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German Pages 136 Year 2017
Bildwelten des Wissens Kunsthistorisches Jahrbuch für Bildkritik
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Der menschliche Körper als Gedächtnisraum, aus: Filippo Gesualdo: Plutosofia, Padua 1592 (Fol. 27r), Holzschnitt. Sensomotorischer Homunkulus, dessen Körperteile in Anordnung und Größe den Reizfeldern des Gehirns entsprechen, Entwurf: Wilder Penfield, Edwin Boldrey, Zeichnung: H. P. Cantlie, 1937. 3: Illustration zur Abhängigkeit von Bewegung und Aufmerksamkeit, aus: René Descartes: De homine figuris et latinitate donatus a Florentio Shys, 1662 (Fig. XXXIX). 4: Grußkarte in Hirnschrift von Herbert H. Jasper an Hans Berger zu Neujahr 1938. 5: Das Prinzip der Mind Map nach Tony Buzan, erzeugt mit der Software „iMindMap“, um 2006. 6: Vergleich zweier typischer EEG-Muster und Spektren, erzeugt mittels eines Resonanz-Filters zur Frequenzanalyse von William Grey Walter, 1943. 7: Visualisierung von Ferdinando Cazzamallis Konzept der Gedankenwellen am Beispiel einer Figur aus Oskar Schlemmers „Triadisches Ballett“, publiziert in der römischen Tageszeitung Il Messaggero vom 13. Dezember 1933. 8: Seitenansicht anatomischer Präparate von Nerven des Hirns und der Atmungs- sowie Verdauungsorgane, aus: Andreas Vesalius: De humani corporis fabrica libri septem, Basel 1543. 9: Drahtmodell des menschlichen Gehirns, um 1960, MPIP München. 10: Schema der Bewegungsempfindungen der Netzhaut und ihrer Verbindungen zu äußeren Augenmuskeln und zum Gehirn, aus: Sigmund Exner: Entwurf zu einer physiologischen Erklärung der psychischen Erscheinungen, Leipzig/Wien 1894, S. 193. 11: Schema der Sinnesorgane und ihrer zentralnervösen Steuerung nach Hermann Rein, aus: Alexander F. Marfeld: Kybernetik des Gehirns, Berlin 1970, S. 409. 12: Warren S. McCulloch, Walter Pitts: Darstellung der Neuronen als logische Schaltung, 1943. 1: 2:
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13: Gehirnpräparate in sieben Bildern, nach Vesalius, aus: Juan Valverde de Amusco: Anatomia del corpo humano, Rom 1560. 14: Horizontalschnitt durch den Schädel und das Gehirn, um 1780 –1786, Aquarellzeichnung, in der Florentiner Werkstatt Felice Fontanas als Ergänzung zur anatomischen Wachsmodellsammlung des Wiener Josephinums angefertigt. 15: Horizontalschnitt durch den Schädel zur Darstellung des Großhirns in zwei verschiedenen Ebenen, um 1780 –1786, Wachsmodell, aus der Florentiner Werkstatt Felice Fontanas für das Wiener Josephinum. 16: Transversalschnitt des Kopfes, Ansicht von oben, aus: Christian W. Braune: Topographisch-anatomischer Atlas, Leipzig 1867 –1872. 17: Figura Termia, aus: Johann Dryander: Anatomiae Humani Capitis, Marburg 1536. 18: Ansicht des Großhirns nach Entfernung der Hirnhaut, aus: Felix Vicq d’Azyr: Traité d’anatomie et de physiologie avec des planches coloriées, Paris 1786. 19: Holzmodell des Gehirns aus der Zeit, in der Luigi Rolando (1773 –1831) in Turin Anatomie unterrichtete. 20: Die Neurologin Cécile Vogt bei der Bestimmung von Funktionszentren im Gehirn, um 1944. 21: Via Lewandowsky: Des Künstlers Hirn (Detail), 1998, medizinische Darstellung eines Kopfes präsentiert im Leuchtkasten. 22: Kinematografische Metapher für das visuelle Gedächtnis, aus: Fritz Kahn: Das Leben des Menschen, Stuttgart 1929. 23: Der Sehakt, aus: Fritz Kahn:Das Leben des Menschen, Band IV, Stuttgart 1929 (Tafel VII). 24: A. Poyet: Der Kopf des Erfinders, 1880. 25: Seitenansicht eines männlichen Kopfes mit Großund Kleinhirn, Hirnstamm und Rückenmark in situ, aus: Jean Baptiste Marc Bourgery: Traité complet de l’anatomie de l’ homme, Paris 1831–1854, Lithografie.
Herausgegeben von
Horst Bredekamp, Matthias Bruhn und Gabriele Werner Verantwortlich für diesen Band
Matthias Bruhn Redaktion
Das Technische Bild
Bildwelten des Wissens Kunsthistorisches Jahrbuch für Bildkritik. Band 6,1
Ikonografie des Gehirns
Akademie Verlag
Inhaltsverzeichnis
Editorial
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Randolf Menzel: Ästhetik als Mittel der Erkenntnis. Die Geschichte einer Entdeckung
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David Poeppel: The Cartographic Imperative:
Confusing Localization and Explanation in Human Brain Mapping Nicolas Langlitz: Neuroimaging und Visionen. Zur Erforschung des
Halluzinogenrauschs seit der „Dekade des Gehirns“
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Michael Hagner: Das Hirnbild als Marke
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Farbtafeln
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Faksimile
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Bildbesprechung: Hirndarstellungen vor Gericht
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Olaf Blanke und Oliver Kannape:
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Global Body Representations and Self-Consciousness Ramón Reichert: Mental Hygiene, Brain-Washing und Cold War
Culture. Zur Gehirnmetapher im US-amerikanischen Lehrfilm
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Andreas Mayer: Das Bildgedächtnis der Traumforschung. Bausteine zu einer historischen Kritik
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Tanja Klemm: Lorenzos Schädel im Kopf des Anatomen:
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Bilder des Gehirns im frühen 16.Jahrhundert Bücherschau: Wiedergelesen / Rezension
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Projektvorstellung: Bildhafte Wissenspräsentation
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Projektvorstellung: Augensprünge
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Projektvorstellung: Neurotopographics
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Bildnachweis
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Die AutorInnen
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Editorial
Richard Fleischer, US-amerikanischer Regisseur und kurzzeitiger Medizinstudent, hat in seinem Science-FictionFilm Die Phantastische Reise von 1965 die Fahrt eines MiniU-Bootes durch den Körper eines erkrankten Überläufers geschildert, dessen Leben am Erfolg einer komplizierten Hirnoperation hängt. Mittels Spritze gelangt das U-Boot, das samt Besatzung auf Nanometer-Größe geschrumpft wurde, in den Blutkreislauf und nimmt die Reise zum Gehirn auf, wo die Chirurgen mit Strahlenkanonen gezielt ein Gerinnsel veröden sollen. Unterwegs muss ihr Gefährt gefährlichen Strömungen und klebrigen Zellgebilden ausweichen, und kurz vor dem Ziel droht die Mission auch noch am Verrat eines der Operateure zu scheitern. Die Ausgangssituation ist, trotz einiger Ungereimtheiten, durchaus Realität. Es gibt immer wieder die Notwendigkeit operativer Eingriffe in das Gehirn, deren Risiko darin besteht, durch den kleinsten Fehlgriff wichtige Hirnbereiche – und damit zentrale Wahrnehmungsleistungen – zu schädigen. Die Erfahrung mit Verletzungen hat wiederum dazu geführt, dass bestimmte Areale der Hirnrinde diesen Leistungen zugeordnet werden konnten. Hieraus hat auch die Lokalisierung von vermeintlich klar umrissenen Bewusstseinselementen und Denkkammern ihre historische Überzeugungskraft bezogen. Das Gehirn aber bleibt nicht nur in Fleischers Körperreise ein ebenso unfassbarer Faszinationsraum wie der Weltraum oder die Tiefsee. Umso mehr wurde es wissenschaftlich inspiziert und in wechselnde Bildformen übertragen, die das menschliche Bewusstsein sichtbar machen, das Denken mitlesen, mentale Bildwelten aufzeichnen sollten. Diese Spurensuche zeitigt Errungenschaften und Fehlgriffe, die von den ersten chirurgischen Eingriffen über die Erforschung des Nervensystems und die Bestimmung einzelner Neuronen bis zu den bildgebenden Verfahren reichen. Andererseits ist „Hirnforschung“ trotz des etablierten Begriffs kein einheitliches naturwissenschaftliches Fachgebiet, sondern ein Betätigungsfeld für Mediziner, Psychologen oder Philosophen – davon zeugen auch die divergierenden Beiträge dieses Bandes. Sie ist gekennzeichnet durch eine Vielfalt von Visualisierungs-
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Editorial
möglichkeiten in Form von Messwerttabellen, Kurvendarstellungen und Computertomografien. Gerade die ikonografische Betrachtung zeigt, dass es die „eine“ Forschung des Gehirns nicht gibt, wohl aber, dass sich das Bild des Gehirns und seiner Funktionen in der Anthropologie, in der Chirurgie oder experimentellen Psychologie deutlich wandelt, abwechselnd geprägt von Vorstellungen der Verdrahtung und Verschaltung, des Organischen und Monadischen oder der Weichheit und Elastizität. Bildgebende Verfahren, in denen „Hirnbilder“ entstehen, drücken unterschiedliche Entscheidungen, Erwartungen und Expertisen auf Seiten der Operateure, Ingenieure und Programmierer aus. Es wird als Bewusstseinsäußerung gemessen und dargestellt, was das Produkt einer umfassenderen kulturellen Kommunikation ist. Sofern sich dabei Freiheit, Bewusstsein, Wille nicht anders als symbolisch darstellen lassen, muss das Gehirn außerdem immer wieder als Abbreviatur dienen, etwa in Form jener stereotypischen Aufsicht- oder Profilschnitte, die zu einem beliebten Motiv in Presse und Werbung und zum Zeichen des Triumphs von Naturwissenschaft und Technik geworden sind. Diese Darstellungen, ob als Metapher, Modellbild oder Bildschirmansicht, sollten gezielt daraufhin befragt werden, woher sie ihre Bedeutung beziehen, welche diagnostische Qualität sie haben oder wie sie Evidenz erzeugen. Gehirnforschung wäre blind, wenn sie nicht auch eine Forschung über Bilder und ihre Entstehung einschlösse, so wie Bildforschung gedankenlos wäre, wenn sie sich nicht der Funktionsvielfalt und Operabilität von Hirndarstellungen annähme. Dieser spannungsvolle Austausch soll hier deutlich werden durch die Zusammenstellung von Beiträgen, die aus der naturwissenschaftlichen Praxis stammen (Menzel, Poeppel, Blanke/Kannape) oder eine kulturhistorische Fragestellung verfolgen (Reichert, Mayer, Klemm). Drei Projektvorstellungen führen vor, auf wie unterschiedliche Weise ein gemeinsames Feld erforscht werden kann. Die unmittelbare Gegenüberstellung zweier Positionen (Langlitz, Hagner) soll außerdem unterstreichen, wie offen dieses Feld der Gehirnforschung auf Dauer bleiben wird. Die Herausgeber
Randolf Menzel
Ästhetik als Mittel der Erkenntnis. Die Geschichte einer Entdeckung Die Entdeckung eines Neurons und seiner Bedeutung
Neurobiologen haben es mit einzigartigen Strukturen zu tun, deren ästhetische Faszination nicht einmal von einem eingefleischten Neuroanatom bestritten würde. Die Neurone, die Neurobiologen studieren, spiegeln in einer noch weitgehend unverstandenen Weise ihre Funktion wieder und entfalten dabei eine höchst komplexe Gestalt (Abb. 1). Wenn Neurobiologen also Neurone in Form von mikroskopischen Ansichten oder von Abbildungen studieren, könnten sie dabei auch Beurteilungskriterien anwenden, die außerhalb des gewöhnlichen Erkenntniskreislaufs liegen. Ein Beispiel soll den Vorgang einer Entdeckung, der mit einem solchen bildbasierten Urteil verbunden war, so prozessual wie möglich beschreiben. Diese Entdeckung wurde an einem kleinen Gehirn, dem der Honigbiene, gemacht, deren neuronale Grundlagen von Wahrnehmungsvorgängen (wie Riechen und Sehen) intensiv erforscht werden und bei der es vor allem um die Frage geht, welche Neurone im Bienengehirn beim Lernen von Düften beteiligt sind. Ein Doktorand der Berliner Arbeitsgruppe, Martin Hammer, war auf der Suche nach solchen Neuronen, die eine gelernte Reaktion steuern.1 Dazu registrierte er Neurone, die das motorische Programm dieser Reaktion generieren. Er fragte sich nun, welche Neurone lernabhängige Veränderungen zeigen. Da er jeweils ein einzelnes Neuron intrazellulär, das heißt mit einer in dem Neuron steckenden Elektrode, registrierte, konnte er zwei wichtige Vorgehensweisen anwenden: Die Färbung des registrierten Neurons zur späteren Identifizierung und Abbildung sowie die Stimulation des Neurons, woraus sich bestimmen lässt, ob und wie das registrierte Neuron an dem motorischen Programm beteiligt ist. Eines Tages registrierte er ein Neuron, das im Unterschied zu den vorher untersuchten recht ungenau auf den belohnenden Reiz (Zucker) reagierte, mit dem das Tier auf den Duftreiz konditioniert wird. Dieses Neuron wurde von dem Zuckerstimulus aktiviert, aber in einer wenig präzisen und lang anhaltenden Weise, sodass es selbst lange nach Ende des Stimulus und der motorischen Reaktion noch aktiv war. Außerdem reagierte es auch auf Düfte und zwar stärker, nachdem das Tier einen Duft gelernt hatte; anders als bei den anderen untersuchten Neuronen führte die Stimulation auch nicht zu einer motorischen Reaktion. 1 Martin Hammer: An Identified Neuron Mediates the Unconditioned Stimulus in Associative Olfactory Learning in Honeybees. In: Nature 366, 1993, S. 59 – 63.
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Anfänglich gelang es nicht, das Neuron ganz mit Farbstoff zu füllen, weil es – für die Verhältnisse des Bienen-Gehirns – offensichtlich riesig groß ist. Da es sich um ein bisher unbekanntes Neuron handelte, war die Frage, ob die Färbung zur Darstellung des ganzen Neurons oder nur eines Teils geführt hatte, von zentraler Bedeutung. Es fiel auf, dass ganz anders als alle Neurone, die bisher von der Forschungsgruppe in dem betreffenden Gehirnbereich gefärbt worden waren, dieses ominöse Neuron seinen Zellkörper in der Mittellinie des Gehirn hatte (es war unpaar und lag median), und seine Ausläufer (Dendriten und Abb. 1: Neurone im visuellen System der Fliege (aus: Cajal Axone) paarweise so angelegt waren, und Sánchez 1921, V. Buch, II. Kapitel, Fig. 40). Ein kleiner dass sie scheinbar symmetrisch in die Anteil von Neuronen wurde mit der Golgi-Methode dargestellt, wobei in diesem Präparat jeweils ein Neuron desselrechte und linke Hirnhälfte zogen. Mal ben Typs in den Kolumnen der Medulla sichtbar wird. war die eine Seite über einen weiteren Bereich gefärbt, mal die andere Seite. Die Beurteilungskriterien, die während der Suche nach der vollständigen Gestalt des Neurons zur Anwendung kamen, waren zweifellos von der uneingestandenen Vorstellungen bestimmt, dass (1) dasselbe Neuron in verschiedenen Bienengehirnen nicht sehr verschieden aussehen sollte, (2) ein symmetrisch angelegtes Neuron auch spiegelsymmetrische Verzweigungen seiner Axone und Dendriten haben dürfte und (3) daher eine unsymmetrische Gestalt auf ein Artefakt, eine unvollständige Färbung zurückzuführen ist. Nach längeren Bemühungen gelang es Martin Hammer dann aber doch, das Neuron ganz einzufärben. In der Tat erwies es sich als riesig und über große Teile des Bienengehirns ausgebreitet; es ist bis in die Details spiegelsymmetrisch aufgebaut und existiert als ein einzelnes Neuron im Bienengehirn. Es erhielt den Namen VUMmx1, als Kürzel für „ventrales, unpaares medianes Neuron des Maxilarneuromers Nr. 1“ (Abb. 2). Die Zeichnung in Abbildung 2 gibt nur in eingeschränktem Maße die beeindruckende Gestalt dieses Neurons wieder, da es sich
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auch über die ganze Tiefe des Bienengehirns erstreckt und die zweidimensionale Ansicht dies nicht vermitteln kann. Es war also richtig, Verletzungen der spiegelbildlichen Symmetrie des Neurons nicht zu akzeptieren und als methodische Artefakte zu beurteilen. Es war ebenfalls richtig, diese Eigenschaften von einem unpaaren, medianen Neuron zu erwarten, obwohl es dafür Abb. 2: Das ventrale unpaare mediane Neuron Nr. 1 im Maxilarneuromer keine aus Daten belegbare des Bienengehirns (Hammer 1993). Evidenz gab. Schon die schiere Beobachtung einzelner Formen generiert eine Fülle von Fragen und Hypothesen, wobei der Antrieb nicht aus analytischen und formalisierbaren Betrachtungsweisen erwächst, sondern aus dem ästhetischen Urteil über eine bestimmte Ordnung, die wiederum das Ergebnis einer bestimmten Sicht ist. Auf der Suche nach lösbaren Problemen werden Neurobiologen (wie Biologen allgemein) gut beraten sein, sich von ihrem ästhetischen Urteil (mit-) leiten zu lassen. Die darin zum Tragen kommende „ästhetische“ Methode, die von der Forschungsgruppe zunächst unreflektiert eingesetzt wurde, könnte als ein Prozessschritt betrachtet werden, der in Abbildung 3 als Übergang von den Daten zum Modell beschrieben wird. Wenn das so verstanden werden soll, dann ist es notwendig, als Beurteilungskriterium des „Modells“ eine Größe einzuführen, die am besten mit „Schönheit“ beschrieben wird. Dies ist nicht ganz ungewöhnlich, wird doch auch die Schönheit oder „Eleganz“ von mathematischen Formeln, von skizzierten, mechanischen, computerbasierten oder formalen Modellen als ein Antriebsmoment für den Erkenntniskreislauf betrachtet, wenn auch eher uneingestanden, weniger bedeutsam und nicht ganz exakt gegenüber den streng formalisierbaren und rational begründbaren Prozessen, wie sie in der schematischen Abbildung angegeben werden.
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Randolf Menzel
Abb. 3: Modell für den iterativen Prozess des Erkenntnisgewinns in den Naturwissenschaften.
Erkenntnis als Kunst der Beobachtung
Der Erkenntnisprozess in den Naturwissenschaften wird somit als ein iterierender Vorgang mit Übergängen zwischen Hypothese, Experiment, Datenerhebung und Modellbildung verstanden. Dabei wird angenommen, dass Hypothesen stets schon bestehen, sich klar formulieren lassen und aus sich heraus Fragen generieren. „Entdeckungen“ werden nach dieser Vorstellung immer dann gemacht, wenn Experimente Daten generieren, die mit den bisherigen Modellen nicht erklärbar sind und daher neue Hypothesen erfordern. In einem solchen Fall besteht der Prozess der Entdeckung in einer Verzweigung des iterativen Forschungsvorgangs. Eine neue Beobachtung oder eine neue Hypothese führen so zu neuen Experimenten und Modellen. Diese Betrachtungsweise übersieht einen Aspekt des Erkenntnisgewinns, der in den Lebenswissenschaften von besonderer Bedeutung ist und der auch in anderen Naturwissenschaften nicht unterschätzt werden darf, nämlich die Beobachtung von Phänomenen, bevor Hypothesen formulierbar sind. Hier ließe sich in durchaus traditioneller Form vom „Wundern“ über bestimmte Phänomene sprechen, die sich nur bei sehr breiter Auslegung des Begriffs der Modellierung/ Modellbildung in das übliche Schema einordnen lassen. Das Wundern schließt auch ein, dass eigene Beurteilungsvorgänge sichtbar oder in Frage gestellt werden. Diese Art des Beobachtens generiert Fragen und führt zu Entdeckungen aus sich heraus, aus den Phänomenen selbst und den Regelhaftigkeiten, die angenommen werden, ohne dass bereits Gründe und Erklärungen angegeben werden könnten. Sie erweist sich besonders dann als erkenntnisrelevant, wenn sich die beobachteten Phänomene in Bildern niederschlagen. In der Naturphilosophie und der Naturwissenschaft der Romantik hat diese Form des Erkenntnisgewinns durch Beobachtung und Faszination eine große Rolle gespielt und wurde als eigenständig, ja wahrer und angemessener
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betrachtet als das Experimentieren. Die Kunst des Beobachtens wurde einst gefeiert, und die holländische Akademie suchte im 18. Jahrhundert das „Genie des Beobachters“.2 Johannes Müller, der berühmte Physiologe in der Mitte des 19. Jahrhunderts, formulierte dies in seiner Antrittrede 1834 an der Friedrich Wilhelms Universität Berlin so: „Nichts ist leichter als eine Menge so genannter interessanter Versuche zu machen. Man darf die Natur nur auf irgendeine Weise gewalttätig versuchen, sie wird immer in ihrer Not eine leidende Antwort geben.“ Dem gegenüber sollte dem unvoreingenommenen Beobachten, dem unverfälschten Beschreiben (und Zeichnen) und dem Wundern über die Vielfalt und Schönheit der Phänomene der Vorrang gegeben werden. Johannes Müller war kein forschungsferner Idealist, sondern ein ungeheuer einfallsreicher Entdecker einer Fülle von biologischen Zusammenhängen in Physiologie, Entwicklungsbiologie, Ökologie und Systematik. Er hat auch das kluge Experiment in keiner Weise abgelehnt, aber eine Quelle des Fragens aufgezeigt, die sich auf das Beobachten und Wundern bezieht. Im Gegensatz dazu ist die heutige Naturwissenschaft eher in der Gefahr, nur noch formalisierbare Erkenntnisprozesse zu akzeptieren und damit die entdeckende Kraft der Beobachtung zu unterschätzen. Die ernstgenommene Form
Kehren wir zu dem anfangs angesprochenen Beispiel zurück. Die Form und die physiologischen Eigenschaften des VUMmx1 sollten wie bei jedem Neuron einen inneren Zusammenhang haben. Ramón y Cajal war der erste, der diese Betrachtungsweise in die Neurowissenschaften eingeführt hat.3 Er fand Dornen und Spitzen an den Neuronen und interpretierte sie als Kontaktstellen zwischen den Neuronen. Er sah, dass die Dichte dieser Strukturen sich während der Entwicklung des Nervensystems ändert, und stellte einen Bezug zu der (vermuteten) Veränderung der Verschaltung im Nervensystem durch Lernen her. Heute ist bekannt, dass seine Sicht richtig war und in der Tat diese Strukturen und der Prozess ihrer Bildung und Einschmelzung als strukturelles Substrat des Gedächtnisses verstanden werden müssen. Auch die grobe Gestalt von Neuro2 Hans Poser: Zum Wesen wissenschaftlicher Erkenntnis – Erklärung und Prognose in der Tradition der Biowissenschaften. In: Ekkehard Höxtermann, Hartmut H. Hilger (Hg.): Lebenswissen. Eine Einführung in die Geschichte der Biologie, Berlin 2007, S. 13 – 32, hier S. 25. 3 Santiago Ramón y Cajal, Domingo Sánchez Sánchez: Sobre la estructura de los centros opticos de los insectos, Santiago de Chile 1921.
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nen sagt dem Neurowissenschaftler viel über ihre Funktion. Bilder von Neuronen sind daher mehr als Abbildungen ihrer Gestalten – sie sind morphologische Gleichnisse ihrer Funktion. Dies war ein leitender Gedanke bei der Erstellung der ersten Abbildungen des VUMmx1-Neurons: Seine Verzweigungen zeigten an, dass es mit beiden Seiten des Gehirns der Biene kommuniziert, dass es dies an den Stellen tut, an denen Duftinformation verarbeitet wird und dass es diesen Stellen etwas über die Zuckerstimulation mitteilt, auf die es reagiert. Ein kleiner Effekt (der leicht übersehen worden wäre, wenn die Gestalt nicht so eine suggestive Wirkung ausgeübt hätte) brachte Martin Hammer auf die Idee, dass dieses Neuron etwas mit der Zuckerbelohnung während des Lernens von Düften zu tun hat. Dieser kleine Effekt bestand in der Beobachtung, dass das Neuron nach dem Duftlernen stärker auf den Duft reagierte. Um die Vermutung zu prüfen, ob tatsächlich VUMmx1 die belohnende Rolle im Bienengehirn übernimmt, musste ein extrem schwieriges Experiment durchgeführt werden. Die Tiere mussten während der intrazellulären Registrierung des Neurons auf einen Duft dressiert werden, aber an Stelle des belohnenden Zuckerstimulus musste das VUMmx1 durch gezielte Strominjektion dazu gebracht werden, gerade so viele Aktionspotenziale zu bilden, die es gebildet hätte, wenn das Tier mit Zucker belohnt worden wäre. Das schwierige Experiment gelang: Die Aktivität dieses Neurons repräsentiert damit im Bienengehirn nachweisbar das Belohnungssignal für Duftlernen. Es steht für die Experimentatoren außer Frage, dass solche schwierigen und riskanten Experimente nicht ernsthaft in Erwägung gezogen worden wären, hätte die besondere, ästhetisch anziehende Form des Neurons nicht eine derart suggestive Wirkung entfaltet. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund, dass im Chaos neuronaler Strukturen, mit ihren schier unzähligen Verbindungen, Neurobiologen verloren sind, wenn es ihnen nicht gelingt, Ankerpunkte zu bestimmen, einzelne Formationen auszuwählen und durch Ausblendung Erkennung zu ermöglichen. Ein erster entscheidender Weg hierzu war die Sichtbarmachung einzelner Neurone durch Golgi und die nach ihm benannten Versilberungsmethode Ende des 19. Jahrhunderts, die dann von Ramón y Cajal meisterhaft eingesetzt wurde (Abb. 1). Damit wurde erstmals die ganze und in sich abgeschlossene Gestalt einer auf ihre Funktion hin ausgestalteten Zelle sichtbar.
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Ein nächster Schritt besteht seither darin, Neurone der gleichen Art darzustellen. Nun wird mit einem Blick erkennbar, welche Gestalteigenschaften einen Typus charakterisieren und worin die Unterschiede bestehen, die sich aus der präzisen Lage im Gehirn oder aus der evolutiven oder individuellen Geschichte des Gehirns insgesamt ergeben. Symmetrie
Symmetrie, als regelhafte Form oder als Abweichung davon, bestimmt zu einem wesentlichen Teil das ästhetische Urteilen. „[…] symmetry means something like well-proportioned, well balanced, and symmetry denotes that sort of concordance of several parts by which they integrate into a whole. Beauty is bound up with symmetry.“ 4 Sofern der Begriff der Symmetrie weiter gefasst wird und darunter nicht nur Spiegeloder geometrische Symmetrie verstanden werden, können beispielsweise auch die Mitglieder eines Typus als Spiegelbilder einer gemeinsamen (Ur-)Form, als Symmetrien zwischen Gestalten, angesehen werden. Lebende Systeme, mit ihrem Meer von stochastischen Schwankungen, von thermodynamischen Attacken auf die Ordnung, erweisen sich nur aus einer bestimmten Perspektive oder Betrachtungshöhe als wohlgeordnet und symmetrisch. Diese Beobachtbarkeit des Systems ist eine zentrale Frage der Neurobiologie: Welche Regeln gelten für die Bildung und den Erhalt einzelner beobachteter Strukturen, wo liegt das Programm für deren Entstehung und wie ist es gespeichert (genetisch oder/ und epigenetisch)? Symmetrische Formen (oder die Replizierung der gleichen Gestalt) verlangen weniger aufwändige Programme als die Generierung zuverlässiger, aber nicht-symmetrischer oder gänzlich neuer Formen. Im Nervensystem der Insekten werden in der Entwicklung häufig Neuronen symmetrisch angelegt und übernehmen zum Beispiel während des Larvenstadiums Koordinierungsaufgaben, die sich auf beide Seiten des Körpers beziehen. Wenn dann die Tiere sich zu fertigen Insekten entwickeln, bekommen die gleichen Neurone andere Aufgaben, die nun auf eine Körperseite beschränkt sind. Im Verlaufe dieser Neuanpassung verändern sie ihre Gestalt, und aus symmetrischen Neuronengestalten werden unsymmetrische; dieser Gestaltwechsel ist von der sensorischen Erfahrung des Tieres abhängig. Hans-Jochen Pflüger studiert die Gestalt und die Funktion solcher Neurone im Nervensystem von Heuschrecken (Abb. 4). Wird dafür gesorgt, dass das 4 Hermann Weyl: Symmetry, Princeton, NJ 1952.
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Tier auf der einen Seite seines Körpers eine andere Erfahrung macht als auf der anderen Seite, etwa indem die Sinneseingänge auf der einen Seite blockiert oder besonders stark stimuliert werden, so wird mit einem Blick deutlich, dass sich die symmetrischen Verzweigungen auf den beiden Seiten geändert haben.5 Die Beurteilung der Symmetrie hat also für den Experimentator unschätzbare Vorteile. Nicht nur, dass Gestaltveränderungen „mit einem Blick“ erfasst werden können, offensichtlich weil unser visuelles Wahrnehmungssystem so empfindlich für Abweichungen von der Spiegelsymmetrie ist, darüber hinaus besteht der Vorteil darin, dass im selben Tier ja für dasselbe Neuron Gestaltvergleiche durchgeführt werden, was aufwändige Kontrollexperimente zur Prüfung von unspezifischen Effekten überflüssig macht. Bildkritik
Der Gegenstand, sein Abbild und das Bild, das damit von dem Gegenstand entsteht, sind in den hier gewählten Beispielen eng aneinander gekoppelt. Dies ist als durchaus exemplarisch für die Arbeitsweise in der Neurowissenschaft anzusehen: Neuroanatomen erfahren Tag um Tag einen direkten Bezug zwischen den Abbildungen und den Gegenständen ihrer Forschung. Auch wenn das, was vom Gegenstand (Neuron) im Mikroskop zu sehen ist, von den Methoden seiner Darstellung abhängig ist, ändert sich seine Gestalt während der Betrachtung nicht, oder wenn sie sich ändert, besteht die Aufgabe darin, die Ursachen hierfür zu finden und methodische Artefakte aufzudecken. Die modernen Methoden der Histologie und der Mikroskopie erlauben die Bauteile des Gehirns so darzustellen, dass die ästhetischen Aspekte in besonders nachdrücklicher Weise angesprochen werden. Farben und 3-D-Darstellungen helfen, die Elemente besser von einander zu trennen und ihre räumlichen Bezüge für die individuelle Wahrnehmung angemessener darzustellen. Gerade weil eine Vielfalt von Methoden zum Einsatz kommt, schält sich der Gegenstand in seinen Abbildern zunehmend heraus – das „Bild“ des Neurons, das sich der Neuroanatom vom Gegenstand macht, wird vom einzelnen Abbild dadurch unabhängiger. Das ästhetische Moment ist nicht eine Komponente der Abbildung allein, sondern bezieht sich immer auch auf den Gegenstand. Das Erlebnis der „Schönheit“, wie am Beispiel von symmetrischen Strukturen vorgeführt, 5 Hans-Jochen Pflüger, Sibylle Hurdelbrink, Andre Czjzek, Malcolm Burrows: Activity Dependent Structural Dynamics of Insect Sensory Fibres. In: Journal of Neuroscience 14, 1994, S. 6946 – 6955.
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Abb. 4: Projektionsmuster einzelner Axone von Haarsinneszellen in der Halsregion der Heuschrecke Locusta. A zeigt, dass sich während der Entwicklung das Projektionsmuster von einer anfänglich symmetrischen Projektion auf beide Seiten des Bauchmarks (a) sukzessiv in eine auf eine Seite beschränkte Projektion (e) wandelt. B: Dieser Entwicklungsprozess ist davon abhängig, ob die Haarsinneszellen während der Entwicklung mechanisch gereizt werden. Werden die Haarsinneszellen auf einer Körperseite abrasiert, bleibt die Projektion symmetrisch. Dieses Phänomen der erfahrungsabhängigen Strukturplastizität ist besonders eindrucksvoll aufgrund der symmetrischen bzw. unsymmetrischen Struktur des betreffenden Neurons (Pflüger et. al. 1994).
bezieht sich daher nicht auf das Abbild, sondern auf den Gegenstand, vermittelt durch das Abbild. Bilder (im Sprachgebrauch des Autors „Abbilder“ 6) als Medium der Arbeitsweise der Naturwissenschaften werden als epistemische Instrumente verstanden. Damit wird dem Abbild die Funktion eines Ersatz-Gegenstandes zugesprochen. Es wird außerdem angenommen, dass es die ästhetischen Aspekte des Abbildes sind, die über eine neue und zusätzliche Methodik das Instrumentarium der Naturwissenschaften erweitern (von Edwards benannt als „the aesthetic method“).7 Beiden Positionen soll hier widersprochen werden. 6 Brains on Fire – Bilder in der Neurobiologie. Ein Gespräch der „Bildwelten des Wissens“ mit Randolf Menzel und David Poeppel. In: Bildwelten des Wissens 2.2, 2004: Instrumente des Sehens, S. 87 – 97. 7 David Edwards: Science in Culture: Paris gets a New Cultural Crucible. In: Nature 449, 2007, S. 789.
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Randolf Menzel
Eine naive Vermischung von Gegenstand und Abbild findet in den Neurowissenschaften nicht statt. Zu genau ist bekannt und zu oft wird expliziert, wie die angewandten Methoden das Abbild bestimmen. Ästhetik ersetzt daher keine Wissenschaft, wenn sie Teil des Erkenntnisprozesses ist. Es ist zweifellos richtig, dass „Wundern“ aus der Diskrepanz zwischen Beobachten und Erwarten entsteht, mit dem Abbild als Katalysator. Es mag darüber hinaus richtig sein, dass die intuitiven, nicht analytischen und frei assoziierenden ästhetischen Urteile im naturwissenschaftlichen Erkenntnisprozess unterbewertet werden; sie sind aber keineswegs eine Art dritte Methode neben Theorie und Experiment. Da der Gegenstand jedoch in immer wieder anderen Abbildungen erscheint, lassen sich seine von der Abbildung unabhängigen Eigenschaften im Wechselspiel mit diesen deutlicher herausarbeiten. Bilder generieren Beurteilungskriterien, die nicht primär den Phänomenen entstammen, sondern ihren Abbildungen. Auch diese morphologischen Eigenschaften werden der wissenschaftlichen Analyse in einem Prozess gemäß Abbildung 3 unterworfen. Die Naturwissenschaft hat für diesen Vorgang keine Begrifflichkeit, womöglich weil die damit assoziierte (nämlich künstlerische) Praxis als unwissenschaftlich betrachtet wird. Hypothesen auf der Grundlage ästhetischer Urteile sind streng genommen keine Kriterien in der Naturwissenschaft. Dennoch treiben sie den Erkenntnisprozess an, insbesondere wenn es um Entdeckungen über Bilder geht, da sie Fragen aufwerfen. Solche Fragen können, wie an den gewählten Beispielen gezeigt werden sollte, „Entdeckungen“ mit sich bringen, sofern sie ebenfalls den iterativen Prozess von Hypothese, Experiment, Daten und Modell durchlaufen. Sie führen zu einer Bildkritik, die auf die Praxis der naturwissenschaftlichen Experimentalsysteme antwortet.
David Poeppel
The Cartographic Imperative: Confusing Localization and Explanation in Human Brain Mapping Making maps has a long and respectable history in (obvious) disciplines such as geography and politics as well as in (less obvious) disciplines ranging from anthropology to zoology. Maps tell us where things are – whether in the cosmos, on the Earth, in the body, on strands of DNA, on an electronic circuit, and so on – and identifying the local position of something is, arguably, the principal function of a map. Beyond such a purely utilitarian perspective on ‘cartography’,1 it is undeniable that there is a significant aesthetic role that maps play. Moreover, historical analysis and diachronic comparison of maps reveals in a compelling and seemingly direct way how geography, politics, culture, map-making technique itself, and a wide variety of other phenomena were modified over time. In short, the rich contribution of map-based visualization across numerous intellectual domains is unquestionable. And the ubiquity of Google Maps in daily life illustrates the extent to which maps dominate how people navigate the world. The Localization / Explanation Fallacy
Another function, typically unexpressed and highly problematic, can be associated with maps, namely the idea that localization on a map amounts to explanation. This implicit role of maps is particularly salient in contemporary brain research. The aesthetically appealing and provocative juxtaposition of cartography and neurobiology is well exemplified by Figure 1. This piece discusses how brain mapping, in particular human brain mapping in the context of the cognitive neurosciences, has succeeded in generating useful (and occasionally even beautiful) neural maps, but has for the most part not succeeded in the quest for explanation of the brain basis of perception, emotion, cognition, and consciousness. The problem is an epistemological one. It appears that localization of psychological functions has become the epistemological driving force, and that brain images are assumed to constitute a privileged type of evidence that forms the basis for the explanation of mental life. In contrast, it is argued here that cartography is immensely useful but intensely limited vis-àvis the explanation of function. Since the late 1980s, the study of the human brain has become increasingly dominated by brain imaging, a group of techniques that generate pictures of neuronal activity. These machines permit researchers to visualize aspects 1 The terms “mapping” and “cartography” have taken on specific technical meanings in different disciplines that can be incongruent.
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of brain function in a noninvasive manner and with impressive spatial (millimeter) and temporal (millisecond) resolution. Concurrent with the impressive advances in engineering and statistical image processing has come the seductive possibility of generating images during practically any human activity. It is now commonplace in the professional and popular press to see brain images that are argued to demonstrate the neural basis of various psychological domains. Alleged areas of scientific inquiry such as neurotheolFig. 1: Cover of Neuron 56, October 2007, with a ‘cartographic brain’ by Sam Brown / unit seven. ogy (finding the “God spot”), neuroethics, neuroeconomics, and neuromarketing use imaging techniques to determine which parts of the brain are responsible for faith, fairness, or where the decision “Coke or Pepsi?” is executed. Even the discourse surrounding contemporary politics is penetrated by brain imaging, as recently exemplified by a particularly perverse example: an op-ed contribution to the New York Times (“This is your brain on politics”, November 11, 2007) by a group of researchers who used brain imaging data from purportedly undecided voters to evaluate how the 2008 US presidential election candidates affect viewers’ brain responses (fig. 2, cf. color plate 1). The neuronal activation patterns elicited by pictures of Clinton, Obama, McCain, Romney, and others were interpreted to show how undecided voters ‘really felt’ about these candidates. In summary, the possibility of generating Images of Mind (Posner and Raichle) by calculating images of brains is now a cultural constant.2 2 Michael I. Posner, Marcus Raichle: Images of Mind, New York, NY 1994.
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Fig. 2: „This is your brain on politics.“ Detail of an illustrated New York Times article, November 11, 2007 (cf. full page on color plate 1).
Nervous Tissues
The application of the cartographic imperative to the study of the neurobiological basis of human behavior has, to be sure, many positive as well as some negative consequences. One aspect of this type of research that should be viewed as positive (as a research strategy) is the complete adoption of the monistic and materialistic stance implicit in brain imaging. The central assumption motivating the studies is that the mind and its parts are instantiated in nervous tissue. Therefore, the images of neuronal activity that are generated are in fact images of the mind at work. To what extent this research strategy is successful remains to be seen. It must be said, however, that substantial progress is being made by assuming such an anti-dualist experimental philosophy. For example, there is no doubt that research has revealed a great deal about the brain basis of visual perception, the role of emotion in sensory processing, speech recognition, and so on. However, a more problematic, and presumably negative, consequence is the notion that localization on a map is a sufficient result, and to some extent that localization is explanation. This view, that localization amounts to explanation, is in fact never explicitly stated. However, the literature betrays a deep and unexpressed conviction that localization of function is a core goal. In other words, the cartographic imperative carries with it the implication that localization is epistemologically primary. For reasons of fairness, it should be pointed out that this is not at all an argument against localization – that would be incoherent, in part (sociologically) because
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researchers as well as clinicians do depend on these techniques in their work, and in part (logically) because topography is an important principle in brain organization. Nevertheless, it deserves more emphasis that functional localization is an intermediate goal, or the ‘homework problem’ that requires figuring out where things are, before scrutiny turns to the harder and deeper question of how things work. Why is it that the cognitive science and psychology research communities are so drawn to the availability of imaging and localization? The cognitive sciences are, presumably, in the business of determining the ‘parts list’ of the human mind, and in the business of figuring out how the parts interact to create human experience. However, the successes of experimental psychological approaches notwithstanding, the availability of neurobiological data seems to confer on that type of research the imprimatur of the hard sciences. That is to say, the prevailing stance is that it is nice to have data from ‘standard’ psychological methods that suggest how the human mind is organized (ratings, reaction times, introspection, etc.), but that such data lack the gravitas of the so-called hard sciences. Or, put in a slightly different context, what the imaging techniques add to psychological research is putative objectivity. Images generated by machines are, on that view, appropriately removed from what one might call ‘observer intervention’ (or what, when looking at art, has been termed “the beholder’s share” by the art historian Ernst H. Gombrich). The scientific apparatus underlying the brain image confers the status of objectivity. But, as has been discussed in a particularly compelling manner in Daston and Galison’s recent book Objectivity, the concept is deeply problematic.3 Daston and Galison illustrate that objectivity is neither a monolithic concept nor does it hold (in its original Kantian conception) for any aspect of the sciences. The fact of the matter is that there can be no objective image of the mind at work. Rather, every image reflects a range of theoretical predispositions, technical contingencies, experimental accidents, and observer presuppositions. In short, brain imaging, though a wonderful addition to the arsenal of methods to assess how the mind/brain is organized, can be no different in kind from other techniques. Imaging generates data, no more no less, and data are only usable and useful insofar as they have an interpretation in the context of a theory about how the mind is organized. 3 Lorraine Daston, Peter Galison: Objectivity, New York 2007 (dt.: Objektivität, Frankfurt a. M. 2007).
