zu erledigen. Ich hoffe sicher, wenn die Sache in Gang ist, pro Woche mindestens 2 Bogen Neudruck erledigen zu können, obwohl ich ja alles nochmals mit den Manuscripten vergleichen muss, möchte dann aber auch nicht, dass das rasche Fortschreiten durch Anderer Schuld verhindert wird. Woher soll übrigens die Druckvorlage für die beiden Baum­garten und Eberhard kommen? Ich fahnde schon seit Jahren vergebens auf Exemplare! Achenwall u Meier3 besitze ich.

Dilthey an Hermann Diels 

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Ich sehne sehr das Ende des Semesters herbei; jetzt doppelt, da die Aussicht auf baldigen Anfang des Drucks alle Kräfte u. vor allem die schlummernden Kant-Geister erweckt u. zu energischer Betätigung lockt. In grösster Hochachtung mit besten Grüssen Ihr sehr ergebener Adickes. Original: nicht überliefert; ein maschinenschriftliches Transkript des Briefes ist hinterlegt in: StB PK Berlin, HA , NL Gerhard Lehmann, K 131, unpaginiert, 2 Bl.; Erstdruck in: Gerhard Lehmann: Beiträge zur Geschichte und Interpretation der Philosophie Kants, a. a. O., S. 25–26. 1 Adickes meint vermutlich D.s Brief vom 24. Januar 1905 (vgl. Brief [1364]). 2 Emil Thomas (1858–1923): klass. Philologe; 1880 Promotion in Berlin, 1892 Habilitation und PD ebd., 1911 Verleihung des Professorentitels. – E. Thomas bearbeitete lat. Texte für die Kant-Akad.-Ausg. und gab die Metaphysica des A. G. Baumgarten heraus. 3 Gottfried Achenwall (1719–1772): Historiker und Jurist. – Georg Friedrich Meier (1718–1777): Philosoph.

[1369] Dilthey an Hermann Diels Verehrter Freund, Besten Dank daß Sie meinen Wunsch auf 15 Bogen Donnerstag dem Plenum vorlegen wollen. Die Abstimmung über E[rdmann] hat auch mich sehr erregt, der Sache willen u. E[rdmann]s willen. Indeß war es eine Zufallsmajorität, entstanden durch Meyers1 Abwesenheit, meine Erkrankung, die Thats[ache] daß E[rdmann] noch hier so neu ist u. die Abneigung verschiedener Mitglieder Riehl zu übergehen – was ja in der That eine harte Sache ist. In diese Nothwendigkeit wird man sich finden, und so zweifle ich nicht, daß nach Meyers Zurückkunft, wenn auch ich hoffentlich mehr Kraft in die Sache stecken kann, der Antrag mit ganz sicherem Erfolg erneuert werden kann.2

Mit treu ergebenen Grüßen der Ihrige Wilhelm Dilthey

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Dilthey an Paul Ritter 

21 Febr[uar 1905] Original: Hs.; StB PK Berlin, HA , Sammlung Darmstädter 2 a 1870 (8): Dilthey, Bl. 17–18. 1 Der Althistoriker und Ägyptologe Eduard Meyer (1855–1930). 2 In der Berliner Philosophischen Fakultät wurde bereits über einen Nachfolger für D., der zum Ende des Sommersemesters 1905 seine Lehrtätigkeit aufgeben wollte, beraten. In der Diskussion waren Alois Riehl (1844–1924), Benno Erdmann (1851–1921) und Wilhelm Windelband (1848–1915).

[1370] Dilthey an Paul Ritter W[est] Burggrafenstr[aße] 4. [vor dem 26. Februar 1905] Mein lieber junger Freund, ich habe rechte Sehnsucht einmal wieder etwas von Ihnen zu vernehmen. Ich entbehre gar sehr Ihre Anwesenheit, Ihren behaglichen, immer ruhigen und immer warmen Antheil an meiner Arbeit. Was machen Sie, Ihre Augen, Ihre Arbeit und auch Ihr Gemüth? Lassen Sie von sich hören. In Bezug auf die Augen rathe ich sehr, Morgens beim Aufstehen mit abtemperirtem aber noch heißem Wasser sie lange, mit dem Schwamm etwa, zu begießen, dann auch ein paar Minuten in’s Wasser einzutauchen. Haben Sie einmal einen Arzt gefragt. Ich habe nun endlich die Vorlesung geschlossen, die Amtsgeschäfte hinter mir, und bin nun bis zum Anfang des Mai ein freier Mann. Doch will sich noch keine entsprechende Freude daran einfinden, da ich immer noch – neben Anderem – am Hegel zu beißen habe.1 Eine harte Nuß: und ich begreife wol daß seine Stellung in der Geschichte u. seine Entwicklung noch von Niemanden nur einigermaßen gefaßt ist. Ich gebe nicht [auf] bis ich fertig bin. Und wie stehts mit der Berliner Universität. Wie weit sind Sie?2

Herzliche Grüße v[on] Ihrem Dilthey

Schreiben Sie doch nochmals Ihre Adresse. Original: Hs.; ABBAW, NL Ritter, A: Paul Ritter, I. 1. Bd. VII, unpaginiert.

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Paul Ritter an Dilthey 

1 D. arbeitete an seiner Jugendgeschichte Hegels. 2 Vermutlich meint D. den Stand der Vorarbeiten zur den geplanten Studien zur Geschichte des deutschen Geistes.

[1371] Paul Ritter an Dilthey

Hochverehrter Herr Geheimrath.

Hannover, Friedrichstr. 2, 26. 2. [19]05

Ihr Telegramm1 und Ihren Brief habe ich noch rechtzeitig erhalten. Ich besuche Sie also un­gefähr am 20. März und schreibe Ihnen seiner Zeit noch näher, zu welcher Stunde Sie mich erwarten können. Sollte Ihnen daran liegen, wenigstens das Manuscript über Friedrich den Großen2 schon vorher in Händen zu haben, dann bin ich bereit, es Ihnen demnächst mit der Post zu senden. Wenn Sie dagegen die Gefahren eines solchen Transportes fürchten – ich habe kein Concept –, dann bringe ich alles persönlich mit. Das wollen Sie bitte als vertraulich und nur für Sie bestimmt behandeln: Ich wollte gestern mit Ihnen auch von meinen persönlichen Verhältnissen sprechen: Je länger je mehr ist mir nicht möglich gewesen, mit der von der Akademie ausgesetzten Renumeration3 bequem auszukommen: Die Arbeit nötigt mich zu manchen Bücheranschaffungen.4 … [Briefschluss fehlt.] Original: Hs.; ABBAW, NL Ritter, A: Paul Ritter, I. 1. Bd. VII, Nr. 5. 1 Nicht überliefert. 2 D.s und P. Ritters Arbeiten über Friedrich den Großen und seine Zeit sollten einen Teil der Studien zur Geschichte des deutschen Geistes bilden, deren erster Band bereits 1901 hätte erscheinen sollen, aber von D. zurückgezogen wurde. Vgl. GS III, Vorwort des Hg. P. Ritter, S. VI und S. 81–205. 3 Rückzahlung. 4 Es folgen unleserliche Notizen von der Hand P. Ritters, die u. a. die finanzielle Vergütung seiner Arbeit als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter für die Leibniz-Ausgabe durch die Akademie, die er als nicht ausreichend ansah, betreffen.

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Dilthey an Hermann Diels 

[1372] Dilthey an Hermann Diels

[Februar 1905]

L[ieber] Fr[eund]!

Ich habe gleich nach Ihrem Besuch an E[rdmann] geschrieben1 und glaube mich so ausgedrückt zu haben, dass aussschließlich meine eigenen persön­ lichen Eindrücke und meine Besorgnisse für unser wissenschaftl[iches] Gemeinwesen darin zum Ausdruck kommen. Auch erwähnte ich, dass Andere nicht minder erstaunt seien. Ich denke dass der Brief gut wirken wird. Herzl[ichst] Ihr Dilthey Original: Hs.; Diktat D.s von der Hand H. Nohls; ABBAW, Dilthey-NL , Fasz. 169, Bl. 86. 1 Nicht überliefert.

[1373] Dilthey an Paul Natorp [Frühjahr 1905]1 Verehrtester Herr Kollege! Es hat mich sehr gefreut, ein Lebenszeichen von Ihnen zu erhalten. Die Angelegenheit, von der Sie schreiben, war auch schon durch meinen Freund Brentano2 an mich herangetreten. In der Sache bin ich vollständig einverstanden; aber wie ich schon Brentano schrieb, ist nach meiner Kenntnis schlechterdings keine Aussicht auf Erfolg einer solchen Erklärung. Und nach neuer gründlicher Überlegung kann ich nur wieder sagen, daß mir un­ratsam scheint, eine verspätete und wirkungslose Demonstration zu machen. Universitäten müssen nach meiner Ansicht nur dann sich einsetzen, wenn es sich um einen wirklichen Kampf handelt, von dem ein Ergebnis zu hoffen steht. Daher habe ich da­mals mit Mommsen und Zeller zusammen den Entschluß einer solchen Erklärung gegen das Zedlitz’sche Schulgesetz gefaßt.3 Über die heutige Lage der

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Dilthey an Paul Natorp 

Dinge, die ich sehr genau kenne, wäre zu schreiben zu ausführlich: sie läßt keine Hoffnung auf irgend ein Ergebnis. Mit herzlichen Grüßen und dem Wunsch, Sie bald einmal wiederzusehn

treu ergeben Wilhelm Dilthey

Original: Hs.; Diktat D.s von der Hand Clara D.s mit eigenhändiger Unterschrift D.s; UB Marburg, HA , Ms. 831/690. 1 Im Brieforiginal: „nachträgliche Datierung von fremder Hand: „Berlin 1905“. 2 Gemeint ist der Nationalökonom Lujo Brentano. 3 Robert von Zedlitz-Trützschler (1837–1914): preuß. Beamter, Offizier und Gutsverwalter; 1879 Vorsitzender des Provinzialausschusses in Schlesien, 1881 Regierungspräsident in Oppeln, 1884 Mitglied des Staatsrats, 1886 Oberpräsident der Provinz Posen, 1891–1892 preuß. Kultusminister, 1898 Oberpräsident von Hessen-Nassau, 1903 von Schlesien. – Während seiner Amtszeit als Kultusminister, legte R. von Zedlitz-Trützschler den Entwurf eines neuen konservativ geprägten Volksschulgesetzes vor, das den Einfluss der Kirche auf die Schulen massiv stärken sollte. Unterstützt wurde er aus parteipolitischen strategischen Erwägungen von dem 1890 zurückgetretenen Reichskanzler Otto von Bismarck und dessen Nachfolger Leo von Caprivi. Die liberalen und liberal-konservativen Kreise protestierten scharf gegen den Gesetzesentwurf. Nachdem sich auch Kaiser Wilhelm II. von der geplanten Reform distanzierte, trat R. von Zedlitz-Trützschler von seinem Amt zurück, ebenso der preuß. Ministerpräsident L. von Caprivi.

[1374] Dilthey an Paul Natorp Berlin, 6. III. [19]05 Verehrter Herr College! Besten Dank für Ihren Artikel1 mit dem ich ganz einverstanden bin. Nur das etwa hätte ich noch gewünscht, wenn Sie darauf eingegangen wären, in welchem Sinn Philosophie überhaupt Gegen­stand der Prüfung sein kann. Denn hier steckt doch ein Hauptbedenken der Fachkollegen verborgen. Das Entscheidende scheint mir, daß man zwar über einen einzelnen Beschäftigungsgegenstand prüfen mag, doch immer so, daß philosophische Gedankenübung aus Lektüre oder Vorlesung an diesem Gegenstand festgestellt werden kann.

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Dilthey an Herman Nohl 

Was Sie mir von den Vorgängen schreiben, die zu Ihrem Aufsatz geführt haben, ist mir ganz neu. Denn ich lebe in diesem Winter in völliger Abgeschlossenheit für meine Arbeiten. Aber auch dies vorausgesetzt, freue ich mich, daß Sie sich dazu entschieden haben, eine Umfrage zu gemeinsamem Vorgehen unsrer Collegen nicht herbeizuführen. Ich nehme an, daß wenn die Regierung an eine Änderung denken würde, doch wohl unsre Facultät Gelegenheit zur Äußerung erhielte.2 In der Hoffnung auf ein gelegentliches baldiges Wiedersehen und mit vielem Dank für Ihren Anteil an der Kantarbeit.3

treu ergeben der Ihrige Wilhelm Dilthey

Original: Hs.; Diktat D.s von der Hand G. Mischs mit eigenhändiger Unterschrift D.s; UB Marburg, HA , Ms. 831/691. 1 Bei dem „Artikel“ handelt es sich vermutlich um P. Natorp: Philosophie im Examen, in: Frankfurter Zeitung, 24., 25. Januar und 24. Februar 1905. – Das zugehörige Schreiben P. Natorps ist nicht überliefert. 2 Es ging auch nach den Schulkonferenzen von 1890 und 1900 weiterhin um die Krise der Gymnasien und Universitäten. 3 P. Natorp war einer der Herausgeber von Schriften Kants in der Abtlg. Werke der Akad.-Ausg.

