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German Pages 154 Year 1997
KARSTEN RUPPERT
Bürgertum und staatliche Macht in Deutschland zwischen Französischer und deutscher Revolution
Schriften zur Verfassungsgeschichte Band 51
Bürgertum und staatliche Macht in Deutschland zwischen Französischer und deutscher Revolution
Von Karsten Ruppert
DUßcker & Humblot • Berliß
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Ruppert, Karsten: Bürgertum und staatliche Macht in Deutschland zwischen Französischer und deutscher Revolution I von Karsten Ruppert. Berlin : Duncker und Humblot, 1997 (Schriften zur Verfassungsgeschichte ; Bd. 51) ISBN 3-428-09021-7
Alle Rechte vorbehalten © 1997 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Gerrnany ISSN 0582-0553 ISBN 3-428-09021-7
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Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
Inhaltsverzeichnis I. Ausgangslage und Fragestellung.............. ............. ................. ...............................
7
11. Reformen in Deutschland unter napoleonischem Einfluß.....................................
9
III. Das System des Deutschen Bundes............ .........................................................
23
IV. Die bürgerliche Aufklärung...............................................................................
29
V. Die Formierung des Liberalismus......................................................................
35
VI. Die konstitutionellen Verfassungen des Vormärz.............................................
43
VII. Die reaktionären Maßnahmen des Deutschen Bundes......................................
71
VIII. Wandlungen im Gefolge der lulirevolution......................................................
77
IX. Revolution und Nationalversammlung..............................................................
87
X. Die Verfassungsgebung der Nationalversammlung.......................... ................
JO I
XI. Das Problem des preußischen Konstitutionalismus.............. ................. ...........
109
XII. Würdigung der Nationalversammlung und des Liberalismus..........................
119
Literaturverzeichnis..................... .............................................................................
127
Namenverzeichnis....................................................................................................
149
Sachverzeichnis........ .... .................. ...... ........... ..... ... ............ ........ ... ............... ..... ... ...
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I. Ausgangslage und Fragestellung Das 19. Jahrhundert ist mit gutem Grund als das Zeitalter der Verfassungskämpfe und der Verfassungsschöpfungen charakterisiert worden. 1 Dabei ging es auf dem europäischen Kontinent darum, in welcher Form und in welchem Umfang der in Wirtschaft, Kultur und Geistesleben aufstrebenden Schicht des Bürgertums ein gemäßer Anteil an der politischen Macht eingeräumt würde, deren Ausübung bisher ein Privileg von Dynastien und Adel gewesen war. Die Verfassungsurkunde war die genuin bürgerliche Lösung des Problems. Diese, wenn man so will, zeitgemäße Erneuerung des Gesellschaftsvertrags war in einem solchen Maß epochemachend, daß sie über den Anlaß ihres Aufkommens hinaus zur Organisationsform der modemen Staaten überhaupt wurde. In Deutschland war dieses säkulare Ringen in mehrfacher Weise durch weitreichende Besonderheiten determiniert. Es vollzog sich hier nicht auf der nationalen Ebene, sondern in rund drei Dutzend staatlichen Gebilden von ganz unterschiedlicher Art und Stärke. Zum anderen war die neue Schicht nicht wie in England evolutionär über die Stände Teilhaber staatlicher Macht geworden, noch gar hatte sie wie in Frankreich sich diese revolutionär erobert, woran auch eine nachträglich durch die Sieger restaurierte Monarchie nichts mehr änderte. Im Deutschen Bund sahen sich die Bürger vielmehr mit Kontinuitäten und Brüchen konfrontiert, welche die Verwirklichung ihres Anliegens beträchtlich erschwerten. Es regierten Dynasten, deren Häuser teils seit Jahrhunderten im Land verwurzelt waren und die deswegen um so selbstverständlicher das Herrschen als ihr Privileg betrachteten. Zusätzlich standen sie nun nicht mehr wie noch in den feudalen Territorien in Konkurrenz mit einer Vielzahl von Gewalten, sondern sie waren die alleinigen Inhaber der Staatsgewalt beträchtlich vergrößerter und modernisierter Fürstentümer. Diese wurden zusätzlich dadurch gefestigt, daß sie Glieder eines Bundes waren, der seine Existenzberechtigung darin sah, die monarchische Herrschaft aufrecht zu erhalten als Grundlage der Stabilität im nachrevolutionären Europa.
1 Vgl. Hans Gangl, Der deutsche Weg zum Verfassungsstaat im 19. Jahrhundert: eine Problemskizze, in: Ernst-Wolfgang Böckenforde (Hrsg.), Probleme des Konstitutionalismus im 19. Jahrhundert. - Berlin 1975. - (Der Staat: Beihefte; 1), S. 23 ff.
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I. Ausgangslage und Fragestellung
Das Ergebnis dieser Ausgangslage war eine deutsche Fonn der konstitutionellen Monarchie, in der die Distanz des Bürgertums zur staatlichen Macht für ein Jahrhundert befestigt wurde, obwohl seine wirtschaftliche und gesellschaftliche Potenz dem seiner politisch erfolgreicheren Standesgenossen in Westund Nordeuropa in nichts nachstand. Den folgenden Überlegungen liegt die Hypothese zugrunde, daß sich die Ursachen für dieses das Jahrhundert kenzeichnende Phänomen wohl am ehesten in dem Zeitraum finden lassen, in dem die Bürger in Deutschland so selbstbewußt und stünnisch wie nie mehr nach der staatlichen Macht gegriffen haben. Dabei wird deren Selbstverständnis und Organisationsfonnen, den fürstlichen Abwehrstrategien und den für beide Seiten durch die Verfassungen gezogenen Bedingungen besondere Aufmerksamkeit zu widmen sein. Die zeitliche Grenze erstreckt sich vom Beginn der Entwicklung im aufgeklärten Absolutismus bis zu deren Scheitern, das sich unter der hier interessierenden Fragestellung als endgültig erweisen sollte. Zwar ging die Auseinandersetzung auch noch nach der Revolution von 1848/49 weiter, doch markiert diese insofern einen Einschnitt als seitdem das Bürgertum nicht mehr unangefochtene emanzipatorische Kraft war und sich selbst politisch umorientierte. Dies zeigte sich am deutlichsten darin, daß von nun an die spezifische deutsche Variante der konstitutionellen Monarchie nicht mehr in Frage stand. Sie wurde vielmehr als halber Komprorniß zwischen den Liberalen und der preußischen Monarchie ebenfalls die Grundlage des Bismarckreiches, mit dem sie dann auch unterging.
11. Reformen in Deutschland unter napoleonischem Einfluß Die seit dem Sommer 1789 in Frankreich anhebenden revolutionären Unruhen wirkten sich auf Herrschafts- und Gesellschaftsgefilge in Deutschland erst nachdrücklicher aus, als das Reich in direkte Konfrontation mit der Revolution geriet. 2 Im Verlauf der Kriegszüge gegen das monarchische Europa hatten nämlich französische Truppen seit 1792 das linke Rheinufer besetzt und dort nach und nach die Einrichtungen des Alten Reichs beseitigt. Auf dieser Grundlage vollzog sich dann seit 180 I die weitere Assimilation nach der völkerrechtlichen Vereinigung mit dem Empire im Frieden von LuneviJIe. 3 Mit der in ihm enthaltenen Zusage, die linksrheinisch Depossedierten rechtsrheinisch zu entschädigen, wurde die Neugestaltung der Verhältnisse auch dieses Teils des Reichs in Angriff genommen. Dessen Ende wurde eingeleitet, als der Kaiser der Franzosen nach seinem Sieg über eine russisch-österreichische Koalition bei Austerlitz im Preßburger Frieden vom 26. Dezember 1805 4 seine deutschen Verbündeten, Bayern, Württemberg und Baden, zu souveränen Fürstentümern erhob und Österreich aus dem Reich drängte. Infolgedessen traten 16 süddeutsche und mittelrheinische Fürsten ein halbes Jahr später aus dem Reich aus. 5 Sie ließen sich die Souveränität ihrer neugeschaffenen Staaten in dem im Juli 1806 mit dem französischen Kaiser geschlossenen Rheinbund6 ga2 Vgl. dazu jetzt noch Karl Härter, Reichstag und Revolution 1789 - 1806: die Auseinandersetzung des Immerwährenden Reichstags zu Regensburg mit den Auswirkungen der Französischen Revolution auf das Alte Reich. - Göttingen 1992. (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften; 46), S. 69 ff. 3 Vgl. den Frieden von Luneville vom 9. Februar 1801, in: Hans Herbert Hofmann (Hrsg.), Quellen zum Verfassungsorganismus des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation: 1495 - 1815. - Darmstadt 1976. - (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte der Neuzeit; 13), S. 323 ff. 4 H. H. Hofmann (Hrsg.), Quellen (FN 3), S. 368 ff. 5 Vgl. die Austrittserklärung der Rheinbundstaaten, 1. August 1806, in: Ernst Rudolf Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte. - Bd. 1: Deutsche Verfassungsdokumente 1803 - 1850. - Stuttgart 1961, S. 35 f. 6 Vgl. dazu die Rheinbund-Akte, 12. Juli 1806, in: E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente I (FN 5), S. 28 ff. Zur rechtlichen Qualität der Souveränität der Reinbundstaaten vgl. Helmut Quaritsch, Souveränität: Entstehung und Entwicklung des Begriffs in Frankreich und Deutschland vom 13. Jahrhundert bis 1806. - Berlin 1968. - (Schriften zur Verfassungsgeschichte; 38), S. 108 ff.
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11. Reformen in Deutschland unter napoleonischem Einfluß
rantieren. In dieses Aufmarsch-, Rekrutierungs- und Kontributionsgebiet zwischen Frankreich und den auf dem Gebiet des Reiches verbliebenen Großmächten Preußen und Österreich wurden bis Ende 1807 noch fast alle daneben in Nord- und Mitteldeutschland verbliebenen Fürsten gezwungen. 7 Weitgehender und folgenreicher waren die Umwälzungen in Staat, Gesellschaft und Wirtschaft, die sich zur gleichen Zeit als Teil des säkularen Transformationsprozesses in Europa an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert vollzogen. Wie die Reformen des aufgeklärten Absolutismus, die sie vollendeten, gingen sie auf die Initiative der Fürsten zurück und wurden von deren adelig-bürgerlichen Bürokratie getragen. 8 Diese erstrebte in den Territorien im Namen der Vernunft eine Steigerung der staatlichen Wirksamkeit auf der Grundlage konsolidierter Finanzen, die Entfaltung der wirtschaftlichen Kräfte, naturrechtliche GesetzeskodifIkationen und die Verbreitung einer aufgeklärten Bildung. Alle Maßnahmen bedurften nicht der Zustimmung der Betroffenen, da sie sich als vernünftig und dem Gemeinwohl dienend von selbst rechtfertigten. 9 Deren Durchsetzung erreichte in Deutschland im Gefolge der französischen Besetzung und den direkten Auswirkungen der napoleonischen Herrschaft eine neue Qualität und Durchschlagskraft. Dabei haben sich die kennzeichnenden Zonen der Modernisierung (Rheinland-Westfalen; Süddeutsche Mittelstaaten; Nord- und Mitteldeutschland; Preußen und Österreich) deutlich ausgeformt, die auch filr das Ringen des Bürgertums um die staatliche Macht bestimmend bleiben sollten. Am frühesten und nachhaltigsten ist das linksrheinische Deutschland in den Sog der von Frankreich ausgehenden revolutionären Umbrüche geraten. Denn 7 Zusammenfassend dazu vgl. Eberhard Weis, Der Durchbruch des Bürgertums: 1776 - 1847. - Frankfurt a. M. 1982. - (Propyläen Geschichte Europas; 4), S. 171 ff.; Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800 - 1866: Bürgerwelt und starker Staat. 2. Aufl. - München 1984, S. 11 ff.; Georges Lefebvre, Napoleon. - 6. Aufl. - Paris 1969, S. 95 ff. Zum Rheinbund vgl. die Spezialabhandlung von Eberhard Weis, Napoleon und der Rheinbund, in: Armgard von Reden-Dohna (Hrsg.), Deutschland und Italien im Zeitalter Napoleons: deutsch-italienisches Historikertreffen in Mainz 29. Mai - l. Juni 1975. - Wiesbaden 1979. - (Veröffentlichungen des Instituts rur Europäische Geschichte Mainz: Abteilung Universalgeschichte; 5), S. 57 ff. 8 Starke Betonung der Kontinuität zwischen aufgeklärtem Absolutismus und rheinbündischer Reform von Rudolf Vierhaus, Aufklärung und Reformzeit: Kontinuitäten und Neuansätze in der deutschen Politik des späten 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts, in: Eberhard Weis (Hrsg.), Reformen im rheinbündischen Deutschland. - München 1984. - (Schriften des Historischen Kollegs: Kolloquien; 4).,S. 287 ff. 9 Vgl. dazu jetzt zusammenfassend Walter Demei, Vom aufgeklärten Reformstaat zum bürokratischen Staatsabsolutismus. - München 1993. - (Enzyklopädie Deutscher Geschichte; 23), S. I ff.
11. Refonnen in Deutschland unter napoleonischem Einfluß
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durch Besetzung und Eingliederung in den französischen Staatsverband wurde die Macht von Kirche und Adel, die andernorts die alte Ordnung zäh verteidigten, radikal gebrochen. Wie im gesamten französischen Machtbereich wurde nicht nur die kaum noch bedeutende Leibeigenschaft aufgehoben, das Obereigentum entschädigungslos abgelöst wie die persönlichen Fronden und dinglichen Lasten in Grundrenten umgewandelt, sondern auch die Grundherrschaft vollständig aufgelöst. 10 Schließlich haben Gewerbefreiheit und Gewerbeförderung wie das modeme Rechts- und Verwaltungssystem den freien Warenverkehr und eine Gesellschaft individueller Eigentümer befestigt. Diese hatte inzwischen die durch öffentliche Rechtsprechung und Geschworenengerichte verbürgte Rechtssicherheit und die in den gewählten Körperschaften auf den unterschiedlichen Verwaltungsebenen erlangte Selbstverwaltung schätzen gelernt. Unter diesen Voraussetzungen wuchs im Westen Deutschlands auf der Grundlage einer Protoindustrie, durch den Kauf von Nationalgütern bereichert und durch die Eingliederung in den weiten französischen Markt gefördert ein Wirtschaftsbürgertum heran, wie es nur noch in Teilen Sachsens und großstädtischen Handelszentren vorhanden war. Es hat im Rheinland, teils auch in Westfalen, zusammen mit der hohen Beamtenschaft und dem zurückgekehrten Adel eine den französischen Notabeln vergleichbare Führungsschicht gebildet. ll Diese hat denn auch in erster Linie die "französischen Einrichtungen" nach der Rückgliederung 1814/15 verteidigt und so die Voraussetzungen dafUr erhalten, daß das Rheinland im preußischen, die Pfalz im bayerischen und Rheinhessen im hessen-
10 Vgl. zum linken Rheinufer besonders Roger Dufraisse, Das napoleonische Deutschland: Stand und Probleme der Forschung unter besonderer Berücksichtigung der linksrheinischen Gebiete, in: Geschichte und Gesellschaft 6, 1980, S. 467 ff.; jetzt auch zusammenfassend den Sammelband desselben Autors: L' Allemagne ä I' epoque napoleonienne. - Bonn 1992. - (Pariser historische Studien; 34). Darüber hinaus noch Elisabeth Fehrenbach, Verfassungs- und sozialpolitische Refonnprojekte in Deutschland unter dem Einfluß des napoleonischen Frankreich, in: Helmut Berding / Hans-Peter Ullmann (Hrsg.), Deutschland zwischen Revolution und Restauration. - Königstein 1981, S. 76 ff. 11 Vgl. dazu Helmut Berding, Französische Refonn aus revolutionärem Anspruch in später preußischen Gebieten 1794 - 1814 und Ilja Mieck, Die Integration preußischer Landesteile französischen Rechts nach 1814/15, in: Otto Büsch und Monika Neugebauer-Wölk (Hrsg.), Preußen und die revolutionäre Herausforderung seit 1789: Ergebnisse einer Konferenz. - Berlin 1981. - (Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin; 78), S. 335 ff.; zu den Umschichtungen im Grundbesitz, besonders zugunsten kapitalkräftiger Stadtbürger, vgl. auch noch Christof Dipper, Probleme einer Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Säkularisation in Deutschland (1803 - 1813), in: A. von Reden-Dohna (Hrsg.), Deutschland (FN 7), S. 123 ff.
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H. Refonnen in Deutschland unter napoleonischem Einfluß
darmstädtischen Staatsverband sich an die Spitze der bürgerlichen Emanzipationsbewegung stellen konnten. 12 Rechts des Rheins stellten sich dieselben Modemisierungsaufgaben und wurden folglich, wenn auch später, ähnliche Reformprogramme in Angriff genommen. Doch wurden sie, da sie unter anderen Bedingungen und in anderem Zusammenhang durchgeführt wurden, zum Teil anders gestaltet. Mit dem linksrheinischen Deutschland vergleichbar waren die Verhältnisse in den napoleonischen Schöpfungen Westfalen und Berg, die sich am französischen Vorbild zu orientieren hatten. Ihre Aufgabe, als Modellstaaten rechts des Rheins politische Gewinne zu machen, konnten sie in der kurzen Zeit ihres Bestehens nur unzulänglich erfüllen. Denn zwischen der Ausbeutung im Interesse imperialer Machtambitionen, der exzessiven Dotationspolitik zugunsten der neuen Elite und national-ständischem Widerstand wurde dieses Konzept zerrieben. 13 Von Dauer waren hingegen die Schritte, zu denen sich zur gleichen Zeit die süddeutschen Fürsten gezwungen sahen, um die heterogenen Teile ihres neuen Staats zu vereinheitlichen 14 und zugleich dessen neuen Aufgaben im Finanz-, Bildungs-, Kranken- und Armenwesen zu bewältigen. Diese so tief die Lebensverhältnisse der Untertanen umwälzende und die Rechte der Privilegierten rigoros beschneidende Neuordnung war nur in dem kurzen Zeitraum des "despotischen Regiments" durchführbar gewesen, da nach dem Zusammenbruch des Reiches die feudalen und ständischen Gewalten ihren bisherigen Rückhalt am Kaiser gegen die Landesherren verloren hatten und dieser auf landständische Interessen noch keine Rücksicht nehmen mußte. Begünstigt wurde die Grundlegung der inneren und äußeren Souveränität der süddeutschen Rheinbundfürsten noch dadurch, daß ihnen ihr Protektor die Anpassung ihres Herrschaftsbereichs an das französische Modell weitgehend selbst überließ, denn für ihn gingen militärische Leistungen und umfängliche Kontributionen der Umsetzung eines ideologischen Programms vor. 15 12 Vgl. Helmut Berding und Hans-Peter Ullmann, Veränderungen in Deutschland an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert, in: H. Berding / H.-P.Ullmann (Hrsg.), Deutschland (FN 10), passim. 13 Dazu Helmut Berding, Napoleonische Herrschafts- und Gesellschaftspolitik im Königreich Westfalen 1807 - 1813. - Göttingen 1973. - (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft; 7), S. 19 ff. 14 Vgl. dazu auch Wilhelm Volkert, Bayerns Zentral- und Regionalverwaltung zwischen 1799 und 1817, in: E. Weis (Hrsg.), Refonnen (FN 8), S. 169 ff. IS Vgl. E. Fehrenbach, Refonnprojekte (FN 10), S. 65 ff.; Eberhard Weis, Der Einfluß der französischen Revolution und des Empire auf die Refonnen in den süddeutschen Staaten, in: Francia I, 1973, S. 569 ff.; Heinz-Otto Sieburg, Die Auswirkungen des napoleonischen Herrschaftssystems auf die Verfassungsentwicklung in Deutschland,
II. Refonnen in Deutschland unter napoleonischem Einfluß
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Die Modernisierung von Staat, Recht, Wirtschaft und Gesellschaft wurde von den Regierungen der Rheinbundstaaten mit Hilfe einer aufgeklärten Beamtenschaft von oben her in die Wege geleitet. Vorrangig mußten der Übergang von der ständischen Steuerbewilligung wie der rurstlichen Domanial- und Regalwirtschaft zu einem modernen Steuersystem und die Umstellung der Staatsverschuldung auf Kredite und Anleihen vollzogen werden. Denn staatliches Finanzmonopol und dessen bürokratische Verwaltung waren die fiskalischen Voraussetzungen, um Kontributionen und Kriege zu fmanzieren und zugleich die Durchruhrung von Reformen zu ermöglichen. I6 Der Umbau der Verwaltung schloß sich an, da sie das Instrument rur weitere Reformprojekte sein sollte. Um sie effektiver, regelhafter und bntrollierbarer zu machen, wurden die unterschiedlichen politischen und rechtlichen Strukturen durch eine streng hierarchisch von unten nach oben aufgebaute Administration der Sachgebiete ersetzt. Diese erlaubte es jetzt der aus Fachministerien zusammengesetzten Staatsleitung, bis zur lokalen Ebene durchzugreifen. I7 Dabei stützte sie sich immer mehr auf ein Berufsbeamtenturn, das auf Laufbahnrecht, Versorgunsprinzip und Qualifikationsanforderungen beruhte. Die deutschen Dynasten, vor allem Österreichs, Preußens und vorwiegend der süddeutschen Rheinbundstaaten hatten sich diese Funktionselite mit eigenem Berufsethos geschaffen, da das Gros der bisherigen adligen Staatsdiener aufgrund von Qualifikation und Gesinnung, teils auch wegen ihres Standesinteresses als Wegbereiter der Reform nicht geeignet waren. Den Monarchen gelang es, die ja zunächst nicht durch Standesloyalität und Tradition an sie gebundene und deswegen anfangs skeptisch betrachtete Schicht der immer mehr verbürgerlichenden Staatsdiener durch umfangliche rechtliche und gesellschaftliche Privilegierungen (u. a. Nobilitierung!) an sich zu binden. Dies ist rur die weitere Entwicklung der bürgerlichen Emanzipationsbewegung nicht gering zu veranschlagen. Denn so ist deren erheblich erweiterter Einfluß auf die Staatspolitik zum guten Teil durch die Bindung der Beamten an das bestehende System wieder wettgemacht worden. Ein Grund rur deren Wandel von einem reformerischen Potential zu Beginn des Jahrhunderts zu einem dynasti-
in: Heinz-Otto Sieburg (Hrsg.), Napoleon und Europa. - Köln 1971, S. 202 ff.; jetzt auch Lothar Gall, Von der ständischen zur bürgerlichen Gesellschaft. - München 1993. (Enzyklopädie Deutscher Geschichte; 25), S. 20 ff. 16 Vgl. dazu Hans-Peter Ullmann, Überlegungen zur Entstehung des öffentlichen, verfassungsmäßigen Kredits in den Rheinbundstaaten (Bayern, Württemberg und Baden), in: H. Berding I H. -Po Ullmann (Hrsg.), Deutschland (FN 10), S. 108 ff. 17 Vgl. dazu Franz-Ludwig Knemeyer, Regierungs- und VerwaItungsrefonnen in Deutschland zu Beginn des 19. Jahrhunderts. - Köln, Berlin 1970, S. 110 ff. und auch H.-O. Sieburg, Auswirkungen (FN 8), S. 205 f.
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11. Refonnen in Deutschland unter napoleonischem Einfluß
schen Exekutivorgan noch in dessen erstem Drittel ist sicherlich hierin zu suchen. 18 Die intermediären Gewalten, einschließlich der Stände, verschwanden ebenso wie die politischen Vorrechte von Adel und Klerus. Sogar die kommunale Selbstverwaltung wurde angesichts von Mißwirtschaft und Klüngel in den ehemaligen Reichs- und Landstädten zunächst stark eingeschränkt. 19 Der Beschneidung feudaler Privilegien waren allerdings engere Grenzen gezogen als im linksrheinischen Deutschland, da der Adel als wirtschaftliche und politische Kraft überlebt hatte. Er blieb im rechtsrheinischen Deutschland die Stütze fUrstlicher Herrschaft und ist hier auch weniger als in Frankreich verbürgerlicht. 20 Auf dem Land, wo er nach wie vor seine wirtschaftliche Grundlage hatte, wurden nur die unbedeutenden Personalfronden und die Beschränkungen der persönlichen Freiheiten aufgehoben, während alle anderen Lasten und Rechte der Herren in vertragliche Verpflichtungen umgewandelt wurden, die abzulösen den Bauern meist die Mittel fehlten. So blieb die Grundherrschaft mit ihrem Geflecht persönlicher Abhängigkeiten auch in den süddeutschen Reformstaaten im Kern erhalten. Zudem setzte unter Napoleon durch Dotationen und Majorate rur die Parteigänger des Kaisers und mit der Absicherung der seigneurialen Rechte der Standesherren in der Rheinbundakte21 eine Refeudalisierung ein. 22 Die Entwicklung der Wirtschaft im napoleonischen Deutschland wurde dadurch bestimmt, daß sie sich der Machtpolitik des Kaisers und seiner Vasallen unterordnen mußte. Die daraus folgenden heftigen Konjunkturschwankungen haben verhindert, daß sich die Vorteile eines größeren einheitlichen Zollgebiets, die Verlagerung der Warenströme an die Rheingrenze und die Ausschaltung der englischen Konkurrenz während der Kontinentalsperre sich voll aus18 Vgl. Bemd Wunder, Die Refonn der Beamtenschaft in den Rheinbundstaaten, in: E. Weis (Hrsg.), Refonnen (FN 8), S. 181 ff. Zur sozialgeschichtlichen Bedeutung dieses neuen Beamtentyps ausfUhrJich Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte. - Bd. 1: Vom Feudalismus des Alten Reiches bis zur Defensiven Modemisierung der Refonnära 1700 - 1815. - 2. Aufl. - München 1989, S. 385 ff. 19 E. Weis, Einfluß (FN 15), S. 577 f. 20 Dazu jetzt auch Elisabeth Fehrenbach, Adel und Bürgertum im deutschen Vormärz, in: HZ 258, 1994, S. 1 ff. 21 Vgl. bes. die Art. 27 und 28. Die bezeichnende Bestimmung lautet: "Les Princes et Comtes actuellement regnans conserveront ... tous les droits seigneuriaux et feodaux non-essentiellement inberens a la souverainete": E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente I (FN 5), S.32. 22 Vgl. E. Fehrenbach, Refonnprojekte (FN 10), S. 74 ff.; H. Berding / H.P.Ullmann, Veränderungen (FN 12), S. 24 ff.; H.-U. Wehler, Gesellschaftsgeschichte I (FN 18), S. 375 ff.
11. Refonnen in Deutschland unter napoleonischem Einfluß
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wirken konnten. Hinzu kam eine Gewerbereform, die zwar Monopole, Zünfte und Korporationen beseitigte, aber an deren Stelle staatliche Reglementierung und Aufsicht setzte. So blieben trotz einer Reihe von Manufakturgründungen und des Aufschwungs vor allem in den Gewerben, die landwirtschaftliche Produkte verarbeiteten, die materiell abhängigen Staatsbediensteten im Bürgertum gerade in den Staaten dominierend, die dann Möglichkeiten politischer Mitbestimmung einräumten. Ein Großbürgertum fand sich in nennenswertem Umfang nur links des Rheins und in den Vasallenstaaten, wo im Zuge der napoleonischen Gesellschaftspolitik die Bildung einer Notabelnschicht gefOrdert worden war,23 und in den mitteldeutschen Handels- und Industriestädten sowie den norddeutschen Hafenstädten als Ergebnis untemehmerischen Erfolgs.z 4 Da also die konjunkturellen und institutionellen Rahmenbedingungen der Wirtschaft einer bürgerlichen Gesellschaft noch nicht allzu fOrderlich waren, wird man filr deren Herausbildung die Zivil- und Strafrechtsreformen um so höher veranschlagen müssen, zumal auch die Großmächte Preußen und Österreich solche in erheblichem Umfang durchfilhrten. In den von Frankreich beherrschten Teilen und den meisten Rheinbundstaaten kam noch eine Justizverfassung hinzu, die Laien an der öffentlich kontrollierten Rechtsprechung beteiligte. Wenn auch nicht mit allen Konsequenzen und nicht ohne Verbiegungen so gewährten die neuen Rechtsordnungen doch ein beträchtliches Maß an Rechtsstaatlichkeit, zudem garantierten sie den ungehinderten Kapital- und Warenverkehr einer Gemeinschaft von gleichberechtigten und freien Individu25 en. Die größeren Fürstentümer und Freien Städte Nord- und Mitteldeutschlands haben ihre feudale Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung wie ihren ständischmonarchischen Staat über die Umbruchszeit hinweg mit nur geringen Veränderungen bewahren können. Denn sie waren weder durch die historische Aufgabe neuer Staatsbildungen herausgefordert noch durch Ideen und Politik des revolutionären und napoleonischen Frankreichs unmittelbar berührt worden. Daher blieben sie zunächst im Schatten der weiteren Entwicklung. Preußen und Österreich hingegen gingen eigene, wenn auch divergierende Wege.
23 Dazu H. Berding, Westfalen (FN 13), S. 19 ff. und auch G. Lefebvres, Napoleon (FN 7), S. 458 ff. 24 Vgl. auch noch H. Berding / H.-P. Ullmann, Veränderungen (FN 12), S. 28 ff. 25 Vgl. dazu bes. Elisabeth Fehrenbach, Traditionale Gesellschaft und revolutionäres Recht: die Einflihrung des Code Napoleon in den Rheinbundstaaten. - Göttingen 1974. (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft; 13), S. 79 ff. und Elisabeth Fehrenbach, Der Einfluß des napoleonischen Frankreich auf das Rechts- und Verwaltungssystem Deutschlands, in: A. von Reden-Dohna (Hrsg.), Zeitalter Napoleons (FN 7), S. 23 ff.
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11. Reformen in Deutschland unter napoleonischem Einfluß
So wie Napoleon in Preußen das große Refonnwerk ausgelöst hatte,26 so hat sich dessen Durchfilhrung auch an Frankreich und den von ihm beherrschten deutschen Staaten orientiert; im Bereich der Wirtschaft ist es allerdings stark von Eng land beeintlußt worden. 27 An frühere Ansätze anknüpfend, stand die preußische Monarchie nach der vernichtenden Niederlage von Jena und Auerstedt im Oktober 1806 und der Reduzierung ihres Gebiets und ihrer Bevölkerung um die Hälfte vor der unausweichlichen Notwendigkeit einer umfassenden Modemisierung, um den Staat zu erhalten und die immensen Schulden, Besatzungskosten und Kontributionen an Frankreich zahlen zu können. Dort, wo der Zwang am stärksten oder aber der Handlungsspielraum des Staates am weitesten gewesen war, waren die Reformen am erfolgreichsten. Die Verwaltung lieferte das klassische Beispiel einer Selbstreform,28 in deren Verlauf es der Beamtenschaft gelang, sich als der "allgemeine Stand" zu etablieren, der nach oben das Interesse der Gesellschaft artikulierte und nach unten die Belange des Staates durchsetzte. Eine vergleichbare ersatzparlamentarische Funktion hatte auch der Staatsrat, der den Monarchen seit 1817 im Rang eines Verfassungsorgans beriet. An der Spitze der Staatsverwaltung, die ähnlich wie in den Rheinbundstaaten durchorganisiert wurde, stand jetzt eine Regierung von Fachministern, deren Stellung durch den unmittelbaren Zugang zum Herrscher und durch eine im Gegenzeichnungsrecht manifestierte Verantwortung filr ihren Geschäftsbereich gestärkt worden war. 29 Kennzeichnend filr Preußen blieben aber mit dem Oberpräsidenten und dem Landrat und den ihnen zur Seite stehenden Ständeversammlungen MitteIinstanzen außerhalb der staatlichen Verwaltungshierarchie, in denen der einheimische Adel dominierte. Auch in den sich selbst verwaltenden Städten30 blieb das Bür26 Vgl. zu den preußischen Reformen zusammenfassend: Barbara Vogel (Hrsg.), Preußische Reformen 1807 - 1820. - Königstein 1980. - (Neue Wissenschaftliche Bibliothek; 96); O. Büsch / M. Neugebauer-Wölk (Hrsg.), Preußen (FN 11); und jetzt auch: Bemd Sösemann (Hrsg.),Gemeingeist und Bürgersinn: Die preußischen Reformen. - Berlin 1993. - (Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte: Neue Folge / Beiheft; 2). 27 Vgl. dazu H.-U. Wehler, Gesellschaftsgeschichte I (FN 18), S. 397 ff. 28 Dazu grundlegend Reinhart Koselleck, Preußen zwischen Reform und Revolution: Allgemeines Landrecht, Verwaltung und soziale Bewegung von 1791 bis 1848. - Stuttgart 1987. - (Industrielle Welt; 7), S. 153 ff.; ergänzend unter verwaltungsgeschichtlichem Aspekt: F.-L. Knemeyer, Verwaltungsreformen (FN 17), S. 83 ff. 29 Ernst Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. - Bd. I: Reform und Restauration 1789 bis 1830. - Stuttgart 1957, S. 146 ff. 30 Dazu: Heinrich Heffter, Die deutsche Selbstverwaltung im 19. Jahrhundert: Geschichte der Ideen und Institutionen. - Stuttgart 1950, S. 92 ff. und R. Koselleck, Preußen (FN 28), S. 560 ff.
H. Refonnen in Deutschland unter napoleonischem Einfluß
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gerrecht von Gewerbe oder Grundbesitz und das Wahlrecht vom Besitz abhängig. Hier haben die dadurch von der Politik Ausgeschlossenen, die unterbürgerlichen Schichten und teils auch das Bildungsbürgertum, die demokratischen und liberalen Ideen bis zur Revolution hin besonders wach gehalten. In Preußen sah man gerade in der vor allem auf Stein zurückgehenden Konzeption der Erhaltung nichtstaatlicher Gewalten ein mehr an Freiheit im Vergleich zum "rheinbündischen Despotismus". Die gesamte Regierungs- und Verwaltungsreform war durchaus schon als Vorgriff auf eine künftige Verfassung erfolgt. Dies wurde dadurch unterstrichen, daß sie in der auch den Monarchen bindenden Gesetzesform geschehen war. 31 Der intendierten Staatsbürger-Gesellschaft kam man noch näher, indem alle persönlichen Abhängigkeiten aufgehoben und die unterschiedlichen Rechtsverhältnisse in Stadt und Land wie zwischen den Ständen beseitigt wurden. Die so ermöglichte Entfaltung des einzelnen hatte ebenso wie die Beseitigung von Restriktionen kapitalistischer Produktion die Prosperität der Wirtschaft als Quelle staatlicher Finanzkraft zum Ziel. So ist Preußen in Deutschland zwar in der Herstellung einer Marktkonkurrenz für Arbeitskraft und Güter, einschließlich des Bodens, in einer Generation am weitesten gegangen, doch blieb der Adel stärker als anderswo. Denn er hatte sein Interesse bei Gesindeordnung und Regulierung weitgehend durchsetzen können, so daß unter anderem die aus der Gutsuntertänigkeit entlassenen Bauern ihre Dienst- und Abgabeverpflichtungen durch die Abtretung von Land ablösen mußten. Dies stärkte den adligen Agrarunternehmer und schwächte den freien Bauern im wirtschaftlichen Konkurrenzkampf. Des weiteren hatte der Adel durch zähen Widerstand neben seiner Dominanz in der Provinz- und Lokalverwaltung sich auf dem Lande öffentlich-rechtliche Funktionen (Patrimonialgerichte, Ortspolizei, Schule und Kirche) und steuerliche wie gesellschaftliche Privilegien erhalten können. 32 Das Ergebnis der preußischen Reformen war daher außerordentlich widersprüchlich. Die Dynamik einer liberalen Wirtschaftsgesellschaft wurde entfesselt; zugleich wurde der Adel vor ihr geschützt und disfunktional sozial wie politisch privilegiert. In den Städten wurde den Untertanen in beachtlichem Umfang die Möglichkeit zur Partizipation eingeräumt, doch auf dem Land, wo 31 Dieter Grimm, Deutsche Verfassungsgeschichte 1776 - 1866: vom Beginn des modemen Verfassungsstaats bis zur Auflösung des Deutschen Bundes. - Frankfurt 1988, S. 83 ff. 32 Vgl. R. Koselleck, Preußen (FN 28), S. 448 ff.; I1ja Mieck, Preußen von 1807 bis 1850: Refonnen, Restauration und Revolution, in: Otto Büsch (Hrsg.), Handbuch der Preußischen Geschichte. - Bd. 2: Das 19. Jahrhundert und Große Themen der Geschichte Preußens. - Berlin 1992, S. 27 ff.; H.-U. Wehler, Gesellschaftsgeschichte I (FN 18), S. 405 ff.; E. Fehrenbach, Refonnprojekte (FN 10), S. 77 ff.
2 Ruppen
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fünf Siebentel der Einwohner lebten, hatten sich die intermediären Gewalten zwischen Volk und Obrigkeit in manchen Bereichen behaupten können. Da die Reformen von der Staats spitze ausgegangen waren und auf den Gebieten des Militärs, der Verwaltung und der Finanzen am erfolgreichsten gewesen waren, blieb ein obrigkeitlicher Zug, der allerdings durch die rechtliche Selbstbindung der Monarchie und das Gemeinwohl-Ethos des Beamtenturns gemildert wurde. 33 Die Lage in Preußen war noch einmal dadurch uneinheitlicher geworden, daß ihm von der Siegerkoalition gegen Napoleon im Westen Deutschlands die Rolle eines Bollwerks gegen Frankreich zugedacht worden war. Deswegen hat es mehr als seine ehemaligen Westgebiete zurückerhalten. Dies widersprach den Absichten von Hof und Reformer. Denn diese sahen klar, daß die Integration der späteren Provinzen Rheinland und Westfalen mitten im Umbruch der Reformzeit wegen der katholischen Konfession, der bereits weitgehend erreichten rechtsgleichen Staatsbürgergesellschaft und einer stark divergierenden öffentlichen Ordnung und Justiz schwierig werden würde. Im Rheinland war der Widerstand gegen die ursprünglich beabsichtigte Angleichung der Verhältnisse an die Kernlande besonders heftig, da dort die zwanzigjährige französische Herrschaft nachhaltiger geprägt hatte als die kurze in Westfalen, wo zudem die Grundsätze der Umgestaltung nicht aus einem Guß gewesen waren. Die Berliner Zentrale hat sich schließlich damit begnügt, nur die Staatsverwaltung wie das Finanz- und Militärwesen gesamtstaatlich auszurichten, hingegen nach scharfem Widerstand den Rheinländern die französische Rechtsund Gerichtsordnung als Ausdruck rheinischen Sonder- und bürgerlichliberalen Selbstbewußtseins zu lassen. Ähnlich waren die Motive für das Festhalten an der französischen Munizipalverfassung, die auf einem allgemeinen Staatsbürgertum basierte und die rechtliche Trennung von Stadt und Land nicht kannte. Die Rheinische Gemeindeordnung bestätigte 1845 den Zustand. Daß das mit ihr eingeführte Dreiklassenwahlrecht auf dem Land den Grundbesitz begünstigte, war hinnehmbar, da hier wie in den Städten vor allem das Besitzbürgertum Nutznießer war, es sich also für eine adlige Restauration nicht mehr eignete. In diesen nach der Eingliederung am weitesten "französisch" gebliebenen Bereichen wie in den Selbstverwaltungskörperschaften der Wirtschaft und den Provinzialständen hatte dann auch der rheinische Liberalismus seinen Rückhalt. Für den weniger bedeutenden Liberalismus Westfalens und Ostpreu33 Vgl. dazu noch Manfred Botzenhart, Wandlungen der ständischen Gesellschaft im Deutschland der preußischen und rheinbOndischen Refonnen, in: Von der ständischen Gesellschaft zur bürgerlichen Gleichheit: Tagung der Vereinigung für Verfassungsgeschichte in Hofgeismar am 2. /3. April 1979. - Berlin 1980. - (Der Staat: Beihefte; 4), S. 66 ff.
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ßens hatten die Möglichkeiten der Mitgestaltung, wie sie die Steinsche Städteordnung bot, ein ähnliches Gewicht. 34 Österreich, der größte und vielgestaltigste Staat Europas, hatte unter Kaiser Joseph 11. mit seinen aufgeklärt absolutistischen Reformen in der Rechts-, Kirchen- und Bildungspolitik am frühesten begonnen und hatte die Beschränkungen persönlicher Freiheit zunächst am weitesten beseitigt. Das Ergebnis war eine naturrechtlich-aufgeklärte KodifIkation, die mehr das Versprechen einer auf Rechtsgleichheit, Freiheit und Eigentum beruhenden Staatsbürgergesellschaft enthielt, als daß sie diese schon verwirklicht hätte. Denn deren politische Entfaltung wurde durch ein ausgeklügeltes Polizei- und Zensursystem und die auch nach der Begründung des josephinischen Staatskirchentums noch starke katholische Kirche nachdrücklich gebremst. Entscheidender aber war, daß gerade die Reformen offenbart hatten, in welchem Umfang die Monarchie der Habsburger immer noch von den Privilegierten abhängig war. 3S Deren gegebene Speerspitze gegen die bürokratisch-zentralistischen Reformen aus dem Geist der Aufklärung waren die Landstände gewesen. Denn sie repräsentierten sowohl das Sonderbewußtsein der Provinzen als auch die Kräfte der Beharrung, da sie von dem durch Ämter und persönliche Beziehungen eng mit Staat und Hof verbundenen Adel und eine Amtsoligarchie beherrscht wurden. 36 Indem sie an ihren Steuerkompetenzen ebenso wie an ihren Steuerprivilegien festhielten, haben sie nicht unwesentlich dazu beigetragen, daß die öffentlichen Finanzen niemals den Erfordernissen der Zeit angepaßt wurden. Die Landstände und die sie beherrschende Schicht waren ebenfalls der Eckstein der bis 1848 befestigten Privilegien-Ordnung, die weder die Ablösung der Grundlasten noch Gewerbefreiheit kannte. Das die Gesamtstaatsidee repräsentierende Kaisertum, das im August 1804 als erbliches Kaisertum Österreich errichtet worden war, und seine Bürokratie waren ein schwaches Gegengewicht. Die kaum modernisierte Staatsverwaltung 34 Vgl. dazu Rildiger Schütz, Zur Eingliederung der Rheinlande, in: Peter Baumgart (Hrsg), Expansion und Integration: zur Eingliederung neugewonnener Gebiete in den preußischen Staat. - Köln, Wien 1984. - (Neue Forschungen zur BrandenburgPreussischen Geschichte; 5), S. 195 fT. und Alfred Hartlieb von Wallthor, Die Eingliederung Westfalens in den preußischen Staat a. a. O. S. 227 ff.; vgl. darilber hinaus H. Berding, Preußische Gebiete, S. 331 ff. und I. Mieck, Integration, S. 345 ff. 35 Vgl. Karl-Georg Faber, Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert: Restauration und Revolution von 1815 - 1851. - Wiesbaden 1979. - (Handbuch der deutschen Geschichte; 3, I, 2), S. 24 ff.; Heinrich Lutz, Zwischen Habsburg und Preußen: Deutschland 1815 1866. - Berlin 1985, S. 21 ff. 36 Volker Press, Landstände des 18. und Parlamente des 19. Jahrhunderts, in: H. Berding / H.-P. Ullmann (Hrsg.), Deutschland (FN 10), S. 144 ff.
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blieb schwerfällig, das Regierungssystem uneffektiv und das Finanzgebaren improvisatorisch. Die Handlungsflihigkeit des Staates wurde noch dadurch eingeschränkt, daß die jetzt notwendige umfassendere und tieferreichende Integration der sich bewußter werdenden Nationalitäten über Pläne nicht hinauskam. Die Frucht der abgebrochenen Erneuerung und des mehrmaligen Kurswechsels, der schließlich im Lager der Restauration endete, war die Beschädigung der Glaubwürdigkeit des Staates wie eine Entfremdung zwischen der Monarchie und ihren Völkern. Denn die Reformpolitik hatte die Vorrechte der bisherigen Stützen der Monarchie beschnitten, ohne eine tragfähige neue Grundlage zu schaffen. Das waren Hypotheken, die nach der Wiedererrichtung der österreichischen Vormachtstellung auch die Entwicklung in Deutschland belasteten, von dem es sich erheblich entfernt hatte. Österreich war auf dem Stand einer absoluten Monarchie mit aufgeklärten Zügen stehen geblieben, während große Teile Deutschlands auf dem Weg in eine gleichere Gesellschaft, freiere Wirtschaft und rationaleren Staat waren. 37 Im künftigen Deutschen Bund war also die Ausgangslage fiir das Ringen um die staatliche Macht ganz unterschiedlich präjudiziert worden. Von den Kräften, die in Restauration und Vormärz die politische Entwicklung bestimmen sollten, schien auf den ersten Blick der fiirstliche Souverän der große Gewinner zu sein. Hatte er doch alle mit ihm um die Herrschaft konkurrierenden intermediären Gewalten beseitigen können. Freilich war dieser Machtzuwachs durch eine größere Abhängigkeit von Regierung und Bürokratie erkauft worden, die jetzt auch nicht mehr Objekt seiner Willkür waren. Das Fürstentum hatte sich endgültig zum Staat gewandelt und der Monarch zu dessen Organ. 38 Die begriffliche Scheidung zwischen seinem Vermögen und dem des Staates, die gesetzliche Einbindung auch seiner Regierungsakte einschließlich ministerieller Gegenzeichnung waren der sichtbarste Ausdruck davon. Die Geistlichkeit und nach ihr der Adel hatten dieser Staatswerdung die größten Opfer bringen müssen. Die katholische Kirche war als politische Kraft ausgeschaltet und in großem Maßstab enteignet worden. Die neuen Staaten haben versucht, sie durch Konkordate und die evangelische durch Verträge in ihren Machtbereich zu integrieren. Die Standesherren hatten über alle Umbrüche hinweg ihre rechtlich garantierte Sonderstellung erhalten können. Hingegen waren der Steigerung fiirstlicher Macht und Herrschaft weitgehend die politischen Vorrechte und fiskalischen Privilegien des einheimischen Adels zum OpVgl. auch noch Th. Nipperdey, Deutsche Geschichte (FN 7), S. 80 ff. Zur Entwicklung des deutschen "Beamtenstaats" vgl. auch James J. Sheehan, Der Ausklang des alten Reiches: Deutschland seit dem Ende des Siebenjährigen Krieges bis zur gescheiterten Revolution 1763 bis 1850. - Berlin 1994. - (Propyläen Geschichte Deutschlands; 6), S. 391 ff. 37 38
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fer gefallen. Darüber hinaus hat die Auflösung der Reichskirche, die Beseitigung der Stände und die Mediatisierung rur ihn den Verlust von Einfluß, Prestige und Einkünften bedeutet. Da ja diese Schicht aber nicht hatte beseitigt werden sollen, sondern vielmehr vielfältige Rücksichten zu nehmen waren und ihre wirtschaftliche Grundlage nicht angetastet, ja infolge von Entschädigungen und Ablösungen teils sogar gestärkt worden war, überlebte auch in den Reform staaten ein wirtschaftlich potenter, gesellschaftlich gefestigter und politisch einflußreicher Adel. 39 Es war ja kein Zufall, daß der Kampf gegen dessen Vorrechte den Zweiten Kammern dann besonders am Herzen lag. Das Land war Objekt der Reformen gewesen, die durch die Beseitigung genossenschaftlicher Wirtschaftsformen seine Einheitlichkeit weitgehend aufgelöst und die Gegensätze zwischen den rur den Markt produzierenden Vollbauern einerseits und den am Eigenbedarf orientierten Kleinbauern und Tagelöhner andererseits verstärkt hatten. Dieser Agrarindividualismus mag zusammen mit Bildung und Mentalität der Grund darur gewesen sein, daß es an den kommenden machtpolitischen Auseinandersetzungen nicht beteiligt war - vom Adel, der aber im eigenen Auftrag und nicht in dem des Landes handelte, einigen Großbauern und einigen Vertretern landwirtschaftlicher Interessen wie Hilfsvereinen einmal abgesehen. Adel und Bauern stand ein nach wie vor politisch handlungsunfähiges Bürgertum gegenüber, das aber vom großen Umbau profitiert hatte, da dabei seine Interessen sich mit denen des aufgeklärten Herrschers als Folge des bisher gemeinsamen Weges noch weitgehend gedeckt hatten. Mit Hilfe natur- und vernunftrechtlicher Kodifizierung von Rechtsgleichheit und freier Verrugung über das Eigentum vollzog sich seine gesellschaftliche und materielle Entfaltung, die nochmals durch die Schwächung des Adels und die Beseitigung wirtschaftlicher Hemmnisse begünstigt worden war. Nachdem Patriziat und städtische Oligarchie entmachtet worden waren, gelang es ihm, auch in den Regionen vermehrt politische Ämter an sich zu bringen. Die Begründung von Verwaltung und Beamtenturn auf bürgerlichen Werten wie Fähigkeit und Arbeitsdisziplin hat ihm dann noch den Zugang zu leitenden Stellungen in den neuen Staaten eröffnet. Dort haben sich die höheren Beamten mit Neu- und Altadel allmählich zu einer Funktionselite zusammengefunden, die sich nicht mehr auf Geburt und Privilegien, sondern auf Kompetenz, Vermögen und gesellschaftliches Ansehen gründete.
