Amerikanisches Zivilprozessrecht 9783504383084

Je intensiver sich die Wirtschafts- und Rechtsbeziehungen zwischen Deutschland und den USA entwickeln, desto größer wird

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German Pages 429 Year 2005

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Amerikanisches Zivilprozessrecht
 9783504383084

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Böhm Amerikanisches Zivilprozessrecht

Schriften für die Prozesspraxis hemusgegeben von

Prof. Dr. Hanns Prütting Prof. Dr. Stephan Weth

Band 11

Amerikanisches Zivi Iprozessrecht

von

Ulrike Böhm Rechtsanwilltin Frankfurt am Main

2005

Verlag

DtOftoSchmidt Köln

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-U fer 58,50968 Köln Tel.: 02 2119 37 38-01, Fax: 02 2119 37 38-9 43 e-mail: [email protected] www.otto-schmidt.de ISBN 3-504-65309-4 © 2005 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungsbeständig und umweltfreundlich.

Umschlaggestaltung: Jan P Lichtenford, Mettmann Satz: Xaccess, Konstanz Druck und Verarbeitung: Rübelmann, Hemsbach Printed in Germany

Vorwort

Mit dem finanziellen und organisatorischen Zusammenwachsen deutschamerikanischer Wirtschafts- und Unternehmensbeziehungen sieht sich auch der in Deutschland tätige Anwalt zunehmend mit der Situation konfrontiert, Mandanten bei der Prozessführung in den USA zu begleiten – oder eine solche von vorneherein zu vermeiden. Dieses Buch hat sich zum Ziel gesetzt, diese Beratungstätigkeit zu unterstützen und zugleich Hilfestellung bei der Zusammenarbeit mit amerikanischen Kollegen zu bieten; es versteht sich in erster Linie als Einführung für den Praktiker. Wenngleich insbesondere im Bereich des Wirtschaftsrechts zahlreiche Institute des amerikanischen Rechts zwischenzeitlich auch in Deutschland unaufhaltsam auf dem Vormarsch sind (man denke nur an die aktienrechtliche Business Judgment Rule), herrscht auf dem Gebiet des Zivilprozessrechts noch wesentlich weitgehendere Zurückhaltung vor, selbst in Bezug auf Kernbereiche wie die aus keinem amerikanischen Prozess wegzudenkende Discovery – ja, gerade in Bezug auf diese, über deren „nuisance value“ und Vereinbarkeit mit dem deutschen ordre public man in der Tat trefflich diskutieren mag. Das führt jedoch nicht an der Tatsache vorbei, dass die Discovery, ebenso wie die Beweisfindung durch Geschworene auch im Zivilprozess, scheinbar starre Beweisregeln, sowie eine demgegenüber strikt einzelfallbezogene Zuständigkeitsbestimmung unter Verzicht auf fest definierte Gerichtsstände, tief im amerikanischen Prozessrechtsverständnis verwurzelt sind: Aus praktischer Sicht stellt sich somit in erster Linie die Frage ihres möglichst sinnbringenden Einsatzes und ihrer konkreten Auswirkungen, wozu dieses Buch – hoffentlich – durch Vermittlung eines Grundverständnisses sowie einiger Denkanstöße beitragen wird. Ich danke allen, die die Arbeit an diesem Werk mit Interesse, Rat und Anregungen begleitet haben; vor allem aber meinen verlagsseitigen Ansprechpartnerinnen Frau Dr. Angelika Stadlhofer-Wissinger und Frau Simone Forner für ihre Unterstützung und Geduld. Frankfurt am Main, im Spätsommer 2005

Ulrike Böhm

V

Inhaltsübersicht

Seite

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

V

Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

IX

Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XXIII Rz. Seite

Kapitel 1: Forumswahl und wechselseitige Urteilsanerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Forumswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Anerkennung und Vollstreckung auswärtiger Titel . . . . D. Geltungsreichweite der amerikanischen Gesetzgebung . Kapitel 2: Die Rolle des Anwalts im amerikanischen Rechtssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Juristenausbildung, Organisation der Anwaltschaft und fachliche Spezialisierung . . . . . . . . . . . . . . . . B. Anwaltliches Berufsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Anwaltskosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1 1 8 12 41

1 1 5 8 24

.....

43

26

. . . . . 44 . . . . . 51 . . . . . 126

26 30 64

Kapitel 3: Das amerikanische Gerichtsverfassungssystem. A. Die Bundesgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Die Gerichtsverfassung der Bundesstaaten . . . . . . . . . C. Grundmerkmale der amerikanischen Gerichtsbarkeit .

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141 147 163 179

71 74 81 87

Kapitel 4: Jurisdiction . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 A. Gerichtliche Zuständigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 B. Klagezustellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295

97 97 138

Kapitel 5: Prozessleitende Schriftsätze: Die Pleading Stage zu Beginn des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Schriftsatzform und -inhalt: Allgemeine Vorschriften . B. Die Klageschrift (Complaint). . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Die Erwiderung des Beklagten . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Weitere Schriftsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

152 153 158 162 175

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317 319 330 339 373

VII

Inhaltsübersicht Rz. Seite

E. Die Änderung und Ergänzung des schriftsätzlichen Vorbringens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 Kapitel 6: Discovery: Beweisermittlung im Parteibetrieb . A. Disclosures . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Discovery. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Case Management Conferences und gerichtliche Verfahrensaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

176

. . . . 388 . . . . 392 . . . . 404

181 183 188

. . . . 492

234

Kapitel 7: Verfahrensbeendigung vor und außerhalb des Trial . A. Klagerücknahme, Klageabweisung und Versäumnisurteil . B. Vergleichsschluss und gütliche Beilegung des Rechtsstreites. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Verfahrensbeendende Anträge; insbesondere die Summary Judgment Motion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. 500 . 500

239 239

. 513

246

. 520

250

Kapitel 8: Trial und gerichtliche Beweiserhebung . . . . . . . . . . 534 A. Proceedings at Law und Proceedings in Equity . . . . . . . . . . 536 B. Der Gang der Verhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 556

257 257 269

Kapitel 9: Parteien- und Anspruchsmehrheit . . . . . . . . . . . . . 655 A. Anspruchshäufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 656 B. Parteihäufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 661

314 314 317

Kapitel 10: Urteilsanfechtung und -wirkungen . . . . . . . . . . . . 709 A. Rechtsmittel und Rechtsbehelfe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 709 B. Bindungs- und Präklusionswirkung der verfahrensbeendenden Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . 754

339 339

Anhang I: Anschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

373

Anhang II: Schaubilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

379

Literaturverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

387

Index . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

393

VIII

355

Inhaltsverzeichnis

Seite

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

V

Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

VII

Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XXIII Rz. Seite

Kapitel 1: Forumswahl und wechselseitige Urteilsanerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1

A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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30 31 32 33

19 19 20 20

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34 37

21 21

B. I. II. III.

Forumswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gerichtsstandsvereinbarungen . . . . . . . Schiedsabreden . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vermeidung doppelter Rechtshängigkeit

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C. Anerkennung und Vollstreckung auswärtiger Titel . . . I. Urteilsanerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Wirksamkeit und abschließender Charakter der Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anerkennungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Urteile amerikanischer Gerichte. . . . . . . . . . . . b) Ausländische Urteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Urteilsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeine Verfahrensgrundsätze . . . . . . . . . . . . . a) Vollstreckungsbefehl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Discovery . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vollstreckung einzelner Urteilstypen. . . . . . . . . . . a) Geldzahlungsurteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Nicht auf Zahlung einer Geldsumme gerichtete Urteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Handlungsurteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vollstreckungsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Motion for Relief from Judgment. . . . . . . . . . . . b) Klage auf Urteilsaufhebung oder Unterlassung der Zwangsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Drittwiderspruchsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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IX

Inhaltsverzeichnis Rz. Seite

III. Anerkennung von Schiedssprüchen . . . . . . . . . . . . . . . . 38 1. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 2. Vorläufiger Rechtsschutz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40

22 22 23

D. Geltungsreichweite der amerikanischen Gesetzgebung . . 41

24

Kapitel 2: Die Rolle des Anwalts im amerikanischen Rechtssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Juristenausbildung, Organisation der Anwaltschaft und fachliche Spezialisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Juristenausbildung und Organisation der Anwaltschaft II. Fachliche Spezialisierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . 43

26

. . 44 . . 44 . . 48

26 26 29

B. Anwaltliches Berufsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Grundsätze des Standesrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Fachkompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einsatz der vollen Arbeitskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kontrollrechte des Mandanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Treuepflicht und Vermeidung von Interessenkonflikten a) Interessenkonflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Juristische Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kanzleiwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Nach Beendigung des Mandats . . . . . . . . . . . . . . . e) Ausgestaltung des Mandatsverhältnisses . . . . . . . . 6. Verschwiegenheitspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Attorney Client Privilege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ethical Duty of Confidentiality . . . . . . . . . . . . . . . 7. Verbot der Unterstützung bei der Begehung von Straftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Wahrung der Vermögensinteressen des Mandanten . . . 9. Prozessführung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gerichtlicher Vortrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kommunikation mit Richter und Geschworenen . . c) Zuwiderhandlungen gegen richterliche und gesetzliche Anordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Umgang mit Zeugen und Sachverständigen . . . . . . e) Unzulässige Beeinflussung von Richter und Geschworenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Öffentliche Erklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

X

51 53 56 58 59 60 61 64 68 69 73 74 79 81 88

30 31 32 33 33 34 34 36 38 38 40 40 42 43 47

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Inhaltsverzeichnis Rz. Seite

g) Prozessbevollmächtigter als Zeuge . . h) Drohung mit Anzeige. . . . . . . . . . . . i) Staatsanwälte. . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Verhalten gegenüber Dritten . . . . . . . . . 11. Beendigung des Mandatsverhältnisses . . 12. Anwaltliche Werbung. . . . . . . . . . . . . . a) Irreführende Werbung . . . . . . . . . . . b) Weitere Beschränkungen . . . . . . . . . c) Direkte Kontaktaufnahme . . . . . . . . II. Besondere anwaltliche Verpflichtungen nach Sarbanes-Oxley-Gesetz. . . . . . . . . . . . . . . .

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Kapitel 3: Das amerikanische Gerichtsverfassungssystem. . . . 141

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A. I. II. III. IV.

Die Bundesgerichte . . . . District Courts . . . . . . . U.S. Courts of Appeals . . Der U.S. Supreme Court . Andere Bundesgerichte . .

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B. I. II. III.

Die Gerichtsverfassung der Bundesstaaten . Trial Courts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Intermediate Appellate Courts . . . . . . . . . State Supreme Courts . . . . . . . . . . . . . . . .

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C. Grundmerkmale der amerikanischen Gerichtsbarkeit . . . 179 I. Gewaltenteilung, Judicial Review und die Rule of Law . . 179 II. Rechtsquellen, Richterrecht und die Doctrine of Stare Decisis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184

87 87

C. Anwaltskosten . . . . . . . . . . . . . . . . I. Honorarabreden . . . . . . . . . . . . . . . . II. Einzelheiten der Honorarentrichtung. 1. Vorauszahlung. . . . . . . . . . . . . . . 2. Sachhonorar . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Erfolgshonorar. . . . . . . . . . . . . . . 4. Anwaltliches Pfandrecht . . . . . . . 5. Kreditfinanzierung. . . . . . . . . . . . 6. Honorarzahlung durch Dritte . . . . 7. Honorarteilung . . . . . . . . . . . . . . III. Pro Bono-Tätigkeit. . . . . . . . . . . . . .

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XI

Inhaltsverzeichnis Rz. Seite

1. Rechtsquellen . . . . . . . . . . . . . . . a) Common Law und Richterrecht. b) Kodifikationen . . . . . . . . . . . . . 2. Die Doctrine of Stare Decisis . . . . . III. Adversary System . . . . . . . . . . . . . . .

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Kapitel 4: Jurisdiction. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197

97

A. Gerichtliche Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Sachliche Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Federal Question Jurisdiction. . . . . . . . . . . . . . . 2. Diversity Jurisdiction . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Complete Diversity . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Streitwertgrenze. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtswahl, insbesondere nach Maßgabe der Erie Doctrine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Annexzuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Pendent Jurisdiction . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ancillary Jurisdiction . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Absehen von der Ausübung gerichtlicher Entscheidungsgewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bundesstaatsrecht und U.S.-Bundesverfassung b) Bundesstaatsrecht und Diversity Jurisdiction . c) Komplexe Fragen bundesstaatsrechtlicher Administrativgewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Kein Eingriff in bundesstaatliche Straf- und Verwaltungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Prozessökonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Örtliche Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begriffsbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Personal oder in Personam Jurisdiction . . . . . . b) In Rem Jurisdiction . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Quasi in Rem Jurisdiction . . . . . . . . . . . . . . . d) Jurisdiction Over Status . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bestimmung der gerichtlichen Zuständigkeit im Einzelfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Power to Adjudicate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Reasonableness . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Insbesondere: Proceedings in Rem und Quasi in Rem; Jurisdiction Over Status . . . . . . . . . . XII

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Inhaltsverzeichnis Rz. Seite

d) Long Arm Statutes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Internet-Aktivitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Forumserschleichung und -erzwingung . . . . . b) Freies Geleit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Faires Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Forum Non Conveniens . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Venue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Verweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Removal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Transfer of Venue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verweisung zwischen zwei gleichermaßen zuständigen Gerichten . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verweisung von einem unzuständigen an ein zuständiges Gericht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtsanwendung nach Verweisung . . . . . . .

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261 265 271 272 273 274 275 280 284 285 285 289 292

124 127 130 130 131 131 131 133 135 135 135 136 137

. . . . 292

137

. . . . 293 . . . . 294

138 138

B. Klagezustellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Zustellverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeine Vorschriften. . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zustellperson . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zustellungsfrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ladung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zustellnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zustelladressat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verfahren vor den Gerichten der Bundesstaaten b) Verfahren vor den Bundesgerichten . . . . . . . . . II. Wirkungen der Zustellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Prozessrechtsverhältnis und gerichtliche Entscheidungsgewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kenntnis von der Klageerhebung . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeiner Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zustellung an Stellvertreter . . . . . . . . . . . . . . c) Beschlagnahme des Vermögens des Beklagten . d) Verzicht auf die Benachrichtigung. . . . . . . . . .

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295 296 296 296 298 300 301 302 303 305 309

138 139 139 139 140 142 142 142 142 144 147

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309 311 311 312 313 316

147 149 149 149 150 151

XIII

Inhaltsverzeichnis Rz. Seite

Kapitel 5: Prozessleitende Schriftsätze: Die Pleading Stage zu Beginn des Verfahrens. . . . . . . . . . . . . . 317

152

A. I. II. III. IV.

Schriftsatzform und -inhalt: Allgemeine Vorschriften Rubrum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schriftsatzinhalt und -gliederung . . . . . . . . . . . . . . . Unterschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eidesstattliche Erklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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319 321 323 328 329

153 154 154 157 158

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330 330 330 331 335 336

158 158 158 159 160 160

C. Die Erwiderung des Beklagten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Klageerwiderungsschrift (Answer) . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bestreiten des Klagevortrags. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) General Denial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Specific Denial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Qualified General Denial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Bestreiten und unvollständige Tatsachenkenntnis . . e) Bestreiten und Strafverfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Affirmative Defenses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Prozessuale und formelle Einwendungen. . . . . . . . . . . . . 1. Motion for a More Definite Statement; Motion to Strike . 2. Einwendungen gegen die gerichtliche Zuständigkeit und die Ordnungsmäßigkeit der Klagezustellung . . . . . a) Zeitpunkt der Geltendmachung. . . . . . . . . . . . . . . b) Abgrenzung: Limited Appearance . . . . . . . . . . . . . c) Zeitpunkt, Wirkung und Anfechtbarkeit der gerichtlichen Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rüge des Fehlens einer Anspruchsgrundlage . . . . . . . . a) Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Antragsziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zeitpunkt der Geltendmachung. . . . . . . . . . . . . . . d) Wirkung und Anfechtbarkeit der Entscheidung . . . . 4. Unterlassen notwendiger Parteihäufung . . . . . . . . . . .

339 340 341 341 342 344 345 346 347 350 354

162 162 162 162 162 163 163 163 164 166 167

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357 362 363 367 369 370 372

169 170 171 173 173 174 174

D. Weitere Schriftsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 I. Widerklage, Drittwiderklage und Cross Claim . . . . . . . . . 374

175 175

B. Die Klageschrift (Complaint) . . . . . . . . . . . . . . I. Vortrag zu den Prozessführungsvoraussetzungen 1. Gerichtliche Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . 2. Partei- und Prozessfähigkeit. . . . . . . . . . . . . II. Anspruchsschilderung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Klageanträge. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XIV

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II. Post-Answer Motions des Klägers . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 III. Weitere Schriftsätze auf gerichtliche Anordnung. . . . . . . 377 E. Die Änderung und Ergänzung des schriftsätzlichen Vorbringens. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Änderung und Ergänzung ohne gerichtliche Erlaubnis . II. Andere Fälle der Änderung und Ergänzung . . . . . . . . . III. Wirkung von Änderungen und Ergänzungen . . . . . . . . IV. Spätere Ergänzung des Vorbringens aufgrund neuer Tatsachen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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378 379 380 384

176 177 177 179

. . 387

180

Kapitel 6: Discovery: Beweisermittlung im Parteibetrieb . . . . 388 A. Disclosures . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Umfang. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Initial Disclosures . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sachverständige. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Informationsaustausch unmittelbar vor Beginn des Trial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kooperationspflicht und Discovery Plan . . . . . 2. Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

176 176

181

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392 393 393 395

183 183 183 184

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397 398 398 402

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B. Discovery . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Umfang. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Form und Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Formerfordernisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verfahrensablauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Discovery-Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Interrogatories . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gegenstand und Zweckbestimmung . . . . . . . . . . b) Adressat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Unterschriftserfordernis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Interrogatories und gerichtliche Beweisaufnahme 2. Production of Documents and Things . . . . . . . . . . . 3. Admissions . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Depositions. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ladung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Schriftliche und mündliche Fragestellung . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . . . . . .

404 405 408 408 410 417 418 419 420 420 423 424 425 426 432 437 438 440

188 188 190 190 191 195 195 196 197 197 198 198 198 199 201 203 204 205 XV

Inhaltsverzeichnis Rz. Seite

c) Ablauf der mündlichen Vernehmung . . . . . . . . . d) Protokoll . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Depositions und gerichtliche Beweisaufnahme . . f) Vernehmung von Unternehmensvertretern . . . . . 5. Ärztliche Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Grenzen der Discovery . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verfassungsrechtliche und einzelgesetzliche Geheimhaltungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Diplomaten-, Militär- und Amtsgeheimnis . . . . . b) Presse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Persönliche Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Betriebsgeheimnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Aussageverweigerungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Attorney Work Product . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Sachverständige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Gerichtlich angeordnete Beschränkungen der Discovery im Einzelfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Discovery in Verfahren unter Beteiligung ausländischer Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Prozessführung in den USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verfahren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Prozessführung im Ausland oder vor einem internationalen Gericht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ausländisches Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anhängiges Verfahren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Inhalt und Reichweite der Maßnahmen . . . . . . . d) Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Rechtsmittelfähigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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441 445 446 448 452 453

205 208 209 210 212 212

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453 453 454 455 456 457 461 465

212 212 213 213 214 214 217 219

. . 467

221

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470 470 471 476

222 222 222 224

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482 484 485 486 489 491

228 229 230 230 232 233

C. Case Management Conferences und gerichtliche Verfahrensaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 492 I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 492 II. Grundprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 495

234 234 235

Kapitel 7: Verfahrensbeendigung vor und außerhalb des Trial . . 500

239

A. Klagerücknahme, Klageabweisung und Versäumnisurteil . 500 I. Klagerücknahme. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 500 II. Klageabweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 505

239 239 241

XVI

Inhaltsverzeichnis Rz. Seite

III. Versäumnisverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Feststellung der Säumnis . . . . . . . . . . . . . . 2. Erlass des Versäumnisurteils. . . . . . . . . . . . 3. Aufhebung der Säumnisfeststellung und des Versäumnisurteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Säumnisfeststellung . . . . . . . . . . . . . . . b) Versäumnisurteil . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . 507 . . . . . . . 507 . . . . . . . 508

242 242 243

. . . . . . . 509 . . . . . . . 509 . . . . . . . 511

244 244 245

B. Vergleichsschluss und gütliche Beilegung des Rechtsstreites . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Parteiverhandlungen und Rolle des Gerichts. . . . . . . II. Vergleichsförderung durch Verfahrensvorschriften . . III. Beendigung des Verfahrens im Falle eines Vergleichsschlusses. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vollstreckungstitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Offer of Judgment, Offer to Compromise . . . . . . .

. . . 513 . . . 514 . . . 516

246 246 248

. . . 517 . . . 517 . . . 519

248 248 249

C. Verfahrensbeendende Anträge; insbesondere die Summary Judgment Motion. . . . . . . . . . I. Motion for Judgment on the Pleadings . . . . . II. Summary Judgment Motion . . . . . . . . . . . . 1. Prüfungsmaßstab. . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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250 250 251 252 254

Kapitel 8: Trial und gerichtliche Beweiserhebung . . A. Proceedings at Law und Proceedings in Equity I. Verfahrensarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Richter und Geschworene. . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Jury . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Parteiantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zusammensetzung . . . . . . . . . . . . . . . c) Auswahlverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Richter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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534 536 540 545 545 545 546 547 554

257 257 259 264 264 264 264 265 268

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556 560 560 562 562 564 570

269 270 270 271 271 272 276

B. Der Gang der Verhandlung . . . . . I. Beweisaufnahme . . . . . . . . . . . . 1. Opening Statements. . . . . . . . 2. Plaintiff’s Case . . . . . . . . . . . a) Darlegungs- und Beweislast b) Zeugenbefragung. . . . . . . . c) Anträge des Beklagten . . . .

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XVII

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3. Defendant’s Case . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Closing Arguments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Grundzüge des Beweisrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zulässigkeit von Beweismitteln und Einspruchserhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verfahren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einspruchsform und -inhalt. . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beweiserheblichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beweismittel mit überwiegend präjudizieller oder irreführender Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Weitere Sonderregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Urkunden, Augenscheinsstücke, Telefonate und Tonaufnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Echtheitsnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Geschäftsunterlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Öffentliche Urkunden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Telefonate und Tonaufnahmen . . . . . . . . . . . . . . e) Originalitätsnachweis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Parol Evidence Rule. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zeugenaussagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zeugnisfähigkeit und Aussageverbote . . . . . . . . . b) Aussagegegenstand. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Hörensagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Charakter- und Leumundszeugen . . . . . . . . . . . . 5. Sachverständige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zulässigkeitsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . b) Grundlagen des Sachverständigengutachtens . . . . 6. Judicial Notice . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Ausländisches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Entscheidungsphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Belehrung der Jury. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beratung und Entscheidung der Jury . . . . . . . . . . . . . a) Beratung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Anträge nach Urteilserlass. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Motion for a Judgment as a Matter of Law (Motion for Judgment n.o.v.) . . . . . . . . . . . . . . . .

XVIII

. 573 . 576 . 577

277 278 279

. . . . .

579 580 583 584 584

280 280 282 283 283

. 585 . 586

283 284

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591 591 593 594 595 596 598 599 601 604 607 615 616 617 620 621 625 626 626 628 628 634 638 644

285 285 286 287 287 288 289 289 291 291 293 296 297 297 299 300 301 302 302 303 303 306 308 310

. 648

311

Inhaltsverzeichnis Rz. Seite

b) Motion for a New Trial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 651 c) Verbindung beider Anträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . 653

312 313

Kapitel 9: Parteien- und Anspruchsmehrheit . . . . . . . . . . . . . 655

314

A. Anspruchshäufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 656 I. Notwendige Anspruchshäufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 657 II. Fakultative Anspruchshäufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 659

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B. Parteihäufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Grundformen der Parteienmehrheit. . . . . . . . . . . . . . . 1. Notwendige Parteihäufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Fakultative Parteihäufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gerichtliche Verfahrensverbindung und -trennung . . II. Beteiligung Dritter am Rechtsstreit . . . . . . . . . . . . . . . 1. Impleader . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Interpleader. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Intervention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Intervention of Right . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Permissive Intervention. . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Complex Litigation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verfahren unter Beteiligung einer Vielzahl benannter Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Class Actions . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Beendigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Verteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Shareholder Derivative Actions. . . . . . . . . . . . . . . . 4. Stellvertretende Prozessführung für nicht inkorporierte Rechtsgemeinschaften . . . . . . . . . . . .

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Kapitel 10: Urteilsanfechtung und -wirkungen. . . . . . . . . . . . 709 A. Rechtsmittel und Rechtsbehelfe I. Appeal . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . a) Endentscheidungen . . . . . b) Collateral Order Doctrine c) Teilentscheidungen . . . . .

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2. Rechtsbehelfe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Mandamus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) 28 U.S.C. § 1292(a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) 28 U.S.C. § 1292(b) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtsmitteleinlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Record on Appeal und Appendix . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtsmittelbegründung und -erwiderung . . . . . . . d) Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Suspensiveffekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Weitere Rechtsmittel und rechtsmittelähnliche Verfahren 1. Verfahren vor den Bundesgerichten. . . . . . . . . . . . . . . a) Petition for En Banc Review. . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Petition for Certiorari . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Certification . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verfahren vor den Gerichten der Bundesstaaten . . . . . . 3. Die Petition for Habeas Corpus . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Der Prüfungsmaßstab der Rechtsmittelgerichte . . . . . . . . 1. Rechtsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Tatsachenfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Bindungs- und Präklusionswirkung der verfahrensbeendenden Entscheidung . . . . . . . . . . I. Voraussetzungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Wirksamkeit der Vorentscheidung . . . . . . . . . . 2. Abschließender Charakter der Vorentscheidung 3. Prozessuale Geltendmachung . . . . . . . . . . . . . II. Reichweite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Claim Preclusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Klageabweisende Entscheidungen . . . . . . . . c) Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Widerklageansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Issue Preclusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Urteilswirkungen für und gegen Dritte . . . . . . . a) Privies . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Andere Dritte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis Rz. Seite

4. Bindungswirkung besonderer Urteilsformen . a) Judgments in Rem . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Quasi in Rem Judgments . . . . . . . . . . . . . c) Statusurteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Feststellungsurteile . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Schiedssprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Entscheidungen der Administrative Courts g) Strafurteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Anhang I: Anschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 Anhang II: Schaubilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 Index . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393

XXI

Abkürzungsverzeichnis

Außer den gebräuchlichen deutschen Abkürzungen sind die folgenden Kurzformen verwendet: A.

Atlantic Reporter (Entscheidungssammlung der Gerichte der Bundesstaaten Connecticut, Delaware, Maine, Maryland, New Hampshire, New Jersey, Pennsylvania, Rhode Island und Vermont sowie des District of Columbia) AAA American Arbitration Association ABA American Bar Association aff’d affirmed (Bestätigung der Entscheidung der Vorinstanz durch ein höherrangiges Gericht) aff’d sub nom. affirmed sub nomine (Entscheidungsbestätigung bei Namenswechsel des Rechtsstreits in der Folgeinstanz) ALABAMA CODE (Gesetzessammlung des Bundesstaates ALA. CODE Alabama) App. kennzeichnet in Zitaten Entscheidungen der state intermediate appellate courts B.R.

CAL. BUS.PROF. CODE CAL. CIV. CODE CAL. CODE CIV.PROC. CAL. CORP. CODE CAL. EV. CODE CAL. GOVT. CODE C.D. cert. C.F.R.

Bankruptcy Reporter (Entscheidungssammlung der Konkursgerichte)

CALIFORNIA BUSINESS AND PROFESSIONS CODE CALIFORNIA CIVIL CODE CALIFORNIA CODE OF CIVIL PROCEDURE CALIFORNIA CORPORATIONS CODE CALIFORNIA EVIDENCE CODE CALIFORNIA GOVERNMENT CODE (In Entscheidungszitaten:) United States District Court for the Central District of … certiorari (Zulassung vor dem U.S. Supreme Court) CODE OF FEDERAL REGULATIONS (Sammlung aller U.S.-Bundes-Verwaltungsverordnungen und -vorschriften)

XXIII

Abkürzungsverzeichnis

Cir. CISG

D. D.D.C. DE CODE DOJ DR EC E.D.

F.

FLA. ST. FSIA FTC FRAP FRCP FRCrimP F.R.D.

FRE F. Supp.

(In Entscheidungszitaten): U.S. Court of Appeals for the … Circuit UNITED NATIONS CONVENTION ON CONTRACTS FOR THE INTERNATIONAL SALE OF GOODS (In Entscheidungszitaten:) United States District Court for the District of … United States District Court for the District of Columbia DELAWARE CODE (Gesetzessammlung des Bundesstaates Delaware) Department of Justice (U.S.-Bundes-Justizministerium) Disciplinary Rule (im ABA MODEL CODE OF PROFESSIONAL CONDUCT) Ethical Consideration (im ABA MODEL CODE OF PROFESSIONAL CONDUCT) (In Entscheidungszitaten:) United States District Court for the Eastern District of … Federal Reporter (Entscheidungssammlung der U.S. Courts of Appeals; zweite und dritte Auflage jeweils zitiert als F.2d und F.3d) FLORIDA STATUTES (Gesetzessammlung des Bundesstaates Florida) FOREIGN SOVEREIGN IMMUNITIES ACT Federal Trace Commission (U.S.-Bundes-Kartellaufsichtsbehörde) FEDERAL RULES OF APPELLATE PROCEDURE FEDERAL RULES OF CIVIL PROCEDURE FEDERAL RULES OF CRIMINAL PROCEDURE Federal Rules Decisions (Entscheidungssammlung der United States District Courts mit prozessrechtlichem Schwerpunkt) FEDERAL RULES OF EVIDENCE Federal Supplement (Entscheidungssammlung der United States District Courts; zweite Auflage zitiert als F.Supp.2d)

GA. CODE

GEORGIA CODE (Gesetzessammlung des Bundesstaates Georgia)

ICC

International Chamber of Commerce

XXIV

Abkürzungsverzeichnis

ILCS

ILLINOIS COMPILED STATUTES (Gesetzessammlung des Bundesstaates Illinois)

LA. R.S.

LOUISIANA REVISED STATUTES (GESETZESSAMMLUNG DES BUNDESLOUISIANA) London Court of International Arbitration Lawyer’s Edition (inoffizielle Entscheidungssammlung des U.S. Supreme Court) Law Review (juristische Fachzeitschrift – oftmals von Universitäten herausgegeben) STAATES

LCIA L.Ed. L.REV.

MBE M.D. M.G.L. MINN.STAT. MPRE N.D. N.E.

NE R.S. N.H. REV. ST. N.W.

N.Y. BUS. CORP. L. N.Y.C.P.L.R.

Multistate Bar Exam (In Entscheidungszitaten:) United States District Court for the Middle District of … MASSACHUSETTS GENERAL LAWS (Gesetzessammlung des Bundesstaates Massachusetts) MINNESOTA STATUTES (Gesetzessammlung des Bundesstaates Minnesota) Multistate Professional Responsibility Exam (In Entscheidungszitaten:) United States District Court for the Northern District of … North Eastern Reporter (Entscheidungssammlung der Gerichte der Bundesstaaten Illinois, Indiana, Massachusetts, New York und Ohio) NEBRASKA REVISED STATUTES (Gesetzessammlung des Bundesstaates Nebraska) NEW HAMPSHIRE REVISED STATUTES (Gesetzessammlung des Bundesstaates New Hampshire) North Western Reporter (Entscheidungssammlung der Gerichte der Bundesstaaten Iowa, Michigan, Minnesota, Nebraska, North Dakota, South Dakota und Wisconsin) NEW YORK BUSINESS CORPORATIONS LAW NEW YORK CIVIL PRACTICE LAW AND RULES

P.

Pacific Reporter (Entscheidungssammlung der Gerichte der Bundesstaaten Alaska, Arizona, Kalifornien, Colorado, Hawaii, Idaho, Kansas, Montana, Nevada, New Mexico, Oklahoma, Oregon, Utah, Washington und Wyoming) PA. CONS. STAT. PENNSYLVANIA CONSOLIDATED STATUTES (GESETZESSAMMLUNG DES BUNDESSTAATES PENNSYLVANIA) XXV

Abkürzungsverzeichnis

R. RICO R.I. GEN. L. RSMO

S.Ct.

S.D. S.E.

SEC So.

SOX, SOA S.W.

T.C. TEX. GOVT. CODE U.C.C. UNCITRAL U.S.

U.S.C. U.S.L.W.

XXVI

Rule RACKETEER-INFLUENCED AND CORRUPT ORGANIZATIONS ACT RHODE ISLAND GENERAL LAWS (Gesetzessammlung des Bundesstaates Rhode Island) MISSOURI REVISED STATUTES (Gesetzessammlung des Bundesstaates Missouri) 1. Supreme Court 2. (In Entscheidungszitaten:) Supreme Court Reporter (Entscheidungssammlung des U.S. Supreme Court) (In Entscheidungszitaten:) United States District Court for the Southern District of … South Eastern Reporter (Entscheidungssammlung der Gerichte der Bundesstaaten Georgia, North Carolina, South Carolina, Virginia und West Virginia) Securities and Exchange Commission (U.S.-Bundes-Börsenaufsicht) Southern Reporter (Entscheidungssammlung der Gerichte der Bundesstaaten Alabama, Florida, Louisiana und Mississippi) SARBANES-OXLEY ACT (nach dem Enron-Zusammenbruch erlassenes Unternehmensaufsichts-Reformgesetz) South Western Reporter (Entscheidungssammlung der Gerichte der Bundesstaaten Arkansas, Kentucky, Missouri, Tennessee und Texas) Reports of the United States Tax Court (steuergerichtliche Entscheidungssammlung) TEXAS GOVERNMENT CODE UNIFORM COMMERCIAL CODE United Nations Commission on International Trade Law 1. United States 2. (In Entscheidungszitaten:) U.S. Reports (amtliche Sammlung der Entscheidungen des U.S. Supreme Court) UNITED STATES CODE (Sammlung aller U.S.-Bundesgesetze) United States Law Week (Entscheidungssammlung des U.S. Supreme Court)

Abkürzungsverzeichnis

V.S.A.

VERMONT STATUTES ANNOTATED (Gesetzessammlung des Bundesstaates Vermont)

W.D.

(In Entscheidungszitaten:) United States District Court for the Western District of …

Namenskürzel der amerikanischen Bundesstaaten AK, Alas. AL, Ala. AR, Ark. AZ, Ariz. CA, Cal. CO, Colo. CT, Conn. D.C. DE, Del. FL, Fla. GA, Ga. HI IA ID, Ida. IL, Ill. IN, Ind. KS, Kan. KY LA MA, Mass. MD, Md. ME MI, Mich. MN, Minn. MO

Alaska Alabama Arkansas Arizona Kalifornien Colorado Connecticut District of Columbia Delaware Florida Georgia Hawaii Iowa Idaho Illinois Indiana Kansas Kentucky Louisiana Massachusetts Maryland Maine Michigan Minnesota Missouri

MS, Miss. MT, Mont. NC ND NE, Neb. NH NJ NM, N.Mex. NV, Nev. NY OH OK, Okla. OR, Ore. PA, Penn. RI SC SD TN, Tenn. TX, Tex. UT VA VT WA, Wash. WI, Wis. WV, W.Va. WY, Wyo.

Mississippi Montana North Carolina North Dakota Nebraska New Hampshire New Jersey New Mexico Nevada New York Ohio Oklahoma Oregon Pennsylvania Rhode Island South Carolina South Dakota Tennessee Texas Utah Virginia Vermont Washington (State) Wisconsin West Virginia Wyoming

Nicht als Bundesstaaten organisierte Territorien: P.R. V.I.

Puerto Rico Virgin Islands XXVII

Kapitel 1: Forumswahl und wechselseitige Urteilsanerkennung

Weiterführende Literatur: Ahart, Enforcing Judgments and Debts; Baicker-McKee, Janssen, Corr, Federal Civil Rules Handbook; Campbell, Rodriguez, International Execution Against Judgment Debtors; Bermann, Transnational Litigation in a Nutshell; Craig, Park, Paulson, International Chamber of Commerce Arbitration; Geimer, Internationales Zivilprozeßrecht; Linke, Internationales Zivilprozeßrecht; Lowenfeld, International Litigation and Arbitration; Schack, Einführung in das USamerikanische Zivilprozessrecht; Siegel, Conflicts in a Nutshell; ders., New York Practice; Várady, Barceló, von Mehren, International Commercial Arbitration.

A. Einleitung Ganz gleich, ob im Zusammenhang mit den Verhandlungen über einen erst noch abzuschließenden Vertrag, als Folge eines bereits bestehenden Vertrages oder im Zusammenhang mit außervertraglichen Ansprüchen und Schadensereignissen: Die Frage der Prozessführung gegen einen in den USA ansässigen oder dort über Vermögen oder wirtschaftliche Interessen verfügenden Gegner stellt sich im Zeitalter zunehmender Globalisierung längst nicht mehr nur für transnationale Großkonzerne, sondern gewinnt mehr und mehr Bedeutung auch für mittelständische Unternehmen und letztlich für jeden Teilnehmer am internationalen Rechts- und Wirtschaftverkehr.

1

Untrennbar hiermit verbunden ist die Wahl des im Rahmen eines solchen Rechtsstreits anzurufenden Forums; wobei grundsätzlich vier Alternativen zur Verfügung stehen:

2

– Ein deutsches Gericht, – ein amerikanisches Gericht, – das Gericht eines Drittstaates, soweit dessen Anrufung im Einzelfall z. B. aufgrund einer Gerichtsstandsabrede zulässig ist1, 1 Besonders häufig finden sich dabei Abreden, die die Entscheidung etwaiger Rechtsstreitigkeiten der Gerichtsbarkeit englischer Gerichte unterstellen, da diese aufgrund ihrer großen Erfahrung in internationalen Handelsangelegenheiten zumeist für beide Vertragspartner ein gleichermaßen akzeptables Forum dar-

1

Forumswahl und wechselseitige Urteilsanerkennung

– oder, soweit vertraglich vereinbart, anstelle eines Gerichts ein Forum der nationalen oder internationalen Schiedsgerichtsbarkeit. 3

Gleichfalls untrennbar mit der Prozessführung verbunden ist die Frage des jeweils zur Anwendung kommenden materiellen Rechts; wobei diesbezügliche Vereinbarungen beim Vertragsschluss zur Vermeidung von Auslegungsschwierigkeiten über die Reichweite der vertraglichen Bestimmungen grundsätzlich im Tandem getroffen werden sollten2.

4

Von Einfluss sind materiellrechtliche Fragen – ebenso wie Fragen des Rechtsschutzzieles des anzustrengenden Prozesses – jedoch nicht nur auf die Erfolgsaussichten des Prozesses als solchen, sondern auch auf die Anerkennungsfähigkeit und Vollstreckbarkeit eines amerikanischen Urteils in der Bundesrepublik und umgekehrt. So können amerikanische Schadensersatzurteile nicht nur allgemein, sondern insbesondere dann, wenn sie auf eine class action (Sammelklage) hin ergangen sind – vgl. Rn. 688 ff. – und/oder einen letztlich auf poenale Erwägungen gegründeten Schadensersatzanspruch zuerkennen (sog. punitive oder exemplary damages)3, erheblich höher ausfallen als vergleichbare deutsche Urteile. Dies gilt in noch weiter zugespitzter Form für diejenigen Ansprüche, bei deren erfolgreicher Geltendmachung sich der zuerkannte Schadensersatzbetrag – wie z. B. im Rahmen wettbewerbsrechtlicher Streitigkeiten – entweder automatisch oder auf gerichtliche Anordnung im Einzelfall verdreifacht (sog. treble damages). Solche Urteile amerikanischer Gerichte werden in Deutschland zumeist als dem hiesigen ordre public widersprechend ange-

stellen. Selbst die Anwendung englischen Rechts (gleich, ob aufgrund einer vertraglichen Rechtswahlklausel, einer entsprechenden Auslegung der Forumswahl oder der Rückverweisung [renvoi] durch eine andere Rechtsvorschrift) ist für beide Parteien oftmals der „kleinste gemeinsame Nenner“, da es sich einerseits zwar um ein common law-System handelt, diesem jedoch andererseits die insbesondere aus europäischer Sicht fragwürdigen Elemente der amerikanischen Rechtsordnung weitgehend fremd sind. 2 Fallen Rechts- und Gerichtsstandswahl auseinander, trifft die Parteien zumeist eine erhöhte Darlegungslast dazu, warum nicht – zumindest im Wege der Rückverweisung – das Recht des angerufenen Forums Anwendung finden soll. Führt allerdings das Tandem aus Rechtswahl und Gerichtsstands- bzw. Schiedsgerichtsvereinbarung zur Aufgabe des Schutzes wesentlicher, im besonderen öffentlichen Interesse stehender Schutzvorschriften des amerikanischen Rechts (wie z. B. der wettbewerbsrechtlichen Verbotsbestimmungen), so kann der Anerkennung beider Klauseln u. U. die Wirksamkeit versagt werden. S. dazu Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614 (1985). 3 Vgl. z.B. CAL. CIV. CODE §§ 3294, 3295.

2

Einleitung

sehen und sind deshalb hierzulande entweder gar nicht oder zumindest nicht in voller Höhe durchsetzbar4. Umgekehrt sind deutsche Urteile, die hinsichtlich der gerichtlichen Zuständigkeit ihre Grundlage lediglich in § 23 ZPO (Gerichtsstand des Vermögens) finden, regelmäßig in den USA nicht vollstreckbar, weil das Vorhandensein eines einzigen Vermögensgegenstandes des Beklagten innerhalb des Gerichtsbezirks – soweit nicht zugleich mindestens auch die Voraussetzungen der quasi in rem jurisdiction nach amerikanischem Recht vorliegen; vgl. insoweit nachf. Rn. 258–259 – in aller Regel nicht zur Begründung der zur Wahrung eines rechtsstaatlichen Verfahrens vom U.S. Supreme Court geforderten Mindestbeziehungen zwischen

4 Zur Versagung der Anerkennung bzw. bereits vorherigen Versagung der Klagezustellung s. nunmehr insbes. BVerfGE 108, 238 ff. (Napster) – Aktz. des Ausgangsverfahrens: US SD New York 03 CV 1093 – sowie zuvor bereits BVerfGE 91, 140 ff. u. 91, 335 ff.; außerdem LG Berlin, RIW 1989, 988 u. Solimene v. B. Grauel & Co., 399 Mass. 790 (1987) und hierzu Heiderberger, Vollstreckbarerklärung von U.S.-Jury-Urteilen, RIW 1991, 599; zur Reduktion des Urteilsbetrages s. OLG Düsseldorf, RIW 1991, 594. Bedenken gegen die Anerkennungsfähigkeit amerikanischer Urteile werden auch geäußert aufgrund von Einzelheiten des diesen zugrundeliegenden Verfahrens, etwa der pretrial discovery (vgl. nachf. Kapitel 6), der Zuständigkeitsbegründung aufgrund des (u. U. nur kurzen) Aufenthalts des Beklagten im Bezirk des angerufenen Gerichts (tag jurisdiction; vgl. nachf. Rn. 247), des Umstandes, dass Jury-Entscheidungen – wenn überhaupt – nur mit einer marginalen Begründung versehen sind (vgl. LG Berlin, RIW 1989, 988 u. Solimene v. B. Grauel & Co., 399 Mass. 790 [1987]) sowie zur Form und Inhalt amerikanischer Urteile (nachf. Rn. 641), der Zuerkennung von Zinseszinsen (LG Berlin, RIW 1989, 988 u. Solimene v. B. Grauel & Co., 399 Mass. 790 [1987]) und anderen Verletzungen des deutschen ordre public (BGH, NJW 1975, 1600 [Verstoß gegen § 61 BörsenG]). Zu Einzelheiten s. insoweit Geimer Rn. 2888 ff. u. Linke Rn. 388 ff., je m. zahlr. w. N. Zur Nichtanerkennung eines amerikanischen Urteils aus Gründen des ordre public in Japan vgl. Deutsch v. West Coast Machinery Co., 80 Wash.2d 707, cert. denied, 409 U.S. 1009 (1972) und hierzu Sawaki, Battle of Lawsuits: Lis Pendens in International Relations, 23 JAPANESE ANNUAL OF INT’L. L. 17 (1979 – 80). Zur Nichtanwendung der Grundsätze der tag jurisdiction im Verhältnis zwischen Großbritannien und Deutschland als eines Mitgliedsstaates des Brüsseler Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27.9.1968 (EuGVÜ), BGBl. 1998 II 1411 u. 1999 II 419, und der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO), ABl. EG Nr. L 12 (16.1.2001) S. 1, s. schließlich EuGVÜ Art. 3 sowie EuGGVO Art. 3 Abs. 2 i. V. m. Anhang I der Verordnung.

3

5

Forumswahl und wechselseitige Urteilsanerkennung

dem Beklagten und dem Forum ausreichen wird (sog. minimal contacts doctrine)5. 6

Die Forumswahl sollte sich dementsprechend von vornherein maßgeblich daran orientieren, wo die Vollstreckung eines etwa ergehenden Urteils beabsichtigt ist. Dabei kommt die Anrufung amerikanischer Gerichte jedoch nicht nur dann in Betracht, wenn sich der Großteil des der Zwangsvollstreckung unterliegenden Vermögens des Prozessgegners in den USA befindet, sondern auch dann, wenn eigene, vorrangig auf den amerikanischen Markt gerichtete wirtschaftliche Interessen des jeweiligen Klägers betroffen sind; insbesondere insoweit, als das amerikanische Recht zu deren Schutz – wie z. B. in den Bereichen des Börsenrechts, des Wettbewerbsschutzes sowie zur Durchsetzung von Rechten gegen oder (häufiger) im Namen einer unbestimmten Vielzahl von Personen im Wege der class action – Rechtsinstitute zur Verfügung stellt, die in vergleichbarer Form in Deutschland nicht existieren6. 5 Einschränkend allerdings insbes. BGH, DWiR 1991, 245 ff.; ausführlich zu § 23 ZPO Schack, Vermögensbelegenheit als Zuständigkeitsgrund, ZZP 1984, 46 ff. sowie de Vries, Lowenfeld, Jurisdiction in Personal Actions – A Comparison of Civil Law Views, 44 IOWA L.REV. 306, 330-344 (1959). Eingehend zur sogenannen minimum contacts doctrine und zu den Zuständigkeitserfordernissen nach Maßgabe der Rechtsprechung des U.S. Supreme Court nachf. Rn. 244 ff. Im Verhältnis zu anderen EU-Mitgliedsstaaten sowie den EFTA-Staaten ergibt sich die Unanwendbarkeit von § 23 ZPO demgegenüber bereits unmittelbar aus EuGVÜ Art. 3 und EuGGVO Art. 3 Abs. 2 i. V. m. Anhang I jener EG-Verordnung sowie aus dem Luganer Parallelübereinkommen zum EuGVÜ (LugÜ), BGBl. 1994 II 2660. 6 Zur class action vgl. nachf. Rn. 688 ff. Zu den Besonderheiten des amerikanischen Wettbewerbs- und Börsenrechts gehört es, dass Verstöße gegen die insoweit bestehenden Schutzvorschriften nicht nur von den jeweiligen Aufsichtsbehörden – insbesondere der Bundes-Kartellbehörde (Federal Trade Commission oder kurz FTC), der Börsenaufsicht (Securities Exchange Commission oder SEC) und dem Justizministerium (Department of Justice oder DOJ) – geahndet werden können, sondern dass auch jedes benachteiligte Mitglied der Öffentlichkeit hiergegen als sogenannter private attorney general, also als „privater Staatsanwalt“, Klage erheben kann. Geführt werden solche Prozesse allerdings aufgrund der erstrebten Rechtsfolgen (zumeist Unterlassungsanordnungen und Schadensersatzansprüche, gelegentlich auch Feststellungsansprüche, Vermögensverwaltung und ähnliche Anordnungen) vor den Zivilgerichten, und zwar gleichgültig, ob sie von einer staatlichen Behörde oder von Privatpersonen initiiert worden sind. Zur Zuständigkeit der amerikanischen Bundesgerichte s. insoweit 15 U.S.C. § 15 u. 28 U.S.C. § 1337 (Wettbewerbsschutzrecht ), 15 U.S.C. § 78aa (= SECURITIES EXCHANGE ACT § 27 – Aktien- und Börsenrecht ) sowie 28 U.S.C. § 1338 u. 35 U.S.C. § 293 (Patentstreitigkeiten); zu weiteren Einzelheiten vgl. Bailey, Hagedorn, Secured Transactions in a Nutshell; Ratner, Hazen, Securities Regulation

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Forumswahl Von erheblicher praktischer Bedeutung im Rahmen der Forumswahl ist schließlich auch die Frage der Prozesskosten. Diese sind rein tatsächlich in den USA – insbesondere aufgrund der sehr aufwendigen discovery, vgl. nachf. Kapitel 6 – deutlich höher als in Deutschland; auch die Honoraransprüche amerikanischer Anwälte können diejenigen ihrer deutschen Kollegen um ein Mehrfaches übersteigen, und grundsätzlich trägt unabhängig vom Ausgang des Prozesses in den USA jede Partei ihre Anwalts- und Gerichtskosten selbst. Allerdings erkennt die amerikanische Rechtsordnung die Vereinbarung von Erfolgshonoraren an (contingent fees) und schafft auch in anderer Hinsicht eine Reihe von Erleichterungen, die auch dem nicht vermögenden Durchschnittsbürger in aller Regel den Zugang zu anwaltlicher Vertretung ermöglicht7. Die Grundzüge des amerikanischen Anwaltskostenrechts sind im Zusammenhang mit dem Berufsbild des Rechtsanwalts nachfolgend in Kapitel 2 dargestellt.

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B. Forumswahl I. Gerichtsstandsvereinbarungen Vertragliche Gerichtsstandsklauseln werden in der neueren amerikanischen Rechtsprechung im Allgemeinen anerkannt; dies gilt im Grundsatz auch dann, wenn die Zuständigkeit eines nicht-amerikanischen Gerichtes vereinbart wird8, wenn die Klausel zur Durchsetzung von Vertragsbestimmungen führt, die nach amerikanischem Recht nicht wirksam wären9, und wenn sich die Gerichtsstandsklausel in den allgemeinen Geschäftsbedingungen einer Partei befindet, u. U. selbst dann, wenn es sich bei dieser Partei um den deutlich verhandlungsstärkeren Vertragspartner handelt10. Lediglich wenn jener Vertragspartner seine Überlegenheit in unlauterer Weise zu Lasten des anderen Vertragsschließenden ausgenutzt oder sich unrechtmäßiger Formen der Einflussnahme wie z. B. einer Täuschung oder Drohung bedient hat, wenn die Gerichtsstandsklausel im Ein-

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in a Nutshell; Handler Pitofsky, Goldschmid, Wood, Trade Regulation u. Gellhorn, Kovacic, Antitrust Law and Economics in a Nutshell; zu den sich hieraus bei gleichzeitiger Anrufung amerikanischer Gerichte und der Gerichte eines anderen Staates ergebenden Konflikten s. u. a. die Nachweise nachf. Fn. 66. Insbesondere im Zusammenhang mit Schadensersatzansprüchen haben die anwaltlichen Honoraransprüche i. Ü. nicht selten zumindest indirekten Einfluss auf den von der Jury zugesprochenen Urteilsbetrag. The Bremen v. Zapata Off-Shore Co., 407 U.S. 1 (1972) (London); zum vorausgehenden Verfahren vgl. Unterweser Reederei G.m.b.H. v. Zapata Off-Shore Company, [1968] 2 Lloyd’s L.Rep. 158 (U.K. Court of Appeal, 1968). The Bremen v. Zapata Off-Shore Co., 407 U.S. 1 (1972). Carnival Cruise Lines v. Shute, 499 U.S. 585 (1991).

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zelfall überragenden gesetzgeberischen Zielen des Forumsstaates widerspricht oder wenn keinerlei Beziehungen zwischen dem vertraglich vereinbarten Forum einerseits und den Parteien und dem Streitgegenstand des Rechtsstreits andererseits bestehen, kann der Vereinbarung der Parteien die Anerkennung versagt werden; wobei die Darlegungslast für die gegen die Verbindlichkeit der Klausel sprechenden Umstände in jedem Fall diejenige Partei trifft, die die Vereinbarung nicht gegen sich gelten lassen will11. II. Schiedsabreden 9

Ebenso anerkennungsfähig sind in internationalen Handelsverträgen enthaltene Schiedsgerichtsklauseln (vgl. u. a. UNITED STATES ARBITRATION ACT §§ 1, 2; 9 U.S.C. §§ 1, 2); nach ständiger Rechtsprechung des U.S. Supreme Court besteht zumindest eine starke Vermutung für die Wirksamkeit solcher Abreden12. Dies gilt zwar für den inneramerikanischen Rechtsbereich u. U. dann nicht, wenn Gegenstand des Vertrages der Aktienhandel sowie eine Reihe anderer, das staatliche Gesetzgebungsinteresse der USA besonders berührender Materien sind; z. B. Wettbewerbsbeschränkungen13, auch insoweit ist jedoch im Rahmen internationaler Verträge im Interesse der Rechtssicherheit, der Ausführbarkeit der vertraglichen Vereinbarungen der Parteien und der allgemeinen Förderung internationaler Wirtschaftsbeziehungen grundsätzlich eine andere Beurteilung angezeigt14. 11 Shell v. R.W. Sturge, Ltd., 55 F.3d 1227 (6th Cir. 1995) und Bisso v. Inland Waterways Corp. 349 85 (1955) (in den USA grundsätzlich nicht wirksame vertragliche Haftungsausschlussklauseln für Fahrlässigkeit können zur Unwirksamkeit der Forumswahl führen, wenn das gewählte Forum den Haftungsausschluss anerkennen würde); vgl. jedoch Stewart Organization, Inc. v. Ricoh Corp., 487 U.S. 22 (1988) (Gerichtsstandswahl wirksam, auch wenn der Forumsstaat solche Klauseln als insgesamt nicht anerkennensfähig betrachtet). 12 Vgl. z. B. Moses H. Cone Memorial Hospital v. Mercury Construction Corp., 460 U.S. 1, 24 (1983); Dean Witter Reynolds Inc. v. Byrd, 470 U.S. 213, 221 (1985) u. Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614 (1985). 13 Wilko v. Swan, 346 U.S. 427 (1953) und Shearson/American Express, Inc. v. McMahon, 482 U.S. 220 (1987) (Aktienhandel) sowie American Safety Equipment Corporation v. J.P. Maguire & Co., 391 F.2d 821 (2d Cir. 1968) (Wettbewerbsrecht). Obwohl auch im Hinblick auf Patentrechtsstreitigkeiten ähnliche Erwägungen zum Tragen kommen, sind diese durch ausdrückliche gesetzliche Regelung nunmehr ohne weiteres der schiedsrichterlichen Entscheidung zugänglich; vgl. 35 U.S.C. §§ 294, 135(d). 14 Scherk v. Alberto-Culver Co., 417 U.S. 506 (1974) (Aktien- und Warenzeichenrecht) und Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S.

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Forumswahl Insbesondere die Vereinbarung eines Schiedsverfahrens vor dem London Court of International Arbitration (LCIA), dem Handelsschiedsgericht der Internationalen Handelskammer (International Chamber of Commerce, ICC) in Paris, der Stockholmer Handelskammer oder der American Arbitration Association (AAA) begegnet danach regelmäßig keinen Bedenken15. Soweit diese Organisationen nicht – wie insbesondere ICC und AAA – ihre eigenen Verfahrensregeln anwenden, kommen dabei häufig auch die Schiedsgerichtsgrundsätze der United Nations Commission on International Trade Law (UNCITRAL) zur Anwendung, gegebenenfalls in den Verhältnissen des Einzelfalles angepasster Form. Schiedssprüche der vorgenannten Organisationen wie auch anderer Handelsschiedsgerichte sind nach Maßgabe der in Kapitel 2 des UNITED STATES ARBITRATION ACT (§§ 201 ff., 9 U.S.C. §§ 201 ff.) in nationales Recht umgesetzten New Yorker Schiedsgerichtskonvention anerkennungsfähig und vollstreckbar.

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III. Vermeidung doppelter Rechtshängigkeit Die gleichzeitige Anhängigkeit desselben Rechtsstreits vor einem amerikanischen und einem ausländischen Gericht führt i.d.R. nicht zur Abweisung der in den USA anhängigen Klage. Allerdings werden amerikanische Gerichte auf entsprechenden Antrag i.d.R. nicht zögern, der vor einem ausländischen Gericht nach Beginn des in den USA anhängigen Verfahrens als Kläger aufgetretenen Partei die Fortführung des im Ausland anhängig gemachten Rechtsstreits zumindest solange zu untersagen, bis das amerikanische Gericht über seine eigene Zuständigkeit entschieden hat16. Ist jedoch die Klage in den USA erst nach derjenigen vor dem ausländischen Gericht erhoben worden, so kann zwar das ame614 (1985) (Wettbewerbsrecht); beide Entscheidungen deuten allerdings an, dass spätestens im Rahmen der Prüfung der Vollstreckbarkeit des Schiedsspruches in den USA das überwiegende amerikanische Regelungsinteresse doch durchgreifen könnte, wenn das dann mit der Sache befasste Gericht zu dem Ergebnis kommt, dass die vom Schutzbereich solcher im Grundsatz zwingender Vorschriften erfasste(n) Partei(en) sich dieses Schutzes nicht durch vertragliche Vereinbarung begeben kann/können. 15 Auch viele amerikanische Bundesstaaten verfügen zwischenzeitlich über Verfahrensregelung zur außergerichtlichen Streitbeilegung im Wege von Schiedsgerichts-, Mediations- und vergleichbaren Verfahren, die teilweise sogar ausdrücklich – auch – auf internationale Handelsstreitigkeiten zugeschnitten sind. Vgl. z. B. CAL. CODE CIV.PROC. §§ 1280-1298.8 (insbes. §§ 1297.11-1297.432) u. §§ 1730-1775.15. 16 Eine vergleichbare Anordnung wäre einem amerikanischen Gericht i.d.R. nicht möglich, wenn das Parallelverfahren von einem anderen amerikanischen Gericht anhängig wäre (vgl. z. B. CAL. CIV. CODE § 3423[a]–[c]); in diesem Falle würde allerdings der Einwand der anderweitigen Rechtshängigkeit (lis pendens) zur Klageabweisung führen.

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rikanische Gericht unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles das vor ihm anhängige Verfahren bis zur Klärung der Zuständigkeit des ausländischen Gerichts aussetzen, wird dies aber nicht notwendigerweise tun, insbesondere dann nicht, wenn der Rechtsstreit einen der nach amerikanischem Verständnis mit besonderer nationaler Bedeutung versehenen Rechtsbereiche wie das Wettbewerbs-, Aktien- oder Börsenrecht zum Gegenstand hat. Setzt dann auch das gleichzeitig mit der Sache befasste ausländische Gericht von sich aus das Verfahren nicht aus – oder weist die Klage ab oder untersagt der in den USA als Kläger auftretenden Partei die Fortführung des amerikanischen Prozesses –, so ist das Zustandekommen einander widersprechender Entscheidungen im Ausland und in den USA nicht in jedem Fall zu vermeiden. Auch dies sollte bereits anfänglich im Rahmen der Forumswahl beachtet werden, ebenso wie der Umstand, dass amerikanische Gerichte ein ausländisches Urteil regelmäßig dann nicht anerkennen werden, wenn dieses dem Urteil eines amerikanischen Gerichts in demselben Rechtsstreit widerspricht17.

C. Anerkennung und Vollstreckung auswärtiger Titel 12

Aufgrund der parallelen Existenz eines Gerichtssystems sowohl auf der amerikanischen Bundesebene als auch auf der Ebene jedes einzelnen Bundesstaats kommt der wechselseitigen Urteilsanerkennung und -vollstreckung nicht nur im Verhältnis zwischen amerikanischen und ausländischen Gerichten, sondern auch zwischen den verschiedenen inneramerikanischen Gerichtssystemen erhebliche Bedeutung zu.

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Soll ein forumsfremdes Urteil vor einem amerikanischen Gericht durchgesetzt werden, bedarf es dabei regelmäßig der Einleitung eines auf Anerkennung und Vollstreckung jener Entscheidung gerichteten selbständigen Verfahrens vor dem im Einzelfall zuständigen Gericht des Bundesstaates, in dem die Vollstreckung erfolgen soll, oder vor dem gegebenenfalls jeweils konkurrierend zuständigen Bundesgericht. Grundlage der Zwangsvollstreckung ist sodann nicht in erster Linie das forumsfremde Urteil, sondern die in dem Anerkennungsverfahren selbst getroffene einheimische Entscheidung, soweit diese das auswärtige Urteil für anerken-

17 Zu der Vorgehensweise amerikanischer Gerichte im Einzelfall und den sich hieraus u. U. ergebenden Konflikte s. die nachf. Fn. 66 zitierte Rechtsprechung; zur Anerkennung ausländischer Urteile in den USA nachf. Rn. 14 ff.

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nungs- und vollstreckungsfähig erklärt18. Rein verfahrensmäßig unterscheidet sich die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile dabei im Grundsatz nicht von derjenigen der Entscheidungen eines anderen amerikanischen Forums; allerdings ist zu den Voraussetzungen ihrer Anerkennungsfähigkeit im Einzelfall ausdrücklich vorzutragen, während die Entscheidungen amerikanischer Gerichte zumeist ohne weiteres in einem anderen amerikanischen Forum durchsetzbar sind. Das Gleiche gilt im Wesentlichen auch für die Anerkennung und Vollstreckung forumsfremder Schiedssprüche. I. Urteilsanerkennung 1. Wirksamkeit und abschließender Charakter der Entscheidung Grundvoraussetzung jeder Urteilsanerkennung ist zunächst die Feststellung, dass es sich bei der betreffenden Entscheidung um ein wirksames verfahrensabschließendes Urteil handelt; wobei die Frage der Wirksamkeit der Entscheidung nach Maßgabe der Prozessordnung zu beurteilen ist, die dem erlassenen Urteil zugrunde liegt, dessen abschließender Charakter jedoch auch dann, wenn es sich um ein ausländisches Urteil handelt, zumeist nach Maßgabe der amerikanischen finality doctrine (vgl. nachf. Rn. 712)19. Ein Rückgriff auf die dem auswärtigen Urteil zugrundeliegende Prozessordnung findet allerdings zur Ermittlung von dessen etwaigen Bindungs- und Präklusionswirkungen im Rahmen eines nachfolgenden, vor dem anerkennenden Forum selbst geführten Prozesses statt20. 18 Im Verhältnis der amerikanischen Bundesgerichte untereinander bedarf es allerdings lediglich der Registrierung des von einem anderen Bundesgericht erlassenen Urteils, welches sodann bereits aufgrund des Registrierungsvorganges selbst in eine vollstreckungsfähige Entscheidung des registrierenden Gerichts umgewandelt wird; vgl. 28 U.S.C. § 1963. Ein vergleichbares Verfahren existiert auch in den Prozessordnungen einzelner Bundesstaaten; vgl. z. B. N.Y.C.P.L.R. §§ 5401-5408 und CAL. CODE CIV.PROC. §§ 1710.10-1710.65. 19 Vgl. z. B. CAL. CODE CIV.PROC. § 1713.2, N.Y.C.P.L.R. § 5302 und UNIFORM FOREIGN MONEY-JUDGMENTS RECOGNITION ACT § 2. Macht der Beklagte allerdings geltend, dass er berechtigt sei und beabsichtige, das ausländische Urteil vor einem dortigen Rechtsmittelgericht anzugreifen, oder dass ein solches Rechtsmittelverfahren bereits anhängig sei, so kann das im Rahmen des Anerkennungsverfahrens angerufene amerikanische Gericht das Verfahren bis zum Abschluss des ausländischen Rechtsmittelverfahrens aussetzen. Vgl. CAL. CODE CIV.PROC. § 1713.6, N.Y.C.P.L.R. § 5306 u. UNIFORM FOREIGN MONEY-JUDGMENTS RECOGNITION ACT § 6. 20 Durfee v. Duke, 375 U.S. 106 (1963).

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2. Anerkennungsfähigkeit a) Urteile amerikanischer Gerichte 15

Die Gerichte der amerikanischen Bundesstaaten sind im Verhältnis untereinander aufgrund einer ausdrücklichen Anordnung der amerikanischen Bundesverfassung verpflichtet, alle vom Gericht eines anderen Bundesstaats erlassenen, wirksamen abschließenden Entscheidungen anzuerkennen und in demselben Umfang durchzusetzen, in dem auch ihre eigenen Entscheidungen im Einzelfall durchsetzbar sind (sog. full faith and credit clause)21. Ebenso sind sie im Grundsatz verpflichtet, Urteile der Bundesgerichte anzuerkennen und der Vollstreckung zuzuführen. Umgekehrt sind die amerikanischen Bundesgerichte aufgrund einer bundesgesetzlichen Anordnung ebenfalls verpflichtet, Entscheidungen der Gerichte eines Bundesstaats anzuerkennen und durchzusetzen; vgl. 28 U.S.C. § 1738. Dies gilt nur in Ausnahmefällen nicht, insbesondere wenn das bundesstaatliche Urteil unter Missachtung der ausnahmsweise bestehenden ausschließlichen sachlichen Zuständigkeit der Bundesgerichte ergangen ist. Im Verhältnis der Bundesgerichte untereinander ergibt sich die wechselseitige Anerkennungspflicht i. Ü. bereits daraus, dass es sich insoweit um Justizorgane desselben staatlichen Souveräns handelt. b) Ausländische Urteile

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Ein solch uneingeschränkter Anspruch auf Anerkennung besteht demgegenüber nicht im Hinblick auf Entscheidungen ausländischer Gerichte. Insoweit erfolgt vielmehr jeweils im Einzelfall eine Prüfung, ob das Urteil unter Berücksichtigung einerseits der Ausprägung, die das im fünften und vierzehnten Zusatzartikel der amerikanischen Bundesverfassung niedergelegte Rechtsstaatsprinzip (due process clause)22 in der obergerichtlichen Rechtsprechung erfahren hat, sowie andererseits der anderen 21 Vgl. U.S.-BUNDESVERFASSUNG, Article IV § 1: „Full Faith and Credit shall be given in each State to the public Acts, Records, and judicial Proceedings of every other State.“ Zum Verfahren s. insoweit z. B. CAL. CODE CIV.PROC. §§ 1710.10-1710.65. 22 Das im fünften Zusatzartikel bereits 1791 als Bestandteil der Bill of Rights formulierte, primär die Tätigkeit der Bundesorgane betreffende Rechtsstaatsprinzip wurde durch den nach Ende des Sezessionskrieges 1868 verabschiedeten 14. Zusatzartikel ausdrücklich auf den bundesstaatlichen Bereich ausgedehnt. Vgl. U.S.-BUNDESVERFASSUNG, Amendment V: „No person shall be … deprived of life, liberty, or property, without due process of law“; Amendment XIV § 1: „No State shall … deprive any person of life, liberty, or property, without due process of law“ (Hervorhebung durch die Verfasserin).

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Anerkennung und Vollstreckung auswärtiger Titel

Rechtsordnungen gegenüber gebotenen Achtung (comity) ganz oder teilweise anerkennungsfähig ist23. aa) Dabei ist nach der Grundsatzentscheidung des U.S. Supreme Court i.S. Hilton v. Guyot24 ein ausländisches Urteil im Allgemeinen anerkennungsfähig, wenn das Urteil von einem unabhängigen, örtlich und sachlich zuständigen und insbesondere auch ausländischen Parteien gegenüber unparteilichen Gericht erlassen wurde, das zugrundeliegende Verfahren insgesamt fair gestaltet war und dabei insbesondere auch der Anspruch des Beklagten auf rechtliches Gehör durch ordnungsgemäße Klagezustellung, Ladung und umfassende Verfahrensbeteiligung hinreichend Beachtung gefunden hat, die ausländische Partei nicht aufgrund der Einzelheiten des anwendbaren materiellen Rechts unangemessen benachteiligt war, keine Anhaltspunkte für Prozessbetrug, Urteilserschleichung25 oder ähnliche im Einzelfall gegen die Anerkennungsfähigkeit des Urteils sprechende Umstände gegeben sind und Gegenseitigkeit der Urteilsanerkennung zwischen den USA und dem betreffenden ausländischen Staat verbürgt ist.

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bb) Infolge der nachfolgend in Rn. 221 ff. näher erläuterten Erie doctrine richtet sich die Anerkennungsfähigkeit ausländischer Urteile im Einzelnen heutzutage allerdings in erster Linie nach dem Recht des Bundesstaates, in dem das in den USA angerufene Gericht örtlich ansässig ist; und zwar sowohl, wenn es sich bei diesem Gericht um ein solches des betreffenden Bundesstaates selbst handelt, als auch, wenn die Parteien stattdessen nach Maßgabe von 28 U.S.C. § 1332 ein Bundesgericht angerufen haben (diversity/alienage jurisdiction; vgl. nachf. Rn. 205 ff.). Die Mehrzahl der amerikanischen Bundesstaaten haben insoweit zwischenzeitlich für die Anerkennung von auf die Zahlung einer Geldsumme gerichteten Urteilen den 1962 von der American Bar Association (ABA) und der Natio-

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23 Hilton v. Guyot, 159 U.S. 113, 202 – 203 (1895). 24 159 U.S. 113, 202 – 203 u. 227 (1895). Die Entscheidung erging allerdings vor derjenigen in Erie Railroad v. Tompkins, 304 U.S. 64 (1938) (vgl. nachf. Rn. 221 ff.) und ist deshalb im Grundsatz heute wohl nur noch eingeschränkt bindend, wenn sie auch nach wie vor starke Beachtung erfährt. 25 Prozessbetrug und Urteilserschleichung sind nach wohl überwiegender heutiger Meinung allerdings nur dann im Rahmen der Urteilsanerkennung beachtlich, wenn sie mit einer auf das Verfahren selbst einwirkenden Verletzung des rechtlichen Gehörs der unterlegenen Partei verbunden sind, z. B. bei Verhinderung einer ordnungsgemäßen Ladung und Klagezustellung (sog extrinsic fraud). Die Erwirkung eines materiell unrichtigen Urteils hingegen (z. B. aufgrund gefälschter Beweismittel, sog. intrinsic fraud) ist in erster Linie im Rechtsmittelwege vor den Gerichten des Staates geltend zu machen, die das fragliche Urteil erlassen haben. Vgl. RESTATEMENT (THIRD) OF THE FOREIGN RELATIONS LAW OF THE UNITED STATES § 482, Comment e; ausdrücklich so nunmehr z. B. auch CAL. CODE CIV.PROC. § 1713.4(b)(2).

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nal Conference of Commissioners on Uniform State Laws entworfenen UNIFORM FOREIGN MONEY-JUDGMENTS RECOGNITION ACT – teilweise in modifizierter Form – in bindendes Recht umgesetzt26. Nach § 3 dieses MODEL ACT sind ausländische Urteile im Grundsatz ebenso durchsetzungsfähig wie Urteile der Gerichte eines anderen amerikanischen Bundesstaates nach Maßgabe der verfassungsrechtlichen full faith and credit clause, es sei denn, der Anerkennung des Urteils steht im Einzelfall einer der in § 427 des model act enumerierten Gründe entgegen. 19

Nach Maßgabe von § 4 des UNIFORM ACT ist einem ausländischen Urteil die Anerkennung als abschließende Sachentscheidung zu versagen, wenn – die der Entscheidung zugrundeliegende ausländische Rechtsordnung insgesamt keine hinreichende Gewähr der Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze, insbesondere eines unparteilichen Verfahrens und des Anspruchs auf rechtliches Gehör, bietet – oder es an der örtlichen oder sachlichen28 Zuständigkeit des entscheidenden ausländischen Gerichts gefehlt hat.

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Darüber hinaus kann dem ausländischen Urteil die Anerkennung versagt werden, wenn – der Beklagte von dem ausländischen Verfahren nicht rechtzeitig genug Kenntnis erlangt hat, um sich angemessen gegen die Klage verteidigen zu können, – das Urteil auf einer Täuschung beruht oder anderweitig erschlichen ist29,

26 Vgl. z. B. CAL. CODE CIV.PROC. §§ 1713 ff. und N.Y.C.P.L.R. §§ 5301 ff. Zum Stand der Reform des Uniform Foreign Money-Judgment Recognition Act s. den derzeit aktuellen Entwurf der National Conference of Commissioners on Uniform State Laws: http://www.law.upenn.edu/bll/ulc/ufmjra/2005AMAppText.htm. Allgemein zu den sogenannten uniform und model acts s. nachf. Rn. 187. 27 I.W. wörtlich übernommen, z. B. in CAL. CODE CIV.PROC. § 1713.4, lediglich unter klarstellender Hinzufügung des Wortes „extrinsic“ im Zusammenhang mit Fällen des Prozessbetruges und der Urteilserschleichung; vgl. vorst. Fn. 25. 28 Die mangelnde sachliche Zuständigkeit des ausländischen Gerichts ist z. B. nach Maßgabe von N.Y.C.P.L.R. § 5304(b)1 allerdings lediglich ein fakultativer Nichtanerkennungsgrund. 29 Vgl. insoweit jedoch vorst. Fn. 25 (wohl überwiegend nur schwerwiegende Verfahrensmängel, sog. extrinsic fraud).

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Anerkennung und Vollstreckung auswärtiger Titel

– der geltend gemachte Anspruch dem ordre public des amerikanischen Bundesstaates, in dem die Durchsetzung des Urteils begehrt wird, widerspricht, – das Urteil im Widerspruch zu einer anderen die Parteien bindenden Endentscheidung steht30, – das Urteil unter Missachtung einer Gerichtsstands- oder Schiedsabrede oder einer anderweitigen Vereinbarung der Parteien zur Beilegung der betreffenden Streitigkeit zustande gekommen ist, – dem Beklagten die Klage durch persönliche Übergabe zugestellt worden ist31, auch wenn es sich bei dem angerufenen ausländischen Gericht um ein unzweifelhaft unangemessenes Forum für den fraglichen Rechtsstreit gehandelt hat (sog. forum non conveniens; eingehend insoweit nachf. Rn. 275 ff.), – sowie aus vergleichbaren Gründen nach gerichtlichem Ermessen. Hervorzuheben ist in Bezug auf den UNIFORM ACT insbesondere, dass das Reziprozitätserfordernis, an dem die Anerkennung des ausländischen Urteils in Hilton v. Guyot noch gescheitert war32, dort vollkommen aufgegeben ist33; im Gegensatz

30 Dies gilt insbesondere dann, wenn die entgegenstehende Entscheidung eine solche eines amerikanischen Gerichts ist und der Rechtsstreit wettbewerbs-, börsen-, aktienrechtliche oder vergleichbare, in den USA als besonders bedeutsam betrachtete Fragen zum Gegenstand hat, die nach der Auffassung der amerikanischen Gerichte die Durchsetzung amerikanischen Rechts u. U. auch dann gebieten, wenn sich hierdurch Konflikte mit den Rechtsordnungen ausländischer Staaten nicht vermeiden lassen. Zu Einzelheiten s. insoweit die Fn. 66 zitierte Rechtsprechung. 31 Gemeint sind v.a. Fälle der Übergabe an den Beklagten an einem anderen Ort als dessen Wohn- oder Geschäftssitz, also Fälle der sogenannten tag jurisdiction, bei der die (zuständigkeitsbegründende) Zustellung von Ladung und Klageschrift durch persönliche Übergabe während der – auch nur kurzfristigen – Anwesenheit des Beklagten im Bezirk des angerufenen Gerichts erfolgt. Zu Einzelheiten vgl. insoweit nachf. Rn. 247–248. 32 159 U.S. 113, 227 (1895) unter Verweis darauf, dass das Gegenseitigkeitserfordernis fester Bestandteil des Internationalen Zivilprozessrechts sei. 33 Ebenso CAL. CODE CIV.PROC. § 1713.4 und N.Y.C.P.L.R. § 5304. Bestreitet der vor einem amerikanischen Gericht in Anspruch genommene Beklagte die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts und trifft jenes insoweit eine ausdrücklich bejahende Entscheidung, so ist diese Entscheidung im Interesse der Rechtssicherheit auch im Rahmen des nachfolgenden Anerkennungsverfahren vor dem Gericht eines anderen U.S.-Bundesstaates bindend, selbst dann, wenn sie sich nachträglich als verfehlt herausstellt; vgl. Durfee v. Duke, 375 U.S. 106 (1963) und Baldwin v. Iowa State Traveling Ass’n, 283 U.S. 522

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Forumswahl und wechselseitige Urteilsanerkennung zu einigen der bundesstaatlichen Umsetzungsgesetze; vgl. z. B. FLA. ST. § 55.605 (Florida).

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cc) Für die Urteilsanerkennung hinreichende Grundlagen der örtlichen Zuständigkeit des angerufenen ausländischen Gerichts – unter Berücksichtigung der Grundsätze der personal jurisdiction, vgl. nachf. Rn. 244 ff. – sind nach Maßgabe von § 5 des UNIFORM ACT34: – Die zuständigkeitsbegründende persönliche Übergabe von Ladung und Klageschrift an den Beklagten, insbesondere auch unter Berücksichtigung der Grundsätze der tag jurisdiction, vgl. nachf. Rn. 247–248; – die konkludente Einlassung auf das ausländische Verfahren durch schlichte Beteiligung an diesem; dies gilt jedoch nicht, wenn die vom Beklagten vorgenommenen Prozesshandlungen lediglich dem Bestreiten der gerichtlichen Zuständigkeit oder der Abwendung einer vorläufigen Beschlagnahme seines Vermögens dienten35; – die ausdrückliche Einwilligung des Beklagten in die Sachentscheidung durch das angerufene ausländische Gericht (z. B. im Rahmen einer Gerichtsstandsvereinbarung);

(1931). Inwieweit dies – ungeachtet § 5 des UNIFORM ACT und der hierauf beruhenden bundesstaatlichen Kodifikationen – auch für die Anerkennung ausländischer Urteile gelten soll, ist noch nicht abschließend geklärt; allerdings scheint (im Einklang mit den z. B. auch im Rahmen von Rechtsmittelentscheidungen angelegten Prüfungsmaßstäben; vgl. nachf. Rn. 750 ff.) eine auf tatsächliche Feststellungen gegründete zuständigkeitsbejahende Entscheidung insgesamt eher als bindend angesehen zu werden als eine auf rein rechtliche Erwägungen gestützte Entscheidung. S. z. B. RESTATEMENT (THIRD) OF THE FOREIGN RELATIONS LAW OF THE UNITED STATES § 482 Comment c und Reporter’s Note 3. 34 I.W. wortgleich, z. B. CAL. CODE CIV.PROC. § 1713.5 und N.Y.C.P.L.R. § 5305. 35 Gedacht ist hierbei v.a. an Verfahren, die einem zuständigkeitsbestreitenden Antrag nach Maßgabe von FRCP Rule 12(b)(2) oder einer limited appearance vergleichbar sind. Vgl. insoweit nachf. Rn. 356 sowie zu einem entsprechenden Rechtsinstitut des englischen Rechts („conditional appearance“) Somportex Ltd. v. Philadelphia Chewing Gum Corp., 543 F.2d 435, cert. denied, 405 U.S. 1017 (1972) und Somportex, Ltd. v. Philadelphia Chewing Gum Corporation, [1968] 3 All E.R. 26 (U.K. Court of Appeal, 1968). Aufgrund der Verpflichtung der Parteien nach Maßgabe von §§ 273 ff. ZPO, im Verfahren vor deutschen Gerichten stets umfassend zu allen Sach- und Rechtsfragen des Einzelfalles vorzutragen, wird diese Ausnahme zugunsten deutscher Parteien kaum eingreifen.

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– der Wohn- oder Haupt-Geschäftssitz des Beklagten im Zuständigkeitsbezirk des angerufenen ausländischen Gerichts; – die Geschäftstätigkeit des Beklagten im Bezirk des angerufenen ausländischen Gerichts; allerdings nur dann, wenn der geltend gemachte Anspruch konkret auf dieser Tätigkeit beruht36; – oder der Betrieb eines Kraftfahrzeuges oder Flugzeugs im Bezirk des angerufenen ausländischen Gerichts durch den Beklagten, soweit der geltend gemachte Anspruch gerade hierauf beruht. dd) Nicht notwendigerweise der Durchsetzung eines ausländischen Urteils entgegenstehend ist der Umstand, dass der Beklagte vor dem ausländischen Gericht keine Sacheinwendungen gegen die geltend gemachte Forderung erhoben hat; zumindest dann, wenn keine Verletzung seines Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs erkennbar ist (wie z. B. beim Vorliegen schwerwiegender Verfahrensfehler im Zusammenhang mit der Ladung und Klagezustellung). Handelt es sich bei dem ausländischen Urteil allerdings um ein Versäumnisurteil, können Sacheinwendungen auch im Anerkennungsverfahren vor dem insoweit in den USA angerufenen Gericht noch geltend gemacht werden, welches dann insoweit eine erneute Prüfung vornimmt und das ausländische Urteil in der Sache nicht als abschließend betrachten muss37.

36 „Doing business“, jedoch im Gegensatz zu (z. B.) N.Y.C.P.L.R. § 302(1)(a) nicht als Anwendungsfall der sog. general jurisdiction, sondern nur unter den Voraussetzungen der special jurisdiction. Vgl. im Einzelnen nachf. Rn. 263–264. 37 Somportex Ltd. v. Philadelphia Chewing Gum Corp., 543 F.2d 435, cert. denied, 405 U.S. 1017 (1972) (zu der vorausgehenden englischen Entscheidung s. Somportex, Ltd. v. Philadelphia Chewing Gum Corporation, [1968] 3 All E.R. 26 [U.K. Court of Appeal, 1968]); ebenso wohl auch im Grundsatz BGHZ 52, 31 ff. zur Anerkennung amerikanischer Versäumnisurteile in der Bundesrepublik. (Ob es sich in dem den vorgenannten Entscheidungen in Somportex zugrundeliegenden Fall tatsächlich um ein Versäumnisurteil handelte, kann aufgrund der Besonderheiten des damals geltenden englischen Rechts allerdings als zweifelhaft betrachtet werden.) Da in einem deutschen Prozess nach Maßgabe von §§ 330, 333 ZPO ein Versäumnisurteil gegen den nicht erschienenen oder nicht verhandelnden Kläger ohne jede Schlüssigkeitsprüfung ergeht und gemäß § 331 Abs. 1 ZPO der Vortrag des nicht säumigen Klägers bei Erlass eines Versäumnisurteils gegen den Beklagten lediglich als zugestanden gilt, ließe sich im Rahmen eines Anerkennungsverfahrens in den USA hieraus u. U. ableiten, dass auch Versäumnisurteile deutscher Gerichte keine abschließende Sachentscheidung im Sinne der amerikanischen finality doctrine darstellen. Hiergegen spricht allerdings, dass das Gericht bei mangelnder Schlüssigkeit der Klage sowie bei Nichtvorliegen der von Amts wegen zu prüfenden Prozess-

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ee) Generell nicht zur Anerkennung verpflichtet sind amerikanische Gerichte schließlich in Bezug auf Urteile in Steuersachen und Strafurteile, denn diese gelten als so eng mit der Ausübung der Hoheitsgewalt ihrer jeweiligen Herkunftsstaaten verbunden, dass das Tätigwerden amerikanischer Gerichte in diesem Zusammenhang – insbesondere eine Verweigerung der Anerkennung nach erneuter vollumfänglicher Sach- und Rechtsprüfung unter Berücksichtigung aller zugrundeliegenden Umstände des Einzelfalles – regelmäßig mit der Achtung vor der Souveränität des betreffenden ausländischen Staates nicht vereinbar ist38. Diese sogenannte revenue rule ist ein enges Korrelat der act of state doctrine, die amerikanischen Gerichten grundsätzlich die Überprüfung des souveränen staatlichen Handelns (insbesondere von Akten der Exekutive und der Legislative eines anderen Staates) untersagt, selbst wenn die Vereinbarkeit der fraglichen Akte mit anerkannten Grundsätzen des Völkerrechts im Einzelfall zweifelhaft ist39, sowie der Immunität ausländischer Staaten von der Inanspruchnahme vor amerikanischen Gerichten nach Maßgabe der sovereign immunity doctrine40. Folge der revenue voraussetzungen eine Klageabweisung ungeachtet der Säumnis im Wege eines „unechten“ Versäumnisurteils erfolgen kann. 38 Banco Nacional de Cuba v. Sabbatino, 376 U.S. 398, 413 – 414 u. 448 (1964) und Moore v. Mitchell, 30 F.2d 600, 604 (2d Cir. 1929), aff’d on other grounds, 281 U.S. 18 (1930) (revenue rule). 39 Grundlegend insoweit Banco Nacional de Cuba v. Sabbatino, 376 U.S. 398 (1964). Dies gilt allerdings nur für hoheitliches, nicht für wirtschaftliches Handeln eines ausländischen Staates (vgl. Alfred Dunhill of London, Inc. v. Republic of Cuba, 425 U.S. 682 [1976] u. RESTATEMENT [THIRD] OF THE FOREIGN RELATIONS LAW OF THE UNITED STATES § 443, Reporter’s Note 6) und ggf. auch dann nicht, wenn ein bilaterales Übereinkommen zwischen den USA und dem betreffenden anderen Staat etwas anderes vorsieht; vgl. Banco Nacional de Cuba v. Sabbatino, 376 U.S. 398 (1964) (dicta) und Kalamazoo Spice Extraction Co. v. Government of Socialist Ethiopia, 729 F.2d 422 (1984); anders jedoch insoweit Callejo v. Bancomer, S.A., 764 F.2d 1101 (5th Cir. 1985). Der exakte Geltungsumfang der act of state doctrine ist in den USA – selbst unter den Richtern des U.S. Supreme Court – hoch umstritten; insbesondere dann, wenn die amerikanische Bundesregierung zu erkennen gibt, dass sie die Anwendung dieser Grundsätze im Einzelfall für politisch inopportun hält. Instruktiv hierzu First National City Bank v. Banco Nacional de Cuba, 406 U.S. 759 (1972) und RESTATEMENT (THIRD) OF THE FOREIGN RELATIONS LAW OF THE UNITED STATES § 443, comment h u. Reporter’s Note 8 (1987); zur – i.E. nicht sehr weit reichenden – gesetztlichen Einschränkung der act of state doctrine s. des Weiteren auch FOREIGN ASSISTANCE ACT § 620(e)(2), 22 U.S.C. § 2370(e)(2) und Lowenfeld, The Sabbatino Amendment – International Law Meets Civil Procedure, 59 AM.J.INT’L L. 899 (1965). 40 Grundlegend The Schooner Exchange v. McFaddon, 11 U.S. (7 Cranch) 116 (1812); zur modernen Ausprägung dieser Grundsätze s. Victory Transport, Inc. v. Comisaria General de Abastecimientos y Transportes, 336 F.2d 354 (2d Cir. 1964), cert. denied, 381 U.S. 934 (1965). Nach Maßgabe des FOREIGN SOVEREIGN IMMUNITIES ACT (FSIA, 28 U.S.C. §§ 1602 ff.) sind hiervon allerdings ausgenommen Rechtsstreitigkeiten, in denen der ausländische Staat auf den Schutz der Immu-

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Anerkennung und Vollstreckung auswärtiger Titel rule ist allerdings – im Gegensatz insbesondere zu den Auswirkungen der act of state doctrine – nicht der vollständige Wegfall der Anerkennungsfähigkeit ausländischer Steuer- und Strafurteile; vielmehr sind amerikanische Gerichte weiterhin berechtigt, auch solche Urteile anzuerkennen, wenn insoweit ansonsten die allgemeinen Voraussetzungen der Anerkennungsfähigkeit vorliegen41. Etwas anderes gilt des Weiteren insoweit, als durch ein Abkommen zwischen den USA und dem betreffenden ausländischen Staat gerade auch die Anerkennungsfähigkeit dieser Urteile geregelt ist42.

II. Urteilsvollstreckung Die meisten Urteile sind für die Dauer von zehn Jahren nach ihrem Erlass vollstreckbar, wobei die Frist auf Antrag allerdings um regelmäßig jeweils zehn weitere Jahre verlängert werden kann43. Das Vollstreckungsverfahren als solches richtet sich, gleichgültig ob der zugrundeliegende Rechtsstreit vor einem U.S.-Bundesgericht oder dem Gericht eines Bundesstaates geführt wurde, im Grundsatz nach der Prozessordnung desjenigen Staates, in dem das angerufene Gericht örtlich ansässig ist (vgl. FRCP Rule 69[a]); allerdings können die Bundesgerichte im Einzelfall im Inter-

nität verzichtet hat, die auf die wirtschaftliche Betätigung jenes Staates oder einer seiner Institutionen in den USA (oder mit Auswirkungen in den USA) gegründet sind, oder die bestimmte in den USA belegene Eigentumsansprüche, Ansprüche wegen unerlaubter Handlungen oder see(handels)rechtliche Ansprüche zum Gegenstand haben. S. im Einzelnen 28 U.S.C. § 1605. Zuständig sind für solche Rechtsstreitigkeiten vorrangig – jedoch nicht ausschließlich – die Bundesgerichte, die ohne Hinzuziehung einer Jury entscheiden; vgl. 28 U.S.C. § 1330. Zu Auslegung und Grenzen des FSIA s. Republic of Argentina v. Weltover, Inc., 112 S.Ct. 2160 (1992); Texas Trading & Milling Corp. v. Federal Republic of Nigeria, 647 F.2d 300 (2d Cir. 1981), cert. denied, 454 U.S. 1148 (1982) und Vencedora Oceanica Navigacion, S.A. v. Compagnie Nationale Algerienne de Navigation (C.N.A.N.), 730 F.2d 195 (5th Cir. 1984); zur Vollstreckung von Urteilen gegen ausländische Staaten und ihre Institutionen (auch nach Maßgabe des FSIA) eingehend BVerfGE 46, 342 ff. 41 Bullen v. Her Majesty’s Government of the United Kingdom, 553 So.2d 1344 (Fla. App. 1989); vgl. auch RESTATEMENT (THIRD) OF THE FOREIGN RELATIONS LAW OF THE UNITED STATES § 483. 42 Her Majesty the Queen in Right of Province of British Columbia v. Gilbertson, 597 F.2d 1161 (1979) (Steuersachen). Ausgenommen sind im strafrechtlichen Bereich des Weiteren auch Auslieferungsverfahren und andere Formen der Rechtshilfe aufgrund wechselseitiger Abkommen; s. RESTATEMENT (THIRD) OF THE FOREIGN RELATIONS LAW OF THE UNITED STATES §§ 475-478. 43 Typisch sind insoweit z. B. die Regelungen in CAL. CODE CIV.PROC. §§ 683.010-683.220.

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esse der Verfahrensförderung auch hiervon abweichende Anordnungen treffen44. 1. Allgemeine Verfahrensgrundsätze a) Vollstreckungsbefehl 26

Eingeleitet wird das Vollstreckungsverfahren auf Antrag des Gläubigers durch Erlass eines Vollstreckungsbefehls (writ of execution), der auf Bundesebene regelmäßig dem zuständigen federal marshall zur Ausführung übersandt wird, auf der Ebene der Bundesstaaten entsprechend i.d.R. dem zuständigen sheriff45. b) Discovery

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Von Bedeutung im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens ist des Weiteren insbesondere, dass dem Gläubiger zur Ermittlung des vollstreckungsfähigen Vermögens des Schuldners die vollen discovery-Rechte zustehen (vgl. insoweit im Einzelnen Kapitel 6); er kann also insbesondere vom Schuldner Auskunftserteilung in Form der Beantwortung schriftlich gestellter Fragen (interrogatories) sowie durch Vorlage von Urkunden, Abgabe eines bindenden Geständnisses und eidlicher Vernehmung des Schuldners selbst und dritter Personen verlangen; vgl. FRCP Rule 69(a)46. 2. Vollstreckung einzelner Urteilstypen a) Geldzahlungsurteile

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Für Urteile auf Zahlung einer Geldsumme ergeben sich die Vollstreckungsmethoden im Verfahren vor den Bundesgerichten in erster Linie 44 United States v. Harkins Builders, Inc., 45 F.3d 830, 833 (4th Cir. 1995); zu den Grenzen vgl. Credit Suisse v. U.S. District Court for the Central District of California, 130 F.3d 1342, 1344 (9th Cir. 1997). 45 Vgl. z. B. CAL. CODE CIV.PROC. §§ 684.130, 684.140. 46 Dabei ist im Verfahren vor den Bundesgerichten ein Rückgriff sowohl auf die discovery-Vorschriften der FEDERAL RULES OF CIVIL PROCEDURE als auch auf diejenigen der ansonsten auf das Vollstreckungsverfahren nach Maßgabe von FRCP Rule 69(a) anwendbaren bundesstaatlichen Prozessordnung zulässig; vgl. Natural Gas Pipeline Co., of America v. Energy Gathering, Inc., 2 F.3d 1397, 1403 (5th Cir. 1993), cert. denied, 510 U.S. 1073 (1994). Nicht selten sehen die Prozessordnungen der Bundesstaaten insoweit auch gesonderte Rechte zugunsten des Vollstreckungsgläubigers vor; vgl. z. B. CAL. CODE CIV.PROC. §§ 708.010-708.205.

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Anerkennung und Vollstreckung auswärtiger Titel

aus 28 U.S.C. §§ 2001 ff.; danach erfolgt die Vollstreckung durch Beschlagnahme und Verwertung des persönlichen, keinen Vollstreckungsschutzvorschriften unterliegenden Vermögens des Schuldners bis zur Höhe des Vollstreckungsbetrages zuzüglich Zinsen und Kosten47. Reicht das unmittelbar im Besitz des Schuldners befindliche Vermögen nicht aus, kann im Einzelfall auch ein Drittschuldner in Anspruch genommen werden, z. B. der Arbeitgeber des Schuldners mit Rücksicht auf dessen Lohnansprüche (garnishment of wages)48.

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b) Nicht auf Zahlung einer Geldsumme gerichtete Urteile Unterlassungsurteile sowie Urteile, die eine Vermögensverwaltung anordnen, und u. U. auch bestimmte, die positive Feststellung einer Verpflichtung enthaltende Feststellungsurteile werden i.d.R. in Form sogenannter contempt proceedings vollstreckt, wobei im Rahmen des civil contempt entweder die Zahlung eines Ausgleichsbetrages vom Schuldner unmittelbar an den Gläubiger oder die Verhängung eines Beugemittels (Beugegeld oder -haft) zur Erzwingung der Urteilsbefriedigung angeordnet wird, im Rahmen des criminal contempt die Verhängung eines Ordnungsmittels (Ordnungsgeld oder -haft) als Sanktion der Zuwiderhandlung gegen den Urteilsspruch49.

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c) Handlungsurteile Die Vollstreckung von Urteilen auf Vornahme einer Handlung – wie insbesondere der Mitwirkung bei der Übertragung von Grundeigentum – erfolgt schließlich durch Anordnung der Vornahme der notwendigen Handlungen durch eine vom Gericht zu bestimmende dritte Person; befindet sich der von der Handlung betroffene Vermögensgegenstand innerhalb des Bezirks des entscheidenden Gerichts, darüber hinaus auch durch ge-

47 Ebenso im Grundsatz z. B. CAL. CODE CIV.PROC. §§ 695.010 ff.; Zinsen fallen in Höhe von 10 % p.a. ab Urteilserlass an (CAL. CODE CIV.PROC. §§ 685.010, 685.020). 48 Vgl. z. B. CAL. CODE CIV.PROC. §§ 701.010-701.070 u. §§ 706.010-706.154; befindet sich der Vollstreckungsgegenstand im Besitz eines Dritten, kann dieser notfalls auch klageweise in Anspruch genommen werden (CAL. CODE CIV.PROC. §§ 708.210-708.290). 49 Vgl. z. B. Gunn v. University Committee to End the War in Viet Nam, 399 U.S. 383 (1970) (Unterlassungsurteil); allgemein s.a. CAL. CODE CIV.PROC. §§ 717.010 u. 1209-1222.

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richtliche Anordnung des Eigentumswechsels als solchen, verbunden u. U. mit einer Anordnung der Inbesitznahme durch den Vollstreckungsbeamten; vgl. FRCP Rule 7050. 3. Vollstreckungsschutz 32

Beabsichtigt der Schuldner, Einwände gegen den Bestand des Vollstreckungstitels als solchen geltend zu machen, so werden diese regelmäßig entweder in Form einer motion for relief from judgment im Rahmen des Verfahrens, in dem die angegriffene Entscheidung selbst ergangen ist, vgl. FRCP Rule 60(b), oder im Ausnahmefall einer selbständigen Klage geltend gemacht. a) Motion for Relief from Judgment

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Eine motion for relief from judgment ist im Wesentlichen unter den gleichen Voraussetzungen zulässig wie ein Antrag auf Aufhebung eines Versäumnisurteils; vgl. nachf. Rn. 509 ff. Mit Ausnahme der Nichtigkeit des Urteils, bei deren Vorliegen regelmäßig ein Anspruch auf (formelle) Aufhebung bestehen wird51, liegt die Entscheidung insoweit jedoch im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts, dessen Ausübung niemals nur auf dem Nachweis des Vorliegens der Aufhebungsvoraussetzungen, sondern stets auf einer Interessenabwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und insbesondere auch des Vertrauensschutzes der begünstigten Partei beruht52. Lehnt das angerufene Gericht die Urteilsaufhebung ab, so erstreckt sich die Überprüfung des Rechtsmittelgerichts nur auf die Ermessensfehlerhaftigkeit der ablehnenden Entscheidung selbst, nicht auch auf die Richtigkeit des zugrundeliegenden Urteils53.

50 Zu den Verfahrenseinzelheiten vgl. insoweit CAL. CODE CIV.PROC. §§ 714.010-716.030 sowie Baicker-McKee, Janssen, Corr, Federal Civil Rules Handbook, Authors’ Commentary on Rule 70. 51 Vgl. Carter v. Fenner, 136 F.3d 1000, 1005-1006 (5th Cir.), cert. denied, 525 U.S. 1041 (1998) und Robinson Eng’g Co. Pension Plan & Trust v. George, 223 F.3d 445 (7th Cir. 2000) (auch zu den Voraussetzungen der Nichtigkeit). 52 McCurry ex rel. Turner v. Adventist Health Sys./Sunbelt, Inc., 298 F.3d 586, 492 (6th Cir. 2002). Zu den einzelnen Aufhebungsvoraussetzungen vgl. des Weiteren Baicker-McKee, Janssen, Corr, Federal Civil Rules Handbook, Authors’ Commentary on Rule 60(b) m. zahlr. w. N. 53 Browder v. Director, 434 U.S. 257, 263 n. 7 (1978).

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b) Klage auf Urteilsaufhebung oder Unterlassung der Zwangsvollstreckung Wesentlich seltener und nur dann, wenn der Fortbestand des Urteils als Vollstreckungstitel schlechterdings im Gerechtigkeitsinteresse nicht hinnehmbar ist, kann der Schuldner Einwände auch im Wege einer selbständigen Klage anbringen, die entweder auf Aufhebung der angegriffenen Entscheidung, Feststellung von deren Unwirksamkeit oder auf Unterlassung der Zwangsvollstreckung aus der angegriffenen Entscheidung gerichtet ist und regelmäßig bei dem Gericht anhängig gemacht wird, das jene Entscheidung erlassen hat54.

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Eine solche eigenständige Klage wird jedoch nur dann erfolgreich sein, wenn zur Überzeigung des Gerichts kumulativ die folgenden Voraussetzungen vorliegen55:

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– Hinreichende Erfolgsaussichten des Beklagten in der Sache, – die unverschuldete Verhinderung des Beklagten an der Verteidigung gegen die Klage in dem ursprünglichen Verfahren, – das Fehlen anderer Möglichkeiten für den Beklagten, die Aufhebung des Urteils geltend zu machen oder die Vollstreckung aus diesem zu verhindern, – und die Feststellung der groben Unbilligkeit und materiellen Ungerechtigkeit einer Vollstreckung aus dem angegriffenen Urteil aufgrund einer Interessenabwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles.

Des Nachweises der vorgenannten Voraussetzungen bedarf es lediglich dann nicht, wenn das Urteil auf einem Prozessbetrug der begünstigten Partei beruht (fraud on the court)56.

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c) Drittwiderspruchsklage Eine Reihe bundesstaatlicher Prozessordnungen räumen schließlich auch einem Dritten, der Rechte hinsichtlich eines der Zwangsvollstreckung unterliegenden Vermögensgegenstandes des Schuldners hat, eine in etwa der

54 United States v. Beggerly, 524 U.S. 38 (1998). 55 Great Coastal Express, Inc. v. International Bhd. of Teamsters, Chauffeurs, Warehousemen & Helpers of America, 675 F.2d 1349, 1358 (4th Cir. 1982), cert. denied, 459 U.S. 1128 (1983). 56 Universal Oil Prods. Co. v. Root Refining Co., 328 U.S. 575 (1946) und HazelAtlas Glass Co. v. Hartford-Empire Co., 322 U.S. 238 (1944).

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Drittwiderspruchsklage nach Maßgabe von § 771 ZPO vergleichbare Klagemöglichkeit ein57. III. Anerkennung von Schiedssprüchen 1. Voraussetzungen 38

Nach Maßgabe von Artikel V der in den USA durch Kapitel 2 des UNITED STATES ARBITRATION ACT (§§ 201 ff., 9 U.S.C. §§ 201 ff.) in nationales Recht umgesetzten New Yorker Schiedsgerichtskonvention kann (muss jedoch nicht) die Anerkennung eines Schiedsspruches versagt werden, wenn und soweit – die Parteien der Schiedsabrede geschäftsunfähig oder anderweitig daran gehindert waren, durch bindende Erklärungen am Rechtsverkehr teilzunehmen, – der Anspruch der im Einzelfall unterlegenen Partei auf Gewährung rechtlichen Gehörs missachtet worden ist58, – das Schiedsgericht die durch die Schiedsabrede gesetzten Grenzen seiner sachlichen Zuständigkeit überschritten hat59, 57 Vgl. z. B. CAL. CODE CIV.PROC. §§ 720.010-720.800; Grundlage der Klage können danach nur Eigentums-, Besitz- und pfandrechtlich gesicherte Ansprüche sein (s. CAL. CODE CIV.PROC. §§ 720.110, 720.210). 58 Dies ist jedoch nicht der Fall, wenn ein von der benachteiligten Partei benannter Zeuge aus Gründen, die in seiner eigenen Person liegen, nicht vor dem Schiedsgericht aussagen kann. Vgl. Parsons & Whittemore Overseas Co., Inc. v. Societe Generale de l’Industrie du Papier (RAKTA), 508 F.2d 969 (1974). 59 Insoweit spricht nicht nur die Vermutung dafür, dass die schiedsrichterliche Entscheidung die Grenzen der im Einzelfall gewährten sachlichen Zuständigkeit nicht überschreitet; dem angerufenen Gericht ist es insoweit auch untersagt, die materiellrechtlichen Würdigungen des Schiedsgerichts durch seine eigene Rechtsansicht zu ersetzen. Parsons & Whittemore Overseas Co., Inc. v. Societe Generale de l’Industrie du Papier (RAKTA), 508 F.2d 969 (1974) und Carte Blanche (Singapore) Pte., Ltd. v. Carte Blanche International, Ltd., 888 F.2d 260, 265 – 267 (2d Cir. 1989). Ebenso – auch für den nach der Rechtsprechung in U.S. ARBITRATION ACT § 10, 9 U.S.C. § 10 implizit geregelten weiteren Ausnahmegrund der offensichtlichen Missachtung bindender Rechtsgrundsätze (manifest disregard of the law) – Wilko v. Swan, 346 U.S. 427, 436 (1953); Saxis Steamship Co., v. Multifacs International Traders, Inc., 375 F.2d 577, 582 (2d Cir. 1967) und Amicizia Societa Navegazione v. Chilean Nitrate and Iodine Sales Corp., 274 F.2d 805, 808 (2d Cir. 1960). Gegen die Anwendbarkeit der manifest disregard of the law doctrine im Rahmen der Anerkennung und Vollstreckung internationaler Schiedssprüche jedoch Brandeis Intsel, Ltd. v. Calabrian

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Anerkennung und Vollstreckung auswärtiger Titel

– das Schiedsgericht nicht ordnungsgemäß besetzt war, – der Schiedsspruch noch nicht verbindlich oder von einem Gericht nachträglich für nicht bindend erklärt worden ist60, – der Gegenstand der Entscheidung des Schiedsgerichts nach Maßgabe des Rechts des Staates, in dem die Vollstreckung betrieben wird, nicht der schiedsrichterlichen Entscheidung unterworfen ist61 – oder die Vollstreckung der Schiedsabrede dem ordre public jenes Staates widersprechen würde.62 Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines oder mehrerer dieser Umstände trifft dabei stets die Partei, die sich hierauf beruft63.

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2. Vorläufiger Rechtsschutz Während im Rahmen eines Gerichtsverfahrens in den USA grundsätzlich von Anfang an die Sicherung des klägerischen Anspruchs durch Beschlagnahme von Vermögenswerten des Beklagten möglich ist, vgl. Rn. 242, Chemicals Corp., 656 F.Supp. 160, 165 (S.D.N.Y. 1987), vgl. auch U.S. ARBITRAACT § 207, 9 U.S.C. § 207 (die in Artikel V der New Yorker Konvention geregelten Ausnahmegründe sind abschließend). Während der Anhängigkeit eines solchen Anfechtungsverfahrens kann ein etwa gleichzeitig anhängiges Vollstreckungsverfahren nach Maßgabe von Artikel VI der New Yorker Konvention ausgesetzt werden; auch dies ist jedoch nach dem klaren Wortlaut der Vorschrift fakultativ, und auch im Rahmen eines solchen Verfahrens erfolgt keine vollständige erneute Prüfung der Sach- und Rechtslage durch das angerufene Gericht; vgl. Int’l Standard Electric Corp. v. Bridas Sociedad Anonima Petrolera, Industrial y Comercial, 745 F.Supp. 172, 178 (S.D.N.Y. 1990). In den USA fallen hierunter insbesondere aktien- und wettbewerbsrechtliche Abreden; vgl. vorst. Rn. 9. Allerdings sind ausländische Schiedssprüche, die den Anforderungen von 9 U.S.C. § 208 entsprechen, in den USA auch dann anerkennungsfähig und vollstreckbar, wenn sich die vertragliche Schiedsklausel zur Vollstreckung nicht äußert und deshalb für einen vergleichbaren inneramerikanischen Schiedsspruch Vollstreckbarkeit nicht gegeben wäre. Phoenix AG v. Ecoplas, Inc., 2004 WL 2828 941 (2 d Cir. 2004). Dies ist nur dann der Fall, wenn fundamentale Grundprinzipien der betreffenden Rechtsordnung verletzt sind; vgl. Parsons & Whittemore Overseas Co., Inc. v. Societe Generale de l’Industrie du Papier (RAKTA), 508 F.2d 969 (1974); ebenso außerhalb des Kontextes der New Yorker Konvention bereits Loucks v. Standard Oil Co., 224 N.Y. 99, 111 (1918). Parsons & Whittemore Overseas Co., Inc. v. Societe Generale de l’Industrie du Papier (RAKTA), 508 F.2d 969 (1974); Contini, International Commercial Arbitration, 8 AM.J.COMP.L., 283, 299 (1959). TION

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Forumswahl und wechselseitige Urteilsanerkennung

steht eine solche Möglichkeit nach der Rechtsprechung einiger amerikanischer Gerichte während der Anhängigkeit eines Schiedsverfahrens nicht zur Verfügung, obwohl die Mehrheit der Schiedsordnungen im Grundsatz die Anrufung ordentlicher Gerichte im Wege eines Antrages auf einstweilige Verfügung vorsieht64.

D. Geltungsreichweite der amerikanischen Gesetzgebung 41

Eng verbunden sowohl mit der Rechts- und Forumswahl als auch mit der wechselseitigen Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen sowie mit der Achtung der souveränen Hoheitsgewalt anderer Staaten ist schließlich die Frage der Geltungsreichweite der amerikanischen Gesetzgebung als solcher. Dies ist nach der Rechtsprechung der amerikanischen Gerichte in aller Regel unter Berücksichtigung insbesondere des gesetzgeberischen Willens im Einzelfall zu ermitteln, betrifft jedoch insbesondere in den Bereichen des Urheber-, Wettbewerbs-, Börsen- und Aktienrechts oftmals auch das Verhältnis zwischen der amerikanischen und einer ausländischen Rechtsordnung. So können insbesondere wettbewerbsregulierende Absprachen u. U. auch dann dem amerikanischen Kartellrecht65 unterfallen, wenn diese zwar in erster Linie das Verhalten der Beteiligten in ausländischen Märkten regeln, jedoch auch Auswirkungen auf den amerikanischen Markt haben (effects doctrine)66. Allerdings steht die ge64 Vgl. ICC RULES OF ARBITRATION Art. 8(5), UNCITRAL RULES Art. 26(3) und AAA INTERNATIONAL RULES Art. 22; gegen den Erlass einer einstweiligen Verfügung z. B. McCreary Tire & Rubber Co. v. CEAT S.P.A., 501 F.2d 1032, 1038 (3d Cir. 1974) (Umgehung des schiedsgerichtlichen Prärogativs nach Artikel II[3] der New Yorker Konvention); ebenso Cooper v. Ateliers de la Motobecane, S.A., 57 N.Y.2d 408, 415 (1982). Anders jedoch Carolina Power & Light Co. v. Uranex, 451 F.Supp. 1044, 1051 (N.D. Cal. 1977); kritisch Becker, Attachment in Aid of International Arbitration, 1 ARB.INT’L 40 (1985). 65 In erster Linie SHERMAN ACT, 15 U.S.C. §§ 1-7, CLAYTON ACT, 15 U.S.C. §§ 12-27 u. 44, FEDERAL TRADE COMMISSION ACT, 15 U.S.C. §§ 41-57a und HART-SCOTT-RODINO ACT, 15 U.S.C. §§ 1311-1314 u. 18 U.S.C. § 1505 sowie verschiedene Ergänzungsgesetze. 66 Grundlegend United States v. Aluminium Co. of America (Alcoa), 148 F.2d 416 (2d Cir. 1945) und Continetal Ore Co. v. Union Carbide & Carbon Corp., 370 U.S. 690 (1962); vgl. nunmehr auch RESTATEMENT (THIRD) OF THE FOREIGN RELATIONS LAW OF THE UNITED STATES § 402. Zu den hieraus bei Unterschiedlichkeit der betroffenen Rechtsordnungen ggf. erwachsenen Konflikten s. einerseits die Entscheidungen zu den Auswirkungen der Beschränkung britischer Patentnutzungsverträge durch ein amerikanisches Gericht (United States v. Imperial

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Geltungsreichweite der amerikanischen Gesetzgebung

richtliche Ausdehnung des Geltungsbereiches amerikanischer Gesetze auf primär auslandsbezogene Sachverhalte stets unter dem Vorbehalt der Angemessenheit, wobei eine Abwägung der widerstreitenden Interessen beider beteiligter Staaten zu erfolgen hat und amerikanische Gerichte dann von einer Anwendung amerikanischer Gesetze absehen sollen, wenn die Interessen des ausländischen Staates an der Anwendung seines Rechtssystems diejenigen der USA an der Anwendung amerikanischen Rechts klar überwiegen67. Eine Reihe von Staaten hat auf die Rechtsprechung der amerikanischen Gerichte zur effects doctrine mit dem Erlass von Sperrgesetzen (blocking statutes) reagiert, deren Ziel nicht nur die Verhinderung der Vollstreckbarkeit gegenläufiger amerikanischer Gerichtsentscheidungen ist, sondern auch bereits der Schutz der aus jenen Staaten stammenden Parteien vor Offenbarungspflichten im Rahmen der amerikanischen discovery, und die bei auf die effects doctrine gegründeten Urteilen amerikanischer Gerichte Eingriffe in die souveräne Hoheitsgewalt eines anderen Staates erblicken. S. hierzu die Fn. 66 zitierten Entscheidungen sowie nachf. Rn. 478 f.

Chemical Industries, 105 F.Supp. 215 [S.D.N.Y. 1952]; British Nylon Spinners, Ltd. v. Imperial Chemical Industries, Ltd. [I], [1953] Ch. 19 [U.K. Court of Appeal, 1952] und British Nylon Spinners, Ltd. v. Imperial Chemical Industries, Ltd. [II], [1955] 1 Ch. 37 [Chancery Division, 1954]) sowie hierzu Otto KahnFreund, English Contracts and American Anti-Trust Law – The Nylon Patent Case, 18 MODERN L.REV. 65 (1955) und andererseits die wettbewerbsrechtlichen Entscheidungen i.S. Laker Airways (Laker Airways, Ltd. v. Pan American World Airways, 559 F.Supp. 1124 [D.D.C. 1983] u. 604 F.Supp. 280 [D.D.C. 1984]; Laker Airways, Ltd. v. Sabena, Belgian World Airlines, 731 F.2d 909 [D.C. Cir. 1984], British Airways Board v. Laker Airways, Ltd., [1984] Q.B. 142, 169 [Queen’s Bench & U.K. Court of Appeal, 1983] u. British Airways Board v. Laker Airways, Ltd., [1985] A.C. 58 [House of Lords, 1984]). 67 RESTATEMENT (THIRD) OF THE FOREIGN RELATIONS LAW OF THE UNITED STATES § 403(1) u. (3); zu Einzelheiten vgl. insoweit Mannington Mills, Inc. v. Congoleum Corp, 595 F.2d 1287 (3d Cir. 1979); Timberlane Lumber Co. v. Bank of America, N.T. & S.A., 549 F.2d 597 (9th Cir. 1976); Leasco Data Processing Equipment Corp. v. Maxwell, 468 F.2d 1326 (1972) u. Bersch v. Drexel Firestone, Inc., 519 F.2d 974, 985, 988 u. 990-993 (2d Cir.), cert. denied, 423 U.S. 1018 (1975).

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Kapitel 2: Die Rolle des Anwalts im amerikanischen Rechtssystem

Weiterführende Literatur: Bloomenthal, Sarbanes/Oxley Act in Perspective; Greene et al., The Sarbanes-Oxley Act: Analysis and Practice; McCormick, Strong, Broun et al., McCormick on Evidence; Rhode, Hazard, Professional Responsibility and Regulation; Rothstein, Raeder, Crump, Evidence in a Nutshell: State and Federal Rules; Rotunda, Krauss, Legal Ethics in a Nutshell; Schack, Einführung in das US-amerikanische Zivilprozessrecht; Siegel, New York Practice; Vapnek, Tuft, Peck, Wiener, Professional Responsibility; Weinstein, Mansfield, Abrams, Berger, Evidence; Zitrin, Langford, Legal Ethics in the Practice of Law.

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Kollegen aus dem anwaltlichen Bereich sind nicht nur für die ganz überwiegenden Mehrzahl ausländischer Juristen und ihrer Mandanten die Haupt-Ansprechpartner im Zusammenhang mit der Prozessführung in den USA; dem Anwalt kommt im amerikanischen System – ungeachtet des grundsätzlichen Rechtes jeder Partei, sich selbst zu vertreten68 – auch eine noch weitaus bedeutendere Rolle zu als nach dem deutschen Verständnis; nach Maßgabe des dem amerikanischen Zivilprozess zugrundeliegenden Verständnisses der Parteimaxime (vgl. hierzu nachst. Rn. 194 ff. u. 317 ff.) sind nicht nur sämtliche wesentlichen Prozesshandlungen, sondern auch alle bedeutsamen Verfahrensabschnitte zumindest ganz überwiegend in die Hände der Parteien und ihrer Vertreter gelegt. Der Darstellung der amerikanischen Gerichtsverfassung und des eigentlichen Verfahrensablaufes soll daher zunächst eine kurze Betrachtung des anwaltlichen Rollenverständnisses vorangestellt werden.

A. Juristenausbildung, Organisation der Anwaltschaft und fachliche Spezialisierung I. Juristenausbildung und Organisation der Anwaltschaft 44

Wie in Deutschland ist die Juristenausbildung auch in den USA auf der Ebene der Bundesstaaten organisiert; jedoch erfolgt die praktische Ausbil68 Anwaltszwang besteht jedoch i.d.R. für die Prozessführung durch als juristische Personen organisierte Handelsgesellschaften; vgl. z. B. NEW JERSEY RULES OF COURT R. 1:21-1(c) sowie N.Y.C.P.L.R. § 321(a).