[1375] Dilthey an Herman Nohl Berlin W[est] Burggrafenstr. 4 18. 5. [19]05 Mein lieber Freund, der Ambros1 wird von d[er] kön[iglichen] Bibl[iothek] desiderirt: hätten Sie die Güte ihn zurückzugeben? Viele Grüße Ihrer lieben Frau2 an deren Anblick u. schönem klarem gesundem gescheidten Wesen ich anhaltend in jeder Erinnerung große Freude habe. Treulichst Ihr Dilthey Original: Hs.; Briefkarte; StUB Göttingen, HA , cod. ms. H. Nohl, 94, Nr. 17.

Dilthey an Ernst von Wildenbruch 

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1 August Wilhelm Ambros (1816–1876): tschech.-österr. Jurist, Musikwissenschaftler und Komponist; 1839 Promotion in Rechtswissenschaft, 1869 Prof. für Musiktheorie in Prag, 1872 Tätigkeit im Justizministerium in Wien und Lehrer am dortigen Konservatorium. – Ders.: Die Grenzen der Musik und Poesie. Eine Studie zur Ästhetik der Tonkunst. Prag 1856. 2 H. Nohl hatte gerade im Mai 1905 die österr. Pianistin Bertha Oser (1878–1936) geheiratet.

[1376] Dilthey an Ernst von Wildenbruch

Verehrter Freund,

Sonnabends [20. Mai 1905]1

vor Allem schön daß Sie wieder da sind. Montags leider unmöglich, überhaupt diese kommende Woche. Mein Sohn Max hat uns überrascht u. absorbirt viel Zeit. Morgen mit ihm im Figaro,2 Dienstag Abends Diner u. dann Musik. Ich muß resigniren: so lockend es ist. Komme aber nächstens zu einer Théplauderstunde. Herzliche Grüsse von Ihrem W Dilthey Original: Hs.; Postkarte; GSA Weimar, 94/169, 11. 1 Datierung nach Poststempel. – Der 20. Mai 1905 war ein Sonnabend. 2 Wolfgang Amadeus Mozart: Die Hochzeit des Figaro, uraufgeführt durch die Wiener Hofoper am 1. Mai 1786.

[1377] Dilthey an August Schmekel Lieber Freund,

Berlin, 25. V. [19]05.

es ist mir natürlich sehr schwer, ohne Details Ihre Frage zu beantworten.1 Der erste Hauptpunkt ist natürlich: Sie dürfen sich von Inns­bruck aus nicht drängen lassen, sondern müssen der hiesigen Regierung die Frage vorlegen, ob Sie

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Bernhard Fürst von Bülow an Dilthey

dem Rufe folgen leisten sollen.2 Was man dort mit Ihnen vorhat, vermag ich nicht zu erraten. Und doch ist dies das Entscheidende. Eine Ablehnung ist ja natürlich nur dann möglich, wenn die Antwort der Regierung derart ist, daß diese Ablehnung irgendwie dadurch motiviert wird. Dies müssen Sie also abwarten, indem Sie erklären, daß es eine Anstandspflicht für Sie sei, der Regierung, die sich immer freundlich gegen Sie bewiesen habe, Mitteilung zu machen und deren Einverständnis zu erreichen. Ich werde heute wahrscheinlich Wilamowitz sehen und mit ihm ebenfalls die Frage besprechen. Von Seiten der Philologie ist er ja Ratgeber der Regie­ rung und daher informirt. Zudem kennt er die Greifswalder Verhältnisse gut. An und für sich denke ich, daß, wenn die Regie­rung sich gar nicht rührt u. kein Bedauern über die Möglichkeit ausspricht, dann bei einigermaßen anständigem Gehalt Sie nach Innsbruck gehen sollten. Jedenfalls dürfen Sie die katholischen und deutschen Händel darin nicht stören, da Sie ja kaum in Ihren Cirkeln von diesen werden gestört werden. Sobald ich mit Wilamowitz gesprochen habe, schreibe ich Ihnen Näheres. Alle Rufe ergehen immer mit Drängen um Antwort. Dies darf aber besonnene Überlegung nicht stören. Einstweilen die besten Grüße von Ihrem ergebenen Wilhelm Dilthey Original: Hs.; Diktat D.s von der Hand G. Mischs mit eigenhändiger Unterschrift D.s; UB Greifswald, Spezialsammlungen, Sign. 4° Ms 500, Nr. 5. 1 Der vorausgegangene Brief A. Schmekels an D. ist nicht überliefert. 2 Nach seiner Habilitation im Jahre 1893 in Berlin, die D. unterstützt hatte, wurde der klass. Philologe A. Schmekel (1857–1934) auf Betreiben F. Th. Althoffs nach Greifswald versetzt. Er lehrte dort seit 1899 als a. o. Prof. – Schmekel folgte nicht dem Ruf nach Innsbruck, sondern blieb in Greifswald, erst 1906 wurde er dort zum beamteten a. o. Prof. ernannt, 1921 zum persönlichen Ordinarius.

[1378] Bernhard Fürst von Bülow1 an Dilthey Sehr geehrter Herr Geheimrat,

Berlin, den 10. Juni 1905

Nehmen Sie meinen herzlichen Dank für Ihre freundlichen Zeilen entgegen, in denen Sie Ihre Glückwünsche für mich in so gütiger Weise mit Ihren

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Dilthey an Paul Ritter 

Hoffnungen für große vaterländische Fragen verknüpfen.2 Unter den vielen Zeichen der Teilnahme, die mir in diesen Tagen zugegangen sind, haben Ihre freundlichen Worte besonderen Wert für mich. Ihr ergebenster Bülow Original: Hs.; Diktat von unbekannter Hand mit eigenhändiger Unterschrift von Bülows; StUB Göttingen, HA , cod. ms. W. Dilthey 45, Autographenmappe Clara Misch, Nr. 10. 1 Bernhard Fürst von Bülow (1849–1929): Jurist und Politiker; 1897 Staatssekretär des Äußeren, 1900 Reichskanzler und Ministerpräsident, 1909 Rücktritt vom Amt. 2 Graf B. von Bülow wurde 1905 von Kaiser Wilhelm II. in den Fürstenstand erhoben. – D.s Brief ist nicht überliefert.

[1379] Dilthey an Paul Ritter [vor dem 11./12. Juni 1905]1 Mein lieber Freund,2 Ich muß mich einer großen Vergeßlichkeit anklagen, die durch die drängende Arbeit aller Art seit meiner Rückkehr verschuldet war. Wie wäre es mit einem Vorschuß zu Ihrem Einkommen? Sobald ich nach Hause komme, werde ich dafür Sorge tragen, daß Sie eine Zusendung erhalten wenn Sie nicht ausdrücklich protestiren, was Sie mir nicht anthun dürfen. Denn ich bleibe immer noch unendlich in Ihrer Schuld. Nach Berlin kehre ich künftigen Dienstag zurück. Sie sind offenbar diese Pfingsten dahin nicht gekommen.3 Die Abhandlung nähert sich dem Abschluß4 u wird bis auf Kleinigkeiten hier vollendet.

T[au]s[en]d Grüße v[on] Ihrem getreuen Wilhelm Dilthey

Original: Hs.; ABBAW, NL Ritter, A: Paul Ritter, I. 1. Bd. VII, Bl. 8–9.

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Dilthey an Herman Usener 

1 Datierung nach einer nachträglichen Notiz im Brieforiginal von der Hand P. Ritters: „Juni 1905“. – Pfingsten fiel im Jahre 1905 auf den 11. und 12. Juni. 2 Im Brieforiginal darüber von der Hand P. Ritters: „wohl aus Rheinsberg“. 3 P. Ritter lebte damals in Hannover. 4 Im Brieforiginal darüber von der Hand P. Ritters: „wohl Hegel“.

[1380] Dilthey an Herman Usener Mein liebster Hermann,

22. Juni [1905]

so lange habe ich von Dir nichts vernommen als auf indirektem Wege. Mir geht es nicht gut: seit der Überarbeitung des Winter habe ich sehr viel Druck auf dem Kopf, Kopfschmerzen, und unter der Einwirkung so mannigfacher Amtsgeschäfte u. ihrer beständigen Concurrenz mit der eigenen Arbeit kann ich nicht zu richtiger Erholung ge­langen. So habe ich mich, um neue Verwicklungen abzuschneiden, endlich dazu entschlossen, auf die Ernennung eines Nachfolgers anzufragen. Leicht ist es mir nicht geworden, aber da ich nun eben heute den Antrag an das Ministerium gesandt habe, habe ich doch das sichere Gefühl, so richtig gehandelt zu haben. Es lebe nun die eige­ne Arbeit u. möge sie gedeihen! Heute werden wir wol in der Fakultät schon eine Commission über die große Frage des Nachfolgers einsetzen. Natürlich wird Erdmann unter den Vorgeschlagenen sein. Wie lieb u. werthvoll wäre mir nun, wenn Du mir weitere Personen die [Du] für Geschichte d[er] Philosophie am meisten geeignet hältst mittheilen wolltest, natürlich ganz vertraulich u. ganz ausschließlich für mich. Ich denke an Windelband, Erdmann, Riehl. Freuden­thal leider zu alt u. kränklich. Bäumker?1 Natorp ein schlechter Dozent u. durch die Unterordnung alles historischen unter Kant überall zu einseitiger Auffassung geführt: sonst ja gründlich[,] scharf­sinnig u. gelehrt. Also was meinst Du? Besonders werthvoll wäre mir die vertraulichste Mittheilung wie Du über Erdmann denkst für den insbesondre Stumpf sehr eingenommen u. für den Zeller sehr eintritt. Aber freilich wäre Eile noth, da ja die Commission sehr bald tagen wird. Es scheint mir sehr schwer sich über die richtige Person zu entscheiden. Viele Grüße von Allen an Dich[,] Lily u. falls Du demnächst die Kinder siehst treulichst Dein Wilhelm

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Alois Riehl an Dilthey 

Original: Hs.; ULB Bonn, HA , NL Usener, S 2102, 3, Nr. 51. 1 Der kath. Theologe und Philosophiehistoriker Clemens Baeumker (1853–1924).

[1381] Alois Riehl an Dilthey

Hochverehrter Herr College!

Halle a[n] [der] S[aale] d[en] 23 Juni 1905

Noch gestern Abend, sogleich nach Empfang Ihres Schreibens,1 habe ich Bogen 1–4 des neuen Kritic[ismus]2 an Ihre Adresse aufgegeben, heute lege ich zur Ergänzung die eben eingegangenen Bogen 5 bei. Mit einer Zurück­sendung brauchen Sie sich nicht zu bemühen; ich er­halte von der Druckerei je zwei weitere Exemplare. Ihrem freundschaftlichen Wunsche entsprechend nenne ich diejenigen kleinen Arbeiten, die Ihrer Aufmerk­samkeit entgangen sein könnten, weil sie größten Teils in früheren Jahrgängen der Zeitschrift f[ür] wiss[enschaftliche] Philosophie ein verborgenes Da­sein führen. Einiges Gewicht lege ich noch auf den ersten Artikel dieser Reihe Die englische Logik der Gegenwart 1876 [,] die kleinen Aufsätze (1877) Kausalität und Identität, und der ‚Raum als Gesichtsvorstellung‘, sind Vorstudien zu den betreffenden Partien des system[atischen] Teiles des Kriticismus. Zu den log[ischen] und erkenntnistheor[etischen] Arbeiten zählen außerdem auch [die] in S[onder]-A[usgaben] erschienen Beiträge3 zur Logik 1892[,] der Aufsatz über d[en] Begriff der Wissenschaft bei Galilei (er soll durch den Inhalt eines Vortrages, den ich im Kreise hiesiger Collegen hielt: Plato und Gali­lei ergänzt werden. Hier sollen die sachlichen und historischen Beziehungen Galileis zu Plato gezeigt werden, ferner Robert Mayers Entdeck[ung] und Beweis des Energieprincipes S[onder]-A[usgabe] aus Sigwarts Festschrift 1900 und H. v. Helmholtz und Kant 1904 (aus den Kant-Studien)[.] Hildebrands Problem der Form in der bildenden Kunst veranlaßte die Abhandlung: das Problem der Form in der Dichtkunst. 1898 4 und dazu darf ich vielleicht noch erwähnen: G. E. Lessing (Rede)  1881. Die übrigen kleinen Schriften: (G. Bruno 2. Aufl. 1900, die Kant-Rede 1904, Plato 1905) sind Ihnen gewiß bekannt. Von dem kleinen Buch über F. Nietzsche erscheint Herbst d[es] J[ahres] die 5.– 6. Auflage.5

