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German Pages 112 Year 2008
Bildwelten des Wissens Kunsthistorisches Jahrbuch für Bildkritik
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Der erste fotografisch aufgenommene Marsglobus wird montiert, ca. 1972. 2: Die Mitarbeiterinnen des „Carte du Ciel“Projekts, ca. 1894, Observatoire de Paris. 3: Sternnebelkartierung durch John F. W. Herschel, 1833. 4: Simulation der Sternkonstellation der Nacht zum 25.12.2007 im Computerprogramm „Carte du Ciel“ von Patrick Chevalley. 5: Die französische Auflage von Flamsteeds Atlas Celeste, Paris 1795, versuchte das Sternbild „Großes Herschel-Teleskop“ einzuführen. 6: Paul und Prosper Henry mit ihrer astrografischen Kamera, um 1886. 7: Athanasius Kircher: Das ptolemäische, platonische, ägyptische, tychonische, semi-tychonische und kopernikanische Sonnensystem im Vergleich, 1671. 8: Atlas Farnese, 2. Jh. n. Chr, Neapel, Museo Archeologico Nazionale. 9: Adam Olearius: Der Gottorfer Himmelsglobus von 1654. 10: Himmelscheibe von Nebra, vor 1600 v. Chr., Bronze und Gold, Durchmesser ca. 32 cm, Landesmuseum für Vorgeschichte, Halle. 11: Darstellung des Sonnensystems aus Johann Jakob Scheuchzers Jobi Physica Sacra, der sog. Kupferbibel, 1731–35. 12: Übersichtstafel zur Popularisierung der Sternenzählung der Milchstraße nach Herschel, 1827.
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Eine der 2007 wiederaufgefundenen, originalen Mondfotografien der Apollomission von 1969. 14: Technische Zeichnung des ersten Zeiss-Planetariumsprojektors, 1920er. 15: Werbeplakat, Carl Zeiss Werke Jena, 1930er. 16: James Nasmyth: Fotografie eines nach eigenen Beobachtungen modellierten Modells der Mondoberfläche, um 1885. 17: Viking-Orbiter Aufnahme, 25.7.1976. Das sog. Marsgesicht löste Spekulationen über außerirdisches Leben aus. 18: Aimé Girard: Phasen der Sonnenfinsternis vom 18.7.1860, Batna, Algerien, Clichéabzüge, jeder 8 x 8 cm, Paris, Société française de Photographie. 19: Fotografische Aufnahme der Venusoberfläche durch Venera 9, 22.10.1975. 20: Eine Seite aus Edmond Halleys Versuch der Berechnung der Umlaufbahn des später nach ihm benannten Kometen, 1705. 21: Der erste aus der Nähe fotografierte Asteroid, Gaspra (951), 1991. 22: 3D-Computermodell von Castalia (4769), dem ersten radioteleskopisch von der Erde aus vermessenen Asteroiden, 1989. 23: Eine der ersten Darstellungen des Halleyschen Kometen auf dem Teppich von Bayeux, um 1070. 13:
Herausgegeben von
Horst Bredekamp, Matthias Bruhn und Gabriele Werner Verantwortlich für diesen Band
Franziska Brons Redaktion
Das Technische Bild
Bildwelten des Wissens Kunsthistorisches Jahrbuch für Bildkritik. Band 5,2
Imagination des Himmels
Akademie Verlag
Inhaltsverzeichnis
Editorial
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Charlotte Bigg: In weiter Ferne so nah. Bilder des Titans
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Alex Soojung-Kim Pang: The Industrialization of Vision
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in Victorian Astronomy Thomas Fechner-Smarsly: „Die Welt für sich und die Welt für uns.“
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August Strindbergs Celestografien Simon Schaffer: Himmlische Mächte
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Farbtafeln
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Faksimile
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Bildbesprechung: Maarten van Heemskerck.
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Natura (Der Mensch ist zur Arbeit geboren), 1572 Eileen A. Reeves: Faking it: Apelles and Protogenes among the Astronomers 65 Dieter Blume: Sternbilder und Himmelswesen.
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Zum Bildgebrauch des Mittelalters Interview: „Ich bin die Kamera.“
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Ein Gespräch mit Jakob Mattner Bücherschau: Wiedergelesen / Rezensionen
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Projektvorstellung: Die Maus im Grundriss. Visualisierung romanischer Bauskulptur im architektonischen Kontext
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Bildnachweis
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Die AutorInnen
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Editorial
Georges Méliès’ Stummfilm Le Voyage dans la Lune aus dem Jahre 1902 beginnt mit einer eigentümlichen Versamm lung von Wissenschaftlern in sternengeschmückten Gewän dern, die in einer mittelalter lich anmutenden Halle unter Astrolabien, Globen und Armillarsphären zusammen Abb. 1: Szene aus George Méliès’„Le Voyage dans la Lune“ von 1902. kommen (Abb. 1). An einer Tafel hat der Präsident des Konvents die geplante Reise zum Mond mit wenigen Kreidestrichen vorgezeichnet. Während die Erde als ein wissenschaftlich ver messener und kartierter Planet, mit Längen- und Breitengraden, zu erkennen ist, trägt der Mond, als unbekanntes Wesen, noch ein menschliches Gesicht. Eine am Anfangspunkt der imaginierten Route eingezeichnete, dreiteilige Rakete wird formal zu einem Teleskop in Beziehung gesetzt, das den Blick durch einen Rund bogen auf den durch das Fenster leuchtenden Himmelskörper lenkt. In dem zur Ikone der Filmgeschichte gewordenen Still des Mondgesichtes, in dessen rech tem Auge die Rakete dann einschlägt, kehrt sich diese Blickachse später wieder um, indem das Flugobjekt selber zu einem Teleskop avanciert, mit welchem der Mond die Erde beobachtet. In Méliès’ Film sind astronomische Instrumente, Modelle des Sonnensystems und ikonografische Traditionen der Himmelserkundung zu Kompositionen verdichtet, welche die Bildgeschichte des Mondes bis heute prägen, sei es im Musikvideo Tonight,Tonight der Smashing Pumpkins von 1996 oder in der aktuel len Filminstallation Journey to the Moon des Künstlers William Kentridge. Auch im Kino findet die von Méliès praktizierte Assemblage von Motiven der Kunst- und Wissenschaftsgeschichte weiterhin ihre Nachfolger: In Apollo 13, worin von dem dramatischen Scheitern und der glücklichen Rettung der zweiten bemannten Expedition der NASA zum Mond im April 1970 erzählt wird, montierte Regis seur Ron Howard 1995 nicht nur Archivmaterial mit der in Hollywood-Manier fiktionalisierten Perspektive des Kommandanten Jim Lovell, sondern führt das gesamte Spektrum historischer wie zeitgenössischer Darstellungen des Welt raums vor Augen: Die im Kalten Krieg eingesetzten Fernsehbilder der ersten
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Editorial
Mondlandung sowie diejenigen der folgenden Apollo-Mission treffen auf die Simulationstechnologien neuer Medien im Trainingslager der Weltraumbehörde; klassische Momente des Science-Fiction-Films überlagern sich mit astrono mischen Visualisierungen. Sogar Méliès’ Kreidezeichnung der Mondreise, nun von Überwachungsmonitoren des Kontrollzentrums Houston flankiert, taucht in einer Szene wieder auf, in der die Rettung der NASA-Besatzung vorbereitet wird. Die Bilder der LeVoyage dans la Lune und ihr Nachleben veranschaulichen in para digmatischer Weise, dass Darstellungen des Weltalls und der Himmelskörper einen weiten kunst- und kulturgeschichtlichen, wissenschafts- wie medienhisto rischen Horizont haben, der nicht nur den engeren Bereich der Science Fiction umfasst, sondern sämtliche Darstellungen des Himmels und seiner Strukturen bestimmt. Dieser ist aufgrund seines Maßstabs und seiner Entfernung per defi nitionem der menschlichen Wahrnehmung in weiten Teilen entzogen. Die Erfassung des Himmels und seiner Sterne wie Planeten stellt insofern eine besondere Herausforderung auch für die kunsthistorische Bildanalyse dar, als die Gegenstände dieser Bildwelt – die wie kein anderer Bereich der neuzeitlichen Wissenschaft vor allem seit dem frühen 19. Jahrhundert popularisiert wurde und in immer neuen Prägungen ins Bildgedächtnis Eingang gefunden hat – in unendlicher Ausdehnung, Entlegenheit und Unordnung erscheinen und von Galileis Beobachtung des Mondes bis hin zu den zeitgenössischen Aufnahmen der Astrophysik eine Grenze der bildlichen Repräsentation markieren. Das Bild als materielles Objekt ist von den Bildern der Vorstellungskraft ihrer Produzenten durchzogen, deren Resultate der eingehenden Analyse bedürfen. Der vorliegen de Band ist daher den historischen Medien und Formaten gewidmet, die von der mittelalterlichen Buchmalerei über frühneuzeitliche Atlanten bis hin zur Nutz barmachung fotografischer Verfahren in der Astronomie des 19. Jahrhunderts und schließlich bis zur Gegenwartskunst reichen. In all diesen Darstellungen zeichnen sich ästhetische und intellektuelle „Konstellationen“ ab, die einen Him mel konstruieren, welcher als Bild ein Gesicht bekommt. Franziska Brons und die Herausgeber
Charlotte Bigg
In weiter Ferne so nah. Bilder des Titans
Am 14. Januar 2005 um 17.19 Uhr erhielt das Europäische Raumflugkontroll zentrum ESOC (European Space Operations Centre) in Darmstadt vom Deep Space Network, dem Verbund der Radio-Teleskope der NASA, die ersten Daten der Weltraumsonde Huygens vom Saturnmond Titan. Das Cassini-HuygensRaumfahrzeug, nach Angaben der NASA „the largest interplanetary spacecraft ever built“, hatte seine Mission erfolgreich erfüllt: die eingehende Untersuchung des von der Erde am weitesten entfernten Objekts, das je von einer Sonde geprüft wurde.1 Über einen Zeitraum von 25 Jahren hatte die Titan-Mission Tau sende von Meteorologen, Geologen, Astronomen, Instrumentenmachern und Ingenieuren aus 17 Nationen mobilisiert und wurde mit einer Summe von 2,49 Milliarden Euro ausgestattet – etwas mehr als in das Human Genome Project, das etwa gleichzeitig ausgeführt wurde, investiert worden war. Nach einer sieben Jahre andauernden und 3,5 Milliarden Kilometer langen Reise durch das Sonnensystem warf Mutterschiff Cassini die 2,7 Meter breite und 318 Kilogramm schwere, mit wissenschaftlichen Instrumenten ausgestattete Raumsonde Huygens ab. Auf sich gestellt, legte die Sonde weitere vier Millionen Kilometer zurück, bevor sie in die Atmosphäre des Titans eindrang, wo sie mit der Aufzeichnung und Analyse ihrer Umgebung begann. Während des Absinkens und nach der Landung entsandte Huygens über einen Zeitraum von drei Stunden und 58 Minuten eine Datenmenge von 474 Megabytes, die durch den Orbiter Cassini an die Erde weitergegeben wurden.2 Bezeichnenderweise bestand eine der ersten Handlungen der Europäischen Weltraumagentur ESA, direkt nach Erhalt der Titan-Daten, darin, hieraus gene rierte Bilder zu veröffentlichen, und zwar bevor Wissenschaftler herausgefunden hatten, was auf diesen genau dargestellt war. Ihre vorläufige Interpretation der ersten Abbildung lautete: „It shows the surface of Titan with what could be ice blocks strewn around. The size and distance of the blocks will be determined when the image is properly processed“ (Abb. 1).3 Ungeachtet ihrer niedrigen Auflösung, ihres fehlenden Maßstabs und in Ermangelung einer eindeutigen
1 Bei der Cassini-Huygens-Mission handelt es sich um eine Zusammenarbeit der amerikanischen, europäischen und italienischen Weltraumorganisationen NASA, ESA und ASI. Während die NASA für den Cassini-Orbiter verantwortlich war, betreuten ESA und ASI die Huygens-Sonde, vgl. die ESA-Missionschronik „Cassini-Huygens mission facts“ unter http://www.esa.int/ SPECIALS/Cassini-Huygens/SEMVOZ1VQUD_0.html (Stand: 8/07). 2 ESA-Missionschronik (s. Anm.1). 3 „First images from Titan“, 14. Januar 2005, ESA website: http://www.esa.int/esaCP/ SEMBQO71Y3E_index_0.html (Stand: 8/07).
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Referenz gingen diese Bilder um die Welt und wurden an den darauf folgenden Tagen auf den Titelblättern der Tageszeitungen gedruckt. Die ESA verzeichnete allein am 15. Januar fast eine Million Besuche auf ihrer Webseite. Die Pressekonferenz im ESOC, während der ESA-Generaldirektor Jean-Jacques Dordain und die Bundesministerin für Forschung und Bildung Edelgard Bulmahn den Erhalt der ersten wissenschaftlichen Daten verkündeten, wurde per Satellit live im Fernse hen übertragen. Dordain behauptete, „we are the first visitors to Titan and the scientific data we are collecting now shall unveil the secrets of this new world“.4 Obwohl die meisten von Huygens gesammelten Daten Abb. 1: Eines der ersten drei „Rohbilder“ definitiv nicht zur Herstellung von Bildern bestimmt von der Oberfläche des Jupitermondes Titan, freigegeben durch die ESA am 14. waren (lediglich eines der sechs Instrumente an Bord Januar 2005. war ein „imager“ und dies auch nur teilweise) und die an die Öffentlichkeit vermittelten Informationen nicht ausschließlich visueller Natur waren (die ESA bot während des Absinkens aufgenommene Hörproben des „Titan-Klangs“), waren es die Bilder, welche in dieser Mission und ihrer Vermarktung gegenüber einer breiten Öffentlichkeit die Hauptrolle spielten. Die jüngste Vergangenheit, insbesondere das HubbleProjekt, die 1990 ins All gebrachte Satellit-Sternwarte, aber auch die in den letzten 30 Jahren erfolgten Missionen zum Mars haben gezeigt, wie wichtig die Produktion und Verbreitung von Bildern geworden ist (Farbtafel 1).5 Um Bedeu tung und Stellenwert der Titan-Bilder zu untersuchen, ist es aber unerlässlich, die weiter zurückreichende Geschichte des furor videndi, des Seheifers,6 die der Weltraumforschung vorgängliche Astronomie und ihre öffentlichen Manifestati onen in Betracht zu ziehen.
4 Jean-Jacques Dordain, Pressekonferenz, 14.01.2005, ESA-Website. 5 „During the building of the [Hubble] telescope, it had become widely accepted among the programme’s participants that though all of the scientific instruments might be equal, one was more equal than the others. That was the Wide Field/Planetary Camera. It was the most com plex and the most costly, and because of the spectacular CCD images it was expected to produce, it was widely regarded as the most exciting instrument in terms of the telescope’s appeal to the general public (and the Congress).“ Robert Smith: The Space Telescope. A study of NASA, science, technology and politics, Cambridge u. a. 1989, S. 323. Siehe auch: Oliver Morton: Mapping Mars. Science, Imagination and the Birth of a new World, London 2002.
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tout ça pour ça?
Wissenschaftler waren insbesondere über die close-ups, die neuen Nahansichten der Oberfläche des Titans, erfreut, die bislang durch den Dunst der Atmosphä re für irdische Beobachter abgeschirmt gewesen war. In Absehung der medial erzeugten Euphorie stellt sich allerdings die Frage, ob sie den Aufwand gerecht fertigt hätten. Die geradezu unheimliche Vertrautheit oder sogar Banalität dieser Fernbilder, die die reale Entfernung verschwinden lassen, ist irritierend;7 auch dies wurde von kritischen Beobachtern, etwa einem Kommentator des San Francisco Chronicle, durchaus bemerkt: „While children once huddled in front of their radios and television sets, waiting for the latest updates on the fates of heroes such as John Glenn and Neil Armstrong, modern space missions all seem to end the same way: with indistinct pictures of orange rocks, followed by impassioned hyperbole from scientist types attempting to convince us of how totally awesome these images are.“8 Selbst einige der in das Projekt involvierten Wissenschaftler stutzten: François Raulin, Exobiologe am Laboratoire Interuni versitaire des Systèmes Atmosphériques in Paris sagte zu dem Bild: „We first thought it was a hoax, because it was so similar to a Martian landscape.“9 Eine mit der Beschaffenheit der Mars-Landschaften weniger vertraute Öffent lichkeit hätte stattdessen an Wüstenformationen oder (sobald der Maßstab bekannt wurde) gar an Steine entlang einer irdischen Küste denken können, an einen fotografischen Zufall aus einem längst vergessenen Urlaub; vielleicht auch an eines der üblichen Experimente aus der Frühzeit der kommerziellen DigitalKameras, in der man sich mit der neuen Technik und der charakteristisch „pixe ligen“ Anmutung ihrer Aufnahmen vertraut machte.
6 Dies in Analogie zu Freuds „furor sanandi“, der Eifer zu heilen, der ihm zufolge eine Notwendig keit wie auch ein Problem für den Psychoanalytiker sei, da dieser ihn anerkennen und zugleich bewältigen müsse (die Verfasserin verdankt diesen Einblick Liz Lunbeck). „Furor videndi“ greift auch den „furieux désir de voir“ auf, wie er von Monique Sicard eingeführt wurde. Monique Sicard: L’année 1895. L’image écartelée entre voir et savoir, Paris 1994, S. 107. 7 Siehe hierzu auch Franziska Uhlig: Ready-made Farbe.Vom Mond aus betrachtet. In: Bildwelten des Wissens. Kunsthistorisches Jahrbuch für Bildkritik, Bd. 4,1, S. 25–33. 8 Peter Hartlaub zitiert in: Roger Harris: Improve your image: where planetary scientists scooped by a chat group of amateur enthusiasts? In: American Scientist, Vol. 93, 2005, Nr. 3, May–June, S. 215. 9 Zitiert in: Pierre le Hir: Les images mystérieuses de Titan. In: Le Monde, 19.01.2005.
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Ein weiterer „Moon Hoax“?
Raulins Bemerkung zeigt jedoch noch in eine andere Richtung.Viele derer, die zu Beginn des Jahres 2005 diese Bilder betrachteten, werden sich der Leichtigkeit bewusst gewesen sein, mit der digitale Bilder unter Einsatz der überall verfügba ren Bearbeitungssoftware manipuliert werden. Seit dem späten 19. Jahrhundert ist der „Rohzustand“ wissenschaftlicher Fotografie ein anerkanntes Kennzeichen von Authentizität gewesen und wurde ernsthaft, wenngleich etwas unredlich, als ein von Menschenhand unberührter Abdruck eines Phänomens in Stellung gebracht; dies gilt vor allem für die Produktion von „Erstlingen“, d.h. frühen Bilderzeugnissen, die durch eine neue Technik oder von einem neuen Phänomen hervorgebracht werden.10 Die digitale Fotografie hat diesen altehrwürdigen Topos durch ihre zunehmende Glätte und Hochauflösung in sein Gegenteil verkehrt: Software-Entwickler haben inzwischen auch solche Werkzeuge der Bildbearbeitung entwickelt, die nicht mehr allein Störungen entfernen, sondern ausdrücklich jenes „Rauschen“ hinzufügen, welches Bildern eine analoge Quali tät oder eben eine besonders „pixelige“ Erscheinung verleiht.11 Damit wird die Ästhetisierung eines bestimmten Stils der wissenschaftlichen Bildproduktion glei chermaßen banalisiert und vollendet;12 was zuvor als ungehobelte Erscheinung galt, hat sich in das non plus ultra einer exquisiten Manipulation verwandelt. 10 So etwa die ersten fotografischen Bilder der Röntgen-Kristallografie, der Radioaktivität oder der Rastertunnel-Mikroskopie. Einige dieser Bilder sind in einer von Jochen Hennig und der Verfasserin kuratierten Ausstellung thematisiert (Atombilder, Strategien der Sichtbarmachung im 20. Jahrhundert, Deutsches Museum, München, 07.05.–31.01.2008). Eine inzwischen klas sische Darstellung zur Frage der mechanischen Objektivität der Fotografie ist Lorraine Daston, Peter Galison: Das Bild der Objektivität. In: Peter Geimer (Hg.): Ordnungen der Sichtbarkeit. Fotografie in Wissenschaft, Kunst und Technologie, Frankfurt a. M. 2002, S. 29–99. 11 Von historistischen Versuchungen, wie sie Photoshop in Funktionen wie „pointillize“ oder „fresco“ bereithält, ganz zu schweigen. Siehe hierzu: Stefan Heidenreich, Wolfgang Ernst: Digitale Bildarchivierung: Der Wölfflin-Kalkül. In: Sigrid Schade, Georg Christoph Tholen (Hg.): Konfigurationen. Zwischen Kunst und Medien, München 1999, S. 306–320. Lynch und Edgerton sehen hier eine buchstäbliche Verbindung: Sie argumentieren, dass astronomische Bild-Prozessoren Konventionen der Repräsentation folgen, die an die Malerei des frühen 20. Jahrhunderts angelehnt seien. Michael Lynch, Samuel Edgerton: Abstract painting and astro nomical image processing. In: Alfred Tauber (Hg.): The elusive synthesis: Aesthetics and Science, Dordrecht/London 1996, S. 103–124. 12 Wissenschaftliche Fotografien des frühen 20. Jahrhunderts, wie sie z. B. von Henri Becquerel während seiner Untersuchungen der Radioaktivität produziert wurden, haben in letzter Zeit das Interesse von Sammlern gefunden und erzielen bei Auktionen beispiellose Summen (Mittei lung von Kelley Wilder).
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Als die ESA nun auf die wohl eingeübte Rhetorik zurückgriff, um die Außergewöhnlichkeit dieser Bil der zu betonen – diese leitete sich weniger aus der Ansicht selbst als vielmehr aus ihrem Status als „Erst lingen“ und dem technologischen Meisterstück ab, das menschliche Auge an den Rand des Sonnensystems zu transportieren – hat sie die Bild-Gewandtheit großer Teile der Öffentlichkeit womöglich unterschätzt. Für diejenigen, die mit der größtenteils online etablierten Parallel-Welt der „Informationsdemokratie“ vertraut waren, hat die von der ESA vorgenommene Neben einanderstellung des ersten, verschwommenen Bildes vom Titan mit dem Filmmaterial der Mondlandung aus dem Jahre 1969 (Abb. 2) das erstere Bild auf geradezu kontraproduktive Art und Weise weniger glaubwür dig erscheinen lassen. So kam es doch unabsichtlich mit der niemals enden wollenden Kontroverse um den „moon hoax“ in Kontakt, die sich um eben diese Authentizität von Bildern oder vielmehr um die Simu lationstechnik authentischer Unschärfen dreht.13 Do-It-Yourself-Titan?
Gleichwohl trug die Landung auf dem Titan entschei dend dazu bei, die Kommunikationsstrategie der euro päischen Weltraumagentur in das 21. Jahrhundert zu befördern; die ESA verkündete ihre Absicht, mit einer „Kultur der Offenheit“ zu experimentieren und zum ersten Mal auf ihrer Webseite die Rohbilder von Huy gens zugänglich zu machen und nicht, wie es üblich
Abb. 2: ESA-Vergleich des ersten Farbbildes vom Titan mit Filmmaterial der Mondlandung von 1969 zur Demonstration des Maßstabs. Die Bildunterschrift lautet: „The composite is compared with a similarly scaled picture taken on the Moon’s surface. Objects near the centre of the picture are roughly the size of a man’s foot, while objects at the horizon are a fraction of a man’s height.“
13 Bei der US-Flagge (im Foto, Abb. 2, im Hintergrund zu sehen) handelt es sich um ein wichtiges „Streitobjekt“, das im Filmmaterial trotz nicht vorhandener Atmosphäre auf dem Mond vorgeb lich im Wind flattert. Zu einem Beispiel einer vorgespielten Verschwörungstheorie qua Reflexi on über Manipulation von Bildern und Film siehe den bemerkenswerten Film von William Karel „Opération Lune“ („Dark Side of the Moon“) aus dem Jahre 2002. Siehe hierzu auch Martina Heßler: Der Imperativ der Sichtbarmachung. Zur Bildgeschichte des Unsichtbaren. In: Bildwel ten des Wissens. Kunsthistorisches Jahrbuch für Bildkritik, Bd. 4,2, S. 69–79, hier S. 69f.
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Abb. 3: Eine der 37 Webseiten mit „Rohbildern“ vom Absinken der Huygens-Sonde vom 14. Januar 2005 (veröffentlicht von der ESA am 17. Januar).
war, erst die hauseigenen Wissenschaftler die Information analysieren zu lassen, bevor einige sorgsam ausgewählte, emblematische Bilder veröffentlicht würden (Abb. 3). Die ESA trat hier in die Fußstapfen der NASA, die dieses Vorgehen während der Spirit und Opportunity Missionen zum Mars im Jahre 2004 erprobt und diese Aktion sich größter Beliebtheit erfreut hatte. Wenn Behauptungen bezüglich einer kaum publik gemachten Serie von Ereignissen des 14. und 15. Januars Glauben zu schenken ist, so war dieser „Schachzug“ der ESA eher die ad-hoc-Reaktion auf eine neue Situation denn das Resultat einer gründlich über legten strategischen Neuausrichtung ihrer Öffentlichkeitsarbeit. Am 14. Januar stellte das an der University of Arizona in Tucson angesiedelte Team, welches für den sogenannten Huygens Descent Imager und sein Radial spektrometer (und damit für das bildgebende Instrument an Bord) verantwort lich war, die Rohbilder versehentlich auf seine Webseite. Obwohl die Dateien später zurückgezogen wurden und ihre Bereitstellung als Irrtum bezeichnet wurde, wurden sie in der kurzen Zeit ihrer Verfügbarkeit von einer weltweiten Chatroom-Community von Weltraum-Fans heruntergeladen, die sie schon sehn lichst erwartet hatten. Mit Hilfe von Bildbearbeitungsprogrammen wie Photo shop und Terragen transformierten sie die Daten in attraktive, dreidimensionale Topografien des Titans (Farbtafel 2). Nur acht Stunden nach Bereitstellung – und damit noch bevor die Wissenschaftler und Hochleistungscomputer der ESA ihre eigenen Farbansichten von Titan prozessiert hatten –, ließen die „Amateure“ ihre Bilder im Internet kursieren.14 Dies ist wohl der wirkliche Grund dafür, warum die ESA sich dazu entschied, eine „Kultur der Offenheit“ zu pflegen: Am 17. 14 Viele dieser „enthusiastischen Kompositionen“ können auf www.anthony.liekens.net (Stand: 8/2007) betrachtet werden – eine Webseite mit dem aufschlussreichen Motto „I don’t have a hyperactive imagination […] I just happen to live in an underactive universe.“ Es gilt zu beden ken, dass die Wissenschaftler der ESA durch andere Instrumente gewonnene Informationen benutzten, um ihre Kompositbilder herzustellen (z. B. für die Farbwerte), während die Ama teure sich dafür auf ihre Vorstellungskraft verließen.
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Januar machte sie die Rohbilder der Huygens nun offiziell für alle Nutzer zum Weiterbearbeiten zugänglich.15 Das Medium und die Botschaft
War die Erfahrung der Mondlandung untrennbar mit dem neuen Medium des Fernsehens verbunden, so entsprechen die Landungen auf Titan und Mars zweifelsohne der digitalen Bildgebung und dem Internet – ihre Bilder setzen so die lange Tradition der Verbindung von Technologien des virtual witnessing und astronomischen Phänomenen fort. Frühe Beispiele hierfür geben die Venus durchgänge von 1874 und 1882 ab, die ersten Durchgänge, die zeitlich auf die Erfindung von Fotografie und Telegrafie folgen: Beide Technologien spielten eine entscheidende – und umstrittene – Rolle in der wissenschaftlichen Beobachtung und öffentlichen Wahrnehmung dieser Ereignisse.16 Auf die Klage des Journalisten des San Francisco Chronicle, der jener vergange nen Zeit nachtrauert, als Familien vor dem Fernseher zusammenkamen, um das Hissen der amerikanischen Flagge auf dem Mond zu verfolgen, ließe sich daher entgegnen, dass der wissenschaftliche furor videndi und seine öffentliche Feier quicklebendig geblieben sind.17 Aber die Begeisterung richtet sich nicht mehr auf die Fernsehübertragung der „ersten Bilder“ der ESA, sie ist online, in den unverdauten Daten und deren kreativem Potenzial. Das Planetarium bildet ein Paradebeispiel dieser seit dem Aufkommen eines breiten Publikums für wissenschaftliche Forschung etablierten Blaupause, wobei die Feier von Technologie, Wissenschaft und Natur sich gegenseitig stützen. So beginnen die ritualisierten Vorführungen des Planetariums seit seiner Erfindung durch Zeiss in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts in nahezu systemati 15 Markus Becker: ESA-Rohbilder verzücken Titan-Fans. In: Spiegel online, 18.01.2005; Mark Peplow: Amateurs beat space agencies to Titan pictures. Online community processes raw images at record speed. [email protected], 19.01.2005, http://www.nature.com/ news/2005/050117/pf/050117-7_pf.html (Stand: 8/07). 16 Siehe Jimena Canales: Photographic Venus: The ‘cinematographic turn’ and its alternatives in nineteeth France. In: ISIS, Vol. 93, 2002, S. 585–613; David Aubin (Hg.): L’évènement astrono mique du siècle? Une histoire sociale des passages de Venus, 1874–1882, Cahiers François Viète, Bd. 11–12, 2007. Herta Wolf: Das Licht im Dienste der Wissenschaften. Herausforderung Venusdurchgang 1874. In: Archiv für Mediengeschichte, Bd. 2, Licht und Leitung,Weimar 2002, S. 85–100. 17 Zu der politischen, sozialen und kulturellen Bedeutung großer astronomischer Ereignisse wie den Venusdurchgängen im 19. Jahrhundert siehe Alex Soojung-Kim Pang: Empire and the Sun. Victorian Solar eclipse expeditions, Stanford 2002. Vgl. dessen Artikel in diesem Band.
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scher Weise mit einer dramatischen Präsentation der technischen Eigenschaften des Projektors, noch bevor dieser zum Einsatz gebracht wird – oftmals taucht er im Dunkeln unbemerkt von den Zuschauern, die es sich gerade bequem machen, im Zentrum des Raums auf; die plötzliche Erleuchtung der Maschine zeigt den Beginn der Vorführung an. Der Zuschauer ist somit erstaunlichen Ansichten direkt ausgesetzt, und es wird ihm zugleich gestattet, einen Blick hinter die Kulissen einer gleichermaßen verblüffenden wissenschaftlichen Maschinerie zu werfen, welche die Wunder des Nachthimmels (re)produziert. Indem er dem Zuschauer das Gefühl gibt, ein Eingeweihter zu sein, strebt der Wissenschaftler nach Zustimmung und Unterstützung sowohl für die Werkzeuge als auch die Gegenstände der wissenschaftlichen Unternehmung: für Zeiss und für die Astronomie und für das Universum. Das Gefühl, den Himmel zu sehen, wird durch das Bewusstsein um die Maschinerie noch gesteigert. Ebenso ist die Produktion amateurhafter, „enthusiastischer Kompositionen“ auf Grundlage von Rohdaten dem wissenschaftlichen Betrieb gegenüber alles andere als subversiv. Sie fördert vielmehr Komplizenschaft und ermutigt letztendlich öffentliche Unterstützung für solche Unternehmungen – es sei denn, der begeisterte Laie überschreitet die rote Linie und fordert einen wissenschaftlichen Status für seine Arbeit ein.18 So hat der Manager des Huygens-Projektes Jean-Pierre Lebreton behauptet, dass die Wissenschaftler der ESA von der Schönheit der Bilder der Laien beeindruckt gewesen seien, aber auch, dass „the amateurs should be given credit for clearly stating up front that their embelishment were not necessarily accurate“. Allerdings, so Lebreton weiter, könnten diese Fähigkeiten zur Unter stützung wahrer Wissenschaft verpflichtet werden: „In fact, […] ESA is looking to hire some of the amateurs who worked on the images.“19 Science / Fiction
Trotzdem ist in der widerwilligen (und partiellen) Lockerung des Monopols auf das öffentliche Bild des Titans seitens der ESA eine offene Anerkennung des Umstandes zu lesen, dass visuelle Produktionen konstruiert sind. Wenn die Roh 18 Zur Spannung zwischen Astronomen und Amateuren innerhalb der populären Observatorien des späten neunzehnten Jahrhunderts siehe Charlotte Bigg: Staging the Heavens. Astrophysics and popular astronomy in the late nineteenth century. In: David Aubin, Charlotte Bigg, H. Otto Sibum (Hg.): The Heavens on Earth: Observatory Techniques in the Nineteenth Century (in Vorbereitung, Duke University Press). 19 Harris (s. Anm. 8), S. 215.