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Juristenausbildung, Organisation der Anwaltschaft und fachliche Spezialisierung

dung nicht als gesonderter Schritt vor der Zulassung zur Praxis, sondern sie ist weitgehend in die Anfangsphase der beruflichen Einarbeitung integriert69. Schon während des dreijährigen, mit dem Juris Doctor (J.D.) abschließenden Jurastudium – welches i. Ü. nicht unmittelbar auf den Schulabschluss folgt, sondern auf ein vierjähriges College-Studium, welches seinerseits mit einem undergraduate degree abschließt, das mit der Juristenausbildung verwandt sein kann, aber nicht muss – steht dabei die Aneignung insbesondere anwaltlicher Fähigkeiten im Vordergrund: Anders als nach dem Berufsbild deutscher Juristenausbildungsgesetze ist nicht die Befähigung zum Richteramt Ziel und Gegenstand der Ausbildung, sondern die anwaltliche Interessenvertretung; nicht neutrale Analyse, sondern parteibezogener argumentativer Schlagabtausch. Während schriftliche Prüfungen somit gelegentlich auch eine Überprüfung der gesamten Rechtslage erfragen, liegt der eigentliche Schwerpunkt der Aufgabenstellung häufig auf der anwaltlichen Betrachtungsweise – des dem Mandanten zu erteilenden Rates, des sachgerechten Vortrags vor Gericht etc. –, und die Diskussion in Vorlesungen und anderen Unterrichtsveranstaltungen ist von der sogenannten socratic method geprägt, in deren Rahmen (wie aus dem Namen ersichtlich) die Stichhaltigkeit der studentischen Argumentation von Hochschullehrer durch Gegenargumente kritisch hinterfragt wird. Dem Studium folgt das Zulassungsexamen (bar exam), dessen Bestehen bei Abwesenheit von Bedenken gegen die charakterliche Eignung des Kandidaten70 ohne weiteres zur Aufnahme in die Anwaltschaft des jeweiligen Bundesstaates führt. Mit der Durchführung dieser Zulassungsprüfung ist i.d.R. die Anwaltskammer (bar association) des betreffenden Bundesstaates betraut, jedoch zumeist unter der Oberaufsicht des jeweiligen state supreme court; in einigen Bundesstaaten ist auch der state supreme court selbst für die Durchführung des bar exam verantwortlich71. 69 I.d.R. verbringen amerikanische Jurastudenten auch mindestens einen, wenn nicht beide zwischen ihren insgesamt drei Studienjahren liegende Sommer mit ausgedehnten internships in Anwaltskanzleien, Behörden oder sog. public interest groups, die von Verlauf und Aufgabengestaltung her der deutschen Referendar-Stationsausbildung durchaus vergleichbar sind und darüber hinaus oftmals von vorbestimmender Bedeutung bei der Wahl des späteren Arbeitsplatzes. 70 Im Wesentlichen ist dieses Erfordernis bereits dann erfüllt, wenn gegen den Kandidaten keinerlei strafrechtliche Ermittlungsverfahren anhängig sind oder waren. 71 Das bar exam dauert je nach Ausbildungsordnung zwei oder drei Tage und besteht aus einem in allen Bundesstaaten gleichen, eintägigen Prüfungsteil, der dem Wissen in sechs Grundlagenfächern – Verfasssungsrecht, Straf- und Straf-

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Die Rolle des Anwalts im amerikanischen Rechtssystem

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Über diese auf bundesstaatlicher Ebene bestehende Organisation ist die Anwaltschaft darüber hinaus auch in nationalen Vereinigungen mit freiwilliger Mitgliedschaft (deren größte die American Bar Association oder kurz ABA ist) sowie auf örtlicher Ebene organisiert; maßgeblich für die gerichtliche Zulassung ist jedoch nicht die Mitgliedschaft in einer nationalen oder örtlichen bar association, sondern in derjenigen des betreffenden Bundesstaates, mit der zugleich die Zulassung vor allen Gerichten des jeweiligen Staates verbunden ist, ohne weitere örtliche, sachliche oder instanzielle Begrenzungen. Bei Einhaltung der jeweiligen allgemeinen Voraussetzungen ist auch die Simultanzulassung in mehreren Bundesstaaten erlaubt; so ist insbesondere an der Ostküste die gleichzeitige Mitgliedschaft in der Anwaltschaft des Bundesstaates New York und eines oder mehrerer Nachbarstaaten weit verbreitet. Auch Wohnsitzwechsler, die nach ihrem Umzug ihre Aufnahme in die Anwaltschaft eines anderen Bundesstaates betreiben, behalten häufig ihre bestehende bar membership bei. Die Zulassung vor den Bundesgerichten setzt i.d.R. die Mitgliedschaft in der Anwaltschaft mindestens eines Bundesstaates sowie gegebenenfalls eine bestimmte Anzahl von Jahren der Berufsausübung voraus72.

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Nicht wegzudenken aus der anwaltlichen Praxis sind darüber hinaus die sogenannten paralegals, die zwar keine volle, aber immerhin eine verkürzte juristische Ausbildung durchlaufen haben – in Deutschland im weitesten Sinne vergleichbar der (allerdings auf eine gerichtliche Tätigkeit abzielenden) Rechtspflegerausbildung. Paralegals sind zur Mandantenvertretung gegenüber Gericht und Gegner nicht befugt, stellen jedoch zum einen ein wichtiges Bindeglied zwischen dem anwaltlichen und dem Sekretariatsbereich einer Kanzlei dar, indem sie insbesondere bei größeren Mandaten wesentliche organisatorische Aufgaben übernehmen; zum anderen wird ihnen unter anwaltlicher Aufsicht gelegentlich auch ein Teilbereich der anwaltlichen Aufgaben übertragen, so z. B. Gespräche mit Zeugen, die Informationsübermittlung zwischen Anwalt und Mandanten und die Abfassung von Kurzgutachten zu ausgewählten Rechtsfragen. Paralegals (und auch das übrige anwaltliche Hilfspersonal wie beispielsweise auch Sekretärinnen) sind auch im Sinne des anwaltlichen Standesrechts Erfüllungs- bzw. Verrichtungsgehilfen des Rechtsanwalts; für ihr Fehlverhalten haben allerdings – zumindest gegenüber der prozessrecht, Beweisrecht, Zivilprozessrecht, Vertragsrecht und Grundeigentumsrecht – unter besonderer Berücksichtigung des Bundesrechtes sowie der allgemeinen Grundsätze des common law gewidmet ist (dem sogenannten Multistate Bar Exam oder MBE), sowie ein oder zwei weiteren bis zu ganztägigen Prüfungsteilen, die den Prüfungsstoff des MBE mit dem Recht des jeweiligen Bundesstaates sowie weiteren Sachgebieten, insbesondere aus dem handels- und gesellschaftsrechtlichen Bereich, verbinden. 72 Vgl. z. B. SUPREME COURT RULES, Rule 5 Abs. 1: Zulassung in einem Bundesstaat und dreijährige Berufspraxis dort sowie – wie allgemein üblich – charakterliche Eignung einschließlich Straffreiheit.

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Juristenausbildung, Organisation der Anwaltschaft und fachliche Spezialisierung Disziplinaraufsicht – nicht sie selbst, sondern der Anwalt einzustehen, dem eine entsprechende Aufsichtspflicht obliegt73.

II. Fachliche Spezialisierung Anders als andere common law systems kennt das amerikanische Rechtssystem keine Unterteilung der Anwaltschaft in barristers und solicitors; wenngleich sich auf der Ebene der sachlich-rechtlichen Spezialisierung schon seit einiger Zeit eine deutliche Trennung zwischen den forensisch orientierten litigators (Prozessrechtlern) und eher beratend tätigen corporate attorneys (Gesellschafts- und Vertragsrechtlern) herausgebildet hat und der dem Mandanten umfassend in jeder Rechtsangelegenheit zur Seite stehende Generalist deutlich auf dem Rückzug ist74.

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Insbesondere in den vergangenen Jahrzehnten hat sich der Trend zur Spezialisierung in den USA noch weiter verstärkt und ist dort dementsprechend auch bereits weit deutlicher ausgeprägt als in Deutschland: Wenngleich eine dem deutschen Fachanwalt vergleichbare Formalisierung im amerikanischen System, von einigen wenigen Bundesstaaten abgesehen, noch weitgehend fehlt, konzentriert sich die Praxis der allermeisten Rechtsanwälte doch schon seit geraumer Zeit auf nur wenige oder gar nur ein einziges Rechtsgebiet. Auch die großen überörtlichen Sozietäten verfügen demnach längst nicht mehr nur noch über ein corporate depart-

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73 ABA Model Rule 5.3; ABA MODEL CODE DR 4-101(D) und EC 4-2; In re Scanlan, 697 P.2d 1084 (Ariz. 1985). 74 Damit sei allerdings keinesfalls gesagt, dass auch der Einzelanwalt in den USA vom Aussterben bedroht ist. Wenngleich insbesondere in den Großstädten die Sozietätenbildung stark auf dem Vormarsch befindlich ist und die 100 oder 200 größten dieser Sozietäten nunmehr verstärkt auch international tätig sind und dabei auch Zusammenschlüsse mit europäischen Kanzleien eingehen, ist die amerikanische Praxislandschaft durchaus nach wie vor auch von einer Vielzahl sogenannter solo practitioners oder kleinerer Anwaltszusammenschlüsse geprägt – und zwar nicht nur in ländlicheren Gebieten, sondern auch im städtischen Bereich. Nur relativ wenige der jungen Anwälte, die ihre Karriere in einer Großkanzlei beginnen, bleiben nämlich lange genug dort, um selbst Sozienstatus zu erlangen; der weitaus größte Teil von ihnen macht sich entweder nach einiger Zeit selbständig oder wechselt zu einer kleineren Kanzlei oder in den Wirtschafts- oder Verwaltungsbereich. Die juristische Landschaft ist somit auch in den USA nach wie vor weitaus vielfältiger, als dies dem außenstehenden Betrachter bewusst wird, der in aller Regel nur mit einer der großen überörtlichen Sozietäten in Kontakt kommt und somit nur einen kleinen Bildausschnitt wahrnimmt.

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ment und ein litigation department; üblicherweise treten hierzu mindestens noch Steuerrecht, Umweltrecht und/oder Grundeigentumsrecht als gesonderte Beratungszweige hinzu75. Nicht selten findet darüber hinaus eine weitere Spezialisierung auch innerhalb der genannten Felder statt; so sind insbesondere in den großen New Yorker Kanzleien und den überörtlichen Sozietäten Gebiete wie antitrust und securities litigation (Wettbewerbsrecht bzw. Aktien- und Börsenrechtsstreitigkeiten) überaus bedeutsame Tätigkeitsfelder, denen sich jedoch auch dort i.d.R. nicht das gesamte jeweilige litigation department widmet, sondern nur der Kreis der auf dieses Gebiet spezialisierten Prozessrechtler. 50

Begünstigt wird dieser Trend nicht nur durch die frühzeitige Förderung der Spezialisierung im universitären Bereich – in jüngster Zeit u. a. auch mehr und mehr durch einjährige Aufbaustudiengänge nach Erlangung des J.D., die zu einem gesonderten Abschluss z. B. im Steuer-, Umwelt- oder internationalen Recht führen –, sondern auch durch die Einbindung der praktischen Ausbildung in den Beginn der anwaltlichen Berufspraxis selbst, denn ganz überwiegend ist nicht nur die Wahl des Arbeitsplatzes als solche, sondern auch die dortige Einbindung in ein bestimmtes Tätigkeitsgebiet vorbestimmend für die weitere berufliche Laufbahn. Von nicht zu unterschätzender Bedeutung in der Zusammenarbeit mit amerikanischen Kollegen ist deshalb die genaue Erkundung der Spezialisierung des jeweiligen Ansprechpartners; auch wenn das Standesrecht einem amerikanischen Anwalt die Annahme einer Rechtssache, die außerhalb seines Erfahrungsgebietes liegt, eigentlich ohnehin ausdrücklich verbietet (vgl. insoweit nachf. Rn. 56).

B. Anwaltliches Berufsrecht 51

In der Hand der state bar associations befindet sich insbesondere auch die Disziplinaraufsicht über ihre Mitglieder. Diese Selbstkontrolle ist wesentlicher Bestandteil der Unabhängigkeit der amerikanischen Anwalt-

75 Dabei nehmen die auf Grundstücks-, Nachlass- und Gesellschaftsrecht spezialisierten Anwälte zumindest sachlich weitgehend auch die in Deutschland dem Notar vorbehaltenen Aufgaben wahr. Sie sind allerdings streng von den sogenannten notaries public zu unterscheiden, bei denen es sich zumeist überhaupt nicht um Juristen handelt, sondern um öffentlich bestellte Urkundspersonen, die keinerlei Beratung zum Inhalt einer Urkunde erteilen, sondern lediglich deren Echtheit – bzw. die Echtheit der darauf befindlichen Unterschriften und von Urkundenkopien – beglaubigen dürfen. Notaries public sind, soweit sie nicht selbständig tätig sind, in Anwaltskanzleien zumeist auf der Sekretariatsebene angesiedelt, in Gerichten und Verwaltungsbehörden auf der Ebene der mittleren oder gehobenen Verwaltungsangestellten.

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Anwaltliches Berufsrecht

schaft, auch wenn gegen verhängte Disziplinarmaßnahmen im Einzelfall der Rechtsweg zu den Gerichten offen steht76. Das anwaltliche Standesrecht ist i. Ü. bereits im universitären Bereich Pflichtfach und wird darüber hinaus auch im Rahmen der Anwaltszulassung geprüft; allerdings nicht zusammen mit dem bar exam, sondern in einem zeitlich davon unabhängigen, bundeseinheitlich gestellten Examen, dem sogenannten Multistate Professional Responsibility Exam (MPRE).

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I. Grundsätze des Standesrechts Anwalt im standesrechtlichen Sinne ist stets nicht nur der freiberuflich tätige Rechtsanwalt, sondern auch jeder angestellte Unternehmensjurist (in house counsel); insbesondere auch die anwaltliche Treue- und Verschwiegenheitspflicht gelten deshalb für diesen in vollem Umfang so wie für den unternehmensunabhängigen Anwalt77.

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Das Berufsrecht der meisten U.S.-Bundesstaaten ist an einer der von der American Bar Association (ABA) entworfenen Musterkodifikationen ori-

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76 Hiervon zu unterscheiden sind selbstverständlich Schadensersatzklagen ehemaliger Mandanten wegen behaupteter Pflichtverletzungen im Rahmen des Beratungsverhältnisses (legal malpractice). Dabei kann, muss jedoch nicht notwendigerweise das Verhalten, welches Gegenstand der berufsrechtlichen Disziplinarmaßnahme ist, auch Grundlage einer Klage des ehemaligen Mandanten sein und umgekehrt. Oftmals leiten Gerichte im Rahmen solcher Schadensersatzprozesse aus der Verhängung einer Disziplinarmaßnahme die Vermutung einer Verletzung der Beratungspflicht ab. Vgl. z. B. Fishman v. Brooks, 487 N.E.2d 1377 (Mass. 1986). Die Anwaltshaftung ist verschuldensabhängig, d. h. sie erstreckt sich nicht bereits auf jeden Irrtum (error of judgment), solange die umstrittene anwaltliche Handlung sich als ex ante vernünftig – wenn auch ex post fehlerhaft – darstellt. Die Haftung tritt vielmehr erst bei mindestens fahrlässiger Verletzung der Beratungspflicht ein, wobei Maßstab der Erkenntnishorizont eines Durchschnittsanwalts in der Situation des Beklagten ist; bei fachlicher Spezialisierung der Horizont eines vernünftig handelnden Fachanwalts in der Situation des Beklagten. Darüber hinaus muss ein Ursachenzusammenhang zwischen der anwaltlichen Fehlberatung und dem dem Mandanten entstandenen Schaden bestehen, und zwar sowohl im Sinne einer conditio sine qua non (actual cause, „but for“ causation) als auch im Sinne eines adäquaten Kausalzusammenhanges (proximate cause). Der Mandant ist für den geltend gemachten Schaden in vollem Umfang beweispflichtig; wie auch im Rahmen anderer Schadensersatzprozesse sind entgangener Gewinn und ähnliche finanzielle Ausfälle nur ersatzfähig, wenn sie bei Ausbleiben der Fehlberatung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit realisierbar gewesen wären (foreseeable losses). 77 Upjohn Co. v. United States, 449 U.S. 383, 394-395 (1981).

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Die Rolle des Anwalts im amerikanischen Rechtssystem

entiert – den aus dem Jahre 1983 stammenden MODEL RULES OF PROFESSIONAL CONDUCT oder z. T. auch noch ihrem Vorgänger, dem MODEL CODE OF PROFESSIONAL RESPONSIBILITY von 196978. 55

Danach ist der amerikanische Rechtsanwalt ein unabhängiges, nur dem Gesetz und in dessen Rahmen dem Interesse des Mandanten verpflichtetes Organ der Rechtspflege (officer of the court), dessen Tätigkeit insbesondere von den folgenden Grundsätzen geprägt ist: 1. Fachkompetenz

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Der Anwalt muss über die für die konkret ihm übertragene Rechtsangelegenheit erforderliche Fachkompetenz verfügen. Lediglich im Hinblick auf Einzelfragen im Zusammenhang mit der Mandatsübernahme darf (und muss) er sich gegebenenfalls nicht vorhandenes Wissen noch – soweit zeitlich und ohne wesentliche Kosten für den Mandanten möglich – nachträglich verschaffen; handelt es sich bei dem Mandat jedoch um ein solches, das einer ihm bis dahin völlig unbekannten Rechtsmaterie entstammt, so darf er die Vertretung nur annehmen, wenn der Mandant sich zugleich mit der Hinzuziehung eines in der Materie besser bewanderten Kollegen einverstanden erklärt79. Unabhängig von der konkreten Mandatsübernahme ist aber jeder Anwalt darüber hinaus auch verpflichtet, sich über alle wesentlichen Rechtsentwicklungen auf dem Laufenden zu

78 Dabei unterscheiden sowohl die ABA MODEL RULES als auch der ABA MODEL CODE die standesrechtlichen Bestimmungen nach der Verbindlichkeit der jeweiligen Regelung; während die MODEL RULES jedoch diese Unterscheidung rein sprachlich treffen („shall“ und „shall not“ bzw. „may“ und „should“), sah der MODEL CODE auch organisatorisch eine Trennung in Muss- und SollVorschriften vor (disciplinary rules, zitiert als DR, und ethical considerations, zitiert als EC). Die MODEL RULES sind darüber hinaus mit zahlreichen Erläuterungen (comments) versehen, die zu ihrer Auslegung zusätzlich herangezogen werden. Der aktuell gültige Text der MODEL RULES ist auf der ABA-Website unter http://www.abanet.org/cpr/mrpc/mrpc_toc.html wiedergegeben. Außer den MODEL RULES und dem MODEL CODE erstellen die American Bar Association und die bar associations der Bundesstaaten und insbesondere auch diejenigen der größeren Städte darüber hinaus Gutachten (formal und informal opinions) zu bestimmten Einzelfragen, die gleichfalls bei der standesrechtlichen Beurteilung des anwaltlichen Verhaltens große Beachtung finden. Die Leitsätze der formal opinions der ABA seit 1996 können auf der Website der Organisation unter http://www.abanet.org/cpr/ethicopinions.html eingesehen werden. 79 ABA MODEL CODE DR 6-101(A) und EC 6-3; Comment on ABA Model Rule 1.1; Aloy v. Mash, 38 Cal. 3d 413 (1985).

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Anwaltliches Berufsrecht

halten und an entsprechenden Fortbildungsveranstaltungen teilzunehmen (continuing legal education)80. Der Anwalt hat seinen Mandanten des Weiteren nicht nur über alle maßgeblichen Rechtsfragen, sondern, sofern im Einzelfall von Bedeutung, auch über die damit verbundenen wirtschaftlichen, politischen und sozialen Fragen zu beraten; sein Rat sollte auch insoweit aufrichtig und frei von Beschönigungen sein81. Soweit sachgerecht, darf er die Beratung dabei u. U. auch auf vom Mandanten nicht ausdrücklich erfragte Bereiche ausdehnen82.

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2. Einsatz der vollen Arbeitskraft Der Anwalt ist verpflichtet, den Angelegenheiten jedes Mandanten seine volle zur Verfügung stehende Arbeitskraft zu widmen (zealous representation), die ihm übertragenen Angelegenheiten zügig zu behandeln und sie zu Ende zu führen83.

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3. Kontrollrechte des Mandanten Eine Reihe zentraler Entscheidungen im Rahmen des Vertretungsverhältnisses muss dem Mandanten vorbehalten bleiben. Dazu zählen insbesondere die Zielbestimmung für das Mandat insgesamt, die vergleichsweise Beilegung des Rechtsstreits, der Verzicht auf Rechte, die bei Nichtausübung verwirkt sind (wie z. B. bestimmte zivilprozessuale Einreden – die sogenannten affirmative defenses, vgl. nachf. Rn. 347 ff. – sowie der Verzicht auf ein jury trial im Strafprozess), und die Entscheidung des Angeklagten, im Strafverfahren in eigener Sache auszusagen (vgl. ABA Model Rule 1.2[a]; ABA MODEL CODE DR 7-101[A] und EC 7-7). Dem Anwalt hingegen sind insbesondere alle Fragen der Prozessstrategie und -taktik übertragen, d. h. insbesondere Fassung und Wahl der zu stellenden Anträge, der Umfang der zivilprozessualen discovery und die gesamte gerichtliche Beweisaufnahme, einschließlich Auswahl und Einführung der Beweis-

80 ABA MODEL CODE EC 6-2; Comment on ABA Model Rule 1.1. 81 ABA Model Rule 2.1 und Comment on ABA Model Rule 2.1; ABA MODEL CODE EC 7-3, 7-8 und 7-9. 82 Comment on ABA Model Rule 2.1; ABA MODEL CODE DR 2-104(A)(1). 83 ABA Model Rule 1.3 und Comment on ABA Model Rule 1.3; ABA MODEL CODE DR 6-101(A)(3), DR 7-101(A) und EC 2-31. Zur vorzeitigen Beendigung des Mandatsverhältnisses vgl. nachf. Rn. 112 ff.

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Die Rolle des Anwalts im amerikanischen Rechtssystem

mittel sowie Zeugenbefragung84. Soweit der Anwalt sich mit bestimmten Vorgaben des Mandanten aus fachlichen oder anderen Gründen nicht einverstanden erklären kann, hat er das Recht, mit Zustimmung des Mandanten nach entsprechender Beratung den Umfang des Mandatsverhältnisses entsprechend einzuschränken (ABA Model Rule 1.2[c]). 4. Kommunikation 60

Der Anwalt ist verpflichtet, den Mandanten über aktuelle Entwicklungen und den jeweiligen Verfahrensstand auf dem Laufenden zu halten und Bitten um Information ohne Verzögerung und in angemessenem Umfang nachzukommen85. 5. Treuepflicht und Vermeidung von Interessenkonflikten

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Der Anwalt schuldet dem Mandanten eine absolute Treuepflicht (duty of loyalty) und ist gehalten, bereits den Anschein eines Interessenkonfliktes zwischen dem rechtlichen Interesse des Mandanten und seinem eigenen Interesse oder dem eines anderen Mandanten zu vermeiden86. Dies beinhaltet nicht nur eine Verpflichtung zur Abstandnahme von der Mandatsübernahme für den Fall, dass solche Konflikte bereits anfänglich erkennbar sind, sondern auch die Pflicht, das Mandat niederzulegen, wenn ein Interessenkonflikt erst zu einem späteren Zeitpunkt erkennbar wird (ABA Model Rule 1.7 und 1.16[a][1]; ABA MODEL CODE DR 2-110[B], DR 5-101[A] und DR 5-105[A], [B]). Dabei liegt die Verantwortung zur Vermeidung von Konflikten in erster Linie beim Anwalt selbst; in besonders groben Missachtungsfällen sind jedoch auch Gegner und Gericht dazu berechtigt, auf den bestehenden Konflikt hinzuweisen, was gegebenenfalls dann auch zum gerichtlichen Ausschluss des Anwalts von der weiteren Vertretung führen kann87.

84 Comment on ABA Model Rule 1.2; ABA MODEL CODE EC 7-7. 85 ABA Model Rule 1.4, Model Rule 1.14, Model Rule 3.4(c) und Comment on ABA Model Rule 1.4; ABA MODEL CODE DR 6-101(A)(3), EC 7-8, 7-11, 7-12 und 9-2. 86 Comment on ABA Model Rule 1.7 und ABA MODEL CODE EC 5-1. Dabei bezieht sich die duty of loyalty allerdings nur auf das rechtliche Interesse des Mandanten, nicht hingegen auf dessen wirtschaftliches, soziales oder persönliches Interesse, vgl. Comment on ABA Model Rule 1.7. 87 Comment on ABA Model Rule 1.7.

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Anwaltliches Berufsrecht Während es insoweit im Kanzleibetrieb eines Einzelanwalts mit beschränkter Mandantenzahl noch möglich sein mag, einen gewissen Überblick über die Natur der bestehenden Mandate zu behalten und das Auftreten von Interessenkonflikten zu vermeiden, wird dies naturgemäß mit steigender Kanzleigröße und Anzahl der Mandate immer schwieriger; insbesondere die großen überörtlichen Sozietäten sind hierbei ständig der Gefahr ausgesetzt, durch allzuschnelle Mandatsübernahme den Anschein von Interessenkonflikten heraufzubeschwören, denn bereits die Tätigkeit eines einzigen Anwalts in einer Angelegenheit von nur untergeordneter Bedeutung genügt, um sämtliche bis zu mehreren Hundert zählenden, weltweit tätigen Kollegen gegebenenfalls von der Vertretung auszuschließen88. Eingebürgert hat sich deshalb vor der Annahme jedes neuen Mandats ein sogenannter conflict check, bei dem nicht nur geprüft wird, ob mit dem künftigen Mandanten bereits ein Beratungsverhältnis besteht (gegebenenfalls auch in einer anderen örtlichen Niederlassung der Sozietät), sondern auch, in welchen anderen Zusammenhängen dieser Mandant in bestehenden Beratungsverhältnissen bereits eine Rolle spielt (z. B. als Gegner, mitvertretene Partei etc.), sowie, ob es sich bei einem bereits bestehenden Mandanten um einen potentiellen Gegner des neuen Mandanten handeln würde89.

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Oftmals wird ein solcher conflict check auch nach Beginn eines Mandatsverhältnisses noch wiederholt erforderlich, so z. B., wenn im Rahmen eines Prozesses Zeugenladungen (subpoenas) an Mitarbeiter eines an sich prozessunbeteiligten Dritten zugestellt werden sollen: Handelt es sich nämlich bei jenem Dritten ebenfalls um einen Mandanten des zustellenden Anwalts, so kann die Zustellung in die mit den Interessen der Prozessparteien nicht notwendigerweise deckungsgleichen Interessen dieses Mandanten eingreifen und bringt somit die Gefahr einer Verletzung der anwaltlichen Treuepflicht mit sich. Der bestehende Interessenkonflikt kann in diesem Fall nur durch Zustimmung des Dritten zur Zustellung der Zeu-

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88 Allgemein zur Reichweite des Vertretungsverbots vgl. ABA Model Rule 1.10, Comment on ABA Model Rule 1.10 und ABA MODEL CODE DR 5-105(D). 89 Größere Unternehmen nutzen das Entstehen anwaltlicher Treue- und Verschwiegenheitspflichten in letzter Zeit immer wieder auch im Rahmen sogenannter beauty contests aus, bei denen ein Wettbewerb um die Mandatsvergabe zwischen mehreren interessierten Kanzleien stattfindet und die i.d.R. zur Folge haben, dass die teilnehmenden Kanzleien später von der Vertretung direkter Konkurrenten des betreffenden Unternehmens ausgeschlossen sind, weil bereits der Informationsfluss im Rahmen des beauty contest die anwaltlichen Treue- und Verschwiegenheitspflichten der beteiligten Kanzleien entstehen lässt. Der beauty contest dient damit nicht nur der Mandatserteilung an die eigenen Anwälte, sondern indirekt auch der Verhinderung ungewünschter Mandatsanbahnungen im Konkurrenzbereich. Aus diesem Grunde erfasst der conflict check insbesondere vor Teilnahme an einem solchen beauty contest (aber gelegentlich auch in anderen Fällen) über die geschilderten Bestandteile hinaus auch eine Überprüfung des Mandatsbestandes mit Rücksicht auf die größten direkten Konkurrenten des potentiellen Neu-Mandanten. Vgl. auch nachf. Rn. 82.

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Die Rolle des Anwalts im amerikanischen Rechtssystem genladungen gelöst werden; wird eine solche Zustimmung nicht erlangt, muss die Ladung unterbleiben.

Im Einzelnen gilt für die Wahrung der anwaltlichen Treuepflicht das Folgende: a) Interessenkonflikt 64

aa) Ein der Mandatsübernahme grundsätzlich entgegenstehender Interessenkonflikt ist anzunehmen, wenn bei gleichzeitig bestehenden aktiven Mandatsverhältnissen90 die Interessen eines Mandanten denjenigen des Anwalts selbst oder eines anderen Mandanten tatsächlich entgegenstehen oder die Gefahr eines solchen Interessenwiderstreites besteht91. In diesem Fall ist dem Anwalt die gleichzeitige Vertretung beider Mandanten nur dann gestattet, wenn beide Mandanten nach entsprechender Aufklärung über alle relevanten Umstände hierzu ihre Zustimmung erteilen und der Anwalt Grund zu der Annahme hat, dass die gleichzeitige Vertretung beider Mandanten seine Treuepflicht gegenüber keinem der betroffenen Mandanten nachteilig beeinflussen wird92. Dies schließt im Prozessfall i.d.R. nicht nur (selbstverständlich) die gleichzeitige Vertretung von Prozessgegnern in ein- und demselben Rechtsstreit aus93, sondern auch die Vertretung des Gegners eines Mandanten in einem gleichzeitig anhängigen, jedoch ansonsten völlig selbständigen Prozess94, ebenso wie – zumindest ohne Zustimmung beider Mandanten nach Beratung – die gleichzeitige Geltendmachung inhaltlich einander entgegenstehender Standpunkte im Auftrag unterschiedlicher Mandanten in ansonsten selbständigen Angelegenheiten95.

90 Sowie u. U. auch im Verhältnis zu früheren Mandanten, vgl. nachf. Rn. 69 ff. 91 ABA Model Rule 1.10(a); ABA Formal Opinion 92-367 (1992). 92 ABA Model Rule 1.7(a), (b) und Comment on ABA Model Rule 1.7; ABA MODEL CODE DR 5-101(A) und 5-105(A)-(C). Bei einem Interessenkonflikt zwischen Anwalt und Mandanten gilt die Regel entsprechend, vgl. ABA Model Rule 1.7(b) und Comment on ABA Model Rule 1.7; ABA MODEL CODE DR 3-310(A); ABA Formal Opinion 92-364 (1992); New York State Bar Opinion 569 (1985); California State Bar Opinion 1987-92 (1987). 93 Und zwar auch dann, wenn beide Mandate von unterschiedlichen Anwälten der gleichen Kanzlei betreut werden, vgl. ABA Model Rule 1.7(a) und 1.10(a); ABA MODEL CODE DR 5-105(A). 94 ABA Model Rule 1.7; ABA Model Code DR 5-105(A); ABA Informal Opinion 1495 (1982). 95 Comment on ABA Model Rule 1.7; ABA Formal Opinion 93-377 (1993).

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Anwaltliches Berufsrecht

bb) Zulässig hingegen ist die gleichzeitige Vertretung zweier Parteien auf derselben Seite eines Rechtsstreites, soweit kein gegenwärtiger oder – wie z. B. bei der gleichzeitigen Vertretung von Arbeitgeber und Arbeitnehmer oder Versicherer und Versichertem – die Gefahr eines künftigen Interessenkonfliktes zwischen den Mandanten besteht96. In dieser Situation ist die Einholung der Zustimmung beider Mandanten zur gleichzeitigen Vertretung nicht nur aufgrund der sich aus der anwaltlichen Treuepflicht ergebenden Einschränkungen angezeigt; auch aus der anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht ergeben sich insoweit Hinweispflichten, die in aller Regel die Zustimmung insbesondere des bei späterem Auftreten eines Interessenkonflikts wahrscheinlich ausscheidenden Mandanten zur gemeinsamen Vertretung erforderlich machen97. Zu beachten ist insoweit insbesondere auch, dass der Anwalt aufgrund der beiden Mandanten geschuldeten Treuepflicht Teilvergleiche zugunsten nur eines Mandanten nicht ohne vollständige Beratung beider Mandanten über Inhalt und Auswirkungen des Teilvergleichs abschließen darf (ABA Model Rule 1.8[g]; ABA MODEL CODE DR 5-106).

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cc) Als Mittler zwischen den Interessen zweier Mandanten darf der Anwalt nur aufgrund ausdrücklich erteilter Zustimmung beider Mandanten und selbst dann nur auftreten, wenn dies im Interesse nicht nur der beiden betroffenen Mandanten, sondern seines Mandantenbestandes insgesamt ist und wenn selbst bei Scheitern der in Aussicht genommenen Lösung kein erheblicher Schaden für die betroffenen Mandanten zu erwarten ist (vgl. ABA Model Rule 2.2[a][1] – [3] und [b]). Dabei dürfen die Mandanten durch die anwaltliche Mittlertätigkeit und gegebenenfalls damit verbundene Formen der Einflussnahme insbesondere nicht außerstande gesetzt werden, eigene sachgerechte Entscheidungen in der Angelegenheit zu treffen (ABA

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96 ABA Model Rule 1.7 und 1.9(a); ABA MODEL CODE DR 5-105(A)-(C) und EC 5-16 und 5-17. Ein gegenwärtiger Interessenkonflikt besteht z. B. i.d.R. auch zwischen den Mitangeklagten in einem Strafprozess, deren gemeinschaftliche Vertretung durch denselben Anwalt regelmäßig nicht nur standeswidrig ist, sondern zugleich auch ihr verfassungsmäßiges Recht auf eine effektive Strafverteidigung verletzt. Vgl. Strickland v. Washington, 466 U.S. 668 (1984). Zu Grenzen und Auswirkungen der anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht in diesem Zusammenhang vgl. United States v. McPartlin, 595 F.2d 1321, cert. denied, 444 U.S. 833 (1979). 97 Vgl. nachf. Rn. 85. Handelt es sich um die gleichzeitige Vertretung von Versicherung und Versicherten und wird diese aufgrund eines Interessenkonflikts später aufgegeben, kann u. U. eine Verpflichtung des Versicherers bestehen, für die Vergütung des neuen Anwalts des Versicherten aufzukommen; dabei ist allerdings darauf zu achten, dass jener nicht aufgrund der Zahlungspflicht der Versicherung auch deren Weisungen oder sonstiger Einflussnahme ausgesetzt ist. Comment on ABA Model Rule 1.7; Easley v. State Farm Mutual Insurance Co., 528 F.2d 558 (5th Cir. 1976).

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Die Rolle des Anwalts im amerikanischen Rechtssystem Model Rule 2.2[a][1] – [3]). Scheitert die Vermittlungstätigkeit des Anwalts, ist er danach von der weiteren Vertretung beider Mandanten in der betroffenen Angelegenheit ausgeschlossen (ABA Model Rule 2.2[c]). Im Falle eines nachfolgenden Rechtsstreits sind die im Rahmen der Vermittlung ausgetauschten Informationen darüber hinaus regelmäßig nicht durch das auf der anwaltlichen Schweigepflicht beruhende Aussageverweigerungsrecht (attorney client privilege, vgl. nachf. Rn. 81 ff.) geschützt, worauf die Mandanten im Voraus hinzuweisen sind (vgl. z. B. CAL. EV. CODE § 962).

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dd) Außerhalb des prozessualen Kontextes ist der Anschein eines Interessenkonfliktes naturgemäß schwieriger festzustellen; insoweit sind u. a. auch Länge und Intensität der betroffenen Mandatsverhältnisse, die dem Anwalt jeweils obliegenden Aufgaben sowie die Gefahr eines tatsächlich auftretenden Konflikts der rechtlichen Interessen beider Mandanten zu berücksichtigen98. b) Juristische Personen

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Handelt es sich bei dem Mandanten um eine juristische Person, z. B. eine entsprechend organisierte Handelsgesellschaft, so gilt die Treuepflicht des Anwalts dem Unternehmen selbst, nicht dessen Organen oder Angestellten (ABA Model Rule 1.13[a]; ABA MODEL CODE EC 5-18). Bei Gefahr eines Interessenkonflikts zwischen dem Unternehmen und dessen Angestellten trifft den Anwalt den Letzteren gegenüber gegebenenfalls eine diesbezügliche Hinweispflicht99; außer im Falle eines bereits bestehenden solchen Konflikts ist er aber nach Maßgabe der allgemeinen Vorschriften – d. h. insbesondere nach Aufklärung über Folgen und Risiken der gemeinschaftlichen Vertretung und Einholung der Zustimmung aller Beteiligten – zur gleichzeitigen Vertretung des Unternehmens und seiner Mitarbeiter berechtigt (ABA Model Rule 1.13[e]). c) Kanzleiwechsel

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Der Kanzleiwechsel eines Anwalts bringt für seine neue Kanzlei die gleichen Beschränkungen mit sich, die bereits in seiner vorherigen Kanzlei bestanden; d. h. es dürfen ohne Zustimmung der betroffenen Mandanten insbesondere keine Mandate angenommen werden, die einen Interessenkonflikt mit Rücksicht auf die bisherige Mandantschaft des wechselnden Anwalts darstellen würden (ABA Model Rule 1.9[b] und [c]). Ist ein sol98 ABA Model Rule 1.7 und Comment on Model Rule 1.7; ABA MODEL CODE DR 5-105(A) – (C) 1 bis 5-17; New Cork State Bar Opinion 589 (1988). 99 ABA Model Rule 1.13(d) und Comment on Model Rule 1.13.

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Anwaltliches Berufsrecht

cher Konflikt durch den Kanzleiwechsel unvermeidlich, etwa weil die neue Kanzlei bereits über aktive Mandatsverhältnisse mit Prozessgegnern oder Konkurrenten von Mandanten des wechselnden Anwalts verfügt, so wird durch die Errichtung eines sogenannten ethics wall (im Wesentlichen einer Kontaktsperre zwischen den jeweils sachbearbeitenden Anwälten und ihrem Hilfspersonal) sowie gegebenenfalls weitere geeignete Maßnahmen sichergestellt, dass sich die widerstreitenden Interessen der Mandanten für diese nicht tatsächlich nachteilig auswirken. Mit der Überwachung der Einhaltung standesrechtlicher Vorschriften – allgemein sowie insbesondere auch bei der Neuanstellung von Anwälten und bei der Annahme neuer Mandate – sind in den meisten Kanzleien ein oder mehrere Anwälte beauftragt, die insbesondere auch auf korrekte und vollständige Durchführung der conflict checks achten und die Errichtung von ethics walls anordnen können100. Besonders bei der Neueinstellung von bereits hochprofilierten Anwälten haben diese Standesrechts-Beauftragten aufgrund des dann besonders hohen Potentials an Interessenkonflikten ein erhebliches Mitspracherecht.

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Nach Ausscheiden des wechselnden Anwalts ist seine bisherige Kanzlei im Grundsatz nicht länger an der Annahme von Mandaten gehindert, die den Mandatsverhältnissen des ausscheidenden Anwalts entgegenstehen würden; vorausgesetzt allerdings, dass die neuen Mandate mit diesen nicht sachverwandt sind und dass ungeachtet der Person des ausscheidenden Antwalts nicht noch weitere Anwälte in der Kanzlei verbleiben, die an der Bearbeitung seiner noch nicht abgeschlossenen Rechtssachen mitgewirkt haben (ABA Model Rule 1.10[b]).

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Die Regelungen über den Kanzleiwechsel gelten entsprechend auch für den Wechsel eines bisher als Richter oder Verwaltungsbeamten tätigen Juristen in den Rechtsanwaltsbereich, sind allerdings darüber hinaus mit ausdrücklichen Hinweispflichten über die Anstellung des ehemaligen Behördenjuristen und die zur Vermeidung von Interessenkonflikten konkret getroffenen Schritte verbunden101.

72

100 Allgemein zur Überwachung der Einhaltung standesrechtlicher Regelungen in jeder einzelnen Kanzlei vgl. ABA Model Rule 5.1(a), (b) und Comment on ABA Model Rule 5.1; zur Disziplinarhaftung für das Verhalten anderer Anwälte ABA Model Rule 5.1(c)(1) u. (2), zur Verantwortlichkeit untergeordnet und auf Weisung tätiger Anwälte ABA Model Rule 5.2 und Comment on ABA Model Rule 5.2. 101 ABA Model Rule 1.11 und 1.12 sowie Comments to ABA Rule 1.11 and 1.12; ABA MODEL CODE DR 5-105(D) und 9-101; ABA Formal Opinion 342 (1975); Maryland State Bar Opinion 85-23 (1985).

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Die Rolle des Anwalts im amerikanischen Rechtssystem

d) Nach Beendigung des Mandats 73

Nach vollständiger Beendigung des Mandatsverhältnisses ist der Anwalt dem ehemaligen Mandanten gegenüber insbesondere weiter an die Verschwiegenheitspflicht in Bezug auf vertraulich erteilte Informationen gebunden (vgl. nachf. Rn. 79 ff.) und darf diese auch weiterhin nicht zum Nachteil des ehemaligen Mandanten im Zusammenhang mit anderen Mandatsverhältnisses ausnutzen; gleichfalls bedarf die Aktenübergabe an einen anderen Anwalt im Rahmen des Verkaufs einer Kanzlei nicht nur der Zustimmung der gegenwärtigen, sondern auch aller ehemaligen Mandanten (ABA Model Rule 1.6, 1.9[a] u. [c], 1.17[c], 3.3; ABA MODEL CODE DR 4-101u. EC 4-6). Darüber hinaus ist es dem Anwalt untersagt, die Vertretung in einer neuen Angelegenheit zu übernehmen, die mit dem ehemaligen Mandatsverhältnis in engem Sachzusammenhang steht und in deren Rahmen der Anwalt den Interessen des ehemaligen Mandanten entgegengesetzte Positionen einnehmen müsste102. e) Ausgestaltung des Mandatsverhältnisses Standesrechtlichen Regeln unterworfen ist z. T. auch die Ausgestaltung des Mandatsverhältnisses selbst:

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aa) So sind insbesondere wirtschaftliche Transaktionen zwischen Anwalt und Mandanten nur dann gestattet, wenn die Bedingungen der Transaktion im Einzelnen in für den Mandanten verständlicher Form schriftlich niedergelegt und inhaltlich fair sind und der Mandant hierzu seine schriftliche Zustimmung erteilt, nachdem er Gelegenheit hatte, sich von einem unbeteiligten Anwalt über die in Aussicht genommene Transaktion beraten zu lassen103. Dies gilt für den Erwerb rechtlicher oder wirtschaftlicher Interessen an Eigentums- und Vermögensgegenständen des Mandanten wie auch für den Erwerb von Vermögensinteressen, die denjenigen des Mandanten direkt entgegenstehen. Ausgenommen von diesen Beschränkungen sind lediglich Produkte und Dienstleistungen, die der Mandant regelmäßig geschäftlich anbietet; ein Anwalt kann also regulärer Geschäftskunde seines Mandanten sein, ohne damit sofort die Gefahr eines Interessenkonfliktes heraufzubeschwö102 ABA Model Rule 1.9(a) und Comment on Model Rule 1.9; Carson v. Langdon, 751 P.2d 344 (Wyo. 1988). 103 ABA Model Rule 1.8(a) und Hawk v. State Bar of California, 45 Cal. 3d 589 (1988); vgl. demgegenüber die generelle Fassung von ABA MODEL CODE DR 5-104(A).

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Anwaltliches Berufsrecht

ren104. Ein unmittelbares wirtschaftliches Interesse am Ausgang des dem Mandatsverhältnis zugrundeliegenden Prozesses oder der zugrundeliegenden Transaktion darf der Anwalt allerdings in aller Regel nicht erwerben105. bb) Geschenke darf der Anwalt von seinem Mandanten annehmen, soweit diese den Rahmen des Üblichen nicht übersteigen106. Es ist ihm allerdings untersagt, bei der Abfassung von Urkunden mitzuwirken, die die schenkungsweise Übertragung erheblicher Vermögenswerte an ihn selbst oder einen seiner Anverwandten zum Gegenstand haben (ABA Model Rule 1.8[c]).

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cc) Buch- und Medienrechte mit Rücksicht auf ein bestehendes Mandat darf der Anwalt unter keinen Umständen – auch nicht mit Zustimmung des Mandanten – erwerben, solange das Mandat nicht beendet ist; nach vollständiger Beendigung des Mandatsverhältnisses ist der Erwerb solcher Rechte allerdings zulässig107.

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dd) Soweit nicht ausnahmsweise gesetzlich gestattet und soweit der Mandant nicht Gelegenheit hatte, sich unabhängig beraten zu lassen, sind auch vertragliche Haftungsbeschränkungen für die Verletzung der anwaltlichen Beratungspflicht unzulässig (ABA Model Rule 1.8[h]).

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ee) Auskunft an Dritte über Angelegenheiten des Mandanten darf der Anwalt auch ohne Verletzung seiner Verschwiegenheitspflicht nur mit Zustimmung des Mandanten nach Beratung und nur insoweit erteilen, als er Grund zu der Annahme hat, dass dies mit seinen sonstigen Verpflichtungen gegenüber dem Mandanten vereinbar ist108. Solche Auskünfte können – ähnlich denjenigen von Wirtschaftsprüfern – insbesondere im Vorfeld größerer Unternehmenszusammenschlüsse von Bedeutung sein. Im Umfang der Auskunftserteilung ist der Anwalt dem Dritten gegenüber für die Einhaltung allgemeiner Sorgfaltspflichten in Bezug auf den Inhalt der Auskunft haftbar109.

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104 Comment on ABA Model Rule 1.8. 105 Ausnahmen sind im Rahmen gewisser Grenzen Erfolgshonorare und die Kredit- oder Darlehensfinanzierung des Anwaltshonorars und/oder der Prozesskosten; vgl. nachf. Rn. 135 ff. 106 Comment on ABA Model Rule 1.8. 107 ABA Model Rule 1.8(d) und Comment on ABA Model Rule 1.8; ABA MODEL CODE DR 5-104(B) und EC 5-4. 108 ABA Model Rule 2.3(a), (b) und Comment on ABA Model Rule 2.3. 109 Vereins- und Westbank AG v. Carter, 691 F.Supp. 704 (S.D.N.Y. 1988).

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Die Rolle des Anwalts im amerikanischen Rechtssystem

6. Verschwiegenheitspflicht 79

Die Vertraulichkeit des Informationsaustausches im Rahmen des Mandatsverhältnisses stellt neben der anwaltlichen Treuepflicht den Kernbestandteil der anwaltlichen Beratungstätigkeit dar und unterliegt aus diesem Grunde einem doppelten Schutz: Zum einen besteht zugunsten des Mandanten ein absolutes Aussageverweigerungsrecht, welches insbesondere Gerichten, Behörden und Gegenparteien den Zugriff auf Informationen jeder Form zwischen Anwalt und Mandanten verwehrt (attorney client privilege). Darüber hinaus unterliegt der Anwalt aber auch außerhalb gerichtlicher oder behördlicher Verfahren einer Verschwiegenheitspflicht (ethical duty of confidentiality), die ihm die Weitergabe jeglicher Art von vertraulichen Informationen untersagt. Dabei ist die letztere Verpflichtung auch in sachlicher Hinsicht deutlich weiter gehend als das Aussageverweigerungsrecht, denn während sich jenes nur auf die eigentliche Kommunikation zwischen Anwalt und Mandanten (oder ihren jeweiligen Vertretern) erstreckt, betrifft die ethical duty of confidentiality darüber hinaus auch alle anderen Informationen, die der Anwalt in Bezug auf das Mandat erlangt hat; gleich aus welcher Quelle110. Auch nach Beendigung des Mandatsverhältnisses besteht sie in vollem Umfang fort.

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Insbesondere mit Rücksicht auf den prozessualen Schutz vertraulicher Kommunikationen zwischen Anwalt und Mandant durch Aussageverweigerungsrechte und durch die Ausnahme solcher Kommunikationen von der Offenbarungspflicht im Rahmen der discovery, vgl. nachf. Kapitel 6, sei hier nochmals daran erinnert, dass „Anwalt“ im standesrechtlichen Sinn nicht nur der freiberuflich tätige Rechtsanwalt, sondern auch jeder Syndikus und andere Unternehmensjurist ist; auch dessen Beratung der Geschäftsleitung unterliegt also in vollem Umfang dem Schutz des attorney client privilege111.

Im Einzelnen ist die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht wie folgt ausgestaltet:

110 ABA Model Rule 1.6 und Comment on Model Rule 1.6; ABA MODEL CODE DR 4-101(B). 111 Dies gilt allerdings bei einem zugleich der Unternehmensleitung angehörenden Juristen nur, soweit dieser gerade (zumindest auch) in seiner Eigenschaft als juristischer Berater des Vorstandes tätig wird und nicht als sonstiger leitender Angestellter; vgl. In re: Sealed Case, 737 F.2d 94 (D.C. Cir. 1984), eine Unterscheidung, die in der Praxis nicht immer leicht vorzunehmen ist, nicht zuletzt mit Rücksicht auf die Auswirkungen des Sarbanes-Oxley-Gesetzes (nachf. Rn. 121 ff.), aber zunehmend an Bedeutung gewinnen dürfte.

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Anwaltliches Berufsrecht

a) Attorney Client Privilege aa) Der prozessuale Schutz vor der Offenbarungspflicht umfasst bereits die im Rahmen der Mandatsanbahnung übermittelten Informationen, selbst wenn es später nicht zu einem Mandatsverhältnis kommt112.

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Problematisch ist diese Regelung insbesondere dann, wenn – wie in letzter Zeit immer häufiger der Fall – Unternehmen, die aus Anwaltssicht auf lange Sicht besonders attraktive Mandanten darstellen würden, für die Übernahme eines neuen Mandates sogenannte beauty contests veranstalten, d. h. Anbahnungsgespräche mit verschiedenen Kanzleien führen, unter denen sich nicht selten auch die potentiellen Vertreter ihrer eigenen Konkurrenz befinden. Denn bereits ein einziges solcher Gespräche im Rahmen eines beauty contests, selbst für eine Rechtsangelegenheit von nur untergeordneter Bedeutung, kann das Unternehmen zum geschützten Mandantenkreis der jeweiligen Kanzlei machen, was es aufgrund der damit entstandenen Treue- und Verschwiegenheitspflichten jedem einzelnen Anwalt der Kanzlei (d. h. bei den großen überörtlichen Sozietäten einer Zahl von mehreren Hundert Rechtsanwälten) unmöglich macht, in der Zukunft u. U. wesentlich größere Mandate von einem direkten Konkurrenten des betreffenden Unternehmens anzunehmen. Aus diesem Grunde erstreckt sich der vor jeder Mandatsanbahnung stehende conflict check gelegentlich nicht nur auf bestehende, sondern auch auf künftig erwartete Interessenkonflikte und schließt dann auch den Mandatsbestand im Konkurrenzbereich des potentiellen Neu-Mandanten ein.

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bb) Inhaber des attorney client privilege ist nicht der Anwalt, sondern der Mandant selbst; diesem obliegt also im Grundsatz dessen Geltendmachung oder der Verzicht auf seinen Schutz113. Ist der Mandant allerdings nicht zugegen, ist der Anwalt verpflichtet, die sich aus dem Privileg ergebenden Rechte anstelle des Mandanten geltend zu machen114.

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112 United States v. United Shoe Machinery Corp., 89 F.Supp. 357, 358-359 (D. Mass. 1950). Dies gilt auch dann, wenn die Entstehung eines echten Mandatsverhältnisses daran scheitert, dass der vermeintliche Anwalt überhaupt nicht als Rechtsanwalt zugelassen ist, sofern der Glaube des Mandanten an eine solche Zulassung schutzwürdig ist; vgl. z. B. CAL. EV. CODE § 950. 113 United States v. United Shoe Machinery Corp., 89 F.Supp. 357, 358-359 (D. Mass. 1950); s.a. CAL. EV. CODE § 953. Aus der grundsätzlich defensiven Natur des Aussageverweigerungsrechts ergibt sich allerdings, dass die teilweise Aufgabe von dessen Schutz regelmäßig nicht möglich ist; sagt der Anwalt vielmehr auf Geheiß seines Mandanten zu bestimmten Umständen vor Gericht aus, liegt hierin zugleich ein (mindestens konkludenter) Verzicht des Mandanten auf den Schutz des Aussageverweigerungsrechts in Bezug auf alle weiteren mit dem Gegenstand der Aussage unmittelbar in Verbindung stehenden Umstände. Vgl. Chevron Corp. v. Pennzoil Co., 974 F.2d 1156 (9th Cir. 1992); auch zur Bestimmung der Reichweite des solchermaßen aufgegebenen Schutzes. 114 Vgl. CAL. EV. CODE § 955 u. Chicago Great Western Railway Co. v. McCaffrey, 160 N.W. 818 (Iowa 1917).

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Die Rolle des Anwalts im amerikanischen Rechtssystem

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Umstritten ist die Behandlung der versehentlichen Preisgabe vertraulicher Informationen durch den Anwalt, z. B. im Rahmen der discovery. Nach der Ansicht einiger Gerichte bedarf es zum Verzicht oder der Verwirkung des Schutzes des Privilegs einer voll informierten Entscheidung; die versehentliche Preisgabe von Informationen ist also insoweit unter keinen Umständen ausreichend115. Andere Gerichte sehen demgegenüber den Schutz der Vertraulichkeit schon durch die Preisgabe der Information selbst als verloren an; auch wenn diese nur versehentlich erfolgt ist116. Eine vermittelnde Ansicht stellt eine Gesamtbetrachtung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalles an; wobei insbesondere in Betracht gezogen werden: die Angemessenheit der Schutzmaßnahmen, die der Anwalt gegen die versehentliche Preisgabe vertraulicher Informationen getroffen hat, der Umfang der Preisgabe nach Anzahl und Inhalt der betroffenen Kommunikationen, etwa unverzüglich getroffene Abhilfemaßnahmen, sowie die Frage, ob und inwieweit der Erhalt des Schutzes oder dessen Aufgabe im Einzelfall eher dem Gerechtigkeitsinteresse dienlich ist117.

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cc) Wenn der Mandant eine juristische Person ist, z. B. eine Handelsgesellschaft, so ist geschützt durch das attorney client privilege in erster Linie die Kommunikation zwischen dem Anwalt und hochrangigen Vertretern des Mandanten (z. B. der Geschäftsleitung)118. Der Informationsaustausch mit Angestellten und anderen Vertretern der Gesellschaft ist nur dann geschützt, wenn der Angestellte in Kenntnis der Tatsache, dass die Kommunikation im Zusammenhang mit der Erteilung von Rechtsrat an das Unternehmen steht, auf Anweisung seines Vorgesetzten mit dem Anwalt spricht, und nur soweit sich der Informationsaustausch auf Umstände erstreckt, die unmittelbar dem Tätigkeitsfeld des Angestellten innerhalb des Unternehmens entstammen119.

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dd) Sachlich umfasst das attorney client privilege alle gerade mit Rücksicht auf die Vertraulichkeit des Mandatsverhältnisses ausgetauschten

115 Vgl. z. B. Georgetown Manor, Inc. v. Ethan Allen, Inc., 753 F.Supp. 936 (S.D. Fla. 1991). 116 In re: Sealed Case, 877 F.2d 976 (D.C. Cir. 1989) und In re: Sealed Case, 676 F.2d 793, 809 (D.C. Cir. 1982). 117 Grundlegend Hydraflow, Inc. v. Enidine, Inc., 145 F.R.D. 626 (W.D.N.Y. 1993) (nach dieser Entscheidung auch „Hydraflow test“ genannt); zustimmend u. a. Gray v. Bicknell, 86 F.3d 1472 (8th Cir. 1996). 118 Zu den Grenzen s. jedoch In re: Sealed Case, 737 F.2d 94 (D.C. Cir. 1984). Hinsichtlich des Informationsaustausches mit einem unternehmensinternen Juristen geschützt sind nur solche Kommunikationen, die gerade (auch) auf die Eigenschaft des Betreffenden als juristischer Berater der Geschäftsleitung gegründet sind. 119 Upjohn Co. v. United States, 449 U.S. 383 (1981).

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Anwaltliches Berufsrecht

Informationen – und nur diese Informationen120 –, nicht hingegen die Identität des Mandanten selbst und ebenfalls im Grundsatz nicht die getroffene Honorarvereinbarung121; es sei denn, die Preisgabe dieser Tatsachen würde den Anwalt bereits zu einem erheblichen Vertrauensbruch zwingen122. Gleichfalls nicht allein durch Übergabe an den Anwalt geschützt sind Gegenstände, die auch in der Hand des Mandanten selbst nicht schutzwürdig wären; so kann sich spätestens nach Abschluss der Vertretung eine Verpflichtung – zumindest aber das Recht des Anwalts – ergeben, Werkzeuge und Beute einer Straftat seines Mandanten an die Strafverfolgungsbehörden weiterzugeben (ohne allerdings i.d.R. zu weiter gehenden Informationen verpflichtet zu sein, vgl. nachf. Rn. 88; aufrechterhalten bleibt das attorney client privilege insbesondere auch mit Rücksicht auf den Informationsaustausch aus Anlass des Erhalts der weiterzuleitenden Gegenstände, und der Anwalt ist nicht verpflichtet, diese von einem ihm bekannten Ort erst zu holen, wenn der Mandant ihm die Gegenstände nicht direkt ausgehändigt hat)123. Gebrochen wird das Privileg schließlich u. U. auch durch die Gegenwart von Dritten während des Informationsaustausches124, soweit es sich nicht um Vertreter des An120 United States v. United Shoe Machinery Corp., 89 F.Supp. 357, 358-359 (D. Mass. 1950); nach CAL. EV. CODE § 917 spricht eine ausdrückliche gesetzliche Vermutung für die Vertraulichkeit des Informationsaustausches zwischen Anwalt und Mandant sowie im Rahmen der weiteren durch Aussageverweigerungsrechte geschützten Vertrauensverhältnisse (vgl. insoweit nachf. Rn. 457 ff.). 121 Anders jedoch z. B. CAL. BUS.PROF. CODE § 6149 für den Fall einer schriftlichen Honorarvereinbarung. 122 Grundlegend Baird v. Koerner, 279 F.2d 623 (9th Cir. 1960); vgl. des Weiteren auch Developments in the Law – Privileged Communications, 98 HARV. L. REV. 1451, 1514-24 (1985). 123 California v. Meredith, 29 Cal. 3d 682 (1981); In re Ryder, 263 F.Supp. 360 (E.D. Va. 1967); State v. Olwell, 394 P.2d 681 (Wash. 1964) und State v. Green, 493 S.2d 1178 (La. 1986). 124 Dies gilt u. U. – ungeachtet des sich aus dem sechsten Zusatzartikel der U.S.Bundesverfassung ergebenden Anspruchs eines Beschuldigten auf umfassende anwaltliche Vertretung – auch dann, wenn der Dritte ein von dem Beschuldigten und seinem Verteidiger nicht als solcher erkannter V-Mann oder Informant der Strafverfolgungsbehörden ist; vgl. Weatherford v. Bursey, 429 U.S. 545 (1977) u. Hoffa v. United States, 385 U.S. 293 (1966); einschränkend jedoch United States v. Levy, 577 F.2d 200, 208 (3d Cir. 1978). Zur Verwendung elektronischer Abhörgeräte Coplon v. United States, 191 F.2d 749, 757-759 (D.C. Cir. 1951) (Verfassungsverstoß) und Black v. United States, 385 U.S. 26 (1966); zur Missbilligung auch der polizeiliche Durchsuchung von Anwaltsbüros s. People v. Nash, 341 N.W.2d 439, 447 (Mich. 1983); vgl. aber z. B. CAL. PENAL CODE § 1524 (Durchsuchung durch gerichtlich speziell zu diesem

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Die Rolle des Anwalts im amerikanischen Rechtssystem

walts oder des Mandanten oder andere im Rahmen des Mandatsverhältnisses hinzugezogene Personen handelt125, sowie stets dann, wenn das Gespräch nicht unter Umständen erfolgt, die hinreichend dazu angetan sind, die Vertraulichkeit der ausgetauschten Informationen zu wahren. 87

ee) Ausnahmen vom Schutz des attorney client privilege bestehen insbesondere in vier Fällen126: (1) Wenn der Mandant Beratung im Hinblick auf eine gegenwärtige oder künftige Straftat sucht (sog. crime-fraud exception): Nicht nur ist dem Anwalt in diesem Falle die Beratung als solche versagt127, er ist auch auf Befragung an die Grenzen des attorney client privilege nicht gebunden128. Von sich aus preisgeben muss er sein Wissen um die Absicht des Mandanten allerdings nicht; wenngleich er bei Gefahr besonders schwerer Straftaten die erlangte Kenntnis weitergeben darf (vgl. nachf. Rn. 88). Im Grundsatz unbeschränkte Fortgeltung behält das attorney client privilege auch in Bezug auf in der Vergangenheit liegende Straftaten; insoweit ist es dem Anwalt nach Kenntniserlangung von der Beteiligung seines Mandanten lediglich untersagt, die

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Zweck bestellte Anwälte zur Wahrung und zum Ausgleich der widerstreitenden Interessen aller Beteiligten). Vgl. z. B. CAL. EV. CODE § 952. Geschützt ist insbesondere auch die Kommunikation mit vom Anwalt zu Beratungs- und Informationszwecken hinzugezogenen Sachverständigen (consulting experts; zur Abgrenzung zu sog. testifying experts vgl. nachf. Rn. 395–396 u. 465 ff.) und mit für den Anwalt tätigen Privatdetektiven. Vgl. People v. Lines, 13 Cal.3d 500 (1975) und United States ex rel. Edney v. Smith, 425 F.Supp. 1038 (E.D.N.Y. 1976). ABA Model Rule 1.6(b) und Comment to Model Rule 1.6. Die Gesetze einzelner Bundesstaaten sehen darüber hinaus z. T. weitere Ausnahmen vor, z. B. im Zusammenhang mit dem Tod des Mandanten; vgl. u. a. CAL. EV. CODE §§ 957, 960 u. 961. United States v. United Shoe Machinery Corp., 89 F.Supp. 357, 358-359 (D. Mass. 1950); s. auch nachf. Rn. 90. CAL. EV. CODE § 956; In re Richard Roe, Inc. and John Doe, Inc., 68 F.3d 38 (2d Cir. 1995) und In re Grand Jury (G.J. No. 87-03-A), 845 F.2d 896 (11th Cir. 1988). Bevor insoweit eine Aussage des Anwalts gerichtlich angeordnet werden kann, bedarf es jedoch hinreichender Anhaltspunkte, dass die Voraussetzungen der crime-fraud exception vorliegen; dies ist vom Gericht ggf. im Wege einer vertraulichen Prüfung der vom Beweisführer vorgelegten Unterlagen festzustellen (in camera review), vgl. United States v. Zolin, 491 U.S. 554 (1989). Unerheblich für den Verlust des Schutzes ist es, ob und inwieweit der Anwalt bei der Beratung bereits Kenntnis von der beabsichtigten Straftat hatte; vgl. United States v. Tei Fu Chen, 99 F.3d 1495 (9th Cir. 1996).

Anwaltliches Berufsrecht

Verteidigung wissentlich auf falsche Tatsachenbehauptungen zu stützen oder einer Falschaussage des Mandanten Vorschub zu leisten129. (2) Soweit die Preisgabe der betreffenden Kommunikation dazu dient, einer vom Mandanten behaupteten Verletzung der anwaltlichen Beratungspflicht entgegenzutreten (ausdrücklich so z. B. CAL. EV. CODE § 958). (3) Im Rahmen eines Zivilprozesses zwischen zwei Parteien, die beide ehemals gemeinsame Mandanten des betreffenden Anwalts waren (vgl. z. B. CAL. EV. CODE § 962). Dies ist ein Umstand, auf den i.d.R. vor Mandatserteilung durch mehrere Mandanten ausdrücklich hingewiesen wird; üblich ist es in diesem Zusammenhang auch, sich das ausdrückliche Einverständnis des wahrscheinlich ausscheidenden Mandanten – etwa des mit vertretenen Arbeitnehmers eines Unternehmens oder des Versicherungsnehmers bei Anwaltsbeauftragung durch die Versicherung – mit der fortgesetzten Vertretung des verbleibenden „Haupt“-Mandanten (des Unternehmens bzw. Versicherers selbst) erteilen zu lassen.

(4) Im Rahmen von Aussagen zur Geschäftsfähigkeit eines Mandanten, der beabsichtigt, unter Lebenden oder durch letztwillige Verfügung über Vermögensgegenstände zu verfügen, oder eine solche Verfügung getroffen hat (s. z. B. CAL. EV. CODE § 959). b) Ethical Duty of Confidentiality Die auch über das attorney client privilege hinausgehende anwaltliche Verschwiegenheitspflicht umfasst sachlich im Wesentlichen alle jene Informationen, die nicht ohnehin bereits durch das vorgenannte privilege geschützt sind. Der Anwalt muss damit stets davon ausgehen, dass die Weitergabe oder Nutzung vertraulicher Informationen des Mandanten ihm standesrechtlich nicht gestattet ist und entsprechend sanktioniert werden kann (und i.d.R. auch tatsächlich sanktioniert wird); vgl. ABA Model Rule 1.6(a) u. 1.8(b); ABA MODEL CODE DR 4-101(B)(1) u. (2). Hiervon gelten lediglich vier Ausnahmen: (1) Die ausdrückliche Zustimmung des Mandanten nach entsprechender Beratung berechtigt den Anwalt zur Offenbarung oder Nutzung der ge-

129 Nix v. Whiteside, 475 U.S. 157, 173 (1986).

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Die Rolle des Anwalts im amerikanischen Rechtssystem

schützten Tatsache, auf die sich die Zustimmung bezieht (ABA Model Rule 1.6 u. 1.8[b]; ABA MODEL CODE DR 4-101[B][2] u. [C][1], EC 4-21). (2) Unter bestimmten Voraussetzungen gilt die Zustimmung des Mandanten zur Weitergabe oder Verwendung vertraulicher Informationen als konkludent erteilt, soweit dies zur sachgerechten Vertretung erforderlich erscheint, insbesondere soweit für den Mandanten tatsächlich von Vorteil (z. B. im Rahmen von Vertragsverhandlungen) und soweit sichergestellt ist, dass die Vertraulichkeit nicht weiter aufgegeben wird als erforderlich130. (3) Die Offenbarung vertraulicher Informationen ist auch zulässig, soweit sie zur Verteidigung gegen den Vorwurf standeswidrigen Verhaltens erforderlich ist (und soweit hier nicht bereits eine Ausnahme von den Beschränkungen des attorney client privilege gilt)131. (4) Erlangt der Anwalt Kenntnis von der Absicht des Mandanten, ein für das Opfer mit tödlicher oder erheblicher körperlicher Gefahr verbundenes Gewaltverbrechen zu begehen, ist er berechtigt – jedoch nicht verpflichtet! –, zur Verhinderung der Straftat erforderliche Informationen an die Strafverfolgungsbehörden zu erteilen132. 89

Wie auch das attorney client privilege bleibt aber die Verschwiegenheitspflicht in sonstiger Hinsicht mit Rücksicht auf Straftaten des Mandanten in voller Hinsicht bestehen133. Dies gilt selbst dann, wenn dem Anwalt nachträglich bekannt wird, dass der Mandant seine Dienste dazu genutzt hat, einem Dritten einen widerrechtlichen Vermögensschaden zuzufügen. In diesem Falle bleibt ihm nur der Appell an den Mandanten, den Schaden wiedergutzumachen, und, wenn dieser Appell scheitert, die Mandatsniederlegung und Ablehnung jeglicher künftigen Vertretung134. Zulässig ist in diesem Zusammenhang jedoch ein sogenanntes noisy

130 ABA Model Rule 5.3 und Comment on ABA Model Rule 1.6; ABA MODEL CODE EC 4-2 und 4-3; ABA Formal Opinion 95-398 (1995); United States v. McDonald, 313 F.2d 832, 835 (2d Cir. 1963). 131 ABA Model Rule 1.6(b)(2) und Comment on ABA Model Rule 1.6; ABA MODEL CODE DR 4-101(C)(4). 132 ABA Model Rule 1.6(b)(1); ABA MODEL CODE DR 4-101(B); New York City Bar Opinion 82-39 (1982); vgl. aber zur Reichweite der Ausnahme auch ABA MODEL CODE DR 4-101(C) (alle künftigen Straftaten) sowie z. B. CAL. EV. CODE § 956.5 (kein Aussageverweigerungsrecht). 133 People v. Belge, 83 Misc. 2d 186 (1975). 134 ABA Model Rule 1.2(d) und 1.16(a)(1); ABA Formal Opinion 92-266 (1992).

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Anwaltliches Berufsrecht

withdrawal, d. h. die Anzeige der Mandatsniederlegung an den geschädigten Dritten unter ausdrücklichem Hinweis darauf, dass der auf der Täuschung beruhende Rechtsstandpunkt jedenfalls von dieser Kanzlei nicht weiter vertreten werde. Ein noisy withdrawal ist in diesen Fällen selbst dann standesrechtlich nicht bedenklich, wenn der Dritte hierdurch erst auf die Täuschung aufmerksam gemacht wird135. 7. Verbot der Unterstützung bei der Begehung von Straftaten Von den Einschränkungen der Verschwiegenheitspflicht abgesehen, ist es einem Anwalt ausdrücklich untersagt, seine Mandanten in Bezug auf gegenwärtige oder künftige von ihm als strafbar erkannte Handlungen aktiv zu beraten. (Geboten ist lediglich gegebenenfalls der Hinweis, dass es sich beim Vorhaben des Mandanten um eine Straftat handelt.)136 Dem Verlangen, gleichwohl eine solche Beratung vorzunehmen – unter Umständen auch im Sinne einer Hilfestellung zur Umgehung des fraglichen Strafgesetzes – oder gar sich daran zu beteiligen, muss der Anwalt unmissverständlich entgegentreten (ABA Model Rule 1.2[d]; ABA MODEL CODE DR 7-102[A][7] und EC 7-3 bis 7-5). Wie schon im Zusammenhang mit der Vermögensschädigung von Dritten erörtert, ist er darüber hinaus auch verpflichtet, ein Mandatsverhältnis zu beenden, wenn er erst nachträglich erkennt, dass der Mandant seine Dienste zur Begehung von Straftaten ausnutzt oder ausgenutzt hat; desgleichen dann, wenn der Mandant auf der standeswidrigen Hilfeleistung zu seinem strafbaren Verhalten besteht137.

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Ist dem Anwalt bekannt, dass das ihm gezahlte Honorar aus einer Straftat stammt, oder beteiligt der Anwalt sich an der Geldwäsche dienenden finanziellen Transaktionen, so können die von ihm als Honorar entgegengenommenen Gelder und anderen Vermögenswerte beschlagnahmt und eingezogen werden138. Das Gleiche

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135 Comment on ABA Model Rule 1.6.; eingehend hierzu Krach, Note, The Client-Fraud Dilemma: A Need for Consensus, 48 MD. L.REV. 436 (1987). 136 ABA Model Rule 1.2(d) und (e); United States v. United Shoe Machinery Corp., 89 F.Supp. 357, 358-359 (D. Mass. 1950). 137 ABA Model Rule 1.16(a); Comment on ABA Model Rule 1.2; ABA MODEL CODE DR 2-110(B)(2) und DR 7-102(A)(7). 138 18 U.S.C. § 1963. Die Vorschrift ist Bestandteil des ursprünglich v.a. gegen Aktivitäten der Mafia gerichteten, zwischenzeitlich aber weit über diesen Bereich angewandten Gesetzes zur Bekämpfung krimineller Organisationen (RACKETEER-INFLUENCED AND CORRUPT ORGANIZATIONS ACT oder RICO, 18 U.S.C. §§ 1961-1965). Zu den zugrundeliegenden, der Drogenkriminalität zugehörigen Straftaten vgl. 21 U.S.C. § 853; zur Anwendung der Beschlagnahme- und

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Die Rolle des Anwalts im amerikanischen Rechtssystem gilt dann, wenn er lediglich deshalb keine positive Kenntnis von der Herkunft der entgegengenommenen Gelder hat, weil er ihm insoweit mögliche und zumutbare Erkundigungen bewusst unterlassen hat139.

8. Wahrung der Vermögensinteressen des Mandanten 92

Der Anwalt ist verpflichtet, Gelder und andere Vermögenswerte des Mandanten von seinem eigenen Vermögen getrennt zu halten und klar als Eigentum des Mandanten zu kennzeichnen (ABA Model Rule 1.15; ABA MODEL CODE DR 9-102[A]). Insbesondere dürfen Mandantengelder nicht auf das regulären Geschäftskonto des Anwalts, sondern nur auf ein entsprechendes Rechtsanwaltsanderkonto (client trust fund account) eingezahlt werden, die bei einer Bank in demselben Bundesstaat zu errichten sind, in dem auch der Anwalt selbst seine Praxis hat140. Bei besonders langfristiger Geldaufbewahrung kann sich hieraus auch eine Verpflichtung zur verzinslichen Geldanlage ergeben, wobei die Zinsen dem Mandanten zustehen141. Auch Honorar- und andere Vorauszahlungen des Mandanten müssen gegebenenfalls zunächst auf ein Anderkonto eingezahlt und von diesem je nach Leistungserbringung auf das allgemeine Geschäftskonto des Rechtsanwalts überwiesen werden142.

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Das Gleiche gilt insbesondere auch für die Entgegennahme von letztendlich dem Mandanten zustehenden Zahlungen Dritter wie z. B. vom Prozessgegner gezahlte Vergleichsbeträge: Soweit der Anwalt diese – was grundsätzlich zulässig ist – nicht sofort in voller Höhe an den Mandanten weiterleitet, sondern zunächst ganz oder teilweise zur Sicherung des Honoraranspruches einbehält, ist auch der einbehaltene Teil der Vergleichssumme auf ein Rechtsanwaltsanderkonto einzuzahlen und sodann über den Honoraranspruch abzurechnen. Erst nach erfolgter Abrechnung kann die Überweisung des Honoraranteils auf das anwaltliche Geschäftskonto erfolgen (ABA Model Rule 1.15[c]; ABA Model Code DR 9-102[A][2]).

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Einzugsvorschriften durch die Bundes-Staatsanwaltschaft U.S. Attorneys’ Manual guidelines no. 9-111.230, 9-111.300, 9-111.410 u. 9-111.430, 38 CRIM.L.REP. 3001 (1985) (zitiert nach Weinstein, Mansfield, Abrams, Berger, Evidence, S. 1426-1427); Caplin & Drysdale Chartered v. United States, 491 U.S. 617 (1989) und United States v. Monsanto, 491 U.S. 600 (1989); zur Geldwäsche s. des Weiteren 18 U.S.C. §§ 1956 u. 1957. In re Moffitt, Zwerling & Kemler, P.C., 846 F.Supp. 463 (E.D. Va. 1994), aff’d sub nom. United States v. Moffitt, Zwerling & Kemler, P.C., 83 F.3d 660 (4th Cir. 1996). ABA Model Rule 1.15; ABA MODEL CODE DR 9-102(A); Miller, Lawyer: Fiduciary, Accountant, Archivist, 58 N.Y. STATE BAR J. 15 (1986). RESTATEMENT OF THE LAW GOVERNING LAWYERS § 56, comment d (1996). ABA Model Rule 1.15; ABA MODEL CODE DR 9-102(A); RESTATEMENT OF THE LAW GOVERNING LAWYERS § 56, comment f (1996).

Anwaltliches Berufsrecht

Über die verwalteten Geldmittel und Vermögenswerte ist Buch zu führen und dem Mandanten periodisch eine Abrechnung zu erteilen, gegebenenfalls unter Auszahlung jeweils fälliger Beträge (ABA Model Rule 1.15[a] und [b]; ABA Model Code DR 9-102[B]). – Wenn ein Dritter berechtigte Ansprüche auf Auszahlung vom Anwalt verwalteter Fremdgelder erhebt, geht die Befriedigung seiner Forderung dem Auszahlungsanspruch des Mandanten allerdings vor143.

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9. Prozessführung Dem als Prozessbevollmächtigten auftretenden Anwalt obliegen nicht nur Verpflichtungen gegenüber seinem Mandanten, sondern auch gegenüber Gericht und Gegner. So ist er insbesondere gehalten, an einer zügigen und störungsfreien Verfahrenserledigung mitzuwirken144.

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a) Gerichtlicher Vortrag Der anwaltliche Vortrag zur Sach- und Rechtslage muss vollständig und richtig sein; dabei dürfen insbesondere auch Hinweise auf Gerichtsentscheidungen, die der vertretenen Ansicht direkt entgegenstehen, nicht unterlassen werden145. Nachteilige Tatsachen muss der Anwalt allerdings nur offenbaren, wenn es sich bei dem gestellten Antrag entweder um einen Eilantrag handelt, über den ohne oder nur aufgrund eingeschränkter Anhörung des Gegners entschieden werden soll (ex parte proceedings) – so dass die vollständige Aufklärung des Gerichts über den Sachstand im Wesentlichen in der Hand nur einer Partei liegt –, oder wenn das Verschweigen der nachteiligen Tatsachen einer bewussten Irreführung des Gerichts oder der Beihilfe zu einer Straftat des Mandanten gleichkäme und eine Mandatsniederlegung (gegebenenfalls auch in Form 143 Comment on ABA Model Rule 1.15; danach sollte der Anwalt über die Berechtigung der Drittforderung jedoch im Streitfall nicht selbst entscheiden, sondern eine Entscheidung auf dem ordentlichen Rechtsweg abwarten. 144 CAL. CODE CIV.PROC. §§ 128.5, 128.6 u. 1209; ABA Model Rule 3.2 und 3.5(c); ABA Model Code DR 7-106(C)(6) bezügl. der Prozessbehinderung (Verzögerungen unterstellt der ABA MODEL CODE demgegenüber in DR 7-102(A)(1) lediglich einem allgemein geltenden Schikaneverbot). 145 FRCP Rule 11; ABA Model Rule 3.3(a)(1) u. (3) und Comment on ABA Model Rule 3.3; ABA MODEL CODE DR 7-102(A)(5) und 7-106(B)(1). Zulässig (und gebräuchlich) ist allerdings eine Argumentation, die die Anwendung der in der ungünstigen Entscheidung aufgestellten Rechtssätze im konkreten Fall auf tatsächlicher Grundlage oder als rechtlich überholt auszuschließen sucht, vgl. ABA MODEL CODE EC 7-23.

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Die Rolle des Anwalts im amerikanischen Rechtssystem

eines sog. „noisy withdrawal,“ vgl. Rn. 89) allein nicht genügt, um den drohenden Schaden abzuwenden146. b) Kommunikation mit Richter und Geschworenen 97

Außer im Rahmen von ex parte proceedings sowie nach Maßgabe gerichtseigener Verfahrensvorschriften in Bezug auf eng umschriebene Verfahrensfragen ist es dem Anwalt strikt untersagt, einseitig mit Richter und Geschworenen zu kommunizieren (ABA Model Rule 3.5[b]; ABA MODEL CODE DR 7-108 und 7-110). Insbesondere verboten ist ihm die Kommunikation mit den Geschworenen (oder vor deren Auswahl auch mit den Mitgliedern des jury pool, aus dem die Geschworenenauswahl erfolgt; vgl. insoweit nachf. Rn. 547 ff.) vor und während eines anhängigen Verfahrens147. Nach vollständiger Verfahrensbeendigung darf er die Angelegenheit, soweit in der jeweiligen Verfahrensordnung ausdrücklich gestattet, mit einem ehemaligen Jury-Mitglied besprechen; jedoch nur in einer Weise, die sicherstellt, dass das Abstimmungsverhalten des betreffenden Geschworenen in künftigen Prozessen dadurch nicht beeinflusst wird. – Vor Beginn der Geschworenenauswahl darf der Anwalt sich unter keinen Umständen an einer schikanös in das Privatleben der potentiellen Geschworenen eingreifenden Ermittlung beteiligen oder eine solche von sich aus veranlassen. c) Zuwiderhandlungen gegen richterliche und gesetzliche Anordnungen

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Sanktionen sowohl standesrechtlicher als auch u. U. richterlich verhängter Natur ziehen des Weiteren die Missachtung gesetzlicher und richterlicher Gebote148, die Verletzung prozessualer Verpflichtungen wie insbesondere derjenigen im Rahmen der discovery149, die wissentliche 146 ABA Model Rule 3.3(a)(2), (b) u. (d) und Comment on ABA Model Rule 3.4; ABA MODEL CODE DR 7-102(A)(3); ABA Formal Opinion 93-376 (1993). 147 ABA Model Rule 3.5(b) und ABA MODEL CODE DR 7-108; das Verbot gilt gleichermaßen für alle Angestellten und Beauftragten des Rechtsanwalts, vgl. In re Warlick, 339 S.E.2d 110 (S.C. 1985). 148 CAL. CODE CIV.PROC. § 1209; ABA Model Rule 3.4(a); ABA MODEL CODE DR 7-109(B). Zulässig ist allerdings die Weigerung, einem Gesetz oder einer gerichtlichen Anordnung mit dem ausdrücklichen Ziel von deren Anfechtung als verfassungswidrig Folge zu leisten. Vgl. ABA Model Rule 1.2(d) und 3.4(a); ABA MODEL CODE DR 7-102(A)(2), 7-106(A) und 7-109(B) sowie EC 7-4; In re Tamblyn, 695 P.2d 902 (Or. 1985). 149 FRCP Rule 37(b); ABA Model Rule 3.4(d); ABA MODEL CODE DR 7-102(A)(1); Roadway Express, Inc. v. Piper, 447 U.S. 752 (1980).

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Anwaltliches Berufsrecht

Einführung falscher Beweismittel (einschließlich der Anleitung von Zeugen zur Falschaussage)150, die anderweitige Beweisunterdrückung und -fälschung151 sowie in krassen Missbrauchsfällen die Geltendmachung eines erkennbar vollständig grundlosen Anspruchs (frivolous claim)152 nach sich. Erkennt der Anwalt nachträglich, dass sein Mandant sich einer Falschaussage schuldig gemacht hat, sollte er den Mandanten zur Berichtigung der Aussage anleiten oder andernfalls das Mandat niederlegen. Ist die Mandatsniederlegung ihm nicht möglich und das Verfahren bei Entdeckung der Falschaussage – aber nur dann! – noch anhängig, so ist der Anwalt verpflichtet, das Gericht über seine Entdeckung aufzuklären153. d) Umgang mit Zeugen und Sachverständigen Zeugen dürfen keinerlei Gegenleistungen für ihr Auftreten vor Gericht versprochen werden; lediglich Ersatz eventuell anfallender Reiseauslagen sowie von Verdienstausfall in angemessenem Umfang ist zulässig154; darüber hinaus können Sachverständige (expert witnesses) angemessen für ihre Tätigkeit honoriert werden, ohne dass allerdings die Honorarzahlung vom Inhalt der Aussage des Sachverständigen oder vom Prozessausgang abhängig gemacht werden darf155. Sanktionsfähig ist auch die Anleitung von Zeugen dazu, sich durch Entfernen aus dem Gerichtsbezirk oder anderweitig der Ladung zu entziehen156. 150 ABA Model Rule 3.3(a)(4), (c) und 3.4(b); ABA MODEL CODE DR 7-102(A)(4); In re Eldridge, 82 N.Y. 161 (1880). 151 ABA Model Rule 3.4(a) u. (b); ABA MODEL CODE DR 7-102(A)(3), (6) u. (7) und DR 7-109(A) u. (B). Selbstverständlich stellt die Beweisunterdrückung und -fälschung darüber hinaus regelmäßig auch eine eigene Straftat des Anwalts dar, vgl. z. B. CAL. PENAL CODE § 135. 152 FRCP Rule 11; CAL. CODE CIV.PROC. §§ 128.5, 128.6; ABA Model Rule 3.1 und Comment on ABA Model Rule 3.1; ABA MODEL CODE DR 7-102(A)(1), (2) und EC 7-4; ABA Formal Opinion 85-352 (1985). 153 ABA Model Rule 3.3(a)(4) und (b); Nix v. Whiteside, 475 U.S. 157 (1986). 154 ABA Model Rule 3.4(b); ABA MODEL CODE DR 7-109(C)(1) u. (2); zur gesetzlichen Anordnung feststehender Zeugengebühren vgl. z. B. CAL. GOVT. CODE §§ 68093-68098. 155 ABA MODEL CODE DR 7-109(C)(3) und EC 7-28. Nach amerikanischem Verständnis stehen weder „einfache“ Zeugen (lay witnesses) noch Sachverständige auf der Seite des Gerichts, sondern stets auf der Seite der sie benennenden Prozessparteien, denen deshalb auch allein die Zahlung von Auslagenersatz und Sachverständigenhonorar obliegt. Vgl. z. B. CAL. GOVT. CODE § 68092.5 u. allg. nachf. Rn. 616 ff. 156 ABA Model Rule 3.4(a); ABA MODEL CODE DR 7-109(B). Soweit ohne Verletzung der Interessen des Betroffenen möglich, darf ein Anwalt jedoch einem

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Die Rolle des Anwalts im amerikanischen Rechtssystem

e) Unzulässige Beeinflussung von Richter und Geschworenen 100

Sanktioniert wird des Weiteren die (versuchte) Bestechung von Richtern, Geschworenen und anderen Gerichtsangehörigen (ABA Model Rule 3.5[a]; ABA MODEL CODE DR 7-110[A]), sowie gewisse unter der Bezeichnung chicanery at trial zusammengefasste Versuche der unzulässigen Einflussnahme auf die Entscheidungsfindung des Tatsachenrichters; insbesondere die Erwähnung für unzulässig befundenen Beweismaterials, die Behauptung persönlicher Kenntnis von streitigen Tatsachen und die Kundgabe persönlicher Ansichten über die Glaubwürdigkeit von Zeugen, die materielle Berechtigung einer Klageforderung und Schuld oder Unschuld des Angeklagten157. f) Öffentliche Erklärungen

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Gegenüber der Öffentlichkeit ist dem Prozessbevollmächtigten sowie sämtlichen Anwälten seiner Kanzlei zur Wahrung der verfassungsmäßig verbürgten Verfahrensrechte der Parteien eine gewisse Zurückhaltung in seinen Stellungnahmen auferlegt; so darf er insbesondere zwar – außer wenn das verfahrensleitende Gericht dies durch einen sogenannten gag order ausdrücklich verboten hat – auf Pressefragen Antwort geben, jedoch sollten seine Antworten so gefasst sein, dass dadurch dem ungestörten Verfahrensablauf kein unnötiger Schaden zugefügt wird158. Insbesondere Vertreter der Staatsanwaltschaft sind dabei gehalten, durch ihre Kommentare nicht zu einer öffentlichen Vorverurteilung des Angeklagten beizutragen (ABA Model Rule 3.8[e]).

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Unbeschadet dieser Regel ist dem Prozessbevollmächtigten allerdings (soweit auch dies nicht durch gerichtliche Anordnung untersagt ist) die Stellungnahme zu dem Mandanten nachteiligen Medienberichten und Behauptungen Dritter gestattet, wenn dies zum Schutz der Rechte und der prozessualen Situation des Mandanten erforderlich erscheint (ABA Model Rule 3.6[c]). Insbesondere im ZusammenMandanten oder dessen Vertreter oder Angestellten den Rat geben, nicht ausdrücklich erfragte Informationen nicht freiwillig preiszugeben, vgl. ABA Model Rule 3.4(f). 157 ABA Model Rule 3.4(e); ABA MODEL CODE DR 7-106(C)(1), (3) u. (4). Zur Unzulässigkeit der Erwähnung persönlicher Ansichten des Anwalts wegen deren Beweisunerheblichkeit und der Gefahr der unsachgemäßen Beeinflussung der Jury vgl. i. Ü. nachf. Rn. 577. 158 ABA Model Rule 3.6; allgemein zur Abwägung der Verfahrensrechte der Parteien und dem verfassungsrechtlichen Informationsanspruch der Presse vgl. Gentile v. State Bar of Nevada, 501 U.S. 1030 (1991) u. Chicago Council of Lawyers v. Bauer, 522 F.2d 242 (7th Cir. 1975), cert. denied, 427 U.S. 912 (1976).

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Anwaltliches Berufsrecht hang mit Prozessen mit erheblicher Öffentlichkeitswirkung führt diese Ausnahme immer wieder zu erheblichen Durchbrechungen der vorgenannten Regel, die im Extremfall (z. B. im Fall O.J. Simpson) auch zu einer fast vollständigen Verlagerung der Diskussion vom Gerichtssaal in den sogenannten court of public opinion führen können. In solchen Verfahren hängt die Wahrung eines ordnungsgemäßen Verfahrungsablaufes und des verantwortungsvollen Umgangs mit Presse und Öffentlichkeit nicht selten sowohl von der vorausschauenden Verfahrensleitung des Gerichts als auch vom Ethikbewusstsein der beteiligten Anwälte ab.

Stets zulässig ist allerdings die Äußerung zu gewissen als wertungsfrei betrachteten Verfahrenstatsachen („dry facts“ of the case). Hierzu zählen v.a. alle allgemein bekannten Umstände (matters of public record), die Rechtsnatur der Klage- bzw. Anklagevorwürfe und des Verteidigungsvortrags, die Namen der Verfahrensbeteiligten, der prozessuale Stand des Verfahrens (einschließlich gegebenenfalls der Anhängigkeit eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens), soweit erforderlich die Warnung vor gegenwärtigen Gefahren sowie die äußeren Tatsachen im Zusammenhang mit der Verhaftung eines Beschuldigten (Name, Anschrift, Namen der verhaftenden Beamten etc.).

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g) Prozessbevollmächtigter als Zeuge Die Einnahme einer Doppelrolle, in deren Rahmen der prozessführende Anwalt zugleich als Zeuge auftritt, ist aufgrund des darin liegenden Interessenkonflikts, der Gefahr der Irreführung der Jury durch Vermengung anwaltlicher Argumentation mit dem Inhalt der Zeugenaussage, und der Gefahr der Benachteiligung sowohl der eigenen Partei als auch des Prozessgegners nach Möglichkeit zu vermeiden159. Der Anwalt darf deshalb Mandate, bei denen eine solche Doppelrolle mit gewisser Wahrscheinlichkeit vorhersehbar ist, nicht annehmen; ergibt sich die Notwendigkeit seiner Zeugenbenennung erst nachträglich, sollte er das Mandat niederlegen160. Die Ausschlussregelung bezieht sich dabei nicht nur auf den (künftigen) Prozessbevollmächtigten selbst, sondern auf alle Anwälte seiner Kanzlei; insbesondere die Aktenweitergabe an einen mitarbeitenden Kollegen ist damit also auch ausgeschlossen.

159 Comment on ABA Model Rule 3.7; ABA MODEL CODE EC 5-9. 160 ABA MODEL CODE DR 5-101(B) und 5-102(A); ABA Model Rule 3.7(b) sieht allerdings eine Disqualifikation nur für den Fall vor, dass die potentielle Aussage für den Mandanten von Nachteil wäre.

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Die Rolle des Anwalts im amerikanischen Rechtssystem

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Gestattet ist dem sachbearbeitenden Anwalt gemäß ABA Model Rule 3.7(a) und ABA MODEL CODE DR 5-101(B) und 5-102(B) eine Zeugenaussage ohne Verpflichtung zur Mandatsniederlegung nur, wenn – seine Aussage ausschließlich eine Verfahrensformalität oder eine unstreitige Tatsache betrifft; – er nur zu Art und Vergütung seiner Beratungstätigkeit in der betreffenden Angelegenheit aussagen soll; – die Mandatsniederlegung für den Mandanten eine unzumutbare Härte darstellen würde; oder – er vom Prozessgegner als Zeuge benannt wird; allerdings bleibt auch in diesem Fall die Verpflichtung zur Mandatsniederlegung erhalten, wenn der Inhalt seiner Aussage für den Mandanten mit Nachteilen verbunden ist (ABA Model Rule 3.7; ABA MODEL CODE DR 5-102[B][1]). h) Drohung mit Anzeige

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Untersagt ist dem Prozessbevollmächtigten schließlich auch die Drohung mit einer Anzeige des Gegenanwalts bei der Disziplinaraufsicht wegen einer angeblichen Verletzung der Standesregeln, wenn eine solche Drohung mit dem Versuch verbunden ist, einen rechtlichen oder finanziellen Vorteil für den eigenen Mandanten zu erzielen. Hiermit soll eine sachfremde Instrumentalisierung des Standesrechts verhindert werden161.

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Zulässig ist demgegenüber nach den ABA MODEL RULES – nicht jedoch nach dem älteren ABA MODEL CODE, vgl. dort DR 7-105(A) – die Drohung mit einer Strafanzeige des Prozessgegners, wenn das angeblich strafbare Verhalten eine unmittelbare Beziehung zu dem anhängigen Zivilprozess hat und die tatsächliche Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens aufgrund der Anzeige wahrscheinlich erscheint162.

i) Staatsanwälte 108

Besondere Regeln gelten darüber hinaus schließlich für das Verhalten von Staatsanwälten, die auch nach dem amerikanischen Verständnis nicht nur Parteivertreter, sondern zugleich Vertreter der Öffentlichkeit und als solche verpflichtet sind, zur Sicherstellung eines fairen Verfahrens beizutragen163. So ergibt sich die Verpflichtung, nur dann Anklage zu erheben, wenn gegen den Beschuldigten ein hinreichender Tat161 ABA Formal Opinion 94-383 (1994). 162 ABA Formal Opinion 92-363 (1992). 163 ABA Model Rule 3.8 und Comment on ABA Model Rule 3.8; ABA MODEL CODE EC 7-13.

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Anwaltliches Berufsrecht verdacht (probable cause) besteht, nicht nur regelmäßig aus der jeweiligen Strafprozessordnung, sondern sie ist zugleich auch ein Gebot des Standesrechts (ABA Model Rule 3.8[a]; ABA MODEL CODE DR 7-103[A]). Das Gleiche gilt für die Wahrung des verfassungsmäßigen Rechts des Beschuldigten auf einen Verteidiger und für das Verbot, einen unvertretenen Beschuldigten zur Aufgabe seiner verfassungsmäßigen Rechte zu bewegen, z. B. des Rechts, sich nicht selbst zu belasten164. Auch die Verpflichtung, entlastendes Material unverzüglich an die Verteidigung weiterzugeben, ist nicht nur ein Verfassungs-, sondern auch ein standesrechtliches Gebot165. Die Verletzung eines jeden dieser Ge- und Verbote hat deshalb nicht nur Folgen für den Verlauf des betroffenen Verfahrens (die im Extremfall bis zur Aufhebung eines bereits ergangenen Strafurteils gehen können), sondern kann durchaus auch Disziplinarmaßnahmen gegen den betroffenen Staatsanwalt nach sich ziehen. – Schließlich ist dem Staatsanwalt auch eine besondere Zurückhaltung in öffentlichen Stellungnahmen zu einem Ermittlungsverfahren auferlegt (ABA Model Rule 3.8[e]; s.o. Rn. 101 ff.), und er darf den Anwalt eines Verfahrensbeteiligten nicht als Zeugen benennen; es sei denn, bei der von diesem erwarteten Aussage handele es sich lediglich um eine solche zu Tatsachen, die nicht der anwaltlichen Schweigepflicht unterliegen, von wesentlicher Bedeutung für das anhängige Verfahren sind und nicht auf andere Weise ermittelt werden können (ABA Model Rule 3.8[f]).

10. Verhalten gegenüber Dritten Im Verhältnis zu Dritten ist der Anwalt in erster Linie gehalten, keine falschen Angaben zur Sach- und Rechtslage zu machen166. Soweit ihm die Offenbarung insbesondere wesentlicher Tatsachen nicht durch die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht untersagt oder im Einzelfall vom Mandanten ausdrücklich gestattet ist, darf (und gegebenenfalls muss) er solche Tatsachen allerdings nur dann preisgeben, wenn er sich andernfalls der Beteiligung an einer Straftat des Mandanten schuldig machen würde (ABA Model Rule 4.1[b]; ABA MODEL CODE DR 7-102[B][1]). Ist ihm aufgrund der Schweigepflicht eine Offenbarung nicht möglich, bleibt ihm nur die Mandatsniederlegung, unter Umständen allerdings auch in Form eines „noisy withdrawal“167. 164 ABA Model Rule 3.8(b), (c); ABA STANDARD FOR THE PROSECUTION FUNCTION 3-2.7 (1979). 165 ABA Model Rule 3.8(d); ABA MODEL CODE DR 7-103(B); Brady v. Maryland, 373 U.S. 83 (1963) – nach dieser Entscheidung wird entlastendes Material generell als Brady material bezeichnet – sowie United States v. Bagley, 473 U.S. 667 (1985). 166 ABA Model Rule 4.1(a) und Comment on ABA Model Rule 4.1; ABA MODEL CODE DR 7-102(A)(5); ABA Formal Opinion 95-397 (1995). 167 ABA Model Rule 1.2(d), 1.16(a)(1) und Comment on ABA Model Rule 1.6; ABA MODEL CODE DR 2-110(B)(2); ABA Formal Opinion 92-366 (1992); vgl. auch vorstehend Rn. 89.

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Die Rolle des Anwalts im amerikanischen Rechtssystem

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Mit Personen, die ihrerseits anwaltlich vertreten sind, darf der Anwalt nach Kenntniserlangung von der Vertretung nicht direkt in Kontakt treten; es sei denn, der betreffende andere Anwalt stimmt der direkten Kommunikation zu, diese ist ausnahmsweise gesetzlich erlaubt oder sie betrifft nicht den Gegenstand des Beratungsverhältnisses zwischen dem Anwalt und seinem eigenen Mandanten168. Mit Personen, die ihrerseits nicht anwaltlich vertreten sind, darf der Anwalt in direktem Kontakt stehen; er muss jedoch seine Position als Interessenvertreter einer bestimmten Partei klar herausstellen und den Anschein vermeiden, dass er dem Dritten Rechtsrat erteile (lediglich der Rat ist zulässig, der Dritte möge sich seinerseits um anwaltliche Vertretung bemühen); vgl. ABA Model Rule 4.3; ABA MODEL CODE DR 7-104(A)(2). Unter keinen Umständen – insbesondere auch nicht bei der Beschaffung von Beweismitteln – darf er sich solcher Methoden bedienen, die nachteilig in die Rechte Dritter eingreifen (ABA Model Rule 4.4; ABA MODEL CODE DR 7-102[A][1] und 7-106[C][2]). Diese Grundsätze gelten gleichermaßen für den Umgang mit unbeteiligten Dritten wie auch für den Umgang mit dem nicht anwaltlich vertretenen Prozessgegner des eigenen Mandanten.

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Im Verhältnis zu juristischen Personen wie z. B. entsprechend organisierten Handelsgesellschaften gilt das Unternehmen selbst als „Person“ im Sinne dieser Regel. Handelt es sich bei der juristischen Person daher nicht um den Mandanten des betreffenden Anwalts, muss dieser insbesondere – soweit vorhanden – zunächst die Zustimmung des das Unternehmen vertretenden Rechtsanwalts einholen, bevor er sich direkt in Verbindung mit Mitgliedern der Geschäftsleitung oder anderen Angestellten mit Vertretungsbefugnis setzt169. Keine Zustimmung ist hingegen erforderlich zur Kontaktaufnahme mit einem früheren Mitarbeiter, es sei denn, dieser verfügt in größerem Umfang über vertrauliche unternehmensinterne Informationen170. 11. Beendigung des Mandatsverhältnisses

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In aller Regel ist der Anwalt verpflichtet, ein übernommenes Mandat bis zu dessen vollkommenem Abschluss auszuführen. Insbesondere während eines anhängigen Rechtsstreits bedarf die vorzeitige Mandatsbeendigung in der ganz überwiegenden Mehrzahl der Fälle der Zustimmung des 168 ABA Model Rule 4.2 und Comment on ABA Model Rule 4.2; ABA MODEL CODE DR 7-104(A)(1); ABA Formal Opinions 92-362 (1992) u. 95-396 (1995). 169 Comment on ABA Model Rule 4.2. 170 ABA Formal Opinion 91-359 (1991).

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Anwaltliches Berufsrecht

Gerichts, welche versagt werden kann, wenn aufgrund des Anwaltswechsels eine grobe Verzögerung oder anderweitige Störung des Verfahrensverlaufes zu befürchten ist171; dies gilt bei Antragstellung durch den bisherigen Anwalt u. U. selbst dann, wenn der Antrag ansonsten begründet erscheint (ABA Model Rule 1.16[c]). Zur Mandatsniederlegung verpflichtet ist der Anwalt allerdings stets dann, wenn es ihm entweder sein Gesundheitszustand unmöglich macht, die Vertretung ordnungsgemäß fortzusetzen, oder wenn die Fortsetzung des Mandatsverhältnisses für ihn mit einer Gesetzesverletzung oder dem Verstoß gegen eine Standesregel verbunden wäre; insbesondere dann, wenn der Mandant ihn zur Teilnahme an einer Straftat zu verleiten sucht (ABA Model Rule 1.16[a][1], [2] und 3.1; ABA MODEL CODE DR 2-110[B][1] – [3]).

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Darüber hinaus darf der Anwalt das Mandat gemäß ABA Rule 1.16(b) – nach rechtzeitiger Anzeige an den Mandanten und unter Einhaltung der allgemein im Zusammenhang mit der vorzeitigen Mandatsbeendigung bestehenden Verpflichtungen172 – niederlegen, wenn und soweit:

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– dem Mandanten hierdurch kein Nachteil entsteht; – der Mandant selbst Straftaten begeht; – der Mandant die anwaltliche Beratung in der Vergangenheit zur Begehung von Straftaten genutzt hat; – der Mandant die Erreichung eines rechtlich oder moralisch verwerflichen Zieles bezweckt; – der Mandant ein dem Anwalt gegebenes (i.d.R.: vertragliches) Versprechen bricht; – die Fortsetzung des Mandatsverhältnisses für den Anwalt mit unvertretbar hohen Kosten verbunden wäre; oder – der Mandant sich weigert, im Rahmen des Mandatsverhältnisses mit dem Anwalt zusammenzuarbeiten. Der Mandant seinerseits kann außerhalb des prozessualen Kontexts das Vertretungsverhältnis jederzeit – auch ohne Angabe von Gründen – vorzeitig beenden; in diesem Fall steht dem Anwalt ein den bisherigen Leis-

171 Ruskin v. Rodgers, 399 N.E.2d 623 (Ill. App. 1979). 172 Vgl. ABA Model Rule 1.16(d) und ABA MODEL CODE DR 2-110(A)(2) u. (3); s. auch nachf. Rn. 116.

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Die Rolle des Anwalts im amerikanischen Rechtssystem

tungen entsprechender Teil-Honoraranspruch zu (quantum meruit)173. Bei Vereinbarung eines Erfolgshonorars (vgl. nachf. Rn. 135) entsteht der Honoraranspruch allerdings erst mit Eintritt des vereinbarten Erfolges, typischerweise eines klagezusprechenden Urteils oder eines Vergleichsschlusses über einen bestimmten Geldbetrag174. Nach Prozessbeginn ist die Vertragsbeendigung durch den Mandanten allerdings gleichfalls vom gerichtlichen Einverständnis abhängig, welches unter den gleichen Voraussetzungen versagt werden kann (und wird) wie auf einen entsprechenden Antrag des Anwalts175. 116

Bei jeder vorzeitigen Beendigung des Mandatsverhältnisses – gleich ob durch den Anwalt oder durch den Mandanten – ist der Anwalt verpflichtet, über den erbrachten Beratungsumfang hinaus gegebenenfalls verbleibende Honorarvorauszahlungen an den Mandanten zurückzuzahlen und in seinem Besitz befindliche Unterlagen und anderes Eigentum des Mandanten an diesen herauszugeben (ABA Model Rule 1.16[d] und ABA MODEL CODE DR 2-110[A][2] u. [3]). 12. Anwaltliche Werbung

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Wie traditionell auch in Deutschland war in den USA die anwaltliche Werbung (lawyer advertising) bis zu einer Supreme Court-Entscheidung aus dem Jahre 1977 gänzlich verboten. In jener Entscheidung lockerte der höchste amerikanische Gerichtshof das bestehende Verbot jedoch und überließ die Regelung der anwaltlichen Werbung im Wesentlichen den Bundesstaaten, die zwar insbesondere falsche und irreführende Werbemethoden nach wie vor verbieten dürfen, nicht mehr jedoch die Werbung als solche176. a) Irreführende Werbung

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Die der Rechtsprechung des U.S. Supreme Court angepassten ABA MODEL RULES OF PROFESSIONAL CONDUCT unterwerfen damit insbesondere den sich falscher oder irreführender Werbemittel bedienenden Anwalt disziplinar173 Fracasse v. Brent, 6 Cal. 3d 784 (1972); Rosenberg v. Levin, 409 So.2d 1016 (Fla. 1982). 174 Rosenberg v. Levin, 409 So.2d 1016 (Fla. 1982). 175 Ruskin v. Rodgers, 399 N.E.2d 623 (Ill. App. 1979). 176 Bates v. State Bar of Arizona, 433 U.S. 350 (1977); vgl. auch In re RMJ, 455 U.S. 191 (1982); Ohralik v. Ohio State Bar Association, 436 U.S. 447 (1978) und Florida Bar v. Went For It, Inc., 515 U.S. 618 (1995).

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Anwaltliches Berufsrecht

rechtlichen Sanktionen. Falsch oder irreführend in diesem Sinne ist eine Werbeaussage, wenn sie wesentliche Tatsachen fehlerhaft darstellt oder unterdrückt, ungerechtfertigte Erwartungen weckt oder inhaltlich nicht überprüfbare Vergleiche anstellt (ABA Model Rule 7.1[a] – [c]). b) Weitere Beschränkungen Über das Verbot irreführender Werbung hinaus ist die anwaltliche Werbung nach Maßgabe von ABA Model Rule 7.2 nur den folgenden Beschränkungen unterworfen: – Angaben zur fachlichen Spezialisierung sind nur im Rahmen von ABA Model Rule 7.4 zulässig, d. h. wenn und soweit: – der Anwalt im Rahmen eines besonderen auf Bundesstaatsebene bestehenden Verfahrens als Fachanwalt in dem betreffenden Bereich zugelassen ist oder ein entsprechendes Zertifikat einer privatrechtlich organisierten, staatlich oder von der ABA anerkannten Organisation vorweisen kann177; oder – der Anwalt ohne einen solchen Fachanwaltsnachweis und ohne sich als Fachanwalt auszuhalten seine Angaben auf die Benennung seiner sachlich-rechtlichen Haupt-Tätigkeitsfelder beschränkt178. – Die Namensnennung von Mandanten bedarf i.d.R. deren vorheriger Zustimmung179. – Schriftliche Werbemittel bedürfen der Benennung mindestens eines Anwalts, der für ihren Inhalt persönlich verantwortlich zeichnet. – Es besteht eine Aufbewahrungspflicht von mindestens zwei Jahren für alle Werbemittel und die dazugehörigen Unterlagen. – Darüber hinaus ist es Anwälten vom Verkauf ihrer Praxis abgesehen untersagt, andere für die direkte Empfehlung ihrer Dienste zu bezahlen. 177 ABA Model Rule 7.4 (c); vgl. auch ABA MODEL CODE DR 5-105(A)(3). Nur wenige Bundesstaaten haben bislang solche Zulassungsverfahren eingeführt. Auf Bundesebene von Bedeutung ist insbesondere die Zulassung vor dem United States Patent and Trademark Office; Inhaber dieser Zulassung dürfen den Title patent attorney oder patent lawyer führen, vgl. ABA Model Rule 7.4(a). Anwälte, die auf die Bearbeitung see- und seehandelsrechtlicher Angelegenheiten spezialisiert sind, dürfen sich auch ohne besondere Fachanwaltszulassung proctors in admiralty nennen (ABA Model Rule 7.4[b]). 178 Vgl. insoweit auch ABA MODEL CODE DR 2-101(B)(2). 179 Comment on ABA Model Rule 7.2.

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Die Rolle des Anwalts im amerikanischen Rechtssystem

Zulässig ist allerdings die Beauftragung eines kommerziellen Werbeunternehmens sowie die Inanspruchnahme der Dienste eines anerkannten lawyer referral service, d. h. eines auf die Vermittlung rechtlicher Beratung spezialisierten Unternehmens180. c) Direkte Kontaktaufnahme 120

Verboten ist gemäß ABA Model Rule 7.3 des Weiteren die persönliche oder telefonische Kontaktaufnahme mit einem potentiellen Neu-Mandanten mit dem Ziel, diesen zur Mandatserteilung zu bewegen (client solicitation)181. Dies schließt auch ein Verbot ein, solche Kontaktaufnahmen von einem Vertreter des Anwalts vornehmen zu lassen, soweit sie dem Anwalt selbst nicht gestattet wären (ABA Model Rule 8.4[a]). Ausgenommen sind jedoch Angebote kostenloser Tätigkeit, da Gegenstand der Sanktion in erster Linie ein durch finanzielle Motive geprägtes Handeln ist182. Verboten ist außerdem nur die persönliche und telefonische Kontaktaufnahme; soweit dem Anwalt daher nicht im Einzelfall bekannt ist, dass der Adressat seines Angebots keinerlei Kontaktaufnahme seitens des Anwalts wünscht, und soweit der Inhalt des betreffenden Schreibens den Tatsachen entspricht und nicht irreführend ist, ist es zulässig, ein schriftliches Angebot rechtlicher Beratung an Personen zu schicken, deren konkreter Beratungsbedarf dem Anwalt auf andere Weise bekannt geworden ist. Aufdrängen darf er seine Tätigkeit allerdings auch in diesem Falle nicht, und das schriftliche Angebot muss klar als Werbeschreiben gekennzeichnet sein (ABA Model Rule 7.3[b] und [c]). II. Besondere anwaltliche Verpflichtungen nach Sarbanes-Oxley-Gesetz

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Gelegentlich kommt es auch in den USA zu Spannungen zwischen neuen gesetzlichen Regelungen und dem traditionellen anwaltlichen Berufsverständnis. Erwähnung finden muss in diesem Zusammenhang in der jüngsten Zeit insbesondere das nach seinen Initiatoren benannte Sarbanes-Oxley-Gesetz (Kurzform SOX oder SOA), das nach den Zusammen180 Comment on ABA Model Rule 7.2. 181 S. auch Attorney Grievance Commission of Maryland v. Gregory, 536 A.2d 646 (Md. App. 1988). Ein Neu-Mandant in diesem Sinne ist ein solcher, mit dem der Anwalt keine vorhergehende familiäre oder professionelle Beziehung hatte. Bestehen solche Beziehungen oder bestanden sie in der Vergangenheit, ist ein ungefragtes Angebot anwaltlicher Beratung ohne weiteres zulässig; vgl. ABA Model Rule 7.3(a). 182 In re Primus, 436 U.S. 412 (1978).

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Anwaltliches Berufsrecht

brüchen verschiedener Großunternehmen erlassen worden war, welche ihrerseits auch die sie hauptsächlich beratenden Rechtsanwalts- und Wirtschaftsberatersozietäten zum Teil stark in Mitleidenschaft gezogen und Zweifel an der Ordnungsmäßigkeit ihrer Tätigkeit hatten aufkommen lassen. In Ausführung von § 307 dieses Gesetzes hat die U.S.-Börsenaufsichtsbehörde (Securities and Exchange Commission, kurz SEC) mit Wirkung seit 5.8.2003 Regelungen erlassen, deren Mitteilungspflichten hinsichtlich bestimmter Mandanten-interner Vorgänge nicht unerheblich in die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht eingreifen (niedergelegt im CODE OF FEDERAL REGULATIONS, vgl. 17 C.F.R. Part 205). Danach ist der Anwalt nunmehr insbesondere verpflichtet, den leitenden Syndikusanwalt und den Geschäftsführer oder Vorstandsvorsitzenden des Unternehmens auf Verstöße gegen wertpapierrechtliche Bestimmungen und gegen die Treuepflicht des Unternehmens gegenüber den Aktionären – unter Vorlage des gegebenenfalls insoweit vorhandenen Beweismaterials – hinzuweisen; es sei denn, das Unternehmen habe insoweit zwischenzeitlich bereits von sich aus Abhilfe geschaffen (17 C.F.R. §§ 205.2[b], [d], [i] u. 205.3]b][1]; sog. up the ladder reporting). Trifft der Empfänger der Mitteilung auf diese keine geeigneten Maßnahmen, so ist der Anwalt des Weiteren verpflichtet, entweder das Buchprüfungskommittee (audit committee) des Unternehmens, ein anderes aus unabhängigen Vorstandsmitgliedern bestehendes Kommittee oder den Vorstand insgesamt in Kenntnis zu setzen.

122

Die Mitteilungspflicht des Anwalts entsteht, sobald ihm stichhaltige Anhaltspunkte für einen gegenwärtigen, vergangenen oder bevorstehenden Rechts- oder Pflichtverstoß des Unternehmens vorliegen (17 C.F.R. § 205.2[e], [l] u. [m]). Sie umfasst auch die den Verstoß betreffenden Kommunikationen zwischen Anwalt und Mandanten; darüber hinaus darf der Anwalt auch ohne Zustimmung des Unternehmens – und ohne hierdurch anderweitig für den Mandanten den Schutz des Beratungsgeheimnisses insgesamt aufzugeben – vertrauliche Informationen des Mandanten an die SEC weitergeben, wenn die Möglichkeit besteht, hierdurch eine finanziell erheblich ins Gewicht fallende Täuschung zu verhindern183.

123

183 Mehr noch als das up the ladder reporting innerhalb des Unternehmens sind die hiernach vorgesehenen Mitteilungen an die SEC Grundlage eines potentiell hochexplosiven Konflikts zwischen SOA und der anwaltlichen Treueund Verschwiegenheitspflicht nach traditionellem Verständnis.

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Die Rolle des Anwalts im amerikanischen Rechtssystem

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Die Regelung erfasst amerikanische wie auch internationale Anwälte; die Letzteren jedoch nur dann, wenn sie selbst ohne Hinzuziehung amerikanischer Kollegen rechtsberatend im Bereich des amerikanischen Rechts tätig sind und den betroffenen Mandanten gerade auch der SEC gegenüber vertreten.

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Alternativ sehen die SEC-Regeln die Überprüfung potentieller Rechtsverstöße durch ein unternehmensinternes Kommittee (qualified legal compliance committee) vor, welches mindestens aus einem Mitglied des Buchprüfungskommittees und zwei oder mehr Vorstandsmitgliedern bestehen muss und das Ergebnis seiner Untersuchungen, verbunden mit Empfehlungen für geeignete Abhilfemaßnahmen, dem Vorstand insgesamt sowie dem leitenden Syndikusjuristen und dem Vorstandsvorsitzenden mitzuteilen hat. Handelt das Unternehmen sodann nicht entsprechenden Empfehlungen des Untersuchungskommittees, so trifft jedes einzelne Mitglied jenes Kommittees sowie auch den Syndikusanwalt und den Vorstandsvorsitzenden die bußgeldbewehrte Verpflichtung, die SEC über die Rechtsverletzungen des Unternehmens in Kenntnis zu setzen und davon betroffene Eingaben wie z. B. Geschäftsberichte zurückzunehmen.

C. Anwaltskosten 126

Soweit die Kostentragungspflicht nicht ausnahmsweise gesetzlich oder durch Gerichtsentscheidung184 geregelt ist, unterliegt die Regelung der Anwaltskosten der Vereinbarung zwischen Anwalt und Mandanten; im Prozessfall trägt jede Partei ihre Kosten selbst. Die grundsätzliche Belastung der unterlegenen Partei mit allen entstandenen Kosten ist dem amerikanischen System fremd; lediglich bei groben Verstößen einer Partei gegen ihre prozessualen Pflichten kommt u. U. eine Auferlegung der dem Gegner infolge dieses Pflichtverstoßes entstandenen Mehrkosten als gerichtlich angeordnete Sanktion in Betracht (vgl. nachfolgend Rn. 403).

127

Allerdings hat nach den gesetzlichen Regelungen einiger Bundesstaaten ein zwischen den Parteien eines Rechtsstreits vertraglich geregelter Kostenerstattungsanspruch einer Partei stets auch einen entsprechenden Anspruch der anderen Partei

184 Im Verfahren vor den Bundesgerichten vgl. insoweit FRCP Rule 54(d) und hierzu Baicker-McKee, Janssen, Corr, Federal Civil Rules Handbook, Authors’ Commentary on Rule 54(d) m. zahlr. w.N.

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Anwaltskosten im Falle ihres prozessualen Obsiegens zur Folge, selbst wenn die vertraglichen Vereinbarungen eine solche Reziprozität eigentlich nicht vorsehen; vgl. z. B. CAL. CIV. CODE § 1717. In diesem Falle kann auch die Erstattung der anwaltlichen Prozessführungskosten dann als Hauptforderung klageweise mit geltend gemacht werden.

I. Honorarabreden Vergütungsvereinbarungen (fee agreements) sollten stets schriftlich getroffen werden; nach Maßgabe der ABA MODEL RULES und den auf ihrem Vorbild beruhenden Regelungen einzelner Bundesstaaten bedarf jede Honorarvereinbarung zu ihrer Wirksamkeit zwingend der Schriftform185. Das Erfordernis erstreckt sich dabei nicht nur auf die Höhe der Vergütung als solche; schriftlich niedergelegt werden müssen darüber hinaus auch die Berechnungsgrundlagen, welche im Einzelnen aufzuführen sind.

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Angemessen ist die vereinbarte Vergütung insbesondere insoweit, als sie der Schwierigkeit der anstehenden Rechtsfragen, dem zur Bearbeitung erforderlichen Zeitaufwand, der ortsüblichen Höhe des Anwaltshonorars186, der finanziellen und anderweitigen Bedeutung der Angelegenheit für den Mandanten sowie dem Erfahrungsstand des Anwalts Rechnung trägt (ABA Model Rule 1.5[a]; ABA MODEL CODE DR 2-106). Berücksichtigt werden darf auch, inwieweit der Anwalt durch die Mandatsübernahme an der Bearbeitung anderer Angelegenheiten gehindert ist, sowie, ob es sich um eine feste Honorarvereinbarung oder um ein Erfolgshonorar handelt (contingent fee, vgl. nachf. Rn. 135).

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Im Einzelnen variiert die Höhe des vereinbarten Stundensatzes in der Praxis v.a. nach Größe der beauftragten Kanzlei, Bedeutung des sachbearbeitenden Anwalts innerhalb der Kanzlei und örtlichen Verhältnissen. Während insbesondere Einzelanwälte in kleineren ländlichen Orten nicht selten für Stundensätze von US$ 50,– oder weniger tätig werden, berechnen Großstadtkanzleien – insbesondere die überörtlich tätigen Sozietäten – schon für die Tätigkeit eines Anwalts, der noch am Beginn seiner Karriere steht, nicht selten Stundensätze von US$ 200,– oder mehr. Für die Sachbearbeitung durch einen hochprofilierten Sozius mit langjähriger Berufserfahrung können bei diesen Kanzleien gut und gern Sätze von bis zu US$ 600,– pro Stunde anfallen.

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185 CAL. BUS.PROF. CODE § 6148; ABA Model Rule 1.5(b); vgl. auch ABA MODEL CODE EC 2-19. 186 Generelle Höchst- oder Mindesthonorarabsprachen zwischen Anwälten unterliegen allerdings den kartellrechtlichen Verbotsbestimmungen. Goldfarb v. Virginia State Bar, 421 U.S. 773 (1975); FTC v. Superior Court Trial Lawyers Association, 493 U.S. 411 (1990) und Arizona v. Maricopa County Medical Society, 457 U.S. 332 (1982).

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Die Rolle des Anwalts im amerikanischen Rechtssystem

131

Über die eigentliche Vergütung für seine Tätigkeit hinaus stehen dem Anwalt keine weiteren Kostenerstattungsansprüche zu; insbesondere gelten auch Büroauslagen regelmäßig durch das vereinbarte Honorar mit abgegolten. Anders verhält es sich jedoch mit solchen Auslagen, die über die allgemeinen Unkosten hinausgehen, z. B. vom anwaltlichen Büropersonal ausschließlich für die Bearbeitung eines bestimmten Mandats geleistete Überstunden sowie Auslagen für die Erforschung von Rechtsfragen mit Hilfe kostenpflichtiger juristischer Datenbanken (LEXIS, Westlaw) oder anderer nicht ohnehin in der Kanzlei z. B. in Buchform zur Verfügung stehender Hilfsmittel.