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Brain Imaging and its Successes
Non-invasive recording from the human brain has been reviewed extensively,4 so only a few principles will be highlighted. Non-invasive recording can be classified into two types of approaches, based on the origin of the physiological signals that are used to create the visualized data. Electromagnetic techniques, including electroencephalography (EEG) and magnetoencephalography (MEG), measure neuronal signals using electrodes or sophisticated superconducting detectors that are placed at or near the scalp. Intracranial electrical sources, i.e. populations of neurons, generate coherent activity that is sufficiently large to detect at the surface. These measurements are made with high temporal resolution (1 ms) but at the expense of spatial resolving power, which is estimated to be on the order of 1 cm. EEG and MEG are ideally suited to evaluate processing models or, more generally, the temporal evolution of some aspect of perception or cognition. The hemodynamic approaches, fMRI and PET (functional magnetic resonance imaging and positron emission tomography), are the image-generating techniques (tomography) that are widely reported, and whose colorful pictures have dominated the public perception of cognitive neuroscience. These techniques rely on the tight coupling between neuronal activity and blood flow, blood volume, and blood oxygenation. What is quantified to construct the images is the so-called hemodynamic response, the change of hemodynamic properties over time. This response develops over several seconds, which is much slower than perceptual or cognitive activity and which has necessitated special experimental designs and statistical procedures to be able to identify the localized activity changes. fMRI, in particular, has exquisite spatial resolution (better than 1 mm) at the cost of a somewhat worse temporal resolution (on the order of 1 s or more).5 While there is cause to critically appraise the interpretation of such images vis-àvis what they reflect about the neuronal basis of the mind, one must appreciate the genuine progress represented by these new tools. From an engineering point of view, it is remarkable that one can take pictures of internal tissue from the outside with a resolving power of 1 mm or better. In addition, it is worth noting that techniques such as fMRI and PET are critically important to advances in clinical work, including diagnosis and treatment. Jointly, the hemodynamic and 4 E.g., Scott A. Huettel, Allen W. Song, Gregory McCarthy: Functional Magnetic Resonance Imaging, Sunderland, MA 2004. 5 Cf. the “Projektvorstellung” by Petra Ritter et al. at the end of this volume.
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the electromagnetic techniques constitute powerful new methods to investigate the brain. And to clarify further, the critical perspective taken here applies largely to the hemodynamic techniques fMRI and PET.6 But it should go without saying that the central issue of concern – to what extent a devotion to functional localization in images is a sufficient research strategy to understand the human mind – is not driven by technology-centered considerations but rather applies to how neuronal activity and its role in cognition are interpreted. Neuroanatomy: Conceiving the Brain Pictorially
Beyond the mere existence of these exciting technological advances that allow the visualization of brain activity, are there other reasons for being attracted to the idea of imaging and functional localization? There are two plausible reasons why researchers might feel compelled to conceptualize the brain basis of human behavior pictorially. One motivation derives from relevant historical precedents; a more important factor concerns the fact that for several domains, spatial representation is in fact considered as correct. Historically speaking, the hypothesis advanced by Franz Joseph Gall, that there are elementary psychological faculties, or more colloquially that the mind has a ‘parts list’, constitutes an essential predecessor to current work. Unfortunately, Gall’s bad idea (phrenology) has overshadowed Gall’s good idea (organology); nevertheless, the notion that the mind can be subdivided into psychological primitives that occupy special places in the brain has endured in contemporary cognitive science and must be viewed as one of the most important insights underlying current research on the mind/brain. Subsequent to Gall’s organological and phrenological hypotheses, the empirical demonstrations of functional localization by Broca (1861) and Wernicke (1874), as well as the data on Phineas Gage and his damaged frontal lobe, underscored that mental function appeared to be mediated by localized neuronal tissue. These 19th century precedents formed the basis for a rich research program in the 20th century for seeking out the functional neuroanatomy of various faculties. 6 For an energetic and quite aggressive debate on this in the context of imaging language processing, see David Poeppel: A Critical Review of PET Studies of Phonological Processing. In: Brain and Language 55 (3), 1996, pp. 317 – 351, and the responses in Jean-François Démonet, Julie A. Fiez, Eraldo Paulesu, Steven E. Petersen, Robert J. Zatorre: PET Studies of Phonological Processing: A Critical Reply to Poeppel. In: Idem, pp. 352 – 379.
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Complementing this historical perspective, the concept of spatial functional organization must be taken seriously because it is appropriate for several perceptual functions and their neuronal instantiation. Specifically, the brain representation of visual perception is organized in a so-called ‘retinotopic’ fashion. That is, spatially adjacent visual representations in the distal and proximal stimulus are mapped to spatially adjacent neuronal locations in many brain areas associated with vision. (At the moment, research in non-human primates and humans suggests that there are 35 – 50 cortical areas that mediate visual perception.) Much like the visual system, the auditory system also uses a topographic organizational principle: along areas of the auditory pathway from the periphery to the cortex, sounds are mapped in a ‘tonotopic’ or ‘cochleotopic’ manner. That is, acoustic frequencies are represented in a systematic spatial array, again showing that spatial mapping is an important organizational principle and presumably aids in the computation of sound representation. As a final example, consider the representation of the body surface: there, the principle of somatotopic mapping holds, which means that the body’s surface is mapped in an orderly, topographic way in those parts of the brain representing somatosensory perception and motor action, the sensorimotor homunculus. In summary, the principle of topographic organization and mapping holds true for the sensory domains. If topographic representation (in other words, localization as an explanatory organizing principle) is correct for many domains of perception, it stands to reason that one can extend this idea to the brain representation of cognition. The question thus becomes: are cognitive domains (language, memory, attention) also mapped spatially in a manner that renders localization an explanatory principle? Computation and Cognition
The presupposition that spatial mapping can be used to investigate the basis of cognitive processes for which there exists no obvious topographical principle is simply too optimistic. For example, is it reasonable to expect the days of the week or the months of the year or the first set of integers on the number line to be represented in the brain on a line, or in a circle? Hardly. Cognition, or more generally thought, as conceived in the cognitive sciences, is a species of computation. And to understand and attempt to explain thought as computation, spatial localization is not very helpful.
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Admittedly, the idea of explanation is itself complex, and this discussion here is not meant to imply that explanation has a simple account. But, regardless of the normative notion one subscribes to, understanding, say, addition or subtraction between the variables x and y is not aided by knowing that “x lives here” and “y lives there” – the putative spatial code adds little, if anything, to understanding the computational primitives and their role. Figure 3 provides an example from the author’s own work that documents the tension between functional localization and functional decomposition.7 For 150 years, ideas about the brain basis of speech and language have been dominated by the findings that originated with Broca and Wernicke. But it is now widely accepted that the ‘classical model’ is dramatically underspecified, both from a neurobiological and a linguistic point of view. Recent research has focused on the construction of brain-based models more sensitized to the detailed psychological structure of the cognitive domain and the biological infrastructure. The top half of the figure shows that the process of speech perception alone (a sub-part of language comprehension) is in its own right complicated. The bottom part of the figure highlights the hypothesized cortical substrate associated with each of these computational subroutines. To understand speech perception proper, which part is more helpful, the functional decomposition, or the attribution of parts to brain areas? Clearly the cognitive psychological and computational analysis provides the more relevant information, yet the research goal appears to be models that map seamlessly onto pictures of the brain. In addition to the ‘localization = explanation’ hypothesis, why is it asserted that brain mapping with a focus on localization seems to have epistemological priority? Current rhetoric in the field suggests that the alternative approaches are insufficient when used alone. For instance, cognitive psychology has been very successful in developing models of human behavior; the ‘boxological’ models typical of that discipline are actually valuable mechanistic deconstructions of human psychology. Similarly, electrophysiological approaches (EEG and MEG) provide critical insights into the online construction of the human experience. Yet both of these scientific approaches are argued to be best when combined with imaging. (A good example of this requirement is provided in grant reviews, which now regularly ask psychological studies to add data from neuroimaging 7 Gregory Hickok, David Poeppel: The Cortical Organization of Speech Perception. In: Nature Reviews Neuroscience 8, 2007, pp. 393 – 402.
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Fig. 3: The dual-stream model of the functional anatomy of language. (a) Schematic diagram of the dual-stream model. (b) Approximate anatomical locations of the dual-stream model components (after Hickok and Poeppel 2007, p. 395).
techniques.) It is fair to say that in the current research climate, a research project on cognitive psychology is judged to be more fundable – or more likely to be on the right track – when the cognitive psychological experiments are combined with (and therefore ‘verified’ by) imaging data. By analogy, experiments using electrophysiological approaches are often required to provide localization data for the responses they measure and quantify. In other words, alternative research methods are being coerced to incorporate functional localization and spatial mapping despite the fact that those data are unlikely to provide explanatory mechanisms for the questions under investigation. Again it must be asked why both researchers and consumers of this literature feel so strongly compelled to turn to imaging data. A fascinating demonstra-
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tion of this position is provided by Weisberg et al.,8 who studied how naïve subjects judged psychological explanations that either did or did not refer to neurobiological data. Amazingly, explanations were deemed to be ‘better’ Fig. 4: “The World as a Fool’s Cap”. Anonymous colored etching, ca. 1600. when they incorporated even 35.6 x 48 cm. Nuremberg, Germanisches Nationalmuseum. entirely irrelevant neurobiological data. ‘Neurobiologism’ of this type thus reflects insecurity about the explanatory force of alternative approaches. As practitioners of brain imaging, are we on a fool’s errand? Is the cartographic analysis of the mind/brain, as depicted in Figure 4 (cf. color plate 2), a futile exercise? Given the fact that functional localization is often correct (even if often overextended), and given the fact that the kinds of phenomena that we would like to understand and explain (e.g., perception, cognition) are a species of computation, how might we proceed in this research program? It will be necessary to reconcile localization and computation. In order to arrive at explanatory models of brain function that achieve this reconciliation, a shift in perspective will be necessary, perhaps even in the strong sense of conceptual change.9 Specifically, it will be essential to deal with the appropriate granularity of analysis of mental functions (decomposition into primitives) and the right biological alphabet.10 Both cognitive science and neuroscience may have to adapt their ontological commitments to accommodate the changed perspective offered by the cognitive 8 Deena Skolnick Weisberg, Frank C. Keil, Joshua Goodstein, Elizabeth Rawson, Jeremy R. Gray: The Seductive Allure of Neuroscience Explanations. In: Journal of Cognitive Neuroscience, Nov. 2007 (E-pub ahead of print, PubMed ID 18004955). 9 Thomas S. Kuhn: The Structure of Scientific Revolutions, Chicago, IL, 1962; Susan Carey, Elizabeth S. Spelke: Domain Specific Knowledge and Conceptual Change. In: Lawrence A. Hirschfeld, Susan A. Gelman (ed.): Mapping the Mind: Domain Specificity in Cognition and Culture, Cambridge 1994, pp. 169 – 200. 10 See David Poeppel, David Embick: Defining the Relation between Linguistics and Neuroscience. In: Anne Cutler (ed.): Twenty-first Century Psycholinguistics: Four Cornerstones, Mahwah, NJ 2005, pp. 103 –118, for a discussion of this issue for neurolinguistics.
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neurosciences. I advocate a shift from Gall’s intuitive psychological organology towards a neurobiologically grounded computational organology, which includes resuscitating the ‘good’ parts of Gall (the organology). The neural maps and probabilistic atlases constructed will make references to the computational primitives the coordinated combination of which lies at the basis of the psychological faculties we desire to understand. The image itself will only help insofar as it connects to theoretically grounded models of human behavior. As my colleague David Embick points out, “A picture is worth a thousand words – except if those thousand words contain a detailed theory of the domain in question.” And as another Poeppel (German neuroscientist Ernst Pöppel) suggested to the author recently, “A word is worth a thousand pictures.” An image by itself, just as a word by itself, is not enough to provide the infrastructure for explanation. Brain imaging is a wonderful new approach and will lead us to a variety of important insights about how the brain instantiates psychological functions, but it is a fact of the matter that as it is used now, driven by the cartographic imperative, brain imaging is often epistemologically flawed.
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Neuroimaging und Visionen. Zur Erforschung des Halluzinogenrauschs seit der „Dekade des Gehirns“ Die Wiederkehr der Halluzinogenforschung
Das Gehirn gilt als „Ort der Bilder“.1 Es empfängt visuelle Eindrücke von außen und macht sich daraus ein Bild der umgebenden Welt. In der Erinnerung, der Fantasie, dem Traum, der Vision generiert es aber auch Bilder aus eigenem Antrieb, die dann vor einem „inneren Auge“ erscheinen oder, etwa in der Halluzination, in die Welt hinaus projiziert werden. Die durch die halluzinogene Droge Meskalin erzeugten Visionen wurden in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts von dem amerikanischen Psychologen Heinrich Klüver erforscht, der eine Reihe immer wieder gesehener, geometrischer Muster, sogenannte Formkonstanten, identifizierte. Obwohl er von deren Gleichförmigkeit auf ein neuronales Substrat schloss, ging es ihm in erster Linie um eine phänomenologische Darstellung der allgemeinen Struktur von Halluzinationen (Abb. 1).2 Heute wird die funktionale Architektur des Gehirns, das im Halluzinogenrausch innere Bilder produziert, durch Neuroimaging-Technologien selbst ins Bild gesetzt. Diese Forschungspraxis wurde vom Verfasser im Rahmen einer ethnografischen Studie zur Renaissance der Halluzinogenforschung seit der „Dekade des Gehirns“ untersucht.3 Dass psychedelische Drogen wie Meskalin, LSD und das aus den „Zauberpilzen“ isolierte Psilocybin nach den Exzessen der sechziger Jahre wissenschaftlich wieder hoffähig geworden sind, liegt nicht zuletzt daran, dass eine neue Forschergeneration es verstanden hat, ihr Interesse an diesen bewusstseinsverändernden Substanzen an den Aufschwung der kognitiven Neurowissenschaften in den neunziger Jahren zu knüpfen. Die große öffentliche Aufmerksamkeit, die die Hirnforschung in den letzten zwanzig Jahren auf sich gezogen hat, lässt sich maßgeblich auf Entwicklungen im Bereich der funktionellen Bildgebung zurückführen. Zwar erlaubte bereits die Einführung des Elektro1 Hans Belting: Bild-Anthropologie. Entwürfe für eine Bildwissenschaft, München 2001. 2 Heinrich Klüver: Mescal and Mechanisms of Hallucination, Chicago 1966. Vgl. auch Michael Becourt: A Taxonomy of Abstract Form Using Studies of Synesthesia and Hallucination. In: Leonardo 40, Nr. 1, 2007. In jüngster Zeit wurden diese Forschungen wieder aufgenommen von Paul Bressloff, Jack Cowan, Martin Golubitsky, Peter Thomas und Matthew Wiener: Geometric visual hallucinations, Euclidean symmetry and the functional architecture of the striate cortex. In: Philosophical Transactions of the Royal Society 356, Nr. 1407, 2001, S. 299 – 339. 3 Nicolas Langlitz: Neuropsychedelia. The Revival of Hallucinogen Research since the Decade of the Brain (Dissertation, University of California, Berkeley), Berkeley, CA 2007. Der Ausdruck „Dekade des Gehirns“ wurde geprägt von US-Präsident George H. W. Bush: Presidential Proclamation 6158 (1990), http://www.loc.gov/loc/brain/proclaim.html (Stand 07/2008).
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enzephalogramms (EEG) 1929, den „Geist bei der Arbeit“ zu beobachten, während seit den sechziger Jahren die Computertomografie (CT) hochaufgelöste anatomische Darstellungen des Gehirns zu liefern vermochte.4 Doch erst die Positronen-Emissions-Tomografie (PET) ermöglichte es in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, physiologische Prozesse (etwa regionaler Blutfluss oder Glukoseverstoffwechslung) anatomisch zu lokalisieren und ihre Topografie mit mentalen Vorgängen in Beziehung zu setzen. Anders als die abstrakten Kurven des EEG und die statischen Schwarz-Weiß-Bilder des CT eigneten sich die dabei entstehenden bunten, scheinbar intuitiv zugänglichen Hirnbilder ganz besonders für populärwissenschaftliche Darstellungen, wissenschaftsjournalistische Berichte und Forschungsförderanträge. Diesem Trend folgte auch der Schweizer Psychiater Abb. 1. Klüver’sche Formkonstanten: von LSD hervorgerufene, trichter- und spiralFranz Vollenweider, als er sich in den frühen neunzi- förmige Halluzinationen (nach Oster 1970). ger Jahren mit einer PET-Untersuchung der Effekte von Psilocybin und Ketamin auf die Gehirne gesunder Probanden einen Namen machte. Die Bildgebung zeigte, dass beide Halluzinogene – trotz ihrer ganz verschiedenen pharmakologischen Wirkungsmechanismen – eine Zunahme der Stoffwechselaktivität im Stirnhirn bewirkten, die mit dem Grad der im Drogenrausch erlebten Ich-Auflösung korrelierte (Abb. 2).5 Ein ähnliches metabolisches Muster war zuvor bereits auf PET-Bildern akut schizophrener Patienten beobachtet worden. So trug Vollenweiders Studie dazu bei, den Gebrauch von 4 Cornelius Borck: Hirnströme. Eine Kulturgeschichte der Elektroenzephalographie, Göttingen 2005; Michael Hagner: Der Geist bei der Arbeit. Überlegungen zur visuellen Präsentation cerebraler Prozesse. In Cornelius Borck (Hg.): Anatomien medizinischen Wissens. Medizin. Macht. Moleküle, Frankfurt a. M. 1996, S. 259 – 286. 5 Franz Vollenweider, K. Leenders, Christian Scharfetter, A. Antonini, P. Maguire, J. Missimer und Jules Angst: Metabolic hyperfrontality and psychopathology in the ketamine model of psychosis using positron emission tomography (PET) and [18F]fluorodeoxyglucose (FDG). In: European Neuropsychopharmacology 7, Nr. 1, 1997, S. 9 – 24; Franz Vollenweider, K. Leenders, Christian Scharfetter, P. Maguire, O. Stadelmann und Jules Angst: Positron emission tomography and fluorodeoxyglucose studies of metabolic hyperfrontality and psychopathology in the psilocybin model of psychosis. In: Neuropsychopharmacology 16, Nr. 5, 1997, S. 357 – 372.
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Halluzinogenen zur Modellierung von Psychosen in der psychiatrischen Forschung wiederzubeleben und zugleich entsprechende Bilder in Umlauf zu bringen.6 Im Zuge einer diesem Abb. 2: Zwei [18F]-FDG-PET-Darstellungen zur Wirkung des Halluzinogens Aufsatz zugrunde liegenPsilocybin, links zu Beginn der Untersuchung, rechts nach Zunahme der Stoffwechselaktivität im Stirnhirn. den wissenschaftsanthropologischen Studie über Vollenweiders Zürcher Labor Neuropsychopharmacology and Brain Imaging in den Jahren 2005 und 2006 fallen mehrere Punkte auf, in denen der dort praktizierte Ansatz von in der Wissenschaftsforschung maßgeblichen Darstellungen der funktionellen Bildgebung abweicht. Dabei erhellt dieser besondere Fall der Suche nach den neuronalen Korrelaten des im Drogenrausch erlebten kaleidoskopischen Stroms von Affekten, Gedanken und inneren Bildern die regionale Epistemologie der neurowissenschaftlichen Bewusstseinsforschung. Neuroimaging und Introspektion
Im freien Protokoll beschrieb ein Proband des Vollenweider-Labors nach Versuchsende, wie er eine Messung im PET-Scanner unter Einfluss des Halluzinogens Psilocybin erlebt hatte: „Am Anfang des Trips hatte ich auf einmal das Bedürfnis, mich im Labor hinzulegen. Da begann die optische ‚Verzerrung‘. Ich sah zuerst, dass manche Strukturen sich bewegten und andere Farben und Formen annahmen. Von der Liege aus schaute ich auf das Waschbecken und die Seifenpackung an der Wand. Plötzlich sahen sie aus wie gemalt – wie wenn man über ein Bild einen Filter legt, der es wie ein Ölgemälde erscheinen lässt. Vor dem Scan ging ich noch einmal auf die Toilette, wo ich mich jedoch nicht mehr zurecht fand. Alle Proportionen waren falsch: das WC schien riesig, meine Hände zu groß, die Arme zu lang. Auch die ersten Minuten des Scans waren komisch. Als ich den Versuchsleiter aus dem Augenwinkel bemerkte, sah er aus wie eine Ratte, die 6 Nicolas Langlitz: Ceci n’est pas une psychose. Toward a Historical Epistemology of Model Psychosis. In: BioSocieties 1, 2006, S. 158 –180.
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Assistentin hatte eine zombiehafte Fratze. Sobald ich die Augen schloss, veränderte sich meine Wahrnehmung abrupt und total. Dann glitt ich durch skurrile geometrische Räumen, zumeist kubisch und intensiv rot gefärbt. Dabei hatte ich ein enorm weites Blickfeld von bis zu 270º, an dessen Rändern ich flüsternde menschliche Gestalten wahrnahm. Die Fragebögen konnte ich später nur mit knapper Not ausfüllen. Die Antworten schienen mir nicht passend oder zu wenig differenziert. Zum Teil verstand ich die Fragen auch nicht. Faszinierend dabei war jedoch, dass ich mindestens die Hälfte aller Fragen auf einer Seite gleichzeitig lesen konnte.“ 7 Die Beschreibung vermittelt ein plastisches Bild von dem reichen, mitunter grotesken ästhetischen Erleben im Halluzinogenrausch. Während dessen neuronale Korrelate durch PET aufgezeichnet werden, soll die Testperson ihre inneren Erfahrungen durch das Ausfüllen einer Vielzahl von Fragebögen zu Protokoll geben. Eines der wichtigsten Instrumente ist dabei der von dem deutschen Psychologen Adolf Dittrich in der Schweiz entwickelte 5D-ABZ-Fragebogen, der drei Dimensionen veränderter Wachbewusstseinszustände konstruiert: die in Anlehnung an Freud als „ozeanische Selbstentgrenzung“ (OSE) bezeichnete Ekstase, deren von bad trips bekannte Kehrseite, die „angstvolle Ichauflösung“ (AIA) sowie die „visionäre Umstrukturierung“ (VUS), die optisch-halluzinatorische Phänomene erfasst.8 Oder frei nach Aldous Huxley: Himmel, Hölle und Visionen als Achsen der psychedelischen Erfahrung.9 Die Funktionsweise des 5D-ABZ soll anhand der dritten Dimension, der VUS, illustriert werden. Sie umfasst Äußerungen wie: „Ich konnte Bilder aus der Erinnerung oder aus der Phantasie überaus deutlich sehen.“ / „Ich sah in völliger Dunkelheit oder mit geschlossenen Augen regelmäßige Muster.“ / „Formen schienen sich durch Töne oder Geräusche zu verändern.“ / „Ich erlebte alles beängstigend verzerrt.“ Solche Aussagen soll der Proband durch einen Strich auf einer Skala von 1 („Nein, nicht mehr als gewöhnlich“) bis 10 („Ja, sehr viel mehr als gewöhnlich“) bewerten. Dadurch wird die unter Drogen massiv veränderte Qualität des Erlebens in Zahlen übersetzt. 7 Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Studienleiter Boris Quednow und Felix Hasler. 8 Adolf Dittrich: Ätiologie-unabhängige Strukturen veränderter Wachbewußtseinszustände. Ergebnisse empirischer Untersuchungen über Halluzinogene I. und II. Ordnung, sensorische Deprivation, hypnagoge Zustände, hypnotische Verfahren sowie Reizüberflutung, Stuttgart 1985. 9 Aldous Huxley: Die Pforten der Wahrnehmung. Himmel und Hölle. Erfahrungen mit Drogen, München 1981.
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Das Ausfüllen derartiger Fragebögen ist nicht dem Schreiben ausführlicher Erfahrungsberichte gleichzusetzen.10 Dem zitierten Probanden scheinen die vorgegebenen Antworten die eigene Erfahrung nicht adäquat zu repräsentieren, und es bleibt unklar, vor welchem Erfahrungshintergrund die einzelne Versuchsperson die Ungewöhnlichkeit ihres Drogenerlebnisses bewertet.11 Doch im Gegensatz zu dem zitierten freien Bericht, der in der systematischen Auswertung der Studie keine Rolle spielt, ist diese standardisierte und quantifizierte Form von Introspektion mit den numerischen Daten des PET kompatibel (siehe den Auszug in Abbildung 3). An dieser Stelle ist ein weit verbreitetes Missverständnis bezüglich der sogenannten funktionalen Bildgebung auszuräumen: Es geht – trotz der Bezeichnung als „Bildgebung“ oder „Imaging“ – in dieser wissenschaftlichen Praxis nicht in erster Linie um die dabei entstehenden Bilder als solche. Die vermeintliche „Ikonophilie“ der kognitiven Neurowissenschaften12 ist vielmehr eine Ikonophilie des Wissenschaftsjournalismus und populärwissenschaftlicher Darstellungen, welche die Neuroimaging-Bilder aufgreifen, deren Konstruktion und wissenschaftliche Verwendung sie jedoch unhinterfragt lassen. In ihrem Artikel Images Are Not the (Only) Truth hat die kanadische Wissenschaftsforscherin Anne Beaulieu festgestellt, „dass für die Forscher diese Bilder, so sie Bilder von irgend etwas sind, Bilder von Zahlen sind“. Von Bildern wird also nur in einem präzisierten Sinne gesprochen. „Die Fülle von Repräsentationen in neurowissenschaftlichen Kontexten, die den Neuling überwältigen, steht im Widerspruch zur Auffassung der Forscher, dass ihre Arbeit darin besteht, Messungen am Hirn vorzunehmen, nicht Bilder davon zu machen.“13 Auch in Vollenweiders zitierter PET-Studie zu bewusstseinsverändernden Effekten von 10 Im Rahmen der phänomenologischen Psychiatrie der zwanziger Jahre hatte beispielsweise Kurt Beringer solche Erfahrungsberichte zur Grundlage seiner Studie über den Meskalinrausch gemacht. Kurt Beringer: Der Meskalinrausch. Seine Geschichte und Erscheinungsweise, Berlin 1927. 11 Eine umfassende kritische Auseinandersetzung mit psychologischen Fragebögen im Allgemeinen findet sich bei Fritz Strack und Norbert Schwarz: Asking Questions: Measurement in the Social Sciences. In: Mitchell Ash, Thomas Sturm (Hg.): Psychology’s Territories. Historical and Contemporary Perspectives from Different Disciplines, Mahwah NJ 2007, S. 225 – 250. 12 Michael Hagner (s. Anm. 4), S. 219. 13 Anne Beaulieu: Images Are Not the (Only) Truth: Brain Mapping, Visual Knowledge, and Iconoclasm. In: Science,Technology, & Human Values 27, Nr. 1, 2002, S. 53 – 86, S. 59 f. (Übersetzung: NL). Vgl. auch Kelly Joyce: Appealing Images. Magnetic Resonance Imaging and the Production of Authoritative Knowledge. In: Social Studies of Science 35, Nr. 3, 2005, S. 437 – 462.
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Ich erlebte alles unklar, wie in einer Art Nebel NEIN, nicht mehr | als gewöhnlich
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| JA, sehr viel mehr
Eine Stimme kommentierte alles, was ich dachte, obwohl niemand da war. NEIN, nicht mehr als gewöhnlich
|
als gewöhnlich
| JA, sehr viel mehr als gewöhnlich
26. Ich fühlte mich körperlos. Psilocybin und Ketamin NEIN, nicht mehr | | JA, sehr viel mehr als gewöhnlich als gewöhnlich zeigt sich, dass es darin 27. Ich war unfähig, auch nur die kleinste Entscheidung zu treffen. in erster Linie um | JA, sehr viel mehr NEIN, nicht mehr | als gewöhnlich als gewöhnlich eine Korrelation von 28. Manche Nebensächlichkeiten hatten eine besondere Bedeutung Zahlen geht: „Um die NEIN, nicht mehr | | JA, sehr viel mehr als gewöhnlich als gewöhnlich Beziehung zwischen 29. Ich fühlte mich dösig. Psilocybin-induzierten NEIN, nicht mehr | | JA, sehr viel mehr psychologischen Reakals gewöhnlich als gewöhnlich tionen und metabolischen Veränderungen Abb. 3: Auszug aus dem „Fragebogen zur Erfassung Aussergewöhnlicher (nach Dittrich, Lamparter und Maurer: 5D-ABZ. Fragebozu erforschen, wurden Bewusstseinszustände“ gen zur Erfassung Aussergewöhnlicher Bewusstseinszustände, Zürich 1999). die Ergebnisse der [Fragebögen] ABZ, AMDP und EPI für halluzinatorische Störungen, Ich- und Denkstörungen mit Veränderungen absoluter Glukosemetabolismusraten und metabolischer Verhältnisse [zwischen verschiedenen Hirnregionen] korreliert.“14 Im Forschungsprozess helfen die Bilder, aus der unüberschaubaren Menge von Messwerten jene herauszugreifen, die sich auf anatomisch signifikante Stellen beziehen, um diese Werte dann zu psychometrischen Befunden in Beziehung setzen zu können – doch dies geschieht in Tabellen, nicht in Bildern (Abb. 4).15 Vollenweiders Korrelation zwischen PET-Messungen und Fragebogenpsychologie zeigt darüber hinaus, dass subjektive Bedeutung und Introspektion nicht in jedem Fall durch Neuroimaging marginalisiert werden.16 Überhaupt ist das in Hirnforschung und Psychologie lange Zeit verbreitete Misstrauen gegenüber dem Blick nach innen als wissenschaftlicher Methode keine Folge der großen Popularität, welche die funktionelle Bildgebung seit den neunziger Jahren erlangt hat. Nachdem die Selbstbeobachtung Ende des neunzehnten Jahrhunderts zu einem zentralen Bestandteil der damals im Entstehen begriffenen experimentellen Psychologie avanciert war, ist es der Siegeszug des Behaviorismus gewesen,
14 Vollenweider: Positron emission tomography (s. Anm.5), S. 365 (Übersetzung: NL). 15 Damit soll nicht gesagt sein, dass es sich bei den PET-Bildern um reine Illustrationen handelt. Sie generieren ihre eigenen Bedeutungen, insbesondere in der populärwissenschaftlichen Rezeption. So nähren sie häufig die Vorstellung, im Gehirn gäbe es allerlei Zentren für bestimmte mentale Funktionen oder Charaktereigenschaften. In der wissenschaftlichen Arbeit der Vollenweider-Gruppe spielte dieses enge Verständnis des Lokalisierungsgedankens jedoch keine Rolle. 16 Vgl. Hagner: Der Geist (s. Anm. 4), S. 193.
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der sie bald darauf ins Abseits gedrängt hatte.17 Die black box mentaler Prozesse wurde erst in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts wieder geöffnet, als Abb. 4: Tabelle aus der Studie Vollenweiders et al. 1997. die Kybernetik in die Hirnforschung Einzug hielt. Seit die daraus hervorgegangenen kognitiven Neurowissenschaften sich verstärkt der funktionellen Bildgebung bedienen, ist es geradezu zu einer Renaissance der Introspektion gekommen. Die Erforschung der neuronalen Korrelate von Bewusstsein und anderer subjektiv erfahrener, geistiger Ereignisse und Vorgänge (etwa mystische Erfahrungen, Liebe, Angst oder Aggression) setzt voraus, dass die mit den Instrumenten der Neurowissenschaften untersuchten Testpersonen über ihr Erleben Auskunft geben. Anders ließe sich gar nicht sagen, wovon die auf den Hirnbildern dargestellten neuronalen Korrelate denn überhaupt Korrelate sein sollen. Nach fünf Jahrzehnten behavioristischer Hegemonie und der damit einhergehenden Tabuisierung von Bewusstsein hat das Neuroimaging zu einer Rehabilitation der Introspektion als Königsweg zur bewussten Erfahrung geführt.18 Der aktuelle, von Neuroimaging-Technologien maßgeblich geprägte Wandel des Verständnisses von Gehirn und Geist läuft nicht einfach auf eine Zerebralisierung des Subjekts hinaus, sondern impliziert auch eine Subjektivierung des Gehirns. 17 Bernard Baars: The Double Life of B.F. Skinner. Inner Conflict, Dissociation and the Scientific Taboo against Consciousness. In: Journal of Consciousness Studies 10, Nr. 1, 2003, S. 5 – 25; Paul Ziche: Das Selbstbild des Denkens. Introspektion als psychologische Methode. In: Olaf Breidbach, Karl Clausberg (Hg.): Video Ergo Sum. Repräsentation nach innen und außen zwischen Kunst und Neurowissenschaft, Hamburg 1999, S. 82 – 98. 18 Bernard Baars: How Brain Reveals Mind. Neural Studies Support the Fundamental Role of Conscious Experience. In: Journal of Consciousness Studies 10, Nr. 9 –10, 2003, S. 100 –114; Anthony Jack, Andreas Roepstorff: Why Trust the Subject? In: Journal of Consciousness Studies 10, Nr. 9 –10, 2003, S. V – XX; Andreas Roepstorff: A Double Dissociation in Twentieth Century Psychology? A commentary on Bernard Baars: The Double Life of B.F. Skinner. In: Journal of Consciousness Studies 10, Nr. 1, 2003, S. 62 – 67.
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PET jenseits der Cyberphrenologie
Dass „Geistigem“ (wenn davon unter den gegebenen Umständen überhaupt noch gesprochen werden kann) ein Sitz im Gehirn zugeschrieben wird, ist nicht neu. In seinem Buch Homo cerebralis beschreibt Michael Hagner den um 1800 erfolgten Wandel der Vorstellung vom Gehirn: War es bis dahin das Organ einer unteilbaren Seele gewesen, so erscheint es in seiner modernen Gestalt als dezentral organisierter Komplex räumlich getrennt voneinander lokalisierter, aber miteinander in Wechselwirkung stehender geistiger Eigenschaften und Funktionen.19 Hagner zufolge beginnt die Geschichte funktioneller Hirnbilder mit Franz-Joseph Galls Phrenologie, die Charakterzüge wie Stolz, Gewissenhaftigkeit oder Frömmigkeit auf bestimmte Regionen des Schädels oder des darunter liegenden Hirns abbildete (Abb. 5).20 Wie der Psychologe William Uttal und der Kulturanthropologe Joseph Dumit hat Hagner daraus den Schluss gezogen, es handle sich bei der Lokalisierung mentaler Funktionen im Gehirn mit Hilfe von Neuroimaging-Technologien um eine „neue Phrenologie“ oder „Cyberphrenologie“.21 Durch die Hintertür der zeitgenössischen Neurowissenschaften soll hier die typologische Klassifikation von Individuen, die das organizistische Denken des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts geprägt hatte, wiedereingeführt worden sein. Ein Blick auf Vollenweiders Erforschung drogeninduzierter Bewusstseinsveränderungen eröffnet jedoch eine andere Perspektive. Was hier mit PET-Scanner und psychologischen Fragebögen untersucht wird, sind flüchtige geistige Zustände und keine beständigen Charaktereigenschaften. Anstatt aufgrund bestimmter neuronaler Eigentümlichkeiten in eine Schublade gesteckt zu werden, zerfällt das zerebrale Subjekt in eine Abfolge ephemerer mentaler Phänomene. Diese zeigen sich nicht im inter- sondern im intraindividuellen Vergleich. Das Leben des Gehirns manifestiert sich in der Subtraktion einer PET-Messung von der anderen, während das geistige Leben als quantitative Differenz zwischen zwei Fragebogen-Skalen erscheint.22 Die tatsächlich statthabenden biolo19 Michael Hagner: Homo cerebralis. Der Wandel vom Seelenorgan zum Gehirn, Frankfurt a. M. 2000. 20 Hagner: Der Geist (s. Anm. 4), S. 170 –179. 21 Joseph Dumit: Picturing Personhood: Brain Scans and Biomedical Identity, Princeton, NJ 2004, S. 23; Hagner: Der Geist (s. Anm. 4), S. 219 – 222; William Uttal: The New Phrenology. The Limits of Localizing Cognitive Processes in the Brain, Cambridge, MA 2001. 22 Simon Cohn: Increasing resolution, intensifying ambiguity: an ethnographic account of seeing life in brain scans. In: Economy and Society 33, 1, 2004, S. 52 – 76, hier 68.
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Abb. 2: Einteilung des Schädels nach Gall (Sammlungen der Medizinischen Universität Wien, Sign. 274 a).
gischen und mentalen Prozesse zwischen diesen Momentaufnahmen bleiben im Verborgenen. Mag dieser Blick auf den Menschen auch noch so reduktionistisch und unbefriedigend sein, so begreift er ihn doch als lebendigen, das heißt in ständigem Wandel begriffenen Organismus. Dabei ist Vollenweiders Ansatz – auch wenn er aus einem etwas exotischen Bereich der Psychopharmakologie stammt – in eine breitere Verschiebung der Aufmerksamkeit von traits zu states einzuordnen. Im Zeitalter der kognitiven Neurowissenschaften werden eher moralische Entscheidungsprozesse als Gewissenhaftigkeit erforscht und an die
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Stelle von Galls Suche nach dem zerebralen Sitz der Frömmigkeit ist die neurotheologische Erforschung mystischer Erfahrungen getreten. Die Entwicklung wurde durch Technologien wie PET begünstigt, erlaubten diese es doch Hirnaktivität in vivo zu messen statt wie in der Blütezeit der Phrenologie Schädelknochen zu untersuchen und tote Gehirne zu sezieren. Eine Steigerung der zeitlichen Auflösung in der funktionellen Bildgebung hat es Neurowissenschaftlern erlaubt, von einer statischen Perspektive auf das Gehirn und entsprechenden unveränderlichen Persönlichkeitsmerkmalen zu einer dynamischen Darstellung jener physiologischen Prozesse überzugehen, die dem Strom des Bewusstseins zugrunde liegen sollen. Die Zeitlichkeit der PositronenEmissions-Tomografie ist mit dem Ausfüllen des 5D-ABZ-Fragebogens vor und nach einer Messung gut vereinbar. Beide Techniken sind auf die Kurzlebigkeit von Vollenweiders Forschungsgegenstand zugeschnitten. Sie dienen der Erfassung veränderter Bewusstseinszustände, die sich mit der Verstoffwechselung der verabreichten Psychopharmaka wieder auflösen. Um eine neue Phrenologie handelt es sich bei dieser Form des Neuroimaging nicht. Dadurch kommt es noch zu einer weiteren Abweichung von Hagners höchst anregender Analyse: Zumindest Vollenweiders Ansatz zufolge trifft es nicht zu, dass die funktionelle Bildgebung mit einem Rückfall in das präkybernetische Menschenbild des Organizismus einhergeht.23 Es geht nicht darum, die von körperlichen Strukturen und individuellen Merkmalen abstrahierenden, allgemeinen Gesetzmäßigkeiten von Funktionen darstellenden kybernetischen Schaltkreisen durch eine Klassifikation von Menschen anhand von typologisierenden Hirnbildern zu ersetzen. Tatsächlich nutzt Vollenweider die in den PET-Messungen generierten Daten, um das neurokybernetische CSTC-Modell empirisch zu unterfüttern. Dieses Modell basiert auf der Annahme, dass innere und äußere Wahrnehmungsreize in eine cortico-striato-thalamo-corticale Rückkopplungsschleife (CSTC) eingespeist werden und dass dieser neuronale Informationsverarbeitungsprozess in psychotischen beziehungsweise durch Halluzinogene künstlich erzeugten Bewusstseinszuständen gestört wird.24 Durch eine auf verschiede23 Damit soll nicht gesagt sein, dass sich nicht auch Beispiele finden ließen, die Hagners These von der typologischen Klassifikation durch Neuroimaging untermauern würden. Dagegen soll aber ein Trend herausgestellt werden, den es im neunzehnten Jahrhundert so nicht gegeben hat und der in der heutigen Situation durchaus nicht marginal zu sein scheint. 24 Vgl. Hagner: Der Geist (s. Anm. 4), S. 221f.
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Abb. 6: CSTC-Loop
nen pharmakologischen Wegen erreichbare Hemmung der Filterfunktion des Thalamus kommt es demnach zu einer sensorischen Reizüberflutung des Cortex, die als angstvoll oder ekstatisch erlebte Auflösung der Ich-Demarkation erfahren wird und Sinnestäuschungen und Visionen zur Folge hat.25 Im Gegensatz zu der populären Rezeption von PET-Bildern, die aktivierte Hirnareale als Zentren für bestimmte mentale Funktionen vorstellt, dient dieser systemische Ansatz dazu, Modelle zu entwickeln, die das funktionelle Zusammenspiel verschiedener Teile des Gehirns zu erklären vermögen (Abb. 6). Doch auch wenn Vollenweiders Methoden zur Erforschung des Halluzinogenrauschs im Bereich der neurowissenschaftlichen Bewusstseinsforschung verbreitet und anerkannt sind, ist es nicht geboten, seinen Ansatz als repräsentativ für den Gebrauch der funktionellen Bildgebung insgesamt darzustellen. So erfordern die meisten PET-Studien mentaler Prozesse keine Introspektion, sondern bedienen sich kognitiver Leistungstests, in denen beispielsweise die Aufmerksamkeit oder das Kurzzeitgedächtnis des Probanden gefordert werden. Die hier 25 Arvid Carlsson: The current status of the dopamine hypothesis of schizophrenia. In: Neuropsychopharmacology 3, Nr. 1, 1988, S. 179 –186.