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Alois Riehl an Dilthey 

Seit Hayms Tode6 habe ich hier die Hauptvorlesung über allg[emeine] Geschichte der Philosophie über­nommen und bin dadurch von selbst der histo­ rischen Seite unserer Wissenschaft weit näher getreten, als es früher der Fall war. (Eine Untersuchung über die neuplatonischen Elemente in Spinozas Ethik ist im wesent­lichen abgeschlossen – und auch die Neubearbeitung der Philosophie Lockes im Kriticism[us] namentlich in den Nummern 1–3 dürfte für diese engere Berührung mit der Geschichte den Beweis erbringen.) Im vorigen Sommer wurde mein Lehrauftrag auf Aesthetik und neueste Litteratur ausgedehnt; ich lese in diesem Sommer mit einem Erfolg, der mich befriedi­gen muß (vor circa 400 Zuhörern), über das moderne Drama. Ich will die Gelegenheit dieses Schreibens be­nutzen, Ihnen für die freundliche Übersendung Ihrer neuesten Akademie-Abhandlung zu danken.7 Der neue Be­griff der psychischen Struktur, den Sie in die Geisteswissenschaften einführen, ist von großer Tragweite und ich begreife jetzt, daß Sie sich gedrungen fühlen müssen, Ihre ganze Zeit und Arbeitskraft der Vollendung so wichtiger Werke zu widmen. Es bedarf nicht der Versicherung, daß ich es hoch zu schätzen weiß, daß Sie unter denjenigen Collegen, die für die Fortsetzung Ihrer Lehrtätigkeit in Betracht kommen könnten, auch an mich denken. Mit herzlichem Gruße von Haus zu Haus bleibe ich Ihnen in treuer Gesinnung beständig ergeben A. Riehl. Original: Hs.; StUB Göttingen, HA , cod. ms. W. Dilthey, 7, 3, Bl. 71–74. 1 Nicht überliefert. 2 A. Riehl: Der philosophische Kritizismus und seine Bedeutung für die positive Wissenschaft. Geschichte und System. 3 Bde. Leipzig 1876–1887, 2. neu verf[asste] Aufl. Leipzig 1908. 3 Im Brieforiginal: „Beiträgen“. 4 A. von Hildebrand: Das Problem der Form in der bildenden Kunst. Straßburg 1893. – A. Riehl: Bemerkungen zu dem Problem der Form in der Dichtkunst, in: Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie XXI (1897), S. 283–306, und XXII (1898), S. 96–114. 5 A. Riehl: Friedrich Nietzsche. Der Künstler und der Denker. Ein Essay. Stuttgart 1897. 6 A. Riehl lehrte seit 1898 in Halle neben dem Philosophen Rudolf Haym (1821–1901), der am 27. August 1901 verstorben war. 7 D. hatte in der Gesamtsitzung der Königl. Preuß. AdW zu Berlin vom 2. März 1905 die Erste Studie zur Grundlegung der Geisteswissenschaften vorgelegt: „dieselbe behandelt zunächst die Aufgabe, Methode und Anordnung der Grundlegung, dann erörtert sie weiter descriptive Vorbegriffe, die für die Theorie des Wissens erforderlich sind, und hiernach ent-

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Hermann Usener an Dilthey 

wickelt sie die allgemeinen Eigenschaften des psychischen Structurzusammenhangs.“ (Vgl. Abhandlungen der Königl. Preuß. AdW zu Berlin. Jg. 1905, S. 311). – D.s Studie wurde ausgegeben am 23. März 1905; vgl. ebd. S. 322–343; WA (mit Zusätzen aus den Handschriften) in: GS VII, S. 3–23. – Eine Zweite Studie zur Grundlegung der Geisteswissenschaften trug D. in der Sitzung der philos.-histor. Klasse der AdW am 23. März 1905 vor: „dieselbe behandelt das gegenständliche Auffassen und untersucht den structurellen Charakter der Auffassungserlebnisse und die Beziehungen zwischen ihnen, durch welche sie einen Zusammenhang ausmachen.“ (Vgl. Sitzungsberichte der Königl. Preuß. AdW zu Berlin. Jg. 1905, S. 345.) – Diese zweite Studie wurde damals nicht gedruckt. (Vgl. GS VII, S. 24–69).

[1382] Hermann Usener an Dilthey [25. Juni 1905] Diktat von Hermann. Für Dich allein streng vertraulich selbst zu lesen. Lieber Wilhelm, wir bedauern sehr aus Deinen heutigen Zeilen ersehen zu müssen daß Du immer noch wenig be­friedigt über Dein Befinden[;] ich eile Dir über Deine Fragen rasch Bescheid zu geben soweit ich das vermag. Erdmann hat sich bei uns und Collegen bei seinem Antreten in Bonn mit Behauptungen eingeführt die sich nach wenigen Wochen als Lüge erwiesen, ich war ihm mit den vortheilhaftesten Voraussetzungen entgegengekommen wie sie Dein günstiges Urtheil über ihn erwecken mußten[,] das mußte ich aufgeben und ihn völlig bei Seite liegen lassen. An der Universität entwickelt er eifrige Lehrtätigkeit mit unzweifelhaftem Erfolg wohl und er weiß um diesen Erfolg zu steigern jedes Mittel zu be­nutzen, besonders die Examina in denen er rücksichts­los nach seinen Vorträgen prüft statt allgemeine philo­sophische Vorbildung zu ermitteln, er ist ein Mann von stark entwickelten Ellenbogen. In einem Falle in dem er sich mir noch einmal näherte benutzte er eine Meinungsgleichheit bei mir um eine Art Bauernfängerei zu suchen; kurz ich habe von seiner Persön­lichkeit den unerfreulichsten Eindruck und kann darum auch von seinen Leistungen wenig erwarten. Seine Logik1 hatte ich mir seiner Zeit angesehen und mich entsetzt wie trivial und oberflächlich er die Sprache[,] die er so betont[,] darin behandelt und die logischen Probleme verwerthet. W[indelban]d macht einen milderen aber wo möglich noch streberhafteren Eindruck und wird vermuthlich (auch […] meint so) einen Ruf nach Berlin nur benutzen sich hier fester und wärmer zu setzen.

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Lily Usener an Dilthey 

Der Grund weshalb wir in Bonn seiner Zeit ganz von ihm absahen war eine wunderbare Scene in einer Fakultätssitzung in Sachen des Doktor Witte2 in wel­cher von Meyer3 ein ungünstiges und darauf von Justi4 ein günstiges Ur­ theil desselben [über] Windelband zu allgemeinem Gaudium producirt wurde. Karl der die größten Stücke auf Windelband hält ist immer überzeugt geblieben daß dies unmöglich sei, von Riehl habe ich selbst nichts gelesen und kein eignes Urtheil[,] ich sprach nur aus was mir aus den Verhandlungen über ­Meyers Nachfolge in Erinnerung geblieben. Ich habe Dir über E[rdmann] und W[indelband] nun offen und rückhaltlos geschrieben was ich auf dem Herzen habe, es ist wesentlich persönlicher Art und ich hatte deshalb davon schweigen wollen[,] nun es auf Deinen beson­deren Wunsch gesagt ist[,] muß ich Dich dringend bitten diese Dinge als absolut vertraulich lediglich zu Deiner persön­ lichen Information mitgetheilt zu betrachten. … [Briefschluss fehlt.] Original: Hs.; Diktat H. Useners von der Hand seiner Frau Lily; StUB Göttingen, HA , cod. ms. W. Dilthey, 7, 3, Bl. 65–66. 1 B. Erdmann: Logik. I. Bd.: Logische Elementarlehre. Halle a.d.S. 1892. 2 Johann Heinrich Witte (1846–1908): Philosoph, Philologe und Pädagoge; 1872 Promotion in Halle, 1874 Habilitation in Bonn, 1883 a. o. Prof. ebd., 1889 Kreisschulinspektor. 3 Der verstorbene Bonner Philosoph Jürgen Bona Meyer (1829–1897). 4 Der Bonner Philosoph und Kunsthistoriker Carl Justi (1832–1912).

[1383] Lily Usener an Dilthey Kur-Hôtel-Kohlhof

Kohlhof-Heidelberg, den 26. 6. 1905

Mein lieber Wilhelm, gestern kam auf Umwegen Bonn[–]Heidelb[erg] Dein Briefchen an uns […]. Beide hocherfreut endlich einmal Deine Handschrift wieder zu sehen. Und sehr freuen wir uns Deines Entschlusses zurückzutreten. Hermann findet es auch das einzig richtige für Dich. Möchtest Du liebster Wem1 glücklicher in Erfüllung Deiner Hoffnungen […] sein. Verpflegung vorzüglich[,] der Wald so herrlich mannigfaltig wie wir Beide es noch nie erlebt. Die meisten Wege selber für Hermann wie gemacht. Da müssen wir nächstes Jahr so wir leben einmal zusammen sein (Zimmer in allen Preislagen). Das wird nun überhaupt mit Deinem Rücktritt hoffentlich ganz anders werden u. wir sehnen uns bren-

Lily Usener an Dilthey 

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nend danach, ich wollte Du könntest selber hier sein[,] es ist gerade für Juni Juli nur nützlich dringend [zu] empfehlen nicht Herbst. Schreibe nur früh, was Ihr für den Herbst vorhabt u.s.w. Dein Alth[off] schweigt weiter u. Du siehst ihn doch oft auch wohl, […]. Die Schreibgelegenheit, d. h. Schreibtischchen, ist hier für Hermann so sehr niedrig u. deshalb anstrengend bei seiner Kurzsichtigkeit[,] so nahm ich es ihm ab, er diktierte: Du setzest mich durch Deine Fragen in Verlegenheit[,] ich fühle mich nicht competent, die in Frage gegangenen Persönlichkeiten in dem wesentlichen u. entscheidenden Punkt zu beurtheilen. Sowohl Erdmann als Windelband habe ich von einer menschlichen Seite kennen gelernt die wie ich fürchten muß mir die Freiheit des Urtheils beeinträchtigt, u. ich möchte mich da lieber eines Ur­ theils enthalten. Natorp darf sich bei Dir für Dein Wohlwollen bedanken; er ist bestimmt ernst u. eifrig bestrebt für das Beste, aber er ist ein Querkopf nach jeder Richtung u. scheint mir darum für Berlin unmöglich. Nach allem was ich über ihn gehört habe scheint mir Riehl Euer Mann zu sein; freilich müßt Ihr für ihn mit dem vollsten Nachdrucke eintreten wenn Ihr die Schwierigkeiten welche die klerikale Partei ihm in den Weg legt überwinden wollt. Bäumker hast Du wohl nicht ernstlich gemeint[;] er ist unter seinesgleichen d. h. unter den katholischen Philosophen unvergleichlich der Beste, aber er gehört in katholische Umgebung da kann er mit Milde, Patriotismus usw. gut wirken …2 als es Hermann bisher gewesen. Die Reconvalescenz die vorerst so schön wenn auch langsam voranschritt wurde sofort gehemmt als er zu Studien mit seinen Arbeiten begann u machte mir die Art[?] große Sorge. So reisten wir beide Mai zunächst mit herrlicher Schifffahrt die ihn sehr erfrischte nach Limburg u blieben dort 10 Tage dann mit zwei Stunden Schnellfahrt zu den Kindern nach Heidelberg[,] von da aus hier hinauf auf den Kohlhof.3 Wie schön es hier oben ist kann ich Dir nicht genug sagen. Das Hotel vortrefflich gehalten[;] wir haben zwei schöne sehr große Zimmer für Hermann, in dem meinen die Nacht offene Fenster damit auch Hermann die kühle herrliche Waldluft filtrirt od[er] jedenfalls genießt. Morgen früh mein lieber Wilhelm reisen wir hier von Heidelberg aus wieder zurück[;] wir müssen morgen einer Magenverstimmung Hermanns willen leider früher herunter als wir wollten u kommen hier in Heidelberg in tollste Hitze, hoffen daß es in Berlin bedeutend besser. Über Hermanns Befinden ist leider wenig gutes zu sagen. Herausgehen aus den häuslichen täglichen Verhältnissen zeigt erst wie es um den Menschen u mit dem Kranksein steht; der Mangel an Athem durch Herz und Lungensystem hat erschreckend zugenommen u Walther4 bestätigt leider meine Sorge um die nächste wenn nicht allernächste Zukunft, er war gestern hier u hat gründlich noch einmal untersucht

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Dilthey an Hermann Usener 

u alles was gut u nützlich überlegt natürlich nur mir seine Sorgen ausgesprochen. Was habe ich an dem vortrefflichen Jungen. Was Ihr auch zum Herbste plant kommt nicht zu uns, treffen wir uns nicht, denn diese Reise lehrt daß die Ruhe u Ordnung u Pflege zu Hause das beßte u ihm auch selbst das einzig Wünschenswerthe noch. In inniger Liebe Deine […] Schwester Lily Original: Hs.; geschrieben auf hoteleigenem Briefpapier des „Kur-Hôtel-Kohlhof “,

StUB Göttingen, HA , cod. ms. W. Dilthey, 14 f, 2/1–3/2.