132

Im Streitfall zwischen Anwalt und Mandant über Einzelheiten der Honorarabrede wird diese i.d.R. zugunsten des Mandanten ausgelegt187; unangemessen hohe Vergütungsforderungen unterliegen darüber hinaus gegebenenfalls auch der gerichtlichen Sanktion (ABA Model Rule 1.5[a]; ABA MODEL CODE DR 2-106). Alternativ zur gerichtlichen Beilegung von Honorarstreitigkeiten stehen in einigen Bundesstaaten auch besonders zu diesem Zweck eingerichtete Schiedsgerichte und vergleichbare Institutionen zur Verfügung; vgl. z. B. CAL. BUS.PROF. CODE §§ 6200-6206. Gleichfalls ist es zulässig, solche Streitigkeiten durch Vereinbarung in der Honorarabrede selbst der Schiedsgerichtsbarkeit zu unterwerfen188. II. Einzelheiten der Honorarentrichtung 1. Vorauszahlung

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Die Vergütungsvereinbarung darf eine Verpflichtung des Mandanten zur Vorauszahlung des vereinbarten Honorars enthalten; bei vorzeitiger Beendigung des Mandats ist der Anwalt dann allerdings zur Rückzahlung des auf die nicht erbrachten Leistungen entfallenden Teilhonorars verpflichtet189. Behalten darf er in diesem Fall nur die sogenannte retainer fee, d. h. den Honoraranteil, der gegebenenfalls unabhängig von Art und Umfang der vereinbarten Leistungen für die Mandatsübernahme als solche angefallen ist; dies gilt allerdings nur insoweit, als die retainer fee klar von der leistungsabhängigen Vergütung zu unterscheiden ist190. Üblich ist allerdings die Vereinbarung nur der Vorauszahlung einer etwaigen retainer fee 187 Vgl. z. B. Terzis v. Estate of Whalen, 489 A.2d 608 (N.H. 1985). 188 ABA Formal Opinion 02-425 (2002). 189 ABA Model Rule 1.16(d) und Comment on Model Rule 1.5; ABA MODEL CODE DR 2-110(A)(3). 190 Jacobson v. Sassower, 66 N.Y.2d 991 (1985).

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Anwaltskosten

und gegebenenfalls einer Anzahlung für die ersten zu erbringenden Leistungen; darüber hinaus ist über Honorarforderungen i.d.R. nachträglich – oder bei längeren Mandatsverhältnissen auf fester Vergütungsbasis gegebenenfalls auch periodisch im Nachhinein – abzurechnen. 2. Sachhonorar Unter engen Voraussetzungen ist es dem Anwalt gestattet, anstelle monetärer Vergütung ein Sachhonorar oder Anteile am Vermögen des Mandanten in entsprechendem Wert entgegenzunehmen. Er darf hierdurch jedoch kein eigenes rechtliches oder finanzielles Interesse am Ausgang des Verfahrens erlangen191; so darf z. B. ein Anwalt im Rahmen eines Urheberrechtsprozesses kein Interesse an gerade dem umstrittenen Urheberrecht des Mandanten erwerben. Aufgrund des insoweit stets vorhandenen Konfliktrisikos – nicht selten ist der Anwalt schließlich weit besser als der Mandant in der Lage, den wirtschaftlichen Wert des Vermögensgegenstandes einzuschätzen – unterliegen solche Vergütungsvereinbarungen im Streitfall einer besonders engen Kontrolle und werden nicht selten zu Lasten des betroffenen Anwalts ausgelegt192.

134

3. Erfolgshonorar Die im Wesentlichen aus historischen Gründen nahezu einzige anerkannte Ausnahme von diesem Grundsatz ist die Vereinbarung von Erfolgshonoraren (contingent fees)193; zumeist bis zu maximal 30 % der Urteils- oder Vergleichssumme194. Unzulässig sind Erfolgshonorare nach den ABA MODEL RULES nur im Zusammenhang mit Strafprozessen sowie dann, wenn der geltend gemachte zugrundeliegende Anspruch des Mandanten auf einer Scheidung, insbesondere auf den damit einhergehenden Hausratsverteilungs- und Unterhaltsansprüchen, oder auf Unterhalts191 ABA Model Rule 1.8(j); ABA MODEL CODE DR 5-103 und EC 5-7; s. auch ABA Formal Opinion 02-427 (2002). Vgl. jedoch ABA Formal Opinion 00-418 (2000) zum Erwerb von Aktienanteilen (nicht grundsätzlich verboten). 192 Comment on ABA Model Rule 1.5; allgemein s. vorst. Rn. 132. 193 ABA Model Rule 1.8(j)(2); ABA MODEL CODE DR 5-103(A)(2). 194 Dabei ist die Höhe der Vereinbarung im Grundsatz an dem allgemeinen Angemessenheitsgebot der Vergütung zu messen; unterliegt die Honorarvereinbarung allerdings im Ausnahmefall keinem Schriftformerfordernis, sieht z. B. CAL. BUS.PROF. CODE § 6147.5 für Rechtsstreitigkeiten zwischen Kaufleuten gestaffelte Höchstgrenzen vor, die zwischen 20 % für die ersten US$ 300 und 13 % für Beträge über US$ 2.000 liegen.

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Die Rolle des Anwalts im amerikanischen Rechtssystem

ansprüchen anderer Art beruht (ABA Model Rule 1.5[d][1] und [2]; ABA MODEL CODE DR 2-106[C] und EC 2-20). Auch stets dann, wenn dem Interesse des Mandanten mit einer Vergütungsvereinbarung anderer Art u. U. besser gedient ist, ist der Anwalt zu einer entsprechenden Beratung unter Hinweis auf die jeweiligen finanziellen Folgen und gegebenenfalls zur Abstandnahme von der Vereinbarung eines Erfolgshonorars verpflichtet195. 4. Anwaltliches Pfandrecht 136

Einige Bundesstaaten erlauben darüber hinaus auch die Sicherung des Honoraranspruches durch ein spezielles Pfand auf die Urteilssumme oder den erzielten Vergleichsbetrag (attorney’s lien). Da auch dies den Erwerb eines unmittelbaren Interesses am Ausgang des Verfahrens beinhaltet, bedarf der Erwerb eines solchen Pfandrechts jedoch in jedem Fall der ausdrücklichen gesetzlichen, richterrechtlichen oder – soweit durch Gesetz oder Richterrecht gestattet – vertraglichen Ermächtigung196. 5. Kreditfinanzierung

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Allgemein zulässig ist hingegen die Kreditfinanzierung der Anwaltsvergütung und die Entgegennahme von Drittsicherungen für den Honoraranspruch; so stehen insbesondere der Begleichung des Honorars mit Kreditkarte, der Finanzierung durch Bankkredit oder der Hingabe eines verzinslichen Zahlungsversprechens i.d.R. keine Bedenken entgegen197. Im prozessualen Kontext ist es dem Anwalt darüber hinaus gestattet, dem Mandanten die Kosten der Prozessführung (Gerichtskosten, Sachverständigen- und Zeugenauslagen etc.) zunächst darlehensweise zur Verfügung zu stellen; nach ABA Model Rule 1.8(e)(1) darf die Rückzahlung ein solches Darlehens auch mit der Vereinbarung eines Erfolgshonorars verbunden werden198. Andere Formen der finanzieller Unterstützung des

195 Comment on ABA Model Rule 1.5; ABA MODEL CODE EC 2-20; ABA Formal Opinion 94-389 (1994). 196 ABA Model Rule 1.8(j)(1); ABA MODEL CODE DR 5-103(A)(1); Pennsylvania Bar Opinion 94-35 (1994). 197 ABA Model Rule 1.8(j); ABA MODEL CODE DR 5-103(A); ABA Formal Opinion 338 (1974) und 320 (1968); Hulland v. State Bar, 8 Cal. 3d 440 (1972). 198 Nicht jedoch nach ABA MODEL CODE DR 5-103(B), wonach den Mandanten zur Wirksamkeit solcher Vereinbarungen stets eine unbedingte Rückzahlungspflicht treffen muss. – ABA Model Rule 1.8(e)(2) erlaubt darüber hinaus auch die vollständige Finanzierung der Kosten der Prozessführung durch den An-

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Anwaltskosten

Mandanten durch den Anwalt sind jedoch gleichfalls wiederum untersagt (ABA Model Rule 1.8; ABA MODEL CODE DR 5-103[B] und EC 5-8). 6. Honorarzahlung durch Dritte Die Honorarannahme von dritten Personen ist dem Anwalt i.d.R. ebenfalls nicht gestattet; es sei denn, der Mandant hat sich nach Beratung mit der Zahlung durch den Dritten einverstanden erklärt, der Dritte unternimmt keinerlei Versuche, auf den Inhalt des ihn nicht erfassenden Mandatsverhältnisses und die anwaltliche Beratung Einfluss zu nehmen, und durch die Annahme des Honorars von dem Dritten entstehen auch im Übrigen keinerlei Gefahren für die dem Anwalt seinem Mandanten gegenüber obliegenden Treue- und Verschwiegenheitspflichten (ABA Model Rule 1.8[f]; ABA MODEL CODE DR 5-107[A] und [B] sowie EC 5-21 und 5-22).

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7. Honorarteilung Die Honorarteilung mit Drittanwälten (fee sharing) ist nur unter gewissen Voraussetzungen gestattet. So bedarf sie insbesondere der ausdrücklichen Zustimmung des Mandanten; die vom Mandanten insgesamt für die Tätigkeit aller beteiligten Rechtsanwälte zu entrichtende Vergütung darf sich darüber hinaus durch die kostenpflichtige Hinzuziehung eines weiteren Anwalts nicht unangemessen erhöhen, und die Honorarteilung muss dem jeweiligen Arbeitsanteil der beteiligten Anwälte proportional entsprechen (ABA Model Rule 1.5[e][1]; vgl. auch ABA MODEL CODE DR 2-107[A][2]). Danach ist insbesondere die Veranschlagung einer sogenannten referral fee, also eines Honorars nur für die Weiterverweisung eines Mandanten an einen anderen Anwalt, unter keinen Umständen gestattet199.

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III. Pro Bono-Tätigkeit Gänzlich ohne Honorar wird ein Anwalt demgegenüber bei Annahme eines sogenannten pro bono-Mandates tätig, d. h. bei der Vertretung mittelloser Mandanten, i.d.R. im Zusammenhang mit gesellschaftlich besonders bedeutsamen Anliegen. Diese Verfahren führen nicht selten zu walt zugunsten mittelloser Mandanten, was insbesondere bei der Übernahme von pro bono-Mandaten von erheblicher Bedeutung sein kann. 199 ABA Informal Opinion 85 – 1514 (1985).

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Die Rolle des Anwalts im amerikanischen Rechtssystem

wichtigen Grundsatzentscheidungen und tragen somit zum Prestige der Kanzleien bei, die diese Entscheidungen herbeigeführt haben; außerdem leisten die Letzteren durch die kostenfreie Mandatsübernahme in einem Rechtssystem, dem das Institut der Prozesskosten- und Beratungshilfe fremd ist und in dem ansonsten die rechtliche Vertretung wirtschaftlich schwacher Parteien den insoweit tätigen gemeinnützigen Organisationen und u. U. besonderen rechtsberatenden Stellen der Städte und Landkreise (counties) obliegt200, einen nicht zu unterschätzenden sozialen Beitrag. Aus diesem Grunde empfehlen auch nicht zuletzt die ABA MODEL RULES OF PROFESSIONAL CONDUCT sogar als Regelfall die Aufwendung einer bestimmten jährlichen Mindestzahl von Arbeitsstunden für die Übernahme von pro bono-Mandaten (ABA Model Rule 6.1; vgl. auch bereits ABA MODEL CODE EC 2-25).

200 Hierzu zählt im Strafrecht insbesondere das i.d.R. auf der Ebene der regionalen Verwaltungsbezirke (counties) organisierte office of the public defender.

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Kapitel 3: Das amerikanische Gerichtsverfassungssystem

Weiterführende Literatur: Bator, Fallon, Meltzer, Mishkin, Shapiro, The Federal Courts and the Federal System; Clark, Handbook of the Law of Code Pleading; Field, Kaplan, Clermont, Civil Procedure; Friedman, A History of American Law; Kempin, Historical Introduction to Anglo-American Law in a Nutshell; Meador, American Courts; Mullenix, Redish, Vairo, Understanding Federal Courts and Jurisdiction; Schack, Einführung in das US-amerikanische Zivilprozessrecht; Siegel, New York Practice; Surrency, History of the Federal Courts.

Zentrales Merkmal des amerikanischen Gerichtssystems ist die nebeneinander bestehende Existenz eines selbständigen Gerichtsaufbaus auf der Bundesebene einerseits und auf der Ebene der einzelnen Bundesstaaten andererseits: Im Gegensatz zu anderen föderalen Systemen wie z. B. dem der Bundesrepublik Deutschland, wo die Gerichte der unteren Instanzen auf Landesebene eingerichtet sind und erst in höchster Instanz eine Zusammenführung auf Bundesebene erfolgt, besteht in den USA eine eigenständige Gerichtsverfassung auf Bundesebene mit dreistufigem Instanzenzug und oftmals den Bundesstaats-Gerichten gegenüber konkurrierender Zuständigkeit. Dies lässt das amerikanische Gerichtssystem für Außenstehende oft unübersichtlich erscheinen und macht für den Praktiker eine Reihe taktischer Überlegungen erforderlich, die im Zusammenhang mit der Prozessführung in Deutschland entweder keine oder nur eine untergeordnete Rolle spielen. So stellt sich vor Klageerhebung nicht nur die Frage, ob der Prozess überhaupt auf Bundes- oder Bundesstaatsebene geführt werden soll, sondern auch, welches von gegebenenfalls mehreren Gerichten mit konkurrierender örtlicher Zuständigkeit angerufen werden soll und welches von gegebenenfalls mehreren konkurrierenden materiellen Rechtssystemen das angerufene Gericht sodann vermutlich anwenden wird. Die gleichen Überlegungen muss selbstverständlich auch der Beklagtenvertreter anstellen bei der Prüfung, ob gegebenenfalls zunächst einmal nur die gerichtliche Zuständigkeit bestritten und/oder ein Verweisungsantrag gestellt werden sollte201.

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Die parallele Existenz eines eigenständigen Gerichtsaufbaus auf Bundesund Bundesstaatenebene hat ihren Ursprung in der U.S.-BUNDESVERFASSUNG, bei deren Verabschiedung im Jahre 1789 die Gründerstaaten ja be-

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201 Eingehend zur gerichtlichen Zuständigkeit nachf. Kapitel 4.

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Das amerikanische Gerichtsverfassungssystem

reits als funktionsfähige politische Einheiten existierten, so dass die Bundesverfassung dementsprechend nicht der Schaffung einer vollständig neuen staatlichen Ordnung, sondern, wie es in der Präambel ausdrücklich heißt, der Stärkung des aus dem Unabhängigkeitskrieg hervorgegangenen Zusammenschlusses diente202. Konzeptionell geht das amerikanische Gerichtssystem i. Ü. im Grundsatz noch heute – wenngleich mit signifikanten Modifikationen203 – auf das Modell zurück, welches die Kolonisten des 17. und 18. Jahrhunderts aus Großbritannien mitgebracht hatten. Lediglich in Louisiana sind aufgrund der vormaligen französischen Herrschaft in jenem Bundesstaat starke Einflüsse der kontinentaleuropäischen Rechtstradition erhalten. 143

Gleichfalls wie noch heute in Großbritannien treten auch die amerikanischen Richter nicht unmittelbar nach Ende der Ausbildung in den Justizdienst ein, sondern werden erst nach anderweitig erworbener juristischer Berufserfahrung zum Richter ernannt oder gewählt. Wenngleich die vermutlich größte Anzahl der Richter dabei dem Kreise der Anwaltschaft entstammt, sind darunter – insbesondere an den Bundesgerichten und den höherrangigen Gerichten der Bundesstaaten – häufig auch frühere Universitätsprofessoren und höhere Beamte zu finden. Anders als Großbritannien kennen die USA aber keinerlei Beförderungsordnung innerhalb der Justiz; weder steht also notwendigerweise die Tätigkeit an einem erstinstanzlichen Gericht am Beginn der richterlichen Amtsausübung, noch hat ein Richter ohne weiteres die Aussicht auf einen Aufstieg zu einem Gericht höherer Ordnung – auch wenn dies durchaus gelegentlich vorkommen kann –, noch ist ein späterer Wechsel vom Justizsystem eines Bundesstaates zu einem (i.d.R. in diesem Staate ansässigen) Bundesgericht zwingend ausgeschlossen.

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Auf U.S.-Bundesebene werden die Kandidaten für das Richteramt vom Präsidenten bestimmt; jedoch bedarf ihre Ernennung der Zustimmung des Senats, wobei insbesondere bei der Besetzung der erstinstanzlichen Gerichte, der United States District Courts, die Senatoren der Bundesstaaten, die Sitz der jeweils betroffenen Gerichte sind, um erhebliche Einflussnahme bemüht sind. Stets von Bedeutung bei der Richterernennung – auf Bundesebene noch mehr als auf der Ebene der Bundesstaaten – ist dabei auch die politische Ausrichtung der Kandidaten; dies gilt nicht nur für ihre jeweilige Parteizugehörigkeit oder -affiliation im Allgemeinen, sondern darüber hinaus auch für ihre Einstellung zu bestimmten, politisch besonders brisanten Themen wie z. B. Abtreibung, Sterbehilfe und der Verhängung der Todesstrafe, zu denen sie sich bei ihrer Anhörung im Rechtssausschuss des Senates selbst dann dezidierte Fragen gefallen lassen müssen, wenn nicht zu erwarten ist, 202 Vgl. U.S.-BUNDESVERFASSUNG, Preamble: „We the People of the United States, in Order to form a more perfect Union … do ordain and establish this Constitution for the United States of America.“ (Hervorhebung durch die Verfasserin). 203 Dies gilt insbesondere für die erst mit Erlass der FEDERAL RULES OF CIVIL PROCEDURE 1938 aufgegebene Trennung zwischen courts of justice und courts of equity. Vgl. im Einzelnen nachf. Rn. 540 ff.

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Das amerikanische Gerichtsverfassungssystem dass diese jemals in ihrer richterlichen Praxis eine Rolle spielen werden. Denn die Besetzung freiwerdender Richterstellen an den Bundesgerichten bietet dem Präsidenten eine nicht zu unterschätzende Gelegenheit, sein politisches Programm auch im Bereich der Judikative zum Tragen zu bringen, was immer wieder heftige Kontroversen mit Vertretern der Opposition mit sich bringt und insbesondere in den letzten Jahren zum Auftritt einer steigenden Zahl von Vakanzen geführt hat, weil sich die Parteien im Senat nicht auf die Ernennung der vom Präsidenten vorgeschlagenen Kandidaten einigen konnten. Auf der Ebene der Bundesstaaten findet die Richterernennung nach einer Reihe verschiedener Modelle statt. Mehr und mehr Verbreitung hat in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts der nach seinem Ursprungsstaat benannte Missouri Plan gefunden, der erstmals 1940 Anwendung fand und vorsieht, dass Richterkandidaten dem jeweiligen Gouverneur von einer unabhängigen, aus Mitgliedern der Anwaltschaft, Richtern und anderen Vertretern des öffentlichen Lebens bestehenden Kommission vorgeschlagen werden. Die Kommission ihrerseits nimmt sowohl Bewerbungen interessierter Kandidaten als auch Anregungen dritter Personen entgegen und stellt auf dieser Grundlage und ausschließlich aufgrund der beruflichen Qualifikation der Bewerber – ohne Rücksicht auf deren politische Affiliation – eine drei- bis fünfköpfige Vorschlagsliste zusammen, aus welcher der Gouverneur dann schließlich seine Auswahl trifft. Nur zwei Bundesstaaten, nämlich Virginia und South Carolina, haben das bei Gründung der USA am weitesten verbreitete Modell der Richterernennung beibehalten, die Ernennung durch das Parlament. Eine weitaus größere Zahl von Staaten hingegen sieht nach wie vor die als Bestandteil der populistischen sogenannten Jacksonian Democracy während der Amtszeit von Präsident Andrew Jackson (1829 – 1837) eingeführte Richterernennung durch direkte Volkswahl vor, obgleich die gegen diese Form der Ernennung bestehenden Bedenken – insbesondere im Zusammenhang mit den damit verbundenen Wahlkampagnen und den sich aufgrund politischer und finanzieller Einflussnahmen daraus ergebenden Gefahren für die richterliche Unabhängigkeit – durchaus kritisch diskutiert werden. Allerdings kommt es selbst in den Bundesstaaten, die im Grundsatz die Richterernennung durch Parlaments- oder Volkswahl vorsehen, nicht selten vor, dass die Ernennung stattdessen vom jeweiligen Gouverneur vorgenommen wird, da diesem in aller Regel Eilbefugnisse für den Fall außerhalb einer Wahlperiode aufgrund des Todes oder der Pensionierung des Amtsinhabers auftretender Vakanzen zustehen.

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Verfehlt wäre es jedoch, allein aufgrund des Ernennungsverfahrens Schlüsse auf die Amtsführung amerikanischer Richter ziehen zu wollen. Denn zum einen ist die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Richteramtes auch in den USA sowohl auf der Verfassungsebene als auch auf der Ebene der einfachen Gesetzgebung garantiert; zum anderen unterliegt die Richterschaft ebenso wie die Anwälte einem code of ethics204, der nicht nur Grenzen für die Beteiligung an Wahlkam-

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204 Im Allgemeinen handelt es sich bei den entsprechenden Kodifikationen heutzutage um Umsetzungen des von der American Bar Association herausgegebenen CODE OF JUDICIAL CONDUCT (derzeit neueste Fassung: 1990); die ältesten richterlichen Verhaltensregeln gehen allerdings bis auf die CANONS OF JUDICIAL ETHICS von 1924 und darüber hinaus auf zahlreiche ältere, ungeschriebene

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Das amerikanische Gerichtsverfassungssystem pagnen setzt (und zwar derjenigen anderer Bewerber um öffentliche Ämter wie auch der eigenen Kandidatur um das Richteramt), sondern darüber hinaus auch jeden Richter noch einmal insbesondere auf die Grundsätze der Unparteilichkeit, Gesetzestreue, allgemeinen Fairness und Wahrung des öffentlichen Ansehens des Richteramtes verpflichtet und den Amtsmissbrauch strengen Sanktionen unterwirft. Im Hinblick auf die Einzelheiten der Amtsführung gehen die Beschränkungen des amerikanischen code of judicial ethics dabei oft deutlich über die vergleichbaren Regeln etwa in §§ 41 ff. ZPO und §§ 25 ff. DRiG hinaus; so ist z. B. die einseitige Kommunikation mit nur einer Prozesspartei (ex parte communication) auch zur Erledigung einfacher Verfahrensfragen i.d.R. nicht gestattet, sondern sie bedarf stets der Einwilligung des Gegners; von diesem Falle abgesehen ist sie nur zur Abwendung eines unvermeidlichen prozessualen Notstandes und in wenigen ausdrücklich gesetzlich geregelten Ausnahmefällen zulässig. Verstöße gegen dieses Kontaktverbot können nicht nur disziplinarrechtlich geahndet werden, sondern führen in aller Regel auch zur Ablehnung des Richters wegen Befangenheit. Nicht zuletzt aufgrund dieses strengen code of ethics – sowie aufgrund der Tatsache, dass sie erst nach mehrjähriger Berufserfahrung und Erlangung einer anderweitig herausgehobenen Stellung ernannt werden – genießen amerikanische Richter dementsprechend auch ein unbestritten hohes Sozialprestige.

A. Die Bundesgerichte 147

Ansatzpunkt für die Bildung der U.S.-Bundesgerichte ist Artikel III der Bundesverfassung, welcher die Schaffung des U.S. Supreme Court sowie weiterer Gerichte nach Maßgabe der einfachen Gesetzgebung vorsieht205. Noch im Jahre 1789, dem Jahr der Verabschiedung der Bundesverfassung, erließ der amerikanische Kongress den JUDICIARY ACT, durch den die Grundlagen der Bundes-Gerichtsverfassung geschaffen und mit den United States District Courts erstinstanzliche Gerichte im gesamten damals existierenden Territorium der USA geschaffen wurden. Ca. 100 Jahre später, im Jahre 1891, kam eine mittlere Gerichtsebene mit dem Supreme Court untergeordneten Rechtsmittelgerichten hinzu, die ursprünglich Circuit Courts hießen und vor einigen Jahrzehnten in U.S. Courts of Appeals umbenannt wurden (vgl. 28 U.S.C. §§ 1291 – 1292). Dieser dreistuGrundsätze zurück. In Zeiten der immer wichtiger werdenden schiedsgerichtlichen Tätigkeit greift darüber hinaus auch die Schaffung standesrechtlicher Regelungen für Schiedsrichter um sich; vgl. z. B. die in den CALIFORNIA RULES OF COURT enthaltenen Ethics Standards for Neutral Arbitrators in Contractual Arbitration (RULES OF CT Div. VI). 205 U.S.-BUNDESVERFASSUNG, Article III § 1: „The judicial Power of the United States, shall be vested in one supreme Court, and in such inferior Courts as the Congress may from time to time ordain and establish.“

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Die Bundesgerichte

fige Aufbau mit den District Courts auf der untersten Ebene der Pyramide und dem U.S. Supreme Court an der Spitze bildet auch heute noch die Grundstruktur der Bundes-Gerichtsverfassung. Die Richter aller gemäß Artikel III der U.S.-Bundesverfassung errichteten Gerichte, also des U.S. Supreme Court, der U.S. States Courts of Appeals und der U.S. States District Courts, sind auf Lebenszeit ernannt206 und haben Anspruch auf eine angemessene Mindestvergütung.

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I. District Courts Heutzutage ist das Gebiet der USA in 94 Bundes-Gerichtsbezirke (federal districts) unterteilt, von denen je einer dem Territorium der kleineren bzw. dünner besiedelten Bundesstaaten entspricht, während auf die größeren Staaten mit höherer Siedlungsdichte jeweils mehrere Bezirke entfallen207. In aller Regel sind die äußeren Grenzen der federal districts mit den territorialen Grenzen der jeweiligen Bundesstaaten identisch. Die District Courts sind Eingangs- und einzige Tatsacheninstanz für alle Verfahren auf U.S.-Bundesebene; sie sind in kleineren Bezirken mit zwei, in größeren Bezirken mit bis zu 28 Richtern (district judges) besetzt. Richterzahlen von mehreren Hundert wie z. B. bei großen deutschen Amtsgerichten sind dem amerikanischen System unbekannt, was nicht zuletzt am dortigen Verfahrensverständnis liegt, welches eine wesentlich größere Verantwortung für die Verfahrensführung und die Beweisermittlung in die Hände der Anwaltschaft legt. Aufgrund des von ihnen abgedeckten flächenmäßig nicht unerheblichen Gebietes verfügen die federal districts nicht selten über mehr als nur einen Sitzungsort.

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United States District Courts entscheiden sowohl Zivil- als auch Strafverfahren in der Besetzung mit einem Berufsrichter, wozu in beiden Verfahrensarten (in Zivilprozessen allerdings nur bei Schadensersatzklagen und ausgewählten anderen Verfahren, vgl. nachf. Rn. 540 ff.) eine Jury als Tatsachenrichter hinzutreten kann, wenn die Parteien von ihrem verfas-

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206 Wörtlich: „during good Behaviour,“ vgl. U.S.-BUNDESVERFASSUNG, Article III § 1. 207 Nur ein federal district existiert jeweils für die Staaten Maine, Massachusetts, New Hampshire, Puerto Rico, Rhode Island, Connecticut, Vermont, Delaware, New Jersey, Maryland, South Carolina, Minnesota, Nebraska, North Dakota, South Dakota, Alaska, Arizona, Hawaii, Idaho, Montana, Nevada, Oregon, Colorado, Kansas, New Mexico, Utah und Wyoming. Das Gebiet der übrigen Staaten ist jeweils in mehrere geographisch bezeichnete Bundes-Gerichtsbezirke aufgeteilt (Eastern, Western Southern, Northern und ggf. Central oder Middle District).

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Das amerikanische Gerichtsverfassungssystem

sungsmäßig verbürgten Recht auf ein jury trial Gebrauch machen. Wenn kein Antrag auf jury trial vorliegt – denn ein Geschworenengericht ist im Zivilprozess nicht der gesetzlich vorgesehene Regelfall, sondern tritt nur auf ausdrücklichen Antrag zusammen, auch wenn ein solcher Antrag in der Praxis in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle gestellt wird208 – oder wenn von vornherein kein Anspruch auf ein jury trial besteht, entscheidet der Richter im Rahmen eines sog. bench trial sowohl über Tatsachenals auch über Rechtsfragen. 151

Außer den district judges verfügen die District Courts noch über sogenannte magistrate judges, denen von Ausnahmefällen abgesehen aber nicht die Verfahrensleitung insgesamt und die streitige Endentscheidung übertragen ist, sondern die Leitung gewisser Abschnitte eines vor einem district judge anhängigen Verfahrens, wie z. B. die Aufsicht über die ansonsten in Anwaltshand liegende discovery, und gegebenenfalls die Entscheidung streitiger Einzelfragen in diesem Zusammenhang209. Entscheidungen der magistrate judges können durch Anrufung des jeweils zuständigen district judge angegriffen werden, dessen Entscheidungen dann ihrerseits der weiteren Anfechtung vor dem zuständigen U.S. Court of Appeals unterliegen210. II. U.S. Courts of Appeals

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Den District Courts übergeordnet sind die insgesamt 13 U.S. Courts of Appeals, von denen elf numerisch bezeichnete Gerichte211 auf territorialer Grundlage jeweils für Rechtsmittel gegen die Entscheidungen der in ihrem 208 Im Strafprozess gilt die umgekehrte Regelung; dort ist das jury trial der von der Verfassung ausdrücklich verbürgte Regelfall, der Angeklagte hat allerdings die Möglichkeit, hierauf zu verzichten. Vgl. U.S.-BUNDESVERFASSUNG, Amendment VI u. hierzu Patton v. United States, 281 U.S. 276 (1930). 209 Vgl. 28 U.S.C. §§ 631-639 und FRCP Rule 72; zur verfahrensmäßigen Behandlung und Entscheidung des gesamten Streitstoffes durch den magistrate judge im Einverständnis der Parteien vgl. FRCP Rule 73. Zu dem gleichen Zweck kann im Einzelfall auch ein (an sich gerichtsfremder) sogenannter special master ernannt werden; s. FRCP Rule 53. Zum Verfahren vor masters und magistrate judges vgl. Baicker-McKee, Janssen, Corr, Federal Civil Rules Handbook, Authors’ Commentary on Rule 53, Authors’ Commentary on Rule 72 u. Authors’ Commentary on Rule 73, jeweils m. w. N. 210 Conetta v. National Hair Care Centers, Inc., 236 F.3d 67, 73 (1st Cir. 2001). Das Gleiche gilt im Grundsatz für die Entscheidungen der special masters; vgl. Charter Oak Fire Ins. Co. v. Hedeen & Cos., 280 F.3d 730, 738 (7th Cir. 2002). 211 Die vollständige Bezeichnung lautet U.S. Court of Appeals for the First, Second, Third etc. Circuit (kurz jedoch zumeist nur „First, Second, Third etc.

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Die Bundesgerichte

Bezirk (circuit) liegenden District Courts zuständig sind; wobei jeder dieser federal circuits flächenmäßig die federal districts von mindestens drei Bundesstaaten umfasst212. Außer diesen Courts of Appeals mit territorialer Zuständigkeit gibt es ein eigenes Rechtsmittelgericht für den District of Columbia (U.S. Court of Appeals for the District of Columbia Circuit, kurz D.C. Circuit) sowie seit 1982 ein Gericht mit Sonderzuständigkeit für Rechtsmittel in Patentangelegenheiten, bestimmten Klagen gegen Bundesbehörden sowie Verfahren, die in erster Instanz vor zwei besonderen erstinstanzlichen Gerichten213 anhängig waren: Den U.S. Court of Appeals for the Federal Circuit (kurz: Federal Circuit); vgl. 28 U.S.C. § 1295. Ausgangsgericht für Verfahren vor diesem Gericht kann – von den letztgenannten Sondergerichten abgesehen – unabhängig von sonst bestehenden örtlichen Zuständigkeitsgrenzen jeder District Court sein, solange der Streitstoff sachlich in die Zuständigkeit des Federal Circuit fällt. Die U.S. Courts of Appeals sind wie die U.S. District Courts zur Entscheidung von Zivil- wie auch von Strafsachen zuständig; darüber hinaus unterliegt ihnen auch die Entscheidung von Rechtsmitteln gegen die Entscheidungen der meisten Bundesbehörden, wenngleich in der Praxis aufgrund des jeweiliges Behördensitzes die Mehrzahl der letztgenannten Rechtsmittelverfahren vor dem D.C. Circuit anhängig ist.

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Auch die U.S. Courts of Appeals sind mit deutlich weniger Richtern besetzt als deutsche Rechtsmittelgerichte; ihre Zahl reicht von gerade einmal sechs Richtern im First Circuit bis zu der als außerordentlich groß geltenden Anzahl von 26 Richtern in dem flächenmäßig besonders weit gefassten Ninth Circuit. Entscheidungen werden in sogenannten panels von je drei Richtern getroffen, die i.d.R. monatlich jeweils neu gebildet werden (zu Einzelheiten vgl. insoweit nachf. Rn. 732 ff.).

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Wenn eine Rechtsmittelsache von besonderer rechtlicher Bedeutung ist oder die Parteien geltend machen, dass die Entscheidung des Dreier-panels mit einer anderen Entscheidung desselben Gerichts im Widerspruch steht, besteht die Möglichkeit der erneuten Anhörung und Entscheidung

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Circuit“). Zur örtlichen Zuständigkeit der elf numerisch bezeichneten Courts of Appeals vgl. Schaubild No. 2. 212 Da diese Gerichte eine reine Rechtsprüfung vornehmen, sollte allerdings von der Übersetzung des Wortes „appeal“ mit dem insoweit nicht deckungsgleichen Begriff „Berufung“ abgesehen werden. 213 Claims Court und Court of International Trade, sowie mit Einschränkungen auch Entscheidungen des Court of Veterans Appeals; vgl. nachf. Rn. 159 u. 161.

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Das amerikanische Gerichtsverfassungssystem

der Sache vor allen Richtern des betreffenden U.S. Court of Appeals oder bei Gerichten mit mehr als fünfzehn Richtern vor einem entsprechend erweiterten panel, welches aber nicht alle Richter des betreffenden Gerichts umfasst (rehearing en banc)214. III. Der U.S. Supreme Court 156

Der in Washington, D.C. ansässige U.S. Supreme Court steht an der Spitze des amerikanischen Gerichtssystems und ist zugleich das einzige Gericht, dessen Schaffung bereits durch die Verfassung als solche vorgesehen ist. Zusammensetzung und Zuständigkeit sind aber auch hier im Einzelnen – in den durch die Verfassung gesetzten Grenzen – in einfachen Gesetzen geregelt; vgl. insoweit 28 U.S.C. §§ 1251-1257. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts besteht der Supreme Court aus neun auf Lebenszeit ernannten Richtern (Justices), von denen einer zum Chief Justice of the United States ernannt wird und nicht nur dem U.S. Supreme Court vorsteht, sondern in bestimmten Fällen auch weitere Funktionen ausübt wie z. B. den Vorsitz in einem präsidialen Amtsenthebungsverfahren215.

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Der Gerichtshof tritt zur Verhandlung und Entscheidung nur während des sog. supreme court term jeweils zwischen Oktober und Juni zusammen und befindet über Rechtsmittel gegen Endentscheidungen der U.S. Courts of Appeals sowie in Einzelfällen gegebenenfalls auch über Rechtsmittel gegen Entscheidungen der jeweils höchsten Gerichte der Bundesstaaten, wenn diese eine unmittelbar aus dem Bundesrecht erwachsende Rechtsfrage entschieden haben. Dies verschafft dem U.S. Supreme Court eine herausgehobene Stellung nicht nur in absoluter Hinsicht, sondern auch insoweit, als er damit ein wichtiges rechtsvereinheitlichendes Bindeglied zwischen dem Gerichtssystem des Bundes und denjenigen der einzelnen U.S.-Bundesstaaten bildet.

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Allerdings besteht auf die Anrufung des U.S. Supreme Court kein Anspruch; vielmehr ist der Rechtsmittelbegründung zur Sache ein Annahmeverfahren vorgeschaltet, in dem der Antragsteller begründen muss, warum die Sache von so außergewöhnlicher Bedeutung ist, dass sie der 214 Der Ninth Circuit z. B. hat von dieser durch Bundesgesetz eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht und entscheidet über petitions for rehearing en banc in der Besetzung mit 11 Richtern. 215 Vgl. U.S.-BUNDESVERFASSUNG, Article I § 3 para. 6: „The Senate shall have the sole Power to try all Impeachments … When the President of the United States is tried, the Chief Justice shall preside.“

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Die Bundesgerichte

Behandlung durch den Supreme Court bedarf (petition for [a writ of] certiorari; vgl. insoweit im Einzelnen nachf. Rn. 739 ff.). Dadurch steigt zugleich aber auch die Bedeutung der U.S. Courts of Appeals, die somit auf Bundesebene für die ganz überwiegende Mehrzahl aller Verfahren die einzige Rechtsmittelinstanz darstellen. IV. Andere Bundesgerichte U.S. Supreme Court, Courts of Appeals und District Courts werden oftmals als sogenannte article III courts bezeichnet, weil ihre Bildung unmittelbar auf Artikel III der U.S.-Bundesverfassung zurückgeht. Über diese allgemeinen Gerichte hinaus hat der amerikanische Gesetzgeber unter der Ermächtigung von Artikel III der Bundesverfassung ein Gericht mit Sonderzuständigkeit v.a. für Zoll- und Handelsimportstreitigkeiten geschaffen, den United States Court of International Trade, dessen Entscheidungen durch Anrufung des U.S. Court of Appeals for the Federal Circuit angefochten werden können.

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Ebenfalls gemäß Artikel III treten im Einzelfall zwei nicht als permanente Gerichte organisierte Institutionen zusammen, nämlich der Temporary Emergency Court of Appeals und der Foreign Intelligence Wiretap Court. Der Erstere behandelt Rechtsmittel gegen Entscheidungen der District Courts in Energierechtsstreitigkeiten, der Letztere entscheidet über bestimmte Anträge des U.S.-Justizministeriums auf Genehmigung von Abhöranlagen im Interesse der nationalen Sicherheit.

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Über die article III courts hinaus existieren des Weiteren aber eine Anzahl von Gerichten, deren Bildung nicht auf Artikel III, sondern auf die in Artikel I der U.S.-Bundesverfassung enthaltene allgemeine Ermächtigung zur Schaffung von Gerichten durch einfaches Gesetz gegründet ist und die dementsprechend als article I courts bezeichnet werden216. Die Richter dieser Gerichte sind im Gegensatz zu denjenigen der article III courts auf Zeit ernannt, jedoch ebenso wie diese unabhängig, und die Verfahrensvorschriften der article I courts sind im Grundsatz denjenigen der article III courts vergleichbar. Auch bei diesen handelt es sich somit um Organe der Judikative, nicht der Exekutive. Zu diesen Gerichten zählen insbesondere:

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– Der Court of Military Appeals, das Rechtsmittelgericht mit Zuständigkeit für die Überprüfung von Verurteilungen aufgrund des Militärstrafrechts (court martial convictions). Eine Anfechtung der Entscheidungen dieses Gerichts erfolgt vor dem U.S. Supreme Court. 216 Vgl. U.S.-BUNDESVERFASSUNG, Article I § 8: „The Congress shall have Power … to constitute Tribunals inferior to the supreme Court.“

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Das amerikanische Gerichtsverfassungssystem

– Der Court of Veterans Appeals, welcher der Überprüfung der Entscheidungen der für die Angelegenheiten ehemaliger Militärangehöriger zuständigen Verwaltungsbehörden dient. Gegen die Entscheidungen dieses Gerichts ist ein beschränkter Rechtsmittelweg zum U.S. Court of Appeals for the Federal Circuit gegeben. – Der Claims Court, der über Geldforderungen gegen die U.S.-Bundesverwaltung befindet und dessen Entscheidungen ebenfalls vor dem U.S. Court of Appeals for the Federal Circuit angefochten werden können. – Der United States Tax Court, d. h. das Steuergericht, dessen Entscheidungen vor den örtlich jeweils zuständigen ordentlichen U.S. Courts of Appeals angreifbar sind. – Die United States Bankruptcy Courts, Konkursgerichte mit verhältnismäßig weit gefasster sachlicher Zuständigkeit zur Erledigung von Konkursverfahren sowie von gewissen im Zusammenhang mit Konkursen auftretenden weiteren Rechtsfragen. Ihre Entscheidungen sind je nach Sachlage vor den U.S. District Courts, den U.S. Courts of Appeals oder gesonderten bankruptcy panels anzufechten. 162

Eine Sonderstellung nehmen im Gefüge des U.S.-Bundesrechts schließlich gewisse gerichtsähnliche Institutionen innerhalb des Verwaltungsaufbaus ein. Hierzu zählen insbesondere die seit Gründung des Department of Homeland Security dem Zuständigkeitsbereich dieses Ministeriums zugeordneten (früher dem Justizministerium unterstehenden) immigration courts, die erstinstanzlich über bestimmte Einwanderungs-, Ausweisungs- und Asylverfahren entscheiden und deren Entscheidungen nicht unmittelbar vor einem Gericht, sondern vor den ebenfalls dem genannten Ministerium angehörigen boards of immigration appeals angreifbar sind. Obwohl den Verfahren vor den immigration courts ein sogenannter immigration judge vorsteht, der seine Entscheidungen aufgrund öffentlicher Verhandlung mit Beweisaufnahme, dem Recht auf anwaltliche Vertretung und unter Wahrung gewisser anderer gerichtstypischer Rechte und Verfahrensmerkmale trifft, handelt es sich hier nichtsdestoweniger um Institutionen der Exekutive. Die Entscheidungen des übergeordneten board of immigration appeals ergehen denn auch im schriftlichen Verfahren; sie sind in den allermeisten Fällen endgültig und nicht weiter vor article III oder zumindest article I courts angreifbar217. 217 Von den formal sehr weit gehend echten Gerichtsverfahren angenäherten Verfahren vor den immigration courts wiederum zu unterscheiden sind die rein

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Die Gerichtsverfassung der Bundesstaaten

B. Die Gerichtsverfassung der Bundesstaaten Jeder der fünfzig Bundesstaaten ist in der Schaffung seines Gerichtssystems vollkommen souverän; und so differieren die teils in der jeweiligen Verfassung, teils durch einfaches Gesetz geregelten Gerichtsverfassungen der einzelnen Staaten denn auch in den Einzelheiten von einander, wenngleich sie zumeist – wie diejenige auf Bundesebene – auf dem Grundgedanken eines dreistufigen Aufbaus beruhen, vom trial court über die intermediate appellate courts zum court of last resort, der i.d.R. gleichfalls den Namen Supreme Court oder Supreme Judicial Court trägt.

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Ausnahmen hiervon sind insbesondere die Staaten New York, Maryland, Oklahoma, Texas, Alabama, Oregon, Pennsylvania und Tennessee sowie eine Gruppe von Staaten, die auf die Schaffung von intermediate appellate courts gänzlich verzichtet haben:

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– In New York und Maryland heißt das jeweils höchste Rechtsmittelgericht Court of Appeals (ein Titel, der in den meisten anderen Bundesstaaten – wie auf Bundesebene – in im Einzelfall leicht verschiedenen Erscheinungsformen derjenige des intermediate appellate court ist), während Supreme Court in New York der Name des erstinstanzlichen Gerichts bzw. unter dem Titel Supreme Court, Appellate Divisions derjenige des intermediate appellate court ist. – In Oklahoma und Texas besteht eine getrennte letztinstanzliche Zuständigkeit für Zivil- und Strafverfahren: Zivilrechtsstreitigkeiten werden letztinstanzlich vom Supreme Court des jeweiligen Bundesstaates entschieden, Strafprozesse vom Court of Criminal Appeals. – In Alabama und Tennessee ist die Zuständigkeit der intermediate appellate courts in vergleichbarer Weise aufgespalten. – Pennsylvania und Oregon haben ebenfalls zwei verschiedene intermediate appellate courts, und zwar Pennsylvania ein solches für Verfahren gegen Verwaltungsbehörden des Bundesstaates und eines für alle anderen Rechtsmittelverfahren; Oregon ein Rechtsmittelgericht für Steuerangelegenheiten und ein weiteres für alle anderen Rechtsmittelverfahren. verwaltungsbehördlichen Ermittlungsverfahren etwa des US-Bundesjustizministeriums (Department of Justice, DOJ), der Kartell-Aufsichtsbehörde (Federal Trade Commission, FTC) oder der Börsenaufsichtsbehörde (Securities and Exchange Commission, SEC) im Zusammenhang mit Aktienrechts- oder Wettbewerbsverstößen, die – soweit sie nicht direkt zu behördlich verhängten Sanktionen führen – i.d.R. ein Gerichtsverfahren vor den ordentlichen Gerichten (article III courts) zur Folge haben. Zu Einzelheiten vgl. insoweit Ratner, Hazen, Securities Regulation in a Nutshell; Bailey, Hagedorn, Secured Transactions in a Nutshell; Handler, Pitofsky, Goldschmid, Wood, Trade Regulation und Gellhorn, Kovacic, Antitrust Law and Economics in a Nutshell.

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Das amerikanische Gerichtsverfassungssystem – Eine Reihe anderer Staaten – Delaware, Maine, Mississippi, Montana, Nebraska, Nevada, New Hampshire, Rhode Island, South Dakota, West Virginia und Wyoming – schließlich haben überhaupt keine intermediate appellate courts; dort läuft der Instanzenzug nach wie vor, wie bis Mitte des 19. Jahrhunderts allgemein üblich, direkt vom trial court zum jeweiligen state supreme court218.

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Im Gegenzug zu den auf Lebenszeit ernannten Richtern der article III courts auf Bundesebene sind die Richter der Bundesstaaten-Gerichte in den allermeisten Fällen auf Zeit ernannt; lediglich in Rhode Island, Massachusetts und New Hampshire ist die Amtsdauer jeweils erst durch das 70. Lebensjahr des Amtsträgers begrenzt219. I. Trial Courts

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Ähnlich den District Courts auf Bundesebene stellt auch die Eingangsinstanz auf der Ebene der Bundesstaaten – die sogenannten trial courts, courts of first instance oder courts of original jurisdiction – die zumeist einzige Tatsacheninstanz dar. In der Hauptsache handelt es sich dabei um sogenannte courts of general (oder unlimited) jurisdiction, welche, wie aus der Bezeichnung ersichtlich, keinerlei sachlichen Zuständigkeitsbegrenzung unterliegen. Während der Weg zu den Bundesgerichten sowohl in örtlicher als auch in sachlicher Hinsicht nur unter bestimmten Voraussetzungen eröffnet ist (vgl. nachf. Rn. 199 ff.), stellen die trial courts der U.S.-Bundesstaaten damit die stets anrufbare Auffanggerichtsbarkeit und somit zugleich die eigentliche Verkörperung der Rechtsweggarantie dar. Über diese Funktion hinaus sind sie oftmals aber auch konkurrierend neben den Bundesgerichten sachlich zuständig, so dass der Kläger die Wahl des Rechtsweges hat; die Bestimmung des anzurufenden Gerichts wird damit zur ersten wichtigen Frage der Prozessstrategie. – Die Bezeichnung der trial courts ist von Bundesstaat zu Bundesstaat unterschiedlich; am gebräuchlichsten sind Namen wie Superior Court, Circuit Court oder auch – wie auf Bundesebene, jedoch mit jenen Gerichten nicht zu verwechseln – District Court. Wie auch die erstinstanzlichen Bundesgerichte entscheiden die trial courts der Bundesstaaten sowohl Zivil- als auch Strafverfahren in der Besetzung mit einem Berufsrich-

218 Ein eigenständiger Gerichtsaufbau besteht darüber hinaus auch im District of Columbia und im Commonwealth of Puerto Rico sowie in den U.S.-Protektoraten der Virgin Islands und von Guam, American Samoa und den Northern Mariana Islands. 219 Vgl. R.I. GEN. L. § 8-3-8 (Rhode Island), MASS. CONST. Art. 98 (Massachusetts) und N.H. REV. ST. § 493:2 (New Hampshire).

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Die Gerichtsverfassung der Bundesstaaten

ter220 sowie in Schadensersatz- und Strafprozessen häufig mit einer Jury als Tatsachenrichter. Den courts of general jurisdiction untergeordnet sind in einer Reihe von Staaten sogenannte courts of limited jurisdiction wie z. B. gesonderte Miet-, Verkehrs-, Nachlass- oder Familiengerichte, Gerichte mit ausschließlicher Zuständigkeit für Minimalstreitwerte (small claims courts) oder Strafgerichte mit Zuständigkeit für Bagatell- und gegebenenfalls Jugendstraftaten. Zum Teil sind diese Gerichte eigenständig organisiert und dann häufig als municipal courts oder city/county courts bekannt221; in einigen Bundesstaaten sind sie jedoch vollständig als Sonderabteilungen in die Organisation der courts of general jurisdiction integriert222 und wiederum anderswo ist die Zuständigkeit für matters of limited jurisdiction zwischen gewissen Sonderabteilungen der courts of general jurisdiction einerseits und selbständig organisierten Gerichten andererseits aufgeteilt223. Insbesondere in den small claims courts, teilweise aber auch in anderen matters of limited jurisdiction ist die Verfahrensordnung dabei stark vereinfacht; so wird z. B. auf Formvorschriften für Schriftsätze weitgehend verzichtet, die discovery-Rechte der Parteien – soweit über220 Insbesondere in größeren Städten bürgert sich dabei zunehmend auch die Verwendung von Geschäftsplänen ein, mit denen die Zuweisung anhängiger Verfahren entweder im Rahmen der pretrial-Phase (vgl. nachf. Kapitel 6) oder zur Leitung der gerichtlichen Hauptverhandlung und Beweisaufnahme – oder auch für beide Verfahrensabschnitte – allgemeinverbindlich geregelt wird; vgl. MAUET, TRIAL TECHNIQUES § 2.2.1. Damit unterscheidet sich das Verfahren vor den erstinstanzlichen Gerichten deutlich vor demjenigen vor den Rechtsmittelgerichten, die eine solche allgemeine geschäftsplanmäßige Verteilung der Prozesse in aller Regel gerade nicht kennen (s. Rn. 732 ff.). 221 Vgl. z. B. CONSTITUTION OF THE STATE OF TEXAS Article 5 § 1 i. V. m. TEX. GOVT. CODE §§ 24.007, 25.003, 26.041-26.047, 27.031, 28.003, 29.003 u. 30.00005 (district courts als courts of unlimited jurisdiction und county, municipal, justice, small claims und probate courts als courts of limited jurisdiction mit Zuständigkeit für Bagatell-Zivil- und Strafsachen sowie für Nachlasssachen). Zu der außerordentlich komplexen Gerichtsorganisation des Bundesstaates New York s. Siegel, New York Practice § 8-§ 23 und Schaubilder 4 u. 5. 222 So z. B. seit 1998 in Kalifornien; vgl. CAL. CODE CIV.PROC. §§ 85-100 (limited civil cases – bis zu einem Wert von maximal US$ 25.000) und CAL. CODE CIV.PROC. §§ 116.110-116.950 (small claims court – bis zu einem Wert von maximal US$ 5.000). 223 Vgl. z. B. NEW JERSEY RULES OF COURT 4.3, 5.1, R. 6.1, 6.10 u. 6.11 (Special Civil Part [Streitigkeiten bis US$ 15.000] sowie Small Claims Section [bis US$ 3.000], Miet-, Familien- und Nachlasssachen als Abteilungen des court of unlimited jurisdiction) sowie NEW JERSEY RULES OF COURT R. 7.1 (Bagatellstrafsachen und einige Sonderverfahren als municipal court-Verfahren).

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Das amerikanische Gerichtsverfassungssystem

haupt gegeben – sind stark eingeschränkt, und richterliche Beweiserhebung und Entscheidung finden in aller Regel an einem einzigen Tag statt224. Dies macht die courts of limited jurisdiction zu wichtigen Garanten des verfassungsmäßig verbürgten Rechts eines jeden Bürgers, sich selbst vor Gericht zu vertreten; ein Recht, dessen Inanspruchnahme angesichts der Kompliziertheit der Verfahrensordnungen ansonsten i.d.R. eher Nach- als Vorteile mit sich bringt225. 168

Einige Bundesstaaten wie z. B. New Jersey bedienen sich darüber hinaus mit großem Erfolg eines gütlichen Einigungsverfahrens, dem zufolge jedes small claimsund Mietrechtsverfahren zunächst einmal vor einem neutralen Mediator verhandelt wird; entweder einem nicht dem Richterkreise zugehörigen Juristen oder einem ehrenamtlichen Vertreter der örtlichen Bevölkerung, der ein entsprechendes Trainingsprogramm absolviert hat226. In der ganz überwiegenden Mehrzahl der Fälle gelingt es, auf diesem Wege eine vergleichsweise Beilegung des Rechtsstreites herbeizuführen; lediglich die verbleibenden Streitigkeiten werden sodann der richterlichen Entscheidung zugeführt. Auf diese Weise ist selbst kleineren Gerichten nicht selten möglich, über 100 small claims- oder Mietrechtsstreitigkeiten an einem einzigen Verhandlungstag zu erledigen227.

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Eine Anfechtung der Entscheidungen dieser courts of limited jurisdiction erfolgt – soweit Rechtsmittel zugelassen sind – entweder vor den courts of general jurisdiction228 oder gelegentlich auch vor den intermediate appellate courts. II. Intermediate Appellate Courts

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Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts war der jeweilige state supreme court – vergleichbar der Situation auf der Bundesebene – auch in den Bundesstaaten das einzig vorhandene Rechtsmittelgericht. Jedoch wurden diese Ge224 Vgl. z. B. CAL. CODE CIV.PROC. §§ 90 ff., 116.310 ff. u. 116.510 ff. 225 Dies bedeutet allerdings nicht, dass diese Verfahren immer ohne anwaltliche Beteiligung stattfinden. So sehen z. B. eine Reihe von Verfahrensordnungen vor, dass juristische Personen des Privatrechts, insbesondere als solche organisierte Handelsgesellschaften, zu ihrer Vertretung vor Gericht stets eines Rechtsanwalts bedürfen; und dieses Vertretungsgebot bleibt i.d.R. dann auch im Rahmen von Verfahren vor den courts of limited jurisdiciton bestehen. 226 Vgl. NEW JERSEY RULES OF COURT R. 1:40-7. 227 Nach der in New Jersey gewonnenen Erfahrung der Verfasserin werden von allen Streitigkeiten eines Sitzungstages, der der Verhandlung von small claims matters oder Mietsachen gewidmet ist, im Schnitt ca. 90 % durch Klagerücknahme, Versäumnisurteil gegen die abwesende Partei oder Vergleich erledigt. 228 S. z. B. CAL. CODE CIV.PROC. § 116.770 (small claims) und §§ 100, 904.2 (limited civil cases).

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Die Gerichtsverfassung der Bundesstaaten

richte im Laufe der Zeit der steigenden Zahl der Rechtsmittelverfahren nicht mehr Herr, weshalb auch in mehr und mehr Bundesstaaten eine eigenständige Rechtsmittelinstanz zwischen trial courts und supreme court eingeführt wurde. Diese sind nunmehr, wie die Courts of Appeals in der U.S.-Bundesgerichtsverfassung, die eigentlichen Rechtsmittelgerichte, von denen die Verfahren nur in Ausnahmefällen zum jeweiligen state supreme court weitergelangen. Gleichfalls wie die Courts of Appeals auf U.S.-Bundesebene entscheiden die intermediate appellate courts der Bundesstaaten in aus drei Berufsrichtern bestehenden panels, die wie die panels der Bundes-Rechtsmittelgerichte i.d.R. nicht in fester Besetzung existieren, sondern nach dem Rotationsprinzip zusammengestellt werden (vgl. nachf. Rn. 732 ff.). Die zahlenmäßige Besetzung der state intermediate appellate courts ist jedoch deutlich höher als diejenige der U.S. Courts of Appeals: In den größten und am dichtesten besiedelten Bundesstaaten ist eine Gesamtzahl von immerhin knapp unter 100 Rechtsmittelrichtern ganz und gar nicht außergewöhnlich.

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III. State Supreme Courts An der Spitze des Gerichtsaufbaus jedes U.S.-Bundesstaates steht (mindestens) ein court of last resort229, dem wie dem U.S. Supreme Court die letztinstanzliche Rechtsmittelentscheidung übertragen ist. Die meisten dieser state supreme courts sind entweder mit fünf oder mit sieben Richtern (Justices) besetzt, die i.d.R. alle Rechtsmittel gemeinsam anhören und entscheiden230. Lediglich im Ausnahmefall findet die Verhandlung und Entscheidung vor einem mit weniger als der Gesamtzahl aller Richter des supreme court besetzten panel statt.

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Der Rechtsmittelweg, insbesondere die Aufgabenverteilung zwischen intermediate appellate courts und courts of last resort, ist allerdings nicht in allen Staaten einheitlich geregelt. In den allermeisten Fällen ist die Konstellation ähnlich derjenigen auf Bundesebene, d. h. die intermediate appellate courts sind primärer Adressat der Rechtsmittel gegen die Ent-

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229 Texas und Oklahoma haben getrennte höchstinstanzliche Gerichte; s.o. Rn. 164. 230 Der Oklahoma Court of Criminal Appeals hat lediglich drei Richter, die supreme courts der Staaten Alabama, Iowa, Mississippi, Washington, das höchste Rechtsmittelgericht in Zivilsachen des Bundesstaates Oklahoma und beide Oberstgerichte des Bundesstaates Texas haben je neun Richter.

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Das amerikanische Gerichtsverfassungssystem

scheidungen der trial courts, während ein weiteres Rechtsmittel gegen die Entscheidungen der intermediate appellate courts nur auf Antrag231 und nur in Rechtssachen von grundsätzlicher Bedeutung besteht. Dies beruht auf dem Gedanken, dass jeder Partei grundsätzlich nur eine Rechtsmittelinstanz in der Sache zusteht, während die Anrufung des jeweiligen supreme court nicht in erster Linie dem Interesse der Parteien, sondern demjenigen des Erhalts der Rechtsordnung insgesamt dient. 174

Oftmals besteht aber – zumindest im Zusammenhang mit einzelnen Verfahrensarten – nach wie vor auch ein direkter Rechtsmittelweg von den trial courts zum jeweiligen state supreme court, der dann für die betroffene Verfahrensart an die Stelle des ansonsten fortbestehenden Instanzenzuges über die intermediate appellate courts tritt. Dies ist i.d.R. insbesondere in Strafverfahren der Fall, die mit der Verhängung eines Todesurteiles enden: Nicht selten sehen die Verfahrensordnungen dann sogar die automatische Weiterleitung der Akten an den state supreme court vor, ohne dass es der Rechtsmitteleinlegung durch den Angeklagten überhaupt noch bedürfte (automatic appeal). Auch in Verfahren, in denen ein Untergericht ein Gericht des betreffenden Bundesstaates oder ein Bundesgericht für verfassungswidrig erklärt hat, ist häufig die direkte Anrufung des state supreme court möglich. Dies beruht auf dem Gedanken, dass diese Verfahren i.d.R. von so großer allgemeiner Bedeutung sind, dass sie letztinstanzlich ohnehin mit allergrößter Wahrscheinlichkeit vom jeweiligen court of last resort entschieden würden, so dass es schlicht im Interesse der Prozessökonomie liegt, diese Verfahren auf direktem Wege dem letztverbindlich entscheidenden Gericht zuzuleiten.

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Ebenfalls für Rechtssachen von herausragender Bedeutung ist in den Verfahrensordnungen einiger Staaten auch die Möglichkeit für die intermediate appellate courts vorgesehen, solche Streitigkeiten – in toto, hinsichtlich gewisser Einzelfragen, von Amts wegen oder auch auf Antrag – dem jeweiligen state supreme court zur Vorabentscheidung vorzulegen (certification). Erstreckt sich die Vorlage in diesen Fällen nicht auf die gesamte Angelegenheit, bleibt die Entscheidungskompetenz des intermediate appellate court im Übrigen bestehen, vorbehaltlich lediglich der höhergerichtlichen Entscheidung im Rahmen der certification.

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Gelegentlich besteht eine analoge Kompetenz auch auf Seiten des state supreme court, d. h. das oberste Gericht kann Rechtssachen von besonderer Bedeutung auch von sich aus zur Behandlung an sich ziehen, ohne die certification von Seiten des intermediate appellate court abzuwarten („reach-down jurisdiction“).

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In einigen Bundesstaaten schließlich richten sich alle Rechtsmittel zunächst direkt an den jeweiligen supreme court, der dann nach Prüfung 231 In den Verfahrensordnungen der meisten Bundesstaaten petition for review genannt.

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Grundmerkmale der amerikanischen Gerichtsbarkeit

des Akteninhalts entscheidet, ob er die Sache von vornherein selbst zur Entscheidung behalten will oder ob eine Verweisung an den intermediate appellate court am sachgerechtesten ist. Obwohl alle diese Modelle der Kompetenzverteilung auf dem Grundgedanken beruhen, dass es in erster Linie die Aufgabe der intermediate appellate courts ist, sachliche und prozessuale Fehler zu beheben, die gegebenenfalls im Verfahren vor den trial courts aufgetreten sind (correctness review), während den state supreme courts die Rechtsfortbildung vorbehalten bleiben sollte (institutional review), ist die Trennung zwischen beiden Bereichen in der Praxis längst nicht immer so scharf, wie im theoretischen Konzept vorgesehen. Die Entscheidungen der intermediate appellate courts sind oftmals ebenso sorgsam und zumindest annähernd so ausführlich begründet wie diejenigen der state supreme courts und leisten somit, wenn sie veröffentlicht werden, ebenfalls wesentliche Beiträge zur Rechtsfortbildung (wenngleich ihre Bindungswirkung territorial auf das Gebiet des jeweiligen Bundesstaates beschränkt ist und sie sich deshalb nicht annähernd der gleichen Beachtung erfreuen wie die Entscheidungen der U.S. Courts of Appeals). Und umgekehrt kommt es auch immer wieder vor, dass ein state supreme court ein Verfahren allein aus der Absicht annimmt, einen besonders schwerwiegenden Fehler der Vorinstanz zu korrigieren, auch wenn mit seiner Entscheidung darüber hinaus keinerlei Beitrag zur Rechtsfortbildung geleistet wird – ein Umstand, der vor dem U.S. Supreme Court nicht auch nur annähernd ausreichend wäre, einer petition for certiorari zum Erfolg zu verhelfen.

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C. Grundmerkmale der amerikanischen Gerichtsbarkeit I. Gewaltenteilung, Judicial Review und die Rule of Law Wie die Gerichtsverfassungen aller demokratischen Rechtsordnungen sind auch die amerikanischen Gerichte auf Bundes und Bundesstaatsebene dem Grundsatz der Gewaltenteilung verpflichtet: Ihre Richter sind unabhängige, nur dem Gesetz unterworfene Organe, die keinerlei Einflussnahme oder gar Kontrolle durch Vertreter der zwei anderen Staatsgewalten unterliegen232. Allerdings gibt es in den USA keine gesonderte 232 Auf den sich insoweit aus der Politisierung der Richterernennung auf Bundesebene sowie aus der direkten Volkswahl der Richter einiger Bundesstaaten ergebenden Interessenkonflikt zwischen richterlicher Unabhängigkeit einer-

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Das amerikanische Gerichtsverfassungssystem

Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit; die Überprüfung sowohl des staatlichen Handelns im Exekutivbereich wie auch legislativer Akte auf ihre Verfassungsmäßigkeit steht vielmehr nach der sogenannten doctrine of judicial review jedem ordentlichen Gericht zu. Grundlegend war insoweit die unter Leitung des außerordentlich einflussreichen dritten Chief Justice John Marshall ergangene Entscheidung des Supreme Court in der Sache Marbury v. Madison233: 180

Nach Thomas Jeffersons Wahlsieg im Jahre 1800 hatte die Partei des neugewählten Präsidenten, die nunmehr dominierenden Democratic Republicans, als allererstes den JUDICIARY ACT von 1789 außer Kraft gesetzt, in dessen Ausführung die Partei des ausscheidenden Präsidenten John Adams, die Föderalisten, nach ihrem Wahlverlust kurzfristig eine Reihe zusätzlicher Richterstellen geschaffen hatten, um die Vorherrschaft ihnen politisch verbundener Richter in der dritten Staatsgewalt sicherzustellen, die ja immerhin dann auf Lebenszeit ernannt gewesen wären (vgl. vorst. Rn. 148). Einige der so geschaffenen Amtsstellen waren jedoch bei Jeffersons Amtsantritt noch nicht besetzt; und einer der hiervon betroffenen Kandidaten, William Marbury, strengte ein Verfahren gegen den formell zuständigen Secretary of State (und Jeffersons Nachfolger im Präsidentenamt) James Madison an mit dem Ziel einer gerichtlichen Anordnung – eines sogenannten writ of mandamus – auf Aushändigung seiner Richter-Ernennungsurkunde. Den U.S. Supreme Court stellte diese Klage insofern vor ein Dilemma, als einerseits absehbar war, dass die Jefferson-Regierung eine Entscheidung zugunsten von Marbury ohnehin ignorieren würde, andererseits aber eine Klageabweisung voraussichtlich als Kniefall vor der neuen Regierung gedeutet worden wäre. Beides hätte eine erhebliche Schwächung der dritten Gewalt und rechtsstaatlicher Grundsätze im Allgemeinen zur Folge gehabt. In der von Chief Justice John Marshall selbst verfassten Tour de Force-Entscheidung zog sich das Gericht jedoch nicht nur aus dieser justizpolitischen Klemme, sondern stellte darüber hinaus eine Reihe von Grundsätzen auf, die das amerikanische Verfassungsleben noch heute maßgeblich prägen. Obwohl danach nämlich einerseits Madison verpflichtet gewesen wäre, Marbury seine Ernennungsurkunde auszuhändigen, erklärte der Supreme Court die Bestimmung des JUDICIARY ACT, die die Gerichte im Weigerungsfall zum Erlass eines writ of mandamus ermächtigte, für verfassungswidrig. Die Jefferson-Regierung wurde also für ihre Vorgehensweise getadelt, aber nicht in einer Art und Weise, die nur zur Missachtung der Entscheidung hätte führen können. Zugleich schrieb sich der Supreme Court in Marbury v. Madison selbst eine Rolle zu, die in dieser Form jedenfalls nicht ausdrücklich von der amerikanischen Bundesverfassung vorgesehen war: im engeren Sinne die Befugnis, Akte der Legislative und (zumindest implizit) auch solche der Exekutive für verfassungswidrig zu erklären, wenn sie die verfassungsmäßig gesetzten Grenzen ihrer Amtsbefugnisse überschritten; im weiteren Sinne jedoch die Stellung als Hüter der amerikanischen Bundesverfassung selbst. Erst

seits und der politischen und finanziellen Einflussnahme andererseits wurde bereits hingewiesen; vgl. Rn. 144–145. 233 5 U.S. (1 Cranch) 137 (1803).

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Grundmerkmale der amerikanischen Gerichtsbarkeit durch Marbury v. Madison wurde der Supreme Court – und mit ihm die gesamte dritte Staatsgewalt – wirklich ein der Legislative und der Exekutive gleichgestellter Partner im amerikanischen Verfassungssystem.

Die Befugnis jedes Gerichts – nicht etwa nur der Rechtsmittelgerichte, sondern auch jedes einzelnen trial court –, im Wege des judicial review Akte der Exekutive wie auch der Legislative auf ihre Verfassungskonformität zu überprüfen, hat sich seitdem zu einem der unbestrittenen Kernbestandteile des amerikanischen Prozessrechts entwickelt. Die Bundesgerichte orientieren sich dabei in erster Linie an der U.S.-Bundesverfassung; die Gerichte der Bundesstaaten sind sowohl der Bundesverfassung als auch der Verfassung ihres jeweiligen Staates verpflichtet234.

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Die doctrine of judicial review ist somit auch ein wesentlicher Bestandteil des amerikanischen Rechtsstaatsverständnisses (rule of law). Dieses ist zwar in seiner Gesamtheit – der anglo-amerikanischen Tradition entsprechend – nicht ganz deckungsgleich mit dem deutschen Begriff des sozialen Rechtsstaates, jedoch vor allem in seiner formellen Ausprägung von denselben Grundprinzipien geprägt (Gleichheit vor dem Gesetz, Rechtsweggarantie etc.)235. Anders als in Deutschland gehört dazu insbesondere auch das Verständnis, dass selbst gewählte Amtsträger während der Ausübung ihres Amtes nicht von der gerichtlichen Überprüfung ihres Handelns freigestellt sind236.

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234 Soweit ein Bundesgericht in seltenen Fällen die Verfassungsmäßigkeit staatlichen Handelns auf der Ebene eines Bundesstaates zu überprüfen hat, orientiert es sich ebenfalls an der Verfassung des betreffenden Staates; i.d.R. jedoch unter Berücksichtigung der Auslegung der entsprechenden Vorschriften in der jeweiligen bundesstaatseigenen Rechtsprechung. 235 Grundlegend hierzu Dicey, Law of the Constitution S. 194 ff.; MacCormick, Der Rechtsstaat und die rule of law, JZ 1984, S. 65 ff.; Benda, Der soziale Rechtsstaat, in: Benda, Maihofer, Vogel, Handbuch des Verfassungsrechts S. 719 ff. u. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts S. 83 ff. 236 Aus diesem Grunde sah sich selbst der ehemalige Präsident Clinton nicht nur während seiner zweiten Amtszeit einem Amtserhebungsverfahren wegen der Begehung von „high crimes and misdemeanors“ gegenüber (vgl. U.S.-BUNDESVERFASSUNG, Article I § 3; Article II § 4), sondern musste sich auch gegen eine – zwar zivilrechtliche, jedoch aufgrund ihrer Medienwirksamkeit erheblich die Wahrnehmung der präsidialen Amtsgeschäfte beeinträchtigende – Klage seiner ehemaligen Geliebten Paula Jones verteidigen; s. Clinton v. Jones, 520 U.S. 681 (1997): kein Grund, das Verfahren bis zum Ende von Clintons Amtszeit auszusetzen. Vgl. demgegenüber Art. 46 GG (strafprozessuale Immunität der Mitglieder des deutschen Bundestages) sowie Art. 60, 61 GG zur Immunität des Bundespräsidenten und zur Präsidentenanklage.

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Das amerikanische Gerichtsverfassungssystem

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Feststellbar ist bei der richterlichen Amtsausübung i. Ü. in vielerlei Hinsicht auch das Bemühen, der materiellen Gerechtigkeit Vorrang vor Formvorschriften einzuräumen, welche zwar als der Gerechtigkeit dienlich, jedoch dieser nicht gleich-, sondern untergeordnet begriffen werden. Dieser Gedanke findet teilweise seinen Niederschlag in gesetzlichen Regelungen237 und richterrechtlich entwickelten Grundsätzen238, durchzieht jedoch die gesamte richterliche Praxis und ist insbesondere auf obergerichtlicher Ebene auch dadurch gekennzeichnet, dass ein Gericht, welches sich aus formalen Gründen an einer eigenen umfassenden Sachentscheidung gehindert sieht, den Parteien und gegebenenfalls der Vorinstanz, an welche die Sache zurückverwiesen werden muss, Hinweise mit auf den Weg gibt, wie das Rechtsmittelgericht in der Sache entschieden hätte, wenn es vollumfänglich dazu in der Lage gewesen wäre239. Im Rahmen einer Zurückverweisung können solche Hinweise dann auch bindende Wirkung für das Ausgangsgericht entfalten, deren Missachtung ohne weiteres einen Rechtsmittelgrund darstellt.

II. Rechtsquellen, Richterrecht und die Doctrine of Stare Decisis 1. Rechtsquellen a) Common Law und Richterrecht 184

Neben Großbritannien und den Commonwealth-Staaten sind die USA einer der Hauptvertreter der sog. common law tradition, d. h. einer in erster Linie auf die richterliche Rechtsfindung gegründeten Rechtsordnung240. Der Begriff common law bezieht sich dabei je nach Sachzusammenhang im Einzelfall sowohl auf die Art der Rechtsordnung als solche als auch 237 Etwa der liberal zu erteilenden gerichtlichen Erlaubnis zur Änderung und Ergänzung des schriftsätzlichen Vorbringens „if justice so requires“ (vgl. FRCP Rule 15[a] und nachf. Rn. 378 ff.) und der Ermächtigung des Gerichts, dem Kläger das zuzusprechen, worauf er nach Maßgabe des Parteivortrages materiellrechtlich einen Anspruch hat, auch wenn dieser Anspruch formal in den gestellten Anträgen keine Entsprechung findet (vgl. FRCP Rule 54[c] und nachf. Rn. 336 ff.). Zur Formulierung als allgemeiner Grundsatz vgl. FRCP Rule 1 („Thes Rules … shall be construed and administered to secure the just … determination of every action“), CAL. CODE CIV.PROC. § 4 („The Code [is] to be liberally construed, with a view to effect its objects and to promote justice“) sowie CAL. CIV. CODE § 3528 („The law respects form less than substance“). 238 So z. B. der doctrine of piercing the corporate veil, also des Durchbrechens gesellschaftsrechtlicher Organisationsformen im Falle von deren Missbrauch, vgl. nachf. Rn. 264. 239 Aus demselben Grunde stehen amerikanische Gerichte einer Verfahrensbeendigung durch Versäumnisurteil sehr reserviert gegenüber; vgl. z. B. Enron Oil Corp. v. Diakuhara, 10 F.3d 90, 95-96 (2d Cir. 1993). 240 Die in erster Linie auf kodifiziertes Recht gegründeten Rechtsordnungen des kontinentaleuropäischen und lateinamerikanischen Rechtskreises werden demgegenüber als civil law countries oder civil law systems bezeichnet.

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Grundmerkmale der amerikanischen Gerichtsbarkeit

auf die der jeweiligen Rechtsordnung innewohnenden allgemeinen Grundsätze – welche allerdings gegebenenfalls durch anderslautende gesetzliche Regelungen abgelöst werden können241 – sowie auf die Gesamtheit des zugrundeliegenden Richterrechts242. Gerichtsentscheidungen werden sowohl in amtlichen Sammlungen als auch in nicht- oder halbamtlich herausgegebenen sog. reporters veröffentlicht. Die wichtigsten Sammlungen auf Bundesebene sind die U.S. REPORTS (die amtliche Sammlung der Entscheidungen des U.S. Supreme Court, in Zitaten kurz U.S.)243, der FEDERAL REPORTER (die Sammlung der Courts of Appeal, in Zitaten kurz F.), das FEDERAL SUPPLEMENT und die FEDERAL RULES DECISIONS (zwei Sammlungen, in denen der Großteil der District Court-Entscheidungen veröffentlicht wird; in Zitaten kurz F.Supp. und F.R.D.) sowie schließlich der BANKRUPTCY REPORTER und die REPORTS OF THE UNITED STATES TAX COURT (in welchen sich die Mehrheit der Entscheidungen der überaus einflussreichen Konkurs- und Steuergerichte befinden; in Zitaten kurz B.R. bzw. T.C.). Die Gerichtsentscheidungen auf Bundesstaatenebene sind für jeden Staat jeweils in vergleichbaren Sammlungen erfasst; darüber hinaus finden sich viele Entscheidungen der Bundesstaatengerichte auch in den sog. regional reporters wieder, in denen das Richterrecht je mehrerer Staaten veröffentlicht ist244. 241 „At common law“ ist z. B. ein Einbruchsdiebstahl nur eine bei Nacht stattfindende Tat. Die Strafgesetze vieler U.S.-Staaten sehen dagegen auch die Bestrafung einer bei Tag begangenen Tat als Einbruchsdiebstahl vor, wenn die sonstigen Voraussetzungen des „breaking and entering“ erfüllt sind, vgl. z. B. CAL. PENAL CODE § 459. S. u. a. auch CAL. CIV. CODE § 22.2 („common law of England“ findet Anwendung insoweit, als es nicht mit der Verfassung der Vereinigten Staaten oder der Verfassung und den Gesetzen des Bundesstaates Kalifornien im Widerspruch steht). 242 Eine Ausnahme bildet auch insoweit wieder der durch die französische Rechtstradition geprägte Bundesstaat Louisiana, dessen Rechtssystem zum größten Teil auf einer Reihe von Codes aufbaut und nur ergänzend auf Richterrecht und allgemeine Grundsätze des amerikanischen common law zurückgreift. 243 Supreme Court-Entscheidungen werden darüber hinaus i.d.R. auch – und oftmals bereits vor ihrer Aufnahme in die amtliche Sammlung – im SUPREME COURT REPORTER (abgek. S.Ct.), in der LAWYER’S EDITION (L.Ed.) und in der UNITED STATES LAW WEEK (U.S.L.W.) veröffentlicht. Solange eine Aufnahme in die amtliche Sammlung noch nicht erfolgt ist, ist der Verweis auf diese drei Sammlungen – in der hier angegebenen Reihenfolge – zulässig und gebräuchlich. 244 ATLANTIC REPORTER (A.), NORTH EASTERN REPORTER (N.E.), NORTH WESTERN REPORTER (N.W.), PACIFIC REPORTER (P.), SOUTHERN REPORTER (SO.), SOUTH EASTERN REPORTER (S.E.) und SOUTH WESTERN REPORTER (S.W.). Ein noch größerer Bestand an

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Das amerikanische Gerichtsverfassungssystem

b) Kodifikationen 186

Nichtsdestoweniger findet sich auch in den USA zunehmend kodifiziertes Recht wieder; bei solchermaßen ergangenen Gesetzen, Verordnungen und Verwaltungsvorschriften handelt es sich i.d.R. entweder um die Umsetzung richterrechtlich entwickelter Grundsätze oder bestimmter politischer Vorgaben. Die Gesamtheit der U.S.-Bundesgesetze ist im sogenannten UNITED STATES CODE zusammengefasst, bei dem es sich also nicht etwa nur um ein einzelnen Gesetzbuch handelt, sondern um eine vielbändige Gesetzessammlung245. Ein vergleichbares Sammelwerk existiert auch für das niederrangige Verwaltungsrecht auf Bundesebene in Gestalt des CODE OF FEDERAL REGULATIONS.

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aa) Überhaupt nicht um verbindliche Gesetze, sondern lediglich um unverbindliche Modell-Kodifikationen handelt es sich entgegen ihrer leicht missverständlichen Bezeichnung bei den sogenannten uniform codes, wie z. B. dem UNIFORM COMMERCIAL CODE (U.C.C.). Dies sind von aus Vertretern der American Bar Association, Hochschullehrern, Beamten der Justizministerien und anderen Mitgliedern zusammengesetzten Expertenkommissionen entworfene Texte, welche die anerkannten common law-Grundsätze eines bestimmten Rechtsgebietes in kodifizierter Form zusammenfassen, um sodann z. B. als Modell für die entsprechende Gesetzgebung auf der Ebene der Bundesstaaten zu dienen. Trotz ihrer unverbindlichen Natur tragen sie damit erheblich zur Rechtsvereinheitlichung bei und werden u. a. auch bei der Auslegung vertraglicher Vereinbarungen und gesetzlicher Regelungen gern als Interpretationshilfe herangezogen. Dies gilt entsprechend auch für die ähnlich zustande kommenden und inzwischen für die Mehrzahl aller Rechtsgebiete existierenden sogenannten RESTATEMENTS OF THE LAW.

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bb) Das Prozessrecht ist seit den ersten umfassenden Zivilprozessordnungen auf Bundesstaaten-Ebene Mitte des 19. Jahrhunderts246 fast durchweg Entscheidungen sowie nahezu alle Kodifikationen auf Bundes- und Bundesstaatsebene, der Inhalt aller Fachzeitschriften und eine Vielzahl weiterer Informationen kann des Weiteren über die Suchmaschinen LEXIS und Westlaw abgerufen werden. Beim Zitat einer nur dort veröffentlichen Entscheidung ist jedoch stets die vorherige Überprüfung ratsam, ob und inwieweit das jeweilige Gericht die Entscheidung überhaupt zur Veröffentlichung freigegeben hat. Dies ist nicht immer der Fall, und nicht selten ist ein Zitat solcher Entscheidungen in den rules of court des betreffenden Gerichts dann ausdrücklich untersagt. 245 Die Bundes-Gerichtsverfassung und die meisten das Verfahren vor den Bundesgerichten betreffenden Vorschriften – soweit diese nicht in den FEDERAL RULES OF CIVIL PROCEDURE enthalten sind – finden sich in Titel 28 des U.S. CODE („Judiciary and Judicial Procedure;“ zitiert als 28 U.S.C. § [Vorschrift]). 246 Insbesondere dem New Yorker (nach seinem Verfasser benannten) FIELD CODE von 1848, dem binnen kürzester Zeit auch die Prozessordnungen der meisten

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Grundmerkmale der amerikanischen Gerichtsbarkeit

kodifiziertes Recht. Auf Bundesebene gelten seit 1938 die vom U.S. Supreme Court aufgrund gesetzlicher Ermächtigung247 erlassenen FEDERAL RULES OF CIVIL PROCEDURE (FRCP), die FEDERAL RULES OF CRIMINAL PROCEDURE (FRCRIMP) und die FEDERAL RULES OF APPELLATE PROCEDURE (FRAP) von 1968, sowie schließlich die 1975 unmittelbar in Gesetzesform erlassenen FEDERAL RULES OF EVIDENCE (FRE). Diese Regelungen führten in ihrer Gesamtheit zu einer Modernisierung der Verfahrensordnung von Grund auf und wurden somit ihrerseits bald zum Vorbild der modernen Prozessordnungen der Bundesstaaten. Darüber hinaus verfügt jedes Gericht allerdings über sogenannte local rules, die (soweit zulässig) die allgemein gültigen Vorschriften der jeweiligen Zivilprozessordnung in Teilbereichen abändern und des Weiteren auch zahlreiche zusätzliche Regelungen aufstellen. Die Regelungsdichte erfasst dabei nicht nur wesentliche Verfahrensfragen wie beispielsweise Art und Zeitpunkt der Klagezustellung, Form und Verfahren der Entscheidung über Anträge außerhalb der prozessleitenden Schriftsätze (motions; vgl. nachf. Rn. 350 ff.), Verlauf und Parteirechte im Rahmen der discovery, Anzahl, Verlauf und Regelungsgegenstand der Erörterungstermine zur Wahrnehmung der richterlichen Verfahrensleitung (case management conferences; vgl. nachf. Rn. 492 ff.) sowie Größe und Auswahl der Jury, sondern geht i.d.R. weit darüber hinaus und beinhaltet z. B. auch dezidierte Vorschriften zur formalen Gestaltung der Schriftsätze, Anzahl der jeweils einzureichenden Exemplare, das telefonische Erscheinen zu Verhandlungsterminen etc.248 Für den in den USA tätigen Praktiker ist die genaue Kenntnis und Beachtung jeder dieser Vorschriften ebenso wichtig wie die Kenntnis der zentralen Fragen des Prozessrechts, denn auch die Verletzung der local rules kann ohne weiteres zur gerichtlichen Zurückweisung eines Schriftsatzes führen und zumindest bei grob fahrlässigem Handeln auch ohne weiteres gerichtliche Sanktionen sowie wegen der damit für den Mandanten verbundenen Nachteile gegebenenfalls die Anwaltshaftung nach sich ziehen249.

damals existierenden Bundesstaaten nachgebildet wurden, so auch die kalifornische, die ihrerseits zum Vorbild für eine Reihe der Prozessordnungen anderer West-Staaten wurde. 247 RULES ENABLING ACT, 28 U.S.C. §§ 2072-2074 (1934); Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes bestätigt in Sibbach v. Wilson & Co., 312 U.S. 1 (1941). 248 So ist in den FEDERAL RULES OF APPELLATE PROCEDURE z. B. im Grundsatz die Einreichung der Rechtsmittelbegründung (appellate brief) in 25facher Ausführung vorgesehen (s. Rule 31[b]); Circuit Rule 31-1 des Ninth Circuit Court of Appeals schreibt jedoch für den Bezirk dieses Gerichts stattdessen die Vorlage eines Originalschriftsatzes mit fünfzehn Abschriften vor. Zu Form, Inhalt und Zustellung von Schriftsätzen vgl. desw. z. B. auch N.Y.C.P.L.R. §§ 2101-2106. 249 Zur Verbindlichkeit der local rules s. bereits Weil v. Neary, 278 U.S. 160, 169 (1929); zu den Folgen der Nichtbeachtung FRCP ADVISORY COMMITTEE NOTES to Rule 83, 1995 Amendment.

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Das amerikanische Gerichtsverfassungssystem

2. Die Doctrine of Stare Decisis 190

Von herausragender Bedeutung im Rahmen des common law system ist die doctrine of stare decisis, d. h. der Grundsatz der bindenden Wirkung vorhergehender Entscheidungen zu einer bestimmten Rechtsfrage (precedents)250. Mit Blick auf die Bindungswirkung zu unterscheiden sind insoweit zunächst die Begriffe binding precedent und persuasive precedent:

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Binding precedent sind Entscheidungen, welche von dem angerufenen Gericht zwingend beachtet werden müssen; dies sind i.d.R. die Entscheidungen ranggleicher oder -höherer Gerichte im Rahmen des jeweiligen Gerichtssystems sowie des U.S. Supreme Court; im Verfahren vor den Bundesgerichten oftmals auch Entscheidungen der Gerichte eines Bundesstaates, wenn es um die Auslegung des materiellen Rechts dieses Staates geht.

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Persuasive precedent hingegen sind die Entscheidungen aller anderen Gerichte; insbesondere also – vom vorgenannten Ausnahmefall abgesehen – die Entscheidungen der Bundesstaats-Gerichte im Verfahren vor den Bundesgerichten sowie diejenigen der Gerichte eines anderen Bundesstaates im Verfahren vor einem Bundesstaats-Gericht. Persuasive precedent ist zwar nicht für das angerufene Gericht bindend, wird aber oft zitiert, wenn entweder binding precedent zu einer bestimmten Frage noch nicht vorhanden ist oder zum Ausdruck gebracht werden soll, dass das bereits zitierte verbindliche precedent keineswegs einen „Ausreißer“ in der Gesamtheit des amerikanischen Richterrechts darstellt, sondern in voller Übereinstimmung mit dem Recht anderer Bundesstaaten oder der Bundesgerichte steht. Einen besonderen Rang nimmt in diesem Zusammenhang die Entscheidung der Bundesgerichte ein, welche territorial für die Behandlung der Sache zuständig wären, wenn das Verfahren nicht vor dem Gericht des jeweiligen Bundesstaates geführt würde: Auch ihre Entscheidungen sind gegenüber den Gerichten dieses Staates nur persuasive precedent; insbesondere die Ansicht der U.S. Courts of Appeals findet aber aufgrund ihrer herausgehobenen Stellung weit über ihren eigentlichen Gerichtskreis hinaus Beachtung und ist oft richtungsweisend auch für den bundesstaatlichen Bereich.

250 Hiervon zu unterscheiden ist die Bindungs- und Präklusionswirkung einer jeden Entscheidung für und gegen die Parteien des jeweiligen Verfahrens und bestimmte Drittbeteiligte; vgl. nachf. Rn. 754 ff.

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Grundmerkmale der amerikanischen Gerichtsbarkeit

Bedeutsam ist im Zusammenhang mit der bindenden Wirkung von Vorentscheidungen auch die Reichweite der jeweiligen Entscheidung: Die doctrine of stare decisis bezieht sich nämlich nur auf den eigentlichen Entscheidungskern, der in jedem Fall durch Auslegung zu ermitteln ist. Alle weiteren Äußerungen des Gerichts sind dicta und als solche nicht verbindlich. Außerdem ist eine Vorentscheidung dann nicht verbindlich, wenn sie z. B. anhand der zugrundeliegenden Tatsachen von denjenigen des anhängigen Verfahrens unterschieden werden kann (auch dies ist selbstverständlich Auslegungsfrage und steht häufig im Mittelpunkt der rechtlichen Argumentation der Parteien) oder wenn sie zwischenzeitlich von einem höherrangigen Gericht oder durch eine nachfolgende Entscheidung desselben Gerichts aufgehoben worden ist (reversed, overruled). Auch im letzteren Fall ist jedoch die genaue Reichweite der Aufhebung jeweils durch Auslegung zu ermitteln, denn in allen anderen Teilen bleibt die bindende Wirkung der Entscheidung bestehen; im alltäglichen juristischen Sprachgebrauch bleibt sie „good law“251.

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III. Adversary System Grundmodell des amerikanischen Prozesses ist das Verfahren im Parteibetrieb (adversary system), wobei die Herrschaft der Parteien in den USA noch weitaus deutlicher ausgeprägt ist als nach Maßgabe der deutschen Zivilprozessordnung; buchstäblich jeder wesentliche Verfahrensbestandteil ist in ihre Hände gelegt. So sind insbesondere die Parteien, nicht das Gericht, für die Zustellung aller Schriftsätze zuständig – einschließlich der das Prozessrechtsverhältnis maßgeblich gestaltenden Prozesshandlungen wie Klageerhebung, Klageerwiderung und Rechtsmitteleinlegung –, ebenso wie für die Beweisermittlung im Rahmen der discovery, und auch Inhalt und Verlauf der gerichtlichen Beweiserhebung unterliegen ganz überwiegend der Kontrolle der Parteien. Die damit verbundene Grundeinstellung ist die einer Sach- und Rechtsfindung weitestgehend aufgrund argumentativen Widerstreits, nicht aufgrund der Amtsermittlung des Gerichts, dessen allzu großer Machtausübung soweit wie möglich Einhalt zu gebieten ist.

251 Die Entscheidung ist, soweit sie nicht aufgehoben worden ist, auch weiterhin zitierfähig; üblicherweise wird die den zitierten Rechtssatz nicht betreffende Teil-Aufhebung mit dem Hinweis „reversed on other grounds“ oder „overruled on other grounds“ und der Anfügung der Zitatstelle der insoweit aufhebenden Entscheidung gekennzeichnet.

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Das amerikanische Gerichtsverfassungssystem

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Historischer Hintergrund dieses Verfahrensverständnisses sind die Erfahrungen der Einwanderer des 17. und 18. Jahrhunderts mit der hochbürokratischen, unflexiblen und darüber hinaus oftmals nicht einmal in erster Linie auf Wahrheitsfindung gerichteten, sondern korrupten und insbesondere religiösen Minderheiten und politisch Andersdenkenden gegenüber voreingenommenen englischen Justiz. Ungeachtet des großen öffentlichen Ansehens des Richteramtes als solches (vgl. vorstehend Rn. 146) prägen diese Erfahrungen der Gründerväter auch heute noch weitgehend den Ablauf des amerikanischen Zivilprozesses.

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Das richterliche Rollenverständnis ist dementsprechend eher dasjenige eines weitgehend passiven, neutralen Schiedsmannes, der die Argumente der Parteien anhört und auf dieser Grundlage entscheidet, aber nur in Ausnahmefällen aktiv in die Verfahrensgestaltung eingreift und regelmäßig auch keine Prüfung der Rechtslage von Amts wegen vornimmt. Auch wenn dieses Bild insbesondere im Zusammenhang mit dem case management im Rahmen des dem trial vorausgehenden Vorverfahrens in der modernen Praxis starke Durchbrechungen erfahren hat (vgl. nachf. Rn. 492 ff.), ist eine progressive richterliche Prozessleitung nach deutschem Vorbild dem amerikanischen Verfahren nach wie vor fremd252.

252 Nicht zuletzt aufgrund des Fehlens eines der discovery vergleichbaren Verfahrensbestandteiles sowie aufgrund der stärker prozessleitenden Funktion deutscher Gerichte insbesondere im Zusammenhang mit der Vorbereitung der mündlichen Verhandlung und der Beweisaufnahme wird der deutsche Zivilprozess in den USA nicht selten überhaupt nicht als ebenfalls von der Parteimaxime bestimmt wahrgenommen. Vgl. z. B. Societe Nationale Industrielle Aerospatiale v. United States District Court for the Southern District of Iowa, 482 U.S. 522 (1987), Blackmun, J. (dissenting), III A, unter Bezugnahme auf Langbein, The German Advantage in Civil Procedure, 52 U.Chi.L.Rev. 823, 826-828 (1985): „The civil-law system is inquisitional rather than adversarial.“

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Kapitel 4: Jurisdiction

Weiterführende Literatur: Baicker-McKee, Janssen, Corr, Federal Civil Rules Handbook; Casad, Richman, Jurisdiction in Civil Actions; Clermont, Civil Procedure; ders., Civil Procedure: Territorial Jurisdiction and Venue; Field, Kaplan, Clermont, Civil Procedure; Lowenfeld, International Litigation and Arbitration; Mullenix, Redish,Vairo, Understanding Federal Courts and Jurisdiction; Schack, Einführung in das US-amerikanische Zivilprozessrecht; Siegel, Conflicts in a Nutshell; ders., New York Practice; Wright, Miller, Federal Practice and Procedure.

Der Begriff der „jurisdiction“ hat nach dem amerikanischen Prozessverständnis eine Doppelbedeutung und umfasst beide Haupt-Elemente der Unterwerfung einer Partei unter die Gerichtsbarkeit des angerufenen Gerichts: Die auch als authority to adjudicate bezeichnete, allgemeine örtliche und sachliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts einerseits253, und das wirksame Entstehen eines Prozessrechtsverhältnisses zwischen dem Gericht und dem Beklagten infolge der Zustellung von Klageschrift und Ladung (service of process) im konkreten Einzelfall andererseits254. Beide Merkmale sind konzeptionell untrennbar miteinander verbunden; sie sollen deshalb auch hier im Zusammenhang behandelt werden.

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A. Gerichtliche Zuständigkeit Gerichtsbarkeit ist Ausübung staatlicher Hoheitsgewalt und damit verfassungsrechtlichen Grenzen unterworfen: Insoweit besteht grundsätzlich Übereinstimmung zwischen dem amerikanischen und dem deutschen Verständnis255. Anders als nach dem Rechtsstaatsbegriff des Grundgesetzes, der als ein zentrales Merkmal den Gedanken des gesetzlichen Richters beinhaltet und seinen Niederschlag u. a. in den Gerichtsständen der §§ 3 ff. ZPO findet, bedarf es jedoch nach der Rechtsprechung des U.S. Supreme Court zum Rechtsstaatsgebot der U.S.-Bundesverfas253 In diesem Zusammenhang wird darüber hinaus auch der Gerichtsbezirk des angerufenen Gerichts sowie insbesondere auf der Ebene der Bundesstaaten auch der betreffende Bundesstaat als solcher als „jurisdiction“ bezeichnet. 254 Murphy Bros., Inc. v. Michetti Pipe Stringing, Inc., 526 U.S. 344, 350 (1999). 255 Vgl. z. B. Swaim v. Moltan Co., 73 F.3d 711, 718 (7th Cir.), cert. denied, 517 U.S. 1244 (1996).

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Jurisdiction

sung (due process clause) in jedem Einzelfall der Prüfung, ob die Unterwerfung gerade dieser Parteien unter die Entscheidungsgewalt gerade dieses Gerichts mit der Verfassung zu vereinbaren ist. Während sich sodann zwar die sachliche Zuständigkeit der U.S.-Bundesgerichte unmittelbar aus der Verfassung selbst sowie aus den aufgrund der dort enthaltenen Ermächtigung erlassenen einfachen Gesetzen ergibt und auch der letzte Schritt der Forumswahl, die Bestimmung des im jeweiligen Einzelfall tatsächlich örtlich angerufenen Gerichts (venue) ebenfalls weitgehend ausdrücklich kodifizierten Geboten folgt, kennt das amerikanische Prozessrecht ganz weit gehend keine fest umrissenen örtlichen Gerichtsstände vergleichbar §§ 12 ff. ZPO256. I. Sachliche Zuständigkeit 199

Die sachliche Zuständigkeit der Gerichte der Bundesstaaten ist im Grundsatz unbeschränkt. Soweit nach Maßgabe der amerikanischen Bundesverfassung und der einfachen Gesetzgebung darüber hinaus eine Zuständigkeit der Bundesgerichte gegeben ist, ist sie gegenüber derjenigen der bundesstaatlichen Gerichte in der ganz überwiegenden Zahl der Fälle konkurrierend, nicht ausschließlich257. Lediglich im Ausnahmefall ist eine ausschließliche sachliche Zuständigkeit der Bundesgerichte vorgesehen, so z. B. für Patentrechtsstreitigkeiten (vgl. 28 U.S.C. § 1338[a]), Konkursverfahren (28 U.S.C. § 1334) sowie See- und Seehandelsrechtsstreitigkeiten (admiralty, 28 U.S.C. § 1333).

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Artikel III der U.S.-Bundesverfassung und die aufgrund der dort enthaltenen Ermächtigung erlassenen Gesetze sehen eine konkurrierende sachliche Zuständigkeit der Bundesgerichte grundsätzlich in zwei Fallkonstellationen vor: wenn der klageweise geltend gemachte Anspruch auf ein Bundesgesetz gestützt ist (federal question jurisdiction; 28 U.S.C. § 1331) und wenn die Parteien auf beiden Seiten des Rechtsstreits in unterschiedlichen Bundesstaaten ansässig sind bzw. wenn eine amerikanische Partei einer ausländischen Partei gegenübersteht (diversity und alienage jurisdiction; 28 U.S.C. § 1332).

256 Zu scheinbaren Ausnahmen im Bereich der Bundesstaaten vgl. nachf. Rn. 261 ff. 257 Tafflin v. Levitt, 493 U.S. 455, 458 – 459 (1990) (konkurrierende Zuständigkeit, wenn sich aus dem zuständigkeitsbegründenden Gesetz nicht ausdrücklich etwas anderes ergibt).

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Gerichtliche Zuständigkeit

Dabei ist die Bestimmung der sachlichen Zuständigkeit der Bundesgerichte von so zentraler Bedeutung, dass sie – im Gegensatz zu allen anderen dem Beklagten zustehenden prozessualen Einwänden, vgl. nachf. Rn. 350 ff. – als einzige Frage nicht nur von jeder Partei, zu jedem beliebigen Verfahrenszeitpunkt, in jeder beliebigen Form und in jeder Instanz geltend gemacht werden kann, sondern auch vom Gericht stets von Amts wegen zu beachten ist258.

201

1. Federal Question Jurisdiction Nach Maßgabe von 28 U.S.C. § 1331 ist ein Bundesgericht sachlich zur Entscheidung des Rechtsstreits berufen, wenn der klägerische Anspruch materiellrechtlich ausdrücklich auf eine bundesgesetzliche Regelung gestützt ist. Entgegen der ursprünglichen Auslegung der verfassungsrechtlichen Regelung selbst259 ist das angerufene Gericht nach allgemeiner Auslegung der nunmehr vorrangig maßgeblichen einfachgesetzlichen Zuständigkeitsermächtigung nur dann zuständig, wenn das vom Kläger als forumsbegründend herangezogene Bundesgesetz nicht erst aufgrund des (erwarteten) Beklagtenvorbringens oder anderweitig implizit zur Anwendung kommt, sondern wenn sich die Anwendbarkeit jenes Gesetzes unmittelbar aus der ordnungsgemäß begründeten Klage ergibt (well-pleaded complaint rule)260. Maßgeblich ist insoweit ausschließlich der Zeitpunkt der Klageerhebung; spätere Ereignisse haben auf die Zuständigkeitsbegründung nach den Grundsätzen der federal question jurisdiction keinen Einfluss mehr.

202

Handelt es sich im Einzelfall um einen Rechtsbereich, in dem materielles Bundesrecht das etwa konkurrierende materielle Recht der Bundesstaaten vollständig verdrängt (complete preemption), so kann der Kläger allerdings die Zuständigkeit der Bundesgerichte nicht dadurch umgehen, dass er seine Klageansprüche gleichwohl nur auf das anderweitig anwendbare Recht eines Bundesstaates stützt261.

203

258 FRCP Rule 12(h)(3) und Louisville & N.R.R. v. Mottley, 211 U.S. 149 (1908). Im Gegensatz zur örtlichen Zuständigkeit, vgl. nachf. Rn. 238 ff., ist der Mangel der sachlichen Zuständigkeit des angerufenen Gerichts des Weiteren auch nicht durch Parteivereinbarung heilbar; vgl. insoweit bereits Capron v. Van Noorden, 6 U.S. (2 Cranch) 126 (1804). 259 Vgl. insoweit Osborn v. Bank of the United States, 22 U.S. (9 Wheat.) 738 (1824). 260 Grundlegend Louisville & N.R.R. v. Mottley, 211 U.S. 149 (1908); zu den Grenzen vgl. Duke Power Co. v. Carolina Environmental Study Group, Inc., 438 U.S. 59 (1978). 261 Avco Corp. v. Aero Lodge No. 735, 390 U.S. 557 (1968) (Tarifvertragsrecht); zur Reichweite des Grundsatzes vgl. Anderson v. H & R Block, Inc., 287 F.3d 1038,

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Jurisdiction

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Im Gegensatz zur diversity jurisdiction ist die auf ein materiellrechtlich zur Anwendung kommendes Bundesgesetz gestützte sachliche Zuständigkeit der Bundesgerichte an keine Streitwertgrenze gebunden und besteht insbesondere auch im Rahmen absoluter Bagatellstreitigkeiten in unbeschränktem Umfang262. 2. Diversity Jurisdiction

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Über die Fälle der federal question jurisdiction und der ausdrücklich angeordneten ausschließlichen Zuständigkeit hinaus sind die Bundesgerichte stets dann zur Entscheidung berufen, wenn die Parteien auf beiden Seiten des Rechtsstreits verschiedener bundesstaatlicher oder nationaler Herkunft sind; 28 U.S.C. § 1332263. Die Regelung begründet sich aus dem Bemühen, einen gegebenenfalls bestehenden, wenn auch schwer zu quantifizierenden „Heimvorteil“ der jeweils gerichtsansässigen Partei gegenüber ihrem gerichtsfremden Gegner nach Möglichkeit auszuschließen und den Parteien ein neutraleres Alternativ-Forum zur Verfügung zu stellen.

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Dabei knüpft die gesetzliche Regelung für natürliche Personen an deren Wohnsitz bzw. deren Staatsangehörigkeit an: Die Letztere richtet sich nach den jeweils betroffenen Nationalitätsgesetzen; Wohnsitz ist demgegenüber der Ort, an dem sich die Partei tatsächlich gewöhnlich aufhält und den sie unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles als ihren dauerhaften Lebensmittelpunkt behandelt264.

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Bei juristischen Personen, insbesondere als solchen organisierten Handelsgesellschaften, ist sowohl der Bundesstaat ihrer Registrierung als auch der – oftmals hiervon unterschiedliche265 und gegebenenfalls aufgrund einer Gesamtbetrachtung aller

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1042 (11th Cir. 2002): Geltung nur für bestimmte arbeitsrechtliche Gebiete und bundesgesetzlich geregelte Ruhestandsgelder. Bartels v. Alabama Commercial College, Inc., 54 F.3d 702, 708 (11th Cir. 1995). Ausgenommen hiervon sind lediglich bestimmte Familien- und Nachlasssachen, in denen den Gerichten der Bundesstaaten traditionell die größere Sachnähe zugesprochen wird; vgl. Markham v. Allen, 326 U.S. 490, 494 (1946); Ankenbrandt v. Richards, 504 U.S. 689 (1992). Zur besonderen bundesgerichtlichen Zuständigkeit für sog. interpleader actions s. desw. 28 U.S.C. § 1335 u. nachf. Rn. 680. Mas v. Perry, 489 F.2d 1396, 1399 (5th Cir.), cert. denied, 419 U.S. 842 (1974); ebenso Palazzo v. Corio, 232 F.3d 38, 41 (2d Cir. 2000) u. Kanter v. WarnerLambert Co., 265 F.3d 853, 857 (9th Cir. 2001). So sind insbesondere eine Vielzahl von Handelsgesellschaften im Bundesstaat Delaware inkorporiert, weil das Gesellschaftsrecht dieses Staates für Gesellschaftsgründungen besonders vorteilhaft ist und die Gerichte des Staates über

Gerichtliche Zuständigkeit Umstände zu ermittelnde – Staat maßgeblich, in dem sich ihr Haupt-Geschäftssitz befindet oder in dem sie überwiegend ihrer geschäftlichen Tätigkeit nachgeht266. Ist die Geschäftstätigkeit einer nach dem Recht eines amerikanischen Bundesstaats organisierten Handelsgesellschaft allerdings vorwiegend in Richtung Ausland orientiert, so ist nur der Bundesstaat ihrer Registrierung für die gerichtliche Zuständigkeitsbestimmung maßgeblich267. Nicht als juristische Person organisierte Gesellschaften und andere Personenmehrheiten gelten demgegenüber als in jedem Staate ansässig, in dem mindestens eines ihrer Mitglieder ansässig ist268; im Rahmen einer class action (vgl. nachf. Rn. 688 ff.) maßgeblich sind jedoch nur diejenigen Staaten, in denen die namentlich benannten Vertreter der Klägergruppe ihren Wohnsitz haben269.

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Auch im Hinblick auf 28 U.S.C. § 1332 ist die heute herrschende Auslegung der einfachgesetzlichen Kompetenzregelung enger als diejenige des ermächtigenden Verfassungsartikels selbst270: a) Complete Diversity So ist das angerufene Bundesgericht insbesondere nur dann sachlich zuständig, wenn keine der gegebenenfalls mehreren sich gegenüberstehenden Parteien demselben Bundesstaat entstammt wie einer oder mehrere ihrer Gegner271. (Das Gleiche gilt entsprechend für die sogenannte alienage jurisdiction, d. h. Rechtsstreitigkeiten unter Beteiligung einerseits amerikanischer und andererseits ausländischer Parteien272.) Dabei blickt

266

267 268 269 270 271 272

eine besonders hohe gesellschaftsrechtliche Sachkompetenz verfügen. Tatsächlich betreiben diese Gesellschaften ihre Geschäfte aber aus einem völlig anderen Bundesstaat heraus. Harris v. Black Clawson Co., 961 F.2d 547, 549 (5th Cir. 1992); Gadlin v. Sybron International Corp., 222 F.3d 797, 800 (10th Cir. 2000) u. Cincinnati Insurance Co. v. Eastern Atlantic Insurance Co., 260 F.3d 742, 747 (7th Cir. 2001). Torres v. Southern Peru Copper Corp., 113 F.3d 540 (5th Cir. 1997). Carden v. Arkoma Associates, 494 U.S. 185 (1990). Supreme Tribe of Ben Hur v. Cauble, 255 U.S. 356 (1921). Allgemein vgl. insoweit State Farm Fire & Cas. Co. v. Tashire, 386 U.S. 523 (1967). Strawbridge v. Curtiss, 7 U.S. (3 Cranch) 267 (1806). Nicht zuständig sind die amerikanischen Bundesgerichte nach Maßgabe von 28 U.S.C. § 1332 allerdings für Streitigkeiten, an denen auf keiner Seite eine amerikanische Partei beteiligt ist. Vgl. MCC-Marble Ceramic Ctr., Inc. v. Ceramica Nuova d’Agostino, S.p.A., 144 F.3d 1384 n. 15 (11th Cir. 1998), cert. denied, 526 U.S. 1087 (1999). Die Zuständigkeit der Gerichte der Bundesstaaten ist in diesen Fällen an bestimmte Zusatzvoraussetzungen geknüpft, z. B. die Organisation des Beklagten als Handelsgesellschaft, die Geltendmachung vertraglicher Ansprüche aufgrund einer Gerichtsstandsvereinbarung, in der sich

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Jurisdiction

das Gericht über die formelle Parteistellung hinaus auf das jeweils betroffene materielle Interesse; aus diesem Grunde sind insbesondere Scheinund Inkasso-Forderungsabtretungen sowie Strohmanngeschäfte aller Arten nicht zur Zuständigkeitsbegründung ausreichend, wenn der nach Abtretung als Kläger auftretende neue Forderungsinhaber nicht ein über die gerichtliche Geltendmachung hinausgehendes eigenes Interesse aufweisen kann273. 210

Hat der Kläger allerdings vor Klageerhebung einen Wohnsitz in einem anderen Bundesstaat begründet, um einen vormals im gleichen Bundesstaat wie er selbst ansässigen Beklagten zu verklagen, so ist infolge des Wohnsitzwechsels diversity jurisdiction gegeben und entfällt auch dann nicht nachträglich, wenn der Kläger im Verlaufe des Prozesses wieder in seinen ursprünglichen Wohnsitz-Staat zurückzieht274.

b) Streitwertgrenze 211

Die Zuständigkeit der Bundesgerichte im Rahmen der diversity jurisdiction ist des Weiteren an eine Streitwertgrenze geknüpft, die derzeit bei US$ 75.000 liegt; vgl. 28 U.S.C. § 1332(a).

212

aa) Dabei bestimmt sich die Streitwertbemessung nicht allein nach dem tatsächlich geltend gemachten Betrag, sondern auch danach, ob dieser nach der bei Klageerhebung maßgeblichen Lage eine hinreichende rechtliche Grundlage hat (sog. legal certainty test; geprüft wird allerdings insoweit nicht die Begründetheit der Forderung im Einzelnen, sondern lediglich, ob das zur Anspruchsbegründung herangezogene Rechtsinstitut als solches dem Kläger nach der jeweils maßgeblichen materiellen Rechtsordnung überhaupt zur Verfügung steht)275. der Beklagte der Entscheidungsgewalt der Gerichte des jeweiligen Bundesstaates (und ggf. der Geltung von dessen materiellem Recht) unterwirft, und bestimmte Streitwertgrenzen (i.d.R. mindestens US$ 1 Mio.); vgl. z. B. N.Y. BUS. CORP. L. § 1314 und CAL. CODE CIV.PROC. § 410.40. 273 28 U.S.C. § 1359 u. Kramer v. Caribbean Mills, Inc., 394 U.S. 823 (1969); auch hier zeigt sich wieder die Herausstellung materieller Gerechtigkeitserwägungen, denen gegenüber Formvorschriften lediglich als Mittel zum Zweck angesehen werden. Allgemein s. vorst. Rn. 183. 274 McCormick v. Aderholt, 293 F.3d 1254, 1257-1258 (11th Cir. 2002). Der Wohnsitz von Strafgefangenen bestimmt sich nach ihrem letzten Lebensmittelpunkt in Freiheit, nicht nach dem Ort ihrer Gefangenschaft; vgl. Mitchell v. Brown & Williamson Tobacco Corp., 294 F.3d 1309, 1314 (11th Cir. 2002). 275 Saint Paul Mercury Indem. Co. v. Red Cab Co., 303 U.S. 283 (1938). Erreicht wird die Streitwertgrenze danach z. B. nicht bei Geltendmachung von punitive

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Gerichtliche Zuständigkeit

bb) Im Verhältnis zwischen denselben Parteien werden mehrere in der Klage enthaltene Einzelforderungen zusammengerechnet; in Fällen der subjektiven Klagehäufung – außer wenn die geltend gemachten Forderungen ausnahmsweise, wie z. B. bei der Erbengemeinschaft, das ungeteilte Gemeinschaftsinteresse mehrerer Kläger oder Beklagter betreffen – findet jedoch keine solche Addition statt276. Dies gilt insbesondere auch für class actions; ist das Anspruchsziel der einzelnen Mitglieder der Klägergruppe also nicht vollinhaltlich identisch, muss grundsätzlich für einen jeden von ihnen die Streitwertgrenze überschritten sein277.

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cc) Ebenso unbeachtlich für die Streitwertberechnung ist grundsätzlich eine gegebenenfalls erhobene Widerklage278.

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dd) Berechnet werden bei der Streitwertbemessung – wie im Rahmen von § 4 ZPO – des Weiteren nicht Zinsen und Kosten; es sei denn, diese werden als Teil der Hauptforderung geltend gemacht279.

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ee) Ist die Klage schließlich auf keine Geldforderung, sondern ein anderes Ziel gerichtet, so bemisst sich der Streitwert entweder nach Maßgabe des objektiven (notfalls geschätzten) Werts des Rechtes, dessen Durchsetzung der Kläger betreibt, oder nach dem vom Kläger erstrebten (gegebenenfalls hiervon verschiedenen) finanziellen Vorteil280. Stets unbeachtlich sind jedoch etwaige Nebenwirkungen des Urteils, wie z. B. dessen Wirkungen im Rahmen von Folgeprozessen.

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c) Rechtswahl, insbesondere nach Maßgabe der Erie Doctrine Insbesondere im Rahmen der diversity jurisdiction stellt sich des Weiteren die Frage, welches von mehreren in Betracht kommenden Rechts-

276 277 278 279 280

damages, wenn die der Klage zugrundeliegende materielle Rechtsordnung dieses Rechtsinstitut nicht anerkennt. Snyder v. Harris, 394 U.S. 332, 334 (1969). Snyder v. Harris, 394 U.S. 332 (1969); Zahn v. International Paper Co., 414 U.S. 291 (1973). Zu einer der seltenen Ausnahmen von dieser Regel (sog. common law compulsory counterclaims) s. Horton v. Liberty Mut. Ins. Co., 367 U.S. 348 (1961). Brown v. Webster, 156 U.S. 328 (1895); Galt G/S v. JSS Scandianvia, 142 F.3d 1150 (9th Cir. 1998). Glenwood Light & Water Co. v. Mutual Light, Heat & Power Co., 239 U.S. 121 (1915) (Wert des durchgesetzten Rechts); Cohen v. Office Depot, Inc., 204 F.3d 1069, 1077 (11th Cir.), cert. denied, 531 U.S. 957 (2000) (finanzieller Vorteil des Klägers).

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systemen – Bundesrecht, das Recht des Bundesstaates, in dem das Gericht örtlich ansässig ist, das Recht des Wohn- bzw. Geschäftssitz-Bundesstaates des Klägers, dasjenige des Beklagten etc. – das angerufene Gericht seiner Entscheidung zugrunde zu legen hat. Dabei gelten die nachfolgend erörterten Grundsätze im Ansatz für jegliche Rechtsprechungstätigkeit der Bundesgerichte schlechthin, also auch dann, wenn ein Bundesgericht sachlich nach den Prinzipien der federal question jurisdiction zur Entscheidung berufen ist. Da jedoch im letzteren Fall das jeweils anwendbare Bundesgesetz regelmäßig nicht nur Grundlage der gerichtlichen Zuständigkeit, sondern auch der Rechtsbeziehungen der Parteien untereinander ist, stellen sich Rechtswahlfragen dort wesentlich seltener als im Rahmen der diversity jurisdiction, die ja gerade auf die bundesstaatliche Verschiedenheit der Wohn- bzw. Geschäftssitze der Parteien gegründet ist281. 218

aa) Haben die Parteien über das anzuwendende Recht vertraglich eine ausdrückliche Regelung getroffen, wird das Gericht dies regelmäßig honorieren, es sei denn, die Rechtswahlklausel sei im Einzelfall unwirksam oder nicht auf die zur Entscheidung anstehenden Fragen anwendbar282. Unter Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Grundsätze, insbesondere des im fünften und vierzehnten Zusatzartikel der amerikanischen Bundesverfassung niedergelegten Rechtsstaatsprinzips (due process clause), ist jedoch Mindestanforderung jeder Rechtswahl – der parteilichen ebenso wie der gerichtlichen –, dass zwischen dem Staat, dessen Recht angewandt werden soll, und den Parteien bzw. dem zur Entscheidung anstehenden Sachverhalt gewisse Mindestkontakte bestehen, die im Einzelfall ein Interesse des betreffenden Staates an der Anwendung seines Rechtssystems begründen und die getroffene Rechtswahl nicht als willkürlich oder unfair erscheinen lassen (minimum contacts doctrine)283.

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bb) Im Rahmen internationaler Handelsverträge – insbesondere auch solcher zwischen einem amerikanischen und einem deutschen Vertragspartner – werden darüber hinaus oftmals auch die Bestimmungen der UNITED NATIONS CONVENTION ON 281 Außerhalb der diversity jurisdiction kann sich die Frage nach der Anwendbarkeit des Rechtssystems eines Bundesstaates insbesondere im Rahmen von Konkursverfahren stellen, z. B. wenn insoweit auch Grundpfandrechte des Gemeinschuldners abzuwickeln sind, da sich deren Begründung, Inhalt und Tilgung herkömmlicherweise nach bundesstaatlichem Recht richtet. 282 Milanovich v. Costa Crociere, S.p.A., 954 F.2d 763 (D.C. Cir. 1992), unter Berufung auf die Leitentscheidung des U.S. Supreme Court zu Gerichtsstandsvereinbarungen (The Bremen v. Zapata Off-Shore Co., 407 U.S. 1 [1972], s. vorst. Rn. 8 ff.). 283 Allstate Ins. Co. v. Hague, 449 U.S. 302, 308 (1981); s. auch U.C.C. § 1-105.

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Gerichtliche Zuständigkeit CONTRACTS FOR THE INTERNATIONAL SALE OF GOODS (CISG) zur Anwendung kommen284. Die Konvention gilt nur dann nicht, wenn die Parteien ihre Geltung gemäß deren Artikel 6 ausdrücklich vertraglich ausgeschlossen haben (opting out, negative choice of law agreement). Soweit eine solche negative Rechtswahl nicht zugleich mit einer positiven vertraglichen Vereinbarung zur Bestimmung des stattdessen anwendbaren Rechts verbunden ist, kommen sodann die nachfolgend erörterten Grundsätze zur Anwendung; diese gelten aber im Grundsatz auch für die Wirksamkeit vertraglicher Rechtswahlklauseln285.

cc) Grundlage der gerichtlichen Rechtswahl ist zunächst der RULES OF DECISION ACT von 1789 (nunmehr 28 U.S.C. § 1652), der vorsieht, dass – soweit im Einzelfall nicht ausdrücklich bundesgesetzlich oder -verfassungsmäßig anders angeordnet – die Bundesgerichte ihren zivilprozessualen Entscheidungen die Gesetze der Bundesstaaten zugrunde zu legen haben. Der RULES OF DECISION ACT legt dabei allerdings weder fest, welches bundesstaatliche Rechtssystem jeweils zur Anwendung zu kommen hat, noch was im Einzelnen unter „Gesetze der Bundesstaaten“ („laws of the several states“) zu verstehen sein soll, noch wie eine etwaige Konkurrenz zwischen Bundesrecht und dem Recht eines oder mehrerer Bundesstaaten zu behandeln ist, wenn das Bundesrecht nicht dasjenige der Bundesstaaten bereits durch ausdrückliche entsprechende Anordnung verdrängt.