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herausgestellten Aspekte von Vollenweiders methodologisch sehr viel facettenreicherem Ansatz können jedoch als Bezugspunkt künftiger Forschungsarbeiten dienen, die feiner zwischen regionalen Epistemologien innerhalb der Praxis des Neuroimaging unterscheiden. Im Bereich der Bewusstseinsforschung gilt jedenfalls, dass PET-Bilder nicht nur der menschlichen Subjektivität ihren objektivierenden Stempel aufdrücken, sondern eben diese Subjektivität auch in die vermeintlich objektiven, neurowissenschaftlichen Darstellungen eingeschrieben wird. Doch die Flut von Gedanken, Gefühlen, Halluzinationen und inneren Bilder, die der Einzelne im Rausch erlebt, lässt sich auch durch die hier beschriebene Kombination von Introspektion mit kybernetischen Modellen und funktioneller Bildgebung nicht erfassen. Dazu ist die zeitliche Auflösung von PET und Fragebögen zu gering.26 Sie zeichnen nur Momente auf oder über längere Zeiträume gemittelte Zustände, nicht aber die physiologischen Korrelate des Erlebnisstroms selbst. Auch entgeht diesen Messungen die Singularität jeder Drogenerfahrung. Das subjektive Erleben wird hier auf schematische Kategorien und Zahlen reduziert. Nur als solches lässt es sich mit den vom PET produzierten numerischen Daten korrelieren. In der Halluzinogenforschung sticht diese phänomenologische Dürftigkeit besonders ins Auge. Zwischen der mitunter erdrückenden Unmittelbarkeit jener im Rausch erfahrenen Überflutung mit äußeren und inneren Eindrücken und der quantifizierenden Fragebogenpsychologie, welche das Neuroimaging komplementiert, liegt der Graben der Unaussprechlichkeit von Erfahrung. In einem Gedankenexperiment hat der finnische Philosoph und Kognitionswissenschaftler Antti Revonsuo die Frage aufgeworfen, ob eine immer komplexer werdende Modellierung neurophysiologischer Daten nicht von einem gewissen Punkt an aufhört, wie ein weiterer Datensatz auszusehen, und stattdessen einer Wahrnehmungswelt zunehmend ähnlicher wird. Am Ende stünde eine „Visualisierung“ (oder sogar noch andere Sinnesmodalitäten umfassende „Phänomenalisierung“) der Messungen, welche es Hirnforschern ermöglichen könnte, die Erfahrungen ihrer Probanden zu simulieren und in einer virtuellen 26 Franz Vollenweider: Perspektiven der Bewußtseinsforschung mit Halluzinogenen. In: Roger Liggenstorfer, Christian Rätsch (Hg.): Maria Sabina – Botin der heiligen Pilze. Vom traditionellen Schamanentum zur weltweiten Pilzkultur, Freiburg 1996, S. 203 – 210; Franz Vollenweider: Recent Advances and Concepts in the Search for Biological Correlates of Hallucinogen-induced Altered States of Consciousness. In: The Heffter Review of Psychedelic Research 1, 1998, S. 21– 32.
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Realität nachzuerleben.27 Dann gäbe es keinen Unterschied mehr zwischen den „Bildern des Gehirns“ als Genitivus subiectivus und Genitivus obiectivus: Die Bilder im Gehirn und die Bilder vom Gehirn fielen in eins. Vielleicht wäre eine solche Hegel’sche Aufhebung der zerebralen Ikonografie die logische Konsequenz aus der heftig umstrittenen Gleichsetzung von Bewusstsein und neuronaler Aktivität. Doch eine solche ästhetische Demonstration der Übersetzbarkeit von Neurophysiologie in phänomenales Erleben ist gegenwärtig pure Spekulation. So dürfte das Grenzgebiet zwischen Gehirn und Geist bis auf Weiteres ein von naturalistischen Hoffnungen und humanistischen Ängsten beseelter Austragungsort weltanschaulicher Konflikte bleiben.28 27 Aus Unzufriedenheit darüber ist man in Vollenweiders Labor zwecks Erforschung schneller Verarbeitungsmechanismen unter anderem zum EEG zurückgekehrt, das mit Hilfe der Computersoftware LORETA inzwischen eine sehr viel raschere, dreidimensionale Visualisierung elektrophysiologischer Prozesse erlaubt.Was das räumliche Auflösungsvermögen betrifft, lassen diese elektroenzephalografischen Trickfilme jedoch zu wünschen übrig. 28 Antti Revonsuo: Inner Presence. Consciousness as a Biological Phenomenon, Cambridge, MA 2005, S. 339 – 361.
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Das Hirnbild als Marke1
„Was haben Rudy Giulianis chaotisches Privatleben, John McCains Gemüt und Hillary Clintons Unfähigkeit, authentisch zu wirken, miteinander zu tun? “ Mit dieser Frage konfrontierte der Neuropsychologe Daniel G. Amen die Leser der Los Angeles Times am 5. Dezember 2007.2 Wahrscheinlich nichts, außer dass diese „Symptome“, wie Amen sie ausdrücklich nennt, auf eine Fehlfunktion des Gehirns hinweisen: „Bisweilen zeigen Leute mit einem chaotischen Privatleben eine verringerte Aktivität im präfrontalen Cortex, die mit mangelnder Urteilskraft assoziiert ist; manchmal haben Leute mit Gemütsproblemen einen Hirnschaden und Probleme mit ihrer Impulskontrolle; und Leute, die mit ihrer Authentizität kämpfen, haben bisweilen Schwierigkeiten, die Dinge aus der Perspektive eines anderen zu sehen.“ Die Forderung von Amen liegt auf der Hand: hinein in den Magnetresonanztomografen mit allen Präsidentschaftskandidaten, denn ihr Hirnbild scheint mehr über ihre Eignung für das Amt auszusagen als ihre Kontoauszüge, Tagebücher und bisherigen politischen Aktivitäten zusammengenommen. Der Vorschlag, ambitionierte Politiker per Neuroimaging auf ihren psychischen Gesundheitszustand hin zu untersuchen, zielt ins Herz der gegenwärtigen Diskussionen um die kognitiven Neurowissenschaften. Er wirft eine Reihe von Problemen auf, die sich die Hirnforscher dadurch, dass sie die Öffentlichkeit seit einigen Jahren mit großen Versprechungen, Ankündigungen und Forderungen überziehen, selbst bereitet haben. Beispielsweise geht es um die für die Autonomie der Wissenschaft wenig Gutes verheißende Allianz von neuropolitischen Forderungen und kommerziellen Interessen. Amen ist Direktor einer von ihm selbst gegründeten Privatklinik, die ihr Geld unter anderem mit Neuroimaging verdient und den Besucher ihrer Website mit dem erweckungsträchtigen Spruch empfängt: „Change your brain, change your life.“3 Dies ist auch der Titel eines Buches von Amen, der im Onlineshop der Klinik neben DVDs, Spielen und Medikamenten käuflich erworben werden kann. Jeder handfeste öffentliche Auftritt Amens verspricht neue Kunden, die von ihrem Hirnbild möglicherweise das erwarten, was sich ihre Eltern in den 1970er Jahren von den gruppentherapeutischen Selbsterfahrungswochenenden versprochen haben. 1 Der Autor dankt Charlotte Klonk für ihre kritische Lektüre des Textes. 2 Daniel G. Amen: Getting inside their heads … really inside. Presidential candidates’ health is a campaign issue. So what about their brains? Los Angeles Times, 5.12.2007, http://www. latimes.com/news/opinion/la-oe-amen5dec05,0,6407609.story (Stand 02/2008) 3 http://www.amenclinics.com (Stand 03/2008)
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Diese Art von Kommerzialisierung ist aber noch nicht alles. Es geht auch um die deterministische Reduktion eines komplexen sozialen Geschehens auf einen Hirnzustand, der dem Motto folgt: Zeig mir Dein Gehirn und ich sage Dir, wer Du bist. Diese Idee einer Eins-zu-eins-Korrespondenz zwischen Hirnzustand und Geisteszustand scheint eine geradezu fetischartige Anziehungskraft zu besitzen. Eine bestimmte psychische Qualität wird mit einer einzigen Hirnstruktur assoziiert; kommt es zu Verhaltensauffälligkeiten, so wird eine Fehlfunktion dieser einen Struktur dafür verantwortlich gemacht. Dass die besonders gründlich erforschten und immer wieder öffentlich hervorgehobenen Hirnstrukturen wie präfrontaler Cortex, Amygdala, Insel, Balken – um nur einige Beispiele zu nennen – ganz unterschiedliche Funktionen haben, die mit ebenso unterschiedlichen subjektiven Zuständen assoziiert sind, wird dabei häufig übersehen oder unterschlagen. Die Fokussierung auf den Tatort Gehirn (so der reißerische Titel eines Buches von 2007) droht die weitere Arbeit in der Lebenswelt, und das heißt beispielsweise Untersuchungen über die Gründe (nicht angebliche cerebrale Ursachen) von Verhaltenweisen, Empfindungen oder Ansichten, hinfällig zu machen. Was sollen all die ewigen Mühen mit Selbstdisziplinierung, Zurückhaltung und Resozialisierung, wenn Hirnpille oder gar elektrische Stimulation zuerst das Gehirn und dann das Leben verändern? Die Kehrseite dieser Cerebralisierung bedeutet eine subtile Pathologisierung der Persönlichkeit. Es dürfte vermutlich kein Exemplar der Gattung homo sapiens geben, das nicht besorgniserregende Defizite im Verhalten und gewisse Unregelmäßigkeiten im Hirnbild aufweist. Wenn schon das Genomprofil eines jeden Menschen potenziell für schlaflose Nächte sorgt, weil der Keim von Krankheit und Tod Bestandteil des Lebens ist, so gilt dies entsprechend für das cerebrale Profil, denn Menschen werden nun einmal, gleichsam als Normalfall, von dunklen Gedanken und Absichten heimgesucht. Es scheint nichts genützt zu haben: über die Mahnung Lichtenbergs, dass die Kinder demnächst je nach Physiognomie aufgehängt würden, bevor sie die zu erwartenden schrecklichen Taten begangen haben, dürften die neuropolitischen Demagogen der Gegenwart nur ein müdes Lächeln übrig haben. Und sie dürften gegenüber der Tatsache immun sein, dass sie mit ihren Anmutungen in der Tradition jener kriminalbiologischen und rassenhygienischen Durchleuchtungen und Stigmatisierungen der Persönlichkeit stehen, die im letzten Jahrhundert zu trauriger Berühmtheit gelangt sind.
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Die in den letzten Jahren immer deutlicher werdende Tendenz zur Cyberphrenologie verdankt sich offensichtlich einem einzigen Medium: dem Neuroimaging. Seit den frühen neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts behaupten Hirnforscher, dass sie mit der Magnetresonanztomographie oder mit der Positronenemissionstomographie über Instrumente verfügen, die das Fenster zur Beobachtung der geistigen Tätigkeit weit öffnen.4 Der Wert dieser neuen Untersuchungsmethoden, etwa zur Aufklärung der Plastizität des Gehirns oder zum besseren Verständnis cerebraler Prozesse, die Hinweise auf das Zusammenspiel von emotionalen und kognitiven Vorgängen geben können, ist nicht zu bestreiten. Doch die Behauptung, dass sich aus einem Hirnbild ein Geisteszustand ablesen ließe wie die Furcht aus dem Gesicht, ist irreführend. Die erhöhte Aktivierung beispielsweise im motorischen Sprachzentrum, der Broca-Region, weist zwar darauf hin, dass der Proband mit Sprachproduktion beschäftigt ist, aber ob diese Person das Telefonbuch oder ein Gedicht von Heine vorliest, sagt das Hirnbild nicht; und aus einer erhöhten Aktivierung in der Amygdala ist eben nicht ein Angstzustand ablesbar, weil die dem limbischen System zugehörige Struktur zwar bei Angstzuständen aktiviert ist, dies aber ebenso bei positiven Gefühlen und bei Erregung geschieht. Es ist durchaus im Bereich des Möglichen, dass man am Hirnbild ablesen kann, ob jemand eine Blume oder eine Lampe, ein Haus oder einen Schrank, ein bekanntes oder ein unbekanntes Gesicht sieht. Doch welche Gedanken mit dieser Wahrnehmung assoziiert sind, welche Geschichten, Erinnerungen, Ideen, Assoziationen, Wünsche oder Abneigungen damit verbunden sind, ist dem Hirnbild nicht zu entnehmen. Derart uneindeutige Sachverhalte sollten zu einer besonderen Besonnenheit im Umgang mit den Hirnbildern führen, innerhalb der scientific community, aber auch in der Öffentlichkeit, in der diese Bilder mit ungebrochener Vehemenz zirkulieren. Nun ist es trotz etlicher zur Umsicht und Bescheidenheit mahnenden Neurowissenschaftler kein Geheimnis, dass Hirnbilder nicht selten als Logo eingesetzt werden, das den kognitiven Neurowissenschaften zu ihrem öffentlichen Erfolg verhilft. So wie der Name einer Getränkemarke oder eines 4 Siehe z. B. Michael Hagner: Der Geist bei der Arbeit. Überlegungen zur Visualisierung cerebraler Prozesse. In: Cornelius Borck (Hg): Anatomien medizinischen Wissens, Frankfurt a. M., S. 259 – 286 (Wiederabdruck in: Ders.: Der Geist bei der Arbeit. Historische Untersuchungen zur Hirnforschung, Göttingen 2006, S. 164 – 194); Ders.: Cyber-Phrenologie. Die neue Physiognomik des Geistes und ihre Ursprünge. In: Klaus Peter Dencker (Hg): Die Politik der Maschine, Hamburg, 2002, S. 182 – 197.
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Kultmodeunternehmens deren Produkt auf dem Markt vor anderen Produkten platziert, obwohl die Qualität des Getränks oder des Pullovers nicht besser ist als das Konkurrenzprodukt, so scheint es sich auch mit den Resultaten der Hirnforschung zu verhalten. Unterstützt durch Bilder, wirkt die Aussage überzeugender als ohne Bilder, auch wenn diese keinerlei zusätzliche Information enthalten. Diese Frage ist für die Bildforschung von erstrangiger Bedeutung, denn wenn eine plausible Hypothese besagt, dass die Wirkung der Bilder, beispielsweise in den Wissenschaften, darin besteht, jenseits der Sprache ein eigenständiges Wissen, einen eigenständigen Logos in sich zu tragen, dann ist es zumindest erklärungsbedürftig, dass eine Kraft des Bildes auch ohne diesen Wissensüberschuss besteht. Genau diese Nuss gibt eine Untersuchung von zwei Psychologen der Colorado State University und der University of California, Los Angeles, zu knacken, die noch vor ihrer eigentlichen Publikation in der Zeitschrift Cognition für Aufmerksamkeit gesorgt hat.5 David McCabe und Alan Castel haben sich die Frage vorgelegt, ob Hirnbilder einen signifikanten Einfluss auf die Beurteilung einer neurowissenschaftlichen Aussage haben, auch wenn diese unsinnig ist. Dazu haben sie einer Gruppe von jungen Studenten aus Colorado (keine Studenten der Neurowissenschaften, Medizin oder Psychologie) zwei wissenschaftlich erscheinende Texte vorgelegt. Der eine enthält die fiktive Behauptung, dass mathematische Fähigkeiten und Fernsehkonsum miteinander korreliert sind, der andere das ebenfalls abwegige Ergebnis, dass Videospiele die Aufmerksamkeit steigern. Diese Texte wurden der ersten Gruppe von Studenten ohne Abbildung vorgelegt, der zweiten mit einer grafischen Darstellung und der dritten mit einem Hirnbild. Alle sollten den wissenschaftlichen Gehalt der Texte beurteilen. Die ersten beiden Gruppen haben den wissenschaftlichen Gehalt des Textes annähernd gleich beurteilt, doch die dritte, also die „Bildgruppe“, hielt den Text für wissenschaftlich überzeugender als die beiden anderen. In einem zweiten Experiment wurden dieselben Texte zwei anderen Studentengruppen vorgelegt, der einen mit einem Hirnbild, der anderen mit einer topografischen Karte, auf der die Hirnaktivitäten aufgezeichnet werden. Der Informationsgehalt ist bei beiden Visualisierungstypen ähnlich, und beide sind visuell ähnlich komplex. Die Unterschiede bestehen darin, dass eine topogra5 David P. McCabe, Alan D. Castel: Seeing is believing: The effect of brain images on judgments of scientific reasoning. In: Cognition 107, 1, 2008, pp. 343–352.
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fische Karte im Gegensatz zum Hirnbild kaum in der Öffentlichkeit kursiert und dass Laien sich im Hirnbild vermeintlich besser orientieren können, weil sie eine konkrete Aktivierungszone in einem realistisch wirkenden Gehirn sehen. Als Ergebnis kam heraus, dass jene Gruppe, der das Hirnbild vorlag, die wissenschaftliche Plausibilität der fiktiven Texte höher einschätzte als die Gruppe, der die topografische Karte vorlag. In einem dritten Experiment wurde einer weiteren Studentengruppe ein realer Artikel vorgelegt, der unter dem Titel Can brain scans detect criminals? von der Website der BBC abrufbar ist und Ergebnisse einer Studie zusammenfasst, die zuvor in Nature erschienen war.6 Dieser Text enthält in der Originalfassung auch einen Absatz, der die Schlussfolgerungen aus den Untersuchungsergebnissen kritisiert. Dieser Absatz wurde nur der einen Gruppe von Studenten vorgelegt, bei der anderen wurde er fortgelassen. Die Versuchsleiter legten den Probanden nun die Frage vor, ob sie mit der Schlussfolgerung des Artikels übereinstimmen, dass Neuroimaging als Lügendetektor brauchbar sei. Das bemerkenswerte Ergebnis besagt, dass diejenige Gruppe, der ein Hirnbild vorlag, die Frage positiver beantwortete als die andere, während die An- oder Abwesenheit des kritischen Absatzes keinen signifikanten Einfluss auf die Beurteilung zeigte. Die Effekte bei allen drei Experimenten waren, wie die Autoren einräumen, nicht dramatisch groß, aber doch statistisch signifikant. Dass sie nicht so hoch waren, könnte damit zusammenhängen, dass die Neurowissenschaften bei Laien gegenwärtig ohnehin ein sehr hohes Ansehen genießen. Selbst dürftigen psychologischen Erklärungen wird eine höhere Glaubwürdigkeit zugebilligt, wenn diese neurowissenschaftlich unterstützt werden, auch wenn dieses Surplus völlig sinnlos ist.7 Gleichwohl bleibt festzuhalten, dass die Anwesenheit von Bildern in das Urteil einer wissenschaftlichen Aussage durch Laien eingeht. Und auch wenn dieses Ergebnis als vorläufig anzusehen ist, so gibt es doch zu einigen Überlegungen Anlass. Erstens ist es nicht die Visualisierung als solche, die den Unterschied bedeutet. Es scheint zumindest in diesem Bereich des Bildgebrauchs nicht so etwas wie eine undifferenzierte Macht der Bilder zu geben, die, sobald sie als nicht-textliches Element in einer Argumentation auftaucht, ihre Wirkung zu entfalten beginnt. Weder die grafische Darstellung noch die topografische Karte haben 6 http://news.bbc.co.uk/2/hi/health/4268260.stm (Stand 02/2008). 7 Siehe Deena Skolnick Weisberg et al.: The Seductive Allure of Neuroscience Explanations. In: Journal of Cognitive Neuroscience 20, 2008, S. 470 – 477.
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die wissenschaftliche Glaubwürdigkeit des fiktiven Textes erhöht, sondern nur das realistisch wirkende Hirnbild. Es sind also weder die Messmethode noch der Informationsgehalt und auch nicht der Objektivitätsanspruch, die diese Differenz zu erklären vermögen. Vielmehr scheint es um die spezifische Darstellungsform zu gehen, und das heißt, um die visuelle Umwandlung der Messdaten, nicht um diese Daten selbst. Wie aber ist diese Eigenart des Bildes, die sich nicht auf einen kognitiven Gehalt stützen kann, zu erklären? Am ehesten bietet sich hier eine kulturelle Erklärung an: Das Bild des im Schädel sitzenden Gehirns, an dem sich die Erhöhung der Nervenaktivität, die zwar vorhanden ist, aber nicht gemessen wird (gemessen wird die Durchblutungssteigerung), suggeriert eine größere wissenschaftliche Autorität, weil diese Bilder in den letzten Jahren immer wieder in allen öffentlichen Medien zu sehen waren und weil sie das entscheidende Emblem für die Dignität neurowissenschaftlicher Erkenntnisse darstellen. So wie allein die Aufrufung der Getränkemarke einen besseren Geschmack des Getränks suggeriert, so suggeriert das Hirnbild eine höhere Glaubwürdigkeit der wissenschaftlichen Aussage. Warum aber hat das Signet des Hirnbildes diese Kraft? Gerade im Hinblick auf den unkundigen Betrachter könnte man argumentieren, dass hier zwei unterschiedliche Aspekte zusammenkommen, für die der paradoxe Begriff des „konstruierten Abbilds“ angemessen erscheint. Das Hirnbild suggeriert ein Abbild zu sein, weil es anatomische Strukturen sichtbar macht, die an eine Fotografie des Gehirns denken lassen, obwohl das Hirnbild alles andere als eine Fotografie ist. Die sichtbar werdende Konfiguration der Hirnwindungen ist jedoch nicht mehr als die Umrechnung von Messdaten. Dass das Bild aus Messdaten konstruiert ist, wird auch insofern gar nicht vertuscht, als in diesen Bildern vermeintlich physiologische und psychische Prozesse visualisiert werden, die in einschlägigen, wirkmächtigen Kontrastfarben daherkommen. Die Farbgebung im Neuroimaging ist standardisiert: Gelb und Rot bedeuten Aktivierung, Blau und Grün Inaktivität. In der Farbentheorie geht man üblicherweise davon aus, dass die ersteren beiden Farben beim Betrachter ein Gefühl von Wärme assoziieren, letztere ein Gefühl von Kälte. Ein solcher krasser Gegensatz repräsentiert aber keineswegs das, was im Gehirn passiert, und allein schon aus diesem Grunde ist das Bild konstruiert. Es kalkuliert mit dem Gefühlshaushalt des Betrachters. Das Hybrid eines konstruierten Abbilds ist das Resultat der Ver-
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knüpfung eines technischen und eines ästhetischen Effekts, der sich bei einer kartografischen Darstellung der Messergebnisse nicht einstellt. Die Hirnbilder sind nicht „falsch“ in dem Sinne, dass sie etwas zeigen, was gar nicht da ist. Doch ihre „Richtigkeit“ beruht in gewisser Weise auf einer Sinnestäuschung des Betrachters, der im Grunde nur die Information erhält, dass eine minimale Durchblutungserhöhung bestimmter Hirnregionen stattgefunden hat. Was er „sieht“, ist der visuell umgesetzte, autoritative Deutungsanspruch der kognitiven Neurowissenschaften. Durchblutungserhöhung und Deutungsanspruch sind zwei miteinander verknüpfte, aber keineswegs identische Dinge. Angenommen, die Hirnforscher hätten sich vor ungefähr 20 Jahren dafür entschieden, topografische Karten mit Aktivitätsanreicherungen anstatt realistisch wirkender Hirnbilder zu ihrem neuen Bildtyp zu küren, die Geschichte der visuellen Präsenz des Gehirns wäre anders abgelaufen, und die Diskussionen zur unmittelbaren Evidenz der Repräsentation geistiger Prozesse im Gehirn hätten womöglich die abstrakt wirkende Karte als besonders glaubwürdig ausgewiesen. Welche Art von Visualisierung eines bestimmten Phänomens auch in der Öffentlichkeit für wissenschaftlich angemessen gehalten wird, unterliegt bekanntlich nicht einer anthropologischen Konstante. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts galt die grafische Methode als Ideal wissenschaftlicher Objektivität. Die öffentliche Faszination für das Elektroenzephalogramm um 1930 beruhte gerade darauf, dass in einer Atmosphäre der technikgläubigen Sachlichkeit abstrakte Kurven der elektrischen Hirnaktivität eine besondere Überzeugungskraft hatten. Nach dem Zweiten Weltkrieg bevorzugte die Neurokybernetik technisch-abstrahierende, diagrammatische Darstellungen zur Visualisierung von Gehirnfunktionen.8 Die Forscher der neunziger Jahre haben sich gegen abstrakte topografische Visualisierungen entschieden, und das könnte auch marktstrategische Gründe gehabt haben. Die topografischen Bilder erinnern stark an solche, die auch mit älteren Techniken und Instrumenten herstellbar waren (zum Beispiel Szintigrafien). Eine solche Kontinuität kann für die Einführung eines neuen Verfahrens durchaus von Vorteil sein, doch wenn es darum geht, eine neue Technologie als revolutionär anzupreisen, erscheint es sinnvoller, auch mit vollständig neuen 8 Siehe Robert Brain: The graphic method: inscription, visualization, and measurement in nineteenth-century science and culture, PhD Dissertation, University of California, Los Angeles, 1996; Cornelius Borck: Hirnströme. Eine Kulturgeschichte der Elektroenzephalographie, Göttingen 2005, S. 85 –139.
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Bildtypen aufzuwarten. Um Ärzte, Universitäten, Politiker, geldgebende Institutionen und nicht zuletzt Steuerzahler davon zu überzeugen, diese überaus teuren Geräte anzuschaffen, war es folgerichtig, ästhetisch optimierte Bilder zu präsentieren. Es ist also nicht die jenseits der Geschichte in sich ruhende Form des im Schädel schwimmenden Gehirns, die einem Hirnbild Glaubwürdigkeit vermittelt. Dass diese Bilder als Evidenzgeneratoren funktionieren, hängt von den jeweiligen Sinnkontexten ab, in denen sie hergestellt, inszeniert und verbreitet werden.9 Das ist keine gute Nachricht für diejenigen, die Bilder nur als dekoratives Beiwerk, als eine Illustration betrachten, ihnen aber keine weitergehende Bedeutung zubilligen. Auch den bildproduzierenden Neurowissenschaftlern sollte es zu denken geben, dass Hirnbilder zumindest in den Verdacht geraten sind, schlechte, fragwürdige Forschung zu kaschieren, eben weil diese Bilder jenseits ihres Informationspotenzials den Mechanismen eines inflationären, unkritischen Umgangs mit Bildern angesichts ihrer massenhaften und globalen Verbreitung unterliegen. Und für die Bildkritik bleibt es eine Herausforderung, dass die Macht des Hirnbildes keineswegs vollständig auf den in ihm liegenden epistemischen oder ästhetischen Gehalt reduziert werden kann, sondern einer Erschließung seines Repräsentationsraumes bedarf. Der epistemische Gehalt lässt sich auch in einer anderen Darstellung zum Ausdruck bringen, der ästhetische ist historisch variabel. Die ästhetischen Gesichtspunkte, die bei der Beurteilung der Hirnbilder innerhalb und außerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft zur Zeit im Vordergrund stehen, sind am ehesten mit Bezug auf die Warenwelt zu verstehen. Bei einem nüchternen und kritischen Umgang mit den neuen Hirnbildern kann auch der akademische Nachwuchs – von der schwer fassbaren allgemeinen Öffentlichkeit zu schweigen – seinem kritischen Anspruch erst entsprechen, wenn die kognitiven Neurowissenschaftler selbst diesen Umgang exemplarisch pflegen. Ob ein solcher Umgang als Ethik des Bildes, als bildkritische Aufmerksamkeit oder als visuelles Alphabetisierungsgebot bezeichnet wird, ist gleichgültig. Jedenfalls scheint diese Schwelle gegenwärtig noch nicht erreicht zu sein. Vielmehr ist eine Verwischung der Grenzen zwischen adäquater und 9 Vgl. hierzu auch: Brains on Fire – Bilder in der Neurobiologie. Ein Gespräch der „Bildwelten des Wissens“ mit Randolf Menzel und David Poeppel. In: Bildwelten des Wissens 2, 2004: Instrumente des Sehens, S. 87 – 97, sowie die Beiträge von Menzel und Poeppel im vorliegenden Band.
Hirnbild als Marke
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inadäquater Forschungsarbeit zu beobachten, deren Unterscheidung gerade durch die populäre Präsenz der Hirnbilder erschwert wird, zumal hier neben den wissenschaftlichen auch ökonomische, künstlerische, forensische und politisch-kulturelle Aspekte mit im Spiel sind. An diesem Punkt hat eine bildkritische, historisch-vergleichende Untersuchung anzusetzen. Die Frage, wann und zu welchem Zweck Bilder in einem wissenschaftlichen Untersuchungsfeld zum Einsatz kommen, stellt sich spätestens dann, wenn Bilder ein so sonderbares Eigenleben als Label zu entwickeln beginnen, wie es durch die Untersuchung von Castel und McCabe nahegelegt wird. Wie mit dieser Frage umgegangen wird, ist nicht der einzige, aber doch ein präziser Indikator für den Status der betroffenen Wissenschaft.
FarbtafelnC M Y K 14
NYTx,2007-11-11,WK,014,Bs-4C,E1 THE NEW YORK TIMES OP-ED SUNDAY, NOVEMBER 11, 2007
WK
This Is Your Brain on Politics
MAUREEN DOWD
A Bite Of The Bagel
This article was written by Marco Iacoboni, Joshua Freedman and Jonas Kaplan of the University of California, Los Angeles, Semel Institute for Neuroscience; Kathleen Hall Jamieson of the Annenberg Public Policy Center at the University of Pennsylvania; and Tom Freedman, Bill Knapp and Kathryn Fitzgerald of FKF Applied Research.
I
N anticipation of the 2008 presidential election, we used functional magnetic resonance imaging to watch the brains of a group of swing voters as they responded to the leading presidential candidates. Our results reveal some voter impressions on which this election may well turn. Our 20 subjects — registered voters who stated that they were open to choosing a candidate from either party next November — included 10 men and 10 women. In late summer, we asked them to answer a list of questions about their political preferences, then observed their brain activity for nearly an hour in the scanner at the Ahmanson Lovelace Brain Mapping Center at the University of California, Los Angeles. Afterward, each subject filled out a second questionnaire. While in the scanner, the subjects viewed political pictures through a pair of special goggles; first a series of still photos of each candidate was presented in random order, then video excerpts from speeches. Then we showed them the set of still photos again. On the before and after questionnaires, subjects were asked to rate the candidates on the kind of 0-10 thermometer scale frequently used in polling, ranging from
Men’s brains* were activated when they looked at the words “Democrat” and “Republican,” but not “independent.”
An inside look at how swing voters really feel about the candidates. “very unfavorable” to “very favorable.” We then compared the questionnaire responses with the brain data, and here’s what we found: 1. Voters sense both peril and promise in party brands. When we showed subjects the words “Democrat,” “Republican” and “independent,” they exhibited high levels of activity in the part of the brain called the amygdala, indicating anxiety. The two areas in the brain associated with anxiety and disgust — the amygdala and the insula — were especially active when men viewed “Republican.” But all three labels also elicited some activity in the brain area associated with reward, the ventral striatum, as well as other regions related to desire and feeling connected. There was only one exception: men showed little response, positive or negative, when viewing “independent.” 2. Emotions about Hillary Clinton are mixed. Voters who rated Mrs. Clinton unfavorably on their questionnaire appeared not entirely comfortable with their assessment. When viewing images of her, these voters exhibited significant activity in the anterior cingulate cortex, an emotional center of the brain that is aroused when a person feels compelled to act in two different ways but must choose one. It looked as if they were battling unacknowledged impulses to like Mrs. Clinton. Subjects who rated her more favorably, in contrast, showed very little activity in this brain area when they viewed pictures of her. This phenomenon, not found for any other candidate, suggests that Mrs. Clinton may be able to gather support from some swing voters who oppose her if she manages to soften their negative responses to her. But she may be vulnerable to attacks that seek to reinforce those negative associations. 3. Hillary Clinton and Rudy Giuliani are on opposite sides of the gender divide. We found indications that Mrs. Clinton and Mr. Giuliani represent two sides of the same coin: Men show little interest in Mrs. Clinton initially but after watching her video they react positively. Women respond to her strongly at first, but their interest wanes after they watch her video. With Mr. Giuliani, the reactions are reversed. Men respond strongly to his initial still photos, but this fades after they see his video. Women grow more engaged after watching his video. This is evidence that swing voters’ responses change when they see these two candidates in action. For men, Mrs. Clinton is a pleasant surprise. For women, Mr. Giuliani has unexpected appeal. 4. The gender gap may be closing. In recent presidential elections, Democrats have done better with female voters, while Republicans have appealed more to men. So far this time, male swing voters seem to be looking more closely at the Democrats. After viewing all the candidate videos, our male subjects, when viewing still photos of the Democrats, showed significantly higher activity in the medial orbital prefrontal cortex, an area that is activated by rewarding stimuli, than they did while looking at pictures of the Republicans. Women did not display such a oneparty skew, but rather tended to react to individual candidates. So the traditional gender pattern of party preference may not be as prominent this year, particularly among men, and that may be good news for Democrats. 5. Mitt Romney shows potential. Of all the candidates’ speech excerpts, Mr. Romney’s sparked the greatest amount of brain activity, especially among the men we observed. His still photos prompted a significant amount of activity in the amygdala, indicating voter anxiety, but when the subjects saw him and heard his video, their anxiety died
In response to images of Democratic candidates, men exhibited activity in the medial orbital prefrontal cortex, indicating emotional connection and positive feelings.
Hillary Clinton had the bad luck to fumble a debate before the writers’ strike knocked late-night comics off the air. Bernard Kerik and his old pal Rudy Giuliani had the good luck to have Mr. Kerik’s corruption indictment handed up after the TV zone of ridicule was blacked out. “I shudder to think what’s happening to all the kids who keep in touch with world news by listening to reports of late-night comedians,’’ said David Thomson, the film historian. Actually, I’m one of those people he’s shuddering about. I keep up on the news by listening to late-night comedians. I read a lot of stuff too, and talk to people. But I’m a satirical news junkie. Knowing I was going to miss my Weekend Update from Seth Meyers on “Saturday Night Live,” I asked the show’s news co-anchor — and head writer — if he could take some time out from the picket line to give me a weekend update on the writers’ strike. IT’S SUNDAY MORNING LIVE! (Sort of.)! First of all, Mr. Meyers wanted to rebut any notion that the writers are wellheeled brats carrying Starbucks and Evian to the barricades in an attempt to get richer, while throwing TV’s steerage class out of work. Mr. Meyers took issue with the Times article characterizing the New York picket line of Tina Fey, himself and other NBC writers in front of Rockefeller Center as “a glamour strike,’’ with Writers Guild members in “arty glasses and fancy scarves’’ rather than “hard hats and work boots.’’ “Glamour show?’’ he asked. “Scarves and glasses? Have those not always been the accouterments of the geek and not the runway model? That’s how Harry Potter dresses, not Kate Moss. And while our glasses can be a little ‘arty,’ isn’t that the least we deserve after the ‘regular’ glasses of our formative years helped push us towards a writing career in the first place?’’ Good point. “I am a fan of studios and what I like most about them is this: They know how to make money,’’ he continued. “That’s why studios and writers are such a perfect fit. Without studios we’d be back where comedy writers were 100 years ago — in some backwoods farmhouse shouting jokes at each other in a makeshift ring, while drunken audiences throw nickels at our feet.’’ The writers know that they have not been clever in past negotiations about
The morning after, craving my Weekend Update.
Images of Fred Thompson led to increased activity in the inferior frontal cortex, a brain structure associated with empathy.
When first shown photos of Barack Obama and John McCain, swing voters’ brains had little activity in areas of the brain associated with thought or feeling. ICONS BY JENNIFER DANIEL
down. Perhaps voters will become more comfortable with Mr. Romney as they see more of him. 6. In Rudy Giuliani versus Fred Thompson, the latter evokes more empathy. There is much discussion this year about “authenticity,” as politicians strive to be credible and real. On this front, Mr. Thompson may have an advantage over Mr. Giuliani. When our subjects viewed photos of Mr. Thompson, we saw activity in the superior temporal sulcus and the inferior frontal cortex, both areas involved in empathy. When subjects viewed photos of Mr. Giuliani, these areas were relatively quiet. Our subjects also exhibited a much stronger empathetic response to a minute-long excerpt from a stump speech by Mr. Thompson than they did to an excerpt of a Giuliani speech. This connectedness toward Mr. Thompson did not show up in the swing voters’ answers on the questionnaires, but it suggests that if swing voters see more of
both candidates, Mr. Thompson may gain an advantage over Mr. Giuliani. 7. John Edwards has promise — and a problem. When looking at pictures of Mr. Edwards, subjects who had rated him low on the thermometer scale showed activity in the insula, an area associated with disgust and other negative feelings. This suggests that swing voters’ negative emotions toward Mr. Edwards can be quite powerful. The good news for Mr. Edwards is that the swing voters who did not give him low ratings, when looking at still photos of him, showed significant activation in areas of the brain containing mirror neurons — cells that are activated when people feel empathy. And that suggests these voters feel some connection to him. So Mr. Edwards has a strong effect on swing voters — both those who like him and those who don’t. 8. Barack Obama and John McCain have work to do. The scans taken while subjects viewed the first set of photos and the videos of Mr. McCain and Mr.
Obama indicated a notable lack of any powerful reactions, positive or negative. The male subjects showed some interest in Mr. McCain while looking at still photos, but their engagement fell off after they watched him on videotape. Women remained unengaged throughout the session. Mr. Obama was rated relatively high on the pre-scan questionnaire, yet both men and women exhibited less brain activity while viewing the pre-video set of still pictures of Mr. Obama than they did while looking at any of the other candidates. Among the male subjects, the video of Mr. Obama provoked increased activity in some regions of the brain associated with positive feeling, but in women it elicited little change. Our findings suggest that Mr. Obama has yet to create an impression on some swing voters. While his speech resonated with the men in our study, it failed to engage the women. Since we did our scans, Mr. Obama has altered his tone somewhat, and it will be interesting to see if that makes a difference. Ø
new technology, and that their work, as Mr. Thomson puts it, “could be playing on your thumbnail in five years.’’ But they’re trying to catch up. “Even my technologically challenged mother watches television on a computer — and she thinks an iPod is some kind of antelope,’’ Mr. Meyers said. “Our request is simple: we get paid a small percentage of any revenue generated from our creative material. “As a comedy writer, I am more than willing to admit that I need a world with producers, but do they need us? The answer is yes, for two reasons. First, without writers whom will the studios blame for their failures? Second, seriously, whom?” Mr. Thomson has more respect for the TV writers than the movie writers because screenwriters are not “putting intelligent ideas and original material in films.” The huge mistake the Writers Guild made long ago, he said, was not to insist on getting a copyright. “If you write something for a movie company, they may pay you a lot of money, but they take it,’’ he said. “It alters completely the way writers get treated.’’ Some industry analysts say that the writers may be engaged in a futile act, because they have no real power, can’t shut down networks that can turn to more reality TV, and may not be able to stop the conglomerates from squashing them — a scenario straight out of Paddy Chayefsky. “Some of these writers are living check to check,’’ said James Brooks, the writer, director and producer — and a creative force behind “The Simpsons” — who is on the picket line in Los Angeles. “And I fear union busting. It’s happening all over the place, and we’re not immune.’’ Dorothy Parker, once an unhappy writer in Hollywood, had an image of the town’s power structure as “a blocklong limo with a gloved, jeweled hand sticking out the rear window holding a bagel with one bite taken out of it.’’ The writers are running alongside the limo just trying to get their own bite. And maybe a schmear. Seth Meyers says he is ready “to take the journey to new media with the studios. Ideally, in the back seats of their high-end cars that have computerized British voices telling you how to get there and when to turn.’’ Ø
Tafel 1: „This Is Your Brain on Politics“. New York Times, November 11, 2007.
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Tafel 2: ”The World as a Fool’s Cap“ (Die Welt als Narrenkappe). Anonymous colored etching, ca. 1600. 35.6 x 48 cm, Nuremberg, Germanisches Nationalmuseum.
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Tafel 3: Die „visuellen Zyklen“ des Rev. Henslow, No. 70–73. Farbtafel aus Francis Galton: Inquiries into human faculty, London 1883.
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Tafel 4: Abbildung der Hirnventrikel, integriert in das Buch: „De anima: sensus communis, imaginatio, (vis) imaginativa, extimatio, (vis) memorativa, membrorum motiva.“ Aus: (Ps.-) Albertus Magnus: Philosophia pauperum, Brescia (Baptista Farfengus) 1490.
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Tafel 5: Sogenannter „Wundenmann“ aus einer Sammelschrift (Apokalypse, ars moriendi, medizinische und moralische Traktate) von ca. 1420 –1430.
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Tafel 6: Sogenannter „Aderlassmann“ aus einer Sammelschrift (Apokalypse, ars moriendi, medizinische und moralische Traktate) von ca. 1420 –1430.