39 Vgl. E. Fehrenbach, Reformprojekte (FN 10), S. 74 ff. sowie auch noch H. Berding / H.-P.Ullmann, Veränderungen (FN 12), S. 24 ff.
111. Das System des Deutschen Bundes Durch die Siege der alliierten Mächte (England, Preußen, Rußland, Österreich) und teils auch als Folge der Erhebung der Völker war die napoleonische Hegemonie über Europa 1812/13 zusammengebrochen. Innerhalb der deswegen notwendigen Neuordnung des Kontinents mußte auch darüber entschieden werden, in welcher staatlichen Form Deutschland wiederhergestellt werden würde. Ehe es dazu kam, waren Weichenstellungen erfolgt. Preußen und Österreich sollten rur ihre Verluste entschädigt werden; und während die napoleonischen Vasallenstaaten aufzulösen waren, war den Rheinbundstaaten rur ihren Anschluß an das Bündnis gegen Napoleon Gebiet und Unabhängigkeit garantiert worden. So war durch Präjudizierung eines Bundes neu gefestigter Fürstenstaaten der Rahmen rur die Erfilllung der politischen Hoffnungen, wie sie von einem selbstbewußter gewordenen Bürgertum mit Nachdruck, doch noch wenig konkret in den Befreiungskriegen artikuliert worden waren,40 vorgegeben. Doch waren diese dadurch im Kern nicht berührt, als an die Verwirklichung einheits staatlicher und republikanischer Pläne nie ernsthaft gedacht worden war. 41 Die Erwartungen blieben folglich stark, waren sie doch durch Ver-
40 Wolfram Siemann, Vom Staatenbund zum Nationalstaat: Deutschland 1806 1871. - München 1995. - (Neue Deutsche Geschichte; 7), S. 229 ff. sieht in den politischen Organisationen der Befreiungskrige schon die Anfänge der politischen Vereine in Deutschland. 41 Vgl. E. Weis, Durchbruch (FN 7), S. 32811; E. R. Huber, Verfassungsgeschichte I (FN 29), S. 457 ff.; Heinz Angermeier, Deutschland zwischen Reichstradition und Nationalstaat: Verfassungspolitische Konzeptionen und nationales Denken von 1801 1815, in: Heinz Angermeier, Das alte Reich in der deutschen Geschichte: Studien über Kontinuitäten und Zäsuren. - München 1991, S. 461 ff. Zur zeitgenössischen Verfassungsdiskussion vgl. insbes. die Zusammenstellung der Texte in: Hartwig Brandt (Hrsg.), Restauration und Frilhliberalismus: 1814 - 1840. - Darmstadt 1979. - (Quellen zum politischen Denken der Deutschen im 19. und 20. Jahrhundert; 3), S. 87 ff. Otto Dann, Deutsche Nationsbildung im Zeichen französischer Herausforderung, in: Otto Dann (Hrsg.), Die deutsche Nation: Geschichte; Probleme; Perspektiven. - Vierow 1994 betont ebenfalls S. 18, daß für den antinapoleonischen Patriotismus ein deutscher Nationalstaat noch keine "dominierende Zielvorstellung" gewesen sei; dieser vielmehr noch stark auf Fürst und Einzelstaat bezogen gewesen sei.
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sprechungen und Vereinbarungen wie die an der Seite der Fürsten erbrachten Opfer fundiert. 42 Zwar sind auf dem Wien er Kongreß 1814/15 Erwägungen über einen deutschen Nationalstaat mit effektiven Bundesorganen und Nationalrepräsentation angestellt wurden,43 doch erwies sich dieser auch darin als ein Fürstenkongreß des Ancien Regimes als alles, was den Interessen der traditionellen Mächte widersprach, keine Chance auf Verwirklichung hatte. 44 Um Umwälzungen und Krieg auf dem Kontinent zu verhindern, wollten diese ein Mitteleuropa, das Garant des Gleichgewichts wie effektiver Teil eines Sicherheitssystems war, das jegliche Hegemonie verhinderte. In diesem Legitimität, Autorität und Stabilität verpflichteten Gebilde hatten Volkssouveränität und Nationalstaat keinen Platz. Diese Prinzipien der Französischen Revolution wurden vielmehr als die tieferen Ursachen der über zwanzigjährigen Periode des Umsturzes und der Kriege in Europa empfunden. Die von ihnen ausgehende Bedrohung zu bannen, wurde folglich ein wesentliches Anliegen der Allianz der Monarchen. In dieses Konzept fUgte sich ein lockerer Bund der Fürsten in Mitteleuropa ebenso gut ein wie er dem Bestreben der Mehrheit der deutschen Staaten nach weitgehender Wahrung ihrer Unabhängigkeit entgegenkam. Durch die Rückkehr Napoleons aus Elba gezwungen, sich in den deutschen Angelegenheiten rasch auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zu verständigen, beschlossen die "souverainen Fürsten und freien Städte Deutschlands ... fUr die Sicherheit und Unabhängigkeit Deutschlands, und die Ruhe und das Gleichgewichts Europas" am 8. Juni 1815 "sich zu einem beständigen Bunde zu vereinigen" .45 Dieser besaß nur ein Verfassungsorgan, nämlich die als Gesandtenkongreß organisierte Bundesversammlung, die allerdings Gesetzgebungskompetenz hatte. Davon hat der später so genannte Bundestag immer dann wirkungsvoll Gebrauch gemacht, wenn die Hegemonialmächte Preußen und Österreich kooperierten. 46 42 Vgl. W. Siemann, Staatenbund (FN 40), S. 331 fund O. Dann, Nationsbildung (FN 41), S. 17. 43 Vgl. die Denkschriften von Freiherr Karl vom und zum Stein und Wilhelm von Humboldt vom Frühjahr 1814, in: Klaus Müller (Hrsg), Quellen zur Geschichte des Wiener Kongresses: 1814/15. - Darmstadt 1986. - (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte der Neuzeit; 23), S. 30 I ff. 44 Vgl. zum Kongreß auch noch J. 1. Sheehan, Ausklang (FN 38), S. 359 ff. und W. Siemann, Staatenbund (FN 40), S. 314 ff 45 Vgl. die Bundesakte vom 8. Juni 1815, in: E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente I (FN 5), S. 84 ff 46 Beispiele dazu: Wolfram Siemann, Wandel der Politik - Wandel der Staatsgewalt, in: Helmut Rumpier (Hrsg.), Deutscher Bund und deutsche Frage 1815 - 1866: Europäische Ordnung, deutsche Politik und gesellschaftlicher Wandel im Zeitalter der bürger-
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Durch die Gleichstellung aller Bundesglieder und die Wahrung von deren völkerrechtlichen Handlungsfreiheit, die nur im Kriegsfalle und durch die Bundestreue eingeschränkt war, gründeten die Fürstentümer zwar mit der Souveränität im Staataufbauprinzip der Zeit, doch betrachteten die Dynasten sie nach wie vor als ihr Patrimonium. Ein Staatenbund mit bundesstaatlichen Zügen 47 hatte sich schließlich durchgesetzt, da er den besonderen deutschen Verhältnissen Rechnung trug. Denn er erschien sowohl offen genug, um die preußischösterreichische Rivalität zu neutralisieren, als auch Staaten von so unterschiedlichem Modemisierungsstand, politischen Interessen und Gewicht zusammenwachsen zu lassen. 48 Als Eckstein der europäischen Friedensordnung und als Verband, dessen Hauptzweck der Ausgleich zwischen Fürstenstaaten und die Garantie von deren Existenz war, stand die Staatsidee des Deutschen Bundes in einer auffallenden Kontinuität mit der des untergegangenen Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation. Dies gilt auch hinsichtlich der Ignorierung von jeglichem Nationalismus. 49 Die Vorschriften der Bundesakte über die Ausgestaltung der inneren Verhältnisse der Bundesglieder stehen in einem auffallenden Kontrast zu der sonst bestimmenden Rücksicht auf deren Unabhängigkeit. Die nicht unerheblichen Eingriffe in die Souveränitätsrechte waren nämlich die Reste des Plans eines starken Bundesstaates unter preußisch-österreichischer Führung, der wegen des unüberbrückbaren Gegensatzes der beiden Mächte in der polnisch-sächsischen Frage im Spätjahr 1814 aufgegeben worden war. Da nach dieser Konzeption die Macht der Mittelstaaten stärker hätte beschnitten werden sollen,50 war in Artikel 14 51 der Besitz des mediatisierten Adels rechtlich besonders gesichert worden. Da dieser es geschickt verstanden hatte, sich den Großmächten als Verbündeter sowohl ihrer Stabilisierungs- als auch ihrer Domestizierungspoli-
lieh-nationalen Emanzipation. - München 1990. - (Wiener Beiträge zur Geschichte der Neuzeit; 16, 17), S. 60 ff. 47 W. v. Humboldt, Über die Behandlung der Angelegenheiten des Deutschen Bundes durch Preußen, 30.9.1816, in: Andreas Flitner und Klaus Giel (Hrsg.), Werke in fünf Bänden. - Bd. IV: Schriften zur Politik und zum Bildungswesen. - Stuttgart 1964, S. 347 ff. 48 Dazu Wolf D. Gruner, Deutscher Bund und europäische Friedensordnung, in: H. Rumpier (Hrsg.), Deutscher Bund (FN 46), S. 247 ff. 49 Darauf hat jüngst anhand von Studien zu verfassungspolitischen Vorstellungen zwischen 1801 und 1815 H. Angermeier mit Nachdruck hingewiesen: Vgl. Reichstradition (FN 41), S. 461 ff. 50 Vgl. die Verfassungsvorlage W. v. Humboldts vom April 1814 und die "Zwölf Artikel" vom 14.10.1814, in: K. Müller (Hrsg.), Wiener Kongreß (FN 43), S. 304 ffund 350 ff. 51 E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente I (FN 5), S. 88 f.
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tik anzudienen, 52 sollte er auch die übrigen verlorenen Vorrechte in ansehnlichem Umfang wieder zurückerhalten, soweit dies mit den Landesgesetzen vereinbarwar. Von den Sicherungen gegen die Gefahren eines wiederbelebten "Despotismus" ist bezeichnenderweise nur diese restaurative durch die grundsätzliche Wende des Kongresses wenig tangiert worden. 53 Das Gegenteil war mit der Begrenzung filrstlicher Willkür durch Volksrechte geschehen. Denn ursprünglich waren die allen Untertanen des Bundes zu gewährenden Bürgerrechte von beachtlichem Umfang gewesen. Sie hatten insbesondere alle rechtsstaatlichen Garantien hinsichtlich der Person, des Eigentums und des Gerichtsverfahrens umfaßt, aber auch schon politische Grundrechte wie Zustimmung zur Besteuerung und Pressefreiheit. 54 Davon war nicht mehr geblieben als das, was im Interessen der Staaten selbst lag: ungehinderter Wohnsitzwechsel wie freier Grundstückserwerb und Vermögenstransfer innerhalb des Bundes. 55 Am stärksten haben sich die politischen Verschiebungen in der deutschen Frage auf die wohl weitreichendste Vorschrift der Bundesakte, "in allen Bundesstaaten wird eine Landständische Verfassung statt fmden",56 ausgewirkt. Sie ist deswegen schwierig zu deuten, da ihre Entstehung und schließliche Formulierung auf eine Vielzahl, teils widersprüchlicher Motive zurückgeht. 57 Die bis zur Krise des Spätherbsts 1814 verfolgte Intention der Einhegung filrstlicher Macht durch die Landstände in den Mittel- und Kleinstaaten war nicht ganz
52 Vgl. dazu und auch zum Folgenden die Denkschrift von Friedrich L. C. Graf zu Solms-Laubach über das Verhältnis Preußens und Österreichs zum Deutschen Bund, 7.9.1814, und den Bericht von Charles-Maurice Talleyrand-Perigord, 17.10.1814, in: K. Müller (Hrsg.), Wiener Kongreß (FN 43), S. 341 ff. und 366 ff. 53 Vgl. dazu den Bericht des hannoverschen Gesandten Ernst F. H. Reichsgraf von Münster an den Prinzregenten, 17.12.1814, und den Verfassungsplan des österreichischen Diplomaten Johann Philipp von Wessenberg von Ende Dezember 1814: a. a. O. S. 383 ff. und 391 ff. 54 Vgl. a. a. O. und Bernd Wunder, Landstände und Rechtsstaat: Entstehung und Verwirklichung des Art. 13 Deutsche Bundesakte, in: Zeitschrift rur historische Forschung 5, 1978, S. 139 - 185; zur Bedeutung dieser Rechte innerhalb der antinapoleonischen Nationalbewegung vgl. O. Dann, Nationsbildung (FN 41), S. 21 f. 55 E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente I (FN 5), S. 90. 56 E. R. Huber (Hrsg.) a. a. O. S. 88. 57 Mit der Entstehungsgeschichte von Art. 13 der Bundesakte (B A) hat sich zunächst Wolfgang Mager, Das Problem der landständischen Verfassungen auf dem Wiener Kongreß, in: HZ 217, 1974, S. 296 - 346 befaßt. Seine Ergebnisse wurden weitergeruhrt von B. Wunder, Landstände (FN 54). Auf beide Aufsätze ist auch rur das Folgende zurückzugreifen.
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aufgegeben worden. 58 Doch vertrug sich diese" Allianz" der Hegimonialmächte des Bundes mit den Opfern des Rheinbundes aber jetzt nicht mehr so recht mit dem Prinzip der Gleichheit aller Bundesglieder. Und weil schließlich die Furcht vor der Dynamik des Repräsentationsprinzips hinzugekommen war, sollte ein hohes Zensuswahlrecht und die privilegierte Stellung der Standesherren und des Landadels das Abgleiten der Ständeversammlungen in die Volkssouveränität verhindern. Damit war zugleich eine gewisse Revision der politisch-sozialen Entwicklung seit 1806, vor allem in den Reformstaaten, beabsichtigt. Dem Kongreß gelang es nicht mehr, die sich partiell widersprechenden Absichten auszugleichen, da die Rückkehr Napoleons einen raschen Abschluß erzwang. Daher wurde auch nichts mehr über Zeitpunkt und Verbindlichkeit, Zusammensetzung und Kompetenzen der Landstände gesagt. Vor allem aber blieb die politisch brisanteste Frage offen, ob diese geburts ständische Versammlungen alten Typs oder gewählte Volksvertretungen sein sollten. Um allen daraus resultierenden Kalamitäten zu entgehen, haben sich Preußen und Österreich hier wie auch bei den Rechten der Untertanen "die Berücksichtigung ihrer besonderen Verhältnisse" vorbehalten. 59 Klar ist dennoch, daß mit Artikel 13 ein Alternativmodell zur Volkssouveränität entworfen worden war, das die Gesamtkonzeption des Deutschen Bundes stützen sollte. An eine Mitbestimmung der Regierungspolitik im Sinne des Konstitutionalismus war daher überhaupt nicht und an eine Förderung des Gemeinschaftsbewußtseins im Sinne Steins nur am Rande gedacht. Die restituierten Landstände hatten ihren Rechtsgrund weder im Fürsten noch im Volk, sondern im Bund. Im Sinne seiner Gründer sollten sie in erster Linie in der Tradition ihrer Vorgänger über die in Bundes- und Landesverfassung wie in den Gesetzen garantierten Rechte des Volkes wachen. Für seine monarchischen Urheber war der Deutsche Bund aber nicht nur die Lösung des deutschen Verfassungsproblems, sondern ihm war darüber hinaus ein politischer Auftrag zugedacht, der schließlich zu seiner eigentlichen Existenzberechtigung wurde. 60 Denn mit Berufung auf die "Erhaltung der äußeren und inneren Sicherheit Deutschlands und der Unabhängigkeit und UnverletzDies betont besonders W. Mager a. a. O. S. 304 ff. Vgl. Art. 11 und 12 der "Zwölf Artikel" a. a. O. (FN 43) S. 353. 60 Dies ist kritisch zu H. Angermeiers Kontinuitätsthese zu sagen. Diese ist überhaupt dahingehend zu relativieren, daß Angermeier im oben aufgezeigten Sinne die verfassungspolitische Linie vom Alten Reich zum Deutschen Bund aufgrund der von ihm ausgewählten Texte zu einsträngig zieht. Die um Nationalstaat und Volkssouveränität kreisende Diskussion, die zeigt, daß auch über eine Gestaltung der deutschen Verhältnisse nachgedacht wurde, die nicht in der Tradition des Alten Reiches stand, werden zu wenig beachtet. Vgl. zur Quellengrundlage H. Angermeier, Reich (FN 41), S. 458 ff. 58
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barkeit der einzelnen deutschen Staaten" bekämpfte er alle als bundesfeindlich eingeschätzten Bestrebungen: nationale, die auf seine Umgestaltung abzielten, ebenso wie demokratische, liberale und soziale, die die monarchische Alleinund Vorherrschaft oder die Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung in Frage stellten. Die Kontrolle der Verfassungsbewegungen in den Staaten und die politische Überwachung der gesellschaftlichen Kräfte, selbst unter Einsatz des Heeres, wurde zur raison d' etre des Bundes, und so nahmen ihn die Deutschen vor allem wahr, auch wenn er darüber hinaus pazifizierend und modernisierend wirkte. 61 Fürstliche Legitimität und Souveränität, wenn auch zum Teil restauriert und durchaus auch machtpolitisch pragmatisch gehandhabt, waren also die Prinzipien des Deutschen Bundes. Ihnen verdankten es die partikularen Gewalten, und nicht zuletzt diejenigen, die Geschöpfe Napoleons waren, daß sie den Wiener Kongreß in der Substanz unangetastet überstanden. Das galt um so mehr als das Arrangement mit den Standesherren wie die Einführung der landständischen Verfassung in einem solchen Umfang den Bundesstaaten überlassen wurden, daß diese Verfassungselemente entgegen der ursprünglichen Intention keine bedrohliche Herausforderung mehr fur die gestärkte monarchische Gewalt und die Struktur der Staaten zu sein brauchten. In Wien war also kein unmittelbarer Zwang ausgeübt worden, von dem monarchischen Verwaltungsstaat - teils noch absolutistischer Prägung - oder von dem inzwischen erreichten Stand der Modernisierung abzugehen. Insofern blieb die politische Landschaft in Deutschland, so wie sie sich in der "Franzosenzeit" herausgebildet hatte, unverändert. Der Deutsche Bund verstand sich sowohl als Garant für die Stabilität der europäischen Staatengemeinschaft als auch für die politisch-soziale Ordnung in den Bundesstaaten, auf der das Gesamtwerk ruhte. Er war Schutzwall gegen das Selbstbestimmungsrecht der Völker wie gegen das Mit- oder gar Selbstbestimmungsrecht des Volkes. Innerhalb einer solchen Konzeption konnten die Sehnsüchte der Bürger nach einem wie auch immer gestalteten Nationalstaat und ihre Forderung nach politischer Mitgestaltung nicht befriedigt werden. Dennoch hielt sich deren Enttäuschung darüber zunächst in Grenzen, da vieles noch nicht zu Ende geführt worden war oder erst noch umgesetzt werden mußte. 62 Es war aber abzusehen, daß der nun geschaffene Bund mit ihnen bald in Konflikt geraten würde.
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Das betont besonders W. Siemann, Wandel (FN 46), S. 61 ff. K. G. Faber, Restauration und Revolution (FN 35), S. 23 f.
IV. Die bürgerliche Aufklärung Die Anflinge der bürgerlichen Bewegung in Deutschland liegen in der Aufklärung. 63 Damals hat sie sich, aufbauend auf ihrer dominierenden Stellung in Handel und Gewerbe, als eine eigenständige gesellschaftliche Kraft aufgrund ihrer kulturellen Schöpfungen und geistigen Leistungen konstituiert. Für ihre Festigung wie für die Vermehrung ihres öffentlichen Gewichts ist das Wort entscheidend geworden. Sowohl in künstlerisch-literarischen Formen vom Roman bis zur Satire als auch in publizistischen vom Brief bis zum Journal wurde der Geist der Aufklärung über alle sozialen, konfessionellen wie territorialen Grenzen hinweg verbreitet. Durch die zunehmende Bedeutung des öffentlichen Diskurses wurde die von bürgerlichen Fuktionsträgern betriebene Bewußtseinsbildung in Schule und Kirche aufgewertet, und durch die verstärkte Nutzanwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse und der damit einhergehenden Nachfrage nach entsprechend ausgebildetem Personal stieg der Einfluß bürgerlicher Gelehrter an Universitäten und Akademien. 64 Das bürgerliche Deutschland propagierte so eine Weltanschauung der Vernunft und schuf sich eine Moral mit einem genuinen Tugendsystem, in dessen Mittelpunkt das selbstverantwortliche und autonome Individuum stand. Das dadurch wachsende Selbstbewußtsein steigerte sich bis zur historischen Gewißheit vom Heraufkommen eines bürgerlichen Zeitalters je mehr Rationalität und bürgerliche Werte zum allgemein akzeptierten Maß individueller Lebensführung wie von Gesellschaft und Politik wurden. Diese schmale Schicht hat es aber bei der literarischen Kommunikation über die ganze Nation hinweg nicht belassen. Von der patrizischen Oligarchie vom Stadtregirnent abgedrängt, durch den Adel vom Hof- und Staatsdienst noch weitgehend ferngehalten und den politischen Monopolanspruch des absoluten Monarchen nicht in Frage stellend, fand es vielmehr in den vor Ort gegründe63 Zuletzt hat Hans Fenske in seinem Überblick "Der deutsche Liberalismus bis zum Ausgang des 19. Jahrhunderts: Literatur aus den Jahren 1987 - 1991" im Historischen Jahrbuch 112, 1992, S. 457 ff. darauf hingewiesen, daß diese Kontinuität bei der weitverbreiteten Betrachtung des Liberalismus als einer Erscheinung der Zeit nach 1815, übersehen wird. 64 Vgl. dazu die entsprechenden Überblicke bei Horst Möller, Fürstenstaat und Bürgemation: Deutschland 1763 - 1815. - Berlin 1989, S. 317 ff. und J. 1. Sheehan, Ausklang (FN 38), S. 134 ff.
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ten Gesellschaften die adäquate Form seines öffentlichen Wirkens. 6s Dort fanden sich Bürger aus unterschiedlichen Tätigkeitsbereichen zusammen und wurden sich so gemeinsamer Mentalität und Interessen bewußt. Soweit sich diese Gesellschaften nicht gegen das "gemeine Wohl, Sicherheit und Ordnung" richteten, blieben sie von der Obrigkeit unbehelligt, ja sie wurden nicht selten sogar von ihr gefördert. 66 Aufgrund der Mitgliedschaft von aufgeklärten Adligen wie demokratischer Verfahrensformen und durch die im naturrechtlichen Geist untereinander praktizierte Gleichheit waren diese Vereine ein Fremdkörper in der ständischen Gesellschaft, deren Aushöhlung sie Vorschub leisteten. Teils dienten diese Assoziationen der Verbreitung bürgerlichen Geistes und der Förderung bürgerlicher Selbstvergewisserung, teils gingen sie darüber hinaus. Denn man fand sich in ihnen auch zusammen zum Austausch von Informationen, zur politischen Debatte, zur Vermittlung von Wissen und zum geselligen Verkehr. Die Verwirklichung bestimmter sozialer und kultureller Anliegen stand noch nicht im Vordergrund. Durch schichtenspezifische Zielsetzungen, Aufnahmekriterien und Rekrutierungsverfahren schloß das Bürgertum sich gegenüber den unteren Klassen, denen man sich materiell und geistig überlegen wußte, ab. Dies war kein Akt "sozialer Diskriminierung", sondern Ausdruck seines Politikverständnisses und Persönlichkeitsideals: die wirtschaftlich Selbständigen und geistig-moralisch Selbstverantwortlichen sind die Elite, die beauftragt ist, rur das ganze "Volk" zu handeln. 67 Mit der Verbürgerlichung der Gesellschaft und deren institutio65 Vgl. zum Folgenden Otto Dann, Die Anflinge politischer Vereinsbildung in Deutschland, in: Ulrich Engelhardt u. a. (Hrsg.), Soziale Bewegung und politische Verfassung: Beiträge zur Geschichte der modemen Welt - Stuttgart 1976, S. 198 ff. und Thomas Nipperdey, Verein als soziale Struktur, in: Thomas Nipperdey, Gesellschaft, Kultur, Theorie: gesammelte Aufsätze zur neueren Geschichte. - Göttingen 1976. (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft; 18), S. 183 ff. 66 Dazu Wolfgang Hardtwig, Strukturmerkmale und Entwicklungstendenzen des Vereinswesens in Deutschland 1789 - 1848, in: Otto Dann (Hrsg.), Vereinswesen und bürgerliche Gesellschaft in Deutschland. - München 1984, S. II f. und Th. Nipperdey a. a. O. S. 195 ff. 67 Immanuel Kant schreibt 1797 im § 47 in seiner "Metaphysik der Sitten in zwey Theilen": "Die zur Gesetzgebung vereinigten Glieder einer solchen Gesellschaft (societas civilis), d.i. eines Staats, heißen Staatsbürger (cives), und die rechtlichen, von ihrem Wesen (als solchem) unabtrennlichen Attribute derselben sind gesetzliche Freiheit, keinem anderen Gesetz zu gehorchen, als zu weichem er seine Beistimmung gegeben hat - bürgerliche Gleichheit, keinen Oberen im Volk, in Ansehung seiner zu erkennen, als nur einen solchen, den er ebenso rechtlich zu verbinden das moralische Vermögen hat, als dieser ihn verbinden kann; drittens, das Attribut der bürgerlichen Selbständigkeit, seine Existenz und Erhaltung nicht der Willkür eines anderen im Volke, sondern seinen eigenen Rechten und Kräften, als Glied des gemeinen Wesens verdanken zu
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neller Verankerung hatte sich also das Bürgertum als Macht in einer Öffentlichkeit durchgesetzt, die bisher von Adel, Hof und Fürst dominiert worden war; auf dieser Grundlage konnte es sich dann als politische Bewegung formieren. 68 Diese nahm ihren Ausgang vom Ringen um gemeinbürgerliche OrdnungsvorsteIlungen vorwiegend seit dem letzten Drittel des 18. Jahrhunderts. 69 Die Staatsziele des deutschen Fürstenstaats wurden dabei um die Garantie der Freiheit seiner Bürger und die Verwirklichung von deren "Glückseligkeit" erweitert. Erreicht werden sollte der Staatszweck im Einvernehmen zwischen Volk und aufgeklärtem Monarchen, dessen absolute Macht in der Praxis unangetastet bleiben sollte. Freilich wurde deren Entstehung nun so gedeutet und wurden in einem solchen Umfang ethische Erwartungen an deren Ausübung herangetragen, daß dies einer Selbstbeschränkung gleichkam. Denn durch das Verständnis fiirstlicher Macht als Ergebnis eines Bundes zwischen Herrscher und Beherrschten wurde das Gottesgnadentum relativiert. Der Fürst wurde so ein Staatsorgan, dessen Gewalt vor allem eine moralische Verpflichtung war und die ihre Grenzen an den durch den Herrschaftsvertrag nicht aufgegebenen Rechten des Menschen auf körperliche Unversehrtheit, Freiheit und Eigentum fand. So verstandene Menschenrechte wurden jetzt meistens noch um rechtsstaatliche Mindestanforderungen erweitert. Diese Staatsbürger mißtrauten der Volkssouveränität ebenso wie sie die bestehenden ständischen Vertretungen fiir unzulänglich hielten. Ihr Wille sollte daher vor allem durch den ungehinderten öffentlichen Diskurs zum Ausdruck kommen, damit er Grundlage einer Gesetzgebung würde, die Fürst wie Volk können, folglich die bürgerliche Persönlichkeit, in Rechtsangelegenheiten durch keinen anderen vorgestellt werden dürfen." Der Unterschied zwischen "aktivem" und "passivem" Staatsbürger liege darin, daß der eigentliche Staatsbürger nicht nur "Teil des gemeinen Wesens, sondern auch Glied desselben" ist, "d. i. aus eigener Willkür in Gemeinschaft mit anderen handelnder Teil desselben sein will." Vgl. Immanuel Kant, Schriften zur Ethik und Religionsphilosophie. - 2. Teil, - Darmstadt 1968. - (lmmanuel Kant, Werke in zehn Bänden; 7), S. 432 f. 68 Mit Recht sieht F. Valjavec die politische Leistung des deutschen Bürgertums der Aufklärungsära in der Herausbildung der von ihm so wesentlich bestimmten Öffentlichkeit. Valjavec spitzt seine These sogar dahingehend zu, daß diese Öffentlichkeit in ihrer Bedeutung nicht hinter der der westeuropäischen Staaten zurückgestanden habe. Vgl. Fritz Valjavec, Die Entstehung der politischen Strömungen in Deutschland 1770 - 1815. - Nachdruck der Erstausgabe von 1951. - Düsseldorf 1978, S. 343 ff. 69 Vgl. dazu vor allem: Rudolf Vierhaus, Politisches Bewußtsein vor 1789, in: H. Berding / H.-P. Ullmann (Hrsg.), Deutschland (FN 10), S. 164 ff. und Eberhard Weis, Reich und Territorien in den letzten Jahren des 18. Jahrhunderts, in: H. Berding / H.-P. Ullmann (Hrsg.), Deutschland (FN 10), S. 45 ff.
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band. 70 Das schloß Kritik an der Despotie mit ein und war kein Hindernis für Angriffe gegen religiöse Bevormundung, die Privilegien des Adels und öffentliche Mißwirtschaft. Wurde so durch eine aufklärerische Öffentlichkeit als kritische und mitbestimmende Instanz der Fürst und sein Staat auf Vernunft und Naturrecht festgelegt, dann konnten sich die Bürger mit der ihnen zugewiesenen Rolle in Bildungswesen, Kirche und aufgeklärter Bürokratie bescheiden. Sie blieben ja freie Staatsbürger, da sie sich einer vernünftigen und mitgestalteten Ordnung fügten. Die bürgerliche Öffentlichkeit im Zeitalter der Aufklärung wollte die staatliche Macht nicht für sich, und es ging ihr auch nicht so sehr darum, daran teilzuhaben, sondern ihr vornehmliches Anliegen war es, diese zu verändern. 71 Gerade deswegen konnte sie den aufgeklärten Reformen zum Durchbruch verhelfen, die durch die Effektivierung der Staatstätigkeit, die Rationalisierung von Gesellschaft und Wirtschaft, den Abbau intermediärer Gewalten und die Entbindung des einzelnen der Entfaltung des Bürgertums den Weg geebnet haben. An diesem Einvernehmen, das auf der Akzeptanz der politischen Machtverhältnisse durch das Bürgertum einerseits und die Rückbindung des Monarchen an die aufgeklärte Öffentlichkeit andererseits beruhte, und an dem Vertrauen beider in eine evolutionäre Umgestaltung hat auch die Ausstrahlung der Französischen Revolution auf Deutschland im Grundsatz nichts geändert. 72 Einerseits wurde das Verhältnis nochmals durch die gemeinsame Furcht vor der Massenherrschaft seit den Tagen des revolutionären Terrors bekräftigt;73 ande70 In bezug auf die Gesetzgebung hat Kant 1798 die philosophische Quintessenz des aufgeklärten Absolutismus gezogen: da "die Idee einer mit dem natürlichen Rechte der Menschen zusammenstimmenden Konstitution: daß nämlich die dem Gesetz Gehorchenden auch zugleich, vereinigt, gesetzgebend sein sollen" sich "nur nach mannigfaltigen Befehdungen und Kriegen mühsam" durchsetzen werde, ist es "Pflicht der Monarchen, ob sie gleich autokratisch herrschen, dennoch republikanisch (nicht demokratisch) zu regieren, d. i., das Volk nach Prinzipien zu behandeln, die dem Geist der Freiheitsgesetze (wie ein Volk mit reifer Vernunft sie sich selbst vorschreiben würde) gemäß sind, wenn gleich dem Buchstaben nach es um seine Einwilligung nicht befragt würde." Vgl. I. Kant, Der Streit der Fakultäten, in: I. Kant, Werke 9 (FN 67), S. 364 f. 71 Vgl. dazu auch noch Jürgen Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit: Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft. - 4. Autl - Neuwied 1962. - (Politica ; 4), S. 63 ff. 72 Vgl. E. Weis, Reich und Territorien (FN 69), S. 58 ff. und R. Vierhaus, Politisches Bewußtsein (FN 69), S. 176 ff. 73 James J. Sheehan bringt die Abwendung des geistigen Deutschland auf die Formel: "Eroberung, Königsmord, Lästerung und Terror - das war in den Augen vieler deutscher Denker das wahre Antlitz dessen, was als Kampf um Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit begonnen hatte". Vgl. J. 1. Sheehan, Ausklang (FN 38), S. 332. Vgl. auch Theodor Schieder, Die Krise des bürgerlichen Liberalismus: ein Beitrag zum Ver-
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rerseits hat es sich aber insofern versteift, als das Bürgertum nun mit mehr Nachdruck auf größere politische Wirksamkeit drängte, während die Obrigkeit dessen Freiheit in kaum begründeter Furcht vor dem Umsturz stärker beschnitt. Denn vereinzelte Unruhen waren Folgen lokaler Mißstände oder von Aktionen im Schutz der französischen Revolutionstruppen. Anhänger der Ideen der Revolution und Befiirworter des Umsturz74 blieben auf eine schmale Schicht bürgerlicher und einiger adliger Intellektueller beschränkt. Und auch die Ausdifferenzierung des Bürgertums in politische Strömungen, wie sie sich an der unterschiedlichen Einschätzung der Revolution herausbildeten, war weder tiefgehend noch folgenreich. 75 Die Diskrepanz zwischen Politik und Ideologie, welche die Formierung des Bürgertums kennzeichnete, wirkte also auch über die Epoche der Revolution weiter. Denn in der Zentrierung auf den monarchischen Staat kam zum Ausdruck, daß es sich seiner begrenzten politischen Macht bewußt blieb. Es war selbst weitgehend wirtschaftlich vom Staate abhängig, ihm fehlte im größeren Umfang die Erfahrung praktischer Staatstätigkeit, und es hatte keinen Massenanhang. Es blieb eine geistig-moralische Bewegung, die allerdings auch ihren verdeckten Herrschaftsanspruch aufrecht erhielt. 76 Denn durch die Propagierung von philosophischen, politischen und verfassungsrechtlichen Prinzipien einer bürgerlichen Gesellschaft wurden die bestehenden Verhältnisse in Frage gestellt. Die geschichtsphilosophische Zuversicht von einer bürgerlichen Zukunft war das eigentliche Motiv seiner aus der Deckung heraus geführten moralisch-kritschen Auseinandersetzung. 77 So wurde die Entscheidung nochmals um eine Generation vertagt. Als sie erneut anstand, hatten sich die Rahmenbedingungen grundsätzlich geändert; Selbstverständnis und Anspruch des Bürgertums, so wie sie überkommen waren, allerdings nicht.
hältnis von politischer und gesellschaftlicher Verfassung, in: Lothar Gall (Hrsg.), Liberalismus. - 3. erw. Aufl. - Königstein 1985, S. 189. 74 Vgl. dazu jetzt: Horst Dippel (Hrsg.), Die Anfänge des Konstitutionalismus in Deutschland: Texte deutscher Verfassungsentwürfe am Ende des 18. Jahrhunderts. Frankfurt am Main 1993, S. 12 ff. 75 Vgl. F. Valjavec, Politische Strömungen (FN 68), S. 146 ff. 76 Dazu v. a. Reinhart Koselleck, Kritik und Krise: eine Studie zur Pathogenese der bürgerlichen Welt. - 3. Aufl. - Frankfurt a. M. 1979. - (Suhrkamp-Taschenbücher Wissenschaft; 6), S. 105 ff. 77 Wenig überzeugend ist aufgrund des bisher Ausgeführten die Deutung des Frühliberlismus durch W. Kaschuba als politisch kaum visionär und moralisch wie sozial begrenzt. Vgl. Wolfgang Kaschuba, Zwischen Deutscher Nation und Deutscher Provinz: politische Horizonte und soziale Milieus im frühen Liberalismus, in: Dieter Langewiesche (Hrsg.), Liberalismus im 19. Jahrhundert: Deutschland im europäischen Vergleich. - Göttingen 1988. - (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft; 79), S. 83 ff. 3 Ruppert
v. Die Formierung des Liberalismus In Deutschland hat das Volk durch die Unterstützung der gegen die Herrschaft Napoleons kämpfenden Heere zum ersten Mal das politische Geschehen erkennbar mitgeprägt; zugleich war es sich aufgrund der entfachten patriotischen Begeisterung über Staaten und Stände hinweg als Nation bewußt geworden. 78 Nach diesem patriotischen Aufbruch erschienen die Ergebnisse des Gesandtenkongresses in Wien nicht mehr als die ErfUllung des Einheitsverlangens und adäquate Antwort auf die erstrebte Teilnahme am Geschick von Staat und Nation. 79 Darauf und auf den zunehmenden Widerstand gegen die Modernisierung selbst in den Reformstaaten80 hat das in der Aufklärung präfigurierte und durch die Reformen gestärkte Bürgertum reagiert, indem es sich als die der Regierung gegenüberstehende Repräsentation der Gesellschaft formierte. Diese ging jetzt vom politischen Räsonement dazu über, mitgestaltenden Einfluß auf die öffentlichen Angelegenheiten zu fordern. 81 Sie tat dies im Namen von Nation und bürgerlicher Gesellschaft. Begriffe die konsequenterweise seitdem zunehmend einen zeitkritischeren Gehalt bekamen. So sehr sich der Ruf nach der Nation noch mit wenig Konkretem verband und sich mit dynastischer Anhänglichkeit, Landespatriotismus und der Sehnsucht nach der Wiederherstellung des Reiches mischte,82 so erhob mit ihm die 78 Vgl. O. Dann, Nationsbildung (FN 41), S 17fr. 79 Vgl. Barbara Vogel, Bearntenliberalismus in der napoleonischen Ära, in: D. Langewiesche (Hrsg.), Liberalismus (FN 77), S. 45 ff. 80 Werner Conze, Das Spannungsfeld von Staat und Gesellschaft im Vormärz, in: Werner Conze (Hrsg.), Staat und Gesellschaft im deutschen Vormärz 1815 - 1848. Stuttgart 1962, S. 239 ff. 81 Vgl. Theodor Schieder, Die Theorie der Partei im älteren deutschen Liberalismus, in: Theodor Schieder, Staat und Gesellschaft im Wandel unserer Zeit. - 3. Aufl. - München 1974, S. 113 ff. 82 O. Dann, Nationsbildung (FN 41), S 15 tI. weist ebenfalls darauf hin, daß der Nationalismus des Bürgertums nach 1815 als Reaktion auf die enttäuschten Hoffnungen in zweierlei Hinsicht politischer wird. Einmal wird der Begriff der Nation sozialkritisch gegen die privilegierten Stände gewendet, indem das Bürgertum nun nachdrücklich darauf besteht, die Nation zu repräsentieren; zum anderen werden die Erwartungen nun in einer Wendung gegen den Fürstenstaat, dem bisher die Anhänglichkeit gegolten hatte, auf das Reich projeziert. 3·
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verstärkt vom romantischen Geschichtsdenken geprägte bürgerliche Kultumation 83 doch unmißverständlich den Anspruch, die Regelung der deutschen Dinge nicht mehr allein den Fürsten zu überlassen. Ähnlich war es mit der Forderung nach der bürgerlichen Gesellschaft. Wenn sie auch noch keinem politischem Programm entsprang und das deutsche Bürgertum keinesfalls so weit gehen wollte wie das französische, sich mit Berufung auf die Volkssouveränität als Nation zu konstituieren, so lag ihr allein schon begrifflich ein umfassenderer Anspruch auf politische Mitgestaltung zugrunde, als er bisher von Ständen und Korporationen und insbesondere von den Bürgern ausgeübt worden war. 84 Mit dem so eingeleiteten Wandel des aufgeklärten Bürgertums zum liberalen tat sich auch sofort ein Gegensatz zur Staatsbürokratie auf. Denn angesichts von dessen Anspruch auf Mitbestimmung verlangte der Fürst jetzt verstärkt von ihr die Wahrung seines politischen Monopolanspruchs, und der Deutsche Bund sah in ihr ein Instrument seiner restaurativen Politik, die einherging mit der Unterdrückung der bürgerlichen Emanzipationsbestrebungen. 85 In Reaktion darauf machte das Bürgertum den Staatsdienern nun ihre immer schwerer zu erfilllende Mittlerrolle zwischen Fürst und Nation streitig. 86 Es höhlte nicht nur deren Selbstverständnis als allgemeiner Stand aus, indem es sich selbst immer mehr so verstand, sondern es trat mit ihnen und dem Adel in politische Konkurrenz. Der Riß ging mitten durch die Beamtenschaft. Ein Teil schlug sich auf die Seite des Obrigkeitsstaats, der andere stärkte die liberale Opposition in den Landtagen. 87 Zielsetzungen und Selbstverständnis des liberalen Bürgertums sind also dadurch nochmals politischer geworden, daß es in die Position des Widerparts des
83 Ausfllhrlich dazu Friedrich C. Sell, Die Tragödie des deutschen Liberalismus. Stuttgart 1953, S. 46 ff. und Otto Dann, Nation und Nationalismus in Deutschland: 1770 - 1990. - München 1933, S. 45 ff. 84 Vgl. Manfred Riedei, Bürger, in: Otto Brunner u. a. (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe: historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Bd. I. - Stuttgart 1972, S. 709 ff. 85 Rudolf Vierhaus, Liberalismus, Beamtentum und konstitutionelles System, in: Wolfgang Schieder (Hrsg.),Liberalismus in der Gesellschaft des deutschen Vormärz. Göttingen 1983. - (Geschichte und Gesellschaft: Sonderheft; 9), S. 39 ff. 86 Vgl. B. Vogel, Beamtenliberalismus (FN 79), S. 52 ff. und Elisabeth Fehrenbach, Bürokratische Verfassungspolitik und gesellschaftliche Bewegung: zur sozialen Basis des deutschen Frühkonstitutionalismus 1818/20. - In: Karl Dietrich Bracher u. a. (Hrsg.), Staat und Parteien: Festschrift fllr Rudolf Morsey zum 65. Geburtstag. - Berlin 1992, S. 47 f. 87 KarI-Georg Faber, Politisches Denken in der Restaurationszeit, in: H. Berding / H.-P. UBmann (Hrsg), Deutschland (FN 10), S.267 f.