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daten der unangefochtene Rückhalt von Realitätsbezug sind, dann ist jetzt für die ESA eine den vielen Resultaten ihrer Prozessierung entsprechende Vielfalt von Bildern zulässig.20 Hierbei handelt es sich ebenfalls, wenn auch indirekt, um die Anerkennung der Tatsache, dass bearbeitete Bilder mehr beinhalten als reine wissenschaftliche Informationen. Die Befürwortung von „enthusiastischen Kom positionen“ durch die ESA (wenngleich sie deren wissenschaftlichen Charakter in Frage stellt) bringt auf besonders explizite Weise eine traditionelle, jedoch oftmals heruntergespielte Quelle für einen solchen Mehrwert an Information zum Vorschein: Fiktion. Die Idee, einige der „Enthusiasten“ als Mitarbeiter für die ESA anzuwerben, deutet vielleicht auf eine vorangehende gemeinsame (visuelle) Kultur. Wenn die Chatrooms von Weltraum-Bilderbearbeitern sich zum Teil mit den Fantasy- und Gaming-Communities überschneiden, sind Astronomen letztlich schon lange mit Science Fiction direkt befasst gewesen. Fred Hoyle und Carl Sagan zum Bei spiel haben an ihren Universitäten Cambridge und Cornell unter Beweis gestellt, dass anerkannte Science-Fiction-Autoren zugleich achtbare Astronomen sein können, von ihren Vorgängern im 19. Jahrhundert ganz zu schweigen. Und als Astronomen außer sich vor Freude zum ersten Mal einen großen weißen Konti nent auf Titan auf den Namen „Xanadu“ tauften, war nicht ganz klar, ob sie sich dabei auf den Sommer-Palast des Kublai-Khan-Imperiums – wie er von Samuel Coleridge besungen wird – oder auf die in den letzten Jahrzehnten zahlreichen Aneignungen dieses Terminus in Comic-Heften und Science-Fiction-Geschich ten bezogen oder auf alles zusammen.21 Es ist in diesem Zusammenhang bemerkenswert, dass die ESA ihre Rohbilder wie auch die bearbeiteten Bilder des Titans neben zahlreiche (autorlose) „künstleri sche Impressionen“ stellte, die eine unübersehbare Ähnlichkeit mit Umschlag gestaltungen von Science-Fiction-Taschenbüchern der sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts aufweisen (Farbtafel 3).22 Damit haben Wissenschaftler das ihre dazu beigetragen, die Grenzen zwischen Wissenschaft und Fiktion in den Augen 20 Von Hyperrealität hier keine Spur. Vgl. Jean Baudrillard: Simulacres et Simulation, Paris 1981. 21 Dasselbe gilt für die an Xanadu angrenzende, „Shangri-La“ getaufte dunkle Region, jedoch mit dem feinen Unterschied, dass letztere das Produkt reiner Fiktion ist (sie wurde von John Hamilton in seinem Roman „Lost Horizon“ aus dem Jahre 1933 erfunden). Aufgrund seiner ein zigartigen und mysteriösen Atmosphäre ist der Titan für die Science-Fiction-Literatur zu einem Lieblingsplaneten geworden, siehe z. B. Kurt Vonnegut: The Sirens of Titan, London 1959. 22 Siehe dazu Morton (s. Anm. 5), 122–134.
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Charlotte Bigg
der Öffentlichkeit in ähnlicher Weise zu verwischen, wie es Simon Schaffer für gedruckte Darstellungen von Sternennebeln aus dem 19. Jahrhundert ausgeführt hat: „Such sketches were often judged using conventions of physiognomy and cari cature, ways of seeing common in the worlds of cheap graphic journalism.“23 Seltsam vertraut
Der Hauptgrund, so führten Wissenschaftler mehrfach aus, den Titan zu besu chen, war die Vermutung, dass seine Beschaffenheit jener der noch jungen Erde zu gleichen schien. Das Studium des Titans könnte Aufschluss darüber geben, wie auf der Erde Leben entstanden ist. Der Umstand, dass sich die Oberfläche des Mondes, wie die Bilder der Huygens enthüllten, als der des Planeten Erde zum Verwechseln ähnlich erwies, war durchaus ermutigend. Martin Tomasko, verantwortlich für das DISR-Instrument (Descent Imager-Spectral Radiometer), behauptete: „geological evidence for precipitation, erosion, mechanical abrasion and other fluvial activity says that the physical processes shaping Titan are much the same as those shaping Earth“24, mit der Ausnahme, dass statt Wasser Methan und Ethan die Wolken, Flüsse und Seen des Schwesterplaneten zu bilden schie nen (Abb. 4). Als der ESA-Wissenschaftsdirektor David Southwood sagte, „it’s not just going to a strange place, it’s going to a place that’s strangely familiar“25, war damit auch ausge drückt, dass die scheinbare Banalität der Huygens-Bilder als das eigentlich Außer gewöhnliche begriffen werden müsse: Die Oberflächen- und Luftaufnahmen des Titans demonstrierten eine ü berraschend mimetische Korrespondenz zwischen der Erde und dem entfernten Mond; und somit, wie weit die Naturgeschichte des Himmels und die Physiognomie der Landschaft, wie sie seit dem 18. Jahrhundert von u.a. William Herschel und Alexander von Humboldt bis hin zur Planetenfor schung entwickelt worden waren, buchstäblich getrieben werden konnten.26 23 Simon Schaffer: On astronomical drawing. In: Peter Galison, Caroline Jones (Hg.): Picturing Science, Producing Art, New York/London 1998, S. 441–474, hier S. 442. 24 In: Seeing touching and smelling. The extraordinary Earth-like world of Titan, abrufbar unter: http://www.esa.int/esaCP/Pr_5_2005_p_EN.html (Stand: 8/07). 25 Pressekonferenz abrufbar unter: http://www.esa.int/SPECIALS/Cassini-Huygens/ SEMQ1QQ3K3E_0.html (Stand: 8/07). 26 Vgl. Simon Schaffer: Herschel in Bedlam: natural history and stellar astronomy. In: British Journal for the History of Science, Vol. 13, 1980, S. 211–239. Morton analysiert die geologietypische Methode der vergleichenden Landschaftsbeobachtung zwischen Erde, Mond und Mars (s. Anm. 5).
Bilder des Titans
Wenn für Roland Barthes die Aura der Fotografien in dem nostalgischen Bewusstsein um die unwiederbring lich verlorene Zeit lag, dann liegt die Aura der „indistinct pictures of orange rocks“ vielmehr in dem nostalgischen Bewusstsein um den unwiederbring lich fernen Raum;27 in dem Wechsel spiel von Vertrautheit und Fremdheit zwischen Titan und Erde, aber auch zwischen Wissenschaft und Fiktion, welche die Planetenforschung beide ermöglichen und legitimieren, die neueste Inkarnation der Untersu chung der Pluralität der Welten.
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Abb. 4: „Mosaic of river channel and ridge area of Titan“ (ESA-Bildunterschrift).
27 Roland Barthes: La Chambre Claire, Paris 1980, S. 99–118. Der Begriff „Aura“ stammt von Walter Benjamin, siehe z.B. Walter Benjamin: Das Passagen-Werk, Gesammelte Schriften, Band V-2, Frankfurt a. M. 1989, S. 457.
Alex Soojung-Kim Pang
The Industrialization of Vision in Victorian Astronomy
The shift from craft-driven to machine-driven visual observation and recording between the 1840s and 1900s was one of the most important developments in nineteenth-century science. To astronomers writing at the end of the nineteenth century, and to many historians, it seemed a straightforward story of old tech nologies (the eye and paper) replaced by superior ones (the camera and glass plate). Central to the superiority of photography was its mechanical character. As Edward Holden, director of the Lick Observatory in California between 1887 and 1898 put it, the camera “does not tire, as the eye does, and refuse to pay attention for more than a small fraction of a section, but it will faithfully record every ray of light that falls upon it even for hours and finally it will produce its automatic register […]. We can hand down to our successors a picture of the sky, locked in a box”.1 Likewise, Agnes M. Clerke predicted in 1888 that photography would bring about “a new birth of knowledge regarding the structure of the universe”. “Stars should henceforth register themselves”, she declared, a phrase that suggested both human disengagement and photographic neutrality. Such photographs were striking, but she argued, “pictoral beauty is the least of their merits”.2 The epistemological differences between direct observation and photography may seem self-evident today, but for Victorian astronomers they were not: for decades, each was seen as having its own virtues and flaws, and it was unclear that one media should replace the other. A close look at the realities of the mechanical production, and especially reproduction, of astronomical images also reveals that skilled labor and craft were not rendered obsolete by photography:They became even more necessary to produce the appearance of predictable mechanical per formance and even excelled in new fields of representation. Astronomical Observation as Craft, 1840 –1880
Astronomy in the 1840s was divided into two major branches. Celestial mechan ics was concerned with the mathematical description of the motions of plan ets, comets, and other astronomical objects. The newer, racier (by Victorian terms) field of nebular astronomy, sought to write the “natural history of the
1 Edward S. Holden: Photography the servant of astronomy. In: Overland Monthly,Vol. 8, 1886, p. 468. On the history of the Lick Observatory also see Alex Soojung-Kim Pang: Technologie und Ästhetik der Astrofotografie. In: Peter Geimer (Hg.): Ordnungen der Sichtbarkeit. Fotografie in Wissenschaft, Kunst und Technologie, Frankfurt a. M. 2002, p.100 –141. 2 Agnes M. Clerke: Sidereal photography. In: Edinburgh Review, Vol. 167, 1888, p. 24.
The Industrialization of Vision
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heavens”, as its founder William Herschel declared. It was inter ested in origins and development of planets and stars, stellar systems, and the Universe itself. Central to that exercise was an understand ing of what nebulae were and how they changed over time, especially whether they evolved, rising from chaotic, cloud-like masses into organized solar systems and stars. Fig. 1: The Warren De la Rue party observing the 1860 total solar The problem was that, as astrono eclipse at Rivabellosa, Spain, with the Kew photoheliograph. In: The Illustrated London News, Vol. 37, 1860, August 25 (Detail). mer Charles Piazzi Smyth put it, “as the objects are placed at such excessive distances from us, centuries may elapse before any change becomes evident”.3 Finding evidence of nebular change required creating visual records so detailed, precise and long-lived they could be useful for centuries. Smyth’s 1846 paper on nebular drawing laid out a program for creating such records. He first emphasized the need for an unfamiliar level of precision in astronomical drawing. “No vague expression or semblance of that which exists must be allowed to take the place of painstaking, accurate, and detailed deline ation”, he wrote, “for the passage of a celestial object from one state to another, which it is our prime object to ascertain, can only be established by the com parison of very exact and faithful representations”. Smyth recommended that, in order to make the best pictures possible, astronomers draw at the eyepiece with India ink and brush. These were harder to master than charcoal or pencil, but he commended them for “producing shade as shall not be visible to the naked eye” and allowed “alteration and correction to a certain extent”. Astronomical representation thus became a field of artistic expertise in its own right. Nebulae as seen through most telescopes were little more than fine patches of light and dark, and so having a drawing medium that could handle dramatic contrasts was crucial. India ink could support careful, detailed work, but for broader spaces it had to be applied with “rapidity and decision”, which encouraged “a certain
3 Charles Piazzi Smyth: On Astronomical Drawing. In: Memoirs of the Royal Astronomical Soci ety, Vol. 15, 1846, pp. 71–82, quote on 71.
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Alex Soojung-Kim Pang
dash and vehemence of utterance” that needn’t come at the expense of detail.4 More profoundly, dry materials like pencil were good for solid objects and line drawing, but as Victorian critic Philip Gilbert Hamerton, author of The Graphic Arts wrote, “in passing from line to brush-work the student has to abandon the mental habits which are connected with the line and to acquire the habit of seeing nature in spaces […]. This mental revolution cannot be too complete”. India-ink and brush would force astronomers to organize their perceptions of nebulae in spatial terms.5 The introduction of photography did not immediately undermine this system of visual observation and drawing. P hotography moved into the observatory very slowly, and its advances were incremental: the first pictures of the moon were taken in 1840 by American astronomer John Draper, the first eclipse photograph in 1860 by William De la Rue (fig. 1, plate 4). Many pioneers of astrophotogra phy were also skilled artists. Until the 1880s, discussions of astronomical photog raphy and drawing tended to see both media as having complementary strengths and weaknesses.6 Instructions given to solar eclipse expeditions in the 1860s and 1870s, for example, gave equal attention to drawing and photography: the drawing instructions for British eclipse expeditions were written by Pre-Rapha elite artist John Brett. In short, for its first decades, photography was seen as a complement to drawing, not a challenge to it.7 But drawing accurate pictures was only half the battle, as Smyth concluded in his article: there still remained “the hardly inferior”8 challenge of printing them. Why was this difficult? Good reproductions had to be printed without cross hatching, engraving marks, and any other features that were obviously artifactual. It was difficult to publish original drawings, and photographs until the 1880s,
4 Smyth (as cited in footnote 3), pp. 71–82. 5 Smyth and Hamerton quoted in Alex Soojung-Kim Pang: Visual Representation and Post-con structivist History of Science. In: Historical Studies in the Physical and Biological Sciences, Vol. 27, 1997, pp. 139–171. 6 See, for example, correspondence regarding the 1878 Memoirs of the Royal Astronomical Society (RAS) atlas of eclipse drawings and photographs, particularly Henry Draper to Arthur Ranyard, 10 August 1880; Samuel Langley to Ranyard, 28 April 1880; Edward Pickering to Ranyard, 3 August 1880; Robert Ball to Ranyard, 7 May 1880, RAS MSS 6. 7 On eclipse drawing, see Alex Soojung-Kim Pang: Victorian Observing Practices, Printing Tech nology, and Representations of the Solar Corona (1): the 1860s and 1870s. In: Journal of the History of Astronomy, Vol. 25, 1994, pp. 249–274. 8 Smyth (as cited in footnote 3), p. 72.
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without redrawing them; they had to be re-copied by an engraver onto a steel plate or lithographic stone, then printed (fig. 2). So it was essential for astronomers to develop good relationships with scientific illustra tors and engravers who would do that redrawing and recopying. Illustrators were skilled laborers whose world mirrored that of scientists themselves: it was small, highly networked, and centered in London. Most worked for both scientific and popular pub lications, though a few specialists worked in botanical and zoological illustration. Many seem to have come Fig. 2: Lithograph of the 1870 eclipse, engraved from a drawfrom artist or artisan families, and ing of a negative taken by Alfred Brothers. were trained in landscape or portrait In: Memoirs of the Royal Astronomical Society, Vol. 41, 1878, Plate 6. painting, engraving, or printing. This is important because engravers were often called upon to reproduce paintings and drawings, and their professional identities were based on the idea that they were not merely copyists and clever mechanics, but translators possessing unique and specialized skills.9 So while astronomers took for granted that they knew what astronomical pic tures should look like, they had to find ways to monitor hired artists without insulting their competence and skill. (And lots of skill was required, if price is a reliable indicator. In 1875, a lithographed plate of an astronomical subject cost five times as much as a plate of a fossil.) What developed was a system in which astronomers were given the power to approve or order corrections in artists’ work, but only at certain stages. For example, James Tennant’s eclipse photo graphs of 1868 were copied by an artist who worked in Tennant’s office, and finished after he drew the artist’s “attention to defects of representation, or overdefinition” (fig. 3). This served to assure the artist’s objectivity: Tennant declared
9 Charles Blanc: Grammar of Painting and Engraving, Cambridge 1874. Stephen Bann: Parallel Lines: Printmakers, Painters, and Photographers in 19th century France,Yale 2001.
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that the drawings “may be considered as the work of a conscientious copyist devoid of all theories”. Engravings of the drawings were then made by a sec ond artist, and his work was checked and corrections made “in the presence of ” four prominent astronomers. The process was only finished when all four “expressed themselves satisfied with the results”.10 Artists’ skills were mobilized even more fully when called upon to make composite engravings that combined the best features of several photo graphs or drawings into a single lithography or engraving. Most astro Fig. 3: Lithograph of the 1871 eclipse. The lithograph was nomers acknowledged that indivi “engraved from a drawing made from the original negative dual drawings and photographs were taken at Dodabetta”; James Tennant oversaw the production incomplete records. Drawings reflec of the drawing. In: Memoirs of the Royal Astronomical Society, Vol. 41, 1878, Plate 8. ted the astronomer’s artistic talents, conditions of visibility, and other fac tors; photographs could be altered by varying exposures, emulsion formulas, and developing times. As Hamerton wrote: “It is one of the peculiar misfortunes of the photograph that it is not capable of giving two truths at once […] not having any method of compensation like that which every painter finds out for himself.”11Working in collaboration with an astronomer, an artist could produce a composite based on several records that provided a clearer and more truthful picture than any single drawing or photograph (fig. 4). This was the strategy used by astronomer Arthur Ranyard and artist-engraver William Wesley in producing the most influential pictures of eclipses, published in the Memoirs of the Royal Astronomical Society in 1878. Similarly, some of the more famous engravings of nebulae were composites based on several good nights’ observing.12 10 James Tennant: Report of the Total Eclipse of the Sun, August 17–18, 1869. In: Memoirs of the RAS, Vol. 37, 1869, p. 33. 11 Philip Gilbert Hamerton: Thoughts About Art, London 1889, p. 58. 12 Pang (as cited in footnote 7), pp. 249–274.
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The link between observation and reproduction also worked in reverse: some astronomers organized their observations with the intention of having com posites made of their originals. Manchester photographer Alfred Brothers planned to take series of photographs at the eclipse of 1870 “from which a picture of the corona could be, so to speak, built up”13. An 1882 eclipse team took a series of photographs with var ied exposure times from which Fig. 4: Composite lithograph of the 1871 eclipse. The lithograph was a composite could be made in “engraved from a drawing made from the original negatives”. The negatives were all from a single site, but had different exposures London. In the 1890s, amateur and showed different details. A composite drawing could show astronomers developed a tech details from all the photographs, but it had to be carefully drawn. In: nique for eclipse drawing based Memoirs of the Royal Astronomical Society, Vol. 41, 1878, Plate 7. on composite practices. Each member of a 4-party team drew one quadrant of the corona during totality, then participated in drawing a composite immediately afterwards.14 The Mechanization of Imaging, 1880–1900
The 1880s and 1890s witnessed the erosion of both the status of drawing and the abandonment of the system of composite drawing that brought together astronomers, engravers, and multiple copies of drawings and photographs. This was part of a broader late nineteenth-century eclipse of human observation by mechanized technologies. Within astronomy, a new generation of large tel escopes and spectroscopes, and the development of dry plates, which were easier to use and more sensitive than their predecessors, increased the power of astro nomical photography, and changed the character of astronomical observation. 13 Alfred Brothers: Eclipse Expedition 1870, Sicilian Section, Photography Department, hand written ms, n.d., n.p. (RAS MSS 5.2). 14 Alex Soojung-Kim Pang: Empire and the Sun: Victorian Solar Eclipse Expeditions. Stanford 2002, pp. 83–120.
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Success in this era depended less upon a quick eye at the telescope than an ability to manage teams of workers, instruments, and masses of photographs. Artistic talent, it seemed, was no longer of much use.15 The status of astronomical drawing was further undermined by the publication of a series of spectacular and revealing photographs of very familiar objects, including the Pleiades, Orion Fig. 5: Photograph of the Orion Nebula taken by Nebula, and Andromeda Nebula, in the 1880s. A. A. Common on February 28, 1883 with exposure Photographs of the Pleiades, for example, of one hour. seemed to settle old debates about the magni tude and position of the stars, revealed three times as many stars as were on old hand-drawn charts, and most spectacularly, revealed that the Pleiades were embedded in a faint, immense nebular substructure. These discoveries were made all the more dramatic by the fact that while they could never be directly observed, because “the eye is [too] dazzled by the light of the bright stars”16 in the system to see the nebula, they could be photographed in great detail. An 1883 photograph of Orion “not only superseded all previously existing delineations of that strange object, but virtually prohibited any such being attempted in the future. Changes in its condition, it was made plain, must thenceforth be investi gated by a comparison of photographs“17(fig. 5). For the first time, astronomers began to talk about photographs and drawings as being incommensurable. Finally, composite engraving fell into disrepute when the invention of halftone and photogravure printing made it easier to reproduce original photographs. Photogravure, which was used in atlases and for important photographs from the 1890s, was attractive because of its “softness, richness of ink impression, [and] lack of visible screen”, a particularly important quality for astronomers, given their desire for images to appear as if they had traveled from eyepiece to printed page, and “enormous capacity […] for smoothly graduated tones”.18 15 Alex Soojung-Kim Pang: Victorian Observing Practices, Printing Technology, and Representa tions of the Solar Corona (2): The Age of Photomechanical Reproduction. In: Journal of the History of Astronomy, Vol. 26, 1995, pp. 1–13. 16 E. E. Barnard: Recent Stellar Photography. In: Siderial Messenger, Vol. 6, 1887, p. 62. 17 Anonymous: Astronomical Photography. In: Siderial Messenger, Vol. 7, 1888, p. 184. 18 Estelle Jussim: Visual Communication and the Graphic Arts, New York 1983, pp. 133, 140.
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Fig. 6: Etching room in a printer’s shop. Printers had to use skill and care to create halftones and etching that looked mechanical and devoid of human craft. In: Wilhelm Cronenberg: Half-Tone on the American Basis, London 1894.
These processes could reproduce photographs without recopying them first. Together, photography and p hotoengraving could make a closed system in which images produced in the observatory could be deposited unchanged on the pages of scientific journals and atlases, and human intervention supposedly eliminated completely. But the reality of photomechanical reproduction was more complicated than the ideal: artisanal skill and judgment were still required to give plates just the right appearance of nonintervention.The difficulty of astronomical subjects guaranteed that they would have to be treated with special care and attention. Halftones of nebular photographs could only be made using dense screens, special papers, and inks, all of which required “exceptional facilities and skill”.19 Photogravure was a very delicate process that also required skilled hands and experienced eyes. Astronomers quickly learned to request that the best workmen in a printer’s shop be assigned to tough subjects, and urged them to do all they could to make sure that reproductions looked as much like original photographs as possible (fig. 6). At the same time, they adjusted practices in the observatory to suit the needs of printers. Engravers sometimes asked astronomers for photographs with certain qualities that would make them easier to reproduce. In particular, the strength and 19 Ernest Edwards: The Art of Making Photo-Gravures. In: Anthony’s Photographic Bulletin, Vol. 17, 1887, pp. 430–431.
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density of glass positives were adjusted to meet the demands of printers. Positives to be used for research purposes, for example, might be “developed with a view to obtaining the best general representation of the nebula” rather than, for exam ple, the extent of its outer edges.20 Photograph and illustration thus existed in a symbiotic relationship: illustrations were faithful copies of photographs, but pho tographs had to be manipulated to make them more suitable for reproduction. So the success of apparently mechanical imaging technologies rested on craft skill and aesthetic judgment. Astronomers tended to relegate this skill to the margins – printers were mere workmen, after all, and printing a service – but engravers spoke eloquently among themselves about the skill and artistic sensi bility required even in the age of mechanical printing. “A good plate cannot be produced by accident, nor is it a simple mechanical result”, one engraver wrote. “There is much skill, taste, knowledge and talent required to make a good nega tive as there is to any other kind of work […]. The machines do not work alone and the fine outfits and choice chemicals do not turn out perfect plates. Skill, practice and a thorough knowledge is required to have a first class result; without these all else is useless.”21 The irony, as Wilhelm Cronenberg wrote, was that the engraver had to “avoid working like a machine” for photomechanical printing processes to succeed.22 Choices of screen and diaphragm, exposure times, lighting levels, etching depths, and printing materials could all be chosen with the purpose of getting the nega tive to produce an image identical to the original – not of altering the image but stabilizing it, guiding it unchanged from negative to copper plate to paper. This illustrates the central problem in astronomical printing, and one of the critical issues and paradoxes in scientific representation: even as instruments and observ ing technologies underwent dramatic and even revolutionary changes, artistic skill and artisanal intervention were just as necessary when producing exemplars of mechanical imaging technologies, as when making composites of drawings. 20 James Keeler to Edward Holden, 13 December 1898, Director’s Copybook 63, Mary Lea Shane Archives of the Lick Observatory, UC Santa Cruz. Quoted in Alex Soojung-Kim Pang: „Stars should henceforth register themselves”: Astrophotography at the early Lick Observatory. In: British Journal for the History of Science, Vol. 30, 1997, p. 187. 21 Carl Nemethy: Photo-etching and Printing. In: American Art Printer, 1891, November, pp. 99–100. 22 Wilhelm Cronenberg: Half-Tone on the American Basis, London 1896, p. 77.
Thomas Fechner-Smarsly
„Die Welt für sich und die Welt für uns.“ August Strindbergs Celestografien „Ich habe wie der Teufel gearbeitet und ich habe auf einer ausgelegten photo graphischen Platte die Bewegung des Mondes und das wirkliche Aussehen des Himmelsgewölbes aufgenommen, unabhängig von unserem irreleitenden Auge. Dies ohne Camera und ohne Linse. Was mir die Gelegenheit zu einem Brief gab: Die Welt für sich und die Welt für uns. Darin wird der Meereshorizont enthüllt und eine Erklärung gegeben, warum wir alles rund sehen. Die photographische Platte ergab eine Fläche voller Monde. Natürlich spiegelt jeder Punkt der Platte einen Mond. Die Camera leitet in die Irre wie das Auge, und das Rohr narrt die Astronomen!“1 August Strindberg (1849–1912), von dem diese Briefstelle stammt, ist ein Son derfall. Nicht nur, weil er sich für einige Jahre von der Literatur fast ganz ab- und den Naturwissenschaften zuwandte, sondern auch, weil er dabei der Fotografie als Mittel der Forschung eine wichtige Rolle zubilligte. Die angeführten Zeilen schrieb der schwedische Schriftsteller am 26. Dezember 1893 an Bengt Lidforss, einen jungen Pflanzenphysiologen aus Lund, mit dem er einen regen Austausch über naturwissenschaftliche Themen unterhielt. Auf engstem Raum formu liert Strindberg hier das Programm seiner fotografischen Experimente in den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts. Diese zeichnen sich durch eine Kritik der visuellen und technisch vermittelten Wahrnehmung aus, in diesem Fall der fotografischen Apparatur (und des Teleskops). Der Versuch, wissenschaftliche Wahrheiten zu erschüttern, war mit teils polemischen Angriffen auf das gepaart, was er „die Autoritäten“ oder „die Gelehrten“ nannte: die zu seiner Zeit etablier te Wissenschaft. In einem Brief vom 10. März 1891 an Birger Mörner, einen jungen Adligen aus seinem Bekanntenkreis, schrieb Strindberg: „Über meine naturwissenschaftlichen Kenntnisse sollten wir erst nach zwei Jah ren sprechen. Ich arbeite nämlich an großen Sachen, aber mit geringen Mitteln; ich blase mein Glas selbst, löte selbst und musste meine ganze Erfindungsgabe anwenden, um ein Spinnrad und einen Regenmantel in eine gewaltige Elek trisiermaschine zu verwandeln. […] Ich habe eine ganze Aktenmappe voller Aufzeichnungen über niedergeschriebene Experimente, die nur auf Apparat und Instrumente warten.“2
1 In: August Strindbergs Brev, 1892 – januari 1894, Bd. 9, hg. von Torsten Eklund, Stockholm 1965 [Übers. TFS]. Der erwähnte Brief „Die Welt für sich und die Welt für uns“ sollte eigent lich als fünfter Teil von August Strindbergs „Antibarbarus“, einer Abhandlung über die Chemie, erscheinen, wozu es aber nicht kam.
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Thomas Fechner-Smarsly
Die beiden Briefstellen offenbaren Strindbergs Doppelstrategie: Einer seits verfolgt er die beit an „großen Ar Sachen“, mithin grundle genden Thesen, anderer seits bedient er sich dazu aber nur „geringer Mit tel“. Was Strindberg im Falle seiner chemischen und elektrischen Expe rimente in den Jahren 1892–1896 noch als finanziell begründeten Mangel an Ausstattung darstellt, wird dagegen im Falle der Fotografie – zur gleichen Zeit und in der Absicht, zu einem Abb. 1: August Strindberg: Fotogramm einer Kristallisation, 1890er, anderen, unverfälschten 12 x 9 cm, Stockholm, Königliche Bibliothek. und „unvermittelten“ Na turbild zu kommen – zum bewussten Verzicht auf besondere Gerätschaften. Schon die wenigen Briefzeilen offenbaren Strindbergs Grundeinstellung. Sie besteht in einem Misstrauen gegenüber der technischen Apparatur, insbesondere der Linse, welche die Himmelskörper verzerre, da sie aufgrund ihrer dem Auge abgeschauten Gestalt alles gerundet wiedergebe. Darüber hinaus macht die erste Briefstelle deutlich, dass für Strindberg die Fotografie vor allem ein Medium des Experimentierens war, um seine naturwissenschaftlichen Spekulationen zu dokumentieren und argumentativ zu stützen. Seinen Zufallsaufnahmen des nächtlichen Himmels ohne Kamera und Linse, von ihm selbst als Celestografien (oder auch Coelestografien) bezeichnet, kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Es wird sich zeigen, dass nach heutigen Maßstäben Strindbergs Beschäftigung mit der Fotografie geradezu konzeptuell erscheint.
2 August Strindberg: Briefe, hg. von Torsten Eklund, München o. J., S. 181.
August Strindbergs Celestografien
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Abb. 2: August Strindberg: Fotografie einer Wolkenformation in Stockholm, 1907/08, 12 x 16,5 cm, Stockholm, Königliche Bibliothek.
Vom Spiegel zur Bromsilberplatte
August Strindberg hat sich im Laufe seines Lebens mehrfach der Fotografie zugewandt.3 Nachdem er zunächst Selbstporträts und Familienbilder aufgenom men hatte, standen die neunziger Jahre des 19. Jahrhunderts ganz im Zeichen (und im Dienst) seiner naturwissenschaftlichen Interessen. Es entstanden soge nannte „Kristallogramme“, bei denen chemische Kristallbildungen direkt auf lichtempfindlichem Papier abgebildet wurden (Abb. 1). Nach 1900 unternahm Strindberg den Versuch, mit einer von ihm als „Wunderkamera“ bezeichneten Apparatur lebensgroße psychologische Porträts anzufertigen. In dieser Phase entstanden auch einige Wolkenbilder, die Strindberg in der Nähe seiner Stock holmer Wohnung aufnahm (Abb. 2).
3 Die ausführlichste Darstellung mit einer 25-seitigen englischen Zusammenfassung findet sich in Per Hemmingsson: August Strindberg som fotograf, Lund 1989. Eine knappe Einführung auf Deutsch bietet: Photogenie – Photogenique. August Strindberg und die Photographie. In: Der andere Strindberg, hg. von Angelika Gundlach, Frankfurt a.M. 1981, S. 247–289. Einen analy tischen Zugriff vor dem Hintergrund der Fotografiegeschichte unternimmt das Kapitel: August Strindberg: Photographie zwischen Naturalismus und Supernaturalismus. In: Bernd Stiegler: Philologie des Auges. Die photographische Entdeckung der Welt im 19. Jahrhundert, München 2001, S. 268–289. Eine gekürzte Fassung dieses Textes findet sich in: Walter Baumgartner, Tho mas Fechner-Smarsly (Hg.): August Strindberg. Der Dichter und die Medien, München 2003, S. 211–235.
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Im Unterschied zu anderen fotografierenden Schriftstellerkollegen gingen sein Interesse und seine Behandlung des neuen Mediums jedoch über den Status des im heimischen Garten nachgegangenen Hobbys weit hinaus; Fotografie war für ihn „Werkzeug und Experiment“4 und wurde ähnlich wie die Malerei, der er sich in Phasen der Suche und des Stillstands widmete, mit einiger Vehemenz betrie ben. Im Winter 1893–1894 machte Strindberg im österreichischen Dornach eine Reihe von fotografischen Experimenten; von den hier gewonnen Celesto grafien sind insgesamt 16 bekannt und identifiziert.5 Sie sind heute Bestandteil der Strindberg-Sammlung in der Königlichen Bibliothek in Stockholm. Die Platten in der Größe zwischen 9 x 6 und 12,5 x 9 Zentimeter sind zum Teil unfixiert. In Briefen und Artikeln hat ihr Hersteller seine Vorgehensweise und Resultate folgendermaßen beschrieben: „Beispiel 1. – Eine Lichtplatte, ohne Dunkelkammer, ohne Objektiv, mit Ent wickler übergossen, wurde fünfundvierzig Minuten lang bei Mondschein belich tet. Ich hob die Platte heraus, belichtete sie mit diffusem Licht und fixierte. Das Resultat: in der Mitte des Negativs eine dunkle Wolke mit einem klaren waben förmigen Gitter. […] Beispiel 2. – Ich belichtete eine Lichtplatte, ohne Apparat, ohne Linse, bei untergehender Sonne, drei Sekunden lang, und das sich ergeben de Bild hatte keinerlei Ähnlichkeit mit dem des Mondes. Die ganze Platte war mit kleinen Flammen bedeckt. Beispiel 3. – Ich belichtete eine Lichtplatte, ohne Apparat, ohne Objektiv, ganz allein für sich, unter dem bestirnten Firmament, gerichtet auf den Orion. Das Negativ zeigte eine einheitliche Oberfläche mit unzähligen klaren Punkten, aber in verschiedenen Größen.“6 Zu sehen ist eine dunkle, braune Oberfläche, übersät mit zahlreichen helleren Flecken oder Punkten, die sich an manchen Stellen zu einem fast leuchtenden Zentrum, zu einem regelrechten Gewölk verdichten. Manche dieser hellen Zen tren sind teils eingefasst, teils durchzogen von bläulichen Schlieren, so dass sich
4 Rolf Söderberg: Fotografi som verktyg och experiment/Photography as a Tool and an Experi ment, Stockholm 1989, S. 6–15 und passim. 5 Sie finden sich vollständig, in Originalgröße und in Farbe wiedergegeben in: August Strind berg: Naturvetenskapliga Skrifter II. Broschyrer och Uppsatser 1895–1902, hg. von Per Stam (= August Strindbergs Samlade Verk 36), Stockholm 2003, o.S. Dt. Übersetzung in: Aus dem Blaubuch von August Strindberg, hg. von Petra und Uwe Nettelbeck, Nördlingen 1988, S. 105–108. 6 August Strindberg: Der Himmel und das Auge. In: August Strindberg: Verwirrte Sinneseindrü cke. Schriften zu Malerei, Photographie und Naturwissenschaften, hg. von Thomas FechnerSmarsly, Amsterdam/Dresden 1998, S. 118f.