220

dd) Die moderne Rechtsprechung zur gerichtlichen Rechtswahl und zur Auslegung des RULES OF DECISION ACT geht zurück auf die Entscheidung des U.S. Supreme Court in Erie Railroad v. Tompkins286 und wird nach dieser Entscheidung allgemein als Erie doctrine bezeichnet. In Erie nahm der Supreme Court zunächst ausdrücklich von der bis dahin herrschenden Praxis Abschied, die den RULES OF DECISION ACT weitgehend ausgehöhlt hatte, indem sie die eigenständige bundesrichterliche Rechtsschöpfung – wenngleich im Einzelfall in Auslegung bundesstaatlicher Gesetze – im Ergebnis stets dann zugelassen hatte, wenn dies nicht aus-

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284 Die Vereinigten Staaten haben einen Vorbehalt gemäß Artikel 95 der Konvention gegen die Bindungswirkung von deren Artikel 1(1)(b) erklärt; demzufolge sind amerikanische Gerichte an die Bestimmungen der Konvention nur dann gebunden, wenn der Geschäftssitz beider Partner eines internationalen Handelsvertrages sich in einem Unterzeichnerstaat befindet. Dies ist im Verhältnis zwischen den USA und Deutschland jedoch der Fall. 285 Zum Verhältnis zwischen CSIG, vertraglichen Rechtswahlklauseln und nationalem Recht s. im Einzelnen Folsom, Gordon, Spanogle, International Business Transactions S. 62–86 und dies., International Business Transactions in a Nutshell S. 46–53. 286 304 U.S. 64 (1938).

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drücklich durch Bundesgesetz untersagt war287. Erie erklärte diese Praxis überall dort für verfassungswidrig, wo sie in erhebliche Eigeninteressen der Bundesstaaten an der Regelung bestimmter Sachverhalte durch eigene Gesetze und eigenes Richterrecht eingriff und somit die verfassungsrechtlich nicht nur dem Bundesgesetzgeber, sondern insbesondere auch den Bundesgerichten gesetzten Kompetenzgrenzen überschritt. Darüber hinaus wies der Supreme Court in Erie darauf hin, dass die Konkurrenz zweier zur Verfügung stehender Rechtssysteme nicht einer Partei einen unfairen Vorteil verschaffen und nicht zur missbräuchlichen Auswahl unter mehreren grundsätzlich zuständigen Gerichten durch den Kläger führen darf288. 222

Die Erie doctrine ist heute in der Ausprägung, die sie seit der Entscheidung des Supreme Court in Erie Railroad v. Tompkins erfahren hat, einer der komplexesten Bereiche des amerikanischen Zivilprozessrechts und auch nach wie vor noch erheblichen organischen Fortentwicklungen unterworfen. Allgemein lassen sich insoweit aber wohl die folgenden Grundsätze festhalten: – Eine formalistische Abgrenzung entlang der Trennungslinie zwischen materiellem und Prozessrecht289 lehnte der Supreme Court schon früh ausdrücklich ab und entschied stattdessen, dass Ziel der Rechtswahl grundsätzlich sein müsse, im Verfahren vor den Bundesgerichten das gleiche Ergebnis herbeizuführen wie in einem entsprechenden Verfahren vor den Gerichten des jeweils betroffenen Bundesstaates290. – Nach einer etwas späteren Entscheidung hat das Gericht des Weiteren eine Interessenabwägung vorzunehmen zwischen dem Interesse einerseits des betroffenen Bundesstaates, unter Berücksichtigung der his287 Grundlegend insoweit Swift v. Tyson, 41 U.S. (16 Pet.) 1 (1842). 288 Erie Railroad v. Tompkins, 304 U.S. 64, 79 (1938). Die Wahl unter mehreren konkurrierend zuständigen Gerichten wird als „forum shopping“ bezeichnet. 289 Vgl. z. B. Cities Serv. Oil Co. v. Dunlap, 308 U.S. 208 (1939): Beweislastregeln sind materiellrechtlich (!) und damit nach dem jeweils anwendbaren bundesstaatlichen Recht zu beurteilen. 290 Guaranty Trust Co. v. York, 326 U.S. 99 (1945): Die Verjährungsfrist richtet sich nach dem jeweils anwendbaren bundesstaatlichen Recht. Ebenso in der Folge Ragan v. Merchants Transfer & Warehouse Co., 337 U.S. 530 (1949) (verjährungsrechtlich maßgeblicher Zeitpunkt der Klageerhebung bestimmt sich nach bundesstaatlichem Recht), Woods v. Interstate Realty Co., 337 U.S. 535 (1949) (bundesstaatliche Vorschriften sind maßgeblich für die Prozessführungsbefugnis auswärtiger Handelsgesellschaften) und Bernhardt v. Polygraphic Co. of America, 350 U.S. 198 (1956) (Verbindlichkeit von Schiedsabreden).

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torischen Entwicklung des anwendbaren Rechtsgrundsatzes und der diesem zugrundeliegenden Begründung und Zielvorstellung sein eigenes Recht angewandt zu sehen, andererseits den gegenläufigen Interessen des Bundes-Souveräns an der Anwendung von Bundesrecht sowie schließlich dem aus dem föderalen System folgenden Grundinteresse der Durchsetzung bundesstaatlich geschaffener Rechte und Pflichten auch durch die Bundesgerichte291. – Ist die konkret zu entscheidende Frage allerdings ausdrücklicher Regelungsgegenstand der FEDERAL RULES OF CIVIL PROCEDURE, so ist die dort getroffene Regelung ohne Ansehen weiterer Umstände maßgeblich. Soweit die FEDERAL RULES die zur Entscheidung anstehende Frage nicht direkt regeln, ist unter direktem Rückgriff auf die zuerst in Erie selbst niedergelegten, übergeordneten Grundsätze eine Abgrenzung dahin gehend zu treffen, dass eine Partei sich durch die Rechtswahl und die hiermit gegebenenfalls einhergehende Gerichtswahl nicht einen unfairen Vorteil verschaffen können soll292. – Ebenso verdrängt wird das Recht der Bundesstaaten durch die bundesgesetzliche Kodifikation prozessrechtlicher Regelungen in Titel 28 des U.S. CODE („Judiciary and Judicial Procedure“), es sei denn, der Bundesgesetzeber selbst habe sich insoweit außerhalb der verfassungsmäßigen Grenzen seiner Regelungsgewalt begeben293.

In Anwendung dieser Grundsätze läßt sich in der bundesgerichtlichen Rechtsprechung bislang im Einzelnen die folgende Unterscheidung zwischen anwendbarem Bundesrecht und dem konkurrierenden Recht eines Bundesstaates feststellen294: 291 Byrd v. Blue Ridge Rural Electric Cooperative, Inc., 356 U.S. 525, 533-539 (1958): Bundesrecht bestimmt, ob tatsächliche Streitfragen der Entscheidung durch den Richter oder die Jury unterliegen. 292 Hanna v. Plumer, 380 U.S. 460, 468 u. 474 (1965); vgl. auch bereits Erie Railroad v. Tompkins, 304 U.S. 64, 90 (1938). 293 Stewart Organization, Inc. v. Ricoh Corp., 487 U.S. 22, 26 (1988). 294 Dass die Grenzen der Rechtsprechung allerdings nach wie vor fließend sind, illustriert eine der jüngeren Erie-Entscheidungen des Supreme Court, in welcher der Gerichtshof eine Gemengelage zwischen den widersprechenden Regelungen auf Bundesebene und auf der Ebene des betroffenen Bundesstaates (New York) schuf, die in dieser Form weder als vorhersehbar betrachtet werden kann noch eine klare Anwendung entweder der bundesstaatlichen oder der bundesrechtlichen Regelung beinhaltet: In Gasperini v. Center for Humanities, Inc., 518 U.S. 415 (1996) hatte der Supreme Court darüber zu befinden, ob die nachträgliche richterliche Abänderung einer Schadensersatz zusprechenden Jury-Entscheidung, wie nach dem Recht des Staates New York, durch

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Bundesstaatliches Recht bestimmt die Mehrzahl materiellrechtlicher Fragen sowie unabhängig von der jeweiligen Einstufung als materielloder prozessrechtlich: – Die Verjährung von Ansprüchen, die ihrerseits auf bundesstaatliches Recht gegründet sind, einschließlich des für die Verjährungshemmung maßgeblichen Zeitpunkts der Klageerhebung295; – die örtliche Zuständigkeit des zur Entscheidung eines auf Bundesstaats-Recht gegründeten Anspruchs berufenen Gerichts (vgl. insoweit nunmehr auch ausdrücklich FRCP Rule 4); – zumeist auch etwa bestehende besondere Prozessführungsvoraussetzungen für nicht in dem betreffenden Bundesstaat ansässige oder inkorporierte Handelsgesellschaften296; – und die Beweislast bei der Geltendmachung von Ansprüchen und Rechten, die ihrerseits dem Recht eines Bundesstaates entstammen.

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Bundesrecht ist demgegenüber anwendbar, wenn entweder die Interessen des Bundes-Souveräns an der Anwendung seines Rechts (auch in materiellrechtlichen Fragen) diejenigen des Bundesstaates überwiegen, dem die im Einzelfall konkurrierende Regelung entstammt, wenn des Weiteren eine entscheidungsbedürftige prozessrechtliche Frage in den ausdrücklichen Regelungsbereich der FEDERAL RULES OF CIVIL PROCEDURE, der FEDERAL RULES OF APPELLATE PROCEDURE sowie von Titel 28 des U.S. CODE fällt, und schließlich ohne Ansehung der Qualifizierung als materielloder prozessrechtlich, wenn einer der folgenden Bereiche betroffen ist:

das Rechtsmittelgericht oder, nach Maßgabe der FEDERAL RULES OF CIVIL PROdurch den Richter des erstinstanzlichen Gerichts selbst zu erfolgen hat; des Weiteren, unter welchen Voraussetzungen eine solche Abänderung zulässig ist und welchem Prüfungsmaßstab die abändernde Entscheidung im Rahmen ihrer Anfechtung unterliegt. Der Gerichtshof entschied, dass die Abänderung als solche in Verfahren vor den Bundesgerichten durch den Richter des erstinstanzlichen Gerichts selbst zu erfolgen habe, aber nach Maßgabe der insoweit im Prozessrecht des Bundesstaates New York verankerten Grundsätze, und dass die abändernde Entscheidung im Falle ihrer Anfechtung nur einer Ermessensmissbrauchs-Prüfung unterliegt (abuse of discretion review; vgl. hierzu nachf. Rn. 754). 295 Guaranty Trust Co. v. York, 326 U.S. 99 (1945) und Ragan v. Merchants Transfer & Warehouse Co., 337 U.S. 530 (1949); ausdrücklich bestätigt in Walker v. Armco Steel Corp., 446 U.S. 740, 751-751 (1980). 296 Woods v. Interstate Realty Co., 337 U.S. 535 (1949); zu Ausnahmen vgl. allerdings Szantay v. Beech Aircraft Corp., 349 F.2d 60 (4th Cir. 1965). CEDURE,

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– Das Kompetenzverhältnis zwischen Richter und Jury; – der Verlauf der gerichtlichen Hauptverhandlung und Beweisaufnahme; – die Auswahl des konkret örtlich anzurufenden Gerichts (venue; vgl. nachf. Rn. 280 ff.); – wohl auch die forum non conveniens doctrine (vgl. nachf. Rn. 275 ff.)297; – die Bindungs- und Präklusionswirkung bundesgerichtlicher Entscheidungen; – und Geltung und Reichweite der act of state doctrine298. ee) Eine weitere vom Supreme Court in Erie selbst zunächst nicht beantwortete Frage war diejenige der Rechtswahl zwischen den Systemen zweier Bundesstaaten. Insoweit entschied der Gerichtshof jedoch bereits wenige Jahre später, dass das nach den Grundsätzen der diversity jurisdiction zur Entscheidung berufene Gericht das Recht des Bundesstaates anzuwenden habe, in dem das betreffende Bundesgericht örtlich ansässig ist299. Dies gilt insbesondere auch für die Rechtswahlgrundsätze jenes Bundesstaates selbst300.

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ff) Den Inhalt des anzuwendenden bundesstaatlichen Rechts ermittelt das zur Entscheidung berufene Bundesgericht durch Betrachtung der Rechtsprechung insbesondere des höchsten Rechtsmittelgerichts des betroffenen Bundesstaates. Kommt es nach vollständiger Prüfung der Rechtslage zu dem Ergebnis, dass die Frage in Gesetzgebung und Rechtsprechung jenes Bundesstaates nicht abschließend geklärt ist, wird es regelmäßig in Fortentwicklung der bereits bestehenden Rechtsprechung so entscheiden, wie das höchste Gericht des betroffenen Bundesstaates die Frage vermutlich entscheiden würde (sog. Erie guess). Ist in der Gerichtsverfassung jenes Staates allerdings vorgesehen, dass das dortige höchste Rechtsmittelgericht einzelne Fragen auf Vorlage hin auch unmittelbar entscheiden kann (certification; vgl. vorst. Rn. 175), kann das Bundesgericht stattdes-

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297 Jedenfalls nach der ganz überwiegenden Praxis der U.S. Courts of Appeals; vgl. hierzu Esfeld v. Costa Crociere, S.P.A., 289 F.3d 1300, 1306-1309 (11th Cir. 2002). 298 Banco Nacional de Cuba v. Sabbatino, 376 U.S. 398 (1964); grundlegend hierzu bereits Jessup, The Doctrine of Erie Railroad v. Tompkins Applied to International Law, 33 AM.J.INT’L L. 740 (1939). 299 Klaxon Co. v. Stentor Elec. Mfg. Co., 313 U.S. 487 (1941). 300 Klaxon Co. v. Stentor Elec. Mfg. Co., 313 U.S. 487 (1941); bestätigt in Day & Zimmermann, Inc. v. Challoner, 423 U.S. 3 (1975).

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sen die betreffende Frage auch jenem Gericht zur Vorabentscheidung vorlegen; wird dies jedoch i.d.R. nur dann tun, wenn die Bedeutung der im Einzelfall erwarteten klarstellenden Entscheidung den mit dem Vorlageverfahren verbundenen erhöhten Zeit- und Resourcenaufwand eindeutig rechtfertigt. 227

gg) Nur insoweit nach den vorstehend erörterten Grundsätzen weder kodifiziertes Bundesrecht noch das – gesetzliche und richterliche – Recht eines Bundesstaates zur Anwendung kommt und im Einzelfall ein überwiegendes Interesse an der bundeseinheitlichen Behandlung einer Tatsachenoder Rechtsfrage besteht, ist in Verfahren vor den Bundesgerichten noch Raum für die eigene richterliche Rechtsschöpfung der Bundesgerichte (sog. federal common law)301. Auch insoweit sollen die Bundesgerichte sich aber nach Möglichkeit an etwaigen auf der Ebene der Bundesstaaten exisitierenden Parallelregelungen orientieren, soweit nicht ein überwiegendes Interesse des Bundes-Souveräns an einer anderweitigen Regelung feststellbar ist302.

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hh) In mehr oder weniger spiegelbildlicher Anwendung der Erie doctrine sind schließlich auch die Gerichte der Bundesstaaten gehalten, Bundesrecht anzuwenden, wenn die Rechtswahl nicht von vornherein durch Gesetz oder Parteivereinbarung geregelt ist und im Einzelfall konkurrierende Regelungen auf der Ebene des Bundes und des betreffenden Bundesstaates vorhanden sind (sog. reverse-Erie doctrine). Dabei wiegt das Interesse des Bundes-Souveräns an der Anwendung seines Rechts allerdings regelmäßig schwerer als das gegenläufige Interesse des betroffenen Bundesstaates, so dass für die Anwendung des eigenen Rechts jenes Bundesstaates vor dessen Gerichten gegenüber einer direkt konkurrierenden bundesrechtlichen Regelung nur ausnahmsweise Raum sein wird303.

3. Annexzuständigkeit 229

Soweit für eine Forderung des Klägers die Zuständigkeit der Bundesgerichte gegeben ist, sollen diese nach Möglichkeit über alle hiermit im 301 Vgl. insbesondere Clearfield Trust Co. v. United States, 318 U.S. 363, 365 (1943): Rechte und Pflichten der Vereinigten Staaten mit Rücksicht auf von diesen ausgegebene Wertpapiere. Heutzutage üben die meisten Bundesgerichte allerdings außerordentlich große Zurückhaltung in der Schaffung eigenen Richterrechts; s. hierzu United States v. City of Las Cruces, 289 F.3d 1170, 1186 (10th Cir. 2002). 302 Owens v. Okure, 488 U.S. 235 (1989); zu den Grenzen der Anpassung an bundesstaatliches Recht vgl. aber bereits Homberg v. Armbrecht, 327 U.S. 392 (1946). 303 Vgl. Brown v. Western Railway, 338 U.S. 294 (1949) und Dice v. Akron, C. & Y.R.R., 342 U.S. 359 (1952).

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Sachzusammenhang stehenden klägerischen Ansprüche in einem einheitlichen Verfahren entscheiden können, auch wenn für die weiteren Ansprüche ein eigenständiges Forum auf Bundesebene nicht gegeben wäre; vgl. 28 U.S.C. § 1367. a) Pendent Jurisdiction So kann das angerufene Bundesgericht insbesondere nach seinem Ermessen auch die Entscheidung über eine vor dem Gericht eines Bundesstaates geltend gemachte Parallelforderung an sich ziehen, wenn beide bereits anhängigen Forderungen auf demselben Lebenssachverhalt beruhen (pendent jurisdiction)304. Die Parteien beider anhängigen Verfahren müssen insoweit nicht notwendigerweise identisch sein; maßgeblich ist vielmehr stets lediglich der zugrundeliegende Sachverhalt und die pflichtgemäße Ermessensausübung des Gerichts im Interesse der Prozessökonomie und der Fairness des Verfahrens.

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b) Ancillary Jurisdiction Des Weiteren erstreckt sich die Zuständigkeit des angerufenen Bundesgerichts stets auch auf die noch nicht anderweitig anhängig gemachten, mit dem bundesgerichtlich geltend gemachten Anspruch sachlich zusammenhängenden Forderungen des Klägers, auch wenn diese bei insoweit selbständiger Klageerhebung nur vor dem Gericht eines Bundesstaates geltend gemacht werden könnten305. Allerdings ist das gerichtliche Ermessen insoweit stärker eingeschränkt als in Bezug auf bereits unabhängig auf Bundesstaatenebene gerichtlich geltend gemachte Parallelforderungen; insbesondere ist es dem Kläger nur in begrenztem Umfang möglich, Forderungen gegen bislang nicht am Prozess beteiligte Dritte geltend zu machen, vgl. 28 U.S.C. § 1367(b).

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4. Absehen von der Ausübung gerichtlicher Entscheidungsgewalt Obgleich der U.S. Supreme Court ausdrücklich die unverminderte Pflicht der Bundesgerichte unterstrichen hat, die ihnen zukommende Entscheidungsgewalt auch tatsächlich vollumfänglich auszuüben306, haben sich 304 UMV v. Gibbs, 383 U.S. 715 (1966); Hurn v. Oursler, 289 U.S. 238 (1933); Aldinger v. Howard, 427 U.S. 1 (1976). 305 Owen Equip. & Erection Co. v. Kroger, 437 U.S. 365 (1978). 306 Colorado River Water Conservation Dist. v. United States, 424 U.S. 800, 817 (1976) („virtually unflagging obligation“).

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Jurisdiction

in der Rechtsprechung fünf Fallkonstellationen herausgebildet, in deren Rahmen ein Bundesgericht u. U. eine Sachentscheidung ablehnen wird (sog. doctrine of abstention). a) Bundesstaatsrecht und U.S.-Bundesverfassung 233

Ein Bundesgericht kann (und soll) einen Rechtsstreit zur Verhandlung und Entscheidung an das in der Sache parallel zuständige bundesstaatliche Gericht verweisen, wenn die Entscheidung von einer noch nicht abschließend geklärten Frage des Rechts jenes Bundesstaates abhängt und durch die Klärung jener Rechtsfrage eine sich andernfalls eröffnende Problematik des Bundes-Verfassungsrechts vermieden wird (sog. Pullman doctrine, benannt nach der insoweit grundlegenden Entscheidung des U.S. Supreme Court)307. Das bundesgerichtliche Absehen von der Ausübung seiner im Grundsatz bestehenden Entscheidungskompetenz dient in diesem Fall der Vermeidung widerstreitender Entscheidungen auf bundes- und bundesstaatsgerichtlicher Ebene sowie des Risikos der Fehlinterpretation bundesstaatlichen materiellen Rechts durch ein Bundesgericht; des Weiteren gebietet der Grundsatz der Prozessökonomie, bundesverfassungsrechtliche Fragen nur dann zu entscheiden, wenn dies in der Sache unvermeidlich ist308. b) Bundesstaatsrecht und Diversity Jurisdiction

234

Aus im Wesentlichen gleichen Gründen kann ein Bundesgericht auch dann von der Ausübung seiner Entscheidungsgewalt absehen, wenn es nur nach den Grundsätzen der diversity jurisdiction sachlich zuständig ist und der Rechtsstreit Fragen des materiellen Rechts eines Bundesstaates aufwirft, die durch die Gerichte jenes Staates noch nicht abschließend geklärt sind309. c) Komplexe Fragen bundesstaatsrechtlicher Administrativgewalt

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Ein Bundesgericht soll des Weiteren dann von der eigenen Sachbehandlung absehen, wenn der Rechtsstreit komplexe Angelegenheiten der

307 Railroad Commission of Texas v. Pullman Co., 312 U.S. 496 (1941). 308 Railroad Commission of Texas v. Pullman Co., 312 U.S. 496, 499-501 (1941). 309 Louisiana Power & Light Co. v. City of Thibodaux, 360 U.S. 25, 28-30 (1959); sog. Thibodaux abstention.

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Gerichtliche Zuständigkeit

durch Bundesstaatsrecht geregelten Entscheidungsgewalt einer Verwaltungsbehörde zum Gegenstand hat310. d) Kein Eingriff in bundesstaatliche Straf- und Verwaltungsverfahren Im Wesentlichen aus Gründen des Föderalismus sollen sich Bundesgerichte des Weiteren der Verhängung von Unterlassungsurteilen gegenüber den Parteien eines bundesstaatlichen Gerichts- und Verwaltungsverfahrens bezüglich der Betreibung jenes Verfahrens enthalten; insbesondere, wenn es sich bei jenem Verfahren um einen Strafprozess oder ein behördliches Verfahren handelt (sog. Younger doctrine, benannt nach der insoweit grundlegenden Entscheidung i.S. Younger v. Harris)311. Die Untersagung eines Verfahrens vor einem Gericht oder einer Verwaltungsbehörde eines Bundesstaates würde unmittelbar in dessen souveräne Rechte eingreifen; darüber hinaus handelt es sich bei einer Unterlassungsanordnung um eine equity-Entscheidung, die dem sogenannten relief at law (einschließlich Straf- und Verwaltungsverfahren) gegenüber regelmäßig zurückzustehen hat312.

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e) Prozessökonomie Aus Gründen der Prozessökonomie schließlich kann ein Bundesgericht ausnahmsweise auch dann von der Ausübung seiner Gerichtsgewalt absehen, wenn derselbe Streitgegenstand parallel in einem Verfahren vor dem Gericht eines Bundesstaates rechtshängig ist und wenn außergewöhnliche Umstände das Zurücktreten der bundesgerichtlichen Justizgewalt im Einzelfall rechtfertigen (sog. Colorado River abstention)313. Doppelte Rechtshängigkeit allein rechtfertigt jedoch bei gleichzeitiger Anrufung von Bundes- und Bundesstaatsgerichten das bundesgerichtliche Absehen von einer Entscheidung nicht.

237

II. Örtliche Zuständigkeit Anknüpfungspunkt im Rahmen der Prüfung der örtlichen Zuständigkeit (territorial jurisdiction) des angerufenen Gerichts ist zum einen die Aus310 Burford v. Sun Oil Co., 319 U.S. 315 (1943); sog. Burford abstention. 311 401 U.S. 37, 44 (1971). 312 Younger v. Harris, 401 U.S. 37, 43 – 44 u. 53 – 54 (1971); zu Definition und Abgrenzung von relief at law und relief in equity s. nachf. Rn. 540 ff. 313 Colorado River Water Conservation Dist. v. United States, 424 U.S. 800, 818 – 819 (1976).

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Jurisdiction

richtung des Rechtsstreits auf einen bestimmten Beklagten (personal oder in personam jurisdiction) oder eine bestimmte Sache (in rem und quasi in rem jurisdiction), zum anderen die von der gerichtlichen Entscheidungsgewalt als solcher (authority to adjudicate) grundsätzlich getrennt zu betrachtende Bestimmung des im konkreten Einzelfall örtlich anzurufenen Gerichts (venue)314. 1. Begriffsbestimmungen 239

Zum besseren Verständnis des Ausgangspunktes der gerichtlichen Prüfung im Rahmen der Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit bedarf es zunächst einer Unterscheidung der Verfahrensarten nach dem jeweiligen Klagegegner und -begehren, welches nach amerikanischem Verständnis nicht lediglich von Bedeutung ist für die Bestimmung der Bindungs- und Präklusionswirkung eines gegebenenfalls ergehenden Urteils, sondern insbesondere auch bereits für die grundlegende Frage, ob die Unterwerfung der Prozessbeteiligten unter die Gerichtsbarkeit des angerufenen Forums überhaupt mit dem verfassungsmäßigen Rechtsstaatsgebot zu vereinbaren ist315. a) Personal oder in Personam Jurisdiction

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Die ganz überwiegende Mehrzahl aller amerikanischen Zivilprozesse sind Verfahren zwischen natürlichen oder juristischen Personen, in deren Rahmen die jeweils geltend gemachten Rechte mit Wirkung lediglich zwischen den Prozessparteien gerichtlich festgestellt werden. Anknüpfungspunkt der Prüfung, ob die Bejahung der gerichtlichen Zuständigkeit im Einzelfall verfassungsgemäß ist, sind insoweit die prozessbeteiligten Personen selbst; auch die Vollstreckung erfolgt in das gesamte – und nicht im Einzelfall hiervon ausgenommene – Vermögen des Beklagten. b) In Rem Jurisdiction

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Erstrebt der Kläger demgegenüber die gerichtliche Feststellung seiner Rechte in Bezug auf einen bestimmten Gegenstand mit Wirkung für und gegen alle (einschließlich jedes Dritten), so richtet er seine Klage nicht gegen eine Person – etwa den Eigentümer oder Besitzer der streitgegen314 Zu der letzteren Unterscheidung vgl. Clermont, Restating Territorial Jurisdiction and Venue for State and Federal Courts, 66 CORNELL L.REV. 411 (1981). 315 Grundlegend insoweit Pennoyer v. Neff, 95 U.S. 714 (1878).

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Gerichtliche Zuständigkeit

ständlichen Sache –, sondern gegen die Sache selbst. Aus dem sodann ergehenden Urteil ergibt sich keine unmittelbar vollstreckbare Verpflichtung einer natürlichen oder juristischen Person, wenngleich solche Verpflichtungen die inzidente Folge der gerichtlichen Feststellungen sein können316. Anknüpfungspunkt der gerichtlichen Zuständigkeitsprüfung ist vielmehr die jeweilige Belegenheit der streitgegenständlichen Sache317. Beispiele für solche „echten“ actions in rem sind Klagen auf Eintragung von Grundeigentum und auf Erbschaftsteilung gerichtete Verfahren vor den Nachlassgerichten318. c) Quasi in Rem Jurisdiction Von den vorgenannten proceedings in rem zu unterscheiden sind die Verfahrensarten, die zwar in der Zuständigkeitsbestimmung ebenfalls von der Belegenheit der streitgegenständlichen Sache ausgehen, jedoch insoweit nur die unmittelbare gerichtliche Feststellung der Rechte und Pflichten der Prozessparteien zum Gegenstand haben. Hierunter fallen zum einen Verfahren, mit denen der Kläger die Durchsetzung eines behaupteten Rechts an der streitgegenständlichen Sache gegen den Beklagten erstrebt (z. B. im Wege einer Herausgabeklage, einer Klage auf Teilung von Grundeigentum319 oder einer Klage auf Verwertung eines fälligen Grundpfandrechts), zum anderen Verfahren, die auf die Sicherung eines anderen Anspruchs durch Erwerb eines prozessualen Pfandes an der streitgegenständlichen Sache gerichtet sind (attachment)320. In beiden Fällen erfolgt die Vollstreckung des stattgebenden Urteils lediglich in die streitgegenständliche Sache, nicht in das weitere Vermögen des Beklagten321. 316 Denkbar ist u. U. auch, soweit von der jeweiligen Prozessordnung zugelassen, die aus der Feststellung in rem erwachsenen Rechte gegen bestimmte Personen im Wege der objektiven und (!) subjektiven Klagehäufung zugleich mit der action in rem einzuklagen, um insoweit einen Nachfolgeprozess zu vermeiden. 317 Vgl. z. B. N.Y.C.P.L.R. § 314(2). 318 Gelegentlich als actions in rem ausgestaltet sind auch Klagen auf Feststellung des (lastenfreien) Eigentums an einem Grundstück (quiet title); vgl. z. B. CAL. CODE CIV.PROC. §§ 760.010-765.060. 319 Vgl. jedoch CAL. CODE CIV.PROC. §§ 872.010-874.240, wonach sowohl Grundstücksteilungsklagen als auch Klagen auf die Teilung persönlichen Eigentums wie Nachlassteilungsklagen als actions in rem ausgestaltet sind. 320 Vgl. z. B. CAL. CODE CIV.PROC. §§ 481.010-493.060 und N.Y.C.P.L.R. § 314(3). 321 Hanson v. Denckla, 357 U.S. 235, 246 n. 12 (1958) und Shaffer v. Heitner, 433 U.S. 186 (1977).

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d) Jurisdiction Over Status 243

Gestaltungs- und Feststellungsklagen, die die gerichtliche Statusveränderung oder -bestimmung des Klägers mit Wirkung für und gegen alle zum Gegenstand haben (z. B. Scheidungs- und Vaterschaftsklagen sowie Klagen auf Feststellung der Staatsangehörigkeit), knüpfen in der Bestimmung der gerichtlichen Zuständigkeit an der „Belegenheit“ des jeweiligen Status an322. Dabei ist das insoweit angerufene Gericht über die eigentlichen Statusfeststellungen hinaus zur Aburteilung sachlich hiermit zusammenhängender Fragen allerdings nur berufen, wenn insoweit auch unabhängig seine Zuständigkeit gegeben ist. So kann z. B. ein Familiengericht außer dem Scheidungsausspruch selbst Anordnungen betreffend das Vermögen der geschiedenen Eheleute und Unterhaltsanordnungen nur dann treffen, wenn der insoweit zur Leistung verpflichtete Ehegatte seiner Gerichtsbarkeit auch nach den Grundsätzen der personal jurisdiction (vgl. vorst. Rn. 240) unterworfen ist. 2. Bestimmung der gerichtlichen Zuständigkeit im Einzelfall

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Die Feststellung der gerichtlichen Zuständigkeit bemisst sich nach Maßgabe des im fünften und vierzehnten Zusatzartikel der amerikanischen Bundesverfassung festgelegten Rechtsstaatsprinzips nach dem Grundsatz, dass die Parteien nicht nur grundsätzlich der Entscheidungsgewalt (power to adjudicate) des jeweiligen Forum unterworfen sein müssen, sondern dass die tatsächliche Ausübung dieser Justizgewalt darüber hinaus auch in der Sache angemessen sein muss (reasonableness)323. Dabei obliegt dem Kläger im Einzelfall die Darlegung der allgemein zuständigkeitsbegründenden Umstände – also des Ersteren der beiden Elemente –, während der Beklagte darzulegen hat, warum die Ausübung der an sich gegebenen Entscheidungsgewalt im Einzelfall nicht angemessen ist324. Diese Grundsätze, die dem Kläger gelegentlich auch die Wahl zwischen mehreren gleichermaßen zur Entscheidung berufenen Gerichten ermöglichen (sog. forum shopping), gelten für Verfahren zwischen ausschließlich amerikanischen Prozessbeteiligten ebenso wie für Rechtsstreitigkeiten unter Einschluss ausländischer Parteien325. 322 323 324 325

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Vgl. z. B. N.Y.C.P.L.R. § 314(1). Klarstellend World-Wide Volkswagen Corp. v. Woodson, 444 U.S. 286 (1980). Burger King Corp. v. Rudzewicz, 471 U.S. 462 (1985). Helicopteros Nacionales de Colombia, S.A. v. Hall, 466 U.S. 408 (1984); Asahi Metal Industry Co. v. Superior Court, 480 U.S. 102 (1987). Vgl. demgegenüber die zwar nur fakultative, jedoch in der Praxis weitaus restriktiver gehandhabte

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a) Power to Adjudicate Nach heutigem Verständnis hat ein Gericht nicht nur dann grundsätzlich die Gewalt, Prozessparteien seinen Entscheidungen zu unterwerfen, wenn sich die Parteien oder streitgegenständlichen Sachen tatsächlich in seinem Bezirk (bzw. bei den Gerichten der Bundesstaaten, innerhalb des jeweiligen Staates) befinden326, sondern stets dann, wenn zwischen dem jeweiligen Forum und den Parteien ein bestimmtes Mindestmaß an Beziehungen besteht, die die Ausübung der gerichtlichen Gewalt als verfassungskonform erscheinen lassen (minimum contacts doctrine)327. So ist z. B. stets insbesondere zu berücksichtigen, ob die Aktivitäten der Parteien in dem Forumsstaat oder dem betreffenden bundesgerichtlichen Bezirk erkennen lassen, dass diese gezielt den Schutz der dortigen Gesetze in Anspruch nehmen wollten; ist dies der Fall, haben sie sich im Zweifelsfalle auch der dortigen Gerichtsbarkeit unterworfen (purposeful availment doctrine)328. Besonders bei nicht auf vertragliche, sondern außervertragliche Grundlagen wie z. B. unerlaubte Handlungen gestützten Ansprüchen bedarf es dabei stets einer dezidierten Prüfung, ob nach Maßgabe dieser Grundsätze hinreichende Beziehungen zwischen dem Gericht und den Parteien bestehen329.

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Bejaht werden solche zuständigkeitsbegründenden Kontakte insbesondere aufgrund der folgenden Umstände: aa) Die wohl unumstrittenste Grundlage der Unterwerfung einer Partei unter die Gerichtsbarkeit des angerufenen Gerichts ist der Wohnsitz (domicile) – bzw. bei als juristische Person organisierten Handelsgesellschaften der Staat ihrer Registereintragung –, der für sich genommen stets und ohne Rücksicht auf die Natur des geltend gemachten Anspruchs und den

326 327 328 329

internationale Zuständigkeit englischer Gerichte nach Maßgabe der Rules of the Supreme Court, Order 11 (1852) und hierzu Lowenfeld, International Litigation and Arbitration S. 178 – 179. Vgl. insoweit bereits Pennoyer v. Neff, 95 U.S. 714 (1878). Grundlegend International Shoe Co. v. Washington, 326 U.S. 310 (1945). Hanson v. Denckla, 357 U.S. 235, 253 (1958); Burger King Corp. v. Rudzewicz, 471 U.S. 462, 474-476 (1985). World-Wide Volkswagen Corp. v. Woodson, 444 U.S. 286 (1980) – verneint für eine am Unfallort erhobene Schadensersatzklage von aus einem anderen Bundesstaat stammenden Verkehrsunfallopfern gegen den ebenfalls nicht in dem betreffenden Bundesstaat ansässigen Importeur und den auch dort nicht ansässigen Verkäufer des verunfallten Fahrzeuges, dessen angeblich fehlerhafter Zustand den Unfall verursacht hatte.

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Ort der Klagezustellung zur Begründung der gerichtlichen Zuständigkeit ausreicht330. 247

bb) Gleichfalls in den USA unumstritten, international jedoch heftiger Kritik ausgesetzt ist die Zuständigkeitsbegründung aufgrund des Aufenthaltes der Partei in dem Staat bzw. bundesgerichtlichen Bezirk, in dem der Prozess geführt werden soll, im Moment der Klagezustellung; unabhängig von der Dauer dieses Aufenthaltes und von dem anderswo bestehenden Wohnsitz der Partei (transient oder tag jurisdiction)331.

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Dieses Rechtsinstitut, welches zwar auf eine lange common law-Tradition zurückblicken kann und u. a. auch im britischen Zivilprozess bekannt ist, stellt einen der Haupthinderungsgründe für das Zustandekommen internationaler Abkommen zur wechselseitigen Urteilsanerkennung unter Einschluss der USA dar, denn nicht nur die Bundesrepublik, sondern auch die Mehrheit der anderen kontinentaleuropäischen Staaten, deren Rechtssystemen eine solchermaßen gestaltete Begründung gerichtlicher Zuständigkeit gleichfalls fremd ist, lehnen eine Bindung ihrer Gerichte an Urteile ab, die unter Anwendung der Grundsätze der tag jurisdiction zustande gekommen sind332.

249

Da Wohnsitz und Aufenthaltsort beide gleichermaßen umfassend und ohne Rücksicht auf die Natur des geltend gemachten Anspruchs zuständigkeitsbegründend sind, werden sie auch als Fälle der sogenannten general jurisdiction bezeichnet; im Gegensatz zu den nachfolgend geschilderten Fällen, bei denen die gerichtliche Zuständigkeit jeweils von den Umständen des Einzelfalles abhängig ist und die deshalb unter dem Oberbegriff der specific jurisdiction zusammengefasst werden333.

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cc) Einigkeit besteht heutzutage insoweit zunächst darüber, dass die Zustimmung der Parteien zur Prozessführung in einem bestimmten Forum zuständigkeitsbegründend wirken kann. Dabei kann eine solche Zustimmung im Voraus erteilt werden, z. B. in Form einer Gerichtsstandsverein-

330 Grundlegend Milliken v. Meyer, 311 U.S. 457, 463 (1940). 331 Burnham v. Superior Court, 495 U.S. 604 (1990); FRCP Rule 4(e)(2). 332 So hat Deutschland u. a. einen Vorbehalt gegen die die gerichtliche Zuständigkeit nach den Grundsätzen der tag jurisdiction regelnden Artikel 8 und 10 des Haager Zustellungsübereinkommens erklärt; und Großbritannien musste im Rahmen seines Beitritts zum EuGVÜ erklären, dass es auf eine Anwendung dieser Grundsätze im Verhältnis zu den anderen Mitgliedsstaaten des Übereinkommens verzichten werde; vgl. EuGVÜ Art. 3. 333 Grundlegend Helicopteros Nacionales de Colombia, S.A. v. Hall, 466 U.S. 408, 414 – 415 (1984).

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barung334 oder konkludent in Form der für die Gewerbeanmeldung bundesstaatsfremder Handelsgesellschaften regelmäßig erforderliche Bestimmung eines Zustellungsbevollmächtigten335; jedoch wirkt auch noch nach Prozessbeginn die rügelose Einlassung auf die Klage sowie gegebenenfalls die Erhebung einer Widerklage und die Geltendmachung eines cross claim (vgl. nachf. Rn. 660) als zuständigkeitsbegründend336, es sei denn, der Beklagte habe in den letzteren beiden Fällen zugleich ausdrücklich die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts gerügt und der von ihm geltend gemachte Anspruch richte sich nicht gegen eine bereits am Verfahren beteiligte Partei, sondern gegen einen Dritten337. dd) Verfassungsgemäß kann darüber hinaus nach Maßgabe der Umstände des Einzelfalles auch die Unterwerfung der Parteien unter die gerichtliche Entscheidungsgewalt aufgrund ihrer konkreten Aktivitäten im Forumsstaat bzw. in dem jeweiligen bundesgerichtlichen Bezirk sein (sog. forum-related oder forum-directed acts). Dabei lassen sich aus der Vielzahl zu unterschiedlichen Ergebnissen kommender Entscheidungen wohl die folgenden Grundregeln ablesen: – Je geringer der Gesamtumfang der forumsbezogenen Aktivitäten der Parteien, desto größer der Zusammenhang, der direkt zwischen dem geltend gemachten Anspruch und den angeblich zuständigkeitsbegründenden Handlungen bestehen muss338. So kann z. B. ein Beklagter, der den Forumsstaat nur einmal für kurze Zeit besucht, sonst aber zu jenem Staat keinerlei Beziehungen hat, grundsätzlich dort nicht verklagt werden; es sei denn, die Klage wird ihm dort noch während seines Aufenthalts nach den Grundsätzen der tag jurisdiction zugestellt oder ist unmittelbar auf eine Handlung des Beklagten gerade während seines Aufenthalts im Forumsstaat gegründet339. 334 National Equipment Rental, Ltd. v. Szukhent, 375 U.S. 311, 315 (1964); allgemein s. vorst. Rn. 8. 335 National Equipment Rental, Ltd. v. Szukhent, 375 U.S. 311 (1964); allgemein vgl. nachf. Rn. 263–264 u. 302 ff. 336 Ausdrücklich geregelt ist die Zuständigkeitsbegründung durch rügelose Einlassung z. B. in N.Y.C.P.L.R. § 320(b). 337 Frank’s Casing Crew Rental Tools, Inc. v. PMR Technologies, Ltd., 292 F.3d 1353, 1372 (Fed. Cir. 2002). 338 Glater v. Eli Lilly & Co., 744 F.2d 213, 216 (1st Cir. 1984). 339 S. desw. für die Anerkennung ausländischer Urteile UNIFORM FOREIGN MONEYJUDGMENTS RECOGNITION ACT § 5(a)(6) und die hierauf gegründeten Kodifikationen, z. B. CAL. CODE CIV.PROC. § 1713.5(a)(6) und N.Y.C.P.L.R. § 5305(a)(6) (gerichtliche Zuständigkeit aufgrund des Betriebes eines Kraftfahrzeuges oder

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– Je größer demgegenüber der Gesamtumfang der forumsbezogenen Aktivitäten der Parteien, desto geringer der Zusammenhang, der zwischen diesen Aktivitäten und den gerade zur Klageerhebung Anlass gebenden Umständen bestehen muss340. So ist insbesondere auch ein Unternehmen, welches einen erheblichen Teil seiner Geschäftstätigkeit in einem bestimmten Bundesstaat abwickelt (ohne dort jedoch zugleich registriert zu sein oder seinen Haupt-Geschäftssitz dort zu haben), auch dann der Entscheidungsgewalt der Gerichte dieses Staates unterworfen, wenn der konkret geltend gemachte Anspruch seiner Sache nach nichts oder nur wenig mit dieser allgemeinen Geschäftstätigkeit zu tun hat341. – Obgleich die Zuständigkeit aufgrund sogenannter forum-related oder forum-directed acts eigentlich als Anwendungsfall der specific jurisdiction konzipiert ist, d. h. die Beziehungen zwischen dem Forum und der betroffenen Partei nicht als so umfassend betrachtet werden, dass es auf den Inhalt des geltend gemachten Anspruchs grundsätzlich überhaupt nicht mehr ankommt, kann es bei besonders starker Aktivität der Partei im Forumsstaat insoweit im Einzelfall jedoch sogar zu einer Durchbrechung der konzeptionellen Trennung von general jurisdiction und specific jurisdiction kommen mit der Folge, dass allein der Umfang der Tätigkeit der Partei in dem betreffenden Bundesstaat zuständigkeitsbegründend wirkt und ein darüber hinausgehendes besonderes Verhältnis zwischen dieser und dem konkret geltend gemachten Anspruch nicht mehr festgestellt werden muss342. – Obwohl des Weiteren die Angemessenheit der Ausübung der grundsätzlich bestehenden Gerichtsbarkeit im Einzelfall ein gesonderter Prüfungsabschnitt ist, der eigentlich erst auf die grundsätzliche Bejahung der Zuständigkeit folgt (vgl. vorst. Rn. 244 und nachf. Rn. 254–255), spielt der dieser Angemessenheitsprüfung zugrundeliegende FairnessGedanke auch bereits eine Rolle im Rahmen der Prüfung, ob die Fo-

Flugzeugs im Bezirk des ausländischen Gerichts, dessen Urteil in den USA durchgesetzt werden soll, wenn und soweit der geltend gemachte Anspruch gerade hierauf beruht). 340 International Shoe Co. v. Washington, 326 U.S. 310 (1945); s. auch Quill Corp. v. North Dakota, 504 U.S. 298 (1992): Trotz mangelnder physischer Anwesenheit im Forumsstaat kann im Einzelfall auch die postalische und anderweitige schriftliche Kontaktaufnahme mit dort ansässigen Empfängern ausreichend sein. 341 Omeluk v. Langsten Slip & Batbyggeri A/S, 52 F.3d 267 (9th Cir. 1995). 342 Omeluk v. Langsten Slip & Batbyggeri A/S, 52 F.3d 267, 270 (9th Cir. 1995).

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rumsbindung einer Partei aufgrund ihrer dortigen Aktivitäten überhaupt dazu geeignet ist, diese Partei der Entscheidungsgewalt der Gerichte jenes Forums zu unterwerfen. Je geringer dabei die Gesamtbeziehungen der Partei zu dem jeweiligen Forum sind, desto unwahrscheinlicher ist es, dass das angerufene Gericht seine Zuständigkeit bejahen wird343. Die vorgenannten, für den an die Existenz fest umrissener Gerichtsstände gewöhnten kontinentaleuropäischen Juristen insgesamt nur schwer zugänglichen Grundsätze gelten dabei für Ansprüche aus unerlaubten Handlungen und anderen nicht-vertraglichen Grundlagen ebenso wie für die Geltendmachung von Vertragsansprüchen; des Weiteren ist hiernach im Hinblick auf alle geltend gemachten Ansprüche gleichermaßen die gerichtliche Zuständigkeit am jeweiligen Handlungsort (Ort des Vertragsschlusses, der Vornahme der unerlaubten Handlung etc.) und an dem gegebenenfalls hiervon verschiedenen Ort des Erfolgseintrittes gegeben344.

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Besonders gewöhnungsbedürftig dürfte insoweit insbesondere auch die Rechtsprechung sein, der zufolge ein am Wirtschaftsverkehr teilnehmendes Unternehmen, welches seine Produkte auch über deren Ursprungsmarkt hinaus vermarktet, der jeweiligen örtlichen Gerichtsbarkeit überall dort unterworfen ist, wohin die von ihm hergestellten oder vertriebenen Produkte im allgemeinen Fluss wirtschaftlicher Aktivitäten gelangen, wenn das betreffende Unternehmen mindestens damit rechnen musste, dass seine Produkte auch in den Forumsstaat würden gelangen können (stream of commerce doctrine)345. Auch dies ist jedoch ein Anwendungsfall der specific jurisdiction aufgrund der forumsbezogenen Aktivitäten der betroffenen Partei und bedarf deshalb im Einzelfall der genauen Prüfung, ob entweder bereits der allgemeine Umfang jener Aktivitäten so er-

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343 Kulko v. Superior Court, 436 U.S. 84 (1978) (Kindesunterhalt); Hanson v. Denckla, 357 U.S. 235, 253 (1958) (Wirksamkeit einer Trust-Errichtung im Vermächtniswege). 344 Darüber hinaus kann auch die Vornahme von Prozesshandlungen nach diesen Grundsätzen zuständigkeitsbegründend sein; so erstreckt sich die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts z. B. nicht nur in sachlicher, sondern auch in örtlicher Hinsicht auf vom Beklagten erhobene Widerklagen, unabhängig davon, ob das Gericht für die Entscheidung über den solchermaßen geltend gemachten Anspruch auch dann örtlich zuständig gewesen wäre, wenn der Beklagte diesen im Wege einer selbständigen Klage geltend gemacht hätte. Vgl. Adam v. Saenger, 303 U.S. 59 (1938). 345 World-Wide Volkswagen Corp. v. Woodson, 444 U.S. 286, 296 (1980); einschränkend jedoch Asahi Metal Industry Co. v. Superior Court, 480 U.S. 102, 107 (1987).

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heblich ist, dass dies zur Zuständigkeitsbegründung in verfassungskonformer Weise herangezogen werden kann (etwa weil der betreffende Bundesstaat ein Haupt-Absatzgebiet für die Produkte des forumsfremden Unternehmens ist) oder ob ein hinreichend enger Zusammenhang zwischen dem geltend gemachten Anspruch und der allgemeinen Geschäftstätigkeit des Unternehmens in dem jeweiligen Forum besteht (z. B. bei Schadensersatz- oder Gewährleistungsansprüchen wegen fehlerhaft hergestellter Produkte). Auch der Fairnessgedanke wird insoweit bereits im Rahmen der allgemeinen Zuständigkeitsprüfung und nicht erst mit Hinblick auf die Angemessenheit der Ausübung der Gerichtsgewalt im Einzelfall eine Rolle spielen. b) Reasonableness 254

Infolge des aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Gerechtigkeitsgebots und des Gebots eines fairen Verfahrens ist allerdings das Bestehen der geschilderten Kontakte zwischen der jurisdiction und den Parteien allein nicht ausreichend, die gerichtliche Zuständigkeit im Einzelfall zu begründen. Vielmehr bedarf es insoweit stets auch einer Angemessenheitsprüfung, in deren Rahmen die widerstreitenden Interessen sowie das gegebenenfalls bestehende Allgemeininteresse an einer Entscheidung gerade dieses Gerichts miteinander abgewogen werden müssen346.

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Maßgeblich sind in diesem Zusammenhang insbesondere Art und Auswirkungen der Handlung des Beklagten, die für den Beklagten mit der Prozessführung in einem auswärtigen Forum verbundenen besonderen Belastungen, die widerstreitenden Interessen des Forumsstaates und des Wohnsitzstaates des Beklagten, den Rechtsstreit jeweils durch ihre eigenen Gerichte entschieden zu sehen, die Bedeutung der Forumswahl im Rahmen der Wahrung der klägerischen Interessen, die Existenz eines gleichwertigen Alternativ-Forums sowie Grundsätze der Prozessökonomie347. Jedoch folgt die Angemessenheitsprüfung stets erst nach der Bejahung der verfassungsrechtlich erforderlichen Minimalkontakte; die gerichtliche Zuständigkeit kann also nie allein auf die Begründung gestützt werden, dass die Ausübung gerichtlicher Gewalt im Einzelfall angemessen sei. 346 Grundlegend International Shoe Co. v. Washington, 326 U.S. 310 (1945), McGee v. International Life Ins. Co., 355 U.S. 220 (1957) und Asahi Metal Industry Co. v. Superior Court, 480 U.S. 102, 113 (1987); vgl. auch Keeton v. Hustler Magazine, Inc., 465 U.S. 770, 776 (1984). 347 Burger King Corp. v. Rudzewicz, 471 U.S. 462, 476 – 477 (1985).

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Gerichtliche Zuständigkeit

c) Insbesondere: Proceedings in Rem und Quasi in Rem; Jurisdiction Over Status Für Verfahren, bei denen die gerichtliche Zuständigkeit an die Belegenheit der streitgegenständlichen Sache bzw. des streitgegenständlichen Status anknüpft (vgl. vorst. Rn. 241–243), gelten die vorstehenden Grundsätze in vollem Umfang in entsprechender Anwendung.

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aa) Dabei wird sich die Angemessenheit der Ausübung gerichtlicher Gewalt am situs der Sache im Rahmen von actions in rem bereits aus dem erheblichen Interesse des Forumsstaates an der Feststellung von sachbezogenen Rechten innerhalb seiner Grenzen sowie darüber hinaus daraus ergeben, dass sich regelmäßig auch ein Großteil der streitentscheidenden Beweismittel in dem jeweiligen Staat befinden werden348.

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bb) Schwieriger ist die Feststellung der Angemessenheit der Unterwerfung der Parteien unter die Entscheidungsgewalt des angerufenen Gerichts hingegen im Rahmen von quasi in rem proceedings, und zwar insbesondere dann, wenn der ja insoweit persönlich – wenngleich lediglich mit Rücksicht auf die streitgegenständliche Sache – in Anspruch genommene Beklagte über die Forumsbelegenheit der Sache hinaus selbst keine oder nur wenige Beziehungen zu dem betreffenden Bundesstaat hat. In diesem Fall wird der situs der Streitsache zwar u. U. zur grundsätzlichen Zuständigkeitsbegründung ausreichend sein, nicht jedoch notwendigerweise auch zur Bejahung der Angemessenheit der Ausübung der richterlichen Gewalt349.

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Ein weiteres Problem ergibt sich in Bezug auf quasi in rem proceedings daraus, dass diese nicht nur im Hinblick auf körperliche – bewegliche und unbewegliche –

259

348 Vgl. z. B. Tyler v. Judges of the Court of Registration, 175 Mass. 71, writ of error dismissed, 179 U.S. 405 (1900). 349 Shaffer v. Heitner, 433 U.S. 186 (1977); danach ist es auch unzulässig, einen Rechtsstreit nur zur Umgehung der Zuständigkeitsgrenzen der personal jurisdiction als quasi in rem proceeding zu bezeichnen. Ebenso Rush v. Savchuk, 444 U.S. 320 (1980). Vgl. aber Louring v. Kuwait Boulder Shipping Co., 455 F.Supp. 630 (D. Conn. 1977): Quasi in rem jurisdiction bejaht für Klage gegen einen ausländische Beklagte, der außer der Belegenheit des streitigen Vermögensgegenstandes keine weiteren Beziehungen zu dem angerufenen amerikanischen Forum hat, da es einem amerikanischen Kläger nicht zuzumuten sei, seine Rechte vor einem ausländischen Gericht durchsetzen zu müssen. Ähnlich Feder v. Turkish Airlines, 441 F.Supp. 1273 (S.D.N.Y. 1977); Banco Ambrosiano, S.p.A. v. Artoc Bank & Trust Ltd., 62 N.Y.2d 65 (1984) und Majique Fashions, Ltd. v. Warwick & Co., Ltd., 414 N.Y.S.2d 916 (1979).

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Jurisdiction Sachen etwa im Sinne von § 90 BGB Anwendung finden, sondern gleichermaßen im Hinblick auf Forderungen und andere nicht-körperliche Vermögensgegenstände. Zur Begründung seiner Zuständigkeit ist das Gericht in diesen Fällen regelmäßig zunächst gezwungen, den genauen situs der streitgegenständlichen Sache festzustellen, wobei es je nach Fallkonstellation auf den Wohnsitz oder Aufenthaltsort des Beklagten oder ebenso auf den Ort zurückgreifen kann, an dem sich eine die Forderung verkörpernde Urkunde befindet (reification)350.

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cc) Bei der jurisdiction over status schließlich wird als situs des streitgegenständlichen Status jeder Bundesstaat bzw. bundesgerichtliche Bezirk betrachtet, mit dem mindestens eine der Parteien des Rechtsstreits eine hinreichende Beziehung im Sinne der minimal contacts doctrine hat und in dem die Ausübung gerichtlicher Gewalt darüber hinaus nicht unangemessen ist. d) Long Arm Statutes

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Im Bereich der Bundesstaaten ist die gerichtliche Entscheidungsgewalt über die vorgenannten allgemeinen Grundsätze hinaus i.d.R. auch gesetzlich geregelt. Da diese Gesetze gerade auf den Fall anwendbar sind, dass nicht beide Parteien des Rechtsstreits ihren Wohnsitz oder Aufenthalt in dem jeweiligen Staat haben, werden sie allgemein als long arm statutes bezeichnet. Obwohl diese Vorschriften teilweise auch über die Fälle der general jurisdiction, also über Wohnsitz und Aufenthalt hinaus gerichtsstandsähnliche Regelungen treffen – und dabei nicht selten sogar deutlich hinter den von der Rechtsprechung des U.S. Supreme Court gesetzten Grenzen zurückbleiben –, handelt es sich insoweit nur scheinbar um Ausnahmen von den vorstehend genannten Grundsätzen; denn auch unter Berücksichtigung der long arm statutes ist die Unterwerfung der Parteien unter die Gerichtsbarkeit des betreffenden Bundesstaates nur dann verfassungskonform, wenn sie mit der geschilderten Auslegung des Rechtsstaatsprinzips vereinbar ist; wenn also nicht nur das jeweils angerufene Gericht grundsätzlich zur Sachentscheidung berufen, sondern wenn darüber hinaus die Ausübung der Entscheidungsgewalt im Einzelfall auch angemessen ist.

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aa) Nach der Art der jeweiligen gesetzlichen Regelung lassen sich grundsätzlich vier Typen von long arm statutes unterscheiden: (1) Am nächsten kommt den Gerichtsständen nach dem Verständnis der deutschen ZPO die Regelung derjenigen Bundesstaaten, die sich auf 350 Shaffer v. Heitner, 433 U.S. 186, 191 (1977).

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Gerichtliche Zuständigkeit

eine enumerative Aufzählung bestimmter Anknüpfungspunkte gerichtlicher Zuständigkeit beschränken – z. B. Grundeigentum, Geschäftstätigkeit oder unerlaubte Handlung – und die Entscheidungsgewalt ihrer Gerichte in allen nicht ausdrücklich genannten Fällen ausdrücklich verneinen351. (2) Der vorgenannten Konstellation auf den ersten Blick sehr ähnlich ist die Regelung einiger Staaten, deren long arm statutes zwar ebenfalls eine enumerative Aufstellung von „Pseudo-Gerichtsständen“ beinhalten, die jedoch in der Rechtsprechung der jeweiligen bundesstaatlichen Gerichte so weit ausgelegt worden sind, dass in Wahrheit nur noch das verfassungsmäßige Rechtsstaatsprinzip selbst die Grenzen der gerichtlichen Zuständigkeit bestimmt352. (3) Andere Staaten verzichten demgegenüber von vornherein völlig auf die Nennung einzelner Anknüpfungspunkte für die Zuständigkeit ihrer Gerichte und unterwerfen die Parteien eines Rechtsstreits pauschal in allen Fällen der dortigen gerichtlichen Entscheidungsgewalt, in denen dies unter Berücksichtigung insbesondere des Rechtsstaatsprinzips und der allgemeinen, vorstehend erörterten Grundsätze verfassungskonform ist353. (4) Eine vermittelnde Position schließlich nehmen diejenigen Staaten ein, die zwar eine Reihe einzeln umschriebener Anknüpfungspunkte für die Ausübung gerichtlicher Gewalt ausdrücklich nennen, jedoch im Wege einer Auffangklausel die gerichtliche Zuständigkeit letztlich doch auf den vollen nach dem Rechtsstaatsprinzip zulässigen Umfang ausdehnen354. bb) Dabei sehen die long arm statutes vieler Bundesstaaten insbesondere auch eine gerichtliche Zuständigkeit aufgrund der Geschäftstätigkeit einer Partei im jeweiligen Forum vor (doing business); allerdings regelmäßig nur dann, wenn diese Geschäftstätigkeit nach Art und Umfang so beständig ausgestaltet ist, dass sie eine dauerhafte Präsenz des Unternehmens nach den Grundsätzen der general jurisdiction zu begründen in der 351 Vgl. z. B. N.Y.C.P.L.R. § 302 (New York). 352 Vgl. z.B. MINN.STAT. § 543.19 (Minnesota) u. hierzu Minnesota v. Granite Gate Resorts, 568 N.W. 2d 715 (Minn. App 1997) sowie 42 PA. CONS. STAT. § 5322(a) (Pennsylvania) u. hierzu Pennzoil Products Co. v. Colelli & Associates, Inc., 149 F.3d 197, 200 (3d Cir. 1998). 353 Z. B. CAL. CODE CIV.PROC. § 410.10 (Kalifornien) und R.I. GEN. L. § 9-5-33 354 Vgl. 735 ILCS 5/2-209 (Illinois) und LA. R.S. 13:3201 (Louisiana).

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Jurisdiction

Lage ist355. Jedoch kann insoweit nicht nur die eigene Tätigkeit des betreffenden Unternehmens, sondern auch auf diejenige seiner im Gerichtsbezirk ansässigen Stellvertreter zuständigkeitsbegründend wirken; wobei es sich bei den Letzteren insbesondere auch um Tochterunternehmen handeln kann. Vor allem im Falle ausländischer Mutterkonzerne stellt dann zumeist nur eine völlig selbständige Organisation des Tochterunternehmens nach Maßgabe des amerikanischen Gesellschaftsrechts eine einigermaßen hinreichende Garantie dar, dass das angerufene Gericht seine Zuständigkeit nicht unter Berücksichtigung der Grundsätze der Stellvertretung (agency) bejahen wird356. 264

Zurückgegriffen wird insoweit insbesondere beim Verdacht des Missbrauchs gesellschaftsrechtlicher Organisationsformen, wie der Vermutung, das Tochterunternehmen sei nur formal vom Mutterkonzern getrennt, werde aber intern von dieser gesteuert, auf das ursprünglich dem Gesellschaftsrecht entstammende Rechtsinstitut des piercing of the corporate veil, welches im Einzelfall zur völligen Durchbrechung der formalen Organisationsstruktur und zur unmittelbaren Inanspruchnahme der hinter der nur scheinbar selbständigen Gesellschaft stehenden 355 S. z. B. N.Y.C.P.L.R. §§ 301, 302(a)(1) und hierzu Landoil Resources Corp. v. Alexander & Alexander Services, Inc., 77 N.Y.2d (1990) (keine Zuständigkeit bei nur marginalen Geschäftskontakten zum Forum); weiter gehend jedoch Roorda v. Volkswagenwerk, A.G., 481 F.Supp. 868 (D.S.C. 1979). Als Anwendungsfall der special jurisdiction ist die zuständigkeitsbegründende Geschäftstätigkeit allerdings in New York und auch den Gesetzen anderer Bundesstaaten zur Anerkennung ausländischer Urteile formuliert, soweit eine solche Tätigkeit Grundlage der Zuständigkeit des jeweiligen ausländischen Gerichts war; in diesem Fall muss der geltend gemachte Anspruch also gerade aus der Geschäftstätigkeit des Beklagten in dem betreffenden ausländischen Forum erwachsen sein. Vgl. N.Y.C.P.L.R. § 5305(a)(5) sowie desw. z. B. CAL. CODE CIV.PROC. § 1713.5(a)(5) u. allg. UNIFORM FOREIGN MONEY-JUDGMENTS RECOGNITION ACT § 5(a)(5). 356 Vgl. z. B. In re Oil Spill by the Amoco Cadiz off the Coast of France on March 16, 1978, 1984 A.M.C. 2123 (N.D. Ill. 1984). Ist das Tochterunternehmen allerdings selbständig organisiert, so ist nicht bereits dessen Zugehörigkeit zu einem größeren Konzern eine hinreichende Grundlage dafür, auch den Mutterkonzern aufgrund der forumsbezogenen Kontakte seiner gesellschaftsrechtlichen Tochter unter Rückgriff auf Stellvertretungsgrundsätze der Gerichtsbarkeit des angerufenen Forums zu unterwerfen; vgl. Doe v. Unocal Corp., 248 F.3d 915, 925-928 (9th Cir. 2001) und Delagi v. Volkswagenwerk AG of Wolfsburg, 29 N.Y.2d 426 (1972). S. jedoch Bulova Watch Co., Inc. v. K. Hattori & Co., Ltd., 508 F.Supp. 1322 (E.D.N.Y. 1981) (Zuständigkeit aufgrund von Stellvertretungsgrundsätzen bejaht, wenn die forumsbezogene Tätigkeit des Tochterunternehmens von überragender wirtschaftlicher Bedeutung für den Mutterkonzern und eng in dessen gesamtwirtschaftliche Strategie eingebunden ist).

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Gerichtliche Zuständigkeit natürlichen und juristischen Personen führen kann357. Die Anwendung dieses Rechtsinstituts ist zwar im Grundsatz auf krasse Missbrauchsfälle beschränkt; gerade im Zusammenhang mit Rechtsstreitigkeiten unter Beteiligung ausländischer Parteien findet sich jedoch immer wieder der explizite oder implizite Rückgriff hierauf auch im Rahmen der gerichtlichen Zuständigkeitsbestimmung.

e) Internet-Aktivitäten Die Zuständigkeitsbestimmung im Zusammenhang mit Rechtssteitigkeiten, die Internet-Aktivitäten der Parteien zum Gegenstand haben, folgt im Prinzip den gleichen Grundsätzen wie diejenige im Rahmen anderer Prozesse. Allerdings ergeben sich hier aufgrund der Natur des World Wide Web gelegentlich besondere Probleme im Zusammenhang mit der örtlichen Zuordnung der von den Parteien betriebenen Websites, die in der Folge sodann auch die gerichtliche Zuständigkeitsbestimmung erschweren können. In der Befürchtung, dass eine zu schnelle Bejahung gerichtlicher Zuständigkeit bei ausschließlich aus Internet-Aktivitäten bestehenden Kontakten der Parteien zu einer Aufgabe jeglicher Grenzen örtlicher Zuständigkeit bzw. einer weltweiten Zuständigkeitsausdehnung führen könnte, lehnten die ersten mit solchermaßen gearteten Fällen befassten Gerichte ihre Zuständigkeit rundweg ab, soweit die Parteien diese nicht darüber hinaus auf weitere, von den Internet-Aktivitäten unabhängige Gründe gestützt hatten358.

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Eine Trendwende erfolgte mit der Entscheidung des U.S. Court of Appeals for the Sixth Circuit in Sachen CompuServe, Inc. v. Patterson359, in der das Gericht im Rahmen eines ausschließlich auf Internetkontakte gestützten Rechtsstreits zur Zuständigkeitsbestimmung die vom Supreme

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357 Doe v. Unocal Corp., 248 F.3d 915, 925 – 928 (9th Cir. 2001); mindestens implizit wohl auch Delagi v. Volkswagenwerk AG of Wolfsburg, 29 N.Y.2d 426 (1972). 358 Vgl. z. B. Pres-Kap, Inc. v. System One Direct Access, Inc., 636 So. 2d 1351, 1353 (Fla. App. 1994); Überblick über die Problematik bei Means, Personal Jurisdiction and the Internet, 71 WIS. LAW. 10 (1998) u. Zembek, Jurisdiction and the Internet: Fundamental Fairness in the Networked World of Cyberspace, 6 ALB. L.J. SCI. & TECH. 339 (1996); insbesondere im Zusammenhang mit Urheberrechtsstreitigkeiten desw. Abel, Trademark Issues in Cyberspace: The Brave New Frontier, 528 PRAC. L. INST. 323 (1998); Yates, Greenlee, Intellectual Property on the Internet: Balance of Interests Between the Cybernauts and the Bureaucrats, 8 NO. 7 J. PROPRIETARY RTS. 8 (1996) u. Schwimmer, Domain Names and Everything Else: Trademark Issues In Cyberspace, 528 PRAC. L. INST. 263 (1998). 359 89 F.3d 1257 (6th Cir. 1996).

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Jurisdiction

Court entwickelten allgemeinen Grundsätze heranzog (minimum contacts doctrine und Angemessenheit der Ausübung gerichtlicher Entscheidungsgewalt), die Internet-Aktivitäten des Beklagten – insbesondere die Benutzung des Servers des klägerischen Unternehmens – mit der Platzierung von Produkten in den allgemeinen Handelsstrom verglich (stream of commerce doctrine, vgl. vorst. Rn. 253) und auf dieser Grundlage schließlich zu einer Bejahung der Zuständigkeitsfrage gelangte360. 267

Seit der Entscheidung in CompuServe haben sich eine Reihe weiterer Tests zur Zuständigkeitsbestimmung in Internet-Streitigkeiten eingebürgert. Insbesondere wenn die Internet-bezogenen Aktivitäten der Parteien einen verhältnismäßig geringfügigen Rahmen nicht überschreiten, wird dabei nach wie vor häufig die gerichtliche Zuständigkeit verneint361. Einige Entscheidungen stellen in diesem Rahmen allerdings auf die Gesamtbeziehungen der Parteien ab, beziehen also auch bei einem auf Internet-Aktivitäten gestützten Rechtsstreit solche Kontakte in die Beurteilung ein, die mit dem konkret zur Entscheidung anstehenden Streitgegenstand nicht unmittelbar etwas zu tun haben362. Im Rahmen von Prozessen unter Beteiligung nicht-amerikanischer Website-Betreiber kann dabei auch FRCP Rule 4(k)(2) Bedeutung erlangen, insoweit als bei Fehlen hinreichender Beziehungen zwischen der ausländischen Partei und dem Forumsstaat deren Kontakte mit den USA insgesamt zur Bejahung der Zuständigkeit des angerufenen amerikanischen Gerichts führen können363.

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Ein weiteres nicht selten herangezogenes Kriterium ist die Frage, ob sowohl der dem Rechtsstreit zugrundeliegende Gesamt-Sachverhalt als auch die vom Kläger behauptete Vertrags- oder Rechtsverletzung ihren Schwerpunkt im Zuständig-

360 CompuServe, Inc. v. Patterson, 89 F.3d 1257, 1263-1269 (6th Cir. 1996), unter Berufung auf Asahi Metal Industry Co. v. Superior Court, 480 U.S. 102 (1987). 361 Vgl. z. B. Cybersell, Inc. v. Cybersell, Inc., 130 F.3d 414 (9th Cir. 1997); IDS Life Ins. Co. v. SunAmerica, Inc., 958 F. Supp. 1258 (N.D. Ill. 1997) und Bensusan Restaurant Corp. v. King, 937 F. Supp. 295 (S.D.N.Y. 1996). Je umfangreicher jedoch die Internet-Kontakte, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass diese als Grundlage gerichtlicher Zuständigkeit ausreichend angesehen werden; vgl. Zippo Manufacturing Company v. Zippo Dot Com, Inc., 952 F. Supp. 1119 (W.D. Penn. 1997). 362 Z. B. Toys ’R’ Us, Inc. v. Step Two S.A., 318 F.3d 446, 456-458 (3d Cir. 2003); EDIAS Software Int'l, L.L.C. v. BASIS Int'l, Ltd., 947 F. Supp. 413 (D. Ariz. 1996) u. Inset Systems, Inc. v. Instruction Set, Inc., 937 F. Supp. 161 (D. Conn. 1996). Als maßgeblich wird des Weiteren gelegentlich auch die dauerhafte Ausrichtung der Internet-Seite auf ein nationales Publikum sowie die tatsächliche räumliche Nähe zwischen Parteien und Forum angesehen (vgl. z. B. Inset Systems, Inc. v. Information Set, Inc., 937 F. Supp. 161, 165 [D. Conn. 1996]). 363 Graduate Management Admission Council v. Raju, 241 F. Supp. 2d 589 (E.D. Va. 2003).

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Gerichtliche Zuständigkeit keitsbereich des angerufenen Forums hat und ob dem Beklagten dies hinreichend bewusst war (sog. effects doctrine)364.

Der wohl am weitesten verbreitete Prüfungsansatz in der neueren Rechtsprechung geht von der konkreten Art der streitigen Internet-Seite und der über diese betriebenen wirtschaftlichen Tätigkeit aus365. – Handelt es sich danach bei der Website um ein zielgerichtet eingesetztes Mittel der regelmäßigen Geschäftstätigkeit der betroffenen auswärtigen Partei, so ist in der Regel die Ausübung gerichtlicher Gewalt allein aufgrund der Internet-Aktivitäten jener Partei angemessen. – Handelt es sich demgegenüber um eine rein „passive“ Website, auf der dem Benutzer lediglich ein bestimmter Informationsgehalt angeboten wird, ohne dass darüber hinaus ein weiter gehender Austausch zwischen Benutzer und Betreiber der Seite stattfindet, so besteht in aller Regel keine hinreichende Grundlage für die Unterwerfung des Betreibers unter die Entscheidungsgewalt eines auswärtigen Gerichts. – In dem zwischen diesen beiden Extremen liegenden Bereich interaktiver Websites, in deren Rahmen zumindest ein gewisser Informationsaustausch zwischen Benutzer und Betreiber stattfindet, kommt es für die Bejahung gerichtlicher Zuständigkeit im Wesentlichen auf Art und Umfang jenes Informationsaustausches sowie das Maß von dessen kommerzieller Ausrichtung und sachlichen Nähe zum Streitgegenstand der Klage an366. 364 Grundlegend Calder v. Jones, 465 U.S. 783, 788 (1984); speziell in Bezug auf Internet-Aktivitäten s. Panavision Int'l L.P. v. Toeppen, et al., 141 F.3d 1316, 1319-1323 (9th Cir. 1998); Cybersell Inc. v. Cybersell Inc., 130 F.3d 414 (9th Cir. 1997) u. EDIAS Software Int'l, L.L.C. v. BASIS Int'l Ltd., 947 F. Supp. 413 (D. Ariz. 1996); ähnl. auch Minnesota v. Granite Gate Resorts, 568 N.W. 2d 715 (Minn. App 1997). 365 Grundlegend Zippo Manufacturing Company v. Zippo Dot Com, Inc., 952 F. Supp. 1119, 1124 (W.D. Penn. 1997). 366 Zippo Manufacturing Company v. Zippo Dot Com, Inc., 952 F. Supp. 1119, 1124 (W.D. Penn. 1997) unter Bezugnahme auf CompuServe, Inc. v. Patterson, 89 F.3d 1257, 1263-1269 (6th Cir. 1996), Bensusan Restaurant Corp. v. King, 937 F. Supp. 295, 299-301 (S.D.N.Y. 1996) u. Maritz, Inc. v. Cybergold, Inc., 947 F. Supp. 1328, 1332-1334 (E.D. Mo. 1996). Vgl. desw. Thompson v. HandaLopez, Inc., 998 F. Supp. 738 (W.D. Tex. 1998) (Internet-Geschäftstätigkeit); Cybersell, Inc. v. Cybersell, Inc., 130 F.3d 414 (9th Cir. 1997) (passive Website) sowie zum Abwägungsprozess bezüglich interaktiver Seiten, die weder eindeutig kommerzieller noch ausschließlich passiver Natur sind, z. B. Millennium Enterprises, Inc. v. Millennium Music L.P., 3 F. Supp. 2d 907 (D. Ore.

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Teilweise wird der vorstehend geschilderte Ansatz auch mit der sogenannten effects doctrine (vgl. vorst. Rn. 268) verbunden; nach dieser Rechtsprechung unterliegt eine auswärtige Partei dann der Entscheidungsgewalt des angerufenen Gerichts, wenn ihre Internet-Aktivitäten (auch) auf das Forum ausgerichtet sind, die betroffene Partei mit der streitgegenständlichen Tätigkeit überwiegend geschäftliche Interessen verfolgt und eine Rechtsgrundlage für die Geltendmachung des behaupteten klägerischen Anspruches vor den Gerichten des betroffenen Bundesstaates zur Verfügung steht367.

3. Ausnahmen 271

Die aufgezeigten Grundsätze führen nicht selten dazu, dass der Kläger unter mehreren im Prinzip gleichermaßen zuständigen Gerichten die Wahl hat und sich dann naheliegenderweise für die Anrufung desjenigen Forums entscheiden wird, in dem er sich insbesondere auch nach Maßgabe des jeweils geltenden materiellen Rechts die größten Erfolgschancen ausrechnet. Dieses sogenannte forum shopping wird grundsätzlich als der Natur des amerikanischen Prozesssystems innewohnend hingenommen; wichtige Einschränkungen ergeben sich insoweit jedoch aus der Rechtsanwendung der Bundesgerichte nach Maßgabe der Erie doctrine (vgl. vorst. Rn. 221 ff.). Darüber hinaus sind in der amerikanischen Rechtsprechung vor allem die folgenden Ausnahmefälle anerkannt: a) Forumserschleichung und -erzwingung

272

Nicht ausüben wird ein Gericht seine formal gegebene Gerichtsbarkeit zunächst dann, wenn diese vom Kläger erschlichen worden ist, etwa durch unlautere Verleitung des Beklagten dazu, sich in den Forumsstaat zu begeben, um ihm dort sodann die Klage aufgrund seines dortigen Aufenthaltes zuzustellen, oder wenn der Kläger auf den Beklagten insoweit Zwang ausgeübt hat368. Diese Situation wird in der neueren Rechtsprechung der Bundesgerichte i.d.R. als Anwendungsfall der vorstehend Rn. 254–255 erörterten Angemessenheitsprüfung ihrer Gerichtsbarkeit betrachtet; traditionell und in der Rechtsprechung der Gerichte vieler 1999); Copperfield v. Cogedipresse, 26 Media L. Rep. (BNA) 1185 (C.D. Cal. 1997) u. Mieczkowski v. Masco Corp., 997 F. Supp. 782 (E.D. Tex. 1998). 367 ALS Scan Inc. v. Digital Servs. Consultants Inc., 293 F.3d 707, 714 (4th Cir. 2002). 368 Wyman v. Newhouse, 93 F.2d 313 (2d Cir. 1937), cert. denied, 303 U.S. 664 (1938); May Department Stores v. Wilansky, 900 F. Supp. 1154, 1163 – 1164 (E.D. Mo. 1995) m. zahlr. w.N. sowie Baicker-McKee, Janssen, Corr, Federal Civil Rules Handbook, Authors’ Commentary on Rule 4.

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Gerichtliche Zuständigkeit

Bundesstaaten handelt es sich dabei jedoch um eine eigenständige Ausnahme von der Ausübung der gerichtlichen Entscheidungsgewalt. b) Freies Geleit Geschützt sind des Weiteren stets Personen, die sich gerade in ihrer Eigenschaft als Prozesspartei, Zeuge oder Anwalt im Zusammenhang mit einem anderen, bereits anhängigen Verfahren in den betreffenden Bundesstaat oder bundesgerichtlichen Bezirk begeben haben; das Gleiche gilt für Urkunden und Augenscheinsobjekte, die als Beweismittel in den betreffenden Staat verbracht worden sind369. Diese insbesondere den Bereich der tag jurisdiction (vgl. vorst. Rn. 247) betreffende Ausnahme dient der Förderung jener bereits ordnungsgemäß der gerichtlichen Entscheidungsgewalt unterworfenen Prozesse und insbesondere der Sicherstellung einer störungsfreien Beweisaufnahme.

273

c) Faires Verfahren Im Rechtsstaatsinteresse kann auf Antrag einer Prozesspartei nach den Prozessordnungen einer Reihe von Bundesstaaten das Verfahren zur Beweisaufnahme und Entscheidung an ein anderes Gericht verwiesen werden, wenn – z. B. aufgrund der Presseberichterstattung über den betreffenden Prozess – ein faires Verfahren in dem ursprünglichen Forum nicht mehr gewährleistet ist; insbesondere wenn die Wahl einer unparteilichen Jury aussichtslos erscheint370.

274

d) Forum Non Conveniens Der wohl problematischste Ausnahmefall von der Ausübung an sich bestehender gerichtlicher Gewalt ist die sogenannte forum non conveniens doctrine, der zufolge ein grundsätzlich zuständiges Gericht von Amts wegen oder auf Antrag einer Partei einen Rechtsstreit durch Klageabweisung beenden kann, wenn ein gleichfalls zuständiges – u. U. auch ausländisches – Gericht nach Maßgabe aller Umstände des Einzelfalles ein deutlich sachnäheres und insgesamt vorzugswürdiges Forum darstellt371. 369 So bereits Lamb v. Schmitt, 285 U.S. 222 (1932) und Page Co. v. Macdonald, 261 U.S. 446 (1923). 370 Vgl. z. B. CAL. CODE CIV.PROC. § 397(b). 371 Grundlegend Gulf Oil Corp. v. Gilbert, 330 U.S. 501 (1947) und Piper Aircraft Co. v. Reyno, 454 U.S. 235, 255 (1981); kodifiziert z. B. in CAL. CODE CIV.PROC. §§ 397(c) u. 410.30 und N.Y.C.P.L.R. § 327 und N.Y. BUS. CORP. L. § 1314.

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aa) Bei der insoweit erforderlichen Abwägung kommt der Forumswahl der Klägers bereits für sich genommen erhebliche Bedeutung zu, so dass nur besonders erhebliche vom Beklagten für die Präferenz eines anderen Forums vorgetragene Gründe überhaupt ins Gewicht fallen können372. Dies gilt insbesondere dann, wenn es sich beim Kläger um eine amerikanische Partei handelt, während ausländische Parteien regelmäßig als deutlich weniger schutzwürdig angesehen werden: Für die Wahl eines amerikanischen Forums durch einen amerikanischen Kläger spricht eine Angemessenheitsvermutung, die ein ausländischer Kläger regelmäßig nicht für sich in Anspruch nehmen kann373.

277

bb) Im Einzelnen berücksichtigt das Gericht im Rahmen der Interessenabwägung sodann nicht nur Wohnsitz und Aufenthaltsort aller Parteien und Zeugen sowie Belegenheit anderer Beweismittel und gegebenenfalls der streitgegenständlichen Sache, sondern insbesondere auch rechtspolitische Erwägungen wie z. B. das Interesse des Konkurrenzforums, einen in tatsächlicher Hinsicht überwiegend in seinem Zuständigkeitsbereich angesiedelten Rechtsstreit selbst zu entscheiden, die an dem jeweiligen anderen Forum geltende Verfahrensordnung sowie im Willen des amerikanischen Gesetzgebers zum Ausdruck kommende Grundsätze von überragender Bedeutung, die eine Entscheidung des Rechtsstreits in dem angerufenen amerikanischen Forum erforderlich erscheinen lassen374.

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cc) Nach alledem werden zwar mit der forum non conveniens doctrine begründete Klageabweisungsanträge amerikanischer Parteien gelegentlich erfolgreich sein375; jedoch stellt dieser Grundsatz in aller Regel keine 372 Gulf Oil Corp. v. Gilbert, 330 U.S. 501 (1947); Koster v. (American) Lumbermens Mutual Casualty Co., 330 U.S. 518 (1947). 373 Instruktiv In re Union Carbide Corp. Gas Plant Disaster at Bhopal, India, 809 F.2d 195 (1987) (indische Gerichte zuständig für Klagen indischer Staatsangehöriger gegen einen multinationalen Konzern mit Haupt-Geschäftssitz in den USA, ungeachtet der sich ggf. zu Lasten der Kläger auswirkenden verfahrensrechtlichen Unterschiede beider Rechtssysteme); s. desw. auch Piper Aircraft Co. v. Reyno, 454 U.S. 235, 256 (1981) u. Guidi v. Inter-Continental Hotels Corp., 224 F.3d 142 (2d Cir. 2000). 374 Gulf Oil Corp. v. Gilbert, 330 U.S. 501 (1947); Piper Aircraft Co. v. Reyno, 454 U.S. 235 (1981); Alfadda v. Fenn, 159 F.3d 41, 46 (2d Cir. 1998); Guidi v. InterContinental Hotels Corp., 224 F.3d 142 (2d Cir. 2000); DiRienzo v. Philip Services Corp., 294 F.3d 21, 29-31 (2d Cir. 2002). Weniger bedeutsam ist demgegenüber die Anwendung ausländischer Rechtsvorschriften als solche; vgl. Piper Aircraft Co. v. Reyno, 454 U.S. 235, 247 (1981). 375 Vgl. z. B. In re Union Carbide Corp. Gas Plant Disaster at Bhopal, India, 809 F.2d 195 (1987).

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Gerichtliche Zuständigkeit

erfolgversprechende Grundlage für einen entsprechenden Antrag einer ausländischen Partei dar, insbesondere dann nicht, wenn von amerikanischen Gerichten als wesentliche Verfahrensgarantien betrachtete Parteirechte nach Maßgabe der betreffenden ausländischen Prozessordnung nicht gewährleistet sind. Dies gilt nicht nur für Verfahrensgrundrechte wie dasjenige auf ein faires, unmittelbares und öffentliches Verfahren376, sondern insbesondere auch für diejenigen Rechtsinstitute, die zum Kernbestand des amerikanischen Prozessrechts gehören und als wesentlich gerade zur Durchsetzung der prozessualen Rechte der Parteien gelten wie z. B. die discovery, deren Fehlen in der ausländischen Verfahrensordnung im Einzelfall auch dann zur Zurückweisung eines auf die forum non conveniens doctrine gestützten Klageabweisungsantrages führen kann, wenn das konkurrierende ausländische Gericht ansonsten deutlich sachnäher wäre377. Nicht zuletzt aus dem letztgenannten Grunde sollte eine wohlausgewogene Entscheidung über die Forumswahl im Streitfalle bei Verträgen mit amerikanischen Partnern bereits im Moment des Vertragsschlusses getroffen werden: Allgemein ist zwar eine Ungleichbehandlung amerikanischer und ausländischer Parteien bei der gerichtlichen Zuständigkeitsbestimmung nicht feststellbar; hat ein amerikanisches Gericht jedoch einmal seine Zuständigkeit bejaht – was insbesondere bei Klagezustellung nach den Grundsätzen der tag jurisdiction sowie im Anwendungsbereich der stream of commerce doctrine und anderer forumsbezogener Handlungen (vgl. vorst. Rn. 251–253) oftmals auch dann der Fall sein wird, wenn ein deutsches Gericht Zweifel an seiner Entscheidungsgewalt haben würde –, so ist es in aller Regel nicht mehr möglich, allein durch Berufung auf die größere Sachnähe eines ausländischen Gerichts ein anderes Ergebnis herbeizuführen.

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4. Venue Während die vorstehend behandelte gerichtliche Entscheidungsbefugnis als solche (power to adjudicate) sich unmittelbar aus der Eigenschaft des Gerichts als Träger staatlicher Hoheitsgewalt ergibt und im Falle der 376 Piper Aircraft Co. v. Reyno, 454 U.S. 235 (1981); BP Chemicals, Ltd. v. Jiangsu Sopo Corp., 285 F.3d 677, 688 (8th Cir. 2002). 377 Piper Aircraft Co. v. Reyno, 454 U.S. 235 (1981); Lacey v. Cessna Aircraft Co., 932 F.2d 170, 185 n. 12 (3d Cir. 1991); Alfadda v. Fenn, 159 F.3d 41, 48 (2d Cir. 1998). Im Extremfall können sich Einschränkungen der discovery bei einem von einer amerikanischen Partei gestellten Abweisungsantrag allerdings auch zugunsten dieser Partei auswirken; vgl. In re Union Carbide Corp. Gas Plant Disaster at Bhopal, India, 809 F.2d 195 (1987). Interessant i. Ü. im Zusammenhang mit discovery-Ersuchen ausländischer Parteien In re Ski Train Fire in Kaprun, 230 F.Supp.2 d 376, 388 – 91 (S.D.N.Y. 2002).

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Bundesstaaten damit territorial lediglich durch die Grenzen des jeweiligen Staates begrenzt ist, erfolgt die engere Auswahl des örtlich angerufenen Gerichts nach Maßgabe der jeweiligen bundesstaatlichen venue statutes. Diese häufig bereits lang überkommenen Gesetze nehmen eine Verteilung der örtlichen Gerichtsgewalt i.d.R. entsprechend den Grenzen der Verwaltungsbezirke (counties) vor, wobei die Regelungen stets zumindest auch den Weg zum Gericht am Wohnsitz des bzw. mindestens eines von mehreren Beklagten eröffnen378. 281

Auf der Ebene der Bundesgerichte, bei denen die venue jeweils identisch ist mit dem Bezirk des jeweiligen District Court, bestimmt sich die Wahl der venue nach Maßgabe von 28 U.S.C. § 1391. Danach ist die Klageerhebung zulässig (1) in jedem Bezirk, in dem mindestens ein Beklagter seinen Wohnsitz hat; oder (2) in dem Bezirk, in dem sich ein wesentlicher Teil der anspruchsbegründenden Tatsachen abgespielt hat bzw. in dem sich die streitgegenständliche Sache befindet. Handelt es sich bei dem Beklagten um eine als juristische Person organisierte Handelsgesellschaft, so ist örtlich zur Entscheidung jedes Gericht berufen, dessen Entscheidungsgewalt der Beklagte nach den Grundsätzen der personal jurisdiction (vgl. vorst. Rn. 244 ff.) unterworfen ist379; das Gleiche gilt entsprechend für Personenmehrheiten380. Ausländische Beklagte können allerdings regelmäßig in jedem beliebigen Bezirk verklagt werden (vgl. 28 U.S.C. § 1391[d]); dies gilt für natürliche ebenso wie für juristische Personen.

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Eine wichtige Ausnahme von den allgemeinen venue-Grundsätzen sowohl auf Bundesebene als auch auf der Ebene der Bundesstaaten sind die sogenannten local actions, bei denen der Weg jeweils nur zu demjenigen Gericht eröffnet ist, in dessen Bezirk sich die streitgegenständliche Sache befindet381. Unter dem Oberbegriff local actions zusammengefasst sind 378 Vgl. z. B. N.Y.C.P.L.R. § 503(a) (New York), CAL CODE CIV.PROC. § 395(a) (Kalifornien), 223 M.G.L. § 1 (Massachusetts) und RSMO § 508.010 (Missouri). 379 Jumara v. State Farm Ins. Co., 55 F.3d 873 (3d Cir. Cir. 1995); vgl. auch Willis v. Caterpillar, Inc., 199 F.3d 902, 905 (7th Cir. 1999) und Uffner v. La Reunion Francaise, S.A., 244 F.3d 38, 42 (1st Cir. 2001). Ähnlich z. B. auch N.Y.C.P.L.R. § 503(c); anders jedoch CAL. CODE CIV.PROC. § 395.5: Ort des Vertragsschlusses, Leistungsort, Ort des schädigenden Ereignisses oder Haupt-Geschäftssitz der Gesellschaft. 380 Denver & Rio Grande Western Railroad Co. v. Brotherhood of Railroad Trainmen, 387 U.S. 556 (1967). 381 Vgl. 28 U.S.C. § 1392 (Bundesgerichte) sowie z. B. N.Y.C.P.L.R. § 507 (New York), CAL. CODE CIV.PROC. § 39212 (Kalifornien), V.S.A. § 402(a) (Vermont) und NE R.S. 25-401 (Nebraska).

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Gerichtliche Zuständigkeit

i.d.R. proceedings in rem sowie diejenigen quasi in rem actions, bei denen die Rechte der Prozessparteien an der streitgegenständlichen Sache selbst in Frage stehen (Herausgabeklagen, Teilungsklagen in Bezug auf Grundeigentum etc.), und schließlich eine Reihe von in personam proceedings, die zumeist jedoch ebenfalls auf die Beeinträchtigung von grundstücksbezogenen Rechten gestützt sind (z. B. wegen Besitzstörung, Beschädigung des Grundstücks oder Lärmbelästigung). In Verfahren vor den Gerichten der Bundesstaaten wirkt die local actions doctrine zugleich auch als Negativschranke auf die Entscheidungsgewalt derjenigen Gerichte, die sich in einem anderen Bundesstaat als die streitgegenständliche Sache befinden, nach Maßgabe der allgemeinen Grundsätze der territorial jurisdiction aber zuständig wären. Eine wirtschaftsprozessrechtlich bedeutsame Sonderregelung findet sich für die Bundesgerichte darüber hinaus in 28 U.S.C. § 1401, welcher vorsieht, dass auf die Durchsetzung von Rechten der Gesellschaft selbst gerichtete Gesellschafter-Stellvertretungsklagen (shareholder derivative actions) überall dort anhängig gemacht werden können, wo auch die betroffene Gesellschaft dieselben Beklagten hätte verklagen können.

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III. Verweisung Aufgrund der Existenz paralleler Gerichtsverfassungen auf der Ebene der amerikanischen Bundesstaaten und der Bundesorganisation selbst ist die Verweisung des Rechtsstreits sowohl vertikal von den Gerichten der Bundesstaaten zu den Bundesgerichten möglich (removal) als auch horizontal zwischen verschiedenen Gerichten desselben Systems (transfer of venue).

284

1. Removal a) Voraussetzungen Gemäß 28 U.S.C. § 1441 kann auf Antrag des Beklagten – und nur des Beklagten – der Rechtsstreit von dem ursprünglich angerufenen Gericht eines Bundesstaates an das örtlich zuständige Bundesgericht verwiesen werden, wenn bereits im Moment der Klageerhebung die konkurrierende Zuständigkeit der Bundesgerichte gegeben war382.

382 Zum insoweit maßgeblichen Zeitpunkt vgl. City of Chicago v. International College of Surgeons, 522 U.S. 156, 163 (1997).

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285

Jurisdiction

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aa) Grundlage des Antrags kann nur ein klageweise geltend gemachter Anspruch sein383, nicht auch ein Widerklageanspruch, der seinerseits erst die bundesgerichtliche Zuständigkeit eröffnen würde; insbesondere ist auch der Kläger bei Erhebung einer solchen Widerklage nicht ein zur Stellung des Verweisungsantrages berechtigter Beklagter im Sinne der gesetzlichen Bestimmung384.

287

bb) Ausgenommen von der Verweisungsregelung sind des Weiteren insbesondere auch solche Streitigkeiten, bei denen sich die Zuständigkeit der Bundesgerichte aus den Grundsätzen der diversity jurisdiction ergibt, jedoch mindestens einer der Beklagten ein Bewohner des (bisherigen) Forumsstaates ist; denn in diesem Fall kommt der besondere Schutzzweck der diversity jurisdiction gegenüber gerichtsfremden Parteien (vgl. vorst. Rn. 205) gerade nicht zum Tragen.

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cc) Wird hingegen die Verweisung gestützt auf die Grundsätze der federal question jurisdiction beantragt und sind neben dem Anspruch, der insoweit zu dem Verweisungsantrag Anlass gibt, auch solche Ansprüche geltend gemacht, die ihrerseits nicht auf Bundesgesetze gestützt sind, so erfasst die Verweisung auch jene Ansprüche; allerdings kann das Bundesgericht die Sache insoweit – wie allgemein bei nur teilweise gegebener bundesgerichtlicher Zuständigkeit – zur gesonderten Verhandlung und Entscheidung an das Ausgangsgericht zurückverweisen. b) Verfahren

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Der Verweisungsantrag (notice of removal) muss gemäß 28 U.S.C. § 1446 binnen 30 Tagen nach Klagezustellung unter Angabe von Gründen bei dem Bundesgericht gestellt werden, das aufgrund der Verweisung für die Behandlung des Rechtsstreits zuständig wird385. Ist mehr als einer natürlichen oder juristischen Person die Klage zugestellt worden, so müssen 383 Im Grundsatz ausreichend ist es, wenn hinsichtlich eines von mehreren Klageansprüchen die konkurrierende Zuständigkeit der Bundesgerichte besteht; vgl. Wisconsin Dept. of Corrections v. Schacht, 524 U.S. 381 (1998). 384 Shamrock Oil & Gas Corp. v. Sheets, 313 U.S. 100 (1941). 385 Zur Fristwahrung vgl. Murphy Bros., Inc. v. Michetti Pipe Stringing, Inc., 526 U.S. 344 (1999); Gillis v. State of Louisiana, 294 F.3d 755 (5th Cir. 2002) und Delgado v. Shell Oil Co., 231 F.3d 165, 177 (5th Cir.), cert. denied, 532 U.S. 972 (2000). Ergibt sich die konkurrierende bundesgerichtliche Zuständigkeit erst aus einem späteren Schriftsatz oder einer gerichtlichen Anordnung, so beginnt die Frist erst mit der Zustellung dieses Schriftstücks zu laufen; vgl. Peters v. Lincoln Electric Co., 285 F.3d 456, 466 (6th Cir. 2002).

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Gerichtliche Zuständigkeit

alle insoweit betroffenen Beklagten gemeinsam die Verweisung betreiben. Nach oder gleichzeitig mit der Antragstellung hat der Beklagte den Kläger und das von diesem ursprüngliche angerufene bundesstaatliche Gericht von dem Antrag in Kenntnis zu setzen. Die Sache gilt bereits mit der Stellung des Antrages als vor dem Bundesgericht anhängig, und zwar im Grundsatz so, als sei sie bereits anfänglich vor diesem Gericht anhängig gemacht worden, vgl. 28 U.S.C. §§ 1447, 1448 u. FRCP Rule 81(c). Die Akten des bundesstaatlichen Gerichts werden an das Bundesgericht übersandt (vgl. 28 U.S.C. §§ 1447[b] und 1449). Erachtet das Bundesgericht die Verweisung jedoch nicht für begründet, verweist es die Sache zurück an das Ausgangsgericht; eine solche Rückverweisung (remand) ist wie in allen anderen Fragen der sachlichen Zuständigkeit der Bundesgerichte nicht nur auf Antrag einer Partei, sondern auch von Amts wegen möglich (28 U.S.C. § 1447[c])386.

290

Beruht die Rückverweisung allerdings nicht auf der mangelnden sachlichen Zuständigkeit der Bundesgerichte, sondern auf anderen Gründen (z. B. auf der Nichteinhaltung der 30-Tages-Frist für den Verweisungsantrag), so bedarf sie ihrerseits ebenfalls eines Parteiantrages387.

291

2. Transfer of Venue a) Verweisung zwischen zwei gleichermaßen zuständigen Gerichten Nach 28 U.S.C. § 1404 kann ein an sich örtlich zur Entscheidung berufenes Gericht auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen die Sache an ein anderes, ebenfalls örtlich zuständiges und insgesamt sachnäheres Gericht verweisen388. Dabei beurteilt sich die größere Sachnähe jenes anderen Gerichts allerdings nicht nach den strengen Voraussetzungen der forum non conveniens doctrine (vgl. vorst. Rn. 275 ff.); vielmehr kommt die Verweisung schon dann in Betracht, wenn sich ein erheblicher Teil der streitgegenständlichen Tatsachen im Bezirk jenes Gerichts ereignet hat, sich ein der Großteil der Beweismittel dort befindet oder mehr Parteien dort ansässig sind als im Bezirk des Ausgangsgerichts.

386 Wisconsin Dept. of Corrections v. Schacht, 524 U.S. 381, 391 (1998). 387 Wisconsin Dept. of Corrections v. Schacht, 524 U.S. 381, 391 (1998). 388 Zur Bestimmung der gerichtlichen Zuständigkeit im Anwendungsbereich von 28 U.S.C. § 1404 vgl. Hoffman v. Blaski, 363 U.S. 335 (1960).

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Jurisdiction

b) Verweisung von einem unzuständigen an ein zuständiges Gericht 293

Im Gerechtigkeitsinteresse, insbesondere zur Wahrung materieller Rechte der Parteien, kann ein Gericht darüber hinaus auch dann anstelle der Klageabweisung die Sache an ein zuständiges Gericht verweisen, wenn das ursprünglich angerufene Gericht nicht zur Entscheidung über die Sache berufen ist389. c) Rechtsanwendung nach Verweisung

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Welches materielle Recht das Verweisungsgericht seiner Entscheidung zugrunde legt, richtet sich im Wesentlichen danach, ob das ursprünglich angerufene Gericht gleichfalls zur Sachentscheidung berufen gewesen wäre. Ist dies der Fall, handelt es sich in Wahrheit lediglich um einen „Wechsel des Gerichtssaals“, der keine Änderung des maßgeblichen materiellen Rechts mit sich bringt390. Auf diese Weise soll verhindert werden, dass Verweisungsanträge nur deshalb gestellt werden, um den Rechtsstreit einem dem Antragsteller im Einzelfall gegebenenfalls günstigeren materiellen Rechtssystem zu unterwerfen391. Ist die Verweisung jedoch eine solche von einem unzuständigen an ein zuständiges Gericht, so wendet das Letztere dasjenige materiellrechtliche System an, welches auch bei anfänglicher Klageerhebung vor diesem Gericht maßgeblich gewesen wäre; jedoch kommt der rechtzeitigen Klageerhebung vor dem unzuständigen Gericht verjährungshemmende Wirkung zu.

B. Klagezustellung 295

Wenngleich das Verfahren formal bereits durch die Klageeinreichung bei Gericht eingeleitet wird392, ist der Beklagte unter Berücksichtigung des 389 Vgl. 28 U.S.C. §§ 1406 u. 1631 sowie Goldlawr, Inc. v. Heiman, 369 U.S. 463 (1962). Im Prinzip ähnlich auch CAL. CODE CIV.PROC. §§ 396, 396b; allerdings wirkt die Verweisung nicht zuständigkeitsbegründend im Hinblick auf Widerklagen und cross claims, für die das Verweisungsgericht nicht auch unabhängig zuständig ist. 390 Van Dusen v. Barrack, 376 U.S. 612 (1964). 391 Grundsätzlich zur Rechtsanwendung durch die Bundesgerichte vgl. vorst. Rn. 221 ff. (Erie doctrine). 392 FRCP Rule 3: „A civil action is commenced by filing a complaint with the court“; ebenso z. B. CAL. CODE CIV.PROC. §§ 350 u. 411.10. Bereits die Klageeinreichung ist maßgeblich insbesondere für die folgenden Umstände:

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Klagezustellung

Rechtsstaatsprinzips nur dann der gerichtlichen Entscheidungsgewalt unterworfen, wenn ihm die Klage wirksam zugestellt worden ist oder er auf die Rüge gegebenenfalls bestehender Zustellungsmängel verzichtet und stattdessen zur Sache erwidert hat393. Im Verfahren vor den Bundesgerichten, deren Funktion untrennbar mit ihrer Eigenschaft als Organe der dritten Staatsgewalt nach Maßgabe der U.S.-Bundesverfassung verbunden ist und deren Entscheidungsgewalt nach den vorstehend erörterten, aus dem Rechtsstaatsprinzip hergeleiteten Grundsätzen unmittelbar nur durch die Staatsgrenzen der Vereinigten Staaten eingeschränkt ist, hat die Klagezustellung darüber hinaus zugleich auch örtlich zuständigkeitsbegrenzende Wirkung. I. Zustellverfahren 1. Allgemeine Vorschriften a) Zustellperson Getreu der extremen Ausprägung, die die Parteimaxime im amerikanischen Zivilprozess erfahren hat, erfolgt die Klagezustellung nicht durch – Vorliegen der örtlichen und sachlichen Zuständigkeit des angerufenen Gerichts nach den Grundsätzen der personal jurisdiction, venue und diversity jurisdiction, – Doppelte Rechtshängigkeit (lis pendens), – Entscheidungsreife der Streitfragen, – Geltendmachung von erst nach Anhängigkeit des Vefahrens fällig werdenden Forderungen im Wege der Klageänderung oder -erweiterung nach FRCP Rule 15, – Verjährung und Verwirkung der geltend gemachten Ansprüche, – Widerklageansprüche, die nur gewahrt sind, wenn sie in dem bereits anhängigen Verfahren geltend gemacht werden (compulsory counterclaims), – sowie prozessuale Fristen wie z. B. der Beginn der discovery. Vgl. hierzu im Einzelnen u. a. Burnham v. Superior Court, 495 U.S. 604 (1990) (personal jurisdiction); Freeport-McMoRan, Inc. v. K. N. Energy, Inc., 498 U.S. 426, 428 (1991) (diversity jurisdiction), Henderson v. United States, 517 U.S. 654, 657 n. 2 (1996) (Verjährung bundesrechtlicher Ansprüche) und allgemein Baicker-McKee, Janssen, Corr, Federal Civil Rules Handbook, Authors’ Commentary on Rule 3. Maßgeblich ist insoweit nicht bereits der Posteingang der Klageschrift beim Gericht, sondern erst der Moment, in dem die Klage den Arbeitsbereich des aktenführenden Gerichtsbeamten erreicht (clerk’s office); vgl. FRCP Rule 77 und hierzu McIntosh v. Antoniono, 71 F.3d 29, 36-37 (1st Cir. 1995) u. Cooper v. City of Ashland, 871 F.2d 104, 105 (9th Cir. 1989). 393 Murphy Bros., Inc. v. Michetti Pipe Stringing, Inc., 526 U.S. 344, 350 (1999).

139

296

Jurisdiction

das Gericht, sondern durch den Kläger selbst, der die erfolgreiche Zustellung lediglich unverzüglich dem Gericht anzuzeigen hat; vgl. FRCP Rule 4(c) u. (l). 297

Bedienen kann der Kläger sich im Rahmen der Klagezustellung grundsätzlich jeder über 18 Jahre alten Person, die nicht selbst eine Partei des Rechtsstreits ist (FRCP Rule 4[c])394. In der Praxis hat sich aufgrund dieser Regelung der eigenständige Beruf des process servers herausgebildet395: Dabei handelt es sich um auf die Zustellung von Klageschriften, Zeugenladungen und anderen prozessualen Schriftstücken spezialisierte, staatlich zugelassene Unternehmen, die i.d.R. eng mit den sie beauftragenden Anwaltskanzleien zusammenarbeiten und oftmals zugleich auch als Privatdetektive tätig werden; Letzteres ist insbesondere dann von Bedeutung, wenn die Anschrift des Zustellungsempfängers nicht bekannt ist oder dieser den Versuch unternimmt, sich der Zustellung zu entziehen396. Ist dies der Fall, darf ein process server sich auch in gewissen Umfang einer List bedienen, um die Zustellung zu bewirken; allerdings darf dies nicht dazu führen, dass die Benachrichtigungsfunktion der Zustellung (vgl. nachf. Rn. 311 ff.) unterlaufen oder – wie bei der tag jurisdiction, vgl. vorst. Rn. 247–248 u. 272 – durch die ertrickste Zustellung überhaupt erst die Grundlage der gerichtlichen Zuständigkeit geschaffen wird. So ist eine Zustellung durch Täuschung über die Identität des Zustellers zulässig, nicht jedoch das Verstecken von Ladung und Klageschrift in einer anderen Sendung oder die Verleitung des Beklagten durch Vortäuschung falscher Tatsachen, sich an den Zustellungsort zu begeben397.

b) Zustellungsfrist 298

Grundsätzlich hat die Zustellung im Verfahren vor den Bundesgerichten binnen 120 Tagen nach Klageeinreichung zu erfolgen398, wenn nicht der 394 Ebenso die Regelung der meisten Bundesstaaten; s. z. B. CAL. CODE CIV.PROC. § 414.10. 395 Vgl. z. B. CAL. BUS.PROF. CODE §§ 22350 ff. 396 Aus dem letzteren Grunde besteht des Weiteren auch die Möglichkeit, auf Antrag des Klägers die Klagezustellung durch einen Justizbeamten (federal marshall auf Bundesebene, sheriff auf der Ebene der Bundesstaaten) oder einen anderen Beauftragten des Gerichts vornehmen zu lassen, da diesen ggf. auch über diejenigen des privaten process servers hinausgehende Befugnisse zustehen oder zumindest im Einzelfall eingeräumt werden können. Vgl. FRCP Rule 4(c)(2); CAL. CODE CIV.PROC. § 262-262.11. 397 Vgl. z. B. Bulkley v. Bulkley, 6 Abb.Pr. 307 (N.Y. Sup. Ct. 1858) (versteckte Ladung); ähnlich auch In re Bonesteel, 228 N.Y.S. 2d 301 (1962); sowie Garabettian v. Garabettian, 201 N.Y.S. 548 (1923) (Verleitung des Beklagten, sich an den Zustellort zu begeben). 398 Dies gilt jedoch nicht für die Auslandszustellung; es sei denn, die Zustellung im Ausland sei innerhalb der 120-Tages-Frist nicht einmal versucht worden. Vgl. Goodstein v. Bombardier Capital, Inc., 167 F.R.D. 662, 665 – 666 (D. Vt.

140

Klagezustellung

Beklagte auf entsprechende Aufforderung des Klägers – unter Mitteilung des Inhalts der Klageschrift und des angerufenen Gerichts sowie Einhaltung gewisser weiterer Formvorschriften – ausdrücklich auf die formelle Klagezustellung verzichtet hat; vgl. FRCP Rule 4(m) u. (d). Ist die Zustellungsfrist nicht gewahrt, weist das Gericht die Klage formal, jedoch grundsätzlich ohne Präjudizwirkung für eine erneute Klageerhebung ab (dismissal without prejudice; vgl. FRCP Rule 4[m] u. nachf. Rn. 503)399. Soweit im Einzelfall begründet (for good cause shown), kann das Gericht die Zustellungsfrist auf Antrag des Klägers verlängern; dies kommt insbesondere dann in Betracht, wenn der Kläger ohne eigenes Verschulden daran gehindert ist, eine wirksame Zustellanschrift für den Beklagten zu ermitteln400. Bei der in seinem Ermessen stehenden Abwägung, ob dem Antrag des Klägers entsprochen werden kann, prüft das Gericht u. a., ob der Kläger an der erneuten Klageerhebung zu einem späteren Zeitpunkt aus verjährungsrechtlichen Gründen gehindert wäre, inwieweit die Verhinderung der Zustellung in der Person oder im Verhalten des Beklagten begründet ist, ob der Kläger anwaltlich vertreten ist und wie erheblich die zu erwartende Verzögerung im Einzelfall ausfällt401.

1996); Pennsylvania Orthopedic Ass’n v. Mercedes-Benz A.G., 160 F.R.D. 58 (E.D. Pa. 1995) u. Montalbano v. Easco Hand Tools, Inc., 766 F.2d 737, 740 (2d Cir. 1985). Generell wesentlich großzügiger gestaltet sind auch die Klagezustellungsfristen nach den Prozessordnungen einiger Bundesstaaten; vgl. z. B. CAL. CODE CIV.PROC. § 583.210 (drei Jahre; allerdings kann das Gericht die Klage nach Ablauf von zwei Jahren auch von Amts wegen abweisen, wenn der Kläger in dieser Zeit die Zustellung nicht betrieben hat; vgl. CAL. CODE CIV.PROC. §§ 583.410, 583.420). 399 Die durch die frühere Klageerhebung gehemmte Verjährungsfrist läuft allerdings nach Klageabweisung weiter und kann nur durch eine fristgemäß erhobene neue Klage auch von neuem gehemmt werden. Vgl. Conover v. Lein, 87 F.3d 905, 908-909 (7th Cir. 1996) und Hawkins v. McHugh, 46 F.3d 10 (5th Cir. 1995). Richtet sich die maßgebliche Verjährungsfrist nach den Grundsätzen der Erie doctrine nach dem Recht eines Bundesstaates (vgl. vorst. Rn. 223) und läuft diese Frist bereits während der auf die Klageeinreichung folgenden 120 Tage ab, so tritt Verjährung bereits zu dem früheren, nach dem jeweiligen bundesstaatlichen Recht zu bestimmenden Zeitpunkt ein. Vgl. Larsen v. Mayo Med. Ctr., 218 F.3d 863 (8th Cir.), cert. denied, 531 U.S. 1036 (2000); Torre v. Brickey, 278 F.3d 917, 919-920 (9th Cir. 2002) und Habermehl v. Potter, 153 F.3d 1137, 1139 (10th Cir. 1998). 400 Zu der insoweit sehr weitgefächerten Rechtsprechung vgl. Baicker-McKee, Janssen, Corr, Federal Civil Rules Handbook, Authors’ Commentary on Rule 4 Fn. 142-152. 401 Vgl. u. a. Petrucelli v. Bohringer & Ratzinger, 46 F.3d 1298 (3d Cir. 1995); Espinoza v. United States, 52 F.3d 838 (10th Cir. 1995); Goodstein v. Bombardier Capital, Inc., 167 F.R.D. 662, 666 (D. Vt. 1996) und Momah v. Albert Einstein Medical Ctr., 158 F.R.D. 66 (E.D. Pa. 1994).

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299

Jurisdiction

c) Ladung 300

Der Klageschrift beigefügt ist eine vom Gericht auf Veranlassung des Klägers erteilte Ladung (summons), die sich jedoch nicht auf einen (zu diesem Zeitpunkt regelmäßig noch nicht bestimmten) Termin zur mündlichen Verhandlung bezieht, sondern vielmehr den Beklagten auch amtlich über die Klageerhebung in Kenntnis setzt und ihn darüber hinaus auffordert, zur Vermeidung eines Versäumnisurteils innerhalb bestimmter Fristen schriftlich auf die Klage zu erwidern; vgl. FRCP Rule 4(a) u. (b). d) Zustellnachweis

301

Die Ordnungsmäßigkeit der erfolgten Zustellung ist dem Gericht gegenüber schließlich durch eidesstattliche Versicherung des Zustellers bzw. bei Auslandszustellung nach Maßgabe des gegebenenfalls anwendbaren internationalen Übereinkommens nachzuweisen; vgl. FCRP Rule 4(l)402. 2. Zustelladressat

302

Im Einzelnen richtet sich das Zustellverfahren zum einen nach dem Wohn- bzw. Geschäftssitz des Beklagten, zum anderen danach, ob es sich bei diesem um eine natürliche oder juristische Person handelt. a) Verfahren vor den Gerichten der Bundesstaaten

303

Im Verfahren vor den Gerichten der U.S.-Bundesstaaten erfolgt die Zustellung an den Beklagten regelmäßig403: – Durch persönliche Zustellung, und zwar wenn es sich bei dem Beklagten um eine als juristische Person organisierte Handelsgesellschaft oder eine uninkorporierte Personengemeinschaft handelt, zumeist durch Übergabe der Klageschrift und der Ladung an einen zustellungsbevollmächtigten Vertreter des Unternehmens oder dessen gesetzlich bestimmten Zustellungsbevollmächtigten404. Handelt es sich bei dem Beklagten um eine ausländische Handelsgesellschaft und hat diese keinen allgemeinen Zustellungsbevollmächtigten in dem jeweiligen Bundesstaat bestellt, so kommt insoweit insbesondere auch die Zustellung 402 I.W. ebenso z. B. CAL. CODE CIV.PROC. §§ 417.10-417.40 und N.Y.C.P.L.R. § 306. 403 Vgl. z. B. CAL. CODE CIV.PROC. §§ 415.10-415.50 und N.Y.C.P.L.R. §§ 308 – 316 u. 318. 404 S. z. B. CAL. CODE CIV.PROC. §§ 416.10 u. 416.40.

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Klagezustellung an den secretary of state des Bundesstaates in Betracht, da die zur Ausübung jeglicher Geschäftstätigkeit erforderliche gewerbliche Registrierung der Handelsgesellschaft in diesem Fall entweder unter die ausdrückliche Voraussetzung gestellt sein kann, dass sich das Unternehmen im Prozessfalle mit der stellvertretenden Zustellung an den secretary of state als ihres gesetzlichen Zustellungsbevollmächtigten einverstanden erklärt405, oder die Zustellung an den secretary of state in diesem Fall die gesetzliche Auffangregel darstellt406.

– Im Wege der Ersatzzustellung in der Wohnung durch Aushändigung der Klageschrift und der Ladung an einen geeigneten Hausgenossen des Beklagten sowie unverzüglicher Übersendung einer Abschrift der Klage und der Ladung an den Beklagten auf dem Postwege. – Im Wege der Ersatzzustellung am Geschäftssitz des Beklagten durch Aushändigung der Klageschrift und der Ladung an den Bürovorsteher oder seinen Vertreter (in der Praxis zumeist eine Sekretärin oder Rezeptionistin) sowie unverzüglicher Übersendung einer Abschrift der Klage und der Ladung an den Beklagten auf dem Postwege. – Im Wege der Ersatzzustellung durch postalische Übersendung der Klageschrift und der Ladung; diese bedarf zu ihrer Wirksamkeit jedoch regelmäßig einer schriftlichen Empfangsbestätigung. – Oder ausnahmsweise, wenn der Kläger eidesstattlich versichert und zur Überzeugung des Gerichts feststeht, dass eine anderweitige Zustellung an den Beklagten unmöglich ist, im Wege der Ersatzzustellung durch öffentliche Bekanntmachung des Inhalts der Ladung sowie der wesentlichen Verfahrensdaten in einer (regelmäßig: überregionalen) Tageszeitung407. Erfolgt die Zustellung in einem anderen Bundesstaat als demjenigen, zu dem das vom Kläger angerufene Gericht gehört, so ist sie i.d.R. nicht nur wirksam, wenn sie nach Maßgabe der Vorschriften des Forumsstaates, sondern auch nach denjenigen des Zustellungsstaates erfolgt408.

405 Vgl. z. B. CAL. CORP. CODE §§ 2102 u. 2105 und N.Y. BUS. CORP. L. § 304. 406 So z. B. N.Y. BUS. CORP. L. § 307 für nicht eingetragene Handelsgesellschaften; vgl. desw. auch 8 DE CODE §§ 376(b) u. 382 (Delaware), 181 M.G.L. § 15 (Massachusetts) und GA. CODE § 9-11-4(e)(1) (Georgia). 407 Eingehend hierzu Siegel, New York Practice § 107 m. w. N. 408 Vgl. z. B. CAL. CODE CIV.PROC. § 413(b) und N.Y.C.P.L.R. § 313.

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Jurisdiction

b) Verfahren vor den Bundesgerichten 305

aa) Nach Maßgabe der FEDERAL RULES OF CIVIL PROCEDURE kann die Zustellung an eine natürliche Person im Verfahren vor den Bundesgerichten grundsätzlich stets nach den Vorschriften desjenigen Bundesstaates erfolgen, in dem das jeweilige Bundesgericht örtlich ansässig ist, oder des Bundesstaates, innerhalb dessen die Zustellung vorgenommen werden soll; vgl. FRCP Rule 4(e)(1)409. Darüber hinaus ist sie nach FRCP Rule 4(e)(2) zulässig durch persönliche Zustellung an den Beklagten410 sowie: – im Wege der Ersatzzustellung in der Wohnung durch Aushändigung der Klageschrift und der Ladung an einen geeigneten Hausgenossen des Beklagten411, – und im Wege der Ersatzzustellung an einen ausdrücklich bestellten oder gesetzlich mit dieser Funktion belegten Zustellungsbevollmächtigten des Beklagten412.