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Fürstenstaats gedrängt wurde. 88 Es begriff sich nun immer mehr als "Partei der Bewegung", die der "Reaktion" politische Teilhabe wie gesellschaftliche und wirtschaftliche Modemisierung abzutrotzen berufen sei. Diesen aus seiner rationalistisch-emanzipatorischen Weltanschauung abgeleiteten geschichtlichen Auftrag beanspruchte es, im Namen der Freiheit zu vollziehen. 89 Da der Aufbruch unter dem Leitbegriff der Epoche stand, sahen sich die Widersacher ideologisch in die Defensive gedrängt. Auf dieser Grundlage wuchs das Selbstverständnis vom Bürgertum als dem "allgemeinen Stand" und vom Bürger als dem "Agenten des Gemeinwohls", der allein aufgrund seines Besitzes unabhängig und aufgrund seiner Bildung verständig genug sei, um politische Verantwortung zu übemehmen. 9o Diese sozial und mentalitätsmäßig so profilierte Schicht hat bis zum Anfang der vierziger Jahre des 19. Jahrhunderts diesen Anspruch fast unangefochten aufrecht erhalten können. Denn zum einen fehlten der Masse die materiellen und bildungsmäßigen Voraussetzungen rur politische Betätigung; zum anderen verlängerte eine von der noch starken sozialen Einbindung des einzelnen geprägte Mentalität die paternalistischen Strukturen der Gesellschaft in die Politik. Dort hat das indirekte Zensuswahlrecht die Exklusivität der politischen Betätigung des Bürgertums zusätzlich abgesichert. Es kam hinzu, daß das liberale Bürgertum, das kaum ein Zehntel der Bevölkerung ausmachte, im deutschen Vormärz ein erstaunliches Integrationsvermögen bewies. Es reichte sozial vom kleinen Handwerker über die Beamten aller Rangstufen, Freiberufler, Juristen und Gewerbetreibenden bis zum unternehmerischen Bourgeois, der als letzter seit Mitte der dreißiger Jahre das Spektrum bereicherte. Obwohl weitgehend eine städtische Bewegung schlossen sich ihr auch bäuerliche Honoratioren an. 91 Trotz dieser sozialen und kulturellen Hete88 Zum ebenfalls in diesem Zusamenhang noch zu bedenkenden Gegensatz zwischen den Staatsbeamten und den Liberalen in den Gemeinden vgl. Paul Nolte, Gemeindeliberalismus: zur lokalen Entstehung und sozialen Verankerung der liberalen Partei in Baden 1831 - 1855, in. HZ 252,1991, S. 72 ff. 89 Vgl. R. Koselleck, Kritik (FN 76), S. 105 ff. 90 Zur neueren Kontroverse über den Charakter des deutschen Liberalismus zwischen klassenübergreifender Bewegung aller nichtprivilegierten Besitzenden und sozialer Rückständigkeit vgl. Hartwig Brandt, Forschungsbericht : zu einigen Liberalismusdeutungen der siebziger und achtziger Jahre, in: GG 17, 1991, S. 512 ff. Vgl. auch noch James 1. Sheehan, Liberalismus und Gesellschaft 1815 - 1848, in: L. Gall (Hrsg.), Liberalismus (FN 73), S. 220 ff. 9\ Ausführlich zur sozialen Zusammensetzung des deutschen Liberalismus: H.-V. Wehler, Gesellschaftsgeschichte (FN 18), S. 413 ff.; vgl. auch W. Kaschuba, Früher Liberalismus (FN 77), S. 85 ff.; James J. Sheehan, Wie bürgerlich war der deutsche Liberalismus?, in: D. Langewiesche (Hrsg.): Liberalismus (FN 77), S. 34 ff.; Wolfgang
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rogenität gelang es allerdings nicht, auch die Unterschichten zu binden. Da sich deren politisches Bewußtsein aber erst im Sog der bürgerlichen Emanzipationsbewegung als Folge der Verelendung und der Industrialisierung formte, war dies zunächst nicht weiter relevant. So blieb der Liberalismus jetzt wie auch später in dem Sinne "elitär", daß er entgegen seinem Anspruch, Vertreter der Allgemeinheit zu sein, keine Massenbewegung war. Trotz der sozialen Ausweitung des Liberalismus im Vormärz blieben die bürgerlichen Meinungsbildner in Schulen, Universitäten und Publizistik, die schon bei der Konstituierung des aufgeklärten Bürgertums entscheidend gewesen waren, stark. Auffallend viele filhrende Köpfe der Bewegung standen darüber hinaus im Dienst der evangelischen Kirche oder übten eine Funktion in Gemeinde, Stadt, Staat und bei den Standesherren aus. 92 Das lag wohl vor allem daran, daß dieses Schichten in den süddeutschen Staaten dominierten, in denen das liberale Bürgertum die besten Entfaltungsmöglichkeiten hatte. Denn in Baden und Württemberg gab es keinen landsässigen Adel, und in Hessen fiel er kaum ins Gewicht. Die im Süden allerdings weit verbreiteten standesherrlichen Familien hielten sich aus Verbitterung über den Verlust ihrer Herrschaftsrechte und wegen der Konzentrierung auf ihren Besitz gegenüber Hof wie Landtagen zurück. 93 Ihr Bezugspunkt war mehr der Bundestag, der ihre Privilegien garantierte, die den Argwohn von Bürgern und Staatsbürokratie erregten. 94 Da des weiteren die alten Ständeversammlungen beseitigt oder (am wenigsten in Württemberg) reformiert worden waren95 , verlor der Feudalismus in beträchtlichem Maß auch diesen institutionellen Rückhalt. Hingegen fand in den nicht mehr geburtsständisch rekrutierten Landtagen der süddeutsche Liberalismus sein politisches Zentrum. Ein großbürgerlicher Liberalismus war in Deutschland nur sporadisch vorhanden. Außer in einigen Nord- und mitteldeutschen Handelsstädten hat es ihn in nennenswertem Umfang nur im preußischen Westen gegeben. Freilich hatte sich dort die Notabelnschicht, die sich in den napoleonischen Vasallenstaaten gebildet hatte, in der kurzen Zeit von deren Bestehen kaum entfalten können, so daß ein politisch aktives Großbürgertum vorwiegend im Rheinland geblieben war. Dort zeigte es allerdings sogleich seine Stärke bei der Verteidigung Schieder, Probleme einer Sozialgeschichte des frühen Liberalismus in Deutschland, in: W. Schieder (Hrsg.): Liberalismus (FN 85), S. 9 ff. 92 Beispiele bei H. Fenske, Liberalismus (FN 63), S. 33 f. 93 Vgl. auch Heinz Gollwitzer, Die Standesherren: die politische und gesellschaftliche Stellung der Mediatisierten 1815 - 1918; ein Beitrag zur deutschen Sozialgeschichte. - 2. Aufl. - Göttingen 1964, S. 60 ff. 94 Vgl. dazu jetzt E. Fehrenbach, Adel (FN 20), S. 15 ff. 95 Vgl. dazu V.Press, Landstände (FN 36), S. 148 ff.
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der französischen Institutionen gegen das Allgemeine Landrecht und die preußische Kommunalverfassung. Auf ihrer Grundlage konnten diese Juristen, Kaufleute, Bankiers und Fabrikanten, insbesondere mit Hilfe der Handelskammern und in den Kommunen, einen beträchtlichen öffentlichen Einfluß ausüben, mit dem sie ihre Zurücksetzung in den die Grundbesitzer bevorzugenden Provinziallandtagen kompensierten. 96 Sie haben zusammen mit der noch in der Staatsverwaltung verbliebenen liberalen Elite den Kern der Opposition gegenüber den altständischen und staatskonservativen Kräften gebildet, welche die Entwicklung zu einern bürgerlichen Rechts- und Verfassungsstaat so jäh gestoppt hatten. Daher war es auch nur konsequent, daß diese regionale Elite während der Revolution 1847/48 an filhrender Stelle des Gesamtstaats filr kurze Zeit Verantwortung übernahm. Freilich zeigte sich in der Entscheidungssituation auch, daß die großbürgerliche Bewegung am stärksten dazu neigte, von emanzipatorischen Positionen und idealistischen Entwürfen abzurücken und gegen die aufstrebenden Massen Schutz beim Staat zu suchen. Daß sich der Liberalismus in Preußen nur in regionalen Institutionen betätigen konnte, hat seine Entwicklung beschnitten. So hat er außer im Rheinland nur in den östlichen Flügelprovinzen Fuß fassen können. Dort hatte sich eine sozial wie philosophisch geprägte Schicht von Bürgern und Adligen zusammengefunden, um sich Gedanken über die Behebung der wirtschaftlichen Not im Gefolge des sinkenden Getreide-Exports zu machen. Ausgelöst durch die Julirevolution in Paris bildeten sich dazu in einigen Städten Gruppen und Zirkel des mittleren Bürgertums, das sich allerdings mehr nach Süddeutschland orientierte. Regionale Zersplitterung zusammen mit Differenzen in politischen Grundanschauungen haben dann die Aktionen der Volksbewegung in Preußen seit dem Vereinigten Landtag von 1847 und während der Revolution ohne Zweifel geschwächt. 97 In den norddeutschen Staaten ohne tiefergehende Modernisierung und mit altständischer Restauration haben die liberalen Zirkel ihre Machtlosigkeit durch eine verstärkte ideologische Hinwendung zur "altgermanischen Freiheit" kompensiert. In ihr fand man die historische Begründung filr die Orientierung an der englischen Verfassung. Daher und aus Einsicht in die begrenzten Möglichkeiten plädierten sie ähnlich wie Stein filr eine von unten nach oben aufgebaute Beteiligung der Besitzenden an der Verwaltung. 98
96 Elisabeth Fehrenbach, Rheinischer Liberalismus und gesellschaftliche Verfassung, in: W. Schieder (Hrsg.), Liberalismus (FN 85), S. 274 ff. 97 Herbert Obenaus, Region und politisches Interesse im Vonnärzliberalismus Preußens, in: D. Langewiesche (Hrsg.), Liberalismus (FN 77), S. 76 ff. 98 K. G. Faber, Restauration und Revolution (FN 35), S. 63 ff.
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Die Vereine blieben bis zur deutschen Revolution als freiwillige Zusammenschlüsse freier Bürger im ganzen Land die dominierende Form für das öffentliche Handeln des Bürgertums. Zwar pflegten sie weiter die Geselligkeit und dienten der Selbstvergewisserung, doch sind sie seit den zwanziger Jahren verstärkt zum Rückgrat des Liberalismus geworden. Mit ihrer Hilfe vor allem konkurrierte das Bürgertum nun mit den anderen die Öffentlichkeit prägenden Institutionen wie Fürstenstaat, Gemeinde, Adel und Kirchen. Es wurden Organisationen zur Pflege berufsständischer und wirtschaftlicher Interessen, zur Bekämpfung von Mißständen und zur Durchsetzung öffentlicher Anliegen (Museum, Krankenhaus u. ä.) gegründet. Wenn auch die einzelnen Vereine ihren bürgerlichen Charakter weitgehend bewahrten, so fanden dennoch auch unterbürgerliche Kreise und Handwerker dadurch, daß sie sich ebenfalls organisierten, Anschluß an die Gesamtbewegung. Deren seit den Befreiungskriegen zu beobachtende Mobilisierung setzte sich also in dem rasch expandierenden und differenzierenden Assoziationwesen fort. 99 Mehr in der Theorie als in der Praxis wurde diesen Vereinigungen auch schon die Funktion von Parteien zugesprochen, die über die Tätigkeit der Landtage wachen und durch Petitionen den Willen des Volkes zum Ausdruck bringen sollten. Einige Liberale haben daher ein freies Vereinswesen bereits als unverzichtbar für einen lebensfähigen Konstitutionalismus betrachtet. 100 Es war nun gerade diese Auflösung der Grenze zwischen Öffentlichem und Privatem wie die Verschiebung der politischen Gewichte zugunsten des Bürgertums durch das Vereinswesen, das den Bundestag und die Fürstenstaaten bewog, die Betätigung der Vereine einzuschränken und das Verbot politischer Vereine strikter zu handhaben. Die bürgerliche Elite parierte den Schlag durch kryptopolitische Vereinsaktivitäten und durch die Veranstaltung nationaler Feste und Kongresse, über die ihre Ideen sowohl in die Massen eindrangen als auch die Grenzen der Bundesstaaten überschritten; so wuchs der Liberalismus seit den dreißiger Jahren auch auf nationaler Ebene zusammen. 101 Andererseits gewannen aufgrund der Verbote die Abgeordneten und die Landtage als politische Kristallisationspunkte Bedeutung. Durch die Berichterstattungen über die Kammerdebatten, durch Adress- und Petitionsbewegungen und um Zeitungen herum bildeten sich neue Kommunikationsstrukturen. So wurde das Netzwerk der persönlichen Beziehungen wie Eheschließungen, loka-
99 Vgl. W. Hardtwig, Vereinswesen (FN 66), S. 14 ff. und Th. Nipperdey, Verein (FN 65), S. 199 ff. 100 W. Hardtwig, Vereinswesen (FN 66), S. 35 ff. 101 Vgl. dazu W. Kaschuba, Früher Liberalismus (FN 77), S. 96 ff.; Dieter Langewiesche, Liberalismus in Deutschland. - Frankfurt 1988, S. 34 ff.
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le Vereinstätigkeit und Burschenschaften, auf denen die politische Bestätigung des liberalen Abgeordneten anfangs ruhte, zum Überpersönlichen erweitert. 102 Den Zusammenhalt des liberalen Bürgertums hat ein Geflecht von gemeinsamen Werten, ähnlichen Ansichten und Absichten zusätzlich gefestigt, und schließlich haben sich solche Überzeugungen auch in politischen Visionen konkretisiert. Die Liberalen sahen nicht wie Hegel in der Gesellschaft ein System von Interessen und Bedürfnissen, das unweigerlich Konflikte aus sich hervorbringen müsse. Ihre gesellschaftspolitischen Vorstellungen blieben vielmehr noch lange dem aufklärerischen Ideal einer Gemeinschaft von selbständigen Hausvätern verpflichtet, in der der autonome einzelne rur sein Schicksal selbst Verantwortung trage. Dann würde eine organisch gegliederte Gemeinschaft freier Staatsbürger heraufkommen, die sich hinsichtlich Bildung und materieller Lebensgrundlage auf dem Niveau des eher als sozial-moralisches Milieu denn als Klasse verstandenen mittleren Bürgertums egalisiere. \03 Wirtschaftlich wurde aus dem gleichen sozialharmonischen Geist heraus ein Ausgleich von Handel, Industrie und Landwirtschaft angestrebt, der sowohl die Dominanz einer Branche wie eines einzelnen verhindern sollte. Sobald es an die Umsetzung des Ideals ging traten die Gegensätze allerdings schon deutlicher hervor: sie reichten vom klassischen ökonomischen Liberalismus der Rheinländer bis zum Staatsprotektionismus, dem Teile der Süddeutschen an· \04 hmgen. Die bürgerliche Gesellschaft als Modell rur alle konnte so lange eine der Legitimationen liberaler Politik bleiben, da es abgestützt wurde durch die Forderungen nach rechtlicher Gleichheit und nationaler Einheit. Die Revolution zwang dann zum Bekenntnis. Ihr Scheitern und die heraufziehende Industrialisierung haben die Glaubwürdigkeit des Liberalismus so weit untergraben, daß er an seine Rolle im Vormärz nicht mehr anzuknüpfen vermochte. \05 Zunächst aber war entscheidend, daß nur das Bürgertum aufgrund seiner inzwischen errungenen Position in der Lage gewesen war, den Umbau der Gesellschaft im W. Kaschuba a. a. o. S. 92 ff. Lothar Gall, Liberalismus und "Bürgerliche Gesellschaft": zu Charakter und Entwicklung der liberalen Bewegung in Deutschland, in: HZ 220, 1975, S. 325 ff. und L. Gall, Gesellschaft (FN 15), S. 26 f. 104 Vgl. auch E. Fehrenbach, Rheinischer Liberalismus (FN 96), S. 283 ff. und Hans Fenske, Der deutsche Liberalismus 1815 - 1848, in: Jahrbuch der Hambach-Gesellschaft 1988, S. 39 ff. 105 Vgl. Hans-Ulrich Thamer, Emanzipation und Tradition: zur Idee und Sozialgeschichte von Liberalismus und Handwerk in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: W. Schieder (Hrsg.), Liberalismus (FN 85), S. 57 ff. und Heiner Haan, Die Gesellschaftstheorie Georg Friedrich Kolbs zwischen Utopie und Ideologie: ebenda S. 74 ff. 102 103
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liberalen Sinne weiterzutreiben und die bis Ende des zweiten Jahrzehnts gefundene Verteilung der Macht im Staate in Frage zu stellen. In diese Auseinandersetzungen hat sich die zusätzlich mobilisierende und integrierende Forderung nach der nationalen Einheit bruchlos eingefügt, da mit ihr immer auch der status quo in Frage gestellt wurde. 106 Denn das neue Reich sollte als ein vom Bürgertum wesentlich mitgeprägtes Gebilde in Bezug auf Freiheit und politische Teilhabe ein Gegenentwurf zum Deutschen Bund und seinen Gliedstaaten sein. Gerade als Verfechter der politischen Ziele von Freiheit und Einheit, von Rechts- und Verfassungs staat konnten sich die Liberalen besonders als Beauftragte des gesamten Volkes fühlen. In dieser Hinsicht waren sie ohne ernsthafte Konkurrenz, und sie sind es im Grunde über 1848/49 hinaus auch geblieben. Seine Ziele wollte der Liberalismus evolutionär und unter Respektierung der historischen Gegebenheiten erreichen. 107 Er schied sich in dieser Hinsicht von einigen Radikalen, die einen Umsturz nicht von vorneherein ausschließen wollten. Denn anders als der rationalistische Liberalismus Frankreichs hat der deutsche im Konfliktfall der durch das Recht zu sichernden Freiheit den Vorzug vor der Gleichheit gegeben. Vor allem seit der Erfahrung mit der Herrschaft der Jakobiner hat er die Despotie der Massen nicht weniger gefürchtet als die Autokratie der Fürsten. 108
W. Kaschuba, Früher Liberalismus (FN 77), S. 88 ff. Gerhard Ritter, Allgemeiner Charakter und geschichtliche Grundlagen der politischen Parteienbildung in Deutschland, in: Bemhard Harms (Hrsg.), Volk und Reich der Deutschen, Band 2, , S. 25 f. 108 Theodor Schieder, Die Krise des bürgerlichen Liberalismus, in: Th. Schieder, Staat (FN 81), S. 61. 106 107
VI. Die konstitutionellen Verfassungen des Vormärz Als im Deutschen Bund die Aufgabe anstand, "Landständische Verfassungen" einzurichten, hätte es nahegelegen, an die Landstände in den deutschen Territorien anzuknüpfen. Denn diese hatten im 18. Jahrhundert nach einer längeren Periode des Niedergangs nochmals eine Renaissance erlebt. Über die Steuerbewilligung hatten sie verstärkten Einfluß auf die Politik des immer mehr Mittel benötigenden Staates bekommen und die kaiserliche Rechtsprechung hat ihre Position im Steuer- und Kreditwesen des Territoriums befestigt. 109 So konnten sie in der revolutionären Umbruchsphase in Teilen des Reiches eine eigenständige politische Rolle neben den Landesherren spielen. Dennoch sind sie deren Zusammenspiel mit dem französischen Kaiser im Rheinbund erlegen. Obwohl sich einige unter dem Einfluß revolutionärer Ideen zur allgemeinen Repräsentation bekannten, hat sich an ihrer Zusammensetzung und an ihren Aufgaben nichts geändert. Sie konnten daher nicht die aufstrebende bürgerliche Bewegung an sich binden, die ihnen schon immer den Vorwurf oligarchischer Cliquenwirtschaft gemacht hatte. 110 Daß an die altständische Tradition daher nicht mehr angeknüpft werden sollte, war eine der wenigen Fragen, in denen sich Fürsten und Volk einig waren. Die Namensgleichheit zwischen den Vertretungen des Absolutismus und denen des Vormärz steht also zumindest in den konstitutionellen Staaten nicht fUr ein Programm, sondern sie resultiert daraus, daß alle anderen Bezeichnungen, die fUr das Neue zur VerfUgung standen, den Ruch des Revolutionären hatten; erst nach 1848 folgte der Name mit dem Wechsel von "Landständen" zu "Landtagen" der Entwicklung. Es wurde auch kaum an Verfassungsbestrebungen aus der Zeit der napoleonischen Herrschaft angeknüpft, obwohl diese schon partiell sich Problemen angenommen hatten, wie sie sich nach dem Wiener Kongreß immer noch stellten. In diesen Konstitutionen war aber allzu offensichtlich der ungeschmälerten Staatsomnipotenz das Mäntelchen des Scheinkonstitutionalismus umgehängt worden, indem ausgesuchte Versammlungen von Höchstbesteuerten zur BeraV. Press, Landstände (FN 36), S. 133 ff. Eberhard Weis, Kontinuität und Diskontinuität zwischen den Ständen des 18. Jahrhunderts und den frühkonstitutionellen Parlamenten aufgrund der Verfassungen von 1818/1819 in Bayern und Württemberg, in: Parliaments, estates and representation 4, 1984, S. 55 ff. 109 110
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tung der Regierungen herangezogen worden waren. Eingefiihrt worden sind solche kurzlebigen Konstitutionen lediglich in den napoleonischen Vasallenstaaten Westfalen, Berg und dem Großherzogtum Frankfurt zwischen 1807 und 1810 und 1808 in Bayern, wo die Verfassung allerdings niemals in Kraft trat. 111 Die Refonnbürokratien in den Rheinbundstaaten hingegen hintertrieben alle entsprechenden Pläne, da sie durch die ständische Mitbestimmung mit guten Gründen ihre Vorhaben gefährdet sahen. 112 Aufgrund dieser Ausgangslage wurde eine weitreichende verfassungsgeschichtliche Entscheidung, die aber auch durch die Machtverhältnisse schon präjudiziert war, erleichtert: die Begründung der konstitutionelle Monarchie in Deutschland 113 durch die Fürsten. Denn die Verfassungen, die zwischen 1814 und 1824 erlassen wurden, waren ihr Werk. 114 Die Fürstenversammlung des Wiener Kongresses hatte ihren Standesgenossen den Auftrag dazu erteilt und den Rahmen seiner Durchfiihrung vorgegeben. In diesem Sinne hat der Deutsche Bund die Entwicklung überwacht. Da der Verfassungstyp der konstitutionellen Monarchie fiirstlichem Gnadenakt entsprungen war und nicht durch das Volk in den zeitgenössischen Spielarten einer verfassunggebenden Versammlung oder einer bürgerlichen Revolution geschaffen wurde, war zugleich entschieden, daß die von der amerikanischen Staatswerdung und den französischen Revolutionsverfassungen beeinflußten Traditionen der Volkssouveränität, Gewaltenteilung und des parlamentarischen Regierens ebenfalls nicht zum Zuge kommen würden. 115 111 Vgl. dazu Karl Möckl, Die bayerische Konstitution von 1808, in: Eberhard Weis (Hrsg.), Reformen im rheinbündischen Deutschland. - München 1984. - (Schriften des Historischen Kollegs: Kolloquien; 4), S. 151 ff. 112 V. a. E. Fehrenbach, Verfassungs- und sozialpolitische Reformprojekte (FN 10), S. 69 ff. Vgl. auch Paul Nolte, Staatsbildung als Gesellschaftsreform: Politische Reformen in Preußen und in den süddeutschen Staaten 1800 - 1820. - Frankfurt a. M. 1990. (Historische Studien; 2), S. 170 ff. 113 Zum deutschen Begriff der konstitutionellen Monarchie und seiner Stellung im europäischen Zusammenhang vgl. auch Fritz Hartung, Die konstitutionelle Monarchie in Europa. In: Fritz Hartung, Volk und Staat in der deutschen Geschichte: Gesammelte Abhandlungen. - Leipzig, 1940, S. 183 ff. 114 Lothar Gall betont zurecht, daß diese Tatsache flir "Charakter, innere Struktur und politisches Konzept der liberal-konstitutionellen Bewegung in Deutschland von höchster Bedeutung" war. Vgl. Der Liberalismus als regierende Partei: das Großherzogtum Baden zwischen Restauration und Reichsgründung. - Wiesbaden 1968. (Veröffentlichungen des Instituts flir Europäische Geschichte Mainz: Abteilung Universalgeschichte ; 47), S. 23. 115 Horst Dippel (Hrsg.), Die Anfänge des Konstitutionalismus in Deutschland: Texte deutscher Verfassungsentwürfe am Ende des 18. Jahrhunderts. - Frankfurt am Main, 1993, S. 7 ff. Einen Nachklang stellen noch die "Grundzüge flir eine künftige teutsche
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Die Verfassungsgebung hat in den Mittel- und Kleinstaaten eingesetzt, die schon von den Zeitgenossen als das eigentliche Deutschland angesehen worden waren, obwohl in ihnen nur etwa 40% der Bevölkerung des Bundes wohnten. 116 Vorangegangen sind die Staaten Mittel- und vor allem Süddeutschlands, da besonders tUr diese eine Verfassung conditio sine qua tUr ihr Überleben war. 117 Die Vorgaben der Großmächte und noch mehr der Erwartungsdruck der Volksbewegung waren hier nachrangig. Die tUrstlichen Souveräne wollten vielmehr durch die Konstitutionalisierung den Verwaltungsumbau politisch abschließen, indem die gerade erworbenen heterogenen Landesteile in eine parlamentarisch-repräsentative Ordnung integrierte wurden, auf deren Grundlage sich zugleich ein Gesamtstaatsbewußtsein der Untertanen entwickeln sollte. Die Opfer der Reformen (Mediatsierte, Altstände, Patrizier, Kirche, regionale Gewalten) sollten wieder an den neuen Staat herangetUhrt wie die jetzt freigesetzten Kräfte (Bürgertum und Bauern) eingebunden werden. DatUr sprach insbesondere, .daß ohne sie die Steuern und Kredite zur Deckung eines beträchtlich vermehrten Finanzbedarfs wie zur Sanierung der durch die napoleonischen Kriege und die Kosten der Modernisierung zerütteten Haushalte sowieso nicht · mehr au f zubnngen waren. 118 Die damit aufgeworfene verfassungspolitische Aufgabe bestand darin, vor allem den Vorrang tUrstlicher Gewalt sowohl gegenüber den Herrschaftsansprüchen der Mediatisierten und dem Streben des landsässigen Adels nach Privilegien als auch gegenüber der Forderung des vorwärtsdrängenden Bürgertums nach Teilhabe zu behaupten. Von der Staatsbildung war zur Nationsbildung fortzuschreiten, indem Staat und Gesellschaft nach dem Wegfall von Korporationen und Geburtsständen wieder miteinander verbunden und die Dynastie, die bisher ja nur im Kernland verwurzelt gewesen war, im Gesamtstaat
Reichsverfassung" Karl Follens von 1819 dar. Druck: Hartwig Brandt (Hrsg.), Restauration und Frühliberalismus: 1814 - 1840. - Darmstadt 1979. - (Quellen zum politischen Denken der Deutschen im 19. und 20. Jahrhundert; 3), S. 121 ff. 116 K. G. Faber, Restauration und Revolution (FN 35), S. 30 f. 117 Vgl. dazu die Karte über die "Verfassungslandschaften" in Deutschland bei J. J. Sheehan, Ausklang (FN 38), S. 378 f. und auch die Übersicht bei E. R. Huber, Verfassungsgeschichte I (FN 29), S. 656 f. 118 Die Kreditfähigkeit des Staates und die Steuerbewilligungen stellt H. Obenaus als entscheidend heraus, wohingegen er den allgemeinen Begründungen konstitutioneller Verfassungsgebung kritisch gegenübersteht; vgl. Herbert Obenaus, Finanzkrise und Verfassungsgebung: zu den sozialen Bedingungen des frühen deutschen Konstitutionalismus, in: Gerhard A. Ritter (Hrsg.), Gesellschaft, Parlament und Regierung: zur Geschichte des Parlamentarismus in Deutschland, Düsseldorf 1974, S. 57 ff.
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legitimiert wurde. 119 Schließlich befestigte eine Verfassung auch die Souveränität von Mittel- und Kleinstaaten, die von Anfang an in der Gefahr stand, vom Bund und dessen Hegemonialmächten nur bedingt respektiert zu werden. 120 Die Verfassungen sind fast ausnahmslos von der Staatsbürokratie ausgearbeitet und von den Fürsten erlassen worden. Nur im Königreich Württemberg hatten die stark gebliebenen Stände einen Vertrag erzwingen können und auch nur in diesem Land war ihr Einfluß auf die Ausgestaltung nennenswert. 121 Wenn auch meist mit den Ständen zuvor Verhandlungen gefiihrt worden sind, so sind die neuen Konstitutionen nicht wie es den liberalen Vorstellungen von der Staatsgewalt entsprach als Verträge zustandegekommen, sondern so, daß an dem monarchischen Monopol der Staatsgewalt kein Zweifel aufkommen konnte. 122 Es war also zu keinem Zeitpunkt der Verfassungsgebung in den deutschen Bundesstaaten nach dem Wiener Kongreß wie in Amerika oder im revolutionären Frankreich um die Umgestaltung einer politischen Ordnung gegangen, sondern im Gegenteil um deren weitgehende Bewahrung. Das aufgeklärt absolutistische Regieren sollte gerettet werden durch dessen unvermeidliche Anpassung an den selbst entfesselten Aufbruch. Deswegen konnte jetzt auch die fiirstliche Bürokratie erneut an die restaurativen Kräfte heranrücken, nachdem diese fiir das fiirstliche Machtmonopol keine ernsthafte Konkurrenz mehr waren. Selbst in Süddeutschland war die politische Teilhabe der Untertanen nirgends intendiert gewesen. Der Fürst sollte autonomes Staatsorgan bleiben, und keinesfalls sollte sich der Staat in der Gesellschaft auflösen oder gar zum Instrument von dort vorherrschenden Kräften werden. 123 Die Diskrepanz zwischen politischer und gesellschaftlicher Ordnung, welche die konstitutionelle Monarchie in Deutschland bis zu ihrem Ende kennzeichnete, ist also schon bei ihrer Entstehung vorhanden: die gesellschaftliche Macht wird nicht adäquat in staatliche transferiert. 119 Vgl. dazu auch Theodor Schieder, Partikularismus und nationales Bewußtsein im Denken des Vonnärz, in: Werner Conze (Hrsg.), Staat (FN 80), S. 23 ff. 120 P. Nolte, Staatsbildung (FN 112), S. 165 ff.; Elisbaeth Fehrenbach, Verfassungsstaat und Nationsbildung 1815 - 1871. München, 1992. - (Enzyklopädie deutscher Geschichte; 22), S. I ff. 121 K. G. Faber, Restauration und Revolution (FN 35), S. 105. 122 Vgl. dazu besonders Günther Engelbert, Der Konstitutionalismus in den deutschen Kleinstaaten, in: Ernst-Wolfgang Böckenf6rde (Hrsg.), Konstitutionalismus (FN I), S. 106 ff. 123 So, auch Lothar Gall für Baden, in: Badische Geschichte: vom Großherzogturn bis zur Gegenwart / hrsg. von der Landeszentrale fllr Politische Bildung Baden-Württemberg. - 2. Aufl. - Stuttgart 1987, S. 23 f.
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Aus ähnlichen Motiven waren so bis zur Mitte der zwanziger Jahre von 29 der 41 Staaten aufgrund der Aufforderung der Bundesakte "landständische Verfassungen" erlassen worden. Die meisten sind über liberale Vorstellungen hinweggegangen, indem sie sich tUr einen mäßigen Umbau der alten StändeOrdnungen entschieden. Einen Mittelweg haben die mitteldeutschen Kleinstaaten beschritten, indem sie sich darauf beschränkten, den öfters um die Bauernschaft erweiterten Ständen ein freies Mandat wie in engem Umfang parlamentarische Rechte einzuräumen. 124 Am stärksten waren die Verfassungen der süddeutschen Staaten vom neuen Geist geprägt. Die meisten garantierten die Grundrechte wie eine rechtsstaatliche Rechtsprechung, und sie gewährten den Landtagen ein beschränktes Gesetzgebungsrecht und die Bewilligung von Steuern. Die neu erlassenen Ordnungen der Bundesstaaten variierten zwar in ihrem Kern zwischen dem repräsentativen Typ der süddeutschen und einiger mitteldeutscher Staaten und dem altständischen im Norden und in den freien Städten. Doch bekamen alle dadurch, daß sie dem "Monarchischen Prinzip" verpflichtet waren, eine gewisse Einheitlichkeit. 125 Da der Wille des Fürsten rechtlicher Geltungsgrund der Konstitution war, blieb auch nach deren Erlaß die gesamte Staatsgewalt in seiner Person vereinigt. 126 Daß er historisch vor der Konstitution dagewesen war, schlug sich darin nieder, daß er jetzt über ihr stand. Seine Verfassungsrechte waren originär und nicht abgeleitet wie die der Verfassungsorgane. 127 Folglich galten Person und Institution des Monarchen als unantastbar. Die Verfassungen enthielten dementsprechend auch nur von ihm gebilligte Grundsätze über die Grundlagen des politischen Verbands und Bestimmungen, wie und inwieweit der Fürst die Ausübung staatlicher Gewalt mit Kräften der Gesellschaft teilen wollte. Was nicht ausdrücklich erwähnt war, unterlag seiner uneingeschränkten VerfU-
124 Hans Boldt, Deutsche Verfassungsgeschichte: Politische Strukturen und ihr Wandel. - Bd. 2: von 1806 bis zur Ggenwart. - München 1990, S. 78 f. 125 Überblick über die Verfassungstypen in Deuschland zwischen 1813 und 1848: Ernst RudolfHuber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. - Bd. 2: Der Kampf um Einheit und Freiheit 1830 bis 1850. - Stuttgart 1960, S. 656 f. 126 Vgl. dazu die klassisch gewordene Fonnulierung in Tit. 11 § 1 der Bayerischen Verfassung vom 26. Mai 1818: "Der König ist das Oberhaupt des Staats, vereiniget in sich alle Rechte der Staatsgewalt, und übt sie unter den von Ihm gegebenen in der gegenwärtigen Verfassungs-Urkunde festgesetzten Bestimmungen aus.": E. R. Huber (Hrs~.), Dokumente I (FN 5), S.142. 12 Dazu Karl Heinrich Friauf, Der Staatshaushaltsplan im Spannungsfeld zwischen Parlament und Regierung. Bd. 1: Verfassungsgeschichtliche Untersuchungen über den Haushaltsplan im deutschen Frühkonstitutionalismus mit einer kritischen Übersicht über die Entwicklung der budgetrechtlichen Dogmatik in Deutschland. - Bad Homburg 1968, S.190ff.
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gungsgewalt. Mit der Exekutive, der Diplomatie und dem Militär wurde die fürstliche Machtbasis des absolutistischen Staates bruchlos in das konstitutionelle System überführt. Am Monopol der Staatsgewalt hat auch die Existenz der Landtage nichts geändert. Denn der Fürst teilte die Staatsrnacht nicht mit den Ständen, sondern beteiligte sie nur an deren Ausübung. Keine politische Entscheidung im Staat war gegen seinen Willen durchsetzbar,128 und im Konfliktfall sprach die Vermutung immer zu seinen Gunsten. 129 Allerdings floß aus dem Charakter der Verfassung als Schutzwall gegen fürstliche Willkür auch eine Beschneidung der ideal ungeteilten Staatsgewalt. Nach konstitutionellem Verständnis war ihr Erlaß nämlich eine freiwillige, doch nicht mehr einseitig änderbare Selbstbindung, die der Monarch daher auch durch Eid oder Gelöbnis befestigte. Das so verstandene "Monarchische Prinzip", das in der Tat mehr war als die rein formale monarchische Souveränität englischer Spielart,130 wurde in der Wiener Schlußakte vom 15. Mai 1820 131 , welche die Bundesakte aufgrund der inzwischen gesammelten Erfahrungen ergänzte, zum Eckstein der Verfassungspolitik des Deutschen Bundes. Mit der Begründung und Vereinigung der gesamten Gewalt des Staates in dessen Oberhaupt wurde versucht, verfassungsrechtlich eine unübersteigbare Barriere gegen Volkssouveränität und Gewaltenteilung zu errichten und politisch die Grundlage dafür zu legen, daß die Monarchen trotz der unumgänglichen Modernisierung das Heft in der Hand behielten. 128 K. H. Friauf a. a. O. S. 200 ff. \29 D. Grimm, Verfassungsgeschichte (FN 31), S. 135 ff.; Emst-Wolfgang Böckenförde, Der Verfassungstyp der deutschen konstitutionellen Monarchie im 19. Jahrhundert, in: Emst-Wolfgang Böckenförde (Hrsg.) unter Mitarb. von Rainer Wahl: Modeme deutsche Verfassungsgeschichte 1815 - 1918. Köln 1972; 1981 (2.Aufl.), S. 148 ff.; zum Problem der Exekutive vgl. besonders Franz Schnabel, Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert: Monarchie und Volkssouveränität. - Freiburg 1964, S. 198 ff. \30 Otto Hintze, Das Monarchische Prinzip und die konstitutionelle Verfassung, in: Otto Hintze, Staat und Verfassung: gesammelte Abhandlungen zur allgemeinen Verfassunsgeschichte. - 3. Aufl. - Göttingen 1970, S. 368 f. Vgl.dazu auch Friedrich J. Stahl, Das monarchische Prinzip, in: Hans Fenske (Hrsg.), Vonnärz und Revolution 1840 1849. - Dannstadt 1976, S. 143 ff. Stahl unterstreicht, daß dieses Prinzip am besten durch eine negative Definition zu fassen sei: es sei der Gegensatz zur Volkssouveränität und dem "parlamentarischen Prinzip"; daß es aber allen deutschen Verfassungen zugrunde liege, mache deren Wesen und Gemeinsamkeit aus! \3\ Art. 57 der Wiener Schlußakte: "Da der deutsche Bund, mit Ausnahme der freien Städte, aus souverainen Fürsten besteht, so muß dem hierdurch gegebenen Grundbegriffe zufolge die gesammte Staats-Gewalt in dem Oberhaupte des Staats vereinigt bleiben, und der Souverain kann durch eine landständische Verfassung nur in Ausübung bestimmter Rechte an die Mitwirkung der Stände gebunden werden": E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente I (FN 5), S. 99.
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Die vormärzliche Staatslehre verteidigte zudem kompromißlos die Einheit und Unteilbarkeit der Staatsgewalt 132 und erhöhte den Monarchen noch dadurch, daß er zur Verkörperung des Allgemeinwohls gemacht wurde, während die Landstände als Vertreter zeitgebundener sozialer Interessen galten. 133 Dieses "Herzstück" (H. Gangl) machte den entscheidenden und historisch folgenreichen Unterschied zwischen dem deutschen Konstitutionalismus und dem westeuropäischen Parlamentarismus aus. 134 Es ist nicht, wie Ähnlichkeiten mit der "Charte constitutionelle" vermuten lassen könnten, aus Frankreich übernommen worden, sondern es hat in Deutschland seine eigene Form erhalten. 135 Das lag nahe. Denn es eignete sich besser zur Erfassung der deutschen staatsrechtlichen Verhältnisse als der mehr dem formalrechtlichen Souverän itätsgedanken verpflichtete westeuropäische Begriff. Das Monarchische Prinzip charakterisierte ja schon die Stellung des Fürsten im Territorium des Alten Reichs, der nicht souverän und trotzdem Inhaber einer Landeshoheit gewesen war, an deren Ausübung die Stände partiell beteiligt waren. Damals war es freilich noch nicht formuliert, da eine solche Struktur des politischen Verbandes noch kein Problem war. Dies war erst der Fall, wie Friedrich Julius Stahl schon 1845 mit Recht erkannte,136 als die Stände "staatlichen Charakter" erlangten und "integrierendes Element der öffentlichen Verfassungen" wurden. Die Liberalen haben die historische Tatsache der Verknüpfung von Staat und Fürst (und dessen Vorrang) anerkannt. Die positive Reaktion des Bürgertums auf das Versprechen "landständischer Verfassungen" in Art. 13 der Bundesakte und die begeisterte Aufnahme, die deren Verwirklichung in Süddeutschland fand, unterstreichen nur, daß damit seine Vorstellungen von der 132 Neben Heinrich Otto Meisner, Die Lehre vom monarchischen Prinzip im Zeitalter der Restauration und des Deutschen Bundes. - Nachdr. Aalen 1969. - Breslau 1913. (Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte: A. F.; 122), S. 281 ff.; vgl. auch noch Hans Boldt, Zwischen Patrimonialismus und Parlamentarismus: Zur Entwicklung vorparlamentarischer Theorien in der deutschen Staatsrechtslehre des Vormärz, in: Gerhard A. Ritter (Hrsg.), Gesellschaft, Parlament und Regierung: zur Geschichte des Parlamentarismus in Deutschland. - Düsseldorf 1974, S. 77 ff. und Helmut Quaritsch, Staat und Souveränität. - Band 1: Die Grundlagen. - Frankfurt a.M. 1970, S. 496 ff. 133 V gl. Hans Boldt, Deutsche Staatslehre im Vormärz. - Düsseldorf 1975. (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien; 56), S. 84 ff. und Hartwig Brandt, Landständische Repräsentation im deutschen Vormärz: Politisches Denken im Einflußfeld des monarchischen Prinzips.- Neuwied 1968. - (Politica ; 31), S. 47 ff. 134 H. Gangl, Weg (FN I), S. 52 f. 135 H. O. Meisner, Monarchisches Prinzip (FN 132), S. 215 ff. 136 Vgl. Friedrich J. Stahl, Monarchische Prinzip (FN 130), S. 145.
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Beteiligung an der staatlichen Macht befriedigt schienen. Das war nicht nur illusionslose Einsicht in die machtpolitischen Verhältnisse; es wirkte wohl, da es zu keinem revolutionären Bruch gekommen war, auch das aufklärerische Ideal des politischen Verbandes nach mit dem im Zentrum der Entscheidung stehenden Fürsten und dem durch das Gesetz vor Willkür geschützten Bürger. 137 Das politische System schien nur funktionsfähig, wenn die Staatsgewalt ungeteilt beim Fürsten verblieb und institutionell durch dessen Regierung gehandhabt wurde. Auch diejenigen, die den in der Regel überkonstitutionell gedachten Fürsten zum Staatsorian machen wollten, zogen ihn als Träger der Souveränität nicht in Zweifel. 13 War er doch auch für sie ganz im Sinne der Hegeischen Anschauung 139 Wahrer des Allgemeinwohls gegenüber einer Gesellschaft, die als System der Interessen und Bedürfnisse gesehen wurde. Die Hoffnung, daß ein solcher monarchischer Staat Garant von Sicherheit und Ordnung und insbesondere ein Bollwerk gegen die Gewaltherrschaft der Massen sein würde, war das eigentliche politische Motiv bürgerlicher Fürstenloyalität und Staatszentrierung. Obwohl also in der deutschen konstitutionellen Monarchie die Staatsgewalt nochmals ganz selbstverständlich persönlich gefaßt worden war, umschrieb die so begründete Fürstensouveränität nicht mehr die Realität fraglosen monarchischen Regierens. Als Ergebnis zweier säkularer Entwicklungen hatte sich der Handlungsrahmen für die Fürsten wie für deren Mit- und Gegenspieler wesentlich geändert. Zum einen hatte der geistige Aufbruch seit der Aufklärung und der politisch soziale seit der Französichen Revolution einen tiefen Bewußtseinswandel ausgelöst und zum andem hatten die Verfassungen selbst der Politik bisher nicht dagewesene Möglichkeiten eröffnet und das Wesen überkommener Institutionen geändert. Das galt zunächst für die Fürsten selbst. Der Zweck der Verfassungen war ja die Staatskonsolidierung gewesen, ihr Bezug also eben der Staat und nicht mehr der Monarch. Dieser war darüber hinaus in einem solchen Umfang zum Bollwerk gegen den Griff des Bürgertums nach der staatlichen Macht geworden,140 daß dies auf die Dauer seinem Selbstverständnis, über der Verfassung 137 Vgl. auch Hans Fenske, Wahlrecht und Parteiensystem: ein Beitrag zur deutschen Parteiengeschichte. - Frankfurt a. M. 1972, S. 60 ff. 138 H. Boldt, Staatslehre (FN 133), S. 58 ff. Es ist daher falsch, wenn O. Dann, Nationsbildung (FN 41), S. 21 schreibt, daß "eine zentrale Forderung" der "bürgerlichen Bewegung" das "Prinzip der Volkssouveränität" gewesen sei. 139 Vgl. die Auszüge aus Georg. W. F. Hegels, Grundlinien der Philosophie des Rechts, Berlin 1821, in: H. Brandt (Hrsg.), Restauration (FN 115), S. 189 ff. 140 Vgl. dazu auch W. Conze, Staat (FN 80), S. 221 f.; vgl. auch F Hartung, Konstitutionelle Monarchie (FN 113), S. 208 ff.