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leicht der Eindruck von „Sternennebel“ einstellt, die zahlreichen hellen, distink ten Punkte hingegen mit Sternen assoziiert werden können (Farbtafel 5, 6). Das im eingangs zitierten Brief erwähnte Experiment mit einer ausgelegten Fotoplatte unter gleichzeitigem Verzicht auf Linse und Kamera beschreibt Strindberg später noch einmal ausführlicher in seinem Artikel Über die Lichtwirkung bei der Fotografie. Betrachtungen aus Anlaß der X-Strahlen, in dem er seine zentralen Gedanken zur Fotografie zusammenfasst und der deutlich werden lässt, wie Strindberg zur Verwendung fotografischer Platten kam: „Heute, in diesen Tagen der X-Strahlen, hat man sich bei dem großen Wunder aufgehalten, dass weder Kamera noch Linse benutzt werden. Dies ist für mich eine günstige Gelegenheit, den wirklichen Sachverhalt mit meinen Fotografien ohne Kamera und Linse zu schildern, aufgenommen von Himmelskörpern im Vorfrühling 1894, die seinerzeit eine gewisse Heiterkeit erregten […]. Ein Spiegel lag auf meinem Tisch und spiegelte das Bild des Mondes. […] Der Optik zufolge müsste ja jeder Punkt auf der ebenen Fläche des Spiegels das Licht des Mondes zurückwerfen, nach den und den Gesetzen. Wäre der Spiegel sphärisch konkav, würden sich dagegen die Mondstrahlen in einem Punkt sammeln und ein kleines rundes Bild erzeugen, das dem ähnlich wäre, was wir Mond nennen und mit unserem Auge sehen. […] Und dann ersetzte ich den Spiegel durch eine Bromsilberplatte, und um eine kräftigere Wirkung zu erzielen, legte ich sie in Entwickler und belichtete gleichzeitig.“7 Deutlich wird hier, dass erstens die dem Gegenstand ohne Kamera und Linse ausgesetzte Fotoplatte wie ein Spiegel benutzt wird, mit dem zusätzlichen Arbeitsschritt, das gespiegelte Bild zu fixieren; und dass zweitens Strindberg die Krümmung und runde Form der Linse wie des Auges für den eigentlichen Grund dafür hält, warum uns die Himmelskörper rund erschienen. Die Überlegungen, die in die celestografischen Versuche mündeten, nahmen damit ihren Ausgang in zwei entgegengesetzten Punkten: vom Objekt und seiner Repräsentation auf der einen Seite und vom Subjekt und seiner individuellen Wahrnehmung auf der anderen, um, wie er sagt, „die Frage zu beleuchten […], wie sich die Welt unabhängig von meinem trügerischen Auge darstellt“.8
7 August Strindberg: Über die Lichtwirkung bei der Fotografie. Betrachtungen aus Anlaß der X-Strahlen. In: Strindberg (s. Anm. 6), S. 122–130, hier S. 128f. Siehe hierzu auch ders. (s. Anm. 6), S. 117. 8 Strindberg (s. Anm. 6), S. 117.
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Korrespondenz zwischen Innen und Außen
Im Falle der Celestografien (und dem Beispiel des Mondes und der Sterne) sind diese Ausgangspunkte für Strindberg neben den katoptrischen auch entoptische Phänomene, welche bereits Goethe interessiert hatten.9 So führt Strindberg aus, dass, wenn er im Dunkeln auf die Augäpfel drücke, er zunächst ein Chaos aus Licht, Sternen, Funken sähe, die kondensieren und sich zu einer glänzen den rotierenden Scheibe sammeln würden.10 Diese entoptische Erzeugung chaotischer Lichteffekte im Mikrokosmos Auge führt Strindberg zu folgenden Fragen: „Ist es also das Innere des Auges, das der Astronom in Wort und Bild wiedergibt, und sind es die Linsen des Tubus, die er auf der lichtempfindlichen Platte fotografiert? […] Wo fängt das Ich an, und wo hört es auf? Das Auge, der Sonne angepasst? Oder das Auge, das Phänomen, genannt Sonne, erzeugend?“11 Offenbar will der auf Ähnlichkeiten bedachte Strindberg mit seinen fotografi schen Wahrnehmungsexperimenten eine Korrespondenz zwischen den Effekten im Augeninnern und dem Sternenhimmel, das ontologische Verhältnis von Kos mos und Subjekt ausmachen, was er in der fragenden Vermutung zuspitzt, die Sonne habe sich im Auge gewissermaßen einen neuen Brennpunkt geschaffen. In seinem Buch über Strindberg als Fotograf weist Per Hemmingsson diese Spekulationen als absurd zurück.12 Hemmingsson verkennt jedoch den fragen den Impuls Strindbergs, der davon ausgeht, dass die „Welt für sich“ nicht erkenn bar sei, sondern nur die „Welt für mich“. Damit schließt sich Strindberg der unter anderem von Schopenhauer vertretenen Position an, in der Wahrnehmung der Wirklichkeit vor allem „cerebrale Phänomene“ zu sehen. „Es muß also das Auge und seine Konstruktion sein“, resümiert Strindberg die Überlegungen, zu denen ihn der Anblick der Celestografien veranlasst, „das über die Formation dieser leuchtenden Scheiben entscheidet. Sonne und Mond sind nicht rund?“ Um zu wissen, woran er sei, schickte Strindberg Papierabzüge seiner Bilder zusammen mit einem Bericht an die Société astronomique de France.13
9 Das Grundproblem, ob unsere Wahrnehmung der Himmelskörper nur eine subjektive Kon struktion und „in Wirklichkeit“ gar nicht auszumachen sei, ob deren Form nun rund oder eckig (z.B. bienenwabenfömig) wäre, lässt sich bis in das Jahr 1888 zurückverfolgen. Siehe hierzu: Der Verstand der Blumen und der Tiere. In: Strindberg (s. Anm. 6), S. 232. 10 August Strindberg: Ein Blick zum Weltraum. In: Strindberg (s. Anm. 6), S. 102. 11 Strindberg: Ein Blick zum Weltraum. In: Strindberg (s. Anm. 6), S. 102f. 12 Siehe Per Hemmingsson: August Strindberg som fotograf, Lund 1989, S. 97. 13 Strindberg (s. Anm. 6), S. 119.
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Zwischen Abbild und Rauschen
Strindbergs Celestografien fanden, wie aus einem Sitzungsprotokoll der Société astronomique hervorgeht, in wissenschaftlichen Debatten durchaus Erwähnung, sie wurden aber von der Gesellschaft keiner weiteren Diskussion gewürdigt.14 Ob Camille Flammarion, an den Strindberg die Celestografien namentlich geschickt hatte, tatsächlich einen Vortrag über die Bilder gehalten hat, wie Strindberg aufgrund eines an ihn gerichteten Briefes annahm, ist frag lich. Für Strindberg blieb das Unternehmen eine Enttäuschung, zumal er harte öffentliche Kritik an der „Unwissenschaftlichkeit“ seiner Spekulationen zur Chemie hinnehmen musste. Der schwedische Chemie-Nobelpreisträger The Svedberg, der Strindbergs Versuche auf diesem Feld 1918, wenige Jahre nach Strindbergs Tod, sorgfältig geprüft hatte, kam zu dem vernichtenden Urteil, dass Strindberg jede echte wissenschaftliche Forschung im Innersten fremd gewesen sei.15 Nicht anders fielen die Reaktionen des Astronomen Arne August Wyller auf Strindbergs Auseinandersetzung mit dem Teleskop und den Himmelskörpern aus. Wyller wertet zwar Strindbergs breites wissenschaftliches Interesse ebenso positiv wie seine Grundkenntnisse der Optik, bemängelt aber auch elementare Fehler, darunter den, dass Strindberg oft über Teilräsonnements hinweggehe, um zu dem Ergebnis zu gelangen, das er haben wolle.16 Was bleibt also von Strindbergs Himmelsbildern? Zeigen sie tatsächlich den Mond und seine Bewegung, und sei es auch nur auf sehr diffuse Weise? Bilden sie die Sterne ab? Machen sie (etwas für das bloße Auge) Unsichtbares sichtbar? Sind sie bloße Effekte von Streulicht, Resultate der langen Belichtung oder der Behandlung im Fixierbad? Kurz: Sind die Celestografien Bilder des Himmels oder Ausfluss chemischer Prozesse? So hatte der Kunsthistoriker Douglas Feuk einmal über Strindbergs Gemälde Seestück mit Fels bemerkt: „Es vermittelt nicht nur ein Bild von der Natur, es vermittelt den Eindruck ein Stück Natur zu sein, ein grau- und braunfleckiges Plasma, offenbar verwüstet von einem zersetzen 14 Strindberg wurde später anscheinend sogar Mitglied der Gesellschaft, ohne dass jedoch eine nennenswerte Reaktion auf seine Celestografien bekannt geworden wäre. Siehe hierzu Clément Chéroux: L’expérience photographique d’August Strindberg, Arles 1994, S. 52f. 15 Vgl. Olof Lagercrantz: Strindberg, Frankfurt a. M. 1980, S. 354. Außerdem: The Svedberg: Strindberg som kemist. In: Ders.: Forskning och industri, Stockholm 1918, S. 76–100. 16 Arne August Wyller: Strindberg och astronomien. In: Strindbergiania, 4. Slg., Stockholm 1989, S. 127–249. Zur „Fehlerkritik“ siehe S. 137f.
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den chemischen Prozeß, Partien, die den Eindruck machen, sie seien oxidiert und die an Ausfällungen erinnern.“17 Strindberg selbst hatte seine Vorgehensweise in einem kleinen Aufsatz auf den Punkt gebracht, in dem er die Rolle des Zufalls für den künstlerischen Prozess betonte: „Die Natur ungefähr nachahmen; vor allem ihre Art des Schaffens nach ahmen!“18 Für seine naturwissenschaftlichen Standpunkte gaben persönliche Vorlieben (Francis Bacon, Bernadin de Saint-Pierre), aber auch nationale Größen (wie Linné und Berzelius) den Maßstab ab. Damit stellte er sich eher in die Tradi tion der klassischen Naturphilosophie als in die einer empirischen Wissenschaft, wie sie zu Ende des 19. Jahrhunderts ausgeübt wurde. Auch der Einfluss des Vor bilds Rousseau und des zeitweiligen Pariser Künstlerfreunds Gauguin bestärkten diese historisch verwurzelte Haltung. Auf seiner Suche nach einem anderen objektiven Naturbild gelangte Strindberg damit paradoxerweise zu einem extremen Subjektivismus. Dies blieb wiederum nicht ohne Einfluss auf das technische Verfahren. Statt an eine Vervollkommnung des Auges durch die perfektionierten Prothesen der Apparatur glaubte Strind berg nur an deren verzerrenden Einfluss. Es ließe sich hier in Anlehnung an künstlerische Strömungen der klassischen Moderne von einem „Primitivismus“ der Medien sprechen, den Strindberg damit propagierte.19 Seine Äußerungen, etwa, die Punkte auf einer der Platten seien Spiegelungen der Mondbewegung, folgen zwar der Logik des fotografischen Bildes als indexikalische Spur. Verifi zieren lässt sich diese Annahme indes nicht, und der Umstand, dass Strindberg 17 Douglas Feuk: August Strindberg. Paradiesbilder – Infernomalerei, Hellerup 1991, S. 28. Siehe auch Douglas Feuk: Dreaming materialized. On August Strindberg’s photographic experiments. In: Strindberg: Painter and Photographer, Ausstellungskatalog, New Haven 2001, S. 117–129. 18 August Strindberg: Neue Kunstformen! oder Der Zufall im künstlerischen Schaffen. In: Strind berg (s. Anm. 6), S. 38. Zur Rolle des Zufalls bei der Bildproduktion siehe Horst Woldemar Janson: Chance images. In: Ph. P. Weiner (Hg.): Dictionary of the history of ideas. Studies of selected pivotal ideas, Bd. 1, 1973, S. 340–353. Zur produktiven Nutzbarmachung des Zufalls für die Malerei siehe Werner Buschs Ausführungen zu Alexander Cozens: Werner Busch: Die Wolken: protestantisch und abstrakt. Theoretische und praktische Empfehlungen zum Himmel malen. In: Wolkenbilder. Die Entdeckung des Himmels, Ausstellungskatalog, München 2004, S. 24–31, hier S. 30f. Werner Busch: Die Ordnung im Flüchtigen – Wolkenstudien der Goethe zeit. In: Goethe und die Kunst, Ausstellungskatalog, hg. von Sabine Schulze, Ostfildern 1994, S. 519–527, hier S. 520f. 19 Für diesen „Medienprimitivismus“ gibt es weitere Beispiele, etwa den „Einsatz“ einer Laterna Magica im Roman „Tschandala“ (1889). Siehe Thomas Fechner-Smarsly: Von der Suggestion zur Projektion. Die Laterna Magica als Medium und Mittel der Analyse in August Strindbergs „Fräulein Julie“ und „Tschandala“. In: Baumgartner, Fechner-Smarsly (s. Anm. 3), S. 193–210.
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einen Teil der Platten nicht fixierte, macht die Einschätzung heute nicht eben leichter. Zudem stellte Strindberg auch die Grundfrage der Fotografie neu, ob hier der „Zeichenstift der Natur“ auf andere Weise am Werk ist als in den perfek tionierten Geräten, mit denen James Carpenter und James Nasmyth Aufnahmen der Oberfläche des Mondes in bis dato ungekannter Schärfe geliefert hatten.20 Carol Armstrong hat in ihren Ausführungen zur Mondfotografie eine Vermutung darüber geäußert, was den Astronomen Carpenter und den Ingenieur Nasmyth mit dem Schriftsteller und universalistischen Naturforscher Strindberg zugleich verbindet und von ihm aufs Schärfste trennt: „Kann man sich die Photographie als eine Form des Experiments vorstellen, als etwas, das die Beobachtung und die Gegenstände der Beobachtung einer Art von Test unterwirft, dessen Ergebnis ungewiss ist und der die Art von Beweis, die Bestandteil der Verfahren der Induktion ist […] sowohl voraussetzt als auch bereitstellt, indem er die indexikalische Spur und das induktive Auge im tauto logischen Zirkel des Positivismus miteinander verbindet?“21 Strindberg wäre aufgrund seines Ansatzes, die Spekulation dem Experiment vorauszuschicken, gewiss gern bereit gewesen, seine Celestografien im Sinne solcher Tests zu betrachten und auf dem Wege des induktiven Verfahrens seine Ergebnisse zu verallgemeinern. Aber das Entscheidende seiner Celestografien ist woanders zu suchen. Das Faszinosum vieler dieser Bilder liegt nicht zuletzt darin, dass sie tatsächlich weitverbreiteten Vorstellungen eines nächtlichen Ster nenhimmels nahe kommen. Strindberg war ein großer Verfechter und Suchender von Ähnlichkeitsstrukturen in der Natur (Walnuss/Gehirn, Sonnenblume/ Sonne). Unter Verweis auf Bernadin de Saint-Pierre und den Linné-Schüler Elias Fries widerspricht er in diesem Zusammenhang der Tendenz, das Aufspüren for maler Analogien als eine „psychische Fähigkeit“ zu betrachten, die „nur bei den Dichtern verzeihlich“ sei, „diesen unschädlichen Bildermachern“.22 So konfrontieren Strindbergs Celestografien den heutigen Betrachter mit einer Situation der Unentscheidbarkeit: Entweder sieht er diese Bilder als indexikali 20 James Carpenter, James Nasmyth: The Moon. Considered as a Planet, a World, and a Satellite, London 1874. 21 Carol Armstrong: Der Mond als Fotografie. In: Herta Wolf (Hg.): Diskurse der Fotografie. Foto kritik am Ende des fotografischen Zeitalters, Frankfurt a. M. 2003, S. 359–383, hier S. 361. 22 Siehe etwa den Text „Die Sonnenblume“. In: Strindberg (s. Anm. 6), S. 107–112, hier S. 108. Den Vergleich zwischen Gehirn und Walnuss erwähnt Strindberg verschiedentlich, so im „Blau buch“ und im Roman „Inferno“.
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sche Lichtspuren von Himmelskörpern, und damit im Sinne eines Repräsentati onsmodells, oder er erkennt in ihnen Effekte chemischer Prozesse, die es nach Auguste Comte als irrelevante Störungen in einem Experiment zu unterdrücken galt.23 Letzteres würde bedeuten, dass die Celestografien mediale „Unfälle“24, Artefakte wären und keine (Ab-)Bilder der Natur. Offenbar liegt die Lehre von Strindbergs Celestografien darin, dass sie ihren Abbildungs- oder Darstellungscharakter möglicherweise allein durch die Bereitschaft des Betrachters gewinnen, aufgrund gewisser visueller Effekte (Lichtflecken auf den Platten) eine Ähnlichkeit mit dem nächtlichen Sternen himmel zu sehen. Schließlich ist es immer der Sehende und Erkennende selbst, der diese Ähnlichkeiten, also die Beziehungen zwischen den Dingen, subjektiv herstellt.25 Strindberg war sich dieses Subjektivismus bewusst und hat die Möglichkeit des „Ähnlichkeits-Sehens“ auch künstlerisch eingesetzt. In seinem Roman Inferno aus dem Jahre 1897 hat er sie sogar zu einer Art déjà-vu-Erlebnis verkehrt. Dort entdeckt der Ich-Erzähler auf einem Spaziergang in der Nähe der oberöster reichischen Stadt Klam eine Landschaft, die ihm bekannt vorkommt und von der er meint, sie früher schon einmal gesehen zu haben. Dann fällt es dem Protagonisten wieder ein: Es handelte sich nicht um eine „wirkliche“ Landschaft, sondern um eine Art Bild, nämlich um die Ablagerungen, die sich während eines chemischen Experiments in einer Zinkwanne von den verdunstenden Eisensal zen gebildet hatten.26 Hier ging das Experiment der Wirklichkeit voraus, wie es später in der surrealis tischen Kunst zum Programm werden sollte. „Erkennen“ – im Unterschied zur „Erkenntnis“ – erscheint bereits vorgeprägt in der Vorstellung eines Subjekts, das für solche Korrespondenzen empfindlich ist und sie nachvollzieht. 23 Den Hinweis auf Auguste Comtes Betrachtungen über das Experiment verdankt der Verfasser dem Artikel von Carol Armstrong. Armstrong (s. Anm. 21), S. 362. 24 Siehe hierzu Peter Geimer: Was ist kein Bild? Zur ‚Störung der Verweisung‘. In: Ders. (Hg.): Ordnungen der Sichtbarkeit. Fotografie in Wissenschaft, Kunst und Technologie, Frankfurt a. M. 2002, S. 313–341. 25 Zu Strindbergs anti-systematischer „Korrespondenzenlehre“ siehe auch das Nachwort des Ver fassers in: Strindberg (s. Anm. 6), S. 283–285. 26 Den Hinweis auf diese Stelle verdankt der Verfasser Angelika Gundlach. Siehe Angelika Gund lach: Dichtung und ‚Wahrheit‘. Zur autobiographischen Mehrfachverwertung im Werk Strind bergs. In: Jahrbuch des Adalbert Stifter Institutes des Landes Oberösterreich, Bd. 2/1995, hg. von Friedrich Buchmayr, S. 124–143, hier S. 124–126.
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August Strindbergs Celestografien bleiben wie wahrnehmungspsychologische Kippfiguren zwischen Repräsentation und Störung. Gerade das Unspezifische und Unscharfe27, das Unbestimmte dieser Bilder bestimmt ihre Qualität als die jenige eines Zwischenzustands, indem die unlösbare Frage formuliert wird, was eigentlich in oder jenseits von ihnen für den Menschen zu sehen ist. 27 Der dänische Literaturwissenschaftler Per Stounbjerg hat Strindbergs Beschäftigung mit den Naturwissenschaften, im positiven Sinne, als die „Freiheit zum Unpräzisen“ charakterisiert und ihm einen „eigentümliche Platz zwischen Romantik, Mach und Einstein“ eingeräumt. Per Stoun bjerg: „Frihet til det upræcise“. In: Passage. Tidskrift for litteratur og kritik, 1995, Nr. 20/21, S. 171–186, hier S. 181.
Simon Schaffer
Himmlische Mächte
Himmelsregimente
Welche Vorstellungen sich eine Gesellschaft von ihrem Idealzustand macht, lässt sich auch daran ablesen, wie sie den Himmel betrachtet. Denn was sie im Himmel zu sehen meint oder in ihn hineinprojiziert, hat eine durchaus irdische Bindung, und die himmlische Ordnung – oftmals für unwandelbar, gerecht und ewig gültig gehalten – soll auch auf Erden Wirklichkeit werden. Aus die sem Grunde lässt sich nicht nur aus theoretischen Abhandlungen oder aus den gebauten Konzepten idealer Gerechtigkeit und Herrschaft – vom Areopag über die Gerichtslauben bis hin zum modernen Parlamentsbau – ableiten, wie es um die Welt bestellt sein soll, sondern auch aus dem Studium des künstlerisch und wissenschaftlich ausgemessenen Himmels. Es gibt eine alte philosophische wie literarische Tradition, der zu Folge der unveränderliche Nachthimmel vor allem dann Trost und Inspiration spendet, wenn die Zeiten rauer werden. Damit verbindet sich nicht selten ein radikaler Zug oder aggressiver Gestus. Die visionären Sozialutopien, wie sie von Tommaso Campanella im Sonnenstaat (1623) und von Francis Bacon im Neuen Atlantis (1626) entworfen wurden, folgten bewusst dem Vorbild himmlischer Muster. Mitten im Zentrum ihrer imaginären Städte saßen Astronomen und Geografen, Kartogra fen und Administratoren, die zugleich Regierende und Forscher waren und in dieser doppelten Eigenschaft die vollkommene Staatsklugheit verkörperten. Damit waren in den Weltentwürfen dieser beiden viel gerühmten Philosophen jene politischen und religiösen Konflikte aufgehoben, die sich im frühen 17. Jahrhundert quer durch Europa ausbreiteten und sich so tief in die gesellschaft lichen Verfassungen einschnitten, dass sie auch heute noch regionale Konflikte auszulösen imstande sind. Genau zu diesem Zeitpunkt wurde auch das Himmels muster so umgeschrieben, dass es den Vorstellungen der irdischen Gläubigen näher gerückt schien,1 und zwar in Augsburg, wo aus der finanziell großzügig geförderten Zusammenarbeit von Juristen, Medizinern, Mathematikern und Künstlern ein neues Bild des Himmels hervorging. Schon die erste bekannte Sternenkarte, 1515 in Nürnberg gedruckt, war das Ergebnis einer solchen Zusammenarbeit von Fachleuten, welche die Koordina ten aufzeichneten und die Sterne entsprechend ihrer jeweiligen Entfernung von der Sonnenbahn platzierten; Albrecht Dürer schließlich zeichnete die Gestalt
1 Horst Bredekamp: Antikensehnsucht und Maschinenglaube. Die Geschichte der Kunstkammer und die Zukunft der Kunstgeschichte, Berlin 1993, S. 56f.
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dieser Sternenbilder und fertigte die Holzstöcke, mit denen die Karte gedruckt wurde (Abb. 1).2 Sie war mithin die Bilanz von sieben Jahr zehnten harter astronomischer und mathematischer Arbeit, verdichtet in einer künstlerischen Auffassung. Eben wegen dieses Aufwandes bot sie kein exaktes „Bild“ des nächtli chen Himmels über Nürnberg, son dern eine Summe von Mathematik und Kunstfertigkeit, die eine per fekte, weil berechnete und gedachte Ordnung des Himmels enthielt.
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Abb. 1: Albrecht Dürer: Sternkarte, 1515. Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Grafische Sammlung.
Die Welt als Globus
Wer sich vorstellt, außerhalb einer gedachten Sternensphäre zu stehen und von oben, weit über dem ekliptischen Pol, auf die gesamte Welt herunterzublicken, müsste aus dieser (theoretisch unmöglichen) Sicht die Sterne und ihre Kon stellationen gleichsam von ihrer Rückseite sehen. Aus einer solchen gedachten Warte wurden sie jedenfalls auf einem Globus arrangiert, geometrisch auf eine zweidimensionale Oberfläche projiziert, dann nachgezeichnet und gedruckt. Auf diese Weise konnten die Sternenbestände und deren Geografie ermessen, ihr Maßstab modifiziert, reproduziert und verbreitet werden. Künstler schöpften einen solchen Blickwinkel häufig aus; ein bekannter Fall ist Raffaels Darstellung einer astronomischen Perspektive im Vatikan, die 1509 im Auftrag Papst Julius II. entstand (Abb. 2).3 Sternbilder stammten aus der Antike und waren durch Jahrtausende des Gebrauchs sanktioniert. So wie erzählerische Darstellungen des politischen Sys tems danach strebten, die Ordnung zu wahren, indem diese mit dem Sinnbild
2 Edmund Weiss: Albrecht Dürers geographische, astronomische und astrologische Tafeln. In: Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (= Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien), Bd. 7, 1888, S. 207–220; Deborah J.Warner: The Sky Explored. Celestial Cartography 1500–1800, New York 1979, S. 71–75. 3 Samuel Y. Edgerton: Giotto und die Erfindung der dritten Dimension. Malerei und Geometrie am Vorabend der wissenschaftlichen Revolution, München 2003, S. 186–198.
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eines Körpers belegt wurde, so projizierten die Sternbilder eine erstaunliche Bandbreite an Ungeheuern, Körpertei len und Heldentaten in den Himmel. Im zweiten Jahr hundert hatte Ptolemäus in Alexandria Hunderte von Sternen in 48 Konstellatio nen gebracht; die zwölf Tier kreiszeichen standen dabei im Zentrum. Europäer auch aus jüngerer Zeit verfügten jedoch über keine Karten, um diese Aufteilungen genau so zu verzeichnen. Die Kartie rung erforderte geistreiche Abb. 2: Raffael: Astronomia, 1508–1511. Rom, Vatikanpalast, historische Interpretationen, Stanza della Segnatura. ein ebenso wachsames wie geschultes Gedächtnis und die geeigneten Medien der Aufzeichnung. Dieses Gedächtnis fand, oftmals namensgebend, seine Verkörperung in der Hardware der Sternenbetrachter: in Notizbüchern, Korrespondenzen, Karten, Marmor-Inschriften, Elfenbein- und Messingwaagen. Alle diejenigen, die sich solcher Medien bedienten, ob Kaufleute, Drucker oder Ärzte, waren indirekt in das gemeinsame Geschäft der Sternenkunde einbezogen, und viele wurden darüber zu Astronomen. Bei dem Versuch, veränderliche Phänomene am Him mel zu fixieren und einander mitzuteilen, entstand allmählich ein Netzwerk, das sich stetig ausdehnte, das auf Laien wie Gelehrten beruhte und dessen Knoten punkte wirtschaftliche oder universitäre Zentren sowie spezifische Orte der Observation waren. Präzises Wissen um den Himmel avancierte dabei zu einem entscheidenden Instrument der Macht der Europäer, mithin zu einem Zeichen ihrer Rechtmäßigkeit und zu einem Grundprinzip ihrer Ausübung. Es ist kein Zufall, dass die neuen Sternenkarten zu genau dem Zeitpunkt erschie nen, als sich durch die Arbeit von Navigatoren und Mathematikern ein radikaler Wandel auf der Weltkarte vollzog. Seit dem späten 15. Jahrhundert reisten
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Europäer in die Neue Welt, wo sie Anspruch auf Länder und Meere erhoben. Sie stellten eine Reihe von Beweisen auf, um ihren Besitz zu definieren. Portu giesische Seefahrer, die den praktischen Fähigkeiten islamischer und jüdischer Mathematiker verpflichtet waren, stellten Beobachtungen der Sterne an, um ihren Anspruch zu begründen. Holländische Kartografen, die für die großen Handelsgesellschaften arbeiteten, legten neue Territorien fest, um damit ihren Besitz zu proklamieren. Reisekampagnen in die Pazifikregion überzeugten Inves toren mit einem prächtigen, für Nürnberger Finanziers gebauten Globus des Mathematikers Martin Behaim.4 Unter den Südsee-Völkern waren zu diesem Zeitpunkt bereits hoch entwickelte Methoden bekannt, um die „Population“ des Himmels zu definieren. Die europäischen Besucher ignorierten sie zunächst und bevorzugten stattdessen in ihnen die Symbole der christlichen und kaiserlichen Macht zu finden, in denen ihre Eroberung durch himmlische Gnade sanktioniert und präfiguriert sei. Mathematische Instrumente und Wunderwerke der Neuen Welt wurden in der europäischen Heimat dennoch zu Statussymbolen, die es zu zeigen und auszunut zen galt: Im Jahre 1533 fertigten die Männer in Nürnberg den ersten gedruckten Himmelsglobus und noch im selben Jahr inkorporierte der Hofkünstler Hans Holbein den Globus Behaims an der Seite eines gestirnten Äquivalents in sein gefeiertes Gemälde Die Gesandten.5 Das Wissen über den himmlischen Raum wurde in einer Vision realisiert, die auf subversive Weise die praktische Meis terung der Meere und des Luftraumes durch den Künstler und das andächtige Verständnis des Himmels nebeneinander stellte. In dieser neuen Art von Bildern konnte die Perspektive dazu dienen, unermessliche Weiten in kleinere hand habbare Formen zu bringen; die ausgeklügelten Projektionstechniken, wie sie in den neuen Sternenkarten zum Einsatz gelangten, konnten auch dazu benutzt werden, den Bildraum zu erweitern, so dass geschickte Kartografen noch mehr Platz gewannen, um ihr Können zu demonstrieren.6
4 Patricia Seed: Ceremonies of Possession in Europe’s Conquest of the New World 1492–1640, Cambridge 1995; Anthony Pagden: Das erfundene Amerika. Der Aufbruch des europäischen Denkens in die Neue Welt, München 1996, S. 79–133; Stephen Greenblatt: Wunderbare Besitz tümer. Die Erfindung des Fremden. Reisende und Entdecker, Berlin 1994, S. 97–104. 5 Zum wissenschaftlichen Instrumentarium in Holbeins Gemälde siehe Susan Foister, Ashok Roy, Martin Wyld: Holbein’s Ambassadors: Making and Meaning, London 1997, S. 30–43. 6 Bruno Latour: Opening one eye while closing the other: a note on some religious paintings. In: Gordon Fyfe, John Law (Hg.): Picturing Power. Visual Depiction and Social Relations, London 1988, S. 15–38.
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Das Augsburger Erlösungsprogramm
Ein katastrophales Jahrhundert später und rund 100 Kilometer weiter südlich nutzten die Augsburger Bürger diese Techniken, um ihre zerrüttete Welt wieder herzustellen. Neueste Techniken der Kartografie, der Kartenprojektion und der Drucktechnik fielen dabei zusammen mit den Beobachtungen Tycho Brahes, mit den Südsee-Expeditionsberichten und der Entwicklung leistungsstarker Telesko pe in Norditalien und den Niederlanden. Augsburg war zu diesem Zeitpunkt die größte protestantische Stadt des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation, durch die Fugger und Welser zu uner messlichem Reichtum gekommen und ein wirtschaftliches wie intellektuelles Zentrum Europas.7 Schon deshalb wurde der Ort im Dreißigjährigen Krieg auch zu einem Hauptziel militärischer Operationen, zunächst von katholischen Truppen, um dann im Jahre 1632 wiederum von der schwedischen Armee einge nommen zu werden. Seit Sommer 1629 war die Ausübung der protestantischen Religion in der Stadt verboten, Pfarrer wurden vertrieben, und 8.000 Bürger gingen ins Exil. Anschließend verkehrten sich die Verhältnisse erneut.8 Diese Wirren bedrohten die wirtschaftliche Kraft der Stadt und waren zugleich der Auslöser für die Freisetzung jenes wissenschaftlichen Potenzials, das sich schon seit einiger Zeit in ihr angesammelt hatte. Der jahrhundertelange Glaube an eine feste gesellschaftliche Ordnung wurde dabei so nachhaltig erschüttert, dass es so gut wie undenkbar wurde, in einer einzigen politischen Vision sämtliche um Vorherrschaft ringenden Mächte – Kai ser, Könige, Bischöfe, Ratsmitglieder, Bürger – zu versöhnen.9 Als sämtliche religiösen Rückhalte und politischen Repräsentationsformen der Reichsstadt versagten, richtete sich der Blick auf eine andere, vermeintlich stabilere Welt. Das Programm hatte schon vorher, im Jahre 1603, mit der Arbeit des Augs burger Juristen Johann Bayer begonnen.10 Bayer unterhielt enge Kontakte zu Kosmologen und Altertumsforschern andernorts in Europa. Er produzierte
7 Siehe hierzu: Jochen Brüning, Friedrich Niewöhner (Hg.): Augsburg in der Frühen Neuzeit. Beiträge zu einem Forschungsprogramm, Berlin 1995. 8 Zur Geschichte der Stadt Augsburg siehe die umfassende Studie von Bernd Roeck: Eine Stadt in Krieg und Frieden. Studien zur Geschichte der Reichsstadt Augsburg zwischen Kalenderstreit und Parität (= Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, 37), 2 Bde., Göttingen 1989. 9 Cicely Veronica Wedgwood: Der Dreißigjährige Krieg, München 1971, S. 171f., S. 209–213. 10 Johann Bayer: Uranometria, omnium asterismorum continens schemata, nova methodo deline ata, aereis laminis expressa. Augsburg: Christophorus Mangus, 1603.