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Faksimile Augen-Blicke fixiert
Unter den Sinnesorganen des Menschen kommt dem Auge seit jeher der höchste Rang zu. Seine Beziehung zum Gehirn war schon der Antike bekannt, der Zusammenhang von Blick, Wahrnehmung und Erkenntnis seither Gegenstand unzähliger Abhandlungen. Mit dem spektakulären Aufstieg der wissenschaftlichen Physiologie im 19. Jahrhundert geriet das Erkennen unter den Geltungsbereich des mechanistischen Paradigmas. Die Physiologie stellte die alten Fragen der Philosophen unter funktionalen Gesichtspunkten neu: Durch Zurückführung auf Chemie und Physik, letztlich auf die Mechanik bewegter Massenpunkte, suchte man zu erklären, wie der Mensch die Welt sinnlich erfasst. Der bekannteste Vertreter dieser Richtung ist Hermann von Helmholtz. In Heidelberg, wo er von 1858 bis 1871 lehrte, bildete sich um ihn ein Zentrum der experimentellen Ophthalmologie und Sinnesphysiologie, das in Deutschland nur von Berlin übertroffen wurde. Charakteristisch für das reduktionistische Programm waren mechanische Modelle, die Wahrnehmungsvorgänge begreifbar machen sollten und damit den klassischen Methoden der Physiologie eine zusätzliche Dimension hinzufügten. An der Augenklinik erforschte Otto Becker mit neuartigen Schnitt- und Darstellungsverfahren die krankhaften Veränderungen des Augapfels und ließ davon wunderbar detaillierte Zeichnungen anfertigen (Abb. 1). Sein Kollege Hermann Knapp konstruierte 1861 ein Ophthalmotrop, ein didaktisches Modell zur Demonstration der muskulären Steuerung der Sehachsen und Drehwinkel (Abb. 2). Eines der komplexesten Modelle, die je gebaut wurden, hat Wilhelm Wundt, der spätere Begründer der Experimentellen Psychologie, 1862 als Assistent von Helmholtz erdacht: ein Ophthalmotrop (Abb. 3), mit dessen Hilfe quantitativ simuliert werden konnte, wie die Muskeln sich auf Stellungen und Bewegungen des Augapfels auswirken. Die angreifenden Kräfte wurden durch Federn dargestellt, ihre Spannung durch
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Auflagegewichte variiert. Seilzüge übertrugen dies auf den filigran gelagerten Augapfel, dessen Einstellung an Skalen abzulesen war: die Mechanik des Augen-Blicks. Doch um die Augenbewegung in vivo zu studieren, musste das Versuchsobjekt in eine Messapparatur eingespannt werden; die Vivisektion war der Königsweg der experimentellen Physiologie. D[agobert] von Trautvetter, Mediziner aus Kiew, untersuchte 1866 bei Helmholtz die Akkomodation der Augenlinse, um herauszufinden, welche Nervenstränge und Muskeln für deren Kontraktion verantwortlich sind. Dazu fixierte er die Versuchstiere so, dass er deren Schädeldach bei lebendigem Leibe aufsägen, das Großhirn entnehmen und die durchtrennten Nervenenden elektrisch stimulieren konnte. Nachdem die störenden Augenlider mit der Schere herausgeschnitten waren, ließ sich beobachten, wie sich die Lichtreflexionen in den Pupillen des Tieres veränderten. Die Zeichnung der Experimentalanordnung (Abb. 4) suggeriert eine Nähe von Tier und Mensch; doch das Bild trügt: Es ist der Augenblick vor der Vivisektion. All diese Arbeiten stehen für ein Reflexivwerden des Forschungsprozesses, bei dem das Erkenntnisorgan des Wissenschaftlers sich selbst in den Blick nimmt. Unter dem sezierenden Blick verschwindet das Subjekt. Am Ende steht die Reduktion auf Mechanik. Mit spitzem Bleistift hat der Zeichner Friedrich Veith (der in seiner Jugend selbst an einer Augenkrankheit litt) die Dekonstruktion des Sehorgans im Auftrag der Wissenschaftler festgehalten. Als Künstler ausgebildet, unterwarf er sich ihrem zergliedernden, disziplinierten Blick und setzte damit seinen Status als Künstler aufs Spiel: Mehr als 4.000 Zeichnungen für medizinisch-naturwissenschaftliche Veröffentlichungen zeugen von seiner ungeheueren Produktivität, als Person aber blieb er unsichtbar.1 Christine Nawa und Christoph Meinel 1 Von der Forschung gezeichnet: Instrumente und Apparaturen in Heidelberger Laboratorien skizziert von Friedrich Veith, 1817 –1907, hg. von Christine Nawa und Christoph Meinel, Regensburg 2007.
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Abb. 1: Abszessbildung im Glaskörper, Schnittpräparat. Farblithografie, 23 x 29 cm, Bez.: Gez. v. F. Veith, lith. v. Dr. J. Heitzmann / Verlag von W. Braumüller / Lith. Anst. v. Appel & Comp. Wien. Aus: Otto Becker: Atlas der pathologischen Topographie des Auges, Bd. 3, Wien 1878, Taf. XIII.
Abb. 2: Ophthalmotrop nach Knapp. Bleistiftzeichnung, 12,5 x 15,6 cm, Bez. Dr. Roscoe, [18]61. Privatbesitz.
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Abb. 3: Ophthalmotrop zur Modellierung der Augenbewegung. Bleistiftzeichnung, 28,9 x 21,5 cm, Bez.: H. Dr. Wundt, 2. Juni [18]62. Privatbesitz.
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Abb. 4: Vivisektion der Sehnerven. Bleistiftzeichnung, 20,3 x 20,7 cm, Bez.: für Baron von Trautfeder [= Trautvetter] im April [18]66. Privatbesitz.
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Abb. 1: CT-Scans mit Hirnquerschnitt eines unbekannten Probanden (li.) und der Patientin Terri Schiavo (re.), verwendet im Fall Schiavo 2002 – 2005.
Bildbesprechung Hirndarstellungen vor Gericht
Theresa „Terri“ Marie Schindler Schiavo (1963 – 2005), eine Wachkoma-Patientin aus dem US-Bundesstaat Florida, ist durch Einsatz von Bildern in den bis heute langwierigsten amerikanischen Rechtsstreit um die Zulässigkeit von Sterbehilfe geraten. Ein Gerichtsurteil in Florida sollte es ihren Klinikärzten gestatten, die künstliche Ernährung einzustellen, welche die Patientin seit über einem Jahrzehnt am Leben hielt, und zwar auf Bitten von Terris Ehemann und Rechtsvertreter Michael Schiavo, der dadurch ihr Recht auf einen würdigen Tod gewahrt sah. Im Zuge des Rechtsstreits wurden medizinische Gutachten angefordert, bei denen auch die zwei computertomografischen Scans entstanden (Abb. 1), die im Jahre 2002 aufgenommen und für die richterliche Begutachtung vergleichend nebeneinandergestellt worden sind, zum einen auf der Linken die Aufnahme eines Gehirns, das einem anonymen Probanden entstammt
und als „normal“ angeführt wurde, zum anderen auf der Rechten der Querschnitt eines Gehirnscans von Terri Schiavo. Allgemein bekannt wurde dieser Fall durch ein kurzes Video, das im Jahre 2001 von ihren Eltern aufgenommen und anlässlich des Prozesses 2002 ins Internet gestellt worden war, um damit öffentliche Unterstützung für ihr Bemühen zu finden, das Urteil des Gerichts anzufechten. Abbildung 2 zeigt einen Ausschnitt aus diesem Video, der auch als Einzelbild in Printmedien und im Internet mehrfach aufgegriffen wurde. Die cirka fünfminütige Videoaufnahme von der Tochter, die augenscheinlich ihre Mutter vom Bett aus anlächelt und mit ihr kommuniziert, löste eine Welle öffentlicher Empörung aus, die sich dagegen wehrte, die Patientin vorsätzlich zu Tode hungern zu lassen; dies führte zu einem der größten Medienechos der jüngeren US-Geschichte.1 Es formierten sich zahlreiche, großenteils religiös motivierte ProLife-Vertreter und Gegner einer politisch legitimierten Euthanasie. Fernsehen und Rundfunk berichteten über alle medizinischen und rechtlichen Details, Webforen
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Abb. 2: Ausschnitt aus einem Video, das die Eltern von Terri Schiavo 2002 im Internet veröffentlichten.
erfuhren gewaltige Nachfrage.2 Die einzelnen Details des Schiavo-Falles sind dadurch mit größter Gründlichkeit dokumentiert.3 Nach Betrachtung des Videobandes stellte der Mehrheitsführer im US-Senat, der Arzt Bill Frist, in einer vielbeachteten Rede fest, dass das Material in seinen Augen etwas anderes als einen dauerhaften Komazustand zeige; zahlreiche andere Politiker pflichteten dem bei, darunter auch US-Präsident George W. Bush und sein Bruder Jeb Bush, Gouverneur des Staates Florida. Im Oktober 2003 erließ die Legislative des Landes daraufhin in großer Eile das „Terri-Gesetz“ (Terri’s Law), das speziell dazu gedacht war, den Fall an die Bundesgerichtsbarkeit zu verweisen und so das bestehende Urteil aufzuheben. Im Zuge dieses Prozesses wurde Dr. Ronald Cranford, Präsident der American Society for Law, Medicine and Ethics und gefragter Medizin-Experte für den Bereich der Sterbehilfe, im Jahre 2005 um ein Gutachten gebeten; auch in unzähligen Fernsehsendungen kam er zu Wort. Bei dieser Gelegenheit äußerte er Zweifel am Wert des elterlichen Videos: Zu seinem großen
Bedauern müsse er feststellen, dass die Patientin sich keineswegs mit ihrer Mutter austausche, dies sei ein typischer Eindruck bei Fällen von Wachkoma. Unterstützen ließ sich seine These durch Betrachtung des gesamten Videos, das die Bedeutung des Betrachterwinkels erkennen lässt. Der oft reproduzierte Ausschnitt spiegelt vor allem dadurch einen Dialog von Tochter und Mutter, weil die Mutter sich über die Tochter beugt und die Kamera dabei über ihre Schulter hinweg die Szene einfängt. Indem Cranford die in Abbildung 1 gezeigte Gegenüberstellung von CT-Scans vor dem Bundesgericht präsentierte und diese auch in der Presse diskutierte, gelang es Cranford, das Gericht davon zu überzeugen, dass die apparativ erzeugten Aufnahmen eindeutig Terris schweren und irreversiblen Hirnschaden evident machen würden. Damit wurde jene ärztliche Einschätzung bestätigt, wonach die Patientin unwiderruflich im Koma bleiben müsste und wonach der Ehemann das Recht habe, im Sinne eines würdigen Todes die Beendigung der künstlichen Ernährung zu verlangen.
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Was an dieser Stelle interessiert, sind nicht die – zumeist hitzigen – familären, öffentlichen, medizinischen und politischen Debatten um die mögliche Aussetzung der künstlichen Ernährung der Patientin. Vielmehr geht es um den höchst einflussreichen Gebrauch von Bildern, die zur Information und Beeinflussung der Beteiligten zum Einsatz kamen, insbesondere im juristischen Zusammenhang. Denn beide Bildstrategien erwiesen sich auf ihre Weise als in höchstem Maße erfolgreich. Die zentrale Bedeutung, die das Video sowie die CT-Scans im Schiavo-Fall spielten, unterstreicht das Gewicht, das visuelle Technologien insgesamt im modernen Rechtsstreit erlangt haben.4 Dieser mediale Wandel lässt sich in den USA unmittelbar ablesen an der wachsenden Zahl „elektronischer Gerichtssäle“, die durchweg mit Flachbildschirmen bestückt sind. Einige dieser Monitore sind dezent hinter der Geschworenenbank verborgen, andere befinden sich an den Sitzen für den Gerichtsreporter, den Saaldiener, den Richter, die Zeugen und Anwälte. Ein großer Schirm gestattet auch dem Saalpublikum, die Anzeigen auf dem Monitor mitzuverfolgen. Durch berührungsempfindliche Bereiche am Schirm (touch screen) können Richter, Anwälte oder Zeugen eine Reihe von elektronischen Steuerbefehlen selber per Knopfdruck ausführen, etwa den Wechsel von Beweisaufnahmen oder Mitschriften zu Videosequenzen, Multimedia-Präsentationen, Telekonferenzen oder Internetseiten. Der vorsitzende Richter hat die höchste Aufsicht über die Anzeige durch einen Schalter, mit dem die Bildschirme für Geschworene und Publikum sofort erlöschen („kill video“). Der elektronische Gerichtsraum ist dadurch auf dem besten Wege, in den USA zur Norm zu werden. Die Rhetorik, eigentlich die Kunst der verbalen Überredung, welche seit Jahrhunderten geradezu ein Markenzeichen beredter Anwälte gewesen ist, wird damit zunehmend ergänzt – wenn nicht überschrieben – durch die Kunst der visuellen Überzeugung. Ein angemessener Name für diese neue Art der Über-Redung steht noch aus. Rechtsschulen haben von diesem
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fundamentalen Umbruch Notiz genommen und dementsprechend begonnen, ihren Studenten visuelle Trainingsprogramme anzubieten.5 In jedem Falle beruht die visuelle Rhetorik auf der Annahme, dass NeuroimagingTechnologien einen verbindlichen Einblick in Strukturen und Funktionsweisen des Gehirns erkennen lassen. Sie stehen damit unausgesprochen in der modernen phrenologisch-kriminologischen Tradition, wonach sich Hirnstrukturen mit Hirnfunktionen verknüpfen, gewalttätiges oder anti-soziales Verhalten sich mit Abnormalitäten des Gehirns erklären lässt, da sie eine bestimmte Hirnaktivität in sichtbaren kausalen Zusammenhang mit bestimmten Handlungen bringen. Bilder des Gehirns werden daher eine wachsende Rolle bei richterlichen Entscheidungen zur Sterbehilfe und in anderen Fällen spielen, in denen der Grad der Lebensfähigkeit zu beurteilen ist, ebenso in psychiatrischen Gutachten bei strafrechtlichen Fällen, bei denen der Beklagte auf Unschuld wegen Unzurechnungsfähigkeit plädiert, und im Zivilrecht, etwa bei Anfechtungen von Testamenten wegen Unmündigkeit. Sie gewinnen auch an Bedeutung in der Beurteilung von „Schmerz“, die einen überraschend großen Prozentsatz an Fällen ausmacht, bei denen Richer, Verwaltungen, Ärzte oder Versicherer über einen zugefügten Schaden und den dafür angemessenen Ersatz streiten. Fortschritte auf dem Gebiet der Visualisierung von Hirnaktivitäten verheißen hier Gewissheit über individuelle Schmerzempfindung oder deren Vortäuschung. Teilweise außerhalb des Gerichtssaales etabliert sich unterdessen von Neuem die alte Technik der Lügendetektion. Bislang auf der Messung von Stress im vegetativen Nervensystem beruhend, ist der Lügendetektor als Beweismittel wegen offenkundiger Schwächen wissenschaftlich unfundiert und in den meisten Rechtssystemen nicht mehr zugelassen. Von Nachrichtendiensten wie von privaten Anbietern wird die Technologie jedoch inzwischen wiederentdeckt, seit eine neue Generation von fMRT-basierten Detektoren auf den Markt
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gekommen ist, die eine höhere Genauigkeit und wissenschaftliche Anerkennung versprechen.6 Vor allem Militär und Nachrichtendienste haben realisiert, dass die Lügendetektion auch unabhängig davon, ob Straf- oder Zivilgerichte entsprechend belegte Aussagen von Gefangenen oder Zeugen anerkennen würden, als Mittel zum Einsatz kommen kann. Wenngleich ihre Verlässlichkeit kaum belegt ist, ergeben sich hieraus für fMRTbasierte Technologien (auch in Verbindung mit dem Argument der Terrorabwehr) gewaltige ökonomische und politische Potenziale und auch ethische Bedenken.7 Ein Fall wie derjenige um Terri Schiavo zeigt an, welche unerwarteten Aufgaben und essenziellen Folgen einer Technologie wie dem Neuroimaging durch seinen Bildcharakter zuwachsen können. Tal Golan
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1 Eine Kopie des Videos ist unter anderem verfügbar unter http://www.hospicepatients.org/terri-schindler-schiavo-docslinks-page.html. Hier bezeichnet als das five minute video (Stand aller URLs: 05/2008). 2 Angefangen mit der Webseite http:// www.terrisfight.org/, auf der sich neben biografischen Materialien auch Musikvideos, Buchangebote, Gebetstexte finden. Die zahlreichen öffentlichen Aktivitäten sind auch in einem Eintrag in der Online-Enzyklopädie Wikipedia geführt, der die bisher verfügbaren Quellen zusammenstellt, siehe http:// en.wikipedia.org/wiki/Terri_Schiavo. 3 Vgl. eine erste deutschsprachige Bilanz bei Erika Feyerabend: Der „Fall“ Terri Schiavo. Sterben heute: biopolitisch und medientauglich. In: Analyse & kritik, Nr. 494, vom 15. April 2005. 4 Dadurch verfestigt sich die nachweisliche Bedeutung von Bildern des Neuroimaging in der Presse, vgl. Eric Racine, Ofek BarIlan, Judy Illes: Brain Imaging: A Decade of Coverage in the Print Media. In: Science Communication, 28 (1), September 2006, S. 122 –142 sowie den Beitrag von Hagner im vorliegenden Band. 5 Siehe zum Beispiel das Visual Persuasion Project der New York Law School, online zugänglich unter http://www.nyls.edu/ pages/2734.asp. 6 Vgl. beispielsweise die Arbeiten von Daniel D. Langleben an der University of Pennsylvania School of Medicine: Emerging neurotechnologies for lie-detection: promises and perils (mit Paul Root Wolpe und Kenneth R. Foster). In: American Journal of Bioethics 5 (2), 2005, S. 39 – 49 und ders.: Lies, Damn Lies, and Lie Detectors (mit Paul Root Wolpe). In: Harvard Business Review 86, 2008; Beispiele für gewerbliche Interessenten auf diesem Gebiet sind die Firmen Cephos oder No Lie MRI, die fMRT-basierte Lügendetektoren zum Kauf anbieten. 7 Siehe auch Stephan Schleim: Lauschangriff aufs Gehirn. Fortschritte beim Gedankenlesen mit dem Hirnscanner. In: c’t – Magazin für Computertechnik 17, 2007, S. 72 – 79.
Olaf Blanke and Oliver Kannape
Global Body Representations and Self-Consciousness How does the cerebral cortex encode the body? How does the brain represent the surface, position, and movement of the body? Over the last 150 years and in parallel with advances in scientific and clinical methodology, many neuroscientists and neurologists have studied these questions. Important modern insights about the cerebral representation of movements were made by British neurologist Hughlings Jackson (1835 –1911). Jackson was well-known for his clinical observations of behavior and his remarkable deductive grasp; simple partial (motor) seizures that affect specific parts of the motor cortex are still named after him (“Jacksonian seizures”) and are excellent examples for how the brain represents bodily movement. As described by Jackson in 1873, abnormal movements (i.e. cloni) during simple motor seizures may affect only certain body parts and follow a specific sequence: first affecting finger, then hand, then arm, and later the entire contralateral hemibody. Experimental data first in animals, later in humans have corroborated this neurological evidence for localized bodily motor representation as well as bodily tactile representations. Following observations by the Italian anatomist and physiologist Luigi Rolando (1773 –1831), Gustav Theodor Fritsch (1838 –1927) and Eduard Hitzig (1838 – 1907) heralded a new era in the concept of cortical motor representation that is still current today. Fritsch and Hitzig carried out revolutionary experiments in dogs. Working in a makeshift laboratory in Fritsch’s home, they stimulated the exposed cerebral cortex of dogs with galvanic current revealing that the motor cortex and the non-motor cortex are located in two distinct places and that the stimulation of the motor cortex with electricity leads to muscular contractions of the body’s contralateral side. Fritsch and Hitzig also localized specific, strictly limited muscle groups using weaker currents and mapped crudely the motor representation of the cortex (Fig. 1). These pioneering observations by Fritsch and Hitzig opposed the opinions of a majority of renowned contemporary physiologists, and it was not until British neurologist David Ferrier (1843 –1928) repeated their experiments in primates that they gained widespread recognition. Ferrier’s explicit purpose was to experimentally reproduce the effects due to the “discharging” and “destroying” lesions described by Jackson. Ferrier’s seminal work thus provided, for the first time, a solid experimental foundation for the more preliminary data of Jackson,
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Fig. 1: Early mapping of a canine “motor cortex”: Electrical stimulation caused movement only in the contralesional muscles. (o) Neck muscles. (+) (top) Foreleg extensors and adductors. (+) (below) Foreleg flexion and rotation. (#) Hind leg. Facial nerve (adapted from Fritsch and Hitzig, 1870, p. 313).
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Fig. 2: Ferrier’s projection of motor areas on the primate monkey brain. While these projections to the human cortex were inaccurate, they unveil the rudimentary idea of an “upsidedown” motor homunculus: Superior areas (1– 4) are responsible for leg and foot movements, the middle area (6) for hand and arm movements, and inferior areas such as (7 – 10) for mouth, lips, and tongue movement as in articulation (Ferrier, 1876).
Fritsch and Hitzig, namely the concept of localized motor or body representations.1 Ferrier also profited from an important methodological advance. Instead of using a galvanic electrical current, he employed faradic currents. This allowed him not only to reproduce the findings of Fritsch and Hitzig but to make comparable investigations in the monkey. The new technique further enabled Ferrier to achieve a more focal distinction of the primate’s cerebral cortex delineating with greater precision the motor representation (“the motor-region”). Ferrier’s work also separated motor from tactile body representations (Fig. 2). Although David Ferrier had defined a localized cortical representation of body movements, it was still believed that somatosensory and motor cortex or these representations were intermingled in the same areas. The researchers who established that the pre-rolandic motor area on the precentral gyrus was separate from the sensory area (posterior to it) were Albert Sidney Frankau 1 Cf. Gustav Theodor Fritsch, Eduard Hitzig: Über die elektrische Erregbarkeit des Großhirns. In: Archiv der Anatomie, Physiologie und Wissenschaftlichen Medizin, 1870, pp. 300 – 332; David Ferrier, The function of the brain, London 1876.
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Fig. 3: Upside-down homunculus on the cortex of the primate apes. Adapted from Grünbaum and Sherrington (1902) who predicted a similar mapping for the human cortex.
Fig. 4: Homunculi for the somatosensory and the motor cortex, demonstrating that the brain dissects the body’s surface following a detailed topography (such as separate representations of single fingers, feet, face, or tongue) and with different sizes or magnifications for the different body parts (hand representation is larger than trunk representation). From Penfield and Rasmussen, 1950.
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Grünbaum (1869 –1915) and Charles Scott Sherrington (1857 –1952). They worked with lightly anesthetized great apes and employed unipolar faradisation which allowed even finer localization than had previously been possible (Fig. 3).2 It was Wilder Penfield’s exploration of body representations at the Montreal Neurological Institute that has received most attention and translated Sherrington’s findings to humans.3 In Penfield’s now classical work, one such representation in humans encodes the body’s surface in primary somatosensory cortex (see Fig. 4).4 This representation dissects the body’s surface following a detailed topography (such as separate representations of single fingers, feet, face, or tongue) and with different sizes or magnifications for the different body parts (i. e. hand representation is larger than trunk representation). This body map also follows a defined sequence when extending over the postcentral gyrus of the parietal cortex. Thus, the tongue and face are represented laterally, followed by hand and fingers, then trunk, legs, and feet. 2 Albert Sidney Frankau Grünbaum, Charles Scott Sherrington: Observations on the physiology of the cerebral cortex of some of the higher apes (Preliminary Communication). In: Proceedings of the Royal Society 69, 1902, pp. 206 – 209. 3 Wilder Penfield, Edwin Boldrey: Somatic motor and sensory representation in the cerebral cortex of man as studied by electrical stimulation. In: Brain 60, 1937, pp. 389 – 443; Wilder Penfield, Theodore B. Rasmussen: The cerebral cortex of man: A clinical study of localization of function, New York 1950; Wilder Penfield, Herbert H. Jasper: Epilepsy and the functional anatomy of the human brain, 2nd Edition, Boston, MA 1954. 4 Penfield, Jasper (as cited in footnote 3).
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Penfield described two similar homunculi, one for the motor cortex in the precentral gyrus, another for sensory cortex in the postcentral gyrus, reflecting detailed topography (separate representations of finger, feet, face, or tongue movements), different sizes for certain body parts (i.e. hand motor representation is larger than foot motor representation), further translating Sherringtonian discoveries to humans. When plotted in 3D, these body representations later resulted in the probably most famous and most often reprodu- Fig. 5: Somatosensory homunculus. This “little man” reflects the amount of cortical area devoted to the somatosensation of a ced picture in neurosciences: the specific body part. Fine sensual skills require a larger cortical area, “homunculus” (Figure 5 shows a hence the disproportionately large hands. Natural History Museum, model of the Sensory Homuncu- London. lus). Does the brain also contain more global body representations? In other words: are there representations encoding larger body regions (such as the upper body or the right or left hemibody) or the entire body at a single location as opposed to the tactile body representations in postcentral cortex that encodes small body parts at single locations? The answer is positive. Distinct brain regions have been described that still encode body-part specific representations as for example the trunk representation in the postcentral gyrus, but are characterized by larger body parts, less spatial detail, and thus a more global body representation. This has been described in premotor cortex as well as the supplementary motor area and pre-supplementary motor area.5 Hécaen and Ajuriaguerra (1952) also 5 Penfield, Jasper (as cited in footnote 3); this has recently also been suggested to be partly present in primary motor cortex in the precentral gyrus (Jerome N. Sanes et al.: Shared Neural Substrates Controlling Hand Movements in Human Motor Cortex. In: Science 268, 1995, pp. 1775 –1777; Iole Indovina, Jerome N. Sanes: On Somatotopic Representation Centers for Finger Movements in Human Primary Motor Cortex and Supplementary Motor Area. In: NeuroImage 13, 2001, pp. 1027–1034.
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suggested – based on clinical observations including illusory own body perceptions – that even larger body representations exist in the human brain and proposed that parietal cortex contains two distinct levels of body representation: one in superior parietal cortex for large body regions such as an entire arm or leg, whereas a site in inferior parietal cortex or temporo-parietal cortex contained a global body representation encompassing the entire body.6 Such global body representations may also be illustrated by the example of vestibular sensations or illusory sensations of bodily movement in the absence of any observable bodily movement. Such sensations were induced experimentally as long as 72 years ago in two patients who had the impression that their body was rolling off a table (without any observable movement).7 Kahane et al. (2003) and Blanke et al. (2000) were able to make similar observations suggesting the presence of global body representations in inferior parietal cortex and the temporo-parietal cortex, probably related to interference with vestibular processing.8 The patient reported by Blanke and his colleagues expressed during electrical stimulation in inferior parietal cortex that he felt that he was “sliding towards the lower end of the bed” and that “I’m rolling to the right and falling out of the bed”. Collectively, these clinical data strongly point to the existence of global body representations in posterior parietal and temporo-parietal cortex. In the remainder of this article, several recent neurological, neuroimaging, and behavioural data on such global body representations from the authors’ 6 Henry Hécaen, Julian de Ajuriaguerra: L’héautoscopie. In: Méconnaissances et hallucinations corporelles, Paris 1952, pp. 310 – 343. 7 Otfrid Foerster: Handbuch der Neurologie, Berlin 1936. 8 Philippe Kahane, Philippe Ryvlin, Dominique Hoffmann, Lorella Minotti, Alim Louis Benabid: From hypothalamic hamartoma to cortex: What can be learnt from depth recordings and stimulation? In: Epileptic Disorders 5 (4), 2003, pp. 205 – 217; Olaf Blanke, Stephen H. Perrig, Gregor Thut, Theodor Landis, Margitta Seeck: Simple and complex vestibular responses induced by electrical cortical stimulation of the parietal cortex in humans. In: Journal of Neurology, Neurosurgery & Psychiatry 69, 2000, pp. 553 – 556. 9 For reviews see Olaf Blanke, Christine Mohr: Autoscopic phenomena of neurological origin. Implications for corporal awareness and self consciousness. In: Brain Research Reviews 50, 2005, pp. 184 –199; Olaf Blanke, Shahar Arzy, Theodor Landis: Illusory perceptions of the human body and self. In: Handbook of Clinical Neurology 88 (Neuropsychology and behavioral neurology), 2008, pp. 429 – 458; Christophe Lopez, Pär Halje, Olaf Blanke: Body ownership and embodiment. Vestibular and multisensory mechanisms. In: Clinical Neurophysiology. Accepted, in press 2008.
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own studies will be reviewed. These global body representations are rather vestibular or multisensory in nature than tactile or motor (as the post- and pre-central body representations) integrating information from vision, touch, balance, and the motor system.9 The authors have argued before that these global body representations may turn out to be of crucial relevance for a neuroscientific approach to self-representations in the brain because key features of self-consciousness such as self-location (or embodiment) and self-identification (or ownership) 10 are experienced as unitary, single, and coherent and not as multiple and fractured.11 In consequence, the article will introduce empirical evidence from neurology, neuroimaging, and experimental psychology including virtual reality. Abnormal global body representations: Neurology
Which neurological conditions have been described in the case of interference or damage with global body representations? The discussion will focus on one class of such neurological conditions, namely autoscopic phenomena. Autoscopic phenomena are illusory own body perceptions that affect the entire body and lead to striking abnormalities in bodily self-consciousness with respect to self-location and ownership (self-identification). Three types of autoscopic phenomena are 10 Olaf Blanke, Theodor Landis, Laurent Spinelli, Marianne Seeck: Out-of-body experience and autoscopy of neurological origin. In: Brain 127, 2004, pp. 243 – 258; Bigna Lenggenhager, Tej Tadi, Thomas Metzinger, Olaf Blanke:Video Ergo Sum: Manipulating Bodily Self-Consciousness. In: Science 317, 2007, pp. 1096 –1099; Thomas Metzinger: Out-of-Body Experiences as the Origin of the Concept of a “Soul”. In: Mind & Matter 3 (1), 2005, pp. 57–84; Idem: Empirical perspectives from the self-model theory of subjectivity: A brief summary with examples. In: Rahul Banerjee, Bikas K. Chakrabarti (eds.): Progress in Brain Research 168, 2008, pp. 215 – 246; Christophe Lopez, Olaf Blanke: Neuropsychology and neurophysiology of self consciousness: Multisensory and vestibular mechanisms. In: Adrian Holderegger, Beat Sitter-Liver, Christian W. Hess, Günter Rager (eds.): Hirnforschung und Menschenbild. Beiträge zur interdisziplinären Verständigung, Basel 2008 (in press). 11 Of course this should not be misunderstood in the sense that only (one or) few global body representations exist(s) in the human brain and that this accounts for the unity and coherence of experience per se. Such global body representations integrate bodily signal processing, abstracting from body-part specific processing to higher levels of body representation. Similar hierarchies have also been described in the visual system (ranging from areas with small receptive fields encoding points of light to areas with large receptive fields coding for colour or faces). Global body representations are probably crucial building blocks for self representations, but there are several such self global representations in the brain and none of them should be considered as the self’s internal homunculus or identity with the self.
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described in the following: autoscopic hallucination, heautoscopy, and out-of-body experience (OBE). They occur after damage to temporo-parietal, occipito-temporal, or parietooccipital cortex12 and are due to distinct patterns of multisensory disintegration of global bodily information. Interference with global body representations is characterized by the patient’s impression of seeing a second own body and of variable degrees of illusory self-identification and self-location with respect to that double or autoscopic body.13 Autoscopic Hallucination: Patients with autoscopic hallucinations suffer from a purely visual own body illusion. They experience seeing a double of themselves in extrapersonal space without sensations of disembodiment or abnormal selflocation (Fig. 6, left). The patients do not self-attribute or self-identify with the illusory body (i.e. they do not misattribute this body as their own) and do not localize the self at the position of the illusory body (i.e. there is no abnormal embodiment), so that self-location is habitual and at the physical body position. Autoscopic hallucinations are often associated with visual sensations and visual deficits (such as visual field loss). Heautoscopy: Contrasting with autoscopic hallucinations, patients with heautoscopy may experience the self to be localized at their habitual position or at the position of the illusory body (abnormal embodiment; Fig. 6, centre). They also have the experience of seeing a double in extrapersonal space. However, these patients always self-identify with the illusory body, at least partly and temporarily, creating a bistable situation in which the self seems either localized within the physical body or in the double. Hence, self-location and the visuo-spatial perspective are reported as if seeing the world from the physical body or from the position of the illusory body. Patients generally do not report disembodiment (even if localizing themselves at the position of the illusory body), but rather a sensation of duplication of the self or co-existence of two selves. In these cases 12 Blanke, Mohr (as cited in footnote 9); Olaf Blanke, Veronica Castillo: Clinical neuroimaging in epileptic patients with autoscopic hallucinations and out-of-body experiences. Case report and review of the literature. In: Epileptologie 24, 2007, pp. 90 – 96. 13 Erich Menninger-Lerchenthal: Das Truggebilde der eigenen Gestalt (Heautoskopie, Doppelgänger), Berlin 1935; cf. idem: Der eigene Doppelgänger, Bern 1946; Hécaen, Ajuriaguerra (as cited in footnote 6); Peter Brugger, Marianne Regard, Theodor Landis: Illusory reduplication of one’s own body: phenomenology and classification of autoscopic phenomena. In: Cognitive Neuropsychiatry 2, 1997, pp. 19 – 38; Peter Brugger: Reflective mirrors: perspective taking in autoscopic phenomena. In: Cognitive Neuropsychiatry 7, 2002, pp. 179 –194.
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Fig. 6: Phenomenology of the three main autoscopic phenomena: Autoscopic Hallucination (A), Heautoscopy (B) and Out-of-Body Experience (C) with respect to visuo-spatial perspective (arrow), self-location and autoscopy. The position of the physical body of the subject is indicated as the non-transparent body. The transparent body represents the illusory body. Note that the self–body distinction is ambiguous for heautoscopy. The direction of the visuo-spatial perspective is indicated by the direction of the pointing arrow. In autoscopic hallucination the visuo-spatial perspective is body centred, in out-of-body experience it is from a disembodied position and in heautoscopy it is either simultaneous or alternating between physical and disembodied locations (Blanke, 2005).
one may also speak of an abnormality of the self-centered reference frame. Heautoscopy is often associated with somatosensory and vestibular sensations. Out-of-Body-Experience: Localization and identification of the self with an illusory body at an extracorporeal position is complete in out-of-body experiences (Fig.6, right).14 In this third form of autoscopic phenomena patients always localize the self outside their physical body and experience to see their body from this disembodied location. Self-location is abnormal and the self is disembodied, not localized in one’s body borders but at an elevated extracorporeal location. As in the case of heautoscopy, out-of-body experiences are associated with somatosensory and vestibular illusions such as “elevation, flying, lightness vertigo, sinking”. In conclusion, these three distinct illusory own body perceptions are abnormal global body representations that are characterized by abnormal self-identification and self-location and range from absent (autoscopic hallucination) to partial (heautoscopy) and to fully abnormal (out-of-body-experience) self-identification and self-location with respect to another body in another location in the extrapersonal space. Further analysis suggested that autoscopic phenomena result from a failure to integrate multisensory bodily information.15 This consisted of disintegration in bodily space (due to conflicting somatosensory and visual information) and 14 Also cf. Orrin Devinsky, Edward Feldmann, Kelly Burrowes, Edward Bromfield: Autoscopic phenomena with seizures. In: Archives of Neurology 46, 1989, pp. 1080–1088; Brugger et al. (as cited in footnote 13); Olaf Blanke, Stephanie Ortigue, Theodor Landis, Marianne Seeck: Stimulating illusory own-body perceptions. In: Nature 419, 2002, pp. 269 – 270. 15 Blanke et al. (as cited in footnote 10); Blanke, Mohr (as cited in footnote 9).
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a second disintegration between corporal and extracorporeal space (due to conflicting vestibular and visual information). While bodily space is disturbed in all three forms of autoscopic phenomena, differences are mainly due to differences in strength and type of the vestibular dysfunction and the resulting disturbance of the gravity-centered reference frames and its integration with bodily space (or the body-centered reference frame). Out-of-body experiences are associated with a strong vestibular disturbance, probably of otolithic origin,16 leading to abnormal gravity-centered coding and disintegration between body-centered and object-centered reference frames. Heautoscopy is associated with a moderate and more variable vestibular disturbance, presumably originating from the semicircular canals, leading to abnormal body-centered coding but relatively normal gravity-centered coding. The strong disturbance of body-centered processing in heautoscopy is assumed to lead to alternating or simultaneous self-location at the physical and/or illusory body. Finally, autoscopic hallucinations are not associated with abnormal gravity-centered coding and minimally abnormal body-centered coding. The high frequency of visual hallucinations and hemianopia in patients with autoscopic hallucinations suggests that deficient visual processing of bodily information is the main causing factor for abnormal body-centered coding in autoscopic hallucinations. Finally, the different types of autoscopic phenomena have been linked to distinct brain regions. Thus, it was shown that out-of-body experiences and heautoscopy are primarily associated with damage or electrical stimulation at the temporo-parietal junction, whereas autoscopic hallucinations are associated with damage in temporo-occipital cortex (Fig. 7). Hallucinated self-portraits and painted self-portraits
With respect to images or Bildwelten in the neurosciences, Blanke proposed to consider these three distinct types of hallucinated own body images as hallucinated “self-portraits” generated by interference with cortical global body representations; moreover, the author proposed that some of the phenomenological and neurocognitive characteristics of autoscopic phenomena can also be found in the pictorial phenomenology of self-portraits.17 Correspondingly, he 16 Blanke et al. (as cited in footnote 10). 17 Olaf Blanke: Visuo Spatial Neglect in Lovis Corinth’s Self- Portraits. In: International Review of Neurobiology 74 C, 2006, pp. 193 – 214; Idem: I and me. Self-portraits in brain damage. In: Frontiers of Neurology and Neuroscience 22, 2007, pp. 14 – 29.
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suggested to describe self-portraits also as reduplicative phenomena since self-portraits also contain the painter twice: as the painting painter and the painted painter.18 This comparative analysis revealed that some of the neurocognitive mechanisms of autoscopic phenomena might Fig. 7: Lesion locations in five patients with autoscopic phenomena also be employed by artists of associated with disembodiment. A distinct colour is used for every self-portraits and even beholders patient. The results of the individual lesion analyses of the patients of such paintings. Based on this overlap centred on the temporo-parietal junction (area indicated by dashed white line). Thick black lines indicate sylvian fissure and cenanalysis a preliminary division tral sulcus; thin lines indicate superior temporal sulcus, postcentral of the genre of self-portraiture sulcus and intraparietal sulcus (Blanke, 2004). in three major types of self-portraits was proposed that reflects the characteristics of autoscopic hallucination (visual self-portraits), out-of-body experience (disembodied self-portraits), and heautoscopy (corporeal self-portraits). Electrical Neuroimaging (EEG) and Mental Imagery
Autoscopic phenomena allow investigating global body representations based on phenomenological and neuropsychological findings in neurological patients.19 Studies by the authors with healthy subjects not affected by the described phenomena support the idea that temporo-parietal cortex (that is lesioned in neurological patients with autoscopic phenomena) is activated when they imagined themselves being in the position and visual perspective that is generally reported by people experiencing spontaneous out-of-body experiences.20 This suggests that mental imagery for one’s own body relies on brain mechanisms encoding 18 Cf. exhibition catalogue “Moi je, par soi-même. L’autoportait au XXe siècle”, Musée du Luxembourg, 31.3.– 25.7. 2004 a.o., edited by Pascal Bonafoux. Paris 2004; also Otto Pächt: Rembrandt, Munich 1991. 19 Brugger (as cited in footnote 13); Blanke et al. (as cited in footnote 14); Dirk de Ridder, Koen Van Laere, Patrick Dupont, Thomas Menovsky, Paul van de Heyning: Visualizing out-of-body experience in the brain: In: New England Journal of Medicine 1, 2007, 357 (18), pp. 1829 –1833. 20 Olaf Blanke, Christine Mohr, Christoph M. Michel, Alvaro Pascual-Leone, Peter Brugger, Marianne Seeck,Theodor Landis, Gregor Thut: Linking OBEs and self processing to mental own body imagery at the temporo-parietal junction. In: Journal of Neuroscience 25, 2005, pp. 550 – 557.
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multisensory global body representations in temporo-parietal cortex. This was further indicated by data showing that temporo-parietal activation during global body imagery correlates with behavioural measures (such as speed of responses and accuracy) and the frequency of illusory own body perceptions. Thus, Christine Mohr and colleagues found that the number of illusory own body perceptions (as measured by the perceptual aberration scale) 21 predicts the speed and accuracy with which subjects perform mental imagery tasks relying on global body representations.22 Interestingly, the frequency of such illusory own body perceptions correlates not just with behavior,23 but also with temporo-parietal activation in Fig. 8: Disembodied and embodied self-location was shown to activate differently the temporo-parietal junction global own body imagery (Fig 8).24 and extrastriate body area (A, B), Arzy et al. (2004). Changes In a related study in 2006, Shahar Arzy in visuo-spatial perspective rely on a similar network but also include the medial parietal and medial prefrontal corand colleagues extended these findings tex (C), Vogeley and Fink (2003), David (2006). and manipulated imagined self-location.25 Brain activation during mental own body imagery with disembodied self-location (as in OBEs) was compared with brain activity during mental own body imagery with embodied self-location (as in autoscopic hallucinations). Arzy and his colleagues described distinct 21 Lauren J. Chapman, Jean P. Chapman und Michael L. Raulin: Body-image aberration in schizophrenia. In: Journal of Abnormal Psychology 87, 1978, pp. 399 – 407. 22 Christine Mohr, Olaf Blanke, Peter Brugger: Perceptual aberrations impair mental own body transformations. In: Behavioural Neuroscience 120, 2006, pp. 528 – 534. 23 Mohr et al. (as cited in footnote 22). 24 Shahar Arzy, Christine Mohr, Christoph M. Michel, Olaf Blanke: Duration and not strength in temporoparietal cortex positively correlates with schizotypy. In: NeuroImage 35, 2007, pp. 326 – 333. 25 Shahar Arzy, Gregor Thut, Christine Mohr, Christoph M. Michel, Olaf Blanke: Neural Basis of Embodiment: In: Journal of Neuroscience 26 (31), 2006, pp. 8074 – 8081.