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und der Politik zu stehen, abträglich sein mußte. Schließlich war durch die Verfassungsgebung selbst in mehrfacher Hinsicht der Weg eingeschlagen worden, den Fürsten von der Quelle der Staatsgewalt zum Staatsorgan zu machen. Das wurde besonders daran deutlich, wie häufig die Staatsministerien eine selbständige Stellung erlangten. Wenn der Fürst ihnen auch vorsaß und in der Ernennung seiner Minister frei war, so ist die Führung des Staates doch immer mehr in deren Hände übergegangen. Der wichtigste Schritt in diese Richtung war die politische Aufwertung der Minister dadurch, daß sie seit dem Erlaß von Verfassungen durch Gegenzeichnung die Verantwortung filr die filrstlichen Akte gegenüber Kammer und Land übernehmen mußten. 141 Und schließlich war die Trennung des Staatsguts vom ftlrstlichen Privatvermögen ebenfalls ein Indiz filr den unterschwelligen Wandel der monarchischen Stellung. Dies änderte aber nichts daran, daß die staatliche Exekutive allein dem Fürsten vorbehalten war. Das Militär, die Auswärtigen Angelegenheiten, darunter besonders die Beziehungen zum Bund, alle staatlichen Organisationsregelungen und der damals weite Bereich der "besonderen Gewaltverhältnisse" fielen in seine alleinige Kompetenz. Der Binnenraum der Exekutive blieb dem Parlament enzogen. Daftlr benötigte diese ftlr alle Eingriffe in die Sphäre der bürgerlichen Gesellschaft die Zustimmung, meist in gesetzlicher Form, von deren Repräsentanten. 142 Diese ftlr die konstitutionelle Monarchie kennzeichnende Abgrenzung von Staat und Gesellschaft ist von keiner Seite grundsätzlich in Frage gestellt worden. Die Landstände, die innerhalb dieses Dualismus die Gesellschaft vertraten, unterschieden sich in ihrer Rechtsnatur und Funktion wesentlich von ihren Vorgängern, da sie unter veränderten Bedingungen, von denen hier Rechtsgleichheit und allgemeine Staatsbürgerschaft wohl die weitreichendsten waren, agierten. 143 Das gilt auch für die weiterwirkenden altständischen Vertretungen Nord- und Mitteldeutschlands, die sonst höchstens noch eine zaghafte soziale Erweiterung von ihren Vorgängern trennte. 144 Vgl. E. R. Huber, Verfassungsgeschichte I (FN 29), S. 338 ff. In diesem Dualismus ist das Nachwirken altständischer Vorstellungen vom politischen Verband deutlich. Dort waren sich allerdings Fürst und Stände auf den Landtagen als autonome Kräfte gegenübergestanden, die ihre Beziehungen zueinander vertraglich und nicht öffentlichrechtlich regelten. \43 Dazu auch Ulrich Scheuner, Volkssouveränität und Theorie der parlamentarischen Vertretung: zur Theorie der Volksvertretung in Deutschland 1815 - 1848, in: Karl Möckl ; Karl Bosl (Hrsg.), Der modeme Parlamentarismus und seine Grundlagen in der ständischen Repräsentation. - Berlin 1977, S. 316 ff. \44 Dazu besonders Rudolf Vierhaus, Von der altständischen zur Repräsentativverfassung: zum Problem institutioneller und personeller Kontinuität vom 18. und 19. \4\
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Das Vertretungsrecht der Stände im Alten Reich war originär, nicht abgeleitet also; die vormärzlichen Landstände hingegen hatten ein Mandat. Dieses hatten sie entweder wie die Abgeordneten der Zweiten Kammer durch Wahl oder wie die der Ersten durch Amt oder Ernennung erhalten. Lediglich die Mediatisierten und der Landesadel, sofern er das Geburtsrecht auf einen Sitz in der Ersten Kammer hatte, waren autonom. Trotz zum Teil noch ständischer Rekrutierung und Gliederung der Kammern wurden diese als Repräsentationen des gesamten Volkes angesehen. Zahlreiche Verfassungen - auch die altständischen - betonten ausdrücklich das freie Mandat aller Abgeordneten, das nicht zugunsten eines Standes, sondern nur zum allgemeinen Wohl wahrzunehmen sei. Daher haben manche Konstitutionen die Instruierung, die bisher gang und gäbe war, ausdrücklich untersagt. Folglich formierte sich der Wille der Kammern und fielen deren Entscheidungen nicht mehr nach Kurien getrennt, sondern in freier Debatte und nach dem Mehrheitsprinzip.145 Angesichts andersartiger Funktion und Rekrutierung ist es nicht erstaunlich, daß sich in den Kammern kaum personelle Kontinuität zu den Mitgliedern der Kurien nachweisen läßt. 146 Durch die Festlegung der Landstände auf die Vertretung des gesamten Volkes sollten nach dem Willen ihrer Schöpfer, ständischen und regionalen Sonderbestrebungen, die die gerade gewonnene, noch prekäre Staatseinheit hätten gefährden können, die Legitimation entzogen werden. Obwohl also keinesfalls damit irgendeine Art der "Demokratisierung" angestrebt worden war, lag der Idee der allgemeinen Repräsentation ein solches Potential zugrunde. Daß es sich dann weiter entfalten konnte, ist wohl vor allem der neuartigen Rekrutierung durch Wahlen zuzuschreiben. Fürsten und Bürger waren sich darüber einig, daß nur ein eingeschränktes Wahlrecht Grundlage politischer Repräsentation sein könne. 147 Ein solches
Jahrhundert, in: K. Bosl (Hrsg.), Parlamentarismus (FN 143), S. 177 ff. Vierhaus behandelt die altständischen Verhältnisse nach 1815. Er betont daher die Kontinuität der Entwicklung, ohne genügend zu berücksichtigen, daß diese Aussage aber nur bei einer solchen Blickverengung möglich ist. 145 Vgl. C. von Rotteck, Ideen über Landstände, 1819, in: H. Brandt (Hrsg.), Restauration und Frühliberalismus (FN 41), S. 158 ff.; vgl. auch Peter Michael Ehrle, Volksvertretung im Vonnärz: Studien zur Zusammensetzung, Wahl und Funktion der deutschen Landtage im Spannungsfeld von monarchischem Prinzip und ständischer Repräsentation. - 2 Teile. - Frankfurt a. M. 1979, S. 289 ff. 146 Einige Beispiele nennt E. Weis (FN 110), S. 62 f. 147 Selbst ein so radikaler Republikaner und Aufklärer wie der französische Philosoph und Mitglied des Konvents Marie Jean Condorcet trat für eine Beschränkung des
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Wahlrecht war im rurstlichen Kalkül Mittel zu einer größtmöglichen Beschränkung der politischen Partizipation; das Bürgertum rechtfertigte es mit seinen Vorstellungen vom autonomen Staatsbürger ebenso wie mit seiner Furcht vor einer Degeneration der Politik zum Interessenhandel und der Gefahrdung der Freiheit durch die Herrschaft der Masse. 148 Darüber hinaus sprach in der liberalen Ideologie rur ein im Besitz verankertes Wahlrecht, daß nur der Besitzende ein Interesse am Ganzen habe und er allein über die materiellen Voraussetzungen politischer Betätigung verfiige;149 in dieser Hinsicht wurden öffentliche Tätigkeit und Bildung gelegentlich dem Besitz gleichgestellt. Ein so verstandenes indirekte Zensuswahlrecht war Ausdruck des politischen Selbstverständnisses des Bürgertums, Protagonist des Volkes zu sein; und rur die Zeit des Vormärz ist es durch nichts mehr befestigt worden. Dieses Wahlrecht war der reale Grund der Ideologie von der bürgerlichen "volonte genenerale". Die Qualifikationen rur die Teilnahme an den Urwahlen in den konstitutionellen Staaten schloß ganz im Sinne der aufklärerischen Gleichsetzung von Hausvater und Staatsbürger lediglich Hintersassen, Diener und Gesinde aus. Je nach zusätzlichen Qualifikationserfordemissen lief das darauf hinaus, daß rund 40% - 70% der männlichen Haushaltsvorstände über 25 Jahren wählen durften 150 - nicht selten öffentlich. Mit einem Anteil von 10% - 17% Wahlberechtigten an der Gesamtbevölkerung lag der Grad der politischen Mobilisierung in einigen deutschen Bundestaaten im europäischen Vergleich recht hoch. Die Folge war, daß die Wahlmännerkollegien die Sozialstruktur des Landes erstaunlich adäquat abbildeten. In den Städten stellten Handel- und Gewerbetreibende rund drei Viertel, in den ländlichen Bezirken die Landwirtschaft die Wahlrechts auf die ein, die über ein Minimum an Besitz verfugten. Er begründete dies damit, daß die besitzende Mittelklasse das größte Interesse an einer guten Regierung habe und daß der Mißbrauch der Masse stets die Basis des Cäsarismus sei (so noch vor dem Aufstieg Napoleons!). Vgl. Alexander Koyre, Condorcet, in: Journal ofthe History ofIdeas 9, 1948, S. 145. Vgl. auch die Argumentation Karl von Rottecks dazu bei Udo Bennbach, Über Landstände: zur Theorie der Repräsentation im deutschen Vonnärz, in: C. J. Friedrich; B. Reifenberg (Hrsg.), Sprache und Politik: Festschrift für Dolf Sternberr,er. - Heidelberg 1968, S. 254 ff. 48 Vgl. dazu auch Th. Schieder, Krise (FN 73), S. 187 ff. 149 Vgl. U. Scheuner, Volkssouveränität (FN 143), S. 336 ff. 150 Vgl. dazu und teils auch zum Folgenden vor allem: Manfred Hörner, Die Wahlen zur badischen Zweiten Kammer im Vonnärz (1819 - 1847). - Göttingen 1987. (Schriften der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften; 29), S. 205 ff.; vgl. auch noch P. M. Ehrle, Volksvertretung (FN 145), S. 674 ff.; Hartwig Brandt, Parlamentarismus in Württemberg 1819 - 1870: Anatomie eines Landtags. - Düsseldorf 1987. - (Handbuch der Geschichte des deutschen Parlamentarismus), S. 33 ff.
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Hälfte und Handel und Gewerbe zwei Fünftel der Wahlmänner. Das galt freilich nur in Staaten wie Baden, wo deren Bestellung keiner weiteren Beschränkung unterlag. Dort, wo - wie etwa in Bayern - die Anzahl der Wahlmänner auf bestimmte Schichten aufgeteilt oder wie in Württemberg an eine Steuerleistung gebunden war, gab es entsprechende Verschiebungen. Das hat aber nichts an der großen sozialen Breite und dem meist recht konservativen Zuschnitt der Wahlmännerversammlungen geändert. 151 Der Unterschied zum sozialen und politischen Profil der Landtage war markant. Denn aufgrund der meist auf 30 Jahre angehobenen Altersgrenze, des hohen Zensus und weiterer Anforderungen war die Anzahl der in einem Kreis Wählbaren nicht höher als ein- bis zweihundert Männer. Das waren noch zwischen 3 - 5% der Gesamtbevölkerung; in einigen Bundesstaaten lag die Hürde so hoch, daß auf das indireke Wahlverfahren verzichtet werden konnte! In den überschaubaren Versammlungen der Wahlmänner, die ja schon ein Destillat des politisch aktiven Teils der Gesellschaft waren, kamen nun die bürgerlichen Honoratioren zum Zug. Bei den meist schon zuvor abgeklärten Persönlichkeitswahlen profitierten sie von ihrem Amtsbonus, ihrer öffentlichen Stellung in Kirche und Bildungswesen, dem Rückhalt, den sie in den Vereinen fanden, und dem Geflecht persönlicher Beziehungen. Die persönlichen Vorteile wie Abkömmlichkeit (die Freistellung der Beamten für parlamentarische Betätigung war durchgehend gesetzlich garantiert), geübtes öffentliches Auftreten, Vertrautheit mit den Materien von Staat und Recht kamen ihnen ebenso zugute wie Staats fixierung und das Ideal des am Gemeinwohl orientierten Abgeordneten, das viele ihrer Wähler teilten. Es war also auch diese Mentalität der Urwähler bzw. der Wahlmännerkollegien und die breite Akzeptanz des liberalen Persönlichkeitsideals von wirtschaftlicher Selbstständigkeit und Bildung, auf welche die durchgehende Spitzenstellung der Staats- und Kirchendiener wie BildungsbOrger in deutschen Landtagen zurückzuführen ist. 152 Der Zensus allein vermag dieses Phänomen nicht zu erklären - zumal gerade ein großer Teil der gewählten Abgeordneten das aktive Stimmrecht nicht hatte, da dies in den meisten Bundesstaaten nur an den Grund- und Gewerbesteuern hing! 153 Handel, Gewerbe und Landwirtschaft konnten auch schon einmal ein Drittel der Sitze in der Zweiten Kammer errei-
\5\ Auf diese Erfahrung hat Bismarck seine Hoffnung bei der Einführung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts wohl gegründet. \52 Vgl. dazu auch R. Vierhaus, Liberalismus (FN 85), S. 39 ff; anschaulich für Baden M. Hörner, Wahlen (FN 150), S. 380 ff. \53 Vgl. für Württemberg Hartwig Brandt, Gesellschaft, Parlament, Regierung in Württemberg, in: G. A. Ritter (Hrsg.), Gesellschaft (FN 132), S. 105 ff.
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chen. 154 Die freien Berufe mit den Rechtsanwälten an der Spitze, denen im deutlichem Abstand die Journalisten folgten, beliefen sich auf ein gutes Zehntel. Daß die Beschränkung des Wahlrechts sich durchaus auch zugunsten der Repräsentativität auswirken konnte, zeigt Bayern. Dort bewirkte die getrennte Abstimmung nach Stadt und Land, daß die Zweiten Kammern gegenüber denen der anderen süddeutschen Staaten einen bäuerlicheren und mittelständischeren Charakter hatten. 155 Doch selbst dort, wo - wie in Sachsen - bestimmten Schichten ein Kontingent an Abgeordneten zugeteilt wurde, fmdet sich die typische Zusammensetzung der deutschen Landtage des Vormärz wieder. Nach der Vorstellung des vor allem in den konstitutionellen Staaten die Landstände dominierenden Bürgertums sollten diese als Ausschuß des "gesamten zum Staat vereinten Volkes" (Rotteck) die Repräsentation der Gesellschaft im Namen von Recht und Freiheit sein. Sie sollten nicht in erster Linie einzelne Stände oder soziale Gruppen vertreten und deren Interessen zum Ausgleich bringen. Vielmehr sollten sie eher im ordnungspolitischen Sinne über die "Rechte des Volkes" wachen. Diese wurden entweder aus der Geschichte abgeleitet durch Projektion des bürgerlichen Ideals eines Staates mit Selbstverwaltung, rechtlich verbürgter Freiheit und Bindung der politischen Rechte an Besitz in die germanische Vorzeit,156 oder aber sie wurden vom Gesellschaftsvertrag her als die Rechte begriffen, die nicht zum Zwecke der Staatsbildung hatten geopfert werden müssen. Deren Kern waren die Grundund Menschenrechte, die sowohl Bedingung filr die Entfaltung des sich selbstbestimmenden Menschen als auch Voraussetzung filr Selbststeuerung und politische Partizipation einer freien Gesellschaft waren. 157 Den Liberalen ist ihr Wächteramt aber nur bedingt dadurch erleichtert worden, daß fast alle Verfassungen des Vormärz einen Katalog vergleichbarer 154 Daß deren Anteil oft zu gering eingeschätzt wird, liegt daran, daß die in den Übersichten aufgeführten (ehren- oder nebenamtlichen) kommunalen Funktionsträger zu den "Beamten" gerechnet werden, obwohl sie meist hauptberuflich in der Wirtschaft täti~ waren! 55 Anschauliche Darstellung des aktiven und passiven Wahlrechts im vonnärzlichen Bayern bei Wolfgang Hardtwig, Vonnärz: der monarchische Staat und das Bürgertum. München 1985, S. 58 ff. 156 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Die Einheit von nationaler und konstitutioneller Bewegung im deutschen Frühliberalismus, in: Ernst-Wolfgang Böckenförde (Hrsg.), Verfassungsgeschichte (FN 129), S. 29 ff. und U. Bennbach, Landstände (FN 147), S. 250 ff. 15? Dieter Grimm, Entstehungs- und Wirkungsbedingungen des modernen Konstitutionalismus, in: Deutscher Rechtshistorikertag: Akten des 26. Deutschen Rechtshistorikertages : Frankfurt a. M. 1986 I hrsg. von Dieter Simon. - Frankfurt a. M 1987. (Studien zur europäischen Rechtsgeschichte; 30), S. 57 ff.
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"staatsbürgerlicher Rechte" besaßen. 158 Darin wurden - ohne alle ständischen Privilegierungen oder zensitären Beschränkungen zu beseitigen - in Anknüpfung an Erlasse der Rheinbundzeit alle Fonnen persönlicher Unfreiheit aufgehoben und dem einzelnen die Freiheit der Berufswahl, des Ortswechsels wie der Auswanderung zugestanden und zugleich sein Eigentum vor dem Zugriff des Staates geschützt. Beim Zugang zu den öffentlichen Ämtern, bei der Besteuerung und der Wehrpflicht wurde Gleichbehandlung garantiert, und die traditionellen Rechtsstaatsgarantien schützten den Bürger vor der Willkür von Justiz und Verwaltung. Dessen Gewissen sollte darüber hinaus keinem Zwang unterworfen werden, und als unverzichtbare Voraussetzung politischer Betätigung wurde ihm grundsätzlich Meinungs- und Pressefreiheit eingeräumt. 159 Doch standen gerade diese "politischen Grundrechte" unter dem drohenden Vorbehalt ergänzender gesetzlicher Regelungen des Staates wie eines Bundes, dessen Hegemonialmächte Preußen und Österreich keine Grundrechte kannten. 160 Polizeistaatliches Mißtrauen bewog die Obrigkeit, das Vereins- und Versammlungsrecht nur restriktiv zu gewähren; lediglich die Verfassung von Meiningen aus dem Jahre 1829 enthielt die Assosziationsfreiheit.1 61 Die Untertanen haben darin aufgrund der Art, wie sie noch bis in die vierziger Jahre hinein die politische Teilhabe praktizierten aber keine gravierende Einschränkung gesehen. Obwohl für diese Rechte seit 1848 die Bezeichnung "Grundrechte" üblich wird und sie sich inhaltlich nicht von den Grund- und Menschenrechten der nordamerikanischen Unabhängigkeitsbewegung und der Französischen Revolution unterscheiden, haben sie in der konstitutionellen Monarchie eine wesentlich andere Funktion. Zunächst sind diese "Rechte der Untertanen", wie sie in bewußter Abgrenzung zu den westlichen Grundrechten hießen, keine vorstaatlichen Rechte, die jedem Menschen von Natur aus zukommen. Vielmehr binden alle Konstitutionen die Gewährung und Ausübung dieser Rechte an die Staatsbürgerschaft. 162 Ihr Rechtsgrund ist also die Verfassung und wie diese
158 Vgl. z. B. E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente I (FN 5), S. 161 ff. (Bayern), S. 173 f. (Baden), 190 ff. (Württemberg), S. 223 ff. (Großherzogturn Hessen). 159 H. Boldt, Verfassungsgeschichte 2 (FN 124), S. 85 ff. 160 Vgl. dazu auch Dieter Grimm, Die Grundrechte im Entstehungszusammenhang der bürgerlichen Gesellschaft, in: Jürgen Kocka (Hrsg.); Ute Frevert (Mitarb.), Bürgertum im 19. Jahrhundert: Deutschland im europäischen Vergleich. - Bd. 1. - München 1988, S. 340 ff. 161 W. Hardtwig, Vereinswesen (FN 66), S. 34 f. 162 Die bayerische Verfassung von 1818 stellt in Tit. IV § 2 lapidar fest: "Das Baierische Staats-Bürgerrecht wird durch das Idigenat bedingt, und geht mit demselben verloren.": Vgl. E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente I (FN 5), S. 161.
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sind die Untertanenrechte fürstliche Gnadenerweise. 163 Da das Monarchische Prinzip nicht aus der monarchischen Gewalt entsprungene Rechte ausschloß, war es nur konsequent, die Rechte der Untertanen als positive Staatsbürgerrechte zu fassen. l64 Als solche sind sie revidier- und widerrufbar; wenn auch jetzt nur unter den erschwerten Bedingungen, die für Verfassungsänderungen vorgesehen sind, und mit Zustimmung der Landtage. Da die Grundrechte ihres naturrechtlichen Charakters entkleidet worden waren, konnten aus ihnen auch nicht zwingende Prinzipien einer staatlichen Ordnung abgeleitet werden, wie dies immer dort geschehen war, wo revolutionäre Bewegungen in ihrem Namen Volkssouveränität und Gewaltenteilung postuliert hatten. 165 Wie die Verfassung selbst so hatten auch die in ihr enthaltenen Rechte der Staatsbürger keinen Vorrang vor dem Gesetz und banden die Rechtsprechung nicht. Es war eine Folge einer solchen Natur der grundrechtlichen Verfassungsbestimmungen, daß die liberale Bewegung diese vor allem als subjektive Ansprüche des einzelnen an den Staat und als Schutz vor diesem verstand. Da die Grundrechte allen Staatsbürgern unterschiedslos zustanden, kam durch sie doch ein markantes Element der Gleichheit in eine noch weitgehend ständische Gesellschaft. In Staaten, die entweder keine Verfassung oder Grundrechte kannten, war das Privatrecht Grundrechtsersatz. Und in Zeiten reaktionärer Bedrückung war dieses Recht, mit dem die bürgerliche Gesellschaft ihr Funktionieren steuerte, der eigentliche Hort bürgerlicher Freiheit. 166
163 Das ist gegen P. Nolte, Staatsbildung (FN 112), S. 183 ff. festzuhalten, der meint, durch die Aufnahme von Grundrechten habe die Konstruktion vom Monarchen als dem umfassenden Spender der Verfassung einen Stoß erhalten, da diese aus seiner Gewalt nicht mehr ableitbar gewesen seien! 164 Vgl. dazu und zum Folgenden auch D. Grimm, Verfassungsgeschichte (FN 31), S. 129 ff. und auch Günter Birtsch, Gemäßigter Liberalismus und Grundrechte: zur Traditionsbestimmtheit des deutschen Liberalismus 1848/49, in: W. Schieder (Hrsg.), Liberalismus (FN 85), S. 22 ff. 165 Vgl. auch Rainer Wahl, Rechtliche Wirkungen und Funktionen der Grundrechte im deutschen Konstitutionalismus des 19. Jahrhunderts, in: E. -Wo Böckenförde (Hrsg.), Verfassungsgeschichte (FN 129), S. 346 ff. 166 Die Verwirklichung grundrechtlichen Gehalts im Privatrecht hat Dieter Grimm in zwei Aufsätzen herausgearbeitet: Die Grundrechte im Entstehungszusammenhang der bürgerlichen Gesellschaft, in: Jürgen Kocka (Hrsg.), Bürgertum (FN 160), S. 340 - 371; und Grundrechte und Privatrecht in der bürgerlichen Sozialordnung, in: Günter Birtsch (Hrsg.), Grund- und Freiheitsrechte im Wandel von Gesellschaft und Geschichte: Beiträge zur Geschichte der Grund- und Freiheitsrechte vom Ausgang des Mittelalters bis zur Revolution von 1848. - Göttingen 1981. - (Veröffentlichung zur Geschichte der Grund- und Freiheitsrechte; I), S. 435 - 459.
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Sollten also die Grundrechtskataloge nicht nur defensiv die Freiheit sichern, sondern auch in die Gesellschaft hineinwirken, so mußten sie in Gesetze einfließen. Deswegen haben sie auch einen solchen Stellenwert im politischen Programm des konstitutionelle Bürgertum erhalten, aus dessen Verwirklichung es ein Teil seiner Legitimation zog. Dabei waren sich ftlrstliche Regierung wie Volksvertretung darin einig, daß die Grundrechte den Auftrag zur Modernisierung der bestehenden Rechts- und Gesellschaftsordnung enthielten und daß ihr staatsbildendes Potential zu nutzen war. Die bürgerliche Bewegung in den Zweiten Kammern, deren Kompetenzen ja im wesentlichen durch den Grundrechtskatalog begründet wurden, hat den Auftrag noch auf die gesetzliche Sicherung des Eigentums wie der Freiheit des einzelnen ausgeweitet. 167 Dieses Einvernehmen bei der Umsetzung der Untertanenrechte fand seine Grenze, wenn das Bürgertum sich ihrer als Mittel zur Machtbeschneidung der Privilegierten und insbesondere der ftlrstlichen Exekutive bediente. Aber nicht nur aus ihrem programmatischen Charakter resultierte die bürgerliche Affmität zu den Grund- und Freiheitsrechten, sondern auch daraus, daß deren Gleichheit sozial die angestrebte homogene Gesellschaft mittlerer Existenzen voraussetzte und daß deren universaler Geltungsanspruch ein Vorgriff auf die umfassende Bürgergesellschaft war. Das Eigengewicht der Krone, die Blockadepolitik der Ersten Kammern und das Interesse des Bürgertums haben daftlr gesorgt, daß das mit den Grundrechten gegebene Versprechen bis zur Mitte der vierziger Jahre nur begrenzt eingelöst wurde. Denn das neuständische Modell mit nach wie vor privilegierten Klassen, abgestuften Rechten und Beteiligungsmöglichkeiten erftlllte die geweckten Hoffnungen nicht, so daß das gesamte System in eine Krise stürzte. Diese hat das Bürgertum nachhaltiger als seine fürstlichen Gegenspieler getroffen. Ihm dämmerte jetzt, daß es seinen aus den Grundrechten abgeleiteten Auftrag in zweierlei Hinsicht zu eng defmiert hatte. Einmal in der Begrenzung nur auf die Gesellschaft, zum anderen durch die Konzentration auf eine bürgerliche Reform. 168 Die Forderungen der Märzbewegungen des Jahres 1848 zeigten nämlich, daß dort, wo Grundrechte galten, inzwischen auch die Massen aus ihnen weitergehende Vorstellungen von Staat und Gesellschaft ableiteten. 167 Vgl. Wolfgang v. Rimscha, Die Grundrechte im süddeutschen Konstitutionalismus: zur Entstehung und Bedeutung der Grundrechtsartikel in den ersten Verfassungsurkunden von Bayern, Baden und Württemberg. - Köln 1973. - (Erlanger Juristische Abhandlungen; 12), S. 119 ff. und R. Wahl, Wirkungen (FN 165), S. 349 ff. 168 Bernd Wunder, Grundrechte und Freiheiten in den württembergischen Verfassungskämpfen, in: G. Birtsch (Hrsg.), Grund- und Freiheitsrechte, S. 435 ff. weist mit Nachdruck darauf hin, daß in Württemberg von den konstitutionellen Rechten vor allem das Bürgertum profitiert habe, während die altständische Freiheit auch noch dem gemeinen Mann zugute gekommen sei.
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Demokraten und Republikaner machten sich jetzt darüber hinaus deren Dynamik zu eigen, indem sie einen unauflösbaren Zusammenhang zwischen unveräußerlichen Grundrechten und staatlicher Ordnung herstellten und die Schaffung der sozialen Voraussetzungen einforderten, um alle in deren Genuß kommen zu lassen. !69 Die Paulskirche hat ja dann auch aus dieser neuen Auffassung die Konsequenzen gezogen. Wegen der zentralen Stellung der grundrechtlichen Einbindung staatlicher Gewalt und deren Unterwerfung unter Recht und Verfassung im liberalen Programm ist insbesondere der FrUhliberalismus immer wieder als Rechts- und Verfassungsbewegung gedeutet worden.!70 Dies trifft aber nur dann den Kern, wenn beachtet wird, daß ftlr die Liberalen konstitutionelle Verfassung und Rechtsstaat nicht nur Ziel, sondern auch ein Mittel ftlr weitergehende Intentionen waren. Denn die den Staatsumbau ergänzende Gesellschaftsreform gedachten diese Juristen und Beamten von oben über Gesetze und Erlasse zu verwirklichen.!7! Dabei wollten sie vor allem die Freiheit und Gleichheit hindernden ständischen und korporativen Einrichtungen wie die feudalen Privilegien und Lasten vorwiegend auf dem Land beseitigen. Indem außerdem der ungehinderte Verkehr der Waren (einschließlich der freien Verftlgung über Grund und Boden) und die unbeschränkte Expansion der Gewerbe ermöglicht wurde, sollte die Grundlage ftlr den Wohlstand der Massen geschaffen werden. Diesen war im staatlich kontrollierten Bildungswesen die Fähigkeiten zu vermitteln, deren eine vernünftig organisierte und auf harmonischen Interessenausgleich bedachte Gesellschaft bedurfte. So sehr die Wirtschaftspolitik des Liberalismus, solange es gegen das Bestehende ging, sich progressiv gebärdete, so stark waren widerum die Vorbehalte gegen Industrialisierung und ungebändigtes Wirtschaften. 172 In der Gesetzgebung kam der Dualismus der konstitutionellen Verfassungen am anschaulichsten zum Ausdruck; zugleich wurde er dabei überwunden, da die Gesetze Ausfluß des im Fürsten und den Landständen repräsentierten staatlichen Gesamtwillens waren. Nirgends ist es wohl mehr angebracht, zwischen den Rechtsnormen und der Praxis zu unterscheiden, und nirgends ist der Unterschied zwischen den konstitutionellen Verfassungen und denen altständischen Zuschnitts gravierender als bei dieser zentralen Kompetenz der Landtage. Hartwig Brandt, Urrechte und Bürgerrechte im politischen System, in: G. Birtsch Grund- und Freiheitsrechte, S. 467 ff. \7 Zuletzt mit Nachdruck D. Langewiesche, Liberalismus in Deutschland (FN 101), S. 12; vgl. auch H. Gangl, Der deutsche Weg (FN 1), S. 30. \7\ Zu dieser Problematik vgl. F. Schnabel, Deutsche Geschichte (FN 129), S. 198 ff. 172 Vgl. dazu L. Gall, "Bürgerliche Gesellschaft" (FN 103), S. 165 ff. und auch Th. Nipperdey, Deutsche Geschichte (FN 7), S. 296 ff.; W. Conze, Staat (FN 80), S. 223 ff. \69
(Hrs~.),
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Verfassungsrechtlich konnte es keinen Zweifel daran geben, daß der Monarch das eigentliche Gesetzgebungsorgan war. 173 Das Initiativrecht lag allein bei ihm, wenn die Parlamente dies auch mit Hilfe von zum Teil verbrieften Gesetzespetitionen, die bis hin zu Entwürfen gehen konnten, aufzuweichen suchten. Der Idee nach beschränkte sich die Beteiligung der Kammern an der Gesetzgebung auf die Ausübung des Wächteramts bei der Feststellung des Gesetzesinhalts und auf die Zustimmung als die unverzichtbare Voraussetzung des Gesetzesgehorsams freier Bürger. In einer solchen Auffassung gründeten die weitgehend negativen Aktivitäten von Abwehr, Kontrolle und Kritik, wie sie die bürgerliche Bewegung überwiegend in Öffentlichkeit und Parlamenten praktizierte. Erst die Sanktion des Monarchen gab den Beschlüssen der Kammern Gesetzeskraft, erst dadurch wurden sie für die Untertanen bindendes Gebot. Trotz der jetzt in der Verfassung garantierten Beteiligung der Stände blieb es dabei, daß eine Rechtsbeziehung nur zwischen Herrscher und Beherrschten begründet wurde. Deswegen ist es irreführend, die Landtage als "Legislative" zu bezeichnen. Nicht wenige Verfassungen der Bundesstaaten vermeiden deswegen sogar die Tätigkeit der Stände als Gesetzgebung zu bezeichnen; statt dessen legen sie deren Befugnisse auf Beraten und Zustimmen fest. 174 Gekrönt wurde die überragende Stellung des Fürsten innerhalb der Normsetzung durch den weiten Bereich des ihm allein zustehenden Verordnungswesens, mit dem meist noch ein (vorläufig) gesetzesvertretendes Notverordnungsrecht einherging. Die Beteiligung der Landstände an der Gesetzgebung gründete in dem alteuropäischen Grundsatz "quod omnes tanget, ab onmibus deciditur", der sich im Vormärz zum Gesetzesvorbehalt bei Eingriffen der Exekutive in Freiheit und Eigentum der Untertanen konkretisiert hatte. Dieser Vorbehalt wurde nochmals dadurch erweitert, daß die meisten Verfassungen auch Änderungen der Verfassung wie bereits erlassener Gesetze an die ständische Zustimmung banden. 175
173 Zum Folgenden D.Grimm, Verfassungsgeschichte (FN 31), S. 113; E. -Wo Bökkenförde, Konstitutionellen Monarchie (FN 129), S. 154 ff.; Vgl. dazu auch Ernst Rudolf Huber, Das Wesen der konstitutionellen Monarchie, in: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. - 3. Band: Bismarck und das Reich. - Stuttgart 1988, S. 3 ff. 174 Vgl. die entsprechenden Abschnitte bei den konstitutionellen Verfassungen Südund Mitteldeutschlands in E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente I (FN 5), S. 155 ff., wo häufig von der "Wirksamkeit" oder "Tätigkeit" der Stände die Rede ist und deren Aufgabe beim Feststellen des Gesetzesinhalts auf "Beirat" und "Zustimmung" begrenzt wird.
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Eine weitere Einbruchsstelle in die fürstliche Machtposition eröffnete der noch wenig scharf ausgeprägte Gesetzesbegriff. Zumindest in den konstitutionellen Staaten hat die liberale Ansicht vom Gesetz als einer Norm, die entweder die Beziehungen des Staates zur Gesamtheit der Untertanen bzw. zu einzelnen oder die Beziehungen der Untertanen untereinander regelte, die Praxis mehr bestimmt als die Freiheits- und Eigentumskiausel. 176 Nicht durchgesetzt hat sich allerdings der weitergehende Anspruch, jede allgemeinere Regelung zum Gesetz zu machen. 177 Zu dieser in der konstitutionellen Praxis schon weiten Mitbestimmung der Politik hat sicherlich beigetragen, daß die Stände im parlamentarischen Alltag durch Petitionen Gesetze anstoßen konnten und daß mit Hilfe der Interpellation bzw. bei der Debatte des Haushalts sich immer die Möglichkeit zur Auseinandersetzung mit Gegenständen ergab, die jenseits der durch den konstitutionellen Gesetzesbegriff gezogenen Grenze lagen. 178 Wie versiert die bürgerlichen Kammern die hier liegenden Möglichkeit zu handhaben wußten, wird vielleicht am besten durch den Umfang deutlich, in dem die Verwirklichung des liberalen Programms mit Hilfe der Gesetzgebung gelang, obwohl die Verfassungen ihnen dabei nur eine Nebenrolle zubilligten. Die weitaus wichtigste Kompetenz der Landstände im Machtkampf mit den Fürsten war die Steuerbewilligung. Deren Brisanz lag zunächst einmal darin, daß sie ein originäres ständisches Recht war. Dennoch ist das Bewußtsein, daß eine nicht aus der monarchischen Gewalt abgeleitete Kompetenz vorlag, kaum verbreitet gewesen. 179 Vermutlich ist der Gedanke dadurch verb laßt, daß in der Rheinbundzeit die Erhebung der Auflagen ohne die Stände erfolgte, und diese selbst nach der Einführung von Verfassungen auch in dieser Hinsicht nicht mehr an das altständische System anknüpfen wollten. Unabhängig von ihrer Rechtsnatur war es unbestritten daß Steuern als der gravierendste regelmäßig wiederkehrende Eingriff in das Eigentum der Untertanen nicht ohne Zustimmung der Stände erfolgen konnte. Insbesondere die konstitutionellen Regierungen haben daraus die naheliegende Konsequenz gezogen, die Stände an der
175 Hierzu und auch zum Folgenden vor allem Rolf Grawert,Gesetzgebung als Faktor der Staatsentwicklung. - (Beihefte zu "Der Staat"; 7), S. ISS ff. und E.- R. Huber, Verfassungsgeschichte I (FN 29), S. 346 ff. 176 H. Brandt, Württemberg (FN 150), S. 271 ff. 177 V gl. K. H. Friauf, Staatshaushaltsplan (FN 127), S. 208 f. 178 Vgl. zur Gesetzgebung im Konstitutionalismus (mit starkem Bezug auf Preußen) auch noch R. Grawert, Gesetzgebung (FN 175), S. 113 - 117. 179 Darauf weist K.-H. Friauf, Staatshaushalt (FN 127), S. 203, bes. in der Anm. 26 a hin.
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Festsetzung der Staatsausgaben zu beteiligen. Darauf beruht das deutsche Spezifikum, den Etat als Landesgesetz zu verabschieden. An ihm haben sich die meisten Konflikte entzündet, da hier die filr den Konstitutionalismus kennzeichnende Scheidelinie zwischen Staat und Gesellschaft überschritten werden konnte. Zweierlei wurde dabei deutlich: zum einen, in welchem Umfang die konstitutionelle Monarchie auf den Komprorniß angewiesen war, zum anderen, daß keine Verfahren der Konfliktregelung vorhanden waren, wenn keine Eini. It wurde. 180 gung erZle Bei der Bewilligung von Auflagen wie von Staatskrediten wirkte die wirtschaftliche Macht des Bürgertums am unmittelbarsten in den staatlichen Raum. Denn im Haushalt wurde der Staatspolitik im großem Umfang der Rahmen vorgegeben. Hier lagen die ganz unterschiedlich genutzten Möglichkeiten der Landtage, die Gestaltung des Landes mitzubestimmen. Da alle Staaten ihre Tätigkeiten ausdehnten, konnten sie diese um so weniger wie bisher mit eigenen bzw. rurstlichen Einkünften bestreiten. Folglich nahm der landständische Einfluß bedingt durch diese Entwicklung tendenziell zu. Die Liberalen haben schon in den vormärzlichen Landtagen mit unterschiedlichem Erfolg Anläufe unternommen, das Budgetrecht zur politischen Mitbestimmung zu erweitern. Die Vorstöße, die filrstliche Regierungsgewalt zu beschneiden durch die Forderung nach einem dauernden Überprufungsvorbehalt filr alle im Haushalt etatitsierten gesetzmäßigen Einnahmen und Ausgaben kamen nicht weit. Hingegen wurde durch die Koppelung von Steuerbewilligungen an Gesetzesversprechen und die Genehmigung von Personalausgaben an personalpolitische Vorgaben schon der Weg zur Mitregierung eingeschlagen. 181 Ein noch weitergehender Schritt war es, daß die Parlamente dazu tendierten, über das in den meisten konstitutionellen Staaten gewährte Mitwirkungsrecht bei der FesteIlung der Staatsausgaben einen Nachweis über die Notwendigkeit der beantragten Mittel wie deren Verwendung zu verlangen. 182 Solche Bestrebungen konnten darauf hinauslaufen, über die Festlegung des
180 Vgl. dazu besonders K.-H. Friauf, Staatshaushalt (FN 127), S. 39 fI.; vgl. auch E.R. Huber, Verfassungsgeschichte I (FN 29), S. 346 ff. 181 Vgl. zum Beispiel: H. Brandt, Gesellschaft (FN 153), S. 113 ff. 182 Vgl. dazu Reinhard Mußgnug, Die Finanzierung der Verwaltung an der Wende vom Ständestaat des 18. zum Verfassungsstaat des 19. Jahrhunderts, in: Die Verwaltung und ihre Ressourcen: Untersuchungen zu ihrer Wechselwirkung; Tagung der Vereinigung für Verfassungsgeschichte in Hofgeismar vom 13.3. - 15.3.1989. - Berlin 1991. (Der Staat: Beiheft; 9), S. 89 ff.
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Budgets die materielle Kontrolle über die Tätigkeit der Regierung zu gewin183 nen. Den Gefahren, die ihrem Anspruch auf Alleinherrschaft durch Steuerbewilligung und Budgetfeststellung drohten, sind die Monarchen auf unterschiedliche Weise begegnet. Durchgehend wurde auf mehrjährigen Haushaltsperioden bestanden. Teils versuchten sie das Prinzip durchzusetzen, daß einmal bewilligte Steuern nur einvernehmlich wieder reduziert oder abgeschafft werden konnten; teils versuchte man Ähnliches bei den Ausgaben zu erreichen oder aber durch die Festsetzung von Pauschalsummen im Etat ständische Kontrolle auszuschließen. 184 Die wirkungsvollste Hilfe zur Stabilisierung der monarchischen Ordnung kam allerdings vom Bund. Er hat die Landesfilrsten bei ihrer Politik gestützt, Ausgaben fUr ein geordnetes Regiment und besonders die am heftigsten umstrittenen fUr das Militär als Erfilllung ihrer Bundespflichten zu rechtfertigen, die nicht zur Disposition der Stände stünden. Die restriktive Auslegung ständischer Fiskalrechte deckte der Bund bis hin zu der These, daß aus der Befugnis der Steuerbewilligung nicht auch eine Mitbestimmung bei der Ausgabenfestsetzung folge. Mit der Errichtung eines ausschließlich durch die Landesregierungen zu besetzenden Schiedsgerichts zur Durchsetzung dieser Rechtsauffassung sollte seit 1832 im Gegenzug das ständische Mitwirkungsrecht im Kern ausgehöhlt werden. 185 Ein nicht zu unterschätzendes Hemmnis fUr die bürgerliche Machtentfaltung in den Landtagen war, daß diese in ihren Angelegenheiten nicht autonom gewesen waren. Vielmehr stand es in der Willkür des Fürsten, wann und wie oft die Volksversammlungen einberufen wurden. Die Garantie einer regelmäßigen Einberufung hat dieses Recht wenig beeinträchtigt angesichts der oft mehrjährigen Abstände zwischen den Sitzungsperioden und der Möglichkeit, sie nach politischer Opportunität zu vertagen oder aufzulösen. 186 Die Regierungen sind auch nicht davor zurückgeschreckt, durch oft recht massive Wahlbeeinflussung und Schikane, sich gefUgige Zweite Kammern zu schaffen. Das war dort besonders leicht, wo die Anzahl der Mandate fUr bestimmte Stände und Berufsgruppen gesetzlich kontingentiert war. Es war kein Zufall, daß Baden, das die freieste Auswahl der Kandidaten kannte, die liberalsten Landtage hatte.
183 Nach K.- H. Friauf, Staatshaushalt (FN 127), S. 41 ff. scheint dies in einigen kleineren thüringischen Fürstentümern schon der Fall gewesen zu sein. 184 Vgl. dazu K.-H. Friauf, Staatshaushalt (FN 127), S. 216 ff. und S. 233 ff. 185 Vgl. den "Bundesbeschluß über Maßregeln zur Aufrechterhaltung der gesetzlichen Ordnung und Ruhe in Deutschland" vom 28. Juni 1832: E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente I (FN 5), S. 132 ff. und K.-H. Friauf, Staatshaushalt (FN 127), S. 57 ff. 186 Vgl. E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte I (FN 29), S. 343 ff.
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Schließlich waren die Zweiten Kammern auf die Übereinstimmung mit den Ersten Kammern angewiesen. Denn von einigen Klein- und einigen norddeutschen Mittelstaaten, Preußen und Österreich abgesehen, herrschte im Deutschen Bund das Zweikammernsystem. Die Ersten Kammern waren kein Oberhaus. 187 Denn erbliche Sitze für Standesherren hat es nur in Baden, Württemberg, Hessen-Darmstadt wie Nassau und ab 1830/31 noch in Sachsen und Hannover gegeben. 188 Das Kennzeichen in Deutschland war gerade die sozial disparate Zusammensetzung dieser Kammern, und die unterschiedliche Legitimation der dort Vertretenen: erblich, ernannt qua Amt oder Funktion, ja selbst des Vermögens und der Verdienste willen. So saßen dort neben dem dominierenden Adel meist noch die Prinzen des Herrscherhauses, Vertreter der Korporationen und der Kirchen. In den vor allem in Süddeutschland gelegenen neuen Staatsbildungen mit einem beträchtlichen Anteil Mediatisierter war deren Beteiligung an der Ausübung der politischen Macht unverzichtbare Kompensation für die verlorene Selbständigkeit. Die von der Bundesakte geforderte soziale, wirtschaftliche und rechtliche Sonderstellung kulminierte insofern in der politischen Privilegierung als, von der Steuergesetzgebung abgesehen, die in der Ersten Kammer repräsentierten Schichten einen weit überproportionalen politischen Einfluß ausüben konnten. Diesen haben sie vor allem zur Verteidigung ihrer rechtlichen und gesellschaftlichen Bevorzugung genutzt. Die Ersten Kammern gehörten insoweit zu den wichtigsten Einrichtungen, mit deren Hilfe sich der Adel in Deutschland bis ins 20. Jahrhundert behaupten konnte. Davon abgesehen, sind die Ersten Kammern politisch blaß geblieben. Aus den divergierenden Interessen ließ sich nur schwer ein einheitlicher Wille formen. Selbst der Adel war politisch, wirtschaftlich und konfessionell unterschiedlich orientiert und oft zusätzlich durch die Rivalität zwischen Niederund Hochadel gelähmt. Die Standesherren, auf die es angekommen wäre, waren nur mäßig engagiert. Sie standen im Vormärz zu Hof und Regierung in deutlicher Abwehrstellung, da sie den Verlust ihrer Selbständigkeit noch nicht verschmerzt hatten. Ihr Interesse konzentrierte sich auf ihre Herrschaften und Güter, und das Wohlergehen ihrer Familien wie ihrer Standesgenossen lag ihnen mehr am Herzen als das des Landes. Manche hatten darüber hinaus aufgrund ihres weit zerstreuten Besitzes Standschaftsrechte auf mehreren Landta189 gen.
Gegen W. Siemann, Staatenbund (FN 40), S. 113. Vgl. E. Fehrenbach, Adel (FN 20), S. 25. 189 Vgl. H. Gollwitzer, Standesherren (FN 93), S. 97 ff.; P. M. Ehrle, Volksvertretung (FN 145), S. 329 ff.; E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte I (FN 29), S. 341 ff. 187
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Die Existenz der beiden Kammern hat den Fürsten einen zusätzlichen Spielraum gegenüber den Landtagen eröffnet. Zunächst einmal hatten wohl machtpolitische Erwägungen dafilr gesprochen, die Opfer filrstlicher Souveränität und deren Herausforderer zu trennen, um beide besser in Schach halten zu können. 190 In der Praxis lief das oft darauf hinaus, beide gegeneinander auszuspielen. So stand man bei der Defeudalisierung und Entprivilegierung mit der Zweiten gegen die Erste, mit deren Unterstützung man sich wiederum gegen Demokratisierung und Parlamentarisierung zu wehren wußte. Bei nur einer Kammer war eine solche Taktik ebenfalls nicht ausgeschlossen, da in dieser häufig die Willensbildung nach Kurien getrennt erfolgte. 191 Über die Ernennungen und die erblichen Sitze filr das Fürstenhaus in den Ersten Kammern hat sich dem Fürsten eine zusätzliche EinbruchsteIle eröffnet. Sowohl filr die konstitutionellen Garantie der bürgerlichen Existenz als auch filr den Schutz vor filrstlicher Autokratie und dem Terror des "Pöbels,,192 waren die Liberalen also bereit, das verfassungsmäßige Ungleichgewicht der Machtverteilung hinzunehmen. Die Spannungen, die sich dennoch zwischen dem Bürgertum und den Fürsten ergaben, rührten folglich auch nicht daher, daß eine Seite an den Verfassungsgrundlagen rüttelte, sondern zunächst am unterschiedlichen Verständnis über das, was im Zuge der Verfassungsgebung erreicht worden war. Die Fürsten sahen in ihren Gnadenakten die äußerste Konzession, das Bürgertum eher den Rahmen, in dem zu allererst die bürgerliche Gesellschaft und dann vermehrte politische Mitsprache und Mitentscheidung auf allen Ebenen des Staates durchzusetzen war. 193 Darin sah es seinen historischen Auftrag, in dessen Vollzug es sich zum Liberalismus formte. Dabei haben sich die Konflikte bezeichnenderweise weniger an den Gesellschaftsreformen entzündet. Denn dieses politische Konzept verwirklichten die Repräsentanten des Bürgertums in den Zweiten Kammern - selbst wenn diese von den Liberalen dominiert wurden - meistens in Zusammenarbeit mit den monarchischen Regierungen. 194 Dabei haben sich die Landtage oft in einem solchen Umfang der Führungsrolle der Regierungen unterworfen, daß sie nicht mehr als deren Erfiillungsgehilfen waren. 195 Das gemeinsame Ziel der Begründung einer politischen und gesellschaftlichen Ordnung auf Vernunftrecht und Autonomie des Indivi190 Daflir spricht deutlich der Kampf des württembergischen Königs gegen eine bürgerlich-adlige Fronde um die Einflihrung einer zweiten Kammer, Vgl. P. M. Ehrle,Volksvertretung (FN 145), S. 331 ff. 191 Instruktive Beispiele bei G. Engelbert, Konstitutionalismus (FN 122), S. 116 f. 192 Vgl. auch O. Hintze, Monarchisches Prinzip (FN 130), S. 367 f. 193 Vgl. auch L. Gall, Der Liberalismus als regierende Partei (FN 114), S. 42 ff. 194 Das unterstreicht auch H. Brandt, Gesellschaft (FN 153), S. 108 ff.; und W. Conze, Staat (FN 80) und Gesellschaft, S. 220 ff. 195 So flir Württemberg H. Brandt, Württemberg (FN 150), S. 441 ff.