1 Kosename für: Wilhelm. 2 Briefanschluss fehlt. 3 Im Brieforiginal darüber: „zwei Stunden Wagenfahrt“. 4 H. Useners Sohn Walther, geb. 1875, Chirurg und seit 1901 Assistenzarzt in Karlsruhe.

[1384] Dilthey an Hermann Usener [Ende Juni 1905] Wie leid ist mir, liebster Hermann daß Dein Befinden immer noch zu wünschen übrig läßt in Bezug auf die Möglichkeit zu arbeiten. Ich selber habe immer noch unter den Folgen der Überarbeitung im Winter (Druck auf den Kopf etc.) zu leiden. Pläne für die Ferien kann ich noch gar nicht machen. Die verwünschte Nachfolgerfrage zwingt mich seit einer Woche alle Zeit auf das Lesen der Bücher dieser genannten Dreieinigkeit zu verwenden. Deine Andeutungen über W[indelband] u. E[rdmann] stimmen mit manchen Eindrücken von mir [überein]. W[indelband] beginnt jetzt die Geschichte nach der Normendoktrin vom Werth etc. zurechtzumachen, welche die Schule u. er selbst als Mittelpunkt der Logik des 18 J[ahrhunderts] darstellen: die Herren citiren sich gernemal gegenseitig u machen sich schon (W[indelband] u. Rickert) zum Mittelpunkt der Ph[ilosophie] des 19 J[ahrhunderts]. Und doch sind sie zweifellos auf einen todten Strang gerathen. Dies Unwesen wirft auch für mich auf den Charakter von W[indelband] als Forscher ein unerfreuli­ches Licht. E[rdmann] ist mir immer als Machtmensch, brüsk, von sich selbst zu sehr überzeugt erschienen, au fond1 ehrlich u. zuverläßig. Deine Andeutungen machen mich stutzig. Es wäre mir lieb Du könntest etwas näher was Du andeutest aussprechen, auch über E[rdmann]s Kathederwirken ein Wörtchen sagen:

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Albrecht Dieterich an Dilthey

doch ja nicht wenn es Dir nicht angenehm ist es zu thun. Worauf gründet sich Dein Urtheil über Riehl? es stimmt genau mit dem was wir sonst hören u. auch mit meinem Eindruck. Tausend Dank an Lily für ihren lieben Brief u. beste Wünsche. Treulichst Dein Wilhelm Original: Hs.; ULB Bonn, HA , NL Usener, S 2102, 3, Bl. 48–50 R. 1 Im Grunde.

[1385] Albrecht Dieterich1 an Dilthey Hochverehrter, lieber Onkel,

Heidelberg 1. Juli 1905

ich muß sehr Deine Verzeihung erbitten, daß ich auf Deine Frage2 mit der Antwort so lange gesäumt. Ich bin sehr mit Arbeit überhäuft, hatte gerade einige oberschulrätliche Reisen zu erledigen und Useners waren, nach kurzem Aufenthalt auf dem nahen Kohlhofe, bei uns und so war ich in meinen Pflichten arg hin und hergezogen. Ich kann Dir aber auch wirklich nichts irgend wie wesentliches sagen, würde mich auch über Windelband zu keinerlei Urteil berechtigt halten. Tatsächlich ist, daß er sich hier mit ungemeiner Schnelligkeit eine außerordentlich gute Position geschaffen hat, sehr hohes Ansehen unter den Collegen genießt und sehr volle Vorlesungen hat. Mir ist bei seinen Erfolgen eine hervorragende Klug­heit und wolberechnete Schmiegsamkeit sehr bemerkbar geworden. Im übrigen, wie gesagt, wäre es sehr unrecht, wenn ich irgend wie persönlich weiter­hin urteilen wollte. Ich habe Dir noch sehr zu danken für die „Studien zur Grundlegung der Geisteswissenschaften“, die ich mit ungemeiner Anregung studirt habe. Einige schwache ἀντιβόλης3 hoffe ich demnächst Dir schicken zu können. Mein kleines Buch „Mutter Erde“ habe ich soeben fer­tig corrigirt.4 Useners bei uns zu haben sind wir sehr froh, wenn auch freilich die arge Hitze unseres Tals für ihn sehr drückend und nicht fördersam ist. Er ist doch noch außerordentlich müde und schwach und die Kräftigung ist nicht sehr wei-

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Friedrich Paulsen an Dilthey an Dilthey

ter fortgeschritten. Sie lassen aufs herzlichste grüßen, ebenso wie meine Frau5 und ich, Dich und Dein ganzes Haus. In treuer Verehrung Dein Albrecht Dieterich Original: Hs.; StUB Göttingen, HA , cod. ms. W. Dilthey, 7, 3, Bl. 67–70. 1 Albrecht Dieterich (1866–1908): klass. Philologe und Religionswissenschaftler; 1888 Promotion in Bonn (bei H. Usener) 1891 Habilitation in Marburg, 1895 a. o. Prof ebd., 1897 o. Prof. in Gießen, 1903 in Heidelberg. – A. Dieterich war mit H. Useners Tochter Marie (1867–1934), der Nichte D.s, seit 1899 verheiratet. 2 Nicht überliefert. 3 Gegenwurf, Entgegnung. 4 A. Dieterich: Mutter Erde. Ein Versuch über Volksreligion. Leipzig – Berlin 1905. 5 Marie Dieterich, geb. Usener (1867–1931).

[1386] Friedrich Paulsen an Dilthey

Hoch verehrter Herr College!

Steglitz bei Berlin[,] Fichtestr. 31 1 Juli [19]05

Nun ist mir Dienstag Abend doch nicht möglich zu Ihnen zu kommen: m[eine] Frau,1 die in diesen Dingen mein Gedächtnis ist, sagt mir: wir haben zu einem Tauffest bei einem alten Freunde auf Dienstag Abend angenommen. Montag sind Prüfungen. Es wird also kaum noch möglich sein, daß ich zu einer gemeinsamen Beratung komme. Es scheint mir aber nicht allzu nötig; wir sind in dem Wesentlichen überall einig. Ihre sichere Orientierung in diesen Dingen wird der Fakultät die geeignete Unterlage für die Beschlußfassung geben. Übrigens sehen wir uns ja noch Mittwoch. In aufrichtigster Hochachtung Ihr ergebenster Paulsen Original: Hs.; StUB Göttingen, HA , cod. ms. W. Dilthey, 7, 3: Paulsen. 1 Laura Paulsen, geb. Ferchel, zweite Ehefrau F. Paulsens seit 1892.

Conrad von Studt an Dilthey

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[1387] Conrad von Studt1 an Dilthey Berlin W[est] 64. den 3. Juli 1905. Der Minister der geistlichen Unterrichts- und Medizinal-Angelegenheiten U I Nr. 6998. II.

Auf den Antrag vom 20. Juni d[es] J[ahres] will ich Ew. Hochwohlgeboren von den amtlichen Verpflichtungen in der Philosophischen Fakultät der Friedrich Wilhelms-Universität hierselbst vom Schlusse des laufenden Semesters ab hiermit entbinden, indem ich zugleich meiner wärmsten Anerkennung für die hervorragenden Verdienste Ausdruck gebe, die Sie Sich in ihrer langjährigen akademischen Wirksamkeit um Wissenschaft und Vaterland erworben haben. Studt An den Königlichen ordentlichen Professor Herrn Geheimen Regierungsrat Dr. Dilthey Hochwohlgeborenen hier. Original: maschinenschriftlich mit eigenhändiger Unterschrift von Studts; StUB Göttingen, HA , cod. ms. W. Dilthey, 17, Bl. 15. 1 Der preuß. Kultusminister Conrad von Studt.

Siglen- und Abkürzungsverzeichnis

a. a. O. ABBAW

am angegebenen Ort Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften Berlin Abs. Absatz Abschn. Abschnitt Abtlg. Abteilung ADB Allgemeine Deutsche Biographie. Hg. durch die historische Commission bei der königlichen Akademie der Wissenschaften München. Leipzig 1875 ff. AGPh Archiv für Geschichte der Philosophie. Hg. von Ludwig Stein. Berlin 1883 ff. a. M. am Main a.d.S. an der Saale AdW Akademie der Wissenschaften Akad. Akademie akad. akademisch a. o. / o. außerordentlich / ordentlich AMS Altpreußische Monatsschrift. Hg. von Rudolf Reicke und Ernst Wichert. Königsberg 1863–1922/23 Anm. Anmerkung apl. außerplanmäßig Aufl. Auflage Ausg. Ausgabe Autogr. Autograph BA Bundesarchiv bayer. bayerisch Bd./Bde. Band / Bände BDY Briefwechsel zwischen Wilhelm Dilthey und dem Grafen Paul Yorck von Wartenburg 1877–1897. Hg. von Sigrid von der Schulenburg. Halle / Saale 1923 bearb. bearbeitet bes. besonders BW I Wilhelm Dilthey: Briefwechsel. Bd. I (1852–1882). Hg. von Gudrun Kühne-Bertram und Hans-Ulrich Lessing. Göttingen 2011 BW II Wilhelm Dilthey: Briefwechsel. Bd. II (1882–1895). Hg. von Gudrun Kühne-Bertram und Hans-Ulrich Lessing. Göttingen 2015 Bl. Blatt

Siglen- und Abkürzungsverzeichnis

Blochmann

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Elisabeth Blochmann: Herman Nohl in der pädagogischen Bewegung seiner Zeit. 1879–1960. Göttingen 1969 BSB München Bayerische Staatsbibliothek München c. / ca. circa christl. christlich cod. ms. codex manuscriptum D. Dilthey dän. dänisch Dep. Depositum ders. derselbe Diss. Dissertation DLZ Deutsche Literaturzeitung für Kritik der internationalen Wissenschaft. Hg. von Max Roediger u. a. Berlin 1880–1993 Dr. Doktor DRS Deutsche Rundschau. Hg. von Julius Rodenberg. Berlin 1874 ff. dt. deutsch durchges. durchgesehen(e) ebd. ebenda ed. Edition Ehlers Hermann Diels, Hermann Usener, Eduard Zeller: Briefwechsel. 2 Bde. Hg. von Dietrich Ehlers. Berlin 1992 engl. englisch erläut. erläutert erw. erweitert ev. evangelisch evtl. eventuell Ew. Euer / Eure FA Familienarchiv Fasz. Faszikel FB Gotha Universitäts- und Forschungsbibliothek Erfurt / Gotha, Forschungsbibliothek Erfurt FA Familienarchiv ff. folgende franz. französisch Frh. Freiherr Frl. Fräulein geb. geboren gen. genannt Gerhardt / Mehring / Berliner Geist. Eine Geschichte der Berliner UniversitätsphiloRindert sophie bis 1946. Mit einem Ausblick auf die Gegenwart der Humboldt-Universität. Hg. von Volker Gerhardt, Reinhard Mehring und Jana Rindert. Berlin 1999. griech. griechisch

488 Gründer

Siglen- und Abkürzungsverzeichnis

Karlfried Gründer: Zur Philosophie des Grafen Paul Yorck von Wartenburg. Aspekte und neue Quellen. Göttingen 1970 GS Wilhelm Dilthey: Gesammelte Schriften. 26 Bde. Leipzig und Berlin, Stuttgart und Göttingen 1914–2006. GSA Weimar Goethe- und Schillerarchiv Weimar GStA PK Geheimes Staatsarchiv. Preußischer Kulturbesitz, Berlin-Dahlem H. Heft HA Handschriftenabteilung Halbbd. Halbband Hg. / hg. Herausgeber(in) / herausgegeben histor. historisch Hr. Herr Hs. Handschrift HStA Marburg Hessisches Staatsarchiv Marburg HU Berlin Humboldt-Universität Berlin i. B. m Breisgau i. S. im Sinne Jg. Jahrgang K Kasten Kap. Kapitel klass. klassisch(e) königl. königlich krit. kritisch(e) lat. lateinisch Lic. theol. Lizentiat der Theologie Litzmann Ernst von Wildenbruch. 2 Bde. Hg. von Berthold Litzmann. Bd. I: 1845–1885. Berlin 1913; Bd. II: 1885–1909. Berlin 1916 M. A. Magister math. mathematisch n. Chr. nach Christus ND Nachdruck neubearb. neubearbeitet NF Neue Folge niederl. niederländisch NL Nachlass / Nachlässe öffentl. öffentlich ÖNB Wien Österreichische Nationalbibliothek Wien, Sammlung von Handschriften und alten Drucken österr. österreichisch o. g. oben genannt Ostpreuß. Ostpreußen PD Privatdozent philos. philosophisch physik. physikalisch