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brain activation patterns when employing disembodied and embodied self-location, compatible with clinical lesion data. This suggests that the imagined selflocation and the imagined visuo-spatial perspective can be employed in order to investigate the central mechanisms of global body representations and seem to rely on at least partly shared brain systems. Other important lines of research on global body representations have focussed on changes in the visuo-spatial perspective (or the first-person perspective) as opposed to self-location. As indicated above, both phenomena have been proposed to be important for models of the global self as self-consciousness is characterized by being centered (an aspect that is probably related to self-location) and perspectivalness (an aspect that is probably related to the first-person perspective).26 Also note that both phenomena are disturbed in OBEs . Several recent studies have investigated global body representations as manipulated through changes in or first-person perspective and interestingly also highlighted the importance of the right temporo-parietal cortex among other brain regions (Fig. 8).27 Illusory global body representations: Virtual Reality
Although one’s first-person perspective and self location are tightly associated under normal conditions and in autoscopic hallucinations and most OBEs, this may not be the case in all instances. For example, some patients with heautoscopy28 and experiences that are closely related to OBEs29 may report dissociations between their visuo-spatial perspective and self-location. This suggests that the neural mechanisms of both phenomena – that are crucial aspects of global body representations – rely, at least partly, on distinct brain 26 Metzinger: Empirical perspective (as cited in footnote 10). 27 Perrine Ruby, Jean Decety: Effect of subjective perspective taking during simulation of action: A PET investigation of agency. In: Nature Neuroscience 4, 2001, pp. 546 – 550; Kay Vogeley, Gereon R. Fink: Neural correlates of the first-person-perspective. In: Trends in Cognitive Science 7, 2003, pp. 38 – 42; Kay Vogeley, Mark May, Afra Ritzl, Peter Falkai, Karl Zilles, Gereon R. Fink: Neural correlates of first-person perspective as one constituent of human selfconsciousness. In: Journal of Cognitive Neuroscience 16, 2004, pp. 817 – 827; Nicole David, Bettina H. Bewernick, Michael X. Cohen, Albert Newen, Silke Lux, Gereon R. Fink, N. Jon Shah, Kay Vogeley: Neural representations of self versus other: visual-spatial perspective taking and agency in a virtual ball-tossing game. In: Journal of Cognitive Neuroscience 18, 2006, pp. 898 – 910. 28 Blanke et al. (as cited in footnote 10); Blanke, Mohr (as cited in footnote 9). 29 De Ridder et al. (as cited in footnote 19).
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mechanisms. The final section is thus to describe the experimental induction of an illusion in healthy participants that manipulates global body representations by multisensory bodily conflict.30 During this illusion participants experience a virtual body as if it was their own body (self-attribution) and localize their self at a different position in space (self-location) using virtual reality. This reveals that an experience – that shares characteristics with heautoscopy (illusory selfattribution; embodied visuo-spatial perspective) and OBEs (abnormal self-location) – can be induced in healthy subjects. Moreover the illusion reveals that self-location and visuospatial perspective are dissociable in healthy subjects. The experimental procedure was based on the so-called rubber-hand illusion (RHI). During the RHI participants misattribute a fake rubber hand to their own body, while the participants’ real hand is out of view. This is achieved by synchronously stroking the seen fake hand and the subject’s actual (unseen) hand in the same fashion.31 The RHI results from a multisensory conflict between vision, proprioception, and touch, which is dominated or “captured” by vision, probably leading to the misattribution. Furthermore, several studies have demonstrated that the RHI is also associated with a mislocalization of one’s hand toward the fake hand or illusory body-part location.32 Yet, the RHI does not allow investigating global body representations as defined in this article as this does require the investigation of self-identification, self-location, or visuo-spatial perspective. Studies on the RHI only investigate body-part ownership or the attribution and localization of a body part with respect to the global bodily self, i.e. a part-to-whole relationship. How can self-identification, self-location and visuo-spatial perspective be modified experimentally? For this Lenggenhager et al. (2007) employed visual capture (as in the RHI) and applied multisensory conflict to the entire body. Through a head-mounted display (HMD) participants (see the person in Fig. 9 wearing dark trousers) saw their own body (with light trousers; virtual body) in 3D as if standing two metres in front of them. They also saw their virtual 30 Lenggenhager et al. (as cited in footnote 10). 31 Matthew Botvinick, Jonathan Cohen: Rubber hands ‘feel’ touch that eyes see. In: Nature 391 (6669), 1998, p. 756; K. Carrie Armel, Vilayanur S. Ramachandran: Projecting sensations to external objects: Evidence from skin conductance response. In: The Royal Society, Proceedings: Biological Sciences 270 (1523), 2003, pp. 1499 –1506; Manos Tsakiris, Patrick Haggard: The rubber hand illusion revisited: Visuotactile integration and self-attribution. In: Journal of Experimental Psychology: Human Perception and Performance 31 (1), 2005, pp. 80 – 91. 32 Botvinick, Cohen (as cited in footnote 31).
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Fig. 9: Video Ergo Sum Setup: (A) The participant (dark trousers) sees through a head-mounted display his own virtual body (light trousers) in 3D, standing 2 m in front of him and being stroked synchronously or asynchronously at the participant’s back. (B) In another condition the participant sees a virtual noncorporeal object (light gray) being stroked synchronously or asynchronously at the back. Dark colours indicate the actual location of the physical body or object, whereas light colours represent the virtual body or object seen on the display (Lenggenhager et al., 2007; Illustration by M. Boyer).
body being stroked synchronously or asynchronously with respect to their back. As predicted and corresponding to the RHI, participants showed a drift toward the virtual body in the synchronous condition but not or less so in the asynchronous condition (illusory self-location). Although, none of the subjects reported disembodiment (as is classically observed in OBEs), these data suggest that participants localized their bodily self outside their actual bodily borders. This was corroborated by participants’ self-identification with the virtual body and
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self-attribution of the visual stimuli applied to the “skin” of the virtual body. In a control condition, the participant saw either a virtual non-corporeal object (light gray) being stroked synchronously or asynchronously at the back revealing no illusory touch, self-identification, and self-location. This study revealed that global body representations are likely to be as manipulable as body part representations. Moreover this suggested that one’s self-location can be dissociated from the location of one’s visuo-spatial perspective confirming clinical observations. This was extended by a study of Henrik Ehrsson employing a similar, but distinct, experimental virtual reality technique allowing modifying also one’s visuo-spatial perspective.33 In conclusion, the authors believe that such experimental paradigms combining multisensory bodily stimuli with virtual reality might turn out to be an important tool for studying global body representations and their role in self-representations in the brain. The thinking body: Philosophical contexts and practical conclusions
David Hume famously claimed that when he introspected he was unable to catch his self without a perception and was unable to observe “anything but the perception” itself. He concluded that the self (or the observing introspective subject) is nothing but a bundle or collection of different perceptions; this struggle of Western philosophy with the body and self was also exemplified in René Descartes’ effort to separate mind and body. Today there is a renewal of scientific interest in how bodies think, how conscious thought and the subject is embodied. Here it is argued that the aspects of the human brain are likely to be related to partial as well as global body representations. In this context, recent discussions of embodiment and body-representation draw largely on Maurice Merleau-Ponty’s work that was fascinated by humans’ “being-in-the-world” and the way human consciousness is incarnated in the world. For Merleau-Ponty and later psychologists William Gibson (1952) and Ulrich Neisser (1988) cognition is embodied and functions as part of a dynamic relationship between subjects with a body and external objects. Recent years have seen increasing research in philosophy and cognitive science on body 33 In this study subjects reported a modification in the location of their visuo-spatial perspective towards the camera location that was filming the subject’s body during the stroking. It is not known whether this illusion was associated with changes in self-location (H. Henrik Ehrsson: The Experimental Induction of Out-of-Body Experiences. In: Science 317, 2007, p. 1048).
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representations and how the conscious self might be fundamentally linked to neural own body representations. The present article summarized recent empirical data from neurology, neuroimaging, and experimental psychology suggesting that especially the brain’s global multisensory body representations34 might turn out to provide insights on critical aspects of the conscious self including such key aspects as “my selflocation”, “my first person perspective” and “my identification with my body”. The experimental induction of illusions of the global multisensory self opens a new avenue for the investigation of the neurobiology of self-consciousness and should include the entire spectrum of autoscopic phenomena (ranging from autoscopic hallucinations and heautoscopy to full-blown disembodied states such as out-of-body experiences) as well as other illusory own body perceptions affecting the entire body. In consequence, it is predicted here that the merging of virtual-reality based technology with state-of-the-art neuroimaging will be crucial to describe the neurobiological mechanisms of bodily self-consciousness. Such a joint approach might eventually allow describing brain processes while humans catch their selves in virtual reality settings. 34 Sensorimotor or motor global body representations are likewise to be important building blocks of the conscious self, but have so far not received much scientific attention (Elena Daprati, Nicolas Franck, Nicolas Georgieff, Joëlle Proust, Elisabeth Pacherie, Jean Dalery, Marc Jeannerod: Looking for the agent: an investigation into consciousness of action and self-consciousness in schizophrenic patients. In: Cognition 65, 1997, pp. 71– 86; Marc Jeannerod: From my self to other selves. A revised framework for the self/other differentiation. In: Patrick Haggard, Yves Rossetti, Mitsuo Kawato (eds.): Sensorimotor foundations of higher cognition. Attention and Performance XXII, Oxford 2007, pp. 233 – 248.; Oliver Kannape et al.: Motor control and motor awareness in a full body agency task using virtual reality. In: FENS Meeting 2008, Abstract P11849.
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Mental Hygiene, Brain-Washing und Cold War Culture. Zur Gehirnmetapher im US-amerikanischen Lehrfilm Im Herbst 1950 begann der Journalist und CIA-Mitarbeiter Edward Hunter mit der Planung und Durchführung einer antikommunistischen Pressekampagne, an der er sich selbst maßgeblich beteiligte. Am 24. September veröffentlichte er in der Miami Daily News einen richtungsweisenden Artikel mit dem Titel BrainWashing‘ Tactics Force Chinese into Ranks of Communist Party.1 Erstmals tauchte in der US-amerikanischen Medienöffentlichkeit die Wortschöpfung „Brain-washing“ (dt. „Gehirnwäsche“) auf und stieg in der Feindbildpolitik des Kalten Kriegs zu einem Leitbegriff auf. „Brain-washing“ ist ein Lehnbegriff der chinesischen Wortschöpfung x˘i n˘ao (x˘i, „waschen“, n˘ao, „Gehirn“) und wurde von der US-Administration zur drastischen Metapher für die in den kommunistischen Staaten ausgeübte Praxis der psychologischen Manipulation zur Zeit des Korea-Kriegs aufgebaut. Vor dem Hintergrund dieser politisch motivierten Popularisierungskampagne wurden wissenschaftlich-technische Repräsentationen von Hirnfunktionen und -strukturen zu einem bedeutenden Austragungsort gesellschaftlicher Diskurse und politischer Machtverhältnisse. In der Folgezeit wurde die Abwehrmetapher des Gehirns zur Ikone und durchlief dabei eine vielschichtige Bildkarriere. „Engineering the American Self“
Der Prozess der Ikonisierung des Gehirns als Bestandteil staatlicher Bewusstseinskontrolle wurde jedoch bereits im Zweiten Weltkrieg initiiert. Mit dem Kriegseintritt der USA im Jahr 1941 produzierte das U.S. Office of War Information unter dem Schlagwort „Engineering the American Self “2 Unterrichtsfilme (Instructional Films) zur direkten Verhaltensbeeinflussung des militärischen Personals. Die Trainingsfilme waren behavioristisch orientiert und operierten mit schematischen Trickgrafiken des Gehirns zur Aufmerksamkeitssteuerung des Kinopublikums („attention marker“).3 Ein Film-Still des Trainingsfilms Safeguarding Military Information (USA 1943) zeigt einen Soldaten, der sich in einer feindlichen Umwelt der Infiltration, Spionage und Abwehr befindet. Im Körperumriss leuchtet ein in weißer Farbe 1 Vgl. die Buchpublikation gesammelter Aufsätze von Edward Hunter: Brain-Washing in Red China. The calculated Destruction of Men’s Minds, New York 1951. 2 Edward Bernays: The Engineering of Consent, New York 1947, S. 17. 3 United States. Office of War Information. Bureau of Motion Pictures: A List of United States War Information Films, Washington DC, 1942, S. 3 – 20. Vgl. Denise Winn: The Manipulated Mind. Brainwashing, Conditioning and Indoctrination, London 2000.
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hervorgehobenes Gehirn im Querschnitt, das sich deutlich vom schwarzen Hintergrund abhebt (Abb. 1). Eine Kamerafahrt in das Innere des Körpers in Richtung des Gehirns sorgt für eine zusätzliche Blickführung, die vom Off-Kommentar Abb.1: Still aus dem Film „Safeguarding Military Informaverstärkt wird („be aware“). Instruieren- tion“ (USA 1943). de Filme wie Safeguarding Military Information nutzten die Potenziale und Funktionen der Gehirnmetapher, um den Lernenden zu stimulieren, neue Lehrinhalte durch bildhaftes Anknüpfen an einheitliche und wiederholbare Bildzeichen effektiver zu erlernen. Die Bildmetaphern sollten weniger das Vorwissen (Erinnerung) aktualisieren, sondern dienten vielmehr zur Steigerung memnotechnischer Leistungen. Ausgehend von den militärischen Trainingsfilmen entwickelte sich an der Schnittstelle politischer Einflussnahme, der Sichtbarmachung mentaler Prozesse und einer invasorischen Blickkultur eine filmische Motivgeschichte des Gehirns, die sich aus spezifischen Kinotechniken zusammensetzte (Kadrierung, Montage, Trickfilmtechnik, Tiefenanordnungen, Kamerafahrten und -bewegungen, BildTon-Relation u.a.).4 Maßgeblicher Auftraggeber der Instructional Films war das Office of War Information, das kleine Lehrfilmhersteller im Mittelwesten der USA damit beauftragte, audiovisuelle Zeichenregister zur effektiven Blickführung eines Massenpublikums zu entwickeln.5 Innerhalb dieser Register visueller Instruktionen sollten die Repräsentationen des Gehirns die Aufgabe der innerdiegetischen Adressierung („filmisches Verstehen“) und der extradiegetischen Konditionierung des Publikums („filmische Anleitung zur Lebensführung“) übernehmen. Im Produktions- und Rezeptionskontext der War Information dominierten vor allem positivistische Evidenzstrategien zur Visualisierung mentaler Prozesse. Erst nach Kriegsende rückten die negativen Seiten der Konditionierung des 4 Vgl. David B. Klein: Mental Hygiene. The Psychology of Personal Adjustment, New York 1944, S. 37. 5 David H. Culbert: Information Control and Propaganda. Records of the Office of War Information, Frederick 1986, S. 423 – 488; James M. Myers,:The Bureau of Motion Pictures and its Influence on Film Content during World War II. The Reasons for its Failure, Lewiston 1998, S. 145 – 162.
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Gehirns in den Vordergrund. Das Eindringen in die Gedankenwelt eines anderen Menschen wurde zunehmend als unheimliche und angstbesetzte Entfremdung (Alienation) der eigenen Identität angesehen.6 In der Nachkriegsära dominierte die Beziehung des Körpers zu seiner Umwelt ein Denken, das stark von antagonistischen Vorstellungen geprägt war. „Kalter Krieg“ und „Ost-West-Konflikt“ bezeichneten einen fundamentalen ‚„Systemgegensatz“ und prägten gleichermaßen kulturelle und wissenschaftliche Diskurse. Vor diesem ideengeschichtlichen Hintergrund wurde das Gehirn zum bevorzugten Kampfplatz des Ost-West-Konfliktes stilisiert. In Filmen wie The Fight Against Communism (USA 1950) oder Practicing Democracy in the Classroom (USA 1952) kämpften personifizierte Hirnzellen gegen ideologische Fremdkörper. Mit animierten Cartoons zelebrierten antikommunistische Social Guidance Movies ihre medienspezifischen Möglichkeiten, indem sie etwa mit Hilfe wissenschaftlich-technischer Bildrepertoires versprachen, schädliche Gedanken sichtbar zu machen, um sie anschließend zu eliminieren (Abb. 2 und 3). In der Zeit der Korea-Krise war das Brainwashing in aller Munde.7 Am 10.April 1953 hielt der CIA-Direktor Allen W. Dulles seine programmatische Antrittsrede über das „Brain-Warfare“.8 Sein Vortrag über die Erfordernisse der psychologischen Kriegsführung verstand sich als Startschuss für ein umfassendes Forschungsprogramm zur Beherrschung des menschlichen Gehirns. Das von regierungsnahen Institutionen geförderte Erziehungsprogramm der „Mental Hygiene“ zielte auf die internalisierte Kontrolle und Steuerung der US-Bürger/ innen.9 Mitte der fünfziger Jahre initiierten die Psychologen Edgar H. Schein und Robert J. Lifton im Auftrag der US-Regierung und in enger Zusammenarbeit mit führenden Repräsentanten der Gruppenforschung, der pharmazeutischen Industrie und der Operations Research zahlreiche Forschungsprogramme über Möglichkeiten der sogenannten „Mind Control“, die auch Menschenversuche beinhalteten.10 Ein funktionierendes Brain-Warfare sollte nicht länger 6 Liz Hedgecock: “The Martians Are Coming!” – Civilization v. Invasion in The War of the Worlds and Mars Attacks! In: Deborah Cartmell et al. (Hg.): Alien Identities. Exploring Differences in Film and Fiction, London 1999, S. 104 – 120. 7 Susan L. Carruthers: Redeeming the Captives. Hollywood and the „Brainwashing“ of America’s Prisoners of War in Korea. In: Film History 10/3, 1998, S. 275 – 294. 8 William Sargant: Battle for the Mind. A Physiology of Conversion and Brain-Washing, Cambridge 1997, S. 87f. 9 Vgl. Lawrence E. Shaffer, Edward J. Shoben: The Psychology of Adjustment. A Dynamic and Experimental Approach to Personality and Mental Hygiene, Boston 1956, Kapitel 2.
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Abb. 2 und 3: Stills aus „Fight Against Communism“ (USA 1950).
von technischen Überwachungsapparaturen abhängig sein: Gruppenzwang und sozialer Anpassungsdruck galten als die effektivsten Methoden zur Herstellung der Mind Control.11 Gehirn, Organismus, Staat
Die im Jahr 1949 sprunghaft angestiegene Produktion von psychologischen Lehrfilmen12 über die Möglichkeiten der direkten Beeinflussung des Organismus durch Drogen und Strahlungen ist ein Indikator für das erstarkte Rollenbild neurologischer und sozialpsychologischer Diskurse im ideologischen Abwehrkampf der USA.13 Bilder des Gehirns implizierten dabei stets die Simulation eines medizinischen Blicks unter die Haut.14 Mit dem invasorischen Blick 10 Edgar H. Schein: Coercive persuasion, A Socio-Psychological Analysis of the „Brainwashing“ of American Civilian Prisoners by the Chinese Communists, New York 1961; Robert J. Lifton: Thought Reform and the Psychology of Totalism. A Study of „Brainwashing“ in China, Harmondsworth u.a. 1961. 11 Dominic Streatfeild: Brainwash. The Secret History of Mind Control, London 2006, S. 47. 12 Charles F. Hoban: The State of the Art of Instructional Films, Stanford 1971, S. 122f.; Edward B. van Ormer: Instructional Film Research, 1918 –1950, New York 1972, S. 269. 13 Vgl. Kathleen Taylor: Brainwashing: The Science of Thought Control, Oxford 2006. 14 Vgl. zur Historiografie der Abwehrmetapher Ramón Reichert: Der Diskurs der Seuche. Sozialpathologien 1700 –1900, München 1997; Laura Otis (Hg.): Metaphors of Invasion in Nineteenth-Century Literature, Science, and Politics, Baltimore 1999; Philipp Sarasin: Infizierte Körper, kontaminierte Sprachen. Metaphern als Gegenstand der Wissenschaftsgeschichte. In: Ders.: Geschichtswissenschaft und Diskursanalyse, Frankfurt a. M. 2003; Claus Pias (Hg.): Abwehr. Modelle – Strategien – Medien, Bielefeld 2008.
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auf das Verborgenste und Geheimste des Menschen sollte das ontologische Zentrum des Individuums suspendiert werden. Der wissenschaftlich-technische Zeichentrick des Lehrfilms verwandelte den traditionellen Sitz der Seele, der Gedanken und der Emotionen in experimentell reproduzierbare Versuchsanordnungen. In der Ära des „Battle for the Mind“15 begannen allmählich Computermetaphern die Visualisierung von Hirnfunktionen zu überlagern und stiegen rasch zum „icon for principal systems of symbolic and material ‚difference‘“ auf.16 Mit der Aufwertung der operationellen Definition von Denken musste die Bildwelt des Lehrfilmwissens kein dezidiertes Feindbild mehr präsentieren, sondern brauchte sich nur noch auf die inneren Strukturen der Selbsterhaltung und der Feinderkennung konzentrieren. Mit der Erfindung des Immunsystems als einer neuen politischen Dimension eines flexiblen, sich ständig wandelnden Körpers verlor das Gehirn seine zentrale Stellung als oberste regulierende Instanz des menschlichen Organismus. In den Anfängen des Kalten Kriegs etablierten der spätere Nobelpreisträger Frank Macfarlane Burnet17 und Frank Fenner in ihrer Schrift The Production of Antibodies18 den formal-theoretischen Modellbegriff des „immunologischen Selbst“ – ein Begriff, der sich zu einer leitenden Metapher zur Beschreibung von immunitären Reaktionen entwickeln sollte.19 Mentale Handlungen und Entscheidungen wurden dezentralisiert und waren integraler Bestandteil sämtlicher Schutzmechanismen des Organismus. Das von Burnet und Fenner entwickelte „Selbst-Nichtselbst“-Konzept setzte ein gesundes, normales und aggressives Selbst voraus, das sich gegen eine potenziell feindliche Umwelt behauptet und damit die Erhaltungsfunktion des Körpers gewährleistet (Abb. 4). Dieser Definition ging eine eindeutige Unterscheidung zwischen dem körpereigenen Selbst und dem körperfremden Nicht-Selbst voraus. Innen und Außen standen für die klare Teilung zwischen Selbst und Nicht-Selbst. 15 Vgl. Sargant (s. Anm. 8). 16 Donna Haraway:The Biopolitics of Postmodern Bodies. Constitutions of Self in Immune System Discourse. In: Dies.: Simians, Cyborgs and Women.The Reinvention by Nature, NewYork 1991, S. 203 – 230, hier S. 204. 17 Burnet erhielt 1960 den Nobelpreis für seine Entdeckung der erworbenen immunologischen Toleranz. 18 Frank Macfarlane Burnet, Fran Fenner: The Production of Antibodies, New York 1948. 19 Alfred I. Tauber: Historical and Philosophical Perspectives on Immune Cognition. In: Journal of the History of Biology, Jg. 30, 1997, S. 419 – 440.
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Die Metaphorik des Immunsystems wurde in wechselnden historischen Zusammenhängen mit den Metaphern der Politik und des Staates vermischt. Die Annahme, dass sich ein gesundes Immunsystem ohne äußeren Einfluss in einem normalen Abb. 4: Eingeblendete Schultafel im Lehrfilm „Immunity“ Zustand befindet und nur durch ein von (USA 1953). außen eindringendes Antigen in seiner Normalität gestört wird, wurde in der Ära des Kalten Kriegs als biologische Metapher zur Beschreibung des US-Staatskörpers aufgenommen und in populärkulturelle Kontexte übertragen: „In the 1940s and 1950s, immunology and virology became saturated with a Cold War consciousness as they drew upon medical fears of illness that paralleled politcal fears of communist infiltration and invasion. These fears manifested themselves in the identification of communisits and homosexuals as diseased elements of an otherwise healthy American body politics.“20 Die repressive Semantik politischer Metaphern und normativer Körperkonzepte prägte in der Feindbildkonstruktion des Ost-West-Konfliktes den operativen Wortschatz des biomedizinischen Wissens. Vor diesem Hintergrund verkörperte das Gehirn ein xenophobisches „Selbst“, das in einer „überlebensnotwendigen“ Feindschaft einem pathologischen „Nicht-Selbst“ gegenübergestellt wurde. Im diskursiven Geflecht von Immunologie, Molekularbiologie, Cold War Culture und politischer Public Relations spielte das Gehirn die Rolle einer anpassungsfähigen und antizipationsfreudigen Steuerungseinheit im Abwehrkampf des „Human Fortress“.21 Damit formierte sich ein anschlussfähiges Herrschaftswissen, das der militärisch-technologischen Denkweise des Kalten Krieges entsprach.22 Zeichensysteme der Wissensrepräsentation
Mit der gesicherten Auftragslage durch militärisch-administrative Institutionen entstand im Zweiten Weltkrieg eine fachwissenschaftlich spezialisierte Lehrfilm20 David Ogden: Cold War Science and the Body Politic: An Immuno/Virological Approach to Angels in America. In: Literature and Medicine, Jg. 19/2, 2000, S. 241. 21 Emily Martin: Flexible Bodies. The Role of Immunity in American Culture from the Days of Polio to the Age of AIDS, Boston 1994, S. 48. 22 Lily E. Kay: Who wrote the Book of Life. A History of the Genetic Code, Stanford 2000, S. 189.
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industrie.23 Sie zielte auf ein Massenpublikum, das den Film als ein Instrument der Belehrung und Erziehung akzeptierte.24 Vor dem Hintergrund breit angelegter Popularisierungskampagnen zur „Mental Hygiene“ etablierte sich in der Ära der Cold War Culture ein neuartiges Lehrfilmformat: Mit dem Prädikat „Classroom Films“ versehen, setzte man Social Guidance Movies flächendeckend in den High Schools und Universitäten ein und erreichte ein Millionenpublikum.25 Das Korpusmaterial zur Ikonografie des Gehirns enthält 22 Filme aus dem Zeitraum 1948 –1953. Der überwiegende Teil der Laufbilder präsentiert einen tricktechnisch versierten Querschnitt des menschlichen Schädels im Profil und tradiert eine bestimmte visuelle Darstellungskonvention: Das Eindringen des medizinisch-technischen Blicks in das Innere menschlicher Anatomie vermittels der visuellen Simulation eines anatomischen Schnittes, der den gesamten menschlichen Körper für das klinische Blick- und Bildrepertoire transparent macht. Die um das Gehirn der Massen entbrannte psychologische Kriegsführung (Brain-Warfare) kommuniziert in ihren sogenannten Social Guidance Movies ein selektives Bild des Gehirns, das sich aus klinisch-pathologischen Wissensformationen speist. Der für ein Expertenpublikum produzierte Streifen Mind Control (USA 1951) stellt die wissenschaftlich-technischen Potenziale der Bewusstseinskontrolle betont positiv dar. Um die „Gehirnwäsche“ der eigenen Bevölkerung zu rechtfertigen, konstruiert der Film ein Innen/Außen-Schema, in dem das Gehirn zu einer Abwehrmetapher gegen die militärische Invasion des ideologischen Feindes stilisiert wird. Mind Control operiert mit einer Serie von visuellen Oppositionen. Als bedrohlich gilt weniger das affektbestimmte Denken, sondern vielmehr das sich dem wissenstechnischen Zugriff entziehende Denken, auf das die in Abbildung 5 gezeigte undurchsichtige Wolke als Grenzfigur der Repräsentation anspielt. Die Erfassung mentaler Zustände und Prozesse in einem Raum des Wissens (Spatialisierung) wird in Mind Control mit einem Medien23 Produziert wurden die 16mm-Filme von kleinen Lehrfilmherstellern im Mittelwesten der USA, die eng mit dem War Department und dem United States Information Service kooperierten: Coronet Films (der größte Produzent von Educational Films, gegründet von David Smart im Jahr 1946), Encyclopaedia Britannica Films (Produzent einer Filmreihe zum Thema Mental Hygiene), ETRI Films (einer der größten Lehrfilm-Produzenten der 1930er Jahre), Avis Films (Mittelbetrieb mit Schwerpunkt Health Education), Centron (Mittelbetrieb mit Schwerpunkt Mental Hygiene) und The Bell System (Schwerpunkte Safety Film und Mental Hygiene). 24 Paul Saettler: A History of Instructional Technology, New York 1968, S. 44. 25 Ken Smith: Mental Hygiene. Classroom Films 1945 –1970, New York 1999, S. 31.
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Abb. 5 und 6: Szenen aus dem Film „Mind Control“ (USA 1951).
wechsel vom abstrakten Bild (tricktechnisch animierte Wolke) zum Schriftbild (Schriftinsert „Thinking“) vollzogen (Abb. 6). In der Darstellung der Denkakte rekurriert der Film mehrmals auf personifizierende Gehirnmetaphern. So werden etwa mentale „Gegenstände“ in animierten Sequenzen oft mit Gesichtsmerkmalen verlebendigt. Personifizierung ist ein häufig anzutreffendes didaktisches Mittel des populärwissenschaftlichen Lehrfilms. In Understand Your Emotions (USA 1950) personifiziert etwa die Voice Over zusätzlich mentale Prozesse und konstruiert ein Subjekt zielgerichteten Handelns: „the brain intends to avoid negative emotions“. Ein weiteres Charakteristikum ist die Verwendung von Raummetaphern bei der Modellierung mentaler Prozesse, welche die Logik der Bildmedien insgesamt betrifft (Zeichnung, Fotografie, Film, Röntgentechnik, Computertomografie).26 Im Film sind es vor allem die Grafikanimationen, die ausgewählte Weg-, Gebietsund Container-Metaphern evozieren und auf der Tonebene mit grundlegenden Körpererfahrungen wie Bewegung, Kraftwirkung und Inklusion/Exklusion und den entsprechenden Bewegungsverben/Präpositionen verknüpft werden (z.B. „the electrical signal moves to“). Die Tricktechnik erzeugt in Zusammenarbeit mit der schematischen Zeichnung Signifikanten der Raumorientierung: Pfeile erzeugen Richtungen, Strecken, Wege, Verläufe und produzieren damit kleine Anekdoten und situative Beschreibungen menschlicher Körperfunktionen. 26 Vgl. George Lakoff, Mark Johnson: Philosophy in the Flesh. The Embodied Mind and its Challenge to Western thought, New York 1999.
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Abb. 7 und 8: Stills aus „Understand Your Emotions“ (USA 1950).
In Filmen mit einer auf Breitenwirkung zielenden Sprache wie etwa Understand Your Emotions (USA 1950) und Control your Emotions (USA 1950) wird das verdinglichte und verräumlichte Gehirn als ein navigierbarer Bereich dargestellt. Die Simulation navigierbarer Räume wird hier mit einer subjektiven Kamera aufgenommen, um den Aspekt der Immersion zu verstärken: Mit der durch Kameraschwenks und -bewegungen unterstützten Ästhetik der Navigation soll das Gehirn für die Betrachter/innen als ein virtueller Aktionsraum erfahrbar werden. Verkehrswege und -zentren organisieren dabei einen lückenlos erschlossenen Raum. Schematisch gezeichnete Kartografien des Gehirns konstruieren einen synoptischen oder panoramatischen Blick auf den Lehrgegenstand. Anstelle mühsamer Deduktionen und Argumentfolgen zielen simplifizierende Geometrien des didaktischen Films auf ein schnelles Verstehen und simulieren eine übersichtliche, unkomplizierte Welt des Geordneten. Tricktechnische Aufnahmen machen das Prozessierende, Fließende, Kreisförmige in seinem festgelegten, gleichförmigen Rhythmus als etwas Zusammenhängendes und Zusammenarbeitendes sichtbar. Wegweiser und Karten
An bestimmte Stellen gerückt, fordern Pfeile die Aufmerksamkeit des Betrachters (Abb. 7). Jedes Detail des grafischen Zeichens kann mit Bedeutung aufgeladen werden. Intensitätsdifferenzen wie die Strichbreite, der Duktus, die Farbe sollen für überdeutliche Differenzierungen sorgen und suggerieren Zusammen-
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Abb. 9 –11: Stills aus „Alcohol and the Human Body“ (USA 1949).
hänge innerhalb der Trickfilmanimation. In der Welt der animierten Dinge scheint jede Neuerung und jede Modifikation eine Bedeutungsproduktion zu bewirken. Das Dünne, das Dicke, das Fette transformieren den Zeichenkörper des Vektors und schaffen neue Bedeutungen: das Beachtliche, das Neue, das Einleuchtende. Pfeile und Vektoren gelten als Bestandteile der didaktischen Blickführung. Sie geben Hinweise und Anordnungen zur richtigen Lektüre, versammeln die Aufmerksamkeit der Rezipient/innen an markanten Punkten und etablieren lineare Ordnungen und eindeutige Richtungen. In Verknüpfung mit Kamera (Detail, Zoom) und Schnitt (Rhythmisierung der Lektüre) wird der Betrachter in das „Innere“ der Bilder hineingeführt. Mit der fokussierenden Detailaufnahme wird etwa versucht, die teilnehmende Kinoerfahrung des Publikums zu intensivieren (Immersion) und in Verbindung mit tricktechnisch animierten Pfeilen und Vektoren auf bestimmte Wahrnehmungsziele hin zu strukturieren. Zahlreiche Lehrfilme verwenden anatomische Modelle des Gehirns in Realfilmaufnahmen. In Understand Your Emotions wird eine Nahaufnahme gezeigt, die einen Experten bei der Demonstration am dreidimensionalen Hirnmodell zeigt. Der Experte im Lehrfilm ersetzt den Lehrer im Klassenraum; seine auf bestimmte Hirnregionen hinweisenden Finger und Hände haben eine ähnliche Funktion wie die Richtungspfeile in den Sequenzen des Zeichentricks. Die Richtungspfeile in animierten Szenen rekurrieren wiederum auf den im Unterricht gebräuchlichen Zeigestab. Schließlich lokalisiert eine am Hirnmodell angebrachte Schrifttafel eine spezifische Hirnfunktion und spielt damit auf das didaktische Lehrmittel der Schultafel im Unterricht an – der Lehrfilm verwandelt das Kino in einen Klassenraum (Abb. 4 und 8).
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In der Medialisierung didaktischen Wissens nehmen schließlich Farben einen zentralen Stellenwert ein. Die Social Guidance Movies nutzen zur Visualisierung des Freund-Feind-Schemas die kontrastierenden Farben Schwarz und Weiß. Die schwarze Farbe konnotiert das Feindliche, Schädliche und Fremde, die weiße Farbe repräsentiert alle Attribute eigener Körperidentität. Die Grundfarbe des intakten Gehirns ist stets weiß. Eine organische Schwächung des Gehirns wird überwiegend kartografisch angezeigt. In Alcohol and the Human Body (USA 1949) wird die Verschlechterung des Gesundheitszustandes territorial visualisiert (Abb. 9 –11). Das Gehirn wird dabei als eine in Sektoren unterteilte Karte repräsentiert. Die Voice Over kombiniert die schwarz gefärbten Hirnterritorien mit Szenarien feindlicher Invasion („the aliens invade the body and hijack many of its systems“) und assoziiert damit ein populärwissenschaftliches Sujet (Auswirkungen von Alkoholkonsum auf spezifische Gehirnfunktionen) mit einem xenophoben Stereotyp der Cold War Culture (Alien, Invasion, Hijacking). Ikonologie des Lehrfilms
Einerseits vermittelten die Social Guidance Movies ihren Betrachtern jene Technologien der Macht, die das Verhalten von Individuen prägen und das Subjekt zum Objekt machen könnten; andererseits etablierten sie Technologien des Selbst („attitude-building“),27 die es dem Einzelnen ermöglichen sollten, eigenständig eine Reihe von Operationen an seinem Körper, seinem Denken und seiner Lebensführung vorzunehmen.28 Die dazu in den Lehrfilmen verwendeten trickgrafisch animierten Karten der Gehirnstrukturen und -funktionen ermöglichten eine neuartige Wahrnehmungskultur: Die filmische Narration, in Verbindung mit einer kinospezifischen Technik, schuf mit Hilfe von Kadrierung, Montage, Zeittransformationen und Tricktechnik audiovisuelle Räume des Wissens, die wiederum ein Verweisungsspiel mit historisch und kulturell geformten Stereotypen konventioneller Gehirnmetaphern ermöglichten, die sich aus unterschiedlichen Wissensbeständen und Erinnerungskulturen speisen konnten. 27 Lakoff, Johnson (s. Anm. 26). 28 Michel Foucault: Technologien des Selbst. In: Luther H. Martin u.a. (Hg.): Technologien des Selbst, Frankfurt a. M., S. 24 – 62, hier S. 26f.
Andreas Mayer
Das Bildgedächtnis der Traumforschung. Bausteine zu einer historischen Kritik Traum als Bild und Film
Schlaf und Traum haben seit jeher die Künste zu bildhaften Darstellungen dieser zugleich allnächtlichen wie rätselhaften Vorgänge angeregt. Doch erst im neunzehnten Jahrhundert mehren sich Versuche, diese Phänomene systematisch zu erforschen. Damit treten auch erstmals Bilder mit dem wissenschaftlichen Anspruch auf den Plan, Prozesse oder Produkte des träumenden Gehirns zu repräsentieren. Die experimentelle Schlaf- und Traumforschung, die seit der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts einen ungeheuren Aufschwung erlebt hat, demonstriert ihre Funde ebenfalls mit einer Fülle von Bildern, die inzwischen durch technisch aufwendige Verfahren hergestellt werden. Die gegenwärtig zu beobachtende neurowissenschaftliche Ikonophilie gründet in einem Topos, der sich griffig und etwas schematisch als der des „fotografischen Bildgedächtnisses“ bezeichnen lässt. Demzufolge agiert „das Gehirn im Wachzustand wie eine Kamera, die Bilder in das Gedächtnis einspeist während es sie gleichzeitig auf ihre Wahrnehmungsinhalte hin analysiert. Im Traumzustand agiert das visuelle System des Gehirns eher als Projektor oder Bildgenerator und die gespeicherten Bilder werden aus dem Gedächtnis hervorgeholt und zu einem synthetisch wahrnehmbaren Ganzen zusammengefügt“.1 Wenn Träume als bewegte „Bildfolgen“ oder gar als „Filme“ gelten, deren Elemente einem mechanisch aufgezeichneten Bildgedächtnis entstammen, so erscheint es folgerichtig, dass die neurowissenschaftlichen Forschungen quer zu Methoden stehen, die Träume aus einem intersubjektiven Zusammenhang heraus begreifen. Die psychoanalytische Traumdeutung fasst den Traum als einen psychischen Akt auf, dessen Sinn sich nur aus dem ihm eigenen, meist weitverzweigten Geflecht analytisch erschließen lässt. Bekanntlich unterhielt Freud zur anschaulichen Abbildung ihres Gegenstandes und ihrer Verfahren ein weitgehend negatives Verhältnis: Das Unbewusste widerstehe der ikonischen Repräsentation, da diese die nebeneinander fortbestehenden und sich überlagernden Schichten unmöglich in ein einziges Bild fassen kann.2 1 J. Allan Hobson: Film and Physiology of Dreaming Sleep: The Brain as a Camera-Projector. In: Dreamworks 1/1, 1980, S. 14. Dieses und alle folgenden Zitate sind vom Verf. übersetzt. 2 Das berühmteste Beispiel ist zweifellos Freuds Rom-Fantasie. Vgl. Ders.: Das Unbehagen in der Kultur. Gesammelte Werke, Band XIV, London 1948, S. 426 – 428. Zur intersubjektiven Dynamik der Traumdeutung, siehe Lydia Marinelli und Andreas Mayer:Träume nach Freud. Die „Traumdeutung“ und die Geschichte der psychoanalytischen Bewegung, Wien 2002.
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Zweifellos ließe sich die Frage nach dem Status der Bildaufzeichnung in der Traumforschung mit Verweis auf diese unüberbrückbaren epistemologischen Differenzen rasch beantworten. Aus der Sicht der meisten Neurowissenschaftler verleihen bildgebende Verfahren ihren Resultaten eine Objektivität, die die Psychoanalyse als eine „subjektive“, auf der Selbstanalyse Freuds beruhende Methode nie erreichen kann.3 Umgekehrt können Psychoanalytiker den Standpunkt einnehmen, wonach die von Traumforschern aufgezeichneten Gehirnzustände keineswegs mit jenen Elementen korrelierten, die in einer konkreten Behandlungssituation als „Traum“ mitgeteilt und verhandelt werden. Ein derartig strikter Gegensatz, den Puristen verteidigen mögen, lässt sich jedoch in der historischen Praxis nicht antreffen. Die in der letzten Dekade ins Leben gerufene Subdisziplin Neuropsychoanalyse tritt sogar mit der Behauptung auf, dass die psychoanalytische Traumlehre bereits zum Großteil und eines Tages vielleicht restlos mit den Belegen der Neurowissenschaften vereinbar ist.4 Die jüngst in Dresden und London zu sehende Ausstellung Schlaf & Traum nahm sich wie eine Illustration dieses neuen Einheitsdiskurses aus, in dem historische und epistemische Differenzen zugunsten einer Version eines stetig anwachsenden positiven Wissens eingeebnet werden. Wenn etwa Descartes’ Zeichnung des Gehirns im Schlafzustand problem- und kommentarlos mit den PositronEmissions-Tomografien zerebraler Zustände kombinierbar wird, so zeigt dies, dass wissenschaftliche Bilder hier nur noch einer Fortschrittsgeschichte als optische Wegmarken dienen.5 Solange die Repräsentationen unbefragt aufgerufen werden, lassen sich die vielfachen, einander widersprechenden theoretischen und experimentellen Zugänge zu den Phänomenen Schlaf und Traum zwar auf der Oberfläche versöhnen. Wer aber etwas tiefer blickt, dem wird die Identität der Gegenstände bald fraglich erscheinen. Im Folgenden sollen einige Elemente zu einem bildkritischen Zugang geliefert werden, der das Thema der fotografischen Fixierung von Traumbildern im Gedächtnis historisch spezifiziert. 3 Vgl. J. Allan Hobson: The dreaming brain, New York 1988, S. 52 – 68. Angesichts von Hobsons eigener Methodologie, die ein Plädoyer für „subjektive“ Daten beinhaltet, erscheint diese Kritik allerdings recht widersprüchlich (vgl. Ders.: Dreaming. An introduction to the science of sleep, Oxford 2002). 4 Vgl. Karen Kaplan-Solms und Mark Solms: Neuro-Psychoanalyse. Eine Einführung mit Fallstudien, Stuttgart 2003; Mark Solms und Oliver Turnbull: Das Gehirn und die innere Welt. Neurowissenschaft und Psychoanalyse. Mit einem Vorwort von Oliver Sacks, Düsseldorf und Zürich 2004. 5 Schlaf & Traum, Ausst.kat., hg. v. Deutsches Hygiene-Museum Dresden und Wellcome Collection London, Dresden/Köln/Weimar 2007, S. 112f.