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Karten von jedem der 48 Ptolemäischen Sternenbilder, so wie sie von der Erde aus betrachtet aussähen, indem er Tychos’ Datenmaterial einsetzte. Dann fügte er eine neue Karte des Südsternhimmels hinzu, indem er die Informationen der letzten Reisen nach Ozeanien und ein Kartenpaar des gesamten Nord- und Südsternhimmels, das um den ekliptischen Pol als Zentrum arrangiert war, kombinierte. Der Stecher Alexander Mair übertrug diese Kompositkarten in den Druck. Zum ersten Mal wurde jede einzelne Sternenkonstellation nach dem Grad der Helligkeit verzeichnet, ihre Reihenfolge mit griechischen Buchstaben markiert. Dies war ein echter Atlas für Leser, denen es nun möglich war, die Position jedes einzelnen Sternes zu finden und zu kennzeichnen. Über diese Präzision wurden ungewöhnlich gestaltete Figuren der Sternenbilder gelegt – ein beachtlicher Versuch, klassische Ikonografie mit neuester Technologie zu versöhnen. Bayer widmete dieses Projekt den Ratsmitgliedern von Augsburg, denen er juristischen Beistand leistete. Als Gegenleistung wurde ihm durch die Stadt ein beträchtli ches Ehrenhonorar zuteil.11 Einer von Bayers Hauptförderern war der Augsburger Bankier Mark Welser, ein Finanzier der Jesuiten und fachkundiger Korrespondent Galileo Galileis. Als die politische, religiöse und finanzielle Katastrophe Augsburg bereits bedrohte, wirkten Bayer und seine Mitstreiter unermüdlich an der Verbesserung des ersten Atlanten. Ein Kollege Bayers, Julius Schiller, übernahm die Korrektur der Ster nenpositionen. Das Ergebnis war der beste Sternenatlas seiner Zeit. Die beiden Juristen rekrutierten weitere Fachkollegen und taten sich auch mit dem jungen und hochbegabten Straßburger Astronom Jakob Bartsch zusammen. Er fertigte 1624 einige bedeutende Karten der Konstellationen an. Etliche Ster nenbilder wurden auf der Ptolemäischen Liste ergänzt und Bartsch entschied sich, ihre biblische Bedeutung zu erläutern. Dieselbe Leidenschaft ergriff nun die gesamte Augsburger Gruppe. Es schien möglich, alte, heidnische Karten zu überwinden und eine neue christliche Welt im Himmel zu stiften. Schiller konsul tierte dazu gezielt jesuitische Priester und Universitätsprofessoren; ebenso wur den Mediziner und Kupferstecher angesprochen. Auch der Tübinger Orientalist Wilhelm Schickard, ein Experte für die biblische Bedeutung der Sternenbilder, 11 W. T. Lynn: Johann Bayer. In: Observatory. A review of astronomy, Vol. 25, 1902, S. 406f. Franz Babinger: Johannes Bayer, der Begründer der neuzeitlichen Sternbenennung. In: Archiv für die Geschichte der Naturwissenschaften und der Technik, Bd. 5, 1915, S. 108–113;Warner (s. Anm. 2), S. 18f.
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gab Ratschläge bei deren Benennung. Als Schiller im Jahre 1627 starb, über nahm Bartsch selber die schwierige Aufgabe, das Werk durch den Druck zu begleiten.12 Der politisierte Himmel
Die sorgsam beschrifteten und kommentierten Bilder Abb. 3: Salomos Krone. Konstellation XLVIII aus Julius Schiller: der christianisierten Augs Coelum stellatum christianum, Augsburg 1627. burger Sternenkarten erin nern an zeitgenössische technische Beschreibungen raffinierter Maschinen und Apparate; derartige Bilder zeigten häufig in ihre Einzelteile zerlegte, komplexe Einheiten, die zu Studienzwecken sorgfältig bezeichnet waren.13 Später wurden solche Karten für die moralische Unterweisung eingesetzt. Ein enger Vergleich kann beispielsweise zu dem bemerkenswerten jesuitischen Projekt gezogen wer den, in dem sorgfältig inszenierte und minutiös kommentierte Szenen der Bibel als Hilfsmittel frommer Meditation und der Konversation produziert wurden; inspiriert war dieses Projekt, das von dem spanischen Priester Jeronimo Nadal und dem Antwerpener Publizisten Christoph Plantin im Jahre 1593 abgeschlos sen wurde, durch Maschinenbücher der Renaissance. In der Tat gesellten sich Nadals Szenen schon bald zu Sternenkarten und astronomischen Plänen als Teil einer Christianisierungskampagne im China des frühen 17. Jahrhunderts.14 In dem neuen Coelum stellatum christianum (wie die Augsburger Astronomen ihn nannten) wurde die Sonne Christus und die zwölf Tierkreiszeichen den zwölf Aposteln zugeordnet. Die „Milchstraße“ wurde zum Pfad der Gesegneten. Während die nördlichen Sterne dazu dienten, das Neue Testament darzustellen, sollten die neu identifizierten Sternenbilder des Südhimmels mit der ersten Offenbarung assoziiert werden: Die südliche Krone wurde zu derjenigen Salomos 12 Warner (s. Anm. 2), S. 229–232; Peter Whitfield: The Mapping of the Heavens, London 1995, S. 89–93. 13 Siehe hierzu: Wolfgang Lefèvre (Hg.): Picturing Machines 1400–1700, Cambridge, MA 2004. 14 Thomas Buser: Jerome Nadal and Early Jesuit Art in Rome. In: Art Bulletin, Bd. 57, 1976, S. 37–51; Edgerton (s. Anm. 3), S. 254–262.
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(Abb. 3), der exotische Tukan verwandelte sich in den Erzengel Raphael (Abb. 4) und das Schiff der Argo nauten wurde zur Arche Noah (Abb. 5). Das ganze war so angeordnet, wie es vom Himmel aus betrach tet erscheinen würde – wodurch ein Zuschau er gleichsam von seinem Abb. 4: Erzengel Raphael. Konstellation LIV aus Julius Schiller: Pol auf dieses christliche Coelum stellatum christianum, Augsburg 1627. Universum herunterblick te. Auch für diejenigen, die es vorzogen, die neue Karte von einer irdischen Perspektive aus zu sehen, schuf die Augsburger Gruppe ein Gegenstück – einen konkaven christlichen Himmel, der die wohl akkurateste und zugleich frommste Vision der „neuen Welt“ am Himmel repräsentierte.15 Und dennoch scheiterte das Augsburger Projekt. Obwohl der neue Atlas in astronomischer Hinsicht der beste verfügbare war, übernahmen die Fachleute die darin eingeschriebenen christlichen Sternenbilder nicht. Vielmehr pro jizierten zahlreiche Astronomen des 17. Jahrhunderts die von ihnen jeweils bevorzugte politische Ordnung in ihre Sternenkarten: In England ersann der Königliche Leibarzt Charles Scarborough als neues Sternenbild The heart of Charles, King and Martyr, um in der Nähe des Großen Bären des hingerichteten Karl I. zu gedenken; als der junge Astronom Edmond Halley im Jahre 1678 eine Karte des südlichen Sternenhimmels aufzeichnete, widmete er sie König Karl II. und fügte ein Sternenbild mit dem Namen Charles’ Oak ein, um den Baum anzudeuten, hinter dem sich der Zuflucht suchende Monarch im Jahre 1651 vor Cromwells Soldaten versteckt hatte. In Frankreich fand der Jesuit Ignace Pardies eine neuartige patriotische Konstellation, als er nördlich des Widders die Lilie einpasste, um den Triumph der königlichen Macht Ludwigs XIV. zu überhöhen. In Versailles entwarf die venezianische Geografen-Koryphäe Vincenzo Coronelli 15 Julius Schiller: Coelum stellatum christianum, Augsburg: Andreas Aspergus, 1627; Ernst Zin ner:Verschiedene Ausgaben von Schillers Coelum Stellatum Christianum. In:Vierteljahrsschrift der astronomischen Gesellschaft, Bd. 72, 1937, S. 64–68.
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Abb. 5: Arche Noah. Konstellation XL aus Julius Schiller: Coelum stellatum christianum, Augsburg 1627.
zwei große astrologische Globen, von denen einer die Konstellation der Sterne und Planeten zur Zeit der Geburt des Monarchen zeigte. Das Ziel all dieser Programme war, in das Zentrum monarchischer Macht ein Bild königlicher Herrschaft über Himmel und Erde zu stellen. Der politisch ambitionierteste Entwurf war dabei derjenige des Jenaer Mathematikprofessors, Kreuzzug-Propagandisten und Sozialreformers Erhard Weigel aus dem Jahre 1688, der danach strebte, alle Sternenbilder durch das Wappen jedes einzelnen europäischen Herrschergeschlechts zu ersetzen.16 Es schien fortan, als ob utopi sche Politik den Himmel komplett in Beschlag nehmen solle. Coelum stellatum christianum, der christliche Sternenkatalog, hatte gleichwohl ein bedeutendes Nachleben. Im Jahre 1660 veröffentlichte Andreas Cellarius beim Amsterdamer Drucker Jan Jansson ein prunkvolles neues Buch himmlischer Bilder, das den Titel Harmonia macrocosmica seu Atlas universalis et novus trug und 16 Warner (s. Anm. 2), S. 107, 150, 196; Whitfield (s. Anm. 12), S. 89; Hans Schüling: Erhard Wei gel (1625–1699). Materialien zur Erforschung seines Wirkens, Gießen 1970;Werner Horn: Die alten Globen der Forschungsbibliothek und des Schloßmuseums Gotha, Gotha 1976, S. 51–56; Werner Horn, Monique Pelletier: Les globes de Marly. Chefs d’œuvre de Coronelli. In: Revue de la Bibliothèque Nationale, Bd. 47, 1993, S. 46–91.
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treffenderweise dem wieder eingesetzten englischen Monarchen Karl II. gewidmet war. Es war eine erstaunliche Sammlung von fast 30 großen Tafeln astronomischer Systeme und Sternenkarten, begleitet von einer langen Darstellung von jedem Welt modell und den Grundlagen der himmli Abb. 6: Nicolas Lacailles Planisphère. Aus Jean Fortin: schen Wissenschaft. Cellarius, ein örtlicher Atlas céleste, Paris 1776. Schullehrer, ein betagter niederländischer Emigrant aus dem Rheinland, hatte für sein gewaltiges Projekt fast zwei Jahr zehnte aufgebracht.17 In seinem Werk, an der Seite von Ptolemäus, Kopernikus und den alten heidnischen Sternen-Karten, fand sich der Christliche Sternenka talog zum ersten Mal in eine eindrucksvolle Karte der Gesamtheit des Himmels aufgenommen (Farbtafel 7).18 Cellarius’ Ansichten wurden mehrfach neu aufgelegt; sie übertrugen die Augs burger Vision des 17. Jahrhunderts in die Welt der Kunst. Die späteren Astro nomen zogen es dagegen vor, ihre eigenen weltlichen Botschafter am Himmel wiederzufinden – am Südsternhimmel gibt es seither Sternenbilder wie den Quadranten, die Uhr, das Mikroskop, das Teleskop und die Luftpumpe, die von Astronomen der französischen Aufklärung in die Lüfte erhoben wurden (Abb. 6).19 Obgleich die Vision der Augsburger niemals fest im Kurrikulum der Sternenkunde verankert wurde, steht sie doch für eine politische und religiöse Utopie, die in aller Deutlichkeit daran erinnert, wie sehr der eigene Blick in den Himmel von irdischen Ordnungen beherrscht ist. 17 Rob Harry van Gent: De hemelatlas van Andreas Cellarius: het meesterwerk van een vergeten Hollandse kosmograaf. In: Caert-Thresoor, Bd. 19, 2000, Nr. 1, S. 9–25. 18 Andreas Cellarius: Harmonia macrocosmica seu Atlas universalis et novus, Amsterdam: Jan Jansson,1660, S. 160–169. 19 Nicolas Lacaille: Coelum australe stelliferum, Paris 1763; dazu David S. Evans: Lacaille: Astro nomer, Traveler, Tucson 1992.
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Tafel 2: Eine 3-D-Wiedergabe der Titan-Landschaft von Mike Zawistowski unter Verwendung der Software Terragen, basierend auf Sinkflug-Aufnahmen der Huygens-Sonde. (Es handelt sich hierbei nicht um die Daten aus Abbildung 3, Farbe ergänzt.) Tafel 1: Die erste farbige Kompo sitansicht der Titan-Oberfläche, freigegeben durch die ESA am 15. Januar 2005.
Tafel 3: „Artist’s impression of the descent and landing sequence followed by ESA’s Huygens probe to Titan“ (ESABildunterschrift).
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Tafel 4: Warren De la Rue’s photographs of the total solar eclipse at Rivabellosa on July 18th 1860.
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Tafel 5: August Strindberg: Celestografie, 1894, 12 x 8 cm, Stockholm, Königliche Bibliothek.
Tafel 6: August Strindberg: Celestografie, 1894, 12 x 8 cm, Stockholm, Königliche Bibliothek.
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Tafel 7: Erste Hemisphäre mit christlichen Konstellationen. Aus: Andreas Cellarius: Harmonia macrocosmica seu Atlas universalis et novus, Amsterdam 1660.
Tafel 8: Capricornus (Steinbock) aus der Aachener Prunkhandschrift (= Leidener Aratea) von 818 (Leiden, Bibl. der Rijksuniversiteit, Cod. Voss. lat. Q. 79, Fol. 50v).
Tafel 9: Fluss (Eridanus), großer Fisch und Altar aus der Aachener Enzyklopädie (Madrid, Bibl. Nac., Cod. 3307, Fol. 61v).
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Tafel 10: Jakob Mattner: Piece of Heaven, 1998, 35 x 14 cm.
Tafel 11: Jakob Mattner: Ich habe in die Sonne geblickt, 2005, 119 x 99 cm.
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Faksimile Leonhard Eulers grafische Erkundung der musikalischen Harmonie1
Es ist eine eben so wichtige als sonderbare Frage: warum eine schöne Musik in uns die Empfindung von Vergnügen erregt. Leonhard Euler Am 6. Mai 1760 schrieb der Mathematiker Leonhard Euler einen Brief an die Mark gräfin Friederike Charlotte Ludovica Luise, eine Cousine zweiten Grades Friedrichs des Großen. Euler führte aus, dass sich die Gelehrten in der Frage noch nicht einig seien, wie das Verhältnis von subjektiver Wahrnehmung und der Logik der Kompo sition zu bestimmen sei, um beurteilen zu können, wie Musik Stimmungen beein flusse: „Einige behaupten, daß es eine bloße seltsa me Einbildung sey, und daß das Vergnügen, welches die Musik verursachet, auf gar keinem Grunde beruhe, weil eben dieselbe Musik von dem einen schön gefunden wird, die dem anderen mißfällt. […] Andere sagen, daß das Vergnügen, welches man bey Anhörung einer Musik empfindet, in der Wahrnehmung der Ordnung bestehe, die darinnen herrscht.“2 Es besteht kein Zweifel daran, welche dieser Ansichten Leonhard Euler geteilt hat. Bereits in seinem ersten Tagebuch (1725–1727) beschäftigte sich der im Jahre 1707 geborene Mathematiker mit musiktheoretischen Fragen und versuchte die akustischen Wahrnehmungsvorgänge einer gesetzmäßigen Grafik zu unterziehen. Damit wandelte Euler auf den Spuren der Pythagoreischen Harmonielehre, nach der die kleinen ganzen Zahlen des Kosmos – diese von den Pythagoreern eingeführte Bezeichnung bedeutet so viel wie „schöne Ordnung“ – von besonderer Bedeutung sein sollten; dem orphischen Kult folgend, konnte der Sohn der Muse Kalliope und des Apollo mit seiner Musik Lebende und Tote nur deshalb beeinflussen, weil die Welt nach bestimmten Harmonien aufgebaut sei und durch Töne zum Resonanzraum würde. Während sich die Pythagoreer dem Verhält
nis von Seitenlängen zuwandten, das die Ordnung durch ganze Zahlen ausdrücken sollte und als „Pythagoreische Stimmung“ – auch „Quintenreine Stimmung“ genannt – in die Geschichte einging und zudem das heilige Emblem – Tetraktys – in sich barg, ging Euler einen anderen Weg.
Dem „Grafenwanderer“ fiel bei der Anord nung von Tönen in Quinten auf, dass die Wege viel kürzer ausfallen könnten. So zum Beispiel wenn A ausgehend von F erreicht werden soll, also durch F, C, G, D, A, was dem Verhältnis 81/64 entspricht, kann es durch die große Terz von F im Verhältnis 5/4 getroffen werden. Um die Bedeutung dieser Übergänge anschaulich zu machen, brachte Euler die Töne in ein Grafennetz, um dadurch ihre Harmonie und den musi kalischen Genuss zur Entfaltung zu bringen. Diesen Genuss bezeichnet Euler als „Gradus Suavitatis“ (Grad der Süße)3. In seinem Versuch einer neuen Theorie der Musik von 1739 hielt Euler fest: „Damit die Melodie leichter wahrgenom men werden kann, in der die Ordnung oder das Verhältnis zweier oder mehrerer Töne gehört wird, wollen wir versuchen, eine Figur darzustellen, soweit dies mög lich ist, die einer Gestalt ähnlich ist. Die ins Ohr kommenden Eindrücke stellen wir durch Punkte auf einer Geraden dar, deren Abstände den Intervallen der Ein drücke entsprechen.“4 Diesem Gedanken folgend, zeichnete Euler durch eine regel mäßige Reihe von Punkten einen gleich schwebenden Ton auf (Abb. 2). Um das harmonische Ordnungsgefüge zu verdeutli chen, unterwarf Euler dieses Punkteschema einer weiteren grafischen Verknüpfung, die dem Gesetz der Primzahlenverteilung ent spricht (Abb. 6).5 Diese Darstellung des intellektuellen Musikgenusses kulminiert in der Verwebung des Komponierens mit der Kombinatorik (Abb. 7), die Euler in zahlreichen Tonfolgen angibt.
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Es ist wohl der Legendenbildung zuzuschrei ben, wenn kolportiert wird, Euler habe seine Kompositionsversuche Friedrich dem Großen vorgespielt, dieser habe davon Kopf schmerzen bekommen und Euler für unmu sikalisch erklärt. Die Tatsache indes, dass der König in Mathematik eine Banause war, ver leiht der Legende aber zumindest eine gewis se Plausibiltät. Denn nach Euler „kommt das Vergnügen daher“, dass der Zuhörer „die Absichten und Empfindungen des Kom ponisten erräth, deren Ausführung, wenn man sie für glücklich erkennt, die Seele mit einer angenehmen Befriedigung erfüllt“.6 Die Absichten des komponierenden Euler waren rein mathematischer Natur. Jedoch wolle er damit die deutsche Prinzessin nicht verwirren, wie er am Ende seiner Briefe über mathematisch ausgelegte Musikdeutung aus führt: „Das sind also meiner Meinung nach die wahren Gründe, worauf unser Urteil über die Schönheit musikalischer Stücke beruht; aber das ist bloß das Urteil eines Menschen, der nicht das geringste von der Sache versteht, und sich also schämen muß, Ew. H. von dieser Materie zu unterhalten.“7 Wladimir Velminski
1 Für Anregungen und Hinweise dankt der Verfasser Eberhard Knobloch. 2 Leonhard Euler: Briefe an eine deutsche Prinzessin über verschiedene Gegenstän de aus der Physik und Philosophie [1768, verfasst 1760–1762], Braunschweig 1986, S. 12. 3 Eulers Überlegungen zur Musik wurden zu seinen Lebzeiten in sechs Schriften veröffentlicht, darunter das umfangrei che „Tentamen novae theoriae musicae“ (1739) und das knappe „De Harmoniae Veris Prinzipiis per Speculum Musicum Repraesentis“ (1773). 4 Leonhard Euler:Tentamen novae theoriae musicae, St. Peterburg 1739, S. 35–36. 5 Es ist bemerkenswert, dass Leibniz im Jahr 1676 vergeblich versuchte, die glei che „figura punktata“ zu bedienen, um der Primzahlenverteilung auf die Spur zu kommen. Vgl. LSB VII, 1, N. 86, 87. 6 Euler (s. Anm. 2), S. 13. 7 Euler (s. Anm. 2), S. 13.
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Abb. 1: Leonhard Euler: Adversaria mathematica I, Bestand 136, Verzeichnis 1, Nr. 129, S. 36(r), St. Petersburg, Archiv der Akademie der Wissenschaften.
Abb. 2: Leonhard Euler: Adversaria mathematica I, Bestand 136, Verzeichnis 1, Nr. 129, S. 40 (wie Abb. 1).
Abb. 3: Leonhard Euler: Adversaria mathematica I, Bestand 136, Verzeichnis 1, Nr. 129, S. 41 (wie Abb. 1).
Abb. 4: Leonhard Euler: Adversaria mathematica I, Bestand 136, Verzeichnis 1, Nr. 129, S. 42 (wie Abb. 1).
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Abb. 5: Leonhard Euler: Adversaria mathematica I, Bestand 136, Verzeichnis 1, Nr. 129, S. 43 (wie Abb. 1).
Abb. 6: Leonhard Euler: Adversaria mathematica I, Bestand 136, Verzeichnis 1, Nr. 129, S. 43(r) (wie Abb. 1).
Abb. 7: Leonhard Euler: Adversaria mathematica I, Bestand 136, Verzeichnis 1, Nr. 129, S. 45 (wie Abb. 1).
Abb. 8: Leonhard Euler: Adversaria mathematica I, Bestand 136, Verzeichnis 1, Nr. 129, S. 48(r) (wie Abb. 1).
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Abb. 9: Leonhard Euler: Adversaria mathematica I, Bestand 136, Verzeichnis 1, Nr. 129, S. 49 (wie Abb. 1).
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Bildbesprechung
Abb. 1: Maarten van Heemskerck: Natura (Der Mensch ist zur Arbeit geboren), Blatt 1 der Serie „Labor und Diligentia“. Kupferstich von 1572, 21,1 x 24,9 cm. Dresden, Staatliche Kunstsammlungen, Kupferstichkabinett.
Bildbesprechung Maarten van Heemskerck: Natura (Der Mensch ist zur Arbeit geboren), 1572
Wie einVogel die alsbald flügge werdende Brut mit einer bestimmten Melodie aus des Nestes Kinderstube hinausführt in die Lüfte und ermahnt zu folgen und mit kurzen Flügeln zu erheben, so führt die Natur, die Erneuerin der Dinge, das Menschengeschlecht aus der weichenWiege und dem schweren Leib der Mutter behutsam zu Drangsal und harten Mühen. So lautet die Übersetzung der Subscriptio des Kupferstiches Natura, für den Maarten van Heemskerck (1498–1574) den Ent wurf fertigte (Abb. 1).1 In dreifacher Weise ist hier Natur versinnbildlicht: im Vorder grund rechts als vielbrüstige nackte Frau, die auf einer Landzunge oder Insel steht
und einen Säugling nährt; links als Globus, auf den eine Vielzahl von Werkzeugen und technischen Geräten appliziert wurde, und schließlich als eine die gesamte Szene rie hinterfangende Landschaft mit Bergen, einer Stadtansicht und Meeresbucht. Die Horizontlinie ist niedrig gesetzt, so dass die
Bildbesprechung
Weltkugel knapp über den Gebirgskämmen und vor einem stark bewölkten Himmel zu schweben scheint, dessen kräftige Winde sie in Bewegung gesetzt haben könnten. Über ihr kreist ein auf sie herabblickender Adler.2 Die lateinischen Hexameter der Bildun terschrift entwerfen ein poetisches Bild der Geburt von Menschen und Tieren aus und vermittels der Natur, die sie den ihnen jeweils eigenen Bestimmungen zuführt. Dem Text liegt eine Passage der VulgataBibel aus Hiob 5,7 zugrunde: „homo ad laborem nascitur et avis ad volatum“. Dieser Satz gehört zu den meistzitierten Stellen des Buches Hiob in der exegetischen Literatur des ausgehenden Mittelalters und erlangte zusätzliche Popularität durch den vielge lesenen Traktat De contemptu mundi, sive de miseria humanae conditionis („Vom Elend des menschlichen Daseins“) von Lotario dei Conti di Segni (1161–1216), dem späteren Papst Innozenz III.3 Eine gedruckte hol ländische Ausgabe dieser Schrift von 1543 zeigt neben dem Hiobzitat eine Holzschnitt illustration mit dem Titel Vanden aerbeyt der menschen; auf ihr sind ein Bauer und seine Frau beim Tagewerk zu sehen. Während er mit einem Spaten die Erde umgräbt, sitzt sie am Spinnrocken und stillt ihr Kind (Abb. 2).4 Labor wird hier nicht primär als Mühsal oder Unglück verstanden (wie es der Text zusammenhang des Buches vorgibt und wie die Hiobstelle auch in der Lutherbibel von 1545 übersetzt wird),5 sondern neutral als „Arbeit“. In diesem Sinne müssen auch die Subscriptiones von Heemskercks Kupfer stich interpretiert werden. Arbeit und Fleiß, verbunden mit Sparsam keit, avancierten in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zu den wichtigsten Tugen den in den von zunehmender Verstädte rung und steigendem Wohlstand geprägten Niederlanden. Der Haarlemer Stadtarzt und Gelehrte Hadrianus Junius, mit dem Heemskerck für die Entwürfe vieler seiner Stichserien eng zusammenarbeitete, verlieh der Arbeitsethik des neuen Bürgertums in seinem Emblem Gloria immortalis labore parta („Unsterblicher Ruhm wird der Arbeit zuteil“) von 1565 Ausdruck, das einen Schlangenring mit Spaten und Lorbeerkranz
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Abb. 2: Lieven de Witte: Vanden aerbeyt der menschen. Holzschnitt aus Andries vander Muelen: Een zuverlic boucxkin vander ketyvigheyt der menschelicker naturen, Gent 1543.
auf einer Erdkugel zeigt (Abb. 3).6 Labor und Diligentia („Sorgfalt“) stellen auch die Protagonisten der Stichserie dar, der das hier besprochene Blatt als Titel vorangeht. Auf den folgenden fünf Blättern agieren sie als männliche und weibliche Allegorien mit den Attributen Spaten, Feuerstein und Wetzstahl für Labor sowie Peitsche, Sporen und Sanduhr für Diligentia. Diese und andere dem Themenkomplex Arbeit gewidmete Serien Heemskercks sind von ausgeprägt moralisierendem und didak tischem Charakter: Gott hat den Menschen auf Erden ein mühevolles Schaffen auferlegt, das im Himmelreich jedoch belohnt wird. Arbeit wird daher nicht als Strafe, sondern als Bestandteil des tugendhaften Lebens angesehen, solange sie nicht der bloßen Anhäufung von Reichtum und Überfluss dient. In den Subscriptiones wird die Natur als Schöpferin und Führerin der Menschen wie der Vögel angesprochen. Ihre bildliche Wiedergabe in der Pictura macht zahlrei che Anleihen bei der antiken Kunst und Mythologie: Die weibliche Personifikation ist der vielbrüstigen ephesischen Artemis oder Diana nachempfunden, der kleinasia tischen Variante jener heidnischen Göttin, deren allegorische Gleichsetzung mit Erde und Natur im 16. Jahrhundert geläufig war.7 In der antiken Mythologie sind Artemis und ihre göttlichen Verwandten mit einer
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Abb. 3: Geoffroy Ballain und Pieter Huys: Gloria immortalis labore parta, Holzschnitt aus Hadrianus Iunius Medicus: Emblemata, Aenigmata, Antwerpen 1565.
ielzahl von Kosmos- und Naturerscheinun V gen verknüpft: Artemis und ihr Bruder Apol lon wurden als Mond- und Sonnengötter verehrt; Hekate und Asteria, die Schwestern ihrer Mutter Leto, als Mond- und Sternen göttinnen. Deren Eltern Phoibe und Koios waren gleichfalls der Mond sowie Sphai ros, die Himmelskugel, zugeordnet. Diese waren Kinder der Titanen Uranos und Gaia, des Himmelsgottes und der Erde selbst. Die Kugel neben Natura ist deutlich als Himmelsglobus erkennbar, umwunden von einem Band mit Tierkreiszeichen, auf dem sich Tag- und Nachtbereiche abzeichnen. So befindet sich das Menschenkind auf dem Arm seiner Schöpferin, die wieder um inmitten des sie selbst erzeugenden Kosmos steht. Natura naturans und natura naturata bedingen sich wechselseitig: Die Natur nimmt in Diana menschliche Gestalt an, während die Werkzeuge des Menschen den Globus umzingeln. Makro- und Mikro
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kosmos durchdringen einander in einer ausgefallenen Bildschöpfung, die die kom plexe, christlich-religiöse, mythologische wie auch technische Elemente vereinende Thematik auf originelle Weise augenschein lich macht. Das Bild der Diana Ephesia ist zudem ein deutlicher Verweis auf das in der zeitge nössischen italienischen Kunsttheorie viel diskutierte Verhältnis von Natura und Ars, das sich unter anderem in Giorgio Vasaris programmatischem Wandfresko in der Sala delle Arti seines Florentiner Wohnhauses (ca. 1570) manifestierte. Hier war Diana auf der Natura-Seite in ihrer ephesischen Hermengestalt und daneben im Studio des Malers noch einmal als Luna mit einer Mondsichel im Haar als weibliche nackte Figur zu sehen. Als Vermittler beider Seiten agiert dabei die Personifikation des Disegno. Auch auf dem Emblem Physicæ ac Metaphysicæ Differentia des Philosophen und Medizi ners Johannes Sambucus von 1564 wird die Pictura auf ähnliche Weise von Natura in Gestalt der ephesischen Diana in eine irdi sche (physische) und eine kosmische (meta physische) Zone geschieden (Abb. 4).8 Benvenuto Cellini machte im selben Jahr die Diana Ephesia auf mehreren seiner Sie gelentwürfe für die Florentiner Accademia del Disegno zum Sinnbild des Disegno, indem er in den Beischriften Natura und Ars jeweils als altera pars der anderen deklarierte, die beide demselben kreativen Prinzip unterliegen.9 Das Siegel sollte den liegenden Lukasstier der alten Compagnia dei Pittori ablösen, das Attribut des Maler apostels, das auch die Lukasgilden der Maler und Goldschmiede in den niederländischen Städten als Zunftzeichen verwendeten. Auch Heemskerck schuf 1532 für die Haar lemer Lukasgilde und 1550/1551 für die Delfter Gilde zwei Gemälde des Hl. Lukas mit der Madonna, in denen er auf prägnante Weise seine Auffassung vom selbstbewuss ten, dem Gelehrten, Dichter oder Natur wissenschaftler gleichrangigen Künstler zum Ausdruck brachte.10 Für seinen Kup ferstich von 1572 hat er dann die vielbrüs tige Herme Diana-Natura mit Diana-Ars in Menschengestalt zu einem neuen Typus verschmolzen.
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Die Darstellung erweist sich so zugleich als erneute Manifestation seines Selbstverständ nisses vom schöpferischen, die Natur nach ahmenden und mit ihr wetteifernden Künstler, der sein Tun zugleich aber auch als gottgefäl ligen Labor begreift, mit dem er nicht nur selbst zu seiner Seelenrettung beitragen kann, sondern der ihm auch schon im Diesseits die Möglichkeit verschafft, zu Wohlstand und Ehre zu gelangen und dem eigenen Tun einen höheren Sinn zu verleihen. Tatjana Bartsch
Abb. 4: Lucas de Heere, Geoffroy Ballain und Pieter Huys: Physicæ ac Metaphysicæ differentia. Holzschnitt aus Johannes Sambucus: Emblemata et aliquot nummi antiqui operis, Antwerpen 1565 (ed. princ. 1564).
1 Kupferstich, 21,1 x 24,9 cm. Blatt 1 einer sechsteiligen Folge: „Der Lohn von Arbeit und Fleiß“. Subscriptiones unterhalb der Pictura: Lateinisch: „Ales vt à primis pro ducit in aëra nidis | Iam iam plumantes certo modulamine fœtus, | Hortatu’que sequi, breuibus’que insurgere pennis; || Sic genus humanum rerum Natura nouatrix | Mollibus è cunis, grauidaq ́[ue] parentis ab aluo, | Ducit ad ærum nas, et duros cauta labores.“ Französisch: „Nature au monde met l’homme pour trauailler, | Ainsi qu’elle y produit tout oyseau à voller.“ Holländisch: „Natuere
brengt den mensch ter werelt van tsoch der wieghen, | Tot moeyte en arbeyt, als den voghel tot vlieghen.“ Für die Übersetzung ins Deutsche dankt die Verfasserin herzlich Ursula Rombach. Abbildung 1 zeigt den zweiten Zustand, der die französischen und deutschen Sub scriptiones nicht enthält. 2 Zum Stich vgl. Horst Bredekamp: Der Mensch als Mörder der Natur: das „Iudi cium Iovis“ von Paulus Niavis und die Leibmetaphorik. In: Heimo Reinitzer (Hg.): All Geschöpf ist Zung’ und Mund: Beiträge aus dem Grenzbereich von
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Naturkunde und Theologie, Hamburg 1984, S. 261–283, S. 269f.; Ilja M. Veld man: Images of Labor and Diligence in sixteenth-century Netherlandish prints: the work ethic rooted in civic morality or Protestantism. In: Simiolus, Vol. 21, 1992, Heft 4, S. 227–264, S. 230f.; The new Hollstein Dutch & Flemish etchings, engravings and woodcuts, 1450–1700 [im Folgenden: NHD]: Maarten van Heemskerck, bearb. von Ilja M. Veldman, 2 Bde., Rotterdam 1993–1994, Bd. 2, Nr. 501; Andrea Goesch: Diana Ephesia: ikonographische Studien zur Allegorie der Natur in der Kunst vom 16.–19. Jahrhundert, Frankfurt a. M. u.a. 1996, S. 62f.; NHD: Philips Galle, bearb. von Manfred Sellink und Marjolein Leesberg, 4 Bde., Rotterdam 2001, Bd. 2, Nr. 303; Horst Bredekamp: Kulturtechnik zwi schen Mutter und Stiefmutter Natur. In: Sibylle Krämer, Horst Bredekamp (Hg.): Bild, Schrift, Zahl, München 2003, S. 117–141, S. 131f. 3 Patrologia Latina 217, 701–746. Heute noch lassen sich davon 435 Handschriften und über 30 gedruckte Ausgaben, die vor 1600 erschienen sind, nachweisen. Vgl. Lotario de Segni (Papst Innozenz III.): Vom Elend des menschlichen Daseins, aus dem Lateinischen übersetzt und eingelei tet von Carl-Friedrich Geyer, Hildesheim 1990. 4 Andries vander Muelen: Een zuver lic boucxkin vander ketyvigheyt der menschelicker naturen overghezet uten Latyne, in Vlaemschen dichte, Gent 1543; Veldman (s. Anm. 2), S. 230.