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bb) Im Ausland hat die Zustellung an eine natürliche Person grundsätzlich nach Maßgabe etwa anwendbarer internationaler Zustellungsabkommen wie insbesondere dem Haager Zustellungsübereinkommen zu erfolgen; vgl. FRCP Rule 4(f)(1)413. Findet kein internationales Abkommen auf 409 Dies ist insbesondere insoweit von Bedeutung, als die FEDERAL RULES selbst nicht die Zustellung am Geschäftssitz des Beklagten vorsehen, wenn es sich bei diesem um eine natürliche Person handelt, eine solchermaßen erfolgende Zustellung aber nach den Prozessordnungen vieler Bundesstaaten gleichwohl zulässig ist. Vgl. z. B. CAL. CODE CIV.PROC. § 415.20. 410 Verweigert der Beklagte die Entgegennahme der Klageschrift und der Ladung, so ist es ausreichend, wenn der Zusteller diese so beim Beklagten zurücklässt, dass jener unmittelbar auf sie Zugriff hat; vgl. z. B. Novak v. World Bank, 703 F.2d 1305, 1310 (D.C. Cir. 1983). 411 Sowohl hinsichtlich des Begriffs der Wohnung als auch hinsichtlich derjenigen des Hausgenossen und der Geeignetheit der Zustellperson bedarf es dabei jeweils der Überprüfung im Einzelfall, ob den Anforderungen von FRCP Rule 4 und dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs Genüge getan ist. Zu dem insoweit sehr extensiven Richterrecht vgl. Baicker-McKee, Janssen, Corr, Federal Civil Rules Handbook, Authors’ Commentary on Rule 4 Fn. 74 – 78. 412 Die Zustellung an den Prozessbevollmächtigten des Beklagten ist nur im Ausnahmefall dann zulässig, wenn dieser seinem Anwalt ausdrücklich Zustellvollmacht erteilt hat; i.d.R. ist dies jedoch nicht der Fall. Vgl. z. B. Guess ?, Inc. v. Chang, 163 F.R.D. 505, 507-508 (N.D. Ill. 1995). 413 Dabei sind die Parteien im Verhältnis zu allen Unterzeichner-Staaten des Haager Übereinkommens – also auch Deutschland – verpflichtet, nicht nur das in dem Abkommen selbst vorgesehene Zustellungsverfahren einzuhalten (Volkswagenwerk Aktiengesellschaft v. Schlunk, 486 U.S. 694 [1988]), sondern auch

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Klagezustellung

das Zustellungsverfahren Anwendung oder sind nach diesem auch andere als die dort ausdrücklich geregelten Zustellmethoden gestattet414, so richtet sich das Verfahren gemäß FRCP Rule 4(f)(2) 415 alternativ: – nach dem Recht des ausländischen Staates, in dem die Zustellung erfolgen soll, – nach dem von der zuständigen ausländischen Behörde bzw. dem zuständigen ausländischen Gericht auf ein Rechtshilfeersuchen hin ausdrücklich angeordneten Verfahren, – soweit nicht durch das Recht des betreffenden ausländischen Staates ausdrücklich untersagt, entweder durch persönliche Zustellung der Klageschrift und der Ladung an den Beklagten, oder durch Postzustellung durch das Gericht selbst, soweit dabei der Nachweis des Erhalts durch den Beklagten sichergestellt ist (z. B. durch Einschreiben mit Rückschein), – oder nach den Anordnungen des angerufenen amerikanischen Gerichts im Einzelfall, soweit die betreffenden Maßnahmen nicht durch internationale Abkommen untersagt sind416. die besonderen Umsetzungsvorschriften des jeweiligen ausländischen Staates zu beachten; vgl. z. B. Pennsylvania Orthopedic Ass’n v. Mercedes-Benz A.G., 160 F.R.D. 58 (E.D. Pa. 1995): Zustellung in Deutschland unwirksam, wenn die zugestellten Schriftstücke nicht von einer beglaubigten Übersetzung ins Deutsche begleitet sind. 414 Dies gilt jedoch nicht insoweit, als ein Staat einen Vorbehalt gegen einzelne Vorschriften des Haager Übereinkommens eingelegt hat. Deutschland hat einen Vorbehalt gegen Artikel 8 und 10 des Übereinkommens erhoben, die die Zustellung durch persönliche Übergabe an den Empfänger (an einem anderen Ort als dessen Wohn- oder Geschäftssitz, also in den Fällen der tag jurisdiction; vgl. vorst. Rn. 247–248), auf dem Postweg und durch Ersatzzustellung an die diplomatische Vertretung des Herkunftslandes eines ausländischen Zustellungsempfängers vorsehen. Eingehend hierzu s. Geimer Rn. 2151 ff. und RESTATEMENT (THIRD) OF THE FOREIGN RELATIONS LAW OF THE UNITED STATES § 472, Reporter’s Notes 2 u. 4. 415 Ähnlich CAL. CODE CIV.PROC. § 413.10(c), allerdings mit dem Vorbehalt, dass die ausländischen Zustellungsvorschriften bzw. -anordnungen im Einzelfall so geartet sein müssen, dass die tatsächliche Kenntniserlangung des Beklagten von der Klageschrift und Ladung sichergestellt ist. 416 In diesem Rahmen ist – insbesondere bei Beklagten, die sich der Zustellung mit ordentlichen Mitteln entziehen – z. B. die Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung, auf dem Postwege an die gegenwärtige oder letzte bekannte Anschrift des Beklagten oder die Anschrift naher Verwandter, an den (amerikanischen) Anwalt des Beklagten und durch Telex für zulässig gehalten wor-

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Jurisdiction

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Zu beachten ist allerdings insoweit insbesondere, dass durch die Vorschriften über die Auslandszustellung nach FRCP Rule 4(f) die allgemeinen, in FRCP Rule 4 (e) niedergelegten Grundsätze nicht verdrängt werden. Hat deshalb die im Ausland ansässige Partei einen nach dem im Einzelfall anwendbaren bundesstaatlichen Prozessrecht zustellungsrechtlich beachtenswerten Stellvertreter in den USA (vgl. vorst. Rn. 303), so ist eine Auslandszustellung nicht erforderlich, sondern Klage und Ladung können unmittelbar dem in den USA ansässigen Stellvertreter zugestellt werden417.

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cc) An als juristische Person organisierte Handelsgesellschaften sowie an Personenmehrheiten, die unter einem gemeinsamen Namen im Rechtsverkehr auftreten, erfolgt die Zustellung gemäß FRCP Rule 4(h)(1): – nach dem Recht des Bundesstaates, in dem das angerufene Bundesgericht örtlich ansässig ist oder des Bundesstaates, in dem die Zustellung erfolgen soll418, – oder durch persönliche Zustellung der Klageschrift und der Ladung an einen zustellungsbevollmächtigten Vertreter des Unternehmens; handelt es sich bei diesem Zustellungsempfänger um einen gesetzlich bestimmten Zustellungsbevollmächtigten, zugleich des Weiteren i.d.R. durch Übersendung einer Kopie der Klageschrift an den Beklagten auf dem Postwege. Allgemein kommen auch insoweit wiederum die allgemeinen Grundsätze über die Zustellung an Stellvertreter zur Anwendung; dies gilt insbesondere auch, soden. Vgl. Rio Properties, Inc. v. Rio Int’l Interlink, 284 F.3d 1007, 1018 (9th Cir. 2002); Forum Fin. Group, LLC v. President, Fellows of Harvard College, 199 F.R.D. 22, 23-24 (D. Me. 2001); Smith v. Islamic Emirate of Afghanistan, 2001 WL 1658211 *3 (S.D.N.Y. 2001); United States v. Padilla, 2002 WL 471838 *1 (E.D. Cal. 2002) u. allg. Baicker-McKee, Janssen, Corr, Federal Civil Rules Handbook, Authors’ Commentary on Rule 4(f). In seltenen Ausnahmefällen kommt darüber hinaus mit der Fortentwicklung moderner Kommunikationsmethoden sogar die Zustellung per E-Mail in Betracht; vgl. Rio Properties, Inc. v. Rio Int’l Interlink, 284 F.3d 1007, 1018 (9th Cir. 2002). 417 Volkswagenwerk Aktiengesellschaft v. Schlunk, 486 U.S. 694 (1988); s. auch Silvous v. Pharaon, 54 F.3d 697 (11th Cir. 1995). 418 Nach Maßgabe der jeweils anwendbaren bundesstaatlichen Verfahrensordnung kann dann insbesondere auch die Zustellung am Geschäftssitz des beklagten Unternehmens zulässig sein. Vgl. vorst. Rn. 303 sowie Melkaz Int’l, Inc. v. Flavor Innovation, Inc., 167 F.R.D. 634 (E.D.N.Y. 1996) und Reed v. Weeks Marine, Inc., 166 F. Supp. 2d 1052, 1056 (E.D. Pa. 2001). – Insbesondere im Zusammenhang mit der Zustellung an ausländische Handelsgesellschaften erlangt darüber hinaus nach dem Recht einer Reihe von Bundesstaaten auch die stellvertretende Zustellung an den secretary of state des jeweiligen Staates Bedeutung.

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Klagezustellung weit Klageschrift und Ladung nicht an die beklagte Handelsgesellschaft selbst, sondern an eines ihrer Tochterunternehmen erfolgt. Dies ist wie auch sonst nur dann zulässig, wenn das Tochterunternehmen nicht selbständig organisiert ist, sondern bei Gesamtbetrachtung aller Umstände lediglich ein Strohmann-Unternehmen des Mutterkonzerns darstellt oder anderweitig so eng mit diesem verflochten ist, dass eine Anwendung der Stellvertretungsvorschriften auch im Zustellbereich angemessen erscheint419.

– Erfolgt die Zustellung außerhalb der Grenzen der U.S.-Bundesgerichtsbarkeit (d. h. im Ausland), so bestimmt sie sich grundsätzlich nach den Vorschriften über die Auslandszustellung an natürliche Personen (vgl. vorst. Rn. 307), jedoch mit Ausnahme der insoweit nicht zulässigen persönlichen Zustellung an einen Vertreter des Unternehmens. Hiervon zu unterscheiden ist wiederum die (von vornherein nicht dem Haager Übereinkommen unterliegende) Zustellung an einen inländischen Stellvertreter des ausländischen Beklagten, die grundsätzlich nur nach Maßgabe der jeweiligen amerikanischen Prozessordnung zu erfolgen hat420.

II. Wirkungen der Zustellung 1. Prozessrechtsverhältnis und gerichtliche Entscheidungsgewalt Durch die wirksame Zustellung der Ladung (nicht jedoch bereits der Klageschrift allein!) wird der Beklagte der Entscheidungsgewalt des angerufenen Gerichts unterworfen; es entsteht auch nach dem amerikanischen Prozessverständnis ein Prozessrechtsverhältnis zwischen dem Gericht und den Parteien421.

309

Im Verfahren vor den Bundesgerichten, deren Funktion sich unmittelbar aus ihrer Eigenschaft als Organe der Bundes-Staatsgewalt herleitet und deren Gerichtsgewalt als solche nach Maßgabe der aus dem Rechtsstaatsprinzip hergeleiteten Grundsätze lediglich durch die Territorialgrenzen der USA beschränkt ist, wirkt die Zustellung darüber hinaus zugleich in

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419 Volkswagenwerk Aktiengesellschaft v. Schlunk, 486 U.S. 694 (1988) und Adams v. AlliedSignal General Aviation Avionics, 74 F.3d 882, 885 (8th Cir. 1996). 420 Volkswagenwerk Aktiengesellschaft v. Schlunk, 486 U.S. 694 (1988). 421 Vgl. FRCP Rule 4(k)(1): „Service of a summons … is effective to establish jurisdiction over the person of a defendant“ (Hervorhebung durch die Verfasserin) und hierzu Omni Capital Int’l v. Rudolf Wolff & Co., 484 U.S. 97, 103 (1987) sowie Mississippi Publishing Corp. v. Murphree, 326 U.S. 438, 444-445 (1946).

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Jurisdiction

örtlicher Hinsicht zuständigkeitsbegrenzend422: Der bundesgerichtlichen Entscheidungsbefugnis unterworfen ist der Beklagte nach Maßgabe von FRCP Rule 4(k) und (n) insbesondere nur, wenn und soweit – anstelle des angerufenen Bundesgerichts auch ein unbeschränkt zuständiges Gericht (court of general jurisdiction, vgl. vorst. Rn. 166) des Bundesstaates, in dem das betreffende Bundesgericht ortsansässig ist, nach Maßgabe des long arm statute jenes Staates und der sich aus dem Rechtsstaatsprinzip ergebenden allgemeinen Grundsätze zur Entscheidung berufen wäre (FRCP Rule 4[k][1][A]), – die Art und Weise der Zustellung an den Beklagten im Einzelfall ausdrücklich bundesgesetzlich geregelt ist (FRCP Rule 4[k][1][D])423, – für Rechtsstreitigkeiten gegen den Beklagten die Gerichte keines Bundesstaates berufen wären und die Zuständigkeit der Bundesgerichte sachlich auf einen unmittelbar aus einem Bundesgesetz hergeleiteten Anspruch gegründet ist (federal question jurisdiction, vgl. vorst. Rn. 202 ff.), FRCP Rule 4(k)(2)424, – für in rem proceedings sowie diejenigen quasi in rem proceedings, die unmittelbar auf die Durchsetzung streitgegenstandsbezogener Rechte des Klägers gerichtet sind (vgl. vorst. Rn. 241–242), nach Maßgabe der 422 Omni Capital Int’l v. Rudolf Wolff & Co., 484 U.S. 97 (1987). Unbeschränkt im gesamten Bundesgebiet der USA zustellfähig sind nach ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung allerdings insbesondere Klagen vor den Bundesgerichten, die auf Wettbewerbs- und aktien- bzw. börsenrechtliche Verstöße gestützt sind; vgl. z. B. 15 U.S.C. § 22. Ob und inwieweit ggf. insoweit die allgemeinen aus dem Rechtsstaatsprinzip hergeleiteten Grundsätze (vgl. vorst. Rn. 244 ff.) gleichwohl im Einzelfall zu Beschränkungen in der Wahl des Zustellorts führen müssen, wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet. Vgl. insoweit Securities Investor Protection Corp. v. Vigman, 764 F.2d 1309, 1316 (9th Cir. 1985); Republic of Panama v. BCCI Holdings (Luxemburg), S.A., 119 F.3d 935, 945-946 (11th Cir. 1997); In re Federal Fountain, Inc., 165 F.3d 600, 601-602 (8th Cir. 1999); Peay v. BellSouth Medical Assistance Plan, 205 F.3d 1206, 1210 (10th Cir. 2000) und Pinker v. Roche Holdings, Ltd., 292 F.3d 361 (3d Cir. 2002). 423 Die Grundsätze der minimum contacts doctrine, vgl. vorst. Rn. 244 ff., beziehen sich insoweit auf die Beziehungen des Beklagten zu den Vereinigten Staaten insgesamt; vgl. SEC v. Carrillo, 115 F.3d 1540 (11th Cir. 1997). 424 Auch insoweit müssen allerdings im Verhältnis zu den Vereinigten Staaten selbst die verfassungsrechtlichen Mindestvoraussetzungen der minimum contacts doctrine gewahrt sein; vgl. im Einzelnen Omni Capital Int’l v. Rudolf Wolff & Co., 484 U.S. 97, 111 (1987) und Baicker-McKee, Janssen, Corr, Federal Civil Rules Handbook, Authors’ Commentary on Rule 4(k).

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Klagezustellung

insoweit bestehenden besonderen Bundesgesetze; i.d.R. nur dann, wenn sich die streitgegenständliche Sache selbst im Bezirk des angerufenen Gerichts befindet (FRCP Rule 4[n][1] u. 28 U.S.C. § 1655), – und für alle in rem und quasi in rem proceedings nach den insoweit maßgeblichen Vorschriften des Bundesstaates, in dem das Bundesgericht ortsansässig ist, wenn und soweit eine Zustellung an den Beklagten andernfalls überhaupt nicht nach dem in FRCP Rule 4 vorgesehenen Verfahren möglich wäre und wenn sich auch die streitgegenständliche Sache im Bezirk des angerufenen Bundesgerichts befindet. – Besondere Vorschriften bestehen schließlich auch für die Zustellung an bestimmte am Verfahren beteiligte Dritte; vgl. insoweit FRCP Rule 4(k)(1)(B) u. (C). 2. Kenntnis von der Klageerhebung a) Allgemeiner Grundsatz Unmittelbar aus dem Rechtsstaatsprinzip, und insbesondere aus dem Gebot des rechtlichen Gehörs, ergibt sich des Weiteren, dass das angerufene Gericht den Beklagten nur seiner Entscheidungsgewalt unterwerfen darf, wenn dieser vom Inhalt der Klage aufgrund von deren Zustellung hinreichende Kenntnis hat (notice requirement). Dabei muss die Zustellung ihrer Art nach im Grundsatz so gestaltet sein, dass der Beklagte unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles tatsächlich über das anhängige Verfahren Kenntnis erlangen und die Möglichkeit wahrnehmen kann, sich gegen die erhobene Klage zu verteidigen425. Nur wenn eine Partei gänzlich unerreichbar ist, kommt ihre Benachrichtigung durch öffentliche Bekanntgabe der maßgeblichen Verfahrenstatsachen, z. B. in einer größeren Tageszeitung, in Betracht.

311

b) Zustellung an Stellvertreter Verfügt eine ausländische Partei, insbesondere ein ausländisches Unternehmen, allerdings über einen in dem jeweiligen amerikanischen Forum ansässigen Vertreter, so bedarf es – ungeachtet der Vorschriften des dann bereits anfänglich nicht einschlägigen Haager Zustellungsübereinkommens – zur Wirksamkeit der Zustellung nur der Übermittlung von Kla425 Grundlegend Mullane v. Central Hanover Bank & Trust Co., 339 U.S. 306 (1950); vgl. auch Henderson v. United States, 517 U.S. 654, 672 (1996) und Nelson v. Adams, USA, Inc., 529 U.S. 460, 467 (2000).

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Jurisdiction

geschrift und Ladung an den Stellvertreter unter Berücksichtigung der Form- und Verfahrensvorschriften der jeweils geltenden amerikanischen Prozessordnung; eine gleichzeitige Zustellung an die ausländische Partei selbst ist nicht erforderlich426. Wie und in welchem Umfang der Stellvertreter sodann die notwendigen Informationen an die Partei selbst weiterleitet, liegt im Innenverhältnis zwischen diesen Beteiligten, ist jedoch für die Wirksamkeit der Zustellung unmaßgeblich. c) Beschlagnahme des Vermögens des Beklagten 313

Besondere Probleme können sich ergeben, wenn der Kläger im Wege einer action quasi in rem die Beschlagnahme eines Vermögensgegenstandes des Beklagten zur Sicherung eines anderen Anspruchs begehrt (vgl. vorst. Rn. 242); insbesondere dann, wenn der Beklagte selbst seinen Wohn- oder Geschäftssitz an einem anderen Ort hat. In diesem Fall bedarf es einer Abwägung der Interessen aller Beteiligten; regelmäßig ist dem verfassungsrechtlichen notice requirement nach höchstrichterlicher Rechtsprechung427 nur dann Genüge getan, wenn: – der Kläger den geltend gemachten Sicherungsanspruch hinreichend begründet und die zur Begründung aufgeführten Tatsachen durch eidesstattliche Versicherung (affidavit) bekräftigt, – der Kläger seinerseits eine Sicherheit hinterlegt, die geeignet ist, etwaige dem Beklagten aus der unrechtmäßigen Beschlagnahme seines Eigentums entstehende Schäden hinreichend auszugleichen, – die Beschlagnahmeanordnung von einem Richter (und nicht einem nicht-richterlichen Gerichtsbeamten) getroffen wird, – dem Beklagten das uneingeschränkte Recht zusteht, eine Aufhebung des Beschlagnahme-Beschlusses zu erwirken, die zu erfolgen hat, wenn es dem Kläger nicht gelingt, die zur Begründung seines Antrages vorgetragenen Tatsachen in vollem Umfang unter Beweis zu stellen, – und der Beklagte die beschlagnahmte Sache bereits während des noch anhängigen Verfahrens wieder in Besitz nehmen kann, wenn er seiner-

426 Volkswagenwerk Aktiengesellschaft v. Schlunk, 486 U.S. 694 (1988). 427 Grundlegend jetzt Mitchell v. W.T. Grant Co., 416 U.S. 600 (1974); vgl. darüber hinaus auch bereits Sniadach v. Family Fin. Corp., 395 U.S. 337 (1969); Fuentes v. Shevin, 407 U.S. 67 (1972) und North Georgia Finishing, Inc. v. DiChem, Inc., 419 U.S. 601 (1975).

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Klagezustellung

seits eine hinreichende Sicherheit stellt (i.d.R. 125 % der Klageforderung oder des Sachwertes, wenn dieser geringer ist). Darüber hinaus darf über die beantragte Beschlagnahme nicht ohne vorherige Gewährung rechtlichen Gehörs an den Beklagten entschieden werden, wenn der dem Beklagten andernfalls drohende Schaden die Kosten der Beschlagnahme selbst erheblich übersteigen würde428.

314

Die Voraussetzungen der Beschlagnahme von Vermögensgegenständen im Rahmen der Zuständigkeitsbegründung sind damit strenger als diejenigen der Beschlagnahme im Wege der Zwangsvollstreckung; vgl. FRCP Rule 69 und vorst. Rn. 32 ff.

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d) Verzicht auf die Benachrichtigung Unter engen Voraussetzungen ist es dem Beklagten schließlich möglich, wirksam auf den Schutz des verfassungsrechtlichen Benachrichtigungsgebots zu verzichten. Ein solcher Verzicht, insbesondere im Rahmen einer sogenannten cognovit note oder confession of judgment, auf deren Grundlage ein Gläubiger gegen den Unterzeichner der Urkunde bei Fälligkeit und Nichtbegleichung der darin niedergelegten Forderung ein Urteil erwirken kann, ohne den Schuldner zuvor uber die Klageerhebung in Kenntnis setzen zu müssen, ist jedoch nur wirksam, wenn der Verzicht aus freien Stücken und in voller Kenntnis aller maßgeblichen Umstände abgegeben wird; darüber hinaus muss die zugrundeliegende Verfahrensordnung i.d.R. die Möglichkeit vorsehen, das Urteil auf Antrag des Schuldners und bei Darlegung von erheblichen Klageabweisungsgründen wieder aufzuheben429.

428 Connecticut v. Doehr, 501 U.S. 1 (1991). 429 D.H. Overmeyer Co. v. Frick Co., 405 U.S. 174 (1972).

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Kapitel 5: Prozessleitende Schriftsätze: Die Pleading Stage zu Beginn des Verfahrens

Weiterführende Literatur: Baicker-McKee, Janssen, Corr, Federal Civil Rules Handbook; Clermont, Civil Procedure; Dessem, Pretrial Litigation in a Nutshell; Field, Kaplan, Clermont, Civil Procedure; Schack, Einführung in das US-amerikanische Zivilprozessrecht; Schwarzer, Tashima, Wagstaffe, Federal Civil Procedure Before Trial; Siegel, New York Practice; Wright, Miller, Federal Practice and Procedure.

317

Im Gegensatz zum deutschen Zivilprozess kommt im amerikanischen Verfahren den von den Parteien ausgetauschten Schriftsätzen – mit Ausnahme der motion proceedings, insbesondere der summary judgment motion, vgl. nachf. Rn. 524 ff. – nur eine relativ untergeordnete Bedeutung zu. Dies gilt insbesondere für die in FRCP Rule 7(a) abschließend bezeichneten prozessleitenden Schriftsätze, die sogenannten pleadings, nämlich Klage (complaint), Klageerwiderung zur Sache (answer), die ausnahmsweise zulässige Erwiderung (reply) auf eine ausdrücklich so bezeichnete, in der answer enthaltene Widerklage (counterclaim) sowie gegebenenfalls eine Drittwiderklage (third party complaint oder impleader), die Inanspruchnahme einer Mitpartei auf derselben Seite des Rechtsstreits (cross claim) und die Erwiderungsschriften der solchermaßen in Anspruch genommenen Parteien (third party answer und answer to cross complaint).

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Ihre Begründung findet die geringere Bedeutung des schriftsätzlichen Vortrages jedoch nicht nur in der Begrenzung der zulässigen Zahl und Arten der verschiedenen Schriftsatztypen; sondern zum einen im Zeitpunkt des Schriftsatzaustausches und zum anderen – und insbesondere – in deren Zweckbestimmung. Denn diese dienen lediglich der Begründung des Prozessrechtsverhältnisses430 und der Darstellung der wesentlichen, tatsächlichen und rechtlichen Elemente des Rechtsstreits: Gegner und Gericht 430 Hieran geknüpft ist nicht nur die allgemeine Entscheidungsgewalt des angerufenen Gerichts, sondern insbesondere auch der Begriff der appearance, der zwar verfahrenstechnisch nicht mit dem Verhandeln zur Sache im Sinne von § 333 ZPO zu vergleichen ist, jedoch insbesondere im Zusammenhang mit dem Säumnisverfahren eine vergleichbare Wirkung entfaltet; vgl. nachf. Rn. 507 ff.

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Schriftsatzform und -inhalt: Allgemeine Vorschriften

soll die Möglichkeit eingeräumt werden, sich auf die Rechtsnatur der geltend gemachten Ansprüche und Einreden sowie generell auf die zugrundeliegenden Tatsachenbehauptungen einzustellen; Klage und Klageerwiderung sollen (und können i.d.R. auch noch gar nicht) mit der Vielzahl der insoweit zur Substantiierung erforderlichen Einzelheiten überfrachtet werden (sog. notice pleading)431. Die Entwicklung des tatsächlichen Streitstoffes im Detail ist demgegenüber in den Bereich der discovery verlagert432, während die wesentlichen Rechtsfragen – allen voran die Klärung, ob der Streit der Parteien sich bereits in vom (Berufs-)Richter allein zu entscheidenden Rechtsfragen erschöpft oder der Durchführung eines trial, also der Beweisaufnahme vor einem Tatsachenrichter (in aller Regel der Jury), bedarf – im Rahmen von motions, insbesondere der summary judgment motion, abgehandelt werden433.

A. Schriftsatzform und -inhalt: Allgemeine Vorschriften Im Gegensatz zu den FEDERAL RULES OF APPELLATE PROCEDURE, den Prozessordnungen der Bundesstaaten und den zu den Prozessordnungen hinzutretenden local rules der einzelnen Gerichte – und zwar auf allen Gerichtsebenen – beschränken sich die für die Tätigkeit der erstinstanzlichen Bundesgerichte maßgeblichen FEDERAL RULES OF CIVIL PROCEDURE auf die Festlegung nur einiger Grundregeln zu Form und Inhalt der Schriftsätze, die weitgehend von dem geschilderten Bemühen um die Reduzierung des Vortrages auf das absolut erforderliche Mindestmaß getragen sind434.

431 Conley v. Gibson, 355 U.S. 41, 47 (1957). Der dezidierte Sachvortrag nach deutschem Vorbild ist in den USA demgegenüber unter dem Stichwort fact pleading bekannt. Die moderne amerikanische Regelung unterscheidet sich jedoch nicht nur von diesem Parteivortragsverständnis, sondern auch von dem traditionelleren und oftmals unpraktikablen common law-Erfordernis des issue pleading, d. h. der Reduzierung des Streitstoffes auf eine einzige Tatsachen- oder Rechtsfrage. 432 Vgl. nachf. Kapitel 6. 433 Zu Bedeutung und Hintergrund des notice pleading s. u. a. Siegel, New York Practice § 207; zur summary judgment motion vgl. nachf. Rn. 524 ff. 434 Vgl. FRCP Rule 84, die ausdrücklich darauf hinweist, dass die den RULES im Anhang beigefügten Musterschriftsätze der Verdeutlichung der Einfachheit und Kürze der vorgesehenen Darstellung dienen sollen („intended to indicate the simplicity and brevity of statement which the rules contemplate“).

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Prozessleitende Schriftsätze: Die Pleading Stage zu Beginn des Verfahrens

320

Die in den FEDERAL RULES OF CIVIL PROCEDURE insoweit festgelegten Grundsätze stellen i.d.R. zugleich auch die Mindest-Erfordernisse des schriftsätzlichen Vorbringens vor den Gerichten der Bundesstaaten dar, so dass die nachfolgende Darstellung beispielhaft ganz weitgehend auch für diese gelten kann435. I. Rubrum

321

Das Rubrum (caption) jedes Schriftsatzes bezeichnet gemäß FRCP Rule 10(a) lediglich das angerufene Gericht, die Parteien, das Aktenzeichen und die Art des Schriftsatzes (Klage, Klageerwiderung etc.).

322

Entgegen § 130 Nr. 1 ZPO genügt insoweit die Angabe der Parteinamen; diejenige der Zustellanschrift ist unüblich und auch entbehrlich, da die Zustellung ohnehin in der Hand der Parteien liegt; vgl. vorst. Rn. 296 ff. In Klage- und Rechtsmittelschriften bedarf es des Weiteren aber der vollständigen Benennung aller Parteien; nur ausdrücklich im dortigen Rubrum erwähnte Verfahrensbeteiligte sind Parteien des Rechtsstreits bzw. des Rechtsmittelverfahrens436. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Kläger die genaue Identität eines oder mehrerer Beklagter erst im Rahmen der discovery ermitteln kann und deshalb gezwungen ist, diese zunächst durch das Pseudonym „Doe“ und eine Beschreibung in den Klagegründen zu bezeichnen437. In auf die Klage- bzw. Rechtsmittelschrift folgenden Schriftsätzen ist die Verwendung eines Kurzrubrums und insbesondere auch die Zusammenfassung mehrerer Mitparteien unter der Bezeichnung „et al.“ zulässig und insbesondere bei größeren Parteimehrheiten u. U. auch wünschenswert.

II. Schriftsatzinhalt und -gliederung 323

Gemäß FRCP Rule 10(b) sind die prozessleitenden Schriftsätze in fortlaufend numerierte Absätze zu unterteilen, deren jeweiliger Inhalt im Interesse der Klarheit der Darstellung nach Möglichkeit auf den Vortrag einer einzigen Tatsachen- oder Rechtsfrage beschränkt werden sollte. Diese Regelung verdeutlicht das mit dem notice pleading verfolgte Ziel der Vereinfachung und Entflechtung des schriftsätzlichen Vortrages. Dabei obliegt jeder Partei die Darlegungslast für die ihr jeweils günstigen Tatsachen, wobei – wiederum entsprechend den Grundsätzen des notice pleading – die Darstellung sich auf eine komprimierte Wiedergabe der für die Entscheidung wesentlichen Umstände beschränken sollte; vgl. FRCP Rule 8(e)(1). 435 S. z. B. N.Y.C.P.L.R. §§ 3013-3023. 436 Vgl. W.N.J. v. Yocom, 257 F.3d 1171, 1172 (10th Cir. 2001) und FRAP Rule 3(c). 437 Vgl. Dean v. Barber, 951 F.2d 1210 (11th Cir. 1992) und nachf. Rn. 668. Zur Verwendung von Pseudonymen in anderen Fällen s. Baicker-McKee, Janssen, Corr, Federal Civil Rules Handbook, Authors’ Commentary on Rule 10(a).

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Schriftsatzform und -inhalt: Allgemeine Vorschriften

Wenngleich die insoweit erforderliche Detailtreue von Fall zu Fall je nach Kompliziertheit des zugrundeliegenden Sachverhalts und der zur Entscheidung anstehenden Rechtsfragen unterschiedlich sein wird, stellen die FEDERAL RULES OF CIVIL PROCEDURE selbst insoweit keine dezidierten Anforderungen438 und verlangen (in Rule 9) eine dezidiertere Darstellung (pleading with specificity) nur in Bezug auf bestimmte Umstände439, nämlich: – die Geltendmachung der Prozessunfähigkeit (lack of capacity to litigate), – die Berufung auf Täuschung (fraud)440 und rechtlich beachtlichen Irrtum (mistake)441,

438 Vgl. z. B. für die Klageschrift FRCP Rule 8(a)(2): „[A] short and plain statement of the claim showing that the pleader is entitled to relief.“ Zur stark einzelfallbezogenen Auslegung dieses Erfordernisses in der Rechtsprechung vgl. Baicker-McKee, Janssen, Corr, Federal Civil Rules Handbook, Authors’ Commentary on Rule 8 Fn. 8-15 u. 29. Dabei ist zu große Detailtreue insbesondere in der Klageschrift regelmäßig nicht nur in tatsächlicher Hinsicht verfrüht und darüber hinaus dem Risiko ausgesetzt, bereits auf einen klageerwidernden Antrag gemäß FRCP Rule 12 (vgl. nachf. Rn. 350 ff.) zur Verfahrensbeendigung durch Klageabweisung zu führen – s. insoweit z. B. Johnson v. Methodist Medical Center of Illinois, 10 F.3d 1300, 1305 (7th Cir. 1993), cert. denied, 511 U.S. 1107 (1994) – sondern kann im Extremfall sogar zur sanktionsweisen Abweisung solcher Klagen führen, die nicht einmal den Versuch unternehmen, sich auf eine prägnante Darstellung der wesentlichen Tatsachen zu beschränken. Vgl. hierzu Magluta v. Samples, 256 F.3d 1282, 1284 (11th Cir. 2001) und Kuehl v. Federal Deposit Ins. Corp., 8 F.3d 905 (1st Cir. 1993). Zu den Grenzen des „Nachschiebens“ weiterer Klageabweisungsgründe nach detailliertem Vortrag zu einzelnen Einwendungen in der sachlichen Klageerwiderung s. z. B. Siegel, New York Practice § 223 m. w. N. 439 Zu den teilweise weiter gehenden Anforderungen nach dem Recht einzelner Bundesstaaten s. z. B. N.Y.C.P.L.R. §§ 3015, 3016. U.a. bedarf es danach auch der Darlegung etwa in Anspruch genommener ausländischer Rechtssätze; vgl. N.Y.C.P.L.R. § 3016(e). 440 Und zwar sowohl insoweit, als die behauptete Täuschung Bestandteil der vom Kläger geltend gemachten Anspruchsgrundlage ist, als auch insoweit, als es sich dabei um eine Einrede des Beklagten handelt. Eine Täuschung liegt dabei regelmäßig in einer (1) wissentlich (2) falschen oder unvollständigen Tatsachenbehauptung, (3) die jedoch vom Erklärungsempfänger geglaubt (4) und zur Grundlage einer nachteiligen Entscheidung gemacht wird, (5) wobei dies auch der Absicht des Täuschenden entsprach. Vgl. Williams v. WMX Technologies, Inc., 112 F.3d 175, 177 (5th Cir.), cert. denied, 522 U.S. 966 (1997); s.a. CAL. CIV. CODE §§ 1571-1574 u. allg. Baicker-McKee, Janssen, Corr, Federal Civil Rules Handbook, Authors’ Commentary on Rule 9(b). 441 Zu der im Wesentlichen einzelfallbezogenen Rechtsprechung betreffend die Vortragslast hinsichtlich der Voraussetzungen von Täuschung und Irrtum s.

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Prozessleitende Schriftsätze: Die Pleading Stage zu Beginn des Verfahrens

– das Bestreiten ordnungsgemäßer Leistung (denial of performance), – das Bestreiten eines Bedingungseintritts (denial of the occurrence of a condition precedent) – sowie die Geltendmachung besonders begründungsbedürftiger Schadensersatzansprüche (special damages)442. 324

Gleichfalls im Interesse der Klarheit der Darstellung sind die prozessleitenden Schriftsätze darüber hinaus in Abschnitte zu unterteilen, von denen je einer jeder einzelnen Klageforderung (claim, count) – bestehend sowohl aus dem eigentlichen Klageantrag, i.d.R. unter Nennung der jeweiligen Anspruchsgrundlage, als auch aus den zugrundeliegenden Tatsachen – und jedem der Klage entgegenstehenden Einwand des Beklagten (defense) gewidmet sein sollte (FRCP Rule 10[b])443.

325

Getreu den Grundsätzen des adversary system, vgl. vorst. Rn. 194 ff., sind die Parteien dabei insbesondere auch zur Darstellung der rechtlichen Grundlage ihres schriftsätzlichen Vorbringens verpflichtet; das Gericht

Baicker-McKee, Janssen, Corr, Federal Civil Rules Handbook, Authors’ Commentary on Rule 9 Fn. 10-27. 442 Hierzu zählen diejenigen Schadensersatzansprüche, deren Bestehen für den Beklagten nicht bereits aufgrund des schädigenden Ereignisses selbst ohne weiteres erkennbar ist; insbesondere psychische Schäden, Anwaltskosten und Schadensersatzansprüche mit Strafcharakter (punitive damages); vgl. z. B. United Indus., Inc. v. Simon-Hartley, Ltd., 91 F.3d 762 (5th Cir. 1996); Botosan v. Fitzhugh, 13 F. Supp. 2d 1047, 1053 (S.D. Cal. 1998) und Teel v. United Technologies Pratt & Whitney, 953 F. Supp. 1534, 1537 (S.D. Fla. 1997). Insoweit können auch noch weitere Formvorschriften bestehen; so hat z. B. der einen solchen Schadensersatzanspruch geltend machende Kläger in Kalifornien dem Beklagten eine gesonderte Hinweisschrift zuzustellen, aus der sich insbesondere auch die Höhe der geforderten punitive damages im Einzelnen ergibt (vgl. CAL. CODE CIV.PROC. § 425.115). 443 Soweit, was häufig der Fall ist, die mehreren Klageansprüchen zugrunde liegenden Tatsachen die gleichen sind, ist es zulässig, auf den insoweit in einem vorhergehenden Abschnitt erfolgten Vortrag zu verweisen; vgl. FRCP Rule 10(c). Zulässig und gebräuchlich ist danach auch die Beifügung und Inbezugnahme urkundlicher Beweismittel; allerdings sind diese hierdurch allein i.d.R. noch nicht Entscheidungsgrundlage, sondern erst dann, wenn sie entsprechend den beweisrechtlichen Vorschriften im Verlauf der Hauptverhandlung (trial) – oder wenn es zu einer solchen nicht kommt, entsprechend den Regeln des summary judgment-Verfahrens – in den Prozess eingeführt worden sind. Vgl. nachf. Rn. 528 u. 591 ff. und allgemein Baicker-McKee, Janssen, Corr, Federal Civil Rules Handbook, Authors’ Commentary on Rule 10(c).

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Schriftsatzform und -inhalt: Allgemeine Vorschriften

nimmt, von wenigen Ausnahmen abgesehen444, keinerlei Prüfung der Rechtslage von Amts wegen vor. Aus den gleichen Gründen kennt das amerikanische Zivilprozesssystem keine von Amts wegen beachtlichen Einwendungen; alle diesem zur Seite stehenden Rechtstatsachen sind ihrer Natur nach vielmehr Einreden, die nur aufgrund ausdrücklicher Geltendmachung berücksichtigt werden. Zulässig (und aus Präklusionsgründen auch i.d.R. notwendig, vgl. nachf. Rn. 754 ff.) ist die Anspruchshäufung, also die Geltendmachung einer unbegrenzten Vielzahl einzelner Forderungen in ein- und derselben Klage (vgl. FRCP Rule 18[a]); zu beachten ist insoweit allerdings, dass auch mehrere Forderungen mit gleichartigen Klagezielen (z. B. mehrere Ansprüche auf Geldzahlung) so gut wie nie in einem Antrag zusammengefasst sondern, dem Gebot von FRCP Rule 10(b) entsprechend, nacheinander in getrennten Abschnitten abgehandelt werden. Dabei ist auch die Geltendmachung inhaltlich widerstreitender Ansprüche und Einwendung im Hauptund Hilfs-, Alternativ- und hypothetischen Verhältnis ausdrücklich zugelassen, vgl. FRCP Rule 8(e)(2), desgleichen die Erhebung einer Stufenklage (FRCP Rule 18[b]); allerdings sollte das Parteivorbringen insoweit hinreichend deutlich zum Ausdruck bringen, in welchem Verhältnis die erhobenen Ansprüche und Einwendungen zueinander stehen445.

326

Darüber hinaus sind die Parteien an ihren schriftsätzlichen Tatsachenvortrag im Einzelnen insoweit gebunden, als sie im Verlaufe des Verfahrens keine hiervon abweichende Position mehr einnehmen können (sog. judicial admissions oder estoppel). Gerade auch aus diesem Grunde sollte sich der Parteivortrag deshalb stets auf den im Rahmen des notice pleading erforderlichen Umfang beschränken.

327

III. Unterschrift Durch seine Unterschrift am Ende des Schriftsatzes bestätigt der Anwalt (oder die nicht vertretene Partei selbst) die Richtigkeit und Vollständigkeit der aufgestellten Tatsachen- und Rechtsbehauptungen sowie dass 444 Die wohl wichtigste Ausnahme ist insoweit das Fehlen der sachlichen Zuständigkeit, vgl. vorst. Rn. 201. 445 Holman v. Indiana, 211 F.3d 399, 407 (7th Cir.), cert. denied, 531 U.S. 880 (2000). Innerhalb der Begründung der einzelnen Ansprüche und Einwendungen muss der Tatsachenvortrag außerdem frei von Widersprüchen sein; vgl. In re Livent, Inc. Noteholders Security Litigation, 151 F. Supp. 2d 371 (S.D.N.Y. 2001). – Zur subjektiven Klagehäufung, insbesondere auch im Zusammenhang mit Sammelklagen (class actions, complex litigation), und der Beteiligung Dritter am Rechtsstreit s. desw. nachf. Kapitel 9.

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Prozessleitende Schriftsätze: Die Pleading Stage zu Beginn des Verfahrens

der schriftsätzliche Vortrag nicht ausschließlich der Schikane des Gegners oder anderen unlauteren Motiven dient; vgl. FRCP Rule 11446. IV. Eidesstattliche Erklärungen 329

Vor In-Kraft-Treten der FEDERAL RULES OF CIVIL PROCEDURE war ein weit verbreitetes Erfordernis zudem die Bekräftigung der Vollständigkeit und Richtigkeit des Schriftsatzinhalts durch eidesstattliche Erklärung der vertretenen Partei (verification)447. FRCP Rule 11 und ihr folgend auch die Prozessordnungen der meisten Bundesstaaten448 geben dieses Erfordernis weitgehend auf; allerdings besteht die Verifikationspflicht nach Maßgabe besonderer Vorschriften im Einzelfall noch fort, z. B. im Zusammenhang mit bestimmten Formen gesellschaftsrechtlicher Ansprüche (shareholder derivative actions, vgl. Rule 23.1 u. nachf. Rn. 701 ff.).

B. Die Klageschrift (Complaint) Gemäß FRCP Rule 8(a) besteht die Klageschrift über die allgemeinen Erfordernisse hinaus im Wesentlichen aus drei Bestandteilen: I. Vortrag zu den Prozessführungsvoraussetzungen 1. Gerichtliche Zuständigkeit 330

Da die Bundesgerichte keine courts of unlimited jurisdiction sind, sondern ihre Zuständigkeit insbesondere in sachlicher Hinsicht an bestimmte Grundvoraussetzungen geknüpft ist, muss der Kläger am Beginn jeder vor einem Bundesgericht angebrachten Klage ausdrücklich zu dessen sachlicher Zuständigkeit vortragen, vgl. FRCP Rule 8(a)(1)

446 Ebenso z. B. CAL. CODE CIV.PROC. § 128.7. Die Regelungen steht damit im unmittelbaren Zusammenhang mit den besonderen standesrechtlichen Verpflichtungen des als Prozessbevollmächtigter auftretenden Anwalts, vgl. vorst. Rn. 95 ff., und sichert diese durch die parallele Androhung auch gerichtlicher Sanktionen im Missbrauchsfall ab. Zum Inhalt der bestehenden Pflichten s. im Einzelnen Baicker-McKee, Janssen, Corr, Federal Civil Rules Handbook, Authors’ Commentary on Rule 11 m. zahlr. w.N. 447 Zu Form und Inhalt der Erklärung, soweit nach wie vor von Bedeutung, vgl. 28 U.S.C. § 1746. 448 Z. B. CAL. CODE CIV.PROC. § 128.7(a).

158

Die Klageschrift (Complaint)

(jurisdictional allegation)449. In den bundesstaatlichen Prozessordnungen entfällt dieses Erfordernis häufig mit Rücksicht auf die vorstehend Rn. 166 erörterte sachlich unbeschränkte Zuständigkeit ihrer Eingangsgerichte, jedoch sind in der Praxis auch dort zumindest Angaben zur örtlichen Zuständigkeit des angerufenen Gerichts üblich450. 2. Partei- und Prozessfähigkeit Usus ist es des Weiteren auch, die Angaben zur gerichtlichen Zuständigkeit mit einer Darstellung der für die aktive und passive Partei- und Prozessfähigkeit maßgeblichen Umstände zu verbinden, obwohl diese – ähnlich wie Fragen der örtlichen Zuständigkeit und der Ordnungsmäßigkeit der Klagezustellung – im Grundsatz erst auf spezifisches Bestreiten hin erheblich werden; vgl. FRCP Rule 9(a) (specific negative averment)451.

331

Nach Maßgabe von FRCP Rule 17(b) richtet sich insbesondere die Prozessfähigkeit dabei auch im Verfahren vor den Bundesgerichten im Grundsatz nach dem Recht des Bundesstaates, in dem das jeweilige Gericht örtlich ansässig ist; bei als juristische Person organisierten Handelsgesellschaften allerdings nach dem Recht desjenigen Staates, in dem die Gesellschaft inkorporiert ist. Nicht als juristische Person organisierte Personengemeinschaften sind vor den Bundesgerichten im Rahmen der federal question jurisdiction (vgl. vorst. Rn. 202 ff.) unmittelbar aufgrund

332

449 Zur Nachbesserung unzureichenden Vortrages vgl. insoweit 28 U.S.C. § 1653. Den Kläger trifft auch dann die volle Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen der bundesgerichtlichen Zuständigkeit, wenn diese erst auf eine Rüge des Beklagten hin im Streit ist; vgl. Thomson v. Gaskill, 315 U.S. 442 (1942) und Lujan v. Defenders of Wildlife, 504 U.S. 555, 561 (1992). Allgemein s. insoweit Baicker-McKee, Janssen, Corr, Federal Civil Rules Handbook, Authors’ Commentary on Rule 12(b)(1) m. zahlr. w. N. 450 Ausdrücklich vorgeschrieben ist der Vortrag zur sachlichen Zuständigkeit des angerufenen Gerichts auch im Verfahren vor den Bundesstaatsgerichten allerdings u. U., wenn es sich bei dem angerufenen Gericht um einen court of limited jurisdiction handelt; vgl. z. B. CAL. CODE CIV.PROC. § 396a. Gebräuchlich ist der Vortrag zur örtlichen Zuständigkeit des angerufenen Gerichts darüber hinaus auch im Verfahren vor den Bundesgerichten; zwingend vorgeschrieben ist er mit Rücksicht darauf, dass solche Zuständigkeitsmängel grundsätzlich nur auf eine Rüge des Beklagten beachtlich sind, jedoch nicht. Vgl. Caribbean Broadcasting Systems, Ltd. v. Cable & Wireless P.S.C., 148 F.3d 1080, 1090 (D.C. Cir. 1998). 451 Eines Bestreitens der Partei- oder Prozessfähigkeit bedarf es allerdings nicht, wenn und soweit sich deren Fehlen bereits aus dem entsprechenden Klagevortrag selbst ergibt.

159

Prozessleitende Schriftsätze: Die Pleading Stage zu Beginn des Verfahrens

von FRCP Rule 17(b) prozessfähig; im Rahmen der diversity jurisdiction bestimmt sich ihre Prozessfähigkeit nach dem jeweils anwendbaren bundesstaatlichen Rechtssystem. 333

Über die allgemeinen Fragen der Prozessfähigkeit hinaus stellen die Rechtssysteme einer Reihe von Bundesstaaten eine Reihe zusätzlicher Voraussetzungen hinsichtlich der Prozessführungsbefugnis ausländischer Handelsgesellschaften auf. So sind diese oftmals nur dann berechtigt, ihren Geschäften in dem jeweiligen Staat nachzugehen, wenn sie dort gewerblich angemeldet sind; und selbst wenn ihre mangelnde Anmeldung nicht bereits der Klageerhebung als solcher entgegensteht, wird sie regelmäßig auf entsprechenden Antrag des Beklagten zur Klageabweisung oder zumindest zur Verfahrensaussetzung bis zur Nachholung der Anmeldung führen, da auch die Prozessführung als Geschäftstätigkeit in diesem Sinne gilt452.

334

Minderjährige und Geschäftsunfähige sind stets prozessunfähig; ihre Rechte müssen prozessual von ihrem jeweiligen gesetzlichen Vertreter wahrgenommen werden; FRCP Rule 17(c). II. Anspruchsschilderung

335

Kernbestandteil der Klageschrift ist die sodann folgende Anspruchsschilderung (statement of claim), vgl. FRCP Rule 8(a)(2), die in Form und Inhalt den vorstehend Rn. 323 ff. dargestellten allgemeinen Grundsätzen zu folgen hat. III. Klageanträge

336

Die Klageschrift schließt gemäß FRCP Rule 8(c)(3) mit der Antragstellung (demand for judgment), wobei jedem geltend gemachten Klageanspruch (count, s.o. Rn. 324) regelmäßig ein gesonderter Antrag zugeordnet ist. In diametralem Gegensatz zum Antragsverständnis etwa der §§ 253 Abs. 2 Nr. 2, 308 ZPO ist das Gericht jedoch im Grundsatz nicht an die ausdrücklich gestellten Anträge gebunden, sondern darf und muss – soweit nach der sich aus dem Parteivortrag ergebenden Rechtslage begründet – das zusprechen, worauf der Kläger materiell einen Anspruch hat; vgl. FRCP Rule 54(c)453. 452 Vgl. z. B. 8 DE CODE §§ 383-384 (Delaware); CAL. CORP. CODE §§ 2100-2117 (Kalifornien); 11A V.S.A. § 15.02 (Vermont), ALA. CODE § 10 – 2B-15.02 (Alabama) und N.Y. BUS. CORP. L. § 1312 (New York). 453 Vgl. z. B. Avitia v. Metropolitan Club of Chicago, Inc., 49 F.3d 1219, 1229 (7th Cir. 1995) (Höhe des geltend gemachten Schadensersatzanspruches); ähnlich auch CAL. CODE CIV.PROC. § 580(a). Anders verhält es sich jedoch, wenn der

160

Die Klageschrift (Complaint) Dabei handelt es sich jedoch nur scheinbar um eine Durchbrechung des Grundsatzes, dass das Gericht keine Prüfung der Rechtslage von Amts wegen vorzunehmen hat, denn auch insoweit stellt das Gericht keinerlei über den Parteivortrag hinausgehende eigenständige Prüfung an. Vielmehr ist die Regelung Ausfluss des im amerikanischen Zivilprozess der Gewährung materieller Gerechtigkeit eingeräumten Vorrangs vor Formvorschriften und kommt als solche insbesondere auch der anwaltlich nicht vertretenen Partei zugute. Zugleich ist sie Ausdruck der untergeordneten Bedeutung, die dem eigentlichen Klageantrag zumindest nach dem Verständnis der FEDERAL RULES OF CIVIL PROCEDURE beigemessen wird: Danach kann der Antrag, muss jedoch nicht notwendigerweise zur Bestimmung des Streitgegenstandes herangezogen werden; Letzterer ergibt sich vielmehr vorrangig aus einer Betrachtung des Sachvortrages zu den geltend gemachten Forderungen und Einreden sowie des Weiteren des Ergebnisses der Beweisaufnahme454.

337

Nicht alle auf Bundesstaatsebene existierenden Prozessordnungen sehen eine vergleichbare Regelung vor; vereinzelt ist dem Gericht das Absehen von den ausdrücklich gestellten Anträgen nur dann gestattet, wenn auch dies von den Parteien ausdrücklich beantragt ist. Es ist deshalb üblich – und zwar trotz FRCP Rule 54(c) auch im Verfahren vor den Bundesgerichten –, die Klageanträge stets mit einem solchen Auffangantrag zu beenden, um Rechtsnachteile auf jeden Fall auszuschließen („Plaintiff further requests such other relief as this Court may find just and equitable/may grant“).

338

Kläger, wie nach den local rules vieler Gerichte erforderlich, später in Vorbereitung einer (final) pretrial conference seine Klageziele und -anträge noch einmal ausdrücklich formuliert (vgl. z. B. EASTERN DISTRICT OF PENNSLYVANIA Rule 16.1[c][3] u. [d][2][b][3]); hieran sind sodann zumeist sowohl die Parteien als auch das Gericht ausdrücklich gebunden. Auch wenn der Kläger im Verlauf des Prozesses sein Klageziel mehrfach durch ausdrücklichen schriftlichen und mündlichen Vortrag auf den Inhalt der ausdrücklich formulierten Klageanträge beschränkt hat, sind sowohl er selbst als auch das erkennende Gericht hieran in der Folge gebunden; insbesondere kommt unter diesen Voraussetzungen keine Zuerkennung von Schadensersatz mehr in Betracht, wenn die Klage ausdrücklich und nach den wiederholten Prozesserklärungen des Klägers nur auf Feststellungsbegehren sowie auf die Vornahme oder Unterlassung bestimmter Handlungen gerichtet ist, vgl. Seven Words LLC v. Network Solutions, 260 F.3d 1089, 1098 (9th Cir. 2001). Allgemein zu den inhaltlichen Anforderungen an die Antragsformulierung s. Baicker-McKee, Janssen, Corr, Federal Civil Rules Handbook, Authors’ Commentary on Rule 8(a). 454 Minyard Enters. v. Southeastern Chem. & Solvent Co., 184 F. 373 (4th Cir. 1999).; ebenso zu den entsprechenden Vorschriften des Prozessrechts des Bundesstaates New York (N.Y.C.P.L.R. §§ 3017[a] u. 3025[c]) Siegel, New York Practice § 209 u. § 217 m. w. N.

161

Prozessleitende Schriftsätze: Die Pleading Stage zu Beginn des Verfahrens

C. Die Erwiderung des Beklagten 339

Die erste Entscheidung, die der Beklagte nach Zustellung der Klageschrift treffen muss, ist diejenige, ob er sich unmittelbar zur Sache auf die Klage einlassen oder zunächst prozessuale Einwände geltend machen will; hiernach bestimmt sich das auf die Klagezustellung folgende weitere Verfahren. I. Klageerwiderungsschrift (Answer)

340

Stehen dem Beklagten in erster Linie materiellrechtlich begründete Einwände und den Klagebehauptungen widerstreitende Tatsachen zur Seite, so sind diese binnen 20 Tagen in einer Klageerwiderungsschrift (answer) geltend zu machen; vgl. FRCP Rule 12(a)(1). 1. Bestreiten des Klagevortrags a) General Denial

341

Zulässig ist nach den Prozessordnungen vieler Bundesstaaten nach wie vor das pauschale Bestreiten aller Behauptungen in der Klageschrift, welches selbstverständlich den Vorteil hat, dass nicht einzelne Tatsachen als zugestanden gelten, die der Beklagte versehentlich vergessen hat, zu bestreiten, oder deren Bestreiten anderweitig nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit aus dem Beklagtenvorbringen ersichtlich ist455. b) Specific Denial

342

Die FEDERAL RULES OF CIVIL PROCEDURE verbieten ein solches Pauschal-Bestreiten jedoch und sehen stattdessen die Gegenüberstellung jeder Klagebehauptung mit einer (identisch numerierten) kurzen Sacherwiderung vor, aus der sich ergibt, ob und in welchem Umfang die Behauptung zugestanden oder bestritten wird; alle nicht ausdrücklich bestrittenen Be-

455 Vgl. z. B. CAL. CODE CIV.PROC. § 431.30(b)(1) u. (d); handelt es sich allerdings um eine mit einer eidesstattlichen Versicherung des Klägers untermauerte Klage (verified complaint), so bedarf es auch insoweit des Bestreitens jeder einzelnen Behauptung in der Klageschrift. – Die gängige Formulierung eines general denial lautet in etwa: „Defendant denies each and every allegation, and each and every claim resting on such allegation in whole or in part, contained in the complaint.“

162

Die Erwiderung des Beklagten

hauptungen gelten dabei im Grundsatz als zugestanden (vgl. FRCP Rule 8[b] und [d]). Auch im Rahmen des specific denial genügt i.d.R. jedoch der Hinweis, dass die betreffende Klagebehauptung (überhaupt) bestritten werde, verbunden gegebenenfalls mit einer knappen, prägnanten Begündung; vgl. FRCP Rule 8(b). Lediglich zu ausgewählten Einwendungen ist ein dezidierterer Vortrag erforderlich, vgl. vorstehend Rn. 323.

343

c) Qualified General Denial Zulässig ist jedoch in Umkehrung der vorstehend genannten Grundregel auch nach Maßgabe der FEDERAL RULES OF CIVIL PROCEDURE das pauschale Bestreiten aller nicht ausdrücklich zugestandenen Tatsachen; vgl. FRCP Rule 8(b).

344

d) Bestreiten und unvollständige Tatsachenkenntnis Üblich und auch nach FRCP Rule 8 ausdrücklich zugelassen ist des Weiteren insbesondere das Bestreiten „nach bestem Wissen und Gewissen“ (denial upon knowledge and belief) oder gestützt auf unzureichende Kenntnis von den behaupteten Tatsachen (lack of sufficient knowledge and information to admit or deny)456: Klage und Klageerwiderung werden, wie erörtert, zu einem Zeitpunkt ausgetauscht, zu dem der tatsächliche Streitstoff beiden Parteien erst unzureichend bekannt ist; die von beiden Seiten letztlich zur Begründung ihrer jeweiligen Rechtspositionen herangezogenen Tatsachen kristallisieren sich vielmehr erst im Rahmen der auf den anfänglichen Schriftsatzaustausch folgenden discovery heraus. Die Parteien sollen daher nicht verfrüht auf die Einnahme von Positionen festgelegt werden, deren Stichhaltigkeit sie zu diesem frühen Zeitpunkt noch gar nicht abschließend beurteilen können.

345

e) Bestreiten und Strafverfolgung Soweit der Beklagte sich infolge seines bestreitenden Vortrages der Gefahr strafrechtlicher Verfolgung aussetzen würde, bedarf es schließlich überhaupt keines Bestreitens in der Sache, sondern lediglich der ausdrücklichen Geltendmachung des 456 Auch die letztere Formulierung wird dabei als Bestreiten betrachtet, vgl. FRCP Rule 8(b). Ähnlich z. B. N.Y.C.P.L.R. § 3018(a), wonach zwar auch ein Pauschalbestreiten im Grundsatz zulässig ist; je dezidierter der Klagevortrag, desto weniger wird allerdings die Erwiderung in Form eines general denial noch sachgerecht sein. Vgl. Siegel, New York Practice § 221 m. w. N.

163

346

Prozessleitende Schriftsätze: Die Pleading Stage zu Beginn des Verfahrens hierauf gestützen, dem fünften Zusatzartikel zur amerikanischen Bundesverfassung entstammenden Aussageverweigerungsrechts; die Darlegungs- und Beweislast für die den Klagebehauptungen insoweit zugrundeliegenden Tatsachen liegt sodann in vollem Umfang beim Kläger selbst.

2. Affirmative Defenses 347

Zulässig und gebräuchlich ist über das Bestreiten des Klagevorbringens hinaus die Geltendmachung gewisser dem deutschen Verständnis von der Natur der Einrede am ehesten entsprechender Rechtstatsachen, die selbst bei vollumfänglicher Erweislichkeit aller Klagebehauptungen zur Klageabweisung führen würden (affirmative defenses); vgl. FRCP Rule 8(c).

348

Dabei bestimmt sich die Frage, ob ein bestimmter Umstand lediglich im Rahmen des Bestreitens des klägerischen Vortrages relevant ist oder selbständig in Form einer affirmative defense geltend gemacht werden muss, nach den jeweils zugrundeliegenden Darlegungs- und Beweislastregeln, die auch im Verfahren vor den Bundesgerichten unter Berücksichtigung der Erie doctrine (vgl. vorst. Rn. 221 ff.) gegebenenfalls dem maßgeblichen bundesstaatlichen Rechtssystem zu entnehmen sind457.

349

Üblich und aus Präklusionsgründen i.d.R. auch erforderlich458 ist insoweit die Nennung aller auch nur potentiell in Betracht kommenden Einwendungen in der Klageerwiderungsschrift (wobei auch die Begründetheit der affirmative defenses aus den vorgenannten Gründen im Einzelnen den Feststellungen im Rahmen der discovery vorbehalten bleibt). Eine typische Klageerwiderung wird deshalb über das Bestreiten der Klagebehauptungen hinaus – und abgesehen von den gegebenenfalls nach Maßgabe von FRCP Rule 9 besonders zu begründeten Einreden, vgl. vorst. Rn. 323 – alle oder mindestens einen Teil der folgenden affirmative defenses enthalten459: 457 Vgl. Brunswick Leasing Corp. v. Wisconsin Cent., Ltd., 136 F.3d 521, 530 (7th Cir. 1998). 458 Vgl. nachf. Rn. 756 ff. und McKinnon v. Kwong Wah Restaurant, 83 F.3d 498 (1st Cir. 1996). 459 Vgl. FRCP Rule 8(c); ähnlich z. B. auch N.Y.C.P.L.R. § 3018(b) (zu weiteren Beispielen s. Siegel, New York Practice § 223). Seit Aufgabe der formalen Trennung zwischen courts of law und courts of equity, vgl. nachf. Rn. 540 ff., können diese Einwände dabei einheitlich gegen alle Klageansprüche gerichtet werden, ohne Rücksicht auf ihre jeweilige Charakterisierung als statutory defense (discharge in bankruptcy), defense at law (z. B. payment, accord and satisfaction, failure of consideration, contributory negligence, third party liability, statute of limitations und illegality) oder im Wesentlichen auf Billigkeitserwägungen beruhende equitable defenses (waiver, laches, estoppel, unclean hands, duress).

164

Die Erwiderung des Beklagten

– Verletzung von Formerfordernissen (statute of frauds)460; – Erfüllung (payment; accord and satisfaction); – Schenkung oder ungerechtfertigte Bereicherung des Klägers (gift failure of consideration); – vertraglich eingeräumte Handlungs- und Nutzungsrechte (license); – Anspruchs- und Rechtsverzicht des Klägers (release; waiver); – Eigenverantwortlichkeit des Klägers (assumption of risk); – Mitverschulden (contributory negligence); – Haftungsbeschränkungen (limitation of liability); – Verantwortlichkeit eines Dritten (third party liability); – Verjährung (statute of limitations); – Verwirkung (laches; equitable estoppel); – missbräuchliche Klageerhebung (unclean hands); – Rechtswidrigkeit der geforderten Leistung oder des zugrundeliegenden Vertrages (illegality); – Drohung (duress); – Bindungs- und Präklusionswirkungen einer vorausgehenden Entscheidung (res judicata); – Präklusion einzelner Tatsachen- oder Rechtsbehauptungen (issue preclusion; collateral estoppel); – Schiedsabreden und Schiedssprüche in Bezug auf die geltend gemachte Forderung (arbitration and award);

460 Dieser Begriff ist in seinem Ursprung zwar eng mit dem der Täuschung (fraud) verwandt, jedoch in der praktischen Anwendung streng davon zu unterscheiden: Zwar haben die traditionellen und weitgehend nunmehr auch gesetzlich festgelegten Formerfordernisse nach herkömmlichem common law-Verständnis nicht nur eine Klarstellungs- und Hinweisfunktion, sondern insbesondere auch eine Schutzfunktion zugunsten der schwächeren Vertragspartei vor Täuschung und Übervorteilung, weshalb sich allgemein ihre Bezeichnung als statute of frauds eingebürgert hat (vgl. z. B. CAL. CIV. CODE §§ 1623, 1624). Im Rahmen der Täuschungseinrede (oder einer auf Täuschung gestützten Zahlungsoder Herausgabeklage) ist jedoch, auch von gesetzlichen Formerfordernissen unabhängig, jede rechtswidrige Täuschung materiell entscheidungserheblich.

165

Prozessleitende Schriftsätze: Die Pleading Stage zu Beginn des Verfahrens

– und gegebenenfalls Schuldentilgung im Konkursverfahren (discharge in bankruptcy). II. Prozessuale und formelle Einwendungen 350

Prozessrechtliche und formelle Einwendungen gegen die erhobene Klage können zwar – zumindest nach Maßgabe der FEDERAL RULES OF CIVIL PROCEDURE – im Grundsatz ebenso wie der Vortrag zur Sache im Rahmen der answer geltend gemacht werden (vgl. FRCP Rule 12[b] und [g]); zulässig und weitaus gebräuchlicher ist jedoch ihre Erhebung im Rahmen sogenannter motions. Bei diesen handelt es sich um Anträge eigener Art, die, obgleich teilweise von ebenso großer wenn nicht größerer Bedeutung wie die pleadings, von diesen streng zu unterscheiden sind (vgl. FRCP Rule 7)461. Motions werden in einem Zwischenverfahren aufgrund des Vorbringens des Antragstellers (moving party) und der Erwiderung (opposition) des Antragsgegners (respondent) sowie i.d.R. aufgrund mündlicher Verhandlung im Rahmen eines sogenannten motion day lange vor Beginn der gerichtlichen Hauptverhandlung (trial) beschieden462. 461 Nach der in ihrem zugrundeliegenden Verständnis wohl typischen Legaldefinition in CAL. CODE CIV.PROC. § 1003 ist eine motion jeder auf eine nicht in Urteilsform ergehende Entscheidung gerichtete Antrag. 462 Zu den Einzelheiten vgl. FRCP Rule 5, 6, 7(b), 12(d) und 78 sowie z. B. CAL. CODE CIV.PROC. §§ 1003-1020. Nach Maßgabe der local rules einiger Gerichte ist im Rahmen von motion proceedings darüber hinaus auch eine Erwiderung (reply) des Antragstellers auf die opposition des Antragsgegners zulässig; vgl. z.B. DISTRICT OF SOUTH CAROLINA RULE 7.07, DISTRICT OF ARKANSAS RULE 7.1(b), SOUTHERN DISTRICT OF FLORIDA RULE 7.1.C, DISTRICT OF MAINE RULE 7(c), SOUTHERN DISTRICT OF GEORGIA RULE 7.6 und NORTHERN DISTRICT OF TEXAS Rule 7.1(f). Diese Erwiderung ist allerdings ihrerseits wiederum auf einen einzigen Schriftsatz beschränkt, der zudem deutlich stärkeren Seitenzahlbegrenzungen unterworfen ist als die (notice of) motion und opposition; damit wird im Wesentlichen eine Beschränkung des Vortrags in der reply auf neues Vorbringen in der opposition erreicht. Als motions, die aufgrund mündlicher Verhandlung entschieden werden, nennt FRCP Rule 12(d) i. Ü. nur die Rügen der gerichtlichen Zuständigkeit, der Ordnungsmäßigkeit der Klagezustellung, des Fehlens einer Anspruchsgrundlage und der unterlassenen notwendigen Parteihäufung (FRCP Rule 12[b][1] – [7]); nicht selten kommt es jedoch – von Amts wegen oder auf Antrag einer Partei – auch zur Anordnung einer mündlichen Verhandlung in Bezug auf andere motions. Vgl. z. B. WESTERN DISTRICT OF MISSOURI RULE 7.1(g); DISTRICT OF SOUTH DAKOTA RULE 7.1, DISTRICT OF ARKANSAS RULE 7.2, SOUTHERN DISTRICT OF FLORIDA RULE 7.1.B und DISTRICT OF UTAH RULE 202(d). Allgemein zu Formerfordernissen und Verfahrensablauf der motion proceedings vgl. Baicker-McKee, Janssen, Corr, Federal Civil Rules Handbook, Authors’ Commentary on Rule 7(b) und Authors’ Commentary on Rule 12(b).

166

Die Erwiderung des Beklagten Dabei ähnelt die Begründung einer motion (das sogenannte memorandum of points and authorities) dem schriftsätzlichen Vortrag des deutschen Zivilprozesses formal weit mehr als derjenige im Rahmen der pleadings, da das Vorbringen insoweit nicht in numerierte Einzelabsätze unterteilt ist, sondern fortlaufenden Text in Erzählform beinhaltet. Allerdings ist unabhängig von der sonstigen Gliederung der Schriftsätze zumindest die Trennung des Tatsachenvortrages (statement of facts) von der rechtlichen Antragsbegründung (argument) praxisüblich und teilweise auch ausdrücklich vorgeschrieben463; gebräuchlich ist es des Weiteren, dem Schriftsatz eine mehr oder wenige kurze Einleitung voranzustellen und diesen mit einer knappen Wiedergabe des Antragsziels (conclusion) abzuschließen („For the aforementioned reasons, plaintiff/defendant requests that this Court...“).

351

Will der Beklagte einzelne in FRCP Rule 12 vorgesehene Rügen im Wege einer motion vor Zustellung der answer erheben, so bedarf es im Grundsatz der gleichzeitigen Geltendmachung aller zu diesem Zeitpunkt bestehenden Einwendungen (sog. omnibus motion oder consolidated motion), soweit nicht ausdrücklich bestimmt ist, dass einzelne Rügen auch noch zu einem späteren Zeitpunkt angebracht werden können; vgl. FRCP Rule 12(g) u. (h)464.

352

Nach Art, Zielrichtung und Zeitpunkt der Antragsstellung lassen sich die folgenden motions des Beklagten im Rahmen der Erwiderung auf die Klage unterscheiden:

353

1. Motion for a More Definite Statement; Motion to Strike Noch vor Zustellung der answer geltend zu machen sind zwei – in der Praxis seltene – formale Einwendungen gegen die Fassung der Klageschrift selbst. Die motion for a more definite statement gemäß FRCP Rule 12(e) beinhaltet einen Antrag auf Klarstellung des Klagevorbringens mit der Begründung, dass (sogar unter den eingeschränkten Voraussetzungen des notice pleading) der Klagevortrag zu vage und missverständlich ist, um dem Beklagten eine Erwiderung zur Sache zu ermöglichen. Die motion to strike465 (FRCP Rule 12[f] bezweckt demgegenüber die Streichung unerheblichen, ehrverletzenden und sonst grob sachfremden Vortrages aus der Klageschrift. Beide Anträge sind verwirkt, wenn sie nicht mit dem ersten

463 Vgl. z. B. SOUTHERN DISTRICT OF CALIFORNIA RULE 7.1(f), EASTERN DISTRICT OF PENNSYLVANIA RULE 7.1(c); DISTRICT OF RHODE ISLAND RULE 12(a)(1); DISTRICT OF SOUTH CAROLINA RULE 7.04 und DISTRICT OF UTAH RULE 202(a). 464 Nicht einbezogen werden müssen auch Anträge aufgrund anderer Vorschriften wie z. B. FRCP Rule 41; vgl. Aetna Life Ins. Co. v. Alla Med Servs., Inc., 855 F.2d 1470 (9th Cir. 1988). 465 Nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Antrag auf Streichung bestimmter Zeugenaussagen aus dem Protokoll der Beweisaufnahme, vgl. nachf. Rn. 581 ff.

167

354

Prozessleitende Schriftsätze: Die Pleading Stage zu Beginn des Verfahrens schriftsätzlichen Vorbringen des Beklagten – entweder einer der answer vorausgehenden motion oder der answer selbst – geltend gemacht werden; vgl. FRCP Rule 12(g).

2. Einwendungen gegen die gerichtliche Zuständigkeit und die Ordnungsmäßigkeit der Klagezustellung a) Zeitpunkt der Geltendmachung 355

Erhebt der Beklagte nicht ausdrücklich Einwände gegen die ordnungsgemäß begründete Entscheidungsgewalt des angerufenen Gerichts, so gilt diese regelmäßig als gegeben; das Gericht nimmt auch insoweit keine Prüfung von Amts wegen vor. Dies gilt sowohl für Rügen der örtlichen Zuständigkeit (lack of territorial jurisdiction bzw. lack of jurisdiction over the person und improper venue) als auch für solche der Ordnungsmäßigkeit der Klagezustellung (insufficiency of process und insufficiency of service of process); vgl. FRCP Rule 12(b)(2) – (5) und vorstehend Kapitel 4466. Anders verhält es sich lediglich bei der sachlichen Zuständigkeit der Bundesgerichte, deren Fehlen zwar auch im Wege einer motion geltend gemacht werden kann (vgl. FRCP Rule 12[b][1]) – und in der Praxis zumeist auch in dieser Form gerügt werden wird –, bei deren Fehlen das Gericht aber nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet ist, gegebenenfalls auch von Amts wegen die Klage abzuweisen (vgl. FRCP Rule 12[h][3])467. Von diesem Ausnahmefall abgesehen, sind Einwände gegen die gerichtliche Zuständigkeit und die ordnungsgemäße Klagezustellung jedoch verwirkt, wenn sie nicht entweder durch motion vor Zustellung der answer oder als Bestandteil der Letzteren geltend gemacht werden; vgl. FRCP Rule 12(g) und (h)(1). b) Abgrenzung: Limited Appearance

356

Von den vorstehend genannten Rügen zu unterscheiden ist die sogenannte limited appearance, mit der der Beklagte insbesondere im Rahmen von in rem und quasi in rem proceedings (vgl. vorst. Rn. 241–242 u. 256 ff.) zwar Einwendungen zur Sache erhebt, um insoweit seine Rechte zu wahren, ohne sich jedoch gleichzeitig der Entscheidungsgewalt des Gerichts insgesamt zu unterwerfen468. Da nach der neueren

466 Im Verfahren vor den Gerichten der Bundesstaaten wird ein solcher Antrag gelegentlich auch als motion to quash service bezeichnet (vgl. z. B. CAL. CODE CIV.PROC. § 418.10); s. jedoch N.Y.C.P.L.R. § 3211(a) (motion to dismiss). 467 In Kalifornien ist die Rüge der mangelnden sachlichen Zuständigkeit im Wege des demurrer geltend zu machen; vgl. CAL. CODE CIV.PROC. § 430.10(a) sowie allgemein nachf. Rn. 362 ff. 468 Ausdrücklich geregelt z. B. in N.Y.C.P.L.R. § 320(c).

168

Die Erwiderung des Beklagten Rechtsprechung des U.S. Supreme Court zur Angemessenheit der gerichtlichen Funktionsausübung im Rahmen solcher Verfahren eine volle Abwägung der Interessen aller Parteien stattzufinden hat und die gerichtliche Entscheidungsgewalt regelmäßig ohnehin nicht gegeben ist, wenn die schützenswerten Interessen des Beklagten diejenigen des Klägers überwiegen469 – wobei die Darlegungslast den Beklagten trifft –, kommt es in der Praxis nur noch selten zu einer „echten“ limited appearance dieser Art. Denkbar ist sie allerdings nach wie vor, wenn der Kläger eine action in rem oder quasi in rem mit der gleichzeitigen Inanspruchnahme des Beklagten im Wege der personal jurisdiction (vgl. vorst. Rn. 240 u. 244 ff.) verbindet und die Angemessenheitsprüfung für beide Verfahrensarten unterschiedlich ausfällt. In diesem Falle muss es dem Beklagten auch weiterhin möglich sein, Sacheinwände zur Wahrung seiner diesbezüglichen Rechte geltend zu machen, ohne sich damit gleichzeitig in vollem Umfang der Gerichtsbarkeit des angerufenen Forums zu unterwerfen470.

c) Zeitpunkt, Wirkung und Anfechtbarkeit der gerichtlichen Entscheidung aa) Das Gericht kann über die Zuständigkeitsrüge entweder sofort entscheiden oder die Entscheidung bis zur gerichtlichen Hauptverhandlung (trial) verschieben, vgl. FRCP Rule 12(d).

357

bb) Der zuständigkeitsbejahenden Entscheidung als solcher kommt grundsätzlich selbständig – auch unabhängig von den Wirkungen des anderweitig in der Sache ergehenden Urteils – volle Bindungswirkung im Rahmen eines nachfolgenden Verfahrens zu (jurisdiction to determine jurisdiction)471.

358

cc) Erhebt der Beklagte in einem ansonsten streitig geführten Verfahren keine Rügen gegen die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts oder die Ordnungsmäßigkeit der Klageerhebung, hat das sachentscheidende Urteil zugleich die Wirkung der bindenden Feststellung der gerichtlichen Zuständigkeit und der ordnungsgemäßen Klagezustel-

359

469 Vgl. Shaffer v. Heitner, 433 U.S. 186 (1977) u. vorst. Rn. 256 ff. 470 Shaffer v. Heitner, 433 U.S. 186, 196 n. 12 (1977); United States v. First Nat’l City Bank, 379 U.S. 378, 390 n. 8 (1965). 471 Dies gilt allerdings nur für die bindende Entscheidung der Zuständigkeitsfrage selbst. Insbesondere die Klageabweisung wegen fehlender sachlicher oder örtlicher Zuständigkeit entfaltet hingegen keine über die Entscheidung der Zuständigkeitsfrage hinausgehende Bindungswirkung; vgl. Leaf v. Supreme Court of Wisconsin, 979 F.2d 589, 595 (7th Cir. 1992), cert. denied, 508 U.S. 941 (1993) (sachliche Zuständigkeit); Kendall v. Overseas Dev’t Corp., 700 F.2d 536 (9th Cir. 1983) (personal jurisdiction) und In re Hall, Bayoutree Assocs., Ltd., 939 F.2d 802, 804 (9th Cir. 1991) (venue).

169

Prozessleitende Schriftsätze: Die Pleading Stage zu Beginn des Verfahrens

lung472. Das Gleiche gilt im Prinzip auch für eine unterlassene sachliche Zuständigkeitsrüge; da diese Frage jedoch stets von Amts wegen zu berücksichtigen ist, kann das Gericht des Folgeprozesses bei erneuter Prüfung der Sach- und Rechtslage auch zu dem Ergebnis gelangen, dass es insoweit an die Vorentscheidung nicht gebunden ist. 360

dd) Grundsätzlich keine Bindungswirkung – innerhalb desselben Verfahrens wie auch im Rahmen eines Nachfolgeprozesses – haben schließlich auch Versäumnisurteile, bei deren Erlass (von gegebenenfalls. seitens des Gerichts von Amts wegen erhobenen Bedenken abgesehen) die Zuständigkeitsfrage regelmäßig nicht geprüft wird473.

361

ee) Die Klageabweisung wegen fehlender sachlicher Zuständigkeit ist grundsätzlich selbständig mit Rechtsmitteln anfechtbar474; nicht hingegen die den Antrag zurückweisende Entscheidung475. 3. Rüge des Fehlens einer Anspruchsgrundlage

362

Ebenfalls im Wege der motion wird traditionell das Fehlen einer materiellrechtlichen Grundlage für die Klageforderung(en) geltend gemacht (failure to state a claim [upon which relief can be granted]); vgl. FRCP Rule 12(b)(6). Diese traditionell – und in den Prozessordnungen einiger

472 Vgl. City of South Pasadena v. Mineta, 284 F.3d 1154, 1156-1157 (9th Cir. 2002). 473 Anders verhält es sich u. U. aber, wenn der Beklagte Einwendungen gegen die Ordnungsmäßigkeit der Klagezustellung schon vor Erlass des Versäumnisurteils hätte geltend machen können, weil er ungeachtet der Fehler tatsächlich Kenntnis von dem Rechtsstreit und dem Inhalt der Klageschrift erhalten hat. In diesem Fall darf er sich nicht in die Säumnis flüchten, sondern muss die Zustellungsfehler im Rahmen der allgemeinen in FRCP Rule 12(h)(1) vorgesehenen Fristen geltend machen; vgl. Corestates Leasing, Inc. v. WrightWay Exp., Inc., 190 F.R.D. 356, 358 (E.D. Pa. 2000) und WRIGHT & MILLER, FEDERAL PRACTICE & PROCEDURE 5A § 1391 S. 755 – 756. – Allgemein zum Versäumnisverfahren s. des Weiteren nachf. Rn. 507 ff. 474 Carson Harbor Village Ltd. v. City of Carson, 37 F.3d 468, 471 n. 3 (9th Cir. 1994) (sachliche Zuständigkeit); Carteret Savings Bank, FA v. Shushan, 919 F.2d 225, 230 (3d Cir. 1990) (personal jurisdiction) und Young Props.Corp. v. United Equity Corp., 534 F.2d 847, 852 (9th Cir.), cert. denied, 429 U.S. 830 (1976) (venue). 475 Harrison v. Nissan Motor Corp., 111 F.3d 343, 347-348 (3d Cir. 1997) (sachliche Zuständigkeit); SEC v. Blazon Corp., 609 F.2d 960 (9th Cir. 1979) (personal jurisdiction) und Hohn v. United States, 524 U.S. 236, 248 (1998) (venue).

170

Die Erwiderung des Beklagten

Bundesstaaten476 auch nach wie vor ausdrücklich – als demurrer bezeichnete Rüge ist darauf gestützt, dass selbst bei Zutreffen des tatsächlichen Klagevorbringens dem Kläger keine Rechtsgrundlage für den erhobenen Anspruch zur Seite steht477. a) Abgrenzung Unterschieden werden muss diese Rüge nach Art und Zielrichtung des Beklagtenvortrags zum einen von der Sacheinlassung im Rahmen der answer, zum anderen von Klageabweisungsanträgen im Rahmen einer motion for judgment on the pleadings oder einer summary judgment motion478:

363

aa) Während die answer auf die inhaltliche Auseinandersetzung mit den Klagebehauptungen durch Bestreiten und Erhebung von affirmative defenses gerichtet ist, stellt die motion to dismiss for failure to state a claim technisch eine Weigerung dar, sich inhaltlich überhaupt auf das Klagevorbringen einzulassen – eben weil dieses eine Sacheinlassung wegen seiner rechtlichen Unerheblichkeit gar nicht verdient. Wenngleich der Beklagtenvertreter dabei in bestimmtem Umfang die Antragsbegründung implizit auch dazu nutzen mag, das Gericht über die eigentliche Rüge der rechtlichen Unbeachtlichkeit des Klägervorbringens hinaus bereits mit der Position des Beklagten zur Sach- und Rechtslage insgesamt vertraut zu machen, erstreckt sich die gerichtliche Prüfung nichtsdestoweniger ausschließlich auf die Frage, ob überhaupt eine Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch erkennbar ist.

364

bb) Die später im Verfahren zu erhebende (sehr seltene) motion for judgment on the pleadings und die außerordentlich bedeutsame summary judgment motion hingegen sind nicht notwendigerweise auf das Fehlen einer Anspruchsgrundlage für die geltend gemachte(n) Klageforderung(en) gestützt; in ihrem Rahmen wird vielmehr der gesamte Prozess-

365

476 Vgl. z. B. CAL. CODE CIV.PROC. §§ 430.10-430.80. 477 Albright v. Oliver, 510 U.S. 266, 267 (1994). Obgleich demurrers in FRCP Rule 7(c) für den Bereich der Bundesgerichte ausdrücklich als abgeschafft erklärt sind, ist die motion for failure to state a claim upon which relief can be granted nicht nur inhaltlich mit dem herkömmlichen Verständnis des demurrers identisch; auch (umgangs-)sprachlich findet sich zumindest in den Bundesstaaten, die den Begriff in ihren Prozessordnungen für den entsprechenden Antrag beibehalten haben, gelegentlich noch die Weiterverwendung dieses terminus auch in Bezug auf das entsprechende Verfahren vor den Bundesgerichten. 478 Vgl. insoweit eingehend nachf. Rn. 524 ff.

171

Prozessleitende Schriftsätze: Die Pleading Stage zu Beginn des Verfahrens

stoff der Prüfung unterzogen, ob und inwieweit sich der Streit der Parteien ausschließlich in Rechtsfragen erschöpft – so dass eine Partei letztlich bereits aus Rechtsgründen (as a matter of law) obsiegen muss – oder ob es darüber hinaus der Beweisaufnahme über streitige Tatsachen und damit der Durchführung des trial bedarf479. Dabei kann der Beklagte das völlige Fehlen einer Rechtsgrundlage für den klägerischen Anspruch auch im Wege einer summary judgment motion geltend machen; er ist jedoch in deren Rahmen keineswegs auf diesen Einwand beschränkt, sondern die summary judgment motion führt stets zu einer wesentlich umfassenderen gerichtlichen Würdigung der Sach- und Rechtslage480. 366

Da sich in der Praxis immer wieder Überschneidungen zwischen der motion to dismiss for failure to state a claim und der summary judgment motion ergeben können, sehen die FEDERAL RULES OF CIVIL PROCEDURE ausdrücklich vor, dass Anträge, die zwar ausdrücklich als motion to dismiss for failure to state a claim bezeichnet, inhaltlich jedoch auf eine diesen Rahmen klar übersteigende gerichtliche Prüfung und Entscheidung gerichtet sind, als summary judgment motions zu behandeln sind; vgl. FRCP Rule 12(b)481. 479 Dabei geht im Rahmen der motion for judgment on the pleadings, wie auch im Rahmen des demurrer bzw. der motion for failure to state a claim, die gerichtliche Prüfung nicht über den summarischen Vortrag der Parteien in den pleadings selbst hinaus, während im Rahmen der summary judgment motion insbesondere auch alle von den Parteien im Rahmen der discovery ermittelten (und entsprechend zur Antragsbegründung vorgetragenen) Tatsachen der gerichtlichen Prüfung unterliegen; vgl. nachf. Rn. 521 ff. 480 So erkennt das amerikanische Recht z. B. Schenkungsversprechen grundsätzlich nicht als verbindlich an; eine ausdrücklich auf ein Schenkungsversprechen gestützte Klage wäre also (soweit der Kläger nicht – ggf. auch erst auf entsprechende gerichtliche Anordnung oder Erlaubnis, vgl. nachf. Rn. 378 ff. – darüber hinaus auch rechtswirksame Grundlagen für den geltend gemachten Anspruch vorträgt) auf Antrag des Beklagten im Rahmen einer motion to dismiss for failure to state a claim bzw. eines demurrer abzuweisen. Erweisen sich demgegenüber erst infolge der discovery Umstände, aus denen der Beklagte die schenkweise Abgabe des Leistungsversprechens herleiten kann, wird dies i.d.R. dem Vortrag im Rahmen einer summary judgment motion vorbehalten bleiben müssen. Dabei ist auch die Letztere allerdings nur dann erfolgreich, wenn die entsprechenden Tatsachen als solche unstreitig sind, so dass es im Ergebnis nur auf deren rechtliche Bewertung ankommt; während das Gericht bei einem Streit der Parteien (auch) um die vom Beklagten vorgetragenen Tatsachen die summary judgment motion mit der Begründung zurückweisen wird, dass es insoweit der Entscheidung des Tatsachenrichters aufgrund der Beweisaufnahme im Rahmen der gerichtlichen Hauptverhandlung (trial) bedarf. Vgl. im Einzelnen nachf. Rn. 524 ff. 481 Zum diesbezüglichen Verfahren s. Baicker-McKee, Janssen, Corr, Federal Civil Rules Handbook, Authors’ Commentary on Rule 12(b).

172

Die Erwiderung des Beklagten

b) Antragsziel Obwohl der mit einem demurrer bzw. einer motion to dismiss for failure to state a claim gestellte Antrag, wie auch derjenige im Rahmen aller anderen hier erörterten motions des Beklagten, in erster Linie auf Klageabweisung gerichtet ist, führt er in der Praxis häufig lediglich zu einer gerichtlich angeordneten oder zugelassenen Klageergänzung (leave to amend the complaint), denn selten wird es an einer Anspruchsgrundlage völlig fehlen; soweit der Antrag des Beklagten daher begründet ist, ist seinen Rügen i.d.R. bereits mit einer klarstellenden Änderung des Klagevorbringens abzuhelfen482.

367

Gleichfalls im Wege des demurrers – und nicht etwa im Wege der nicht auf Klageabweisung, sondern -ergänzung gerichteten motion for a more definite statement – wird insbesondere im Verfahren vor den Gerichten der Bundesstaaten auch ein Verstoß gegen besondere Vorschriften wie z. B. den auf Bundesebene in FRCP Rule 9 geregelten erhöhten Anforderungen an den Sachvortrag in Bezug auf bestimmte Einzelfragen geltend gemacht. Ziel ist auch insoweit in erster Linie die Klageabweisung und nicht die Klageergänzung, wenngleich es in der Praxis hier ebenso selten tatsächlich zur Abweisung kommt wie infolge anderer demurrers und motions to dismiss for failure to state a claim.

368

c) Zeitpunkt der Geltendmachung Die prozessuale Rüge des Fehlens einer Anspruchsgrundlage kann zumindest nach Maßgabe der FEDERAL RULES OF CIVIL PROCEDURE außer durch motion auch im Rahmen der answer geltend gemacht werden; vgl. Rule 12(b) und (g). Es ist allerdings gemäß FRCP Rule 12(g) über die answer hinaus im Verfahren vor den Bundesgerichten insgesamt regelmäßig nur die Einreichung einer einzigen motion im Rahmen der Klageerwiderung zulässig; soweit der demurrer daher nicht bereits mit einer vor Zustellung der answer einzulegenden anderen motion, z. B. einer Zuständigkeitsrüge, verbunden oder (wie in der Praxis sehr häufig) als einzige motion der Klageerwiderung zur Sache vorangestellt wird, sollte die Geltendmachung nach Möglichkeit alsbald nach Zustellung der answer erfolgen. Verwirkt ist die Rüge des Fehlens einer Anspruchsgrundlage allerdings erst, wenn sie nicht bis zum Ende der gerichtlichen Hauptverhandlung (trial) erhoben wird; vgl. FRCP Rule 12(h)(2).

482 Conley v. Gibson, 355 U.S. 41, 45 – 46 (1957). Zu zahlreichen Beispielen aus der stark auf die Umstände des jeweiligen Einzelfalls abstellenden Rechtsprechung vgl. des Weiteren Baicker-McKee, Janssen, Corr, Federal Civil Rules Handbook, Authors’ Commentary on Rule 12 Fn. 151-166 u. 180-182.

173

369

Prozessleitende Schriftsätze: Die Pleading Stage zu Beginn des Verfahrens

d) Wirkung und Anfechtbarkeit der Entscheidung 370

Der einer motion to dismiss for failure to state a claim stattgebenden Entscheidung kommt in der Sache volle Bindungs- und Präklusionswirkung im Rahmen eines nachfolgenden Prozesses zu (res judicata)483. Keinerlei solche Wirkungen hat jedoch i.d.R. eine den Antrag zurückweisende Entscheidung484.

371

Grundsätzlich ist die stattgebende Entscheidung darüber hinaus auch selbständig anfechtbar485; allerdings ist aufgrund einer Vielzahl von Ausnahmen insoweit stets eine Prüfung aufgrund aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalles erforderlich486. 4. Unterlassen notwendiger Parteihäufung

372

Nach Maßgabe von FRCP Rule 19 ff. und den entsprechenden Vorschriften der bundesstaatlichen Prozessordnungen ist die Parteihäufung im amerikanischen Zivilprozess nicht nur zulässig; unter bestimmten Voraussetzungen bedarf es auch zwingend der gleichzeitigen Einbeziehung von zwei oder mehr Parteien auf der Beklagtenseite487. Hat der Kläger eine solche notwendige Partei nicht als Beklagten benannt, so kann auch die hierauf gestütze Rüge eines benannten Beklagten im Wege einer motion geltend gemacht werden (failure to join a necessary/indispensable party), vgl. FRCP Rule 12(b)(7)488. Auch diese Rüge führt jedoch in aller Regel – selbst wenn dies beantragt ist – nicht zur Klageabweisung, sondern lediglich zu der zumeist sachgerechteren Klageergänzung489; und auch diese Rüge muss, soweit sie nicht in der answer oder in Form einer motion vor Zustellung der answer (allein oder zusammen mit anderen Rügen) geltend gemacht wird, bis allerspätestens zum Ende der gerichtlichen Hauptver-

483 Federated Department Stores, Inc. v. Moitie, 452 U.S. 394, 399 n. 3 (1981); allgemein zum Begriff der res judicata s. nachf. Rn. 756 ff. 484 Davis v. Davis, 526 F.2d 1286 (5th Cir. 1976). 485 ALA, Inc. v. CCAIR, Inc., 29 F.3d 855 (3d Cir. 1994). Dies gilt jedoch nicht für die zurückweisende Entscheidung; vgl. Figueroa v. United States, 7 F.3d 1405, 1408 (9th Cir. 1993), cert. denied, 511 U.S. 1030 (1994). 486 Allgemein s. hierzu Baicker-McKee, Janssen, Corr, Federal Civil Rules Handbook, Authors’ Commentary on Rule 12(b)(6). 487 Im Einzelnen s. hierzu nachf. Rn. 664 ff. 488 Auch dies ist nach den Prozessordnungen einiger Bundesstaaten Gegenstand des demurrer; vgl. z. B. CAL. CODE CIV.PROC. § 430.10(d). 489 Vgl. FRCP Rule 19(b) und Gorsuch v. Fireman’s Fund Ins. Co., 360 F.2d 23 (9th Cir. 1966).

174

Weitere Schriftsätze

handlung erhoben werden (vgl. FRCP Rule 12[g], [h][2]). Selbst wenn dem Klageabweisungsantrag des Beklagten stattgegeben wird, ist der Kläger jedoch in aller Regel nicht daran gehindert, denselben Anspruch erneut vor einem anderen Gericht geltend zu machen, dessen Entscheidungsgewalt sich auf alle notwendigen Parteien des Prozesses erstreckt490.

D. Weitere Schriftsätze Von wenigen Ausnahmen abgesehen, verbieten die FEDERAL RULES OF CIVIL PROCEDURE – und ihnen folgend auch die Prozessordnungen der meisten Bundesstaaten – jedes über Klage, Klageerwiderung und die motions proceedings hinausgehende schriftsätzliche Vorbringen; vgl. FRCP Rule 7(a): Dem Grundsatz des notice pleading ist mit diesen Schriftsätzen Genüge getan, und jegliche weiteren Ausführungen würden nur zur Verwässerung des bereits erfolgten Vortrages beitragen. Insbesondere eine Stellungnahme des Klägers zur sachlichen Klageerwiderung des Beklagten (answer) ist dabei i.d.R. schon deshalb entbehrlich, weil der Inhalt der answer ohnehin als insgesamt bestritten gilt; vgl. FRCP Rule 8(d).

373

Ausnahmen hiervon bestehen in Bezug auf die anfänglich ausgetauschten prozessleitenden Schriftsätze nur unter sehr engen Voraussetzungen491: I. Widerklage, Drittwiderklage und Cross Claim Enthält die sachliche Klageerwiderung des Beklagten (answer) eine ausdrücklich als solche gekennzeichnete Widerklage (counterclaim), so ist es dem Kläger gestattet, binnen 20 Tagen nach Zustellung der answer seinerseits auf die Widerklage zu erwidern (reply to counterclaim); vgl. FRCP Rule 7(a) und 12(a)(2)492. Darüber hinaus stehen dem Kläger in diesem Fall auch die in FRCP Rule 12 vorgesehenen Rügen in Bezug auf die Widerklage zu, und zwar unter denselben Voraussetzungen, die für die Geltendmachung durch den Beklagten in Erwiderung auf die Klage gelten; vgl. FRCP Rule 12(a), (b) und (e)-(h). 490 Dredge Corp. v. Penny, 338 F.2d 456 (9th Cir. 1964). 491 Zur späteren Ergänzung des Vorbringens aufgrund des Eintritts neuer verfahrenswesentlicher Tatsachen vgl. FRCP Rule 15(d) und nachf. Rn. 378 ff. 492 Die in der Erwiderung auf die Widerklage enthaltenen Behauptungen gelten sodann wiederum als in ihrer Gesamtheit bestritten, und dem Beklagten seinerseits steht ebenfalls keine weitere Befugnis zum schriftsätzlichen Vortrag zu; vgl. FRCP Rule 8(d).

175

374

Prozessleitende Schriftsätze: Die Pleading Stage zu Beginn des Verfahrens

375

Zulässig ist gemäß FRCP Rule 7(a) des Weiteren die Erhebung einer Drittwiderklage durch den Beklagten (third party complaint oder impleader; vgl. im Einzelnen nachf. Rn. 671 ff.) und die Geltendmachung von Ansprüchen gegen eine Mitpartei auf derselben Seite des Rechtsstreits im Wege eines cross claim (vgl. nachf. Rn. 660); wobei die in dieser Form in Anspruch genommenen Parteien ihrerseits im Wege einer answer und durch Anträge nach Maßgabe von FRCP Rule 12 auf das Vorbringen erwidern können; vgl. FRCP Rule 7(a) und 12(a), (b) u. (e)-(h). II. Post-Answer Motions des Klägers

376

Unabhängig von der Erhebung einer Widerklage ist dem Kläger eine Erwiderung auf das Beklagtenvorbringen in der answer ohne anderslautende gerichtliche Anordnung nur im Rahmen von motions nach FRCP Rule 12(e) und (f) gestattet, d. h. Anträgen auf Klarstellung (motion for a more definite statement) und auf Streichung grob sachfremden Vortrags (motion to strike). Dabei beinhaltet FRCP Rule 12(f) allerdings insbesondere auch eine Berechtigung zur Geltendmachung einer motion to strike any insufficient defense und wird insoweit als Äquivalent zum demurrer (motion to dismiss for failure to state a claim; vgl. vorst. Rn. 362 ff.) des Beklagten verstanden. III. Weitere Schriftsätze auf gerichtliche Anordnung

377

Von den vorstehend genannten Fällen abgesehen, bedarf jeder weitere schriftsätzliche Vortrag der Parteien der ausdrücklichen gerichtlichen Ermächtigung (vgl. FRCP Rule 7[a] und 12[a][2]), die jedoch nur in seltenen Ausnahmefällen erteilt wird. Hat das Gericht eine solche Anordnung erlassen, hat der Kläger den entsprechend der gerichtlichen Anordnung verfassten Schriftsatz i.d.R. innerhalb von 20 Tagen nach Erhalt des Beschlusses dem Beklagten zuzustellen.

E. Die Änderung und Ergänzung des schriftsätzlichen Vorbringens 378

Wenngleich mit den Grundsätzen des notice pleading die Vorstellung verbunden ist, dass sich Gericht und Gegner im Wesentlichen aufgrund einer abschließend begrenzten Zahl gewechselter Schriftsätze ein Bild von den entscheidungserheblichen Tatsachen- und Rechtsfragen machen 176

Die Änderung und Ergänzung des schriftsätzlichen Vorbringens

können sollen, vgl. vorst. Rn. 318, kann es selbstverständlich gleichwohl vorkommen, dass sich auf Seiten einer Partei nachträglich der Bedarf ergibt, ihr Vorbringen in den pleadings zu ergänzen oder zu ändern. Solche Änderungen und Ergänzungen (amendments) sind den Parteien im Interesse der materiellen Gerechtigkeit493 relativ freizügig gestattet, und zwar im Einzelnen nach Maßgabe der folgenden Vorschriften: I. Änderung und Ergänzung ohne gerichtliche Erlaubnis Bis zur Zustellung der answer kann der Kläger, und bei Erhebung einer ausdrücklich so gekennzeichneten Widerklage bis zur Zustellung der Erwiderung auf dieselbe auch der Beklagte, sein schriftsätzliches Vorbringen einschließlich des Rubrums und der gestellten Anträge gemäß FRCP Rule 15(a) einmal ohne gerichtliche Erlaubnis (as a matter of course) ändern oder ergänzen. Handelt es sich bei dem zu ändernden pleading allerdings um ein solches, auf das seinerseits keine weitere Erwiderung zulässig ist (also i.d.R. die answer und die reply auf eine Widerklage), so ist eine Änderung oder Ergänzung ohne gerichtliche Erlaubnis nur innerhalb von 20 Tagen nach Zustellung des betreffenden Schriftsatzes an den Gegner zulässig.

379

II. Andere Fälle der Änderung und Ergänzung Nach Ablauf der für die amendments as a matter of course vorgesehenen Fristen bedarf die Änderung und Ergänzung des schriftsätzlichen Vorbringens der gerichtlichen Erlaubnis, die auf entsprechenden Antrag allerdings liberal („freely“) stets dann zu erteilen ist, wenn dies im Interesse der materiellen Gerechtigkeit liegt; vgl. FRCP Rule 15(a)494.

380

Bei der Entscheidung über einen solchen Antrag nimmt das Gericht eine Abwägung vor zwischen dem Interesse des Antragstellers an der Erlaubnis einerseits und andererseits der schuldhaften Verursachung der Notwendigkeit der nachträglichen Änderung des Vorbringens durch den Antragsteller selbst (etwa durch vermeidbare Nachlässigkeit bei der Abfassung des betroffenen pleading), dem bei Antragsstattgabe betroffenen Interesse des Gegners (reliance interest), dem gegebenenfalls schuldhaften Beitrag des Gegners zur Erforderlichkeit des Antrages

381

493 „[I]f justice so requires;“ vgl. FRCP Rule 15(a) und allgemein Rn. 183. 494 Dabei muss dem Antrag regelmäßig der Änderungsschriftsatz selbst bereits im Entwurf beigefügt sein; vgl. Moore v. Indiana, 999 F.2d 1125, 1131 (7th Cir. 1993) und Wolgin v. Simon, 722 F.2d 389, 394 (8th Cir. 1993).

177

Prozessleitende Schriftsätze: Die Pleading Stage zu Beginn des Verfahrens

(etwa durch Vorenthaltung wesentlicher Informationen) sowie schließlich allgemeinen rechtspolitischen Erwägungen wie insbesondere dem Interesse an einer zügigen Verfahrenserledigung; wobei im Rahmen des letzteren Gesichtspunktes jedoch das Gebot der materiellen Gerechtigkeit regelmäßig zugunsten der Antragsstattgabe in die Waagschale fallen wird495. 382

Soweit zum Ausgleich aller abzuwägenden Interessen erforderlich, kann die Erlaubnis sodann auch unter einschränkenden Bedingungen erteilt werden. Zeitlich ist die Antragstellung an keine Grenzen gebunden; je näher das Verfahren allerdings bereits der gerichtlichen Hauptverhandlung (trial) und Entscheidungsfindung gerückt ist, desto geringer sind die Erfolgsaussichten eines Änderungs- oder Ergänzungsantrages, denn desto eher wird es sich um eine schuldhaft verzögerte Antragstellung handeln, die für Gericht und Gegner bei Stattgabe einen erheblichen Mehraufwand an Zeit und Kosten sowie gegebenenfalls weitere Nachteile mit sich bringen wird496.

383

Eine Sonderregelung findet sich in FRCP Rule 15(b) mit Rücksicht auf zwei Situationen, die während der gerichtlichen Beweisaufnahme auftreten können und im Zusammenhang mit der beweisrechtlichen Grundregel stehen, dass zulässig nur die Einführung entscheidungserheblicher Beweismittel ist (relevant evidence; vgl. FRE Rule 401 und 402 und nachf. Rn. 584 ff.). Da der Ausschluss unzulässiger Beweismittel jeweils im Einzelfall des Einspruchs (objection) und gegebenenfalls eines Streichungsantrages (motion to strike)497 der gegnerischen Partei bedarf, ist es nicht ausgeschlossen, dass bei Ausbleiben eines solchen Einspruchs gelegenlich auch solche Beweise eingebracht werden, die dem beweisrechtlichen Relevanzgrundsatz eigentlich nicht entsprechen. Insbesondere wenn der Umfang des Parteivorbringens durch solche – mit konkludenter Zustimmung des nicht Einspruch erhebenden Gegners eingeführte – eigentlich unerhebliche Beweismittel deutlich überschritten wird, wäre es nicht sachgerecht, die Parteien am wesentlich begrenz495 Aus diesem Grunde ist auch der Antragsgegner im vollen Umfang der gegen die Stattgabe sprechenden Gründe darlegungsbelastet, während die Darlegungslast des Antragstellers deutlich reduziert sein kann; vgl. Foman v. Davis, 371 U.S. 178 (1962). Eine Übersicht über die im Wesentlichen einzelfallbezogene Rechtsprechung zu der gerichtlich zu treffenden Interessenabwägung findet sich bei Baicker-McKee, Janssen, Corr, Federal Civil Rules Handbook, Authors’ Commentary on Rule 15 Fn. 13-14, 19-22 u. 25-26. 496 Zenith Radio Corp. v. Hazeltine Research, Inc., 401 U.S. 321 (1971); zu weiteren Fällen vgl. die bei Baicker-McKee, Janssen, Corr, Federal Civil Rules Handbook, Authors’ Commentary on Rule 15 Fn. 23 zitierte Rechtsprechung. 497 Nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Antrag im Rahmen der prozessualen Einwendungen des Beklagten gegen das Klagevorbringen; vgl. vorst. Rn. 354.

178

Die Änderung und Ergänzung des schriftsätzlichen Vorbringens teren Umfang ihrer zu Beginn des Verfahrens gewechselten Schriftsätze festzuhalten. In diesem Fall sieht FRCP Rule 15(b) vor, dass die Schriftsätze so behandelt werden können, als hätten sie, soweit nach den Grundsätzen des notice pleading erforderlich, bereits anfänglich das erst im Beweiswege in das Verfahren eingeführte Tatsachenmaterial enthalten. Soweit (z. B. zur Bestimmung der Bindungsund Präklusionswirkung des später ergehenden Urteils) hilfreich, kann die Fassung der Schriftsätze dann auch tatsächlich den später aufgetretenen Verhältnissen angepasst und erweitert werden. Ebenso zulässig ist im Gegenzug auch die Einschränkung des schriftsätzlichen Vorbringens nach einem auf Relevanzgründe gestützten erfolgreichen Einspruch des Gegners gegen einzelne Beweismittel498.

III. Wirkung von Änderungen und Ergänzungen Nach Maßgabe von FRCP Rule 15(c) wirken zugelassene Änderungen und Ergänzungen der pleadings ex ante mit dem Zeitpunkt des effective date (dem Zustelldatum oder dem Zeitpunkt der Einreichung bei Gericht) des geänderten bzw. ergänzten Schriftsatzes in seiner ursprünglichen Form, soweit dies insbesondere im Rahmen der Verjährungsregeln von Bedeutung und von jenen ausdrücklich zugelassen ist. Dies gilt u. U. auch dann, wenn sich der geänderte Sachvortrag auf Tatsachen bezieht, die schon in dem ursprünglichen Schriftsatz zwar zumindest ansatzweise vorgetragen worden waren, wenngleich jedoch noch nicht mit der erforderlichen Klarheit499.

384

Eine durch Klageänderung oder -erweiterung neu hinzugekommene Partei erfasst die ex ante-Wirkung nur insoweit, als sie rechtzeitig vorherige Kenntnis (notice) von dem Rechtsstreit erlangt und die Möglichkeit hatte, sich auf die Prozessführung in ausreichendem Maße vorzubereiten, und wenn sie hätte wissen müssen, dass ihre Parteibenennung ursprünglich nur irrtümlich unterblieben ist500.

385

498 Ähnlich z. B. auch CAL. CODE CIV.PROC. § 309, wonach über die pleadings hinaus jede Tatsache Gegenstand der Beweisaufnahme sein kann, hinsichtlich deren die Beweiserhebung durch ausdrücklichen Beschluss des Gerichts angeordnet wird. – Eingehend zu FRCP Rule 15(b) s. Baicker-McKee, Janssen, Corr, Federal Civil Rules Handbook, Authors’ Commentary on Rule 15 m. zahlr. w. N. 499 Die Reichweite der Rückwirkung bestimmt sich jedoch stets nach Maßgabe aller Umstände des Einzelfalls; vgl. Baicker-McKee, Janssen, Corr, Federal Civil Rules Handbook, Authors’ Commentary on Rule 15(C) und die dort Fn. 47-48 zitierte Rechtsprechung. 500 Vgl. FRCP Rule 15(c)(3) sowie Singletary v. Pennsylvania Dept. of Corrections, 266 F.3d 186, 189 (3d Cir. 2001) und Atchinson v. District of Columbia, 73 F.3d 418, 427 (D.C. Cir. 1996).

179

Prozessleitende Schriftsätze: Die Pleading Stage zu Beginn des Verfahrens

386

Im Verhältnis zwischen Mutter- und Tochterunternehmen sowie bei Stellvertretungsverhältnissen werden die vorgenannten Voraussetzungen allerdings bereits bei Kenntnis einer der jeweiligen Parteien von dem Rechtsstreit gegeben sein, wenn dem Kläger auch Ansprüche gegen die jeweils andere Partei zustehen; es sei denn, der Irrtum des Klägers habe sich lediglich auf die Art des Verhältnisses zwischen den potentiellen Beklagten bezogen (dann keine Rückwirkung).

IV. Spätere Ergänzung des Vorbringens aufgrund neuer Tatsachen 387

Soweit nachträglich neue Tatsachen eintreten, die für das Verfahren von wesentlicher Bedeutung sind, können diese mit Zustimmung des Gerichts auch später noch im Wege eines Nachtragsschriftsatzes (supplemental pleading) vorgetragen werden; vgl. FRCP Rule 15(d). Im Gegensatz zur verfahrensgestaltenden Änderung und Ergänzung der pleadings (amendment) handelt es sich hierbei jedoch um eine schlichte Ergänzung des Sachvortrages ohne verfahrensgestaltende Wirkung und insbesondere auch ohne Rückwirkung für Verjährungszwecke501.

501 S. insoweit Zenith Radio Corp. v. Hazeltine Research, Inc., 401 U.S. 321 (1971) und allgemein Baicker-McKee, Janssen, Corr, Federal Civil Rules Handbook, Authors’ Commentary on Rule 15(d).

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Kapitel 6: Discovery: Beweisermittlung im Parteibetrieb

Weiterführende Literatur: Clermont, Civil Procedure; Dessem, Pretrial Litigation in a Nutshell; Field, Kaplan, Clermont, Civil Procedure; Imwinkelried, Blumoff, Pretrial Discovery: Strategy & Tactics; Malone, Hoffman, The Effective Deposition; Mauet, Pretrial; ders., Trial Techniques; McCormick, Strong, Broun et al., McCormick on Evidence; Rothstein, Raeder, Crump, Evidence in a Nutshell: State and Federal Rules; Schack, Einführung in das US-amerikanische Zivilprozessrecht; Schwarzer, Tashima, Wagstaffe, Federal Civil Procedure Before Trial; Siegel, New York Practice; Weinstein, Mansfield, Abrams, Berger, Evidence; Wright, Miller, Federal Practice and Procedure.

Den Kernbereich der pretrial-Phase des amerikanischen Zivilprozesses stellt die discovery dar, d. h. die ausschließlich in die Hände der Parteien gelegte Ermittlung des entscheidungserheblichen Beweismaterials. Nach dem ursprünglichen Verständnis war die Rolle des Gerichts dabei ausschließlich auf die Entscheidung konkreter Streitigkeiten über Art und Umfang der Parteirechte und -pflichten im Einzelfall beschränkt (vgl. insoweit insbes. FRCP Rule 37 und nachf. Rn. 467 ff.). In der jüngeren Vergangenheit hat sich allerdings eine Tendenz zu stärker verfahrensleitenden Eingriffen der Gerichte in den Ablauf der discovery herausgebildet, vor allem im Zusammenhang mit den sogenannten case management conferences, in deren Rahmen die Parteien dem Gericht u. a. über Verlauf und Stand der discovery Bericht erstatten, und in denen verbindliche Zeitpläne für die Erledigung der discovery aufgestellt und gegebenenfalls auch Anordnungen zur Handhabung von Einzelfragen getroffen werden (vgl. FRCP Rule 16 und nachf. Rn. 492 ff.).

388

Eine irgendwie geartete gerichtliche Beweisermittlung findet jedoch weder während des pretrial noch im Verlauf der eigentlichen Hauptverhandlung (trial) statt, insbesondere auch nicht im Umfang der deutschen Zivilgerichten nach §§ 142-144 u. 448 ZPO eingeräumten Befugnis zur Anordnung der Urkundenvorlage, des Sachverständigenbeweises und der Parteivernehmung; und auch die Zeugenvernehmung im Rahmen der gerichtlichen Beweisaufnahme ist nicht in die Hände des Gerichts, sondern in die der Parteien gelegt (direct and cross examination; zu Einzelheiten s. nachf. Rn. 556 ff.). Aus diesem Grunde stellt die discovery ein wichtiges Kontrollinstrument des adversary system dar, welches nicht nur die Waffengleichheit der Parteien fördert, sondern auch zur Einführung aller

389

181

Discovery: Beweisermittlung im Parteibetrieb

entscheidungserheblichen Beweismittel in das Verfahren und insbesondere auch zur Verhinderung der missbräuchlichen Beweisunterdrückung beiträgt. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund schätzen auch die sachentscheidenden amerikanischen Gericht das Recht der Parteien auf ein volle Ausschöpfung ihrer discovery-Rechte so hoch ein, dass sie i.d.R. nicht bereit sind, ihre im Grundsatz einmal bejahte Zuständigkeit zugunsten eines anderen, u. U. sogar sachnäheren ausländischen Forums aufzugeben, wenn dort nicht ebenfalls der Zugang der Parteien zum discovery-Verfahren gewährleistet ist502. 390

Für die nicht-amerikanische Partei ist darüber hinaus insbesondere auch die Erkenntnis von Bedeutung, dass sie sich discovery proceedings nicht nur bei Anhängigkeit eines Rechtsstreits in den USA und nicht einmal ausschließlich innerhalb der amerikanischen Territorialgrenzen gegenüber sehen können. Denn zum einen sind Beweismittel im Besitz oder in der Kontrolle einer anderweitig jeweils ordnungsgemäß der amerikanischen Gerichtsbarkeit unterworfenen Partei nicht allein deshalb von der Offenbarung an den Gegner geschützt, weil sich das betreffende Beweismittel im Ausland befindet. Zum anderen dehnt ein U.S.-Bundesgesetz die Zuständigkeit der amerikanischen Bundesgerichte zur Anordnung von discovery-Maßnahmen aber auch auf den Fall aus, dass sich im Rahmen eines im Ausland anhängigen Rechtsstreits bedeutsame Beweismittel innerhalb des Zuständigkeitskreises eines amerikanischen Gerichts befinden; vgl. nachf. Rn. 482 ff. Aus diesem Grunde ist eine Beschäftigung mit dem discovery-Verfahren für jeden auch nur irgendwie gearteten Teilnehmer am amerikanischen Wirtschaftsleben von erheblicher praktischer Bedeutung.

391

Verfahrenstechnisch fällt die discovery in einen relativ kurzen anfänglichen Abschnitt des unaufgeforderten Austausches bestimmter Kern-Beweisstücke (initial disclosures) sowie in die wesentlich längere „eigentliche“ discovery, die gezielte Ausforschung der in der Hand des Gegners befindlichen Beweismittel. Gegen Ende der pretrial-Phase besteht dann noch einmal die Verpflichtung zum selbständigen Austausch bestimmter Informationen im Zusammenhang mit der Vorbereitung der gerichtlichen Beweisaufnahme.

502 Vgl. vorst. Rn. 275 ff. (forum non conveniens).

182

Disclosures

A. Disclosures Im Jahre 1993 wurden die FEDERAL RULES OF CIVIL PROCEDURE nach heftiger Diskussion um Reichweite und Zweckmäßigkeit einer solchen Regelung um die Verpflichtung der Parteien ergänzt, im Interesse der Zeitersparnis und Verfahrensvereinfachung auch unabhängig von ihren wechselseitigen discovery-Ersuchen (discovery requests) bestimmte verfahrenswesentliche Beweisstücke und andere Informationen ungefragt auszutauschen.

392

I. Umfang 1. Initial Disclosures Nach Maßgabe von FRCP Rule 26(a)(1) erstreckt sich die wechselseitige Informationspflicht der Parteien zu Beginn des Verfahrens auf die folgenden (zugleich auch dem Gericht mitzuteilenden) Umstände: – Namen, Anschriften und Telefonnummern von Zeugen, die wahrscheinlich über Wissen verfügen, welches gegebenenfalls im Hinblick auf die streitgegenständlichen Tatsachen von Bedeutung sein kann (discoverable information)503; – Kopien der mit Rücksicht auf den Sachvortrag in den pleadings bedeutsamen Urkunden, Akten, Augen- und Ohrenscheinsbeweisstücke und vergleichbaren Unterlagen und Gegenstände, die sich jeweils in Besitz oder Kontrolle der Parteien befinden504; oder bei Vorhandensein einer Vielzahl solcher Beweisstücke zumindest die Angabe, wo der Gegner das entsprechende Beweismaterial einsehen kann505; – eine Berechnung geltend gemachter Geldforderungen im Einzelnen unter Beifügung aller insoweit vorhandenen Belege;

503 Dabei ist der Umfang der unter den Begriff der discoverable information fallenden Tatsachen im Rahmen der initial disclosures ebenso wie bei den dann folgenden Schritten der discovery weiter gefasst als derjenige der beweiserheblichen Tatsachen im Verlauf des trial (relevant evidence); vgl. nachf. Rn. 585. 504 Hierzu zählen insbesondere auch elektronisch gespeicherte Dokumente; vgl. In re Bristol-Myers Squibb Securities Litigation, 205 F.R.D. 437, 440-441 (D.N.J. 2002) und FRCP ADVISORY COMMITTEE NOTES to Rule 26(a)(1), 1993 Amendment. 505 Baicker-McKee, Janssen, Corr, Federal Civil Rules Handbook, Authors’ Commentary on Rule 26(a)(1).

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393

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– sowie gegebenenfalls bestehende Versicherungsverträge, die im Unterliegensfalle entstehende Zahlungspflichten ganz oder teilweise erfassen würden506. 394

Einige Prozessarten wurden allerdings nachträglich wieder von der Reichweite dieser Vorschrift ausgenommen, nachdem sich erwies, dass sie in deren Rahmen entweder überflüssig oder schlechterdings unpraktikabel ist. Hierzu zählen insbesondere die Mehrzahl der Klagen gegen Verwaltungsorgane, die ihren Entscheidungen ohnehin bereits den gesamten behördeninternen Verwaltungsvorgang (administrative record) zugrunde legen, bestimmte Verfahren unter Beteiligung von (insbesondere: anwaltlich nicht vertretenen) Strafgefangenen sowie Verfahren, die auf die Vollstreckung von Schiedssprüchen gerichtet sind; vgl. FRCP Rule 26(a)(1)(E).

2. Sachverständige 395

FRCP Rule 26(a)(2) sieht des Weiteren vor, dass die Parteien sich zu einem im Einzelfall zu bestimmenden Zeitpunkt, jedoch regelmäßig mindestens 90 Tage507 vor Beginn des trial, wechselseitig über die Person der Sachverständigen (expert witnesses) auszutauschen haben, auf deren Aussagen sie gedenken, sich im Rahmen des trial jeweils zu berufen; zugleich sind die insoweit wechselseitig zugestellten Unterlagen auch zu den Gerichtsakten zu reichen508. In diesem Zusammenhang muss auch das der späteren Aussage zugrunde gelegte schriftliche Gutachten (expert report) vorgelegt werden, aus dem sich nicht nur die Feststellungen des Sachverständigen zu den ihm gestellten Sachfragen, sondern insbesondere auch – wegen ihrer Bedeutung für die Beurteilung seiner Glaubwürdigkeit – Angaben zu seiner fachlichen Qualifikation, Honorierung und forensischen Erfahrung ergeben müssen.

396

Die Vorlagepflicht erstreckt sich des Weiteren auch auf alle dem Sachverständigen seitens der Partei zur Verfügung gestellten Unterlagen; unabhängig davon, ob diese letztendlich Eingang in das Gutachten gefunden haben oder nicht. Aus diesem Grunde bedienen sich die Parteien insbesondere im Zusammenhang mit solchen Prozessen, die eine Vielzahl komplexer Fragen aus dem wirtschaftlichen, technischen, naturwissenschaftlichen oder medizinischen Bereich zum Gegenstand 506 Und zwar ungeachtet der Tatsache, dass das Bestehen von Haftpflichtversicherungsverträgen im Rahmen des trial nicht nur beweisunerheblich, sondern die Erwähnung solcher Verträge sogar ausdrücklich untersagt ist; vgl. FRE Rule 411 und nachf. Rn. 590. 507 Kürzer sind die Fristen allerdings nach den Prozessordnungen einer Reihe von Bundesstaaten; vgl. z. B. CAL. CODE CIV.PROC. § 2034(c) (50 Tage). 508 Sachverständige sind im amerikanischen Prozess ebenso wie „einfache“ Zeugen (lay witnesses) nicht neutral, sondern werden als im Lager der sie jeweils benennenden Partei stehend verstanden; vgl. nachf. Rn. 616.