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„Schauplatz der Widersprüche“: Traumforschung im 19. Jahrhundert
Der Anspruch, die Vorgänge des Schlafens und Träumens bildhaft mit zunehmender Exaktheit zu erfassen, entstand in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts. Die moderne Traumforschung nahm ihren Ausgang von Traumberichten einzelner Gelehrter, die im Selbstversuch physiologische und psychologische Theorien aufstellten und testeten. Diese Untersuchungen beschränkten sich nicht auf den Traum des Nachtschlafes, sondern deckten ein weites Feld visueller Erscheinungen ab, das von den Visionen beim Einschlafen über den Tagtraum bis zu in der Klinik studierten visuellen Halluzinationen reichte. Das vielleicht bekannteste und einflussreichste Buch dieser Art war Alfred Maurys Le sommeil et les rêves (1861), das mehrere Auflagen hindurch die zentrale Referenz für jeden angehenden Traumforscher war.6 Seine Studie stellte eine der ersten großen Traumsammlungen dar, die sich einer Jahrzehnte währenden, fast unausgesetzten disziplinierten Selbstbeobachtung verdankte. Die hier vorgeführte Methode, den Traum sofort nach dem Erwachen schriftlich zu fixieren, machte Schule: Papier und Bleistift liegen seitdem am Nachttisch jedes sich als seriös erachtenden Traumforschers bereit. Maury gab in seinem Buch eine gehirnphysiologische Erklärung für das Auftreten der oft bizarren und unmoralischen Traumvisionen. Dieser Theorie zufolge gehen die „nicht bewussten“ Elemente, die sich im Gedächtnis angesammelt haben, im Traum oft unlogische Kombinationen ein, da die Funktion des Willens ausgeschaltet ist. Der Traum gilt daher als „ein Schauplatz der Widersprüche; die gegensätzlichsten Handlungen finden auf ihm in einer Weise statt, die alle unsere psychologischen Theorien aus der Bahn wirft“.7 Eine Kontroverse zeichnete sich ab, als wenige Jahre später Marie-Jean-Léon le Coq, Baron d’Hervey, Marquis de Saint-Denys (1822 –1892) anonym Les rêves et les moyens de les diriger (1867) veröffentlichte. Der Orientalist und Sinologe, der laut eigenen Angaben seit seinem dreizehnten Lebensjahr ein detailliertes Traumtagebuch mit Berichten und Zeichnungen geführt hatte, verwarf die physiologi6 Alfred Maury: Le sommeil et les rêves. Etudes psychologiques sur ces phénomènes et les divers états qui s’y rattachent, suivies de recherches sur le développement de l’instinct et de l’intelligence dans leurs rapports avec le phénomène du sommeil, 4e édition, revue et considérablement augmentée, Paris 1878. Zu Maury vgl. Jacqueline Carroy und Nathalie Richard (Hg.): Alfred Maury, érudit et rêveur. Les sciences de l’homme au milieu du XIXe siècle, Rennes 2007. 7 Maury (s. Anm. 6), S. 116.
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sche Theorie Maurys und bekannte sich zu der Auffassung, dass sich Träume mit entsprechender Übung willentlich lenken lassen. Demzufolge weiß der Träumer, dass er träumt und kann seinen Traum nach Belieben in eine andere Richtung steuern oder ihn zum Zweck der sofortigen Aufzeichnung unterbrechen. Der Marquis verzichtete auf jede argumentative Diskussion, schaltete jedoch an zentraler Stelle seines Buches mehrere farbige Bilder ein, die seinem Traumjournal entstammten (Abb. 1). Während das obere Bild eine Verschränkung von zwei miteinander unverbundenen Szenen aus der Erinnerung des Träumers präsentiert, die einem aus dem Vaudeville bekannten Bühneneffekt gleicht (ein Maler und sein nacktes Modell treffen auf eine speisende Abendgesellschaft), soll die im unteren Teil abgebildete Serie von sechs Bildern die graduelle „embryonale“ Entstehung von Traumbildern aus verschiedenen Gesichtshalluzinationen beim Einschlafen wiedergeben. Die beiden Bildhälften, die sich auf zwei unterschiedliche Teile des Werks beziehen, haben wohl nicht allein aus pragmatischen Gründen auf einer Tafel zueinandergefunden.8 Kaum zufällig bringt die obere Bildhälfte die eigene Vergangenheit des Autors als Gehilfe in einem Maleratelier ins Spiel, während die im unteren Teil abgebildete Serie die Transformation und Kristallisation der Traumbilder von abstrakten geometrischen Formen in konkrete Gegenstände mit einer quasi fotografischen Präzision wiedergeben soll. Diese Bilder gleichen den ab den 1840er Jahren aufkommenden Fotografien mikroskopischer Beobachtungen (Blutkristalle, Schneekristalle, Zellstrukturen) und den Kurvenbildern selbstaufschreibender Apparate. Die formale Nähe zu diesen neuen Repräsentationsformen lässt nun die Auffassung nicht mehr zu, sie als „getreue“ Darstellungen der Visionen des Marquis gelten zu lassen, wie er sie in ein (überdies niemals aufgefundenes) Traumtagebuch gezeichnet hat. Vielmehr liegt der Schluss nahe, dass die als reine Beobachtungsdaten präsentierten Bilder von einem neuen Bildgenre im wörtlichsten Sinn informiert wurden. Die Zusammenstellung dieser Serie mit der eher konventionell theaterhaft anmutenden Szene im oberen Teil auf einer Tafel markiert den Übergang, in dem das offenbar sich über mehrere Jahrzehnte erstreckende Projekt von Hervey de Saint-Denys anzusiedeln ist: von den künstlerischen Traumvisionen seiner Zeit 8 Es erscheint jedoch nicht überzeugend, dass hier das Gestaltungsprinzip der Encyclopédie von Diderot und d’Alembert als akademische Konvention aufgegriffen wird, bei der im oberen Bildteil das Atelier und im unteren Teil die einzelnen Werkzeuge abgebildet sind (vgl. für diese Interpretation Stefanie Heraeus: Artists and the Dream in nineteenth-century Paris: Towards a Prehistory of Surrealism. In: History Workshop Journal 48, 1999, S. 159f.).
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hin zu einer Aufzeichnung von visuellen Daten im Regime „mechanischer Objektivität“.9 Es ist auffällig, dass das Buch im Gegensatz zu den Werken von Maury und anderen zeitgenössischen Traumforschern von ständigen Referenzen auf die fotografische Technik und ihre wissenschaftliche Präzision durchzogen ist. So gilt das Gedächtnis dem Autor als eine „mit Kollodium beschichtete Glasplatte, die den Eindruck der auf sie projizierten Bilder unmittelbar durch das Objektiv der Dunkelkammer festhält“.10 Demnach formt sich der Traum aus einem riesi- Abb. 1: Bildtafel aus [Hervey de Saint-Denys]: Les rêves et les gen Speicher von clichés-souvenirs, die moyens de les diriger: observations pratiques. Paris 1867. vielfach rekombinierbar sind. Zwar bedient sich Hervey auch immer wieder anderer, bereits bekannter Analogien der Theaterbühne, Laterna magica oder des „mobilen Panaromas“), doch wird der Fotografie dank der „minutiösen Wahrheit aller reproduzierten Details“ der höchste Rang zugewiesen.11 Die Bildserie „embryonaler Visionen“ ist somit nicht nur Illustration einer Einzelbeobachtung, sie soll auch visuell plausibel machen, dass der Autor tatsächlich über das fotografische Bildgedächtnis verfügt, das seine Daten objektiver als die anderer Traumforscher erscheinen lässt. 9 Falls die Angaben des Marquis korrekt sind, so begannen seine Traumaufzeichnungen im Jahr 1835, also 32 Jahre vor der Veröffentlichung seines Buches. Zum Ideal der Objektivität vgl. Lorraine Daston und Peter Galison: Objektivität, Frankfurt a. M. 2007, Kap. 3. Die hier gegebenen Beispiele aus verschiedenen wissenschaftlichen Atlanten korrespondieren auffällig mit der Bildserie von Hervey de Saint-Denys. 10 Anonym [Hervey de Saint-Denys]: Les rêves et les moyens de les diriger: observations pratiques, Paris 1867, S. 18. Zwar spricht der Autor hier zunächst eindeutig von einer Analogie, geht aber schon bald zu einer direkten Gleichsetzung von Gedächtnis und Fotografie über („alle sich meiner Sicht darbietenden Gegenstände photographierten sich augenblicklich und mit erstaunlicher Präzision in mein Gedächtnis“, S. 32). 11 Anonym [Hervey de Saint-Denys] (s. Anm. 10), S. 420.
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„Mischbilder“ und Visionäre. Beschreibung eines Kampfes
Es mag erstaunlich erscheinen, dass die Bildstrategien mechanischer Objektivität hier letztlich zur Beglaubigung einer antimaterialistischen und voluntaristischen Theorie des Träumens herangezogen werden. In seiner Auseinandersetzung mit Hervey de Saint-Denys hat Maury auch nicht versäumt, auf diese Widersprüchlichkeit hinzuweisen und die Verknüpfung der clichés-souvenirs im Traum nach seiner eigenen Theorie in einen automatischen, durch zerebrale und sinnesphysiologische Zustände determinierten Vorgang umgedeutet.12 Was auf theoretischer Ebene widersprüchlich erscheint, wird jedoch im Zusammenhang mit jenen Techniken des Selbst verständlich, die sich mit dem neuen Ideal wissenschaftlicher Objektivität herausbilden. Dieses neue Ethos definiert Selbstkontrolle und -disziplin als oberste Tugenden wissenschaftlicher Arbeitpraxis.13 Wenn der Schlaf nun als Schauplatz intensiver, oft beunruhigender zerebraler Aktivität gilt, deren Gebilde sich der bewussten Steuerung der Träumenden restlos zu entziehen scheinen, so verheisst die mechanistische Analogie von Gedächtnis und fotografischem Apparat wissenschaftlichen Selbstbeobachtern künftig Aussichten, diese Vorgänge zu kontrollieren. Die materielle Aufzeichnung von im Wachen oder Schlafen sich unwillkürlich einstellenden Visionen lässt sich deshalb auch nicht als schrullige Nebenbeschäftigung einiger Privatgelehrter auffassen. Sie wird zur Szene eines Kampfes zwischen den ungeregelt auftretenden Bildern des Geistes und einer experimentellen Maschinerie, die zu ihrer Kontrolle eingesetzt wird. Kurz nach der Kontroverse zwischen den beiden französischen Traumforschern berichtet der englische Privatgelehrte Francis Galton (1822 –1911) in der neu gegründeten Zeitschrift Brain von einer neuen Methode, sämtliche an einen visuellen Eindruck anknüpfenden Assoziationen aufzuzeichnen.14 Auch Galton präsentiert sich hier als jemand, dessen Gedächtnis alle Eindrücke fotografisch aufzeichnet und speichert. Zwar verbürgt der Rückgriff auf die Fotografie dem Selbstbeobachter auch in diesem Fall die Stabilisierung seiner Funde. Flüchti12 Maury (s. Anm. 6), S. 70f. 13 Daston und Galison (s. Anm. 9). 14 Der zuerst 1879 veröffentlichte Text „Psychometric Experiments“ findet sich in einer veränderten Fassung nachgedruckt in Galton: Inquiries into human faculty, London 1883, S. 185 – 203. Wir wissen nicht, ob Galton die Bücher von Maury und Hervey de Saint-Denys bekannt waren. Es erscheint jedoch wahrscheinlich, da sich in „Inquiries“ mehrfache Bezüge zur französischen Diskussion über Traum und Geisteskrankheit finden.
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ge und wandelbare Visionen können nun in die Form von „objektiven“ Daten gepresst werden. Allerdings erfordert dieses „Arretieren“ der vorüberziehenden Bilder, wie Galton betont, „viel Entschlossenheit“ und „strenge Selbstkontrolle“.15 Das Gehirn zeichne zwar sämtliche Eindrücke fotografisch auf, jedoch ohne sie korrekt zu verarbeiten. Der Beleg dafür sind eine Reihe von merkwürdigen Visionen und Zerrbildern, denen sich Galton während seiner Versuche bei der Assoziation zu abstrakten Begriffen ohnmächtig ausgesetzt fühlt. Im Gegensatz zu den französischen Traumforschern, die sich als außergewöhnliche und exakte Selbstbeobachter auszuweisen trachten, positioniert der englische Gelehrte seine Forschungen in einem Kampf zwischen einem „wilden“, ungeregelten Sehen, das zur Übertreibung des Singulären und des Wunderbaren neigt, und einem perfekten, wissenschaftlichen Sehen, das allein auf Zahlen und Statistik gegründet ist. Als Symbol für dieses perfekte Sehen dienen die berühmten „Mischfotografien“, die mechanisch eine Reihe von optischen Daten (Gesichter von Familienangehörigen, Kriminellen, aber auch Rennpferde und Medaillen) auf einer einzigen Platte aufzeichnen und so durch die Überblendung gemeinsamer Züge ein statistisches Durchschnittsbild hervorbringen: „Ein Mischporträt stellt jenes Bild dar, das vor dem geistigen Auge eines Mannes erschiene, der die Gabe der bildnerischen Einbildungskraft (pictorial imagination) in übersteigertem Ausmass besäße.“16 (siehe Abb. 2) Erst vor dem Hintergrund dieses fotografischen Artefakts werden die bizarren Visionen als Abweichungen von der Norm lesbar. Diese Technik des Überblendens und Vermischens von Bildern, die Freud zwanzig Jahre später mit direktem Verweis auf Galton als einen der zentralen Mechanismen der Traumarbeit bestimmen wird,17 ist aber nicht wesensmäßig auf das Medium Fotografie bezogen. Bereits der Marquis de Saint-Denys bestimmte die „vielfachen Anomalien“, die durch die Überblendung von zwei Bildgläsern in der Laterna magica erzeugt werden können, als einen Grundvorgang der Assoziationstätigkeit im Traum. Und auch die von 15 Francis Galton: Psychometric Facts. In: The Nineteenth Century 5, 1879, S. 426. 16 Francis Galton: Composite Portraits made by Combining those of many Different Persons into a Single Figure. In: Nature 18, 1878, S. 97. 17 Vgl. dazu ausführlicher Andreas Mayer: Von Galtons Mischphotographien zu Freuds Traumfiguren. Psychometrische und psychoanalytische Inszenierungen von Typen und Fällen. In: Michael Hagner (Hg): Ecce Cortex. Beiträge zur Geschichte des modernen Gehirns, Göttingen 1999, S. 110 – 143.
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Galton notierten Gefahren der Abstraktion, „ein weiterer Grund für die Monstrosität und die Bizarrheit in unseren Träumen“,18 und die Übereinstimmung von ähnlichen Formen finden hier Erwähnung, allerdings mit Verweis auf die künstlerischen Darstellungen Granvilles.19 In diesen „Momenten grosser moralischer Passivität“ scheint die Seele wie auf einer Zuschauertribüne zu sitzen und die „an ihr vorüberziehenden mehr oder weniger klaren Bilder zerstreut zu betrachten“.20 Ebenso wie in der französischen Diskussion spielt die Farbigkeit Abb. 2: Mischfotografien von Kriminellen aus Francis Galtons Nachlass. Aus: Karl Pearson: The Life, Letters and Labours of der einzelnen Bilder eine zentrale Francis Galton, Bd. 2, Cambridge 1924. Rolle für die Glaubwürdigkeit der jeweils aufgezeichneten Visionen oder Traumbilder. So dokumentiert Galton ausführlich die „visuellen Zyklen“ eines seiner Informanten, des Reverend George Henslow, der seine visionären Fähigkeiten in verschiedenen Selbstversuchen testet. Dessen Bericht, der sich in Inquiries into human faculty auf einer Farbtafel illustriert findet (Abb. 3, No. 70 – 73, s. auch Tafel 3), entspricht Punkt für Punkt Galtons Szenario eines endlosen Kampfes zwischen einem Gehirnautomatismus, in dem der ohnmächtige Zuschauer sich in einem „Diorama einer höchst sonderlichen Art“ wähnt, und der bewussten Kontrolle dieses schwindelerregenden Prozesses: „Wenn eine Reihe von Bildern vorübergezogen ist, bestimme ich manchmal einen Gegenstand einzuführen, z.B. eine Uhr. Sehr oft ist es fast unmöglich, das zu erreichen. Es kommt zu einem eindeutigen Kampf. Die Uhr will einfach nicht kommen, doch eine hybride Struktur erscheint – etwas Rundes, z.B. – die in eine 18 Anonym [Hervey de Saint-Denys] (wie Anm. 10), S. 40ff. 19 Zu Granvilles und anderen künstlerischen Traumdarstellungen Mitte des neunzehnten Jahrhunderts vgl. Hereaus (wie Anm. 8). 20 Anonym [Hervey de Saint-Denys] (wie Anm. 10), S. 42.
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Pfanne oder ein anderes unerwartetes Objekt überspringt. Dieses Verfahren hat mir den Unterschied zwischen zumindest einer Form des Gehirnautomatismus und der Willenskraft bewusst gemacht. Doch die Kraft des ersteren ist gewaltig, denn die visuellen Objekte sind im vollen Prozess ihres Wandels gebieterisch in ihrer Verweigerung sich durch Eingriffe beeinflussen zu lassen.“21 Im Regime disziplinierter Selbstbeobachtung, das Passivität zum Ideal erhebt, taucht der Traum mit den ihm verwandten Phänomenen als ein unliebsamer Geselle auf. Einerseits verdankt sich dies einer immer wie- Abb. 3: Die „visuellen Zyklen“ des Rev. Henslow, No. 70 – 73. aus Francis Galton: Inquiries into human faculty, der notierten Nähe zum Wahnsinn, Farbtafel London 1883. andererseits jedoch der von Galton konstatierten Alltäglichkeit von ungeregelten visuellen Phänomenen in der als normal geltenden Bevölkerung (und die ist der bedeutendere und beunruhigendere Umstand). Wo das Problem des Kontrollverlusts sich nicht durch aktives Eingreifen lösen lässt, steht dem Wissenschaftler nur der Weg automatischen Registrierens offen. Die ausführliche schriftliche Fixierung der eigenen Visionen befördert ebenso wie der Rekurs auf bildgebende Verfahren ihre Materialisierung: Mentale Bilder werden nicht mehr nur auf einer unzugänglichen „inneren“ Szene angenommen, ihre Projektion wird nun bewusst betrieben, um sie als Datenmaterial zur weiteren Bearbeitung verfügbar zu machen. In der Nervenklinik werden sie bei den Darbietungen des Hypnotismus, wiederum in Form von vorgeblich reinen Beobachtungen von diagnostisch klassifiziertem „Krankenmaterial“, Gegenstand von erstaunlichen szenischen Umsetzungen.22 21 Brief des Rev. Henslow an Galton, zitiert in Galton: Inquiries (wie Anm. 14), S. 162. 22 Auf die verschiedenen Strategien der Visualisierung, wie sie etwa in der Nervenklinik Charcots zum Einsatz kommen, kann hier nicht genauer eingegangen werden. Vgl. dazu Andreas Mayer: Mikroskopie der Psyche. Die Anfänge der Psychoanalyse im Hypnose-Labor, Wallstein 2002, S. 19 – 64, 89 –112.
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„Deckungsstellen“: Traumbilder zwischen Klinik und Labor
Freuds Traumdeutung enthält, so wie sie Ende 1899 erscheint, keine einzige Abbildung.23 Diese Abwesenheit der Bilder verdankt sich epistemologischen und soziologischen Eigenheiten, die die Psychoanalyse von der älteren Traumforschung deutlich unterscheiden. Wenn sich auch Freud mit seiner „Selbstanalyse“ eindeutig in eine Genealogie von Techniken der Selbstbeoachtung einreiht, so führt die in der Traumdeutung vorgeführte Methode und Theorie dennoch eine spezifische, neuartige Form des Experimentierens mit dem Traum und anderen Manifestationen des Unbewussten ein. Demgemäß gilt der Traum nicht nur als ein entsteller Text, dessen latenter ursprünglicher Sinn durch das Auffinden der richtigen Zeichen rekonstruiert werden kann. Er erweist sich auch als ein komplexes, auf ein soziales Beziehungsgeflecht bezogenes Gebilde, das im Rahmen der individuellen Geschichte der Träumenden sinnhaft wird. Da die Deutungsarbeit einen niemals ganz abgeschlossenen Prozess darstellt, in dem der Träumer in einer Übertragungsbeziehung mit dem „Anderen“ (in der Regel dem Psychoanalytiker) den Sinn aus einzelnen Bruchstücken des Traumberichts gewinnt, ist die verschriftete oder bildhafte Erfassung von Träumen als objektiven Daten in diesem Fall nicht relevant. Trotz dieser spezifischen, auf die psychoanalytische Situation hin ausgerichteten Deutungskultur hat sich jedoch auch ein anderer experimenteller Zugang herausgebildet, in dem sich die Freud’sche Traumdeutung mit neuropsychologischen Versuchen verband. So stellte der Wiener Neurologe Otto Pötzl (1877 –1962), Assistent von Professor Wagner-Jauregg, während des Ersten Weltkriegs an Kopfverletzten und gesunden Versuchspersonen eine Reihe von Experimenten an, die die sinnesphysiologische Entstehung von Traumbildern der direkten Beobachtung zuführen sollten.24 Pötzl suchte mit seinen Untersuchungen zu einer allgemeinen Traumtheorie zu gelangen, die sinnesphysiologische und psychoanalytische Aspekte in sich vereinigte. Als Ausgangspunkt dienten ihm klinische Fälle, an denen nach Schussverletzungen der Sehsphären das sogenannte „indirekte Sehen“ beobachtet werden konnte. Während die Verletzten im Zentralbereich des Gesichtsfeldes völlig erblindet waren, war es ihnen möglich in den peripheren Zonen unwissent23 Erst ab der vierten Auflage (1914) machte Freud eine Konzession und fügte eine Abbildung ein, die ihm Ferenczi zugesandt hatte, vgl. dazu Marinelli und Mayer (s. Anm. 2), S. 88 – 93. 24 Otto Pötzl: Experimentell erregte Traumbilder in ihren Beziehungen zum indirekten Sehen. I. Mitteilung. In Zeitschrift für die gesamte Neurologie und Psychiatrie 37, 1917, S. 278 – 319.
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lich verschiedene optische Eindrücke zu empfangen, die sich ihnen zu einem Gesamtbild zusammensetzten. Dieses Phänomen, das Pötzl als „Nachentwicklung“ oder als „Evolutionsprozess“ bezeichnete, schien ihm sowohl mit den (etwa bei Alkoholikern auftretenden) Halluzinationen als auch mit dem Traum gesunder Versuchspersonen identisch zu sein. Den Nachweis suchte er mit einer Versuchsanordnung zu erbringen, die das klinische Phänomen des indirekten Sehens möglichst genau simulierte. Zu diesem Zweck wurde etwa zehn Millisekunden lang ein farbiges Diapositiv der Versuchsperson ein einziges Mal exponiert. „[…] das Protokoll darauf fixierte alles, was Vp. wahrgenommen zu haben glaubte, ohne dass der Vp. irgendwelche Hilfen gegeben wurden; ein zweites Protokoll fixierte die Einfälle vom Tage; Vp. bekam die Anweisung, auf Träume und hypnagoge Halluzinationen zu achten“.25 Ein drittes Protokoll hielt am folgenden Tag die Traumbilder und Halluzinationen fest, das zum Großteil aus den eigenen Aufzeichnungen der Versuchsperson bestand. Ergänzt wurde diese nach dem Erwachen erfolgte Niederschrift durch „weitere Assoziationen“, die der Versuchsleiter nun „aus den Vp. entwickelt“, sowie durch den Auftrag, „gewisse visuell besonders hervortretende Traumreste durch einfache Zeichnungen“ zu skizzieren.26 Nach diesem Abschluss des Traumprotokolls begann die zweite Phase des Versuchs, in dem Pötzl gemeinsam mit der Versuchsperson das Diapositiv nochmals ausführlich betrachtete, um die „Deckungsstellen“ zwischen der Exposition und den in den Protokollen festgehaltenen Traumaufzeichnungen aufzufinden. Die Feststellung zahlreicher geometrischer Übereinstimmungen zwischen den Elementen des exponierten Diapositivs, dem Bericht und vor allem den Zeichnungen der Versuchsperson führten Pötzl nun zu der Überzeugung, dass die visuelle Gestaltung des Traums sich in Bezug auf den im Experiment exponierten „optischen Komplex“ als ein „Vexierbild“ auffassen ließ. Die zwingenden Deckungsstellen würden jedenfalls von den Probanden jeweils mit jener „Ergriffenheit“ verifiziert, „wie sie auch bei den Freudschen Traumanalysen erscheint, wenn die richtigen elementaren Beziehungen einfallen“.27 25 Pötzl (s. Anm. 24), S. 284. 26 Pötzl (s. Anm. 24), S. 285. 27 Pötzl (s. Anm. 24), S. 291. Pötzl verwies dabei auch kaum zufällig auf die Versuche Oskar Pfisters, anknüpfend an Freuds Leonardo-Aufsatz Vexierbilder in künstlerischen Werken aufzufinden, die deren psychoanalytische Deutung erhärten konnten.
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In Pötzls umfangreicher Mitteilung seiner Versuche kommt der Reproduktion des Bildmaterials eine Schlüsselrolle zu. Nun begnügte sich der Neurologe allerdings nicht damit, die optischen Ausgangs- und Endpunkte seiner Untersuchung zu dokumentieren, sondern schaltete Abb. 4: Der Bahnhof von Assuan. Diapostiv für Otto Pötzls Versuche auch eine Reihe von nach seizur experimentellen Erregung von Traumbildern, abgedruckt in der nen Anweisungen angefertigten Zeitschrift für die gesamte Neurologie und Psychiatrie 37, 1917. fotografischen Darstellungen ein, die zur Illustration der einzelnen Etappen des Traumprozesses dienten (vgl. Abb. 4 – 8). Auf diese Weise solle sich erweisen lassen, „wie weit die optische Treue der visuellen Traumreaktion geht (…); vielleicht wird sich ergeben, dass dieser Anspruch auf Treue nicht so wesentlich hinter den Anforderungen zurückbleibt, die man in dieser Beziehung an die Fotografie eines Gehirnschnittes stellt.“ 28 Während die erste Abbildung einer Serie jeweils das exponierte Diapositiv wiedergibt (Abb. 4, der Bahnhof von Assuan) und die letzte die Zeichnung der Versuchsperson (Abb. 8), simulieren die dazwischen geschalteten Fotografien durch Über- und Unterexpositionen, Teilbelichtungen und gelegentliche Retuschen des bereitstehenden Bildmaterials die visuellen Hauptstationen des Traums, die Pötzl aus dem Bericht seiner Probandin rekonstruiert. So wird die knappe Beschreibung „Viele Häuser; Geschäfte; viele Leute davor; dazwischen ein Durchbruch“ durch einen hellen Fleck im Zentrum der Fotografie wiedergegeben (Abb. 5), die Hauptszene des Traums („Ein Mann will mir ein Messer in die Brust stoßen. […] In der Nähe ist aber ein Bach.“) durch eine Montage der entsprechenden Figuren und Bildelemente mit einer diagonalen, hellen Fläche (Abb. 6), während die letzte Komposition (Abb. 7) eine weitere optische Brücke zur Zeichnung der Versuchsperson herstellt (eine sich verschmälernde Gasse, an deren Ende ein Haus liegt, Abb. 8). Die Analogie zwischen fotografischer Aufzeichnung und Entstehung der Traumbilder im Gehirn wird so durch eine Reihe von optischen Bindegliedern 28 Pötzl (s. Anm. 24), S. 295.
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Abb. 5 und 6: Otto Pötzls fotografische Rekonstruktion des „Messer-Traums“ seiner Versuchsperson (s. Abb. 4).
in jedem einzelnen Fall befestigt. Damit zeichnet sich hier die Tendenz ab, den Traumbericht schrittweise durch experimentell erzeugte „Imitate“ zu ersetzen und den Versuchsleiter als objektiv beobachtenden und distanzierten Traumexperten einzusetzen.29 Davon legt die bereits erwähnte „Ergriffenheit“ Zeugnis ab, die die Versuchspersonen gegenüber den fotografischen Traumsimulationen einnehmen und mit der die „Befremdung den eigenen Zeichnungen gegenüber“ einhergeht: Die Fotografie, resümiert Pötzl, scheint „die Stimmung des Traumes zu treffen, die armselige Zeichnung nicht“.30 Letztere autorisiert den Versuchsleiter jedoch schließlich auch dazu, in die Rolle des Psychoanalytikers zu schlüpfen, selbst wenn ihm „diese Seite der Kommentierung im vorliegenden Fall nichts weniger als sympathisch ist und in unliebsamer Weise an die Technik der Zeichnungen auf den Wänden von Bedürfnisanstalten erinnert“.31 Die Kombination seiner eigenen Montage (Abb. 7) mit der Zeichnung seiner Probandin (Abb. 8) führt Pötzl zum mühelosen Aufdecken von „Sexualsymbolik einer sehr gewöhnlichen Art“: „Die konvergierenden Linien der Zeichnung [Abb. 8] entsprechen nicht nur den Schienenparallelen; sie passen auch zur Kontur der Femora, die sich öffnen, in einer Art, wie sie sich auf jenen primitiven Zeichnungen oft genug findet; die schwarze Lokomotive des Traumbilds erinnert an die gleiche obszöne Darstellung der Vulva, wie jene Kontur an die Darstellung des erigierten Penis gemahnt. Die Beziehungen Durchbruch – Mann – Phallus – Messer – Bach (inter femora), die in der manifesten Darstellung des Traumes ohne Deutung sich ablesen lassen, fügen sich von selbst zu diesem Zusammenhang.“32 29 Vgl. für diese kritische Einschätzung Alexandre Métraux: Räume der Traumforschung vor und nach Freud. In: Lydia Marinelli und Andreas Mayer (Hg.): Die Lesbarkeit der Träume. Zur Geschichte von Freuds „Traumdeutung“, Frankfurt a. M. 2000, S. 176 –183. 30 Pötzl (s. Anm. 24), S. 316. 31 Pötzl (s. Anm. 24), S. 315. 32 Pötzl (s. Anm. 24)
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Abb. 7: Otto Pötzls fotografische Rekonstruktion des „Messer-Traums“ seiner Versuchsperson (s. Abb. 4).
Abb. 8: Zeichnung der Versuchsperson zum „Messer-Traum“ (s. Abb. 4).
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Mit diesem experimentellen Nachweis der damals heftig umstrittenen Sexualsymbolik des Traums zollt Pötzls Bericht der Freudschen Psychoanalyse seinen Tribut. Aber zugleich produziert er neue Elemente für das Bildgedächtnis der Traumforschung, die die Materialisierung der Analogie von Gehirn und optischer Aufzeichnungsapparatur weiter vorantreiben. Der Einsatz fotografischer Techniken zur Illustration des Traumablaufs nimmt in diesem Fall jedoch eine andere Form an als bei Selbstbeobachtern wie Hervey de Saint-Denys, Maury oder Galton. Spielt hier das einzelne Bild mit seinen spezifischen Eigenschaften (Schärfe, Farbigkeit), wie es vom visionären Traumforscher erkannt und festgehalten wird, noch eine zentrale Rolle, so sind Pötzls experimentell produzierte Traumbilder dagegen als Serien in Bewegung gedacht, die nach dem Modell des frühen Schwarz-Weiß-Films funktionieren.33 Die unter den Ausnahmebedingungen des Krieges angestellten Experimente Pötzls fanden zwar keine unmittelbare Fortsetzung, stellten jedoch seit den 1950er Jahren ein attraktives Modell für 33 Obwohl die Diapositive sämtlich farbig sind, kennt der Pötzl’sche Traumversuch nur Graustufen: „Wallen, Ziehen in den Nebelmassen, […] die zum Teil grau sind, zum Teil aber von einer unangenehmen blendenden Helle; daneben und später stellt sich das bekannte Schwarz-Weiß-Flimmern wie im Kinematographen ein.“ Pötzl (s. Anm. 24), S. 304.
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Versuche bereit, experimentelle Traumforschung und Psychoanalyse zusammenzuführen.34 Heutige Untersuchungen favorisieren entweder den klinischneurologischen Ansatzpunkt, mit dem Anspruch, die neuronale Aktivität im träumenden Gehirn mithilfe von modernen bildgebenden Verfahren beobachtbar zu machen, oder sie verfolgen eine kognitionspsychologische Stoßrichtung, die die experimentelle Produktion von Träumen durch optische und akustische Stimuli betreibt.35 Ob als zerebraler Prozess oder als quasi filmisches Produkt, der Traum wird in beiden Varianten auf ein vorgeblich a-historisches Bildgedächtnis bezogen. Die hier herausgestellten formalen Korrespondenzen von Beobachtungsdaten mit den jeweils gewählten oder suggerierten Medien legen jedoch den Verdacht nahe, dass die Forschungsgegenstände von Letzteren selbst hervorgebracht werden. Wer noch weiter gehen will, mag anzweifeln, ob Träume überhaupt als primär bildhafte Phänomene anzusehen sind. Das Bildgedächtnis, um dessen Erfassung sich die Traumforschung seit geraumer Zeit bemüht, ist jedenfalls nicht das der Menschheit, sondern das Produkt einer Formation, in der Mitglieder westlicher Gesellschaften nach einem wissenschaftlich verbürgten Selbstbild ihrer Nachtseite suchen. 34 Vgl. Charles Fisher: Dreams and Perception. The role of preconscious and primary modes of perception in dream formation. In: Journal of the American Psychoanalytic Association 2, 1954, S. 389 – 445; Lester Luborsy und Howard Shevrin: Dreams and Day-Residues: A Study of the Poetzl Observation. In: Bulletin of the Menninger Clinic 20, 1958, S. 135 –148. 35 Für Ersteres sind die Forschungen von Mark Solms repräsentativ (s. Anm. 4), für Letzteres die seit Mitte der 1980er Jahre im Frankfurter Sigmund-Freud-Institut in einem eigens eingerichteten Labor unternommenen Untersuchungen, die beide in der Ausstellung „Schlaf & Traum“ prominent vertreten sind.
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Lorenzos Schädel im Kopf des Anatomen: Bilder des Gehirns im frühen 16. Jahrhundert Der Kopf des Herzogs und der Tractatus de fractura calve
Im anatomischen Museum der Florentiner Universität sind unzählige Schädel und historische Präparate neben Wachsplastiken verschiedener Körperteile und chirurgische Instrumente in einem ausgedehnten, längsrechteckigen Raum aufbewahrt. Inmitten dieser Exponate findet sich, auf einem Podest und umfangen von einer Glashaube, der Gipsabguss eines Schädels, dessen Beschriftung ihn als Replik des Kopfes von Lorenzo II. de’ Medici (1492 –1519), des Herzogs von Urbino, ausweist (Abb. 1). Der besagte Fürst, Sohn der Alfonsina di Roberto Orsini und des Piero di Lorenzo de’ Medici, hatte im Jahre 1513 die Regentschaft über Florenz übernommen. Im selben Jahr widmete ihm Niccolò Machiavelli seine berühmte Schrift Il Principe. Durch seinen Onkel, Papst Leo X., wurde ihm auch das Herzogtum von Urbino übertragen. In der Schlacht um dieses Territorium erlitt der junge Fürst am 28. März 1517 eine Schussverletzung. An einem Ort zwischen Ancona und Urbino, genau vor dem Schloss von Mondolfo, traf den Herzog eine Kugel aus der Arkebuse eines Spaniers. Sie trat links in Lorenzos Hinterkopf ein und oberhalb des Nackens wieder aus. Der Herzog überlebte und wurde nach der Behandlung vor Ort durch seinen Wundarzt Maestro Salvatore nach Ancona transportiert, Abb. 1: Die Schädelreplik von Lorenzo de’ Medici II Duca di Urbino. wohin weitere Ärzte, darunter der berühmte Chirurg und Anatom Berengario da Carpi aus Bologna, bestellt wurden.1 Es wurde beschlossen, Lorenzo sofort zu operieren. Trotz Komplikationen überstand Lorenzo diesen Eingriff, und Berengario übernahm die nicht weniger komplizierte postoperative Behandlung des Herzogs. 1 Einige Zeitgenossen berichteten über dieses Ereignis. Vgl. Andrea Corsini: Malattia e morte di Lorenzo de’ Medici, Duca d’Urbino: studio critico di medicina storica, Firenze 1913; Vittorio Putti: Berengario da Carpi. Saggio biografico e bibliografico seguito dalla traduzione del „De fractura calvae sive cranei“, Bologna 1937, S. 41– 52. Putti beschreibt den Unfall und die Operation an Lorenzos Kopf ausführlich.
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Nach knapp zwei Monaten war diese abgeschlossen, und Lorenzo konnte am 24. Mai 1517 nach Florenz, sein Arzt nach Bologna zurückkehren.2 Das Bildnis Lorenzos aus der Hand Raffaels, das im folgenden Jahr entstand, lässt von diesen lebensbedrohlichen Momenten nichts ahnen (Abb. 2). Unmittelbar nach Ankunft in seiner Heimatstadt verfasste Berengario da Carpi einen chirurgischen Traktat, den er dem Herzog widmete. Bereits im folgenden Jahr erschien dieser als Tractatus de fractura calve sive cranei (Abb. 3) bei Hieronymus de Abb. 2: Raffaello Sanzio: Lorenzo de’ Medici II Duca di Benedictis in Bologna. Er habe den Trac- Urbino, 1518. Öl auf Leinwand, 97 x 79 cm, Privatsammlung. tatus anlässlich der Schädelverletzung des Herzogs und auf Bitten desselben sowie seiner Studenten verfasst, betonte Berengario gleich mehrfach in Grußwort, Widmung und Einleitung. Merkur, der Schutzgott der Ärzte, sei ihm darüberhinaus in der ersten Nacht in Bologna im Traum erschienen und habe ihn von der Wichtigkeit der Schrift überzeugt und ihn zudem unterwiesen, mit welcher Haltung sie zu verfassen sei. Praktische Fragen, wie die Arten von Schädelverletzungen, ihre Beurteilung sowie ihre Heilung, stehen im Tractatus im Vordergrund.3 Entsprechend schildert Berengario viele Einzelfälle von Verletzungen, die zum Teil auf seiner eigenen Erfahrung beruhen. An vier Textstellen erwähnt er die Schussverletzung des Herzogs, nur einmal allerdings im Zusammenhang mit seiner postoperativen Betreuung. In den anderen Text2 Lorenzo starb allerdings zwei Jahre später, möglicherweise an den Folgen einer Syphiliserkrankung. Weder die Medizinhistoriker noch die Zeitgenossen Lorenzos sind sich einig über die Todesursache des Herzogs. Vgl. Putti und v. a. Corsini (s. Anm. 1). 3 Zum Aufbau und zur medizinhistorischen Einordnung des Tractatus vgl. L. R. Lind (Hg. und Übers.): Berengario da Carpi on fracture of the skull or cranium, Philadelphia 1990, S. xviii – xxii.
Abb. 3: Titelblatt von Berengario da Carpi: Tractatus de fractura calve sive cranei, Bologna (Hieronymus de Benedictis) 1518.