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5 Martin Luther: Biblia. Das ist die gant ze Heilige Schrifft: Deudsch. Auffs new zugericht, Wittenberg 1545, Hiob 5,7: „sondern der Mensch wird zu Unglück geboren, wie die Vögel schweben, empor zufliegen“. 6 Hadrianus Iunius Medicus: Emblemata. Aenigmata, Nachdruck der Ausgabe Ant werpen 1565, Hildesheim u.a. 1987, S. 9. Es ist gut möglich, dass Junius auch die Sub scriptio des Natura-Stiches verfasst hat. 7 s.v. Diana von Ephesus. In: Der neue Pauly. Enzyklopädie der Antike, hg. von Hubert Cancik, (bislang 19 Bde.), Stutt gart u.a. 1996ff, Bd. 13, 1999, Sp. 836– 844 (Andrea Goesch). 8 Johannes Sambucus: Emblemata et ali quot nummi antiqui operis, Nachdruck der 2. Aufl. Antwerpen 1566, Hildesheim 2002, S. 65f. 9 Wolfgang Kemp: Disegno: Beiträge zur Geschichte des Begriffs zwischen 1547 und 1607. In: Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft, Bd. 19, 1974, S. 219– 240. 10 Vgl. Rainald Grosshans: Maerten van Heemskerck. Die Gemälde, Berlin 1980, S. 109–116, Kat. 18 sowie S. 195–201, Kat. 75; Gisela Kraut: Lukas malt die Madonna: Zeugnisse zum künstleri schen Selbstverständnis in der Malerei, Worms 1986, S. 80–96; Gabriele Werner: Heemskerck, Röntgen und der Beweis charakter von Reproduktionstechniken. In: Ulrike Bergermann, Claudia Breger, Tanja Nusser (Hg.): Techniken der Repro duktion. Medien – Leben – Diskurse, Königstein/Ts 2002, S. 67–82.
Eileen A. Reeves
Faking It: Apelles and Protogenes among the Astronomers
Obscure, formless, and mutable, sunspots offered a conceptual and aesthetic challenge to the early modern observers who sought to depict them in text and image. But because they could be projected in the darkroom onto a canvas, sketched, and engraved, the unphotogenic solar phenomena were singularly well-suited to illustration; like the ink blots and smoky clouds with which they were sometimes compared,1 they offered a kind of primitive system of contrasts common to all images, but allied to no particular one. It was Galileo Galilei’s view of the sunspots as shapeless, malleable, and ephem eral – his insistence on their irreducibility to recognizable forms and their relative nullity as pictorial objects – which allowed him and his allies to convert discussions of their substance to questions of style, the latter being the focal point in early modern discussions of the greatest artists of Antiquity. Galileo and his circle saw in these accounts of Apelles and Protogenes a set of idealized lessons about how professional success was achieved, how friendly rivalry could be man aged, how the envious were to be treated, and how immortality might be won. While Apelles was said by Pliny to have been able to paint “even what cannot be pictured” – ephemeral meteorological phenomena such as thunder, lightning, and thunderbolts2 – the focus here is less on apparent homologies in subject matter than on the question of manner. That the ancient artist’s works had either never been finished or had long since perished, and had left in their wake an enduring manual of style, meant that those vanished canvases were structurally akin to the formless spots on the sun, resistant to pictorial representation, but visible above all in the production of professional effects. “The masked Apelles”
Among the irritants which Galileo encountered in 1612 in Christoph Scheiner’s treatises on the sunspots, Three Letters about Solar Spots Written to Marcus Welser and A More Accurate Inquiry on Solar Spots to MarcusWelser, the most crucial was his Jesuit rival’s interpretation of the phenomena as “solar stars”, and the most trivial the pseudonym under which Scheiner had written, “Apelles hiding behind the can
1 Galileo Galilei: Opere, Antonio Favaro (Ed.), 20 vols., Florence 1968, Vol. 5, pp. 98, 108, 187. On the sunspot quarrel see Eileen Reeves and Albert van Helden: Galileo and Scheiner on Sun spots, Chicago 2008, and Horst Bredekamp: Galilei der Künstler. Der Mond. Die Sonne. Die Hand, Berlin 2007, pp. 217–282. 2 Pliny: Natural History XXXV: 96, Julius Sellig (Ed.), Naturalis Historia, 8 vols., Hamburg 1851, Vol. 5, p. 242. This translation and all subsequent ones are mine, unless otherwise indicated.
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vas”. Unfortunately for Scheiner, this penname also proved a compelling target: Galileo’s references to il finto Apelle, “the masked Apelles”, underscored all that he saw as false in his opponent’s association with the ancient artist. The fact that three painters most admired by Galileo – Leonardo, Raffael and Titian – were proclaimed “the modern Apelles” must have made Scheiner’s pseudonym seem even less suitable.3 As their quarrel developed over the course of 1612–1613, Galileo’s allies sought to portray the Italian astronomer, not without artistic credentials of his own, as the true modern-day Apelles. Because the earliest observers of the sunspots included prominent members of Italy’s artistic com munity – the painters Lodovico Cigoli, Sigismondo Coccapani, and Domenico Passignano, the architect Vincenzo Dotto, and the theorist Giovanni Battista Agucchi – the allusions to Apelles and the emergence of a latter-day Protogenes gained additional resonance.4 The pseudonym chosen by Scheiner refers to an incident recounted in Pliny’s Natural History, but mentioned only infrequently in the early modern period.5 Desiring candid evaluations of his work, Apelles hid behind his panels, and learned from a passing shoemaker about a flaw in the sandals he had drawn. When the emboldened craftsman criticized the depiction of a leg the following day, Apelles shamed him by stating, in a remark that became proverbial, that shoemakers should stick to footwear.6 The ending of the tale undoes the humble tenor of its opening, and suggests that criticism is the domain of an elite group of specialists, rather than an arena open to anyone possessed of practical knowledge or common sense, or, for that matter, eyes with which to view legs.
3 David Cast: The Calumny of Apelles. A Study in the Humanist Tradition, New Haven 1981, and Leonard Barkan: Unearthing the Past. Archaeology and Aesthetics in the Making of Renaissance Culture, New Haven 1999, pp. 89–105. 4 On the sunspot observations of Cigoli, Coccapani and Passignano, see Galileo (as cited in foot note 1),Vol. 5, pp. 140, 191, and Vol. 11, pp. 208, 209, 212, 214, 253, 268, 276–277, 287–288, 290, 297, 298, 302, 318–319, 348–349, 361–362, 369, 383, 386–387. For Dotto, see Galileo (as cited in footnote 1), Vol. 5, p. 65, and Vol. 11, pp. 231, 244; for Agucchi Galilei (as cited in footnote 1), Vol. 5, p. 82, and Vol. 11, pp. 329–330, 346–347, 390–391, 441–443, 520–521, and Vol. 19, p. 612, and Massimo Bucciantini: Teologia e Nuova Filosofia. Galileo, Federico Cesi, Giovambattista Agucchi e la discussione sulla fluidità e corruttibilità del cielo. In: Sciences et Religions de Copernic à Galilée (1540–1610), actes du colloque internationale, Rome 1999, pp. 411–442, especially pp. 417, 423–424, 441–442. 5 Frederika Jacobs: Vasari’s Vision of the History of Painting. Frescoes in the Casa Vasari, Florence. In: Art Bulletin, Vol. LXVI, 1984, No. 2, pp. 399–416, pp. 412–413. 6 Pliny XXXV: 84–85, Sellig (as cited in footnote 2), Vol. 5, p. 237.
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Apelles’ practice was imitated in Venice in the early seicento, and would have been familiar to Galileo, though almost certainly not to Scheiner. According to Jean Baptiste Duval, a Frenchman in Venice from 1607 through 1610, painters dis played their work near the Rialto in order to hear the views of their colleagues, rather than of unqualified passersby. “When they learn that some canvas has been set up in this place, everyone drops his brush and his work to go there and offer an opinion. Someone criticizes the colors, another says that the motif is not original, somebody finds fault with this, and another with that. It’s wonderful to hear them discussing: some do it out of envy, and others for the glory of Art alone. It is not enough just to criticize; you must show why you’re right; otherwise the blame redounds to the glory of the painter … All this is in imitation of what Apelles, the prince of painters, used to do, displaying his work in public and hiding behind it to hear everyone’s judg ment. Depending on whether or not he recognized an error, he would correct his shortcomings. This is what all the good painters in Venice do, who put their works in this place in order to learn from their friends what was said of them and to correct them.”7 Duval makes clear that some criticism was inevitable, that such remarks required a rationale, that the evaluators were other professionals, and that friends – of unspecified qualifications – served as intermediaries. This conforms well to Gali leo’s reaction to Scheiner’s work, relayed through their mutual friend, the Ger man Humanist Marcus Welser. But the fact that Scheiner addressed himself more to his fellow Jesuits than to the scientific community suggests that the Apellean practice implied by his pseudonym was not his primary consideration.8 The task of imperfection
Among Apelles’ gifts, the greatest was said to be an indefinable charm, a qual ity at once crucial and elusive.9 A kind of spontaneity, it would find eventual comparison with sprezzatura in Baldessar Castiglione’s Courtier.10 Pliny affirmed that Apelles knew, as his talented rival Protogenes did not, when to stop paint
7 François-Georges Pariset (Ed.): Un français en Italie, les remarques triennales de J. B. du Val (fin). In: Revue de la Méditerranée, Vol. 15, 1955, no. 6, pp. 585–600, pp. 594–595. 8 Mario Biagioli: Galileo’s Instruments of Credit. Telescopes, Images, Secrecy, Chicago 2006, pp. 200–201. 9 Pliny XXXV: 80, Sellig (as cited in footnote 2), Vol. 5, p. 235. 10 Baldessar Castiglione: The Courtier I: 28. Bruno Maier (Ed.): Il Cortegiano, Turin 1955, p. 128.
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ing, or, as the saying goes, when “to take his hand away from a picture”.Yet even as he avoided excessive diligence, Apelles maintained a lively productiv ity: the proverb nulla dies sine linea, “no day without a line”, derived from his practice.11 It is difficult to imagine a less suitable model for Scheiner, who had created around 1603 a pantograph, a device not for spontaneous creation but for the “lifelike imitation” of others’ work, particularly for copying, enlarging, or reducing designs.12 Consider the fron tispiece of Scheiner’s eventual publi cation of 1631, where in the center the pantograph, in an upright position, Fig. 1: Frontispiece of Christoph Scheiner’s “Pantographice seu ars delineandi” (Rome 1631). functions as a perspective machine for the transcription of a bust of an early martyr, and on the right is deployed by an angel (fig. 1). While Apelles’ charm lay in his sense of when “to take his hand away from a picture”, Scheiner’s pan tograph involved a disembodied hand whose very presence at the canvas was wholly dictated by the work to be copied. His frequent and sometimes lengthy texts, moreover, signal a certain laboriousness, but during his quarrel with Gali leo, not even his productivity meant that he could claim “no day without a line”. It was the Italian astronomer who offered the better quotidian record of the solar phenomena: Scheiner’s pictorial presentation of the sunspots observed between October 21 and December 14, 1611 contained 24 gaps, while Galileo’s larger and more legible images from June 2 through July 8, 1612 had only two days “without a line” (fig. 2., fig. 3).13 In the preface to his work, Pliny portrayed his own reports on the natural world as dynamic, open-ended, and subject to emendation – a research program rather 11 Pliny XXXV: 84, Sellig (as cited in footnote 2), Vol. 5, p. 237. 12 Martin Kemp: The Science of Art, New Haven 1990, pp. 180–184. 13 Biagioli (as cited in footnote 8), p.185.
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than a series of definitive pro nouncements – and he did so by comparing his technique to that of Apelles.The greatest artists, he stated, entitled their works with a canny modesty: Apelles faciebat, “Apelles was making this”, denot ed an ongoing project, tamquam inchoata semper arte et inperfecta, “as if art were forever in progress and never finished”.14 Such inscriptions produced wonder in those who observed an excellent Fig. 2: Alexander Mair: Scheiner’s sunspots of October 21, 1611, Detail a copperplate engraving in Christoph Scheiner’s “Tres Epistolae but incomplete painting; only from de Maculis Solaribus Scriptae ad Marcum Velserum” (Augsburg 1612). rarely, and in works of absolute and uncontested perfection, did the ancient artist use the definitive phrase Ille fecit, “He made this”. Here, too, it seems that Galileo, rather than Scheiner, pursued the more successful strategy, making few definitive statements about the sunspots’ nature, and prudently defer ring judgment about problematic details. For his part, Scheiner’s original concep tion of the sunspots as stars or as shadows of stars moving irregularly about an incorruptible sun, coupled with his haste to publish the argument, forced him to adopt many untenable postures as the debate developed.15 This is not to say that Scheiner ignored the topos of incompletion, for he exploit ed it after investigating the planet Venus. Using Giovanni Antonio Magini’s Ephemerides, which predicted a conjunction of Venus and the sun on December 11, 1611, Scheiner observed the solar body for several days, assuming that the planet would appear on it as a small dark spot. He failed for two reasons to detect the transit: having misread the tables, he began his observations late, and the anticipated conjunction was on the far side of the sun and thus not visible from earth. Soon realizing his error, Scheiner then drew on Pliny’s praise of the incomplete nature of Apelles’ art, and noted that his discussion had been “incho 14 Pliny, Preface, 26, Sellig (as cited in footnote 2), Vol. 1, pp. 13–14, and Barkan (as cited in foot note 3), pp. 89, 116–117, and 366 n. 90. 15 Biagioli (as cited in footnote 8), pp. 172–173, 177–178, 203–210.
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ate” and “not yet perfected”.16 This strategy did not deter Gali leo from making much of the episode in his first letter on the sunspots.17 Galileo’s friends soon capital ized on the unsuitable pseudo nym. Giovanni Battista Agucchi, a sunspot observer and a con noisseur of Apellean anecdotes, enjoyed Galileo’s refutation of “the false opinions of the false Fig. 3: Galilei’s sunspots from June 28, 1612 (Galileo Galilei: Le Opere. Apelles”.18 The supporters in Edizione Nazionale ed. by Antonio Favaro, Florence 1890–1909, Federico Cesi’s circle, moreover, Vol. V 170). appropriated the legendary role for the Italian astronomer, making Scheiner an unqualified impersonator of the ancient artist. Their insistence that Galileo’s conflicts with Scheiner and other detractors be translated into allegorical terms as the antagonism between Virtue and Envy derives from another Apellean tradition. According to Lucian, Apelles was maligned by a jealous artist at the court of Ptolemy IV, and only escaped execution for his alleged role in an assassination plot when one of the real conspirators spoke up. After Ptolemy had recognized Apelles’ virtue, and had given him the envious rival as a slave, the artist commemorated the incident in a tableau.19 The Apellean allegory of Virtue and Envy was repeatedly exploited in visual and verbal form by Welser, Cigoli, Cesi, Giovanni Francesco Sagredo, and Francesco Stelluti from 1611 through 1613 to describe Galileo’s rivalry with various enemies, Scheiner being the most prominent.20 Thus in the frontispiece of the History and Demonstrations of the Sunspots, the laurel-crowned Virtù smiles down on Galileo’s portrait, beneath which grimaces Invidia (fig. 4). 16 Galileo (as cited in footnote 1), Vol. 5, p. 32. 17 Galileo (as cited in footnote 1), Vol. 5, pp. 98–100. 18 Galileo (as cited in footnote 1), Vol. 11, p. 521, and Norman E. Land: The anecdotes of G. B. Agucchi and the limitations of language. In: Word & Image, Vol. 22, 2006, No. 1, pp. 77–82. 19 Cast (as cited in footnote 3). 20 Miles Chappell: Cigoli, Galileo, and Invidia. In: Art Bulletin, Vol. 57, 1975, pp. 91–98, and Eileen Reeves: Painting the Heavens, Princeton 1997, pp. 172–183.
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Lines of competition
Given that Galileo was depict ed as the true heir to Apelles, it is noteworthy that in the spring of 1612 another writer emerged under the pseudo nym “Protogenes”. The Proto genes of Antiquity enjoyed a friendly rivalry with Apelles; originally a ship painter, he exemplified the artist who did not know when to remove his hand from the painting.21 His first encounter with Apelles gave rise to the prototypical account of the elusive light touch. Apelles, finding Proto genes absent from his studio, left as his signature a fine line Fig. 4: Frontispiece of Galileo Galilei’s “Il Saggiatore nel quale con on a blank panel. Upon return bilancia esquisita e giusta si ponderano le cose contenute nella libra ing Protogenes recognized the astronomica e filosofica di Lotario Sarsi” (Rome 1623). mark as one that could have been made by Apelles alone, and responded by superimposing a finer line. When Apelles came again to Protogenes’ studio, he found not the artist but the panel, and he inscribed a third stroke, one so fine that Protogenes conceded defeat.22 The foregoing suggests that the anonymous writer who assumed or was given the name “Protogenes” in the sunspots debate saw himself or was seen by others as an understudy of the true Apelles. His meditations circulated among Galileo’s supporters, and were contrasted with those of “the hidden Apelles”, especially in regard to the stellar nature ascribed by the Jesuit astronomer to the sunspots. Protogenes believed that the sunspots were irregular and mutable in shape, close to the sun, moving en masse and yet without regular and star-like orbits.23 21 Pliny XXXV: 80, 87–88, Sellig (as cited in footnote 2), Vol. 5, pp. 235, 238. 22 Pliny XXXV: 81–83, Sellig (as cited in footnote 2), Vol. 5, p. 236. 23 Angelo Grillo: Delle lettere […] raccolte dal Sig. Pietro Petracci, 3 vols.,Venice 1616,Vol. 2, pp. 170–171, and Galileo (as cited in footnote 1), Vol. 5, p. 65.
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Arguments regarding Protogenes’ identity are necessarily conjectural. A “prin cipal patrician” of Venice, he may have been the Venetian nobleman Agostino da Mula, then in close contact with Galileo’s confederate Sagredo.24 Described as one who “scarcely had the telescope emerged, understood immediately how to adjust it and adapt it to the visual contemplation of the sun”, Protogenes was likely familiar with the projection method taken up by many early observers.25 By July 1612 Galileo had written of this technique to Sagredo, who saw projec tion in terms of its analogy with vision, the subject of his contemporaneous debates with da Mula, then engaged in writing a treatise on sight.26 And in 1610, Giovanni Camillo Gloriosi had reported that “Agostino da Mula, a Venetian patri cian, has said publicly that he observed these [Jovian] stars before Galileo, who had no knowledge of them, and that he told him of them”, an affirmation that suggests a barely managed rivalry.27 Da Mula would have appreciated the logic, if not the hint of inferiority, in this pseudonym. In addition to his interest in optics and access to lenses that even Galileo envied, he had an excellent classical education, and was sufficiently authoritative in painting to dictate in 1613 the style and content of a large (but evidently unlovely) fresco cycle in Verona.28 Finally, Pliny’s presentation of Pro togenes as painstaking but unproductive is echoed in the fate of da Mula’s lengthy and well-illustrated manuscript on vision;29 it never saw its way into print, and has disappeared entirely. His peers saw this Protogenes more in terms of his ongoing, and ultimately unsuccessful, competition with the Apellean figure of Galileo, than in terms of his particular resemblance to the humble ancient artist, a frugal and modest man quite unlike the lordly da Mula. Such views reinforce the reading of Apelles’ life as a manual of style effacing the individual characteristics of those in his orbit, and offering instead a series of brilliant professional effects generated by smart remarks, light touches, and perishable works-in-progress, all as glorious and as impermanent as the spots upon the sun. 24 Marcus Welser: Opera historica et philologica, Nürnberg 1682, p. 884, and Gaetano and Luisa Cozzi: Agostino da Mula. In: Dizionario biografico degli italiani, 49 vols. to date, Rome 1960, Vol. 32, pp. 376–381. 25 Grillo (as cited in footnote 23), Vol. 2, p. 170. 26 Galileo (as cited in footnote 1), Vol. 11, pp. 315, 331, 356. 27 Galileo (as cited in footnote 1), Vol. 10, pp. 363–364. 28 Cozzi and Cozzi (as cited in footnote 24), pp. 379–380. 29 Galileo (as cited in footnote 1), Vol. 11, p. 350.
Dieter Blume
Sternbilder und Himmelswesen. Zum Bildgebrauch des Mittelalters Abkehr vom antiken Himmel
Sternbilder sind Projektionen der Menschen. Es handelt sich um Projektionen, die dem Versuch geschuldet sind, eine Ordnung in der unübersehbaren Vielfalt zu schaffen, die wir benötigen, um die Welt überhaupt ertragen zu können.1 Sehen kann man nur die Fülle der Lichtpunkte. Schon die geometrischen Muster der Konstellationen sind eine im Grunde beliebige Setzung, die nur im Rahmen einer Konvention, in einem gegebenen kulturellen Kontext Gültigkeit beanspru chen kann. Dieser offensichtlichen Beliebigkeit steht jedoch eine erstaunliche Kontinuität gegenüber, da seit 3000 Jahren die Sternbilder im Wesentlichen unverändert geblieben sind. Das alte Griechenland hat den noch heute gültigen Himmel definiert. Bei Homer und Hesiod sind die bekannten Sternbilder bereits beschrieben und niemand hat seitdem etwas daran geändert. Mit der Christianisierung der römischen Welt brach allerdings ein Konflikt auf, welcher diese Tradition noch einmal grundsätzlich in Frage stellte. Es schien undenkbar, dass heidnische Wesen den Himmel Gottes bevölkern sollten und den gläubigen Menschen ihr fremdes Zeitmaß vorgaben. Diese Ablehnung führ te zunächst zu einer Vernachlässigung astronomischer Kenntnisse. Nach einer größeren zeitlichen Zäsur lässt sich jedoch seit dem späten 8. Jahrhundert eine Wiederaufnahme und Erneuerung dieses antiken Wissens einschließlich der mit ihm verbundenen Bilder beobachten. Die Untersuchung dieser erneuten Rezeption einer über weite Strecken erloschenen Tradition vermag viel über die Wirkungsweisen jener Himmelszeichen zu verraten, die allnächtlich über den Himmel ziehen und die man jetzt wieder auf die Seiten der Lehrbücher malte. Die Geschichte dieser materiellen, d. h. künstlerisch ausgeführten Bilder des Sternenhimmels gewährt nun zugleich besondere Einblicke in den mittel alterlichen Bildgebrauch, sowie in die zuweilen stimulierende Wirkung dieser Darstellungen. Den frühen Christen war die Sternenkunde, welche den Gestalten der antiken Mythologie eine so bedeutende Rolle im Weltenbau zuwies, mehr als suspekt. Der Kirchenvater Augustinus warnte ausdrücklich vor ihr, und auch der Bibel übersetzer Hieronymus sprach von lächerlichen und hässlichen Lügen, mit
1 Die folgenden Ausführungen stellen Ergebnisse eines langjährigen Forschungsprojektes vor, das der Verfasser zusammen mit Mechthild Haffner und Wolfgang Metzger an der Friedrich-Schil ler-Universität Jena durchgeführt hat. Eine umfassende Publikation ist in Vorbereitung: Dieter Blume, Mechthild Haffner, Wolfgang Metzger: Bild und Wissenschaft, Sternbilderdarstellungen in Mittelalter und Renaissance 800–1500.
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denen die heidnischen Dichter den Himmel verleumdeten, indem sie irdische Wesen als Lohn der Unzucht unter die Sterne versetzten.2 Aber dennoch waren die christlichen Mönche gezwungen, den Nachthimmel genau zu beobachten, denn nur anhand der Sternpositionen war der Zeitpunkt für das nächtliche Stundengebet zu bestimmen, das sie nicht versäumen durften. Für die kalendarische Bestimmung des Osterfestes kamen sie ohne astronomi sche Grundkenntnisse nicht aus. Schließlich waren dafür das römische Sonnen jahr, der hebräische Mondmonat und die Planetenwoche der antiken Astronomen miteinander in Einklang zu bringen. So mussten sie nicht nur das Frühlingsäqui noktium bestimmen, sondern auch den Lauf des Mondes beobachten.3 Nachtgebete
Doch die fromme Zeit sollte nicht mehr von den verhassten Wesen der heid nischen Mythologie bemessen werden. Deshalb wagte Gregor von Tours um 580 den Versuch einer grundlegenden Neudefinition des Sternenhimmels aus dem Geiste des Christentums. Den Schwan, in dessen Gestalt sich Jupiter einst der Leda genähert hatte, verwandelte er in ein christliches Kreuz, flankiert von Alpha (Delphinus) und Omega (Lyra); aus der Gruppe der Pleiaden wurde ein unverfänglicher Traubenstengel. Die Ablehnung der antiken Bilder ging bei ihm so weit, dass er in den Zeichnungen der neuen Sternbilder keine bildlich erkenn baren Gegenstände wiedergab, sondern nur die abstrakte Konfiguration der Sterne fixierte.4 Gregors Traktat vertrat in seiner Ablehnung antiker Astronomie zwar eine Extremposition, die sich nicht durchsetzen konnte, in besonderer Weise aber die Problematik der frühmittelalterlichen Himmelskunde verdeut licht. Gregor dachte allerdings ausschließlich an das nächtliche Stundengebet und beschrieb deswegen lediglich 14 Sternbilder, die ausreichten, um über das Jahr hinweg als nächtliche „Uhrzeiger“ zu dienen.
2 Augustinus: De Doctrina Christiana II, 29; vgl. Dieter Blume: Regenten des Himmels. Astrolo gische Bilder in Mittelalter und Renaissance, Berlin 2000, S. 9. Hieronymus: Commentarius in Amos Prophetam, II, 9, 274–283. 3 Arno Borst: Computus, Zahl und Zeit in der Geschichte Europas, Berlin 1991, S. 24ff; Arno Borst: Das Buch der Naturgeschichte. Plinius und seine Leser im Zeitalter des Pergaments, Heidelberg 1994, S. 77ff; Arno Borst: Die karolingische Kalenderreform, Hannover 1998. 4 Gregor von Tours: De cursu stellarum ratio; den wichtigsten Textzeugen, der auch mit entspre chenden Zeichnungen versehen ist, bildet die Handschrift der Staatsbibliothek Bamberg, Msc. Patr. 61, aus der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts. Dazu Stephen McCluskey: Astromomies and Cultures in Early Medieval Europe, Cambridge 1998, S. 99ff.
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Für alle weitergehenden Fragen der Komputistik waren die Mönche weiter auf die antike Astronomie angewiesen – doch die heidnischen Bilder blieben für sie problematisch. Als Beda um 725 das grundlegende Traktat zur Zeitbestim mung schrieb, verschwieg er seinen Lesern noch entsprechende Hinweise; dem Bericht über die Tierkreiszeichen fügte er gar die Aufforderung hinzu: „Ihre genaue Stellung den Unwissenden nicht mühsam beizubringen, beschwöre ich die Wissenden.“5 Auch eine bildliche Veranschaulichung der Sternbilder hielt er offenbar für gefährlich und verzichtete auf ihre Wiedergabe. Selbst Alkuin, der Berater Karls des Großen, der diesem im Jahre 789 astronomische Fragen beantwortete, zeichnete, um sich verständlich zu machen, nur ein didaktisches Diagramm das er als „figura“ bezeichnete.6 Himmelsreform
Auch die berühmte Aachener Enzyklopädie von 809, die auf Geheiß des Kaisers Ordnung in das Wirrwarr der Zeitberechnung bringen sollte, enthielt eine Vielzahl derartiger Diagramme, die den Aufbau des Kosmos und die Bahnen der Planeten veranschaulichen sollten.7 Integriert war auch eine Himmelsbe schreibung, die heidnischen Gestalten waren dagegen noch nicht enthalten. Die poetische, in Versen verfasste Schilderung der antiken Dichter wurde auf einen dürren Sternenkatalog zusammengestrichen, der allein die Anzahl und Position der Sterne in einem Sternenbild aufzählte. Alle Zusatzinformationen zu Mythos und zur Gestalt waren als überflüssig herausgefiltert. Zwar war damit der Ver such einer christlichen Neudefinition des Sternenhimmels aufgegeben, doch suchte man das heidnische Personal am Nachthimmel auf einfache, sinnentleerte Gestalten zu reduzieren. Die fremden Bilder, die in antiken Handschriften in Aachen und dem Kloster Corbie vorlagen, erweckten wohl eher Abscheu und Furcht. Die Mönche im Schulbetrieb der Klöster sollten ihrer Wirkung nicht ausgesetzt werden.
5 Beda: De temporum ratione liber, XVI, Ed. Charles W. Jones, Corpus Christianorum, series lati na, 123 B, Turnhout 1977, S. 333: „De quorum positione strictim nescientes instruere obsecro scientibus oneri sit.“ Vgl. Borst 1998 (s. Anm. 3), S. 657f. 6 Alkuin: Epistula, Ed. E. Dümmler, MGH Epp. IV, 1895, Nr. 155, S. 249–253; Arno Borst: Alcuin und die Enzyklopädie von 809. In: P. L. Butzer, D. Lohmann (Hg.): Science in Western and Eastern Civilization in Carolingian Times, Berlin 1993, S. 53–78, 66. 7 Zu diesen sogenannten „Libri computi“ Borst (s. Anm. 6), Borst 1998 (s. Anm. 3), passim sowie Borst 1994 (s. Anm. 3), S. 156ff.
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Am Beginn der mittelalterlichen Auseinandersetzung mit dem „natürlichen“ Bild des Nachthimmels steht also eine deutliche Bilderskepsis. Doch lässt sich mit der allmählichen Zunahme astronomischer Kenntnisse auch ein Aufweichen jener dogmatischen, ablehnenden Position beobachten. Unter dem Sohn und Nach folger Karls des Großen findet nun hinsichtlich der astronomischen Bilder eine Umorientierung statt, die radikaler nicht sein könnte. Die besonderen astrono mischen Interessen Ludwigs des Frommen sind gut belegt, und so auch, dass er sogar persönlich regelmäßig den Sternenhimmel beobachtete.8 Nur zwei Jahre nach seiner Krönung wird für ihn und vermutlich auch in seinem Auftrag in Aachen eine Prunkhandschrift hergestellt, die vor allem Miniaturen, aber kaum Text enthält und die nur als ein wissenschaftlicher Bilderatlas des Sternenhimmels bezeichnet werden kann.9 Diese Handschrift besitzt ein handliches, quadratisches Format und reserviert für jedes Sternbild ein Blatt. Die Miniaturen treten dem Leser nach Art antiker illusionistischer Malereien vor einem dunkelblauen Nachthimmel entgegen. Die Sterne selbst sind in exakter Position und differenziert nach ihrer Größe als gol dene Rhomben eingetragen. Die Suggestionskraft der Bilder und die Wirkung der heidnischen Gestalten konnte nicht stärker in den Vordergrund gerückt werden (Farbtafel 8). Der Stil der Miniaturen hat die Forschung dazu verleitet, darin die exakte Kopie einer spätantiken Vorlage zu sehen. Doch zeigt die vergleichende Untersuchung aller erhaltenen Sternbilderzyklen, dass es sich im Gegenteil um eine subtile Kompilation verschiedener Vorlagen handelt, die geradezu systematisch auf der Suche nach einer authentischen Version erarbeitet worden sein muss. Position und Zahl der Sterne entsprechen dem Sternenkatalog des Ptolemaios, der zu jener Zeit im Abendland noch gar nicht rezipiert wurde und wohl über eine byzantinische Abschrift vermittelt worden ist.
8 Dies geht aus der zeitgenössischen „Vita Hludowici Imperatoris“ des sogenannten Astronomus hervor, Edition von Ernst Tremp, MGH, SS rer. Germ. LXIV, Hannover 1995, Kap. 58, S. 518ff sowie in der Einleitung S. 54f. 9 Leiden, Univ. Bibl. Cod. Voss. lat. Q. 79 (Maße 22,5 x 20,4 cm). Aratea, Nachbildung der Hand schrift Ms. Voss. Lat. Q. 79 der Rijksuniversiteit Leiden, Bd. I, Faksimile, Bd. II, Kommentar, Luzern 1987–1989; R. Mostert, M. Mostert: Using astronomy as an aid to dating manuscripts. The example of the Leiden Aratea planetarium. In: Quaerendo, Vol. 20, 1990, S. 248–261; A. Stückelberger: Sterngloben und Sternkarten. Zur wissenschaftlichen Bedeutung des Leidener Aratus. In: Museum Helveticum, Vol. 47, 1990, S. 70–81.