Siglen- und Abkürzungsverzeichnis

PJ

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Preußische Jahrbücher. Hg. von Rudolf Haym u. a. Berlin 1858 ff. poln. polnisch preuß. preußisch Prof. Professor protest. protestantisch R. Rückseite recto Vorderseite Rebenich / Franke Theodor Mommsen und Friedrich Althoff: Briefwechsel 1882– 1903. Hg. und eingel. von Stefan Rebenich und Gisa Franke. München 2012 reform. reformiert resp. respektive russ. russisch S. Seite sächs. sächsisch schott. schottisch schwed. schwedisch schweiz. schweizerisch Sign. Signatur SHLB Kiel Schleswig-Holsteinische Landesbibliothek Kiel, Handschriften­ abteilung Sonderausg. Sonderausgabe span. spanisch Stark Werner Stark: Nachforschungen zu Briefen und Handschriften Immanuel Kants. Berlin 1993 StB PK Berlin Staatsbibliothek zu Berlin. Preußischer Kulturbesitz StUB Bremen Staats- und Universitätsbibliothek Bremen StUB Göttingen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, Abteilung Spezial­ sammlungen und Bestanderhaltung stud. phil. Student der Philosophie südital. süditalienisch TH Technische Hochschule theol. theologisch ThULB Jena Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena, Abteilung Handschriften und Sondersammlungen Tl. / Thl. Teil tschech. tschechisch ThUL Jena Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek u. a. unter anderem UA Leipzig Universitätsarchiv Leipzig UB Universitätsbibliothek UB Bremen Universitätsbibliothek Bremen UB Erlangen Universitätsbibliothek Erlangen

490 UB Kiel UB Leipzig UB Marburg UB Heidelberg UB Tübingen, HIS

Siglen- und Abkürzungsverzeichnis

Universitätsbibliothek Kiel Universitätsbibliothek Leipzig Universitätsbibliothek Marburg Universitätsbibliothek Heidelberg Universitätsbibliothek Tübingen, Handschriften- und Inkunabelnsammlung Übers. / übers. Übersetzung / übersetzt ULB Bonn Universität- und Landesbibliothek Bonn umgearb. umgearbeitet ungedr. ungedruckt ungek. ungekürzt v / verso Rückseite VA Verlagsarchiv v. a. vor allem v. Chr. vor Christus verb. verbessert verm. vermehrt vgl. vergleiche vs. versus WA Wiederabdruck wiss. wissenschaftlich ZB Zentralbibliothek Zf V Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft. Hg. von Moritz Lazarus und Heymann Steinthal. 20 Bde. Berlin 1860–1890 ZPhphK Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik

Register der Briefpartner Die normalen Ziffern verweisen auf die Nummern der Briefe von Dilthey, die kursiven auf Briefe an Dilthey.

Adickes, Erich (1866–1928): Philosoph  1072, 1291, 1352, 1353, 1355, 1359, 1361, 1364, 1368 Althoff, Friedrich Theodor (1839–1908): preuß. Kulturpolitiker  989, 1025, 1028, 1112, 1177, 1292, 1317, 1321, 1326, 1343 Benndorf, Otto (1838–1907): klass. Philologe und Archäologe  1045, 1062, 1098, 1105, 1116, 1117, 1118 Berner, Albert Friedrich (1818–1907): Jurist und Philosoph  1300 Beth, Karl (1872–1959): ev. Theologe und Religionswissenschaftler  1084, 1085 Boll, Franz (1867–1924): klass. Philologe, Astronomiehistoriker und Bibliothekar 1071 Bosse, Robert (1832–1901): 1892–1899 preuß. Kultusminister  1019 Brentano, Lujo (1844–1931): Nationalökonom 1216 Bülow, Bernhard Fürst von (1849–1929): Jurist und Politiker  1378 Burdach, Konrad (1859–1936): Literaturwissenschaftler  1279, 1301 Darmstädter, Ludwig (1846–1927): Chemiker, Wissenschaftshistoriker und Autographensammler  1229, 1230 David, Heinrich (1856–1935): Schweizer Jurist und Politiker  1224

Delbrück, Hans (1848–1929): Histo­ riker und Politiker  1052 Dessoir, Max (1867–1947): Philosoph und Psychologe  1196 Diels, Hermann (1848–1922): klass. Philologe und Philosophiehistoriker 982, 994, 998, 1001, 1018, 1035, 1199, 1248, 1253, 1273, 1274, 1369, 1372 Dieterich, Albrecht (1866–1908): klass. Philologe und Religionswissenschaftler  1385 Dilthey, Clara (1877–1967): älteste Tochter D.s  1173 Dilthey, Karl (1839–1907): klass. Philologe und Archäologe; D.s Bruder  1092, 1107, 1131, 1179, 1213, 1214, 1221 Diltheys Familie  1312 Diltheys Kinder  1169 Erdmann, Benno (1851–1921): Philosoph  1223, 1280 Eduard Max Vollrath Friedrich zu SalmHorstmar, Prinz (1841–1923): preuß. General  1190 Erman, Wilhelm (1850–1932): klass. Philologe, Philosoph und Bibliothekar  1195, 1242 Escher, Hermann (1857–1938): Bibliothekar 1272 Eucken, Rudolf (1846–1926): Philosoph  1245, 1365

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Register der Briefpartner

Falckenberg, Richard (1851–1920): Philosophiehistoriker  1293 Fiebiger, Otto (1869–1946): klass. Philologe und Bibliothekar  1007, 1012 Fischer, Kuno (1824–1907): Philosoph und Philosophiehistoriker  1031, 1057, 1073, 1136, 1153 Foerster, Erich (1865–1945): ev. Theologe  1122 Franzos, Karl Emil (1848–1904): österr. Schriftsteller und Publizist  1135, 1139, 1142 Frenzel, Karl (1827–1914): Schrift­ steller, Redakteur und Theaterkritiker  1120, 1294 Freudenthal, Jacob (1839–1907): Philosoph  1281 Glogau, Marie: Ehefrau des Philosophen Gustav Glogau  1008 Graeber, Fritz (1848–1917): ev. Theologe  1027 Graef, Fritz (1860–1936): Lehrer  1295 Grimm, Herman (1828–1901): Kunstund Literarhistoriker  1096 Gruyter, Walter de (1862–1923): Germanist und Verleger  1074, 1089, 1318, 1323, 1327 Hagen, Ernst (1851–1923): Physiker  1126 Hagen, Ernst Bessel (1851–1923): Physiker 1309 Halpern, Isidor (1876–1932): poln. Philosoph  1296 Harnack, Adolf von (1851–1930): ev. Theologe und Kirchenhistoriker  1043, 1088, 1297 Heinze, Max (1835–1909): Philosoph  978, 995, 1200 Hermann, Johannes: Gymnasiallehrer  1282 Hirschberg, Eugen (geb. 1849): Romanist  1306

Höffding, Harald (1843–1931): dän. Religionsphilosoph  1068, 1156, 1225 Jaffé, Ernst (1873–1916): Kunsthisto­ riker  1247 Jodl, Friedrich (1849–1914): Philosoph und Psychologe  1123, 1138 Joël, Karl (1864–1934): Philosoph  1283 Jonas, Fritz (1845–1920): Gymnasiallehrer und Literaturhistoriker  1099, 1106, 1180 Justi, Carl (1832–1912): Kunsthistoriker und Philosoph  1165, 1166 Kabitz, Willy (1876–1942): Philosoph  1189, 1252, 1277, 1313, 1320, 1322, 1325, 1366 Kalckreuth, Gräfin Bertha von ­(1864–1928): Graf Paul Yorcks Tochter; Ehefrau des Malers Graf Leopold von Kalckreuth  1000, 1284 Kekúle von Stradonitz, Reinhard ­(1839–1911): Archäologe  1090 Koepp, Friedrich (1860–1944): Archäologe und Historiker; Neffe D.s  1285 Laßwitz, Kurd (1848–1910): Philosoph und Schriftsteller  1044, 1051, 1054, 1076, 1079, 1081, 1086, 1087, 1091, 1108, 1130, 1144, 1145, 1146, 1152, 1217, 1218, 1219, 1256 Lenz, Max (1850–1932): Historiker  1186 Lepsius, Reinhold (1857–1922): Maler  1340 Lindsay, James (1846–1931): schott. Religionsphilosoph  1276 Matthias, Adolf (1847–1917): Pädagoge  1194 Menzer, Paul (1873–1960): Philosoph und Pädagoge  1266, 1360 Meyer, E. Rudolf: Biograph Schleier­ machers  1261

Register der Briefpartner

Meyer, Jürgen Bona (1829–1897): Philosoph  988 Misch, Georg (1878–1965): Philosoph  1350 Mommsen, Theodor (1817–1903): Historiker  1127, 1128, 1129, 1244 Münsterberg, Hugo (1863–1916): Psychologe und Philosoph  1004 Múgica Ortiz de Zárate, Pedro de (1854–1944): span. Philologe und Musikkritiker  1335, 1336 Natorp, Paul (1854–1924): Philosoph und Pädagoge  1215, 1286, 1311, 1373, 1374 Nohl, Herman (1879–1960): Philosoph und Pädagoge  1184, 1257, 1270, 1307, 1315, 1316, 1324, 1333, 1354, 1356, 1357, 1375 Oser, Johann (1833–1912): österr. Chemiker 1345 Otto, Rudolf (1869–1937): Religions­ wissenschaftler und ev. Theologe  1141, 1238 Paetel, Gebrüder: Verleger  1348 Paulsen, Friedrich (1846–1908): Philosoph und Pädagoge  997, 1101, 1386 Poske, Friedrich (1852–1925): Pädagoge  1069 Raabe, Wilhelm (1831–1910): Schriftsteller  1205, 1349, 1351 Rehmke, Johannes (1848–1930): Philosoph  1287 Reimer: Verlagsbuchhandlung  1067 Rethwisch, Conrad (1845–1921): Pädagoge und Historiker  1334 Richthofen, Ferdinand Freiherr von (1833–1905): Geograph  1308 Rickert, Heinrich (1863–1936): Philosoph 1132

493

Riehl, Alois (1844–1924): österr. Philosoph  1298, 1381 Ritter, Paul (1872–1954): Philosoph und Historiker  1159, 1160, 1161, 1167, 1168, 1170, 1171, 1172, 1174, 1175, 1176, 1187, 1191, 1192, 1193, 1197, 1203, 1206, 1207, 1208, 1209, 1210, 1211, 1212, 1232, 1233, 1234, 1241, 1254, 1255, 1260, 1263, 1264, 1268, 1271, 1310, 1319, 1328, 1329, 1330, 1331, 1339, 1341, 1342, 1344, 1346, 1370, 1371, 1379 Rodenberg, Julius (1831–1914): Journalist und Schriftsteller  1037, 1097, 1149, 1150, 1151, 1155, 1185 Runze, Georg (1852–1938): ev. Theologe und Religionspsychologe  1003 Schelling, Ludwig Hermann von (1824–1908): Jurist, preuß. Staats­ minister; Sohn des Philosophen F. W. J. Schelling  1258, 1262 Schiemann, Theodor (1847–1921): Historiker und Archivar  1005 Schmekel, August (1857–1934): klass. Philologe und Philosophiehistoriker  1377 Schmidt, Elisabeth: Witwe des Literaturhistorikers und Publizisten Julian Schmidt  1303 Schmoller, Gustav von (1838–1917): Nationalökonom  1060, 1077, 1095, 1250 Schönleber, Hermann (1860–1943): klass. Philologe und Redakteur  1314 Schultz, Karl (1878–1956): Lehrer und Heimatforscher  1269 Schuppe, Wilhelm (1836–1913): Philosoph  1053, 1140 Schwarz, Hermann (1864–1951): Philosoph  1227 Seeberg, Reinold (1859–1935): ev. Theologe  1305