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passagen lässt er sich über den falschen Instrumenteneinsatz von Seiten der Ärzte aus, die Lorenzo operierten.4 Der Tractatus stieß sofort auf großes Interesse und erschien 1535 in einer zweiten Ausgabe mit leicht verändertem Titel (Tractatus perutilis et completus de fractura cranei) und neuem Titelblatt (Abb. 4), das die medizinische Bildtradition der „Wundenmänner“ (Abb. 5, Tafel 5) aufnahm, allerdings in einer reduzierten, auf den Kopf konzentrierten Form.5 Den Erfolg der Schrift dürften mehrere Faktoren bedingt haben: die Abb. 4 : Titelblatt von Berengario da Carpi: Tractatus perutilis et completus de fractura cranei, Venedig (Per Ioan Ant. de Nicolinis de Bekanntheit des Patienten, das Sabio, expensis D. Ioan. Baptistae Pederzani) 1535. Renommée Berengarios 6 sowie die politischen Auswirkungen der Schlacht um Urbino. Darüber hinaus war der Text in seiner Zeit aus zweierlei Gründen hochaktuell: Schädelverletzungen häuften sich mit dem vermehrten Einsatz von Schusswaffen deutlich, und zudem widmete sich Berengario ausschließlich dem menschlichen Schädel und dem darin eingeschlossenen Gehirn, das als Ort der wahrnehmenden und kognitiven Vermögen die Anatomen, Mediziner, Künstler, Theologen und Naturphilosophen gleichermaßen und zunehmend beschäftigte. 4 Vgl. Berengario da Carpi: Tractatus de fractura calve sive cranei, Bolgna 1518, f. XXIIIv, f. CIIr, f. LXXXIIIIr-v, f. LXXXXIXv. 5 Auch die folgenden Seitenangaben aus dem Tractatus beziehen sich auf diese Erstausgabe, die als Faksimilenachdruck vorliegt in Vittorio Putti: De fractura calvae sive cranei. Facsimile della Editio princeps [Bologna, 1518], accompagnato dalla traduzione italiana di Vittorio Putti. Presentazione di Bonifacio Pistacchio, Sala Bolognese 1988. Nach Putti erschien zwischen diesen beiden Ausgaben eine weitere. Vgl. Putti (s. Anm. 1), S. 52 u. S. 137. 6 Berengarios Name wurde bis dahin vornehmlich mit seinen erfolgreichen Behandlungen der Syphilis sowie in Gelehrtenkreisen mit seinem Kommentar der Anatomia Mondino de’ Liuccis im Jahr 1514 verbunden.
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Entstehung einer neuen Diagnostik
Die Schädelverletzung Lorenzos bietet heute eine unvergleichlich gut dokumentierte Möglichkeit, die verschiedenen Blicke auf das menschliche Gehirn in Berengarios Tractatus zu rekonstruieren: Zwar vertritt der Verfasser als einer der prominentesten frühen Anatomen eine spezielle Betrachtungsweise des menschlichen Körpers, nämlich die Lehre von der anatomia sensibilis; 8 dennoch operiert auch er mit anderen (visuellen) Körpermodellen seiner Zeit. Indem er sie und ihre jeweiligen Bildtraditionen beständig in seine Diagnostik einfließen lässt, legt er vor den Augen des Abb. 5: „Wundenmann“ in einer Sammelschrift (Apokalypse, ars moriendi, medizinische Traktate, Tugend- und Lasterlehren), um Lesers zugleich die unterschiedlichen 1420 bis 1430. Möglichkeiten des diagnostischen Blicks offen. Auf diese Weise entfaltet sich im Text ein mehrdimensionales, imaginäres Bild des Gehirns, das aus den bildlichen oder textlichen Darstellungen jener Zeit sonst nur schwer zu gewinnen ist.9 Der Traktat erweist sich in diesem Zusammenhang als Glücksfall der (medizin-) historischen Forschung, da es sich um Berengarios erste eigenständige Publikation sowie um eine praktische Lehrschrift handelt und ihr Autor innerhalb von 8 Vgl. zum Begriff und zur Methode der anatomia sensibilis bei Berengario sowie zur anatomischen Praxis im Europa der frühen Neuzeit Roger K. French: Dissection and Vivisection in the European Renaissance,Vermont 1999 und ders.: Berengario da Carpi and the Use of Commentary in Anatomical Teaching. In: Andrew Wear, Roger K. French und Ian Lonie (Hg.): The Medical Renaissance of the Sixteenth Century, Cambridge 1985, S. 42 – 74 und insbesondere Rafael Mandressi: Le regard de l’anatomiste. Dissections et invention du corps en Occident, Paris 2003. 9 Der Begriff des Imaginären wird hier verwendet im Sinne Jean-Claude Schmitts, für den dieses eine „kollektive Realität“ bezeichnet, die sich aus „mythischen Erzählungen, Fiktionen, Bildern zusammensetzt“ und die den einzelnen Akteuren nicht bewusst sein muss. Jean-Claude Schmitt: L’imagination efficace. In: Klaus Krüger und Alessandro Nova (Hg.): Imagination und Wirklichkeit. Zum Verhältnis von mentalen und realen Bildern in der Kunst der frühen Neuzeit, Mainz 2000, S. 13 – 20, hier S. 13.
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Einzelfalldiagnosen offenlegt, worin die Vorteile und Schwierigkeiten seiner Methode und seines (wahrnehmungspsychologischen) Zugangs liegen. Auch treibt der Untersuchungsgegenstand selbst die Praxis und Methode der anatomia sensibilis an ihre Grenzen: Im Tractatus widmet sich Berengario erstmals dem lebenden Körper; hierdurch werden Herangehensweisen und Verfahren nötig, von denen der Anatom laufend Bericht erstattet, etwa wenn seine „Werkzeuge“, Gesichtssinn und Tastsinn, für ein medizinisches Urteil nicht ausreichen. Berengario selbst ist sich dieser Schwierigkeit durchaus bewusst, er räumt ein, im Sinne einer ausgewogenen Diagnose Altes mit Neuem zu mischen.10 Der Autor steht daher nicht in einer einfachen historischen Entwicklungslinie, die von einem veralteten, spekulativen Paradigma zum modernen, empirischanatomischen Blick auf das menschliche Gehirn voranschreitet. Vielmehr verbinden sich kontinuierlich in den Modellen des Gehirns überlieferte Vorstellungen vom Ort der inneren Sinne mit neuen Zugängen und Befunden. Von Interesse ist daher vor allem die Frage, auf welche Weise dies geschieht. Die anatomia sensibilis
Eine wichtige Rolle als Vermittler spielen Theorien der Wahrnehmung, die auf der einen Seite der neuen anatomia sensibilis zuzurechnen sind und auf der anderen Seite einer traditionellen Lehre der perceptio: Innerhalb letzterer sind die Anzeichen einer Krankheit Teil einer umfassenden mikro-makrokosmologischen Ordnung von versteckten, sinnlich nicht wahrnehmbaren Kräften (virtutes) und Körperpartikeln (spiritus und humores), die vornehmlich durch den inneren Sinn der imaginatio wirken. Diese entziehen sich der unmittelbaren Beobachtung. Anatomia sensibilis wird hingegen idealerweise von einem Mediziner betrieben, der seine Sinne einsetzt, vornehmlich Sehsinn11 und Tastsinn, mit denen er die Morphologie und Lage der betreffenden Organe erkennt, und der gleichzeitig Kenntnis über die autoritativen Schriften und gängigen Lehren besitzt. Ein guter Arzt, so Berengario, müsse in der Lage sein, die vielfältigsten Anzeichen (signa) einer spezifischen Verletzung richtig einzuschätzen. Ist er sodann mit einem guten Urteilsvermögen (iudicum) ausgestattet, gleicht er sein gesammeltes Wissen (experientia) mit den aktuellen Symptomen ab, erkennt die Ursachen 10 „Conatus sum aliqua nova veteribus miscere.“ Da Carpi (s. Anm. 4), f. IVv. 11 „[…] medicus oculata fide iudicat.“ Da Carpi (s. Anm. 4), f. CIIr.
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einer Verletzung und behandelt diese entsprechend. Insgesamt spricht damit aus dem Text der Optimismus des Chirurgen und Anatomen in der frühen Institutionalisierungsphase der anatomischen Disziplin: Schädelverletzungen sind heilbar,12 sofern der Arzt über ein gutes Urteil verfügt, mit dessen Hilfe er die mannigfaltigen inneren (unsichtbaren) sowie äußeren (sicht- und ertastbaren) signa erkennt und die richtigen Medikamente einzusetzen und Instrumente anzuwenden weiß.13 Das iudicium steht also an exponierter Stelle und setzt einen kognitions- und perzeptionspsychologischen Prozess voraus, in dem der Arzt seine sinnliche Erfahrung mit erinnertem textlichem und ikonischem Wissen abgleicht und in ein stimmiges Verhältnis dazu bringt. Die inneren Sinne, die er bei dieser Form der perceptio einsetzt, sind der sensus (communis) und die memoria. Das iudicium basiert also auf einer kognitiven und perzeptiven Vergleichspraxis. Es ist, wie Berengario ausführt, angewiesen auf einen Mediziner, der die mannigfaltigen Befunde in einem analytischen und synthetischen Prozess im Abgleich mit ähnlichen Fällen zu verstehen und zu beurteilen weiß. Berengarios Beschreibung der anatomischen Methode ist auf diese Weise gleichsam eine Beschreibung des perzeptionspsychologischen Vorgangs, der dieser zugrunde liegt und der im Kopf des Anatomen selbst abläuft. Allerdings setzt Berengario nicht dieselben Sinne ein, die in der traditionellen Wahrnehmungspsychologie, das heißt der Lehre der „Fakultäten“, relevant sind (Abb. 3 und 6, auch Tafel 4).14 Vereinfacht beginnt dort die Wahrnehmung sinnlicher Formen im sensus communis, der gemeinsam mit der imaginatio 12 „Haec dixi ut contradicerem opiniosis quae non credunt cerebrum posse sanari quos rogo ut velint dictis nostris acquiescere: quia ego cognosco et cerebrum et saniem et alias medulla.“ Da Carpi (s. Anm. 4), f. XXXIIr. 13 „Tamen dico quod in istis signis distinguendis est magna difficultas et non cognoscuntur nisi a valde experto qui coniectura aliqua hoc cognoscat. Quia haec signa son possunt integre scribi: sed solum a bono ingenio diligenter ruminante dividente et componente et longo tempore in similibus experto possunt comprehendi et iudicari: quia multa sunt in medico quae non possunt scribi ut continue videmus.“ Da Carpi (s. Anm. 4), f. XXIIIv. 14 Die Bezeichnung Fakultätenpsychologie leitet sich ab von der zeitgenössischen Vorstellung, dass der menschliche und tierische Verbund von Seele und Körper dreigeteilt ist und jeder dieser Teile verschiedene Vermögen (vires, virtutes) oder Fähigkeiten (facultates) hat: Die anima vegetativa mit der Leber als Hauptorgan ermöglicht basale Lebensvorgänge wie Fortpflanzung und Ernährung, die anima sensitiva mit dem Herzen und dem Gehirn als Hauptorganen die Affekte und sinnliche Wahrnehmung. Die anima rationalis ist organisch nicht lokalisierbar, umfasst den Intellekt und unterscheidet den Menschen vom Tier. Dieses Modell geht auf Platon und auf Aristoteles zurück.
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Abb. 6: Abbildung der Hirnventrikel, integriert in das Buch „De anima“: sensus communis, imaginatio, (vis) imaginativa, extimatio, (vis) memorativa, membrorum motiva. Aus: (Ps.-) Albertus Magnus: Philosophia pauperum, Brescia (Baptista Farfengus) 1490.
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in der ersten Hirnkammer verortet ist. Der sensus communis fügt bei jenem Vorgang in einem ersten Schritt die einzelnen Sinnesdaten zu einer Form zusammen, die imaginatio speichert dieselben und gibt sie an die phantasia (oder vis imaginativa) weiter, die sie mit Hilfe der ratio neu kombinieren kann. Die vis aestimativa abstrahiert in einem nächsten Schritt die intentiones von diesen Formen, die abschließend in der memoria gespeichert werden.15 Zwar rekurriert Berengario auf dieses Modell von perceptio – der Tractatus selbst trägt in seiner ersten Ausgabe ein Titelbild, das diesem entspricht (Abb. 3). Allerdings erwähnt er nur diejenigen inneren Sinne, die für die perceptio des Anatomen relevant sind, und er exponiert außerdem das Vermögen des iudicium: Der sensus (communis) – und, wie er betont, nicht die imaginatio – ermöglicht das iudi-
15 Vgl. zur Wahrnehmungspsychologie in Mittelalter und Renaissance Carl Nordenfalk: The Five Senses in Late Medieval and Renaissance Art. In: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 48, 1985, S. 1– 22; Ruth E. Harvey: The inward wits: Psychological Theory in the Middle Ages and the Renaissance, London 1975; Harry Austryn Wolfson: The Internal Senses in Latin, Arabic, and Hebrew Philosophic Texts. In: Harvard Theological Review 28, 1935, S. 69 –133. 16 „Quia forte sic operando inveniet craneum de quo forte non dubitabat esse laesum quia semper medicus iudicat quae verae iudicat plus sensu quam imaginatio.“ Da Carpi (s. Anm. 4), f. XLr; „Oportet ergo in quacumque specie fracturae advertere plura signa et non uno nec paucis contentari sed maiori parte. Et ubi potest medicus non solum stilo sive proba sive specillo certificari sed digito etiam debet tangere in quo est verus sensus tactus.“ Da Carpi (s. Anm. 4), f. XIr. Gerade innerhalb der aristotelisch ausgerichteten Anatomie steht der psychologische Begriff des iudicium an herausragender Stelle. Vgl. zur Rolle des sensus communis in der Kunstund Bildtheorie der Frühen Neuzeit David Summers, der allerdings rein diesen aristotelischen Zugang stark macht (The Judgment of Sense. Renaissance Naturalism and the Rise of Aesthetics, Cambridge u. a. 1990).Wie an anderer Stelle gezeigt, basiert die Methode der frühen Anatomie auf einer Vergleichspraxis (Tanja Klemm: Huftier oder Mensch? Bildpraktiken vergleichender [Hirn-]Anatomie im frühen 16. Jahrhundert. In: Inge Hinterwaldner und Markus Buschhaus (Hg.): The Picture’s Image. Wissenschaftliche Visualisierung als Komposit, München 2006, S. 87 –103). Vgl. auch Donna Haraway: Primate Visions, New York 1989, S. 4.
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cium des Anatomen. Darüber hinaus ersetzt es die vis aestimativa; es bedarf damit nicht der übergeordneten Instanz der ratio.16 Auch unterscheiden sich die kognitiven Bewegungsrichtungen in den beiden Modellen: In der traditionellen Fakultätenpsychologie verlaufen sie vom Vorderkopf zum Hinterkopf, im Wahrnehmungsmodell der anatomia sensibilis oszillieren sie zwischen diesen beiden Bereichen. In der bildlichen Inszenierung der Hirnanatomie in Berengarios Isagogae breves aus dem Jahr 1523 (Abb. 7) überträgt sich die perzeptive und kognitive Vergleichspraxis des Anatomen auch auf Abb. 7: Anatomie des Gehirns. Aus: Berengario da Carpi: die Bildebene: Das Körpermodell, das Isagogae breves, Bologna (Benedictus Hectoris) 1523. der anatomia sensibilis zugrunde liegt, beruht auf einem Zusammenspiel von Einzelteilen (Organe, Gefäße, Knochen etc.), die allesamt sinnlich wahrnehmbar sind. Das Bildformular, das diesem entspricht, ist das anatomische, welches Substanz, Größe, Anzahl, Gestalt, Lokalisation und die Verbindungen dieser Körperteile untereinander zeigt.17 Indem die Isagogae zwei Gehirndarstellungen übereinander abbilden, werden die Verbindungen zwischen den einzelnen Organen wie auch ihre Gestalt, Größe, Lokalisation und Anzahl durch vergleichendes Sehen evident. Die Grenzen der anatomia sensibilis
Bereits zu Beginn der Einleitung des Tractatus überschreitet Berengario allerdings die Grenzen seiner anatomia sensibilis und schränkt das iudicium der rein sinnlich wahrnehmbaren signa ein. Krankheitsursachen nämlich könnten eben17 Vgl. Berengario da Carpi: Isagogae breves. Bologna 1523, 3r. Bei Mondino de’ Liucci sind die Elemente der anatomischen historia: posizione, sostanza, complessione, quantità, numero, comunicanza, figura, giovamento, operazione. Vgl. Mondino de’ Liucci: Anatomia. Riprodotta da un codice bolognese del secolo XIV e volgarizzata nel secolo XV, hg. v. Lino Sighinolfi, Bologna 1930, S. 32.
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so in den Einflüssen der Planeten auf den Körper liegen. Aus diesem Grund müssten die Bewegungen derselben erforscht werden, um ihre Einflüsse auf den Körper und ihre Ursachen beurteilen zu können und die entsprechende Medizin einzusetzen.18 Zahlreiche medizinische Abhandlungen der Zeit integrieren astrologisch-medizinische Abbildungen des menschlichen Körpers, in denen einzelne Körperteile Planeten zugeordnet werden. Der „Aderlassmann“ (Abb. 8, Tafel 6) stammt aus einer Sammelschrift des frühen 15. Abb. 8: „Aderlassmann“ in einer Sammelschrift (Apokalypse, ars Jahrhunderts. In einer Verbindung moriendi, medizinische Traktate, Tugend- und Lasterlehren), um 1420 bis 1430. von diagrammatischen und figürlichen Bildelementen zeigt sich der menschliche Körper in diesem Modell als eine offene Gestalt, die qua Linien mit den Planeten in Beziehung steht. Wie die Medizinhistorikerin Katharine Park gezeigt hat, ist die imaginatio in diesem Organismusmodell der zentrale Sinn.19 Diese nämlich situiert sich in der überlieferten Medizin zwischen körperlicher und geistiger Sphäre und ist so empfänglich für Einflüsse aus dem Makrokosmos, die im Organismus wirken und entsprechende Symptome in demselben ausbilden. Wie Berengario selbst 18 „Circa planetarum varios motus dispositiones syderum speculando ut per ea tam quod in humana corpora agentia et plurima causantia et egritudinum causas successus et opportuna remedia possit agnoscere atque ea quae ad salutem egrotantis necessaria demonstrantur disponere.“ Da Carpi (s. Anm. 4), f. Vr. 19 Katharine Park: The Imagination in Renaissance Psychology. Ph. D. thesis, London 1974; Dies.: Picos De imaginatione in der Geschichte der Philosophie. In: Gianfrancesco Pico della Mirandola: Über die Vorstellung – De imaginatione, lat.-dt. Ausgabe, hg. von Eckhard Kessler, München 1984, S. 21– 56. 20 „Sed re vera dicunt aliqui istam confidentiam dependere ab imaginativa forti quae a coelo movetur non enim omnis imaginatio facit casum sed illa quae a coelo movetur et tunc causae erit causa causati ut recitat Albertus in libro de mineralibus ubi quaerit causas imaginum In lapidibus.“ Da Carpi (s. Anm. 4), f. LVIIr.
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ausführt, wird die imaginatio durch den Himmel bewegt.20 Dieses Körpermodell ist Teil eines medizinischen Denkens, das von zahlreichen Einflüssen auf den Körper ausgeht.21 Im Gegensatz zur anatomia sensibilis basiert dieses Modell auf der harmonischen Einheit des menschlichen Körpers: Spezifische Einflüsse auf ein Organ bringen den Gesamtorganismus aus dem Gleichgewicht. Dies hat zur Folge, dass auch die Krankheitssymptome in diesem Modell auf Ursachen beruhen, auf die nicht mittels direkter, sinnlicher Wahrnehmung geschlossen werden kann. Zudem ermöglichen diese signa keine eindeutige Interpretation, weil sie nur in Kombination mit der Humoralpathologie und auf der Basis der überlieferten Fakultätenpsychologie beurteilt werden können. Und auch die Humoralpathologie beruht auf dem Prinzip der Unteilbarkeit des Körpers sowie dem der Übertragung von Kräften beziehungsweise von feinstofflichen Partikeln, die weder mit Sehsinn noch mit Tastsinn wahrnehmbar sind.22 Diese „warmen und mobilen“ Säfte23 steigen nach Berengario beispielsweise zum Kopf auf, dringen in die Hirnkammern ein und stören die Tätigkeiten der inneren Sinne darin. So können Wahrnehmungsveränderungen des Patienten sowohl auf eine Entzündung der imaginatio im vorderen Gehirnbauch verweisen als auch auf dessen schlechte Komplexion, das heißt auf ein Ungleichgewicht in seinem Säftehaushalt,24 oder aber auch auf ungünstigen Sterneneinfluss. Das iudicium der reinen anatomica sensibilis verfolgt also zwar das Ideal einer externen Beobachterperspektive, die vornehmlich mit Sehsinn und Tastsinn arbeitet. Dennoch bezieht es ein medizinisches Modell ein, das auf einer anderen Form der Diagnostik sowie auf einem anderen Modell von perceptio beruht. In dieser Form ist die imaginatio zentral. 21 Berengario integriert in seine Beschreibungen der signa und causae auch die Physiologie der spiritus sowie die physiognomische Lehre der Zeit. 22 Vgl. Mandressi (s. Anm. 8), S. 16. 23 „[…] quia humores sunt calidi et subtiles et primo mobiles.“ Da Carpi (s. Anm. 4), f. XVIv. 24 Folgende Symptome verweisen für Berengario auf Entzündungen der Hirnbäuche: „Et si apostema est in anteriori parte capitis corrumpit imaginationem et tunc incipiunt colligere vilos et paleas et similia. Et imaginantur quae non reperiuntur. Et si sit in medio corrumpit cogitationem. Et si in posteriori obliviscuntur ita ut quandoque petant aliquid quod si eis praesentetur non recordantur se quaesivissse. Si autem apostema sit super omnes partes aparent haec omnia.“ Da Carpi (s. Anm. 4), f. XIXv. Kurz davor, in dem Kapitel mit dem Titel „Signa cuiuslibet malae complexionis capitis“ (f. XVIv-XVIIIr) führt Berengario eine Störung der imaginatio – „permutationes in imaginationibus“ (f. XVIIv), „somnis fortis“ (f. XVIIIr) – sowie der cogitatio (f. XVIIIr) auf die schlechte Komplexion des Patienten zurück.
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Anatomia sensibilis und Traumtheorie
In Berengarios Traumschilderung in der Einleitung seines Buches leitet der Schutzgott Merkur den Anatomen an, wie er seinen Tractatus zu verfassen habe: Zurückgezogen in seiner Erinnerung (memoria) solle Berengario zunächst in Ruhe nachdenken (meditare) und sein Vorhaben von allen Seiten betrachten. In einem nächsten Schritt solle er beginnen zu schreiben, frei von jeglicher Beihilfe autoritativer Texte, und wie ein Richter seine Gedanken beurteilen, indem er sein Gehör sowie seine gesamten Seelenkräfte zu Rate ziehe.25 Seine Schilderung eines kognitiven Prozesses (der Auffindung und Gestaltwerdung eines Vorhabens) ist gleichermaßen durchsetzt vom Wahrnehmungsvokabular der Fakultätenpsychologie und der anatomia sensibilis. Berengario solle seine intentiones zunächst umkreisen, die er zuvor durch Erfahrung gesammelt habe und mittels memoria erinnere, um diese sodann mit sinnlichem Gehalt (voca) zu versehen und den Schreibakt einzuläuten, der von einem steten iudicium begleitet werde. Berengario verknüpft in seiner Traumbeschreibung auch die zeitgenössische Traumtheorie mit der anatomia sensibilis und ihren jeweiligen wahrnehmungspsychologischen Grundlagen: Der Traum von der anatomia sensibilis schildert nicht nur den Prozess der Formfindung und Textwerdung in seinem psychologischen Ablauf, denn die Figur Merkurs ist selber Resultat einer perceptio. Wie die Traumtheorien der Zeit ausführen, läuft die Wahrnehmung eines „Traumgesichts“ immer durch die imaginatio26 – durch den Sinn also, dem Berengario innerhalb der anatomia sensibilis keine Funktion zuschreibt, der aber in der medizinischen Diagnostik zentral ist. Die Eingangspassage erweist sich damit als Schlüsselstelle des Tractatus. Aus ihr wird evident, dass sich die perceptio des Anatomen und die überlieferte Lehre nicht ausschließen, sondern Teile eines gemeinsamen „Imaginären“ vom Gehirn und seinen Vermögen sind. Sie macht die besondere perceptio des Anatomen selbst plastisch greifbar, der immer dann auf die ältere Fakultätenlehre und 25 „Incipe igitur et primum solus in silentio meditare meditata claustris abde memorie. Eademque intentus circuito atque in corruptus examina: inde adhuc nullo teste ad calamum pedetentim procede: proferantur deinde: ut te audias: non quasi conditor: sed ut iudex. Autem atque animum in consilium voca et qualis fis cogita et quid dicturus fueris ac si tuus hostis dictasset.“ Da Carpi (s. Anm.4), f. IVr. 26 Vgl. stellvertretend den Passus zur Wahrnehmung von Traumgesichten Ludovicus de Prussia: Trilogium animae, Nürnberg 1498, cap. XX, o. S.; Gregor Reisch: Margarita philosophicae, Basel 1535, S. 886f.
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ihre imaginatio angewiesen bleibt, wo Sehsinn und Tastsinn kein eindeutiges iudicium ermöglichen. Solche Rückgriffe und Verknüpfungen bedeuten immer auch einen Perspektivwechsel. Der ansonsten extern beobachtende Anatom spricht in solchen uneindeutigen Fällen aus der Perspektive der ersten Person, eingewoben in das Beziehungsgeflecht der virtutes. Hier ist der Anatom selbst Teil des lebendigen mikro-makrokosmologischen Systems, der mit einem Imaginären des Gehirns arbeitet, das sich im Tractatus in diagnostischen Blicken und präzisen Bildern entfaltet und dabei zugleich, wie alle Vorgänge eines lebendigen Körpers, unsichtbar bleibt.
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Bücherschau: Wiedergelesen Bruno Latour: Visualisation and Cognition: Drawing Things Together. In: Knowledge and Society Studies in the Sociology of Culture Past and Present 6, 1986, S. 1– 40. Bruno Latour: Der „Pedologen-Faden“ von Boa Vista – eine photo-philosophische Montage. In: Ders.: Der Berliner Schlüssel: Erkundungen eines Liebhabers der Wissenschaften, Berlin 1996, S. 191– 248.
Zwei Texte von Bruno Latour – zwei unterschiedliche analytische Wege, einmal von außen kommend und historisch aus der Perspektive der Schrift auf deren eigene Geschichte formuliert, ein anderes Mal mitten aus der Unübersichtlichkeit des Urwalds und im Gemenge des Miterlebens: Latours Liebe zum Schreiben, die sich auch als wechselnde Inszenierung eines Denkens durch unakademische Darstellungsformen ausdrückt und eine Konstante seiner Arbeit bildet, zeigt sich auch in der vergleichenden Gegenüberstellung seiner Aufsätze. Durchgehend wird die Frage nach „Repräsentation“ und „Referenz“ auf das Problem gelenkt, worauf Abbildungen, die von Naturwissenschaftlern erstellt und verwendet werden, verweisen und wie das Verhältnis dieser Abbildungen und ihrer Hersteller zur Realität bestimmt werden kann? Visualisation and Cognition und der Pedologen-Faden sind zwei der zentralen Arbeiten Latours zu diesem Thema, dem er sich auf sehr verschiedene Art und Weise genähert hat und an deren Ende die beiden inzwischen einschlägigen Konzepte der inscription device und des immutable mobile standen. Latour verortet sich und seine Arbeit im Kontext der STS, je nach Sprechergruppe aufgeschlüsselt als science, technology and society, science and technology in society oder auch science and technology studies. Historisch betrachtet, könnte er durchaus als ihr bekanntester französischer Exponent bezeichnet werden. Gemeinsam mit seinen britischen Kollegen aus Edinburgh und Bath war Latour für eine der Gründungsmythen der STS verantwortlich, die science wars.
Bücherschau: Wiedergelesen
Im Unterschied zur britischen Tradition, vor allem in ihrer Grundlegung durch David Bloor, die auf Ludwig Wittgensteins Sprachphilosophie aufbaut, bezieht sich Latour auf Alfred North Whiteheads Prozessphilosophie. Während die britische Tradition der STS einen teilweise radikalen, sprachphilosophisch informierten Sozialkonstruktivismus vertritt, hat Latour eine Historiografie eingefordert, welche die Möglichkeiten technischer Innovation mit den Bedürfnissen in Verbindung bringt, die diesen ihre Wirkmächtigkeit verleiht. Insbesondere hat Latour auf die Bedeutung von Praxis und Materialität verwiesen, die für die Produktion wissenschaftlichen Wissens grundlegend sind; in diesem Zusammenhang wurden die Konzepte des inscription device und des immutable mobile zu Ankerpunkten seiner Argumentation. Das inscription device beschreibt ein technisches Artefakt, mit dem die Natur oder ihre Spuren sichtbar gemacht werden können, und zwar als „Inskriptionen“: Diese gewinnen ihre Bedeutung dadurch, dass die Gegenstände der Wissenschaften vorzeigbar werden. Dieser Gedanke aus Visualisation and Cognition ist nicht nur auf die Naturwissenschaften beschränkt, sondern Teil einer umfassenden Inskriptionskultur, die sich Latour zufolge seit Beginn der Frühen Neuzeit in Europa etablierte. Sie kann dafür verantwortlich gemacht werden, dass dem Aufgeschriebenen mehr Glauben geschenkt wird als einem beobachteten Phänomen. Damit problematisiert Latour zugleich den Mythos der scientific revolution, demzufolge die Entstehung der modernen Naturwissenschaften mit der Hinwendung zum Empirischen einsetzt und von der Heiligen Schrift und den naturphilosophischen Texten der klassischen Antike fortführt. „Inskriptionen“ sind in dieser langfristigen Perspektive nur der letzte Schritt in einer Kette von Transformationsprozessen, durch die Fakten und Objekte auch in der Naturwissenschaft produziert werden und die im Transformationsnetz zirkulieren. Sie verweisen nicht auf ein Außen, sondern werden nur immer weiter re-repräsentiert;
Bücherschau: Rezension
wissenschaftliche Abbildungen und Fakten haben damit keine externen, sondern interne Referenten – eben die konstruierten und zirkulierenden Fakten, Praxen und Objekte, auf die immer wieder Bezug genommen wird und die mit immer neuen Dingen verknüpft werden können. Diese Fakten wiederum sind die immutable mobiles, d. h. Gegenstände oder Repräsentationen, welche die gewünschten Konfigurationen festhalten und sie gleichzeitig aus ihrem Ursprungskontext herauslösen und damit mobil machen, wie z. B. bei Fotografien, bei Diagrammen und anderen Bildformen. Wie dieser Transformationsprozess gleichsam „in natura“ vor sich geht, hat Latour in Der Pedologen-Faden demonstriert. Während Visualisation and Cognition in einem großen Entwurf die Entstehung einer Inskriptionskultur an historischem und historiografischen Material herausarbeitet, kehrt er mit Der Pedologen-Faden zur anthropologischen Arbeitweise zurück und präsentiert nun eine Feldstudie, bei der er die Arbeit einer bodenkundlichen Expedition in den Amazonas begleitet, beobachtet und reflektiert. Am Ende stehen immutable mobiles, die die lokale Forschungspraxis von Wissenschaftlern im Amazonasregenwald an die globale Wissenschaftskultur anschlussfähig machen. Letztere ist, Latours weitergefasster actor-network-theory zufolge, wiederum ein Netz aus lokalen Zentren mit unterschiedlich hoher Aktivität und unterschiedlich großem Einfluss. Wissenschaftliche Abbildungen und Fakten haben somit prozessualen Charakter. Sie vereinen in sich ihre eigene Entstehungsgeschichte sowie die Praxen und Technologien, mit deren Hilfe sie in ihren aktuellen Zustand transformiert wurden. Befreit von einem absoluten Anspruch, sind als relationale Gebilde zu verstehen, deren Wesen durch die auf sie verweisenden Dinge bestimmt wird. Die Konzepte des inscription device und der immutable mobiles haben seit ihrer Formulierung in den 1980er Jahren ein veritables Eigenleben entwickelt, um nun ihrerseits durch das globale Referenznetzwerk der Wissenschaftsforschung und benachbarter Disziplinen zu zirkulieren. Sie spiegeln insofern die Idee ihres Erfinders wider, als
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sie Dinge aus verschiedensten Bereichen auf eine Ebene gebracht und miteinander kombinierbar gemacht haben. Der Autor selbst ist unterdessen weitergezogen. Die inscription devices und immutable mobiles spielen in seinen jüngsten Veröffentlichungen ebenso wenig eine Rolle wie die historiografische Methode von Visualisation and Cognition oder die anthropologische Methode aus Der Pedologen-Faden. Latours Kritik richtet sich inzwischen weniger auf die Wissenschaftsphilosophen, die nach einer inexistenten Referenz wissenschaftlichen Wissens suchen, sondern auf die Soziologie und ihre seiner Meinung nach überholte Vorstellung von „Gesellschaft“: Wenn nicht nur Menschen Akteure sind, sondern auch die Dinge, die im wissenschaftlichen Prozess geschaffen werden, muss notgedrungen auch der Begriff des Gesellschaftlichen und Politischen eine dingliche Wendung nehmen. Christian Reiß
Bücherschau: Rezension Dieter Mersch und Michaela Ott (Hg.): Kunst und Wissenschaft. Fink, München 2007.
Die Frage nach dem Verhältnis von Kunst und Wissenschaft ist ein hartnäckiger Wiedergänger in den Geisteswissenschaften. Schon in den 1920er Jahren sahen die russischen Formalisten eine Annäherung der beiden Bereiche auf der Ebene der sprachlichen Mittel „für dieselben Fakten des Lebens“.1 Anfang der 80er Jahre schrieb Paul Feyerabend über die „Wissenschaft als Kunst“, und 2007 fand umgekehrt in Berlin eine Ausstellung über den Schmerz „im Sinne von Kunst als Wissenschaft“ statt.2 In demselben Jahr ist nun der Band „Kunst und Wissenschaft“ erschienen, der verspricht, das Verhältnis der vermeintlichen Antipoden neu auszuhandeln. So eröffnet die Einleitung der Herausgeber zunächst den größtmöglichen Rahmen: Kunst und Wissenschaft können sich decken, eine Einheit bilden, sich überschneiden, konkurrieren, sich ergänzen oder reziprok
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radikalisieren, sich parallel entwickeln, sich zum Verwechseln ähneln und sich vermischen. Den Beiträgen des Bandes gehe es daher „um die Auslotung dessen, wie im eigentlichen Sinne ‚ästhetische Verfahrensweisen‘ selbst zu Instrumenten einer Forschung werden können, die sich jenseits von traditioneller Wissenschaft und künstlerischer Praxis bewegt […]“ (12). Den Anfang machen aber zunächst nicht Verfahrensweisen, sondern „Diskurse über Kunst und Wissenschaft“. Hier stellen die Herausgeber zwei sich ergänzende Ansätze vor: Ott zeigt die zentrale Rolle der Kunst für die Theoriebildung auf, Mersch das Fehlen an Theorien über künstlerische Schaffensprozesse. Aufgrund der „mangelhaften Bezugnahme auf die vielfältige Erscheinungsform der Kunst“, so Michaela Otts These, plausibilisieren Michel Foucault und Hannah Arendt „den historischen Verlauf als zwangsläufigen Niedergang“ (71). Walter Benjamin und Deleuze/Guattari hingegen entwickeln „dank ihrer Affirmation avancierter künstlerischer Verfahren neue und bewegliche Textkonstruktionen“ (72). Dieter Mersch hält der philosophischen Ästhetik entgegen, dass sich Kunst nicht nur am Werk, sondern ebenso am Material und an „der Mühsal des Schaffens“ beurteilen lässt (91). Eine Konsequenz dessen wäre, die „Kunst als Forschung“ zu untersuchen, „zu der das Experiment, die Probe, das tacit knowledge gehört“ (94), die sich aber von wissenschaftlicher Forschung unterscheidet: „Ihr Untersuchungsgegenstand liegt nicht vor, er wird vielmehr in jedem Augenblick erst erschaffen und auf die Probe gestellt.“ (96) So wie Ott bei den Theoretikern verweilt, konzentriert sich Mersch auf eine Theorie des Schaffens und verweist auf Künstler wie Kurt Schwitters und Robert Rauschenberg. Gerade hier, wo es um die vermeintlichen Desiderate der Philosophie (und Kunstwissenschaft) geht, wäre Genaueres wünschenswert. Wie unterscheidet sich das künstlerische „Zeigen, das einer anderen Ordnung gehorcht“, von der Logik des „Sagens“ in der Wissenschaft oder künstlerischen Praxis? (97) 3 „Lektüren zwischen Kunst und Wissenschaft“ lautet der Titel des Abschnitts,
Bücherschau: Rezensionen
der mit einem einfallsreichen Text Peter Bextes einsetzt (KOT D’AZUR). Um den „Konflikt zwischen Kunstwerk und Wissenschaftswerk“ zu illustrieren, analysiert der Autor die fäkalienproduzierende Körpermaschine „Cloaca“ von Wim Delvoye, welche „die paradoxe Einheit der Differenz von Kunst und Wissenschaft“ modelliert (120). Im Output der mit chemischen Prozessen arbeitenden Maschine zeigt sich der „Einbruch des Realen“ ins „Reich des Imaginären“, der wissenschaftlich ausgedrückt einen „naturidentischen Stoff “ bildet (121) – einen zugleich künstlichen und natürlichen Stoff, ein Resultat von Kunst und Wissenschaft. Elke Bippus argumentiert in eine ähnliche Richtung wie Mersch, wenn sie fordert, „die Forschungen der Kunst in epistemischer Absicht als ein Wissen und eine Wissensproduktion zu befragen“ (149). Bippus verortet diese Forschung im Ausstellungsraum und beschreibt sie unter anderem am Beispiel der installativen Arbeit „Import/ Export Funk Office“ von Renée Green. In zehn Stahlregalen sind hier Bücher, Zeitschriftenartikel, Aktenordner, Audio- und Videotapes angeordnet, es laufen HipHopMusik und Videofilme zum Thema Black Culture. Die Besucher des archivartigen Raums erfahren Bippus zufolge „ihre Rezeption als einen Forschungsprozess“, da sie das dargebotene Material selbst erkunden, ordnen und repräsentieren können (138). Insgesamt soll die Arbeit „als ein Experimentalsystem im Sinne Hans-Jörg Rheinbergers“ aufgefasst werden (137). Wie weit aber trägt dieser Vergleich, wenn Experimentalsysteme gerade nicht veröffentlicht werden wie dieses Kunstwerk, sondern sich in dem Raum „zwischen gedrucktem Text und der materiellen Veranstaltung des Experimentierens“ ansiedeln (149)? 4 Müssten dann nicht vielmehr die „Zwischenräume“ zwischen gezeigtem Kunstwerk und künstlerischer Produktion in den Blick geraten (149)? Angela Lammert beleuchtet diesen Bereich, indem sie die neuen Medien in Kunst und Wissenschaft miteinander vergleicht: Die Fotografien Albert Londes, die Mitte des 19. Jahrhunderts in der Salpêtrière
Projektvorstellungen
entstanden, dienten als Dokumentationen und Beweismittel, nicht als Kunst, dennoch wurde „die ästhetische Methode der wissenschaftlichen Erkenntnis gleichgesetzt“ (166). Der Biologe Jean Painlevé collagierte in seinem Film Vampir 1939 wissenschaftliche Aufnahmen mit Filmzitaten aus dem expressionistischen Stummfilm Nosferatu, wodurch „die Symbiose wissenschaftlicher und künstlerischer Verfahren“ offenkundig wurde, „die sich in der Ästhetik des bewegten Bildes treffen“ (173). Der Surrealist Man Ray schließlich fügte 1936 einem Artikel in der Zeitschrift Cahier d’Art Fotografien von mathematischen Objekten bei. Lammert zieht Vorstudien des Künstlers heran, um zu verdeutlichen, wie schon in einem solchen Werk das „Verhältnis von Kunst, Wissenschaft und Medialität […] auf vielfache Weise miteinander verwoben“ ist (180). Es folgen zwei weitere Kapitel zur „Science/Art“ und „Art/Science“ mit lesenswerten Beiträgen (z. B. von Frieder Nake zur Ästhetik und Zeichenhaftigkeit in Kunst und Wissenschaft, von Susanne Deicher über Sigmund Freud und die Kunst des Sehens). Alle Aufsätze des Bandes stellen die Produktivität der Fragestellung unter Beweis, aber auch ihre Schwierigkeit. Oft entstehen Zusammenhänge von Kunst und Wissenschaft nur aus der Vogelperspektive, oft ist nicht klar, von welchen Wissenschaften die Rede ist, und zu oft gilt die Rede „der Wissenschaft“ und „der Kunst“. Die Herausgeber bahnen diesen Verallgemeinerungen den Weg, wenn sie vorausschicken, dass die Frage nach der Durchmischung von Kunst und Wissenschaft „nicht so sehr auf die gelegentliche Verwendung wissenschaftlicher Methoden in künstlerischen Arbeiten oder auf die systematische Ästhetisierung wissenschaftlicher Praxis“ zielt, „sondern auf eine tieferliegende Entgrenzung“ (28). Eine solche Entgrenzung lässt sich nicht ohne die konkreten Transfers von Methoden, Praktiken, Ästhetiken, Zielen und Problemen zwischen Künstlern und Wissenschaftlern in ihrem spezifischen, historischen Kontext beschreiben. Margarete Vöhringer
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1 Boris Ejchenbaum: Tvorçestvo Jurija Tunianova. In: Ders.: O proze, Leningrad 1969, S. 382. 2 Paul Feyerabend: Wissenschaft als Kunst, Frankfurt a. M. 1984; http://www. kunst-als-wissenschaft.de/de/index. html (Stand 05/2008); Hervorhebungen durch die Autorin. 3 Hervorhebungen im Original. 4 Bippus zitiert Hans-Jörg Rheinberger: Wissensräume und experimentelle Praxis. In: Helmar Schramm u.a. (Hg.): Bühnen des Wissens. Interferenzen zwischen Wissenschaft und Kunst, Berlin 2003, S. 366 – 382.