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Disclosures haben, zweier Sachverständiger: eines sogenannten consulting expert, der die Partei lediglich in der Prozessvorbereitung berät, jedoch nicht als Sachverständiger im Rahmen der Beweisaufnahme auftritt, und eines testifying expert, der ausschließlich die letztere Rolle einnimmt. Vgl. insoweit nachf. Rn. 465 ff.

3. Informationsaustausch unmittelbar vor Beginn des Trial Schließlich sind die Parteien gemäß FRCP Rule 26(a)(3) verpflichtet, kurz vor Beginn der gerichtlichen Hauptverhandlung und Beweisaufnahme (trial) – nach den FEDERAL RULES OF CIVIL PROCEDURE nicht weniger als 30 Tage vorher, nach vielen örtlichen Prozessordnungen allerdings auch im Zusammenhang mit einer lediglich ca. eine Woche vor Beginn des trial stattfindenden case management conference509 – Listen auszutauschen und zu den Gerichtsakten zu reichen, aus denen sich einerseits sämtliche im Rahmen der Beweisaufnahme einzuführenden Urkunden510 und Augenscheinsstücke und andererseits die Identität sämtlicher zu benennender Zeugen ergeben (exhibit lists und witness lists). Dies dient der Vorabklärung etwaiger Streitigkeiten über die Zulässigkeit der insoweit im Einzelnen benannten Beweismittel; Einsprüche hiergegen sind jeweils – begründet und ebenfalls in Listenform – binnen 14 Tagen nach Vorlage der exhibit list und witness list durch den Prozessgegner zu erheben. Mit Ausnahme des Einwands der Entscheidungsunerheblichkeit (vgl. FRE Rule 402) und desjenigen der untunlichen Beeinflussung des Tatsachenrichters durch Beweismittel, deren Schockwirkung größer ist als ihr entscheidungserheblicher Wert (vgl. FRE Rule 403), gelten im Grundsatz alle Einsprüche gegen die Zulässigkeit der in diesen Listen benannten Beweismittel verwirkt, die nicht fristgemäß vor Beginn des trial erhoben worden sind; das Gericht kann solche Einsprüche jedoch im Einzelfall nachträglich noch zulassen, wenn sich dies als sachgerecht erweist (for good cause)511.

509 Pretrial conference oder final pretrial conference, vgl. nachf. Rn. 495 und z. B. CENTRAL DISTRICT OF CALIFORNIA RULE 16 – 2 u. NORTHERN DISTRICT AND SOUTHERN DISTRICT OF IOWA RULE 16 – 2. 510 Einschließlich insbesondere auch der Protokolle und Protokoll-Ausschnitte von depositions, auf die sich die Parteien im Rahmen der Beweisaufnahme zu beziehen gedenken (designated deposition testimony); vgl. FRCP Rule 26(b)(3) u. 32. 511 Diese Verwirkungsregel gilt insbesondere auch für den im Zusammenhang mit Urkunden und Augenscheinsstücken besonders bedeutsamen Echtheitsund Unmittelbarkeitseinwand (authenticity und best evidence); vgl. FRE Rule 901 und 1002 und nachf. Rn. 591 ff.

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II. Verfahren 1. Kooperationspflicht und Discovery Plan 398

Der Schwerpunkt der disclosure liegt auf der Zusammenarbeit der Parteien. So sind sie bereits relativ frühzeitig im Verlauf des Verfahrens – i.d.R. jedoch spätestens 14 Tage vor der ersten case management conference (s. nachf. Rn. 492 ff.) – verpflichtet, zu einer Beratung über den Streitstoff, die anstehende disclosure und discovery sowie etwa bestehende Möglichkeiten einer gütlichen Einigung zusammenzukommen; vgl. FRCP Rule 26(f). Vor einer solchen Parteienkonferenz ist im Regelfall keine Partei zur Einleitung von discovery-Maßnahmen berechtigt (FRCP Rule 26[d]).

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Im Rahmen der Konferenz ist sodann insbesondere auch ein sogenannter discovery plan auszuarbeiten, aus dem sich in zumindest groben Zügen Zeitrahmen, Ablauf, Umfang und voraussichtliches Ende der disclosure und discovery sowie ein Zeitrahmen für die case management conference(s), etwa anzubringende summary judgment motions (vgl. nachf. Rn. 525 ff.) und schließlich voraussichtlicher Beginn und Dauer des trial ergeben sollen. Über die Konferenz und den während dieser entworfenen discovery plan sowie andere wesentliche Absprachen ist das Gericht binnen 10 Tagen von den Parteien gemeinschaftlich in Kenntnis zu setzen (vgl. FRCP Rule 26[f]).

400

Alle Berichte, Listen und anderen im Rahmen der disclosure ausgetauschten Informationen bedürfen der Schriftform, der Unterschrift mindestens eines Prozessbevollmächtigten pro Partei (oder bei unvertretenen Parteien der Partei selbst) und der formellen Zustellung; mit der Unterschriftsleistung wird zugleich bestätigt, dass der Inhalt der Informationsschrift nach bestem Wissen und Gewissen des Unterzeichners zum Zeitpunkt ihrer Abfassung zutreffend und vollständig ist (vgl. FRCP Rule 26[a][4] und [g][1]). Die Berichtspflicht über die Konferenz der Parteien und die Verpflichtung, alle Informationsschriften im Rahmen der disclosure zugleich auch bei Gericht einzureichen, verdeutlicht darüber hinaus einmal mehr die zunehmende Tendenz der Gerichte, zumindest eine gewisse Kontrolle über den Verlauf der discovery an sich zu ziehen.

401

Soweit eine Partei nachträglich Kenntnis von weiteren Umständen erlangt, die gleichfalls von ihren disclosure-Pflichten erfasst sind, ist sie des Weiteren auch verpflichtet, die bereits erteilten Informationen entsprechend nachzubessern (supplementation); vgl. FRCP Rule 26(e)(1).

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Disclosures

2. Sanktionen Der Verstoß einer Partei gegen ihre Verpflichtungen im Rahmen der disclosure unterliegt ebenso der gerichtlichen Sanktion wie der Verstoß gegen discovery-Verpflichtungen (vgl. FRCP Rule 37[a] und [c][1]). Vor Anbringung einer motion for sanctions ist die benachteiligte Partei allerdings zu dem Versuch verpflichtet, im Konferenzwege mit dem pflichtwidrig handelnden Gegner eine Lösung ohne Anrufung des Gerichts herbeizuführen; des Weiteren bedarf es in aller Regel zuvor einer motion to compel discovery, also eines Antrages auf gerichtliche Anordnung der unterlassenen Mitwirkung512.

402

Kommt der Gegner trotz des Einigungsversuchs und der gerichtlichen Anordnung seinen Verpflichtungen nicht nach und erweist sich die Pflichtwidrigkeit nicht ausnahmsweise als harmlos oder gerechtfertigt, so kommen (alternativ und kumulativ) insbesondere die folgenden Sanktionen in Betracht:

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– Der Ausschluss des nicht offenbarten Beweismittels im Rahmen der gerichtlichen Beweisaufnahme (trial); – die Anordnung, dass die Tatsachen, auf welche sich das nicht offenbarte Beweismittel bezieht, zugunsten der benachteiligten Partei als erwiesen gelten; – der Ausschluss anderer Beweismittel, auf die sich die pflichtwidrig handelnde Partei im Rahmen der gerichtlichen Beweisaufnahme hatte berufen wollen; – die Unterrichtung der Jury über die Pflichtverletzung im Rahmen der gerichtlichen Hauptverhandlung und Beweisaufnahme; – die Aussetzung des Verfahrens, bis die pflichtwidrig handelnde Partei ihrer Mitwirkungspflicht genügt hat; – die gänzliche oder teilweise Streichung der pleadings der pflichtwidrig handelnden Partei oder auch ohne eine solche Streichung und ohne jede weitere Sachprüfung die Abweisung der Klage des pflichtwidrig handelnden Klägers (in Extremfällen sogar mit voller Präklusionswirkung hinsichtlich des geltend gemachten Anspruchs) oder der Erlass eines Versäumnisurteils zu Lasten der pflichtwidrig handelnden Partei; 512 Helfand v. Gerson, 105 F.3d 530, 536 (9th Cir. 1997). Zum Verfahren vgl. insoweit Baicker-McKee, Janssen, Corr, Federal Civil Rules Handbook, Authors’ Commentary on Rule 37(a).

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– sowie schließlich die Anordnung einer Kostenerstattungspflicht zugunsten der benachteiligten Partei mit Rücksicht auf die Mehrkosten, die jener gerade aufgrund des pflichtwidrigen Handelns entstanden sind (i.d.R. Anwalts- und Gerichtskosten für die motion for sanctions sowie gegebenenfalls erhöhte Auslagen für die Einholung von Auskünften und andere Ermittlungen).

B. Discovery 404

Aufgrund des in ihren eigenen Unterlagen befindlichen Beweismaterials sowie der im Rahmen der initial disclosure ausgetauschten Informationen ist es den Parteien möglich, sich ein anfängliches Bild von dem zu erwartenden Streitstoff zu machen; jedoch ist dieses Bild in seinen Umrissen zu diesem Zeitpunkt noch verhältnismäßig unscharf, und insbesondere sind auch Stärke und Schwäche der jeweiligen Positionen beider Parteien im Einzelnen noch nicht mit der für eine ordnungsgemäße Vorbereitung der gerichtlichen Beweisaufnahme erforderlichen Deutlichkeit erkennbar. Nun beginnt daher die eigentliche Vorbereitung der Beweisaufnahme im Rahmen der discovery. I. Umfang

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Art und Umfang der Umstände, auf die sich die discovery erstrecken darf (d. h. der sogenannten discoverable information), sind seit einer im Jahre 2000 in Kraft getretenen Reform der FEDERAL RULES OF CIVIL PROCEDURE auf Bundesebene und der Ebene der Bundesstaaten unterschiedlich geregelt. – Die meisten Bundesstaaten erlauben nach wie vor – wie auch bis zum Jahr 2000 die FEDERAL RULES OF CIVIL PROCEDURE, vgl. FRCP Rule 26(b)(1) a. F. – die discovery in Bezug auf alle Umstände, die Bedeutung für den Streitstoff des Verfahrens insgesamt erlangen können („any matter … relevant to the subject matter involved in the pending action“)513; vgl. z. B. CAL. CODE CIV.PROC. § 2017 (Kalifornien), MCR Rule 2.302(B)(1) (Michigan) und Illinois Supreme Court Rules R. 201(b). – Die neugefasste Regelung auf Bundesebene sieht demgegenüber eine Erstreckung der discovery nur auf solche Umstände vor, die sich als maßgeblich zur Beurteilung der konkret geltend gemachten Kla513 Hervorhebung durch die Verfasserin.

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Discovery

geansprüche und Einwände des Beklagten erweisen können („any matter … relevant to the claim or defense of any party“); vgl. FRCP Rule 26(b)(1) n.F.514. Unabhängig vom jeweiligen Ansatzpunkt der discovery stets gestattet ist aber die Erfragung bereits solcher Umstände, die – auch wenn sie selbst nicht dem beweisrechtlichen Relevanzgrundsatz entsprechen und deshalb im Rahmen der gerichtlichen Beweisaufnahme nicht eingeführt werden dürften – zur Entdeckung weiterer „discoverable information“ führen können; vgl. FRCP Rule 26(b)(1): Die discovery versteht sich bewusst als Beweisausforschung; ihr Gegenstand ist nicht lediglich die Bestätigung und Bekräftigung der eigenen Position jeder Partei, sondern die Ermittlung des Kenntnisstandes und der Schwächen und Stärken der Rechtsposition des jeweiligen Gegners, und hierzu gehört gerade auch die Erfragung dessen, was der Gegner gegebenenfalls selbst erst aufgrund eigener pflichtgemäßer Erkundigungen erfahren hat oder erfahren würde515. Damit trägt die discovery nach amerikanischem Verständnis zugleich erheblich zur Waffengleichheit beider Parteien vor Gericht bei; es soll keiner Partei möglich sein, sich bereits durch die über das Beweismaterial ausgeübte Kontrolle einen unfairen Vorteil gegenüber ihrem Gegner zu verschaffen; in Deutschland wird allerdings diskutiert, ob und inwieweit dies wegen Verstoßes gegen den deutschen ordre public (prozessuales Ausforschungsverbot) zur Versagung der Anerkennung eines später ergehenden Urteils führen muss516.

514 Ähnlich z. B. die Regelung des Bundesstaates New York, die den ansonsten allgemein als „discovery“ bezeichneten Verfahrensabschnitt als „disclosure“ bezeichnet, und den Umfang dieser disclosure als bezogen auf „all matter material and necessary in the prosecution or defense of an action, regardless of the burden of proof“ definiert; vgl. N.Y.C.P.L.R. § 3101(a) (Hervorhebung durch die Verfasserin). Allgemein vgl. hierzu Behler v. Hanlon, 199 F.R.D. 553, 555 (D. Md. 2001); FRCP ADVISORY COMMITTEE NOTES to Rule 26(b)(1), 2000 Amendment, und Baicker-McKee, Janssen, Corr, Federal Civil Rules Handbook, Authors’ Commentary on Rule 26(b)(1). 515 Zur sogenannten discoverability solcher Tatsachen, die selbst keine zulässigen Beweismittel darstellen, vgl. Seattle Times Co., v. Rhinehart, 467 U.S. 20 (1984) und Glover v. South Carolina Law Enforcement Division, 170 F.3d 411 (4th Cir. 1999). 516 Differenzierend hierzu BGHZ 118, 312; grundsätzlich gegen Anerkennung solcher Urteile Schütze, Die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung USamerikanischer Zivilurteile, die nach einer pre-trial-discovery ergangen sind in der Bundesrepublik Deutschland, Festschrift für Ernst C. Stiefel (1987), S. 697.

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Grenzen sind der discovery nur durch die beweisrechtlichen Aussageverweigerungsrechte (privileges) sowie im Hinblick auf gewisse verfassungsmäßig oder gesetzlich vor der Offenbarung geschützte Tatsachen, die prozessvorbereitenden Unterlagen des Anwalts (attorney work product, vgl. nachf. Rn. 461 ff.), die prozessvorbereitende Beratungstätigkeit von Sachverständigen und darüber hinaus im Einzelfall auch bei missbräuchlicher Verwendung der discovery-Methoden gesetzt. Regelmäßig unbeachtlich ist jedoch das bloße Begehren, nachteilige Informationen vor dem Prozessgegner geheimzuhalten. II. Form und Verfahren 1. Formerfordernisse

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Sowohl discovery-Ersuchen als auch die Antworten auf die meisten Unterarten dieser Ersuchen (interrogatories, requests for admission, requests for production und depositions upon written examination) bedürfen der Schriftform und der Unterzeichnung durch den sachbearbeitenden Anwalt oder, in Abwesenheit anwaltlicher Vertretung, der Partei selbst; vgl. FRCP Rule 26(g). Dabei bestätigt der Unterzeichnende zugleich, dass der Inhalt der Schrift – insbesondere auch insoweit, als diese keine Sachantworten auf vorausgehende Ersuchen, sondern im Einzelfall einen Einspruch gegen Form oder Inhalt der Fragestellung enthält, vgl. nachf. Rn. 413 – pflichtgemäß, ohne Missbrauchsabsicht und so vollständig zusammengestellt ist, wie dies nach dem Informationsstand der Partei zum jeweiligen Zeitpunkt angemessen ist517.

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Die Prozessordnungen einzelner Bundesstaaten sowie die local rules einiger Gerichte sehen darüber hinaus vor, dass die Richtigkeit des Inhalts der Antwortschriften von der vertretenen Partei selbst durch eidesstattliche Erklärung (verification) zu bestätigen ist518. Da auch die FEDERAL RULES OF CIVIL PROCEDURE zumindestens für die Beantwortung von interrogatories aufgrund des eidlichen Charakters der Antworten neben der Unterzeichnung durch den Anwalt auch die Unterschrift des Mandanten erfordern519, ist es des Weiteren auch im Verfahren vor den Bundesgerichten zumindest auch insoweit erforderlich (sowie hinsichtlich anderer discovery-Methoden ebenfalls gelegentlich üblich), vom Mandanten eine solche verification zu erbitten. Unter allen Umständen sollte der sachbearbeitende Anwalt sich aber hüten, diese eidesstattliche Erklärung jemals selbst anstelle des Mandan517 Zur Verpflichtung des unterzeichnenden Anwalts, sich davon zu überzeugen, dass die vom Mandanten erteilten Auskünfte vollständig sind, vgl. Legault v. Zambarano, 105 F.3d 24, 28 (1st Cir. 1997). 518 So insbesondere auch CAL. CODE CIV.PROC. §§ 2030(g), 2031(h) u. 2033(g). 519 Vgl. FRCP Rule 33(b)(2).

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Discovery ten abzugeben, und zwar selbst dann, wenn er – wie in der Praxis üblich – die Antworten nach Maßgabe der Weisungen des Mandanten erstellt hat und der Mandant sich darüber hinaus im Einzelfall mit einer solchen Unterschriftsleistung durch den Anwalt einverstanden erklärt hat; etwa weil er sich im Ausland befindet und die Informationsübermittlung sowie die Erlangung seiner Unterschrift unter der verification sich umständlicher gestaltet als bei einer in den USA ansässigen Partei. Denn aufgrund des typischen Inhalts der Verifikationsformel520 macht sich der Anwalt durch diese Unterschrift selbst im günstigsten Fall mindestens persönlich zum Zeugen – im Rahmen von dessen Aussage dann ganz weitgehend auch der Schutz des attorney client privilege aufgehoben ist, weil sich die Erklärung unmittelbar auf Umstände bezieht, die der Anwalt ursprünglich nur vom Mandanten erfahren haben kann –, im schlimmsten Falle macht er sich jedoch sogar eines mindestens fahrlässigen Falscheides schuldig, weil er entgegen des Textes der Erklärung eben keine unabhängige Kenntnis von der Richtigkeit der discovery responses hat521.

2. Verfahrensablauf Mit Ausnahme der Zeugenbefragung im Rahmen einer deposition, bei der das discovery-Ersuchen vorrangig aus der Ladung von Gegner und Zeugen zu dem Befragungstermin besteht522, sind die auf schriftliche Antworten gerichteten Ersuchen jeweils in einzelne Fragen und Aufforderungen zu unterteilen, von denen jede einzelne je nur eine einzige Tatsache zum Gegenstand haben soll523. 520 „I am the plaintiff/defendant in the above-entitled action. I have read the foregoing responses to [interrogatories/requests for admission/requests for production of documents] and am pesonally familiar with the facts represented therein. I declare under penalty of perjury under the laws of [the United States/ the State of […] that, to the best of my knowledge and belief, the foregoing discovery responses are true and complete.“ 521 Einschränkungen hinsichtlich der Anforderungen an die persönliche Kenntnis des Unterzeichnenden ergeben sich lediglich insoweit, als es sich bei diesem um den Vertreter einer Handelsgesellschaft oder eines anderen Unternehmens handelt; dieser muss lediglich bestätigen können, dass das Unternehmen selbst institutionelle Kenntnis von den jeweiligen Umständen hat. Vgl. Shepherd v. American Broadcasting Companies, Inc., 62 F.3d 1469, 1482 (D.C. Cir. 1995). Insoweit ist zwar dann auch die Unterzeichnung und Verifikation durch den Anwalt selbst zulässig (vgl. Wilson v. Volkswagen of America, Inc., 561 F.2d 494, 508 [4th Cir. 1977], cert. denied, 434 U.S. 1020 [1978]); sollte jedoch wegen der nach wie vor bestehenden Bedenken mit Rücksicht auf die anwaltliche Schweigepflicht gleichwohl im Regelfall unterbleiben. 522 Vgl. FRCP Rule 30(b). 523 Vgl. FRCP Rule 33(a) (interrogatories), FRCP Rule 34(b) (requests for production of documents and things) und FRCP Rule 36(a) (requests for admission).

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Vorangestellt ist den einzelnen discovery requests regelmäßig ein einleitender Abschnitt, der insbesondere Definitionen bestimmter wiederholt verwendeter Begriffe enthält und damit zugleich auch den Umfang des Ersuchens näher bestimmt524.

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Nach Zustellung eines solchen auf schriftliche Antworten gerichteten discovery-Ersuchens, also i.d.R. von interrogatories, requests for admission und requests for the production of documents and things525, hat der Empfänger des Ersuchens regelmäßig zunächst 30 Tage Zeit, dem Gegner seine Antwortschrift zuzustellen; die Frist kann allerdings im Bedarfsfalle verlängert werden526. Inhaltlich ist dabei jeder in dem Ersuchen enthaltenen Frage oder Aufforderung gesondert zu entgegnen, wobei der Ersuchensempfänger entweder die erbetenen Auskünfte ganz oder teilweise erteilen oder, soweit er die Auskunftserteilung verweigert, gegen Form oder Inhalt der betreffenden Frage unter Angabe von Gründen schriftlich Einspruch einlegen kann527.

524 Üblich ist insbesondere z. B. die Definition der Begriffe „communication,“ „documents,“ „plaintiff/defendant“ (oder alternativ „you“ und der Name der jeweiligen Partei[en]) sowie „person“. Beispiele für typische Definitionen dieser Art finden sich in Rule 26.3(c) der LOCAL RULES OF THE UNITED STATES DISTRICT COURTS FOR THE SOUTHERN AND EASTERN DISTRICTS OF NEW YORK. 525 Obgleich in letzterer Hinsicht die eigentliche Antwort insoweit selbstverständlich in der Vorlage der Urkunden und Augenscheinsobjekte selbst besteht, ist es üblich auch insoweit erforderlich, jedem Einzelersuchen eine kurze schriftliche Erwiderung gegenüberzustellen, aus der sich ergibt, inwieweit dem Ersuchen entsprochen bzw. gegen dieses Einspruch eingelegt wird; vgl. FRCP Rule 34(b). 526 Vgl. FRCP Rule 33(b)(3) (answers to interrogatories), FRCP Rule 34(b) (production of documents and things) und FRCP Rule 36(a) (admissions); üblich ist es, sich aus Gründen der Kollegialität zumindest der ersten Bitte um Fristverlängerung nicht entgegenzustellen. 527 Vgl. FRCP Rule 33(b)(1) u. (4) (answers to interrogatories), FRCP Rule 34(b) (production of documents and things) und FRCP Rule 36(a) (admissions). Praxisüblich ist es darüber hinaus, den Antworten pauschal bestimmte Einsprüche voranzustellen, die insbesondere auf Wahrung der Aussageverweigerungsrechte, des attorney work product-Schutzes und der anderen allgemein anerkannten Grenzen der discovery gerichtet sind; vgl. im Einzelnen nachf. Rn. 453 ff. Selbst diejenigen Fragen, die ansonsten ohne weitere Einspruchserhebung voll inhaltlich beantwortet werden, werden sodann ausdrücklich zumindest unter den Vorbehalt dieser einleitenden Einspruchserhebung gestellt („Subject to and without waiver of his general objections set forth in section … hereinabove, plaintiff/defendant responds to the interrogatory/request for admission/request for production as follows: …“).

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Discovery Die in der Praxis gebräuchlichsten Formen der Einpruchsbegründung sind dabei die folgenden:

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– Das Ersuchen ist nicht darauf ausgelegt, entscheidungserhebliche Informationen zu ermitteln (the request is not calculated to lead to the discovery of admissible evidence): Es überschreitet die Grenzen des nach FRCP Rule 26(b)(1) und den entsprechenden bundesstaatlichen Prozessordnungen Zulässigen. Da jedoch die Gerichte diese Grenzen traditionell sehr weit ziehen, vgl. vorst. Rn. 406, sollte diese Rüge im Einzelfall gegebenenfalls nur zur Untermauerung von Einschränkungen der sodann gegebenen Antwort, nicht zur Begründung einer vollständigen Verweigerung der Antwort herangezogen werden. – Das Ersuchen ist inhaltlich zu weitgehend, unpräzise und missverständlich (overly broad, unduly vague and ambiguous request): Die Fragestellung bewegt sich zwar im Grundsatz innerhalb der Grenzen zulässiger discovery, ist jedoch umfangmäßig nicht eindeutig genug auf den dem Rechtsstreit zugrundeliegenden Lebenssachverhalt beschränkt oder so vage formuliert, dass sie nicht eindeutig beantwortet werden kann. Auch diese Rüge wird in aller Regel nicht die Wirkung haben, dass das betreffende Ersuchen überhaupt nicht beantwortet werden muss; auch sie ist jedoch ein zulässiger Hinweis auf die inhaltliche Beschränkung der sodann folgenden Antwort. – Das Ersuchen belastet die antwortende Partei mit einem übergroßen Ermittlungsaufwand (burdensome and oppressive request): Discovery-Ersuchen müssen so formuliert sein, dass sie ohne unverhältnismäßigen Kosten- und Verwaltungsaufwand beantwortet werden können; ist dies nicht der Fall, kann die Antwort unter Darlegung des erforderlichen Aufwandes verweigert werden. – Die erfragte Information ist durch ein Aussageverweigerungsrecht geschützt (privileged information): Die Antwort kann unter Hinweis auf das Aussageverweigerungsrecht verweigert werden; jedoch bedarf es zumindest der Angabe der Tatsachen, aus denen sich für den Gegner erkennbar die Anwendbarkeit des Aussageverweigerungsrechts im Einzelfall ergibt. – Die erfragte Information ist nach Maßgabe der attorney work product doctrine geschützt: Die Antwort kann unter Hinweis auf den geschützten Charakter der Information verweigert werden; vgl. FRCP Rule 26(b)(3) u. nachf. Rn. 461 ff. – Das Ersuchen betrifft Informationen über die Tätigkeit von Sachverständige, die nach Maßgabe der anwendbaren Prozessregeln (auf Bundesebene FRCP Rule 26[b][4]; vgl. nachf. Rn. 465 ff.) nicht offenbart werden müssen. – Das Ersuchen betrifft Informationen, die verfassungsrechtlich oder gesetzlich im Einzelfall vor Offenbarung geschützt sind (vgl. insoweit nachf. Rn. 453 ff.): Die Antwort kann unter Hinweis auf die jeweils einschlägige Schutzvorschrift verweigert werden.

Ähnlich wie bereits im Rahmen der disclosure besteht darüber hinaus auch in Bezug auf die discovery-Antworten eine Pflicht zur Nachbesse-

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rung, soweit sich nachträglich weitere Tatsachen ergeben, die von den gestellten Fragen inhaltlich erfasst sind; vgl. FRCP Rule 26(e). 415

Soweit sich die Parteien im Einzelfall nicht über Inhalt und Grenzen einer discovery-Maßnahme einigen können, haben beide Parteien letztlich die Möglichkeit, das Gericht um Hilfe anzurufen (motion to compel discovery und motion for a protective order; vgl. nachf. Rn. 467 ff.). A priori bedarf jedoch regelmäßig weder das discovery-Ersuchen noch die entsprechende Antwortschrift der Vorlage zu den Gerichtsakten oder der gerichtlichen Erlaubnis; es sei denn, eine Partei sehe sich ausnahmsweise veranlasst, die discovery schon vor Klageerhebung, vor dem vorbereitenden Treffen der Parteien (vgl. vorst. Rn. 398) oder während der Anhängigkeit eines Rechtsmittelverfahrens einzuleiten oder zu betreiben; vgl. FRCP Rule 26(d), (f) und 27. Gerichtlicher Zustimmung bedarf des Weiteren auch die ärztliche Untersuchung des Prozessgegners (etwa im Zusammenhang mit Schadensersatzklagen wegen behaupteter Gesundheitsschäden), vgl. FRCP Rule 35, sowie die mehrmalige Befragung desselben Zeugen im Wege der deposition und die Überschreitung der für interrogatories vorgesehenen Regelgrenze von 25 Fragen oder der Regelgrenze von insgesamt 10 depositions, die jeweils nicht länger als insgesamt sieben Stunden dauern dürfen528.

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Nur auf entsprechende gerichtliche Anordnung zulässig ist schließlich auch die Erstreckung der discovery auf parteiunabhängige Zeugen (third party witnesses), die sich außerhalb des Gerichtsbezirks des angerufenen Bundesgerichts, außerhalb des Gebiets des Bundesstaates, zu dem das entscheidende Gericht gehört, oder außerhalb der Staatsgrenzen der USA befinden. Dabei erfordert ein solches Verfahren i.d.R. sowohl einen entsprechenden Beschluss des Gerichts, vor dem der Rechtsstreit insgesamt anhängig ist, sowie die Einleitung eines Rechtshilfeverfahrens vor dem Gericht am Wohn- oder Aufenthaltsort des Zeugen mit Rücksicht auf die Zustellung des discovery-Ersuchens bzw. der Ladung zur deposition an diesen529.

528 Vgl. FRCP Rule 30(a)(2), (d)(2) u. 31(a)(2) (depositions) und FRCP Rule 33(a) (interrogatories). 529 Vgl. FRCP Rule 28(b) u. 45 sowie z. B. NRS §§ 53.050-53.070 (Nevada), CAL. CODE CIV.PROC. § 2029 (Kalifornien), N.Y.C.P.L.R. § 3102 (New York), MCR Rule 2.305 (Michigan), GA. CODE §§ 24-10-110 – 24-10-112 (Georgia) und LA. R.S. §§ 13:3821 u. 13:3824 (Louisiana).

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Discovery

3. Sanktionen Weigert sich der Empfänger eines discovery-Ersuchens, einer dieses bestätigenden gerichtlichen Anordnung zu entsprechen (insbesondere einem order compelling discovery und einer Anordnung in den Situationen, in denen discovery-Maßnahmen im Einzelfall der gerichtlichen Erlaubnis bedürfen, vgl. Rn. 415 u. 467 ff.), oder ist seine Weigerung so grob missbräuchlich, dass es ausnahmsweise nicht einmal eines vorherigen Durchsetzungsbeschlusses in der Sache bedarf, so kann der Verfasser des discovery-Ersuchens beim Gericht um Sanktionen nachsuchen, die im Wesentlichen denjenigen entsprechen, die auch bei Verstoß gegen die Parteipflichten im Rahmen der disclosure angeordnet werden können (s. vorst. Rn. 403); darüber hinaus kann die pflichtwidrig handelnde Partei allerdings auch wegen Missachtung des Gerichts mit einer Ordnungsstrafe, i.d.R. einem Ordnungsgeld, belegt werden (contempt of court), vgl. FRCP Rule 37(b)530.

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4. Kosten Auch im Rahmen der discovery bleibt es grundsätzlich bei der allgemeinen Regel, der zufolge jede Partei ihre Kosten selbst trägt (s. vorst. Rn. 126). Insbesondere für den Empfänger eines discovery-Ersuchens bedeutet dies einen nicht unerheblichen finanziellen Aufwand, der vom viele Arbeitsstunden umfassenden Anwaltshonorar über Fotokopierkosten für eine Unzahl von Unterlagen531, Zeugen- und gegebenenfalls Sach530 Die Anordnung einer Ordnungsstrafe kommt allerdings nicht in Betracht im Zusammenhang mit der Weigerung, sich einer ärztlichen Untersuchung zu unterziehen; insoweit stehen nur die anderen Sanktionen zur Verfügung. Vgl. FRCP Rule 37(b)(2)(D) und nachf. Rn. 452. Auch die Weigerung einer Partei, einer Ladung zu ihrer deposition Folge zu leisten, wird regelmäßig keine Ordnungsstrafe, sondern eine andere Sanktion zur Folge haben; vgl. Viswanathan v. Scotland County Board of Education, 165 F.R.D. 50 (M.D.N.C. 1995), aff’d, 76 F.3d 377 (4th Cir. 1996) (Klageabweisung mit anspruchspräkludierender Wirkung bei mehrfach vergeblicher Ladung). 531 Allein der Umfang der jeweils auszutauschenden Akten und Urkunden umfasst regelmäßig den Inhalt mehrerer speziell für diesen Zweck formatierter Kartons von der Größe einer kleinen Umzugskiste (sog. discovery boxes). Insbesondere im Falle besonders umfangreicher Aktenvorlagen kann es deshalb u. U. auch zulässig sein, den Gegner schlicht auf den Aufbewahrungsort der Materialien zu verweisen und diesem die Inspektion vor Ort (ggf. unter Verwendung eines mitgebrachten Kopiergerätes) zu gestatten; vgl. Rowlin v. Alabama Dept. of Public Safety, 200 F.R.D. 459 (M.D. Ala. 2001) und Obiajulu v. City of Rochester, Dept. of Law, 166 F.R.D. 293, 297 (W.D.N.Y. 1996)

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verständigenauslagen (einschließlich Reisekosten, Verdienstausfall und Sachverständigenhonorar) darüber hinaus im Einzelfall leicht bis zu Zeugen- und anderen Ermittlungskosten und den Kosten der gerichtlichen Durchsetzung der discovery-Rechte reichen kann. Gleichwohl erfolgt eine Umverteilung der Kostenlast nur im Ausnahmefall, insbesondere als Sanktion für einen discovery-Verstoß hinsichtlich der dadurch entstandenen Mehrkosten; s. insoweit vorst. Rn. 403 u. 417. III. Discovery-Methoden 419

Den Prozessparteien stehen im Wesentlichen fünf verschiedene Methoden zur Verfügung, Informationen und Beweismaterial vom jeweiligen Gegner zu erlangen532: – Der schriftliche Austausch von Fragen und Antworten zu den streitgegenständlichen Tatsachen (interrogatories), – der Austausch von Urkunden und Augenscheinsstücken (production of documents and things)533, – die Aufforderung zur Abgabe bindender schriftlicher Geständnisse (admissions), – die protokollierte eidliche Vernehmung von Parteien und Zeugen (depositions)534 – sowie nach entsprechender gerichtlicher Erlaubnis im Einzelfall die ärztliche Untersuchung des Prozessgegners.

532 Zur Reform des discovery-Verfahrens mit Rücksicht auf den verstärkten Einsatz elektronischer Kommunikations- und Datenspeicherungsmethoden (sog. electronic discovery) s. den Bericht des U.S. Judiciary Civil Rules Advisory Committee: http://www.uscourts.gov/rules/comment2005/CVAug04.pdf. 533 Nach den insoweit geltenden Regeln verläuft im Grundsatz auch die in der Praxis allerdings seltenere Ortsbesichtigung; vgl. FRCP Rule 34. 534 Dabei ist eine grundsätzliche Unterscheidung zwischen Parteien und mit diesen nicht identischen Zeugen (§§ 50 ff., 373 ff., 445 ff. ZPO) und damit ggf. einhergehenden Einschränkungen des Parteirechts, in eigener Sache auszusagen, dem amerikanischen Recht allerdings fremd; der Begriff „witness“ bezieht sich vielmehr auf alle in einer Sache aussagenden Personen, vgl. FRCP Rule 30, FRE Rule 601 u. CAL. CODE CIV.PROC. § 1878, und gerade die persönlichen Aussagen der Parteien sind sowohl im Rahmen der discovery als auch im Rahmen der gerichtlichen Beweisaufnahme von erheblicher praktischer Bedeutung.

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Die nachstehende Darstellung folgt der praxisüblichen Reihenfolge des Einsatzes der einzelnen Methoden: 1. Interrogatories a) Gegenstand und Zweckbestimmung Zu Beginn der discovery steht regelmäßig der Austausch einzelner Fragen und Antworten zum Streitstoff, die zum einen der detaillierteren Ausfüllung der in den pleadings nur summarisch wiedergegebenen Tatsachen, zum anderen aber auch nach Möglichkeit der Ermittlung über diese hinausgehenden weiteren Tatsachenmaterials dienen (interrogatories); vgl. FRCP Rule 33535.

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Hinsichtlich der sich in so gut wie jedem Rechtsstreit wiederholenden Standardfragen – wie derjenigen nach Identität und Anschriften von Zeugen, gesellschaftsrechtlicher Organisationsform eines als Handelsgesellschaft inkorporierten prozessbeteiligten Unternehmens bzw. einer nicht solchermaßen inkorporierten Personenmehrheit sowie bestimmten Grundfragen zu Besitz und Eigentum an entscheidungserheblichen Vermögensgegenständen oder den Umständen des Abschlusses eines entscheidungserheblichen Vertrages – existieren in einer Reihe von Bundesstaaten darüber hinaus sogenannte form interrogatories, deren Formulierung allgemein anerkannte Grundsätze und den jeweiligen Stand der Rechtsprechung berücksichtigt und deren Beantwortung daher i.d.R. nicht bereits aus formalen Gründen verweigert werden darf536.

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Wenngleich der Empfänger eines set of interrogatories i.d.R. selbst insoweit, als er nicht gegen deren Form oder Inhalt Einspruch erhebt (vgl. vorst. Rn. 413), bemüht sein wird, in der Antwort nicht mehr preiszugeben als ohne Verletzung seiner Mitwirkungspflicht unbedingt nötig537, stellt dieser Austausch von Fragen und Antworten doch einen relativ einfachen Einstieg in den eigentlichen tatsächlichen Streitstoff dar, und sind deshalb eine unentbehrliche Grundlage sowohl für die weitere interne

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535 Zwar ist die zulässige Gesamtzahl der einzelnen Fragen im Verfahren vor den Gerichten der Bundesstaaten grundsätzlich auf höchstens 25 beschränkt; jedoch kann – und wird in aller Regel – diese Zahl nach entsprechender gerichtlicher Ermächtigung überschritten werden, wenn diese Begrenzung den legitimen discovery-Interessen der Parteien nicht hinreichend gerecht wird; vgl. FRCP Rule 33(a) (ähnlich für die im Verfahren vor kalifornischen Gerichten geltende Obergrenze CAL. CODE CIV.PROC. § 2030[c]). 536 Vgl. z. B. CAL. CODE CIV.PROC. § 2033.5. 537 Zum notwendigen Inhalt der Antworten auf interrogatories vgl. bereits Hickman v. Taylor, 329 U.S. 495, 504 (1947) sowie Cage v. New York Cent. R. Co., 276 F. Supp. 778, 786 – 787 (W.D. Pa.), aff’d, 386 F.2d 998 (3d Cir. 1967).

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Tatsachenermittlung der Parteien als auch für die Erforschung des gegnerischen Materials. b) Adressat 423

Adressat von Interrogatories kann nur eine Prozesspartei sein; unbeteiligte Zeugen und andere Dritte können schriftlich nur im Wege der (außerordentlich seltenen) deposition upon written questions befragt werden; vgl. nachf. Rn. 438 u. 440. c) Unterschriftserfordernis

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Antworten auf interrogatories sind von dem sie verfassenden Anwalt und von der vertretenen Partei selbst zu unterzeichnen; die Partei gibt mit ihrer Unterschrift zugleich eine eidesstattliche Versicherung der Richtigkeit und Vollständigkeit der gemachten Angaben ab, vgl. FRCP Rule 33(b)(1) u. (2) und vorst. Rn. 409. d) Interrogatories und gerichtliche Beweisaufnahme

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Im Rahmen der gerichtlichen Beweisaufnahme können Antworten auf interrogatories dazu verwendet werden, die Glaubhaftigkeit von abweichenden Aussagen der betreffenden Vernehmungsperson durch ihrer Vorhalt der ursprünglichen discovery-Antwort anzugreifen (impeachment; vgl. FRE 613)538. Gegebenenfalls kann es sich bei einer interrogatoryAntwort auch um ein zum Wahrheitsbeweis taugliches, bindendes gerichtliches Geständnis (admission) der antwortenden Partei handeln; da jedoch die Parteien ihre Antworten auf interrogatories im Grundsatz nach Maßgabe ihres jeweiligen Kenntnisstandes nachträglich ergänzen

538 Bestreitet der Prozessgegner jedoch vor Gericht, die ihm vorgehaltene interrogatory-Antwort tatsächlich abgegeben zu haben, so ist es dem Beweisführer i.d.R. nicht gestattet, die Antwortschrift selbst als Beweismittel in den Prozess einzuführen. Hierdurch soll verhindert werden, dass sich die Beweisaufnahme in einen vom eigentlichen Streitstoff ablenkenden Disput um Nebenfragen verzettelt und der Tatsachenrichter dadurch den Überblick über die entscheidungserheblichen Angelegenheiten verliert. Das Protokoll einer deposition hat demgegenüber, soweit es von der Aussage des Vernommenen im Rahmen der Beweisaufnahme abweicht, volle Wahrheitsbeweiskraft sowohl hinsichtlich des Inhalts der frühreren Aussage als auch hinsichtlich der Abweichung als solcher. Vgl. FRE Rule 801(d)(1)(A) u. nachf. Rn. 446.

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und ändern dürfen, wird eine solche Bindungswirkung im Regelfall nicht eintreten539. 2. Production of Documents and Things Mit dem Austausch von interrogatories einher geht regelmäßig die Aufforderung an den Prozessgegner zur Vorlage von Urkunden und Augenscheinsobjekten540 – und zwar insbesondere über dasjenige Material hinaus, welches ohnehin bereits im Rahmen der disclosure ausgetauscht worden ist; vgl. FRCP Rule 34(a). Dabei dienen die requests for production nicht nur der Ermittlung solcher Urkunden und Aktenbestandteile, von deren Existenz in der Hand des Gegners die Prozessparteien bereits Kenntnis haben oder mit deren Existenz sie zumindest rechnen, sondern darüber hinaus auch sämtlicher interner Aktenvorgänge des Gegners, einschließlich interner Kommunikationen, Aktenvermerke und Ermittlungen zum Sachverhalt sowie der Kommunikation mit Dritten (soweit solche Vorgänge nicht im Einzelfall Betriebsgeheimnisse darstellen oder anderweitig vor der Offenbarung geschützt sind; enthält ein Schriftstück sowohl vertrauliche Bestandteile als auch solche, die dem Gegner offen gelegt werden müssen, ist es gegebenenfalls entsprechend zu redigieren).

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Gerade die Aufforderung zur Vorlage von Urkunden und Augenscheinsobjekten ist daher ein sehr effektives Mittel, die Schwachstellen in der Position des Gegners auszuleuchten: Da der Inhalt von Schriftstücken zum einen oftmals für sich selbst spricht und die Urkundenunterdrückung zum anderen nicht nur standesrechtlichen und gerichtlichen Sanktionen wegen Verletzung der discovery-Pflichten unterliegt, sondern regelmäßig eine Straftat darstellt, haben die Parteien insoweit nur einen sehr geringen Spielraum, nachteilige Informationen vor dem Zugriff durch den Gegner zu schützen.

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Aus diesem Grunde werden die der Gegenpartei zu offenbarenden Urkunden und Augenscheinsobjekte auch niemals ohne genaue anwaltliche Kontrolle aus der

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539 Vgl. FRCP ADVISORY COMMITTEE NOTES to Rule 33(b), 1970 Amendment, und Baicker-McKee, Janssen, Corr, Federal Civil Rules Handbook, Authors’ Commentary on Rule 33(c). Zur Abgrenzung von der weiter gehenden Verwendungsmöglichkeit von deposition-Protokollen und admissions im Rahmen der Beweisaufnahme s. i. Ü. nachf. Rn. 435 u. 446. 540 Sowie zur Gestattung der Ortsbesichtigung von Grundstücken im Besitz des Gegners; diese spielt jedoch gegenüber dem Urkunds- und Augenscheinsbeweismittelaustausch eine verhältnismäßig untergeordnete Rolle.

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Discovery: Beweisermittlung im Parteibetrieb Hand gegeben. Dabei dient die Prüfung des Anwalts sowohl der Frage, ob durch den Inhalt der Schriftstücke allen requests for production des Gegners im erforderlichen Maße Rechnung getragen ist, als auch – und insbesondere – der Herausfilterung desjenigen Materials, dessen Vorlage an den Gegner unter Hinweis auf bestehende Schutzvorschriften verweigert werden kann541. Auch insoweit ist es allerdings regelmäßig unzulässig, die Existenz der nicht offenbarten Dokumente schlicht unerwähnt zu lassen; vielmehr bedürfen diese der Aufnahme in ein gesondert zu erstellendes sogenanntes privilege log, in dem sie zumindest nach Art, Verfasser und Adressaten sowie unter Angabe der jeweils in Anspruch genommenen Schutzvorschrift knapp zu beschreiben sind542.

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Gegenstand eines request for production sind nicht nur solche Urkunden und Augenscheinsstücke 543, die sich bereits im Besitz der Partei befinden – selbst wenn sie im Eigentum eines Dritten stehen544 –, sondern insbesondere auch solche, auf deren Herausgabe durch einen Dritten sie einen Anspruch hat, der gegebenenfalls entsprechend durchzusetzen ist545. Grundsätzlich unbeachtlich ist, ob und inwieweit die betreffenden Beweismittel auch aus einer anderen Quelle zugänglich sind; jedoch kann insoweit im Einzelfall ein auf übermäßige Belastung der vorlegepflichtigen Partei gestützter Einspruch durchgreifen (vgl. vorst. Rn. 413).

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Über die eigentliche Offenbarung der erfragten Urkunden und Augenscheinsstücke hinaus hat der Empfänger der requests for production dem Gegner des Weiteren in einer begleitenden Erwiderungsschrift binnen 30 Tagen nach Erhalt der Vorlageaufforderung darzulegen, inwieweit mit den offenbarten Materialien jeder einzelnen Aufforderung entsprochen wird, bzw., soweit dies nicht der Fall ist, inwieweit Einspruch gegen 541 Von besonderer Bedeutung sind insoweit insbesondere Kommunikationen unter Beteiligung der hauseigenen Juristen des betroffenen Unternehmens (in house counsel). Da diese ebenso als „Anwalt“ gelten wie der freiberuflich tätige Rechtsanwalt, vgl. vorstehend Rn. 53 u. 80, unterliegt auch der gesamte Informationsaustausch unter ihrer Beteiligung der anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht und ist damit von der Offenbarungspflicht ausgenommen. 542 Vgl. insoweit allgemein FRCP Rule 26(b)(5) sowie Horton v. U.S., 204 F.R.D. 670 (D. Colo. 2002); Strougo v. Bea Associates, 199 F.R.D. 515, 521 (S.D.N.Y. 2001) und Avery Dennison Corp. v. Four Pillars, 190 F.R.D. 1, 1-2 (D.D.C. 1999). 543 Dabei fallen unter diesen Begriff nicht nur körperliche Gegenstände, sondern insbesondere auch elektronisch gespeicherte Informationen; vgl. Simon Property Group L.P. v. mySimon, Inc., 194 F.R.D. 639, 640 (S.D. Ind. 2000) und FRCP ADVISORY COMMITTEE NOTES to Rule 34(a), 1970 Amendment. 544 Société Internationale Pour Participations Industrielles et Commerciales, S.A. v. Rogers, 357 U.S. 197 (1958). 545 In Re Bankers Trust Co., 61 F.3d 465, 469 (6th Cir. 1995).

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Form und Inhalt einzelner requests eingelegt wird; vgl. FRCP Rule 34(b)546. Dritte können unter gewissen Voraussetzungen im Einzelfall ebenfalls zur Vorlage von in ihrem Besitz befindlichen Schriftstücken und Gegenständen aufgefordert werden; dies bedarf jedoch im Regelfall einer entsprechenden gerichtlichen Anordnung; vgl. FRCP Rule 34(c) u. 45.

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3. Admissions Häufig wird der Prozessgegner zugleich mit der Zustellung der interrogatories und der requests for production darüber hinaus aufgefordert, schriftliche Geständnisse (admissions) in Bezug auf einzelne Tatsachen abzugeben; vgl. FRCP Rule 36(a)547. Ziel einer solchen Aufforderung ist die Unstreitigstellung bestimmter verfahrenswesentlicher Tatsachen; ein einmal in dieser Form abgegebenes Geständnis ist bindend und kann nur unter eingeschränkten Voraussetzungen widerrufen werden, vgl. FRCP Rule 36(b)548. Auch hier bedarf es seitens des Auffordernden der gesonderten Nennung jeder einzelnen Tatsache, deren Zugeständnis vom Gegner verlangt wird; und die Erwiderungsschrift auf die requests for admission muss dementsprechende einzeln gekennzeichnete Antworten enthalten, aus denen sich jeweils ergibt, ob die fragliche Tatsache zugestanden oder ob (und warum) das geforderte Geständnis verweigert wird, vgl. FRCP Rule 36(a). 546 Darüber hinaus ist es üblich, die vorgelegten Dokumente mit fortlaufenden Nummern zu versehen (sog. bates stamps); wobei die insoweit bestehenden Verpflichtungen proportional zum Umfang der Produktion ansteigen. Vgl. Stiller v. Arnold, 167 F.R.D. 68, 70-71 (N.D. Ind. 1996). 547 Soweit nach den Prozessordnungen einiger Bundesstaaten – anders als nach Maßgabe von FRCP Rule 36 – im Grundsatz eine zahlenmäßige Beschränkung der requests for admission vorgesehen ist, kann unter ähnlichen Voraussetzungen wie im Hinblick auf interrogatories im Einzelfall die Verwendung einer größeren Anzahl solcher requests zugelassen werden; vgl. CAL. CODE CIV.PROC. § 2033(c) (grundsätzlich maximal 35 requests for admission – mit Ausnahme derjenigen Ersuchen, die sich auf das Anerkenntnis der Echtheit von Urkunden beziehen – aber mehr auf Antrag zulässig, soweit aus Gründen der Komplexität des dem Rechtsstreit zugrundeliegenden Sachverhalts erforderlich). 548 Dabei können Gegenstand eines request for admission jedoch grundsätzlich niemals Rechtsfragen sein (vgl. United States v. Block 44, Lots 3, 6, 177 F.R.D. 695 [M.D. Fla. 1997]); anders verhält es sich allerdings ggf. mit Subsumtionsfragen, auch wenn diese eine gewisse rechtliche Wertung erfordern. In re Carney, 258 F.3d 415, 419 (5th Cir. 2001).

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Dabei darf die antwortende Partei die Abgabe von Geständnissen zwar mit und gegebenenfalls auch ohne Begründung verweigern, gegen einzelne Aufforderungen Einspruch erheben sowie schließlich unter dezidierter Erläuterung, warum ihr trotz hinreichender Erkundigungen weder die Abgabe noch die Ablehnung einzelner geforderter Geständnisse möglich ist, auch auf diese Unmöglichkeit verweisen (inability to admit or deny)549; hiervon abgesehen darf sie jedoch keine schlicht ausweichenden Antworten geben550.

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Adressat der requests for admission kann ihrer Zweckbestimmung entsprechend nur eine Partei sein.

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In der gerichtlichen Beweisaufnahme dürfen die in Erwiderung auf requests for admission des Gegners abgegebenen Erklärungen wie auch andere Geständnisse einer Partei – und im scharfen Gegensatz zu anderen vorgerichtlichen Erklärungen – zum Vollbeweis der entsprechenden Tatsachen eingeführt werden551; aus diesem Grunde ist es regelmäßig unzulässig, die Abgabe des geforderten Geständnisses mit der Begründung zu verweigern, die Aufforderung betreffe inhaltlich die letzt-entscheidungserhebliche Frage des Rechtsstreits selbst (vgl. FRCP Rule 36[a]). Dies gilt insbesondere auch unabhängig davon, ob derjenige, der dem das Geständnis zuzurechnen ist, selbst (noch) im Rahmen der gerichtlichen Beweisaufnahme zur Verfügung steht und selbst insoweit, als sich keine Widersprüche zwischen dem Inhalt des Geständnisses und späteren gerichtlichen Aussagen ergeben; vgl. FRE Rule 801(d)(2). Im Bestreitensfalle ist darüber hinaus auch ihr Nachweis durch Vorlage des Schriftstückes, in dem sich das Geständnis befindet, oder andere Mittel zulässig; vgl. FRE Rule 613(b). 549 Uniden America Corp. v. Ericsson, Inc., 181 F.R.D. 302, 303 (M.D.N.C. 1998) (auch zum Umfang der Erkundigungspflicht). 550 Eine solche ausweichende Antwort kann zu Lasten der betreffenden Partei als Geständnis gewertet werden; vgl. Asea, Inc. v. Southern Pac. Transp. Co., 669 F.2d 1242, 1245 (9th Cir. 1981). Das Gleiche gilt u. U. für eine Antwort, die lediglich die Unfähigkeit der betreffenden Partei, das geforderte Geständnis abzugeben oder zu verweigern, feststellt, jedoch keine Ausführungen dazu enthält, inwieweit die Partei ihrer Erkundigungspflicht nachgekommen ist. Vgl. City of Rome v. United States, 450 F. Supp. 378 (D.D.C. 1978), aff’d, 446 U.S. 156 (1980). 551 In re Carney, 258 F.3d 415, 419 (5th Cir. 2001). Bindend ist das Geständnis allerdings nur im Rahmen des Prozesses, in dessen Rahmen es abgegeben worden ist (vgl. American Civil Liberties Union v. The Florida Bar, 999 F.2d 1486 [11th Cir. 1993]), und nur zu Lasten der betreffenden Partei selbst, nicht auch zu Lasten ihrer Mitparteien; vgl. Becerra v. Asher, 921 F. Supp. 1538, 1544 (S.D. Tex. 1996).

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Dies unterscheidet admissions insbesondere vom Inhalt der Antworten auf interrogatories des Gegners, die wie andere außergerichtliche Erklärungen der gerade im Zeugenstand befindlichen Person grundsätzlich nur zu dem Zweck eigesetzt werden dürfen, Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Aussage des Vernommenen aufkommen zu lassen, und deren Existenz im Bestreitensfall nicht durch Dritt-Beweismittel nachgewiesen werden darf (vgl. vorst. Rn. 425). Eine ähnlich weit gehende (und praktisch noch bedeutsamere) Regelung wie für die Einführung von Geständnissen in die gerichtliche Beweisaufnahme existiert nur im Hinblick auf die gerichtliche Nutzung von depositions; vgl. nachf. Rn. 446. Zur Vermeidung von Streitigkeiten über die Echtheit von Urkunden im Rahmen der gerichtlichen Beweisaufnahme können requests for admission insbesondere auch zur Unstreitigstellung dieser Frage genutzt werden; vgl. FRCP Rule 36(a).

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4. Depositions Aufbauend auf dem infolge von interrogatories, requests for admission und insbesondere requests for production of documents and things erlangten Kenntnisstand schreiten die Parteien sodann zum nächsten, außerordentlich bedeutsamen Verfahrensschritt der discovery, der eidlichen Vernehmung der Gegenpartei sowie derjenigen Personen, deren Kenntnis von Einzelheiten des Streitstoffes sie als besonders bedeutsam empfinden (depositions); vgl. FRCP Rule 30 u. 31552. Die Zielsetzung der deposition ist dabei eine mehrfache553: 552 Im Grundsatz sind die Parteien im Verfahren vor den Bundesgerichten auf eine Höchstzahl von zehn depositions pro Partei mit einer Länge von jeweils maximal sieben Stunden beschränkt; jedoch kann das Gericht hiervon im Einzelfall Ausnahmen zulassen, und auch die Parteien selbst können einverständliche anderweitige Regelungen treffen. Vgl. FRCP Rule 30(a)(2) u. (d)(2) sowie Raniola v. Bratton, 243 F.3d 610, 628 (2nd Cir. 2001); FRCP ADVISORY COMMITTEE NOTES to Rule 30(a)(2), 1993 Amendment; FRCP ADVISORY COMMITTEE NOTES to Rule 30(d)(2), 2000 Amendment, sowie Baicker-McKee, Janssen, Corr, Federal Civil Rules Handbook, Authors’ Commentary on Rule 30(a) u. Rule 30(d). 553 Mögliche Nachteile der deposition, die außer dem v.a. beim Entstehen von Reisekosten und Verdienstausfall teilweise erheblichen Kostenaufwand insbesondere darin bestehen, dass Prozessgegner und Zeugen sich auf diese i.d.R. gründlich vorbereiten werden sowie dass durch die in ihrem Rahmen gestellten Fragen natürlich auch die eigene Prozessstrategie dem Gegner u. U. in gewissem Rahmen bekannt wird, werden durch ihre unverzichtbar große Bedeutung in der Vorbereitung der gerichtlichen Beweisaufnahme sowie die unbestreitbaren Vorteile der Erlangung spontaner, nicht anwaltlich gefilterter

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– In erster Linie geht es um die Vorbereitung der gerichtlichen Beweisaufnahme durch Ermittlung des Kenntnisstandes der vernommenen Person, um insoweit später vor unliebsamen Überraschungen gefeit zu sein; wobei sich der die deposition initiierenden Partei zugleich auch die Gelegenheit eröffnet, der Stichhaltigkeit ihrer eigenen Position und der Sachverhaltsdarstellung ihrer eigenen Zeugen einen zur Korrektur von Unrichtigkeiten oder Ungenauigkeiten gegebenenfalls notwendigen Spiegel vorzuhalten. – Darüber hinaus dient die deposition jedoch auch der Dokumentation der Aussage des Vernommenen, entweder mit dem Ziel der Vorlage des Protokolls zu Beweiszwecken im Rahmen der gerichtlichen Beweisaufnahme (falls der Deponent dann nicht persönlich zur Verfügung steht; vgl. insoweit nachf. Rn. 446) oder um den Vernommenen – insbesondere dann, wenn dieser „im Lager“ des Prozessgegners steht – nach Möglichkeit auf bestimmte Aussagen festzulegen, an deren Inhalt er sich später auch vor Gericht (und nachdem ihm gegebenenfalls die nachteiligen Konsequenzen seiner Aussagen bewusst geworden sind) festhalten lassen muss. – Schließlich tragen Verlauf und Ergebnis der depositions oftmals auch in besonderem Maße zur vergleichsweisen Beilegung des Rechtsstreits bei. a) Ladung 438

Adressat der Ladung554 zu einer deposition können sowohl die Parteien und ihre Vertreter und Angestellten als auch unbeteiligte Dritte sein, von denen vermutet wird, dass sie Kenntnis von entscheidungserheblichen Tatsachen haben (vgl. FRCP Rule 30[a], 31[a] und 45); die Ladung eines unbeteiligten Dritten bedarf jedoch i.d.R. einer entsprechenden gerichtlichen Anordnung. Das Gleiche gilt für die im Wege der Rechtshilfe erfolgenden Ladung eines in einem anderen Bundesstaat oder Bundes-Gerichtsbezirk ansässigen Zeugen; s. vorst. Rn. 416.

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Die Ladung kann mit einer Aufforderung zur Vorlage bestimmter Urkunden und Augenscheinsstücke durch den Deponenten verbunden werden; vgl. FRCP Rule 30(b)(5) und 45(a)(1)(C); dies darf allerdings im VerInformationen (wie bei allen anderen discovery-Methoden) und der Möglichkeit zur sofortigen Nachfrage und Reaktion auf die gegebenen Antworten regelmäßig mehr als aufgewogen. 554 Zu den allgemeinen formellen und inhaltlichen Anforderungen der Ladung vgl. FRCP Rule 30(b)(1)-(3).

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hältnis zu Gegenparteien nicht dazu führen, dass hierdurch die diesen eigentlich nach Maßgabe von FRCP Rule 34(b) zustehende dreißigtägige Antwortfrist abgeschnitten wird555. Die vorzulegenden Beweisstücke sind in der Ladung oder einer Anlage zu dieser im Einzelnen genau zu bezeichnen. b) Schriftliche und mündliche Fragestellung Zulässig ist sowohl die direkte mündliche Befragung des Deponenten (deposition upon oral examination, FRCP Rule 30) wie auch die Stellung schriftlicher Fragen, die sodann mündlich vor einer Urkundsperson beantwortet werden müssen (deposition upon written questions, FRCP Rule 31). Von der letzteren Möglichkeit wird jedoch nur außerordentlich selten Gebrauch gemacht, weil sie im Gegensatz zur oral deposition nicht die Möglichkeiten eröffnet, die gegenüber den anderen discovery-Methoden gerade als Hauptvorteile der deposition empfunden werden, nämlich zum einen die direkte Nachfrage zur Vertiefung gegebener Antworten und zum anderen die Chance, einen ersten persönlichen Eindruck von der vernommenen Person zu erhalten.

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c) Ablauf der mündlichen Vernehmung aa) Zu Beginn jeder deposition upon oral examination und nach der Vereidigung des zu Vernehmenden durch die Urkundsperson (court reporter)556 überzeugt sich der vernehmende Anwalt davon, dass der Deponent hinreichend über das Verfahren sowie seine Rechte und Pflichten informiert ist; gegebenenfalls gibt er insoweit die erforderlichen Erläuterungen. Insbesondere wird der Deponent auf sein Recht hingewiesen, sich mit seinem Anwalt zu beraten, um die Erläuterung unklarer Fragen und gegebenenfalls um Pausen zu bitten, sowie darauf, dass er – da das Protokoll Hand- und Kopfzeichen, Gesten und nur mit „hmmm“ anstelle eines klaren „ja“ oder „nein“ gegebene Antworten nicht wiedergeben kann – um eine deutliche Ausdrucksweise bemüht sein sollte. Darüber hinaus wird er zu Umständen befragt, die von Einfluss auf seine Konzentrations- und Wahrnehmungsfähigkeit sein können, wie z. B. die Einnahme von Medikamenten. Zweck dieser einleitenden Fragen und Erläuterungen ist zum einen die Sicherstellung eines reibungslosen Ablaufs der Vernehmung, zum anderen der Ausschluss späterer Ausflüchte des Vernommenen bei Vorhalt seiner Aussage im Rahmen der Beweisaufnahme, etwa da-

555 Howell v. Standard Motor Products, Inc., 2001 WL 456241 (N.D. Tex. 2001) und Canal Barge Co. v. Commonwealth Edison Co., 2001 WL 817853 (N.D. Ill. 2001). 556 Alle zur Eidesabnahme amtlich ermächtigten Personen, vgl. FRCP Rule 28(a); i.d.R. beauftragen die Parteien mit der Protokollierung von depositions einen hierauf spezialisierten sogenannten court reporter service, dessen Mitarbeiter zugleich auch notaries public sind. Vgl. CAL. CODE CIV.PROC. § 2093(b) u. CAL. BUS.PROF. CODE §§ 8020 ff.

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Discovery: Beweisermittlung im Parteibetrieb hin gehend, er habe eine ihm während der deposition gestellte Frage nicht richtig verstanden, sei übermüdet gewesen, habe unter Medikamenteneinfluss gestanden oder sich durch den vernehmenden Anwalt unter Druck gesetzt gefühlt557.

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bb) Verfahrensmäßig verläuft die oral deposition sodann im Wesentlichen genau wie die Zeugenvernehmung im Rahmen der gerichtlichen Beweisaufnahme, d.h der Deponent wird durch die Prozessbevollmächtigten beider Parteien im Wege der direct und cross examination befragt; vgl. FRCP Rule 30(c). Während allerdings vor Gericht die direct examination stets am Beginn der Vernehmung der eigenen Zeugen einer Partei steht und sich dieser sodann die cross examination durch den Gegenanwalt anschließt (s. im Einzelnen nachf. Rn. 564 ff.), beginnt die deposition mit der direct examination der vernommenen Person durch den Anwalt, auf dessen Initiative und Ladung die Vernehmung stattfindet. Handelt es sich bei dem Vernommenen nicht ausnahmsweise um einen völlig verfahrensneutralen Dritten, wird er somit im Wege der direct examination vom Anwalt seines Gegners befragt, während sich sodann die cross examination durch den Anwalt anschließt, dessen Aufgabe in erster Linie die Verteidigung (defense) seiner eigenen Interessen dient558. Dies ergibt sich aus der Funktion der deposition ebenso wie auch aus derjenigen von direct und cross examination, denn während auch im Rahmen der gerichtlichen Beweisaufnahme bei der direct examination u. a. die möglichst umfassende Sachverhaltsdarstellung durch die befragte Person selbst im Vordergrund steht, dient die cross examination als Korrektiv des jeweiligen Gegners, durch dessen Fragen (von Ausnahmen abgesehen und vor Gericht deutlich stärker als im Rahmen der discovery) nicht so sehr zusätzliche Tatsachen herausgestellt, sondern vielmehr eine Gegendarstellung zu dem Bild erreicht werden soll, welches

557 Insbesondere im Verlaufe längerer depositions wird vor allem die Ermahnung, nicht lediglich durch Gesten oder „hm“ zu antworten – oder auch Entfernungs- und Größenangaben nur vergleichsweise („etwa von hier bis hier;“ „etwa so groß wie Sie“) ohne nähere Erläuterung abzugeben –, regelmäßig in Vergessenheit geraten. Es liegt dann bei dem vernehmenden Anwalt selbst, entweder durch gezielte Nachfrage unter Einschluss der klarstellenden Angaben oder durch einen Hinweis „for the record“ selbst die erforderliche Eindeutigkeit herzustellen. 558 Auch wenn es sich bei dem Deponenten nicht um eine Partei oder den Vertreter oder Angestellten einer Partei handelt, wird dieser häufig auch durch einen eigenen Anwalt bei der deposition vertreten sein, der sich jedoch in aller Regel auf die Wahrung der Interessen seines Mandanten durch Beratung und Einspruchserhebung konzentrieren und in der Regel keine über die Vernehmung durch die Parteivertreter hinausgehenden eigenen Fragen stellen wird.

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sich infolge der direct examination beim Tatsachenrichter entwickelt hat559. Inwieweit dabei der anwaltlich vertretene Deponent das Recht hat, vor der Beantwortung einzelner Fragen den Rat seines Rechtsanwalts hinzuzuziehen, ist noch nicht abschließend geklärt560; unstreitig ist jedoch, dass der Anwalt seinerseits seinem Mandanten nur dann die ausdrückliche Anweisung erteilen darf, eine Frage nicht zu beantworten (instruction not to answer), wenn entweder die erfragte Information Gegenstand eines anerkannten Aussageverweigerungsrechts ist oder die Frage den Rahmen einer gerichtlich angeordneten Beschränkung der discovery überschreitet oder sogleich zum Gegenstand eines Schutzantrages wegen discovery-Missbrauchs gemacht wird561.

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Eine beliebte (und im Rahmen einer deposition im Grundsatz zulässige) Methode der Lenkung von Antworten ist es allerdings, gegen eine gestellte Frage unter Verweis auf deren vage und unverständliche Formulierung Einspruch zu erheben; nur um den Mandanten sodann darauf hinzuweisen, er könne die Frage gleichwohl beantworten, wenn er sie verstanden habe – was nach der Antwort eines gut vorbereiteten Deponenten dann selbstverständlich regelmäßig nicht der Fall sein wird. (Al-

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559 Vgl. im Einzelnen nachf. Rn. 566 ff. Formal sind die Fragen bei der direct examination im Rahmen einer deposition zunächst offen und auf die möglichst umfassende Tatsachen- und Kenntnisermittlung ausgerichtet, können jedoch im Verlaufe der Vernehmung im Einzelfall (insbesondere dann, wenn der Deponent sich unkooperativ und ausweichend zeigt) eher denjenigen im Rahmen der cross examination vor Gericht vergleichbar sein. Umgekehrt ähnelt die cross examination während der deposition formal eher der direct examination vor Gericht. Dies liegt darin begründet, dass es sich bei dem Deponenten im Zweifel um eine nicht „im Lager“ des Vernehmenden bzw. seines Mandanten stehende Person handelt, während der eigene Mandant und seine Zeugen von dem sie jeweils vertretenden Anwalt in erster Linie als glaubwürdig aufgebaut werden sollen. 560 Zum Stand der Rechtsprechung vgl. u. a. In re Stratosphere Corp. Securities Litigation, 182 F.R.D. 614, 620 (D. Nev. 1998) und Hall v. Clifton Precision, 150 F.R.D. 525, 526 (E.D. Pa. 1993). Handelt es sich bei dem Deponenten jedoch nicht um einen Mandanten des ihn im Einzelfall vertretenden Anwalts (z. B. einen nicht der Geschäftsleitung angehörenden Angestellten des Unternehmens, das seinerseits Partei des Rechtsstreits ist; vgl. vorst. Rn. 68 u. 85), so ist zu beachten, dass solche Beratungen nicht dem Schutz des attorney client privilege unterliegen und ihr Gegenstand deshalb ggf. im Nachhinein vom Gegenanwalt erfragt werden kann. 561 Vgl. z. B. Moloney v. United States, 204 F.R.D. 16, 20 – 21 (D. Mass. 2001) (Aussageverweigerungsrecht); SEC v. Oakford Corp., 141 F. Supp. 2d 435 (S.D.N.Y. 2001) (gerichtliche discovery-Beschränkung) und Mathias v. Jacobs, 167 F. Supp. 2d 606, 626 (S.D.N.Y. 2001) (discovery-Missbrauch).

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Discovery: Beweisermittlung im Parteibetrieb ternativ deutet der Anwalt durch Einwurf der Bemerkung „if he knows“ an, die erfragte Information überschreite den persönlichen Kenntnishorizont des Vernommenen und sei aus diesem Grunde einspruchswürdig.) Das Risiko dieser Taktik liegt jedoch darin, dass der Gegenanwalt, nunmehr zu größerer Präzision gezwungen, u. U. durch seine klarstellende Nachfrage mehr Informationen erlangt, als wenn er sich mit einer einzigen Antwort auf seine ursprüngliche Frage zufrieden gegeben hätte; außerdem kann dies im Einzelfall zu einer erheblichen Verlängerung der deposition sowie im Missbrauchsfall auch zu gerichtlichen Sanktionen führen562.

d) Protokoll 445

Wie auch die gesamte gerichtliche Beweisaufnahme wird der Verlauf der deposition in Form eines Wortprotokolls festgehalten; aufgezeichnet werden dabei insbesondere nicht nur die Aussage des Deponenten selbst, sondern auch alle gegen einzelne Fragen erhobenen Einsprüche563 sowie andere wesentliche Vorgänge wie z. B. die Konfrontation des Vernommenen mit schriftlichen Beweisstücken und Augenscheinsobjekten, die jeweils numeriert und als Anlagen zum Protokoll genommen werden; vgl. FRCP Rule 30(f)(1). Nach dem Ende der deposition wird dem Vernommenen von der Urkundsperson eine Abschrift des Protokolls übersandt, und er

562 S. nachf. Rn. 468. Im Rahmen der gerichtlichen Beweisaufnahme ist ein solches Verhalten allerdings stets unzulässig. 563 Da der court reporter keinerlei richterliche Funktionen ausübt, müssen Einsprüche – soweit hierüber nicht ausnahmsweise eine sofortige Entscheidung herbeigeführt wird – im Protokoll niedergelegt werden, damit sie ggf. einer späteren richterlichen Entscheidung zugänglich bleiben, insbesondere soweit die Parteien beabsichtigen, im Rahmen einer deposition gemachte Aussagen ganz oder teilweise im Rahmen der gerichtlichen Beweisaufnahme zu verwenden; vgl. FRCP Rule 32 und Rn. 446. Dabei sind diejenigen Einsprüche, denen durch Neuformulierung der Frage unmittelbar noch im Verlauf der deposition hätte entsprochen werden können, verwirkt, wenn sie nicht während dieser sofort zu Protokoll erhoben werden; Einsprüche, die jedoch ohnehin einer richterlichen Entscheidung bedürfen, können auch noch während der gerichtlichen Beweisaufnahme angebracht werden. Vgl. FRCP Rule 32(d)(3) sowie In re Stratosphere Corp. Securities Litigation, 182 F.R.D. 614, 618 (D. Nev. 1998) u. Boyd v. University of Maryland Med. System, 173 F.R.D. 143, 147 n. 8 (D. Md. 1997). Nicht verwirkt sind danach insbesondere Einsprüche gegen die Zeugenfähigkeit des Deponenten (FRE Rule 601), die Erheblichkeit der im Einzelfall erfragten Information (FRE Rule 401 und 402) oder deren übermäßig präjudizieller oder irreführender Wirkung (FRE Rule 403) sowie schließlich die unzulässige Frage nach Tatsachen, die der Zeuge nur vom Hörensagen kennt (FRE Rule 801 ff.); vgl. Hall v. Clifton Precision, 150 F.R.D. 525, 528 n.3 (E.D. Pa. 1993).

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hat 30 Tage, um unter Angabe von Gründen im Einzelfall gegebenenfalls erforderliche Korrekturen anzubringen (FRCP Rule 30[e])564. Sodann werden die ordnungsgemäße Vereidigung des Deponenten und die Korrektheit des Protokolls vom court reporter beglaubigt und das Protokoll an den Anwalt gesandt, der die deposition veranlasst hat, und dieser ist seinerseits verpflichtet, Abschriften hiervon an alle anderen Parteien sowie gegebenenfalls den Deponenten weiterzuleiten; FRCP Rule 30(f)(1) u. (3). e) Depositions und gerichtliche Beweisaufnahme Eine besonders effiziente discovery-Methode stellt die deposition auch deshalb dar, weil sie aufgrund ihrer Ähnlichkeit mit der gerichtlichen Partei- und Zeugenvernehmung in weitaus größerem Umfang als insbesondere interrogatories im Rahmen der gerichtlichen Beweisaufnahme verwendet werden kann; vgl. FRCP Rule 32. So darf eine während einer deposition gemachte Aussage nach FRCP Rule 32(a) nicht nur – soweit im Übrigen nach Maßgabe der Regeln des Beweisrechts zulässig565 – dazu verwendet werden, den Deponenten während seiner späteren gerichtlichen Aussage mit seinen vormaligen, gegebenenfalls anderslautenden Angaben zu konfrontieren und ihm so Gelegenheit zu geben, seine Antwort zu überdenken, oder andernfalls seine Glaubwürdigkeit in Frage zu stellen (impeachment evidence)566, sondern darüber hinaus auch (und im Gegensatz insbesondere zu Antworten auf interrogatories und dem Inhalt von Schriftstücken, die auf eine Aufforderung zur Vorlage von Urkunden und Augenscheinsobjekten dem Gegner offenbart wurden) zum vollen Wahrheitsbeweis der entsprechenden Tatsachen, wenn der Deponent – der Prozessgegner der das deposition-Protokoll zu Beweiszwecken nutzenden Partei ist, vgl. FRCP Rule 32(a)(2)567; 564 Vgl. im Einzelnen Baicker-McKee, Janssen, Corr, Federal Civil Rules Handbook, Authors’ Commentary on Rule 30(e) m. w. N. 565 Vgl. Reeg v. Shaughnessy, 570 F.2d 309 (10th Cir. 1978). 566 Zum eingeschränkten Einsatz von interrogatory-Antworten im Rahmen der Beweisaufnahme s. demgegenüber vorst. Rn. 425; zum Einsatz von Geständnissen (admissions) s. vorst. Rn. 435. 567 Dies gilt auch für die Angaben eines nach Maßgabe von FRCP Rule 30(b)(6) vernommenen PMK-Deponenten; vgl. Palmer Coal & Rock Co. v. Gulf Oil Co. U.S., 524 F.2d 884 (10th Cir. 1975), cert. denied, 424 U.S. 969 (1976) und FRCP ADVISORY COMMITTEE NOTES to Rule 32(a)(2), 1970 Amendment. Eine ähnliche Regelung besteht ansonsten nur noch mit Rücksicht auf Geständnisse (admissions) der Gegenpartei; insbesondere auch solche Geständnisse, die ausdrücklich als Erwiderung auf entsprechende requests for admission im

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– oder zwischenzeitlich verstorben oder aufgrund von Krankheit, Ortsabwesenheit oder nachhaltiger Weigerung, zu erscheinen, nicht zur Aussage vor Gericht zur Verfügung steht; vgl. FRCP Rule 32(a)(3)568. Ein Sonderfall der Einbringung des Protokolls der Vernehmung eines nicht anwesenden Zeugen ist die sogenannte preservation deposition oder deposition de bene esse, die von vornherein mit dem Ziel angesetzt wird, das persönliche Erscheinen des (dem Mandanten des initiierenden Anwalts regelmäßig wohlgesonnenen) Zeugen während der gerichtlichen Beweisaufnahme entbehrlich zu machen und die aus diesem Grunde der besonders gründlichen Vorbereitung durch den Anwalt und den vernommenen Zeugen bedarf.

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Mehr und mehr eingebürgert hat sich in jüngster Zeit mit Rücksicht auf die vielfältigen Verwendungsmöglichkeiten eines deposition-Protokolls im Rahmen der gerichtlichen Beweisaufnahme auch die video- oder zumindest audiographische Aufnahme des Verlaufs der deposition. Dies erlaubt dem Tatsachenrichter, sich nicht nur vom Inhalt der Aussagen des Vernommenen, sondern auch von dessen äußerem Aussageverhalten und Erscheinungsbild einen annähernd ebenso unmittelbaren Eindruck zu verschaffen, als fände die Vernehmung im Gerichtssaal selbst statt. Da die weitaus formellere Atmosphäre eines Gerichtssaales i.d.R. eine wesentlich deutlichere Warnfunktion ausübt als die Konferenzraum-Umgebung, in der die meisten depositions abgehalten werden – so dass sich viele Deponenten lediglich der Bedeutung des Inhalts ihrer Aussage, nicht jedoch derjenigen ihres Auftretens und ihrer Körpersprache im Verlauf der deposition bewusst sind –, ist die Einführung einer Videoaufnahme von zentralen Momenten der Letzteren oftmals ein ungeheuer effektives Mittel der Beweisführung.

f) Vernehmung von Unternehmensvertretern 448

Insbesondere im Rahmen von Wirtschaftsprozessen und Rechtsstreitigkeiten unter Beteiligung von Behörden stellen FRCP Rule 30(b)(6) und die Prozessordnungen der meisten Bundesstaaten ausdrücklich die Möglichkeit zur Verfügung, ein mit der Sache besonders vertrautes vertretungsbefugtes leitendes Mitglied eines Unternehmens oder einer Behörde stellRahmen der discovery abgegeben wurden und deren Zweck ja gerade die Unstreitigstellung bestimmter Tatsachenfragen war; vgl. vorstehend Rn. 432 u. 435. 568 Zu Einzelfällen der Unverfügbarkeit eines Zeugen vgl. die Nachweise bei Baicker-McKee, Janssen, Corr, Federal Civil Rules Handbook, Authors’ Commentary on Rule 32 Fn. 5-11. Darüber hinaus gestattet FRE Rule 801 den Rückgriff auf Aussagen, die der Vernommene im Rahmen einer deposition sowie anderweitig unter Eid gemacht hat, zum Vollbeweis – also nicht nur im Rahmen des impeachment – auch bei Anwesenheit des Deponenten im Gerichtssaal, wenn dieser in seiner gerichtlichen Aussage von der früher getätigten inhaltlich abweicht.

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vertretend für das Unternehmen oder die Behörde selbst zu vernehmen (sog. person most knowledgeable oder PMK deposition)569. In der Ladung sind dabei die einzelnen Tatsachen, zu denen der Deponent Auskünfte geben soll, mindestens so gut zu bezeichnen, dass sowohl das Unternehmen selbst die jeweils geeigneteste Vernehmungsperson bestimmen als auch der Deponent selbst sich anhand dieser Angaben hinreichend auf die Aussage vorbereiten kann570.

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Zu einer sorgfältigen Vorbereitung ist der Deponent i. Ü. nicht nur wie jede andere Vernehmungsperson im Rahmen einer deposition berechtigt, sondern ausdrücklich verpflichtet571, denn zum einen wirken seine Angaben unmittelbar als solche des von ihm vertretenen Unternehmens; zum anderen ist er grundsätzlich auch zur umfassenden Auskunftserteilung über solche Umstände verpflichtet, die seinen persönlichen Kenntnisstand überschreiten, jedoch zum institutionellen Wissen des Unternehmens gehören572. Zweck der PMK deposition ist es, der vernehmenden Partei im Interesse der Prozessökonomie einen einzigen oder allenfalls eine begrenzte Zahl umfassend informierter Ansprechpartner zur Verfügung zu stellen. Wird dieser Zweck verfehlt – insbesondere dadurch, dass die von dem Unternehmen bestimmten Vertreter nicht oder nicht hinreichend in der Lage sind, die von ihnen erfragten Auskünfte zu erteilen –, so können gegen das Unternehmen Sanktionen wegen Verletzung seiner Verpflichtung zur Auswahl der geeignetsten Vernehmungsperson verhängt werden573.

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569 Grundsätzlich zulässig in diesem Zusammenhang ist auch die Benennung eines (internen oder externen) juristischen Beraters der Geschäftsleitung; allerdings ergeben sich insoweit ggf. Probleme mit Rücksicht auf Umfang und Grenzen der anwaltlichen Schweigepflicht. Vgl. hierzu In re Pioneer Hi-Bred Intern., Inc., 238 F.3d 1370, 1376 (Fed. Cir. 2001). 570 Poole v. Textron, Inc. 192 F.R.D. 494 (D. Md. 2000). Handelt es sich bei dem betreffenden Unternehmen bzw. der Behörde um eine Prozesspartei, genügt eine parteiliche Ladung nach FRCP Rule 30(b); andernfalls bedarf es einer gerichtlichen Ladung entsprechend FRCP Rule 45. Vgl. Cates v. LTV Aerospace Corp., 480 F.2d 620 (5th Cir. 1973) sowie zum Verfahren nach Rule 45 Baicker-McKee, Janssen, Corr, Federal Civil Rules Handbook, Authors’ Commentary on Rule 45. 571 Black Horse Lane Assoc., L.P. v. Dow Chemical Corp., 228 F.3d 275, 300 (3d Cir. 2000) und Paul Revere Life Ins. Co. v. Jafari, 206 F.R.D. 126, 127 (D. Md. 2002). 572 Poole v. Textron, Inc. 192 F.R.D. 494 (D. Md. 2000) u. Alexander v. FBI, 186 F.R.D. 148 (D.D.C. 1999). 573 Horse Lane Assoc., L.P. v. Dow Chemical Corp., 228 F.3d 275, 301-305 (3d Cir. 2000); Reilly v. NatWest Markets Group Inc., 181 F.3d 253 (2d Cir. 1999) und King v. Pratt & Whitney, 161 F.R.D. 475 (S.D. Fla. 1995).

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Discovery: Beweisermittlung im Parteibetrieb

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Lediglich soweit der Deponent gleichzeitig mit seiner Vernehmung als Unternehmensvertreter auch in seiner individuellen Eigenschaft als Zeuge befragt wird, unterliegt die deposition den insoweit geltenden allgemeinen Vorschriften; insbesondere hat er insoweit keine Verpflichtung zur Auskunftserteilung über Umstände, die sich seiner persönlichen Kenntnis entziehen. Umgekehrt darf seine Befragung jedoch auch auf Bereiche erstreckt werden, die nicht ausdrücklich in der PMK-Ladung aufgeführt sind; deren Inhalt bestimmt nur die Grenzen der PMK deposition selbst, nicht jedoch diejenigen des anwaltlichen Fragerechts als solches574.

5. Ärztliche Untersuchung 452

Wenn der körperliche oder geistige Zustand einer Prozesspartei unmittelbar im Streit ist (in controversy) – insbesondere im Zusammenhang mit Abstammungsstreitigkeiten sowie Schadensersatzansprüchen wegen behaupteter physischer oder psychischer Schädigungen –, ist der Prozessgegner schließlich berechtigt, unter bestimmten Voraussetzungen die körperliche oder geistige Untersuchung des Betroffenen durch einen Sachverständigen seiner Wahl zu erwirken. Aufgrund des hiermit verbundenen erheblichen Eingriffs in das verfassungsmäßig geschützte Recht auf körperliche Unversehrtheit sowie zur Vermeidung des Missbrauchs bedarf eine solche Untersuchung der vorherigen gerichtlichen Erlaubnis, die nur erteilt wird, wenn der Antragsteller stichhaltige Gründe für die Notwendigkeit einer solchen Untersuchung vorzubringen in der Lage ist (for good cause shown); vgl. FRCP Rule 35(a)575. IV. Grenzen der Discovery 1. Verfassungsrechtliche und einzelgesetzliche Geheimhaltungsrechte a) Diplomaten-, Militär- und Amtsgeheimnis

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Diplomatische und militärische Informationen, deren Offenbarung die nationalen Interessen der Vereinigten Staaten beeinträchtigten würde, unterliegen der Geheimhaltungspflicht und einem darauf gegründeten – allerdings nicht absoluten, sondern im Einzelfall gegebenenfalls gerichtlich auszugestaltenden – Aussageverweigerungsrecht der mit ihrem Inhalt ver-

574 Starlight International Inc. v. Herlihy, 186 F.R.D. 626, 639 (D. Kan. 1999) und King v. Pratt & Whitney, 161 F.R.D. 475 (S.D. Fla. 1995). 575 Zu den Einzelheiten vgl. Baicker-McKee, Janssen, Corr, Federal Civil Rules Handbook, Authors’ Commentary on Rule 35 m. zahlr. w.N.

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traut gemachten Amtsträger (sog. executive privilege)576. Dies gilt insbesondere auch für Kommunikationen zwischen dem Präsidenten der Vereinigten Staaten und seinem Beraterstab577 sowie generell für die von Amtsträgern unter dem Schutz der Vertraulichkeit erlangten Informationen578. b) Presse Unmittelbar aus dem durch den ersten Zusatzartikel der U.S.-Bundesverfassung geschützten Grundrecht auf Pressefreiheit ergibt sich das Recht von Journalisten zur Geheimhaltung der ihnen unter dem Versprechen der Vertraulichkeit zugänglich gemachten Informationen und der Person des jeweiligen Informanten579. Allerdings ist dieses Recht nicht absolut, sondern bedarf – insbesondere im Zusammenhang mit strafrechtlichen Verfolgungsmaßnahmen – im Einzelfall der Abwägung zwischen dem Geheimhaltungsinteresse des Journalisten und seines Informanten einerseits und dem staatlichen Strafverfolgungsinteresse andererseits580. Während eine einfachgesetzliche Regelung auf U.S.-Bundesebene insoweit nach wie vor jedoch nicht vorliegt, haben viele Bundesstaaten die diesbezügliche Rechtsprechung inzwischen auch in kodifizierter Form umgesetzt; wobei Inhalt und Grenzen des journalistischen Geheimhaltungsrechts allerdings im Einzelfall unterschiedlich geregelt sind581.

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c) Persönliche Daten Verfassungsrang hat in den Verfassungen vieler Bundesstaaten auch das Geheimhaltungsrecht jedes Einzelnen in Bezug auf seine höchstpersönlichen Lebensdaten, welches regelmäßig auch im Rahmen der discovery beachtlich ist582. 576 United States v. Reynolds, 345 U.S. 1 (1953); EPA v. Mink, 410 U.S. 73, 81 (1973) und C & S Airline v. Waterman Steamship Lines, 333 U.S. 103, 111 (1948). 577 United States v. Nixon, 418 U.S. 683 (1974); nicht jedoch für Kommunikationen mit der Ehefrau des Präsidenten; vgl. In re Grand Jury Subpoena Duces Tecum, 112 F.3d 910 (8th Cir. 1997). 578 Typisch wohl insoweit im Grundsatz CAL. EV. CODE §§ 1040-1047. 579 Grundlegend Branzenburg v. Hayes, 408 U.S. 665 (1972). 580 Branzenburg v. Hayes, 408 U.S. 665, 710 (1972). 581 Vgl. z. B. CONSTITUTION OF THE STATE OF CALIFORNIA Article 1 § 2, CAL. CODE CIV.PROC. § 1986.1 u. CAL. EV. CODE § 1070. 582 Vgl. z. B. CONSTITUTION OF THE STATE OF CALIFORNIA Article 1 § 1 und hierzu WITKIN, SUMMARY OF CALIFORNIA LAWS, Constitutional Law § 472.

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Discovery: Beweisermittlung im Parteibetrieb

d) Betriebsgeheimnisse 456

Vor Offenbarung im Rahmen der discovery geschützt sind in den Rechtsordnungen einiger Bundesstaaten auch Betriebsgeheimnisse der Parteien; allerdings nicht pauschal, sondern nur unter bestimmten zusätzlichen Voraussetzungen, so z. B. im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten, welche gerade die behauptete Verletzung solcher Geheimnisse zum Gegenstand haben. Die insoweit entscheidungserheblichen innerbetrieblichen Unterlagen und anderen Beweismittel der Parteien können in diesem Fall insbesondere auch richterlichen Schutzanordnungen im Einzelfall unterworfen werden583. 2. Aussageverweigerungsrechte

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FRCP Rule 26(b) und ihr folgend auch die entsprechenden Vorschriften der bundesstaatlichen Prozessordnungen stellen die Ausübung der discovery-Rechte ausdrücklich unter den Vorbehalt, dass es sich bei den nachgesuchten Informationen nicht um „privileged matters“ handelt, d. h. nicht um Tatsachen, deren Offenbarung in den Schutzbereich eines Aussageverweigerungsrechts gestellt ist. Solche Aussageverweigerungsrechte sind auf der Ebene des Bundesrechts ganz weitgehend nicht – insbesondere auch nicht in den insoweit vorrangig maßgeblichen FEDERAL RULES OF EVIDENCE – umfassend kodifiziert; vielmehr verweist FRE Rule 501 insoweit ausdrücklich auf die Verfassung sowie im Einzelfall anderweitig existierende Bundesgesetze und, soweit solche nicht zur Anwendung kommen, die anerkannten Grundsätze des common law. Ist ein Bundesgericht darüber hinaus nach Maßgabe der Erie doctrine, vgl. vorst. Rn. 221 ff., zur Entscheidung einer Rechtssache berufen, deren materiellrechtliche Beurteilung sich nach dem Recht des Bundesstaates richtet, in dem das Bundesgericht seinen Sitz hat, so folgen auch Art und Umfang der anwendbaren Aussageverweigerungsrechte dem Recht jenes Staates584.

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Dies gilt grundsätzlich auch im Verhältnis zu ausländischen Parteien; weder das Rechtsstaatsgebot noch FRE Rule 501 gebieten insoweit die Anwendung der jeweiligen ausländischen Rechtsordnung, wenn die ausländische Partei anderweitig wirksam der Entscheidungsgewalt der U.S.-Gerichte unterworfen ist585. 583 Zu einer solchen Regelung s. z. B. CAL. CIV. CODE § 3426.5 i. V. m. CAL. CODE CIV.PROC. § 2019(d) u. CAL. EV. CODE §§ 1060 – 1063. 584 FRE Rule 501 u. Klaxon Co. v. Stentor Elec. Mfg. Co., Inc., 313 U.S. 487 (1941). 585 Vgl. Ghana Supply Commission v. New England Power Co., 83 F.R.D. 586 (D. Mass. 1979); allgemein hierzu Cole, The Hague Evidence Convention: Deter-

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Allgemein anerkannt und auch in den maßgeblichen Kodifikationen der meisten Bundesstaaten ausdrücklich geschützt sind danach insbesondere die folgenden Aussageverweigerungsrechte: – Des Anwalts hinsichtlich der vertraulichen Kommunikation mit seinem Mandanten (attorney-client privilege), vgl. vorst. Rn. 81 ff. – Des geistlichen Seelsorgers hinsichtlich des Beichtgeheimnisses bzw. vergleichbarer Geheimnisse nach Maßgabe anderer als christlicher Religionen (priest-penitent privilege, clergyman privilege)586. – Des Arztes587 und des Psychotherapeuten588 hinsichtlich der vertraulichen Kommunikation mit seinem Patienten (doctor-patient privilege; psychotherapist-patient privilege)589. – Von Ehegatten hinsichtlich des ehelichen Vertrauensverhältnisses sowie hinsichtlich den anderen Ehegatten belastender Umstände (spousal privilege). Dieses Aussageverweigerungsrecht besteht in zwei Formen, die inhaltlich streng voneinander zu unterscheiden sind, nämlich zum einen in Form eines Schutzes des einen Ehegatten vor der (strafrechtlichen oder auch zivilprozessualen) Belastung durch Aussagen seines Ehepartners sowie zum anderen in Form eines Schutzes des ehelichen Vertrauensverhältnisses als solches. Inhaber des auf den Schutz vor der Belastung des andere Ehegatten gestützten Aussageverweigerungsrechts ist der als Zeuge berufene Ehegatte; nur dieser

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mining Its Applicability Through Comity Analysis, 38 SYRACUSE L.REV. 717 (1987). Die Ausgestaltung des Aussageverweigerungsrechts entspricht in etwa demjenigen des Anwalts, ist jedoch hinsichtlich etwaiger Ausnahmen zumeist noch restriktiver gestaltet als jenes. Zu Einzelheiten vgl. z. B. CAL. EV. CODE §§ 1030-1034. United States ex rel. Edney v. Smith, 425 F.Supp. 1038, 1040 (E.D.N.Y. 1976). Jaffee v. Redmond, 116 S.Ct. 1923 (1996). Das Aussageverweigerungsrecht ist insoweit ähnlich ausgestaltet wie dasjenige des Anwalts, d. h. es bezieht sich auf den Informationsaustausch zum Zwecke der Heilbehandlung und umfasst auch alle zur Förderung dieses Zwecks hinzugezogenen Personen; zu Einzelheiten s. insoweit CAL. CIV. CODE §§ 56.10-56.37 u. CAL. EV. CODE §§ 990-1027. Allerdings sind Ärzte und Psychotherapeuten beim Vorliegen konkreter Hinweise auf von ihren Patienten ausgehende erhebliche Gefahren für Leib und Leben eines anderen ggf. verpflichtet, das mögliche Opfer vor den bestehenden Gefahren zu warnen. Vgl. Tarasoff v. Regents of the University of California, 17 Cal.3d 425 (1976); bestätigt in Menendez v. Superior Court, 3 Cal. 4th 435 (1992); s. insoweit nunmehr auch CAL. CIV. CODE § 43.92 und CAL. EV. CODE § 1024.

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Discovery: Beweisermittlung im Parteibetrieb kann auch über einen Verzicht auf die Inanspruchnahme des Rechts entscheiden590. Dieses Aussageverweigerungsrecht geht mit der Scheidung verloren591 und entsteht bereits anfänglich nicht, wenn die fragliche Ehe lediglich mit dem Ziel der Verhinderung der Aussagepflicht oder aus anderweitig unlauteren Motiven eingegangen wurde592. Das dem Schutz des ehelichen Vertrauensverhältnisses dienende Aussageverweigerungsrecht steht hingegen stets beiden Ehegatten zu, kann also auch von dem nicht aussagenden Ehegatten geltend gemacht werden593 und überlebt die Scheidung der betroffenen Ehe594, betrifft jedoch nur vertrauliche Kommunikationen der Eheleute, nicht auch auch solche, die von Dritten mitgehört werden oder mitgehört werden können595, und greift nicht ein zum Schutz solcher Kommunikationen, die der Begehung gegenwärtiger oder künftiger Straftaten dienen596. Bestand und Umfang von Aussageverweigerungsrechten im Zusammenhang mit bestimmten dauerhaften eheähnlichen Verhältnissen (sog. common law marriages) richten sich nach dem Recht des jeweiligen Wohnsitzstaates der Partner eines solchen Verhältnisses597.

– Das Recht jeder Partei und jedes Zeugen, sich nicht durch seine Angaben der Gefahr strafrechtlicher Verfolgung aussetzen zu müssen598. 590 Grundlegend insoweit Trammel v. United States, 445 U.S. 40 (1980). 591 United States v. Bolzer, 556 F.2d 948 (9th Cir. 1977). 592 Vgl. Lutwak v. United States, 344 U.S. 604 (1953) (Einwanderungsbetrug) und United States v. Apodaca, 522 F.2d 568 (10th Cir. 1975) (Aussageverhinderung). 593 In re Grand Jury Investigation of Hugle, 754 F.2d 863, 864 (9th Cir. 1985). 594 United States v. Lustig, 555 F.2d 737, 747 (9th Cir.), cert. denied, 434 U.S. 926 (1977). 595 Pereira v. United States, 347 U.S. 1, 6 (1954). 596 United States v. Marashi, 913 F.2d 724 (9th Cir. 1990). 597 United States v. Lustig, 555 F.2d 737 (9th Cir.), cert. denied, 434 U.S. 926 (1977); zu weiteren Einzelfragen im Zusammenhang mit dem ehelichen Aussageverweigerungsrecht vgl. i. Ü. CAL. EV. CODE §§ 970-987. 598 U.S.-BUNDESVERFASSUNG, Amendment V („No person shall be … compelled in any criminal case to be a witness against himself“); zur Geltung des Aussageverweigerungsrechts im Rahmen von Zivilprozessen und insbesondere auch im Zusammenhang mit der discovery vgl. In re Folding Carton Antitrust Litigation, 609 F.2d 867 (7th Cir. 1979); Gordon v. Federal Deposit Ins. Corp. u. 427 F.2d 578, 580 (D.C. Cir. 1970). Im Gegensatz zu Strafverfahren, in denen allen Prozessbeteiligten jeglicher Kommentar über die Inanspruchnahme dieses Aussageverweigerungsrechts strengstens untersagt sind, dürfen die Parteivertreter im Rahmen der zivilprozessualen Beweisaufnahme eine auf den Schutz vor Selbstbelastung gestützte Aussageverweigerung grundsätzlich kommentieren; vgl. Baxter v. Palmigiano, 425 U.S. 308 (1976) (enger insoweit jedoch CAL. EV. CODE § 913, wonach in beiden Verfahrensarten Kommentare solcher Art allen Verfahrensbeteiligten schlechterdings untersagt sind). Zur Gewäh-

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Nicht allgemein vor Offenbarung geschützt hingegen ist die Kommunikation unter Verwandten, selbst nicht solchen ersten Grades und selbst dann nicht, wenn die Aussage im Wege der Rechtshilfe für ein ausländisches Verfahren erfolgt, welches seinerseits in einem Land anhängig ist, dessen Rechtsordnung ein solches Aussageverweigerungsrecht anerkennt599. Auch andere Aussageverweigerungsrechte, die den vorgenannten zwar ähnlich, jedoch nicht mit diesen identisch sind (z. B. dasjenige eines Sozialarbeiters, Steuerberaters oder Wirtschaftsprüfers), gehören weder zum anerkannten Bestand des common law noch zum Regelungsumfang der meisten bundesstaatlichen Gesetze, so dass auch sie i.d.R. keinen Schutz vor der Offenbarung vertraulich gegebener Informationen gewähren600.

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3. Attorney Work Product Zehn Jahre nach In-Kraft-Treten der FEDERAL RULES OF CIVIL PROCEDURE erging eine den Umfang der discovery weiter einschränkende Entscheidung rung strafprozessualer Immunität mit dem Ziel, gleichwohl eine Aussage herbeizuführen, s. 18 U.S.C. §§ 6001 – 6005 (WITNESS IMMUNITY ACT) sowie Kastigar v. United States, 406 U.S. 441 (1972); zur Verwendung strafprozessual immunisierter Aussagen im Rahmen eines gleichzeitigen oder nachfolgenden Zivilprozesses vgl. schließlich auch United States v. Apfelbaum, 445 U.S. 115 (1980). 599 In re Subpoena Issued to Mary Erato, 2 F.3d 11 (2d Cir. 1993) (Niederlande); zugleich mit einer Übersicht über die zahlreichen ein solches Aussageverweigerungsrecht ablehnenden Entscheidungen anderer Bundesgerichte. Eine Zitatsammlung bundesstaatsgerichtlicher Entscheidungen findet sich bei People v. Dixon, 411 N.W.2d 760 (Mich. App. 1987); zu den Regelungen der Minderheit von Staaten, die ein Aussageverweigerungsrecht zwischen Verwandten ersten Grades anerkennen, s. demgegenüber IDAHO CODE § 9-203(7), MINN.STAT. § 595.02(9) sowie In re Gloria L., 475 N.Y.S.2d (1984) und Matter of Application of A and M, 403 N.Y.S.2d 375 (1978) (New York). Allerdings lassen die Gerichte einiger Bundesstaaten eine Ausdehnung anderer Schutzvorschriften wie das anwaltliche oder ärztliche Aussageverweigerungsrecht auf das ElternKind-Verhältnis zu, wenn dies im Einzelfall im Gerechtigkeitsinteresse geboten erscheint; vgl. z. B. De Los Santos v. Superior Court, 27 Cal.3d 677 (1980). Allgemein s. insoweit Kraft, Parent-Child Testimonial Privilege; Who’s Minding the Kids? 18 FAM.L.Q. 505 (1985) und Note, Parent-Child Loyalty and Testimonial Privilege, 100 HARV.L.REV. 910 (1987). 600 Vgl. Couch v. United States, 409 U.S. 322 (1973) und United States v. Arthur Young and Co., 465 U.S. 805 (1984) (Steuerberater). Zu Beispielen nicht allgemein anerkannter, lediglich in einigen Bundesstaaten legislativ geschaffener Aussageverweigerungsrechte vgl. jedoch CAL. EV. CODE §§ 1035-1036.2 (Beratung von Vergewaltigungsopfern) und ebd. §§ 1037-1037.7 (Beratung von Opfern häuslicher Gewalt).

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des U.S. Supreme Court, deren wesentliche Rechtssätze zwischenzeitlich nicht nur – überwiegend – in die bundesrechtliche Regelung, sondern auch in diejenigen aller Bundesstaaten Eingang gefunden haben und nunmehr zum absoluten Kernbestandteil des discovery-Verfahrens gehören601. Danach unterliegen dem Zugriff der Gegenpartei im Regelfall nicht diejenigen Unterlagen, welche entweder die Partei selbst oder ihr Anwalt und seine Mitarbeiter602 gerade erst im Rahmen der Prozessvorbereitung erstellt haben (attorney work product). Hierzu zählen insbesondere (1) schriftliche Zeugenaussagen und andere Urkunden und Augenscheinsstücke, die Partei-intern oder im Interesse der vertretenen Partei entweder allgemein zur Vorbereitung von Rechtsstreitigkeiten oder im Hinblick auf das konkret anhängige Verfahren erstellt worden sind (ordinary work product); diese müssen nur dann dem Gegner offenbart werden, wenn dieser ausnahmsweise einen erheblichen Bedarf (substantial need) an der Kenntniserlangung ihres Inhalts darlegen kann und darüber hinaus keine oder nur eine völlig unzureichende Möglichkeit hat, sich die betreffenden Informationen auf andere Weise selbst zu beschaffen (undue hardship); (2) und das sogenannte opinion work product, d. h. Rechtsgutachten und andere Stellungnahmen des Anwalts zur Rechtslage mit Rücksicht auf das anhängige Verfahren, die so gut wie nie dem Gegner offenbart werden müssen. 462

Hintergrund der attorney work product doctrine ist zum einen der Schutz des anwaltlichen Mandatsverhältnisses und der damit verbundenen Treue- und Verschwiegenheitspflichten des Anwalts, zum anderen wiederum die Waffengleichheit der Prozessparteien, deren einer es nicht ermöglicht werden soll, auf Kosten und unter Ausnutzung der gegebenenfalls bereits wesentlich weiter gehenden und detaillierteren Prozessvorbereitung des Gegners diesem gegenüber einen unfairen Vorteil zu erlangen603. 601 Hickman v. Taylor, 329 U.S. 495 (1947); vgl. nunmehr auch FRCP Rule 26(b)(3). Zur einzelfallbezogenen Auslegung der work product doctrine vgl. die Nachweise bei Baicker-McKee, Janssen, Corr, Federal Civil Rules Handbook, Authors’ Commentary on Rule 26 Fn. 87-109. 602 Einschließlich eines anwaltlich beauftragten Privatdetektivs: In re Grand Jury Subpoena Dated Oct. 22, 2001, 282 F.3d 156, 161 (2d Cir. 2002). 603 Hickman v. Taylor, 329 U.S. 495 (1947) und In re Ford Motor Co., 110 F.3d 954 (3d Cir. 1997)

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Von diesem Schutz ausgenommen sind lediglich diejenigen Umstände, die ihrer Art nach discoverable information darstellen und lediglich zufällig auch Gegenstand eines als attorney work product geschützten Schriftstückes sind, sowie Erklärungen, die die Partei selbst dem Gegner gegenüber abgegeben hat, auch wenn dieser sie sodann in Form eines an sich geschützten Schriftstückes niedergelegt hat604.

463

Zu einer Kollision zwischen der attorney work product doctrine und dem legitimen discovery-Interesse des Gegners kann es allerdings nicht nur im Zusammenhang mit Urkundenvorlageersuchen kommen, sondern insbesondere auch im Rahmen von interrogatories und requests for admission. Im Wege der Letzteren dürfen sodann zwar keine reinen Rechtsansichten, jedoch die Richtigkeit wertenden Tatsachenangaben wie auch solcher Behauptungen erfragt werden, die die Anwendung eines konkreten Rechtsgrundsatzes auf bestimmte zugrunde liegende Tatsachen beinhalten; vgl. FRCP Rule 36(a). – Enthält ein interrogatory demgegenüber eine Fragestellung, die nicht durch die bloße Wiedergabe von Tatsachen beantwortet werden kann, sondern mindestens teilweise eine rechtliche Wertung erfordert, so ist der Adressat des interrogatory zwar nicht berechtigt, die Antwort insgesamt allein aus diesem Grunde zu verweigern (vgl. FRCP Rule 33[b]); er kann jedoch zur Vermeidung einer vorschnellen Antwort gemäß FRCP Rule 33(c) einen Gerichtsbeschluss erwirken, dem zufolge die Antwort auf einen späteren Zeitpunkt – insbesondere auf einen Zeitpunkt nach Beendigung anderer Teile der discovery oder nach einer case management conference – verschoben werden darf605.

464

4. Sachverständige Eine Sonderregelung findet sich in FRCP Rule 26(b)(4) – und ihr folgend, auch in den Prozessordnungen der meisten Bundesstaaten – auch mit Hinblick auf die Tätigkeit von Sachverständigen. Danach ist selbst nach Vorlage des expert report im Rahmen der disclosure (vgl. vorst. Rn. 395–396) lediglich die Befragung derjenigen Sachverständigen im Wege einer deposition zulässig, deren sich die Parteien angekündigterma604 Zur Aufhebung des Schutzes der attorney work product doctrine im Zusammenhang mit gegenwärtigen oder beabsichtigten Straftaten des Mandanten (sog. crime-fraud exception, vgl. vorst. Rn. 87) s. CAL. CODE CIV.PROC. § 2018(d); In re Grand Jury Proceedings, Thursday Special Grand Jury September Term, 1991, 33 F.3d 342 (4th Cir. 1994); In re: Sealed Case, 676 F.2d 793 (D.C. Cir. 1982); Cohn, The Work-Product Doctrine: Protection, Not Privilege, 71 GEORGETOWN L.REV. 917 (1983) u. ders., The Work Product Doctrine, 68 CORNELL L.REV. 760 (1983). 605 Reine Rechtsfragen dürfen jedoch im Wege von interrogatories ebenfalls nicht erfragt werden; vgl. Coles v. Jenkins, 179 F.R.D. 179, 181 (W.D. Va. 1998); zur Abgrenzung zu zulässigen Fragestellungen auch United States v. Boyce, 148 F. Supp. 2d 1069 (S.D. Cal. 2001).

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ßen im Rahmen der gerichtlichen Beweisaufnahme (trial) zu bedienen gedenken, d. h. der sogenannten testifying experts606. 466

Hat sich eine Partei jedoch im Rahmen der Vorbereitung des trial der Beratung eines Sachverständigen bedient, der nicht zugleich auch vor Gericht in Erscheinung treten soll, so darf der Gegner diesen sogenannten consulting expert nur dann im Wege von interrogatories oder einer deposition befragen, wenn sie ein überwiegendes Interesse hieran geltend machen kann und es ihr nur sehr erschwert möglich ist, Antwort auf die einem solchen beratenden Sachverständigen zu stellenden Fragen anderweitig zu erlangen607. Dies dient dem Ausgleich des Interesses beider Parteien, einerseits im Rahmen der Vorbereitung der Beweisaufnahme auf einen Sachverständigen zurückgreifen zu können, dessen Beratungstätigkeit nicht zugleich vom jeweiligen Prozessgegner ausgeforscht werden darf; zum anderen sich aber auch sachgerecht auf die Aussage desjenigen Sachverständigen vorzubereiten, dessen Auftreten tatsächlich vom Gegner für die Beweisaufnahme angekündigt ist. Mit Rücksicht auf diese Regelung bedienen sich amerikanische Prozessparteien insbesondere in Verfahren, die komplexe wirtschaftliche, technische, medizinische oder naturwissenschaftliche Fragen zum Gegenstand haben, fast immer mindestens je eines testifying expert und eines consulting expert; wobei eine Beratung im Hinblick auf Umstände, die sich für die Partei gegebenenfalls als nachteilig herausstellen können, i.d.R. nur von Seiten des consulting expert erfolgt, um den Gegenstand der Beratung vor dem discovery-Zugriff des Gegners zu schützen und sich nicht unnötig eine Blöße zu geben608.

606 Dabei ist Gegenstand der Befragung nicht nur der eigentliche Inhalt des Sachverständigengutachtens sowie der im Rahmen der gerichtlichen Beweisaufnahme zu erwartenden Aussagen, sondern darüber hinaus auch sämtliche Grundlagen, auf die die sachverständige Stellungnahme im Einzelfall gestützt ist, einschließlich des keinerlei Aussageverweigerungsrechten unterliegenden Informationsaustausches zwischen dem Sachverständigen und der Partei; vgl. z. B. Herman v. Marine Midland Bank, 207 F.R.D. 26 (W.D.N.Y. 2002) u. Southern Union Company v. Southwest Gas Corp., 180 F. Supp. 2d 1021, 1059 – 1060 (D. Ariz. 2002). 607 Illustrativ St. Paul Fire and Marine Ins. Co., 128 F. Supp. 2d 1148 (N.D. Ill. 2001). 608 Kritisch Friedenthal, Discovery and Use of an Adverse Party’s Expert Information, 14 STAN.L.REV. 455 (1962).

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5. Gerichtlich angeordnete Beschränkungen der Discovery im Einzelfall Über die vorstehend genannten, stets bestehenden Grenzen der discovery ist eine Beschränkung der Rechte der Parteien nur im Einzelfall und aufgrund ausdrücklicher gerichtlicher Anordnung möglich, die jedoch regelmäßig nur insoweit erteilt wird, als dies zur Abwendung erheblicher Nachteile und/oder des discovery-Missbrauchs erforderlich erscheint und die Parteien zuvor erfolglos versucht haben, sich ohne Einschaltung des Gerichts zu einigen; vgl. FRCP Rule 26(c)609. Ist die sodann eingereichte motion for a protective order erfolgreich – wobei die Darlegungslast für die jeweils zugrundeliegenden Umstände dem Antragsteller obliegt –, kann das Gericht insbesondere die angefochtene discovery-Maßnahme insgesamt untersagen, diese in zeitlicher, örtlicher oder sachlicher Hinsicht bestimmten Beschränkungen unterwerfen oder anordnen, dass Antwortschriften, Urkunden, Augenscheinsobjekte oder Protokolle von depositions verschlossen zu den Gerichtsakten gereicht und dem jeweiligen Gegner nur nach vorheriger gerichtlicher Prüfung und nur soweit vom Gericht freigegeben überlassen werden sollen610.

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Kommt es während der Zeugenvernehmung im Rahmen einer deposition zum Streit über die Zulässigkeit einer Frage oder eines Einspruchs und sind die Parteien nicht in der Lage, insoweit eine Einigung herbeizuführen, besteht auch insoweit die Möglichkeit, im Wege eines Eilantrages das sachentscheidende Gericht anzurufen – oder ebenso das gegebenenfalls von jenem verschiedene Gericht, in dessen Bezirk die deposition durchgeführt wird – und dort um entsprechend einschränkende Anordnungen nachzusuchen; vgl. FRCP Rule 30(d)(4). In der Praxis ist ein solcher, den Verlauf der deposition zumeist weit mehr als der vorausgehende Streit selbst störender Eilantrag allerdings das allerletzte Mittel, von dem i.d.R. erst Gebrauch gemacht wird, wenn die Uneinigkeit der Parteien so weit gediehen ist, dass mit einer Wiederversöhnung ohne gerichtliche Intervention schlechterdings nicht zu rechnen und die ordnungsgemäße Vernehmung des Deponenten ohnehin bereits so nachhaltig beeinträchtigt ist, dass wenig Aussicht besteht, diese an dem fraglichen Termin noch zu Ende zu führen611.

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609 Ähnlich z. B. CAL. CODE CIV.PROC. §§ 2017(c), 2019(b) u. 2023. Zu Verfahren und Reichweite des Schutzes vgl. Mack v. Great Atlantic and Pacific Tea Co., 871 F.2d 179, 186 (1st Cir. 1989) (interrogatories) sowie Baicker-McKee, Janssen, Corr, Federal Civil Rules Handbook, Authors’ Commentary on Rule 26(c), Rule 33(b), Rule 34(b), Rule 36(a) und Rule 37(a). 610 Eine Zeugenladung kann bei deren gerichtlicher Anordnung im Wege der Rechtshilfe, s. vorstehend Rn. 438, anstelle des sachentscheidenden Gerichts auch vor dem jeweiligen Rechtshilfegericht angegriffen werden; vgl. FRCP Rule 45(c). 611 Vgl. hierzu Garland v. Torre, 259 F.2d 545 (2d Cir.), cert. denied, 358 U.S. 910 (1958); SEC v. Oakford Corp., 141 F. Supp. 2d 435 (S.D.N.Y. 2001) und Sentry Insurance v. Shivers, 164 F.R.D. 255, 256 (D. Kan. 1996).

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Ist der Schutzantrag nicht erfolgreich, wird das Gericht regelmäßig anordnen, dass der Antragsteller dem angefochtenen discovery-Ersuchen zu entsprechen hat; und zwar zumeist unabhängig davon, ob der Antragsgegner seinerseits einen eigenen Antrag auf Durchsetzung seines discoveryErsuchens gestellt hat, obwohl sich in der Praxis eine solche motion to compel discovery häufig mit einem entsprechenden Schutzantrag des Gegners kreuzen wird612. V. Discovery in Verfahren unter Beteiligung ausländischer Parteien 1. Prozessführung in den USA

470

Im Rahmen amerikanischer Prozesse werden sich ausländische Parteien häufig nicht nur discovery-Ersuchen in Bezug auf ihre in den USA befindlichen Beweismittel ausgesetzt sehen, sondern auch ihre ausländischen (Geschäfts-)Unterlagen und Zeugen können u. U. Gegenstand eines Vorlageersuchens bzw. der Ladung zu einer deposition sein. Praxisrelevant wird dies – ebenso wie discovery-Anordnungen amerikanischer Gerichte im Rahmen von im Ausland anhängigen Rechtsstreitigkeiten (s. nachf. Rn. 482 ff.) sowie die allgemeinen Grundsätze über die Zuständigkeit amerikanischer Gerichte – in erster Linie, jedoch nicht ausschließlich, für solche Unternehmen, die ihre Tätigkeit in den USA nicht durch eine vollumfänglich nach amerikanischem Recht organisierte Tochtergesellschaft betreiben, welche das ausländische Mutterunternehmen gegebenenfalls vom Zugriff amerikanischer Gerichte zu isolieren in der Lage ist (vgl. hierzu vorst. Rn. 264, 308 u. 312). a) Verfahren

471

Seit In-Kraft-Treten des Haager Übereinkommens über die Beweisaufnahme im Ausland in Zivil- und Handelssachen (HBÜ)613 richten sich die Einzelheiten der Durchsetzung von discovery-Ersuchen im Ausland nach dem in diesem Übereinkommen vorgesehenen Verfahren; danach bedarf es insbesondere nicht der Einschaltung einer diplomatischen Vertretung614. Jedoch stellt dieses aus amerikanischer Sicht keine exklusive, andere nationale Regelungen oder im Einzelfall im Ermessen der Ge612 Vgl. FRCP Rule 26(c), 33(b)(5), 34(b), 36(a) und 37(a). 613 BGBl. II 1977, S. 1472 u. II 1979, S. 780; Ausführungsgesetz BGBl. I 1977, S. 3105. 614 Zu den Einzelheiten des Verfahrens nach Maßgabe des Haager Übereinkommens Linke Rn. 322 ff. u. Geimer Rn. 2347 ff., je m. zahlr. w. N.

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richte stehende Maßnahmen vollständig verdrängende Verfahrensordnung dar; Ziel des Übereinkommens war die Erleichterung der internationalen Rechtshilfe, nicht deren Behinderung615. Einschränkungen ergeben sich hinsichtlich des Verfahrens nach HBÜ allerdings aufgrund von dessen Artikel 23 und der hierzu von der Bundesrepublik abgegebenen Erklärung (vgl. insoweit nachf. Rn. 480–481). aa) In Bezug auf requests for production of documents weist das Vorlageverfahren im Grundsatz zunächst keine wesentlichen Unterschiede gegenüber demjenigen auf, mit dem um Vorlage von in den USA befindlichen Unterlagen ersucht wird; ein Hauptstreitpunkt wird allerdings – insbesondere bei discovery-Ersuchen gegenüber multinationalen Konzernen – die Frage sein, ob sich die vorzulegenden Unterlagen im Besitz oder in der Kontrolle gerade des (Teil-)Unternehmens befinden, welches Partei des in den USA geführten Rechtsstreits ist616.

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bb) Nach dem in FRCP Rule 28(b) für die Durchführung von depositions im Ausland vorgesehenen Rechtshilfeverfahren ist die Vernehmung eines Zeugen – unter Vorbehalt der Vorschriften der maßgeblichen ausländischen Verfahrensordnung – nicht nur zulässig, wenn dies durch ein entsprechendes internationales Abkommen (wie z. B. das HBÜ) gestattet ist, sondern auch unabhängig von einem solchen Abkommen im Einzelfall nach Maßgabe eines entsprechenden Ersuchens an das ausländische Gericht, und sodann vor jeder Person, die nach dem Recht des jeweiligen Landes zur Abnahme von Eiden befugt ist (in Deutschland also nicht nur vor jedem Gericht, sondern u. U. z. B. auch vor einem Notar; vgl. § 22 Abs. 1 BNotO und gegebenenfalls von dem angerufenen Rechtsmittelgericht mit der Vernehmung beauftragt wird617.

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615 Grundlegend Societe Nationale Industrielle Aerospatiale v. United States District Court for the Southern District of Iowa, 482 U.S. 522 (1987). 616 S. hierzu Société Internationale Pour Participations Industrielles et Commerciales, S.A. v. Rogers, 357 U.S. 197 (1958); In re Uranium Antitrust Litigation Westinghouse Electric Corp. v. Rio Algom Ltd., 480 F.Supp. 1138 (N.D. Ill. 1979) sowie die Fn. 623 zitierten weiteren Entscheidungen i.S. Westinghouse. 617 Handelt es sich bei dem Deponenten um eine Partei oder ein vertretungsbefugtes Mitglied der Geschäftsleitung eines prozessbeteiligten Unternehmens, so genügt nach den Prozessordnungen einiger Bundesstaaten darüber hinaus auch für die Ladung zu einer deposition im Ausland die Einhaltung der Vorschriften der jeweiligen bundesstaatlichen Prozessordnung. Vgl. z. B. CAL. CODE CIV.PROC. § 2027(b)(1).