5 Ruppert
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duums schuf eine ebenso solide Basis filr Kooperation wie die auf beiden Seiten verbreitete Überzeugung, daß die Massen von den Eliten auf diesem Weg geleitet werden müßten. 196 Die Liberalen unterließen es folglich nicht, darauf zu verweisen, daß ihrem Wesen nach rechtswahrende und ordnungsstifende Landstände von keinem Fürsten zu filrchten seien. 197 Sie hatten filr das notwendige Zusammenwirken von Gesellschaft und Staat, die sich ja noch kaum vermittelt gegenüberstanden, eine kennzeichnende Lösung parat, welche die Idee des gemeinsamen Handelns von Fürst und Volk aus den Befreiungskriegen in das Verfassungszeitalter verlängerte. Auch erschien in ihrem organischen Verfassungsverständnis gar nichts anderes möglich, als die zweckmäßige Vereinigung von filrstlicher Regierung und den Repräsentanten des Volkes. 198 Dazu bedurfte es innerhalb des bestehenden Verfassungsrahmens nur zweierlei. Zum einen die kontinuierliche Anpassung der Ständeversammlungen an die gesellschaftlichen Strukturen, weswegen Wahlrechtsreformen filr sie eine so große Bedeutung hatten; zum anderen den Vollzug des Volkswillens durch die Regierung, ohne diese von jenem institutionell oder rechtlich abhängig zu machen - etwa im Sinne parlamentarischer Verantwortlichkeit. l99 So versuchte das Bürgertum den Fürsten plausibel zu machen, daß sich Volksherrschaft und Monarchisches Prinzip im konstitutionellen Dualismus durchaus vereinbaren ließen. 200 Das Gebaren der Liberalen in den Landtagen war allerdings nicht immer dazu angetan, ihre Mit- und Gegenspieler davon zu überzeugen. Denn sie zeigten in ihrer Orientierung an utopischen Entwürfen und ihrer Lust an Grundsatzdebatten zeitweilig wenig Neigung, mit der Exekutive die Probleme des täglichen politischen Geschäfts im Kompromiß zu lösen. Sie liefen mit einer solchen Politik öfters Gefahr, sich in einer grundsätzlichen Verweigerungshaltung zu verrennen?OI Trotz des fast überall anzutreffenden Zerfalls in einen liberalen und einen regierungshörigen Flügel hielten sie an ihrem Verständnis fest, daß die Volksvertretung als Ganze die institutionalisierte Daueropposition sei. Eine solche Überzeugung ließ die Bildung von Parteien ebenso wenig zu wie die Vgl. dazu flir Baden auch L. Gall in: Badische Geschichte (FN 123), S. 29 ff. So vor allem Dahlmann; vgl. Friedrich Christoph Dahlmann, Ein Wort über Verfassungen, in: H. Brandt (Hrsg.), Restauration (FN 115), S. 104 ff. 198 Vgl. Carl Theodor Welcker, Staatsverfassung, in: Lothar Gall / Rainer Koch (Hrsg.), Der Europäische Liberalismus im 19. Jahrhundert: Texte zu seiner Entwicklunft. - 4 Bände. - Frankfurt a. M. 1981; hier 11, S. 3 ff. 99 Vgl. Karl v. Rotteck, Demokratisches Prinzip, in: L. Gall / Koch (Hrsg.), Europäischer Liberalismus 11 (FN 198), S. 145 ff. 200 Vgl. U. Scheuner, Volkssouveränität (FN 143), S. 322 ff. 201 Vgl. auch H. Boldt, Patrimonialismus (FN 132), S. 97 ff. 196 197
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von Fraktionen. Die Volksvertreter erkannten meist nicht, daß die so bewahrte Autonomie ihren Preis darin hatte, daß sie dem Druck der Basis und dem Zugriff der Regierung um so ungeschützter ausgesetzt waren. Individualismus, lokale wie soziale Abhängigkeit, Gesinnungspolitik, das Gegeneinander von Gouvernementalen und Antigouvernementalen und die Manipulationen der Regierungen machten die Landtage im großen und ganzen instabil und unberechenbar. Sie haben sich so stellenweise selbst um Möglichkeiten der Mitwirkung gebracht. 202 Letztlich war es aber nicht dieses Verständnis von Opposition, das die rur die Liberalen in der Tat ideale Lösung, zu herrschen, ohne die Machtfrage zu stellen/03 scheitern ließ. Ausschlaggebend war vielmehr gewesen, daß die fUrstlichen Regierungen davon überzeugt waren, daß nicht einmal in der Theorie und noch weniger in den praktischen Auseinandersetzungen mit den Kammern sich die entscheidene Frage, wer regiert, zu umgehen war. 204 Denn wenn es um die Auslegung politischer Rechte oder gar um Machtverschiebungen innerhalb des politischen Systems ging, kam es zu den spektakulären Konflikten, die das das Bild der vormärzlichen Landtage unverhältnismäßig stark geprägt haben. Sie brachen aus, wenn die Liberalen mit Hilfe von Petitionen oder von ihnen abgestoßenen öffentlichen Debatten als auch über die Steuerbewilligung sich in die Prärogative der Regierung drängen wollten. Des weiteren prallten die Fronten meist dann hart aufeinander, wenn eine Seite glaubte, daß am konstitutionellen Machtkompromiß gerüttelt werde. Das war einmal der Fall, wenn die Fürsten aus eigenem Antrieb oder im Vollzug von Vorgaben des Bundes durch exzessive Ausübung ihrer Verfassungsrechte und durch Einschränkung oder gar Aufhebung politischer Grundrechte die bürgerliche Bewegung strangulierten. Andererseits fUhlten sich die Herrscher herausgefordert durch Vorstöße, die wie die Liberalisierung des Wahlrechts auf Demokratisierung oder die wie die Versuche, durch legale Obstruktion bis hin zum Ministersturz die Regierung zur liberalen Politik zu zwingen, auf Parlamentarisierung zielten. Auffallend ist, daß die vormärzlichen Landtage ihre großen politischen Durchbrüche so gut wie nie aus eigener Kraft erreichten. Besonders erfolgreich war die antigouvernementale Fronde immer dann, wenn sie entweder von einer breiten öffentlichen Unterstützung getragen zum Vorreiter einer um-
Dazu auch L. Gall, Der Liberalismus als regierende Partei (FN 114), S. 34 ff. Ein schönes Beispiel für das Ausweichen vor der Machtfrage und für die Illusionen des Liberalismus ist Paul Achatius Pfizer, Gedanken über das Ziel und die Aufgaben des deutschen Liberalismus. In: L. Gall / Koch (Hrsg.), Europäischer Liberalismus 11 (FN 198), S. 67 ff. 204 Das hat F. 1. Stahl klar herausgearbeitet. Vgl. H. O. Meisner, Monarchisches Prinzip (FN 132), S. 302 ff. 202 203
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fassenden Bewegung oder aber wenn die monarchische Gegenseite durch soziale Gärungen, Sukzessionskrisen oder politische Differenzen geschwächt war. So sehr das Verlangen nach politischer Partizipation dabei immer wieder durchbrach, den kompromißlosen Kampf um die Macht im Staate wollte man nicht/OS und er war von einer Bewegung von Bürgern, von denen ein erheblicher Teil im Dienst einer Obrigkeit (des Staates, der Städte, der Kirchen oder von Standesherren) stand, auch nicht zu erwarten. Man setzte hier noch mehr als sonst auf Evolution. Die Regierung des Monarchen vom Vertrauen des Parlaments abhängig zu machen, war filr die Mehrheit der Liberalen angesichts der bisher gemachten Erfahrungen mit der Herrschaft des Volkes kein vorrangiges Ziel, und die streng dualistisch denkenden Liberalen lehnten dies aus Überzeugung sowieso ab. 206 Entsprechende Ideen sind erst im Vorfeld der Revolution von 1848 breiter erörtert worden; zum Gemeingut des Liberalismus sind sie in letzter Konsequenz nicht geworden. Er setzte vielmehr darauf, daß sich die Funktionen der Zweiten Kammern bei genügendem öffentlichen Rückhalt so weit ausbauen ließen, daß das Übergewicht der Exekutive auf die Dauer kompensiert werden würde?07 Seit die Minister durch Gegenzeichnung die Verantwortung filr die Maßnahmen des extrakonstitutionellen Monarchen übernahmen, konnten sie theoretisch vom Parlament zur Rechenschaft gezogen werden. 208 In der Praxis hat dieses Institut vielleicht doch mehr die Stellung der Regierung gefestigt, als daß das Parlament dadurch verstärkten Einfluß auf sie gewinnen konnte. Auch nur bedingt brauchbar filr solche Zwecke erwies sich die in den meisten Verfassungen vorgesehene Möglichkeit, Minister wegen deren Verletzung, teils 205 Zu der auch programmatischen Mäßigung der Liberalen in dieser Hinsicht vgl. Karl-Georg Faber, Strukturprobleme des deutschen Liberalismus im 19. Jahrhundert, in: Der Staat 14, 1975, S. 214 f. 206 D. Grimm, Verfassungsgeschichte (FN 31), S. 117 ff.; Lothar Gall, Das Problem der parlamentarischen Opposition im deutschen FTÜhliberalismus, in: G. A. Ritter (Hrs~.), Die deutsche Parteien vor 1918. - Köln 1973, S. 195 f. 20 Th. Nipperdey, Deutsche Geschichte (FN 7), S. 295 sieht allerdings in dieser Einstellung der dauernden Opposition und des Mißtrauens eine Erblast des deutschen Parlamentarismus. Keinen Gegensatz zwischen Parlamentarismus und Konstitutionalismus sieht Hans Boldt, Zwischen Patrimonialismus und Parlamentarismus: Zur Entwicklung vorparlamentarischer Theorien in der deutschen Staatsrechtslehre des Vormärz, in: Gerhard A. Ritter (Hrsg.), Gesellschaft, Parlament und Regierung : zur Geschichte des Parlamentarismus in Deutschland - Düsseldorf 1974, S. 77 ff. Boldt glaubt vielmehr, daß die konstitutionelle Monarchie zum Parlamentarismus hin offen gewesen sei und diese Möglichkeit durch die gescheiterte Revolution von 1848 und den preußischen Verfassungskonflikt verschüttet worden sei. 208 K.-G. Faber, Strukturprobleme (FN 205), S. 214 f.
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auch bei Gesetzesverstößen anzuklagen. Denn sie ist in Deutschland ganz im Sinne des Dualismus strikt juristisch aufgefaßt worden?09 Das schloß nicht aus, daß angesichts der Drohung mit der Klage mancher Minister aus der Regierung zurückgezogen wurde und manche Ernennung im Blick auf die künftige Zusammenarbeit mit einer kämpferischen Zweiten Kammer erfolgte. 210 Es scheint aber nicht zu Vorstößen wie in Frankreich gekommen zu sein, wo die Liberalen versuchten, Regierungsmitglieder auch für die zweckwidrige Ausübung legaler Befugnisse zur Rechenschaft zu ziehen, um maßgeblichen Einfluß auf den In. 211 nenraum des Staates zu gewmnen. Die dennoch oft recht widerspenstige Opposition in den Zweiten Kammern, die schon im Schutz parlamentarischer Immunität agieren konnte, und nicht selten vor allem von den freien Berufen und Beamten getragen wurde, ließ sich meist mit Hilfe gouvernementaler Abgeordneter in Schach halten. Die Regierungen in den konstitutionellen Staaten haben zu diesem Zweck das Einverständnis mit ihnen gesucht, ja diese nicht selten für eine Sitzungsperiode zusammengeschmiedet. Insofern tendierte der Dualismus des Vormärz also eher zu einer Gouvernementalisierung der Landtage als zu einer Parlamentarisierung der Regierungen. Immerhin bildeten sich auch so gegenseitige Abhängigkeiten. Wenn in den besonders agilen Zweiten Kammern der dreißiger Jahre meist die Innenrninister kontinuierlich die Politik der Regierung mit Unterstützung gouvernementaler Mehrheitsfraktionen durchzusetzen versuchten, schienen manchmal zumindest de-facto Premierminister zu agieren. Die Fürsten wußten sehr wohl, warum sie sich auf ein solches Zusammenspiel nur informell und zeitweise, wenn sie unter dem Druck der Liberalen standen, einließen. Das deutsche Bürgertum vermied es bis zur Revolution ängstlich, sich klar zu machen, daß die Alternative letztlich in Volkssouveränität oder Monarchischem Prinzip bestand. Als es der Entscheidung nicht mehr ausweichen konnte, hat es sich in der Nationalversammlung entlang dieses Antagonismus gespaltet. Sein politisch aktiver Teil hatte die Wahrheit, die ihm der sonst eifrig rezipierte Benjamin Constant vermittelte, nicht sehen wollen: liberale Rechts-, Freiheitswie Gesellschaftsordnung und demokratische Herrschaftsordnung bedingen 209 Das betont auch nochmals F. J. Stahl, wenn er schreibt, daß die Ministerverantwortlichkeit in Deutschland gänzlich anders als in England sei. "Das Gericht ist nicht den Ständen, sondern auf ihre gemeinsame Anklage einem Gerichtshofe außer ihnen übertragen (dem obersten Landes- oder einem eigenen Staatsgerichtshofe), die Strafen sind nicht kapital, die Begnadigung ist meistens nicht ausgeschlossen, und die Anklage beschränkt sich auf Verletzung, ja häufig auf absichtliche Verletzung der Verfassung." Vgl. F. 1. Stahl, Monarchisches Prinzip (FN 130), S. 143 ff. 210 Beispiele aus Bayern bei W. Hardtwig, Vonnärz (FN 155), S. 63. 211 K. H. Friauf, Staatshaushalt(FN 127), S. 215 f.
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sich gegenseitig. 212 Dabei hätten doch sowohl Gesellschaftsmodell wie Selbstverständnis des Bürgertums als auch seine geschichtsphilosophische Überzeugung vom Heraufkommen des bürgerlichen Zeitalters der politischen Verfassung einer sich selbst regierenden und frei entwickelnden Staatsbürgergesellschaft am ehesten entsprochen. Mentalität und historische Ausgangslage haben aber das deutsche Bürgertum nicht den bürgerlichen Staat erstreben lassen; es hat vielmehr den Ausweg ergriffen, der schließlich zur Ausflucht wurde, nämlich die bürgerliche Gesellschaft mit Hilfe des Fürstenstaats zu schaffen. Am Ende des Vormärz war auch den Liberalen klar, daß das ideale Gleichgewicht, zwischen beiden Seiten sich im konstitutionellen Dualismus nicht einstellte, vor allem weil die legale systemimanente Instanz für die Konfliktschlichtung fehlte. 213 Solche Erfahrungen führten zu Überlegungen in Richtung Parlamentarismus, wenn man auch vor dem parlamentarischen Regieren noch zurückschreckte. So scheint das Hauptmotiv solcher Gedankenspiele dann auch eher die Beseitigung einer Disfunktionalität und nicht die Schaffung einer neuen politischen Ordnung gewesen zu sein.
212 Vgl. dazu auch Lothar Gall, Benjamin Constant: seine politische Ideenwelt und der deutsche Vormärz. (Veröffentlichungen des Instituts rur Europäische Geschichte; 30). - Mainz 1963, S. 153 ff. 213 Robert von Mohl wollte den Dualismus daher überwinden durch die Identität von Kammermehrheit und einer vom Fürst ernannten Regierung. Der Verbleib der ungeteilten Staatsgewalt beim Monarchen und Zensuswahlrecht sollten Barrieren gegen die Volkssouveränität sein: Vgl. den Auszug aus Robert von Mohl, Das Repräsentativsystem, seine Mängel und die Heilmittel (1852), in: L. Gall / R. Koch (Hrsg.), Europäischer Liberalismus 11 (FN 198), S. 77 ff. Daß eine solche Konzeption aber nur noch ein Abgesang auf verpaßte Möglichkeiten war und 1852 keine Chance mehr auf Verwirklichung hatte, wird öfters übersehen. Vgl. z. B. H. Brandt, Repräsentation (FN 133), S. 242 ff. und H. Boldt, Staatslehre (FN 133), S. 233 ff.
VII. Die reaktionären Maßnahmen des Deutschen Bundes Die auf diese Weise durch Verfassungen und parlamentarische Praxis schon arg begrenzten Möglichkeiten des Bürgertums, einen Anteil an der politischen Macht zu erringen, der seiner gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Stellung gemäß war, wurden nochmals eingeengt durch die antiparlamentarische Politik des Deutschen Bundes. Diese war von dem absolutistischen Vielvölkerstaat Österreich, der gleichzeitig die nationalen Strömungen einzudämmen suchte, initiiert und nach dem Verzicht auf das Verfassungsexperiment auch von Preußen unterstützt worden. Alle entsprechenden Restriktionen von den Karlsbader Beschlüssen von 1819 über die 6 Artikel von 1832 bis hin zu den 60 Artikeln von 1834 sind zunächst von den beiden Hegemonialmächten vereinbart und dann in der Bundesversammlung auch gegen den Widerstand der anderen Bundesstaaten und öfters in rechtlich höchst anrüchiger Form durchgedrückt worden. Die Tatkraft des Bundes in dieser Hinsicht ist um so auffallender, als es ihm nicht einmal gelungen ist, alle Organe auszubilden und dort, wo seine Zuständigkeiten lagen, wenig geschah. 214 Während Preußen mehr das Freiheitsverlagen des intellektuellen und studentischen Radikalismus Nord- und Mitteldeutschlands ftlrchtete, waren Österreich dessen nationale Töne suspekt. Von beiden wurde die Unruhe der Untertanen beargwöhnt, die aus der Enttäuschung sowohl über die Zurücksetzung des Bürgertums als auch über die unzulängliche Konstruktion der nationalen Einheit resultierte. Sie waren daher entschlossen, die weit verbreitete Furcht vor dem Umsturz, die das Attentat des Burschenschaftlers Sand, die Unruhe an den Universitäten als auch die stürmischen Landtagseröffnungen in Süddeutschland ausgelöst hatten zum Gegenschlag zu nutzen, der neben Universitäten und Presse den Konstitutionalismus treffen sollte. 21S Eine gute Gelegenheit dazu schien der noch nicht vollendete Ausbau der Bundesverfassung zu bieten. Der Ansatzpunkt war die lapidare Bestimmung des Artikels 13 der Bundesakte über die landständischen Verfassungen, die Mettemich den Intentionen der österreichischen und preußischen Verfassungs214 Vgl. dazu auch W. Siemann, Wandel (FN 46), S. 59 ff. und D. Grimm, Verfassungsgeschichte (FN 31), S. 142 ff. 215 H. Lutz, Habsburg (FN 35), S. 37 ff'
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politik gemäß authentisch im altständischen Sinne interpretieren wollte. Die zu diesem Zweck verfaßte Denkschrift des seit 1802 in seinen Diensten stehenden Propagandisten Friedrich Gentz hat das Problem in der fUr die politische Entscheidung zugespitzten Form auf den Begriff gebracht,216 und es damit fUr wohl nicht wenige überhaupt erst bewußt gemacht. Er konstruierte einen prinzipiellen Gegensatz zwischen der westeuropäischen Repräsentativverfassung und dem überkommenen Ständewesen. Nur dieses lasse die fUrstliche Regierungsgewalt ungeschmälert, da den Ständen kein Mitwirkungsrecht, sondern nur die Möglichkeit der Anregung und Beratung eingeräumt werde. Während die Stände organische Gegebenheiten seien, die nur sich selbst verträten, beanspruchten die auf Gewalt oder Willkür beruhenden Repräsentationen das gesamte Volk zu vertreten. Dies fUhre über Gewaltenteilung und Ministerverantwortlichkeit zwangsläufig zur Volkssouveränität; und schließlich trügen die mit dem Parlamentarismus einhergehenden Phänomene wie politische Öffentlichkeit und Pressefreiheit stets den Keim der Revolution in sich. 217 Obwohl sich der österreich ische Staatskanzler sowohl diese Argumentation als auch den aus ihr zu ziehenden Schluß zugunsten der altständischen Verfassungen zu eigen gemacht hatte, setzten sich gerade die Bundesstaaten mit Repräsentativverfassungen unter der Führung der süddeutschen dagegen bereits in Karlsbad und noch erfolgreicher auf der Wien er Ministerialkonferenz an der Jahreswende 1819/20 zur Wehr. Sie hatten damit insofern Erfolg, als Zeitpunkt und Grundsätze der Einrichtung landständischer Vertretungen den "souverainen Fürsten der Bundes-Staaten" ... "mit Berücksichtigung sowohl der früherhin gesetzlich bestandenen ständischen Rechte, als der gegenwärtig obwaltenden Verhältnisse,,218 überlassen wurde. Der bisherige verfassungspolitischen Minimalkonsens konnte bestätigt werden, da die süddeutschen Staaten, die Gentzsche Dichotomie zurückwiesen, indem sie darauf beharrten, daß das monarchische Übergewicht sich trotz Volksversammlungen wahren lasse. Ausschlaggebend dürfte aber die unter den Betroffenen vorherrschende Überzeugung gewesen sein, daß zur Integration ihrer Staaten die Vertretungskörper216 Vgl. Friedrich Gentz, Über den Unterschied zwischen landständischen und Repräsentativ-Verfassungen, in: H. Brandt (Hrsg.), Restauration (FN 115), S. 218 - 231, wenn die Schrift selbst auch erst 1844 von C. We\cker herausgegeben wurde, so hat die Auseinandersetzung mit deren Gedanken doch seit Karlsbad die politische Diskussion ge-
prä~t.
17 Vgl. zur Denkschrift und der Karlsbader Konferenz auch Eberhard Büssem, Die Karlsbader Beschlüsse von 1819: die endgültige Stabilisierung der restaurativen Politik im Deutschen Bund nach dem Wiener Kongreß 1814 I 15. - Hildesheim 1974, S. 400 ff.; Günther Kronenbitter, Wort und Macht: Friedrich Gentz als politischer Schriftsteller. - Berlin 1994. - (Beiträge zur Politischen Wissenschaft; 71), S. 202 ff. 218 Vgl. Art. 55 WSA: E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente I (FN 5), S. 99.
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schaften unverzichtbar seien und bei deren Beseitigung der Umsturz drohe. Und schließlich war ja die von den Hegemonialmächten mit der EinfUhrung der Landstände verfolgte Absicht, die "rheinbündischen Despoten" zu domestizieren, auch unter der seit dem Wien er Kongreß veränderten Lage nicht obsolet geworden. 219 Wenn aus solchen Gründen auch die Unvereinbarkeit von repräsentativen Landtagen mit dem Bundesrecht nicht zur Norm erhoben wurde, so sollte doch deren Wirksamkeit, soweit wie es überhaupt ging, beschränkt werden. Hierin bestand allgemeiner Konsens. Denn auch die Fürsten, die nicht wie Gentz die "Landständischen Verfassungen" auf das altständische Herkommen festlegen wollten, teilten doch dessen BefUrchtung, daß Repräsentation zu Parlamentarisierung, Gewaltenteilung und schließlich zum Gleichgewicht von Fürst und Landständen bei der Gesetzgebung fUhren könne. 22o Dem sollte durch das von Gentz in Karlsbad zum ersten Mal in die Debatte geworfene und dann in Wien vom bayerischen Gesandten in Anlehnung an § 1 des 11. Titels der bayerischen Verfassung von 1818 221 formulierten "Monarchische Prinzip"m ein Riegel vorgeschoben werden. Es war der Komprorniß, mit dessen Hilfe der Konstitutionalismus erhalten werden sollte, ohne die "Staats-Gewalt" des Oberhaupts über das bisher erfolgte Maß hinaus einzuschränken. 223 Daher war in Artikel 57 der Wiener Schlußakte von 1820 224 die Erhaltung der "gesammten Staatsgewalt in dem Oberhaupte des Staats,,225 zum immer wieder sanktionierten Eckstein der Bundesverfassung erhoben worden. Ironischerweise hat der Bund, indem er die Landesherren so zur Souveränität nach innen zwang, diese gerade wieder beeinträchtigt, da ihre Wahrung unter seiner Kontrolle stand. 226 Eine noch in Karlsbad entworfene Exekutionsordnung hat die Entschlossenheit der Hege-
219 Vgl. E. Büssem, Karlsbader Beschlüsse (FN 217), S. 386 ff.; vgl. E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte I (FN 29), S. 643 ff. 220 Vgl. E. Büssem, Die Karlsbader Beschlüsse (FN 217), S. 380 ff. 221 E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente I (FN 5), S. 156. 222 Auf diesen nicht unwichtigen Umstand weist Wilhe1m Mößle, Die Verfassungsautonomie der Mitgliedstaaten des Deutschen Bundes nach der Wiener Schlußakte: zur Entstehungsgeschichte der Artikel 54 bis 61 der WSA. in: Der Staat 33, 1994, S. 386 f. hin. Insofern sind E. Büssem a. a. O. S. 409 und Vgl. E. R. Huber, Verfassungsgeschichte I (FN 29), S. 652, die die Formulierung Gentz zuschreiben zu korrigieren. Vorsichtiger G. Kronenbitter a. a. O. (FN 217) S. 208. 223 Vgl. dazu die Artikel 54 - 62 der "Wiener Schlußakte" vom 15. Mai 1820; E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente I (FN 5), S. 88 f. 224 A. a. O. S. 99. 225 So auch Art. I der geheimen Beschlüsse der Wiener Ministerialkonferenzen von 1834: E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente I (FN 5), S. 124. 226 So E. R. Huber, Verfassungsgeschichte I (FN 29), S. 654 ff.
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monialmächte, ihre Vorstellungen vom Monarchischen Prinzip zur verbindlichen Richtschnur der Bundespolitik zu machen, noch einmal unterstrichen. 227 In der Wiener Schlußakte waren also die in Karlsbad noch gefährdeten Repräsentativverfassungen der Behauptung fürstlicher Souveränität, der Staatsräson der dynastischen Neubildungen wie der Legitimität des Bundes wegen, doch nicht um der Untertanen willen endgültig sanktioniert worden. 228 Allerdings war damit auch die Zeit des Auslotens konsitutioneller Möglichkeiten vorbei. Denn zugleich war die Grenze der Machtentfaltung des Bürgertums bundesrechtlich unverrückbar auf "die Mitwirkung" an der "Ausübung bestimmter Rechte" des "Souverain" festgelegt. 229 Der deutsche Typus der konstitutionellen Monarchie war seitdem nicht nur verfassungsrechtlich fixiert, sondern wer ihn in Frage stellte geriet von nun an in den Ruch eines "undeutschen" Anarchisten und Rationalisten, der seit der Denkschrift von Gentz allen anhing, die am Monarchischen Prinzip rüttelten. Die Erfahrung, daß sich die Dynamik der bürgerlichen Bewegung in den Landtagen, der Publizistik und auf den Universitäten allein mit diesem Prinzip nicht bremsen ließ, führte von Karlsbad ausgehend zu einer Reihe von Gesetzen, die der obersten Maxime der Bundespolitik vor allem auch in den konstitutionellen Staaten Süddeutschlands zur uneingeschränkten Durchsetzung verhelfen sollten. Die Leitlinie war, daß die Landtage nichts tun dürften, was die Tätigkeit der fürstlichen Regierungen und insbesondere die Erfüllung ihrer Bundespflichten hindere. 23o Der Landesgesetzgebung wurden so durch Bundesrecht und Bundeszweck die Grenzen gezogen. Seit 1832 wurde das bundeskon-
227 Vgl. Die Exekutions-Ordnung vom 3. August 1820: E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente I (FN 5), S. 116 - 119. Friedrich J. Stahl schrieb 1845 "Der deutsche Bund hat als die oberste Regel des deutschen Ständewesens die Erhaltung des monarchischen Prinzips aufgestellt. Auch haben die heutigen deutschen Konstitutionen, wenn man sie mit denen auswärtiger Staaten vergleicht, mehr oder weniger einen gewissen gemeinsamen Charakter, den man nicht anders denn als einen Ausfluß jenes Prinzips betrachten kann. Allein ein deutliches Bwußtsein, was unter dem monarchischen Prinzip zu verstehen sei und was es in sich schließt, ist bis jetzt weder von Amts wegen noch von der Wissenschaft gegeben."! Vgl. F. 1. Stahl, Monarchisches Prinzip (FN 130), S. 143. 228 Ausdrücklich Art. 56 WSA: E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente I (FN 5), S. 99. Die Sanktionierung der Repräsentativverfassungen stellt mit Nachdruck jetzt W. Mößle, Verfassungsautonomie (FN 222) passim und bes. S. 393 f. heraus, ohne aber näher auf die Gründe einzugehen. 229 Art. 57 WSA: E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente I (FN 5), S. 99. 230 So zum ersten Male ausdrücklich Art. 58 WSA a. a. O. S. 99.
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fonne Verhalten der Kammern noch zusätzlich von einer Überwachungskommission kontrolliert. 231 Die durch die "Karisbader Beschlüsse" von September 1819232 vom Bund eingeleitete fast vollständige Aufhebung der Pressefreiheit, einschließlich der Strafverfolgung und des Berufsverbots filr Redakteure, die Einfilhrung der Zensur und die Einschränkung der Meinungsfreiheit, behinderten die parlamentarische Arbeit, erschwerten die Kommunikation zwischen Wählern und Gewählten und brachten schließlich mit Publizität und Kritik die bislang schärfsten Waffen des emanzipatorischen Bürgertums im politischen Kampf um einen beträchtlichen Teil ihrer Wirkung. Die in der Schlußakte schon angedrohte Einschränkung parlamentarischer Kritik und Debatte und der Berichtserstattung darüber233 wurde 1824 umgesetzt234 • Dem Versuch des Bürgertums, seine politische Betätigung nun mehr in die Vereine und die Volksfeste zu verlagern, wurde durch das Verbot von politischen Vereinen und der Genehmigungspflicht von Festversammlungen ein Riegel vorgeschoben. 23S Durch die politische Überwachung von Lehre und Forschung an den Universitäten wurde die bürgerliche Politik um einen beträchtlichen Teil ihres geistigen Rückhalts gebracht. Die damit einhergehende Verfolgung trieb mißliebige Studenten236 und Intellektuelle in die Radikalisierung. Der Graben zwischen ihnen und der bürgerlichen Bewegung wurde - auch zum Schaden der Fürsten - nicht zuletzt aufgrund dieser Erfahrungen nun unüberbrückbar. Alle reaktionären Maßnahmen waren als authentische Interpretationen der Bundesverfassung ausgegeben worden. Faktisch höhlten sie die Landesverfassungen aus und politisch stellten sie den Versuch der autokratischen Hegemonialmächte Preußen und Österreichs dar, eine von ihren Interessen bestimmte gemeinsame Politik aller Bundesglieder gegenüber Volk und Volksvertretung zu erzwingen. Wenn deren Durchfilhrung auch in den einzlnen Bundesstaaten variierte, die Effektivität der Bundesexekutive zu wünschen übrig ließ und die anhaltende Unruhe deren begrenzte Wirksamkeit offenbarte, so trafen sie die politische Betätigung des Bürgertums und die Entfaltung des Parlamentarismus 231 Vgl. die entsprechenden Artikel der "Sechs Artikel" bzw. der "Sechzig Artikel" a. a. O. S. 132 ff.; 137 ff. und E. R. Huber, Verfassungsgeschichte I (FN 29), S. 151 ff. 232 Druck: E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente I (FN 5), S. 90 ff. 233 Art. 59 a. a. O. S. 89. 234 Vgl. das "Maßregeln-Gesetz" vom 16. August 1824 a. a. O. S. 117. 235 Vgl. Art. 2 und 3, der "Zehn Artikel" vom 5. Juli 1832 a. a. O. S. 120 f. 236 Vgl. auch die Übersicht über die Entwicklung der Studentenzahlen an den deutschen Universitäten von 1761 bis 1850 bei J. J. Sheehan, Ausklang (FN 38), S. 126, die deutlich den Anstieg seit 1816 spiegelt mit einem Höhepunkt von fast 15.000 zwischen 1826 und 1830.
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in Deutschland doch schwer. Die beiden Führungsrnächte des Bundes sind dabei am rigorosesten vorgegangen, und der Rückhalt, den die fürstlichen Regierungen an ihnen über die Bundesverfassung fanden, war auch für das Bürgertum der konstitutionellen Staaten im Konfliktfall eine unüberwindliche Barriere. Die restaurativen Kräfte haben die gegensätzlichen politischen Intentionen des Bundesrechts und der Verfassungen zahlreicher Bundesstaaten voll ausgespielt; und die sonst so eifersüchtig auf ihre Souveränität achtenden Fürsten haben sich diese Einmischung bis 1848 gefallen lassen. 237
237 Vgl. dazu auch noch W. Siemann, Wandel (FN 46), S. 59 ff. und D. Grimm, Verfassungsgeschichte (FN 31), S. 142 ff.
VIII. Wandlungen im Gefolge der Julirevolution Der Sturz des wiederein~esetzten Bourbonen-Regimes in Frankreich im Juli 1830 durch das Bürgertum 38 und die ihr folgende Erhebung der Belgier wurden in Europa als Signal verstanden, daß das System der Restauration durch das der liberalen Konstitutionen abgelöst werden könne. Dadurch angeregt, kam es zu revolutionären Aktionen vor allem in den Staaten Mittel- und Nordddeutschlands, in denen die Beteiligung der Bürger an der politischen Macht kaum oder nur unzulänglich erfolgt war und die Monarchie ängstlich vor den ersten revolutionären Anzeichen zurückwich. Dort allerdings, wo sie selbstbewußt auf ihre Stärke vertraute wie in Preußen und Österreich überdauerte das absolutistische Regiment. 239 Die Unruhen waren meist von unterbürgerlicher Schichten ausgegangen. Sie wurden getragen von städtischen Gewerbetreibenden und Handwerkern, die durch den Wegfall der Zünfte, die industrielle Konkurrenz und den rapiden Preiseverfall ihrer Produkte seit 1824 um ihre Existenz filrchteten. Hunger im Gefolge von Mißernten und Arbeitslosigkeit trieben die Unterschichten dazu, sich anzuschließen. Die Bewegung fand auf dem Land überall dort Resonanz, wo feudale Fronen und Abgaben die Unzufriedenheit bisher aufrechterhalten hatten. Der Unmut richtete sich verstärkt gegen die filrstlichen Regierungen, deren Steuer- und Zollpolitik häufig filr die wirtschaftliche Not verantwortlich gemacht wurde. Das Bürgertum, das durch Versuche, einzelne Bestimmungen der Verfassungen zu revidieren oder diese gar vollständig zu widerrufen, provoziert worden war/40 schloß sich mit Klagen über Willkür der Justiz, uneffektive und teilweise korrupte Verwaltungen wie auch die Untätigkeit oder Lebensfilhrung einzelner Fürsten an. So gelang es ihm nochmals, diese Unzufriedenheit aufzufangen und sie in Nord- und Mitteldeutschland in eine Verfassungsbewegung zu kanalisieren. Die Verfassungen der Königreiche Sachsen und Hannover und des Herzogtums 238 Vgl. Michael Erbe, Geschichte Frankreichs von der Großen Revolution bis zur Dritten Republik: 1789 - 1884. - Stuttgart u. a. 1982, S. 126 ff. 239 Unter verfassungsgeschichtlichem Aspekt dazu Werner Näf, Staatsverfassungen und Staatstypen 1830/31, in: E. -Wo Böckenförde (Hrsg.), Verfassungsgeschichte (FN 129), S. 127 ff.; doch ist der Aufsatz, da weitgehend spekulativ und faktisch, unzureichend. 240 K. G. Faber, Restauration und Revolution (FN 35), S. 140 ff.; Th. Nipperdey, Deutsche Geschichte (FN 7), S. 366 ff.
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Braunschweig lehnten sich an das süddeutsche Modell an, behielten aber einen ständisch-korporativen Einschlag unter zweifelsfreier Wahrung des Monarchischen Prinzips.241 Darüber hinaus ging die Urkunde ftlr das Kurftlrstentum Hessen vom 5. Januar 1831. 242 Sie war streng dualistisch konstruiert. Doch waren die Rechte der einzigen, stark bürgerlich-bäuerlichen Kammer mit Gesetzesinitiative, Steuerbewilligungs- wie Budgetrecht und dem Recht der Ministeranklage ungewöhnlich weitgehend - einschließlich extensiver Grundrechte. Die Beschneidung der ftlrstlichen Exekutive durch die eidliche Bindung der Beamten und Soldaten an die Verfassung und durch die Einbindung des Fürsten ins Ministerium war so rigoros, daß Metternich mit gutem Grund in der Verfassun~surkunde Kurhessens den Vorrang des Monarchen nicht mehr gewahrt sah. 43 Es sollte sich aber rasch zeigen, daß das Bürgertum die Konjunktur nicht in eine dauernde Machtbefestigung umwandeln konnte; ja es vermochte noch nicht einmal, die Verfassungserfolge in ihrer Substanz ungeschmälert zu erhalten. Denn im Gefolge dieser Verfassungsschöpfungen war eine Reformgesetzgebung in Gang gekommen, die zu einer allgemeinen Beruhigung ftlhrte. Es wurden rechtliche und fiskalische Möglichkeiten zur Ablösung der Grundlasten geschaffen und teils nachhaltige Eingriffe in die Privilegien des Adels gewagt wie etwa die Abschaffung von dessen Steuerfreiheit in Sachsen 1843. Zusammen mit einer vorübergehenden Besserung der Ernährungslage besänftigte dies die Massen in Stadt und Land. Verwaltungsreformen, die Gewährung städtischer und im geringeren Umfang auch gemeindlicher Selbstverwaltung trugen ebenso zur Beruhigung bei wie die ErfiHlung der Forderung nach Trennung von Justiz und Verwaltung als unverzichtbare Voraussetzung ftlr die Beschränkung behördlicher Willkür?44
241 Vgl. dazu Ernst RudolfHuber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789.- Bd. 2: Der Kampf um Einheit und Freiheit 1830 bis 1850.- Stuttgart 1960, S. 46 ff.; D. Grimm, Verfassunggeschichte (FN 31), S. 158 ff. 242 E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente I (FN 5), S. 238 ff. 243 Zur kurhessischen Verfassung und dem folgenden Kampf um deren Bestand vgl. jetzt: Hellrnut Seier (Hrsg.), Akten und Briefe aus den Anfängen der kurhessischen Verfassungszeit 1830 - 1837 / bearb. von Ewald Grothe und Hellrnut Seier. - Marburg 1992. - (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen; 48, 4 / Vorgeschichte und Geschichte des Parlamentarismus in Hessen; 8). 244 Instruktiv zu Baden Hans-Peter Becht, Vom Ständesaal zur Revolution? Kontinuitäten und Diskontinuitäten in der badischen Geschichte von 1815 bis 1848/49, in: Otto Borst (Hrsg.), Aufruhr und Entsagung: Vormärz 1815 -1848 in Baden und Württemberg. - Stuttgart 1992, S. 44 ff.
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Mit tatkräftiger Rückendeckung des Bundes konnten die Fürsten so die durch die Verfassungen verlorene Macht in weitem Umfang wieder zurückgewinnen. Die Landtage wurden mit Hilfe von Verordnungen und durch Auflösung überspielt, ihre meist aus dem Beamtentum stammenden filhrenden Köpfe durch Urlaubsverweigerung und strafrechtliche Verfolgung schikaniert. Schließlich wurden durch massive Wahlmanipulationen gefUgige Kammern geschaffen. In Hannover wurde sogar durch Bruch der bestehenden Verfassung eine erheblich revidierte erzwungen. 245 Zur selben Zeit und mit vergleichbaren Mitteln wurden auch die Erfolge rückgängig gemacht, die die liberalen Kammern in den süddeutschen Verfassungsstaaten im Gefolge der Julirevolution errungen hatten. Dies waren zumeist eine extensivere Nutzung der Rechte des Landtags, die Ersetzung ungeliebter Ministerien durch liberale, da und dort eine Demokratisierung des Wahlrechts und über allem die weitgehende Freiheit der Presse. 246 Die beiden Hegemonialmächte des Bundes hatten zwar ebenfalls mit Tumulten zu kämpfen, doch haben diese nicht zur Formierung einer Verfassungsbewegung oder des politischen Radikalismus geführt. Sie erkauften dies mit restaurativer Stagnation der Politik. Das erlaubte ihnen nochmals mit Hilfe der Bundesgesetzgebung den politischen Aufbruch in Süd- und Mitteldeutschland zu hemmen. Doch ihn vollständig aufzuhalten, war nicht mehr möglich. Wie die Geheimhaltung der "Sechszig Artikel" zeigt, schreckten Preußen und Österreich jetzt davor zurück, wie bisher ihre Politik gegenüber der Volksbewegung . 1m . ganzen Bun d zu mach en. 247 zur Lelt. I'IDle Nicht weniger folgenreich als die weitere Ausbreitung von konstitutionellen Verfassungen und eine zeitweilig größere Aktionsfreiheit fUr das politisch aktive Bürgertum in all seinen Schattierungen war die damit innerhalb der Bewegung einhergehende Differenzierung seit dem Beginn der dreißiger Jahre. Diese hatte im liberalen Klima nach der Julirevolution von 1830 eingesetzt, in dem sich durch die weitgehende Aufhebung der Zensur begünstigt eine lebhafte Öffentlichkeit gebildet hatte. Anknüpfend an die philhellenische Bewegung der zwanziger Jahre bot nun die Begeisterung fUr den polnischen Freiheitskampf die Gelegenheit, die Landtage bei der Durchsetzung der politischen Forderungen des Bürgertums publizistisch mit Nachdruck zu unterstützen. Dort, wo sich diese Öffentlichkeit in Polen-Komitees oder patriotischen Vereinen organisier-
Vgl. E. R. Huber, Verfassungsgeschichte II (FN 241), S. 84 ff. Vgl. auch H. - P. Becht a. a. O. S. 59 ff. 247 K. G. Faber, Restauration und Revolution (FN 35), S. 152 f.
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te, wurde schon der Weg von der Diskussion zur Aktion beschritten. 248 Wenn sich die verschiedenen Strömungen auch seit der Bundestag 1833 in Reaktion auf das Hambacher Fest zum energischen Gegenschlags übergegangen war, nicht mehr organisieren konnten/49 so blieben sie doch existent. Dieser entscheidende Unterschied zu dem Jahrzehnt nach den Karlsbader Beschlüssen war gewiß auch das Ergebnis der Politisierung der Massen in den konstitutionellen und selbst halb-konstitutionellen Systemen. Die Liberalen scharten sich erneut um Abgeordnete und Zeitungen, wichen in scheinbar unpolitische Geselligkeit und Vereine aus, wohingegen die radikaleren Gruppen in der Illegalität oder Emigration überdauerten. 25o Daher waren sie sofort wieder präsent, als sich im Vorfeld der Revolution eine vergleichbare Lage ergab. 2S1 Die diese mitauslösende wirtschaftliche Depression hat zusammen mit der Mobilisierung breitester Schichten zu einer sozialen Verfestigung der Interessenlagen geführt, auf deren Grundlage die sich seit den dreißiger Jahren unterschiedlich stark aufgeformten politischen Strömungen dann straffer organisierten. Bis zum Scheitern der Revolution entscheidend wurden aber nur die Wandlungen, die sich seit 1830 in der nach wie vor breiten und vielgestaltigen Bewegung des Liberalismus vollzogen. Seit den vierziger Jahren artikulierte sich erkennbar das rheinische Wirtschaftsbürgertum im größeren Rahmen. Schon bisher gegen feudale Bevorrechtung und bürokratische Beschränkungen für ungehemmte wirtschaftliche Entfaltung kämpfend, unterstützte es jetzt aus diesen Motiven die nationalen und konstitutionellen Bestrebungen in Preußen wie 248 Vgl. Christoph Hauser, Anfange bürgerlicher Organisation: Philhellenismus und Frühliberalismus in Südwestdeutschland. - Göttingen 1990. - (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft; 87), S. 23 ff. 249 Art. 2 der "Maßregeln" vom 5. Juli 1832 lautete: "Alle Vereine, welche politische Zwecke haben, oder unter anderem Namen zu politischen Zwecken benutzt werden, sind in sämmtlichen Bundesstaaten zu verbieten und ist gegen deren Urheber und die Theilnehmer an denselben mit angemessener Strafe vorzuschreiten.": E. R. Huber (Hrs/B')' Dokumente I (FN 5), S. 134. 25 Vgl. dazu auch Norbert Deuchert, Vom Hambacher Fest zur badischen Revolution: politische Presse und Anfange deutscher Demokratie 1832 - 1848/49. - Stuttgart.1983, S. 40 ff. und M. Hörner, Wahlen (FN ISO), S. 346 ff. 251 Johann Caspar Bluntschli hat die Vergeblichkeit politischer Unterdrückung nach 1832 treffend analysiert: " Wird bei einem lebenskräftigen Volke, wie das bis zur Mitte unserers Jahrhunderts in Deutschland geschehen ist, der Trieb zu politischer Parteibildung durch Verbote und Strafen unterdrückt, so zieht er sich aus dem politischen Leben zurück und flüchtet sich auf das religiöse oder kirchliche Gebiet oder er treibt dann die wisssenschaftlichen, die künstlerischen, die socialen Gegensätze schärfer heraus. Zwischen diesen nicht politischen und den politischen Parteien besteht eine gewisse Wahlverwandtschaft, um so eher können jene einige Zeit lang auch für diese als Ersatz dienen." Zitiert nach J. J. Sheehan, Ausklang (FN 38), S. 575 f.
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außerhalb. Selbstbewußt machte es den einzelnen fUr Erfolg oder Versagen verantwortlich und verfocht daher am nachdrücklichsten das Zensuswahlrecht. Es setzte optimistisch darauf, daß mit seinem Wirtschaftskonzept sowohl die negativen Begleiterscheinungen der anhebenden Industrialisierung als auch die Massenarmut zu überwinden sein würde; pragmatisch wie diese Männer der Tat waren, fUrchteten sie den Komprorniß mit der monarchischen Staatsgewalt nicht. 252 Politisch am nächsten stand ihnen der historisch-organisch denkende liberalismus Norddeutschlands, dessen Ressentiment gegenüber der Volksherrschaft allerdings eher anthropologisch begründet war. Das Vetorecht des Monarchen erschien ihm in einem konstitutionellen Staat als der beste Schutz von Freiheit und Recht, die ihm unverzichtbare Grundlagen der Humanität waren. 253 Ihm gegenüber profilierte sich der individualistische und rationalistische süddeutsche Liberalismus jetzt als der linke Flügel. Er hielt zwar an den traditionellen liberalen Positionen der Identität von Bürgertum und Volk und des konstitutionellen Dualismus fest, verlangte nun aber nachdrücklicher sowohl die politische Übereinstimmung zwischen Regierung und Volkskammer als auch grundrechtlichen Schutz des einzelnen vor staatlicher Willkür. 254 Trotz dieser Ausbildung unterschiedlicher politischer Strömungen verstand sich das liberale Bürgertum weiterhin als Einheit und ging deswegen in den dreißiger und vierziger Jahren auch zur richtungs- und staatenübergreifenden Sammlung über. 255 Zunächst wurde versucht, auf der Grundlage der neuen Pressefreiheit publizistisch Politik und Gesetzgebung zu beeinflussen, die Presse zu festigen und bedrängte Journalisten zu unterstützen. Der dazu im Januar 1832 in der Rheinpfalz gegründete "Preß- und Vaterlandsverein" war die erste 252 Vgl. David Hansemann, Preußens Lage und Politik am Ende des Jahres 1830, in: H. Brandt (Hrsg.), Restauration (FN 115), S. 256 ff. und die Denkschrift desselben an Friedrich Wilhe1m IV. vom Herbst 1840, in: H. Fenske (Hrsg.), Vormärz (FN 130), S. 24 ff.; vgl. auch H. Lutz, Habsburg (FN 35), S. 220 f. 253 Vgl. den Auszug aus Friedrich Christoph Dahlmanns "Politik" von 1835, in: H. Brandt (Hrsg.). Restauration (FN 115), S. 377 ff. 254 Vgl. das Protokoll über die Verhandlungen der 2. Badischen Kammer, 19.8.1842, in: H. Fenske (Hrsg.), Vormärz (FN 130), S. 70 ff.; Friedrich Wilhelm Schulz, Das Recht des deutschen Volkes und die Beschlüsse des Frankfurter Bundestages vom 28. Juni 1832, in: H. Brandt (Hrsg.), Restauration (FN 115), S. 418 ff.; darüber hinaus K.G. Faber, Restauration und Revolution (FN 35), S. 172 ff.; Th. Nipperdey, Deutsche Geschichte (FN 7), S. 385 ff.; vgl. auch H, -Po Becht, Ständesaal (FN 244), S. 51 ff. 255 AusflihrIich zu dem persönlichen Geflecht zwischen den deutschen Liberalen, zu denen bis 1847 auch noch einige radikale Demokraten zählten, Innocenzo Cervelli, Deutsche Liberale im Vormärz: Profil einer politischen Elite (1833 - 1847), in W. Schieder (Hrsg.), Liberalismus (FN 85), S. 312 ff.