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Die Bilder werden von den antiken Ver sen des Germanicus begleitet; nur weni ge Zeilen stehen neben den aufwendigen Miniaturen als ein poetischer Kommen tar. Es handelt sich also nicht um ein kom putistisches Handbuch, sondern um die Edition eines einzelnen Klassikertextes, der sorgfältig redigiert worden ist: Die Himmelsbeschreibung des Aratos, die von Germanicus übersetzt wurde, schil dert den Aufbau sowie die Erhabenheit des Sternenhimmels. In rhythmischen Abb. 1: Zwillinge, aus der Aachener Prunkhandschrift Versen beschreibt der antike Text die Dis (= Leidener Aratea) von 818 (Leiden, Bibl. der Rijks universiteit, Cod. Voss. lat. Q. 79, Fol. 16v). position des Himmelsgebäudes und soll einen Eindruck von der Großartigkeit der göttlichen Schöpfung geben, die über die trockenen Aufzählungen mittelal terlicher Kompilationen weit hinausgeht. All das, was die Aachener Libri Computi und vergleichbare Textzusammenstellungen vermissen lassen bzw. vermeiden wollten, wird hier mit einem Kraftakt nachgeholt. Bilderwissen
Die astronomischen Informationen sind jedoch nicht im Text, sondern in den Bil dern enthalten: Die Größe und genaue Position der Sterne ist ausschließlich den Miniaturen zu entnehmen. Mit Hilfe der Darstellungen ist es in der Tat möglich, sich am Nachthimmel zu orientieren, und deshalb ist auch jede Konstellation in einer eigenen Miniatur vorgeführt. Zugleich präsentieren die Bilder mit gro ßer Suggestionskraft jene Gestalten, die sich hinter dem abstrakten Raster der Lichtpunkte verbergen und die sich nur über die antike, heidnische Überliefe rung erschließen. Das eigentlich wichtige Wissen enthalten also die Bilder, aber es ist gleichsam in ihnen verborgen. Mit Hilfe künstlerischer Mittel gelingt in dieser Handschrift eine bewundernswert enge Verknüpfung der geometrischen Abstraktion jener astronomischen Konfigurationen mit der narrativen Anschau lichkeit der von den Klerikern so misstrauisch beäugten antiken Sternwesen. Das Beispiel der Zwillinge kann die systematische Vorgehensweise der Entwerfer anschaulich machen (Abb. 1). Aus der antiken Germanicus-Illustration, die dabei
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den Ausgangspunkt bildete, leitet sich die Nacktheit der Zwillinge und das Attri but der Leier her; das dort verwendete Motiv der Umarmung wird allerdings vermieden, dagegen aus der Tradition der griechischen Aratos-Illustrationen die symmetrische, dialogische Position übernommen und das Figurenpaar mit einer Lanze versehen.10 Im Text werden zudem an dieser Stelle die Verse des Avienus interpoliert – einer anderen Aratos-Übertragung –, da nur dieser den Bezug zu den antiken Zwillingsbrüdern Castor und Pollux herstellt. Das kriegerische Motiv wird dann durch Keule und Helm noch weiter betont. Als aktuellen Zusatz erhalten die Helme noch goldene Kreuze als Bekrönung, die mit zwei der hellsten Sterne der Konstellation korrespondieren. Vermutlich ging es hier um das Idealbild des miles christianus, das man in den durch Bruderliebe so eng ver bundenen Heroen wiederzufinden glaubte. Auch Ludwig der Fromme wurde als ein solcher „christlicher Streiter“ angesprochen und dargestellt.11 Darüber hin aus hatte der Kaiser selbst einen Zwillingsbruder, Lothar, der zwar als Kleinkind verstarb; doch die beiden Söhne Karls des Großen dürften zwischen April und September des Jahres 778 geboren sein und damit womöglich im Tierkreiszei chen der Zwillinge.12 Daraus ergeben sich bei diesem Sternbild Anknüpfungs punkte für eine kosmisch-astrologische Überhöhung des christlichen Kaisers, welche offenbar die Aufmerksamkeit der Buchgestalter auf sich zogen und in die Bildform eingegangen sind.13 Die Skepsis vor dem heidnischen Bild weicht in dieser Handschrift einer Fas zination, welche die genaue Kehrseite jener Bilderscheu ist und hier sogar in 10 Die Germanicus-Handschriften zeigen die Zwillinge in Umarmung und den Krebs zu ihren Füßen, vgl. Madrid, Bibl. Nac., Ms. 19, Fol. 58r. Der griechische Aratos-Zyklus lag im 8. Jahrhundert in Corbie vor. Darauf zurückgehende Sternenkataloge werden von einer anderen Bilderreihe begleitet, die in Aachen ebenfalls vorhanden war. Dazu Mechthild Haffner: Ein antiker Sternbilderzyklus und seine Tradierung in Handschriften vom frühen Mittelalter bis zum Humanismus, Untersuchungen zu den Illustrationen der „Aratea“ des Germanicus, Hildesheim 1997, S. 41ff. Die Leier als Attribut verweist nicht auf die wehrhaften Dioskuren Castor und Polydeukes, sondern auf die thebanischen Zwillinge Amphion und Zethos, die Söhne der Anti ope, vergleiche Wolfgang Schadewaldt: Sternsagen, Frankfurt a. M. 1976, S. 50f. 11 Ludwig der Fromme als „miles christianus” beispielsweise auf der Miniatur in Hrabanus Maurus: De laudibus Sanctae Crucis, Rom, Bibl.Vat. Ms. reg. lat. 124, Fol. 4v.Vgl. Elizabeth Sears: Louis the Pious as Miles Christi. In: Charlemagne’s Heir. New Perspectives on the Reign of Louis the Pious (814–840), hg. von Peter Godmann und Roger Collins, Oxford 1990, S. 605–628. 12 Vita Hludowici (s. Anm. 8), Kap. 3, S. 288ff. 13 Daneben sind weitere Elemente der Handschrift – wie die Eingangsminiatur, die Jupiter als Herrscher und Lenker des Kosmos zeigt, oder das Kolophon – als Huldigung an den neuen König zu verstehen.
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eine Bilddominanz umschlägt. Die Bildwirkung wird nicht allein durch eine illusionistische Malerei gesteigert, sondern die Bilder avancieren zu Trägern wis senschaftlicher Information, die der beigefügte Text gar nicht enthält. Zugleich ist es ihre Aufgabe, die Großartigkeit der göttlichen Schöpfung angemessen zu vermitteln und lesbar zu machen. Vereinheitlichung von Lehrbildern
In der Folge wurde die antike Bilderreihe auch in den Handbüchern des Komputus integriert. Dadurch wurde sie Teil des Ausbildungsbetriebs in den Klöstern und in diesem Zuge weiter verbessert und vor allem formal vereinfacht. Die in Madrid erhaltene Abschrift der Aachener Enzyklopädie überliefert jene am dortigen Hof entwickelte Bilderfolge.14 Zwischen die kurzen Textpassagen des Sternenkatalogs, der die Zahl und Verteilung der Einzelsterne in den jeweiligen Konstellationen auflistet, sind kleine, sorgfältig gemalte Bilder eingeschoben (Farbtafel 9). Dabei werden die Sternbilder möglichst in frontaler Ausrichtung gezeigt oder in Leserichtung gewendet. Überflüssig erscheinende Details sind fortgelassen, um eine einheitliche und klare Bildfolge zu erhalten. Auch bei diesen Illustrationen wurde nicht auf den Anspruch wissenschaftlicher Exaktheit verzichtet: Geringfügige Goldspuren verraten, dass die Positionen der Sterne auch hier eingetragen waren. Während der Text sich auf eine knappe Aufzählung der Sterne beschränkt, stellen die Bilder die Verbindung mit der anschaulichen Gestalt der Überlieferung her und ebenso mit jenen Konfigurationen, die auch am Himmel zu beobachten sind. Das Defizit des von allen Mythen gereinigten Textes wird nun – etwa zehn Jahre nach der Zusammenstellung der Aachener Enzyklopädie – mit Bildern kompensiert. Nur als anschauliches Bild handelnder Figuren konnte die Vielfalt der Himmelskörper und deren eigentümliche Bewegung verstanden werden. So griffen die christlichen Mönche schließlich doch auf die heidnisch-antike Bilderwelt zurück. In den folgenden Jahrzehnten entstanden in den verschiedenen Zentren des Reiches zahlreiche komputistische Handbücher – entweder als direkte Kopien 14 In Madrid, Bibl. Nac., Ms. 3307, ist ein offenbar in Aachen illustriertes Exemplar überliefert. Die Miniaturen haben durch Abrieb stark gelitten, auch die in Gold aufgelegten Sterne sind bis auf geringfügige Spuren, die erst kürzlich vom Verfasser entdeckt wurden, verschwunden. Zu dieser Handschrift vergleiche Wilhelm Koehler: Karolingische Miniaturen, Bd. III, Die Gruppe des Wiener Krönungsevangeliars, Metzer Handschriften, Berlin 1960, S. 119–127.
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Abb. 2: Steinbock, Schütze und Adler aus der Aachener Enzyklopädie (Rom, Bibliotheca Vaticana, Vat. lat. 645, Fol. 62v).
der Aachener Enzyklopädie oder als neue Zusammenstellungen –, welche sämtlich die Bildfolge der Sternzeichen integrieren (Abb. 2). Zumeist sind diese Illustratio nen weiter vereinfacht, und häufig fehlt eine genaue Positionsangabe der einzelnen Sterne.15 Der wissenschaftliche Wert ist von daher eher gering und eine Orientie rung am Nachthimmel mit diesen Angaben kaum möglich. Umso größer scheint aber ihre mnemotechnische und pädagogische Funktion zu sein, da sich eine Vorstellung vom Aufbau des Himmels nur über Bilder vermitteln ließ. Die Folge der heidnischen Sternbilder mit ihren Tieren, Mischwesen und Heroen war deshalb bald in jedem bedeutendem Kloster präsent.
Neuerschließung des Himmels in Fleury
Die Produktion dieser Bilderreihe und der komputistischen Handbücher verebbt in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts. Offenbar waren die relevanten Klöster mit Kopien versorgt; die karolingische Bildungsinitiative hatte ihr wesentliches Ziel erreicht. Doch nach einer Unterbrechung von annähernd 100 Jahren entstand eine neue, jetzt aber veränderte Nachfrage nach der antiken Bilderfolge, die offenbar mit einem erneuerten Interesse an wissenschaftlichen Fragen im Gefolge der Klos terreform einhergeht. Die illustrierte Himmelsbeschreibung findet nunmehr Eingang in Handschriften, die Grundlagentexte zum Quadrivium versammeln und die zunehmend auch kosmologische Probleme beschreiben. Eine Schlüs selrolle in diesem weitverzweigten Austausch von Büchern und Wissen spielte damals das Kloster von Saint-Benoît-Sur-Loire oder Fleury, das Mönche aus ganz Europa zu Studienzwecken anzog. Gegen 950 fertigte man hier eine neue Bilderreihe mit ganz anderem Charakter an. Es sind großformatige Zeichnungen, die häufig fast die gesamte Seite ausfüllen 15 Charakteristische Beispiele sind Monza, Bibl. Capitolare, Cod. f. 9 oder Rom, Bibl. Vat. lat. 645.
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und denen ein knapper Sternenka talog als Bildkommentar hinzuge fügt ist (De signis coeli).16 In einem zweiten Arbeitsgang wurden diese Illustrationen aufwendig koloriert und mit breiten farbigen Rahmen als Auszeichnungsmotiv versehen (Abb. 3). Nur am kaiserlichen Hof in Aachen, etwa 130 Jahre zuvor, hatte man den Darstellungen der Sternbilder eine vergleichbare Auf Abb. 3: Herkules, Darstellung aus Fleury, um 950 merksamkeit gewidmet. Doch ver (Paris, Bibl. Nat., Ms. lat. 5543, Fol. 161r). zichtete man nun in Fleury ganz auf die Eintragung der Sternpositionen, allein die lebendige Anschaulichkeit der fremdartigen Gestalten soll hier evoziert werden. Dafür steigert man gegenüber der Vorlage die Bewegungsmotive und führt Momente imaginärer Handlung in die Bilder ein. Das Löwenfell, das sich Herkules um den Arm gebunden hat, um sich im Kampf gegen den Drachen am Baum der Hesperiden zu schützen, erhält eine Gesichtsmaske und wird damit im Grunde zum Partner des kämp fenden Helden. Der Wassermann ist ebenso wie Perseus in eine einheitliche, weitausholende Bewegung eingebunden. Bei Andromeda, die mit entblößten Armen an zwei Felsspitzen gebunden ist, zeigt man nicht nur die dort aufgestellten Brautgeschenke, die man in der anti ken Vorlage fand, sondern fügt unter ihren Füßen noch eine Schlange hinzu, die im Rahmen der antiken Himmelsagen kaum Sinn macht ( Abb. 4). Denn das See ungeheuer, dem sie geopfert werden soll, ist schließlich als eigenes Sternbild am Himmel vertreten. Das Triumphmotiv, welches an Christus gemahnt, der über Schlange und Basilisk geht, steht Andromeda schon gar nicht zu.Vermutlich asso ziierte man hier aus dem christlichen Kontext heraus die verfluchte Schlange des Paradieses. So ist in diesen Bildern eine eigenständige Auseinandersetzung mit 16 Paris, Bibl. Nat. Ms. lat. 5543. Zur Abtei von Fleury Marco Mostert: The political theology of Abbo of Fleury. A study of the ideas about society and law of the tenth-century monastic reform movement, Hilversum 1987; Ders.: The Library of Fleury. A provisional list of manuscripts, Hilversum 1989; Arno Borst: Astrolab und Klosterreform an der Jahrtausendwende, Sitzungs berichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse, Jg. 1989, Bericht 1, Heidelberg 1989, S. 60ff.
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den heidnischen Gestalten und den von ihnen überlieferten Mythen zu fassen, die allein in den Illustratio nen und nicht in den geschriebenen Texten ihre Spuren hinterlassen hat. Dem Maler geht es sichtlich darum, die dahineilenden Gestalten, die sich gemäß den alten Beschreibun gen hinter den glitzernden Licht punkten der Sterne verbergen, in ihrem Wesen anschaulich zu erfas sen. Man spürt die Faszination gegenüber den Bildern, die nicht mehr von komputistischen Fra gen gespeist ist. Den Illustrationen selbst kommt jetzt offenbar eine besondere Aufmerksamkeit zu. Sie werden als eigenständiger Bestand teil der Überlieferung angesehen, Abb. 4: Andromeda, Darstellung aus Fleury, um 950 der weitere Sinnschichten bereit (Paris, Bibl. Nat., Ms. lat. 5543, Fol. 163v). hält. Um 994 vermag ein englischer Zeichner, gleichfalls in Fleury, diesen Eindruck noch zu steigern. Er verwandelt die antiken Konstellationen in fremdartige Himmelsdomänen (Abb. 5). Ausgangspunkt ist diesmal eine 150 Jahre zuvor am Aachener Hof entstandene Prunkhandschrift, welche die Verse des Aratos in der Übertragung des Cicero zusammen mit Auszügen aus Hyginus enthält. Bern von Prüm, der später Abt auf der Reichenau wurde (1008–1048), ist wohl einer der Schreiber des Kodex, der neben den Texten der Karolingischen Handschrift und dem kompletten Hyginus auch moderne, aktuelle Abhandlungen zu astrono mischen Fragen enthält, die Abbo von Fleury, der amtierende Abt des Klosters, verfasste.17 Ein englischer Mönch setzte, unter Heranziehung weiterer Vorlagen, die Karolingischen Figurengedichte in Bilder von großer Suggestionskraft um. Danach schrieb Bern noch den verbreiteten Sternenkatalog De signis coeli auf den Rand, so dass neben den poetischen Versen des Cicero auch die genaue Auflistung der Einzelsterne zu finden war. Die Positionen dieser Einzelsterne
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sind jetzt auch wieder sorgfältig aus der Vorlage übertragen worden. Erstaunlich ist aber die Eigenstän digkeit der Zeichnungen, die ein Maß an künstlerischer Freiheit ver raten, das man in diesem Kontext gar nicht erwarten würde. Perseus, der in dem Vorbild nur in sehr verhaltener Bewegung zu sehen ist, wird jetzt in schnel lem Lauf mit wie zum Sprung ausholender Beinstellung gezeigt (Abb. 6). Die linke Hand mit dem Krummschwert hat er weit nach vorne gestreckt, wobei er die Ziel gerichtetheit seines Laufes durch die abgespreizten Zeige- und Mit telfinger noch unterstreicht. Das Medusenhaupt aber hält er, um es 5: Wassermann, Darstellung aus Fleury, 994 nicht anblicken zu müssen, hinter Abb. (London, Brit. Lib., Ms. Harley 2506, Fol. 38v). seinem Rücken. Auch die Physio gnomie des Heroen hat der Zeichner völlig verändert; Perseus trägt jetzt nach mittelalterlicher Manier einen Vollbart und seinen Schläfen entwachsen große Flügel, so wie er das bei den Windgöttern in seiner Karolingischen Vorlage gese hen hatte. In völliger Nacktheit eilt Perseus wie ein Mischwesen aus Vogel und Mensch durch die Lüfte, er entstammt einer anderen Welt und hat den Bezug zu seinen irdischen Heldentaten längst hinter sich gelassen. Trotz aller wissenschaftlichen Sorgfalt, die den Schreiber ebenso wie den Zeichner leitete, ist die Intention der Bilder mit den astronomischen Interes sen nicht zu erklären. Offensichtlich wirkten die Miniaturen der Vorlage als 17 London, Brit. Lib., Ms. Harley 2506; das Aachener Vorbild heute ebenfalls in London, Brit. Lib., Ms. Harley 647; dazu: Wilhelm Koehler, Florentine Mütherich: Die karolingischen Miniaturen, Bd. IV, Die Hofschule Kaiser Lothars, Einzelhandschriften aus Lotharingien, Berlin 1971, S. 101–107. Zur Handschrift aus Fleury: Fritz Saxl, Hans Meier: Verzeichnis astrologischer und mythologischer Handschriften des lateinischen Mittelalters, Bd. III, Handschriften in englischen Bibliotheken, London 1953, S. 151–160, XIIIff.
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Stimulus der Fantasie. Die Dar stellung der Sternbilder weitet sich zu einer eigenen dämonischen Welt aus, die das ursprüngliche Ausbildungsinteresse der Kloster schule schließlich hinter sich lässt. Der Sternenhimmel hat sich im Fleury des 10. Jahrhunderts zu einem eigenen Imaginationsraum verselbstständigt. Zur gleichen Zeit, als diese Minia turen entstanden, verfasste Lupiti us von Barcelona eine emphatische Begründung der Wichtigkeit astro nomischer Studien, geschrieben als Prolog zu verschiedenen astro Abb. 6: Perseus, Darstellung aus Fleury, 994 nomischen Abhandlungen sowie (London, Brit. Lib., Ms. Harley 2506, Fol. 37r). zu einer Beschreibung des Astro labiums, die Lupitius im Auftrag des Gerbert von Reims (des späteren Papstes Sylvester II.) aus dem Arabischen übersetzt hatte.18 Die nächtliche Beobachtung des Sternenhimmels wird hier als Kontemplation von Gottes Schöpfung ver standen, die kontrastierend gegen den Lärm und das Geschwätz der Welt am Tage abgesetzt ist. Nur mit Hilfe der Astronomie sei die vergangene sowie die zukünftige Zeit zu bestimmen, nur so ließe sich die „superna machina“ des Welt gebäudes mit ihren verborgenen Geheimnissen verstehen. Es ist diese Neugier auf die Zusammenhänge des Kosmos, die den Mönchen eine intensivierte Auf merksamkeit gegenüber dem überlieferten Wissen ebenso wie gegenüber den Erscheinungen des Himmels abverlangt. Die Sternbilder werden dadurch zu Zeugen einer anderen, den Menschen nicht zugänglichen Welt, deren sichtbare Wanderungen aber am Nachthimmel dergestalt zu verfolgen waren. Ihre Exis tenz war mit eigenen Augen im Rahmen von Gottes Schöpfung zu überprüfen. In dieser Doppelbestimmung liegt die entscheidende Bedeutung dieser Bilder. 18 Lupitus von Barcelona: Ad intimas summe philosophie […]. In: José M. Millás Vallicrosa: Assaig d’història de les idees físiques i matemátiques al lo Catalunya medieval. Vol. 1. In: Estudis Uni versitaris Catalans, Serie Monogràfica, Vol. I, Barcelona 1931, S. 271–75; vgl. Borst (s. Anm. 16), S. 67f.
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Bildfunktionen
Die Sternbilderdarstellungen sind ein besonders aussagekräftiges Exempel zum Bildgebrauch im Mittelalter, gerade weil sie nicht durch einen theologischen Kontext bestimmt sind und den christlichen Intentionen so wenig entspra chen. Sie existieren gewissermaßen in einer Nische, die mit Ausbildung und Wissenschaft verbunden ist. Und dort verteidigen sie ihren Platz aufgrund ihrer didaktischen Anschaulichkeit und mnemotechnischen Qualitäten. Dies ist gewissermaßen ihre erste Funktion. Doch können sie ebenso zum Träger des eigentlichen Wissens werden, zum Speicher, der Informationen bereit hält, die den verfügbaren Texten gar nicht zu entnehmen sind, wie dies in extremer Weise bei der Prunkhandschrift Ludwigs des Frommen der Fall ist. Aber dieses Wissen im Bild bedarf dann natürlich einiger Vorkenntnisse, um aktiviert werden zu können. Hierdurch aber ist es zugleich vor Missbrauch geschützt. Als drittes zeigt sich ein Eigenleben, eine Selbstständigkeit der Bilder, die sich von den ursprünglichen Intentionen abkoppeln können, um solcherart zu einem Motor der Fantasie zu werden, wie dies anhand der Zeichnungen aus Fleury zu beobachten ist. Doch ist gerade dies auf das Engste mit dem allgemeinen Wis sensaufbruch des 10. Jahrhunderts verknüpft. Erst das intensivierte Interesse an der Himmelskunde hat auch die stimulierenden Wirkungen dieser Darstellun gen beflügelt. Die Verselbstständigung der Bilder geht mit dem Ausgreifen der wissenschaftlichen Neugier einher. Es scheint, als ob es gerade diese Neugier ist, welche den Bildern ein anderes Gesicht gibt. Die außermenschliche Welt, jene dem Menschen nicht zugänglichen Bereiche des Kosmos werden auf diese Weise zu einem Spiegel der eigenen Erfahrung. Je genauer die Bilder betrachtet werden, desto intensiver schauen sie zurück.
Interview
„Ich bin die Kamera.“ Ein Gespräch mit Jakob Mattner
Einleitung
Die Konstante in Jakob Mattners Arbeit ist der „Stoff“ der Transzendenz. Licht ist sein vorrangiges Ausgangsmaterial. Ephemere Phänomene werden an den Grenzen ihrer Wahrnehmbarkeit ausgelotet, das Sehen wird ins Zentrum des Werkes gerückt. Licht und Schatten, Reflex und Spiegelung sind die Mittel der Rauminstallationen, die Mattner seit 1985 in Berlin, Venedig und Paris, in Moskau, New York und Los Ange les zeigt. Die Titel seiner Werkgruppen geben Auf schluss über einen Austausch: Membran, Echo, Abb. 1: Jakob Mattner: Raum, 2005, 60 x 40 x 30 cm, Cambio, Percussion, Wie die Bilder die Kamera Linsenrohling/Quarzspiegel, Archiv Einsteinturm. sehen u.a. belegen eine Arbeitsmethode, die sowohl im Künstler als auch im Betrachter einen Dialog zwischen „inneren“ und „äußeren“ Projektionen initiiert. Diffuse Übergangsbereiche und ihre Nahtstellen, die einen schmalen Grat haben oder eine kurze Lebensdauer wie etwa das „Zwielicht“, Grenz-Bereiche also und eine ungesicherte Position bezeichnet Jakob Mattner als seinen „künstlerischen Kontinent“. Das Motiv für die Begegnung mit den Astrophysikern des Einsteinturms, die ab Mitte 2003 auf meine Initiative begann und im Herbst 2005 in eine gemeinsame Ausstellung mündete, war die scheinbar offenkundige Ähnlichkeit der Bilder zweier Disziplinen, die eines einte: dass sie den Gegenstand ihres Interesses niemals betreten werden. Anna Maigler1
1 Kuratorin der Ausstellung „Der Blick in die Sonne – Jakob Mattner und die Sonnenforscher des Einsteinturms“. Berlinische Galerie 22.9.–6.11.2005, Museum Wiesbaden 4.12.2005– 26.3.2006, Neues Museum Weserburg Bremen 5.5.–20.9.2006, Museum der Moderne Salzburg (Mönchsberg) 21.10.2006–4.3.2007. Bei dem Projekt handelte es sich um eine Kooperation mit dem Astrophysikalischen Institut Potsdam, der Werkbundakademie Darmstadt und der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Es wurde gefördert von der Kulturstiftung des Bundes und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung.
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Bildwelten des Wissens: Herr Mattner, in Ihrer künstlerischen Arbeit haben Sie
sich auf unterschiedliche Weise mit dem in dieser Ausgabe der Bildwelten des Wissens verhandelten Thema der Himmelsbilder und der mit ihnen einhergehenden Visualisierungsstrategien auseinandergesetzt. In diesem Zusammenhang würden wir zu Beginn gerne auf Ihre Arbeit Piece of Heaven aus dem Jahr 1998 zu sprechen kommen (Farbtafel 10). Sie verwenden hier eine Schatulle der Firma Zeiss-Ikon, in die ein abstraktes Bild eingelassen ist. Welchen Stellenwert haben Fundstücke oder objets trouvés in Ihrer Arbeit? Jakob Mattner: Bei dieser Schatulle handelt es sich um eine Filmkassette, die von ihren Erfindern für eine bestimmte Art der mechanischen Bilderzeu gung hergestellt wurde. In meiner Arbeit fungiert sie hingegen als Rahmen, als Gehäuse, als Schutz, als Kommentar für das Himmelsbild, das ich auf die Innenwand der Kassette gemalt habe. Ich habe eine Diskrepanz hergestellt, die technisch bedingt ist. Piece of Heaven arbeitet mit dem Prinzip der Aufnahme, aber eben nicht der fotografischen, wie es ursprünglich gedacht war.Vielmehr nimmt das Behältnis für einen Film die Malerei einer inneren Projektion von mir auf. Indem ich diese Kassette verwende, schaffe ich eine Verbindung zu anderen Wie dergabetechniken von Bildern. Ich tausche in diesem Fall eine äußere Projektion gegen eine innere. Man kann diese Kassetten lichtdicht verschließen. Zusätzlich zu ihrer eigentli chen technischen Funktion nehmen sie bei mir den Charakter eines G eheimnisses, eines Tabus an. Die Kassette wechselt ihre Bedeutung, sie changiert zwischen einer technischen Vorrichtung und einer adäquaten Aufbewahrung für das von mir gemalte Bild. Diese Form der Umdeutung ist auch entscheidend etwa für meine Aufnahme eines Kamera-Innenraums von 1987, die ich Kino nenne (Abb. 2). Bildwelten: In Ihrer Arbeit Piece of Heaven „malen“ Sie eine Fotografie, gerade haben Sie den Kamera-Innenraum ins Spiel gebracht, in Ihren Helios-Negativen geht es Ihnen anscheinend um die Prozessualität und Ästhetik des Negativs und in der Rahmung einiger ihrer Arbeiten greifen sie auf das Polaroidformat zurück. Das Fotografische taucht in Ihrem Werk also durchgehend auf, selten jedoch als konkretes Mittel der Bildproduktion. Sie bewegen sich vielmehr an der „Peri pherie“ des Fotografischen. Was interessiert Sie daran? Jakob Mattner: Das sehe ich anders: Die Fotografie bewegt sich an der Peri pherie der menschlichen Fähigkeit zu sehen. Und da ich die Mitte bin, ist die
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Fotografie die Peripherie. Wenn man von dieser Position ausgeht, dann haben die Menschen Teile ihrer Sinnesfähigkeiten an einen Apparat delegiert – mit allen Vor- und Nachteilen. Um dies zu zeigen, benutze ich häufig optische „Accessoires“ mit dem Ziel, das fotografische Prinzip zurückzugewinnen und es mir wieder anzueignen. Das Delegieren des Sehens an die Apparate ist so weit gegangen, dass wir unseren Augen nicht mehr trau en. Der Künstler hingegen traut seinen Augen natürlich und verteidigt sein Ter rain. Um es überspitzt zu sagen: Ich bin Abb. 2: Jakob Mattner: Kino, Fotografie, 1987, 18 x 24 cm. die Kamera. Bildwelten: Kann man in diesem Sinn das Piece of Heaven so verstehen, dass die gemalte fotografische Aufnahme in Ihren Augen die „bessere“ Aufnahme ist? Jakob Mattner: Es geht für mich nicht um das bessere Bild, sondern um das Bild, das die Fotografie nicht zeigen kann. Ich habe die Erscheinung einer Aura dieser Fotokassette zu treuen Händen übergeben. Darüber hinaus kann man die Kassette verschließen und diesen Himmel wie eine Ikone mit sich führen. Bildwelten: Wir haben eben schon das Polaroid-Format angesprochen. In Ihrer Serie Sofortbild Zukunft – Kaffeesatz lesen von 2000/2001 (Abb. 3) deuten Sie bereits mit dem Titel das zum Einsatz gebrachte Material an. Können Sie uns erklären, wie diese Bilder entstanden sind oder wie Sie ein solches Verfahren entwickeln? Jakob Mattner: Meine Methode der Bildgewinnung ist in diesem Fall im Titel der Arbeit enthalten. Kaffeesatzleserei gilt als unseriöser Versuch, die Zukunft vorherzusagen. Ich habe sie unvoreingenommen als Arbeitsanleitung für die Gewinnung eines Bildes genutzt. Ich sah eine Zerrieselungs-Struktur. Erosion als Zukunftsvoraussage erschien mir nicht als unseriös, sondern als wahrscheinlich und als ernstzunehmende Voraussage unter der Prämisse: Die Struktur ist die Botschaft. Dies ist ein Vorgehen, das jeder Wissenschaftler von sich weisen muss. Er würde auf diesem Wege zu keinem Ergebnis kommen, das er anderen kommunizieren könnte. Der Impuls meiner Arbeit liegt hingegen darin, Erinnerungen, Assoziationen und Ähnlichkeitsbeziehungen nachzu
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gehen. Für mich spiegelt eine solche Struktur plötzlich große Strukturen wieder. Es ist absolut verblüffend, wenn Astrophysiker in mein Atelier kommen und in den Kaffeesatzstrukturen ihre Sonnenoberflächen wiederfinden. Auch als sie erfuhren, um welche Substanz es sich handelt, zuckten sie nicht zurück, sondern analy sierten sie mit ihren Mitteln in einem „als-ob-Verfahren“. Es gibt bestimmte Bilder, die ich unbe lastet von meiner persönlichen Handschrift gewinnen möchte. Abb. 3: Jakob Mattner: Sofortbild Zukunft – Kaffeesatz lesen, Dafür erfinde ich neue Methoden 2000/2001, 119 x 99 cm. für meine Bilderzeugung. Bildwelten: Worin liegt für Sie das Potenzial dieser scheinbaren Ähnlichkeiten zwischen wissenschaftlichen und künstlerischen Bildern, die mit unterschiedli chem „Interesse“ hergestellt worden sind? Jakob Mattner: Während der Archiv-Arbeit in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften spürte ich eine Verwandtschaft mit Astronomen aus dem 17. Jahrhundert, die sich in ein Verhältnis zum Universum gesetzt hat ten. Ich sah, wie wir uns mit unterschiedlichen Mitteln in eine Ordnung fügten. Ich bin als Künstler mit den historischen, wissenschaftlichen Zeichnungen so umgegangen wie mit Zeichnungen von Künstlern. Die Astronomen vergan gener Zeiten waren den Künstlern viel näher als dies heute der Fall ist. Das heute vorherrschende Spartendenken ist das Ergebnis eines langen Prozesses. Die Astronomen haben einst astrologische Gutachten geschrieben, und auch Alchemie und Chemie gehörten einmal zusammen. Wenn wir irgendwann anfangen, Zusammengehörendes wieder zurückzuholen, wenn wir unsere „out gesourceten“ Sinne zurückholen, könnte ich mir vorstellen, dass unser Umgang mit unseren Sinnen und Bildern auch wieder komplexer wird. Dann könnte der Wissenschaftler sich andere Betrachtungsweisen und Vorstellungswelten erlau ben – und der Künstler genauso.
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Bildwelten: Denken Sie, dass jeder Wissenschaftler Regeln unterliegt, die ihn
einschränken, und von denen der Künstler aber befreit ist? Jakob Mattner: Ja, der Künstler kann und muss Wege gehen, die dem Wissen
schaftler verschlossen sind. Die Wissenschaft ist ein Regelwerk, auf das man sich geeinigt hat und das vorgibt, wie man Wissen erreicht, wie man zu Bildern kommt, wie man sie aufzeichnet, wie sie zu lesen sind. Es ist also eine Verstän digung einer Gruppe von Menschen, die zu bestimmten, akademisch-verbindli chen Verfahren kommt. Der Künstler hat in der Entstehung und in dem Schaffen der Bilder diese Verpflichtung nicht. Kunst ist kein Verabredungsmodell – viel leicht ist sie es in ihrer Rezeption, aber nicht in ihrer Entstehung. Bildwelten: In der eingangs erwähnten Ausstellung Der Blick in die Sonne handel te es sich um eine sehr spezielle Kooperation zwischen Ihnen und dem Einstein turm in Potsdam sowie den dort arbeitenden Forschern. Wie gestaltete sich das Verhältnis zwischen Astrophysikern und Ihnen als Künstler? Jakob Mattner: Die Bezüge sind im Vorfeld entstanden. Die Kuratorin Anna Maigler kannte meine Arbeiten und Fotoplatten aus dem Einsteinturm. Von ihr ging die Idee zu einem Treffen aus und sie hat es auch hergestellt, was zu Anfang gar nicht leicht war. Die Wissenschaftler waren zunächst durchaus abwartend und skeptisch. Das hat sich durch die zunehmenden Begegnungen dann geändert. Nachdem sie in meinem Atelier waren, öffneten sie ihre Archive und haben uns von sich aus auch auf Nachlässe ihrer früheren Kollegen an anderen Orten auf merksam gemacht. Aus demselben Grund, aus dem ich mich beispielsweise für die Fotografie und die Entstehung von Bildern interessiere, habe ich mich auch über diese Begegnung gefreut. Es trafen zwei bildgebende Welten aufeinander, die ihre Bilder bereits im Kasten hatten. Aber die Sonnenforschung hat nach unserem Austausch keine anderen Bilder gemacht als vorher, und auch ich habe danach meine künstlerische Vorgehensweise nicht geändert. Bildwelten: Sie glauben nicht, dass nach dieser Ausstellung die Astrophysiker anders mit Bildern umgehen? Jakob Mattner: Vielleicht ist eine Facette zusätzlich eingeschliffen und ein wenig aufpoliert worden oder zumindest eine Ahnung davon hinzugekommen, dass die wissenschaftlichen Bilder noch eine andere Dimension haben. Ich denke aber tat sächlich nicht, dass dies ihre Arbeit direkt beeinflusst hat. Was ich aber glaube ist, dass es ihnen gefällt, nicht alleine zu sein beziehungsweise die Vorstellung, dass es auch Menschen gibt, die diese Phänomene mit einem anderen Blick betrachten.