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Dabei führt dann selbst die Nichteinhaltung der für eine deposition innerhalb der Grenzen der USA zwingend vorgesehenen Form- und Verfahrensvorschriften nicht ohne weiteres zum Ausschluss der solchermaßen erlangten Beweismittel; so ist insbesondere auch eine – wie in Deutschland – nicht eidlich abgegebene oder nicht wörtlich protokollierte Aussage im Rahmen des in den USA anhängigen Prozesses vollumfänglich verwendbar, soweit i. Ü. die im Rechtshilfeland für die Protokollierung von Aussagen geltenden Form- und Verfahrensvorschriften eingehalten worden sind618.

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Umfang und Grenzen etwaiger Aussageverweigerungsrechte richten sich (wohl) nach dem Recht des Staates, in dem die geschützte Kommunikation stattgefunden hat619; im Verfahren nach dem Haager Übereinkommen kann ein Zeuge allerdings Aussageverweigerungsrechte nach beiden Rechtsordnungen geltend machen (vgl. Art. 11).

b) Grenzen 476

Im Grundsatz gelten für die discovery im Ausland nicht die gegebenenfalls weiter gehenden beweisrechtlichen Grenzen und Schutzvorschriften der betroffenen ausländischen Rechtsordnung, sondern diejenigen des amerikanischen Rechts.

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aa) Nach der sogenannten foreign compulsion doctrine sind – insbesondere mit strafrechtlichen Sanktionen versehene – Geheimhaltungspflichten nach Maßgabe ausländischer Rechtsordnungen zwar insoweit beachtlich, als der ausländischen Partei die Nichtvorlage der davon betroffenen Unterlagen nicht als Fehlverhalten i.S.v. FRCP Rule 37 angelastet werden kann; kommt den fraglichen Unterlagen allerdings materiellrechtlich entscheidungserhebliche Bedeutung zu, so entlastet eine nach ausländischem Recht bestehende Geheimhaltungspflicht die hiervon betroffene Partei nicht von ihrer in dem amerikanischen Rechtsstreit in vollem Umfang fortbestehenden Darlegungs- und Beweislast620. Ob eine Partei solche Un-

618 Societe Nationale Industrielle Aerospatiale v. United States District Court for the Southern District of Iowa, 482 U.S. 522 (1987); allgemein hierzu vgl. auch Baicker-McKee, Janssen, Corr, Federal Civil Rules Handbook, Authors’ Commentary on Rule 28(b). 619 RESTATEMENT (THIRD) OF THE FOREIGN RELATIONS LAW OF THE UNITED STATES § 442, comment d. 620 Grundlegend Société Internationale Pour Participations Industrielles et Commerciales, S.A. v. Rogers, 357 U.S. 197 (1958) (Schweizer Bankgeheimnis); s. hierzu auch die Parallelentscheidung des International Court of Justice vom

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terlagen im Rahmen der discovery offenbaren muss, richtet sich sodann nach einer Abwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles; insbesondere auch des Gewichts, das der betroffenen Geheimhaltungspflicht im Rahmen der ausländischen Rechtsordnung beigemessen wird, und des Interesses des betroffenen Staates an ihrer Durchsetzung im Rahmen des in den USA anhängigen Prozesses. So werden lediglich zivilrechtliche Schadensersatzansprüche von durch die Preisgabe der Informationen benachteiligten Dritten regelmäßig ebenso wenig beachtlich sein wie die (begründete) Befürchtung wirtschaftlicher Einbußen durch die betroffenen Partei, wenn die Geheimhaltungspflicht in der jeweiligen ausländischen Rechtsordnung nicht zugleich mit Sanktionen für den Fall der Zuwiderhandlung, prozessualen Aussageverweigerungsrechten oder vergleichbaren, eindeutig die zentrale Bedeutung des Schutzgedankens zum Ausdruck bringenden Rechtsinstituten verbunden ist621. bb) Einen Sonderfall staatlicher Offenbarungsverbote stellen die Sperrgesetze (blocking statutes) dar, die zahlreiche Staaten insbesondere in der Folge der amerikanischen Rechtsprechung zur effects doctrine (s. vorst. Rn. 41–42) sowie interventionistischer Untersuchungsmaßnahmen amerikanischer Behörden zum Schutz ihrer Staatsangehörigen sowie der in jenen Staaten ansässigen Handelsgesellschaften erlassen haben, und die jene Akte amerikanischer Behörden und Gerichte als Eingriff in die Hoheitsgewalt eines anderen Staates betrachten. Ziel dieser Sperrgesetze ist dabei typischerweise nicht nur die Verhinderung der Vollstreckbarkeit amerikanischer Urteile, sondern insbesondere auch bereits zu Beginn des in den USA anhängigen Prozesses der Schutz der jeweiligen ausländischen Partei vor Offenbarungspflichten im Rahmen der discovery622.

21. März 1959, Interhandel Case (Switzerland v. United States), I.C.J. Rep. 1959, 6, 26-30. 621 Société Internationale Pour Participations Industrielles et Commerciales, S.A. v. Rogers, 357 U.S. 197 (1958) und United States v. First National City Bank, 396 F.2d 897 (2d Cir. 1968) (deutsches Bankgeheimnis); ebenso RESTATEMENT (THIRD) OF THE FOREIGN RELATIONS LAW OF THE UNITED STATES § 442(1). Zu Einzelheiten der Interessenabwägung in Bezug auf ausländische Bankgeheimnisse vgl. des Weiteren United States v. Bank of Nova Scotia (I), 691 F.2d 1384 (11th Cir. 1982), cert. denied, 462 U.S. 1119 (1983); United States v. Bank of Nova Scotia (II), 740 F.2d 817 (11th Cir. 1984), cert. denied, 469 U.S. 1106 (1985); In re: Sealed Cases, 825 F.2d 494 (D.C. Cir.), cert. denied, 484 U.S. 963 (1987) u. In re Grand Jury Proceedings, United States v. Field, 532 F.2d 404 (5th Cir.), cert. denied, 429 U.S. 940 (1976). 622 Z. B. § 11 des Gesetzes über die Aufgaben des Bundes auf dem Gebiet der Seefahrt, BGBl. II 1965, 833, 835 (Deutschland); LOI NO. 68-678 und LOI NO. 80-538 (Frankreich) sowie SHIPPING CONTRACTS AND COMMERCIAL DOCUMENTS ACT 1964 und PROTECTION OF TRADING INTERESTS ACT 1980 (Großbritannien); hierzu Lowe, Blocking Extraterritiorial Jursidiction: The British Protection of Trading Interests Act, 1980, 75 AM.J. INT’L L. 257 (1981).

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Während amerikanische Gerichte zunächst bereit waren, im Ausland befindliche Unterlagen, die unter Berufung auf solche Sperrgesetze nicht dem Gegner offenbart worden waren, als außerhalb ihres Kompetenzbereichs befindlich anzusehen und von einer Sanktion der Nichtvorlage abzusehen623, verschob sich der Prüfungsansatz in späteren Entscheidungen von den Unterlagen als solche auf die Parteien des in den USA anhängigen Prozesses. Nach der nunmehr vorherrschenden Rechtsprechung erlischt die Vorlagepflicht nicht allein aufgrund der Tatsache, dass die betreffenden Unterlagen sich im Ausland befinden. Solange die Parteien selbst der Gerichtsbarkeit des angerufenen amerikanischen Gerichts unterliegen und – durch gesellschaftsrechtliche Kontrollmechanismen oder in welcher Form auch immer – die Herausgabe der Unterlagen von deren eigentlichen Besitzer erwirken können, besteht grundsätzlich eine Vorlagepflicht; auch aus dem Umstand, dass die Unterlagen im Rahmen eines in den USA anhängigen strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens gegen die betroffene ausländische Partei verwendet werden sollen, ergibt sich insoweit im Grundsatz nichts anderes624. Lediglich dann, wenn sich die Unterlagen als solche nicht mehr im Besitz eines Dritten befinden, auf den die ausländische Partei eines amerikanischen Rechtsstreits einwirken kann, sondern im Besitz eben der ausländischen Behörde, der die Durchsetzung des jeweiligen Sperrgesetzes obliegt, und wenn diese Behörde deutlich gemacht hat, dass sie amerikanischen Parteien keinen Zugang zu den fraglichen Unterlagen gewähren werde, ist der ausländische Gegner einer amerikanischen Partei von der Vorlagepflicht 623 Federal Maritime Commission v. DeSmedt, 268 F.Supp. 972 (1967); allerdings erging die Entscheidung erst nach einem ausdrücklichen Offenbarungsverbot der betroffenen Regierung (Großbritannien), denn die amerikanischen Gerichte hatten der ausländischen Partei zunächst auferlegt, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um ungeachtet des britischen Sperrgesetzes eine Ausnahmegenehmigung ihrer Regierung zur Vorlage der noch ausstehenden Unterlagen zu erwirken. S. Federal Maritime Commission v. DeSmedt, 366 F.2d 464, cert. denied, 385 U.S. 974 (1966); zum Fortgang des Verfahrens vgl. Calcutta East Conference of India and East Pakistan/U.S.A. Conference v. Federal Maritime Commission, 399 F.2d 994 (D.C Cir. 1968). Zur Verpflichtung der ausländischen Partei zur Herbeiführung einer Ausnahmegenehmigung s. nunmehr auch RESTATEMENT (THIRD) OF THE FOREIGN RELATIONS LAW OF THE UNITED STATES § 442(2)(a). 624 In re Uranium Antitrust Litigation Westinghouse Electric Corp. v. Rio Algom Ltd., 480 F.Supp. 1138 (N.D. Ill. 1979). Zur außerordentlich komplexen Geschichte dieser die Sperrgesetze mehrerer vorwiegend zum British Commonwealth gehörender Staaten betreffenden Entscheidung und zu den aus dem Rechtsstreit erwachsenen Differenzen v.a. zwischen den USA und Großbritannien s. Re Westinghouse Electric Corporation Uranium Contract Litigation, MDL Docket No. 235, [1977] 3 All E.R. 703 (London High Court, Queen’s Division 1977); Rio Tinto Zinc Corp. v. Westinhouse Electric Corp., [1978] A.C. 547 (House of Lords, 1978); In re Uranium Antritrust Litigation, 473 F.Supp. 382 (N.D. Ill. 1979), aff’d in part, rev’d in part, 617 F.2d 1248 (7th Cir. 1980); In re Westinghouse Electric Corporation Uranium Contracts Litigation, 563 F.2d 992 (10th Cir. 1977) sowie Comment, The International Uranium Cartel: Litigation and Legal Implication, 14 TEXAS INT’L L.J. 59 (1979).

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Discovery befreit625. Im Übrigen bedarf es insoweit derselben Interessenabwägung wie auch sonst bei der Vorlage von im Ausland befindlichen Unterlagen nach Maßgabe der foreign compulsion doctrine626. Kommt die ausländische Partei ihrer sonach gegebenenfalls festgestellten Mitwirkungspflicht gleichwohl nicht nach, so können die von der Urkundenvorlage betroffenen Tatsachenbehauptungen des Prozessgegners zu Lasten der vorlagepflichtigen Partei als erwiesen angesehen werden627.

cc) Einschränkungen der discovery im Ausland ergeben sich schließlich auch dann, wenn der ausländische Staat, in dem die Beweisermittlung stattfinden soll, eine Erklärung nach Artikel 23 HBÜ abgegeben hat, der zufolge jener Staat solche Rechtshilfeersuchen in Bezug auf die Vorlage von Urkunden und (Geschäfts-)Unterlagen nicht ausführen wird, die auf die Durchführung von in den Ländern der common law-Tradition üblichen discovery-Maßnahmen gerichtet sind. Obwohl die Bundesrepublik in den Beratungen zu der Konvention noch gegen diese Vorschrift gestimmt hatte628, gab sie im Rahmen der Ratifizierung des Übereinkommens eine solche Erklärung ab.

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Dies veranlasste z. B. in einem ca. zehn Jahre später anhängigen Rechtsstreit das Bayerische Justizministerium zur Ablehnung eines amerikanischen Rechtshilfeersuchens insoweit, als damit auch die Vorlage von in Deutschland befindlichen Geschäftsunterlagen verfolgt wurde, während dem Ersuchen entsprochen wurde, soweit es auf die Vernehmung von Zeugen gerichtet war (welche dann in ihrer Vernehmung nach Artikel 9 der Konvention ihrerseits auch zum Inhalt der fraglichen Unterlagen aussagen durften)629. Gleichwohl entschieden amerikanische Gerichte – bevor der U.S. Supreme Court die mangelnde Ausschließlichkeit der Geltung des Haager Übereinkommens festgestellt hatte630 –, dass selbst bei Geltung des HBÜ und unter Berücksichtigung der von der Bundesrepublik nach Artikel 23 HBÜ abgegebenen Erklärung die Parteien eines in den USA anhängigen Prozesses

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625 In re Uranium Antitrust Litigation Westinghouse Electric Corp. v. Rio Algom Ltd., 480 F.Supp. 1138 (N.D. Ill. 1979). 626 In re Uranium Antitrust Litigation Westinghouse Electric Corp. v. Rio Algom Ltd., 480 F.Supp. 1138 (N.D. Ill. 1979); ähnlich In re Westinghouse Electric Corporation Uranium Contracts Litigation, 563 F.2d 992, 999 (10th Cir. 1977). 627 In re Uranium Antitrust Litigation Westinghouse Electric Corp. v. Rio Algom Ltd., 480 F.Supp. 1138 (N.D. Ill. 1979) u. RESTATEMENT (THIRD) OF THE FOREIGN RELATIONS LAW OF THE UNITED STATES § 442(2)(c). 628 CONFÉRENCE DE LA HAYE, ACTES ET DOCUMENTS DE LA ONZIÈME SESSION, vol. IV p. 177 (Procès-verbal No. 15), 1970. 629 OLG München, JZ 1981, 538, 540 (Corning Glass Works v. ITT Corp.); s. hierzu auch Platto, Taking Evidence Abroad – A Practical Guide, 16 INT’L LAWYER 575 (1982). 630 Societe Nationale Industrielle Aerospatiale v. United States District Court for the Southern District of Iowa, 482 U.S. 522 (1987).

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Discovery: Beweisermittlung im Parteibetrieb zunächst den Weg eines Rechtshilfeersuchens nach Maßgabe des Übereinkommens wählen sollten, bevor das mit der Sache befasste amerikanische Gericht sich mit der etwaigen Nichtverfügbarkeit der in Deutschland befindlichen Unterlagen befassen werde, sich diese also nicht bereits aus der Erklärung der Bundesrepublik zu Artikel 23 HBÜ selbst ergebe631. Die generelle Verpflichtung der Parteien zu einer solchen Vorgehensweise lehnte der U.S. Supreme Court in seiner Grundsatzentscheidung zum HBÜ jedoch ab, und zwar im Prinzip für alle amerikanischen discovery-Methoden, und befand stattdessen, dass es bei dem im Einzelfall mit der Sache befassten amerikanischen Gericht liege, discovery-Anordnungen so zu treffen, dass mit diesen ein möglichst geringfügiger Eingriff in die Hoheitsrechte des betroffenen ausländischen Staates verbunden sei632.

2. Prozessführung im Ausland oder vor einem internationalen Gericht 482

Ausländische Parteien müssen allerdings nicht nur damit rechnen, im Rahmen eines in den USA anhängigen Prozesses discovery-Ersuchen ihres Gegners ausgesetzt zu sein; vielmehr eröffnet das amerikanische Bundesrecht in 28 U.S.C. § 1782 ausdrücklich eine Rechtshilfekompetenz auf der Ebene der U.S. District Courts im Hinblick auf im Ausland oder vor einem internationalen Tribunal anhängige Verfahren. Danach kann ein U.S. District Court auf ein entsprechendes Rechtshilfeersuchen des sachentscheidenden ausländischen Gerichts oder (!) auf Antrag eines Ver631 Vgl. z. B. Volkswagenwerk Aktiengesellschaft v. Superior Court, 123 Cal. App. 3d 840, 857-859 (1981) und Pierburg GmbH & Co. KG v. Superior Court, 137 Cal. App. 3d 238 (1982); hiergegen jedoch bereits vor der Entscheidung des U.S. Supreme Court in Societe Nationale Industrielle Aerospatiale v. United States District Court for the Southern District of Iowa, 482 U.S. 522 (1987), In re Anschuetz & Co., 754 F.2d 602 (5th Cir. 1985). 632 Societe Nationale Industrielle Aerospatiale v. United States District Court for the Southern District of Iowa, 482 U.S. 522 (1987). Zu der Entscheidung (und zum weiteren Verfahren nach Zurückverweisung der Sache an die unteren Gerichte) s. Minch, US Obligations under the Hague Convention: More Than Mere Good Will?, 22 INT’L LAWYER 511 (1988) sowie Weis, The Federal Rules and the Hague Conventions: Concerns of Conformity and Comity, 50 U.PITT.L.REV. 903 (1989). Zur Weiterentwicklung der amerikanischen Rechtsprechung nach der zitierten Grundsatzentscheidung des U.S. Supreme Court und zur Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der Anwendung der Konvention s. einerseits Hudson v. Hermann Pfauter GmbH Co., 117 F.R.D. 33 (N.D.N.Y. 1987) und andererseits Rich v. Kis California, Inc., 121 F.R.D. 254 (M.D.N.C. 1988) sowie Born & Honig, Comity and the Lower Courts: Post Aérospatiale Application of the Hague Evidence Convention, 24 INT’L LAWYER 393 (1990) und Griffin & Bravin, Beyond Aérospatiale, A Commentary on Foreign Discovery Provisions of the Restatement (Third) and the Proposed Amendments to the Federal Rules of Civil Procedure, 25 INT’L LAWYER 331 (1991).

228

Discovery

fahrensbeteiligten discovery-Maßnahmen anordnen oder gestatten, wenn mindestens ein Zeuge seinen Wohnsitz oder Aufenthalt im Bezirk des angerufenen Gerichts hat. Dabei bezieht sich der Begriff des „Zeugen“ (witness) im Rahmen dieser Vorschrift nicht nur gleichermaßen – wie stets nach amerikanischem Verständnis – auf parteiunabhängige Dritte und die Parteien und ihre Vertreter und Angestellten selbst, sondern darüber hinaus insbesondere auch auf jeden sogenannten custodian of records, d. h. jede mit der Führung und Verwahrung von Akten und Unterlagen betraute Person; denn 28 U.S.C. § 1782 sieht nicht nur die Anordnung von Vernehmungen, sondern insbesondere auch diejenige der Vorlage von Urkunden und Augenscheinsstücken durch den Adressaten der discoveryMaßnahme vor633. Im Rahmen seines stattgebenden Beschlusses kann das Gericht darüber hinaus auch bestimmen, welche Verfahrensordnung auf die Einzelheiten der angeordneten Maßnahme Anwendung findet; insbesondere, ob sich diese nach der jeweiligen ausländischen Prozessordnung oder nach derjenigen der U.S.-Bundesgerichte bestimmt (wobei allerdings bei Unterlassen einer solchen Anordnung automatisch die FEDERAL RULES OF CIVIL PROCEDURE zur Anwendung kommen).

483

Im Einzelnen ist diese Rechtshilfeermächtigung von amerikanischen Gerichten wie folgt ausgelegt worden: a) Ausländisches Gericht „Gericht“ im Sinne von 28 U.S.C. § 1782 ist nach einhelliger Auffassung jedes streitentscheidende Organ der Judikative, nicht jedoch Organe der Exekutive634.

633 28 U.S.C. § 1782 erfasst damit im Ergebnis sowohl depositions als auch requests for production of documents and things, nicht jedoch interrogatories und requests for admission. 634 United States v. Sealed 1, Letter of Request for Legal Assistance from the Deputy Prosecutor General of the Russian Federation, 235 F.3d 1200, 1205 (9th Cir. 2000); In re Application of Malev Hungarian Airlines, 964 F.2d 97, 100 – 101 (2d Cir. 1992); In re Request for Assistance from Ministry of Legal Affairs of Trinidad and Tobago, 848 F.2d 1151, 1155 (11th Cir. 1988).

229

484

Discovery: Beweisermittlung im Parteibetrieb

b) Anhängiges Verfahren 485

Einigkeit besteht des Weiteren dahin gehend, dass das ausländische Verfahren, mit Rücksicht auf welches Rechtshilfe gemäß 28 U.S.C. § 1782 begehrt wird, zum Zeitpunkt der Antragstellung noch nicht anhängig sein und nicht einmal unmittelbar bevorstehen muss635. c) Inhalt und Reichweite der Maßnahmen

486

aa) Nach insoweit im Grundsatz übereinstimmender Auffassung steht dem jeweils angerufenen U.S. District Court ein weiter Ermessensspielraum hinsichtlich der Anordnung von discovery-Maßnahmen sowie deren inhaltlicher Ausgestaltung zu. So kann es dem jeweiligen Antrag insbesondere nicht nur insgesamt stattgeben oder diesen zurückweisen, sondern auch – ganz wie im Verfahren nach FRCP Rule 26(c), vgl. vorst. Rn. 467 ff. – einschränkende Anordnungen mit Rücksicht auf Ort, Zeit und Umfang der betroffenen Maßnahme treffen. Berücksichtigung findet dabei nicht nur der mit dem Rechtshilfeersuchen verbundene Zweck, sondern darüber hinaus auch der Umfang der in den USA vermuteten Beweismittel, deren gleichzeitige Erlangung auf andere Weise durch die antragstellende Partei, die Existenz eines allgemeinen gegenseitigen Rechtshilfeabkommens zwischen den USA und dem betroffenen ausländischen Staat, eventuelle rechtsstaatliche Bedenken aufgrund der undemokratischen Verfassungsordnung jenes Staates sowie die Ausgestaltung der dortigen Verfahrensordnung636.

487

Insbesondere das Rechtshilfeersuchen eines ausländischen Gerichts oder Verwaltungsorgans kann demnach auch vollumfänglich zurückgewiesen werden, wenn keine hinreichend substantiierte Erwartung besteht, dass sich überhaupt Beweismittel im Bezirk des angerufenen U.S. District Court befinden oder diese nicht über das Material hinausgehen, welches dem ausländischen Gericht oder Exekutivorgan bereits auf andere Weise zugänglich geworden ist, wenn das discovery-Ersuchen lediglich der Wiederaufnahme eines bereits abgeschlossenen Verfahrens 635 Vgl. die vorstehend zitierten Entscheidungen. 636 United States v. Sealed 1, Letter of Request for Legal Assistance from the Deputy Prosecutor General of the Russian Federation, 235 F.3d 1200, 1205 – 1206 (9th Cir. 2000); In re Application for an Order Permitting Metallgesellschaft AG to Take Discovery, 121 F.3d 77, 79 (2d Cir. 1997); Euromepa, SA v. R. Esmerian, Inc., 154 F.3d 1095, 1097 (2d Cir. 1998); In re Application of Gianoli Aldunate, 3 F.3d 54, 58 u. 61 – 62 (2d Cir. 1993); In re Bayer AG, 146 F.3d 188, 191 (3d Cir. 1998) und 173 F.3d 188, 190 – 191 (3d Cir. 1999); u. In re Letter of Request from Amtsgericht Ingolstadt, Federal Republic of Germany, 82 F.3d 590, 592 (4th Cir. 1996).

230

Discovery dient oder wenn es ersichtlich in erster Linie nicht auf Tatsachenermittlung, sondern darauf gerichtet ist, Druck auf politisch unliebsame Gegner auszuüben.

bb) Uneinig sind sich die Obergerichte auf U.S.-Bundesebene hingegen – eine Entscheidung des Supreme Court zu dieser Frage steht derzeit noch aus – im Hinblick auf den zulässigen Umfang der beantragten discoveryMaßnahmen insbesondere insoweit, ob und inwieweit dem Antrag auch dann stattgegeben werden kann, wenn die jeweilige ausländische Rechtsordnung keine vergleichbaren Maßnahmen kennt oder die prozessuale Unverwertbarkeit der ermittelten Informationen anordnet, z. B. aufgrund eines Aussageverweigerungsrechts oder eines blocking statute (s. vorst. Rn. 478–479). – Dabei ist nach der weitestgehenden Auffassung, die insbesondere von den einflussreichen Second, Third und Ninth Circuit Courts of Appeals vertreten wird, die beantragte discovery stets zulässig, unabhängig von der Verwertbarkeit ihres Ergebnisses nach der betroffenen ausländischen Rechtsordnung637. Um entsprechenden Bedenken Rechnung zu tragen, kann der angerufene U.S. District Court – muss jedoch nicht – den Umfang der discovery-Maßnahme so einschränken, dass die Verwendbarkeit ihrer Ergebnisse auch in dem ausländischen Verfahren sichergestellt ist; im Grundsatz obliegt es jedoch dem ausländischen Staat selbst, die Anwendung seiner Gesetze sicherzustellen, sei es durch Nichtbeachtung der im Verfahren nach 28 U.S.C. § 1782 gewonnenen Informationen im Einzelfall, sei es durch ein gerichtliches Verbot, ein Verfahren in den USA überhaupt erst einzuleiten638. Anders verhält es sich nur dann, wenn durch das ausländische Rechtshilfeersuchen fundamentale rechtsstaatliche Grundsätze verletzt würden639. – Eine wesentlich engere Auffassung verlangt demgegenüber stets den Nachweis, dass der Antragsteller die begehrte discovery auch in gleicher Form im Rahmen des jeweiligen ausländischen Verfahrens erlangen könnte640. – Eine vermittelnde Ansicht schließlich unterscheidet danach, ob es sich bei dem discovery-Ersuchen um ein Rechtshilfeersuchen eines ausländischen Gerichts 637 In re Request for Judicial Assistance from the Seoul District Criminal Court, Seoul, Korea, 555 F.2d 720, 723 (9th Cir. 1977); In re Letters Rogatory from the Tokyo District, Tokyo, Japan, 539 F.2d 1216, 1219 (9th Cir. 1976); In re Application for an Order Permitting Metallgesellschaft AG to Take Discovery, 121 F.3d 77, 79 (2d Cir. 1997); Euromepa, SA v. R. Esmerian, Inc., 154 F.3d 24, 28 und 1095, 1101 – 1102 (2d Cir. 1998); In re Bayer AG, 146 F.3d 188, 193 (3d Cir. 1998) und 173 F.3d 188 (3d Cir. 1999). 638 Euromepa, SA v. R. Esmerian, Inc., 154 F.3d 1095, 1101 – 1102 (2d Cir. 1998). 639 Vgl. In re Request for Judicial Assistance from the Seoul District Criminal Court, Seoul, Korea, 555 F.2d 720, 724 (9th Cir. 1977). 640 In re Application of Asta Medica, 981 F.2d 1, 5 – 7 (1st Cir. 1992); In re Request for Assistance from Ministry of Legal Affairs of Trinidad and Tobago, 848 F.2d 1151, 1156 (11th Cir.); United Kingdom v. United States, 238 F.3d 1312, 1319 (11th Cir. 2001).

231

488

Discovery: Beweisermittlung im Parteibetrieb oder um den unmittelbaren Antrag einer Partei handelt. Im ersteren Fall bedarf es keiner weiteren Darlegung der Zulässigkeit der beantragten Maßnahme und der Verwendbarkeit der erzielten Ergebnisse nach Maßgabe der betroffenen ausländischen Rechtsordnung – weil i.d.R. davon ausgegangen werden kann, dass ein Gericht ein entsprechendes Rechtshilfeersuchen gar nicht erst anbringen würde, wenn es sich nicht auch zur vollumfänglichen Verwendung von dessen Ergebnissen berechtigt hielte –, während entsprechende Überlegungen dem unmittelbaren Antrag einer Partei nicht notwendigerweise zugrunde liegen müssen und deshalb ein solcher Antrag stets jeweils der gesonderten Darlegung der Zulässigkeit der Maßnahme nach der betroffenen ausländischen Verfahrensordnung bedarf641. Auch einem Rechtshilfeersuchen eines ausländischen Gerichts wird jedoch nicht entsprochen werden, wenn hierdurch aus der Sicht des angerufenen amerikanischen Gerichts wesentliche rechtsstaatliche Grundsätze wie insbesondere die Garantie eines fairen Verfahrens verletzt würden642.

d) Grenzen 489

Ausdrücklich ausgenommen vom Anwendungsbereich des 28 U.S.C. § 1782 sind, wie auch sonst im Rahmen der discovery (vgl. vorst. Rn. 457 ff.), diejenigen Tatsachen, die dem Schutz eines anerkannten Aussageverweigerungsrechts (privilege) unterliegen.

490

Wenngleich die obergerichtliche Rechtsprechung zur Ausgestaltung des solchermaßen gewährten Schutzes für den Bereich des discovery-Rechtshilfeverfahrens noch nicht sehr umfassend ist, lassen sich doch zumindest insoweit die folgenden Feststellungen treffen: – Ein Aussageverweigerungsrecht ist nicht bereits dann beachtlich, wenn es dem Betroffenen im Grundsatz zusteht, sondern erst wenn es tatsächlich geltend gemacht worden ist643. – Umfang und Grenzen eines lediglich nach der betroffenen ausländischen Verfahrensordnung, nicht jedoch nach amerikanischem Recht bestehenden Aussageverweigerungsrechts sind im Einzelfall vollumfänglich nachzuweisen644. 641 In re Letter of Request from Amtsgericht Ingolstadt, Federal Republic of Germany, 82 F.3d 590, 592 – 593 (4th Cir. 1996); Al Fayed v. United States, 210 F.3d 421, 424 – 425 (4th Cir. 2000); In re Letter Rogatory From First Court of First Instance in Civil Matters, Caracas, Venezuela, 42 F.3d 308, 310 – 311 (5th Cir. 1995). 642 In re Letter Rogatory From First Court of First Instance in Civil Matters, Caracas, Venezuela, 42 F.3d 308, 311 (5th Cir. 1995). 643 In re Letters Rogatory from the Tokyo District, Tokyo, Japan, 539 F.2d 1216, 1219 (9th Cir. 1976). 644 In re Application for an Order Permitting Metallgesellschaft AG to Take Discovery, 121 F.3d 77, 80 (2d Cir. 1997); das Gericht bezeichnet den Überzeugungsgrad der insoweit anzubringenden Beweise als „authoritative proof,“

232

Discovery – Speziell mit Rücksicht auf an in den USA ansässige Banken gerichtete discoveryErsuchen unterliegt die Auskunftspflicht Umfang und Grenzen des allgemeinen Bankgeheimnisses; gewährt dieses im Einzelfall nur Schutz vor der Weitergabe vertraulicher Informationen ohne besondere gerichtliche Anordnung und müssen die Informationen auf eine entsprechende Anordnung hin offenbart werden, gilt auch im Rahmen von 28 U.S.C. § 1782 nichts anderes645. – Schließlich kommen im Rahmen von 28 U.S.C. § 1782 im Grundsatz bestehende Aussageverweigerungsrechte dann nicht zur Anwendung, wenn eine beweisermittelnde Anordnung ausländischen Beteiligten gegenüber nicht nach Maßgabe dieser Vorschrift, sondern im Rahmen eines andersgearteten Verfahrens ergangen ist, selbst wenn die solchermaßen erlangten Informationen letztendlich auch ausländischen Behörden zugänglich gemacht wird646.

e) Rechtsmittelfähigkeit Während gerichtliche discovery-Anordnungen in aller Regel nicht selbständig, sondern – wenn überhaupt – erst im Zusammenhang mit der Anfechtung der jeweiligen gerichtlichen Endentscheidung angegriffen werden können, vgl. im Einzelnen nachf. Rn. 715 ff., sind Anordnungen im Verfahren nach 28 U.S.C. § 1782 grundsätzlich selbständig rechtsmittelfähig647. Allerdings findet aufgrund des dem District Court eingeräumten breiten Ermessens bei der Ausgestaltung seiner Anordnungen (s. vorst. Rn. 486 ff.) eine obergerichtliche Überprüfung nur dahin gehend statt, ob dieses Ermessen im Einzelfall überschritten worden ist (abuse of discretion), wobei insbesondere hinsichtlich aller vom Rechtsmittelgericht nicht eigenständig überprüfbaren Umstände die sachnähere Wertung des District Court als im Zweifel zutreffend hingenommen wird648. Lediglich die Rechtsanwendung durch das Eingangsgericht unterliegt der vollen ei-

645 646 647

648

ohne jedoch im Einzelnen auszuführen, welche Beweisführung es insoweit als ausreichend betrachten würde. In re Request for Judicial Assistance from the Seoul District Criminal Court, Seoul, Korea, 555 F.2d 720, 724 (9th Cir. 1977). In re Mr. and Mrs. Doe v. United States, 860 F.2d 40, 48 (2d Cir. 1988); In re Grand Jury Proceedings, 817 F.2d 1108, 1112 (4th Cir. 1987). United States v. Sealed 1, Letter of Request for Legal Assistance from the Deputy Prosecutor General of the Russian Federation, 235 F.3d 1200, 1203 (9th Cir. 2000); In re Bayer AG, 173 F.3d 188, 190 (3d Cir. 1999). Vgl. die vorstehend zitierten Entscheidungen sowie In re Application for an Order Permitting Metallgesellschaft AG to Take Discovery, 121 F.3d 77, 79 (2d Cir. 1997); Euromepa, SA v. R. Esmerian, Inc., 154 F.3d 1095, 1097 (2d Cir. 1998); In re Application of Gianoli Aldunate, 3 F.3d 54, 58 u. 61 – 62 (2d Cir. 1993); In re Bayer AG, 146 F.3d 188, 191 (3d Cir. 1998) u. In re Letter of Request from Amtsgericht Ingolstadt, Federal Republic of Germany, 82 F.3d 590, 592 (4th Cir. 1996).

233

491

Discovery: Beweisermittlung im Parteibetrieb

genständigen Prüfung des Rechtsmittelgerichts (de novo review)649. Diejenigen Obergerichte, die eine mindestens implizite Beschränkung des Anwendungsbereichs von 28 U.S.C. § 1782 auf solche Rechtshilfeersuchen annehmen, die auch nach Maßgabe der jeweiligen ausländischen Rechtsordnung zulässig wären (vgl. vorst. Rn. 488), dehnen ihre Prüfung zudem auch auf die Frage aus, ob der District Court die danach bestehenden Grenzen der Rechtshilfeermächtigung hinreichend beachtet hat650.

C. Case Management Conferences und gerichtliche Verfahrensaufsicht I. Allgemeines 492

Wenngleich die discovery ganz weit gehend in die Hände der Parteien gelegt ist, findet in den letzten Jahren zunehmend eine stärkere richterliche Aufsicht über ihren Verlauf statt; und zwar nicht nur auf Antrag der Parteien, wenn in Einzelfall der Umfang ihrer jeweiligen Rechte und Pflichten im Streit ist (vgl. vorst. Rn. 467 ff.), sondern insbesondere im Rahmen von besonderen Erörterungsterminen, den sogenannten case management conferences, in deren Verlauf im Interesse der Verfahrensförderung und -beschleunigung für beide Parteien verbindliche Rahmen-Festlegungen für den Ablauf der discovery und für die Vorbereitung der gerichtlichen Hauptverhandlung und Beweisaufnahme (trial) getroffen werden und das Gericht über den jeweiligen Stand des parteilichen Beweismittelaustausches informiert wird.

493

Anzahl, Verlauf und Regelungsgegenstand der case management conferences sind dabei den insoweit stark variierenden local rules der einzelnen Gerichte überlassen651 und richten sich auch über diese örtlichen Festlegungen hinaus zumeist nach den Bedürfnissen jedes einzelnen Rechtsstreits; je komplexer jedoch das jeweilige Verfahren ist, desto engmaschiger wird in aller Regel die gerichtliche Aufsicht ausfallen652. 649 Zu den von Rechtsmittelgerichten angelegten Prüfungsmaßstäben vgl. allgemein nachf. Rn. 750 ff. 650 In re Application of Asta Medica, 981 F.2d 1, 7 (1st Cir. 1992); United Kingdom v. United States, 238 F.3d 1312, 1319 (11th Cir. 2001). 651 Ausdrücklich so z. B. CAL. CODE CIV.PROC. §§ 575-576; zur Praxis vor den Gerichten des Bundesstaates New York s. Siegel, New York Practice § 777D u. § 374. 652 Einige Gerichte weisen die anhängigen Verfahren nach Maßgabe ihrer Komplexität dabei von vornherein verschiedenen sogenannten case management

234

Case Management Conferences und gerichtliche Verfahrensaufsicht Ebenso von Gericht zu Gericht unterschiedlich geregelt ist die Frage, ob und wie viele case management conferences gegebenenfalls in Form sogenannter settlement conferences vorrangig der gütlichen Beilegung des Rechtsstreits gewidmet sein sollen653 und ob die Aufsicht über die pretrial-Phase des Prozesses – also den mit Klageeinreichung beginnenden und i.d.R. mit der summary judgment motion, spätestens aber mit Beginn der gerichtlichen Hauptverhandlung endenden Verfahrensabschnitt und damit insbesondere auch die Leitung der case management conferences – demselben Richter übertragen sein soll wie die Hauptverhandlung und Beweisaufnahme (trial) oder ob insoweit zwei verschiedene Richter tätig werden sollen654.

494

II. Grundprinzipien Ungeachtet der im Einzelnen sehr unterschiedlichen Ausgestaltung der case management conferences stellen die FEDERAL RULES OF CIVIL PROCEDURE in Rule 16 einige Grundregeln auf, die nicht nur Modell für das Verfahren vor den Bundesgerichten, sondern im Prinzip auch für dasjenige vor den Gerichten der Bundesstaaten sind655.

495

Danach werden im Rahmen der case management conference – unter Zugrundelegung des von den Parteien erstellten discovery plan, vgl. FRCP Rule 26(f) und vorst. Rn. 399 – insbesondere die folgenden Angelegenheiten zwischen Gericht und Parteien beraten und sodann beschlussweise festgelegt656:

496

– Der letztmögliche Zeitpunkt der Ausdehnung des Rechtsstreits auf weitere Parteien, insbesondere im Wege der subjektiven Klagehäufung (vgl. nachf. Rn. 662 ff.), – der letztmögliche Zeitpunkt anderer Klageänderungen und -erweiterungen (vgl. vorst. Rn. 378 ff.),

653

654

655 656

tracks zu; vgl. z. B. Southern DISTRICT OF FLORIDA RULE 16.1.A und DISTRICT OF MAINE RULE 16.1. Vgl. FRCP Rule 16(a)(5) sowie z. B. DISTRICT OF HAWAII RULE 16.5, SOUTHERN DISTRICT OF CALIFORNIA RULE 16.1(c) u. NEW JERSEY RULES OF COURT Rule 4:5B-3 sowie nachf. Rn. 513 ff. Insbesondere ein aktives Eingreifen des pretrial judge in die Vergleichsverhandlungen der Parteien macht dabei i.d.R. die Trennung beider Aufgabenbereiche nach amerikanischem Verständnis wünschenswert. Zu den Verfahrenseinzelheiten s. insoweit Baicker-McKee, Janssen, Corr, Federal Civil Rules Handbook, Authors’ Commentary on Rule 16. Vgl. FRCP Rule 16(b).

235

Discovery: Beweisermittlung im Parteibetrieb

– Verfahren und Zeitpunkt der Entscheidung über anhängige motions sowie der jeweils letztmögliche Zeitpunkt der Anbringung weiterer motions, insbesondere der summary judgment motion (sog. summary judgment motion cutoff), – Einzelheiten der Parteirechte in Bezug auf bestimmte streitige discovery-Angelegenheiten (vgl. FRCP Rule 26[c] u. vorst. Rn. 467 ff.), – das Ende der discovery-Phase des Verfahrens (discovery cutoff), – soweit zulässig, von den gesetzlichen Regelungen und den local rules abweichende Bestimmungen zu Zeitpunkt und Umfang der disclosure, – der Zeitpunkt weiterer case management conferences, einschließlich einer gegebenenfalls gesondert bestimmten settlement conference sowie des unmittelbar vor Beginn der gerichtlichen Hauptverhandlung und Beweisaufnahme liegenden, zumeist als (final) pretrial conference bezeichneten letzten Erörterungstermins dieser Art, der der Festlegung eines verbindlichen Rahmenplans für den Verlauf des trial dient und mit deren Terminierung oftmals auch die Parteiverpflichtung zum Austausch von witness lists, exhibit lists und ähnlichen Schriftstücken im Zusammenhang steht (vgl. vorst. Rn. 397)657, – Beginn und voraussichtliche Dauer der gerichtlichen Hauptverhandlung und Beweisaufnahme (trial) – sowie alle anderen im Interesse des zügigen und störungsfreien Verfahrensablaufs regelungsbedürftigen Angelegenheiten. 497

Der die vorgenannten Bestimmungen enthaltende case management order soll sobald wie möglich, jedoch i.d.R. nicht später als 90 Tage nach

657 FRCP Rule 16(b)(5) u. (d). Die FEDERAL RULES OF CIVIL PROCEDURE verwenden dabei den Begriff „pretrial conference“ für case management conferences allgemein und bezeichnen den abschließenden Erörterungstermin demgegenüber als „final pretrial conference“; in der Praxis gebräuchlich ist die erstere Bezeichnung aber vor allem im Zusammenhang mit dem letzten Erörterungstermin, während die früheren Erörterungstermine gelegentlich auch als „scheduling conference(s)“ bekannt sind. Üblich ist im Zusammenhang mit der (final) pretrial conference i. Ü. insbesondere auch der Austausch sogenannter trial briefs, die eine Zusammenfassung des sachlichen und rechtlichen Streitstandes aus der jeweiligen Sicht beider Parteien enthalten. Vgl. z. B. DISTRICT OF ARKANSAS RULE 39.2, DISTRICT OF MAINE RULE 16.4(b), NORTHERN AND SOUTHERN DISTRICT OF IOWA RULE 16.2(c), CENTRAL DISTRICT OF CALIFORNIA RULE 16-3, SOUTHERN DISTRICT OF CALIFORNIA RULE 16.1(f)(2) und SOUTHERN DISTRICT OF FLORIDA RULE 16.1.J.

236

Case Management Conferences und gerichtliche Verfahrensaufsicht

der entsprechenden case management conference ergehen (vgl. FRCP Rule 16[e]). Im Interesse der Vereinfachung und Beschleunigung verwenden viele Gerichte heutzutage zumindest für bestimmte regelmäßig auftretende Standardfragen Formulare, die von Parteien und Gericht nur noch entsprechend ausgefüllt und unterzeichnet werden müssen658. Auch unabhängig von der Festlegung im Rahmen eines case management order sind Gegenstand der Beratungen i. Ü. des Weiteren die folgenden Fragen, vgl. FRCP Rule 16(c): – Maßnahmen im Interesse der Prozessökonomie wie die schriftliche Fixierung der Klageziele und der hauptsächlich entscheidungserheblichen Fragen, die Eliminierung offensichtlich unbegründeter Klageansprüche und Einreden, die Unstreitigstellung bestimmter Tatsachen im Wege von Geständnissen (admissions) und anderen bindenden Parteierklärungen und -übereinkünften (stipulations)659, z. B. zur Echtheit von Urkunden, sowie durch Vorabentscheidungen des Gerichts zur Zulässigkeit einzelner Beweismittel660, – andere Fragen der Beschleunigung und Vereinfachung der gerichtlichen Beweisaufnahme im Rahmen des trial, – die Übertragung einzelner Aufgaben im Verlauf der pretrial-Phase auf einen magistrate judge oder master (vgl. vorst. Rn. 151),

658 Vgl. z. B. SOUTHERN DISTRICT OF TEXAS RULES Appendix B und DISTRICT OF ARKANSAS Form 26(f). 659 Zur Verwendung von stipulations im Rahmen der Beweisaufnahme vgl. Mauet, Trial Techniques § 4.13.2 und § 5.3.19. 660 Vgl. z. B. EASTERN DISTRICT OF PENNSYLVANIAN RULES 16.1(c)(3) u. (d)(2)(b)(3). Die in Form des pretrial order getroffenen Anordnungen und Feststellungen haben für Gericht und Parteien verbindliche Wirkung und treten insbesondere auch, soweit hierdurch der Inhalt der pleadings modifiziert wird, im Umfang der Änderung an deren Stelle, so dass in der Folge auch die Freiheit des Gerichts, unabhängig von den ausdrücklich formulierten Klagezielen dem Kläger das zuzusprechen, worauf er materiellrechtlich einen Anspruch hat (vgl. FRCP Rule 54(c) u. vorst. Kapitel Rn. 336 ff.), hierdurch nachträglich eingeschränkt wird. Ebenso kann der Inhalt des pretrial order zum Ausschluss dort nicht ausdrücklich zugelassener Beweismittel führen; s. Kona Technology Corp. v. Southern Pacific Transp. Co., 225 F.3d 595, 604 (5th Cir. 2000) u. DP Aviation v. Smiths Industries Aerospace and Defense Systems Ltd., 268 F.3d 829, 841 (9th Cir. 2001).

237

498

Discovery: Beweisermittlung im Parteibetrieb

– die Trennung des Verfahrens mit Rücksicht auf bestimmte Parteien oder Klageansprüche oder in Bezug auf die Verhandlung und Entscheidung von Grund und Höhe der geltend gemachten Forderungen – und Anordnungen mit Rücksicht auf sachlich oder rechtlich besonders komplexe Verfahrensgestaltungen, insbesondere der Anhängigkeit einer Massenklage (class action) oder der Verfahrensbeteiligung einer Vielzahl namentlich benannter Parteien (vgl. nachf. Rn. 685 ff.). 499

Verstöße gegen den Inhalt eines case management order, wie auch das unentschuldigte Ausbleiben einer Partei bei einer case management conference, können mit Sanktionen belegt werden, die im Wesentlichen denjenigen für einen Verstoß gegen die Parteipflichten im Rahmen der discovery entsprechen; vgl. FRCP Rule 16(d) und vorst. Rn. 403 u. 417.661

661 Zu den Einzelheiten vgl. insoweit Baicker-McKee, Janssen, Corr, Federal Civil Rules Handbook, Authors’ Commentary on Rule 16(f).

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Kapitel 7: Verfahrensbeendigung vor und außerhalb des Trial

Weiterführende Literatur: Brunet, Redish, Reiter, Summary Judgment: Federal Law and Practice; Clermont, Civil Procedure; Field, Kaplan, Clermont, Civil Procedure; Malone, Hoffman, The Effective Deposition; Mauet, Pretrial; Schack, Einführung in das US-amerikanische Zivilprozessrecht; Schwarzer, Tashima, Wagstaffe, Federal Civil Procedure Before Trial; Siegel, New York Practice; Wright, Miller, Federal Practice and Procedure.

A. Klagerücknahme, Klageabweisung und Versäumnisurteil I. Klagerücknahme Im amerikanischen Zivilprozess werden Klagerücknahme und Klageabweisung unter dem Sammelbegriff dismissal zusammengefasst; die Klagerücknahme wird darüber hinaus auch als voluntary dismissal bezeichnet, die Klageabweisung als involuntary dismissal.

500

Die Klagerücknahme erfolgt grundsätzlich durch unbedingte Erklärung gegenüber dem Gericht und allen Prozessparteien (notice of dismissal)662 und ist wirksam, sobald sie zu den Gerichtsakten gelangt; ein danach gleichwohl noch ergehendes Urteil ist nichtig663.

501

Ohne Zustimmung des Beklagten und des Gerichts zurücknehmen kann der Kläger die Klage im Verfahren vor den Bundesgerichten664 regelmäßig nur bis zur Zustellung der answer oder einer anderweitigen wesentlichen Verfahrensbeteiligung (appearance) des Beklagten665; danach nur noch

502

662 Hyde Constr. Co., v. Koehring Co., 388 F.2d 501, 507 (10th Cir.), cert. denied, 391 U.S. 905 (1968). 663 Marques v. Federal Reserve Bank of Chicago, 286 F.3d 1014, 1018 (7th Cir. 2002). 664 Die Regelungen der Bundesstaaten weichen hiervon – insbesondere auch im Detail der Rücknahmevoraussetzungen – erheblich ab; vgl. z. B. CAL. CODE CIV.PROC. § 581. 665 Nicht jedoch bereits einer motion to dismiss nach Maßgabe von FRCP Rule 12; vgl. Manze v. State Farm Ins. Co., 817 F.2d 1062, 1066 (3d Cir. 1987). An-

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Verfahrensbeendigung vor und außerhalb des Trial

mit dem Einverständnis aller zu diesem Zeitpunkt am Verfahren beteiligten Parteien oder des Gerichts, wobei das Gericht in seinem stattgebenden Beschluss die Wirkung der Klagerücknahme bestimmten Bedingungen unterwerfen kann, vgl. FRCP Rule 41(a)666. Erfolgt die Klagerücknahme aufgrund einer Vereinbarung der Prozessparteien (stipulation of dismissal), bedarf diese zu ihrer Wirksamkeit der Unterschrift jeder einzelnen Partei667. Nicht rücknahmefähig ist eine Klage nach Zustellung der answer, wenn mit der Letzteren eine Widerklage verbunden ist; es sei denn, das Gericht sei auch nach Klagerücknahme noch unabhängig zur Entscheidung über den Widerklageanspruch berufen668. 503

Ergibt sich aus dem Gerichtsbeschluss oder aus der Vereinbarung der Parteien über die Klagerücknahme nicht im Einzelfall etwas anderes, ist der Kläger durch die Klagerücknahme nicht an der erneuten gerichtlichen Geltendmachung der erhobenen Ansprüche gehindert (dismissal without prejudice)669. Etwas anderes gilt im Verfahren vor den Bundesgerichten nur dann, wenn der Kläger denselben Anspruch bereits einmal vor einem Bundesgericht oder dem Gericht eines Bundesstaates geltend gemacht hatte (two dismissal rule)670. Bei Neuerhebung einer bereits einmal zu-

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ders verhält es sich jedoch ggf. dann, wenn das Gericht umfangreich zu dem Antrag hat mündlich verhandeln lassen oder den Antrag in einen solchen auf Erlass eines summary judgment umgewandelt hat; vgl. Harvey Aluminium, Inc. v. American Cyanamid Co., 203 F.2d 105 (2d Cir.), cert. denied, 345 U.S. 964 (1953) und Hamm v. Rhone-Poulenc Rorer Pharmaceuticals., Inc., 187 F.3d 941, 950 (8th Cir. 1999). Keinen Bedingungen darf jedoch auch vom Gericht die nicht zustimmungsbedürftige Klagerücknahme unterworfen werden; vgl. Commercial Space Management Co., Inc. v. The Boeing Co., Inc., 193 F.3d 1074, 1076 (9th Cir. 1999). Zu den zulässigen Bedingungen nach Eintritt der Zustimmungsbedüftigkeit ebd. S. 1078; vgl. insoweit auch die Rechtsprechungsnachweise bei BaickerMcKee, Janssen, Corr, Federal Civil Rules Handbook, Authors’ Commentary on Rule 41(a)(2) Fn. 35-39 sowie Fn. 49-54 zur Rechtsmittelfähigkeit des Gerichtsbeschlusses. Camacho v. Mancuso, 53 F.3d 48 (4th Cir. 1995). Underwriters at Interest on Cover Note JHB92M10582079 v. Nautronix, Ltd., 79 F.3d 480, 483 – 485 (5th Cir. 1996). West v. Mach, 197 F.3d 1185, 1188(7th Cir. 1999) (Rücknahme durch Parteivereinbarung) und Palmieri v. Defaria, 88 F.3d 136, 140 (2d Cir. 1996) (Klagerücknahme nach zustimmendem Gerichtsbeschluss); grundsätzlich zu der nicht anspruchspräkludierenden Wirkung der Klagerücknahme vgl. auch City of South Pasadena v. Mineta, 284 F.3d 1154, 1157 (9th Cir. 2002). Maßgeblich sind insoweit jedoch nur einseitige Klagerücknahmeerklärungen des Klägers selbst, nicht auch solche mit gerichtlicher Zustimmung; vgl. Commercial Space Management Co., Inc. v. The Boeing Co., Inc., 193 F.3d 1074,

Klagerücknahme, Klageabweisung und Versäumnisurteil

rückgenommenen Klage kann das Gericht dem Kläger zudem ganz oder teilweise die Kosten der vorherigen Klageerhebung auferlegen und die Aussetzung des Verfahrens (stay of proceedings) anordnen, bis der Kläger seiner solchermaßen angeordneten Kostentragungspflicht nachgekommen ist; vgl. FRCP Rule 41(c). Eine zurückgenommene Klage hat keine verjährungshemmende Wirkung671.

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II. Klageabweisung Zu einer Klageabweisung auf entsprechenden Antrag des Beklagten (motion to dismiss) – oder auch von Amts wegen – kann es insbesondere kommen, wenn der Kläger das Verfahren nicht aktiv betreibt (failure to prosecute)672 oder sich einen Verstoß gegen die Vorschriften der jeweils maßgeblichen Zivilprozessordnung oder gegen eine gerichtliche Anordnung hat zuschulden kommen lassen; vgl. FRCP Rule 41(b). Dabei sehen die FEDERAL RULES OF CIVIL PROCEDURE zwar vor, dass eine solche Klageabweisung im Zweifel die Wirkung einer Sachentscheidung mit Bindungs- und Präklusionswirkung zu Lasten des Klägers hat (dismissal with prejudice; adjudication on the merits); das Gericht kann jedoch im Einzelfall etwas anderes anordnen und wird dies in der Praxis auch stets dann tun, wenn ein dismissal without prejudice den Interessen der Parteien und der Prozessökonomie besser gerecht wird673. Oftmals hat dabei 1076 (9th Cir. 1999). Auch eine zunächst vor dem Gericht eines Bundesstaates erhobene und später dort zurückgenommene Klage ist unbeachtlich; es sei denn, das Prozessrecht des betroffenen Staates beinhalte eine der two dismissal rule vergleichbare Regelung. Vgl. Rader v. Baltimore & O.R. Co., 18 F.2d 980 (7th Cir.), cert. denied, 309 U.S. 682 (1940) und Manning v. South Carolina Dept. of Highway and Public Transp., 914 F.2d 44 (4th Cir. 1990). 671 Beck v. Caterpillar Inc., 50 F.3d 405 (7th Cir. 1995). 672 Hauptanwendungsfall in der Praxis ist insoweit das Auftreten von Zustellungshindernissen in der Person einzelner Beklagter, die der Kläger nicht innerhalb der gesetzlichen oder richterlich gesetzter Fristen beseitigen kann und die deshalb zum Erliegen des Verfahrens führen; vgl. z. B. O’Roukre Bros., Inc. v. Nesbitt Burns, Inc., 201 F.3d 948, 953 (7th Cir. 2000). Unter welchen Voraussetzungen in diesem Fall die Klage abgewiesen werden darf, bestimmt sich nach den local rules des angerufenen Gerichts bzw. im Verfahren vor den Gerichten der Bundesstaaten häufig auch nach der jeweiligen bundesstaatlichen Prozessordnung. Vgl. z. B. CAL. CODE CIV.PROC. §§ 583.110 – 583.160. 673 Slack v. McDaniel, 529 U.S. 473 (2000); Owens v. Kaiser Foundation Health Plan, Inc., 244 F.3d 708, 714 (9th Cir. 2001) und LeSane v. Hall’s Sec. Analyst, Inc., 239 F.3d 206, 209 (2d Cir. 2001).

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Verfahrensbeendigung vor und außerhalb des Trial

die Klageabweisung im Ergebnis eher den Effekt der Aussetzung des Verfahrens bis zur Erfüllung der vom Gericht an die Wiederaufnahme geknüpften Bedingungen; das Verfahren wird im Wesentlichen in dem Zustand fortgesetzt, in dem es sich vor der Abweisung befand. 506

Die Klageabweisung auf Antrag des Beklagten ist aufgrund ihrer verfahrensbeendenden und in der Sache zumeist präkludierenden Wirkung regelmäßig auch selbständig rechtsmittelfähig674. III. Versäumnisverfahren 1. Feststellung der Säumnis

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Fehlt es an der fristgerechten Erwiderung einer Partei und damit an einer sogenannten appearance dieser Partei gegenüber der gegen sie gerichteten Klage oder Widerklage, befindet sie sich im Zustand der Säumnis (default), ohne dass es darüber hinaus des Ausbleibens in einem Termin oder der Nichtverhandlung zur Sache vergleichbar §§ 330–333 ZPO bedürfte675. Die Säumnis wird auf Antrag des (Wider-)Klägers von dem aktenführenden nicht-richterlichen Gerichtsbeamten (court clerk) – oder ausnahmsweise auch vom Richter – ausschließlich aufgrund des Nachweises der nicht fristgemäßen Erwiderung durch entsprechende Aktenverfügung festgestellt; vgl. FRCP Rule 55(a)676. Zu Lasten der säumigen Partei gelten dabei alle Tatsachenbehauptungen des Gegners als zugestanden677.

674 Rodgers v. Curators of the Univ. Of Missouri, 135 F.3d 1216, 1219 (8th Cir. 1998) 675 Hauptformen einer säumnisvermeidenden appearance sind dabei die pleadings selbst; jedoch genügt auch bereits ein Klageabweisungsantrag, z. B. im Rahmen einer motion nach Maßgabe von FRCP Rule 12, sowie nach der Auffassung einiger Gerichte sogar die Teilnahme an einer prozessleitenden Konferenz. Zu beiden Fällen vgl. Sun Bank of Ocala v. Pelican Homestead & Savings Ass’n, 874 F.2d 274, 276 (5th Cir. 1989). Ausdrücklich geregelt sind die Formen der säumnisvermeidenden appearance auch in den Prozessordnungen vieler Bundesstaaten; vgl. im Einzelnen z. B. CAL. CODE CIV.PROC. § 585 und N.Y.C.P.L.R. § 320(a). 676 Zu den Wirkungen der Feststellung sowie den Anforderungen an die insoweit zu erbringenden Nachweise vgl. New York Life Ins. Co. v. Brown, 84 F.3d 137, 141 (5th Cir. 1996). 677 In re The Home Restaurants, Inc., 285 F.3d 111, 114 (1st Cir. 2002).

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Klagerücknahme, Klageabweisung und Versäumnisurteil

2. Erlass des Versäumnisurteils Durch besonderen Antrag nach Feststellung der Säumnis kann der (Wider-)Kläger sodann ein Versäumnisurteil (default judgment) zu Lasten des Gegners erwirken, welches im Einzelnen wie folgt erlassen wird: – Durch den court clerk, wenn es sich bei dem klageweise geltend gemachten Anspruch um eine bestimmte oder hinreichend bestimmbare Geldforderung (sum certain) handelt und der Beklagte nicht minderjährig oder anderweitig prozessunfähig ist; Zusammensetzung und Höhe der Forderung sind dabei durch (eidesstattliche) Versicherung im Einzelnen zu belegen (vgl. FRCP Rule 55[b][1])678. – In allen andere Fällen durch den Richter, vgl. FRCP Rule 55(b)(2); insbesondere kann ein solches richterlich angeordnetes Versäumnisurteil auch als Sanktion für den Verstoß einer Partei gegen ihre Verpflichtungen im Rahmen der discovery ergehen, vgl. FRCP Rule 37 u. vorst. Rn. 403 u. 417. Auf den Erlass eines Versäumnisurteils besteht aber selbst im Falle nachgewiesener Säumnis niemals ein Anspruch; vielmehr steht dieser stets im pflichtgemäßen richterlichen Ermessen679. Handelt es sich bei der betroffenen Partei darüber hinaus um eine solche, die sich bereits durch answer, reply oder motion auf die (Wider-)Klage eingelassen hatte (ergeht das Versäumnisurteil also als Sanktion pflichtwidrigen Verhaltens und nicht allein aufgrund der Säumnis der betroffenen Partei), kann über den Antrag regelmäßig nur aufgrund mündlicher Verhandlung entschieden werden, zu der die betroffene Partei unter Zustellung der Antragsschrift mindestens drei Tage vorher zu laden ist. Hält das entscheidende Gericht schließlich Höhe und Umfang des zuzusprechenden Anspruchs im Moment der Entscheidung noch nicht für hinreichend dargelegt, kann es darüber hinaus insoweit auch eine Beweisaufnahme anordnen, einschließlich eines trial by jury, soweit auf ein solches anderweitig ein gesetzlicher Anspruch bestehen würde680.

678 Dies gilt jedoch nicht für die Zuerkennung von Schadensersatzansprüchen mit Strafcharakter (punitive damages), da diese – ähnlich wie das deutsche Schmerzensgeld – in Zusammensetzung und Höhe stets einer Wertung des Tatsachenrichters bedürfen. 679 Patray v. Northwest Publ’g, Inc., 931 F. Supp. 865, 868 (S.D. Ga. 1996). 680 Cablevision Sys. New York City Corp. v. Lokshin, 980 F. Supp. 107, 111 – 112 (E.D.N.Y. 1997) und In re Crazy Eddy Secs. Litig., 948 F. Supp. 1154, 1160 (E.D.N.Y. 1996). Auch hierin kommt i. Ü. wieder die untergeordnete Funktion des notice pleading zum Ausdruck, welches der grundsätzlichen Information

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Verfahrensbeendigung vor und außerhalb des Trial

3. Aufhebung der Säumnisfeststellung und des Versäumnisurteils a) Säumnisfeststellung 509

Auf einen hinreichend begründeten Antrag der betroffenen Partei (for good cause shown) kann die Feststellung der Säumnis nachträglich wieder aufgehoben werden (vgl. FRCP Rule 55[c]); dabei richten sich Inhalt und Umfang des zur Antragsbegründung erforderlichen Vortrags nach den Umständen des Einzelfalls. Regelmäßig bedarf es jedoch seitens des Antragstellers zumindest des Nachweises: – Hinreichender Erfolgsaussichten in der Sache681; – des mangelnden Verschuldens am Eintritt der Säumnis682, wobei insbesondere vorsätzliches oder grob fahrlässiges Handeln schwerwiegend zu Lasten des Antragstellers ins Gewicht fällt683; – sowie der Beachtung des prozessualen Beschleunigungsgebots, dem zufolge die betroffene Partei gehalten ist, den Aufhebungsantrag so bald als möglich zu stellen684, wobei auch ein anderweitig begründeter Antrag u. U. zurückgewiesen werden kann, wenn er nicht alsbald nach Kenntniserlangung von der Säumnisfeststellung sowie den die Säumnis entschuldigenden Tatsachen gestellt wird.

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Unter Berücksichtigung aller vom Antragsteller dargelegten Gründe sowie des Vertrauensschutzes der durch die Säumnisfeststellung begünstigten Partei und aller weiteren im Einzelfall anwendbaren Billigkeits- und Gerechtigkeitserwägungen entscheidet das Gericht sodann über den Aufhebungsantrag aufgrund einer Interessenabwägung685.

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von Gericht und Gegner über die Natur der geltend gemachten Ansprüche und Einwände und der Begründung des Prozessrechtsverhältnisses dient, aber abgesehen von dem seltenen Ausnahmefall der motion for judgment on the pleadings (vgl. nachf. Rn. 521 ff.) in aller Regel nicht – und hinsichtlich der Anspruchshöhe eben nicht einmal im Rahmen eines Versäumnisurteils – als Grundlage für eine richterliche Sachentscheidung ausreichend ist. SEC v. McNulty, 137 F.3d 732, 740 (2d Cir.), cert. denied, 525 U.S. 931 (1998). SEC v. McNulty, 137 F.3d 732, 738 (2d Cir.), cert. denied, 525 U.S. 931 (1998) und Conetta v. National Hair Care Ctrs., Inc., 186 F.R.D. 262, 268 – 269 (D.R.I. 1999). Lacy v. Sitel Corp., 227 F.3d 290, 291 (5th Cir. 2000). Lacy v. Sitel Corp., 227 F.3d 290, 291 (5th Cir. 2000). SEC v. McNulty, 137 F.3d 732, 740 (2d Cir.), cert. denied, 525 U.S. 931 (1998) und Richardson v. Nassau County, 184 F.R.D. 497, 501 (E.D.N.Y. 1999). Auch das finanzielle Interesse beider Parteien kann insoweit von Bedeutung sein; s. Compania Interamericana Export-Import, S.A. v. Compania Dominicana de

Klagerücknahme, Klageabweisung und Versäumnisurteil

b) Versäumnisurteil Ein bereits ergangenes Versäumnisurteil kann auf Antrag der betroffenen Partei (motion to set aside default judgment) unter den folgenden Voraussetzungen ganz oder teilweise aufgehoben werden; vgl. FRCP Rule 55(c), 60(b)686:

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– Binnen eines Jahres seit Erlass, wenn die betroffenen Partei darlegt, dass ihre Säumnis unverschuldet war oder durch schuldhaftes Verhalten des Gegners verursacht wurde, vgl. FRCP Rule 60(b)(1) u. (3). – Regelmäßig ohne zeitliche Begrenzung gestützt auf die Nichtigkeit des Versäumnisurteils oder die Aufhebung eines diesem zugrundeliegenden anderweitigen Urteils, die Erfüllung der ausgeurteilten Forderung, oder wenn um der materiellen Gerechtigkeit willen aus anderen Gründen erforderlich erscheint; vgl. FRCP Rule 60(b)(4)-(6). Ungeschriebene Tatbestandsmerkmale sind darüber hinaus regelmäßig auch sämtliche im Rahmen der Aufhebung der Säumnisfeststellung beachtensfähigen Umstände687. Dabei fällt die Interessenabwägung jedoch im Rahmen der Aufhebung eines Versäumnisurteils – ebenso wie im Rahmen anderer Urteilsaufhebungsverfahren nach FRCP Rule 60(b) – regelmäßig strenger aus als bei der Aufhebung der Säumnisfeststellung allein; insbesondere kann für die Letztere schon ein leichteres Anwaltsverschulden ausreichend sein, während es für die (Versäumnis-)Urteilsanfechtung regelmäßig des Nachweises einer weit schwerwiegenderen, grob fahrlässigen und schlechterdings nicht hinnehmbaren Fehlleistung bedarf688. Aviacion, 88 F.3d 948, 951 (11th Cir. 1996) und Conetta v. National Hair Care Ctrs., Inc., 186 F.R.D. 262, 268 – 269 (D.R.I. 1999). Zu weiteren Umständen vgl. die Nachweise bei Baicker-McKee, Janssen, Corr, Federal Civil Rules Handbook, Authors’ Commentary on Rule 55(c) Fn. 28-40. 686 Ist das Verfahren, in welchem das Versäumnisurteil ergangen ist, bereits abgeschlossen, so kommt ausnahmsweise auch die Einleitung eines neuen Verfahrens mit dem Ziel der Urteilsaufhebung in Betracht; vgl. FRCP Rule 60(b). Dies ist jedoch nicht nur teurer und weniger prozessökonomisch als eine motion to set aside default judgment, sondern insbesondere auch nach der Rechtsprechung an stark einschränkende Voraussetzungen geknüpft; es handelt sich dabei um ein außerordentliches Verfahren, welches der Herstellung materieller Gerechtigkeit dient, wenn diese sonst auf keinem anderen Wege mehr erreichbar ist (vgl. vorst. Rn. 34 ff.). In aller Regel wird deshalb eine Aufhebung des Versäumnisurteils nur im Wege eines Antrags nach FRCP Rule 55(c) in Betracht kommen. 687 Enron Oil Corp. v. Diakuhara, 10 F.3d 90, 96 (2d Cir. 1993). 688 Vgl. z. B. Community Dental Servs. v. Tani, 282 F.3d 1164, 1169 (9th Cir. 2002); zum Verschulden des Prozessbevollmächtigten im Rahmen der Auf-

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Verfahrensbeendigung vor und außerhalb des Trial

B. Vergleichsschluss und gütliche Beilegung des Rechtsstreites 513

Obwohl die amerikanische Gesellschaft sicher nicht ganz zu Unrecht als besonders streitfreudig gilt, enden über 90 % aller Prozesse, bevor sie jemals das Stadium der Hauptverhandlung und Beweisaufnahme (trial) erreichen689; und in der ganz überwiegenden Mehrzahl der Fälle kommt dieses Ende nicht in Form einer Klageabweisung oder eines Versäumnisurteils, sondern in Form eines Vergleichs zustande. Dies liegt nicht nur an dem jedem Gerichtsverfahren notwendigerweise inherenten Prozessrisiko, sondern auch daran, dass eine gütliche Einigung aufgrund der von beiden Parteien ja immerhin im Grundsatz selbst zu tragenden hohen Anwalts-, discovery- und sonstigen Prozesskosten in aller Regel für die Parteien deutlich an Attraktivität gewinnt, je länger das Verfahren andauert; auch wenn es aus Gründen der Verhandlungstaktik oftmals buchstäblich erst am Vorabend des trial zu einer Einigung kommen mag690. I. Parteiverhandlungen und Rolle des Gerichts

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Die Durchführung der Vergleichsverhandlungen ist im Gegensatz zum deutschen Prozess (vgl. § 278 ZPO) in erster, zweiter und dritter Linie Parteiangelegenheit. Das Gericht spielt nach hergebrachtem Verständnis eine nur untergeordnete Rolle: Der mit der Sache befasste Richter soll gerade nicht durch Umstände, von denen er im Rahmen der Vergleichsverhandlungen Kenntnis erlangt hat, in seiner Beurteilung der Sach- und Rechtslage beeinflusst werden, und auch nach erfolgtem Vergleichsschluss wird er in aller Regel nur insoweit über die Einigung der Parteien informiert, als diese Eingang in das Protokoll oder in einen gerichtlichen Vollstreckungstitel findet (vgl. nachf. Rn. 517).

hebung der Säumnisfeststellung demgegenüber Richardson v. Nassau County, 184 F.R.D. 497, 501 (E.D.N.Y. 1999) und Momah v. Albert Einstein Medical Ctr., 161 F.R.D. 304, 308 (E.D. Pa. 1995). Allgemein zu den an die Aufhebung von Versäumnisurteilen zu stellenden erhöhten Anforderungen s. des Weiteren Enron Oil Corp. v. Diakuhara, 10 F.3d 90, 96 (2d Cir. 1993); zu den entsprechenden Vorschriften des Bundesstaates New York (N.Y.C.P.L.R. §§ 317 u. 5015) vgl. Siegel, New York Practice § 108. 689 Shavell, The fundamental divergence between the private and the social motive to use the legal system. 26 JOURNAL OF LEGAL STUDIES (1997) 575-613. 690 Spier, The Dynamics of Pretrial Negotiation, 59 REVIEW OF ECONOMIC STUDIES (1992) 93-108.

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Vergleichsschluss und gütliche Beilegung des Rechtsstreites

Einflussmöglichkeiten stehen dem Richter allerdings im Rahmen der sogenannten case management conferences zu, die ja gerade auch der Förderung von Vergleichsverhandlungen dienen; und insbesondere auf der Ebene der Bundesstaaten sehen die local rules zum Teil ausdrücklich mindestens eine ausschließlich diesem Zweck gewidmete settlement conference vor, während der der mit der Leitung des pretrial-Verfahrens befasste Richter u. U. dann sogar außerordentlich aktiv in die Vergleichsverhandlungen eingreift691. Selbst die gesonderte Verhandlung mit beiden Prozessparteien einzeln ist in diesem Zusammenhang nicht ungewöhnlich. Dies ist einer der Gründe, aus denen die local rules bzw. Geschäftsverteilungspläne mancher Gerichte die Zuweisung des pretrial-Verfahrens an einen anderen Richter als denjenigen vorsehen, der sodann dem trial vorsitzt: Insbesondere auf der Ebene der Bundesstaaten ist es nämlich nach wie vor weitgehend Praxis, beide Verfahrensabschnitte nicht nur funktionell, sondern auch personell zu trennen, da der pretrial-Richter aufgrund der im Rahmen der Vergleichsverhandlungen gewonnenen Einblicke als nicht mehr als für die Leitung der Hauptverhandlung hinreichend unvoreingenommen gilt692. Unabhängig vom Verlauf der case management conferences kann sich im Übrigen selbstverständlich auch die getrennte Entscheidung etwa über Grund und Höhe des geltend gemachten Anspruchs vergleichsfördernd auswirken693.

691 Vgl. z. B. DISTRICT OF UTAH R. 16-3; HAWAII DISTRICT COURT R. 12.1 u. LOS ANGELES SUPERIOR COURT R. 16.17. 692 Vgl. z. B. CENTRAL DISTRICT OF CALIFORNIA RULE 83-1-1 i. V. m. CENTRAL DISTRICT OF CALIFORNIA GENERAL ORDER NO. 224 und NORTHERN DISTRICT OF NEW YORK RULE 40.1 (allgemeine Zuweisung bis zur abschließenden Entscheidung) und demgegenüber NEW JERSEY RULES OF COURT RULE 4:5B-1 und TEXAS RULES OF JUDICIAL ADMINISTRATION RULE 11.3 (Bestimmung eines gesonderten pretrial judge), sowie desw. LOS ANGELES SUPERIOR COURT RULE 8.21 (Disqualifikation des trial judge durch dessen Teilnahme an Vergleichsverhandlungen); allgemein hierzu MAUET, TRIAL TECHNIQUES § 2.2.1 u. vorst. Rn. 220. Eine wachsende Zahl von Gerichten sieht auch die Übertragung des Einigungsverfahrens im Rahmen der pretrial-Phase auf Schiedsstellen und Mediatoren vor, um einerseits eine gütliche Beilegung des Rechtsstreits so weit wie möglich zu fördern, andererseits eine direkte Beteiligung des verfahrensleitenden Richters an den Vergleichsverhandlungen soweit wie möglich auszuschließen. Vgl. z. B. SOUTHERN DISTRICT OF TEXAS RULE 16.4; SOUTHERN DISTRICT AND EASTERN DISTRICT OF NEW YORK CIVIL RULES 83.10 – 83.12, SOUTHERN DISTRICT OF FLORIDA RULE 16.2, DISTRICT OF MAINE RULE 83.11, SOUTHERN DISTRICT OF GEORGIA RULE 16.7 und DISTRICT OF ARKANSAS RULE 16.2. 693 Landes, Sequential Versus Unitary Trials: An Economic Analysis, 22 JOURNAL OF LEGAL STUDIES (1993) 99-134.

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Verfahrensbeendigung vor und außerhalb des Trial

II. Vergleichsförderung durch Verfahrensvorschriften 516

Die Prozessordnungen des Bundes wie auch der meisten Bundesstaaten untersagen den Parteien zur Förderung der gütlichen Beilegung des Rechtsstreits die Beweisführung über jegliche während einer Vergleichsverhandlung getätigten Äußerungen; insbesondere auch über etwa im Rahmen eines Vergleichsangebots in den Raum gestellte Geständnisse aller Art, vgl. FRE Rule 408. Das Gleiche gilt – sowohl im Rahmen eines Straf- als auch eines Zivilprozesses – für strafrechtliche Schuldeingeständnisse (FRE Rule 410), für die oftmals insbesondere im Rahmen von Schadensersatzprozessen wegen der Zufügung körperlicher oder psychischer Schäden zu Vergleichszwecken gemachten Angebote zur Übernahme von Heilbehandlungskosten (FRE Rule 409)694 sowie nach den Gesetzen solcher Bundesstaaten, die ein Mediationsverfahren zur gütlichen Beilegung von Rechtsstreitigkeiten vorsehen, auch für die während solcher Verfahren zustande gekommenen Vereinbarungen und anderweitig getätigten Äußerungen, es sei denn, alle Parteien erklären sich ausdrücklich mit der Einführung in den Prozess einverstanden695. III. Beendigung des Verfahrens im Falle eines Vergleichsschlusses 1. Vollstreckungstitel

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Da es sich bei dem Vergleichsschluss um eine Parteiabrede ohne – oder nur mit eingeschränkter – gerichtlicher Mitwirkung handelt, ist der Vergleich als solcher kein Vollstreckungstitel, sondern es bedarf insoweit der Schaffung eines gesonderten Titels, i.d.R. der Protokollierung des Vergleichsschlusses und/oder eines die Verpflichtungen der Parteien wiedergebenden Anerkenntnisurteils eigener Art (consent decree; judgment pursuant to the terms of settlement), welches sodann in derselben Form vollstreckbar ist wie jedes andere Urteil696. Im Übrigen wird das Verfahren formal durch Klagerücknahme oder -abweisung beendet697.

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In aller Regel hat das ursprünglich mit der Sache befasste Gericht grundsätzlich keine Entscheidungsgewalt hinsichtlich der Durchsetzung der 694 Auf der Ebene der Bundesstaaten bestehen insoweit im Einzelfall noch weitere Schutzvorschriften, vgl. z. B. CAL. EV. CODE § 1153.5 i. V. m. CAL. CODE CIV.PROC. § 33 u. CAL. PENAL CODE §§ 450 ff. (Vereinbarungen über den monetären Ausgleich von durch eine Vermögensstraftat verursachten Schäden). 695 Vgl. z. B. CAL. EV. CODE §§ 1115-1128. 696 Vgl. z.B. CAL. CODE CIV.PROC. § 664.6. 697 Vgl. z. B. NEBRASKA UNIFIED DISTRICT COURT RULE 9.

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Vergleichsschluss und gütliche Beilegung des Rechtsstreites

vergleichsweise geregelten Ansprüche; jedoch können die Parteien insoweit in dem Vergleich etwas anderes vereinbaren698. Dies gilt auch, soweit die Vereinbarung in erster Linie eine Klagerücknahme zum Gegenstand hat699. Sind die vergleichsweise eingegangenen Verpflichtungen der Parteien nicht in einem consent decree oder anderen Urteil, sondern nur in einer außergerichtlichen Vereinbarung niedergelegt, bedarf es im Streitfall gerichtlicher Feststellungen zu Wirksamkeit und Inhalt des Vergleichs; das Verfahren wird dann vor dem bis zum Vergleichsschluss mit der Sache befassten Gericht fortgesetzt. Auch soweit es in diesem Zusammenhang zur gesonderten Beweisaufnahme über den Verlauf der Vergleichsverhandlungen kommt und wenn das Gericht sodann den Vergleichsschluss für unwirksam erklärt und das Verfahren in dem Zustand fortgesetzt wird, in dem es sich vor dem unwirksamen Vergleich befand, gelten aber für die spätere Beweisaufnahme über den klageweise geltend gemachten Anspruch als solchen die in FRE Rules 408-410 festgelegten Beweisverbote hinsichtlich der im Rahmen der Vergleichsverhandlungen abgegebenen Parteierklärungen.

2. Offer of Judgment, Offer to Compromise Systematisch um eine Kombination zwischen Vergleich und Anerkenntnisurteil handelt es sich bei dem sogenannten offer of judgment oder offer to compromise (vgl. FRCP Rule 68 u. N.Y.C.P.L.R. § 3221)700, bei dem der Beklagte – oder der Kläger mit Rücksicht auf die Widerklage – seinem Prozessgegner anbietet, Urteil in einer bestimmten Höhe gegen sich ergehen zu lassen. Nimmt der Gegner das Angebot an, ergeht Urteil in der angebotenen Höhe; lehnt er es ab und erzielt später eine ungünstigere Entscheidung, ist er der anbietenden Partei zum Ersatz der Mehrkosten verpflichtet, die dieser nach der Ablehnung entstanden sind701. Das Angebot als solches ist im Rahmen der Beweisaufnahme ebenso wenig wie

698 Vgl. z. B. CAL. CODE CIV.PROC. § 664.6. 699 Kokkonen v. Guardian Life Ins. Co. of Am., 511 U.S. 375, 378 – 381 (1994). 700 Ähnlich im Prinzip auch CAL. CODE CIV.PROC. § 998. Zur Anwendung von FRCP Rule 68 auf solche Urteile, die auf Antrag der Parteien den Inhalt eines Vergleichs in vollstreckungsfähiger Form niederlegen, vgl. Lang v. Gates, 36 F.3d 73, 77 (9th Cir.), cert. denied, 513 U.S. 1017 (1994). 701 Vgl. Payne v. Milwaukee County, 288 F.3d 1021, 1025 (7th Cir. 2002) und Haworth v. Nevada, 56 F.3d 1048 (9th Cir. 1995). Anwaltskosten sind jedoch auch unter diesen Voraussetzungen nur dann ersatzfähig, soweit ein Anspruch auf Kostenerstattung sich ohnehin bereits aus einer anderen Vorschrift ergibt; vgl. Poteete v. Capital Engineering, Inc., 185 F.3d 804, 807 (7th Cir. 1999) und Crossman v. Marcoccio, 806 F.2d 329, 333 – 334 (1st Cir. 1986), cert. denied, 481 U.S. 1029 (1987).

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Verfahrensbeendigung vor und außerhalb des Trial

sonstige im Verlaufe von Vergleichsverhandlungen abgegebene Erklärungen ein zulässiges Beweismittel.

C. Verfahrensbeendende Anträge; insbesondere die Summary Judgment Motion 520

Wenngleich sich die Funktion der pleadings im amerikanischen Prozess deutlich von jener der prozessleitenden Schriftsätze nach Maßgabe von §§ 129, 130 u. 253 ff. ZPO unterscheidet und insbesondere auch eine der Sachentscheidung im frühen ersten Termin (§ 275 Abs. 2 ZPO) vollumfänglich vergleichbare Situation im Verlauf des amerikanischen Prozesses nicht vorgesehen ist, kann es auch dort auf entsprechenden Antrag einer Prozesspartei zu einer Entscheidung ohne Beweisaufnahme und damit ohne Durchführung eines trial kommen; und zwar entweder aufgrund der – sehr seltenen – motion for judgment on the pleadings oder aufgrund der am Ende der discovery in fast jedem Verfahren liegenden motion for summary judgment. I. Motion for Judgment on the Pleadings

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Gemäß FRCP Rule 12(c) und den entsprechenden Vorschriften der bundesstaatlichen Prozessordnungen kann jede Partei nach Abschluss der pleadings-Phase zu Beginn des Verfahrens – jedoch in jedem Fall so rechtzeitig, dass es im Unterliegensfall nicht zu einer Verzögerung des trial kommt – einen Antrag auf eine ihr günstige Sachentscheidung allein aufgrund des Inhalts der pleadings stellen. Begründet ist eine solche motion for judgment on the pleadings dann, wenn der Antragsteller nach dem Vortrag beider Parteien und selbst unter Berücksichtigung aller dem Antragsgegner günstigen Umstände allein aus Rechtsgründen (as a matter of law) obsiegen muss702.

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Gegenstand der gerichtlichen Prüfung im Rahmen dieser motion ist allerdings nur der summarische Vortrag in den pleadings selbst (sowie die diesen gegebenenfalls beigefügten Anlagen); der Prüfungsumfang ist also stark eingeschränkt, und die Erhebung einer motion for judgment on the pleadings wird dementsprechend nur in dem seltenen Fall sinnvoll sein,

702 United States v. Any & all Radio Station Transmission Equip., 207 F.3d 458, 462 (8th Cir. 2000), cert. denied, 531 U.S. 1071 (2001).

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Verfahrensbeendende Anträge; insbesondere die Summary Judgment Motion

dass tatsächlich schon aufgrund des Inhalts der pleadings allein ersichtlich ist, dass die eine abschließende Entscheidung nicht nur überhaupt möglich ist, sondern dass diese sich darüber hinaus auch ausschließlich auf Rechtsfragen erstrecken wird703. Da es den Parteien in der Praxis nicht immer leicht fallen wird, ihren Vortrag ausschließlich auf das zu beschränken, was der gerichtlichen Prüfung im Rahmen der motion for judgment on the pleadings zugänglich ist, sieht FRCP Rule 12(c) – entsprechend der insoweit vergleichbaren Regelung für den Bereich des demurrer bzw. der motion for failure to state a claim, vgl. vorst. Rn. 362 ff. – vor, dass ein zwar als motion for judgment on the pleadings bezeichneter, jedoch in der Begründung über den insoweit zulässigen Rahmen hinausgehender Antrag vom Gericht als motion for summary judgment zu behandeln ist.

523

II. Summary Judgment Motion Von nicht zu unterschätzender praktischer Bedeutung ist die summary judgment motion, die zwar nach den jeweils maßgeblichen Vorschriften an sich bereits relativ frühzeitig im Verfahrensverlauf erhoben werden kann, jedoch in der Praxis in aller Regel am Ende der discovery liegt und den Abschluss der pretrial-Phase des Verfahrens darstellt704. Dabei können beide Parteien gleichermaßen eine summary judgment motion anbringen (vgl. FRCP Rule 56[a], [b]); inhaltlich wird diese in aller Regel zu703 United States v. Any & all Radio Station Transmission Equip., 207 F.3d 458, 462 (8th Cir. 2000), cert. denied, 531 U.S. 1071 (2001) und Horsley v. Rivera, 292 F.3d 695, 700 (11th Cir. 2002). 704 Nach FRCP Rule 56(a) und (b) kann der (Wider-)Beklagte grundsätzlich jederzeit, der (Wider-)Kläger nach Ablauf von 20 Tagen seit Beginn des Verfahrens oder seit Zustellung einer summary judgment motion des Gegners seinerseits eine summary judgment motion anbringen. Aufgrund der umfassenden gerichtlichen Tatsachen- und Rechtsprüfung im Rahmen dieser motion kommt jedoch eine Antragstellung zu diesem frühen Zeitpunkt in aller Regel aus praktischen Gründen noch gar nicht in Betracht; vielmehr bedarf es zunächst der beiderseitigen Beweisermittlung im Rahmen der discovery. Erst wenn diese hinreichend weit fortgeschritten ist, ist eine Beurteilung, inwieweit sich der Streit auf Tatsachen- oder nur auf Rechtsfragen erstreckt, überhaupt möglich; aus diesem Grunde werden summary judgment motions, die zu einem Zeitpunkt eingereicht werden, zu dem der Gegner seine discovery noch nicht im Wesentlichen abgeschlossen hat, auch i.d.R. als verfrüht abgelehnt oder die Entscheidung über sie zumindest bis zum Abschluss der discovery zurückgestellt. Vgl. FRCP Rule 56(f) und eingehend hierzu Celotex Corp. v. Catrett, 477 U.S. 317, 322, 323 – 324 u. 327 (1986) sowie Baicker-McKee, Janssen, Corr, Federal Civil Rules Handbook, Authors’ Commentary on Rule 56(f) m. zahlr. w.N.

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524

Verfahrensbeendigung vor und außerhalb des Trial

mindest im Hauptantrag auf die Entscheidung über den gesamten Streitstoff gerichtet sein; zulässig ist jedoch auch die Antragsbeschränkung auf nur einzelne Teilfragen (vgl. FRCP Rule 56[d])705. Auch ein summary judgment-Antrag nur mit Rücksicht auf den Anspruchsgrund ist zulässig, wenn nur die zur Feststellung der Anspruchshöhe erforderlichen Tatsachen zwischen den Parteien streitig sind; allerdings ist eine auf einen solchen Antrag ergehende Entscheidung dem Grunde nach – im Gegensatz zu anderen summary judgments – nicht selbständig rechtsmittelfähig; vgl. FRCP Rule 56(c). 1. Prüfungsmaßstab 525

Ansatzpunkt der Prüfung im Rahmen der summary judgment motion ist die Frage, ob unter Berücksichtigung des gesamten Streitstoffes der Antragsteller allein aus Rechtsgründen (as a matter of law) obsiegen muss, weil es an einem Streit über entscheidungserhebliche Tatsachen fehlt („there is no genuine issue as to any material fact“), vgl. FRCP Rule 56(c)706. Damit kommt die summary judgment motion der von einem deutschen Gericht vorgenommenen Schlüssigkeitsprüfung des Parteivorbringens inhaltlich sehr nahe. Allerdings gelten Tatsachen im Rahmen der summary judgment motion nur dann nicht als streitig, wenn kein vernünftiger Tatsachenrichter (no reasonable trier of fact) an ihrem Vorliegen zweifeln könnte, wobei die Feststellung, ob dies jeweils im Einzelfall zutrifft – und ob es selbst unter diesen Voraussetzungen nicht sachgerechter ist, gleichwohl das Verfahren mit einer Beweisaufnahme 705 Terminologisch wird ein solchermaßen eingeschränkter Antrag in manchen Verfahrensordnungen von der summary judgment motion unterschieden und dann zumeist als motion for summary adjudication bezeichnet; für die Letztere gelten jedoch ansonsten die gleichen Grundsätze wie für die summary judgment motion insgesamt. Vgl. z. B. CAL. CODE CIV.PROC. § 437c(f) u. Russell v. Enterprise Rent-A-Car Co. of Rhode Island, 160 F. Supp. 2d 239, 249 (D.R.I. 2001); allgemein zu Voraussetzungen und Verfahren Baicker-McKee, Janssen, Corr, Federal Civil Rules Handbook, Authors’ Commentary on Rule 56(d) m. zahlr. w.N. 706 Grundlegend zu den Anforderungen insoweit Anderson v. Liberty Lobby, Inc., 477 U.S. 242, 248 – 252 u. 255 (1986); Celotex Corp. v. Catrett, 477 U.S. 317, 322 – 323 (1986) und Matsushita Elec. Indus. Co. v. Zenith Radio Corp., 475 U.S. 574, 587 (1986). Vgl. auch Department of Commerce v. U.S. House of Representatives, 525 U.S. 316, 327 (1999); Cleveland v. Policy Management Sys. Corp., 526 U.S. 795, 804 (1999); Nebraska v. Wyoming, 507 U.S. 584, 589 (1993) und Eastman Kodak Co. v. Image Technical Servs., Inc., 504 U.S. 451, 456 (1992).

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Verfahrensbeendende Anträge; insbesondere die Summary Judgment Motion

fortzusetzen –, weitgehend im pflichtgemäßen Ermessen des erstinstanzlich über die summary judgment motion entscheidenden Richters liegt707. Aus diesem Grunde sind amerikanische Gerichte in der Tendenz deutlich zurückhaltender in der Stattgabe eines Antrags auf summary judgment als deutsche Gerichte in der Entscheidung im frühen ersten Termin; die motion wird i.d.R. nur dann Erfolg haben, wenn für den erstinstanzlich tätigen Richter außer Zweifel steht, dass auch das gegebenenfalls angerufene Rechtsmittelgericht unter keinen Umständen zu dem Ergebnis gelangen werde, ein vernünftiger Tatsachenrichter werde keinerlei streitige Tatsachen feststellen können und die Durchführung einer Beweisaufnahme sei auch nicht aus anderen Gründen insgesamt sachgerechter. Zu beachten ist insoweit, dass weder das zur Entscheidung über die summary judgment motion erstinstanzlich berufene Gericht noch das Rechtsmittelgericht selbst eine Entscheidung über die von ihnen gegebenenfalls festgestellten streitigen Tatsachen vornehmen, die ja gerade erst noch der Beweisaufnahme im Rahmen des trial vorbehalten bleiben sollen708. Prüfungshorizont ist dementsprechend auch bei der Beurteilung, ob ein vernünftiger Tatsachenrichter überhaupt bestimmte entscheidungserhebliche Tatsachen als streitig betrachten würde, nicht der eigene Horizont des über die motion entscheidenden Richters, sondern derjenige des Tatsachenrichters (i.d.R. der Jury), in dessen Position sich der angerufene Richter jeweils versetzen muss. Lediglich die streitigen Rechtsfragen entscheidet der mit der summary judgment motion angerufene Richter aufgrund seiner eigenen Erkenntnisse.

526

Kommt das über die summary judgment motion entscheidende Gericht zu dem Ergebnis, dass unter Zugrundelegung des gesamten Streitstoffs ausschließlich Rechtsfragen zwischen den Parteien streitig sind und dass insoweit – auch unter Berücksichtigung aller dem Antragsgegner günstigen Umstände – der Antragsteller obsiegen muss, gibt es dem Antrag durch eine entsprechendes, regelmäßig verfahrensbeendendes und selbständig rechtsmittelfähiges summary judgment statt709. Gelangt das Gericht hingegen zu dem Ergebnis, dass zumindest die Möglichkeit besteht, ein vernünftiger Tatsachenrichter werde auch bestimmte entscheidungserhebliche Tatsachen als streitig ansehen, so weist es die summary

527

707 Anderson v. Liberty Lobby, Inc., 477 U.S. 242, 255 (1986) und Kennedy v. Silas Mason Co., 334 U.S. 249 (1948); allgemein zum Prüfungsmaßstab in der Rechtsmittelinstanz vgl. nachf. Rn. 752 ff. 708 Anderson v. Liberty Lobby, Inc., 477 U.S. 242, 249 (1986) und Hutchinson v. Proxmire, 443 U.S. 111 (1979). 709 Hunt v. Cromartie, 526 U.S. 541, 550 – 555 (1999) und Santaella v. Metropolitan Life Ins. Co., 123 F.3d 456, 461 (7th Cir. 1997).

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Verfahrensbeendigung vor und außerhalb des Trial

judgment motion mit dieser Begründung zurück, und das Verfahren wird in dem Stadium fortgesetzt, in dem es sich im Moment der Entscheidung ansonsten befindet710. Eine solche zurückweisende Entscheidung ist aufgrund ihrer mangelnden sachentscheidenden und instanzbeendenden Wirkung weder selbständig mit Rechtsmitteln angreifbar noch für den weiteren Verfahrensgang verbindlich (law of the case)711. 2. Verfahren 528

Zur Begründung der summary judgment motion wie auch des dieser entgegnenden Schriftsatzes (opposition) bedarf es i.d.R. mindestens der Darlegung der für die jeweilige Partei günstigen Umstände im Wege eidesstattlicher Versicherungen (affidavits); darüber hinaus üblich ist auch, soweit entscheidungserheblich, die Vorlage der im Verlauf der discovery und disclosure ausgetauschten und ermittelten Beweise (Antworten auf interrogatories, Geständnisse sowie insbesondere Urkunden, Augenscheinsstücke und Auszüge der jeweils relevanten Teile der depositionProtokolle). Berücksichtigungsfähig sind Beweismittel im Rahmen der Entscheidung über die summary judgment motion allerdings nur insoweit, als sie ihrer Art nach auch im Rahmen der gerichtlichen Beweisaufnahme (trial) zulässig wären; vgl. FRCP Rule 56(e)712.

529

Viele bundesstaatliche Prozessordnungen und darüber hinaus auch die local rules vieler Gerichte stellen des Weiteren eine Vielzahl weiterer Begründungserfordernisse auf. Besonders häufig findet sich insoweit eine Regelung, der zufolge der Antragsteller der Antragssschrift eine gesonderte – zumeist tabellarische – Aufstel710 Hunt v. Cromartie, 526 U.S. 541, 552 (1999). 711 Vgl. Padfield v. AIG Life Ins. Co., 290 F.3d 1121, 1124 (9th Cir. 2002) (Rechtsmittelfähigkeit ablehnender Entscheidungen); Kovacevich v. Kent State Univ., 224 F.3d 806 (6th Cir. 2000) (law of the case) und allgemein zur Urteilsanfechtung nachf. Rn. 712 ff. 712 Allerdings bedarf es im Hinblick auf Aussagen der eigenen Zeugen des Antragstellers regelmäßig nicht der (ausschnittsweisen) Vorlage von – auch formell den gerichtlichen Beweisvorschriften entsprechenden – deposition-Protokollen, sondern insoweit ist die Vorlage eidesstattlicher Versicherungen ausreichend, obwohl diese nur unter eingeschränkten Voraussetzungen (insbesondere bei Unerreichbarkeit des Zeugen) auch im Rahmen des trial als Beweismittel zulässig sind; vgl. Celotex Corp. v. Catrett, 477 U.S. 317, 324 (1986). Zu den im Einzelnen zulässigen Beweismitteln s. WRIGHT & MILLER, CIVIL PROCEDURE § 2142 und Baicker-McKee, Janssen, Corr, Federal Civil Rules Handbook, Authors’ Commentary on Rule 56(c) m. w. N.; zu Form und Inhalt der eidesstattlichen Versicherungen ebd. Authors’ Commentary on Rule 56(e) m. w. N.

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Verfahrensbeendende Anträge; insbesondere die Summary Judgment Motion lung aller aus seiner Sicht unstreitigen Tatsachen beizufügen hat (separate statement of undisputed facts)713. Dem Antragsgegner wird entsprechend Gelegenheit zur Stellungnahme hierzu eingeräumt; er kann in diesem Rahmen auch weitere Tatsachen aufführen, die aus seiner Sicht ebenfalls unstreitig sind. Soweit eine Partei der Bezeichnung einzelner Tatsachen durch den jeweiligen Gegner als unstreitig entgegentreten will, hat sie dies unter Kennzeichnung der jeweiligen Tatsachen und Begründungsangabe im Einzelnen (ebenfalls tabellarisch) darzustellen.

Die Darlegungs- und Beweislast für die antragsbegründenden Umstände (prima facie case) liegt zunächst insoweit beim Antragsteller, als dieser die Unerweislichkeit der gegnerischen Tatsachenbehauptungen und den sich hieraus ergebenden Mangel eines Streits über entscheidungserhebliche Tatsachen aufzeigen muss. Hat der Antragsteller seiner anfänglichen Darlegungslast genügt, kann der Gegner dem Antrag nicht lediglich durch Bestreiten der Antragsbegründung entgegentreten, sondern muss seinerseits vollumfänglich darlegen, weshalb einzelne entscheidungserhebliche Tatsachen sehr wohl zwischen den Parteien streitig sind und es deshalb insoweit einer Beweisaufnahme bedarf; vgl. FRCP Rule 56(e)714.

530

Dabei richtet sich der Umfang der Beweislast als solcher nach den im Einzelfall jeweils anwendbaren Vorschriften (d. h. insbesondere hinsichtlich aller Umstände, deren Vorliegen lediglich mit überwiegender Wahrscheinlichkeit – more probable than not – unter Beweis gestellt werden muss, darf auch im Rahmen der summary judgment-Prüfung kein strengerer Maßstab angelegt werden); die Entscheidungserheblichkeit der einzelnen Tatsachen hingegen nach dem jeweils anwendbaren materiellen Recht715. Insoweit ist es dem Antragsgegner insbesondere auch verwehrt, den Anschein streitiger Tatsachen nachträglich dadurch zu schaffen, dass er im Rahmen des summary judgment-Verfahrens von seinem eigenen früheren Vortrag abweichende Tatsachenbehauptungen aufstellt oder von Zeugen aufstellen lässt716.

531

713 Vgl. z. B. MIDDLE DISTRICT OF PENNSLYVANIA RULE 56.1, SOUTHERN DISTRICT AND EASTERN DISTRICT OF NEW YORK CIVIL RULE 56.1, SOUTHERN DISTRICT OF FLORIDA RULE 7.5, DISTRICT OF MAINE RULE 56(b) und CAL. CODE CIV.PROC. § 437c(b); allgemein s. auch Baicker-McKee, Janssen, Corr, Federal Civil Rules Handbook, Authors’ Commentary on Rule 56(c) m. zahlr. w.N. 714 Lujan v. National Wildlife Fed’n, 497 U.S. 871, 888 – 889 (1990) und Celotex Corp. v. Catrett, 477 U.S. 317, 322 – 323 (1986). Dabei erhöht sich die Darlegungs- und Beweislast des Antragsgegners in dem Maße, wie es dessen bisherigem Tatsachenvortrag an Plausibilität mangelt; vgl. Matsushita Elec. Indus. Co. v. Zenith Radio Corp., 475 U.S. 574, 587 (1986). 715 Anderson v. Liberty Lobby, Inc., 477 U.S. 242, 248 u. 254 (1986). 716 Cleveland v. Policy Management Sys. Corp., 526 U.S. 795, 804 (1999). Anders verhält es sich nur dann, wenn der neue Vortrag lediglich der Klarstellung früheren missverständlichen Vorbringens dient; vgl. Matsushita Elec. Indus. Co.

255

Verfahrensbeendigung vor und außerhalb des Trial

532

Nur wenn der Erlass eines summary judgment schon aufgrund des eigenen Vorbringens des Antragstellers nicht in Betracht kommt, kann sich der Antragsgegner im Einzelfall auf das bloße Bestreiten des Vortrags des Antragstellers beschränken; aufgrund der insoweit erforderlichen gerichtlichen Würdigung ist es aber in aller Regel auch in diesem Falle angeraten, dem Antrag außer durch Bestreiten auch durch weiter gehenden eigenen Sach- und Rechtsvortrag zu entgegnen.

533

Wenngleich das Verfahren im Rahmen der summary judgment motion i. Ü. im Grundsatz demjenigen der Entscheidung über andere motions ähnelt (vgl. vorst. Rn. 350 ff.), finden sich insoweit auch über die Begründungserfordernisse hinaus zahlreiche Sonderregeln. So wird über eine summary judgment motion nur im Ausnahmefall nicht aufgrund mündlicher Verhandlung entschieden (vgl. FRCP Rule 56[c]), wobei im Verfahren vor den Gerichten der Bundesstaaten die Terminsbestimmung und die sonstigen Fristenregelungen gelegentlich erheblich großzügiger ausfallen als im Hinblick auf andere motions717. Auch der mündliche Vortrag der Parteivertreter im Verlaufe des Termins ist häufig deutlich ausführlicher als derjenige zur Begründung anderer Anträge.

v. Zenith Radio Corp., 475 U.S. 574, 587 (1986) und Selenke v. Medical Imaging of Colorado, 248 F.3d 1249, 1258 (10th Cir. 2001). 717 Vgl. CAL. CODE CIV.PROC. § 437c(a) (Zustellung der Antragsschrift muss mindestens 75 (!) Tage vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung erfolgen). Allgemein zum Verfahren s. des Weiteren Baicker-McKee, Janssen, Corr, Federal Civil Rules Handbook, Authors’ Commentary on Rule 56(c) m. zahlr. w.N.

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Kapitel 8: Trial und gerichtliche Beweiserhebung

Weiterführende Literatur: Bergman, Trial Advocacy in a Nutshell; Clermont, Civil Procedure; Field, Kaplan, Clermont, Civil Procedure; Graham, Federal Rules of Evidence in a Nutshell; Mauet, Trial Techniques; McClintock, Handbook of the Principles of Equity; McCormick, Strong, Broun et al., McCormick on Evidence; Rothstein, Raeder, Crump, Evidence in a Nutshell: State and Federal Rules; Schack, Einführung in das US-amerikanische Zivilprozessrecht; Shipman, Ballantine, Handbook of Common-Law Pleading; Siegel, New York Practice; Weinstein, Mansfield, Abrams, Berger, Evidence; Wright, Miller, Federal Practice and Procedure.

Der Begriff „trial“ bezeichnet im amerikanischen Prozessrecht die Gesamtheit der i.d.R. über mehrere Tage andauernden gerichtlichen Hauptverhandlung, in deren Mittelpunkt die Beweisaufnahme steht und die mit der Entscheidungsfindung des Tatsachenrichters abschließt: Nach der pretrial-Phase mit discovery und summary judgment motion ist das trial somit das zweite Kernstück des amerikanischen Zivilprozesses. Konzeptionell ist dabei das Verfahren vor einem Richter allein (bench trial) von demjenigen unter Beteiligung von Geschworenen (jury trial) zu unterscheiden; wenngleich das Letztere in vielerlei Hinsicht Vorbildcharakter auch für die Verhandlung vor dem Richter allein hat.

534

Ob der verfahrensleitende Richter derselbe ist wie derjenige, dem bereits die Aufsicht über die pretrial-Phase übertragen war, oder ob zu Beginn des trial eine neue richterliche Zuweisung des Verfahrens stattfindet, richtet sich demgegenüber nicht danach, ob das Verfahren ein solches mit oder ohne Beteiligung einer Jury ist, sondern nach den allgemeinen Bestimmungen der jeweils anwendbaren Zivilprozessordnung und der local rules des jeweiligen Gerichts. Während viele Bundesgerichte insoweit die einheitliche Behandlung von pretrial und trial durch denselben Richter bevorzugen, ist es auf der Ebene der Bundesstaaten nach wie vor weitgehend Praxis, beide Verfahrensabschnitte nicht nur funktionell, sondern auch personell zu trennen (s. vorst. Rn. 515).

535

A. Proceedings at Law und Proceedings in Equity Obwohl spätestens seit dem Erlass der FEDERAL RULES OF CIVIL PROCEDURE im Jahre 1938 – in vielen Bundesstaaten aufgrund der dort geltenden Pro257

536

Trial und gerichtliche Beweiserhebung

zessordnungen auch schon länger – die aus dem englischen Rechtssystem überlieferte Trennung von courts of law und courts of equity formal aufgegeben ist718, wirkt diese Trennung konzeptionell insoweit noch fort, als auch heute noch in erster Linie diejenigen Verfahren, die herkömmlich als proceedings at law behandelt wurden, vor einer Jury als Tatsachenrichter durchgeführt werden, während proceedings in equity nach wie vor im Grundsatz ausschließlich der richterlichen Tatsachen- und Rechtsentscheidung unterliegen. 537

Ihren historischen Ursprung hat die Trennung der beiden Verfahrensarten in der englischen Gerichtsverfassung des ausgehenden Mittelalters, in der die Rechtsprechungstätigkeit der institutionalisierten Gerichte auf einem nur schwer zugänglichen, verwirrenden und unflexiblen System einer Vielzahl einzelner Zulassungsbeschlüsse (writs) beruhte, welche jeweils nicht nur die anzuwendende Verfahrensordnung als solche, sondern auch die materiellrechtlichen Ansprüche bestimmten, die in dem betreffenden Rahmen durchgesetzt werden konnten, sowie des Weiteren auch die dementsprechenden Urteilsformen719. In Umgehung der Gerichte und ihrer zunehmend unpraktikabler werdenden, oftmals der Verhinderung von Rechten eher als deren Durchsetzung gleichenden Jurisprudenz richteten im Verlaufe der Jahrhunderte mehr und mehr Rechtssuchende ihre Anliegen direkt an den König, der durch seinen Rat bereits seit dem frühen Mittelalter neben den institutionalisierten Gerichten im Interesse der Wahrung materieller Gerechtigkeit im Einzelfall tätig geworden war. Zwischen dem 14. und dem 16. Jahrhundert nahmen die Ersuchen um solche bills in equity dann schließlich so stark zu, dass sich insoweit ein eigenständiges königliches Gericht herausbildete: der nach dem ihm vorstehenden Beamten bezeichnete Court of Chancery720.

718 Vgl. FRCP Rule 2: „There shall be one form of action to be known as ‚civil action’“ und hierzu Cablevision of Midwest, Inc. v. City of Brunswick, 117 F. Supp. 2d 658, 661 (N.D. Ohio 2000); ebenso u. a. CAL. CODE CIV.PROC. § 307 und N.Y.C.P.L.R. § 103(a). 719 Obgleich mit der Aufgabe der formalen Trennung zwischen law und equity auch das writ system im Grundsatz ausdrücklich abgeschafft wurde, vgl. FRCP Rule 7, lebt die Bezeichung fort im Rahmen der Zwangsvollstreckung (writ of execution) sowie in einigen Sonderverfahren, wie z. B. dem Rechtsbehelf gegen bestimmte ermessensfehlerhafte oder zuständigkeitsüberschreitende Entscheidungen erstinstanzlicher Gerichte ([petition for a] writ of mandamus), dem Rechtsmittelzulassungsverfahren vor dem U.S. Supreme Court ([petition for a] writ of certiorari) und der petition for [a writ of] habeas corpus, mit der Strafurteile und andere in die Freiheitsgrundrechte des Antragstellers eingreifende, nicht (mehr) anderweitig angreifbare Entscheidungen im Einzelfall einer nachträglichen Rechtmäßigkeitsprüfung zugeführt werden können. 720 Die Bezeichnung chancery court führen noch heute die Handelsgerichte des Bundesstaates Delaware, in dem aufgrund seines insoweit besonders günstigen Rechtssystems sowie der im Gesellschaftsrecht besonders bewanderten Richter der chancery courts eine Vielzahl auch solcher Handelsgesellschaften

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Proceedings at Law und Proceedings in Equity Während die älteren institutionalisierten Gerichte sodann weiterhin vor allem über die Durchsetzung monetärer Ansprüchen sowie im Einzelfall von Herausgabeund Besitzstörungsansprüchen aufgrund mündlicher Beweisaufnahme vor einer Jury als Tatsachenrichter entschieden und in ihrem Verfahren lediglich Rechtsfragen der richterlichen Entscheidung vorbehalten waren, traf der Richter des Court of Chancery – entweder allein oder allenfalls unter Hinzuziehung einer beratend tätig werdenden Jury – im schriftlichen Verfahren Anordnungen auf Vornahme oder Unterlassung einer Handlung, Rechnungslegung, Vermögensverwaltung und ähnliche Regelungen, die den courts of law aufgrund der starken Formalisierung und Inflexibilität ihrer Verfahrensregelungen nicht möglich waren. Darüber hinaus entwickelten sich in der equity-Rechtsprechung auch eine Reihe neuer, im Wesentlichen auf Billigkeitserwägungen beruhender Einwände gegen die Berechtigung geltend gemachter Forderungen. Standen solche Einwände jedoch einer in einem court of law geltend gemachten Forderung entgegen, musste der Beklagte seinerseits ein eigenständiges Verfahren im court of equity anstrengen, um die Aussetzung des vom Kläger eingeleiteten Verfahrens bis zur Entscheidung über jene equitable defenses zu erreichen; eine Verbindung der beiden Verfahren oder die direkte Geltendmachung der Einwände in dem ursprünglichen Klageverfahren war nicht möglich. Ebenso hatte der Kläger, der sowohl Ansprüche at law als auch solche in equity durchsetzen wollte, grundsätzlich zwei getrennte Verfahren anzustrengen; wenn auch das equity-Gericht gelegentlich das Verfahren zur einheitlichen Entscheidung an sich ziehen konnte.

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Das Modell der Trennung von courts of law und courts of equity war zu Beginn des amerikanischen Einwanderungsprozesses des 17. und 18. Jahrhunderts in England fest institutionalisiert. Es wurde dementsprechend auch von den Einwanderern in ihre neue Heimat importiert und dort bis zu den ersten zivilprozessualen Kodifikationen des 19. Jahrhunderts (vgl. vorst. Rn. 188), teilweise aber auch über diese hinaus beibehalten und endgültig erst im 20. Jahrhundert aufgegeben.

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I. Verfahrensarten Für die zivilprozessuale Verfahrensordnung noch heute von Bedeutung ist die historische Trennung der Gerichte insofern, als unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Garantie auf ein trial by jury in denjenigen Verfahren, in denen „at common law“ die Entscheidung unter Mitwirkung von Geschworenen zu erfolgen hatte – also im Wesentlichen in Streitigkeiten um Geldforderungen sowie Herausgabe- und Besitzstörungsansprüche –, auch heute noch ein Anspruch auf Entscheidung durch die Jury besteht721. In allen anderen Verfahren erfolgt sowohl die Tatsainkorporiert sind, die ihren Haupt-Geschäftssitz nicht in Delaware, sondern in einem anderen Bundesstaat haben. 721 Vgl. U.S.-BUNDESVERFASSUNG, Amendment VII: „In Suits at common law, where the value in controversy shall exceed twenty dollars, the right of trial by jury shall be preserved.“ Maßgeblicher Zeitpunkt ist insoweit grundsätzlich der

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540

Trial und gerichtliche Beweiserhebung

chen- als auch die Entscheidung über Rechtsfragen durch den Richter allein. Handelt es sich bei dem geltend gemachten Anspruch um einen solchen, der erst aufgrund neuerer Rechtsentwicklungen entstanden ist und deshalb unmittelbar der verfassungsrechtlichen Garantie nicht unterliegt, nimmt das Gericht die erforderliche Einordnung aufgrund einer Gesamtbetrachtung der Anspruchsgrundlage und des Klageziels vor und ordnet – soweit beantragt, vgl. nachf. Rn. 545 – die Beweisaufnahme und Tatsachenentscheidung durch eine Jury dann an, wenn auch nach Maßgabe des herkömmlichen Systems insoweit voraussichtlich eine Jury berufen gewesen wäre722. 541

Ergeben sich in einem Rechtsstreit sowohl Fragen, die unter Beteiligung einer Jury werden müssen, als auch solche, die der alleinigen Entscheidung durch den Richter unterliegen, so können alle Rechte gemeinsam in demselben Verfahren geltend gemacht werden723; allerdings geht regelmäßig die Entscheidung der Jury derjenigen des Richters verfahrensmäßig vor724. Auch Einwände gegen die Klageforderung, die traditionell aus dem Bereich der equity stammen, können nunmehr ohne Einschränkungen auch einer Forderung at law entgegengesetzt werden; sie unterliegen dann mit dieser zusammen der Entscheidung der Geschworenen.

Stand der Rechtsentwickung im Jahre 1791, in dem dieser siebte Zusatzartikel zur amerikanischen Bundesverfassung verabschiedet wurde; vgl. Woodell v. International Bhd. of Elec. Workers, Local 71, 502 U.S. 93, 97 (1991). Ist unklar, ob über den geltend gemachten Anspruch nach diesen Grundsätzen mit oder ohne Jury zu entscheiden wäre, so ist im Zweifelsfall eine Jury hinzuzuziehen; s. Beacon Theatres, Inc. v. Westover, 359 U.S. 500 (1959). – Heutzutage kann sich im Verfahren vor den Bundesgerichten ein Recht auf jury trial i. Ü. auch aus einfachen Bundesgesetzen ergeben; darüber hinaus kann der Richter gemäß FRCP Rule 39(c) mit dem Einverständnis der Parteien eine Jury in ausschließlich beratender Funktion hinzuziehen. 722 Curtis v. Loether, 415 U.S. 189 (1974); Woodell v. International Bhd. of Elec. Workers, Local 71, 502 U.S. 93, 97 (1991). 723 Vgl. z. B. United States ex rel. Rahman v. Oncology Assocs, P.C., 198 F.3d 502, 508 – 509 (4th Cir. 1999). Das Recht auf Hinzuziehung einer Jury ist für jeden geltend gemachten Anspruch gesondert zu bestimmen; vgl. Bleecker v. Standard Fire Ins. Co., 130 F. Supp. 2d 726, 737 (E.D.N.C. 2000). 724 Dairy Queen, Inc. v. Wood, 369 U.S. 469 (1962); Beacon Theatres, Inc. v. Westover, 359 U.S. 500 (1959) und Ross v. Bernhard, 396 U.S. 531 (1970). Soweit sachgerecht, kann das Gericht nach der Entscheidung des U.S. Supreme Court in Beacon Theatres auch eine getrennte Beweisaufnahme und Entscheidung über die jeweils mit und ohne Jury entscheidungsbedürftigen Ansprüche anordnen.

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Proceedings at Law und Proceedings in Equity

Nach alledem lassen sich unter Berücksichtigung des Klageziels insbesondere die folgenden Verfahrensarten unterscheiden: – Die Geltendmachung monetärer Ansprüche, insbesondere von Schadensersatzansprüchen; die traditionellen actions at law. – Die Geltendmachung von Besitzstörungs- und Herausgabeansprüchen; bei diesen kann es sich je nach Natur des Anspruchs um actions at law oder (gelegentlich) proceedings in equity handeln. – Die Geltendmachung von Feststellungsansprüchen hinsichtlich eines gegenwärtig entscheidungsbedürftigen Streits über die wechselseitigen Rechte der Parteien; auch hier kommt es im Einzelfall auf die Natur des Anspruchs an, jedoch erfolgt die Entscheidung oftmals ohne Hinzuziehung einer Jury725. – Die Geltendmachung (oftmals komplexer) Rechnungslegungs- und Vermögensverwaltungsansprüche; auch die diesbezüglichen Anordnungen, die im Einzelfall außerordentlich dezidierte Regelungen enthalten können, werden traditionell ohne Mitwirkung einer Jury getroffen. – Die Beschlagnahme von Vermögensgegenständen des Beklagten zur Sicherung einer Forderung des Klägers; hierbei handelt es sich regelmäßig um eine Maßnahme des vorläufigen Rechtsschutzes. Diese richtet sich auch im Verfahren vor den Bundesgerichten stets nach der Prozessordnung des Bundesstaates, in dem das betreffende Gericht örtlich ansässig ist; vgl. FRCP Rule 64726. Zu unterscheiden ist insoweit die Beschlagnahme solcher Vermögensgegenstände, die sich im Besitz des 725 Zum Recht auf Hinzuziehung einer Jury auch insoweit vgl. jedoch Simler v. Conner, 372 U.S. 221 (1963) und Beacon Theatres, Inc. v. Westover, 359 U.S. 500 (1959). Zu den Voraussetzungen einer Feststellungsklage im Verfahren vor den Bundesgerichten s. i. Ü. 28 U.S.C. §§ 2201-2202 (DECLARATORY JUDGMENT ACT), FRCP Rule 57 sowie Maryland Cas. Co. v. Pacific Coal & Oil Co., 312 U.S. 270 (1941); Public Serv. Comm’n v. Wycoff Co., 344 U.S. 237 (1952); Preiser v. Newkirk, 422 U.S. 395 (1975) und allgemein Baicker-McKee, Janssen, Corr, Federal Civil Rules Handbook, Authors’ Commentary on Rule 57 m. zahlr. w.N. 726 Zum Verfahren vgl. insoweit Baicker-McKee, Janssen, Corr, Federal Civil Rules Handbook, Authors’ Commentary on Rule 64. Hat die Klage lediglich Zahlungsansprüche zum Gegenstand, ist die Beschlagnahme nach FRCP Rule 64 und den entsprechenden bundesstaatlichen Regelungen i. Ü. das einzige dem Kläger zur Verfügung stehende Sicherungsmittel; er kann insoweit nicht zugleich eine einstweilige Verfügung (preliminary injunction) nach Maßgabe von FRCP Rule 65 beantragen. Vgl. Grupo Mexicano de Desarrollo, S.A. v. Alliance Bond Fund, Inc., 527 U.S. 308, 330 – 331 (1999).

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Trial und gerichtliche Beweiserhebung

Beklagten selbst befinden (attachment, seizure), von der desjenigen Vermögens, das in der Hand eines Dritten ist (garnishment; hierzu gehören insbesondere auch alle offenen Forderungen des Beklagten)727. 543

Eine Sonderstellung nimmt die Geltendmachung von Handlungs- und Unterlassungsansprüchen (injunctions) ein. – Die Geltendmachung eines Handlungs- oder Unterlassungsanspruches in Fällen, in denen Geldzahlungsansprüche den klägerischen Interessen nicht hinreichend entsprechen728, ist der klassische Bereich der proceedings in equity. – Im Wege der injunction werden allerdings auch die beiden wichtigsten Anträge auf Gewährung vorläufigen Rechtschutzes angebracht: – Preliminary injunctions, mit denen aufgrund mündlicher Verhandlung, gegen Sicherheitsleistung des Klägers und unter Abwägung der jeweiligen Erfolgsaussichten der Parteien sowie ihrer jeweiligen Interessen und etwaiger rechtspolitischer Erwägungen die Unterlassung einer Handlung für einen bestimmten Zeitraum – regelmäßig bis zur instanzbeendenden Entscheidung in der Sache – angeordnet wird729; – Sowie temporary restraining orders, mit denen eine entsprechende Anordnung in besonderen Eilfällen bereits vor der Verhandlung über den Antrag auf Erlass einer preliminary injunction – auch ohne Gewährung vorherigen rechtlichen Gehörs – für längstens zweimal jeweils zehn Tage getroffen werden kann730.