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bundesweit agierende, sozial bis ins Kleinbürgertum und politisch weit ins demokratische Lager reichende Organisation des Bürgertums. 256 Auch die zu Beginn der dreißiger Jahre veranstalteten Feiern, Feste und Demonstrationen, die in der Öffentlichkeit einen starken Eindruck hinterließen, wurden noch gemeinsam getragen. Erst im Gefolge des im Sommer 1832 erneut einsetzenden Kampfes des Bundes gegen Meinungsfreiheit und politische Betätigung drifteten die Lager auseinander. Es waren jetzt vornehmlich die bürgerlichen liberalen, die auf geheimen privaten Zusammenkünften ihre Gedanken austauschten und so die Verbindung zwischen den ftlhrenden Vertretern aus allen Teilen des Bundes aufrecht hielten. 257 Am Verbot politischer Betätigung vorbei schlossen sie sich bundesweit in wissenschaftlichen, kulturellen und geselligen Organisationen zusammen. Deren Treffen waren teilweise Manifestationen von großer Breitenwirkung, auf denen jetzt auch vermehrt der Ruf nach einer Nationalvertretung erscholl. 2s8 Wenn auch über deren Ausgestaltung noch wenig präzise Vorstellungen herrschten, so war doch von Anfang an eines klar: mit dieser Forderung wurde die Frage nach den Anteilen von Bürgertum und Fürsten an der staatlichen Macht grundsätzlich neu gestellt. So war es schließlich nur konsequent, daß sie nicht in den Bundesstaaten, wo sich bisher die Verteilung der Gewichte als zählebig erwiesen hatte, sondern im Bund zur Entscheidung gebracht wurde. Zugleich mit der politischen Differenzierung verlor das bürgerliche Vereinswesen allmählich seinen elitären und intellektuellen Charakter. Dem liberalen Bestreben, der Bürgergesellschaft durch die Vermittlung von Tüchtigkeit, Moralität und Wissen zum Durchbruch zu verhelfen, korrespondierte vermehrt das Verlangen unterbürgerlicher Schichten nach Kenntnissen und Anschluß an die Zeitströmungen. Einrichtungen zur Vermittlung gewerblichen, technischen oder wirtschaftlichen Wissens wurden nicht selten von Bürgerlichen ins Leben gerufen und unterhalten. In den Gesangs- und Turnvereinen wurde Aktivitäten nachgegangen, die in großem Umfang auch nicht-bürgerliche Schichten ansprachen; von beiden Organisationsformen ging auch sehr früh ein Impuls zur nationalen Sammlung aus. In diesen Zusammenhang ordnen sich ebenfalls die 256 Vgl. dazu vor allem Comelia Foerster, Der Preß- und Vaterlandsverein von 1832/33: Sozialstruktur und Organisationsformen der bürgerlichen Bewegung in der Zeit des Hambacher Festes. - Trier 1982. - (Trierer Historische Forschungen; 3). 257 Vgl. Friedrich Daniel Bassermann, Denkwürdigkeiten 1811 - 1855. - Frankfurt 1926, S. 4 f. 2SS Vgl. Paul Achatius Pfizer, Gedanken über das Ziel und die Aufgabe des deutschen Liberalismus, in: L. Gall / R. Koch (Hrsg.), Europäischer Liberalismus III (FN 198), S. 67 ff.; vgl. auch Otto Dann, Nationalismus und sozialer Wandel in Deutschland 1806 - 1850, in: Otto Dann (Hrsg.), Nationalismus und sozialer Wandel: 1806 - 1850. Hamburg 1978, S. 99 ff.
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Bildungs- und Selbsthilfevereine ein, die überwiegend von Handwerkern und Arbeitern getragen wurden. Diese stellten die bestehende Gesellschaft noch nicht in Frage. Vielmehr wollten sie sich in ihr behaupten und politisch gleichberechtigt werden. Die sozialrevolutionären Töne der Arbeiterverbrüderungen blieben bis zur Revolution Randerscheinungen. 2S9 Die weitreichendste Folge des kurzen Tauwetters nach der Julirevolution war die Fonnierung einer entschieden demokratischen Bewegung im Bürgertum. Sie verstand sich als die radikale Alternative zum kompromißlerischen Liberalismus und als die eigentliche politische Opposition. Durch die infolge der wirtschaftlichen Bedrückung in Gärung geratenen Volksrnassen, deren Anliegen sie sich annahm, erhielt sie einen zusätzlichen Schub. Diese deutlich profilierte Bewegung260 wurde vor allem von den Teilen des Bürgertums getragen, die wie Richter, Pfarrer, Rechtsanwälte und Ärzte beruflich mit der Not der Massen konfrontiert wurden, die wie Intellektuelle und Volksschullehrer wirtschaftlich gefährdet waren, oder aber die wie Studenten, Professoren und Journalisten bisher am stärksten unter der Repression hatten leiden müssen. 261 Es wurde hier also vor allem das akademische Bürgertum politisch aktiv, das in der bestehenden Gesellschaft kaum eine Perspektive oder zumindest keine seinen Erwartungen adäquate sah. 262 Die Spannweite reichte von der philosophischen Fundamentalkritik der Linkshegelianer in Preußen263 bis zur bäuerlichen und handwerklichen Protestbewegung vorwiegend in Südwestdeutschland und Sachsen. In Hambach hatten sie noch an der Seite der bürgerlichen Liberalen gestanden, beim Frankfurter Wachenstunn waren sie schon zum Putsch übergegangen und in Württemberg waren sie bis zur Vorbereitung einer Militärund Zivilrevolution nach polnischem Vorbild gelangt.264 Bestimmend blieb aber die bürgerliche Mehrheit, die in Baden und in der bayerischen Pfalz besonders rührig war?6S 259
W. Hardtwig, Vereinswesen (FN 66), S. 40 f.
260 Vgl. die Texte bei H. Brandt (Hrsg.) a. a. O. (FN 115) S. 423 ff. 261 Peter Wende, Radikalismus im Vormärz: Untersuchungen zur politischen Theorie der frühen deutschen Demokratie. - Wiesbaden 1975, S. 31 ff. 262 Dies stellt stark heraus Leonore 0' Boyle, Die demokratische Linke in Deutschland, in: Dieter Langewiesche (Hrsg.), Die deutsche Revolution von 1848/49. - Darmstadt 1983, S. 261 ff. 263 Dazu Helmut Reinalter, Arnold Ruge und die demokratische Bewegung im deutschen Vormärz: Versuch einer politischen Biographie bis 1848/49, in Jahrbuch der Hambach-Gesellschaft 1992/93, S. 69 ff. 264 Zu dieser in der Literatur bisher kaum beachteten Konspiration vgl. Gad Arnsberg, Der frühdemokratisch-revolutionäre Gegenzug, in O. Borst (Hrsg.), Aufruhr (FN 244), S. 65 ff. 265 Vgl. dazu die Biographien in: Kurt Baumann (Hrsg.), Das Hambacher Fest 27. Mai 1832: Männer und Ideen. - 2. Aufl. - Speyer 1982. - (Veröffentlichungen der Pflil-
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Der demokratische Radikalismus überlebte im Untergrund oder in der Emigration den reaktionären Gegenschlag; zum Teil schuf er sich auch in unpolitischen Vereinen Ersatzorganistionen, so daß auch er sich trotz weitaus massiverer Behinderung im Vorfeld der Revolution schnell wieder zusammenfand. Diese Opposition, die nur zu einem geringen Teil in die Zweiten Kammern reichte, ging mit dem dort versammelten Bürgertum nur noch konform beim Sturz antiliberaler Ministerien und der Verteidigung der Grundrechte. Das Trennende aber überwog in Politik und Ideologie, die beide Bewegungen mehr als das Soziale konstituierten. Die Demokraten waren Anhänger der Volkssouveränität und konsequenterweise traten sie mehrheitlich rur die republikanische Staatsform ein. Im Konfliktfalle zogen sie die Gleichheit der Freiheit vor; rur sie war nicht mehr die bürgerliche Elite, sondern die Masse das Volk, dem daher auch das uneingeschränkte Wahlrecht zu gewähren war. Von diesen Positionen aus entlarvten sie den Kammerliberalismus ihrer Standesgenossen als Eckpfeiler des Juste-milieu, da seine Kompromisse und Halbheiten die wahre Freiheit nicht bringen würden: die Selbstregierung des Volkes und dessen umfassende Beteiligung an der Politik durch Schaffung der dazu nötigen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen;266 dabei setzten sie besonders auf das Gemeineigentum als probates Mittel zur Bekämpfung der Armut. Im Gegenzug wurde der bürgerliche Liberalismus durch diese Herausforderung stärker zum Verteidiger von Konstitutionalismus, Reform und Ausgleich mit den herrschenden Gewalten, als ihm dies seine Erfahrungen nahe legten. Das zeigte sich jetzt besonders in seiner Haltung gegenüber der zum Allgemeingut des deutschen Bürgertums gewordenen Forderung nach einer Nationalrepräsentation. 267 Die noch unter dem maßgebenden Einfluß des rheinischen Wirtschaftsliberalismus in Heppenheim im Oktober 1847 favorisierte Lösung einer Notabelnversammlung beim Zollverein268 war kaum formuliert, schon obsolet. Von den Ereignissen getrieben, wurde im Rückgriff auf frühere Vorstöße zu Beginn des Jahres 1848 der Vorschlag ventiliert, eine aus den Ständekammern hervorgegangene Vertretung am Bundestag einzurichten. Das nationale Motiv war dabei fast schon so stark wie das emanzipatorische. So sehr die Liberalen mit diesem Modell den Verhältnissen Rechnung trugen, so haben sie andererseits bewußt alle machtpolitischen Konsequenzen, die daraus folgten,
zischen Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften; 35); vgl. W. Hardtwig, Vereinswesen (FN 66), S. 39 ff. 266 P. Wende, Radikalismus (FN 261), S. 48 ff. und Arnold Ruge, Selbstkritik des Liberalismus, 1843, in: L. Gall / R. Koch (Hrsg.), Europäischer Liberalismus 11 (FN 198), S. 158 ff. 267 Vgl. dazu Friedrich D. Bassermann, Denkwürdigkeiten (FN 257), S. 4 ff. 268 Walter Grab (Hrsg.), Die Revolution von 1848/49. München 1980, S. 30 ff.
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verdrängt. 269 Diese aber wollten die Demokraten mit ihrer Forderung nach einer "Vertretung des Volks beim deutschen Bund" gerade ziehen?70 Denn damit mußte zwangsläufig eine Beschränkung landesfürstlicher Souveränität und eine stärkere Stellung des Volkes im politischen Gefüge verbunden sein; vor allem aber hätte dies das Ende des Deutschen Bundes als Instrument fürstlicher Restauration geheißen. 271 Der in der Nationalversammlung aufbrechende fundamentale Dissens im bürgerlichen Lager darüber, ob der Nationalstaat durch Vereinbarung mit den Fürsten oder aber auch revolutionär gegen sie verwirklicht werden solle, zeichnete sich ab. Infolge der Bildung von Gruppierungen, die ideologisch und programmatisch nicht mehr in der bürgerlichen Tradition standen, ist die MonopolsteIlung des Liberalismus als einzige oppositionelle Kraft und sein daraus abgeleitetes Selbstverständnis, Vorhut des Volkes zu sein, bis zur Revolution vor allem von bürgerlichen Radikalen und Demokraten in Frage gestellt worden. Das war eine weitreichende Entwicklung, die aber für die dreißiger und vierziger Jahr nicht in dem Umfang überschätzt werden darf, wie dies in dem Schlagwort von der "vorrevolutionären Parteibildung" zum Ausdruck kommt. Denn dies suggeriert, daß die Neubildungen schon in erkennbarer Bedeutung neben das Bürgertum im politischen Konkurrenzkampf getreten wären. 272 Die Paulskirche war aber noch ein Parlament des Bürgertums, wenn auch bereits eines des differenzierten. Dies war deswegen so, weil die Bürgerlichen weitaus weniger von der Repression getroffen worden waren und weil gemeinsame Ziele und Frontstellung die Differenzen zwischen ihnen und der bürgerlichen Demokratie überwölbten. Beide Bewegungen waren noch gegeneinander offen und determinierten ihre Anhänger noch nicht umfassend. Die Bilanz des mit der Julirevolution in Deutschland einsetzenden Aufbruchs war für das politische Bürgertum also zwiespältig. Durch die Ausweitung des Konstitutionalismus, die Öffnung gegenüber unterbürgerlichen Schichten und eine ansatzweise bundesweite Kooperation hatten sich neue Möglichkeiten aufgetan. Diese wurden eingeschränkt durch die Konkurrenz einer demokratischen Bewegung vorwiegend der akademisch ausgebildeten freien Berufe und unterbürgerlicher Schichten, die die Grundlagen der bisherigen 269 Vgl. die Rede F. D. Bassermanns in der badischen Ständeversammlung vom 12.2.1848, in: H. Fenske (Hrsg.), Vormärz(FN 130), S. 253 ff. 270 Offenburger Programm vom 10.9.1847, in: W. Grab (Hrsg.) a. a. O. S. 28 f. 271 Vgl. dazu auch Gunther Hildebrandt, Programm und Bewegung des süddeutschen Liberalismus nach 1830, in: Jahrbuch für Geschichte 9, 1973, S. 18 ff. 272 Für die Gemeinden in Baden bestätigt Paul Nolte, Gemeindeliberalismus (FN 88), S.57 ff., daß die Gruppenbildung bis 1848 sich vorwiegend innerhalb des Liberalismus entlang bestimmter Weltanschauungen und Überzeugungen vollzog.
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gemeinsamen Politik in Frage stellten. In der Revolution sollte sich zeigen, daß infolgedessen und durch das Aufkommen nichtbürgerlicher, ja dezidiert antibürgerlicher Parteiungen die bisherige Führungsrolle nicht mehr zu behaupten war.
IX. Revolution und Nationalversammlung Seit der Refonnepoche zu Beginn des Jahrhunderts hatte sich in Deutschland die Bevölkerung vorwiegend auf dem Lande wohl vor allem infolge der Aufhebung der traditionellen Heiratsbeschränkungen rapide vennehrt. Dies löste zusammen mit erster industrieller Konkurrenz und einem Nachfragerückgang in den dreißiger Jahren eine Entwertung lohnabhängiger Arbeitsplätze in Handwerk, Gewerbe und Landwirtschaft aus, die zu Massenarbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung filhrte und in der Verarmung breiter Schichten gipfelte. Diese sahen sich in ihrer Not weitgehend ungeschützt den Arbeits- und Lebensbedingungen des Frühkapitalismus ausgesetzt. Denn die kirchliche Fürsorge funktionierte infolge der Säkularisierung nur noch unzureichend und eine öffentliche war kaum vorhanden; der gesetzliche Schutz fehlte fast ganz. Die Regierungen haben auf die zunehmenden sozialen Proteste und lokalen Hungerrevolten entweder mit Gewalt oder mit Hilflosigkeit reagiert und so einen beträchtlichen Teil zum Verlust ihres Ansehens beigetragen. Sie haben die Lage insofern verkannt, als sie diese in liberaler Sicht eher als individuelles Versagen oder vorübergehende Erscheinung denn als eine Strukturkrise begriffien. 273 Diese steigerte sich mit den Mißernten der Jahre 1845 und 1846 und den durch sie ausgelösten Preisanstieg der Grundnahrungsmittel, der einen Einbruch bei der sowieso schon schwachen Nachfrage gewerblicher Produkte nach sich zog, zu einer allgemeinen Verelendung bis hin zu Epidemien und Massensterben. Dadurch gerieten nun auch die vor allem als Folge der Gewerbefreiheit zu zahlreichen Meister und Gesellen in Bewegung; ihnen schlossen sich die städtischen Unterschichten, die Landarbeiter und die in den Konkurs getriebenen Kleinbauern an. Diese Unruhe traf auf die Unzufriedenheit der ländlichen Untertanen, die die schon seit langem als diskriminierend empfundenen verbliebenen Feudallasten jetzt auch wirtschaftlich schmerzten, da diese nach wie vor neben den Abgaben an den Staat zu entrichten waren; viele waren zudem durch Abtragung der fUr die Ablösung aufgenommenen Kredite zusätzlich belastet. 274 In dieser Situation artikulierte das Bürgertum seine Verbitterung W. Conze, Spannungsfeld (FN 80), S. 247 ff. Dazu v. a. R. Koch, Die Agrarrevolution in Deutschland 1848: Ursachen - Verlauf - Ergebnisse, in: D. Langewiesche (Hrsg.), Revolution (FN 262), S. 360 ff. 273
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über die obrigkeitliche Unterdrückung seiner politischen Entfaltung und seine Frustration über den unzureichend ausgeformten Konstitutionalismus. Doch bedurfte es noch der politischen Erregung, die der Sturz des französischen Bürgerkönigtums durch republikanische Kräfte auslöste,275 um es zum politischen Umsturz fortzureißen. Wirtschaftliche Not, sozialer Protest und die Enttäuschung über die politischen Zustände verbanden sich. 276 Infolge der überdurchschnittlich guten Ernte des Jahres 1847 fielen die Lebensmittelpreise bis zum März 1848 auf das durchschnittliche Niveau der Vorjahre. Schon kurz danach beruhigt sich das Land merklich. Denn die Regierungen hatten meist mit Einverständnis der eingeschüchterten Standesherren zusätzlich bis zum Ende des Frühjahres die bäuerlichen Forderungen nach freiem Eigentum und Beseitigung der verbliebenen Feudallasten erfüllt. Damit war die Voraussetzung für die Allianz der ländlichen Eigentümer mit den Kräften des status quo gegen Kleinbauern, Gesinde und Landarbeiter gelegt. 277 Das Land schied schon im Frühjahr 1848 aus der Revolution aus. So wurden Gesellen und Lohnarbeiter, Studenten, Intellektuelle und am Rande das linke Bürgertum die Träger der revolutionären Aktionen des Frühjahrs, während die Liberalen zur gleichen Zeit in Märzministerien und Parlamenten den Gang der Politik steuerten. 278 Obwohl sich nun auch andere Schichten neben dem Bürgertum artikulierten, blieb dieses für den Verlauf der Revolution und insbesondere die Verfassungsgebung bestimmend. Der von ihm eingeschlagene Weg zu einem deutschen Nationalparlament war zwar noch ein Akt der Revolution, doch hat er diese bereits domestiziert. Die Trennung von der aktivistischen Basis wurde vollzogen und statt dessen die Hinwendung zur Bundesversammlung und den Fürsten, deren militärische und exekutive Machtmittel unangetastet geblieben waren, eingeleitet. 279 Bei dieser Revolution ist es schon vor den Wahlen zur Nationalversammlung nicht mehr um Umsturz im Sinne der Ersetzung eines politischen Systems durch ein anderes oder die vollständige Ablösung der politischen EliVgl. M. Erbe, Frankreich (FN 238), S. 133 ff. Vgl. H.-V. Wehler, Gesellschaftsgeschichte 11 (FN 18), S. 642 f.; Rudolf Stadelmann, Soziale und politische Geschichte der Revolution von 1848.- München 1973, , S. 22 f; Th. Nipperdey, Deutsche Geschichte (FN 7), S. 396 ff.; Horst Stuke, Materielle Volksinteressen und liberale Ideale, in: Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst 54, S. 31 ff. 217 R. Koch a. a. O. (FN 274), S. 384. 278 Zu den Ereignissen im einzelnen Veit Valentin, Geschichte der deutschen Revolution von 1848-49. - 2 Bände. - Berlin 1930, 193 I, Bd. I, S. 338 ff. 279 Vgl. Wolfram Siemann, Die deutsche Revolution von 1848/49. Frankfurt 1985, S. 58 ff. 275
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ten gegangen. Das Ziel hieß vielmehr politische Rechte und Verfassungsreform zur besseren Entfaltung des Bürgertums und zur Schaffung eines Nationalstaats. Dieser sollte jetzt schon nicht mehr allein Garant bürgerliche Freiheit sein, sondern auch bereits Mittel nationaler Selbstbehauptung und Machtentfaltung. 280 Entscheidend wurde, daß es den konstitutionellen Liberalen gelang, die Demokraten auf diesem Weg mitzuziehen nach der Erfahrung eines gescheiterten Aufstands und auf der Basis von "Märzforderungen", die solange sie nur formuliert und noch nicht entschieden werden mußten, gemeinsames Wollen vorspiegelten: die Beseitigung aller Repressionsmaßnahmen und Privilegierungen und komplementär dazu die Garantie der bürgerlichen Grundrechte, politische Mitbestimmung, Selbstverwaltung, ein Volksheer, rechtsstaatliehe Justiz und alles überragend eine "angemessene Nationalvertretung" der Deutschen. Also im Grunde all das, was das Bürgertum 1815 schon erhofft hatte. Die Linke artikulierte mit der Forderung nach einer gerechten Verteilung der öffentlichen Lasten, einer "volkstümlichen Staatsverwaltung" und der Wahl der Richter zusätzlich soziale und basisdemokratische Aspekte. 281 Aus der Einsicht heraus, daß diese Ziele nur gemeinsam zu verwirklichen sein würden, haben die "Demokraten" an der Repräsentation festgehalten und die republikanische Staatsform nicht zur Vorbedingung gemacht. Im Gegenzug hielten die Liberalen an der Volkssouveränität fest. Diese Gemeinsamkeit ist den Liberalen nicht leicht gefallen. Denn die Verlockungen, die von der Bildung liberaler Ministerien in den Einzelstaaten wie von der Bereitschaft des Deutschen Bundes, dem Bundestag eine verfassung~ebende Nationalversammlung zur Seite zu stellen, ausgingen, waren groß. 28 Zusätzlich hat die rasche Aufhebung aller repressiven Bundesgesetze283 ihre latente Neigung verstärkt, in Kooperation mit den Fürsten lediglich die konstitutionellen Errungenschaften 280 Vgl. die Dokumente 49-53 bei H. Fenske (Hrsg.), Vormärz (FN 130), S. 264 ff.; und O. Dann, Nationalismus und sozialer Wandel (FN 258), S. 109 f. 281 Vgl. die Dokumente bei Werner Boldt, Die Anfänge des deutschen Parteiwesens: Fraktionen, politische Vereine und Parteien in der Revolution von 1848; Darstellung und Dokumentation. - Paderbom 1971, S. 99 ff.; W. Grab (Hrsg.), Revolution (FN 268), S. 37 ff. Vgl. insbesondere auch das Offenburger Programm der südwestdeutschen Demokraten vom 10.9.1847, das Heppenheimer Programm der südwestdeutschen Liberalen vom 15.10.1847 und die Heidelberger Erklärung vom 5.3.1848: E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente I (FN 5), S. 261 ff. 28 Werner Boldt, Konstitutionelle Monarchie oder parlamentarische Demokratie: die Auseinandersetzung um die deutsche Nationalversammlung in der Revolution von 1848, in: HZ 216, 1973, S. 554 ff. 283 E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente I (FN 5), S. 266 ff.
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zu sichern. 284 Die revolutionäre Dynamik des Frühjahrs 1848, die Entschiedenheit der Demokraten wie die Abneigung der Dynasten einerseits, ein noch vorwaltendes gemein bürgerliches politisches Bewußtsein andererseits haben aber schließlich verhindert, daß die Revolution vorschnell durch den Legalismus der Liberalen erstickt wurde. Damit war die ernsthaft erwogene Alternative verworfen, auf dem Weg der Vereinbarung mit den alten Gewalten noch vor dem Zusammentritt der Nationalversammlung das konstitutionelle Problem durch die Präjudizierung einer f6derativen monarchischen Verfassung liberaler Prägung und das nationale durch eine Reform des Deutschen Bundes zu lösen. Den letzten Anstoß zu dieser Wendung hat wohl die Einsicht gegeben, daß das derzeit vorrangigere Ziel, die Revolution einzudämmen, nur durch die Schaffung einer nationalen Verfassungsordnung kraft revolutionärer Gewalt erreichbar schien?85 Die Chance, dabei die Führung zu behalten, war filr das liberale Bürgertum in der am 18. Mai 1848 in der Frankfurter Paulskirche eröffneten Nationalversammlung nicht schlecht. Denn das vom revolutionären Vorparlament entworfene und vom Bundestag beschlossene allgemeine und freie Wahlrecht filr jeden volljährigen männlichen Staatsangehörigen286 hat mit dem ebenfalls verankerten Kriterium der Selbständigkeit und der überwiegend indirekt durchgefilhrten Wahl in den Einzelstaaten manche Möglichkeit zu Einschränkungen gegeben. 287 Entscheidender dürfte aber gewesen sein, daß die Zeit filr die Ausbildung von politischen Alternativen und neuen Strukturen politischer Partizipation zu kurz war, so daß die Muster der vormärzlichen Persönlichkeitswahlen meist weiterwirkten. Das zeigen deutlich die politischen Vereine, die sich während der vormärzlichen Unruhen und der Durchfilhrung der Wahlen zur Nationalversammlung überall im Lande gebildet hatten. Sie knüpften bruch los an den vormärzlich-liberalen Parteibegriff an. 288 Denn sie verstanden sich nicht als Institutionen zur Durchsetzung von Sonderinteressen sozialer 284 W. Boldt stellt a. a. o. sogar mit Nachdruck heraus, daß die Liberalen das Vorparlament und die Nationalversammlung verhindern wollten. In dieser Zuspitzung ist seine These in der Forschung nicht auf breitere Zustimmung gestoßen. 285 Vgl. auch Dieter Langewiesche, Liberalismus in Deutschland. - Frankfurt 1988, S. 39 ff. 286 E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente I, S. 274 f. 287 Ausführlich dazu: Manfred Botzenhart, Deutscher Parlamentarismus in der Revolutionszeit 1848 - 1850. - Düsseldorf 1977, S. 141 ff.; drastische Bewertung des allgemeinen Wahlrechts in der Sicht der konstitutionellen Liberalen bei F. D. Bassermann, Denkwürdigkeiten (FN 257), S. 2.: "alles Übel kommt von der Herrschaft der Masse über den Geist"; "unerträglicher Despotismus, den die Willkür der mechanisch addierten Ko~fmehrzahl ausübt." 88 Dazu Th. Schieder, Theorie der Partei, in: Th. Schieder, Staat (FN 85), S. 110 ff.
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oder politischer Gruppen, sondern sie kamen ihrer Aufgabe der politischen Mobilisierung und der Rekrutierung der Kandidaten vielmehr mit dem Selbstverständnis nach, das "Volk" im herkömmlichen Sinne zu repräsentieren; d. h. die Gesamtheit, die der Regierung und den Privilegierten gegenübersteht. 289 Dieses Bewußtsein und die historische Aufgabe der Schaffung einer politischen Ordnung rur den deutschen Nationalstaat relativieren die Frage nach der sozialen Zusammensetzung der Nationalversammlung. Denn nicht Klassenlage und ökonomische Interessen haben die Bildung von Gruppen innerhalb dieser revolutionären Einrichtung des souveränen Volkes vorrangig bestimmt, sondern Ideologie, Region und über allem die jeweiligen politischen Konflikte. 290 Nirgends kommt vielleicht besser zum Ausdruck, daß die deutsche Revolution des Jahres 1848 mehr auf Tradition und Evolution denn auf Bruch und Umsturz setzte, als darin, daß sie die Aufgabe der politischen Modernisierung den Etablierten anvertraute. Dann aber ist es mehr konsequent als überraschend, daß weit über die Hälfte der Abgeordneten aus der mittleren Ebene des Staatsdienstes und der Justiz kamen und über drei Viertel Akademiker waren, während die Vertreter aus der Produktion etwa ein Zehntel ausmachten und die unteren Volksschichten so gut wie gar nicht vertreten waren. In einem Land, in dem sich bisher parlamentarische Politik kaum eigenständig hatte entfalten können, lag es nahe, politiknahe Schichten und lokale Amtsautoritäten mit politischen Aufgaben zu betrauen. Und da Politik bisher überwiegend in Debatten und theoretischen Entwürfen betrieben worden war, waren Vertreter aus Bildungseinrichtungen und Publizistik bekannter als andere. In diesem sozial noch weitgehend homogenen Parlament unterschied sich die Rechte von der Linken weniger durch ihren Status als dadurch, daß sich rechts mehr die beamteten Realisten und links mehr Intellektuelle und die über das Bestehende hinausstrebenden Vertreter der freien Berufe sammelten?91 Die Mitglieder der Nationalversammlung haben sich im Laufe des Sommers zu Fraktionen zusammengeschlossen. Konservative Verteidiger des MonarchiW. Boldt, Anflinge (FN 281), S. 44 ff. Dies belegt auf breitem Datenmaterial und mit soziologischer Fragestellung und Methode die Untersuchung von Heinrich Best, Die Männer von Bildung und Besitz: Struktur und Handeln parlamentarischer Führungsgruppen in Deutschland und Frankreich 1848/49. - Düsseldorf 1990. - (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der ~olitischen Parteien; 90). 2 I H. Best a. a. O. S. 58 ff.; M. Botzenhart, Parlamentarismus der Revolutionszeit (FN 287), S. 160 ff. Zur Erklärung der Zusammensetzung der Frankfurter Nationalversammlung wird man so praktische Dinge wie Abkömmlichkeit und Finanzierung des Aufenthalts auch nicht außer acht lassen dürfen. 289
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sehen Prinzips traten ebenso wenig in Erscheinung wie kommunistischsozialistische Revolutionäre. Die Mehrheit stellten die Liberalen, die die bisher erreichten konstitutionellen Errungenschaften sichern wollten. 292 Links von ihnen strebten die Demokraten danach, den Konstitutionalismus ohne Festlegung auf eine bestimmte Staatsform zur parlamentarischen Demokratie weiterzuentwickeln, während den Republikanern eher die Vorherrschaft der Volksversammlung in einer Republik vorschwebte. 293 Indem sich die Fraktionen Statuten und Programme gaben,294 verfestigten sie sich in einem Ausmaß, wie dies bisher in den Landtagen noch nicht der Fall gewesen war. Der damit eingeleitete allmähliche Abschied von der bisherigen Vorstellung des freien Diskurses vernünftiger Individuen ist nicht nur den liberalen schwer gefallen. 295 Es war aber nach dem Zusammentritt der Nationalversammlungen in Frankfurt und Berlin rasch deutlich geworden, daß er unumgänglich war, wenn die Parlamente ihre neuen Funktionen, mithandelnde und mitgestaltende Kräfte zu sein, erfiillen wollten. Die Fraktionsbildungen waren darüber hinaus auch eine Reaktion auf weitere Aufstände und gegenrevolutionäre Gefahren, und sie waren Ausdruck davon, daß aufgrund des allgemeinen Wahlrechts die Nationalversammlungen nicht mehr im bisherigen Umfang von einer sozial und mentalitätsmäßig einheitlichen Schicht von Honoratioren dominiert wurde, die zudem noch die gemeinsame Frontstellung gegenüber den Regierungen zusammenhielt. 296 Jetzt rangen in den Parlamenten zwar noch nicht in erster Linie antagonistische gesellschaftliche Interessen miteinander, wohl aber gegensätzliche nationale und verfassungspolitische Vorstellungen. Folglich verstanden sich die Fraktionen auch mehr als Ausschüsse zur Durchsetzung dieser Ziele denn als ideologische Gemeinschaften oder gar als Vertretungen von sich im Lande formierenden 292 Entgegen W. Siemann, Parteibildung 1848/49 als "Kampf ums Recht": Zum Problem von "Liberalismus" und "Konservativismus" in der Paulskirche, in: Der Staat 18, 1979, S. 225 ff. möchte ich auch das rechte Zentrum weiterhin zu den Liberalen zählen. Das legen seine Herkunft und die kommende Entwicklung des Liberalismus nahe. Die Ablehnung von Volkssouveränität und demokratischem Prinzip wie die Orientierung an der historischen Rechtsschule rechtfertigen gerade unter der hier interessierenden Frage der staatlichen Macht nicht, sie als eigenständige politische Formation zu behandeln. 293 Vgl. dazu die Fraktionsprogramme bei W. Grab (Hrsg.), Revolution (FN 268), S. 130 ff. und W. Boldt, Anfänge (FN 281), S. 163 ff.; M. Botzenhart, Parlamentarismus der Revolutionszeit (FN 287), S. 415 ff.; E. R. Huber, Verfassungsgeschichte II (FN 241), S. 6\0 ff. 294 Abgedruckt bei W Boldt a. a. o. S. 163 ff. 295 M. Botzenhart, Parlamentarismus der Revolutionszeit (FN 287), S. 416 ff., 434 ff. 296 W. Boldt a. a. O. (FN 281), S. 18 ff.
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politischen Vereinen im Parlament. So wichtig die acht bis zehn Fraktionen auch rur die parlamentarische Praxis wie die politische Fonnation wurden,297 so mußten sie unter diesen Umständen doch relativ lockere Gebilde bleiben, denen sich rund ein Viertel der Abgeordneten überhaupt nicht anschloß. Darur hatte vor allem die liberale Mehrheit gesorgt, die sehr wohl spürte, daß die Fraktionen nicht nur eine durchaus akzeptable praktische Seite hatten, sondern daß sie auch ihre Vorstellungen vom Parlamentarismus herausforderten; sie haben unter anderem deswegen erfolgreich deren offizielle Anerkennung in den Geschäftsordnungen verhindert. Denn damit wäre in der verfassungspolitischen Grundsatzfrage des konstitutionellen oder parlamentarischen Regierens ein Präjudiz geschaffen worden; zudem hätte dies der weit über das liberale Lager hinausreichenden Überzeugung, daß das Mandat ein freier, vor allem in der Persönlichkeit nicht in irgendeiner Programmatik begründeter Auftrag sei, widersprochen. Nach dem Zusammentritt der Nationalversammlung bestand ein Teil der lokalen politischen Vereine, die sich im Zuge der Märzbewegung gebildet hatten, fort. Ganz überwiegend liberaler und demokratischer Ausrichtung waren die Märzforderungen ihre programmatische Grundlage. Sie sahen nun ihre Aufgabe in der Kontrolle der Regierungen und der gewählten Vertreter in Land und Nation. Einige von ihnen haben von ihren Abgeordneten die Durchsetzung von Beschlüssen im Parlament gefordert, andernfalls auch gelegentlich auf der Rückgabe des Mandats bestanden. Gegenüber solchen Ansätzen direkter Demokratie hat sich aber der Parlamentarismus der Paulskirche behaupten kön298 nen. Die Vereine waren so fragil, da sie vor allem politische Ziele und weniger Überzeugungen und Interessen konstituierten. Versteht man sie schon als Parteien im modemen Sinne wird ihre Eigenart nicht richtig erkannt. Denn deren Funktionen nahmen sie nur zum Teil wahr. Es ging ihnen vor allem darum, durch Infonnation das Interesse der Anhängerschaft wach zu halten, durch Kommunikation den Zusammenhalt zu kräftigen und über die Presse die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Sie waren vor allem im Lokalen, allerdings auf dem Lande so gut wie gar nicht, verankert; sie standen über die Region hinaus kaum untereinander in Verbindung. Dort, wo sie weiterreichten, war der Aufbau im Land oder der Nation äußerst locker; von einem Instanzenzug kann 297 Dieter Langewiesche, Die Anfänge der deutschen Parteien: Partei, Fraktion und Verein in der Revolution von 1848, in: GG 4, 1978, S. 333 ff. 298 Vgl. W. Boldt a. a. O. (FN 281), S. 30 ff. und M. Botzenhart a. a. O. (FN 287), S. 324 ff.
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auch bei den am besten durchorganisierten nicht gesprochen werden. Viele Organisationsstrukturen bestanden wie auch die Vereine selbst nur zeitweise auch dies ein Indiz dafilr, daß der politisch-aktuelle Anlaß sie stärker verband als gemeinsame Weltanschauung und Interessenvertretung. Da sich die politischen Vereine selbständig und unabhängig von den Fraktionen gebildet hatten, blieben ihre Beziehungen zu den Parlamenten unverbindlich. Und die Abgeordneten, die, wenn überhaupt, dann nur in zweiter Linie den politischen Vereinen ihr Mandat verdankten, verstanden sich keinesfalls als deren Beauftragte?99 Obwohl das Bürgertum versuchte, auf der Basis dieses politischen Vereinswesens der Märzbewegungen und Maiwahlen im Lande weiterhin gemeinsam zu agieren, ist es dennoch im Laufe der Beratungen der Nationalversammlungen zu einer weiteren Differenzierung gekommen. Die Sammlung der konstitutionellen Liberalen in "Vaterländischen Vereinen" einerseits und der bürgerliche Demokraten in "Volksvereinen" andererseits erfolgte aber nicht in einer solchen gegenseitigen Aus- und Abschließung, daß dadurch die verbindenden politischen Überzeugungen und insbesondere das aktuelle gemeinsame Ziel, den Rückhalt der Landesparlamente und insbesondere der beiden Nationalversammlungen zu stärken, aus den Augen verloren wurde. 3°O Bezeichnend war, daß auch hier Spaltungen, Neu- und Umbildungen sowohl durch die großen verfassungspolitischen Fragen, die Politik der nationalen Parlamente wie die Aktionen der gegemevolutionären Kräfte verursacht wurden. 301 Am wenigstens Anlaß hatten die die Parlamente beherrschenden konstitutionelle Liberalen, diese lokalen und regionalen Bewegungen organisatorisch zu bündeln. Dem stand zusätzlich ihr Verständnis von Politik im Wege. Denn sie filrchteten um die Freiheit der Volksvertreter, wenn diese, wie auf der Linken 299 Es ist angesichts des Übergangscharakters der Revolutionsepoche, der erst in den Anflingen steckenden politischen Bewegung und der kurzen Zeit des Bestands der politischen Vereine nicht leicht zu entscheiden, ob diese schon als politische Parteien in dem Sinne von Organisationen zu bezeichnen sind, die in Konkurrenz mit anderen versuchen, durch die Entsendung ihrer Vertreter in Parlamente ihre Interessen und Positionen durchzusetzen. Mir scheint es problematisch, so eindeutig in der Revolutionsepoche schon von Parteien zu sprechen wie D. Langewiesche dies in seinen beiden Aufsätzen "Die Anflinge der deutschen Parteien" (FN 297) und "Vereins- und Parteibildung in der Revolution von 1848/49", in: Vereinswesen und bürgerliche Gesellschaft in Deutschland / hrsg. von Otto Dann. - München 1984, S. 51 -53. tut. Vgl. für die skizzierte Entwicklung auch M. Botzenhart, Parlamentarismus in der Revolutionszeit (FN 287), S. 315ff. 300 M. Botzenhart a. a. O. S. 367 ff. 301 Vgl. zum Folgenden auch Hans Fenske, Deutsche Parteiengeschichte. - Paderborn u. a. 1994, S. 64 ff.
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immer wieder versucht, an die Beschlüsse der Vereine gebunden würden. Sie sahen in den politischen Vereinen extrakonstitutionelle Gebilde, die nicht mehr als Hilfsorganisationen rur Fraktionen und Abgeordnete sein könnten. Sie haben daher auch den Verein rechtlich in der Tradition der Freiheitsrechte der bürgerlichen Gesellschaft gefaßt: als Mittel zur Organisierung von deren einheitlichen und vernünftigen Willen und nicht als Instrument der politischen Partizipation. 302 In diesem Sinne wurde dann, durch das Vorgehen konkurrierender Bewegungen veraniaßt, im November 1848 ein Ausschuß des besonders rührigen Kasseler Bürgervereins beauftragt, als Vorort des lockeren Zusammenschlusses liberaler Vereine im "Nationalen Verein fiir Deutschland,,303 zu fungieren. Sein Schwergewicht lag in Nord-, Mittel-, und Süddeutschland. Dessen von der Organisation und Ideologie sowieso schon eingeschränkte Wirksamkeit wurde nochmals dadurch gemindert, daß sich die preußischen und österreichischen Liberalen fernhielten. 304 Im Gegensatz zu den Konstitutionellen haben die Demokraten in den bestehenden Vereinen eine Chance gesehen, um eine nationale Bewegung zur Verteidigung der Märzerrungenschaften ins Leben zu rufen, als mit der Niederschlagung der Wiener Revolution im Oktober 1848 in Deutschland die gegenrevolutionären Kräfte erstarkten. Der zu diesem Zweck von den linken Fraktionen der Frankfurter Nationalversammlung am 23. November 1848 als Dachorganisation gegründete "Centralmärzverein" bekannte sich mit der vagen Programmatik der gewaltlosen Verwirklichung von Einheit und Freiheit bewußt zu den Gemeinsamkeiten des bürgerlichen Aufbruchs. Dennoch verharrten die Konstitutionellen in skeptischer Distanz. Daher blieb der "Centralmärzverein" der Verband der demokratischen Vereine, was seine Entwicklung zur Massenbewegung allerdings nicht hinderte. Mit einer zentralen Bürokratie, lebhafter Kommunikation und Information zwischen Vereinen und Fraktionen und ansatzweiser Kontrolle der Abgeordneten wurden parteiähnliche Strukturen geschaffen. Die Verbindung blieb aber dennoch offen; sie war weder rur die
302 Darauf weist mit Recht Wolfgang Hardtwig, Politische Gesellschaft und Verein zwischen aufgeklärtem Absolutismus und der Grundrechtserklärung der Frankfurter Paulskirche, in: G. Birtsch (Hrsg.), Grund- und Freiheitsrechte (FN 166), S. 357 ff. hin. 303 Vgl. dazu Rolf Luhn, Nationaler Verein für Deutschland (NVtD): 1848 - 1849, in: Dieter Fricke u. a. (Hrsg.), Lexikon zur Parteiengeschichte: die bürgerlichen und kleinbürgerlichen Parteien und Verbände in Deutschland; 1789 - 1945. - Leipzig 19831986, Bd. 3, S. 390 ff. 304 Vgl. D. Langewiesche, Anflinge (FN 297), S. 350 ff.; Manfred Botzenhart, Die Parlamentarismusmodelle der deutschen Parteien, in: G. A. Ritter (Hrsg.), Gesellschaft (FN 132), S. 130 f.
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Fraktionen noch den Abgeordneten jemals bindend oder zwingend. 305 Denn der "Centralmärzverein" war eine breite Bewegung, die keiner bestimmten Fraktion zugeordnet war. Seine Leitung bestand nur aus Abgeordneten, die fUr diese Funktion nicht von den Vereinen durch Wahlen legitimiert worden waren und schließlich war sein Zweck vorrangig aktuell-politisch und nicht der einer kontinuierlichen Willensbildung von unten nach oben. 306 Schon vor den bei den bürgerlichen Formationen hatten im Juni 1848 die entschiedenen Anhänger der Volkssouveränität versucht, sich im gesamten Bundesgebiet zu organisieren, um das Volk gegen die Parlamente zu mobilisieren/07 da ihre Forderung nach einer sozialen deutschen Republik in den beiden Nationalversammlungen keinen Rückhalt fand. Sie wollten daher nicht allein die Volksbewegung angesichts der sich formierenden Reaktion festigen, sondern jene im basisdemokratischen Sinne über die Nationalversammlung hinaus, notfalls auch mit Waffengewalt, weitertreiben. Trotz beachtlicher organisatorischer Anfangserfolge ist die Bewegung schon im Spätherbst 1848 zusammengebrochen. Denn die Gegensätze blieben in der Staatsformfrage unüberbrückbar, und das Verhältnis zur revolutionären Aktion wurde nicht geklärt. Verbote republikanischer Vereine in den süddeutschen Staaten und deren unzulängliche Verzahnung mit der Zentrale taten ein Übriges. 30B Auf diese Weise hat sich der in der Revolution formierende Parlamentarismus seine Infrastruktur nachträglich und bruckstilckhaft in einigen Regionen und auf verschiedenen Ebenen geschaffen. 309 Die politischen Vereine hatten sich autonom vorwiegend in den Städten gebildet. Danach waren die Parlamentsfraktionen entstanden, die wiederum Anstöße zum Aufbau neuer oder zur Zusammenfassung bestehender Vereine geben konnten. Außerparlamentarische Vereinsbewegung und parlamentarische Fraktionsbildung liefen also zunächst
305 D. Langewiesch a. a. O. S. 354 f. bezeichnet den "Centralmärzverein" bereits als eine Partei modemen Typs. 306 Ähnlich auch W. Boldt, Anfänge (FN 281), S. 51 f. Zum "Centralmärzverein" vgl. vor allem Michael Wettengel, Der Centralmärzverein und die Entstehung des deutschen Parteiwesens während der Revolution von 1848/49, in: Jahrbuch zur Liberalismus-Forschung 3, 1991, S. 34 ff.; darüber hinaus M. Botzenhart, Parlamentarismus in der Revolutionszeit (FN 287), S. 398 und Rolf Weber, Centralmärzverein (CMV) 1848 -1849, in D. Fricke u. a. (Hrsg.), Lexikon zur Parteiengeschichte 1 (FN 303), S. 403 ff. 307 Das stellt stark Frank Eyck, Freiheit und Verantwortung: Chancen und Grenzen des parlamentarischen Systems, in: Archiv fur Frankfurts Geschichte und Kunst 54, S. 88 ff. heraus. 308 M. Botzenhart a. a. O. (FN 287), S. 338 ff. 309 M. Botzenhart, Parlamentarismusmodelle (FN 304), S. 132.
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parallel nebeneinander her, ehe sie dann je nach politischem Lager unteschiedlich stark aufeinander zugingen. Die sich daneben formierenden politischen Bewegungen, die parlamentarisch gar nicht oder kaum repräsentiert waren, haben den Verlauf der Revolution nicht bestimmt. Ihr Auftreten ist aber ein weiteres Indiz rur die nachlassende Intergrationskraft des bürgerlichen Liberalismus. Bezieht man sie mit ein, ist das kommende Fünfparteienschema schon in nu ce erkennbar. Der bisher auf kleine Zirkel beschränkte Konservativismus, war von der Revolutionsfurcht getrieben, seit Europa erneut in Gärung geraten war, vor allem publizistisch aktiver geworden. Dem liberalen Emanzipationsversprechen setzte er in der Nachwirkung des organischen Denkens der deutschen Romantik die Einbindung des einzelnen in die traditionelle Gesellschaft und den monarchisch-christlichen Staat entgegen. Als Schutzwall gegen den Absolutismus der Krone oder eines BÜfgerkönigtums konnte er sich durchaus auch ein Parlament vorstellen, seit Stahl gezeigt hatte, daß der Weg von der "patrimonialen" Verfassung zur "constitutionellen" unumkehrbar und daß der Vorrang der Fürsten auch im Verfassungsstaat möglich see lO Als deren Verteidiger war er der na. l'IC he Gegner des N' tür atlOna l'Ismus. 311 Nach dem Schock der Märzereignisse bewiesen dann vorwiegend Konservative und Royalisten in Preußen, daß sie die Massenbeeinflussung nicht schlechter als ihre Gegner beherrschten, um eine starke Monarchie und preußische Essentialia gegenüber der Paulskirche zu verteidigen. 3J2 Aus ihren nach wie vor gehaltenen Machtpositionen in Militär, Verwaltung und Hof heraus haben sie sich durch die Herausgabe der "Kreuzzeitung" im April 1848 publizistisch und ideologisch formiert. Zugleich ist im ostelbischen Preußen vorwiegend in den Provinzial- und Kreisstädten ein reges politisches Vereinswesen entstanden, das auch protestanische Lebenswelt und agrarische Wirtschaftsord310 Vgl. F. 1. Stahl, Das monarchische Prinzip, in: H. Fenske (Hrsg.), Vormärz (FN 130), S. 143 ff. 311 Vgl. Victor Aime Huber, Über die Elemente, die Möglichkeit oder Notwendigkeit einer konservativen Partei in Deutschland, 1841; Programm zur Gründung einer konservativen Zeitung, 5. Juli 1847; Aufruf Ernst Ludwig von Gerlachs an seine Standesgenossen, 26. März 1848, in: H. Fenske (Hrsg.) a. a. O. S. 51 ff., 221 ff., 274 f.; vgl. auch K.-G. Faber, Restauration und Revolution (FN 35), S. 168 ff. und Th. Nipperdey, Deutsche Geschichte (FN 7), S. 378 ff. 312 Dazu v. a. jetzt Wolfgang Schwentker, Konservative Vereine und Revolution in Preußen 1848/49: die Konstituierung des Konservativismus als Partei. - Düsseldorf 1988. - (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien; 85), S. 33 ff.