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Bildwelten: Inwiefern verhandeln Sie in Ihrer
Arbeit das Verhältnis von Wissenschaft und Kunst? Jakob Mattner: Gar nicht. Mein Feld ist nicht die Wissenschaft und ich verhandle in meinen Arbeiten auch nicht mein Verhältnis zur Wissen schaft. Ich glaube jedoch, dass Wissenschaftler und Künstler ein gemeinsames Drittes haben, worin sie sich treffen können. Aber weder kriti sieren die Wissenschaftler mein Verfahren noch kritisiere ich das ihre. Bildwelten: Ließe sich denn aus Ihrer Sicht zumindest behaupten, dass die beobachtbaren for malen Ähnlichkeiten und vergleichbaren Struk turen zwischen Ihren künstlerischen Bildern und den Bildern der Astrophysiker auf beiden Seiten Abb. 4: Jakob Mattner: Helios-Negative, 2005, den Blick für die Unterschiede zwischen Kunst 33 x 24 cm. und Wissenschaft geschärft haben? Jakob Mattner: Die Ausgangsidee war folgende: Wir wollten die Ergebnisse der Wissenschaftler und des Künstlers – die beide in die Sonne schauen und mit Bildern arbeiten – zusammen zeigen. Wir haben uns durch den Rückgriff auf Astronomen-Zeichnungen der vergangenen Jahrhunderte in der Ausstellung sichtbar dem Trennungspunkt von Kunst und Wissenschaft genähert. Durch die Gleichbehandlung der Bilder erfuhren die Wissenschaftler auch ihr zeitgenös sisches Bildmaterial, über das wissenschaftliche Erkenntnis-Potenzial hinaus, als ansehenswerte Bilder. Es war vielleicht für einen Augenblick eine gleiche Schwingung zwischen uns. Bildwelten: In Ihrer Serie Helios-Negative aus dem Jahre 2005 (Abb. 4, 5) schei nen Sie den Betrachter mittels des Titels aufzufordern, das gezeigte Negativ-Bild in der eigenen Wahrnehmung in ein Positiv umzukehren. Gleichzeitig ermög lichen Sie über diese Negativ-Darstellungen aber überhaupt erst den Blick ins Licht. Inwieweit ist der Betrachter aktiv an der Vollendung des Werkes beteiligt? Oder stellen Sie ihm in diesen Arbeiten vielmehr eine Aufgabe, die nicht gelöst werden kann? Eine vergleichbare Herausforderung an den Betrachter stellt Ihre Arbeit Ich habe in die Sonne geblickt von 2005 (Farbtafel 11) dar, in der Sie einen
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Blick thematisieren, der den Menschen – zumindest ohne entsprechende Schutzvor richtung – verwehrt ist, Ihnen als Künstler aber auf der Ebene der Bildfindung offen steht. Jakob Mattner: Ja, als Künstler steht mir das offen. Ich bin der einzige, der das darf oder der das auf jeden Fall tut – ob ungestraft, das wird sich noch erweisen. Ich habe mich nicht mit Wachsflügeln der Sonne genähert wie Ikarus. Ich gehe aber von einem Tabu aus, ich breche es, indem ich das Ergebnis eines verbotenen Blickes imaginiere, der nur dem Künstler erlaubt ist, und ich stelle das Tabu wieder her, indem ich Negative von Helios zeige. Das, was als Positiv nicht zu sehen ist, eine unverträgliche Überfülle von Licht, Abb. 5: Jakob Mattner: Helios-Negative, 2005, 33 x 24 cm. zeige ich als Negativ. Der Betrachter kann es für sich in ein Positiv umsetzen. Einfach gesagt: Dunkles ist hell, sehr Dunkles ist sehr hell. Begriffe wie „Helios-Negative“ benutze ich aus verschiedenen Gründen. Einer ist sicherlich der Versuch, beim Betrachter vorhandene Erinnerungen auszulösen, die mit den von mir gezeigten Bildern und Objekten in Verbindung gebracht werden können. Bei einer Arbeit wie den Helios-Negativen ergeben sich im Wechselspiel von Bild und Bildtitel Fra gen: Wer ist Helios? Was sind Negative? Oder hat man es mit Röntgenbildern zu tun? Das Wort- und Bildgedächtnis wird mobilisiert. Bildwelten: Wenn es darum ginge, einen roten Faden in Ihrem Werk auszu machen, könnte man dann davon sprechen, dass optische Phänomene und insbesondere Licht Ihre Arbeit bestimmen? Bei der Durchsicht einiger Ausstel lungskataloge fällt auf, dass Sie Licht und seine Erscheinungsformen regelrecht durchdeklinieren. Sie unterscheiden zum Beispiel „Schwarzes Licht,“ „Totes Licht“ und „Zwielicht“. Vergleichbar dazu gibt es in der Physik die Ausdifferenzierung des elektromagnetischen Spektrums, wobei zwischen dem sichtbaren und dem unsichtbaren Bereich unterschieden wird. Würden Sie die Auseinandersetzug mit Licht als konstitutives Leitmotiv Ihrer künstlerischen Arbeit bezeichnen?
„Ich bin die Kamera.“
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Jakob Mattner: Ja, alle meine Arbeiten sind mit dem Licht. Ich definiere alles
über Licht: Tempo – Erscheinung – Liebe – Nacht – Schmerz – Glück. Augen licht und Sonnengeflecht, den blinden Fleck wie den gezielten Blick. Bildwelten: Ausgehend von den erwähnten Kaffeesatzbildern und ihrer Ähn lichkeit zu Kosmosdarstellungen lässt sich auf ein weiteres leitmotivisches Phänomen in Ihrer Arbeit zu sprechen kommen: Sie scheinen sich mit Univer salstrukturen zu beschäftigen, die bewusst für unterschiedliche Interpretationen offen gehalten werden. Jakob Mattner: Oberflächen sind nicht mit „oberflächlich“ gleichzusetzen. Die Oberfläche ist das Gedächtnis der Materie, denn sie dokumentiert deren Veränderungen. Die Kaffeesatzstrukturen sind Zerfallsstrukturen. Dort, wo Materie in Bewegung ist, tauchen diese Strukturen auf. Außer im Kaffeesatz kann man sie auch bei Sand- und Schlickbildungen im Watt wiederfinden, in Wolkenformationen und auf der Oberfläche der Planeten. Die Tatsache, dass ähnliche Strukturen bei unterschiedlichen Substanzen zu entdecken sind, machen sie zu einer Universalstruktur. Bildwelten: Der Kosmos wurde von Astrophysikern sehr systematisch erschlos sen. Etwa in dem berühmten Projekt der „Carte du ciel“ wurde der Versuch unternommen, den Himmel zu kartieren. Die Entwicklung neuer Instrumente hat allerdings immer wieder zu Rückschlägen geführt. Wissenschaftshistorisch betrachtet kann man feststellen, dass wieder von vorne begonnen werden muss te, da durch den Gebrauch eines neuen Instruments offensichtlich wurde, dass die alte Aufzeichnung hinfällig geworden war. Was können Sie im Gegensatz zur Wissenschaft in „Ihrem System“, der Kunst, ermöglichen? Sehen Sie Grenzen in Ihrem System und wenn ja, wo verlaufen sie? Jakob Mattner: Wenn ich es durchhalte, hinzuschauen, wenn eine Ahnung zur Materie wird oder wenn ich es schaffe, etwa den Wind sehen zu können, wenn ich etwas imaginieren kann, dann habe ich bereits die Instrumente, die ich benö tige. Darin besteht der Unterschied. Wenn die Sonnenforscher oder die Astro physiker beispielsweise wissen, die Entdeckung eines neuen Planeten kostet so viel wie ein noch stärkeres Hubble-Fernrohr, dann ist es bei ihnen eine Frage des Geldes, wo die Erkenntnis, die an Beobachtungs-Instrumente gebunden ist, aufhört. Bei mir bildet die Grenze das, was ich mir vorstellen kann. Bildwelten: Die Grenze wäre also nicht das, was Sie visualisieren können, son dern ausschließlich das, was Sie denken können?
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Interview
Jakob Mattner: Eine Grenze zieht sich
auch in dem Augenblick, in dem das, was ich sehe, außer mir keiner mehr sieht oder versteht. Ich kann mir die Frage, ob die Bilder, auf die ich durch das Denken komme, schon in der Welt sind oder nicht, nur schwer beantworten. Ich nehme an, dass sie in der Welt sind, aber sie müssen auch für andere sichtbar sein und nicht nur für mich. Diese Grenze zu verschieben, das ist die Tätigkeit der Maler, Dichter und Musiker. Bildwelten: Also würde es für Sie eine untergeordnete Rolle spielen, ob es Abb. 6: Jakob Mattner: Der Blinde Fleck, 1995, 29 x 23,3 cm. kommunizierbar ist, was Sie machen? Sie sagten, in der Wissenschaft ist die Kommunizierbarkeit von Daten und Forschungsergebnissen eine Ausgangsbasis. Würde darin der Unterschied zwischen Ihnen und den Wissenschaftlern liegen, die etwas exakt zu verzeichnen suchen, um es kommunizieren zu können? Jakob Mattner: Ja natürlich, in diesem Verzeichnen, diesem Messbaren liegt ein Unterschied. Allerdings kamen auch die Wissenschaftler in unserer gemeinsa men Ausstellung ins Staunen, als sie die Ahnung überkam, dass die Bilder, die sie gemacht haben, eine Aura haben, von der sie bis dahin nichts wussten. Das war vielleicht die entscheidende Verwunderung, mit der die Wissenschaftler aus unserer gemeinsamen Ausstellung gegangen sind: die Tatsache, dass ihre Bilder eine Wirkung haben, die nicht beabsichtigt war, dass es ein eigenes „Recht“ der Bilder gibt. Bildwelten: Dieses „Recht“, die Wirkungsweise der Bilder gibt noch einmal Gelegenheit dazu, nach einer Konstante in Ihrem Werk zu fragen: der runden Form. In Ihrem Atelier befindet sich an einer Wand ein großer, ausgefüllter schwarzer Kreis, in Ihren Arbeiten kommen immer wieder runde Formen vor: die Sonne, der Mond, das Auge, die Pupille, die Linse, das Objektiv. In der Serie Der Blinde Fleck (Abb. 6) von 1995 für die Sondernummer Hommage à Sarajevo der Zeitschrift Lettre International legen Sie dunkle, runde Flächen über Vorkriegs fotografien aus Sarajevo. Frank Berberich spricht in diesem Zusammenhang
„Ich bin die Kamera.“
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davon, dass diese optische Irritation zu einer Vervollständigung der Fotografie aufruft.2 Man versucht also unweigerlich, hinter den „blinden Fleck“ zu schau en und imaginiert, was sich dahinter verbergen könnte. In dieser Arbeit ist der Versuch, das Bild zu ergänzen, politisch konnotiert; aber auch in anderen Ihrer Arbeiten, in denen die runde Form auftaucht, scheint dieser Effekt angestrebt zu werden, bis hin zu dem Versuch, hinter die Sonne blicken zu wollen. Leitet die runde Form zu einem dem Blick verborgenen Bereich „dahinter“? Oder ist alle Substanz an der Oberfläche der Bilder sichtbar? Jakob Mattner: Nehmen wir die runde Form der Eklipse; der Mond verdeckt aus unserer Perspektive die Sonne. Durch die Abdeckung des alles überstrahlen den Zentralgestirns werden sonst nicht sichtbare, aber vorhandene Phänomene in seinem Umfeld sichtbar. Heute werden Eklipsen künstlich hergestellt mit runden Hilfsmonden an Satellitenkameras. Wir könnten die Sonne auch mit einem Quadrat abdecken, aber es wären dann größere Bereiche unsichtbar als nötig. Eine runde Erscheinung mit einem Kreis abzudecken, ist die ökonomi schere Variante. Der Punkt, der Kreis, die Kugel sind beste Ausgangspositionen für einen Künstler; sie sind vollkommen und in ihren Richtungen noch nicht festgelegt. Bildwelten: Könnte man sagen, dass sich die Spannung zwischen Gezeigtem und Verdecktem auch daraus ergibt, dass der technisch gestützte Blick so konstituiert und trainiert wurde, dass gerade die runde Form ihn ermöglicht, denkt man etwa an das Mikroskop, das Fernrohr oder – aus physiologischer Warte – an die Pupille. Wir sind es gewohnt, im Runden zu sehen beziehungsweise erst die runde Form ermöglicht uns das Sehen. In diesen Arbeiten aber ist das Runde geschwärzt. Jakob Mattner: Andere Lebewesen orientieren sich primär über die Nase oder das Ohr, bei uns Menschen ist es das Auge, welches die Hoheit hat.Wir sprechen davon, dass der Blick das Objekt konstituiert.Wenn das so ist, kann der Blick das Objekt auch vernichten. Bildwelten: Lieber Herr Mattner, haben Sie herzlichen Dank für das Gespräch. Das Gespräch führten Franziska Brons, Jochen Hennig, Jana August und Violeta Sánchez.
2 Frank Berberich: Lichtraub/Schwarze Belichtung. In: Jakob Mattner. Camera Lucida, Ausstel lungskatalog, hg. von Cornelia Wieg, Staatliche Galerie Moritzburg Halle, Halle 2002, S. 9–18, hier S. 13, 17.
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Bücherschau: Wiedergelesen Ludwik Fleck: Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache. Einführung in die Lehre vom Denkstil und Denkkollektiv, Suhrkamp: Frankfurt a. M. 1980 (zuerst Basel 1935).
Der Paukenschlag, der 1935 mit dem Erscheinen von Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache erschallte, traf seinerzeit auch viele ignorante Ohren. So ist es eine bittere Ironie des Schicksals, dass Ludwik Flecks Buch sich in einem zentra len Punkt selbst bestätigte: dass nämlich Wissenschaft nur durch ein „Denkkollektiv“ vorangetrieben werden könne. Dies gilt auch für die Wissenschaftstheorie. Carnap, Popper, Hempel und Reichenbach gingen in die Emigration, dort wurden Flecks The sen allerdings wenig diskutiert, und daher konnten sie erst in den letzten Jahren die zentrale Position beziehen, die sie heute innehaben.1 Die Suhrkamp-Ausgabe von 1980 mit ihrer hervorragenden Einführung von Lothar Schäfer und Thomas Schnelle dürfte einiges dazu beigetragen haben. Schlagwortartig verbunden ist der Name Flecks mit einem komplexen Begriff, dem „denkgebundenen Gestaltsehen“. Mit dieser Formel geht der Autor auf das „gestalthaf te Sehen“ zurück, das von Christian von Ehrenfels formuliert worden war.2 „Wir wollen“, so Fleck, „also das voraussichtslose Beobachten – psychologisch ein Unding, logisch ein Spielzeug – beiseite lassen. Posi tiv untersuchungswürdig erscheint das Beob achten in zwei Typen, mit einer Skala der Übergänge: 1. als das unklare anfängliche Schauen und 2. als das entwickelte unmit telbare Gestaltsehen“ (S. 120). Die Kunstgeschichte kennt das „gestalten de“ oder „gestaltete“ Sehen, das sich genau auf diesem Grad zwischen Schauen und Gestaltsehen vollzieht. So verlegt Carl Ein stein im Jahre 1914 den „Begriff der Kunst erkenntnis in das spezifische Schaffen selbst, in dem Sinne, daß das einzelne Kunstwerk selbst ein Erkenntnis- und Urteilsakt bedeu tet […]. Gegenstand der Kunst sind nicht Objekte, sondern das gestaltete Sehen. […] Der Erkenntnisakt, d.h. die Umbildung
der Weltvorstellung geschieht weder durch das Schaffen des Kunstwerks oder das Betrachten, vielmehr durch das Kunstwerk selbst“.3 Diese Attacke Einsteins gegen den Objektbegriff der formalen Ästhetik ist mit Flecks Angriff auf den Tatsachenbegriff der logischen Empirie strukturell verwandt. Was Einstein von Fleck trennt, ist die unbe dingte Hochschätzung der Kunst und deren Bestimmung des Sehvermögens; daher war dem zitierten Passus auch der prägnante Satz vorausgeschickt: „Über die spezifisch gesonderte Stellung hinaus bestimmt Kunst das Sehen überhaupt.“ Vor diesem Hintergrund hat auch Hans Sedlmayr seinem Aufsatz Gestaltetes Sehen von 1925 einen Vergleich provokant vor angestellt, den er der Technik entlehnte: „Beschreiben und Sehen eines Dings, zum Beispiel eines zum erstenmal vom Beschauer wahrgenommenen Motors, stehen in eigen tümlicher Wechselwirkung: Angenommen ich verstehe nichts von dem Motor, der Funktion und dem Zusammenhang seiner einzelnen Teile, so ‚sehe‘ ich einen Wirrwarr. […] Ihr steht gegenüber eine Beschreibung, die Funktion und Zusammenhang der Teile trifft, und ihr entsprechend ein gestaltetes Sehen des Motors, wie es nicht nur einer solchen Beschreibung zugrunde liegt, son dern auch durch sie bedingt werden kann.“4 Als Einleitung für einen methodischen Text der Kunstgeschichte ist die Zielrichtung eindeutig: Der vergleichende Blick in den Motorraum richtet sich direkt gegen eine Kunstgeschichte, die ausschließlich und dezidiert die Hochkunst behandelt; Sedl mayr richtet sich damit in gewisser Weise gegen Einstein und seine Zeitgenossen, wenngleich die Einschätzung der Kunst geschichte als einer ästhetischen Disziplin verbreitet war und ist. Dies unterstreicht auch Heinrich Wölfflin, der in der Einlei tung seiner Klassischen Kunst darauf Wert legte, dass es das „Natürliche wäre, daß jede kunstgeschichtliche Monographie zugleich ein Stück Ästhetik enthielte“. Spätestens seit Marinettis Futuristischem Manifest von 1909 ist nicht mehr zu vernei nen, dass ein Motor auch ein ästhetisches Produkt ist und dass ein unvorgebilde tes, voraussetzungsloses Sehen niemals ein
Bücherschau: Wiedergelesen
Erkennen sein kann. Aus Wissen und Sehen entsteht das „Objekt“. Diese Schöpfung ist vergleichbar einer Entstehung von „Tat sachen“, wie sie Fleck in seinem Buch beschrieben hat: „Das unmittelbare Gestalt sehen verlangt ein Erfahrensein in dem bestimmten Denkgebiet: erst nach vielen Erlebnissen, eventuell nach einer Vorbildung erwirbt man die Fähigkeit, Sinn, Gestalt, geschlossene Einheit unmittelbar wahrzu nehmen. Freilich verliert man zugleich die Fähigkeit, der Gestalt Widersprechendes zu sehen. Solche Bereitschaft für gerichtetes Wahrnehmen macht aber den Hauptbe standteil des Denkstils aus“ (S. 121). Die aus Sicht der formorientierten Bildge schichte vielleicht enttäuschende Feststel lung, dass der „Denkstil“ eines Ludwik Fleck weniger an die Form als an die Konvention – Fleck würde sagen: an das Denkkollektiv – gebunden ist, wirft zugleich die analoge Frage auf, wie es innerhalb des „gestalteten Sehens“ eines Einstein oder Sedlmayr mit dem „Stilwandel“ bestellt ist. Ist beispiels weise die aktuelle Annäherung von Natur wissenschaft und Kunstgeschichte nur eine Ausprägung des „Denkstils“ einer Zeit, oder ist das „Gestaltsehen“ beider Richtungen so grundsätzlich vergleichbar, dass sie beide auch einem gemeinsamen formalen Stilbe griff folgen? Beantworten lässt sich diese Frage erst in einer historischen Rückschau; dass diese Frage gegenwärtig aber erneut gestellt wird, ist auch Flecks bis heute anre gendem Buch zu verdanken. Jörg Trempler
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1 Rainer Egloff (Hg.): Tatsache, Denkstil, Kontroverse: Auseinandersetzungen mit Ludwik Fleck, Zürich 2005. Der Ver fasser dankt Michael Hagner für die Einsichtnahme in sein Manuskript „Wahr nehmung ohne Medien. Zum Verhältnis von Wissenschaftsphilosophie und Sinnes physiologie“. 2 Ferdinand Weinhandl (Hg.): Gestalthaftes Sehen. Ergebnisse und Aufgaben der Mor phologie. Zum 100-jährigen Geburtstag von Christian von Ehrenfels, Darmstadt 1960. 3 Carl Einstein: Werke, hg. von Rolf Peter Baarcke, Bd. 1, Berlin 1980, S. 214. Zuerst in: Die Aktion, 4. Jg., 1914, Nr. 13, Sp. 277–279. 4 Zitiert nach Hans Sedlmayr: Gestaltetes Sehen. In: Belvedere, Bd. 8, 1925, Heft 10, S. 65. Sedlmayr zitiert hier ein Referat von Ernst von Aster über Kurt Koffka ohne weitere Quellenangaben.
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Bücherschau: Rezensionen Jens Schröter, Tristan Thielmann (Hg.): Display I. Analog (= Navigationen. Zeitschrift für Medienund Kulturwissenschaften, Jg. 6, 2006, Heft 2), Schüren: Marburg 2006.
Mit einer auf zwei Bände angelegten Aus gabe der vom Siegener Forschungskol leg Medienumbrüche herausgegebenen Zeitschrift Navigationen wird der Versuch unternommen, der Bedeutung des Displays nachzuspüren. Damit gehen die Herausge ber des vorliegenden ersten Bandes, Jens Schröter und Tristan Thielmann, ein Desi derat der Forschung (zur Medien- und Bildgeschichte) an, in der eine umfassende Geschichte und Theorie des Bildschirms und damit der materiellen Disposition digi taler Bilder noch fehlt. Gefragt wird hier allerdings nicht nach „Bildschirm“ oder „Screen“, sondern nach der Bedeutung des „Displays“. Damit schlagen die Herausgeber einen Zugang zum visuellen Phänomen des Displays ein, der nicht von der Frage nach dem Bild, sondern von Medien und jünge ren – digital begründeten – Medienkonver genzen motiviert ist. Ihren aus historischer wie aktueller Medien geschichte entwickelten theoretischen Ansatz machen sie in zwei einleitenden Beiträgen deutlich, in denen Definitionen des Displays vorgelegt werden. Schröters Analyse der Differenz des Medialen und des Displays definiert das Display als „bounda ry object“, in dem verschiedene Medien, wie etwa Telefon und Fernsehen, in Form „medialer Elemente“ gemeinsam auftreten. Zu verstehen als Dispositiv, bestimme es den Zugriff auf Information, dessen Eigen logik es in der Konstellation medialer Ele mente zu untersuchen gelte. Während für Schröter das Display weder das von ihm Präsentierte noch seine materielle und technische Bedingung allein darstellt, es zugleich aber auch den Ort definiere, an dem technische Prozesse und Verfahren „in sinnlich wahrnehmbarer und dadurch ggf. sinnhaft erfassbarer Form erscheinen“ (S. 7), klingt eine – unausgesprochene – Charakterisierung des Displays als Bild an. Obwohl Schröter zudem die Eigenlo
gik des Displays betont, wird dies nicht mit bildlicher Eigenlogik, einem dem Bild innewohnenden semantischen Überschuss oder mit dessen konstruktivem Charakter in Verbindung gebracht, trotz der „betont sinn lichen, aisthetischen Komponente“ (S. 7), die dem Display-Begriff gleich zu Beginn zugestanden wird. Auch bei Thielmanns historisch entwickel ter Definition des Displays, die mit dem Radar-Display als Nullpunkt der technolo gischen Begriffsgeschichte einsetzt, wird zu Beginn hervorgehoben: „Die Sichtbarkeit an sich scheint der Schlüssel zum Verständnis der neuen Display-Kultur“ (S. 14), womit auch hier auf bildlich-visuelle Form ange spielt wird. In Bezug auf den radartechni schen Vorläufer, den Seeburg-Auswerttisch, wird für das Display jedoch verallgemeinert: „Damit ist der Grundstein für das Display als eigenständiges Wiedergabemedium gelegt und der Display-Begriff konnte sich vom ‚Gezeigten‘ zum ‚Zeiger‘, vom ‚Dargestell ten’ zum ‚Darsteller‘, vom Bild zum Medi um wandeln“ (S. 17).Während sich dadurch die Charakterisierung des Displays vom reproduzierenden zum präsentierenden Medium verschiebt, wird am Ende dessen Indexikalität herausgestrichen und das Dis play als „die ‚indexikalischste‘ Repräsenta tionstechnologie“ (S. 29) bezeichnet, die es von anderen „Bildschirmen“ unterscheide. Wird nun allerdings der Hinweis auf diese Indexikalität mit der impliziten Definition des Displays als Bild in Verbindung gebracht, wird hier das Bildverständnis (und damit das Display) in seiner bildlichen Konstitu tion grundsätzlich beschnitten; denn längst gilt auch für andere technische Bilder und Bildtechniken, wie etwa die Fotografie, der Begriff der Indexikalität als umstritten. Während Thielmann sich zuletzt in der Argumentation seines Beitrags schlüssig von Lev Manovichs Screen-Definition absetzt und damit dem Display begriff lich den Vorzug gibt, schließt im Band dennoch ein umfassender und äußerst fundierter Beitrag Erkki Huhtamos zur Medienarchäologie und Begriffsgeschichte des Screens an, dessen Rolle im Verhältnis zum Display-Begriff weder von den Her ausgebern noch innerhalb des Beitrages
Bücherschau: Rezensionen
von Huhtamo selbst geklärt wird. Vielmehr scheint Huhtamos umfassender medien geschichtlicher Versuch der Etablierung einer „Screenology“ die gesamte Geschich te optischer Medien einzuschließen und damit jegliche Begriffsschärfe sowie Spezi fik des epistemologischen Erkenntgewinns zu verlieren. Jörg Dörings anschließende Zusammenschau verschiedener Displays im öffentlichen Raum hingegen lässt wegen der diffusen empirischen Basis wie auch der unscharfen analytischen Zielsetzung unklar, warum hier anstelle von Display der Begriff der „Medienfassaden“ auch für nicht-architektonische Zusammenhän ge Verwendung findet. Nach dem Beitrag von Vera Bühlmann, der sich theoretisch äußerst komplex mit Formen digitaler Architektur etwa als Urban Screens ausei nandersetzt und die Schaffung kommunika tiver Milieus über eine „Mediomik“ fordert, stellt sich erst der folgende Artikel Petra Lange-Berndts über künstlerische Strate gien der Mobilisierung des Bildschirms im „Expanded Television“ auch dem Problem divergierender Begriffe wie Screen und Display im Bezug auf eine Arbeit Pipilotti Rists (S. 108, Anm. 9). Im abschließenden Beitrag von Markus Stauff über die Rolle der Fußballweltmeisterschaft bei der Etab lierung neuer Display-Formen wie HDTV oder Public-Viewing wird der ansonsten im Band unterschlagene Bildbegriff für das Display explizit, wenn von „Neuen Bildern“ (S. 129) oder „Besseren Bildern“ (S. 130) die Rede ist, die als Teil der „Re-Organi sation unserer Display-Kultur“ (S. 144) verstanden werden können. Insgesamt stellt der Band eine beachtliche Publikation dar, die einen ersten Schritt wagt, sowohl eine Materialbasis wie ein the oretisches Angebot zur Verfügung zu stellen für eine historisch entwickelte Theorie des Displays, die sich als materielle Disposition digitaler Bildlichkeit versteht. Der erste Band lässt gespannt auf die Fortsetzung zum digitalen Display warten, in dem die Aktu alität des Themas wie seine Schlüsselrolle für die Analyse heutiger Bildwelten virulent werden dürfte. Margarete Pratschke
99 Gerhard Paul (Hg.): Visual History. Ein Studien buch, Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 2006.
Spätestens seit dem letzten Deutschen His torikertag, der im Herbst 2006 unter dem programmatischen Titel „GeschichtsBilder“ stattfand, ist die Beschäftigung mit visuellen Zeugnissen auch für Historiker eine Art Gebot. Der von Gerhard Paul herausgege bene Band Visual History. Ein Studienbuch ver sucht in diesem allgemeinen Trend, einen aktuellen Stand zu präsentieren. Wie Paul betont, habe es zwar schon immer einzelne Historiker gegeben, die sich dem Bild als „Quelle“ zugewandt hätten, die Mehrzahl der Fachwissenschaftler jedoch habe sich gegenüber der Auseinandersetzung mit Bil dern lange Zeit verschlossen gezeigt. Einleitend zeichnet Gerhard Paul Stationen der Geschichte eben dieser Beschäftigung und der darin gewählten unterschiedlichen methodischen Zugänge vor allem für den deutschsprachigen Raum nach und plädiert davon ausgehend für die Aufnahme interna tionaler Impulse aus unterschiedlichen Dis ziplinen. Wünschenswert sei demnach ein Methodenpluralismus, den Paul als „prag matischen Mix verschiedener methodischer Ansätze“ (S. 21) beschreibt. Der Heraus geber problematisiert mithin die Grenzen und Möglichkeiten eines interdisziplinären Zuganges zum Bild als historischem Doku ment, der dennoch die angestammten Fra gen und Bereiche historischen Arbeitens im Blick behält. Zielsetzung des Bandes ist es, „Bilder über ihre zeichenhafte Abbildhaftigkeit hinaus als Medien zu untersuchen, die Sehweisen kon ditionieren, Wahrnehmungsmuster prägen, historische Deutungsweisen transportieren und die ästhetische Beziehung historischer Subjekte zu ihrer sozialen und politischen Wirklichkeit organisieren“ (S. 25). Um sich von der herkömmlichen „Historischen Bildkunde“ abzuheben, wurde in Anlehnung an das angelsächsische Fach „visual cul ture“ ein englischsprachiger Titel gewählt, wobei offen bleibt, wie weit sich Pauls Sammelbegriff mit jenem Forschungsfeld identifiziert.
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Unterschiedliche Bildgattungen sollen „als Quellen und eigenständige Gegenstände“ behandelt werden, damit gleichermaßen „die Visualität von Geschichte wie die His torizität des Visuellen“ zur Sprache kommen (S. 25). Paul will einem weiten, unhierar chischen Bildbegriff folgen, der von Plaka ten und Postkarten über Fotografien und Filme bis hin zu den elektronischen Medien reicht. Nicht immer wird in dem Band klar, dass hinter den Gattungsbegriffen noch weitere Unterscheidungen liegen, wel che die objekthafte Materialität der Bilder, ihre jeweilige Herstellung und vielfältigen Reproduktionsstadien betreffen: Eine „Post karte“ kann eine Sendeform beschreiben, aber auch Bildträger verschiedener Medien wie Fotografie oder Lithografie sein. Ebenso ließe sich fragen, was einen fotografischen Abzug von einer Darstellung am Bildschirm unterscheidet. In diesem Zusammenhang kann der Begriff des „Bildes“ sehr verun klärend sein. Präziser wäre hingegen zu beschreiben, was dem Historiker als Quelle tatsächlich vorliegt. Der Band gliedert sich in vier Teile: In einem ersten Abschnitt mit dem Titel Themen – Quellen – Zugänge werden Plakate, Alltags fotografien und (Spiel-)Filme als visuelle Quellen beschrieben und Wissenschafts bilder untersucht. Der zweite Teil Bilderwelten – Blicke beschäftigt sich vor allem mit mentalitäts- und alltagsgeschichtlichen Fragestellungen, die populäre Medien des Deutsch-Französischen Krieges 1870/71, Fotografien als Zeugnisse für die Wahrneh mungsgeschichte des Kolonialismus und des Tourismus und fotografische Aufnah men von Judendeportationen als Bestandteil der Alltagskultur im Nationalsozialismus betreffen. Der dritte Bereich Bildersprachen des Politischen beschäftigt sich mit Visuali sierung von Politik und Macht anhand des Herrscherbildes, politischen Karikaturen, der zur Ikone geronnenen Darstellung des Atompilzes und militärischen Werbeanzei gen. Der letzte Abschnitt Bild – Gedächtnis – Erinnerung ist der Rolle von Fotografie und Film für die Erinnerungskultur und das kulturelle Gedächtnis gewidmet, wobei Schwerpunkte auf der Bewältigung von Nationalsozialismus und Holocaust auf der
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einen und der Auseinandersetzung mit der DDR-Geschichte auf der anderen Seite liegen. Gerade in der Vielzahl der Ansätze und Begriffe gelingt es mit diesem Band, einen Querschnitt neuerer historiografischer Beschäftigungen mit Bildern vorzustellen. Er zeichnet sich durch durchgängig gute Lesbarkeit und klare Strukturierung aus; seine Stärke liegt in der Kontextualisierung der bildlichen Quellen. Die Forderung des Herausgebers, mit „bei spielhaften materialgesättigten Analysen […] die Möglichkeiten und Grenzen einer Visual History auszuloten“ (S. 27), wird nicht durchgängig eingelöst. Einige Beiträ ge weisen sehr detaillierte Bildanalysen auf, andere hingegen belassen es bei methodi scher Reflexion. So beschließen zwei Auto ren angesichts der Schwierigkeit, filmische Bilder in der ihnen eigenen Bewegtheit angemessen wiederzugeben, gänzlich ohne Bebilderung auszukommen. Auch setzen sich nur wenige Beitragende mit formalen Eigenschaften eines Bildobjektes ausein ander und beschränken sich vielmehr auf den vermeintlich davon abtrennbaren Bild inhalt. Vor dem Hintergrund, dass der Band sich dem Umgang mit historischen Bildzeugnis sen widmet, wäre bei den Abbildungslegen den mehr Sorgfalt wünschenswert gewesen. Teilweise werden Bildobjekte nur nach den Sekundärquellen zitiert, so dass Herkunftsoder Aufbewahrungsorte mühsam aus den Fußnoten zusammengesucht werden müs sen. Zum Teil ist auch das nicht möglich, weil sich die Primärquelle auch über die Sekundärliteratur nicht auffinden lässt. Es bleibt jedoch das Verdienst des Bandes, das Thema „Visualität“ für eine traditionell schriftfixierte Geschichtswissenschaft neu zu erschließen und einen Überblick über mögliche Herangehensweisen an Bilder zu geben, auch wenn die methodischen Ziele in der praktischen Anwendung nicht immer eingelöst werden. Stefanie Klamm
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Wolfgang Krohn (Hg.): Ästhetik in der Wissenschaft. Interdisziplinärer Diskurs über das Gestalten und Darstellen von Wissen, Meiner: Hamburg 2006.