Projektvorstellungen Bildhafte Wissenspräsentation. Funktionelle Bildgebung mit simultaner EEG-fMRT
Ein breiter Zweig neurowissenschaftlicher Methoden basiert auf der Verbildlichung von Hirnfunktionen. Bilder scheinen privilegiert zu sein, Hirnfunktionen darzustellen. Eine sinnvolle Deutung dieser Bilder ist jedoch nur unter Kenntnis der zugrundeliegenden Entstehungsprozesse möglich. Die Informationsverarbeitung im Gehirn des Menschen erfolgt über chemische und elektrische Vorgänge in und zwischen den einzelnen Nervenzellen (Neuronen), einhergehend mit lokalen Stoffwechseländerungen. Diese biochemischen und elektrischen Prozesse bilden die Grundlage für das Fühlen, Denken und Handeln. Die einzelnen Vorgänge im arbeitenden Gehirn des Menschen bleiben im Alltag seinen fünf Sinnen verborgen. Um sie erfassen zu können, bedarf es spezieller Messtechniken, die bestimmte Aspekte dieser komplexen dynamischen Prozesse in Form – von meist Millionen – diskreter Messwerte aufnehmen und in einer Art und Weise aufbereiten, die in die Lage versetzt, spezielle Informationen aus ihnen zu extrahieren. Funktionell bildgebende Verfahren transferieren die gemessenen physiologischen Werte
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Projektvorstellungen
Abb. 1: A) Am wachen Menschen abgeleitetes Elektroencephalogramm. Es wurden Signalzeitverläufe von 29 über den Kopf verteilten Elektroden aufgezeichnet. Buchstaben- und Zahlenkombinationen vor jeder Zeitreihe beschreiben den Ort der Ableitung. B) fMRT-Aufnahmen spiegeln die zeitlichen Änderungen des Sauerstoffgehalts im Gehirn wider – hier in Form von Grauwerten. Abgebildet ist jeweils derselbe Hirnschnitt zu unterschiedlichen Zeitpunkten.
in anschauliche Bilder und machen so, je nach Messmethode und Analyse, einen ganz bestimmten Ausschnitt der Vorgänge im Gehirn für den Betrachter sichtbar. Im Labor kombiniert die Forschergruppe die Verfahren der Elektroenzephalografie (EEG) und funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRT). Diese beiden Methoden visualisieren nicht-invasiv, also ohne den Körper zu verletzen, die im Gehirn ablaufenden Prozesse.
Das EEG erfasst die elektrische Aktivität von Neuronen. Ist eine große Anzahl dieser Zellen mit einer spezifischen räumlichen Anordnung zeitlich synchron aktiv, summieren sich die elektrischen Potenziale und können an der intakten Kopfoberfläche mit dem EEG gemessen werden. Hierbei werden mit mehreren über den Kopf verteilten Elektroden lokal unterschiedliche Spannungsänderungen im Zeitverlauf aufgenommen. Das typische EEG-Signal
Projektvorstellungen
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Abb. 2: Negative (A) und positive (B) fMRT-Korrelate des hinteren Alpha-Rhythmus (grün), des zentralen Alpha-Rhythmus (blau) und des zentralen Beta-Rhythmus (rot).
(Abbildung 1A) beinhaltet eine Vielzahl von Signaturen, die nur begrenzt mit dem bloßen Auge erkennbar sind. Da das EEG ein sehr hohe zeitliche Auflösung hat, können beispielsweise spontane Rhythmen mit einer Frequenz bis zu 30Hz oder evozierte Potenziale mit einer Latenz von einigen Millisekunden erfasst werden, die jedoch erst durch bestimmte Datenverarbeitungsschritte (z.B. Frequenzanalyse, Filterung oder Mittelung) sichtbar werden. Ein wesentlicher Nachteil bei EEG-Messungen ist, dass das aufgenommene Signal auf der Kopfoberfläche abgeleitet wird und dadurch die zugrunde liegenden Generatoren, die teilweise auch in tieferen Hirnregionen liegen, räumlich nur sehr ungenau lokalisiert werden können. Mit der fMRT hingegen werden neuronale Prozesse im Zeitverlauf indirekt in Form von lokalen Stoffwechseländerungen und damit verbundenen veränderten magnetischen Eigenschaften des Gewebes gemessen. Dabei wird das Gehirn in eine Anzahl von Volumeneinheiten, den sogenannten Voxeln, unterteilt. Jedem Voxel wird, ähnlich den Kanälen im EEG, eine Signal-Zeitreihe zugeordnet, die zu jedem Zeitpunkt durch einen bestimmten Grauwert visualisiert wird (Abbildung 1B). Anders als beim EEG entsteht bei fMRT-Messungen eine räumlich präzisere, dreidimensionale Karte der Aktivität im Gehirn. Allerdings ist die zeitliche Auflösung wesentlich geringer als beim EEG, da die neuronale Aktivität nur indirekt über langsame Stoffwechseländerungen abgebildet wird.1
Durch ihre spezifischen Einschränkungen sind beiden Methoden Grenzen gesetzt, die innerhalb ihrer eigenen Domäne kaum zu überwinden sind. Der Ansatz ist daher, beide Verfahren zu kombinieren, um so den Informationsgehalt der Daten zu erhöhen.2 So können beispielsweise Stoffwechselkorrelate spontan auftretender elektrischer Rhythmen der Hirnrinde genau lokalisiert und damit die noch weitgehend ungeklärte funktionelle Bedeutung dieser Rhythmen untersuchen werden. Einige EEG-Rhythmen sind spezifisch mit bestimmten funktionellen Systemen des Gehirns assoziiert. Am besten im EEG sichtbar ist der über der Sehrinde mit ca. 10 Hz oszillierende „hintere AlphaRhythmus“. Dieser Rhythmus fluktuiert spontan und ist bei Probanden besonders stark im wachen, entspannten Zustand bei geschlossenen Augen oder fehlendem visuellen Input ausgeprägt. Entsprechend können über Hirnarealen, die für Fühlen und Bewegung zuständig sind, also dem sensomotorischen Kortex, in Abwesenheit von sensomotorischer Aktivität Oszillationen im Frequenzbereich von 10 Hz („zentraler Alpha-Rhythmus“) und 20 Hz („zentraler Beta-Rhythmus“) gemessen werden. Indem zeitlich langsame Amplitudenschwankungen der Rhythmen mit dem fMRT-Signal korreliert werden, lassen sich fMRT-Korrelate der verschiedenen Rhythmen identifizieren (Abbildung 2). So werden jedem Rhythmus bestimmte Hirnareale mit vermindertem und mit erhöhtem Stoffwechsel zugeordnet. Die relativ
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zum EEG bessere räumliche Auflösung des fMRT trägt somit dazu bei, die Korrelate der Rhythmen genauer im Gehirn zu lokalisieren. In den fMRT-Bildern der damit erbrachten Studien zeigt sich ein auffälliges, wiederkehrendes Muster: Bei starker Ausprägung der Rhythmen ist der Stoffwechsel insbesondere in solchen Arealen der Hirnrinde vermindert, die vorwiegend der extrovertierten Informationsverarbeitung dienen, wie z.B. im visuellen und sensomotorischen Kortex. Im Gegensatz dazu ist ein Anstieg des Stoffwechsels im posterioren Cingulum zu erkennen – einer Struktur, die für die Introversion von funktioneller Bedeutung ist. Unter Kenntnis der Funktion der einzelnen Hirnstrukturen legt Abbildung 2 die Interpretation nahe, dass die im EEG während Ruhe gemessenen Alpha- und Beta-Rhythmen für den nach innen gerichteten Blick – Tagträumereien, Selbstreflexion, Introspektion – von Bedeutung sind. Die in die Wahrnehmung äußerer Reize involvierte Hirnrinde wird dabei „deaktiviert“, um „störenden“ Input zu vermeiden. Bilder, die durch Methoden wie EEG oder fMRT entstehen, ermöglichen also einen speziellen Einblick in das menschliche Gehirn. Die bildhafte Darstellung wissenschaftlicher Kenntnisse ist ein äußerst praktikabler Kommunikationsmodus. Das visuelle System mit seiner parallelen Informationsverarbeitung und hohen Bandbreite ermöglicht eine effiziente Informationsaufnahme, die sich darauf spezialisieren kann, aus komplexen Bildern relevante Muster zu extrahieren. Dies setzt zugleich eine spezialisierte Kenntnis der Bildverfahren und ihrer Interpretation voraus. Darstellungen, die durch das EEG oder fMRT entstehen, spiegeln „Gehirnaktivität“ als das Ergebnis einer komplexen Datenverarbeitung wider. So handelt es sich z. B. bei den fMRT-Bildern in Abbildung 2 nicht um unmittelbare Aufnahmen von Aktivitäten, sondern um statistische Kartierungen. In Abhängigkeit davon, welche statistische Schwelle gewählt wird, können sich diese Karten verändern. Hier werden mit einer Irrtums-
Projektvorstellungen
wahrscheinlichkeit von 5% Hirnregionen gezeigt, in denen eine Korrelation zwischen Stoffwechseländerung und Ausprägung des EEG-Rhythmus besteht. Ein EEG oder ein Hirnscan liefert einer Neurowissenschaft, die auf diesem Gebiet spezialisiert ist, einen anderen Informationsgehalt als einem größeren Laienpublikum. Mit dem unerlässlichen Hintergrundwissen über die zugrundeliegenden Daten und die angewendeten Verfahren ist eine sinnvolle Interpretation solcher Bildformen jedoch möglich. Entsprechende Informationen werden daher meist in Titel, Begleittext und Legende des Bildes vermittelt. Im Beispiel von Abbildung 2 geht die Richtung der Korrelation zwischen Rhythmen und Stoffwechsel aus dem Bild selbst nicht hervor. In Abbildung 2 A ist diese Beziehung negativ, in Abbildung 2 B positiv. Nur mit dieser zusätzlichen Information können Rückschlüsse über den Aktivierungsgrad der betreffenden Areale gezogen werden, im hier gewählten Beispiel auf der Grundlage einer Gruppenanalyse von 15 Probanden. Es wird also nicht die individuelle Hirnfunktion eines einzelnen Menschen dargestellt, wie aufgrund der Projektion der funktionellen Daten auf das anatomische Bild eines Beispielgehirns vermutet werden könnte. Auch diese Information muss aus dem Begleittext hervorgehen, der mit dem Bild in unmittelbarer Verbindung steht. Petra Ritter, Frank Freyer, Matti Gärtner, Arno Villringer 1 Vgl. dazu den Beitrag von Poeppel im vorliegenden Band. 2 Petra Ritter, Arno Villringer: Simultaneous EEG-fMRI. In: Neuroscience and Biobehavioural Reviews 30, 2006, S. 823 – 838.
Projektvorstellungen
Augensprünge
Seit 1878 ist bekannt, dass die Bewegung des menschlichen Auges mit den Sprüngen eines Kängurus, nicht jedoch mit dem Galopp eines Pferdes vergleichbar ist.1 Zwar ist das Auge das schnellste Organ unseres Körpers, um wahrzunehmen, muss es jedoch in seinem Lauf innehalten, da es unbewegte Gegenstände nur sehen kann, wenn diese mindestens 80 Millisekunden lang fixiert werden. Mit jeder Fixation sammelt der Betrachter durch die Retina Informationen in einem Bereich von zwei Grad Sehwinkel, die vom Gehirn zu einem Bild verarbeitet werden. Dadurch werden also nur das linke oder das rechte Auge eines Gegenübers, nicht aber beide zugleich, scharf gesehen. Um ein größeres Sichtfeld zu erhalten – sei es ein Gesicht oder ein Gemälde – muss das Gehirn die Informationen vieler Fixationen verbinden. Durchschnittlich vollzieht das Auge pro Sekunde unbewusst drei Blicksprünge (Sakkaden) und drei Fixationen. Anders als bei einem mechanischen Scanner, der zeilenweise Pixel für Pixel aufzeichnet, sind die Sakkaden des menschlichen Auges nicht vorprogrammiert: Sie hängen vom betrachteten Gegenstand und vom Betrachter ab. Ophthalmologen, Psychologen und Neurologen arbeiten seit einem Jahrhundert an der Entwicklung von Geräten, mit denen Augenbewegungen aufgezeichnet werden können. Diese Eye-tracker ermöglichen es, festzustellen, wohin eine Versuchsperson blickt, was sie zuerst anschaut und wie lange sie etwas fixiert. Der Einsatz dieser Technik ist vielfältig: In den Kognitionswissenschaften sind Eye-tracker beliebt, weil die von ihnen produzierten Daten leichter zu interpretieren sind als viele andere physiologische Messmethoden – etwa die Hautleitwertreaktion (SCR), die Hirnströme (EEG) oder die Hirndurchblutung (fMRT).2 Augenbewegungen spielen auch in der Kunstliteratur eine wichtige Rolle. Bereits um die Mitte des 6. Jahrhunderts versuchte Prokop von Caesarea die schwebende Wirkung der Kuppel der Hagia Sophia zu veranschaulichen, indem er die Reaktion des
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betrachtenden Auges auf diesen Eindruck beschrieb.3 Seit den 1660er Jahren thematisieren Autoren von Kunstbeschreibungen sehr häufig Bewegung und Verlauf von Blicken, um damit die Struktur von Kunstwerken in Worte zu fassen. Denis Diderot behauptete 1767 sogar, dass Gemälde entlang einer einzigen Linie komponiert sein sollten, damit das Auge systematisch von Figur zu Figur geführt werde. Kurt Badt verwandelte zwei Jahrhunderte später diese Forderung in eine kunstgeschichtliche Methode.4 Wie verhält sich die Erkenntnis der Abfolge von Fixation und Sakkaden zur Gewohnheit der Kunsthistoriker, Bilder anhand von Blickbewegungen zu beschreiben? Diese Frage wurde seit 1935 mehrmals gestellt, wobei in der Regel nur kurze Betrachtungszeiträume in der Größenordnung von wenigen Sekunden untersucht wurden.5 Um längere Betrachtungszeiträume auszuwerten, hat die Projektgruppe am Institut für Europäische Kunstgeschichte der Universität Heidelberg und an der School of Psychology der Bangor University (Wales, UK), zwei Blicklabore aufgebaut. In Heidelberg wurden Versuchspersonen aufgefordert, hochwertige Faksimiles von Gemälden für 15 Minuten zu betrachten. Sie konnten sitzen, aufstehen und sich vor dem Gemälde bewegen. Dabei trugen sie einen Fahrradhelm, an dem ein elektromagnetisches Positionsgerät und eine Kamera montiert sind. Letztere zeichnet die Bewegung der Pupille digital mit einer Frequenz von 50 Messungen pro Sekunde auf. Ein Computer berechnet daraufhin zentimeterund millisekundengenau, welcher Punkt des Bildes angeschaut wurde. Eine eigens entwickelte Auswertungssoftware (EyeTrace) analysiert Fixationen und Sakkaden. Sie macht deutlich, welche Areale vorrangig fixiert (Fixationscluster) und welche Blicksprünge zwischen diesen Arealen am häufigsten wiederholt wurden. Die von uns aufgezeichneten Blickbewegungen zeigen, dass die These von Diderot und Badt nicht zutrifft: Das Auge kennt weder Anfang noch Ende einer Komposition. Es springt vielfach hin und her, von links nach rechts wie auch von rechts nach links, und
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Projektvorstellungen
Abb. 1: Darstellung der Blicksprünge, die während der Betrachtungszeit von 13:04 Min. mindestens sechs Mal wiederholt wurden. Die Fixationscluster sind als Kreise gezeichnet. (Pieter Bruegel: Der Blindensturz, 1568, Öl/Lw., 86 x 154cm, Museo Nazionale di Capodimonte). Die Balkendicke kodiert die Häufigkeit, ihre Farbe die Richtung (links nach rechts: rot, in der Gegenrichtung: blau).
tastet das Gemälde auf nicht vorhersehbare Weise ab, wobei die individuellen Unterschiede beträchtlich sind. Die meisten Versuchspersonen wiederholen bestimmte Sakkaden sehr häufig, z.T. dutzendfach im Verlauf mehrerer Minuten. Unabhängig von deren Reihenfolge ähneln sich die Bahnen, innerhalb derer Blicksprünge wiederholt werden, intersubjektiv sehr stark. Viele Versuchspersonen wiederholen jene Achsen besonders häufig, die die Struktur der Gemälde ausmachen und welche die Kunstgeschichte üblicherweise als „Kompositionslinien“ bezeichnet (Abb. 1). Die Auswertungssoftware des Eye-trackers wurde nun so programmiert, dass die von einer Versuchsperson mehrfach wiederholten Sakkaden als Balken dargestellt werden und dass die Dicke der Balken die Anzahl der Wiederholungen kodiert. Diese Form der Visualisierung ähnelt Kompositionsschemata, wie sie seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert von Künstlern, Kunsterziehern und Kunsthistorikern entworfen wurden, obwohl es sich hier um Grafiken handelt, die auf empirischen Messungen beruhen. Dies gibt Anlass zu der Vermutung, dass die Wiederholung von Sakkaden ein physiologisches Korrelat für die Erkenntnis und ästhetische Erfahrung visueller Strukturen
ist. Einerseits muss festgehalten werden, dass die in der Kunstgeschichte bis heute üblichen Beschreibungen von Blickbewegungen falsch sind, weil sie die okulomotorische Abfolge von Fixation und Sakkade nicht berücksichtigen. Andererseits ist festzustellen, dass die Kunstliteratur den engen Zusammenhang, der zwischen den visuellen Strukturen eines Artefakts und der Bewegung des Auges besteht, bereits erahnt hat, lange bevor Blickbewegungen aufgezeichnet werden konnten. Kunsthistoriker wissen aus der täglichen Erfahrung, dass Kunstwerke unterschiedlich „gesehen“ werden. Sie vermuten zwar, dass es im Laufe der Jahrhunderte verschiedene Sichtweisen derselben Werke gegeben hat, können diese aber nur dann nachweisen, wenn Rezeptionszeugnisse in ausreichender Menge und Qualität überliefert sind. Mit der hier vorgestellten empirischen Studie soll daher systematischer als bislang bestimmt werden, was die Betrachtung von Gemälden beeinflusst, welche Faktoren auf der Seite des Objektes (Struktur des Gemäldes, Ikonografie) und auf der Seite des Subjektes (Geschlecht, kulturelle Prägung, Expertise, Einstellungen) auf welche Weise eine Rolle spielen. Die Projektgruppe geht davon aus, dass
Projektvorstellungen
eine differenzierte Auswertung von Blickbewegungsdaten, die mit neuronalen Messverfahren korrelieren – in Bangor werden bereits Blickbewegung und EEG synchron aufgezeichnet – hilfreich sein wird. Raphael Rosenberg, Juliane Betz, Christoph Klein 1 Die Geschichte der Entdeckung der Blickbewegung schildern ausführlich: Nicholas J.Wade & Benjamin W. Tatler: The Moving Tablet of the Eye. The Origins of Modern Eye Movement Research, Oxford 2005. 2 Beispiele für die Breite kognitionswissenschaftlicher Blickbewegungsforschung geben Jukka Hyönä, Ralph Radach und Heiner Deubel (Hg.):The Mind’s Eye. Cognitive and Applied Aspects of Eye Movement Research, Amsterdam u. a. 2003. 3 Procopius von Caesarea: De Aedificiis, I, 46 – 49. 4 Denis Diderot: Salon de 1767. In: Else Marie Bukdahl u.a. (Hg.): Diderot. Salons III. Ruines et paysages. Salons de 1767, Paris 1995 (bes. S. 95 u. 269); vgl. Kurt Badt: Modell und Maler von Jan Vermeer, Köln 1961. 5 Guy Thomas Buswell: How People Look at Pictures: A Study of the Psychology and Perception in Art, Oxford 1935; längere Zeiträume berücksichtigte nur Alfred L. Yarbus: Eye Movements and Vision (1965), engl. New York 1967.
Neurotopographics
Als der Neurophysiologe John O’Keefe 1971 die grafische Darstellung der gemessenen Aktivität einzelner Neuronen mit dem Grundriss des zurückgelegten Weges einer Versuchsratte überlagerte, entdeckte er die place cells und damit den unmittelbaren, reaktiven Zusammenhang zwischen den Signalen einzelner Neuronen und ihrem spezifischen Ortsbezug. Diese Zellen „feuern“ messbare Signale an bestimmten Punkten im Raum, die auf der Basis einer Oszillation des Netzwerkes im Hippocampus, die im EEG als Theta-Rhythmus von
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fünf bis zehn Schwingungen pro Sekunde gemessen werden können. Andere Zellen im Netzverband reagieren in Relation zur Kopf- und Blickrichtung, einem internen Kompass vergleichbar, und werden head direction cells genannt. Die Vorstellung, dass Neuronen eine Art Feld benötigen, um Informationen zur Position des Körpers und zur Ausrichtung des Kopfes zu verarbeiten, führte weiter zur Annahme, dass es eine innere, „kognitive Karte“ geben müsse: „We predicted right at the beginning that there would be information about direction and distances to tie together the place cells into something like a map formation“.1 In bildgebenden Verfahren wurden unterschiedliche Frequenzen der (theta-/6 –10 Hz-)Oszillation in Verbindung mit solchen grid cells gebracht. Ein Interferenz-Muster steuert die Aktivität der grid cells, dadurch wird eine Art Raster vorstellbar, auf welchem neuronale Signale, in einer Echtzeit-Rückkoppelung mit der Umgebung, gewissermassen kartiert werden könnten. Das Projekt Neurotopographics thematisiert diesen Bereich „neuronaler Konstruktion“ und versucht, die Interaktion jener drei Zelltypen, die offenkundig in Zusammenhang mit räumlicher Orientierung und Navigation stehen, mit bekannten Raumerfahrungen abzugleichen.2 Da die untersuchten neuronalen Vorgänge nicht bewusst wahrnehmbar, jedoch durch ihren physischen Bezug unmittelbar ortsspezifisch sind, wird das neurophysiologische Modell der grid cells auf eine menschliche Testperson übertragen, die sich in einem realen, physisch erfahrbaren Raum bewegt. Diese Raumbegehung wird von zwei Standpunkten aus gefilmt. Eine Kamera nimmt die Bewegung der Person auf und stellt die Körperbewegung im Verhältnis zum Raum dar, während die zweite Kameraperspektive die Sicht des Performers einnimmt und damit seine subjektiven visuellen Raumeindrücke nachvollzieht (Abb. 1). Hierdurch sollen die neuronalen Aktivitäten, die aus körperbezogenen Informationen (Sie befinden sich hier / Sie sehen dorthin) bestehen, im Experiment von der allozentrischen Raumauffassung geschieden wer-
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Abb. 1: Konzept des Projektes.
Abb. 2: Blick in die Rauminstallation.
den, welche durch das Zusammenwirken verschiedener grid cells entsteht. Die allozentrische Darstellungsmethode erlaubt es, die (angenommenen) Zellaktivitäten bei der orts- und raumspezifischen Reaktion in einem abgeplatteten Grundriss einzutragen. Dabei wird die Aktivität der grid cells, die im Bildgebungsverfahren durch Farbgebung signalisiert wird, auf Linien reduziert, so dass verschieden große, triangulierte Raster überlagert und mit der architekturspezifischen Darstellungsform des Planes in einen Zusammenhang gebracht werden können. Die plangrafische Animation wird mit den zwei perspektivisch gefilmten Sequenzen (1. der Person im Raum / 2. der aus den Augen des Handelnden) in unmittelbaren Zusammenhang gebracht und als Bodenprojektion gezeigt. Die Raumbegehung wurde auf sensorischer Ebene gezielt durch Mittel der Desorientierung erweitert, um übliche Erfahrungsmuster zu stören, da das Interagieren dieser drei Zelltypen nicht bewusst wahrgenommen, sondern nur auf Grund ihrer Dysfunktionen bemerkbar wird. So werden z. B. bei Alzheimer-Patienten diese neuronalen Verbände als erste beschädigt und führen aufgrund unscharf gewordener Signale zu Orientierungsschwierigkeiten. Um Aktivitätspotenziale der Zellaktiviäten in einem Spektrum darzustellen, wurde eine ‚Choreographie‘ entwickelt, in der die Person verschiedene Stadien der Raumorientierung durchläuft. Auf die anfängliche Orientierung, bei der der Raum begangen und auf grafischer Ebene mit Hilfe der
grid-cells-Interferenzmuster aufgezeichnet wird, folgt eine Desorientierung, die durch minimale Größenvariationen und Verdrehung der Raster visualisiert wird, und wiederum eine Re-Orientierung, die durch erneutes Betreten der place fields die zuvor gemachte „kognitive Kartierung“ bestätigt. Das Projekt Neurotopographics ist eine Kooperation des Neurowissenschaftlers Dr. Hugo Spiers, des Künstlers Antoni Malinowski und der Architektin Bettina Vismann und wird innerhalb der Forschungs- und Produktionsförderung durch den Wellcome Trust in London unterstützt. Es visualisiert aus drei unterschiedlichen Perspektiven einen Bereich der neurophysiologischen Forschung, der sich mit Grundlagen räumlicher Wahrnehmung beschäftigt. Der personalisierte Blick (eine Kamerasequenz aus der Sicht des Handelnden) wird durch die künstlerische Bearbeitung der Wände (Abb. 2) interpretiert, um die unterschiedlichen Stadien der Raumorientierung und Desorientierung auszudrücken, und ermöglicht schließlich in Verbindung mit der Außenperspektive und der zeichenhaften Repräsentation des Planes die Übertragung eines wissenschaftlichen Modells auf die Versuchsanordnung, die zugunsten der optischen Verdeutlichung interpretatorisch erweitert wurde. Bettina Vismann 1 Science 312, Mai 2006, S. 680. 2 Informationen im Internet unter www.neurotopographics.com.
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Bildnachweis
Titelbild: Nach der Golgi-Methode eingefärbtes Nervenpräparat. Freigestelltes Detail einer Darstellung aus Fritz Kahn: Das Leben des Menschen, Band 4, Stuttgart 1929, Abb.26, 2. Innentitel: Philipp Galle nach Marten van Heemskerck: Collage nach ‚Natura‘, 1572 (The New Hollstein Dutch & Flemish Etchings, Engravings and Woodcuts 1450 –1700, Roosendaal 1994, S. 183). Editorial: Deutscher Fernsehdienst. Randolf Menzel: Abb. 1: Cajal und Sánchez 1921, V, Fig. 40. Abb. 2: Martin Hammer: An Identified Neuron Mediates the Unconditioned Stimulus in Associative Olfactory Learning in Honeybees. In: Nature 366, 1993, S. 59 – 63. Abb. 3: Autor. Abb. 4: Hans-Jochen Pflüger u.a.: Activity Dependent Structural Dynamics of Insect Sensory Fibres. In: Journal of Neuroscience 14, 1994, S. 6946 – 6955. David Poeppel: Abb. 1: Neuron, 56, October 2007. Abb. 2: Archiv New York Times Deutschland. Abdruck mit frdl. Genehmigung. Abb. 3: Autor. Abb. 4: Germanisches Nationalmuseum Nürnberg. Nicolas Langlitz: Abb. 1: Autor. Abb. 2: Franz Vollenweider u.a.: Positron emission tomography [...]. In: Neuropsychopharmacology 16, 5, 1997, Fig. 3. Abb. 3: A. Dittrich, D. Lamparter, M. Maurer: 5D-ABZ. Fragebogen zur Erfassung Aussergewöhnlicher Bewusstseinszustände. Eine kurze Einführung. Zürich 1999. Abb. 4: Wie Abb.3. Abb. 5: Bildarchiv, Sammlungen der Medizinischen Universität Wien. Abb. 6: Franz Vollenweider: Recent Advances and Concepts in the Search for Biological Correlates of Hallucinogen-Induced Altered States of Consciousness. In: The Heffter Review of Psychedelic Research 1, 1998, S. 23. Farbtafeln: siehe Artikel Faksimile: Abb.1: Otto Becker: Atlas der pathologischen Topographie des Auges, Bd. 3, Wien 1878, Taf. XIII. Abb. 2 – 4: Autoren. Bildbesprechung: Abb.1, 2: Autor. Olaf Blanke: Abb. 1: G. T. Fritsch, E. Hitzig: Über die elektrische Erregbarkeit des Grosshirns. In: Arch. Anat. Physiol., 1870, S. 313. Abb. 2: David Ferrier: The function of the brain, London 1876. Abb. 3: A. S. F. Grünbaum, Ch. S. Sherrington: Observations on the physiology of the cerebral cortex of some of the higher apes. In: Proceedings of the Royal Society 69, 1902. Abb. 4: W. Penfiel, Th. B. Rasmussen: The cerebral cortex of man, New York 1950. Abb. 5: Natural History Museum. Abb. 6 – 8: Autoren. Ramón Reichert: Abb.1–11: Autor. Andreas Mayer: Abb. 1: [Hervey de Saint Denys] Les rêves et les moyens de les diriger, Paris 1867. Abb. 2: Karl Pearson: The Life, Letters and Labours of Francis Galton, II, Cambridge 1924. Abb. 3: Francis Galton: Inquiries into human faculty, London 1883. Abb. 4 – 8: Otto Pötzl: Experimentell erregte Traumbilder in ihren Beziehungen zum indirekten Sehen. In: Zeitschrift für die gesamte Neurologie und Psychiatrie 37, 1917. Tanja Klemm: Abb. 1: Vittorio Putti: Berengario da Carpi. Saggio biografico e bibliografico seguito dalla traduzione del „De fractura calvae sive cranei“, Bologna 1937, o. Nr. Abb. 2 – 3: DTB (Abb. 3 geliefert durch: Wellcome Library, London, liegt aber auch in anderen Bibliotheken vor.) Abb. 4: Wellcome Library, London. Foto: Barbara Herrenkind, Berlin. Abb. 5: Wellcome Library, London, MS 49, f. 36r. Abb. 6: Württembergische Landesbibliothek, Stuttgart. Abb. 7: Wellcome Library, London. Abb. 8: Wellcome Library, London, MS 49, f 41r. Projektvorstellungen: Autoren. Bildtableau 1: 1: © British Library Board. All Rights Reserved (Signatur: 722.e.5). 2: Wilder Penfield, Edwin Boldrey: Somatic Motor and Sensory Representation in the Cerebral Cortex of Man as Studied by Electrical Stimulation. In: Brain. A Journal of Neurology, Bd. 60, H. 4, 1937, S. 432, Abb. 28. 3: © Biblioteca Communale dell’ Archiginnasio, Bologna, 2008. 4: Foto: Deutsches Museum München. 5: The Buzan Organisation. 6: William Grey Walter: An Improved Low Frequency Analyser. In: Electronic Engineering, Bd. 16, 1943, S. 236 – 240, Abb. 4. 7: Cornelius Borck: Hirnströme. Eine Kulturgeschichte der Elektroenzephalographie, Göttingen 2005, S. 115. 8: Benjamin A. Rifkin, Michael J. Ackerman: Die Kunst der Anatomie. Körperdarstellungen aus fünf Jahrhunderten, München 2006, S. 77. 9: MPIP München, Historische Sammlung. 12: Warren S. McCulloch, Walter Pitts: A Logical Calculus of the Ideas Immanent in Nervous Activity. In: The Bulletin of Mathematical Biophysics, Bd. 5, H. 4, 1943, S. 130, Abb. 1. 13: Wie Abb. 8, S. 96. 14, 15: © Alexander Koller, 2008. 16: Wie Abb. 8, S. 308. 17: © Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek, Universität Jena, 2008. 18: Pietro Corsi (Hg.): The Enchanted Loom. Chapters in the History of Neuroscience, New York/Oxford 1991, Abb. II. 104b 19: Wie Abb. 18, Abb. II. 108. 20: akg-images. 21: © Galerie Michael Schultz, 2008. 22: Douwe Draaisma: Gehirn und Gedächtnis. In: Gehirn und Denken – Kosmos im Kopf, Ausstellungskatalog, hg. v. Deutschen Hygiene-Museum, Ostfildern-Ruit 2000, S. 178. 24: Die Geschöpfe des Prometheus. Der künstliche Mensch von der Antike bis zur Gegenwart, hg. v. Rudolf Drux, Bielefeld 1994, S. 68. 25: © Thomas Fisher Rare Library, 2008. Bildtableau 2: 1– 4: Ronald L. Eisenberg: Radiology. An Illustrated History, St. Louis u.a. 1992, S. 340. 5: Walter E. Dandy: Röntgenography of the Brain after the Injection of Air into the Spinal Canal. In: Annals of Surgery, Bd. 70, 1919, Abb. 3. 6: Godfrey N. Hounsfield: Computed Medical Imaging. Nobel Lecture, December 8, 1979. In: Journal of Computer
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Assisted Tomography, Bd. 4, H. 5, 1980, S. 666, Abb. 3. 7: Im Reich der Phantome. Fotografie des Unsichtbaren, Ausstellungskatalog, Ostfildern-Ruit 1997, S. 83. 8: Wie Abb. 6, S. 667, Abb. 5. 9: Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene e.V., Freiburg i. Br. 10: Foto: Volker Kreidler. 11: Gerhard Roth: Aus Sicht des Gehirns, Frankfurt a. M. 2003, S. 23. 13: Dr. Richard Coppola, National Institute of Mental Health, Bethesda/MD. 14: Glyn W. Humphreys, John Duncan, Anne Treisman (Hg.): Attention, Space and Action. Studies in Cognitive Neuroscience, New York 1999, Abb. 11.4. 15: Godfrey N. Hounsfield: Computerized Transverse Axial Scanning (Tomography), Part I: Description of System. In: The British Journal of Radiology, Bd. 46, S. 1017, Abb. 3. 16: S. Fischer-Verlag, Abdruck mit freundlicher Genehmigung. 17: ©� Bayerische Staatsbibliothek München, 2008 (Signatur: Clm 527). 18: http://www.joerg-peter-ewert.de/resources/ EEG_AA.jpg (Stand 04/2008). 19: Clément Chéroux: Ein Alphabet unsichtbarer Strahlen. Fluidalfotografie am Ausgang des 19. Jahrhunderts. In: Im Reich der Phantome. Fotografie des Unsichtbaren, Ausstellungskatalog, Ostfildern-Ruit 1997, S. 15, Abb. 3. 20: Wie Abb. 1, S. 325. 21: Wie Abb. 1, S. 468. 22: wie Abb. 6, S. 667, Abb. 6. 23: © Science Museum London, 2008 (Inv.-Nr. 1993 –1003). 24: Siemens AG, Abdruck mit freundlicher Genehmigung. 25: http://www.spikynorman. dsl.pipex.com/CrayWWWStuff/Cfaqp2.html (Stand 03/2008). 26: Wie Abb. 9. 27: Deutsches Historisches Museum, Berlin (Inv.-Nr. W617). 28: Archiv DTB. Leider war es nicht in allen Fällen möglich, die Inhaber der Rechte zu ermitteln. Es wird deshalb ggfls. um Mitteilung gebeten.
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Die AutorInnen
Juliane Betz M. A. Lehrstuhl für Neuere und Neueste Kunstgeschichte, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg Prof. Dr. Olaf Blanke Laboratory of Cognitive Neuroscience, Brain Mind Institute, Station 15, Swiss Federal Institute of Technology Lausanne Frank Freyer, MSc Berlin Neuroimaging Center / Dept. Neurology, Charité Universitätsmedizin Berlin Matti Gärtner, MSc Berlin Neuroimaging Center / Dept. Neurology, Charité Universitätsmedizin Berlin Prof. Dr. Tal Golan Department of History, University of California, San Diego Prof. Dr. Michael Hagner Professur für Wissenschaftsforschung, ETH Zürich Oliver Kannape, MSc Laboratory of Cognitive Neuroscience, Ecole Polytechnique Federale De Lausanne Dr. Christoph Klein School of Psychology, Bangor University, Wales Tanja Klemm M. A. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften Dr. Dr. Nicolas Langlitz Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte Berlin Dr. Andreas Mayer Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte Berlin Prof. Dr. Christoph Meinel Lehrstuhl für Wissenschaftsgeschichte, Universität Regensburg Prof. Dr. Dr. h.c. Randolf Menzel Institut für Biologie – Neurobiologie, Freie Universität Berlin Christine Nawa M.A. Lehrstuhl für Wissenschaftsgeschichte, Universität Regensburg Prof. Dr. David Poeppel Department of Linguistics & Department of Biology, Neuroscience and Cognitive Science Program, University of Maryland Univ. Ass. Dr. phil. Ramón Reichert Institut für Medien / Medientheorie, Kunstuniversität Linz Christian Reiß M.A. Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte Berlin Dr. med. Petra Ritter Berlin Neuroimaging Center and Dept. Neurology, Charité Universitätsmedizin Berlin Prof. Dr. Raphael Rosenberg Lehrstuhl für Neuere und Neueste Kunstgeschichte, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg Prof. Dr. Arno Villringer Berlin Neuroimaging Center / Dept. Neurology, Charité Universitätsmedizin Berlin / Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften Leipzig Bettina Vismann Architektin, Berlin Dr. Margarete Vöhringer Zentrum für Literatur- und Kulturforschung, Berlin
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14 9 Cisternografien, welche die Verteilung der Gehirn-Rückenmark-Flüssigkeit im Schädel innerhalb von 24 Stunden anzeigen, 1970er Jahre. 5: Retouchierte Fotografie einer Röntgenaufnahme des Schädels, bei der durch Injektion von Luft die Umrisse des Hirns und seines Ventrikelsystems sichtbar gemacht wurden, 1919. 6: Erster Scan eines Gehirnpräparats durch den Prototypen eines frühen Computertomografen von Godfrey N. Hounsfield, späte 1960er Jahre. 7: Louis Darget: La première Bouteille, sog. Gedankenfotografie einer Flasche, 1896. 8: Erster klinischer Scan des Gehirns einer Patientin mit Hirnverletzung durch einen EMI-Computertomografen, 1972. 9: Louis Darget: o. T., um 1896, Frankreich, farbige Fluidalfotografie, Glas, ca. 120 x 90 mm. 10: Dünnschnitte vom menschlichen Gehirn, mit verschiedenen Techniken gefärbt, seit 1950, Neurologisches Institut der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität, Frankfurt a. M. 11: HirnrindenareaIe nach Korbinian Brodmann, 1909. 12: Das Rindenfeld der Sprache, aus: Sigmund Exner: Untersuchungen über die Localisation der Functionen in der Grosshirnrinde des Menschen, Wien 1881, S. 180. 13: Aus elektrophysikalischen Patientendaten computergeneriertes Bild, das die schmerzverarbeitenden Bereiche des Gehirns anzeigt, 1983, National Institute of Mental Health, Washington DC. 14: In die Fläche projizierte Darstellung der rechten Hirnhälfte aus dem Atlas „Visible Man“. 15: Schema des Scanvorgangs der ersten Generation von Computertomografen, 1973. 16: Zeichnung Sigmund Freuds aus seinem Aufsatz
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28 19 „Das Ich und das Es“, 1923. 17: Seitenansicht eines Kopfes mit Darstellung des Ventrikelsystems als Ort mentaler Fähigkeiten wie Denken, Fantasie, Erinnerung, und deren Verbindung zu den Sinnen, aus: Anonymus: De generatione embryonis, evtl. 14. Jh. 18: EEG-Mapping nach Dr. Evelyn Schürg-Pfeiffer, Kassel. 19: Hippolyte Baraduc: Der tragbare Radiograf, aus: Ders.: Die Fotografie der Vibrationszustände der menschlichen Vitalität, Methode: menschliche Strahlenfotografie. In: Revue de l’hypnotisme expérimental de la psychologie, 1887. 20: Frühe Röntgenaufnahme des Schädels. 21: Godfrey N. Hounsfields Prototyp eines frühen Computertomografen mit Schnittpräparat eines menschlichen Gehirns, Aufnahmedauer 9 Stunden pro Bild, 1968. 22: Computertomograf mit einer Aufnahmedauer von 3 Sekunden pro Bild, 1970er Jahre. 23: Helme für Magnetresonanztomografie, die am Hammersmith Hospital London bei Kindern zur Gewinnung von Hirnbildern eingesetzt wurden, 1984. 24: Positronen-Emissions-Tomograf zur Erzeugung von Schnittbildern des lebenden Organismus, 1980er Jahre. 25: Werbefotografie des Superrechners „Cray 2“, um 1985. 26: Ted Serios während der Herstellung einer sog. Gedankenfotografie, 1967, Denver CO, USA, Fotografie, 200 x 250 mm. 27: Hirnhaube als Kopfschutz von Reitern, Anfang 15. Jh., 125 x 220 x 175 mm. 28: Die Rhetorik des Herkules Gallicus, Holzschnitt, aus: Vincenzo Cartaris: Immagini degli Dei degli antichi, Ausg. v. 1647.
Bildwelten des Wissens Kunsthistorisches Jahrbuch für Bildkritik. Band 6,1 Ikonografie des Gehirns
Herausgeber
Prof. Dr. Horst Bredekamp, Dr. Matthias Bruhn, Prof. Dr. Gabriele Werner Verantwortlich für diesen Band
Dr. Matthias Bruhn Redaktion
Das Technische Bild Mitarbeiter
Jana August, Hanna Felski, Florian Horsthemke, Violeta Sánchez, Dipl. phys. Jochen Hennig Übersetzungen
Dr. Matthias Bruhn Lektorat
Rainer Hörmann Layout
Dr. Birgit Schneider Satz: Hanna Felski & aroma, Berlin Adresse der Redaktion
Humboldt-Universität zu Berlin Hermann von Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik Das Technische Bild Unter den Linden 6 D – 10099 Berlin [email protected] Fon: +49 (0) 30 2093 2731 Fax: +49 (0) 30 2093 1961 ISSN 1611-2512 ISBN 978-3-05-004463-7 © Akademie Verlag, Berlin 2008 Das Jahrbuch „Bildwelten des Wissens“ erscheint jährlich in 2 Teilbänden. Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung anderer Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Jahrbuches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form – durch Fotokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren – reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen und übersetzt werden. Druck: MB Medienhaus Berlin Printed in Federal Republic of Germany