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nung gegenüber Liberalismus und Demokratie verteidigen wollte. Diese rührige Massenbewegung, die das ganze Spektrum zwischen Reaktion und konstitutioneller Monarchie umfaßte, hatte sich ebenfalls noch nicht zu einer einheitlichen Partei formiert, ehe dann auch sie der reaktionäre Gegenschlag traf. Ihre Wirkung reichte aber dennoch weit über die Revolutionsepoche hinaus: der Konservativismus in Deutschland war auch später vor allem borussisch und agrarisch. Außerhalb Preußens haben sich vergleichbare Bestrebungen in den konstitutionellen oder katholischen Vereinen gesammelt. 313 Der infolge des Mischehenstreits mit dem preußischen Staat politisierte Katholizismus hatte sich parallel zur religiösen und geistigen Auseinandersetzung mit den Herausforderungen der Moderne 3l4 - seit Ende der dreißiger Jahre als eigenständige Kraft im Lager derer gebildet, die fiir politische Freiheit und Verfassungsstaat kämpften. Dort hielt die Bewegung, die von Anfang an alle Schichten der Konfession umschlossen hatte, Distanz zu den Liberalen, denen man bisher vereinzelt gefolgt war, und Konservativen, mit denen sie das Ideal einer ständischen Gesellschaft in einer christlichen Monarchie teilten. Auf der Grundlage eines weitverzweigten Netzes von Kirchenblättern und Vereinen31S haben die Katholiken die wohl größte Massenbewegung der Revolutionszeit mit den "Piusvereinen fiir religiöse Freiheit" als Ferment ins Leben gerufen. Aufgeschreckt durch die Parolen des aufklärerischen Liberalismus und des atheistischen Radikalismus setzten sich Laien unter der Führung von Geistlichen fiir den öffentlichen Schutz der Institutionen der Kirche und die Garantie von deren freier Entfaltung, insbesondere in Bildung und Erziehung, in den liberalen Verfassungen ebenso ein wie fiir ein von den katholischen Habsburgern regiertes Reich. Doch ging es nicht nur um begrenzte politischparlamentarische Wirksamkeit, sondern auch um Selbstbehauptung und Anpassung an die Erfordernisse der Zeit. Da dafür bereits ein ausdifferenziertes und zentralisiertes Vereinswesen vorhanden war, herrschte die Überzeugung vor, auf eine politische Formierung verzichten zu können. 316 Vgl. auch R. Stadelmann, Revolution (FN 276), S. 107 ff. Vgl. dazu auch 1. 1. Sheehan, Ausklang (FN 38), S. 514 ff. 315 Vgl. das Programm einer katholischen Zeitung am Rhein von 1844 und die Rede Bischof Wilhelm Emmanuel von Kettelers in der Nationalversammlung am 18. September 1848 über Verhältnis von Staat, Schule und Kirche, in: H. Fenske (Hrsg.), Vormärz (FN 130), S. 116 ff., 346 ff.; vgl. auch H.Lutz, Habsburg (FN 35), S. 188 ff.; K.-G. Faber, Restauration und Revolution (FN 35), S. 170 ff. und Th. Nipperdey, Deutsche Geschichte (FN 7), S. 381 ff. 316 M. Botzenhart, Parlamentarismus in der Revolutionszeit (FN 287), S. 335 ff.; R.Stadelmann, Revolution (FN 276), S. 109 f.; Th. Nipperdey a. a. O. S. 617. 313
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Schließlich haben sich auch noch die Lohnabhängigen dem allgemeinen Aufbruch angeschlossen. Den Gesellen war ihr sozialer Aufstieg wie ihre wirtschaftliche Entfaltung bei größtmöglicher Sicherheit des einzelnen und staatlichem Schutz ganzer Gewerbe ein besonderes Anliegen. Die Arbeiterschaft hingegen hatte schon Ende August mit der "ArbeiterverbrUderung" einen Zentralverband der Arbeitervereine geschaffen, um Gewerkschaftsarbeit und Selbsthilfe landesweit zu organisieren. Diese, wie selbst der "Bund der Kommunisten", zielten noch nicht auf den Umsturz, sondern begnügten sich mit dem Ruf nach sozialer Gerechtigkeit, gesellschaftlicher Gleichheit und politischer Mitbestimmung. Ihre politische Heimat fanden sie in der Nationalversammlung im gesamten Spektrum der Linken. 317
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Th. Nipperdey, a. a.
o. S. 620 ff. und W. Siemann, Revolution (FN 279), S. 94 ff.
X. Die Verfassungsgebung der Nationalversammlung Als die Nationalversammlung ihre Arbeit aufnahm, schien sich dem liberalen Bürgertum endlich die historische Chance zu bieten, Deutschland nach seinen Vorstellungen umgestalten zu können. 318 Auf nationaler Ebene hatte man eine komfortable, wenn auch nicht organisatorisch gefestigte Mehrheit. In den Bundesstaaten herrschten bis zum Herbst 1848 die von der liberalen Staatslehre immer geforderten idealen Bedingungen des Regierens.3\9 Hier suchten nämlich seit dem Frühjahr des Jahres liberale Ministerien bei Fortbestehen der Ersten Kammern die politische Zusammenarbeit mit den Zweiten, die noch ganz den bürgerlichen Anstrich hatten, wie er aufgrund des alten Zensuswahlrechts die Regel war. Freilich wurde bereits deutlich, daß einige Grundannahmen liberaler Politik nicht mehr wie bisher galten, noch ehe die nach dem allgemeinen Männerwahlrecht durchgeftihrten Landtagswahlen des Herbstes die liberale Vorherrschaft erschütterten und Preußen und Österreich zum antirevolutionären Gegenschlag ausholten. Die Nationalversammlung bot nicht mehr das herkömmliche Bild einer weitgehend einheitlichen antigouvernementalen Versammlung. Im Nationalstaat gab es nicht mehr das vertraute Gegeneinander von Volksvertretung und Regierung, das man sich hätte dienstbar machen können. Vielmehr standen die bürgerlichen Politiker der Paulskirche jetzt selbst gegenüber einer kritischen Öffentlichkeit in der Defensive. Diese artikulierte als Folge der Massenmobilisierung vermehrt Vorstellungen und Forderungen, die jenseits des bisherigen politischen Denkens des Bürgertums lagen. 32o Der bürgerlichen Mehr318 Neuere Zusammenfassung der Verfassungstätigkeit der Liberalen in der Nationalversammlung durch Hans Fenske, Der Liberalismus in der Frankfurter Nationalversammlung 1848/49, in: Jahrbuch der Hambach-Gesellschaft 2, 1989, S. 49-68; ausführlicher Hans Fenske, Die Verfassung des Deutschen Reiches vom 28. März 1849. Entstehung, Inhalt, Wirkungen, in: Zeitschrift des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde 90,1984/85, S. 253-312. 319 Am klarsten wohl ausformuliert bei Robert von Mohl; vgl. dazu H. Boldt, Staatslehre (FN 133), S. 246 ff. no James J. Sheehan, Der deutsche Liberalismus von den Anfangen im 18. Jahrhundert bis zum Ersten Weltkrieg 1770 -1914. - München 1983, S. 68 ff. betont nicht zu Unrecht des öfteren, daß die Liberalen in der Revolution zu stark ihren vormärzlichen Denk- und Verhaltensmustern verhaftet geblieben seien. Die Aussage, daß sie darüber
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heit der Frankfurter Nationalversammlung ist es nicht gelungen, zu dem neuartigen Phänomen des politisch selbstbewußten und selbständig agierenden Volkes ein konstruktives Verhältnis zu gewinnen. Es wurde kaum zur Kenntnis genommen - und wenn, dann als Hort der Unruhe oder von der linken Konkurrenz mißbrauchter Sturmbock. Die schon von den Zeitgenossen bemerkte "Abgehobenheit" der Nationalversammlung kam nicht zuletzt daher, daß versucht wurde, die parlamentarischen Beratungen, wie aus der Zeit der vormärzlichen Landtage gewohnt, unbeeinfluß von Massenstimmungen durchzufilhren. Die Brüchigkeit des Anspruchs auf Repräsentanz des "Volkes" wie der Klassencharakter insbesondere der liberalen Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik wurde dadurch bewußter. Dazu trug auch die bisher in dieser Deutlichkeit nicht aufgebrochene Fraktionierung des bürgerlichen Lagers im Parlament bei, die zudem die Handlungsspielräume gegenüber Fürsten und Volk einengte. Als dann die Gegenrevolution in die Offensive ging, hatte sich die Kluft zwischen Volk und Repräsentanten so sehr geweitet, daß das Anknüpfen an die Märzbewegung nicht mehr möglich war. Unter dem Entzug der bürgerlichen Grund- und Freiheitsrechte hatten alle Fraktionen der Paulskirche gelitten, und in ihnen erkannten gerade in der Revolution vermehrt auch die unterbürgerlichen Schichten die Voraussetzung, um sich zu sammeln und eigene Probleme zur Sprache zu bringen. Daher war der Ruf nach ihrer Verwirklichung eine entscheidende Triebkraft der Revolution gewesen. Mit ihrer Erfilllung sollte jetzt die Märzbewegung zur Ruhe kommen und zugleich der sich bildenden Nation die grundlegende politische Orientierung gegeben werden. Folglich herrschte über deren vorrangige Ausgestaltung und Umsetzung kein gravierender Dissens. 321 Obwohl in allen politischen Lagern von den Konservativen bis hin zu den Radikalen im Zusammenhang mit den Grundrechten über Fragen der Wirtschaft und soziale Probleme gebührend diskutiert worden war,m blieb der am 20. Dezember 1848 verabschiedete klassische Katalog der Grundrechte noch weitgehend ungetrübt von der Einsicht in deren wirtschaftliche und soziale Bedingtheit. Ihm lag das liberale Ideal des wirtschaftlich unabhängigen, geistig autonomen und selbstverantwortlichen Individuums zugrunde. Materiell wurden zunächst die letzten Reste des Ancien Regime beseitigt durch die Aufhebung der rechtlichen Standesunterschiede, die ersatzlose Beseitigung noch vorhandener feudaler Vorrechte einschließlich aller Hemmnisse hinaus gerade während der Revolution auch noch vom "Untertanengeist" beherrschet worden seien, ist wohl eher auf das anglo-amerikanische Nachkriegsbild von der deutschen Geschichte zurückzuführen, als daß sie durch die Fakten gestützt würde. 321 Vgl. dazu: E. R. Huber, Verfassungsgeschichte II (FN 241), S. 773 ff. 312 Vgl. dazu auch J. J. Sheehan a. a. O. S. 77 ff.
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hinsichtlich der freien VerfUgung über das Grundeigentum. Danach ging es um die Ausweitung und Sicherung der klassischen individuellen Freiheitsrechte ebenso wie auch um die Schaffung der Voraussetzungen fUr die nationale Rechtseinheit. Schließlich waren Freiheit und Selbstbestimmung durch die Garantie rechtsstaatlicher Justiz und gemeindlicher Selbstverwaltung so weit in der Gesellschaft zu verankern, daß sich der Polizeistaat nicht wiederholen konnte. 323 Obwohl die Grundrechte von 1848 mit ihrer Orientierung an Individuum und Rechtsstaat der bürgerlichen Emanzipationsbewegung verpflichtet blieben, hat sich der revolutionäre Zusammenhang, in dem sie ausgestaltet wurden, doch insofern niedergeschlagen, daß mit allgemeinen Verfassungsgrundsätzen, institutionellen Garantien und Anweisungen über die bürgerlichen · hte h'mausgegangen wurde. 324 Fre ih eltsrec Mit einer solchen Grundrechtsordnung wurden mehrere Zwecke verfolgt. 32S Im konstitutionellen Sinne sollte die noch als Einheit gedachte Gesellschaft in den ihr gegenüberstehenden Staat integriert werden, indem ihr als Ganzes die fUr Bestand und Funktionieren unverzichtbaren Rechte garantiert würden. Darüber hinaus wurde dem einzelnen der fUr seine Entfaltung notwendige Schutz vor dem Staat wie zugleich seine Ansprüche diesem gegenüber verbrieft. Freilich wollte das Bürgertum nicht nur Sicherung vor staatlicher Willkür, sondern zugleich einen starken Staat als Schutzwall gegen die Anarchie. Daher war die teilweise Suspendierung der Grundrechte im Falle des Notstands vorgesehen. Vergleichbare BefUrchtungen bewogen die Mehrheit der Nationalversammlung, den Charakter der Grundrechte als staatlich gesetztes Recht zu betonen. Denn die enge Verbindung zwischen Menschenrechten und Revolution war inzwischen anrüchig geworden, und den Unterschichten sollte die Möglichkeit zur naturrechtlichen Begründung ihrer Ansprüche versperrt bleiben. Diese Konzeption setzten die Liberalen gegenüber dem Bemühen der Linken durch, umfassende Menschenrechte, die schon die sozialen "Volksrechte" mitumfaßten, in der Verfassung zu verankern. Denn schließlich sollten mit der ersten großen Arbeit der Nationalversammlung nicht nur die Grenzen staatlicher Gewalt aufgezeigt und die Freiheitsräume des einzelnen abgesteckt werden, son-
323 E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente I (FN 5), S. 317 ff.; E. R. Huber, Verfassungsgeschichte 11 (FN 241), S. 773 ff.; W. Siemann, Revolution (FN 279), S. 135 ff. 324 Dazu, auch teils zum Folgenden, bes. Ulrich Scheuner, Die rechtliche Tragweite der Grundrechte in der deutschen Verfassungsentwicklung des 19. Jahrhunderts, in: E. W. Böckenförde (Hrsg.), Verfassungsgeschichte (FN 129), S. 317-345 und Otto Dann, Die Proklamation von Grundrechten in den deutschen Revolutionen von 1848/49, in: G. Birtsch (Hrsg.), Grund- und Freiheitsrechte (FN 166), S. 515-532. 325 Zum Folgenden vgl. auch D. Grimm, Verfassungsgeschichte (FN 31), S. 194 ff.; E.-R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte 11 (FN 241), S. 776 ff.
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dem auch im doppelten Sinn des Wortes der Revolution ihr Ziel gesetzt werden. Die bürgerlichen Grundrechte freilich sollten nicht nur subjektive, einklagbare Rechte sein, sondern auch objektive Prinzipien. Da die filrstlichen Gewährungen im Vormärz häufig nicht mehr als deklamatorische Camouflage gewesen waren, wurden sie nun sowohl Reichs- wie Landesrecht bindende Normen, die auf gesetzlichem Weg nur sehr begrenzt einschränkbar waren. Mit diesem absoluten Geltungsanspruch wurde nicht nur eine einheitliche Rechtsordnung filr den Nationalstaat erstrebt, sondern in ihm steckte auch eine machtpolitische Herausforderung an die Fürsten. Dies wird nochmals unterstrichen durch die in einem Grundrechtskatalog ganz ungewöhnliche Vorschrift, das parlamentarische System auch in den Bundesstaaten einzufilhren. 326 So sollte ganz im bürgerlich-liberalen Sinne der staatliche und gesellschaftliche Umbruch, den man im Frühjahr revolutionär keinesfalls wollte, nun evolutionär mit Hilfe des Verfassungsrechts in die Wege geleitet werden. Jenseits der Grundrechtsdebatten war die treibende Kraft bei der Gestaltung einer neuen politischen Ordnung filr Deutschland der Gegensatz zwischen Volkssouveränität und Monarchischem Prinzip. Dabei ging es nicht um ein ausschließendes entweder oder, sondern allein um das Maß des Einflusses, das der einen oder anderen Ordnungsvorstellung einzuräumen war. Damit verbunden waren nicht nur unterschiedliche Gesellschaftsmodelle,327 sondern auch verschiedene Auffassungen vom Ziel der Revolution. Während die Anhänger des Monarchischen Prinzips dazu neigten, das bis zur Eröffnung der Nationalversammlung Erreichte in Verhandlungen mit den filrstlichen Gewalten zu sichern,328 wollten die Verfechter der Volkssouveränität auf dem eingeschlagenen Weg zumindest so weit weitergehen, bis die Revolution ihre Errungenschaften aus eigener Kraft behaupten konnte. Die revolutionäre Dynamik des Frühjahrs und Sommers 1848 hat die Nationalversammlung auf diesem Kurs gehalten. Denn mit Berufung auf die Volkssouveränität hat sie durch die Errichtung der "provisorischen Zentralgewalt,,329 326 Vgl. den Art. XII der Reichsverfassung: E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente I (FN 5), S. 395. 321 D. Langewiesche, Republik, Konstitutionelle Monarchie und "Soziale Frage": Grundprobleme der deutschen Revolution von 1848/49, in: HZ 230, 1980, S. 529 ff. 32B W. Boldt, Konstitutionelle Monarchie (FN 282), S. 597 f. 329 Vgl. dazu das Reichsgesetz über die Einfllhrung einer provisorischen Zentralgewalt fIlr Deutschland vom 28. Juni 1848: E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente I, S. 276 f. und die Auszüge aus der Debatte in Wilhelm Mommsen (Hrsg.): Die deutsche Einheitsbewegung: eine Auswahl zeitgenössischer Äußerungen. - Berlin o. J., S. 276 ff.
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für sich die exekutive Gewalt in Deutschland beansprucht und zugleich deutlich gemacht, daß sie sich nicht auf die Verfassungsgebung beschränken wolle. Mit der vollziehenden Gewalt im Bunde, einschließlich des Oberbefehls über das Militär und der Vertretung des Bundes nach außen, wurden dem Reichsverweser die klassischen Rechte des Staatsoberhaupts übertragen. Da sie bisher vom Bundestag ausgeübt worden waren, löste sich dieser kurz darauf auf. 330 Freilich war dieser revolutionäre Akt nur durch einen Komprorniß mit den Anhängern des Monarchischen Prinzips möglich. Denn einmal wurde durch die Wahl eines österreichischen Erzherzogs die Staatsformfrage in Richtung Monarchie präjudiziert, zum anderen wurde durch die Form des provisorischen Reichsministeriums der Weg zu einer Konventsdemokratie, wie sie die revolutionäre Linke in Ansätzen dann in der ausgehenden Revolution verwirklicht hat,331 zumindest erschwert, vor allem weil der Reichsverweser selbst der Ver' b 332 antwortung entzogen bl le. Schon die erste Reichsregierung mit einem Ministerpräsidenten und vier Ministern (Äußeres, Inneres, Krieg und Justizl 33 war nach den Regeln der parlamentarischen Demokratie gebildet worden. Es waren Verhandlungen mit den Fraktionen, die selbst einige Mitglieder in die Regierung entsandten, geführt worden. Danach suchte die Exekutive immer wieder die Unterstützung des Parlaments, das sich jetzt nicht mehr als reines Oppositionsorgan verstand. 334 Sicherlich war die Konzeption dieser Regierung noch stark am Konstitutionalismus orientiert, doch ob darin die entscheidende Schwächung der Revolution lag, da nun die Nationalversammlung nicht mehr selbst regierte, ist fraglich. 335 Denn es waren dieselben Kräfte, die diese Konstruktion gewollt hatten, die dann hätten regieren müssen. Die Bildung der vorläufige Zentralgewalt hat sich für die Nationalversammlung als ein durchaus zweischneidiges Unternehmen erwiesen. Einerseits wurde damit die Souveränität und der aktuelle politische Gestaltungswille des in Frankfurt versammelten Bürgertums, das zwischen Revolution und Vereinbarung lavierte, unter Beweis gestellt; diese Exekutive geriet aber schnell in ein 330 V gl. Beschluß über die Übertragung der Zuständigkeiten des Bundestages auf den Reichsverweser vom 12. Juli 1848: E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente I (FN 5), S. 341 f. 33I W. Boldt, Konstitutionelle Monarchie (FN 282), S. 609. 332 W.Boldt a. a. O. S. 126 ff.; M. Botzenhart, Parlamentarismusmodelle (FN 304), S. 126 ff.; E.-R. Huber, Verfassungsgeschichte II (FN 241), S. 625 ff. 333 Vgl. den Erlaß des Reichsverwesers an die deutschen Regierungen über die Übernahme der provisorischen Zentralgewalt vom 16. Juli 1848: E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente I (FN 5), S. 278. 334 D. Langewiesche, Anfange (FN 297), S. 336 ff. 335 So W. Boldt, Konstitutionelle Monarchie (FN 282), S. 609 f.
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schiefes Licht, da sie ihre doppelte Aufgabe, das Erreichte zu sichern und zugleich die Revolution einzudämmen, nur mit Hilfe der fürstlichen Gewalten nachkommen konnte. Sie mußte so auch Maßnahmen verantworten, die sich gegen die Basis der Nationalversammlung richteten, wodurch deren Rückhalt dort schwand. 336 Wenn die Entscheidung fiir die monarchische Spitze der Reichsexekutive auch nur vorläufig war, so gab es dazu für die Liberalen und auch einen beträchtlichen Teil der Demokraten und Linken keine Alternative. In den Vorstellungen des deutschen Bürgertums waren politische Stabilität und monarchische Regierung identisch. Jede republikanische Regierungsform wurde insbesondere nach den traumatischen Erfahrungen der Französischen Revolution, die durch die nachfolgenden Umsturzversuche wachgehalten wurden, mit der Herrschaft des Pöbels identifiziert oder als Durchgangstadium zur Diktatur beargwöhnt. 337 Seit dem Ausbruch der Revolution war es allgemeine Überzeugung, daß künftig in Deutschland keine Regierung mehr gebildet werden dürfe, die nicht dem Volkswillen entspreche; dennoch spaltete die Frage, wo im neuen Staat die politische Macht liegen sollte, die Volksversammlung am tiefsten. 338 Außer dem pragmatischen Verhältnis zwischen den Volkskammern und der Regierung, wie es sich in den Bundesstaaten mit Märzministerien inzwischen eingespielt hatte, gab es keine Vorbilder. Denn daß über die bisherige konstitutionelle Praxis hinausgegangen werden müsse, war unbestritten. Weder konnten der herkömmliche Antagonismus zwischen Kammern und Regierungen noch die Ausfüllung des durch das Monarchische Prinzip vorgegebenen Rahmens mit liberalem Geist Orientierungsmarken sein. Ausgangspunkt war daher die der Nationalversammlung gemeinsame Ansicht, daß die künftige Volksvertretung volle Unabhängigkeit und Autonomie erhalten sollte, wie dies insbesondere in einer uneingeschränkten Gesetzgebungsgewalt einschließlich der jährlichen Budgetbewilligung zum Ausdruck kam. Davon ausgehend, wurde bei der weiteren Ausgestaltung der Staatsorgane eine konstitutionell liberale Mehrheit ausschlaggebend. Sie war beherrscht vom Verständnis des Staates als dem Hort des Allgemeinwohls, dessen Organe nicht Beute egoistischer Gruppen werden dürften. Dazu kam die staatstheoretische Prämisse einer relativen sozialen Homogenität zwischen Parlament und Regierung als Voraussetzung von deren effektiven Wirken. Schließlich hat die Be336 Darauf weisen mit Recht W. Siemann, Revolution (FN 279), S. 133 ff. und F. Eyck, Freiheit (FN 307), S. 89 ff. hin. 331 D. Langewiesche, Liberalismus in Deutschland (FN 285); S. 45 ff. 338 Vgl. zum Folgenden das Standardwerk von M. Botzenhart, Parlamentarismus in der Revolutionszeit (FN 287); zusammenfanssend auch M. Botzenhart, Parlamentarismusmodelle (FN 304), S. 121 ff.; dazu noch W. Boldt, Anflinge (FN 281), S. 13 ff.
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drohung ihrer politischen Vormachtstellung von links und ihrer gesellschaftlichen von unten ihr geraten sein lassen, einer unbegrenzten Volksherrschaft vorzubeugen. Das Kunststück des Regierens nicht allein durch das Volk, aber auch nicht gegen das Volk ließ sich nach Ansicht der Konstitutionellen verwirklichen, wenn der bürgerliche Charakter einer starken Legislative durch ein gemäßigtes Zensuswahlrecht garantiert wurde und ihr ein unabhängiges Staatsoberhaupt mit einem schwer zu überwindenden suspensiven Veto bei der Gesetzgebung und einem absoluten bei Verfassungsänderungen gegenüberstand. Ein der Volksvertretung nur juristisch verantwortliches Ministerium und eine korporativ zusammengesetzte Erste Kammer sollten die weiteren Garanten gegen die Willkürherrschaft einer Parlamentsmajorität sein. Diesen Vorstellungen mochten sich die demokratische Mitte und Linke annähern, wenn die völlige politische und rechtliche Gleichheit der Staatsbürger, eine demokratische Militärverfassung und eine Stärkung der Legislative durch Beschränkung der VetoRechte der Exekutive garantiert war. Angesichts dieser Einigkeit hatten die Ansichten der Republikaner keine Chance. Sie setzten nicht nur uneingeschränkt auf die Volkssouveränität, sondern mit den einjährigen Wahlperioden, dem imperativen Mandat und den plebiszitären Verfassungsentscheidungen brachten sie bereits basisdemokratische Vorstellungen in die Debatte. 339 Die Form, in der dann die Macht im Reich endgültig aufgeteilt wurde, war weniger ein Komprorniß als die Durchsetzung liberaler Verfassungspolitik. Denn mit dem Abflauen des revolutionären Elans schwand der Rückhalt der Anhänger von Volkssouveränität und Parlamentarismus und angesichts der Sammlung der gegenrevolutionären Kräfte verschob sich die Perspektive dahin, so schnell wie möglich so viel wie möglich vom Verfassungswerk zu retten. 340 Das Monarchische Prinzip blieb zwar in seinem Kern nicht ungeschmälert erhalten, da Quellen der Reichsgewalt Volkssouveränität und monarchische Legitimität waren. Doch war dieser ein Vorrang eingeräumt worden, da alle Rechte und Befugnisse, die nicht ausdrücklich dem Reichstag vorbehalten worden waren, dem künftigen Inhaber der erblichen Kaiserwürde zustanden. 341 Schon dies weist darauf hin, daß man sich bei der Konzeption der Rechte und der Stellung des Reichsoberhaupts mehr als an allem anderen am konstitutio339 Vgl. M. Botzenhart, Parlamentarismus in der Revolutionszeit (FN 287), S. 641 ff.; E.-R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte 11 (FN 241), S. 619 ff.; H. Fenske, Verfassung (FN 318), S. 275 ff. 340 Vgl. zum Folgenden die Reichsverfassung vom 28. März 1849: E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente I (FN 5), S. 304 ff. und auch die Auszüge aus der Debatte bei W. Mommsen (Hrsg), Einheitsbewegung (FN 329), S. 387 ff. 341 Vgl. § 84; E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente I (FN 5), S. 312.
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nellen Monarchen orientiert hat. Insbesondere blieb ihm die Sanktionierung der vom Reichstag beschlossenen Gesetze, deren Verabschiedung er im Konfliktfall um zwei Legislaturperioden verzögern konnte. Der selbst unantastbare "Kaiser der Deutschen" hatte zur Ausübung der ihm übertragenen Gewalt Minister zu ernennen, die durch die Gegenzeichnung seiner Regierungshandlungen die "Verantwortung" übernahmen. Diese hätte in einem nicht mehr zustandegekommenen Gesetz näher defmiert werden sollen. Dem Volkshaus war lediglich bei der Festsetzung des Haushalts ein Vorrecht eingeräumt; bei der regulären Gesetzgebung - die ja immer noch unter dem Sanktionsvorbehalt des Staatsoberhaupts stand - war es auf die Mitwirkung des Staatenhauses angewiesen. Dieses war nicht mehr die von den Liberalen gewünschte korporative Versammlung, sondern eher ein föderaldemokratisches Organ. Denn dessen zu gleichen Teilen von den reformierten Landtagen und den Regierungen der Bundesstaaten gewählte Mitglieder waren nicht an Weisungen gebunden. Dem Staatenhaus war also im konstitutionellliberalen Sinne gleichwertig neben der Repräsentation der Bundesglieder die Funktion der Sicherung der Freiheit durch die Begrenzung der Volkssouveränität zugedacht worden. 342 So war selbst bei der Gesetzgebung der Vorrang der Volkssouveränität nur mit Mühe behauptet worden. Andererseits war durch das fUr diese konstitutionelle Konstruktion der Reichsgewalt der Linken zugestandene allgemeine und freie Wahlrecht fUr alle über 25 Jahre alten deutschen Männer, die über ein Mindestmaß an moralischer und materieller Reputation verfUgten, die Möglichkeit zu einer weiteren Demokratisierung gegeben. Mit diesem Komprorniß haben die Liberalen ein Essential ihres Politikverständnisses, die Beschränkung politischer Betätigung auf das Bürgertum, aufgegeben. Wenn mit diesem Opfer auch vornehmlich die kleindeutsch-erbkaiserliche Koalition geschmiedet werden sollte, so war es wohl ebenso Ausdruck der infolge der revolutionären Erfahrungen gewachsenen Selbstzweifel. Denn es war absehbar, daß mit einem solchen Wahlrecht sowohl die politische Vorreiterrolle des Liberalismus wie die gesellschaftspolitische Dominanz des Bürgertums auf Dauer nicht mehr aufrecht zu erhalten sein würde. 343
342 Vgl. auch noch D. Grimm, Verfassungsgeschichte (FN 31), S. 201 ff.; E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte Il (FN 241), S. 807 ff.; M. Botzenhart, Parlamentarismus in der Revolutionszeit (FN 287), S. 641 ff. 343 Vgl. Zur Wahlrechtsdebatte in der Nationalversammlung M. Botzenhart a. a. O. S. 663 ff.; vgl. auch Th. Schieder, Krise (FN 108), S. 61 ff.
XI. Das Problem des preußischen Konstitutionalismus Schicksal und Charakter der preußischen Verfassungspläne wurden dadurch bestimmt, daß sie sowohl in der ständisch regionalen Variante Steins als auch in der gesamtstaatlich-bürokratischen Hardenbergs in die Modernisierung von oben eingebunden waren und deren politischen Abschluß bilden sollten. Wie diese Vorhaben selbst so war auch die Verfassung ein allein von der Bürokratie ausgehendes Projekt, in dem diese sich vor das Dilemma gestellt sah, ihre reformerische Effektivität zu erhalten und sich zugleich selbst zu beschränken. Ihr Motiv war vorrangig, das absolute Regiment dadurch zu begrenzen, daß die Belange der Untertanen besser in die Regierungstätigkeit integriert würden. Zugleich sollte das Zusammenwachsen des nach dem Anfall der westlichen und der Rückgliederung der polnischen Gebiete noch heterogeneren Staatsgebiets gefördert werden. Hingegen vertraten nur wenige ansatzweise die Absicht, der mit der Reformgesetzgebung intendierten Marktgesellschaft freier Individuen eine angemessene politische Ordnung zu geben. 344 Staat und Monarchie sollten auf jeden Fall sich selbst bestimmende Größen bleiben. Diese erhofften sich von der Öffnung zum Volk hin eher ihre Festigung, als daß sie daran dachten, dieses an der politischen Macht zu beteiligen. Nicht Partizipation, sondern Repräsentation, insbesondere zur Optimierung der Gesetzgebung und größeren Akzeptanz ihrer Ergebnisse, war das eigentliche Ziel. Diese sollte die durch die Verwaltungsreform eingeleitete Einebnung der wichtigsten regionalen und ständischen Sonderungen vollenden und danach die so nochmals erheblich gesteigerte Staatsrnacht politisch absichern. 345 Alle Entwürfe einer Repräsentativ-Verfassung einschließlich der 1823 verwirklichten Provinzial-Landstände versuchten daher, durch Restriktionen beim aktiven wie passiven Wahlrecht, durch seltene vom König einzuberufende Tagungen und ganz enge Kompetenzen den schmalen Grat zu halten zwischen der als notwendig erkannten Öffnung zum Volke hin und dem Machterhalt von Krone
344 Vgl. Herbert Obenaus, Die Anfänge des Parlamentarismus in Preußen bis 1848. DüsseIdorf 1984, S. 55 ff. und R. Koselleck, Preußen (FN 28), S. 214 ff. 345 Vgl. dazu auch Barbara Vogel, Verwaltung und Verfassung als Gegenstand staatlicher Reformstrategie, in: B. Sösemann (Hrsg.), Gemeingeist, S. 33 ff.
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und Bürokratie. 346 Süddeutsche konstitutionelle Verhältnisse wollte man auf jeden Fall vermeiden. Daß sie sich mit Hilfe der Repräsentativ-Versammlungen gar nicht erst einstellten, daftir sorgten das Übergewicht anti-konstitutioneller Kräfte und der Ausschluß der entschiedensten Konstitutionellen, des akademischen Bürgertums nämlich, durch die Bindung des Mandats, auch in den Städten, an Grundbesitz oder Gewerbe. Den Entwicklungsstand des preußischen Bürgertums kennzeichnet nichts besser als die Gleichgültigkeit, mit der es diese Provokation hingenommen hat. Dieses Konzept der durch und filr den Staat betriebenen Nationsbildung, mit der ständischen Repräsentation als Eckstein, war zu keinem Zeitpunkt durch eine Alternative, die auf Partizipation des Bürgertums hinauslief, herausgefordert worden. 347 Die einzige Opposition, die sich dagegen regte und die schließlich nur noch einen kümmerlichen Rest von ihm übrigließ, war die der Junker!348 Preußen ist ein Beispiel dafilr, daß die Bürger zu Beginn der zwanziger Jahre noch zu schwach waren, sich durchzusetzen, wenn ihnen die traditionellen Kräfte entschieden Grenzen zogen. Im Vergleich mit Süddeutschland wird um so deutlicher, welche Bedeutung es filr die frühe Entfaltung bürgerlicher Politik hatte, daß die Machtbasis von dessen Gegnern geschwächt und deren Institutionen weitgehend um eines starken Fürstenstaats willen beseitigt worden waren. Nur so konnten die Landtage die Foren der vom Bürgertum nun selbst vorangetriebenen Emanzipation werden. Mit der Bindung der Standschaft an den Grundbesitz wurde in den Provinzial-Landtagen die Vorherrschaft der Rittergutsbesitzer festgeschrieben und ein altständisches Element übernommen. 349 Dennoch sollten die alten Stände und insbesondere die adligen Korporationen, weil sie Krone und Bürokratie beträchtliche Schwierigkeiten gemacht hatten, keinesfalls wiederbegründet werden. Das unterstrich nochmals die Offenheit zwischen den politischen Ständen, das freie Mandat und die quasi-parlamentarischen Verfahren. Trotzdem können die Provinzial-Landtage nicht als ein Ergebnis der Verfassungsbewegung angesehen werden. Dagegen spricht nicht nur ihre Konstruktion, sondern noch mehr 346 Ausführlich, wenn auch mit anderer Wertung der Vorgänge Heinrich von Treitschke, Der erste Verfassungskampf in Preußen (1815-1823), in: Preußische Jahrbücher 29, 1872, S. 313 ff. 347 Friedrich Meinecke, Das Zeitalter der deutschen Erhebung (1795 - 1815). - 7. Aufl. - Göttingen 1963 schreibt S. 99: "Auch dann noch könnte der kühle Realist das Unternehmen belächeln, ein Volk zu politischer Freiheit zu erziehen, das noch keine politische Erfahrung und, abgesehen von seiner adligen Oberschicht, noch nicht einmal einen ausgesprochnen starken Willen zu politischem Leben gezeigt hatte". 348 B.Vogel, a. a. O. S. 36 ff. und J. J. Sheehan, Ausklang (FN 38), S. 387 f. 349 Zu dieser Entwicklung vgl. H. Obenaus, Anfänge (FN 344), S. 338 ff.
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die mit ihnen verfolgte politische Intention, die der Hardenbergs geradezu entgegen war350 • Zusammen mit der Kreisordnung sollten die Provinzial-Landtage nämlich nicht der politische Abschluß der Reformen, sondern der Damm gegen deren Konsequenzen sein. Preußen wollte die freie Wirtschaft ohne den mitbestimmenden Staatsbürger. 3S1 Mit seinen Vorstellungen von Repräsentation fiel es Preußen auch nicht besonders schwer, auf die Metternich-Gentzsche Interpretation von Artikel 13 der Bundesakte einzuschwenken. Der einzige Dissens bestand in der Frage, ob die preußische Monarchie Provinzial- oder Reichsstände, die Staatskanzler Hardenberg aus Gründen der Staatsräson bevorzugte, erhalten sollte. 352 Die landläufige Erklärung, daß die Repräsentativ-Verfassung in Preußen dem Komplott von Hof, Kamarilla und aItständischer Opposition zum Opfer gefallen sei, greift zu kurz; auch die neuere Deutung, daß die Partizipation nicht vor vollendeter Staatsbildung hätte eingeräumt werden dürfen, überzeugt kaum. 3S3 Gravierend wurde, daß das Reformwerk, auf dem die Verfassung aufruhen sollte, bruchstückhaft blieb. Sein Fortgang wurde durch kriegerische Aktionen mehrmals gehemmt und mitten im Umbruch waren völlig andersartige GebietsteiIe zu integrieren, die fast so groß waren wie der bisherige Staat. Vor diesem Hintergrund und gestützt auf gleichlaufende Intentionen des Deutschen Bundes wie der europäischen Dynastien gedieh der Widerstand derer, die Schutzräume, Privilegien und Macht zu verlieren hatten. Es war kein Zufall, daß der Ausbau der zentralistischen und bürokratischen Staatsmacht am preußischen Landadel seine Grenze fand, der auch die Repräsentation verhinderte, die diesen vollenden sollte. Hardenberg hat seit 1811 versucht, durch eine Notabelnversammlung und interimistische Nationalrepräsentationen den Widerstand in Schach zu halten. 354 Doch machte deren Scheitern nur deutlich, daß das Reformwerk weder die sozialen Voraussetzungen noch das politische Bewußtsein geschaffen hatte, das sein Verfassungsvorhaben als Absicherung nach unten benötigt hätte. Der 350 Vgl. dazu Hardenbergs "Ideen" zu einer landständischen Verfassung in Preußen vom 12. Oktober 1815: H. von Treitschke, Verfassungskampf (FN 346), S. 425 ff. und auch S. 450 ff.; vgl. auch Peter G. Thielen, Karl August von Hardenberg 1750 - 1822: eine Biographie. - Köln, BerIin 1967, S. 324 ff. 351 Vgl. dazu auch noch die Rechtfertigung des preußischen Wegs durch O. Hintze, Monarchisches Prinzip (FN 130), S. 359 ff. 352 Vgl. Paul Haake, Der preußische Verfassungskampf vor hundert Jahren. - München und Berlin 1921, S. 89 ff. 353 So Paul Nolte, Staatsbildung als Gesellschaftsreform (FNI12), S. 93 ff. 354 Vgl. Vgl. E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte I (FN 29), S. 290 ff.
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taktische Ausweg des Staatskanzlers, durch ein dreimaliges Verfassungsversprechen des Königs die Lage bis zu einem günstigeren Zeitpunkt offen zu halten,3SS endete in einem Desaster. Denn bei Friedrich Wilhelm III. hat sich spätestens seit den turbulenten Jahren in Deutschland am Ende des 2. Jahrzehnts die Skepsis, daß durch Heranziehung von Repräsentanten die Monarchie stabilisiert werden könne, zur Gewißheit gewandelt, daß dies nicht der Fall sei. 356 Nach dem Sieg über Frankreich und dem Abschluß der erfolgreichen Friedensverhandlungen klangen die Insinuationen Metternichs und der konservativen Fronde am Hof, daß eine allgemeine "Vertretung des Volkes" mit der preußischen Staatsräson unvereinbar sei und in einer Revolution enden würde, immer überzeugender. 357 Komplementär dazu verlor die alle Reformen begleitende Ansicht an Überzeugungskraft, daß die Neufundierung der Staatsgewalt in der Repräsentation der Staatsbürger ihren Abschluß fmden müsse. So kam nicht nur die Verfassung, die Preußen zu einer Nation hätte fortbilden sollen, nicht zustande, sondern darüber hinaus hatte die Krone, der Eckstein des Staates, an Vertrauen verloren. Von nun an stand die Politik in Preußen unter der Ungewißheit und dem Vorbehalt der Einlösung des Versprechens einer Verfassung, die die einen erhofften und die anderen filrchteten. Diese ungeklärte Lage war der Nährboden filr Unruhen und lokale Aufstände, bei deren Bekämpfung es sich als Polizeistaat und Hort der Reaktion im Bund profilierte. 358 Mit dem erneuten Aufbruch des Bürgertums in Deutschland und Europa wurde es dann noch offensichtlicher, daß das Verfassungsproblem nicht gelöst, sondern nur verdrängt worden war. Seitdem experimentierte es nämlich mit verschiedenen Entwürfen eines Vereinigten Ausschusses der Provinzial-Landtage und sogar mit der Versammlung aller Provinzialstände, um die nach wie vor bestehenden Verwerfungen zwischen der teilmodernisierten Gesellschaft und dem unfertigten Staat zu beheben. Dabei war es das Ziel, den uneingeschränkten Vorrang des Monarchischen Prinzips durch Minimalkonzessionen gegenüber dem Anspruch auf Volksrepräsentation zu verteidigen und zugleich die Finanzierung des preußischen Eisenbahnbaus zu sichern. Der seit 1840 regierende Friedrich Wilhelm IV. filhrte so die Verfassungspolitik seines Vaters fort, die er allerdings ideo355 Vgl. das Finanzedikt, 27.10.1810; die Verordnung über die zu bildende Repräsentation des Volkes, 22.5.1815; Verordnung wegen künftiger Behandlung des gesamten Staatsschuldenwesens, 17.1.1820: E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente I (FN 5), S. 72. 356 Dazu jetzt auch Thomas Stamm-Kuhlmann, König in Preußens großer Zeit: Friedrich Wilhelm III. der Melancholiker auf dem Thron. - Berlin 1992, S. 416 ff. 357 Vgl. 1. 1. Sheehan, Ausklang (FN 38), S. 386 ff. 358 Vgl. Ilja Mieck, Preußen von 1807 bis 1850: Reformen, Restauration und Revolution, in: Otto Büsch (Hrsg.), Handbuch der Preußischen Geschichte. - Bd. 2: Das 19. Jahrhundert und große Themen der Geschichte Preußens. - Bem 1992, S. 179 ff.
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logisch überhöhte, indem er sein Königtum ausschließlich auf ein romantischreaktionär verstandenes Gottesgnadentum zu gründen gedachte. 3S9 Dieses Konzept scheiterte schon bei der Umsetzung des ersten Schritts. Als Folge der seit den vierziger Jahren auch in Preußen zu zunehmenden Politisierung hat die erste Versammlung der Provinzialstände im April 1847 die Chance genutzt, um mit Hilfe des klassischen ständischen Machtmittels, der Steuer- und Schuldenbewilligung, sich zu einem gesamtpreußischen Parlament fortzubilden und gestützt auf das Versprechen im Staatsschuldengesetz von 1820 - die Verfassungsfrage erneut aufzuwerfen. 360 Daß damit der Weg zum Konstitutionalismus tatsächlich eingeschlagen wurde, ging dann weniger auf die Aktivitäten der Stände zurück als auf die Überzeugung einer halbherzigen Regierung und eines wankelmütigen Königs, daß die preußische Monarchie überhaupt nur noch dadurch zu retten sei, seit das Land überraschend schnell und heftig im Februar und März 1848 den Anschluß an die europäische Revolutionsentwicklung gefunden hatte. Noch ehe die frei und gleich, doch indirekt gewählte preußische Nationalversammlung am 22. Mai des Jahres zusammentrat, zeichnete sich die folgenreiche antirevolutionäre Interessengemeinschaft zwischen Königtum und Bürgertum ab, als der Zweite Vereinigte Landtag das Inkraftreten der zu entwerfenden Verfassung von der Vereinbarung zwischen König und Volksvertretung abhängig machte. Friedrich Wilhelm war so schon vor Beginn der Beratungen in Preußen in die Rolle des summus arbiter gelangt, in die ihn das Frankfurter Parlament erst nach dem Abschluß seines Werkes brachte361 • Da die Stützen des alten Preußen von der Wucht der revolutionären Ereignisse überrollt wurden und auch an dem nach der Demütigung durch seine "lieben Berliner" in depressive Resignation verfallenen König keinen Rückhalt mehr fanden, haben zunächst die bürgerlichen Kräfte in der neuen Regierung und der Nationalversammlung das Ringen um die preußische Verfassung geprägt. Das Märzministerium der Rheinländer Camphausen und Hansemann strebte rur den preußischen Staat eine klassische liberale Konstitution an. Die grundrechtlich eingehegte bürgerliche Gesellschaft stand dem Staat, der vor allem durch den mit allen klassischen Reservatrechten ausgestatteten König re359 Vgl. dazu auch Frank-Lothar Kroll, Politische Romantik und romantische Politik bei Friedrich Wilhelm IV, in: Otto Büsch (Hrsg.), Friedrich Wilhelm IV. in seiner Zeit: Beiträge eines Colloquiums. - Berlin 1987. - (EinzelveröffentIichungen der Historischen Kommission zu Berlin; 62), S. 94 ff. 360 Walter Bußmann, Zwischen Preußen und Deutschland: Friedrich Wilhelm IV.; eine Biographie. - Berlin 1990, S. 210 ff. 361 Vgl. H. Obenaus, Anfänge (FN 344), S. 617 ff., 649 ff. und Vgl. E. R. Huber, Verfassungsgeschichte 11 (FN 241), S. 484 ff., 582 ff.