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Register der Briefpartner

Siebeck, Paul (1855–1920): Verlagsleiter  1337 Sigwart, Christoph (1830–1904): Philosoph  1288 Sommer, Robert (1864–1937: Psychiater und Philosoph  1304 Spranger, Eduard (1882–1963): Philosoph, Pädagoge und Psychologe  1249 Stein, Ludwig (1859–1930): Philosoph und Soziologe  1109, 1278 Stern, William (1871–1938): Psychologe und Philosoph  1302 Stieda, Wilhelm (1852–1933): Nationalökonom, Wirtschaftshistoriker und Sozialreformer 1013 Studenten  1231 Studt, Conrad von (1838–1921): Jurist und Ministerialbeamter; 1899–1907 preuß. Kultusminister  1265, 1387 Stumpf, Carl (1848–1936): Psychologe und Philosoph  980, 1002 Sommer, Robert (1864–1937): Psychiater  1304 Tille, Alexander (1866–1912): Philosoph, Germanist und Wirtschaftsfunktionär  1030 Tönnies, Ferdinand (1855–1936): Philosoph und Soziologe  1055, 1178 Treitschke, Heinrich von (1834–1896): Historiker 983 Tumarkin, Anna (1875–1951): russ.schweiz. Philosophin  1289 Unbekannt 1222 Usener, Hermann (1834–1905): klass. Philologe; Schwager D.s  990, 992, 1016, 1021, 1022, 1093, 1094, 1121, 1133, 1137, 1162, 1163, 1181, 1201, 1220, 1290, 1367, 1380, 1382, 1384 Usener, Lily (1846–1920): Ehefrau von H. Usener; D.s Schwester  1046, 1093, 1121, 1133, 1137, 1383

Vahlen, Johannes (1830–1911): klass. Philologe  1147, 1347 Vaihinger, Hans (1852–1933): Philosoph  1032, 1047, 1056, 1070, 1100, 1119, 1124, 1158, 1198, 1202, 1235 Vischer, Robert (1847–1933): Kunsthistoriker  1103, 1164 Wagner, Cosima (1837–1930): Ehefrau von Richard Wagner  1226, 1236 Wapler, Paul: Student D.s  1267 Werner, Anton von (1843–1915): Maler; Direktor der Akademie der Künste zu Berlin  1125 Wildenbruch, Ernst von (1845–1909): Dichter; Schwager Graf Paul Yorcks  986, 987, 1024, 1039, 1040, 1143, 1154, 1157, 1188, 1204, 1243, 1251, 1259, 1376 Wildenbruch, Ernst und Maria von (1847–1920): seit 1885 verheiratet  1058, 1204, 1275 Wilhelm II. (1859–1941): von 1888 bis 1918 Deutscher Kaiser und König von Preußen  1182, 1362 Windelband, Wilhelm (1848–1915): Philosoph  1239 Wobbermin, Georg (1869–1943): ev. Theologe  1299 Wolzogen, Hans von (1848–1938): Redakteur, Biograph und Werkinterpret R. Wagners  1246 Wundt, Wilhelm (1832–1920): Physiologe, Psychologe und Philosoph 996 Yorck von Wartenburg, Graf Hans (1844–1912): jüngerer Bruder Graf Paul Yorcks  999 Yorck von Wartenburg, Graf Heinrich (1861–1923): Jurist und Gutsherr; ältester Sohn Graf Paul Yorcks  1083, 1102, 1104, 1110,1111, 1113, 1115, 1134, 1228, 1237, 1338

Register der Briefpartner

Yorck von Wartenburg, Graf Paul von (1835–1897): Jurist, Gutsbesitzer und Philosoph  979, 981, 984, 991, 993, 1006, 1009, 1010, 1011, 1014, 1015. 1017, 1020, 1023, 1026, 1029, 1034, 1036, 1038, 1041, 1042, 1048, 1049,

495

1050, 1059, 1061, 1063, 1064, 1065, 1066, 1075, 1078, 1080, 1082 Zeller, Eduard ( 1814–1908): Philosophie­ historiker und ev. Theologe  1033, 1114, 1148, 1183, 1332, 1358, 1363

Personenregister

Achenwall, G.  440, 442, 466 f. Adickes, E.  1 f., 10 ff., 44 ff., 63 f., 82, 91, 123–126, 147, 164, 312, 315, 332 f., 393, 406 f., 413, 440, 442, 448, 457, 467 Alberich, Abt  56 Althoff, F. Th.  20 ff., 106, 116, 191, 256, 259 f., 287, 298, 300, 304, 309 ff., 354, 403, 412, 474, 482 Althoff, M.  22, 402 f., 407 Althusius, J.  249 f. Ambros, A. W.  472 f. Antisthenes von Athen  57 f., 60, 65, 108 Apelt, O.  109 Aribau, B. C.  422 f. Aristoteles  47, 57 f., 60, 65 f., 102, 118, 245, 262, 278 Arnim, A. von  40 f. Arnoldt, E.  228 f. Asensio, J. M.  420 Auguste Viktoria, Ehefrau von Wilhelm II.  396 Auwers, A. von  123 Ayamonte, Marquis de  421 Bach, J. S.  453 Baeumker, C.  476 f., 481 Barth, P.  137 Basedow, J. B.  203, 205 Baudius, A.  358 Baumann, J.  20 f. Baumeister, Chr. A.  349 f. Baumgarten, A. G.  439–442, 444–448, 455, 458, 466 f. Baur, F. Chr.  31 f., 104, 107, 278, 338 f., 396 f., 417 Baur, P.  192, 461 Bause 349 Becher, J. J.  256, 324 f.

Beethoven, L. van  115 Bender, W.  70 ff., 78 Benfey, Th.  282, 284 Benndorf, O.  112, 178, 201 Benndorf, S.  195 Bentham, J.  76 f. Berkeley, G.  150 f. Berlichingen, G. von  334 Berlichingen, S. Freiin von  106, 183 Bernays, J.  102 f. Berner, A. F.  385 Bernoulli, C. A.  140 f., 156 f. Beth, K.  161, 168 Beutler, E.  151, 167, 318 Bing, J.  40 f. Bismarck, Fürst O. von  98 f., 133, 261 f., 471 Bleek, H.  200 f. Blochmann, E.  266, 430, 453 Blumtritt, O.  69 Boeckh, A.  396, 398 Boll, F.  145 Bonsart, A.  81 f. Bosse, R.  20 f., 76, 203 Bouterwek, F.  355 Boutroux, É.  280, 353 Bowle, J.  422 f. Bracht, E.  140 f. Brahms, J.  137 Brentano, C.  297 Brentano, L.  131, 304, 470 f. Brinkmann, C. G. von  349 f. Brocke, B. vom  106 Brockhoff, F.  85 Broicher, M. Ch.  248 Broicher, O.  248 Brunner, H.  10 f. Bruno, Giordano  136 f. Buffon, G.-L. Leclere, Comte de  154

Personenregister

Bülow, B. Fürst von  475 Bülow, D. von  182 Bülow, H. von  182, 318 Bunsen, R. W.  394 Burckhardt, J.  243 Burdach, K.  310, 312, 367, 386 Burke, E.  246 f. Busse, L.  62, 64 Buttmann, Ph. K.  103, 281–284 Camerarius (der Ältere), J.  239, 241 Campbell, L.  131 Caprivi, L. von  471 Carlyle, Th.  176 Cartellieri, A.  120 f. Cassirer, E.  288, 320, 405 f. Cervantes, M. de  419–423 Chemnitz, M.  150 f. Cicero  13, 331, 398 Clemens Alexandrinus  102 f. Cohen, H.  320 Comte, A.  27 f., 205 Condorcet, Marquis de  317 f. Coste, D.  247 f. Cousin, V.  20 f. Couturat, L.  320, 404 ff., 408, 410 Crönert, W.  277 Crüger, E.  179 Curtius, E.  70, 72 f. Curtius, R.  135 D’Alembert, Jean-Baptiste le Rond  85, 390 Darmstädter, L.  321 David, H.  315 Delbrück, H.  120 Demokrit von Abdera  14, 59, 85 Demosthenes 282 Dessoir, M.  36 f., 44, 46 f., 67, 75, 77, 275 Dettmann, L.  140 f. Diderot, D.  85 Diels, H.  11 f., 22, 24, 27, 29, 46 f., 86, 94, 120, 129, 134, 164, 176 f., 225,

497

239, 280, 298, 300, 312, 337, 342, 353, 362, 368 f., 394 ff., 430 Dieterich, A.  199, 216, 300 ff., 483 f. Dieterich, H. A.  301 f. Dieterich, M.  302, 484 Dilthey, Clara  VII, 17 f., 23, 104, 115, 117 f., 174, 176, 212, 218, 226, 236, 238, 242, 246 f., 250, 254 ff., 260, 262, 268, 272 f., 276, 283, 287, 293, 316, 324 f., 327, 369, 371, 385, 391, 400–403, 410, 412, 415, 423, 428 f., 435, 452, 461, 463, 464, 471 Dilthey, Karl  V, 13 f., 23, 25, 30, 112, 171, 174, 178, 184, 186, 210, 240, 299, 301, 433, 480 Dilthey, Katharina  VII, 1 f., 17, 22 f., 52, 69, 79, 97, 100, 114, 116 f., 120 f., 127, 153, 168, 172 ff., 181, 183, 185, 191 f., 194 f., 199, 212, 215 f., 227, 233, 236 f., 249, 260, 270, 272, 280, 283, 286, 288, 291, 293, 303, 318, 325, 338, 362 f., 365, 368–371, 375, 383 ff., 388, 398, 401 ff., 407, 413 ff., 423, 428 Dilthey, Leni  16 f., 170 f., 237, 246 ff., 260, 263, 283, 287, 293, 311, 369, 371 Dilthey, Maximilian  1 f., 22 f., 30, 52, 57, 69, 79, 117 f., 130, 169, 172, 191, 212, 216, 246 ff., 250, 252, 260, 270 f., 283, 287, 293, 369, 371, 404, 414, 473 Dilthey, Maximilian August Franz  55 f. Diodoros 66 Diogenes Laertius  108 f., 117 f. Docen, B. J.  144 f. Döring, A.  46, 67, 73 f., 76 Dove, A.  131 Du Bois-Reymond, E.  177, 207 Dubos, J.-B.  344 f. Dümmler, F.  134 f. Dunkmann, K. J.  85 f. Dürer, A.  327 f., 453

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Personenregister

Ebbinghaus, H.  V f., 1 f., 4, 6, 24, 28, 34, 38, 44, 70 f., 78, 387 Eberhard, J. A.  439–442, 466 Ebers, G. M.  20 f. Eckermann, J. P.  85 Ehlers, D.  48, 129, 193, 243, 312, 399 Eichhorn, J. A. F.  346 f. Eigler, G.  135 Elster, L.  406 f. Erasmus von Rotterdam  220 ff. Erdmann, B.  1 f., 70, 72, 78, 124, 140, 155, 163 f., 228 f., 314, 439, 443, 450, 467 f., 470, 476, 479–482 Erdmann, J. E.  72, 280, 406 f. Erdmannsdörffer, B.  266 f., 277 Erman, W.  275 Escher, H.  360 Eubulides 66 Eucken, I.  335, 463 Eucken, R.  20 f., 38, 335 Eukleides von Megara  66 Falckenberg, R.  38 Falkenheim. H.  242 Faria e Sousa, M. de  421 Fechner, G. Th.  134 f. Fetscher, I.  150 Feuerbach, A.  391, 400 Feyl, O.  463 Fichte, I. H.  61, 342 Fichte, J. G.  20, 61, 144 f., 154, 270, 276, 340 ff. Fiebiger, O.  53 Fischer, Chr. L.  229 f. Fischer, K.  93, 95 f., 127, 138, 148, 230 f., 329, 408 Foerster, E.  200 Fontane, Th.  288 f. Förster-Nietzsche, E.  134 f. Franke 304 Franzos, K. E.  215 Frenzel, K.  198 Freudenthal, J.  71 f., 369, 476 Frey, A.  373 f.