Obwohl der von Wolfgang Krohn herausge gebene Band aus einem Symposium hervor gegangen ist (Die Ästhetik der Wissenschaften, Februar 2005, Zentrum für Interdisziplinä re Forschung, Universität Bielefeld), mutet er nicht wie eine additive Tagungsdokumen tation an. Seine Struktur, gekoppelt an eine programmatische Absichtserklärung, zeugt vielmehr von dem Versuch, den kohärenten Nachweis dafür zu erbringen, dass die Wis senschaften, als Erforschung der Wirklich keit und als Darstellung des Wissens, „tief imprägniert sind von ästhetischen Funkti onen“ (S. 35). Dabei wird erklärtermaßen nicht ange strebt, einen Kanon der Wissenschaftsäs thetik zu definieren. Ziel ist es vielmehr, eine originäre „ästhetische Kultur der wis senschaftlichen Wirklichkeitswahrnehmung und Wissensgestaltung zu erkennen“ (S.V.) und dadurch die Kategorie einer „inneren Ästhetik der Forschungspraxis und Wis senspräsentation“ zu erproben (S. 4). Das Unternehmen distanziert sich zugleich pro grammatisch von der Idee, dass die Defini tion einer wissenschaftlichen Ästhetik sich auf Analogien zu oder auf Gemeinsamkeiten mit der bildenden Kunst stützen müsse. Eben diese Idee lag seit den siebziger bis tief in die neunziger Jahre des letzten Jahrhun derts der Diskussion einer wissenschaftli chen Ästhetik zugrunde. Diese Diskussion war gekennzeichnet durch Versuche der Aneignung des Kreativitätsbegriffs durch WissenschaftlerInnen und umgekehrt durch die Inanspruchnahme des Erkenntnisbe griffs durch KünstlerInnen. Die Analyse eines solchen in stetem Wandel befindlichen Wechselverhältnisses als Basis einer Wis senschaftsästhetik ist durchaus berechtigt, aber als alleiniger Blickwinkel hinsichtlich der autonomen Zielsetzungen der Wissen schaft sicher limitierend. Das Buch versucht daher mit einem neuen Ansatz, aus dem argumentativen Korsett auszubrechen und mit wissenschaftsspezifischen Begriffen zu
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operieren. Dass diese Erweiterung der Dis kussion nottut, beweist die Tatsache, dass auch Autoren, die sehr früh an der Diskus sion über die Analogie von Wissenschaft als Kunst teilnahmen, nun unter modifiziertem Blickwinkel zum Band beitragen. Hatten beispielsweise Joachim Schummer und Ernst Peter Fischer einst das Verhältnis von Kunst und Wissenschaft im Sinne eines ver gleichbaren, undifferenzierten ästhetischen Gehalts befragt, so analysieren sie in diesem Buch die Geltung möglicher wissenschafts ästhetischer Begriffe und diskutieren die Kontextabhängigkeit ihrer Wirksamkeit. Vor diesem Hintergrund erscheint es folge richtig, dass die allgemeine Hypothese einer „möglichen kulturellen Heterogenität des Ästhetischen“ (S. VI) verfolgt wird. Über zeugend ist hierbei, dass der Band für die Begründung dieser Hypothese methodisch bewusst auf die Unterschiedlichkeit der dis ziplinären Sichtweisen und auf das Potenzial einer komparativen Debatte setzt. So sind bei den Beiträgen einerseits Geisteswissen schaften wie Philosophie, Soziologie, Kunst wissenschaft und Wissenschaftsgeschichte vertreten, andererseits exakte Wissenschaf ten wie Mathematik, Informatik, Physik und Biologie. Wolfgang Krohns einleitender Aufsatz Die ästhetischen Dimensionen der Wissenschaft (S. 3–38) schlägt eine grundlegende Systema tisierung des Problemfelds vor, welche die methodische Absicht des Buches zu positio nieren sucht.Von einem allgemeinen Gestal tungsbegriff („Gestaltung des Wissens“ oder „shaping of knowledge“, S. 4) als übergeord neter Kategorie wissenschaftlicher Ästhetik ausgehend, werden drei Komponenten als zentral für eine spezifische Ästhetik natur wissenschaftlicher Forschung herausgear beitet, die den Duktus des gesamten Buches prägen. Es handelt sich dabei zunächst um den wissenschaftsimmanenten Rekurs auf instrumentell gestützte Wahrnehmung, ferner um die Kultivierung der experimen tellen Gestaltung. Gestaltung bedeutet hier nicht nur Reproduktion oder Sichtbarma chung bestehender Phänomene, sondern auch Erschaffung und Formung wahrnehm barer Sonderwelten (womit jedoch genau die Assoziation von „Wissensproduktion“
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mit Schaffensvorgängen der Kunst wachge rufen wird, von der sich der Band abgrenzen möchte). Die dritte Komponente besteht in der auf diesen Gestaltungsprozess folgenden Formung begrifflicher Interpretationen der wissenschaftlichen Evidenz. Das Wechsel spiel dieser drei Schritte des „konstruktiven Erfindens und überraschenden Auffindens“ (S. 34) soll den zentralen ästhetischen Reiz der „kognitiven Hedonik der Forschung“ (S. 34) ausmachen, einer als forschungsspezifi scher „Hedonismus“ verstandenen Freude an der wissenschaftlichen Entdeckung. Entsprechend dieser Systematik gliedert sich das Buch in drei Hauptabschnitte, die durch einen weiteren, historisch ausgerich teten ergänzt werden. Der erste Abschnitt spricht Wissenschaftstheoretische Reflexionen über die mögliche ästhetische Dimension der Wissenschaften an und erprobt die Gel tung von Einzelkategorien wie „Eleganz“, „Symmetrie“, „Harmonie“ als wiederkehren de Attribute der Wissenschaft. Dass diese analogieorientierten Begriffe der Kunst kritik entlehnt sind, wird durchaus in Kauf genommen. Die Abgrenzung besteht darin, dass explizit nach der wissenschaftsspezifi schen Konnotation dieser Begriffe gefragt wird. Im zweiten Abschnitt geht es entspre chend um die begriffliche Eingrenzung von Praktiken der Gestaltung des Wissens und der daraus hervorgehenden sichtbaren Formen. Der dritte Abschnitt versucht sodann, Ter mini der wissenschaftsspezifischen Ästhetik aus den Naturwissenschaftlichen Sichtweisen praktizierender empirischer ForscherInnen heraus zu schärfen. Die historischen Bei spiele des vierten Abschnittes erweitern dieses Begriffsinstrumentarium durch aus. Die herausgearbeiteten Koordinaten („Staunen“, „Hingabe“ und „Geheimnis“) definieren jedoch eher eine Rezeptions ästhetik des Wissens als dass sie (wie die vorangegangenen Abschnitte) eine Ästhetik der Wissensproduktion konturieren, die als Produktionsästhetik die Prozesse der Wissenschaft zur Erlangung von Wissen betrifft. Zwischen den Einzelbeiträgen der vier Abschnitte sind „Diskurse“ eingestreut. Sie dokumentieren die im Kontext des Sympo siums geführten Diskussionen über „Ästhe
Bücherschau: Rezensionen
tik zwischen Harmonie und Neugier“ und „Über die (Dis-)Kontinuität des Begriffes der Schönheit“ beziehungsweise skizzie ren „Ausblicke“ für die Formulierung einer Wissenschaftsästhetik aus der Warte einzel ner TeilnehmerInnen. Der hier dokumen tierte Meinungsaustausch zeigt oft, trotz der Absichtsbekundung und der diszipli nierenden Programmatik, die den Buch diskurs strukturieren, dass der einzelne Forschungshorizont im interdisziplinären Kontext Grenzen hat und haben muss. Dennoch ist das Buch insofern ertrag reich, als dass es eine Begriffsbestimmung bezweckt, die sich bewusst von der Befra gung der historischen Merkmale im Dialog zwischen Kunst und Wissenschaft abheben will. Dies trägt zur Differenzierung von For schungsfeldern spezieller Kompetenz bei. Die historische Kartierung von Dialogpro zessen zwischen Kunst und Wissenschaft, zwischen ästhetischen und epistemologi schen Motivationen, von der sich dieses Buch abgrenzen will, bleibt dadurch ein eigenständiges Forschungsfeld, das die Bedingungen einer möglichen Interdepen denz beider Bereiche und ihre Variationen befragt. Davon zu unterscheiden ist die Geltung von Begriffen, durch die sich diese einzelnen Bereiche definieren. So wird ein bleibender positiver Effekt dieses Buches nicht zuletzt die Unterscheidung verschiedener methodischer Aktionsradien sein. Daraus kann sich eine methodisch tiefergreifende Auseinandersetzung mit den Spezifika wie mit den Schnittmengen von ästhetischem und epistemologischem Anspruch der Naturbeobachtung und Naturdarstellung ergeben. Erna Fiorentini
Projektvorstellung
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Abb. 1: Grundriss von San Isidoro in León mit Pfeiler- und Kapitellansicht auf www.sanisidoro.de.
Projektvorstellung Die Maus im Grundriss. Visualisierung romanischer Bauskulptur im architektonischen Kontext www.sanisidoro.de
Ihren Anfang nahm die Projektidee mit der wissenschaftlichen Bearbeitung mit telalterlicher Bauskulptur. Als Bauskulptur werden Reliefs oder Kapitelle bezeichnet, die im Verbund mit der Architektur stehen und deren Position im Raumgefüge sehr unterschiedliche Aussagen beinhalten kann. Bei figürlichen Skulpturen lässt sich bei spielsweise nach dem Verhältnis von Darge stelltem und Anbringungsort fragen. Neben den inhaltlichen Bezügen sind aber auch stilistische Merkmale von Interesse, die auf Fragen des Bauverlaufs und der Baupraxis eine Antwort bieten können. Kunsthistoriker, die sich für die Kontexte mittelalterlicher Bauskulptur interessie ren, sehen sich häufig mit dem Problem
konfrontiert, dass in Buchpublikationen einzelne Skulpturen herausgelöst aus ihrer architektonischen Umgebung untersucht werden. Räumliche Zusammenhänge lassen sich dann kaum mehr erfassen, wie auch die selektive Auswahl der Objekte nur einen unzureichenden Überblick vermitteln kann. Eine umfassende Darstellung eines großen räumlichen Gefüges, in diesem Fall eines Kirchenbaus, ist in der Tat schwierig. Auf grund der Dreidimensionalität lassen sich architektonische Kontexte im Medium des Buches nur unbefriedigend oder nur unter sehr hohem finanziellen Aufwand abbilden. An dieser Stelle setzt das Projekt an. Im Gegensatz zu einer Darstellung im Buch bietet eine multimediale Anwendung im Internet die Möglichkeit, die Bauskulptur in ihrem architektonischen Kontext, an Wänden, Säulen oder Portalen effektiv zu visualisieren. Ziel war es, für einen konventi onellen Web-Browser eine benutzerfreund liche und möglichst anschauliche Oberfläche zu entwickeln, auf der unter Zuhilfenahme
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Projektvorstellung
Abb. 2: Das Perdón-Portal von San Isidoro in León auf www.sanisidoro.de.
von Grundriss, Aufriss beziehungsweise Umzeichnung die Skulptur angesteuert, ihre räumliche Umgebung lokalisiert und in qualitätvollen Abbildungen sowie Vergröße rungen gezeigt werden kann. Erprobt wurde die webbasierte Anwendung am Beispiel der nordspanischen Kirche San Isidoro in León. Der Kirchenkomplex von San Isidoro gehört zu den wichtigsten Stationen entlang des Pilgerweges nach Santiago de Compostela. Aufgrund der her ausragenden Bauskulptur, die das Gebäude im Inneren wie Äußeren durchzieht, gilt die Krönungskirche des kastilisch-leonesischen Herrscherhauses als ein Schlüsselwerk des 11./12. Jahrhunderts. Trotz der kunsthis torischen Bedeutung ist bislang aber nur ein Teil der Skulpturen in herkömmlichen Publikationen abgebildet, noch dazu ver streut in verschiedenen Veröffentlichungen. Das Konzept von www.sanisidoro.de nutzt mittels eines Web-Browsers die Möglichkeit des freien Navigierens. Über die Menüleiste können zunächst einzelne Bereiche des Kir chenkomplexes aufgerufen werden. Sobald
man mit der Maus über den Grundriss (Abb. 1) oder die Umzeichnungen (Abb. 2) fährt, werden einzelne Bereiche farbig hervor gehoben. Verschiedene Farben bezeichnen dabei unterschiedliche Ebenen des Gebäu des. Nach dem Anklicken dieser markier ten Bereiche öffnen sich Pop-Up-Fenster mit Detailaufnahmen und schriftlichen Informationen, etwa der Beschreibung des Objekts. Eine Lupe unterhalb der Abbildung verweist auf eine Vergrößerung, zwei etwas ineinandergeschobene Quadrate auf den Gesamtzusammenhang. Die in den Texten hervorgehobenen Begriffe werden zudem im Glossar erläutert. Durch freies Navigieren kann der Nutzer somit selbst entscheiden, welche Skulptu ren er studieren, vergrößern und verglei chen möchte. Die Darstellung im Internet versteht sich als Grundlagenforschung, rich tet sich an Wissenschaftler und interessierte Laien gleichermaßen und soll den Skulp turenkomplex von San Isidoro in seiner Gesamtheit in den Sprachen Deutsch, Spa nisch und Englisch erschließen.
Projektvorstellung
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Abb.3: Das Südportal der Kathedrale in Santiago de Compostela, HyperSculpture-Projekt, Editor.
Erstellt wurde die Website www.sanisido ro.de mit HTML und Adobe Flash. Der besondere Vorteil der Flash-Anwendung liegt in der Flexibilität, mit der Struktu ren gezeichnet und hervorgehoben werden können. Die aufwendige Handarbeit unter HTML, also die Verlinkung von Kontext, Bild und Text, sowie die fehlende Mög lichkeit, auf eine Datenbank zuzugreifen, die das Bildmaterial und die dazugehöri gen Informationen übersichtlich verwal tet, stellen allerdings einen Nachteil dar. Dieser Schwäche versucht das auf drei Jahre bis 2009 durch das Bundesministeri um für Bildung und Forschung geförderte Kooperationsprojekt HyperImage – Bil dorientierte E-Science-Netzwerke (www. hyperimage.org) zu begegnen.1 Ziel dieses Projekts ist es, eine OpenSource-Software zu entwickeln, die mit Hilfe eines Editors eben jene technischen Verknüpfungen von Abbildungen, Bilddetails, Querverweisen, Texten, digitalen Videos und Indexierung – ein bisher ungelöstes Problem – ermög licht (Abb. 3). Das Ergebnis wiederum soll
ebenfalls über das Internet zugänglich sein. Als einer von mehreren Pilotanwendungs partnern erprobt HyperSculpture dabei den Editor im Hinblick auf architektonische Räume. Vergleichbar der Visualisierung der Bauskulptur von San Isidoro von León wird Ähnliches mit den Skulpturen der Kathe drale von Santiago de Compostela versucht. Ob es tatsächlich gelingen wird, die oben beschriebene aufwendige und mit Kom promissen behaftete Verfahrensweise von HTML und Flash mittels der HyperImageSoftware zu umgehen, wird sich im Verlaufe des Projektes zeigen. Claudia Rückert 1 Sabine Helmers, Heinz-Günter Kuper: HyperImage – Bildorientierte E-ScienceNetzwerke. In: cms-journal, hg. v. Com pu ter- und Medienservice der Hum boldt-Universität zu Berlin, 29. März 2007, S. 80–84 (http://edoc.hu-berlin.de /docviews/abstractphp?lang=ger&id=27 865).
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Bildnachweis
Titelbild: nach Ch. André: Traité d’astronomie stellaire, première partie, étoiles simples, Paris 1899, S. 334. Innentitel: Philipp Galle nach Marten van Heemskerck: Collage nach ‚Natura’, 1572 (The New Hollstein Dutch & Flemish Etchings, Engravings and Woodcuts 1450–1700, Roosendaal 1994, S. 183). Editorial: Abb. 1: Ausst.-Kat. Méliès. Magie et cienéma, Paris, Espace EDF Electra. Paris 2002, S.195 (Detail). Charlotte Bigg: Abb. 1–4, Tafel 1: www.esa.int (Stand: 8/2007) © ESA/NASA/JPL/University of Arizona. Tafel 2: www. anthony.liekens.net (Stand: 8/2007) © Mike Zawistowski. Tafel 3: www.esa.int (Stand: 8/2007) © NASA. Alex Soojung-Kim Pang: Abb. 1: John Lankford: The impact of photography on astronomy. In: Owen Gingerich (Hg.): Astrophysics and twentieth-century astronomy to 1950, Cambridge u. a. 1984, S. 26. Tafel 4: Ausst.-Kat. Dans le champ des étoiles. Les photographes et le ciel. 1850–2000, Paris, Musée d’Orsay/Stuttgart, Staatsgalerie, Paris 2000, S. 58f. Abb. 2: Memoirs of the Royal Astronomical Society, Vol. 41, 1878, Plate 6. Abb. 3: wie Abb. 2, Plate 8. Abb. 4: wie Abb. 2, Plate 7. Abb. 5: wie Abb. 1, S. 19. Abb. 6: Wilhelm Cronenberg: Half-Tone on the American Basis, London 1894. Thomas Fechner-Smarsly: Abb. 1–2, Tafel 5, 6: Kungl. Biblioteket, Stockholm, Foto: Hans Lindahl. Simon Schaffer: Abb. 1: Albrecht Dürer. Das druckgraphische Werk, Bd. II: Holzschnitte und Holzschnittfolgen, München u.a. 2002, Nr. 243. Abb. 2: Foto: Archiv. Abb. 3–5: Coelum stellatum christianum/Iulius Schillerus, 4“ Kart. A 150, bpk/Staatsbibliothek zu Berlin – Kartenabteilung. Tafel 9: Andreas Cellarius: The finest Atlas of the Heavens. Harmonia macrocosmica of 1660, Teilreprint der Ausg. Amsterdam 1660, Hongkong u.a. 2006, S.156f. Foto: Barbara Herrenkind. Abb. 6: http://www. atlascoelestis.com/88%20lacaille.htm (Stand: 9/2007). Faksimile: Abb. 1–9: © Wladimir Velminski. Bildbesprechung: Abb. 1: Dresden, Staatliche Kunstsammlungen, Kupferstichkabinett, Inv. A 35 909, Foto: Elke Estel/HansPeter Klut. Abb. 2: Ilja M. Veldman: Images of Labor and Diligence in sixteenth-century Netherlandish prints. In: Simiolus, Vol. 21, 1992, H. 4, S. 230. Abb. 3: Hadrianus Iunius: Emblemata, Aenigmata. Nachdruck der Ausgabe Antwerpen 1565, Hildesheim u.a. 1987, S. 9. Abb. 4: Johannes Sambucus: Emblemata et aliquot nummi antiqui operis, Reprint der 2. Auflage Antwerpen 1566, Hildesheim 2002, S. 65. Eileen Reeves: Abb. 1: Ausst.-Kat. Barock im Vatikan. Kunst und Kultur im Rom der Päpste II 1572–1676, Bonn, Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland. Berlin, Martin-Gropius-Bau, Bonn/Leipzig 2005, S. 481. Abb. 2: Horst Bredekamp: Galilei. Der Künstler. Der Mond. Die Sonne. Die Hand, Berlin 2007, S. 221. Abb. 3: wie Abb. 2, S. 459. Abb. 4: wie Abb. 1, S. 472. Dieter Blume: Tafel 10: Autor. Abb. 1: Dieter Blume: Sternbilder des Mittelalters. Imaginationen des Wissens und des Begehrens. In: Hans Belting u. a. (Hg.): Quel corps? Eine Frage der Repräsentation, München 2002, S. 253. Tafel 11: Autor. Abb. 2: Dieter Blume: Sichtbares Bild und unsichtbare Ordnung. Zur Funktion mittelalterlicher Sternbilderdarstellungen. In: David Ganz (Hg.): Ästhetik des Unsichtbaren. Bildtheorie und Bildgebrauch in der Vormoderne (= KultBild. Visualität und Religion in der Vormoderne, hg. v. Thomas Lentes, Bd. 1), Berlin 2004, S. 301. Abb. 3: wie Abb. 1, S. 258. Abb. 4: wie Abb. 1, S. 259. Abb. 5: wie Abb. 1, S. 261. Abb. 6: wie Abb. 1, S. 260. Interview: Abb. 1: © Jakob Mattner, 2007. Foto: Hartwig Klappert. Tafel 7: © Jakob Mattner, 2007. Foto: Barbara Herrenkind. Abb. 2: © Jakob Mattner, 2007. Foto: Barbara Herrenkind. Abb. 3: © Jakob Mattner, 2007. Foto: Hartwig Klappert. Abb. 4: © Jakob Mattner, 2007. Foto: Barbara Herrenkind. Abb. 5: © Jakob Mattner, 2007. Foto: Barbara Herrenkind. Tafel 8: © Jakob Mattner, 2007. Foto: Hartwig Klappert. Abb. 6: © Jakob Mattner, 2007. Scan: Christine Berkenhoff. Projektvorstellung: Abb. 1: www.sanisidoro.de (Stand: 9/2007). Abb. 2: wie Abb. 1. Abb. 3: www.hyperimage.org (Stand: 9/2007). Bildtableau 1: 1: NASA. 2: Observatoire de Paris. 3: John F. W. Herschel: Observations of Nebulae and Clusters of Stars, made at Slough, with a Twenty-feet Reflector, between the years 1825 and 1833. In: Philosophical Transactions 123, 1833, S. 359–509, Abb. 25. 4: http://www.astrosurf.com/astropc/cartes/index.html. 5: Atlas Céleste de Flamsteed, Publié en 1776, par J. Fortin, Ingénieur-Mécanicien pour les Globes et Sphères, Troisième édition, Paris 1795, Taf. XV, Detail. 6: Paul Henry/ Prosper Henry: La photographie astronomique à l’Observatoire de Paris. In: La Nature. Revue des sciences 14, 1886, S. 23–26, Abb. S. 25. 7: Athanasius Kircher: Iter exstaticum coeleste, Würzburg 1671, Taf. 37. 8: Henning Wrede: Die Bürde der verpflichtenden Macht. Octavian und der Ausklang der hellenistischen Kunst. In: Atlas. Bonner Beiträge zur Renaissanceforschung, hg. von Gunter Schweikhart, I, Köln 1996, S. 45–51, S. 46, Abb. 1. 9: K. Schlee: Art Viva 1962, zitiert nach: Adolf Max Vogt: Boullées Newton-Denkmal. Sakralbau und Kugelidee, Basel/Stuttgart 1969, S. 128. 10: Florian Horsthemke. 11: Irmgard Müsch: Geheiligte Naturwissenschaft. Die Kupfer-Bibel des Johann Jakob Scheuchzer, Göttingen 2000, S. 238. 12: Heinrich Wilhelm Brandes: Vorlesungen über die Astronomie zur Belehrung derjenigen, denen es an mathematischen Vorkenntnissen fehlt, 2 Bde., Leipzig 1827, Bd. 1, Taf. 11. 13: NASA. 14: Walter Villinger: Das Zeiss-Planetarium, 4. Aufl., Jena o.J. (1927), zitiert nach: Wissen in Bewegung. 80 Jahre Zeiss-Planetarium Jena, hrsg. von Ernst-Abbe-Stiftung/H.-C. v. Hermann, Jena, 2006, S. 59. 15: Carl Zeiss Archiv. 16: James Nasmyth/James Carpenter: The Moon, considered as a planet, a world and a satellite, New
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York 1885, Taf. XIV. 17: NASA. 18: Ausst.-Kat. Dans le champ des étoiles. Les photographes et le ciel. 1850–2000, Paris, Musée d’Orsay/Stuttgart, Staatsgalerie, Paris 2000, S. 60, Abb. 16. 19: NASA. 20: Edmond Halley: Astronomiæ Cometicæ Synopsis, Autore Edmundo Halleio apud Oxonienses Geometriæ Professore Saviliano, & Reg Soc. S., In: Philosophical Transactions 24, 1704/05, No. 297, S. 1882–1899, S. 1891. 21: NASA. 22: NASA. 23: © Bildarchiv Foto Marburg 2007, Negativ 160.352. Bildtableau 2: 1: Oswald Lohse: Planetographie. Eine Beschreibung der im Bereiche der Sonne zu beobachtenden Körper, Leipzig 1894, Abb. 14. 2: © Staatliche Museen zu Berlin. Kupferstichkabinett. 3: Günther Binding: Zur Methode der Architekturbetrachtung mittelalterlicher Kirchen, Köln 1993, S. 72, Abb. 26. 4: Alexander Cozens: A New Method of Assisting the Invention in Drawing Original Compositions of Landscape, London 1785/86, Tafel 22. 5: Wie Tableau 1, Abb. 18, S. 38. 6: Wie Tableau 1, Abb. 18, S. 53, Abb. 8. 7: Dieter Blume: Regenten des Himmels, Berlin 2000, S. 417, Abb. 142. 8: Uwe Fleckner u.a. (Hg.): Aby M. Warburg. Bildersammlung zur Geschichte von Sternglaube und Sternkunde im Hamburger Planetarium, Hamburg 1993, S. 155. 9: Arthur Henkel/Albrecht Schöne (Hg.): Emblemata. Handbuch zur Sinnbildkunst des XVI. und XVII. Jahrhunderts, Stuttgart u.a. 1996, Sp. 43. 10: J. Fényi: On Two Solar Protuberances Observed July 15 and September 30, 1895. In: Astrophysical Journal 3, 1896, S. 192–200, Tafel 17, Detail. 11: Andrea Bacchi (Hg.): Scultura del 600 a Roma, Mailand 1996, Abb. 482. 12: Wie Abb. 9, hier: Sp. 1056. 13: Camille Flammarion: L’Atmosphère. Météorologie Populaire, Paris 1888, S. 163. 14: W. Haidinger: Meteoreisenfall von Hrašćhina bei Agram am 26. Mai 1751. In: Sitzungsber. Akad. Wiss. Wien, Mathem.naturw. Kl., 35, 1859, S. 361–388; Abb. nach S. 386. 15: Laszlo Moholy-Nagy: Vom Material zu Architektur, München 1929, S. 235, Abb. 208. 16: © Staatliche Museen zu Berlin. Kupferstichkabinett. 17: NASA. 18: Ausst.-Kat. Méliès. Magie et cienéma, Paris, Espace EDF Electra, Paris 2002, S. 200. 19: Ausst.-Kat. Cosmos. From Goya to de Chirico, from Friedrich to Kiefer. Art in Pursuit of the Infinite, Venedig, Palazzo Grassi, Mailand 2000, S. 241. 20: Wie Tableau 1, Abb. 18, S. 66, Abb. 30a. 21: Engineering 29, 2. Januar 1880, nach S. 6. 22: Gerdt von Bassewitz: Peterchens Mondfahrt. Ein Märchen von Gerdt von Bassewitz mit Bildern von Hans Baluschek, München o. J., nach S. 76. 23: Florian Horsthemke. Leider war es nicht in allen Fällen möglich, die Inhaber der Rechte zu ermitteln. Es wird deshalb ggfls. um Mitteilung gebeten.
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Die AutorInnen
Tatjana Bartsch M. A. Census of Antique Works of Art and Architecture Known in the Renaissance, BBAW und Kunstgeschichtliches Seminar, Humboldt-Universität zu Berlin Dr. Charlotte Bigg Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte Berlin Prof. Dr. Dieter Blume Kunsthistorisches Seminar, Friedrich-Schiller-Universität Jena Dr. phil. habil. Thomas Fechner-Smarsly Institut für Schwedische Literatur, Jagiellonen-Universität Krakow Dr. Dr. Erna Fiorentini Kunsthistorisches Institut, Freie Universität Berlin und Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte Berlin Stefanie Klamm M. A. Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte Berlin Anna Maigler Kulturwissenschaftlerin, Berlin Jakob Mattner Künstler, Berlin Dr. Alex Soojung-Kim Pang Institute for the Future, Palo Alto, Kalifornien Margarete Pratschke M. A. Das Technische Bild, Hermann von Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik, Humboldt-Universität zu Berlin Prof. Dr. Eileen A. Reeves Department of Comparative Literature, Princeton University Prof. Dr. Claudia Rückert Kunstgeschichtliches Seminar, Humboldt-Universität zu Berlin Prof. Dr. Simon Schaffer Department of History and Philosophy of Science, University of Cambridge Dr. Jörg Trempler Kunsthistorisches Intitut Florenz – Max-Planck-Institut Dipl. Math. Wladimir Velminski M. A. Hermann von Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik, Humboldt-Universität zu Berlin
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Meteorbahnbestimmung, O. Lohse, 1894. 2: Karl Friedrich Schinkel: Bühnenbildentwurf zur Zauberflöte, 1815, Gouache, 42,3 x 61,6 cm, Staatl. Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett, Inv. SM 22b.121. 3: Schöpfergott aus einer Bible moralisée, um 1220/30, Wien, Österr. Nat.-Bibl., Codex Vindobonensis 2554, Fol. 1v (Bi 621), Umzeichnung. 4: Eine von 20 sog. „skies“ Alexander Cozens’, Wolkenstudien als Vorlage für Landschaftsmaler, Radierung 1785/86. 5: Gustav Holst: The Planets, LP. 6: J. A. Whipple/G. P. Bond: Der Mond, 26.2.1852. Daguerreotypie, 11,9 x 9,7 cm, Cambridge, MA, Harvard College Observatory. 7: Detail des Kuppelfreskos des Altarraumes der alten Sakristei, um 1434–1440, Florenz, S. Lorenzo. 8: Blick in Aby Warburgs Ausstellung „Bildersammlung zur Geschichte von Sternglaube und Sternkunde“ im Planetarium Hamburg, 1930. 9: REBVS ADEST, Emblem Diego de Saavedra Fejardos, zeigt 1642, im Todesjahr Galileis, die von der Sonne umkreiste Erde. 10: J. Fényi: Beobachtung einer eruptiven Protuberanz, 30.9.1895. 11: Domenico Guidi oder Pierre-Etienne Monnot: Andromeda, um 1690, New York, The Metropolitan Museum of Art. 12: Emblem Andreas Alciatus’: „IN ASTROLOGOS“, 1531. 1:
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13: Populäre Illustration Camille Flammarions „Ein Missionar findet den Punkt, an dem Himmel und Erde sich verbinden“, 1888. 14: W. Haidinger: Der Meteoreisenfall von Hrašćina 1751, 1869. 15: Bau der Kuppel eines Planetariums, Fotografie, ca. 1926. 16: Sandro Botticelli: Illustration zur Göttlichen Komödie, 1480–1490, Feder mit brauner Tinte, ca. 32,5 x 47,5 cm, Staatl. Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett, Inv. Cim. 33. 17: Umzeichnung einer Aluminiumplakette an Pioneer F, 1972, Mitteilung an potentielle Außerirdische. 18: Georges Méliès: Le Voyage dans la Lune, Still, 1902, Coll. Madeleine MalthêteMéliès. 19: Eugene Cernan: Astronaut Harrison Schmitt, Boulder, Lunar Power, Apollo 17, 1972, C-Print, 74,6 x 125,4 cm, Privatslg. 20: Anonym (G.B.): Phasen der Mondfinsternis vom 11./12.4.1903, Albuminabzüge auf Karton, dieser 7 x 5,5 cm, Paris, Fonds Flammarion, Société astronomique de France. 21: Der 27“ Grubb-Refraktor des Observatoriums Wien; wegweisend für weitere Großrefraktoren. 22: Die Mondkanone. Illustration Hans Baluscheks zu Gerdt von Bassewitz’ „Peterchens Mondfahrt“, 1915. 23: Der Einsteinturm Erich Mendelsohns in Potsdam, 1919–1922, Zustand 2007.
Bildwelten des Wissens Kunsthistorisches Jahrbuch für Bildkritik. Band 5,2 Imagination des Himmels Herausgeber
Prof. Dr. Horst Bredekamp, Dr. Matthias Bruhn, Prof. Dr. Gabriele Werner Verantwortlich für diesen Band
Franziska Brons Redaktion
Das Technische Bild Mitarbeiter
Jana August, Hanna Felski, Florian Horsthemke, Violeta Sánchez, Dipl. phys. Jochen Hennig Übersetzungen
Franziska Brons Lektorat
Rainer Hörmann Layout
Dr. Birgit Schneider Satz: Hanna Felski & aroma, Berlin Adresse der Redaktion
Humboldt-Universität zu Berlin Hermann von Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik Das Technische Bild Unter den Linden 6 D – 10099 Berlin [email protected] Fon: +49 (0) 30 2093 2731 Fax: +49 (0) 30 2093 1961 ISSN 1611-2512 ISBN 978-3-05-004362-3 © Akademie Verlag, Berlin 2007 Das Jahrbuch „Bildwelten des Wissens“ erscheint jährlich in 2 Teilbänden. Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung anderer Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Jahrbuches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form – durch Fotokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren – reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenver arbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen und übersetzt werden. Druck: Medienhaus Berlin Printed in Federal Republic of Germany