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präsentiert wurde, gegenüber. Die Vermittlung beider Sphären sollte sich in einer gleichberechtigten Gesetzgebung vollziehen; Art und Umfang der Verantwortlichkeit der Exekutive blieb in der Schwebe und damit die filr den Charakter des Staatsgrundgesetzes entscheidende Frage zwischen Monarchischen Prinzip und Volkssouveränität. 362 Die Nationalversammlung, die von Anfang an unter dem Druck der politisierten Massen der Hauptstadt gestanden hatte und in der die bürgerlichen Liberalen schwächer als in Frankfurt vertreten waren, ist dieser Entscheidung nicht ausgewichen. Sie hat sofort die Sicherung und Anerkennung der Revolution angestrebt und keinen Zweifel daran gelassen, daß sie ein autonomes und kein abgeleitetes Mandat zur Verfassungsschöpfung habe. Die praktische Konsequenz aus diesem Grundsatz wurde dadurch gezogen, daß Heer und Verwaltung an den Konstitutionalismus gebunden und der König zum Verfassungsorgan degradiert werden sollte. 363 Diesen Kurs war das liberale Bürgertum nicht mehr mitzutragen bereit, und noch weniger stand das preußische Land hinter ihm. Der Dissens unter den Revolutionären und das Schwinden des öffentlichen Rückhalts der Nationalversammlung ermutigte Militärpartei, Hof und Kamarilla zusammen mit einem von der Aussicht auf ein Regieren ohne Verfassung stimulierten König bis zum September 1848 ein Programm zur Gegenoffensive zu entwerfen. 364 Seine Verwirklichung gelang dem Kabinett Brandenburg, das dem König von der Kamarilla Anfang November präsentiert worden war, vor allem durch die geschickte Ausnutzung der Fehler der Gegner. Zunächst hielt es in dem Maße gegen, wie deren Radikalisierung das öffentliche Ansehen der preußischen Nationalversammlung untergrub. Die Interventionen der Frankfurter Versammlung365 wurden als Versuche, die preußische Staatlichkeit auszuhöhlen und das
362 Vgl. v. a. Friedrich Frahm, Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte der preußischen Verfassung (vom März 1848 bis zum Januar 1850), in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 41, 1928, S. 255 ff. Der erste Entwurf des Staatsministeriums vom 15. Mai 1848 mit den Anmerkungen des Königs ist gedruckt bei: Gerhard Anschütz (Hrsg.), Die Verfassungs-Urkunde rur den Preußischen Staat vom 31. Januar 1850: ein Kommentar rur Wissenschaft und Praxis. 1. Band. - Berlin 1912, S. 596 ff., die Regierungsvorlage vom 20. Mai, S. 608 ff. 363 Vgl. E. R. Huber, Verfassungsgeschichte 11 (FN 241), S. 724 ff.; dazu I. Mieck, Preußen von 1807 - 1850 (FN 358), S. 248 ff.; F. Frahm a. a. O. S. 260 ff.; vgl. auch den Kommissionsentwurf der Nationalversammlung bei G. Anschütz (Hrsg.) a. a. O. S. 614 ff. 364 Günter Richter, Friedrich Wilhelm IV. und die Revolution von 1848, in: Otto Büsch (Hrsg.), Friedrich Wilhelm IV., S. 109 ff.; Günther GTÜnthal, Bemerkungen zur Kamarilla Friedrich Wilhelms IV. im nachmärzlichen Preußen, a. a. O. S. 39 ff. 365 Zu dem Verhältnis der beiden Parlamente vgl. Manfred Botzenhart, Preußischer Parlamentarismus und deutsche Nationalversammlung im Jahre 1848, in: Gerhard A.
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Land dem Liberalismus zu unterwerfen, dargestellt. Dem infolgedessen sich noch stärker zusammenschließenden antirevolutionären Lager näherte sich auch das preußische Bürgertum. Denn dessen während der Wiener Oktoberkämpfe aufkommende Furcht vor der Anarchie hatte sich verstärkt und konkretisiert durch den Beschluß des linken Flügels der Berliner Versammlung, die Verhängung des Belagerungszustands und die Verlegung des Parlaments mit einem Aufruf zur Steuerverweigerung zu beantworten. Nun war das Risiko nicht mehr allzu groß, auch den Staatsstreich zu wagen, indem die Nationalversammlung aufgelöst und eine Verfassung oktroyiert wurde. 366 Der Verfassungsoktroy vom 5. Dezember 1848 war noch nicht das Ziel, sondern nur taktische Station auf dem Weg zu einer gefestigten Monarchie als Grundlage eines erneuerten Preußen, das die nationale Frage in seinem Sinne zu lösen gedachte. Darüber hinaus war er ein Schritt zu auf die Einlösung des Märzversprechens einer zwischen König und Volk zu vereinbarenden Konstitution. Denn von deren Unvermeidlichkeit war zwar nicht Friedrich Wilhelm wohl aber das Ministerium und die Kamarilla jetzt überzeugt. Sie erschien ihnen als Mittel, um die seit über 30 Jahren schwelende Staatskrise als Folge uneingelöster königlicher Verfassungsversprechen zu beenden und die Monarchie vor unberechenbaren Monarchen wie Friedrich Wilhelm zu schützen. Der liberale Charakter und die vorgesehene Revision unterstrichen aber, daß die oktroyierte Verfassung aktuell die Beziehungen zur Frankfurter Nationalversammlung nicht belasten, filr die Zukunft Preußens deutsche Option offen und das liberale Bürgertum von den Radikalen fernhalten sollte. 367 Die zugleich restaurierte monarchische Gewalt sollte garantieren, daß die Entwicklung der Krone nicht ein weiteres Mal entglitt, und sie war ein nicht zu übersehendes Zeichen dafilr, zu welchen Bedingungen man die Revision zu vollziehen gedachte. Als die im Februar 1849 erneut zusammengetretene Zweite Kammer diese nicht akzeptieren wollte, wurde sie Ende April aufgelöst, als nach der Ablehnung der Kaiserkrone und dem Zerfall des Frankfurter Parlaments in dieser Richtung keine Rücksichten mehr nötig waren. Mit einem
Ritter (Hrsg.), Regierung, Bürokratie und Parlament in Preußen und Deutschland von 1848 bis zur Gegenwart. - Düsseldorf 1983, S. 14 ff. 366 E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente I (FN 5), S. 385 ff.; G. Anschütz (Hrsg.) a. a. O. S. 623 ff. 367 F. Frahm a. a. O. S. 279 ff., auf ihm aufbauend und weiterführend Günther GrUnthal, Zwischen König, Kabinett und Kamarilla: der Verfassungsoktroi in Preußen vom 5.12.1848, in: Jahrbuch fUr die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 32, 1983, S. 119 ff.; Friedrich Meinecke, Weltbürgertum und Nationalstaat / hrsg. von Hans Herzfeld. - Darmstadt 1969. - (Friedrich Meinecke Werke; 5), S. 349 ff. S'
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nun auch die Liberalen nicht mehr schreckenden Dreiklassenwahlreche 68 wurde eine der Revision geneigtere Zweite Kammer herbeigezwungen, mit der bis zum 31. Januar 1850 die "Verfassungsurkunde fUr den Preußischen Staat" vereinbart werden konnte/ 69 die bis zum Ende der Monarchie Grundlage des preußischen Konstitutionalismus bleiben sollte. Das liberale Bürgertum hatte die Verfassungsrevision nutzen wollen, um Preußen einer parlamentarischen Monarchie bürgerlicher Prägung näher zu bringen. Erreicht worden war das Gegenteil; die oktroyierte Verfassung war diesem Ideal näher gewesen als die revidierte. Denn es waren alle Möglichkeiten ergriffen worden, um die Partizipation und politische Mitgestaltung des Bürgertums zu beschneiden - und dies insbesondere bei den liberalen Essentialia wie der Festsetzung von Ein- und Ausgaben des Staates, der Entfeudalisierung der Ersten Kammer und der Eindämmung des extensiven königlichen Verordnungsrechts. 370 Dem Liberalismus war eine Lektion erteilt worden, die zu begreifen ihm nach den Erfahrungen in der Revolution noch schwerer fiel: der Kampf um staatliche Macht war ohne Rückhalt im Volk nicht erfolgreich zu fUhren. Als Gewinn bürgerlicher Verfassungspolitik waren allein die schon in der Nationalversammlung konzipierten Grund- und Freiheitsrechte zu buchen, die als Kompromißangebot in der Verfassung von 1850 blieben. Wenn die politischen Rechte auch nochmals eingeschränkt worden waren und wenn später Rechtsprechung und Jurisprudenz den Grundrechten jeglichen Vorrang bestritten und sie lediglich wie objektive Normen ohne naturrechtlichen Gehalt behandelten, so haben sie dennoch fUr die gesellschaftliche Emanzipation von Bürgertum und Massen eine nicht unerhebliche Bedeutung erlangt. Wohl nicht zuletzt deswegen, weil sie sich besser in die Staatstradition Preußens einfUgten, das immer mehr Rechtsstaat als Verfassungsstaat war und bleiben sollte. 371
368 Vgl. die Verordnung betreffend die Ausführung der Wahl der Abgeordneten der Zweiten Kammer, 30.5.1849: E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente I (FN 5), S. 398 ff. 369 Am 6. Februar 1850 vom König beschworen; Text: E. R. Huber (Hrsg.) a. a. O. S. 401 ff. und G. Anschütz (Hrsg.) a. a. O. S. 633 ff. 370 Dazu vor allem Günther Grünthai, Parlamentarismus in Preußen 1848/49 1857/58: Preußischer Konstitutionalismus - Parlament und Regierung in der Reaktionsära. - Düsseldorf 1982, S. 126 ff. und M. Botzenhart, Parlamentarismus in der Revolutionszeit (FN 287), S. 749 ff. 371 U. Scheuner, Rechtliche Tragweite (FN 324), S. 331 ff.; Otto Dann, Die Proklamation von Grundrechten in den deutschen Revolutionen von 1848/49, in: G. Birtsch (Hrsg.), Grund- und Freiheitsrechte, S. 520 ff.
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Der preußische Konstitutionalismus war das Ergebnis eines vierzigjährigen Finassierens und Taktierens mit dem Ziel, die Macht des Monarchen im Staate zu erhalten. Der Krone und den sie stützenden Kräften, die in diesem Ringen ausschlaggebend waren, ging es nie um die Verfassung selbst, sondern sie war ihnen immer nur taktisches Mittel zu anderen Zwecken. Der wichtigste war der, die bürgerliche Bewegung zu spalten, um dessen liberalen Teil zu minimalsten Konzessionen an die Monarchie zu binden und damit zugleich Preußens deutsche Option offenzuhalten. Schließlich war es nicht ohne Ironie, daß in dem Land, das rur die Verfassungsentwicklung des deutschen Nationalstaats entscheidend werden sollte, der Konstitutionalismus zum Durchbruch kam, nicht nur um die Monarchie vor der Volkssouveränität, sondern auch um sie vor königlicher Willkür zu schützen. Der Verlauf der Verfassungsgebung in Preußen macht auch die Grenzen der bürgerlichen Bewegung in Deutschland nochmals deutlich. Die Chance, die darin gelegen hatte, daß seine stärksten Gegner, die preußische Monarchie und das Metternichsche System, gelähmt waren und zugleich im Bund wie im größten Bundesstaat die Konstitutionalisierung anstand, ist kaum erkannt, geschweige denn offensiv ergriffen worden. Die beiden Nationalversammlungen konkurrierten mehr miteinander als daß sie kooperierten; die Gruppen und Vereine außerhalb der beiden Parlamente haben sich so gut wie gar nicht aufeinander zubewegt. Das verstärkt nochmals den Eindruck, daß die Gegner die Dimension, in der sich die Machtfrage stellte, weitaus deutlicher sahen. Daß genau dies das eigentliche Problem war und nicht wie häufig behauptet wird, die gleichzeitige Verwirklichung von Freiheit und Einheit belegt die Entwicklung in Preußen ebenfalls. Denn hier stellte sich die Frage der "Einheit" ja nicht, sondern hier ging es um die Umwandlung eines bereits bestehenden Staates in einen parlamentarisch-konstitutionellen. Daß dies nicht gelang, lag, wie auch im Reich, an der Spaltung der Träger der Revolution, deren ungeklärtem Verhältnis zu den außerparlamentarischen Kräften und daran, daß keine ernsthaften Versuche unternommen wurden, die Massen, sowohl die revolutionären in der Hauptstadt als auch die abwartenden auf dem Land und in den Kleinstädten, rur die Sache des Bürgertums zu gewinnen.
XII. Würdigung der Nationalversammlung und des Liberalismus Die Wahl des preußischen Königs zum Kaiser der Deutschen und die Verabschiedung der Reichsverfassung Ende März 1849 waren noch einmal Manifestationen der revolutionären Volkssouveränität gewesen. Dies war dadurch unterstrichen worden, daß die Regierungen der deutschen Staaten aufgefordert worden waren, der Verfassung zuzustimmen und Friedrich Wilhelm nur die Entscheidung zwischen Annahme oder Ablehnung der Kaiserkrone blieb; irgendwelche Verhandlungen über die Würde, deren Wesen durch dieses Vorgehen zum Ausdruck kommen sollte, wurden ausgeschlossen. Dennoch trieb gerade mit diesen Akten die liberale Verfassungspolitik ihrem Höhepunkt und Scheitern entgegen. Denn von deren Prämissen her war es nur konsequent, jetzt nicht die Anerkennung der Verfassung durch die Bildung erster Reichsorgane in der Offensive zu suchen,372 sondern vielmehr den preußischen König in eine Position zu bringen, von der aus er das gesamte Werk mit einem Wort zu Fall bringen konnte. Denn fUr das liberale Bügertum war nach den Erfahrungen mit den revoltutionären Volksbewegungen und nach der Verabschiedung des allgemeinen Wahlrechts 373 eine starke Monarchie der Eckstein der Verfassung des Reichs wie Preußens - und dies nicht aus legitimistischen Erwägungen, sondern aus machtpolitischem Kalkül. Mit der Ablehnung der angetragenen Kaiserkrone und der gleichzeitigen Verwerfung der Verfassung durch den preußischen König am 28. April 1849 war diese Politik gescheitert; das Konzept der Begründung eines deutschen Nationalstaates auf parlamentarischem Weg mit fUrstlicher Zustimmung war nicht aufgegangen. Und bei näherem Hinsehen wachsen die Zweifel, ob es überhaupt realisierbar war. Denn mußte es nicht schließlich in die Aporie fUhren, einem bedingungslosen Anhänger des Gottesgnadentums zum Oberhaupt eines durch eine Revolution geschaffenen Staates zu bestellen?374 Friedrich E. R. Huber, Verfassungsgeschichte I (FN 29), S. 842 ff. Walter Bußmann, Zur Geschichte des deutschen Liberalismus im 19. Jahrhundert, in: Helmut Böhme (Hrsg.), Probleme der Reichsgründungszeit 1848 - 1879. - Köln 1968, S. 89 f. 374 Im Juli 1848 hatte die Nationalversammlung dies selbst noch als einen Witz empfunden. Vgl. W. Siemann, Revolution (FN 279), S. 132. 372 373
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Wilhelm spürte sehr wohl, daß das Gottesgnadentum als das Prinzip, das eine menschlicher Vernunft und Entscheidung entzogene Herrschaft begründete, durch die Konstituierung der Herrschaft durch das Volk seine Substanz verlor. Wenn die Kaisermacht schon wiederbelebt werden mußte - so die in den entscheidenden Tagen angestellten, doch nicht ernsthaft verfolgten Kompromißüberlegungen - dann durch einen Akt derer, die ihre Herrschaft wie er legitimierten: durch die deutschen Fürsten. 37S Das Scheitern offenbart aber auch, daß die Machtfrage in der Verfassung von 1849 nicht überzeugend gelöst war. 376 Schon bei der Begründung einer erblichen Kaiserwürde im Mannesstamm war prinzipiell Unvereinbares im Kompromiß zusammengeschweißt worden: ein Kaiser von Volkes Gnaden, dem mit der Erblichkeit ein Charakteristikum des Gottesgnadentums verblieben war. Die entscheidendere Frage aber war, ob die Organe, die sich aus dem filrstlichen Herrschaftsrecht legitimierten, mit denen, die in der Volkssouveränität wurzelten, so gleichwertig ohne Substanzverlust wie in der Verfassung vorgesehen, hätten kooperieren können. Zum al dieser Gegensatz zweier Staatsgewalt begründender Prinzipien nicht nur das Verhältnis von Parlament und Regierung bestimmte, sondern auch das von Bund und Bundesstaaten. Die Erfahrungen, die das 19. Jahrhundert machte, sprechen eher dagegen. Wollte der Monarch sich nicht in die Rolle des französischen Julikönigs oder des "pouvoir neutre" der belgisehen Verfassung abdrängen lassen, blieb ihm entweder die Option der konfliktreichen Durchsetzung der monarchischen Prärogative oder eines bonapartistischen Volkskaisertums. Wollte sich das Parlament nicht mit der Rolle der vormärzlichen Kammer begnügen, blieb ihm nur der Weg zur parlamentarischen Demokratie oder der Konventsherrschaft. Keiner dieser Fälle war verfassungskonform. Die Form und die Begründung, in der das Angebot der Volksversammlung durch den preußischen König zurückgewiesen wurde, stUtzen diese Skepsis. Denn er verwarf ja zugleich die gesamte Verfassung und bestritt der Nationalversammlung das Recht, das Reich zu konstituieren und eine Kaiserkrone zu vergeben. 377 Damit war die Volkssouveränität grundsätzlich als Quelle der Staatsgewalt und Legitimation der politischen Mitgestaltung in Frage gestellt. 375 Vgl. die QueBenauszüge um Angebot und Ablehnung der Kaiserkrone in E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente I (FN 5), S. 327 ff.; E. R. Huber, Verfassungsgeschichte 11 (FN 241), S. 807 ff. 376 Die folgenden Überlegungen müssen M. Botzenhart, ParlamentarismusmodeBe (FN 304), S. 142 f. und aB denen entgegengehalten werden, die die Paulskirchenverfassung als gelungenen Kompromiß ansehen, aus dem sich eine deutsche Variante des parlamentarischen Systems hätte entwickeln können. 377 Dazu E. R. Huber, Verfassungsgeschichte 11 (FN 241), S. 846 ff.
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Politisch war die Versöhnung von Bürgertum und Fürsten, verfassungsrechtlich die von Volkssouveränität und Monarchischem Prinzip gescheitert. Es sollte sich noch zeigen, daß, wenn sie überhaupt möglich wäre, sie nicht zu den Bedingungen des Bürgertums, sondern denen der Fürsten vollzogen würde. Weil die staatliche Macht der konstitutionellen Mehrheit das Risiko eines Bündnisses mit den bürgerlichen Radikalen und den unterbürgerlichen Schichten nicht Wert war, sind Alternativen, die jenseits des Zusammenzwingens von Volkssouveränität und Monarchischen Prinzip lagen, wie eine demokratische Reichsverfassung oder sogar die Parlamentarisierung, gar nicht erst in Erwägung gezogen worden. 378 In vergleichender historischer Perspektive drängt sich die Vermutung auf, daß die Ursache dafür vornehmlich in der Tatsache zu suchen ist, daß sich dem liberalen Bürgertum in Deutschland die Chance zu Demokratisierung und Parlamentarisierung nicht zu einem Zeitpunkt bot, als es noch im Namen der ganzen Nation sprechen konnte, sondern erst, als die ausschlaggebende Schicht dadurch ihr Interesse mehr gefährdet als gefördert sah. Die Exklusivität der politischen Repräsentation, die dafür als Voraussetzung angesehen wurde, war nicht mehr gegeben. So war die organische Entwicklung der Herausbildung des parlamentarischen Systems im Interesse einer bürgerlichen Führungsschicht und danach dessen allmähliche Demokratisierung im Gefolge der Industrialisierung und durch die schrittweise Ausweitung der politischen Partizipation blockiert. Statt dessen öffnete sich der deutsche Liberalismus machtpolitisch zum Konservativismus und legte sich verfassungspolitisch endgültig auf die Monarchie fest. Die Verbürgerlichung der staatlichen Macht, wie sie mit der Reichsverfassung vom 28. März 1849 zum ersten Mal in Deutschland versucht wurde, ist aber nicht nur an deren inneren Widersprüchen gescheitert. Ursache dafür waren auch zwei illusionäre Grundannahmen. Das Bürgertum, das in der Revolution führend blieb, hat sich bis in die Linke hinein als nicht-revolutionär verstanden. Es war daher der Eckstein seiner Taktik, die Umsturzbewegung durch die Einberufung der Nationalversammlungen zu verrechtlichen und sie so zugleich in den Griff zu bekommen. Deswegen ist ihm wohl nicht in vollem Umfang bewußt geblieben, daß die Versammlungen von Frankfurt, Berlin und Wien revolutionären Ursprungs waren und deren Vorhaben revolutionäre Taten. Das gilt insbesondere für das Frankfurter Parlament, das ja ein politisches System, den Deutschen Bund, durch ein anderes, den bürgerlichen Nationalstaat, ersetzen wollte. Dabei wollte das deutsche Bürgertum den es so kenn378 So auch D. Langewiesche, Republik (FN 327), S. 541 ff.; K.-G. Faber, Strukturprobleme (FN 205), S. 220 ff. und W. Boldt, Konstitutionelle Monarchie (FN 282), S. 617 ff.
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zeichnenden Kurs zwischen Revolution und Evolution steuern: Im Sog der nationalen Idee sollte in einem ersten Schritt staatliche Macht auf einer Ebene begründet werden, wo es keinen ernstzunehmenden Gegner gab. Durch den prinzipiellen Vorrang der Reichsverfassung, im Vertrauen auf die von ihr ausgehenden Entwicklungstendenzen und mit Hilfe der normierenden Kraft der Grundrechte sollte dann die Macht der Fürstenstaaten von oben her evolutionär ausgehöhlt werden. Ein bürgerliches Machtzentrum mußte der deutschen Staatsentwicklung aber eine Richtung geben, die die Fürsten freiwillig nicht hinnehmen konnten. Das Verhängnis ftlr das Bürgertum bestand darin, daß seinen Gegnern das Revolutionäre seines Tuns deutlicher war als ihm selbst; so schätzte es die Ausgangslage ftlr das Konzept der Vereinbarung falsch ein, weil es die dahinter stehende Machtfrage verkannte. Diese Strategie war deswegen nicht von Anfang an aussichtslos, doch sie konnte nur aufgehen, wenn das Bürgertum den Opfern der Revolution, von denen es die Anerkennung von deren Ergebnissen erwartete, zumindest ebenbürtig war. 379 Dies nicht gesehen zu haben, war die zweite Fehleinschätzung. Nachdem in den Märztagen die Chance der revolutionären Machtergreifung ungenutzt verstrichen war, hätte die Aufgabe darin bestanden durch Politik, Propaganda und Aktion die Massen hinter der Nationalversammlung zu halten. Doch bürgerliches Selbstbewußtsein und politisches Selbstverständnis machten blind ftlr die Machtbasis der Politik und ft1hrten zu einer Überschätzung der Attraktivität der Verfassungsschöpfung und zur Unterschätzung konkurrierender Loyalitäten. Die mit der Beratung und Verabschiedung der Grundrechte im Dezember 1848 beabsichtigte integrierende Wirkung konnte sich kaum mehr entfalten, da sie zu spät kam und als solche allein keine Massenwirkung mehr hatte. Die Abwendung von der Nationalversammlung, die Voraussetzung ftlr den ftlrstlichen Gegenschlag war, hatte sich schon in beachtlichem Ausmaß vollzogen. Während der Beratungen um eine neue Staatsordnung ließen die ideologischen und staatspolitischen Divergenzen Katholiken und Konservative von der bürgerlichen Bewegung abrücken, in deren Reihen sich die Spaltung vertiefte. Die als Folge freier Betätigung intensivere Politisierung und umfangreichere 379 Dies wird von Thomas Nipperdey in seinem Versuch, die bürgerliche Verfassungspolitik zu verteidigen, übersehen. Vgl. Thomas Nipperdey, Kritik oder Objektivität?: zur Beurteilung der Revolution von 1848, in: D. Langewiesehe (Hrsg.), Revolution von 1848/49 (FN 262), S. 176 ff. In dem hier aufgezeigten Sinne gab es keine Alternative zur Verständigungspolitik an sich, wohl aber zu der Art, wie diese durchgefUhrt wurde.
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Mobilisierung eröffnete anderen Kräfte die Chance, mit dem Bürgertum um die Gunst der Massen zu konkurrieren. Es verlor dadurch erstaunlich schnell seine bisher kaum angefochtene Führungsrolle; seine Politik, auch die Verfassungspolitik, geriet in den Ruch, nur die einer Klasse zu sein. Seit gerade die liberalen Märzministerien in den Bundesstaaten die letzten Reste des Feudalsystems beseitigt hatten, war das Land, auf dem noch fast drei Viertel der Bevölkerung lebten, schon im Frühjahr ausgeschert. Dessen auf Landwirtschaft und Dorfgemeinschaft fixierten Interessen waren mit denen des liberalen Bürgertums von Staat und Nation sowieso nie in Deckung zu bringen gewesen. 380 Ähnlich stand es mit Handwerkern und kleineren Händlern, die in Gewerbefreiheit, liberaler Konkurrenzwirtschaft und nationalem Wirtschaftsraum eher eine Bedrohung ihrer Existenz als die Grundlage ihres allmählichen Aufstiegs in der bürgerlichen Gesellschaft sahen. 381 Und schließlich fürchteten die Stadtbürger, daß das egalisierende allgemeine Staatsbürgerrecht die kommunale Privilegien- und Solidargemeinschaft zerstören würde. 382 Da deswegen die Unzufriedenheit anhielt und die Unruhen immer wieder aufflackerten, wuchs im Bürgertum die Skepsis, ob die Anarchie noch ohne Hilfe der bewaffneten Macht würde verhindert werden können. 383 Die Hinwendung zu den Ordnungskräften wurde vom Wirtschafts bürgertum angeführt, das, den unterbürgerlichen Schichten hierin vergleichbar, seine Interessen im Frankfurter Parlament nur noch unzureichend vertreten fand. 384 Als die konstitutionelle Mehrheit nach dem Scheitern ihrer Kompromißpolitik im Frühjahr 1849 das Ruder herumreißen wollte, zeigte sich, daß nur noch kleine Teile des linken Bürgertums und der Unterschichten gegen die bestehenden Mächte zu mobili380 Dieter Langewiesche sieht in seinem Aufsatz "Gesellschafts- und verfassungspolitische Handlungsbedingungen und Zielvorstellungen europäischer Liberaler in den Revolutionen von 1848", in: W. Schieder (Hrsg.), Liberalismus (FN 85), S. 359 ff. im Stadt-Land-Gegensatz sogar eine Hauptursache fur das Scheitern der Revolution von 1848/49. 381 Vgl. auch Karl Griewank, Ursachen und Folgen des Scheitems der deutschen Revolution von 1848, in D. Langewiesehe (Hrsg.), Revolution von 1848/49 (FN 262), S. 64 f. 382 Dazu unter dem Gesichtspunkt der Janusgesichtigkeit des "Fortschritts": Dieter Langewiesche, "Fortschritt", "Tradition" und "Revolution" nach der Französischen Revolution, in: Jochen Schmidt (Hrsg.), Aufklärung und Gegenaufklärung in der europäischen Literatur, Philosophie und Politik von der Antike bis zur Gegenwart. - Darmstadt 1989, S. 454 ff. 383 Rudolf Stadelmann, Das Jahr 1848 und die deutsche Geschichte, in: D. Langewiesche (Hrsg), Revolution von 1848/49 (FN 262), S. 30 ff. 384 Dazu jetzt Lothar Gall, Das wirtschaftende Bürgertum und die Revolution von 1848 in Deutschland, in: Karl Dietrich Bracher u. a. (Hrsg.), Staat und Parteien (FN 86), S. 402 ff.
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sieren waren. Eine Basis, die zu schwach war und an die allein das Bürgertum sich nicht binden wollte. 38S Die bürgerliche Revolution zerfledderte. In der Erkenntnis, daß das von ihr in der Revolution erstrebte Ziel nicht mehr zu erreichen sei, zog sich die liberale Mehrheit zurück und entwickelte sich von einer politischen Emanzipationsbewegung zum gesellschaftlichen Stabilisierungsfaktor. Die Liberalen, inzwischen Partei unter Parteien geworden, hielten auffallend lange gegen Entwicklung und Erfahrung an vonnärzlichen Grundpositionen fest. Das Vertrauen in den (Fürsten-) Staat war nicht erschüttert. Die konstitutionelle Monarchie blieb das verfassungspolitische Ideal. In ihrem Rahmen wollte man weiterhin die Freiheit des einzelnen durch das Recht sichern und der liberalen Gesellschaft zum Durchbruch verhelfen. Diese sollte die berufs ständisch aufgebaute Mittelstandsgesellschaft sein, die politisch patriachalische Züge behielt. Gewiß ist die Bilanz des zwei Generationen langen Ringens des Bürgertums um die staatlich Macht nicht nur negativ. Die Erfolge, die die gescheiterte Revolution überdauerten, waren aber bezeichnenderweise im vorstaatlichen Raum an der Schnittstelle von gesellschaftlicher und politischer Macht erzielt worden. Die Justiz war in rechtsstaatliche Fonnen überfUhrt worden; Gesetze und KodifIkationen wurden von bürgerlichen Wertvorstellungen nachhaltig geprägt; Grund- und Menschenrechte waren Nonnen der Rechtsprechung geworden, und selbst die politischen Freiheitsrechte sind nur eingeschränkt, aber nicht mehr prinzipiell in Frage gestellt worden. Gesellschaft und Wirtschaft sind als Folge der korporationsrechtlichen Auflösung des Adels und der Stände, der vollständigen Aufhebung des Feudalsystems auf dem Land wie der erweiterten Selbstverwaltung in den Städten und schließlich der Beseitigung zahlloser das Wirtschaften einengender Restriktionen liberaler geworden. Der scheinbar größte Erfolg war, daß auch nach der Revolution alle deutschen Staaten bis auf Österreich Verfassungsstaaten geblieben sind. Das Bürgertum hat vor allem in den Mittel- und Kleinstaaten die damit gegebenen Möglichkeiten durchaus zu nutzen gewußt. Es kam zeit- und stellenweise zu einem quasi-parlamentarischen Regieren, das nicht selten, da die politische Konkurrenz durch das Zensuswahlrecht ausgeschaltet blieb, in eine "bürgerliche Klassenherrschaft" übergehen konnte. Verfassungsgeschichtlich folgenreicher aber wurde, daß die von der Revolution dem Bürgertum abgenötigte Entscheidung zwischen Volk und Fürsten sich als irreversibel erwies, solange der Fürstenstaat in Deutschland bestand. Dazu hatte nicht nur die Nieder385 Christoph Kleßmann, Zur Sozialgeschichte der Reichsverfassungskampagne von 1849, in: HZ 218, 1974, S. 283 ff.
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lage der Revolution selbst beigetragen, sondern wohl auch die zuvor im Besitz der Macht gemachten Erfahrungen: die Zerstörung der Illusion einer politischen Protagonisten-Rolle durch die zum Teil heftige Konkurrenz in- und außerhalb des Parlaments. Dazu kam die Einsicht in die Unterlegenheit bei der Mobilisierung der Massen und das Scheitern des Versuchs, das Land wenigstens teilweise an die bürgerliche Bewegung zu binden. Die höchsten politischen Werte des Bürgertums, Nation und Verfassung, hatten sich nicht als politische Ideen erwiesen, die einen umfassenden Aufbruch auslösten, der die Machtrivalitäten und die sozialen Gegensätze überspielt hätte. Als Konsequenz aus solchen Erfahrungen hat das Bürgertum zwar weiterhin Verfassungspolitik betrieben, doch hatte sich deren Stellenwert und Ziel geändert. Da der Kampf um die staatliche Macht nicht die erhofften Gewinne gebracht hatte, nahm sich bürgerliche Politik in Zukunft vorrangig des Bereiches an, wo sie relativ erfolgreich gewesen war, der Liberalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft. Das eigentliche Ziel der bürgerlichen Verfassungspolitik in Vormärz und Revolution, die Teilung der staatlichen Macht mit den Fürsten, wurde also in Zukunft erst gar nicht mehr angestrebt. So blieb es alles in allem bei dem im Vormärz ausgebildeten Typ der konstitutionellen Monarchie. Dieser erwies sich in Deutschland als ebenso säkular wie die durch ihn festgelegten Prinzipien der parlamentarischen Repräsentation, da das liberale Bürgertum glaubte, aus wohlverstandenem Eigeninteresse auf den Monarchen als politischen und gesellschaftlichen Rückhalt nicht verzichten zu können. Der Preis dafUr war, wie dies besonders Preußen und Österreich zeigten, nicht nur eine destabilisierende Disproportionalität zwischen wirtschaftlich-gesellschaftlicher Macht einerseits und staatlicher andererseits, sondern auch eine "Feudalisierung" der Gesellschaft, da sich die Dynastien aus dem Gefiihl der Bedrohung heraus über Gebühr und überlang auf obsolet gewordene Schichten stützten, und sich eben nicht zum Bürgertum hin öffneten.
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10·
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- Norddeutschland 10, 15,38,39,47,51, 64,71,77,81,95 - Rechtsrheinisches Deutschland 9, 12, 14 - Rheinland 10, 11, 18,38,39,41,80,84 - Rheinpfalz 11, 81, 83 - Süddeutschland 9, 10, 12, 13, 14,38,39, 41,45,46,47,49,55,60/174,63,64, 71,72,74,78,79,81,95,96, 110 - Südwestdeutschland 83, 89/281 - Westdeutsch land 11, 18, 38 Elba24 England 7, 14, 16,23,39,48 Europa 7,9, 10, 19,23,24,60,77,97, 112, 113 - Mitteleuropa 24 - Nordeuropa 8 - Westeuropa 8, 31/68, 40, 72 Folien, Karl 45/115 Frankfurt 83,90,91,92, 102, 105, 113, 114, 121, 123 Frankfurt, Großherzogturn 44 Frankreich 7, 9, 10, 11, 12, 14, 15, 16, 18, 36,39,42,46,49,69,77,88,112,120 Friedrich Wilhelm Graf von Brandenburg 114 Friedrich Wilhelm III., König von Preußen 112 Friedrich Wilhelm IV., König von Preußen 81/252, 112,113, 115, 119f. Gentz, Friedrich 72, 73, 73/222, 74, 111
1 Namen- und Sachverzeichnis wurden erstellt von Dietmar Grypa, MA und Kerstin Lehenmeier.
150
Namenverzeichnis
Gerlach, Ernst Ludwig von 97/311
Offenburg 85/270, 89/281
Habsburg 19, 98 Hambach 80, 83 Hannover 64, 77, 79 Hansemann, David 113 Hardenberg, Karl August Fürst von 109, 111 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 41,50 Heidelberg 89/281 Heppenheim 84, 89/281 Hessen, Kurfurstentum 78, 78/243 Hessen, Großherzogturn 11, 12,56/158,64 Humboldt, Wilhelm Freiherr von 24/43, 25/47,25/50
Paris 39 Polen 25, 83, 109 Preßburg 9 Preußen 8, 10, 11, 13, 15, 16, 16/26, 17, 18,19,23,24,25,26/52,27,38,39,56, 61/178,64,68/207,71,75,76,77,79, 80,83,95,97, 101, 109, 110, 111, 111/350,111/351,112,113,114,115, 116,117,119,120,125
Jena 16 Johann, Erzherzog von Österreich 105 Joseph H., Römisch-deutscher Kaiser 19 Kant, Immanuel 30/67 Karlsbad 71, 72, 72/216, 72/217, 73, 75, 80 Kassel 95 Ketteler, Wilhelm Emmanue1 von 981315 Luneville 9, 9/3 Metternich, Fürst Klemens Wenzel 71, 72, 78,111,112, 117 Mohl, Robert von 70/213 Münster, Ernst F. H. Reichsgrafvon 26/53 Napoleon 9, 10, 14, 16, 18,23,24,27,28, 35,43,45, 53/147 Nassau 64 Österreich 9, 10, 13, 15, 19,20,23,24,25, 26/52,27,56,64,71,75,76,77,79,95, 101, 124, 125
Rotteck, Karl von 52/147, 55 Rußland 9, 23 Sachsen 11,25,55,64,77, 78, 83 Sachsen-Meiningen 56 Sand, Kar! Ludwig 71 Solms-Laubach, Friedrich L.c. Graf zu 26/52 Stahl, Friedrich Julius 49, 74/227, 97 Stein, Reichsfreiherr Karl vom und zum 17, 19, 24/43, 27, 109 Talleyrand-Perigord, Charles-Maurice 26/52 Thüringen 63/183 Vereinigte Staaten von Amerika 44,46,56 Welcker, Carl Theodor 72/216 Wessenberg, Johann Philipp 26/53 Westfalen 10, 11, 12, 18,44 Wien 28, 48, 48/131, 72, 73/223, 73/225, 74,95, 115, 121 Württemberg 9,38,46,54,54/153, 56/158,58/168,64,65/190,65/195,83
Sachverzeichnis Absolutismus 8,10,10/8,19,20,29,31, 32/70,43,46,48,71,77,109 Adel/ Standesherrn 7, 10, 11, 13, 14, 15, 16,17,18,19,20,21,25,27,28,29, 30,31,32,33,36,38,39,40,45,52, 64,68,78,88, 110, 110/347, 111, 124 Aufklärung 8, 10, 10/8, 13, 19,20,21,29, 30,31,31/68,32,35,36,38,41, 50, 52/147,53,98 Bildung / Universität / Studenten 10, 12, 17,19,29,32,37,38,53,54,71,74, 75,75/236,801251,82,83,85,88,91, 98,98/315 Bürgertum 7,8, 10, 11, 11/11, 12, 13, 15, 16, 17, 18, 19,21,23,28,29,30,30/67, 31,31/67,32,33,35,35/82,36,37,38, 39,40,41,42,45,49,50,50/138,52, 53,56,57,58,58/168,60,62,64,65, 66,68,69, 70, 71, 74, 75, 76, 77, 78, 79,81,82,83,84,85,87,88,89,90, 94,95,96,97,99, 101, 103, 104, 105, 108, 110, 111, 112, 113, 114, 115, 116, 117,119,121,122,122/379,123,124, 125 Demokraten / Demokratie 52, 59, 67, 81/255,82,83,84,85,89,89/281,92, 93,94,95,98,105,106,107,108 Deutscher Bund 7, 20, 23, 24, 24/45, 25, 26,26/52,26/57,27,27/60,28,36,40, 42,43,44,45,46,47,48,48/131, 51, 53,54,56,60,63,63/185,64,67,71, 72, 73, 74, 74/227, 75, 76, 79, 80, 80/249, 82, 84, 85, 88, 89, 90, 96, 101, 104, 105, 105/330, 106, 108, 111, 112, 117, 120, 121, 123
Fürst(en) / Dynast 7,9, 10, 12, 13, 14,20, 21,24,25,26,27,28,31,32,35/82,36, 40,42,43,44,45,46,47,48,48/131, 49,50,51,51/142,52,53,57,58,59, 60,61,62,63,65,66,67,69,70, 70/213, 72, 73, 74, 75, 76, 77, 78, 82, 85,88,89,97,102,104,106,110,119, 120, 121, 122, 124, 125 Grundrechte / Staatsbürgerrechte 16, 17, 18,26,55,56,56/162,57,57/163, 57/165,58,67,78,84,89, 102, 103, 104, 116, 122, 124 Kaiser 12, 119, 120 Kirchen (Protest. u. Kathol.) / Klerus / Religion 11, 14, 17, 18, 19,20,21,29, 32,38,40,45, 54, 64, 68, 801251, 87, 97,98,98/315, 122 Konstitutionelle 95, 107, 108, 110, 121, 123 Konservative / Konservativismus 91,97, 98, 102, 121, 122 Kultur 7, 29, 32/73, 36, 80/251, 82 Landstände 12,26,27,28,43,44,46,47, 48,48/131,49,51,51/142,52,55,58, 59,60,60/174,61,62,63,66,69/209, 71,72,73,74/227, 109, 110, 111, 1111350, 112, 113 Land / Landwirtschaft / Bauern 11, 14, 15, 1718,19,21,37,41,45,47,53,55,59, 77,78,83,87,88,93,97,117,123, 123/380, 125 Landtage /1. und 2. Kammer 21,36,38, 39,40,43,47,48,51,52,54,55,57, 58,59,60,61,62,63,64,65,65/190, 66,67,68,69,70/213,71,73,74,75,
152
Sachverzeichnis
78,79,81,811254,84,85,94, 101, 102, 106,107,110,111,112,113,115, 116/368, 120 Liberale / Liberalismus 8, 18, 29/63, 33/77,35,36,37,37/88,37/90,37/91, 38,39,40,41,42,44/114,46,49,53, 54,55,57,59,61,62,63,64,65,66, 67,67/203,68,68/205,69, 70, 77, 79, 80,81,81/255,82,84,85,85/272,87, 88,89,89/281,90,90/284,90/287,92, 92/292,93,94,95,97,98, 101, 101/318,101/320,102,103,104,106, 107,108,114,115,116,117,119,121, 123, 124, 125 Linke 83,88,89,91,94,99, 103, 105, 106,107,108,115,121
Radikale / Radikalismus 42, 71, 80, 81/255,84,85,98, 102, 115, 121 Recht / Justiz / Gesetz / Gesetzgebung 10, 11,13,15,17,18,19,21,24,26,30/67, 31,32/70,39,42,43,47,50,51,54,56, 58,59,60,60/174,61,62,63,64,69, 69/209,73,75,77,78,81,89,91, 103, 105, 106, 107, 108, 109, 116, 124 Republikaner 52/147,59,88,92,96, 107 Restauration 18, 19,20,39,75,77,79,85 Revolution 33, 44, 72, 85, 103, 112, 119, 122 - Französische Revolution 7, 9, 10, 15,24, 32,33,39,44,46,50,56, 106 - Revolution 183069,77,79,80,83,85 - Revolution 1848/498,17,39,40,41,67, 68,68/207,69,83,84, 85, 86, 87, 88, 90,91,94,94/299,95,96, 101f./320, Monarch / Monarchie 7, 8, 9, 13, 15, 16, 102, 104, 105, 106, 112, 113, 114, 116, 17, 18, 20, 24, 27, 28, 29, 31, 32, 32/70, 117, 122, 123/380, 124, 125 33,44,44/113,46,47,47/126,48,49, Rheinbund 9, 9/5, 10, 10/7, 10/8, 12, 13, 50,51,56,57,57/163,58,59,60,61, 14,15,16,17,23,27,43,44,56,61,73 62,63,65/190,68,68/207,70/213,74, Royalisten 97 77,81,90,96,97,98,105,106,108, 109, 111, 112, 113, 114, 115, 116, 117, Souveränität / Volkssouveränität 9,9/6, 119,120,121,124,125 14/21,24,25,27,27/60,28,31,36,44, Monarchisches Prinzip 47,48,48/130,49, 46,48,48/130,49,50,50/138, 57, 69, 57,61,66,69,73,74,74/227,78,91, 70/213,72,73,74,76,84,85,89,91, 92,104, 105, 106, 107, 112, 114, 121 921292,96, 104, 105, 107, 108, 114, 117,119,120,121 Nation / Nationalstaat / Nationalismus 12, Staat 7,8,9, 10, 13, 14, 15, 16, 19,20, 20,23/41,24,25,27,28,35,35/82,36, 20/38,23/41,25,28, 30f./67, 32, 33, 38, 40,41,71,82,85,88,89,91,93, 101, 42,43,45,45/118,46,47,47/126,48, 103, 104, 110, 112, 119, 122, 123, 125 48/131,49,50,51,54,56,57,58,61, Nationalversammlung 1848/49 (deutsche) 62,64,65,66,68,69,70,70/213,72, 69, 85, 87, 89, 90, 90/284, 91, 91/291, 73,76,79,81,87,89,92/292,97,98, 92,93,94,95,96,99,101,101/318, 98/315, 101, 103, 104, 106, 109, 111, 102, 103, 104, 105, 106, 108/343, 113, 112,113,116,117,119,122,123,124, 114,114/363,114/365,115,116,117, 125 119, 119/374, 120, 121, 122, 123 Stadt 11/11,16,17,18,29,38,55,77,78, Nationalversammlung (preußische) 92, 94, 123, 123/379 96,113,114,114/365,115,117,121 Stände (altständische Verfassung; nicht Landtage) 7,12,13,14,16,17,19,21, 30,31,35/82,36,38,39,43,45,46,47, Polizei / Militär 17, 18, 19,28,48,51,56, 49,51,51/142,52,58/168,59,61,63, 63, 78, 83, 89, 97, 103, 105, 107, 112, 72,73,74/227, 109, 110, 111, 113, 124 114, 123
Sachverzeichnis
153
Steuern / Finanzen / Budget 10, 12, 13, 17, Verwaltung / Bürokratie / Beamte 10, 11, 18,19,20,26,43,45,45/118,47,51, 13,14/18,15,16,16/28,17,18,19,20, 20/38,21,32,36,37,37/88,38,39,44, 54,56,61,62,63,64,67,77,78, 106, 45,46, 54, 55/154, 56, 59,69, 77, 78, 112/355, 113, 115, 116 80,89,91,95,97, 103, 109, 110, 114, 124 Vereine / Vereinswesen / Politische Vormärz 20,37,38,41,43,49,52,53,55, Vereine 23/40,30,40,41,54,56,75, 79,80,80/249,81,82,83,84,90,93, 55/155,60,62,64,66,67,69,70,90, 94, 94/299, 95, 96, 96/305, 96/306, 97, 101/320, 102, 104, 120, 125 98,117 Verfassung / Konstitution / Wahlen / Wahlrecht 17, 18, 27, 37, 51, 52, Konstitutionalismus 7,8,16,17,23/41, 53,54,55,55/155,63,66,67,70/213, 24, 25/49, 26, 27, 28, 32170, 39, 40, 42, 79,81,84,90,90/287,96, 101, 107, 43,44,44/113,45,45/117,46,47, 108/343, 116, 116/368, 119, 124 47/125,47/126,48,48/130,48/131,49, Wiener Kongreß 24, 24/44, 26, 27, 28, 35, 50,51,52,53,55,56,56/162,57, 43,44,46,73 57/163,58,58/168,59,60,60/174,61, Wirtschaft 7,8, 10, 11, 13, 14, 15, 17,21, 611178,62,65,66,67,68/207,69, 28,29,32,55/154,59,64,71,77,80, 69/209,70, 71, 72, 74, 74/227, 74/228, 83,87,88,97,98,99, 102, 109, 111, 75,76,77, 77/239, 78, 78/243, 79, 80, 123, 124, 125 81,84, 85, 88, 90, 90/287, 92, 93, 94, 97, 98, 10 1, 10 11318, 103, 105, 106, Zentrum 911292 107, 107/340, 109, 110, 111, 111/350, 112,113,114,115,116,117,119,120, 120/376, 121, 122, 122/379, 123, 124, 125