Freytag, G.  246 f. Friedrich I. von Baden, Großherzog  260 Friedrich II. (der Große)  176 f., 469 Friedrich III.  232 Friedrich von Waldeck, Erbprinz  33 Friedrich Wilhelm I.  324 Friedrich Wilhelm II.  247, 274 f. Friedrich Wilhelm III.  197 f., 202 Frischeisen-Köhler, M.  320 f., 457 Gahmann, M.  VIII Galilei, G.  477 Gantner, J.  245 García Rodríguez, M.  VIII Gassendi, P.  239, 241 Gebhardt, B.  285 f. Geibel, C. St.  251 f. Geiger, L.  360 Gerhardt, C. I.  117 Gerhardt, K. A. Chr. J.  47 f. Gerhardt, V.  46 Germain, S.  205 Gibbon, E.  317, 319 Gierke, O. von  38 f., 303 f. Gizycki, G. von  37, 46, 74–77 Glasenapp, C. F.  326, 336 Glaser, A.  433 Glockner, H.  242 Glogau, G.  54 Glogau, M.  54 Gobineau, A. Graf von  80 Goedecke, K.  360 Goethe, J. W. von  40 f., 43, 59, 83 ff., 116, 136, 149 ff., 154, 167, 190, 204, 229, 247, 265, 317 f., 323, 326, 328, 367, 370, 434 Goldscheider, A.  23, 25, 99 Gomperz, H.  66, 133, 135, 449 Gomperz, Th.  13 f., 66, 133, 135 Góngora, L. de  422 f. Göring, H.  203 ff. Goß, W.  161 Graeber, F. 86 Graef, F.  380

Personenregister

Gregor VII., Papst  52 f. Grimm, H.  14, 44, 242 f., 266 f. Groethuysen, B.  227, 232, 261, 274, 320, 362, 398, 449 Groos, K.  27 f., 44, 46, 314 f. Grosse, E.  27 f. Grote, G.  60, 65 f. Grotius, H.  249 f. Gründer, K.  106, 132, 154, 157, 181, 189, 192, 194, 214 Gruyter, W. de  149, 313 f., 404, 409, 413 Haensell, P. K. A.  86 ff. Hagen, A.  179, 198 Hagen, E.  179, 184 f., 205 f. Hagen, E. B.  394 Hagen, K. G.  179, 394 Halbe, M.  16 f. Halpern, I.  381 Hamann, J. G.  356 f. Händel, G. F.  453 Harnack, A. von  31 f., 89 f., 105 f., 108 f., 167, 231, 237, 239, 269, 278 ff., 338 f., 383 Hartenstein, G.  88, 90, 94, 165 f., 354 f., 458 f. Hauptmann, G.  16 f., 97 f., 140 f. Haym, R.  179 f., 277, 285, 319, 478 Hegel, G. W. F.  20 f., 69, 76, 107, 126, 136, 159, 241 f., 323, 330, 347, 352, 391, 396, 400 f., 468, 476 Hegel, K.  330 Heindorf, L. F.  283 f. Heinrich IV.  53 Heinze, K.  33 f. Heinze, Margarete  33 f., 281 Heinze, Max  2, 11, 22, 34, 65–68, 72, 77, 79, 91, 102 f., 126, 134 f., 280 f., 455, 458 f., 461 f. Helmholtz, A. von  81, 226 f., 229, 317 f. Helmholtz, H. von  70, 72, 81, 150, 160, 177, 179, 317, 394, 396 f. Heraklit  58 ff., 102, 105 f., 108, 116, 118, 191, 213

499

Herbart, J. F.  35, 418 Herder, J. G.  83, 367, 379 Hermann, J.  370 Hermann, L.  206 ff. Herrera, F. de  420 f. Herrmann, M.  418 Herrmann, U.  412 Hertzberg, E. F. von  253 Heubaum, A.  114, 141, 143, 154, 175, 177, 188, 230, 255 ff., 273 f., 386 Heyking, E. Baronin von  402 Hildebrand, A. von  244 f., 478 Hildebrandt, G.  69 Hi1mer  349 f. Hippel (der Ältere), Th. G. von  434 f. Hippolytos  102 f. Hirschberg, E.  391 Höffding, H.  83, 85, 142, 316 Hoffmeister, K.  417 f. Höfler, A.  345 Hofmann, F.  396, 398 Hohenlohe-Schillingsfürst, Chl. Fürst zu  133, 135 Hölderlin, F.  265, 330 Homer 240 Hoppe, K.  289, 433, 436 Horaz 260 Huber, R.  143 Humboldt, W. von  248, 287 Husserl, E.  62 ff., 464 f. Hutten, U. von  221 f. Ichthyas 66 Iggers, G. G.  80, 380 Iselin, I.  205 Jacobi, F. H.  340 Jactot, J. J.  205 Jaffé, E.  337 James, W.  28, 35 f. Jäsche, G. B.  444, 448 Jean Paul  426 f., 434 f. Jensen, B. E.  142, 232, 316 Jesus von Nazareth  107

500

Personenregister

Jodl, F.  202 Joël, K.  134 f., 315, 370 Johann Friedrich, Herzog von Braunschweig und Hannover  408 Jonas, F.  32 f., 261, 417 f., 445, 448 Jonas, L.  33, 158 ff., 178 Justi, C.  243 f., 480 Justi, F.  242 f. Kabitz, W.  VI f., 266, 271, 331 f., 341 ff., 348, 353, 365, 404 f., 410, 464 Kahl, W.  303 f. Kähler, M.  197 f., 202 f. Kaibel, G.  297 ff., 301 Kalckreuth, Graf J. von  43 Kalckreuth, Graf L. von  42 f., 138 ff., 362, 371, 395 Kalckreuth, Graf W. von  42 f. Kalckreuth, Graf. St. von  43 Kalckreuth, Gräfin A. von  43 Kalckreuth, Gräfin Bertha von (­ Mutter)  56, 140, 362, 371, 395, 423 Kalckreuth, Gräfin Bertha von (­ Tochter)  43 Kalckreuth, Gräfin Chr. von  43 Kalckreuth, Gräfin M. von  42 f. Kant, I.  VI f., 1 f., 11 f., 15, 20, 22 ff., 26, 31 ff., 45 f., 54, 57, 63 f. 73, 82 f., 87 ff., 92–96, 98, 107, ­110–116, 118 ff., 122–126, 129, 132, 134, 136, 140, 143–150, 154, 164 f., 175, 178 ff., 184 f., 187, 198, 206 f., 209, 212, 214, 216, 224 f., 228 f., 234, 270, 274 f., 278, 302, 305 f., 308, 329, 332 f., 353 f., 356 f., 377, 382, 393 f., 406, 418, 428, 435–448, 450 f., 454 f., 457 ff., 462, 466 f., 472, 476 f. Kehr, P.  311 f. Kehrbach, K.  123, 418 Kekulé von Stradonitz, R.  169, 309, 360 Kidd, B.  120 f. Kierkegaard, S.  83, 85 Kiesewetter, J. G. K. Chr.  440 Kirchhoff, G. R.  396 f.

Knapp, G. Chr.  197 f. Knapp, J. G.  197 f. Koepp, Ferdinand G. Ph.  185 f. Koepp, Friedrich (Vater)  185 f., 300 f. Koepp, Friedrich (Sohn)  300, 302, 373 Koepp, K.  185 f., 373 Koepp, M.  300 f., 372 f. Koepp, W.  300, 302, 373 Kohlrausch, F.  174 f. Köhnke, K. Chr.  46, 76 Körner, Chr. G.  359 f. Kraus, Chr. J.  143 f. Krause, C. E. A.  86 ff. Kretschmer, P.  310 ff. Kronos 66 Kühne, L.  VIII Külpe, O.  1 f. Lachelier, J.  280 Lagarde, P. de  311 f. Lamprecht, K.  80, 379 f. Landolt, H. H.  174 f., 360 Lassalle, F.  102 f. Lasson, A.  46, 67, 69, 75 ff. Laßwitz, E.  228 f. Laßwitz, K.  62, 64, 111, 120, 123, 152, 157, 164, 209, 223 f., 229, 306, 308, 355 Laubmann, G. von  144 f. Lazarus, M.  49 Lehmann, G.  225, 439, 442, 448, 451, 457, 459, 462, 467 Leibniz, G. W.  VI, 84, 116 f., 203, 205, 232, 235, 239, 266, 272 f., 278 ff., 287 f., 296, 320, 324, 332, 343, 348, 353, 357, 359, 362, 365, 404 f., 407 f., 410, 415, 429, 432, 434, 453, 463 f., 469 Lenz, M.  246, 268, 356 f., 360 Leo, F.  300 f., 310 f. Leopold I.  284 Lepsius, R.  248, 251 f., 334, 386 Lepsius, S.  252, 334, 386, 425 Lessing, G. E.  203, 205, 367

Personenregister

Leukipp 85 Lexis, W.  300 f., 311 f. Leyden, E. V. von  18 f., 42 f. Linck, J. K.  179 Lindsay, J.  364 Lipps, Th.  28, 38, 71 Lischke, R.-J.  412 Liszt, F.  318 Litt, Th.  415 Litzmann, B.  99, 127, 222, 231, 233, 289 Locke, J.  478 Lommatsch, C. B.  49 Lorenz, St.  VIII, 280, 353 Lotze, R. H.  21, 31 f., 62, 64, 72, 76, 129, 150, 159 Lücke, F.  66 Luise von Preußen  260 Luther, M.  32, 151, 221 f. Mach, E.  135 Machiavelli, N.  9 Martius, G.  63 f., 71 Marty, A.  70, 72 Massow, J. E. von  197 f., 202 Matthias, A.  274 Maupertuis, P.-L. Moreau de  176 f. Mehring, R.  46 Meier, E. von  260 Meier, G. F.  440, 442, 466 f. Meisner, H.  208, 294 Meister Eckart  76 Melanchthon, Ph.  151, 239 Mellin, G. S. A.  457 Mellisos 85 Menéndes y Pelayo, M. 420 f. Menzer, P.  VII, 54 f., 58, 63, 74, 76, 87, 93 f., 96, 111 f., 115, 120, 123 ff., 132, 144, 149, 152, 155, 157, 164 ff., 178 f., 184 f., 187, 206, 209, 217, 219, 223 ff., 228, 234, 257, 274 f., 302, 307, 333, 345, 373, 394, 428, 431, 443, 450, 452 Merian, J. B.  344 f. Meyer, E. 467 f.

501

Meyer, E. R.  350 Meyer, J. B.  21, 70 ff., 480 Miller, J. M.  435 Milozewski 242 Miquel, J. F. von  262 Misch, Clara  s. Dilthey, Clara Misch, G.  262, 268, 272, 290, 293, 295, 435, 472, 474 Mommsen, H.  334 f. Mommsen, M. A.  334 f. Mommsen, Th.  206, 280, 302 ff., 326, 334 f., 353, 369 f., 390, 396, 470 Montesquieu, Baron de  317 f. Moore, Thomas (Dichter) 264 Moore, Thomas (Seelsorger)  349 f. Moritz, K. Ph.  149 ff., 154, 434 f. Möser, J.  317 f. Mosson, A.  19, 21 Mozart, W. A.  473 Múgica Ortiz de Zárate, P.  420 Mulert, H.  189 Müller, C. H.  170 f. Müller, O.  170 f., 210 Münsterberg, H.  51 Nath, M.  343 Natorp, P.  122 f., 163 f., 313 f., 472, 476, 481 Naumann, O.  81 f., 106 Navarrete, M. F. de  422 f. Nestle, W.  66 Neumann, C.  402 Newton, I.  239 Niebuhr, B. G.  61, 249, 278, 287, 289, 396 Niemeyer, A. H.  197 f., 202 Niemeyer, M. D.  285 Niethammer, F. I.  330 f. Nietzsche, F.  91, 124, 134 f., 204, 325, 477 Nikolai, F.  345 Nohl, H.  VII, 266, 321, 351, 358, 391, 400, 402 ff., 409, 421 f., 429 f., 449, 453, 470, 473

502

Personenregister

Nösselt, J. A.  197 f. Novalis  40 f., 144 Oesterreich, T. K.  321 Okeley, S.  349 f. Olfers, M. von  136 f. Olfers, N. von  136 f. Oser, J.  430 Oser-Wittgenstein, B.  430, 449, 472 f. Otto, Chr.  434 f. Otto, R.  219, 328 Pacheco del Rio, F.  423 f. Paetel, E.  295 f., 414 Paetel, G.  414 Paetel, H.  295 f. Parey, P.  207 Parmenides  57 f., 85, 118 Paulsen, F.  37, 45 f., 67, 73, 90, 116 f., 321, 338, 341, 430 Paulsen, L.  484 Paulus, H. E. G.  330 Pellicer, J. A.  422 f. Peter, H.-W.  436 Peukert 293 Pfeiffer, F.  76 f. Pfleiderer, E.  121, 139 Philon 66 Platon  57–60, 65 f., 72, 83, 98, 102, 106, 108, 113 f., 116, 128, 131, 135, 159, 213, 240, 262, 270, 283, 477 Plessing, F. V. L.  224 f. Poincaré, H.  280, 353 Polenz, W. von  432 f. Pölitz, K. H. L.  441, 455, 457 Polybius 9 Poske, F.  143 Posonyi, A.  111 f., 132, 178, 184 Pott, A. F.  282, 284 Prellwitz, G.  269 Protagoras  14, 85 Püttmann, C.  23, 26 Raabe, W.  289, 433

Rade, M.  383 f. Radzewill, A. Fürst von  133, 135 Ranke, L. von  159, 287, 289, 380 Rath, Adolph von  133 f., 208, 228, 256, 386 Rath, Anna von  133 f. Raths  119, 166 Rebenich, St.  304 Rehmke, J.  374 Reichlin-Meldegg, K. A. Freiherr von  330 f. Reicke, J.  87 f. Reicke, R.  22, 73, 82 f., 86 ff., 91 f., 95, 126, 146 f., 168, 186 f., 209, 224 f., 228, 234, 274, 329, 442 f., 445, 466 Reimer, E. H.  314 Reimer, G. E.  61, 149, 187, 270 Reimer, M.  21 Rein, W.  257 Reinhold, C. L. 340 Rethwisch, C.  418 Revilla Moreno, M. de la  419 f. Reyer, A.  383 Ribbeck, E.  284 Ribbeck, O.  282 ff. Richthofen, F. Freiherr von  362, 392 Rickert, H.  211, 376, 464 f., 482 Riehl, A.  38, 70 ff., 134 f., 285, 383, 467 f., 476, 478, 480 f., 483 Riehl, S.  70, 72, 382 f. Riemer, F. W.  85 Rindert, J.  46 Rink, D. F. Th.  302, 440, 445, 448 Ritschl, A.  32, 55 f., 107, 136 f., 150, 154, 338 Ritschl, F.  103 Ritschl, O.  31 f. Ritter, H.  129, 159 f. Ritter, P.  VI f., 235 f., 246 ff., 250 ff., 286, 292 f., 296, 332, 343, 349, 352 f., 357, 365, 386, 394, 404 f., 424, 426, 429, 431 f., 464, 469, 476 Rodenberg, J.  101, 226 ff., 245, 248 f.

Personenregister

Rodi, F.  VIII Rosenkranz, K.  49, 445, 448 Rößler, J.  244 Rossmann, K.  304 Roth, K. J. F.  144 f. Rothacker, E.  139 Röthe, G.  296 f., 299, 310 f. Rousseau, J. J.  83 ff., 150 Runze, G.  49 Sachs, C.  337 Sack, F. S. G.  61, 200 f. Salm-Horstmar, Prinz Eduard Max Vollrath Friedrich zu  271 Sbarbi, J. M.  419 f. Scaligero, G. C.  421 Scheffner, J. G.  356 f. Schellendorf, H. A. A. B. von  82 Schelling, F. W. J.  61, 85, 136, 147, 150, 154, 328, 330, 346 f. Schelling, L. H. von  347 Scherer, W.  297, 299, 418 Schiemann, Th.  51 Schiller, F. von  40 f., 53, 99, 130, 359 f., 417 f. Schirrmacher, F. W.  62 ff. Schlapp, O.  328 f. Schlechta, K.  135 Schlegel, A. W.  61, 145 Schlegel, F.  113 f., 144, 246 Schleiermacher, Ch.  349 f. Schleiermacher, F. D. E.  VI, 33, 48 f., 51 ff., 57, 59 ff., 65 f., 85 f., 98 f., 102 f., 107 ff., 113 f., 116, 128 ff., 134, 136 ff., 140, 144, 147, 149 f., 152 ff., 156, 158–162, 167, 172, 178, 183, 188 f., 192, 197, 199–203, 211 f., 219, 245, 248 f., 251, 256, 267 f., 276, 278, 283, 287, 289, 295, 327 f., 338, 346 f., 349 f., 369, 378 f., 381, 384, 396, 398 Schleiermacher, N.  349 f. Schlieper 252 Schmekel, A.  13 f., 187 f., 191, 230, 474

503

Schmidt, Elisabeth  269, 388 Schmidt, Erich  98 f., 326, 385 Schmidt, Johannes  297, 299 Schmidt, Julian  269, 388 Schmoller, G. von  10 f., 46, 67 f., 73, 105, 152, 176, 251 f. Schmoller, L. von  152 Schnorr von Carolsfeld, F. L.  53, 61 Scholtz, G. VIII Scholz, B.  55 f., 60 Schöne, A.  166 Schöne, R.  210 Schönleber, H.  399 Schopenhauer, A.  31, 126, 148, 204, 355 Schrader, W.  202 f. Schröder, E.  296 f., 299, 310 f. Schubert, F. W.  445, 448 Schulenburg, S. von der  156, 160, 181, 183, 189 f., 192, 194, 214, 320, 327 Schultz, K.  357 f. Schulze, W.  297, 299, 310 f. Schuppe, W.  121, 218 Schuster, P. R.  101 ff. Schütz, P.  219 Schwartz, E.  186 Schwarz, H.  319 Schwegler, A.  397 f. Schweizer, A.  49 Schwind, M. von  400 Seeberg, R.  390 Seidel, H.  140 f. Sell, A.  280 Seneca 330 Sextus Empiricus  117 f. Shaftesbury, A. A. C., Earl of   83, 85, 136 Shakespeare, W.  15, 39 ff., 233, 241 f., 297, 423 Siebeck, H.  131 Siebeck, P.  422 Sievers, E.  297, 299 Sigwart, Chr.  34 ff., 38, 71, 129, 131, 139, 159, 314, 328, 360, 375, 407, 457

504

Personenregister

Simmel, G.  46, 67, 75, 428 Simson, E. von  206 ff. Sintenis, F. L. F.  147 f. Soden, H. von  47 Sokrates  58, 66, 159, 391, 403 Solger, K. W. F.  328 Sommer, R.  389 Sophokles 240 Sowa, W.  99 Spahn, M.  304 Spalding, G. L.  282, 284 Spielhagen, F.  20 f. Spinoza, B. de  136 f., 154, 478 Spranger, E.  338, 362 Stählin, A. von  144 f. Stark, W.  11, 87, 179, 394, 440 Stauder  98 f., 239 Steenblock  V, VIII Stein, A.  376 Stein, H. von  44, 46, 74, 142 f. Stein, L.  137, 197 f., 270, 313 f. 366, 376, 395, 403 f., 409 Stein zum Altenstein, K. Freiherr vom  133, 135 Steinthal, H.  49 Stern, W.  387 Stieda, W.  63 Stirner, M.  134 f. Stobwasser, Chr. H.  349 f. Stockhausen, J.  430 Stölzle, R.  141 Strauß, D. F.  138 f., 396 ff. Studt, C. von  298 f., 485 Stumm-Halberg, C. F. Freiherr von  105 f. Stumpf, C.  6, 8 f., 13, 37, 44, 46 f., 64, 69, 73, 90, 94, 115 f., 191, 232, 278, 321, 338, 386, 388, 428, 476 Stumpf, H.  6, 47 Stumpf, R.  47 Sudermann, H.  20 f., 140 Sulzer, J. G.  344 Susemihl, M.  372 f. Sybel, H. von  67 ff., 80

Taine, H.  27 f. Tarde, G.  27 f. Teichmüller, G.  102 f. Thode, H.  182, 243 f., 260 Thoma, H.  140 f. Thomas, E.  466 f. Thrasymachos 66 Tieck, Chr. F.  61 Tieck, L.  40 f., 61, 145 Tieftrunk, J. H.  115, 124, 162 Tille, A.  91 Tomczak, M.  VIII Tönnies, F.  37, 124, 134 f. Treitschke, H. von  10 f., 47 f., 52 f., ­67–70, 120, 276, 285 f., 396 Trendelenburg, F. A.  21, 129, 138 f., 159, 335, 384 f. Treue, W.  69, 106 Tumarkin, A.  376 Turgot, A. R. J., Baron l’Aune  84 f. Ueberhorst, K.  63 f. Ueberweg, F.  1 f., 66 f., 79, 134 f., 159, 280 f. Uhland, L.  131 Ulrich, J. A. H.  144, 440 Unamuno, M. de  419 f. Usener, Hans  78 f., 174, 199 Usener, Hermann (Vater)  V, VII, 13 f., 25, 27 f., 30, 32, 37 f., 78, 103, 112 f., 134, 171 f., 174, 185, 196, 199, 238, 262, 284, 297 f., 302, 342, 387, 464 f., 480–484 Usener, Hermann (Sohn)  237 ff., 283 Usener, L.  25 f., 29 f., 114, 262, 283, 377, 387 f., 476, 480, 483 Usener, M.  30, 199, 211, 216 Usener, W.  283 f., 481 f. Vahlen, J.  94, 225, 310, 431 Vaihinger, H.  1 f., 11, 20, 94 f., 144, 179 f., 197, 203, 234, 277, 325 Van t’Hoff, J. H.  67, 69 Varnhagen von Ense, K. A.  61

Personenregister

Vaux, C. de  205 Vega, Lope de  422 f. Velásquez, D.  424 Veltheim, Graf H. von  190 Vico, G.  9 Vischer, F. Th.  4, 182, 242, 397 Vischer, R.  182, 242 Vöchting, H. von  448 f. Voigtländer, R.  20 f. Voigts, J. von  318 Vollert, E.  207 Voltaire  85, 324 Wackenroder, W. H.  40 f. Wackernagel, J.  310 f. Wagner, A.  105 f. Wagner, C.  182, 318 Wagner, R.  134 f., 143, 182, 204, 208, 318, 326, 336 Waldemar von Preußen, Prinz  120 Walzel, O.  144 f. Wapler, P.  356 Weber, F.  418 Weber, Johann Jacob  417 f. Weber, Johannes  418 Weber, Max  106 Weiland, L.  186 Weiland, M.  185 f. Weinhold, K. G. J.  10 f., 94, 175, 297, 299 Wellhausen, J.  310 f., 339 Weltrich, R.  417 Werner, A. von  204 Wesendonck, M.  208 Wesendonck, O.  208 Wette, W. M. L. L. de  162 Wezel, J. K.  434 f. Wickhoff, F.  243 Wilamowitz-Moellendorff, U. von  29 f., 134 f., 185 f., 191, 260, 269, 297 f., 301, 309 f., 312, 474 Wilbrandt, Adolf  358, 402 Wilbrandt, Auguste  358, 402 Wildenbruch, E. von  V, 9, 14–17, 52 f., 97 f., 104, 127, 130, 137, 222,

505

230 f., 233, 289 f., 334, 348, 363, 452, 462 f. Wildenbruch, M. von  17, 137, 289 f., 348, 363, 452 Wilhelm I.  53, 99, 116 f., 127, 135 Wilhelm II.  97 ff., 106, 261, 263, 271, 396, 460, 471, 475 Willemoes-Suhm, F. von  192 f. Willich, H. von  350 Wilmanns, A.  297, 299 Winckelmann, J. J.  84 f., 239, 241, 318 Windelband, W.  70, 72, 78, 129, 163, 211, 329, 395, 468, 476, 479–483 Windischmann, K. J. H.  61 Winter, C.  148 Witte, J. H.  480 Wittgenstein, H. F. J.  430 Wittgenstein, L.  430 Wobbermin, G.  384 Woellner, J. Chr. von  246 f. Wolf, F. A.  103, 239, 241, 282 ff. Wölfflin, H.  243 ff., 275, 336, 358, 363 Wolzogen, H. von  336 Wundt, W.  1–4, 36, 60, 70 f., 83 f., 134 f. Xenophanes  58, 85 Yorck von Wartenburg, Graf Hans  41 Yorck von Wartenburg, Graf Heinrich  VI, 106, 108, 183, 190, 330, 334 Yorck von Wartenburg, Graf P.  VI, 4, 17, 40–43, 53, 56, 59, 80, 106, 115, 134, 137, 150, 160, 181, 183, 188 ff., 192, 213, 371 Yorck von Wartenburg, Gräfin H.  41 Yorck von Wartenburg, Gräfin L.  18, 55 f., 133 f., 156, 181 Yorck von Wartenburg, Gräfin S.  108, 181, 183, 188, 192, 194, 334, 423 Zedlitz und Trützschler, R. Graf von  470 f.

506

Personenregister

Zeller, Agnes  97 Zeller, Albert  97 Zeller, Eduard  13 f., 44, 46, 66 f., 69, 97, 101–104, 106 ff., 117, 129, 131, 176, 193, 213 f., 226, 235, 262, 264 f., 312, 314, 342, 360, 362 f., 392, 395 f., 398 f., 417, 461, 470, 476

Zeller, Eduard (Enkel)  96 f., 264 Zeller, Emilie  104, 192, 360, 362 f., 416 f., 461 Zembsch, Th. Chr.  350 Zenon  85, 118 Zimmermann, R. von  111 f. Zucker, J.  426