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Dabei bestimmt sich das Verfahren vor den Bundesgerichten für beide vorgenannten Formen der einstweiligen Verfügung nach Maßgabe von FRCP Rule 65; jedoch stellt diese Vorschrift keine eigenständige Ermächtigung zum 727 In Form des garnishment hat die Vermögensbeschlagnahme auch erhebliche Bedeutung im Rahmen der Zwangsvollstreckung, z. B. als Vollstreckung in laufende Gehaltsansprüche (garnishment of wages). Vgl. vorst. Rn. 28–29. 728 So z. B. noch ausdrücklich CAL. CIV. CODE § 3422(1) u. (2). 729 Vgl. FRCP Rule 65(a) sowie z. B. United States v. Power Engineering Co., 191 F.3d 1224, 1230 (10th Cir. 1999), cert. denied, 529 U.S. 1086 (2000). 730 Vgl. FRCP Rule 65(b) sowie Granny Goose Foods, Inc. v. Brotherhood of Teamsters and Auto Truck Drivers Local No. 70 of Alameda County, 415 U.S. 423 (1974). Beantragt der Kläger den Erlass eines temporary restraining order ohne vorherige Gewährung rechtlichen Gehörs, bedarf es gemäß FRCP Rule 65(b)(2) darüber hinaus der Darlegung, welche Anstrengungen er bereits unternommen hat, um den Beklagten von dem beabsichtigten Antrag in Kenntnis zu setzen, und warum es weiterer Bemühungen nicht bedarf.

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Proceedings at Law und Proceedings in Equity Erlass einer solchen Verfügung dar, wenn sich ein Anspruch auf Vornahme oder Unterlassung der betreffenden Handlung nicht im Einzelfall auch aus den zugrundeliegenden Grundsätzen des materiellen Rechts ergibt731. Das Gericht kann den Erlass der einstweiligen Verfügung von einer Sicherheitsleistung abhängig machen (vgl. FRCP Rule 65[c] u. 65.1) und bei gleichzeitiger Entscheidungsreife des Verfahrens in der Hauptsache auch eine Verbindung der Verhandlung und Entscheidung über den Antrag im vorläufigen Rechtsschutz und über die Hauptsache anordnen (consolidation; vgl. FRCP Rule 65[a][2]). Selbst wenn eine solche Anordnung unterbleibt, bedarf es jedoch keiner Wiederholung der Beweisaufnahme mit Rücksicht auf die bereits im Rahmen des einstweiligen Verfügungsverfahrens eingeführten Beweismittel; unterliegt die Entscheidungsfindung in der Hauptsache jedoch einer Jury als Tatsachenrichter, so ist diese nicht an die vorhergehende richterliche Entscheidung über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gebunden732.

– Die Entscheidung über einen Antrag auf Erlass einer injunction bedarf stets der Begründung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht; im vorläufigen Rechtsschutzverfahren ergibt sich dies unmittelbar aus FRCP Rule 65(d), im Hauptsacheverfahren daraus, dass es sich insoweit regelmäßig um eine richterliche Entscheidung nach Maßgabe von FRCP Rule 52 handelt733. – Weder im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes nach Maßgabe von FRCP Rule 65 noch im Wege eines Hauptsacheantrages können in Form einer injunction allerdings rein monetäre Schäden geltend gemacht werden, selbst wenn deren drohender Eintritt erst noch abgewendet werden soll; insoweit bedarf es vielmehr stets der Erhebung einer entsprechenden – als remedy at law der injunction grundsätzlich vorgehenden – Schadensersatzklage734.

731 United States v. Cohen, 152 F.3d 321, 324 (4th Cir. 1998). Insbesondere im Zusammenhang mit tarifrechtlichen Streitigkeiten, in denen injunctions von beiden Seiten immer wieder auch als Druckmittel eingesetzt werden, legen die Prozessordnungen einiger Bundesstaaten ihren Gerichten außerordentlich große Zurückhaltung im Erlass der begehrten Anordnungen auf; so findet sich z. B. in CAL. CODE CIV.PROC. § 527.3 eine Aufzählung einer ganzen Reihe von Arbeitskampfmaßnahmen, die von vornherein nicht auf diesem Wege untersagt werden dürfen. Hierzu gehören insbesondere auch friedliche Streikmaßnahmen und Demonstrationen. 732 University of Texas v. Camenisch, 451 U.S. 390 (1981). 733 Vgl. z. B. Prairie Band of Potawatomi Indians v. Pierce, 253 F.3d 1234 (10th Cir. 2001). 734 In re Arthur Treacher’s Franchisee Litigation, 689 F.2d 1137, 1145 (3d Cir. 1982).

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Trial und gerichtliche Beweiserhebung

II. Richter und Geschworene 1. Die Jury a) Parteiantrag 545

Obwohl den Parteien sowohl aufgrund des Gebots der amerikanischen Bundesverfassung als auch nach Maßgabe von FRCP Rule 38(a) das unbeschränkte Recht zusteht, alle Streitigkeiten at common law (vgl. vorst. Rn. 544) der Tatsachenentscheidung durch Geschworene zu unterwerfen, wird eine Jury nur auf entsprechenden Antrag einer Partei berufen, der spätestens zehn Tage nach Zustellung des letzten pleading, das sich inhaltlich mit einer dem trial by jury zugänglichen Materie befasst, zu stellen ist; FRCP Rule 38(b)735. Die nicht fristgemäße Antragstellung gilt als Verzicht auf das Recht auf ein jury trial (vgl. FRCP Rule 38[d])736; verwirkt ist das Recht nach den Prozessordnungen vieler Bundesstaaten im Grundsatz auch bei nicht fristgemäßer Einzahlung des Auslagenvorschusses für die Jury, wobei das Gericht insoweit allerdings im Einzelfall Abhilfe schaffen kann737. b) Zusammensetzung

546

Während insbesondere auf U.S.-Bundesebene das Bild der zwölf Geschworenen historisch fest etablierte Wurzeln hat, schreiben weder die 735 Im Verfahren vor den Gerichten der Bundesstaaten ist eine Antragstellung teilweise auch noch zu einem späteren Zeitpunkt möglich, z. B. bei Bestimmung des Termins für den Beginn der Hauptverhandlung und Beweisaufnahme (vgl. z. B. CAL. CODE CIV.PROC. § 631); üblich ist allerdings auf beiden Gerichtsebenen eine Antragstellung bereits im Moment der Klageerhebung. Inhaltlich kann der Antrag auf lediglich einen Teil der geltend gemachten Ansprüche beschränkt werden; vgl. FRCP Rule 38(c). Zu den Antragserfordernissen und zum Verfahren im Einzelnen s. Baicker-McKee, Janssen, Corr, Federal Civil Rules Handbook, Authors’ Commentary on Rule 38(b) u. (c). Von maßgeblicher Bedeutung bei der Entscheidung, ob ein solcher Antrag im Einzelfall überhaupt gestellt werden sollte, ist zum einen die Komplexität der entscheidungserheblichen Tatsachen und Rechtsfragen; zum anderen die Frage, ob die Position der antragstellenden Partei voraussichtlich einer Jury ohne weiteres nahe zu bringen sein wird; auch die vorherige Kenntnis um die Person des (andernfalls allein entscheidenden) trial judge kann insoweit relevant werden. 736 Dies gilt im Grundsatz auch dann, wenn der Antrag nur versehentlich unterblieben ist; allerdings spricht aufgrund des verfassungsrechtlichen Schutzes des Anspruchs auf ein jury trial die Vermutung gegen die Verwirkung dieses Rechts. Vgl. Indiana Lumbermens Mutual Ins. Co. v. Timberland Pallet and Lumber Co., Inc., 195 F.3d 368, 374 (8th Cir. 1999). 737 Vgl. z. B. CAL. CODE CIV.PROC. § 631(b) u. (d)(5).

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Proceedings at Law und Proceedings in Equity

amerikanische Bundesverfassung selbst noch einfache Gesetze eine solche Zusammensetzung der Jury ausdrücklich vor, und so ist eine Besetzung mit weniger als zwölf Personen denn nicht nur zulässig738, sondern auch heute weit verbreitet. Soweit die Parteien sich nicht übereinstimmend mit einer Mehrheitsentscheidung einverstanden erklären, bedarf die Entscheidung der Jury im Verfahren vor den Bundesgerichten der Einstimmigkeit; vgl. FRCP Rule 48739. c) Auswahlverfahren aa) Die zum Jury-Dienst Berufenen werden aus den Einwohnern des Gerichtsbezirks zunächst im Losverfahren bestimmt und in einer größeren Gruppe versammelt; dem sogenannten venire, das in Einzelfall eine bis zu dreistellige Personenzahl umfassen kann740. Die Mitglieder des venire werden sodann einer Befragung unterzogen, die der Auswahl einer für beide Parteien akzeptablen Jury dient. Häufig beginnt diese Befragung mit der Ausfüllung eines von Gericht oder Parteien entworfenen Fragebogens (jury questionnaire), in dem neben allgemeinen Angaben zur Person wie Anschrift, Familienstand und Beruf nicht selten auch das Verständnis der venire-Mitglieder von der Funktionsweise des amerikanischen Prozesssystems im Allgemeinen und der Aufgabe der Jury im Besonderen erfragt wird, sowie etwaige Vorerfahrungen des Betreffenden (oder eines na738 Grundlegend Colgrove v. Battin, 413 U.S. 149 (1973) und FRCP Rule 48: Mindestens sechs und höchstens zwölf Geschworene; im Einzelnen s. z. B. SOUTHERN DISTRICT OF FLORIDA RULE 47.1.A (mindestens sechs Geschworene), DISTRICT OF MAINE Rule 47(a) (sechs Geschworene, es sei denn, die Parteien einigen sich auf eine andere Zahl) und SOUTHERN DISTRICT OF GEORGIA RULE 48.1 (sechs Geschworene, wenn die Parteien nicht übereinstimmend eine zwölfköpfige Jury beantragen). Vergleichbar z. B. auch CAL. CODE CIV.PROC. § 220 (im Regelfall zwölf Geschworene, aber die Parteien können sich auf eine geringere Anzahl einigen). 739 Jazzabi v. Allstate Ins. Co., 278 F.3d 979, 985 (9th Cir. 2002) und Baxter Healthcare Corp. v. Spectramed, Inc., 49 F.3d 1575 (Fed. Cir. 1995). Zur Feststellung der Einstimmigkeit können die Parteien auch die namentliche Abstimmung durch jeden einzelnen Geschworenen in öffentlicher Verhandlung beantragen (jury polling). Lediglich einer Mehrheitsentscheidung bedarf es jedoch nach den Zivilprozessordnungen einiger Bundesstaaten; z. B. CAL. CODE CIV.PROC. §§ 613, 618 (Dreiviertelmehrheit). 740 Zu den Einzelheiten im Verfahren vor den Bundesgerichten vgl. 28 U.S.C. §§ 1861 ff. (JURY SELECTION AND SERVICE ACT [1968]); auf bundesstaatlicher Ebene z. B. CAL. CODE CIV.PROC. §§ 190-237. Im Zusammenhang mit der Geschworenenauswahl bezeichnet der Begriff venire i. Ü. häufig des Weiteren auch den jeweiligen Gerichtsbezirk selbst.

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Trial und gerichtliche Beweiserhebung

hen Angehörigen oder Bekannten) mit dem Justizsystem sowie etwaige Voreingenommenheiten, die sich aufgrund konkreter Umstände des Einzelfalles ergeben können741. 548

Sind die jury questionnaires von den Parteien entworfen, beruhen sie nicht selten mindestens teilweise auf der Hinzuziehung eines sogenannten jury consultant, d. h. eines auf die Geschworenenauswahl spezialisierten Beraters (zumeist eines Juristen oder Psychologen), der die ihn beauftragende Partei bereits im Vorfeld bei der Bestimmung der aus ihrer Sicht vorteilhaftesten Geschworenengruppe unterstützt und auch während der eigentlichen Geschworenenwahl anwesend ist und dessen Beratungstätigkeit sich gelegentlich auch darüber hinaus auch auf die Darstellung komplexer oder problematischer Sachfragen im Rahmen der Beweisaufnahme erstreckt. Insbesondere im Vorfeld von Verfahren mit besonderer rechtspolitischer oder finanzieller Bedeutung – welche oftmals bereits lange vor Prozessbeginn eine weit verbreitete Behandlung in den Medien erfahren – testen die Parteien zudem ihre jeweilige Prozessstrategie auch vor sogenannten focus groups oder im Rahmen sogenannter mock trials, in denen entweder besonders sensitive Tatsachen oder auch das gesamte Beweismaterial der betreffenden Partei einer Gruppe von Freiwilligen präsentiert wird, die der tatsächlich gewählten oder der Wunsch-Jury der Partei in ihrer Zusammensetzung möglichst nahe kommt und deren Reaktion auf die ihnen dargestellten Beweise nicht unerhebliche Aufschlüsse auf die größtmögliche Wirksamkeit der späteren Darstellung im Prozess gewährt742.

549

bb) Auf die schriftliche Befragung folgt das Kernstück der Geschworenenauswahl, die mündliche Befragung durch Gericht und/oder Parteivertreter in öffentlicher Verhandlung (voir dire); vgl. FRCP Rule 47(a). In diesem wird, gegebenenfalls auf die schriftlichen Antworten der venire-Mitglieder aufbauend, durch ergänzende und vertiefende Fragen ermittelt, welche Angehörigen dieser größeren Gruppe unter Berücksichtigung ihrer jeweiligen Grundeinstellungen und Lebenserfahrungen nicht nur das erforderliche Verständnis von den fundamentalen Prinzipien des amerikanischen Prozessrechts und der Rolle des Geschworenen haben, sondern darüber hinaus auch unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles in der Lage sein werden, ungeachtet etwaiger eigener Erfahrungen eine ausschließlich der Tatsachen- und Beweislage entsprechende Entscheidung zu treffen. Dabei erfolgt die Befragung der Geschworenen im Verfahren vor den Bundesgerichten häufig in erster Linie durch den

741 Vgl. z. B. CAL. CODE CIV.PROC. § 205. 742 Eingehend hierzu Barber, The Jury Is Still Out: The Role of Jury Science in the Modern American Courtroom, 31 AM.CRIM.L.REV. 1225 (1994); zu Verfahren mit ausgeprägter Medienwirksamkeit auch Vinson, The O.J. Simpson Trial: A Lesson in Persuasion.

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Proceedings at Law und Proceedings in Equity

Richter und nur ergänzend noch durch die Parteivertreter743; im Verfahren vor den Gerichten der Bundesstaaten liegt sie jedoch ganz überwiegend in der Hand der Prozessbevollmächtigten selbst744. cc) Jeder Partei steht im Rahmen des voir dire das Recht der Ablehnung bestimmter venire-Mitglieder zu, und zwar in unbeschränktem Umfang, soweit absehbar ist, dass der Betreffende nicht für die gesamte Verfahrensdauer zur Verfügung stehen wird, sowie aufgrund des Verdachts mangelnder Unparteilichkeit oder aus anderen schwerwiegenden Gründen (challenge for cause)745 sowie darüber hinaus in zahlenmäßig begrenztem Umfang auch ohne Angabe von Gründen (peremptory challenge)746. Insbesondere die letzteren Ablehnungen bergen dabei traditionell eine besondere Missbrauchsgefahr in sich, weshalb nach ständiger Rechtsprechung das verfassungsrechtliche Benachteiligungsverbot insoweit zu beachten ist; insbesondere darf niemand bereits aufgrund seiner ethnischen Herkunft oder seines Geschlechts abgelehnt werden747.

550

Hat eine Partei den Verdacht, ihr Gegner nutze seine peremptory challenges in erster Linie unter Zugrundelegung solcher Kriterien zum eigenen Vorteil (bzw. zum Nachteil der betroffenen Gegenpartei), so muss sie unverzüglich zu Protokoll des Gerichts Einspruch erheben; über diesen Einspruch wird dann gleichfalls sofort – unter Ausschluss der Öffentlichkeit und der venire-Mitglieder – mündlich verhandelt, wobei dem Einspruchsführer die Darlegung der Verdachtsmomente und dem Gegner die Darlegung obliegt, dass er seine peremptory challenges nicht aus unzulässigen Gründen ausübt. Das Gericht entscheidet sodann über den Einspruch un-

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743 Zur richterlichen Gestaltungsfreiheit insoweit vgl. Smith v. Vicorp, Inc., 107 F.3d 816, 817 (10th Cir. 1997). 744 Eher dem Modell auf Bundesebene angenähert jedoch CAL. CODE CIV.PROC. § 222.5 (Befragung zunächst durch den Richter und erst danach Befragung durch die Prozessbevollmächtigten). 745 CAL. CODE CIV.PROC. § 225(b)(1) u. §§ 227-230; Harris v. Folk Construction Co., 138 F.3d 365, 371 (8th Cir. 1998). 746 Die Anzahl der zulässigen peremptory challenges ist im Verfahren vor den Bundesgerichten im Grundsatz – soweit nicht aufgrund richterlicher Anordnung im Einzelfall eine größere Zahl erlaubt ist – auf drei beschränkt (vgl. 28 U.S.C. § 1870); die Verfahrensordnungen der Bundesstaaten sehen teilweise eine größere Anzahl vor; vgl. z. B. CAL. CODE CIV.PROC. § 231(b). 747 Edmonson v. Leesville Concrete Co., 500 U.S. 614 (1991); Powers v. Ohio, 499 U.S. 400 (1991) und Batson v. Kentucky, 476 U.S. 79 (1986) (ethnische Herkunft) sowie J.E.B. v. Alabama, 114 S.Ct. 1419 (1994) und Montanez v. Puerto Rico Police Department, 33 F. Supp. 2d 106, 108 (D.P.R. 1999) (Geschlecht); kodifiziert nunmehr z. B. in CAL. CODE CIV.PROC. § 231.5.

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Trial und gerichtliche Beweiserhebung

ter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalles, wobei insbesondere auch die Gesamtheit der peremptory challenges der angegriffenen Partei sowie die Gesamt-Zusammensetzung des venire eine Rolle spielen können748. 552

Etwa vorhandene Rechtskenntnisse sind allerdings als solche kein Grund, ein venire-Mitglied vom Geschworenendienst auszuschließen; sie sind regelmäßig allenfalls Anlass zur Ausübung der peremptory challenges, und auch dies ist abhängig von der fachlichen Ausrichtung des jeweiligen Juristen und der Natur des anhängigen Verfahrens. So wird ein auf Vermögensverwaltungen spezialisierter Anwalt im Rahmen eines Mordprozesses weder für die Staatsanwaltschaft noch für den Angeklagten notwendigerweise unliebsamer sein als andere Geschworene, während ein Versicherungsrechtler im Rahmen eines Arzthaftungs- oder Verkehrsunfallprozesses mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von mindestens einem der beiden Parteivertreter abgelehnt werden wird.

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dd) Das voir dire endet, wenn unter Ausschluss der abgelehnten venireMitglieder die erforderliche Anzahl von Geschworenen sowie im Verfahren vor den Gerichten der meisten Bundesstaaten auch eine bestimmte Anzahl von Ersatz-Geschworenen gewählt worden ist749. 2. Der Richter

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Steht den Parteien kein Recht auf jury trial zu oder haben sie dieses Recht nachträglich wieder verloren oder aufgegeben, so findet die gesamte Verhandlung und Entscheidung der Sache vor dem Richter allein statt (sog. bench trial). Im Grundsatz ist das Verfahren dabei dasselbe wie auch im Rahmen eines trial by jury; insbesondere auch die Beweisaufnahme erfolgt nach denselben Regelungen. Allerdings wird die Darstellung der Beweismittel oftmals zurückhaltender ausfallen als im Rahmen der Beweisaufnahme vor einer Jury; vgl. im Einzelnen nachf. Fn. 799 u. Rn. 629 ff.

555

Auch im Rahmen eines jury trial unterliegen dem Richter allerdings wichtige Kontroll- und Entscheidungsfunktionen. So bestimmt er nach Maßgabe der gesetzlichen Rahmen-Vorschriften die Einzelheiten des Verfahrensverlaufes im Wesentlichen nach freiem Ermessen, entscheidet über die Zulässigkeit von Beweismitteln sowie über alle auftretenden Rechts-

748 Grundlegend zu Verfahren und Darlegungslast insoweit Batson v. Kentucky, 476 U.S. 79 (1986); zur Bedeutung statistischer Daten in diesem Zusammenhang bereits Swain v. Alabama, 380 U.S. 202 (1965) und Castaneda v. Partida, 430 U.S. 482, 497 n. 17 (1997). 749 Zur Wahl der Ersatzgeschworenen vgl. z. B. CAL. CODE CIV.PROC. § 234.

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Der Gang der Verhandlung

fragen, erteilt der Jury bindende Anweisungen zur Rechtslage (insbesondere, bevor diese sich zur Beratung zurückzieht; sog. jury instructions oder jury charge) und kann eine ergangene Jury-Entscheidung nachträglich auf Antrag einer Partei abändern oder unter Aufhebung der Jury-Entscheidung die Durchführung einer erneuten Hauptverhandlung und Beweisaufnahme anordnen, wenn die Entscheidung der Jury klar fehlerhaft ist.

B. Der Gang der Verhandlung Wenngleich die Gerichte in der Bestimmung ihrer Verhandlungstermine und der Zuweisung der Verfahren an den verhandlungsleitenden Richter weitgehend frei sind, vgl. FRCP Rule 40, haben die Parteien einen Anspruch darauf, dass eine Terminierung der Sache ohne unangemessene Verzögerung erfolgt750.

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Die Vorbereitung der Hauptverhandlung und der Beweisaufnahme beginnt dabei aus der Sicht des Anwalts zumeist schon Wochen im Voraus; allerspätestens jedoch mit dem Nahen der (final) pretrial conference. Aus der Vielzahl der ihm zu diesem Zeitpunkt zur Verfügung stehenden, i.d.R. eine Reihe von Ordnern und Kartons füllenden Unterlagen (gewechselte Schriftsätze, gerichtliche Anordnungen, im Wege der discovery ausgetauschte Akten, Schriftstücke und Augenscheinsstücke, interrogatory responses, schriftliche Geständnisse [admissions], deposition-Protokolle, außergerichtliche Korrespondenz, intern erstellte Rechtsgutachten, Kopien der wichtigsten Grundsatzentscheidungen etc.) werden sogenannte trial notebooks, litigation files und exhibit folders erstellt, die nur diejenigen Materialien enthalten, auf welche der Anwalt im Verlaufe der Beweisaufnahme tatsächlich zurückgreifen will. Zugleich beginnt der sich auf ein jury trial vorbereitende Anwalt mit der Bestimmung der aus seiner Sicht vorteilhaftesten Zusammensetzung der Jury (vgl. insoweit vorst. Rn. 547 ff.) sowie der Formulierung des zentralen Leitthemas seiner Falldarstellung und der hiermit zusammenhängenden, vom Eröffnungsvortrag über die Beweisaufnahme bis zum Schlussplädoyer immer wiederkehrenden Motive und Labels für die Hauptpersonen und die wichtigsten Handlungsabschnitte des zugrundeliegenden Sachverhalts. Unmittelbar vor der eigentlichen Beweisaufnahme formuliert der Anwalt sodann seine Fragen für die Zeugenvernehmung und beginnt mit der Vorbereitung der von seiner Partei benannten Zeugen auf ihre Aussagen vor Gericht (vgl. nachf. Rn. 564 ff.).

557

750 Clinton v. Jones, 520 U.S. 681, 706-708 (1997): Auch bei einem Verfahren gegen einen amtierenden Präsidenten darf die Terminierung nicht auf einen Zeitpunkt nach Ende seiner Amtszeit verschoben werden.

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Trial und gerichtliche Beweiserhebung

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Der Verlauf der Verhandung und Beweisaufnahme im Rahmen des trial unterliegt sodann weitgehend der freien richterlichen Leitung; strukturell lässt sich jedoch generell die folgende Grob-Aufteilung feststellen: Der Einführung von Gericht und Jury in den Streitstoff durch Sachvortrag beider Parteien (opening statements) folgen die Beweisführung durch den Kläger (plaintiff’s case), diejenige durch den Beklagten (defendant’s case), die Schlussplädoyers beider Parteien (closing arguments) und schließlich die Entscheidungsphase751. Dabei erfolgt die Beweiserhebung nach Maßgabe dezidierter Regelungen, die weitgehend richterrechtlichen Ursprungs sind, nunmehr jedoch in eigenständigen, die Prozessordnungen ergänzenden Gesetzen kodifiziert sind und im Rahmen von Zivilrechtsstreitigkeiten ebenso wie im Rahmen von Strafprozessen einheitlich Anwendung finden752. Soweit das Verfahren nicht bereits gegen Ende eines der beiden Hauptabschnitte der Beweisaufnahme auf den verfahrensbeendenden Antrag einer Partei hin seinen Abschluss gefunden hat, wird es nach dem Ende der Beweisaufnahme und den parteilichen Schlussplädoyers dem Tatsachenrichter, d. h. den Geschworenen oder dem allein entscheidenden Richter, zur Urteilsfindung übertragen (submission of the case und verdict).

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Über den Gang der Hauptverhandlung – wie auch über den Gang jeder anderen gerichtlichen Verhandlung, einschließlich derjenigen, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden – wird ein Wortprotokoll erstellt, von dem die Parteien auf Antrag Abschriften anfordern können. I. Verlauf der Beweisaufnahme 1. Opening Statements

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Die zumeist in freier Rede gehaltenen Eröffnungsvorträge der Parteien dienen der Einführung von Richter und Geschworenen in den Streitstoff: Formal steht dabei allerdings nicht die parteiliche Argumentation im Vordergrund, sondern die Zusammenfassung des Sach- und Streitstandes durch Wiedergabe der entscheidungserheblichen Tatsachen und Beschreibung der Beweismittel, die die Parteien in den Prozess einzuführen gedenken. Inhaltlich wird sich jede Partei insoweit im Wesentlichen auf die 751 Ausdrücklich kodifiziert ist der Gang der Verhandlung in dieser Form z. B. in CAL. CODE CIV.PROC. § 607; allerdings ist dies auch unabhängig von entsprechenden gesetzlichen Vorschriften der allgemeine Verfahrensablauf. 752 Zur Anwendung im Rahmen von Zivilprozessen vgl. ausdrücklich FRCP Rule 43.

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Der Gang der Verhandlung

Darstellung der ihr günstigen Tatsachen konzentrieren; allerdings kann es im Einzelfall auch angeraten sein, ungünstigere Umstände bereits im Rahmen des opening statement anzusprechen, um nicht dem Gegner die Möglichkeit zu eröffnen, diese Tatsachen erst in seinem eigenen Eröffnungsvortrag in den Prozess einzuführen und in ihrer Negativität dann besonders herauszustellen753. Nicht zulässig und in krassen Zuwiderhandlungsfällen auch sanktionsfähig ist es jedoch, das opening statement bereits zum Vortrag rechtlicher Argumente zu verwenden oder rhetorisch in der dem Schlussplädoyer vorbehaltenen Form vorrangig auf die Überzeugung des Tatsachenrichters auszurichten. Üblich ist es des Weiteren, dass beide Parteien ihre opening statements bereits zu Beginn des trial halten. Der Beklagte kann sich allerdings u. U. eine Verschiebung seines Vortrag zum Beginn seiner eigenen Beweisführung vorbehalten754.

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2. Plaintiff’s Case a) Darlegungs- und Beweislast aa) Die eigentliche Beweisaufnahme beginnt mit der Beweisführung des Klägers, die sich entsprechend seiner Darlegungslast – und soweit ihm nicht eine gesetzliche Vermutung zur Seite steht – in erster Linie auf die ihm günstigen Umstände beziehen wird, jedoch aufgrund der Einwände des Beklagten gelegentlich auch unmittelbar die Widerlegung des Beklagtenvortrages zum Gegenstand hat755. Dem Kläger ist die Einführung neuer Beweise nach Abschluss der Beweisführung durch den Beklagten 753 Das Gleiche gilt im Rahmen der Beweisführung selbst, in der es gleichfalls sinnvoll sein kann, Schwächen einzelner Beweismittel von vornherein im Rahmen des eigenen Beweisvortrages zu offenbaren und nicht erst dem Gegner zur Ausbeutung zu überlassen; es sei denn, diesem ist die betreffende Schwäche aller Voraussicht nach unbekannt oder ihm fehlt die Erfahrung, hieraus Kapital schlagen zu können. United States v. Cosentino, 844 F.2d 30 (2d Cir.), cert. denied, 488 U.S. 923 (1988). 754 Vgl. u. a. DISTRICT OF MAINE RULE 39(a) und CAL. CODE CIV.PROC. § 607.2 u. 4. 755 Eine Übersicht über die historische Entwicklung der Darlegungs- und Beweislastverteilung im common law-Prozess findet sich bei Weinstein, Mansfield, Abrams, Berger, Evidence, S. 1087-1090. Zu Gegenstand und Verteilung der Darlegungs- und Beweislast zwischen Kläger und Beklagtem je nach Verfahrensstand sowie zu den beiden Parteien jeweils zustehenden verfahrensbeendenden Anträgen dies. S. 1090-1096 u. 1120-1123 m. w. N. sowie Wegner, Fairbanks, Epstein & Chernow, Civil Trials and Evidence § 8:3519, § 8:3625-§ 8:3632, § 8:3644, § 8:3649-§ 8:3651, § 8:3656, § 8:3676 u. § 8:3677; zu den Auswirkungen gesetzlicher Vermutungen s. u. a. CAL. EV. CODE §§ 600-670.

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Trial und gerichtliche Beweiserhebung

nur in außerordentlich engen Grenzen gestattet; im Grundsatz muss er sämtliche eigenen Beweismittel von Anfang an in den Prozess einführen, wenn er sich nicht der Gefahr einer ungünstigen Entscheidung zumindest im Hinblick auf Einzelfragen aussetzen will756. 563

bb) Seiner Beweislast hat der Kläger genügt, wenn der Tatsachenrichter seinen Beweisvortrag für insgesamt überwiegend wahrscheinlich hält (preponderance of the evidence; more probable than not); einer Überzeugung jenseits jedes vernünftigen Zweifels (beyond reasonable doubt) bedarf es im Gegensatz zu der strafprozessualen Beweislast der Staatsanwaltschaft und z. B. des nach § 286 ZPO erforderlichen Überzeugungsgrades in aller Regel nicht757. b) Zeugenbefragung

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aa) Formal wird jedes einzelne Beweismittel durch eidliche Zeugenbefragung758 in das Verfahren eingeführt; dies gilt nicht nur für die in das Wis756 So ist z. B. im Rahmen eines Schadensersatzprozesses der Kläger nicht von vornherein zu der Darlegung verpflichtet, ob und wie er ggf. ihm obliegenden Sorgfaltspflichten nachgekommen ist. Beruft sich der Beklagte jedoch u. a. auf das Mitverschulden des Klägers, bedarf es bereits im Rahmen der klägerischen Beweisführung auch der Einführung von Beweisen zum sorgfältigen Handeln des Klägers. 757 James, Burdens of Proof, 47 VA.L.REV. 51 (1961). Zu einer eingehenden Erläuterung der verschiedenen Überzeugungsgrade des amerikanischen Beweisrechts vgl. United States v. Fatico, 458 F.Supp. 388 (E.D.N.Y. 1978), aff’d, 603 F.2d 1053 (2d Cir. 1979), cert. denied, 444 U.S. 1073 (1980); zur Belehrung der Jury über die Darlegungs- und Beweislast der Parteien im Einzelfall z. B. CAL. EV. CODE § 502. Insbesondere zur Beweisführung unter Heranziehung statistischer Wahrscheinlichkeitstheorien s. des Weiteren Keyes v. School District Number 1, 413 U.S. 189 (1973); Rosado v. Wyman, 322 F.Supp. 1173, 1180-1181 (E.D.N.Y.), aff’d, 437 F.2d 619 (2d Cir. 1970) m. zahlr. w.N.; People v. Collins, 438 P.2d 33, 36 (Cal. 1968) und hierzu Fairley & Mosteller, A Conversation About Collins, 41 UNIV.CHI.L.REV. 242 (1974) sowie Charrow & Smith, A Conversation About „A Conversation About Collins,“ 64 GEO.L.J. 669 (1976); allgemein des Weiteren Richard D. Friedman, Assessing Evidence, 94 MICH.L.REV. 1810 (1995) und Kaye, The Laws of Probability and the Law of the Land, 47 U. OF CHI.L.REV. 34 (1979). 758 Im fundamentalen Gegensatz zu dem in §§ 50 ff., 373 ff. und 445 ff. ZPO zum Ausdruck kommenden Verständnis kennt das amerikanische Beweisrecht keine Trennung von Parteien und (partei-unabhängigen) Zeugen; eine Partei – bzw. im Falle von juristischen Personen deren Führungspersonal – kann und wird in aller Regel auch Zeuge in eigener Sache sein. Ebenfalls im Gegensatz zu §§ 392, 395 ZPO ist die Zeugenvernehmung stets eine eidliche.

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Der Gang der Verhandlung

sen des Zeugen gestellten Tatsachen selbst, sondern auch für Urkunden und Augenscheinsstücke, deren Einführung jeweils bestimmter grundlegender Angaben eines insoweit kompetenten Zeugen bedarf (vgl. im Einzelnen nachf. Rn. 591 ff.). Die Beweisführung beginnt jeweils mit der Vernehmung des Zeugen durch den eigenen Anwalt des Klägers (direct examination), die in erster Linie dem Tatsachenbeweis selbst dient: Im Mittelpunkt der Befragung stehen der Zeuge selbst und seine Wahrnehmungen759. Dabei erfolgt die Vernehmung grundsätzlich in Form einzelner Fragen, die jeweils auf die Angabe von nicht mehr als einer einzigen Tatsache zielen. Pauschale Fragen oder Aufforderungen wie z. B. „Please describe in your own words everything that happened“ sind ebenso unzulässig und können im Einspruchswege gerügt werden wie solche Fragen, die die Erkundung zweier selbständiger Tatsachen zum Gegenstand haben (improper narrative bzw. compound question)760. Jede Frage muss des Weiteren inhaltlich auf Umständen aufbauen, zu denen entweder dieser Zeuge selbst schon ausgesagt hat oder die in anderer Form bereits Gegenstand der Beweisaufnahme waren; soweit der vernehmende Anwalt sich ausdrücklich auf solchermaßen bereits vorgebrachte Beweise bezieht, muss er sie zutreffend wiedergeben. Auch den Verstoß gegen diese Grundsätze kann der Gegner im Einspruchswege rügen („the question assumes facts not in evidence“ bzw. „the question misstates the evidence“). Unzulässig ist es darüber hinaus auch – etwa zur besonderen Heraushebung eines vorteilhaften Umstandes oder zur Disziplinierung eines unkooperativen, jedoch nicht die Antwort völlig verweigernden Zeugen –, dieselben Tatsachen zweimal, wenn auch in leicht veränderter Form, zu erfragen (repetitive, asked and answered) oder dieselben Tatsachen mit zwei verschiedenen Beweis-

759 Aufgrund der zentralen Bedeutung der direct examination für den Erfolg der eigenen Beweisführung wird i. Ü. eine genaue Vorbereitung jedes einzelnen Zeugen nicht nur als wünschenswert, sondern als absolute Notwendigkeit angesehen; wobei der Zeuge nicht nur allgemein auf seine Aussage eingestellt, sondern mit jeder einzelnen ihm in der direct examination gestellten Frage vertraut gemacht und auch so weit wie möglich auf das Kreuzverhör vorbereitet werden sollte. Ebenso tödlich wie ein schlecht vorbereiteter Zeuge ist allerdings ein solcher, der zu offensichtlich „gedrillt“ wirkt; deshalb werden auch (und gerade) gut vorbereitete Zeugen stets dazu angehalten, keine Antworten auswendig zu lernen, sich höflich, jedoch stets so auszudrücken, wie sie dies auch unter anderen Umständen tun würden, und sich von formelhaften und künstlichen Wendungen fernzuhalten. Zum Gegenstand der Zeugenvernehmung sowie zu den beweisrechtlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen s. i. Ü. auch nachf. Rn. 599 ff. 760 Grund hierfür ist nicht nur das Bemühen um die Vermeidung unerheblicher Informationen, sondern auch die Erkenntnis, dass die gezielte Stellung einzelner Fragen auch – bei etwa gleicher inhaltlicher Richtigkeit – wie eine Narrativ-Aussage zu einer vollständigeren Wiedergabe der relevanten Tatsachen führt.

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Trial und gerichtliche Beweiserhebung mitteln nachzuweisen, die über den Nachweis der fraglichen Umstände hinaus keinen jeweils eigenständigen Beweiswert haben (cumulative evidence). An sich eine Selbstverständlichkeit ist schließlich das Gebot, Fragen in klarer und verständlicher Weise zu stellen; auch insoweit kommt es jedoch immer wieder zu Einsprüchen (vague, unintelligible, misleading, ambiguous); insbesondere bei ohne konkreten Anknüpfungspunkt erfragten Größen-, Mengen- und Zeitangaben761.

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bb) Auf die Zeugenvernehmung durch den Klägervertreter folgt das Kreuzverhör (cross examination) durch den Anwalt des Beklagten, dessen Ziel die Korrektur des in der direct examination entstandenen Bildes ist: Im Mittelpunkt stehen nicht mehr die von dem Zeugen berichteten Wahrnehmungen selbst, sondern deren Glaubhaftigkeit und Verlässlichkeit, gegebenenfalls auch die Verlässlichkeit und Glaubwürdigkeit des Zeugen selbst, sowie diejenigen Tatsachen, die der Zeuge gerade nicht berichtet hat. Dabei ist der vernehmende Anwalt insbesondere auch um eine möglichst enge Kontrolle des Zeugen und der von ihm gegebenen Antworten bemüht762. Während zum Beispiel sogenannte leading questions, bei denen dem Zeugen eine bestimmte Antwort bereits mit der Frage selbst nahe gelegt wird, im Rahmen der direct examination grundsätzlich nicht gestattet sind763, stellen diese das Standardformat der cross 761 So ist einspruchsfähig z. B. die Frage nach der „Größe“ eines Unternehmens, wenn der vernehmende Anwalt nicht zugleich angibt, ob sich seine Frage auf dessen Mitarbeiterzahl, die Anzahl der Niederlassungen, den Jahresumsatz oder welche sonstigen Umstände bezieht. 762 Im Verfahren vor Gerichten, die den vernehmenden Anwälten nicht ein regelmäßig mittig vor der Richterbank positioniertes Vortragspult zuweisen und in denen es auch nicht üblich ist, dass der Anwalt auch während der Zeugenvernehmung seinen Platz auf der Seite seiner Partei behält, wird der vernehmende Anwalt im Rahmen der cross examination auch bemüht sein, sich so zu positionieren, dass er bereits physisch in den Augen der Jury die dominante Präsenz im Gerichtssaal darstellt. Im Rahmen der direct examination sollte die Jury den vernehmenden Anwalt hingegen so wenig wie möglich physisch wahrnehmen und ihre volle Aufmerksamkeit dem Zeugen selbst zuwenden können. 763 S. FRE Rule 611(c) u. CAL. EV. CODE § 767(a)(1). Ausnahmen hiervon gelten jedoch insbesondere dann, wenn es sich bei dem berufenen Zeugen ausnahmsweise nicht um einen im eigenen „Lager“ der Partei stehenden, sondern um einen Gegenzeugen handelt, dessen Aufruf aus taktischen Gründen nicht erst der Beweisführung durch den Gegner überlassen werden soll, der jedoch während seiner Vernehmung gerade aufgrund seiner stärkeren Identifikation mit dem Gegner auch einer besonderen Kontrolle bedarf, oder wenn ein für freundlich gesonnen oder neutral gehaltener Zeuge unerwarteterweise eine feindselige Haltung einnimmt (sog. adverse bzw. hostile witness). Vgl. CAL. EV. CODE § 776; United States v. Brown, 603 F.2d 1022, 1025-1026 (1st Cir. 1979).

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Der Gang der Verhandlung

examination dar; und regelmäßig wird bereits durch die Form der Fragestellung dem Tatsachenrichter signalisiert, dass der erfragte Umstand – aus welchen Gründen auch immer – in der direct examination keine Erwähnung gefunden hat764. Außer durch Art und Inhalt der Fragestellung kann der Beklagtenvertreter aber auch durch Einbringung anderer Umstände Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Zeugen oder der Glaubhaftigkeit seiner Aussage erwecken (impeachment). Insoweit kommt nicht nur der Vorhalt gegenteiliger früherer Äußerungen zu bestimmten Sachfragen in Betracht (prior inconsistent statements)765, sondern auch der Nachweis, dass der Zeuge an dem Inhalt seiner Aussage und dem Obsiegen der von ihm unterstützten Partei ein eigenes Interesse hat oder schlicht der anderen Partei gegenüber voreingenommen ist sowie – in begrenztem Umfang, jedoch über das nach Maßgabe des deutschen Beweisrechts Beachtliche hinaus – dass er z. B. aufgrund seiner Vergangenheit als Schwerverbrecher oder aufgrund seines nachweislich allgemein laxen Umgangs mit der Wahrheit insgesamt keine vertrauenswürdige Persönlichkeit darstellt766.

764 Aus dem gleichen Grunde gilt im Rahmen des Kreuzverhörs in besonderem Maße das Gebot, keine Frage zu stellen, deren wahrscheinliche Antwort man bereits im Voraus kennt. „Leading questions“ sind i. Ü. aber nicht nur die im Kreuzverhör besonders beliebten, mit der Floskel „Isn’t it true that … “ oder „Did you, or did you not … “ eingeleiteten Fragen, sondern schon diejenigen, mit denen dem Zeugen irgendeine Antwort unter Ausschluss anderer Möglichkeiten nahe gelegt wird. Vgl. CAL. EV. CODE § 764 u. Straub v. Reading Co., 220 F.2d 177 (3d Cir. 1955). Deshalb findet sich auch im Rahmen der direct examination zur Vermeidung von Einsprüchen gegen die Form der Fragestellung an vielen Stellen der Ausdruck „if anything“ („What, if anything, did you do/see/hear next?“ – andernfalls würde bereits die Formulierung der Frage die Möglichkeit ausschließen, dass der Zeuge überhaupt nichts getan oder wahrgenommen haben könnte); und aus dem gleichen Grunde sind besonders sorgfältige Anwälte auch generell darum bemüht, im Rahmen der direct examination ihre Fragen, soweit möglich, mit einem Interrogativpronomen einzuleiten. 765 Zur Verwendung von interrogatories in diesem Zusammenhang s. vorst. Rn. 425. 766 Vgl. FRE Rule 608 u. 609; zum Einsatz von Leumundszeugen zum Nachweis mangelnder Wahrheitsliebe als ggf. bedeutsamer Charakterschwäche s. des Weiteren nachf. Rn. 615. Vor einem solchen Angriff auf die Verlässlichkeit der Zeugenaussage ist allerdings eine Bekräftigung von deren Glaubwürdigkeit durch Anbringung zusätzlicher Beweismittel ausschließlich zu diesem Zweck nicht zulässig; erst nach der Diskreditierung der Aussage darf der Beweis geführt werden, der Zeuge sei gleichwohl glaubwürdig bzw. seine Aussage glaubhaft. Vgl. United States v. Price, 722 F.2d 88, 90 (5th Cir. 1983), cert. denied, 473 U.S. 904 (1985).

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Inhaltlich darf das Kreuzverhör den Rahmen der direct examination jedoch im Grundsatz nicht überschreiten (wird sich aber im Effektivitätsinteresse ohnehin nur auf ausgewählte, besonders wichtige Punkte beschränken)767.

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cc) Hält der Klägervertreter nach dem Ende des Kreuzverhörs, z. B. zum Ausgleich der durch das Kreuzverhör eingetretenen Nachteile, seinerseits die erneute Befragung des Zeugen für erforderlich, so wird er das Gericht um die Möglichkeit der redirect examination bitten, die ihrerseits inhaltlich durch den Umfang des Kreuzverhörs beschränkt ist. (Die sich gegebenenfalls an diese sodann anschließende recross examination des Beklagtenvertreters ist inhaltlich entsprechend durch den Umfang der redirect examination beschränkt.) Im Grundsatz kann die Zeugenbefragung auf diese Weise durch beständigen, stets weiter eingegrenzten Wechsel der anwaltlichen Fragestellungen unendlich fortgesetzt werden768; in der Praxis sind die jeweiligen Positionen jedoch spätestens nach der recross examination so klar eingegrenzt, dass jede weitere Befragung allenfalls den (natürlich tunlichst zu vermeidenden) Eindruck schlechter Prozessvorbereitung durch den betreffenden Anwalt erwecken würde. c) Anträge des Beklagten

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Hat der Kläger erklärt, dass er seine Beweisführung beendet habe („Plaintiff rests“), kann der Beklagte einen Antrag auf richterliche Klageabweisung stellen mit der Begründung, dass der Kläger mit den vorgelegten Beweisen seiner Beweislast selbst unter Berücksichtigung aller für ihn sprechenden Umstände nicht genügt habe, so dass eine Jury keine Tatsachenentscheidung zugunsten des Klägers treffen könne (motion for a judgment as a matter of law oder motion for a directed verdict); vgl. FRCP Rule 50(a)769. Der Prüfungsmaßstab ist damit insoweit in etwa der Gleiche wie im Rahmen einer summary judgment motion770. 767 Explizit geregelt ist die inhaltliche Beschränkung des Kreuzverhörs, z. B. in CAL. EV. CODE §§ 761, 773. 768 Ausdrücklich so z. B. CAL. EV. CODE § 772(a). 769 In den Prozessordnungen der Bundesstaaten ist dieser Antrag teilweise auch als motion for nonsuit bezeichnet, der entsprechende Antrag in einem Verfahren vor dem Richter allein demgegenüber als motion for judgment; vgl. z. B. CAL. CODE CIV.PROC. §§ 581c, 631.8. 770 Anderson v. Liberty Lobby, Inc., 477 U.S. 242, 250 – 251 (1986); zum Gegenstand der gerichtlichen Prüfung vgl. auch Galloway v. United States, 319 U.S. 372 (1943) sowie die Nachweise bei Baicker-McKee, Janssen, Corr, Federal Civil Rules Handbook, Authors’ Commentary on Rule 50(a) Fn. 7-17.

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Der Gang der Verhandlung In einem ohne Mitwirkung von Geschworenen stattfindenden Verfahren (bench trial, vgl. vorst. Rn. 554) steht dem Beklagten gemäß FRCP Rule 52(c) der Antrag zu, der Richter selbst möge in der Sache gegen den Kläger befinden, soweit dessen Vorbringen vollständig angehört worden ist und der Kläger seiner Darlegungs- und Beweislast nicht genügt hat (motion for a judgment on partial findings)771.

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Ist der Antrag nur hinsichtlich einzelner Tatsachenbehauptungen oder geltend gemachter Ansprüche begründet, jedoch die mangelnde Beweisführung ohne übergroßen Aufwand heilbar, kann das Gericht – anstelle dem Antrag insoweit stattzugeben – auch dem Kläger die Gelegenheit einräumen, weitere Beweise vorzubringen772. Des Weiteren muss das Gericht über den Antrag des Beklagten nicht sofort entscheiden, sondern es kann dessen Behandlung auch bis zum Schluss der Beweisaufnahme zurückstellen und wird dies häufig selbst dann tun, wenn es den Antrag für begründet hält, um die Notwendigkeit einer Wiederholung der Beweisaufnahme infolge einer aufhebenden Entscheidung des Rechtsmittelgerichts zu umgehen773. Wird der Antrag jedoch sofort gerichtlich beschieden, muss er im Verfahren vor den Bundesgerichten grundsätzlich nach Abschluss der Beweisaufnahme wiederholt werden, um auch Gegenstand einer etwaigen Rechtsmittelbegründung sein zu können774.

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3. Defendant’s Case Der Beweisführung durch den Kläger folgt diejenige durch den Beklagten, die der klägerischen in Form und Inhalt – mit umgekehrten Vorzeichen – entspricht und zum einen auf die Widerlegung der vom Kläger vorgebrachten Beweise gerichtet ist, zum anderen auf den Nachweis derjenigen Umstände, für die den Beklagten selbst die Darlegungs- und Beweislast trifft 771 S. insoweit z. B. Northeast Drilling, Inc. v. Inner Spaces Services, Inc., 243 F.3d 25, 37 (1st Cir. 2001) sowie Baicker-McKee, Janssen, Corr, Federal Civil Rules Handbook, Authors’ Commentary on Rule 52(c) m. zahlr. w.N. 772 Waters v. Young, 100 F.3d 1437, 1441 (9th Cir. 1996): Dies gilt aufgrund der dann erhöhten gerichtlichen Fürsorgepflicht insbesondere im Verhältnis zu nicht anwaltlich vertretenen Parteien. 773 Colonial Lincoln-Mercury, Inc. v. Musgrave, 749 F.2d 1092, 1098 (4th Cir. 1984). 774 United States v. Flintco Inc., 143 F.3d 955, 960 (5th Cir. 1998) und MacArthur v. University of Texas Health Center at Tyler, 45 F.3d 890 (5th Cir. 1995). Dies gilt nur dann nicht, wenn es zu einem grob unbilligen und materiell ungerechten Ergebnis führen würde; vgl. Little v. Bankers Life & Cas. Co., 426 F.2d 509, 511 (5th Cir. 1970). Zum Antrag nach FRCP Rule 50(b) (renewed motion for a judgment as a matter of law oder motion for judgment n.o.v.) s. i. Ü. nachf. Rn. 649 ff.

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Trial und gerichtliche Beweiserhebung

(insbesondere also alle Widerklageansprüche und affirmative defenses)775. Nach Schluss der Beweisführung durch den Beklagten steht dem Kläger seinerseits die Möglichkeit zu, einen Antrag nach FRCP Rule 50(a) oder 52(c) (bzw. den entsprechenden bundesstaatlichen Regelungen) zu stellen. 574

Des Weiteren kann der Kläger sodann in bestimmten Umfang neue Beweismittel einführen, die sich jedoch nicht auf Tatsachen beziehen dürfen, für die er gegebenenfalls erst aufgrund der Beweisführung des Beklagten seinerseits beweispflichtig geworden ist, die er aber von Anfang an hätte vorbringen können776, sondern nur der direkten Widerlegung der Tatsachenbehauptungen eines vom Beklagten aufgebotenen Zeugen dienen dürfen (rebuttal evidence)777. Der Beklagte kann der ergänzenden Beweisführung durch den Kläger seinerseits – in entsprechend noch engeren Grenzen – u. U. mit sogenannter rejoinder evidence entgegentreten.

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Wenn beide Parteien ihre Beweisführung vollständig abgeschlossen haben, können sie – und müssen, um sich ihre Rechte insoweit für die Geltendmachung im Rechtsmittelweg zu erhalten; vgl. vorst. Rn. 572 – jeweils erneut die bereits erörterten motions for a judgment as a matter of law (for a directed verdict) bzw. for a judgment on partial findings anbringen. Entscheidungsgrundlage ist jedoch insoweit auch nach dem Schluss der Beweisaufnahme nicht deren gesamtes Ergebnis – dieses unterliegt ausschließlich der Beurteilung durch den Tatsachenrichter, also im Grundsatz der Jury bzw. im bench trial dem Richter außerhalb der Grenzen des Antrags entsprechend FRCP Rule 52(c) –, sondern lediglich die vom jeweiligen Antragsgegner vorgebrachten Beweise, die unter weiterer Berücksichtigung nur der unstreitigen und unzweifelhaft erwiesenen Tatsachen selbst bei günstigster Betrachtungsweise nicht zur Erfüllung der Beweislast des Antragsgegners ausreichen dürfen. 4. Closing Arguments

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Wenn die Sache nicht auf einen der vorgenannten Parteianträge hin ohne Vorlage an die Jury entschieden worden ist, halten die Parteivertreter vor 775 Zum Gegenstand der affirmative defenses vgl. vorst. Rn. 347 ff. 776 Also in dem vorstehend Fn. 756 gebildeten Beispiel nicht die Erfüllung der eigenen Sorgfaltspflicht. 777 Dies ist z. B. der Fall, wenn ein Zeuge des Beklagten behauptet, eine bestimmte Beobachtung gemacht zu haben, und der Kläger seinerseits durch die Aussage eines neuen Zeugen unter Beweis stellt, dass (und warum) dem Zeugen des Beklagten die behauptete Wahrnehmung überhaupt nicht möglich war.

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Der Gang der Verhandlung

Beginn der Beratungs- und Entscheidungstätigkeit des Tatsachenrichters ihre Schlussplädoyers, bei denen sie insbesondere den Verlauf der Beweisaufnahme einer Würdigung unterziehen und – außer der Überzeugung der Jury – u. a. auch um die Darlegung bemüht sind, inwieweit sich ihre Ankündigungen in den opening statements bestätigt haben778. Im Gegensatz zu den Eröffnungsvorträgen ist ihnen die sachliche und rechtliche Argumentation – wie schon aus der Bezeichnung ersichtlich – im Rahmen der closing arguments nicht nur ausdrücklich gestattet, sondern bestimmt ganz weitgehend die Form des Vortrages. Es gelten insoweit lediglich diejenigen Grenzen, denen auch jede Zeugenbefragung (gleich ob im Rahmen der direct oder cross examination) unterworfen ist: Der plädierende Anwalt darf seine allgemeine Wahrheitspflicht nicht verletzen, keine falschen oder irreführenden Angaben zur Beweislage zu machen, und er hat sich von persönlichen Kommentaren über die Glaubwürdigkeit von Zeugen, die Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen und das allgemeine Beweisergebnis sowie von überzogener Polemik, Appellen (auch in indirekter Form) an etwaige Vorurteile der Geschworenen und von der Verunglimpfung des Gegners oder anderer Prozessbeteiligter fernzuhalten779. II. Grundzüge des Beweisrechts Der Regelfall der gerichtlichen Beweisaufnahme ist nach Maßgabe aller amerikanischen Prozessordnungen das trial by jury, d. h. die Beweiswürdigung durch einen typischerweise nicht juristisch geschulten Tatsa-

778 Soweit den Anwälten zu diesem Zeitpunkt bereits der Inhalt der der Jury vom Richter zu erteilenden Rechtsbelehrungen (jury instructions, vgl. nachf. Rn Rn. 626–627) oder die Fragestellungen im Rahmen eines special verdict (nachf. Rn. 634) bekannt sind, werden sie sich auf diese regelmäßig (allerdings häufig nur in genereller oder umschreibender Form) im Rahmen ihrer Schlussplädoyers beziehen, um der Jury die Erheblichkeit einzelner Beweismittel vor Augen zu führen. Grundsätzlich unzulässig ist es jedoch für Anwälte – und zwar zu jedem Zeitpunkt des Verfahrens; insbesondere auch im Rahmen des Schlussplädoyers –, in die richterliche Funktion dadurch einzugreifen, dass sie selbst den Geschworenen Hinweise und Belehrungen zur Rechtslage erteilen. Auch im Rahmen des voir dire darf nur generell erfragt werden, ob die venire-Mitglieder den richterlichen Anweisungen zur Rechtslage Folge leisten werden. 779 Ein unzulässiger persönlicher Kommentar ist z. B. die Bemerkung, der Anwalt (selbst) glaube dem Zeugen kein einziges Wort (sowie im Prinzip jede mit „I think,“ „I believe“ oder ähnlichen Formulierungen eingeleitete Feststellung). Zulässig ist demgegenüber die Argumentation, dem Zeugen sei in der Sache nicht zu glauben, weil er sich in bestimmte (im Einzelnen dargelegte) Widersprüche verwickelt habe.

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chenrichter780. Hieraus und aufgrund der gerichtlichen Fürsorgepflicht – sowohl gegenüber den Parteien als auch gegenüber den Geschworenen – ergibt sich die Notwendigkeit einer gewissen Kontrolle über die Beweisführung der Parteien: Möglichst nur nach Art und Inhalt hinreichend verlässliche Beweismittel sollen von der Jury als Entscheidungsgrundlage berücksichtigt werden. Deshalb unterliegt jedes Beweismittel nicht nur – wie auch nach Maßgabe von § 286 Abs. 1 ZPO – in seinem jeweiligen Gewicht einer Würdigung, die zum Kernbestand des Entscheidungsprärogativs der Jury gehört, sondern (im diametralen Gegensatz zu § 286 Abs. 2 ZPO) darüber hinaus der richterlichen Zulässigkeitskontrolle nach Maßgabe feststehender, zumeist außerhalb der jeweiligen Prozessordnung kodifizierter und ganz überwiegend gleichermaßen für Zivil- wie für Strafprozesse geltender Beweisregeln. Auf Bundesebene sind dies die 1975 in Gesetzesform erlassenen FEDERAL RULES OF EVIDENCE, deren Erläuterung hier stellvertretend auch für diejenige der zumeist ähnlichen Regelungen der Bundesstaaten stehen soll. 578

Im Rahmen eines ohne Mitwirkung einer Jury abgehaltenen bench trial gelten die Regeln des Beweisrechts in entsprechender Anwendung, d. h. dort entscheidet der Richter sowohl (zunächst) über die Zulässigkeit als auch – später im Rahmen seiner Sachentscheidung – über den sachlichen Beweiswert der vorgebrachten Beweismittel. 1. Zulässigkeit von Beweismitteln und Einspruchserhebung

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Von den Anwendungsfällen der Regeln über die judicial notice und über die Berücksichtigung ausländischen Rechts abgesehen (vgl. insoweit nachf. Rn. 621 ff. u. 625), wird das Gericht auch im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung einzelner Beweismittel nicht von Amts wegen tätig, sondern in erster Linie obliegt auch insoweit die Geltendmachung der Unzulässigkeit dem Prozessgegner des Beweisführers. a) Verfahren

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aa) Soweit einer Partei die Absicht ihres Gegners, sich auf bestimmte Beweismittel zu berufen, schon im Voraus bekannt ist, kann (und sollte) sie ihre Einwände hiergegen ebenfalls bereits möglichst vorzeitig anbringen; und zwar regelmäßig entweder in Form eines Antrages, die betreffenden Beweismittel auszuschließen (motion in limine; gebräuchlich ist es, 780 Zur Berufung von Juristen zum Geschworenendienst vgl. vorst. Rn. 552.

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Der Gang der Verhandlung

diese entweder in Vorbereitung der [final] pretrial conference oder zu Beginn des ersten Tages des trial anzubringen781) oder während der Erörterungen im Rahmen der (final) pretrial conference selbst, mit dem Ziel der Aufnahme einer entsprechenden Anordnung in den aus Anlass dieser Erörterungen erlassenen pretrial order. Während der Beweisaufnahme selbst erfolgt die Geltendmachung von Einwendungen gegen die Zulässigkeit eines Beweismittels insgesamt oder einzelner einem Zeugen gestellter Fragen sodann durch Einspruchseinlegung (objection); gelangen trotz des Einspruchs unzulässige Informationen ins Protokoll, auch durch einen sofortigen Streichungsantrag (motion to strike)782. bb) Die gerichtliche Entscheidung über motions in limine erfolgt aufgrund von deren Zweckbestimmung, unzulässige Beweismittel nach Möglichkeit gar nicht erst dem Tatsachenrichter zugänglich zu machen, regelmäßig entweder in Abwesenheit der Jury oder außerhalb von deren Hörweite in einer sogenannten side bar conference unter Beteiligung lediglich des Richters, der Protokollführerin und der Anwälte; vgl. FRE Rule 104(c). Das Gleiche gilt stets dann, wenn sich eine Partei zu Beweiszwecken auf ein strafprozessuales Geständnis berufen will (FRE Rule 104[c]) sowie – soweit praktikabel – auch für die Entscheidung über während der Beweisaufnahme erhobene Einsprüche und Streichungsanträge; vgl. FRE Rule 103(c)783.

781 Schriftform ist zwar insoweit nicht notwendigerweise stets vorgeschrieben (anders jedoch z. B. D. HI. R. 16.9), sollte jedoch sowohl um der Stärke der Argumentation willen als auch dann, wenn beabsichtigt ist, die Zurückweisung des Antrags ggf. zur Grundlage eines Rechtsmittels gegen die Endentscheidung zu machen, tunlichst eingehalten werden; wird der Antrag allerdings schriftlich gestellt, hat der Gegner zumeist mindestens einige Tage Zeit, hierzu Stellung zu nehmen. 782 Dieser Antrag ist jedoch von dem gleichnamigen, auf die Streichung sachfremden Materials aus den pleadings gerichteten Antrag nach FRCP Rule 12(f) streng zu unterscheiden. Vgl. insoweit vorst. Rn. 354. 783 Macht der Beweisführer geltend – insbesondere auf einen auf Relevanzgründe gestützten Einspruch hin, vgl. nachf. Rn. 584 ff. –, dass sich die Zulässigkeit des Beweismittels aus dessen Zusammenhang mit einem aus Organisationsgründen notwendigerwise später einzubringenden Beweis ergebe (sog. connecting up), so kann das Gericht das Beweismittel auch zunächst nur bedingt unter der Voraussetzung des späteren Nachweises des solchermaßen behaupteten Zusammenhangs zulassen; vgl. FRE Rule 104(b) (conditional relevancy). Soweit nicht bereits von Seiten des Gerichts verlangt, sollte zumindest der Gegner des Beweisführers in diesem Fall stets auf einem sofortigen, detaillierten Beweisangebot (offer of proof) zu dem erst später einzuführenden Beweis-

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Auch das Ziel der Einspruchseinlegung (bzw. des diese ergänzenden Streichungsantrages) ist nicht nur der Ausschluss unzulässiger Beweismittel von der Jury, sondern darüber hinaus die Schaffung einer Grundlage für später gegen die Endentscheidung einzulegende Rechtsmittel. Allerdings wird es nicht in jedem Fall geraten sein, einen möglichen Einspruch auch tatsächlich zu erheben, denn ein solcher unterbricht notwendigerweise den Fluss der Verhandlung. Es bedarf deshalb stets der (in Sekundenschnelle zu treffenden) Abwägung der Schädlichkeit des angebotenen Beweismittels einerseits und der tatsächlichen und rechtlichen Erfolgsaussichten des Einspruchs andererseits: Zu viele grundlos erhobene Einsprüche können sich ebenso nachteilig auswirken wie die weitgehende Unterlassung von Einsprüchen überhaupt; beide Verhaltensweisen erwecken nicht nur den Eindruck der Inkompetenz, sondern sind darüber hinaus auch geeignet, die Aufmerksamkeit der Jury unnötigerweise gerade auf die der jeweils eigenen Partei schädlichen Umstände zu lenken, anstatt deren Bedeutung zu minimieren.

b) Einspruchsform und -inhalt 583

aa) In jedem Fall sollte der Einspruch sofort erhoben und – wenn auch nur stichwortartig – mit einer Begründung versehen werden, denn nur in diesem Fall unterliegt seine Zurückweisung grundsätzlich der Prüfung des Rechtsmittelgerichts; es sei denn, die Gründe für den Einspruch seien im Einzelfall für Gericht und Gegner offensichtlich gewesen784. Aus diesem Grunde ist es so gut wie nie ausreichend, schlicht aufzustehen und den Einspruch als solchen zu Protkoll zu geben oder sich auf einen zu einem früheren Zeitpunkt erhobenen allgemeinen Einspruch gegen bestimmte Fragen oder Beweismittel zu berufen. Wird ein Beweismittel auf den Einspruch des Gegners hin ausgeschlossen, so bedarf es des Weiteren zur Erhaltung der Rechtsmittelfähigkeit einer sofortigen Bitte um erneute Prüfung der Frage unter Berücksichtigung eines sodann anzutretenden Beweisangebots zu Inhalt und Bedeutung des ausgeschlossenen Beweismittels (offer of proof, s. FRE Rule 103[a][2]). Beachtlich in der Rechtsmittelinstanz ist die Entscheidung über einen Einspruch allerdings auch bei Einhaltung aller insoweit geltender Verfahrensregeln nur dann, wenn sie sich erkennbar auf die Entscheidung der Jury ausgewirkt oder anderweitig der von der Zulassung betroffenen Partei schwerwiemittel bestehen. Eingehend zur Regelung des Verfahrens insoweit z. B. CAL. EV. CODE §§ 400-405. 784 FRE Rule 103(a)(1) sowie Kasper v. Saint Mary of Nazareth Hospital, 135 F.3d 1170, 1176 (7th Cir. 1998); Krieger v. Fadely, 211 F.3d 134 (D.C. Cir. 2000). Im Einzelfall kann das Rechtsmittelgericht die mangelnde Einspruchserhebung auch unbeachtet lassen, wenn die Zurückweisung des Rechtsmittels aus diesem Grunde zu einer grob unbilligen und materiell ungerechten Entscheidung führen würde; vgl. Sibbach v. Wilson & Co., 312 U.S. 1, 16 (1941).

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gende Nachteile zugefügt hat; ist dies nicht der Fall, wird ein allein auf die irrtümliche Entscheidung als solche gestütztes Rechtsmittel regelmäßig erfolglos bleiben785. 2. Beweiserheblichkeit a) Grundsatz Kardinalvoraussetzung der Zulassung jedes Beweismittels ist gemäß FRE Rule 402 dessen Beweiserheblichkeit (relevance), die nach der Legaldefinition in FRE Rule 401 dann gegeben ist, wenn es das Vorliegen oder Nichtvorliegen eines entscheidungserheblichen Umstandes mehr oder weniger wahrscheinlich erscheinen lässt786. Fragen der Beweiserheblichkeit stellen sich insbesondere im Zusammenhang mit der Indizienbeweisführung (circumstantial evidence) und sind oftmals schon vor Beginn der Beweisaufnahme absehbar; in diesen Fällen sollten sie zweckmäßigerweise im Wege einer motion in limine oder im Rahmen der (final) pretrial conference angesprochen werden787.

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b) Beweismittel mit überwiegend präjudizieller oder irreführender Wirkung aa) Im Grundsatz nach diesen Vorschriften zulässige Beweismittel können im Einzelfall jedoch dann ausgeschlossen werden, wenn ihre irreführende, schockierende oder grob präjudizielle Wirkung ihren Beweiswert als solchen deutlich übersteigt (FRE Rule 403)788. Insoweit bedarf es einer Abwägung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere auch unter Berücksichtigung der Möglichkeit, dieselben Tatsachen auf andere Weise unter Beweis zu stellen789. Im Allgemeinen üben die Gerichte jedoch 785 Vgl. FRCP Rule 61, FRE Rule 103(a) u. CAL. EV. CODE §§ 353, 354 sowie Hynes v. Coughlin, 79 F.3d 285, 291 (2d Cir. 1996); zu weiteren Nachweisen aus der insoweit stark einzelfallbezogenen Rechtsprechung s. Baicker-McKee, Janssen, Corr, Federal Civil Rules Handbook, Authors’ Commentary on Rule 61 Fn. 11-21. 786 Ähnlich z. B. auch CAL. EV. CODE §§ 210, 350 u. 351. 787 S. vorst. Rn. 492 ff.; zur Beweislast bei der Indizienbeweisführung vgl. In re Winship, 397 U.S. 358, 369-372 (1970). 788 Ähnlich z. B. CAL. EV. CODE § 352. 789 Old Chief v. United States, 117 S.Ct. 644 (1997); vgl. jedoch Robbins v. Whelan, 653 F.2d 47, cert denied, 454 U.S. 1123 (1981): Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung und Anordnung einer Wiederholung der Beweisaufnahme bei irrtümlichem Ausschluss von Beweismitteln nach Maßgabe von

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große Vorsicht in der Anwendung dieser Vorschrift und der vergleichbaren bundesstaatlichen Regelungen; insbesondere ist nicht bereits die (auch: sehr präjudizielle) Wirkung des angebotenen Beweismittels als solche geeignet, dessen Ausschluss herbeizuführen790. c) Weitere Sonderregeln 586

Besondere Vorschriften gelten schließlich auch für die Beweisführung über den Charakter einer Partei oder eines Zeugen (vgl. insoweit Rn. 615), über dessen Gewohnheiten oder nachträgliche von diesem vorgenommene Abhilfemaßnahmen sowie über den Inhalt von Vergleichsverhandlungen und das Bestehen von Haftpflichtversicherungsverträgen.

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aa) Der Nachweis der Gewohnheiten einer Partei oder eines Zeugen ist zulässig als Indizienbeweis für den Umstand, dass der Betreffende auch im Rahmen des streitgegenständlichen Sachverhalts seiner Gewohnheit entsprechend gehandelt hat; vgl. FRE Rule 406791. Auch wenn die Verhaltensweisen des Betreffenden nicht die Regelmäßigkeit gewöhnlichen Handelns aufweisen, kann die diesbezügliche Beweisführung zulässig sein, wenn die in seinen Handlungen zum Ausdruck kommende Gleichförmigkeit Anhaltspunkte für sein Verhalten gerade auch im Rahmen des streitgegenständlichen Sachverhalts bietet792.

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bb) Die Beweisführung über einem Schadensereignis folgende Abhilfemaßnahmen ist unzulässig zum Nachweis der schuldhaften Schadensverursachung durch den Urheber solcher Maßnahmen; diese können jedoch zum Beweis anderer Umstände wie z. B. dessen Eigentum oder Besitz an der schadensverursachenden Sache herangezogen werden (vgl. FRE Rule 407).

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cc) Zur Förderung der gütlichen Beilegung von Rechtsstreitigkeiten ist des Weiteren die Beweisführung über jegliche während einer Vergleichsverhandlung getätigten Äußerungen unzulässig; insbesondere also auch über Geständnisse aller Art, vgl. FRE Rule 408. Das Gleiche gilt – im Rahmen eines Straf- wie auch eines Zivilprozesses – auch für strafrechtliche Schuldeingeständnisse (FRE Rule 410), für die oftmals insbesondere im Rahmen von Schadensersatzprozessen wegen der Zufügung körperlicher oder psychischer Schäden zu Vergleichszwecken gemachten FRE Rule 403, wenn die Position der unterlegenen Partei hierdurch wesentlich geschwächt wird. 790 United States v. Pirolli, 673 F.2d 1200 (11th Cir.), cert. denied, 459 U.S. 871 (1982). 791 S. z. B. Halloran v. Virginia Chemicals, Inc., 41 N.Y.2d 386 (1977) (Nachweis regelmäßig fahrlässigen Umgangs mit explosiven Chemikalien durch den Kläger im Rahmen des Mitverschuldensbeweises). 792 Vgl. FRE Rule 404(b) u. z. B. Dallas Railway & Terminal Co. v. Farnsworth, 148 Tex. 584 (1950) (Fahrverhalten eines Straßenbahnführers bis zu dem von ihm verschuldeten schädigenden Ereignis).

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Der Gang der Verhandlung Angebote zur Übernahme von Heilbehandlungskosten (FRE Rule 409)793 sowie nach den Gesetzen solcher Bundesstaaten, die ein Mediationsverfahren zur gütlichen Beilegung von Rechtsstreitigkeiten vorsehen, auch für die während solcher Verfahren zustande gekommenen Vereinbarungen und anderweitig getätigten Äußerungen, es sei denn, alle Parteien erklären sich ausdrücklich mit der Weitergabe dieser Informationen einverstanden794. dd) Zur Vermeidung unzulässiger Rückschlüsse auf das gegebenenfalls schuldhafte Handeln einer Partei ist schließlich auch das Bestehen von Haftpflichtversicherungsverträgen kein zulässiger Gegenstand der Beweisführung; es sei denn, der Nachweis des betreffenden Vertrages werde zu anderen Zwecken wie z. B. demjenigen des Eigentums oder Besitzes an dem schadensverursachenden Gegenstand, eines etwa bestehenden Vertretungsverhältnisses oder des Interesses eines Zeugen am Ausgang des Rechtsstreits geführt; vgl. FRE Rule 411.

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3. Urkunden, Augenscheinsstücke, Telefonate und Tonaufnahmen a) Echtheitsnachweis Im Gegensatz zum deutschen Beweisrecht, in dem es des Nachweises der Echtheit einer Urkunde grundsätzlich erst dann bedarf, wenn diese ausdrücklich bestritten wird, gilt im amerikanischen Recht keinerlei Echtheitsvermutung; vielmehr kann (und muss) ein Beweisstück grundsätzlich auf entsprechenden Einspruch zurückgewiesen werden, wenn seine Echtheit nicht hinreichend bewiesen ist (authentication)795. Rechtlich besteht insoweit kein Unterschied zwischen Urkunden und Augenscheinsbeweisstücken (vgl. FRE Rule 901 u. 902): Beide werden einheitlich als „exhibits“ bezeichnet, und hinsichtlich beider Beweisarten erfolgt der Echtheitsnachweis durch die Aussage eines Zeugen, der mit dem Beweisstück persönlich vertraut ist und zu seiner Authentizität verlässlich aussagen kann.

591

Dabei wird jedes Beweisstück zunächst zu Identifikationszwecken gekennzeichnet796; sodann erhält der Gegenanwalt die Gelegenheit zur Einsichtnahme, und

592

793 Auf der Ebene der Bundesstaaten bestehen insoweit im Einzelfall noch weitere Schutzvorschriften, vgl. z. B. CAL. EV. CODE § 1153.5 i. V. m. CAL. CODE CIV.PROC. § 33 u. CAL. PENAL CODE §§ 450 ff. (Vereinbarungen über den monetären Ausgleich von durch eine Vermögensstraftat verursachten Schäden). 794 Vgl. z. B. CAL. EV. CODE §§ 1115-1128. 795 Die FEDERAL RULES OF EVIDENCE gehen von der grundsätzlichen Notwendigkeit des Echtheitsnachweises stillschweigend aus und regeln lediglich die Beweisführung als solche; ausdrücklich kodifiziert ist das Erfordernis aber z. B. in CAL. EV. CODE § 1401. 796 „Plaintiff’s/Defendant’s Exhibit #1 (2, 3 etc.) for identification.“

285

Trial und gerichtliche Beweiserhebung erst danach wird das Beweisstück dem Zeugen vorgelegt und dieser zu seiner Kenntnis über die betreffende Urkunde oder den betreffenden Gegenstand befragt; bei Schriftstücken insbesondere auch zu seiner Kenntnis über die darauf befindlichen Unterschriften797. Auf der Grundlage seiner Aussage wird das Schriftstück oder der Gegenstand schließlich zu Beweiszwecken angeboten798 und, soweit nicht einem Einspruch des Gegners stattgegeben wird, vom Gericht zum Beweis zugelassen („marked in evidence,“ „admitted in evidence“). Erst danach wird das Beweisstück der Jury vorgelegt (oder bei Urkunden, ganz oder teilweise vorgelesen)799.

b) Geschäftsunterlagen 593

Geschäftsunterlagen – insbesondere Korrespondenz, andere Urkunden und Aktenstücke – werden in aller Regel zum Wahrheitsbeweis der darin enthaltenen Tatsachen in das Verfahren eingeführt und fallen damit hinsichtlich der in ihnen enthaltenen (naturgemäß außergerichtlichen) Erklärungen im Prinzip unter die Hörensagen-Beweisregeln, vgl. nachf. Rn. 607 ff., stellen jedoch eine anerkannte Ausnahme von dem allgemeinen Verbot dieser Beweisführung dar, wenn und soweit sie im Zuge des 797 Zu den Einzelheiten s. insoweit z. B. CAL. EV. CODE §§ 1410-1421. Insbesondere soweit das Beweisstück zwischenzeitlich durch verschiedene Hände gegangen ist, bedarf es darüber hinaus des Nachweises, dass tatsächlich ein- und derselbe Gegenstand von einer Person an die nächste weitergegeben wurde (chain of custody); insoweit kann – z. B. bei indossierten Wertpapieren sowie bei Laboruntersuchungen und anderen wissenschaftlichen Methoden, die den unmittelbaren Umgang mit dem Beweisstück selbst zum Gegenstand haben – auch die Aussage mehrerer damit jeweils befasster Zeugen erforderlich sein. 798 „Plaintiff’s/Defendant’s Exhibit #1 (2, 3 etc.) is offered in evidence.“ 799 Insbesondere in jury trials hat sich darüber hinaus seit längerem die Verwendung großer Schautafeln oder Projektionsbildschirme eingebürgert, auf denen Schriftstücke – auch unter besonderer Hervorhebung der entscheidungserheblichen Ausschnitte – sowie Photographien und Grafiken, gleich ob es sich bei den Letzteren um bereits vorhandenes oder ggf. erst zu Demonstrationszwecken im Rahmen der Beweisaufnahme erstelltes Material handelt, besonders einprägsam dem Tatsachenrichter nahe gebracht werden können. Aufgrund des hiermit verbundenen Showeffekts ist allerdings insbesondere im Rahmen eines bench trial Vorsicht im Umgang mit dieser Art der Beweisführung geboten (nicht jeder Richter sieht sich gern mit einer dermaßen ausdrucksstarken Präsentation konfrontiert, und seine Reaktion kann von leichter Skepsis bis zu offenem Misstrauen und Unwillen reichen) – in diesem Fall mag es klüger sein, lediglich das eigentliche Beweisstück selbst dem Richter vorzulegen. Im Grundsatz ist die Verwendung von visueller Hilfsmittel jedoch im Rahmen jeder Beweisaufnahme zulässig, und insbesondere im Rahmen von jury trials wird sie von vielen Anwälten auch als unverzichtbar angesehen. Kritisch hierzu Milwid, The Misuse of Demonstrative Evidence, 28 INS.COUNSEL J. 435 (1961).

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Der Gang der Verhandlung

allgemeinen Geschäftsbetriebes des betreffenden Unternehmens und zeitnah zu den in ihnen beschriebenen Vorgängen von einer Person erstellt worden sind, die von jenen Vorgängen persönliche Kenntnis hat oder die Wahrnehmungen eines Dritten mit persönlicher Kenntnis von den Vorgängen schriftlich niederlegt (vgl. FRE Rule 803[6]). Auch Geschäftsunterlagen bedürfen allerdings grundsätzlich der Einführung durch einen geeigneten Zeugen (sog. records witness), der nicht nur persönliche Kenntnis von der Herstellung der fraglichen Schriftstücke selbst, sondern auch von der Aktenführung des betroffenen Unternehmens im Allgemeinen haben und deshalb im Einzelnen nicht nur zur Authentizität der Urkunden, sondern auch zu deren Zustandekommen und Zugehörigkeit zu den Geschäftsunterlagen des betroffenen Unternehmens aussagen können muss800. c) Öffentliche Urkunden Öffentliche Urkunden und Aktenstücke hingegen sind mit einer Echtheitsvermutung ausgestattet, die die Vernehmung eines Zeugen zum Nachweis ihrer Authentizität entbehrlich macht. Diese Urkunden werden regelmäßig bereits durch Vorlage einer beglaubigten Abschrift – bei ausländischen Urkunden gegebenenfalls auch verbunden mit einer amtlichen Bestätigung der zuständigen Auslandsvertretung der Vereinigten Staaten – wirksam zu Beweiszwecken in den Prozess eingeführt; vgl. FRCP Rule 44 und FRE Rule 902(1) – (4)801.

594

d) Telefonate und Tonaufnahmen Das Erfordernis eines Echtheitsnachweises gilt demgegenüber entsprechend jedoch auch für Zeugenaussagen zum Inhalt eines nicht persönlich geführten Gesprächs (also i.d.R. eines Telefonats) und zu einer Tonaufnahme; vgl. FRE Rule 901(b)(5) u. (6)802. Insoweit bedarf es entweder des Nachweises, dass der hierzu aussagende Zeuge die Stimme am anderen Ende der Leitung oder auf dem Tonband aufgrund seiner bereits vorhandenen Kenntnis um die Person des Sprechers wiedererkannt hat oder dass er 800 Im Einzelnen s. insoweit z. B. CAL. EV. CODE §§ 1560-1566. 801 Zu den Einzelheiten vgl. insoweit Baicker-McKee, Janssen, Corr, Federal Civil Rules Handbook, Authors’ Commentary on Rule 44. 802 Ähnlich CAL. EV. CODE § 250, wonach als „Urkunde“ (writing) jede in körperlicher Form festgehaltene Aufzeichnung einer Kommunikation gilt, auch wenn es sich dabei um eine Tonaufnahme oder eine elektronische Aufnahme handelt.

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Trial und gerichtliche Beweiserhebung

den Sprecher nachträglich kennen gelernt hat; oder, bei Gesprächen mit Fremden, dass und warum er bestimmte verlässliche Annahmen über die Identität seines Gesprächspartners machen konnte803. War der zu einer Tonaufnahme aussagende Zeuge selbst die Person, die diese hergestellt hat, so wird es in aller Regel darüber hinaus auch einiger Angaben zu Art und Verlässlichkeit des Aufnahmegeräts bedürfen804. e) Originalitätsnachweis 596

aa) Nach traditionellem Verständnis bedurfte es bei der Beweisführung durch Urkunden und Tonaufnahmen grundsätzlich der Vorlage des Originals; Kopien durften nur verwendet werden, wenn das Original nicht verfügbar war und seine Unverfügbarkeit hinreichend erklärt wurde (sog. best evidence rule). Während sich vergleichbare Regelungen nach wie vor im Beweisrecht einer Reihe von Bundesstaaten wiederfinden805, sehen die FEDERAL RULES OF EVIDENCE demgegenüber eine Lockerung dahin gehend vor, dass – mit Ausnahme eines z. B. aus einem Fälschungsvorwurf resultierenden Streits um die Echtheit der Urkunde oder der Tonaufnahme oder die Verlässlichkeit des vorgelegten Duplikats – grundsätzlich die Beweisführung durch Vorlage von Kopien zulässig ist (vgl. FRE Rule 1001 – 1003)806. Üblich ist allerdings auch im Verfahren vor den Bundesgerichten noch weitgehend die Beweisführung durch Vorlage der jeweiligen Originalurkunden, soweit diese verfügbar sind, um einen potentiel803 Hat eine der Personen, deren Stimmen auf der Tonaufnahme zu vernehmen sind, jedoch selbst anderweitig als Zeuge ausgesagt, kann die Jury – soweit der Richter die Aufnahme auch unabhängig von einer zeugenschaftlichen Identifikation der auf ihr enthaltenen Stimmen nach Maßgabe von FRE Rule 104(b) zulässt – auch selbst einen Vergleich zwischen der Tonaufnahme und der im Sitzungssaal vernommenen Stimme des Zeugen vornehmen; vgl. United States v. Sliker, 751 F.2d 477 (2d Cir. 1984), cert. denied, 470 U.S. 1058 (1985). 804 Bei Grafiken, Photographien und Videoaufnahmen kommt es demgegenüber vor allem auf die Verlässlichkeit der Kameraperspektive an; der hierzu aussagende Zeuge muss die Aufnahme nicht selbst hergestellt haben, jedoch bestätigen können, dass diese die von ihm wahrgenommene Szene im Wesentlichen zutreffend wiedergibt. Mauet, Trial Techniques, § 5.3.3 sowie United States v. Wanoskia, 800 F.2d 235 (10th Cir. 1986) und Knihal v. State, 150 Neb. 771 (1949); insbesondere zum Beweiswert von Experimenten des Weiteren Hall v. General Motors Corp., 647 F.2d 175 (D.C. Cir. 1980). 805 Vgl. z. B. 233 M.G.L. §§ 78-79E (Massachusetts). 806 Ähnlich wie die bundesrechtliche Regelung z. B. CAL. EV. CODE §§ 1520-1523 (Kalifornien), N.Y.C.P.L.R. § 4539 (New York), HRS 0626-0001-1001-1003 (Hawaii), M.R.E. §§ 1001-1003 (Mississippi) u. PA. CODE 225 R. 1001-1003 (Pennsylvania).

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Der Gang der Verhandlung

len Streit um die Beweiskraft etwaiger Kopien von vornherein auszuschließen. bb) Von der Vorlage des Originals kann abgesehen werden, wenn dieses verloren, zerstört oder unauffindbar ist, wenn der im Besitz der Originalurkunde befindliche Gegner des Beweisführers aufgrund von dessen schriftsätzlichem Vortrag die Notwendigkeit des Urkundenbeweises erkennen konnte und sich gleichwohl weigert, das Original vorzulegen, oder wenn die fragliche Urkunde oder Tonaufnahme nicht im Hinblick auf die hauptsächlichen Streitfragen des jeweiligen Falles entscheidungserheblich ist (FRE Rule 1004). Unter diesen Voraussetzungen ist die Beweisführung zu ihrem Inhalt nicht nur durch Vorlage von Kopien, sondern gegebenenfalls auch durch andere Beweismittel wie z. B. durch Zeugenaussagen zum Inhalt der Urkunde oder Tonaufnahme zulässig.

597

f) Parol Evidence Rule Nicht im eigentlichen Sinne um eine Beweisvorschrift, sondern um einen Grundsatz des materiellen Rechts – jedoch wegen seines engen Zusammenhanges mit beweisrechtlichen Problemen einen zumeist auch in diesem Rahmen diskutierten – handelt es sich bei dem Gedanken, dass nachträgliche Änderungen oder gleichzeitige Zusatzvereinbarungen zu einem schriftlichen Vertrag zu ihrer Wirksamkeit ebenfalls der Schriftform bedürfen; Beweismittel, die sich auf lediglich mündlich oder konkludent getroffene Zusatzabreden beziehen, sind grundsätzlich unbeachtlich. Diese sogenannte parol evidence rule ist in vielen Bundesstaaten ausdrücklich kodifiziert (vgl. z. B. CAL. CODE CIV.PROC. § 1856); auch die hierauf gestützten Einwände sind regelmäßig schon lange vor Beginn der gerichtlichen Beweisaufnahme erkennbar und werden dementsprechend nicht erst Gegenstand eines in deren Verlauf erhobenen Einspruchs, sondern zumindest einer motion in limine, wenn nicht sogar bereits der summary judgment motion sein.

598

4. Zeugenaussagen Dem Zeugenbeweis kommt im amerikanischen Prozessrecht schon deshalb eine zentrale Rolle zu, weil dieser Art der Beweisführung nicht nur der Nachweis der eigentlichen Wahrnehmungen des Zeugen, sondern auch derjenige der Authentizität jeder zu Beweiszwecken in den Prozess eingeführten Urkunde sowie jedes Augen- und Ohrenscheinsstückes unterliegen. Gerade aus diesem Grunde sind sich auch amerikanische Ge289

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Trial und gerichtliche Beweiserhebung

richte und Anwälte der Unzuverlässigkeit dieses Beweismittels sehr wohl bewusst. Physische, zeitliche und örtliche Einschränkungen der Wahrnehmungsfähigkeit des Zeugen, dessen Erinnerungsfähigkeit und Wahrheitsliebe sowie äußere Faktoren wie der durch oder gleichzeitig mit der Wahrnehmung erlebte Stress, die Verlässlichkeit der ihm zu Identifikationszwecken vorgelegten Vergleichsobjekte (z. B. Photos), das Ausmaß der Neutralität der Formulierung der ihm bei der Vernehmung gestellten Fragen sowie die ethnische Verschiedenheit des Zeugen von der wahrgenommenen Person sind nur einige der Faktoren, die Richter und Geschworene in fast jedem Prozess zu berücksichtigen zu haben und die einen erheblichen Bestandteil anwaltlicher Argumentation ausmachen807. Gleichwohl – und trotz der vor allem im Hinblick auf sogenannte Identifikationszeugen seit langem bestehenden Schutzrechte wie insbesondere das Recht eines strafprozessualen Beschuldigten auf Anwesenheit seines Anwalts bei Gegenüberstellungen808 – liegt es im Wesentlichen im Ermessen des Richters, ob und inwieweit er die Jury im Rahmen seiner Belehrungen (jury instructions; vgl. nachf. Rn. 626) auf die die Zuverlässigkeit einer Aussage beeinflussenden Faktoren hinweisen will809; und amerikanische Gerichte sind nach wie vor auch sehr zurückhaltend in der Zulassung des Sachverständigenbeweises zu dieser Frage810. 600

Die FEDERAL RULES OF EVIDENCE und die diesen entsprechenden bundesstaatlichen Regelungen berücksichtigen die bekannten, die Zuverlässigkeit von Zeugenaussagen einschränkenden Faktoren und sind bemüht, 807 Eingehend hierzu z. B. Stovall v. Denno, 388 U.S. 293, 301-302 (1967) sowie WELLS & LOFTUS, EYEWITNESS TESTIMONY S. 3-7, 92, 94-97, 155 u. 168; Johnson, Cross-Racial Identification Errors in Criminal Cases, 69 CORNELL L.REV. 934 (1984); McCloskey, Egeth & McKenna, The Experimental Psychologist in Court, 10 LAW AND HUM. BEHAV. 1, 8 (1986); Egan, Pittner & Goldstein, Eyewitness Identification: Photographs vs. Live Models, 1 LAW AND HUM. BEHAV. 199, 204 (1977) und Kandel & Kandel, Flights of Memory, 15 DISCOVER 32 (1994). 808 United States v. Wade, 388 U.S. 218 (1967) und Gilbert v. California, 388 U.S. 263 (1967); einschränkend aber Kirby v. Illinois, 406 U.S. 682, 689 (1972). 809 Vgl. z. B. United States v. Luis, 835 F.2d 37 (2d Cir. 1987); s. jedoch United States v. Telfaire, 469 F.2d 552 (D.C. Cir. 1972) (Hinweispflicht bejahend). 810 Instruktiv United States v. Collins, 395 F.Supp. 629 (M.D. Pa.), aff’d, 523 F.2d 1051 (3d Cir. 1975). Je größer jedoch die Bedeutung des Zeugen für die Beweisführung der diesen benennenden Partei, insbesondere auch mit Rücksicht auf die Abwesenheit anderer, zuverlässigerer Beweismittel wie Augenscheinsobjekte und wissenschaftliche Messergebnisse, desto eher sind Gerichte bereit, Sachverständige zur Zuverlässigkeit der Zeugenaussage zu hören. Vgl. z. B. State v. Chapple, 660 P.2d 1208, 1217-1224 (Ariz. 1983) und People v. McDonald, 690 P.2d 709, 715-727 (Cal. 1984).

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Der Gang der Verhandlung

die Auswirkungen dieser Faktoren nach Möglichkeit zumindest zu minimieren. a) Zeugnisfähigkeit und Aussageverbote aa) Im Verfahren vor den Bundesgerichten ist grundsätzlich jeder zeugnisfähig (competent to be a witness), der persönliche Kenntnis von den in sein Wissen gestellten Umständen hat und die Bedeutung des von ihm zu Beginn seiner Aussage zu leistenden Eides erkennen kann; vgl. FRE Rule 602 und 603. Allerdings existieren auf der Ebene der Bundesstaaten darüber hinaus zahlreiche Sondervorschriften betreffend die Zeugnisfähigkeit, die nach Maßgabe von FRE Rule 601 auch im Verfahren vor den Bundesgerichten zu beachten sind, wenn sich deren Zuständigkeit nach den Grundsätzen der diversity jurisdiction bestimmt811.

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bb) Der wichtigste Typus dieser Sonderregeln sind die aus der common law-Tradition überlieferten sogenannten Dead Man’s Statutes812, denen zufolge nach dem Tode eines Menschen Zeugenaussagen über solche Tatsachen unzulässig sind, die unmittelbar den Verstorbenen oder seinen Nachlass betreffen und zu deren Widerlegung aufgrund der eigenen Wahrnehmungen des Verstorbenen dessen Aussage erforderlich wäre813.

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cc) Darüber hinaus gelten auch (und gerade) im Rahmen der gerichtlichen Beweisaufnahme die bereits im Zusammenhang mit der discovery anwendbaren Aussageverweigerungsrechte; vgl. insoweit im Einzelnen vorst. Rn. 81 ff. u. 457 ff.

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b) Aussagegegenstand aa) Zeugen können grundsätzlich nur zu in ihr Wissen gestellten Tatsachen aussagen; sie dürfen keine Wertungen vornehmen oder persönliche 811 So ist z. B. nach CAL. EV. CODE § 701(a)(1) nicht zeugnisfähig, wer sich nicht – zumindest mit Hilfe eines Übersetzers – mit anderen verständigen kann; und auch die Zeugenfähigkeit von Richtern, Schiedsrichtern und Geschworenen ist gewissen Einschränkungen unterworfen (vgl. CAL. EV. CODE §§ 703-704). 812 Z. B. N.Y.C.P.L.R. § 4519 (New York), 735 ILCS 5/8-201 (Illinois), VA. CODE § 8.01-397 (Virginia) und RSMO § 491.010 (Missouri). 813 Hintergrund dieser Regelung ist der Gedanke, dass niemand von der Unfähigkeit des Verstorbenen profitieren können soll, einer seinen Interessen entgegenstehenden Aussage noch zu widersprechen. Vgl. hierzu Zeigler v. Moore, 75 Nev. 91 (1959); kritisch bereits Ray, The Dead Man’s Statute – A Relic of the Past, 10 Sw.L.J. 390 (1956).

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Trial und gerichtliche Beweiserhebung

Ansichten äußern. Dies gilt nur dann nicht, wenn die Wertung oder Ansicht des Zeugen vernünftigerweise gerade auf die konkret von ihm wahrgenommenen Tatsachen gestützt ist, wenn ihre Kenntnis sich als für die Jury hilfreich erweist und wenn es sich insoweit nicht um wissenschaftliches, technisches oder anderweitiges Sonderwissen handelt, hinsichtlich dessen es zur Bildung einer verlässlichen Ansicht der Kenntnisse eines Sachverständigen bedarf (vgl. FRE Rule 701)814. 605

Des Weiteren soll die Aussage des vernommenen Zeugen grundsätzlich nur die jeweils tatsächlich von diesem erfragen Umstände (diese jedoch möglichst vollständig) wiedergeben. Schießt der Zeuge über dieses Ziel hinaus oder geht seine Antwort an der Frage vorbei, so kann – und wird – der Gegner des vernehmenden Anwalts nicht nur gegen die Antwort Einspruch erheben (unresponsive), sondern auch deren Streichung im Protokoll erwirken (motion to strike)815.

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bb) Erinnert sich ein Zeuge nicht an eine bestimmte, in sein Wissen gestellte Tatsache, so kann der ihn befragende Anwalt versuchen, seine Erinnerung durch Vorhalt eines Schriftstückes oder anderen geeigneten Gegenstandes wieder aufzufrischen, wenn und soweit er sicherstellt, dass das Protokoll nicht nur die Erinnerungslücke als solche, sondern auch die Natur des dem Zeugen zur Gedächtnisstütze vorgehaltenen Gegenstandes und den Umstand ausweist, dass der Zeuge nach erfolgtem Vorhalt nicht lediglich das wiedergibt, was er im Rahmen des Vorhalts wahrgenommen hat, sondern tatsächlich nunmehr wieder über eine unabhängige Erinnerung an die fraglichen Tatsachen verfügt. Der zur Gedächtnisstütze benutzte Gegenstand sollte regelmäßig auch dann, wenn er selbst nicht weiter zu Beweiszwecken dient, zumindest als Protokollanlage gekennzeichnet werden (marked for identification; vgl. vorst. Rn. 592) und

814 Vgl. United States v. Yazzie, 976 F.2d 1252, 1255 – 1256 (9th Cir. 1992) u. State v. Garver, 190 Or. 291 (1950). Anerkannte Beispiele zulässiger Wertungen und Meinungsäußerungen von Zeugen sind Schätzungen zur Dauer eines Vorganges sowie Alters-, Geschwindigkeits-und Entfernungsschätzungen. Regelmäßig unzulässig hingegen sind laienhafte Aussagen zur Fachgerechtigkeit eines hergestellten Werks oder einer Dienstleistung sowie Annahmen über den Gemütszustand oder die Motivation eines Dritten. Stets einspruchsfähig sind auch Fragen, mit denen der Zeuge zu Spekulationen aufgefordert wird („Isn’t it possible that …“, „Do you think …“) oder die ihm nicht neutral gefärbte Wertungen nahe legen („Would it be fair to say he acted like a [madman, spoiled brat, etc.]?“). 815 Vgl. CAL. EV. CODE § 766; zum Streichungsantrag vgl. auch vorst. Rn. 580.

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Der Gang der Verhandlung

muss dem Gegner zur Einsichtnahme zur Verfügung gestellt werden; vgl. FRE Rule 612816. c) Hörensagen aa) Einen besonderen Stellenwert nimmt im Rahmen des Zeugenbeweises das Verbot des Hörensagenbeweises ein (vgl. FRE Rule 802). Hörensagen ist nach der Legaldefinition in FRE Rule 801(c) jede (vor- und außergerichtliche) Erklärung, die:

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– von einem Zeugen im Rahmen seiner Aussage wiedergegeben – und zum Beweis der Wahrheit der insoweit in Bezug genommenen Tatsachen angeführt wird. Die Definition erfasst dabei bewusst nicht nur die Erklärungen dritter Personen, sondern im Grundsatz auch eigene Erklärungen des Zeugen; allerdings gelten insoweit zahlreiche Ausnahmen (vgl. nachf. Rn. 610 ff.)817. In welcher Form die Erklärung abgegeben wurde, ist unerheblich; insbesondere können auch konkludente Erklärungen Gegenstand der Verbotsbestimmungen sein818. 816 United States v. Riccardi, 174 F.2d 883 (3d Cir.), cert. denied, 337 U.S. 941 (1949). Hiervon zu unterscheiden ist die ausnahmsweise zulässige Verlesung eines nicht selbst zu Beweiszwecken eingeführten Schriftstückes, das der Zeuge zu einem Zeitpunkt erstellt hat, zu dem seine Erinnerung an die darin beschriebenen Vorgänge noch frisch war, und dessen Verlesung nunmehr seine nicht mehr anderweitig zu behebende Gedächtnislücke auffüllen soll (recorded recollection). S. im Einzelnen FRE Rule 803(5). 817 Enthält die Hörensagen-Erklärung ihrerseits eine weitere solche Erklärung, so ist die Beweisführung insoweit nur zulässig, wenn beide Erklärungen unter eine der anerkannten Ausnahmen von dem Verbot des Hörensagenbeweises fallen; vgl. FRE Rule 805 (sog. double hearsay oder hearsay within hearsay). Dies ist insbesondere im Rahmen von Geschäftsunterlagen von Bedeutung, die zwar als solche ein zulässiges Beweismittel darstellen, soweit sie durch die Aussage eines geeigneten Zeugen in den Prozess eingeführt werden (vgl. vorst. Rn. 593), jedoch im Hinblick auf die in ihnen im Einzelnen enthaltenen weiteren Erklärungen gleichwohl einem auf FRE Rule 805 gegründeten Einspruch ausgesetzt sein können. 818 Die Form der Erklärung ist zwar in FRE Rule 801 nicht erwähnt, der insoweit allgemein bestehende Konsens ist jedoch in einer Reihe bundesstaatlicher Regelungen ausdrücklich in Gesetzesform niedergelegt; vgl. z. B. CAL. EV. CODE § 225 und hierzu WEGNER, FAIRBANK, EPSTEIN & CHERNOW, CIVIL TRIALS AND EVIDENCE § 8:1010 u. § 8:1012 sowie desw. Dowdney v. Shadix, 176 S.E.2d 512, 513 (1970): Eine Erklärung, die ihrem Inhalt nach der Hörensagen-Definition entspricht, wird nicht dadurch zum Gegenstand zulässiger Beweisführung,

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Trial und gerichtliche Beweiserhebung

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Hintergrund des Verbots des Hörensagenbeweises ist dessen Unzuverlässigkeit und die in ihm liegende Verletzung des Grundsatzes der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme; da es insoweit weder dem Tatsachenrichter noch den Parteien möglich ist, sich einen eigenen Eindruck von der Glaubwürdigkeit des Urhebers der Erklärung zu machen (und diesen insbesondere auch keiner Befragung im Wege des Kreuzverhörs zu unterziehen)819.

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bb) Kraft ausdrücklicher Definition nicht Hörensagen sind – obwohl regelmäßig die allgemeinen Voraussetzungen von FRE Rule 801(c) insoweit vorliegen – gemäß FRE Rule 801(d)820: – frühere unter Eid (also insbesondere im Rahmen einer deposition oder eines anderen Gerichtsverfahrens) abgegebenen Erklärungen des Zeugen selbst, die von dem Inhalt seiner jetzigen Aussage vor Gericht abweichen (prior inconsistent statements; vgl. insoweit bereits vorst. Rn. 425 u. 568); oder, soweit sie mit dieser übereinstimmen, ausdrücklich zur Widerlegung der gegnerischen Behauptung angeführt werden, bei der jetzigen Aussage handele es sich um eine gerade erst erfundene Unwahrheit; – Erklärungen des Zeugen über die Identität eines Dritten, die der Zeuge nach dessen Wahrnehmung abgegeben hat (sog. Identifikationszeugen); – und Geständnisse der Gegenpartei (admissions) sowie solche Erklärungen, die der Gegenpartei aufgrund der Vertretungsregeln oder weil diese sie sich zu Eigen gemacht hat, zuzurechnen sind und die Wirkung eines Geständnisses haben.

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cc) Nach Maßgabe der Zweckbestimmung des Hörensagenbeweisverbots nicht ausgeschlossen sind ferner Erklärungen, die nicht zum Wahrheitsbeweis der darin in Bezug genommenen Tatsachen, sondern zu anderen dass sie in schriftlicher Form niedergelegt ist. S. jedoch Kinder v. Commonwealth, 306 S.W.2d 265 (Ky. 1957) (Verhältnis zwischen Hörensagen, konkludenten Erklärungen und Indizienbeweis). 819 Grundlegend Tribe, Triangulating Hearsay, 87 HARV.L.REV. 957, 958-960 (1974). Steht der Urheber der Hörensagen-Erklärung seinerseits als Zeuge zur Verfügung, sehen die Regelungen einiger Bundesstaaten vor, dass dieser vom Gegner des Beweisführers, dessen Hörensagenbeweis im Einzelfall zugelassen worden ist, seinerseits als Zeuge berufen und nach den für das Kreuzverhör geltenden Vorschriften vernommen werden darf; vgl. z. B. CAL. EV. CODE § 1203. 820 Konstruktiv anders insoweit der Ansatz der meisten bundesstaatlichen Regelungen, die zwar ebenfalls die Beweisführung hinsichtlich solcher Erklärungen zulassen, diese jedoch als Ausnahmen von dem Beweisverbot betrachten und nicht bereits definitionsmäßig vom Begriff des Hörensagens ausnehmen. Vgl. z. B. CAL. EV. CODE §§ 1220 ff.

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Der Gang der Verhandlung

Zwecken angeführt werden, z. B. zum Beweis, dass die Erklärung überhaupt abgegeben wurde821. Allerdings bedarf es insoweit regelmäßig einer einschränkenden Belehrung der Jury dahin gehend, dass sie den betreffenden Teil der Aussage nicht zum Wahrheitsbeweis, sondern lediglich als Beweis werten dürfe, dass die fragliche Erklärung überhaupt abgegeben worden sei. Besteht das Risiko, dass die Geschworenen die Erklärung über diesen eingeschränkten Zweck hinaus gleichwohl auch zum Wahrheitsbeweis der jeweils in Bezug genommenen Tatsachen heranziehen werden (also z. B. ein Warnschild nicht nur zum Beweis der Tatsache, dass der Aufsteller des Schildes andere vor einer Gefahr habe warnen wollen, sondern auch zum Beweis des tatsächlichen Bestehens einer solchen Gefahr), so bedarf es einer Abwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles – insbesondere auch des Vorhandenseins anderer Beweismittel –, ob Aussagen über die fragliche Erklärung insgesamt zu untersagen sind822.

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dd) Darüber hinaus finden sich zahlreiche Ausnahmen von dem Beweisverbot, die zwar die entsprechenden Erklärungen nicht bereits definitionsmäßig aus dem Bereich des Hörensagens herausnehmen, jedoch entweder aufgrund der Verlässlichkeit der betroffenen Erklärungen oder weil diese im Einzelfall nicht zum Beweis der Wahrheit ihres jeweiligen Inhalts angeführt werden, nicht von der ratio des Verbots erfasst werden. Hierzu zählen z. B., und zwar auch dann, wenn der Erklärende selbst als Zeuge zur Verfügung stehen würde, vgl. FRE Rule 803823:

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– Spontane Erklärungen im Erregungszustand (excited utterances), – die Beschreibung gegenwärtiger und vergangener Wahrnehmungen, insbesondere hinsichtlich körperlicher und seelischer Zustände (present sense impression, state of mind, mental/physical condition), – und insbesondere auch die hier bereits an anderer Stelle erwähnten schriftlichen Unterlagen, nämlich beim Auftreten nicht anderweitig 821 Zulässig sind danach z. B. regelmäßig Aussagen zur Abgabe von vertragsbegründenden Erklärungen, da es insoweit regelmäßig nicht auf deren Wahrheitsgehalt, sondern nur auf ihre Abgabe als solche ankommt. Vgl. i. Ü. auch Hickey v. Settlemier, 318 Or. 196 (1993) (üble Nachrede) und Safeway Stores, Inc. v. Combs, 273 F.2d 295 (5th Cir. 1960) (Gefahrenwarnung). 822 United States v. Reyes, 18 F.3d 65 (2d Cir. 1994); allgemein zur Verpflichtung des Gerichts, die Jury über die nur eingeschränkte Zulässigkeit einzelner Beweismittel zu belehren, vgl. z. B. CAL. EV. CODE § 355. 823 Es sind hier nur die für die Kenntnis des nicht ständig mit diesen Fragen befassten Juristen wichtigsten Ausnahmefälle genannt. Insgesamt sind allein in FRE Rule 803 nicht weniger als 23 Ausnahmefälle, in FRE Rule 804 weitere fünf Ausnahmefälle aufgeführt.

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Trial und gerichtliche Beweiserhebung

auffrischbarer Gedächtnislücken verlesene Schriftstücke (recorded recollection; vgl. vorst. Fn. 816), Geschäftsunterlagen (vorst. Rn. 594) und von einem Sachverständigen herangezogene wissenschaftliche Abhandlungen (nachf. Rn. 621). 614

ee) Steht der Urheber der Hörensagen-Erklärung nicht selbst als Zeuge zur Verfügung – und zwar aufgrund von Krankheit, seiner nachhaltigen (wenn auch unberechtigten) Weigerung, auszusagen, oder eines tatsächlich bestehenden Aussageverweigerungsrechts824 –, kann seine Erklärung schließlich nach FRE Rule 804 u. a. auch dann eingeführt werden, wenn – diese entweder unter Eid in einem anderen Verfahren oder im Verlaufe einer deposition abgegeben wurde und die Partei, gegen die sie angeführt werden soll, bei jener Gelegenheit die Möglichkeit hatte, den Erklärenden einem Kreuzverhör zu unterziehen, – oder es sich um eine Erklärung handelt, die dem damaligen wirtschaftlichen oder rechtlichen Interesse des Erklärenden widersprach (statement against interest). d) Charakter- und Leumundszeugen

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In zwar nur begrenztem, gleichwohl aber über das nach deutschem Beweisrecht zulässige Maß hinausgehenden Umfang ist im amerikanischen Zivilprozess die (Zeugen-)Beweisführung über den Charakter einer Partei oder eines Zeugen zulässig; nämlich entweder insoweit, als die Charakterfrage unmittelbar im Zusammenhang mit dem entscheidungserheblichen Tatsachenvortrag einer Partei steht (z. B. Trunkenheit am Steuer im Rahmen eines Verkehrsunfallprozesses) oder im Hinblick auf Zeugen der Gegenpartei, soweit sich aufgrund einer Verurteilung wegen Falschaussage oder vergleichbarer Umstände Zweifel an deren Glaubwürdigkeit ergeben825. 824 Unter welchen Voraussetzungen ein Zeuge in diesem Sinne verhindert ist, ist in den Gesetzen der Bundesstaaten teilweise unterschiedlich, jedoch weitgehend ähnlich wie in FRE Rule 804 geregelt. Vgl. z. B. M.R.E. § 804(a) (Mississippi), N.H. Rules of Evidence Rule 804(a) (New Hampshire) sowie CAL. EV. CODE § 240 (Kalifornien), alle mit dem ausdrücklichen Zusatz, dass die Regelung dann nicht Anwendung findet, wenn die Verhinderung des Zeugen durch die ihn benennende Partei selbst herbeigeführt worden ist, um sein persönliches Erscheinen vor Gericht zu verhindern (was u. a. dann Bedeutung erlangen kann, wenn der Partei die Absicht des Zeugen bekannt ist, seine Aussage gegenüber seinen früheren Angaben zu verändern); zur Einschüchterung von Zeugen im Rahmen von Strafverfahren s. desw. auch CAL. EV. CODE § 1350. 825 Vgl. z. B. Crumpton v. Confederation Life Ins. Co., 672 F.2d 1248 (5th Cir. 1982) (zum Verhältnis zwischen der kriminellen Vergangenheit des verstorbenen Versicherungsnehmers, der diesbezüglichen Indizienbeweisführung und

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Der Gang der Verhandlung

5. Sachverständige Sachverständige sind nach dem Verständnis des amerikanischen Beweisrechts ebenfalls grundsätzlich Zeugen (expert witnesses), nicht neutrale Berater des Gerichts; auch ihre Feststellungen werden dementsprechend im Wege der Vernehmung durch die Parteivertreter in die Beweisaufnahme eingeführt. Für die Zulässigkeit des Sachverständigenbeweises gelten allerdings aufgrund der Natur und Komplexität des Gegenstandes ihrer Aussage eine Reihe von Sondervorschriften; und auch ihre Vernehmung unterliegt einer Gesetzlichkeit eigener Art.

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a) Zulässigkeitsvoraussetzungen Im Grundsatz ist die Beweisführung durch Sachverständige nur zulässig, wenn und soweit sie sich als aufgrund der besonderen Qualifikation des betreffenden Sachverständigen und der von ihm angewandten Methode als hilfreich für den Tatsachenrichter darstellt; vgl. FRE Rule 702826. Sowohl die Qualifikation den Sachverständigen als auch die von ihm verwandte Methode sind dabei jedoch häufig Gegenstand ausgedehnter Erörterungen.

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aa) So wird die Überzeugungskraft des Sachverständigen im Regelfall maßgeblich nicht nur vom Vertrauen der Jury in seine berufliche Qualifikation, sondern auch davon abhängen, inwieweit es ihm (und dem ihn vernehmenden Anwalt im Rahmen der direct examination) gelingt, ungeachtet der Komplexität der Materie die Aufmerksamkeit der Jury zu behalten und die Jury des Weiteren davon zu überzeugen, dass allein die Benennung durch eine bestimmte Partei nicht zur Folge hat, dass das Gutachten zugunsten dieser Partei „geschönt“ ist827. Demgegenüber wird

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einer versicherungsrechtlichen Ausschlussklausel) sowie im Einzelnen FRE Rule 404, 405, 608 u. 609. 826 Grundsätzlich zum Sachverständigenbeweis vgl. Korn, Law, Fact and Science in the Courts, 66 COLUM. L.REV. 1080 (1966); zu der Frage, wann der Gegenstand der Beweisführung als solcher dem Sachverständigenbeweis zugänglich ist, vgl. Unites States v. Robinson, 544 F.2d 110 (2d Cir. 1976), cert. denied, 434 U.S. 1050 (1978); Een v. Consolidated Freightways, 120 F.Supp. 289 (D.N.D. 1954), aff’d, 220 F.2d 82 (8th Cir. 1955). 827 Insbesondere bei besonders schwer zugänglichen Themen wird der vernehmende Anwalt insoweit auch berücksichtigen, dass die Konzentrationsfähigkeit eines Zuhörers regelmäßig nicht länger als 15-20 Sekunden ununterbrochen anhält und es deshalb sinnvoller ist, dem Sachverständigen viele einzelne Fragen zu stellen und den Gegenstand seiner Aussage in entsprechend leichter verdauliche Einzelteile zu zerlegen, als ihn aufgrund nur weniger Fragen im Wesentlichen dozieren zu lassen; ebenso sollte darauf geachtet werden, dass der Sachverständige nach Möglichkeit die Verwendung von

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Trial und gerichtliche Beweiserhebung der Gegenanwalt im Rahmen des Kreuzverhörs darauf bedacht sein, die fachliche Qualifikation des Sachverständigen entweder insgesamt oder als nicht die konkret entscheidungserheblichen Fragen betreffend anzugreifen, den Sachverständigen als voreingenommen darzustellen oder seine Aussage inhaltlich durch Hervorhebung der Schwachstellen seiner Überzeugungsbildung oder dadurch zu diskreditieren, dass seine Ansicht als von derjenigen anderer Vertreter seiner Fachrichtung abweichend dargestellt wird.

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bb) Methodologisch ist der Sachverständige zwar im Verfahren vor den Bundesgerichten nicht mehr ausschließlich auf dasjenige festgelegt, was dem anerkannten Stand der Wissenschaft in seinem Fachgebiet entspricht; einige Bundesstaaten halten jedoch nach wie vor an diesem Erfordernis fest828, und auch nach der neueren Rechtsprechung des U.S. Supreme Court zu FRE Rule 702 bedarf es – im Grundsatz stets, jedoch insbesondere dann, wenn es sich um eine außergewöhnliche oder erst im Vordringen befindliche wissenschaftliche Methode handelt – vor Zulassung des angebotenen Beweises gegebenenfalls der richterlichen Überprüfung im Einzelfall, ob die betreffende Methode ein gewisses Minimum an Tests erfolgreich durchlaufen hat und aus diesem Grunde – sowie aufgrund der Verbreitung, die sie unter Wissenschaftlern der jeweiligen Fachrichtung allgemein erfahren hat, und vergleichbaren Indizien – als hinreichend verlässlich betrachtet werden kann829. Fachtermini vermeidet oder, soweit diese im Einzelfall unvermeidlich sind, zumindest allgemeinverständlich erläutert. Mauet, Trial Techniques. § 7.4.6.d. Zu Zulässigkeit und Risiken von (i.d.R. besonders schwer verständlichen) hypothetischen Fragestellungen vgl. bereits Rabata v. Dohner, 45 Wis.2d 111 (1969). 828 So insbesondere die obergerichtliche Rechtsprechung der Bundesstaaten Kalifornien und Florida, die die insoweit großzügigeren Anforderungen der neueren U.S. Supreme Court-Entscheidungen rundheraus ablehnt; vgl. People v. Kelly, 549 P.2d 1240 (Cal. 1976), People v. Leahy, 882 P.2d 321 (Cal. 1994); Flanagan v. State, 625 So. 2d 827 (Fla. 1993) u. Brim v. State, 695 So. 2d 268 (Fla. 1997). Grundlegend insoweit Frye v. United States, 293 F. 1013 (D.C. Cir. 1923); nach dieser Entscheidung wird der insoweit angewandte Prüfungsmaßstab allgemein Frye test genannt. Ebenso im Ergebnis wohl People v. Wesley, 83 N.Y. 2d 417 (1994); unklar aber z. B. die Reichweite von RSMO § 490.065; vgl. insoweit Whitman's Candies, Inc. v. Pet, Inc., 974 S.W.2d 519, 528-529 (Mo. App. 1998). 829 Daubert v. Merrell Dow Pharmaceuticals, Inc., 509 U.S. 579 (1993). Eingehend hierzu Giannelli, Daubert: Interpreting the Federal Rules of Evidence, 15 CARDOZO L.REV. 1999 (1994); vgl. desw. auch Faigman, Porter & Saks, Check Your Crystal Ball at the Courthouse Door, Please: Exploring the Past, Understanding the Present, and Worrying About the Future of Scientific Evidence, 15 CARDOZO L.REV. 1799 (1994).

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Der Gang der Verhandlung

b) Grundlagen des Sachverständigengutachtens Die vom Sachverständigen seiner Beurteilung zugrunde gelegten Umstände als solche gelten jedoch unabhängig davon, inwieweit sie ihrerseits ebenfalls Gegenstand seiner Aussage sind oder im Wege des Kreuzverhörs von ihm erfragt werden (FRE Rule 705), nicht allein aufgrund von dessen Angaben bewiesen: Gegenstand seiner Aussage sind seine auf bestimmte Umstände gegründeten wissenschaftlichen Schlussfolgerungen, nicht seine Wahrnehmungen hinsichtlich der zugrundeliegenden Umstände selbst830. Soweit der Sachverständige seine Überzeugung auf Tatsachen gründet, die allgemein von den Angehörigen seines Fachgebietes in der jeweiligen Situation berücksichtigt werden (z. B. der Inhalt von Drittgutachten und wissenschaftlichen Standardwerken), muss es sich bei diesen Grundlagen seiner Überzeugungsbildung nicht ihrerseits um zulässige Beweismittel handeln831; allerdings dürfen selbst beweismittelfähige Grundlagen des Gutachtens im Regelfall nicht von dem Sachverständigen im Rahmen seiner Aussage erwähnt werden, es sei denn, das Gericht kommt im Einzelfall zu dem Ergebnis, dass ihre Berücksichtigung der Jury ungeachtet ihrer etwaigen präjudiziellen Wirkung überwiegend bei der Beurteilung der Aussage des Sachverständigen hilfreich sein werde (FRE Rule 703)832.

830 Unites States v. Robinson, 544 F.2d 110 (2d Cir. 1976), cert. denied, 434 U.S. 1050 (1978) und Een v. Consolidated Freightways, 120 F.Supp. 289 (D.N.D. 1954), aff’d, 220 F.2d 82 (8th Cir. 1955). 831 Gründet der Sachverständige sein Gutachten auf Umstände, die von der Mehrheit der Wissenschaftler seiner Fachrichtung in der betreffenden Situation nicht herangezogen würden, kann dies zum Ausschluss des Gutachtens führen. Vgl. In re „Agent Orange“ Product Liability Litigation, 611 F.Supp. 1223, 1246 (E.D.N.Y. 1985), aff’d, 818 F.2d 187 (2d Cir. 1987), cert. denied, 487 U.S. 1243 (1988). 832 Zumeist werden solche Grundlagen des Sachverständigengutachtens unter das Verbot des Hörensagenbeweises fallen. Ein im Rahmen der direct examination von dem Sachverständigen erwähntes wissenschaftliches Werk kann allerdings – auch wenn es anderweitig kein zulässiges Beweismittel darstellt und deshalb nicht selbst zu Beweiszwecken präsentiert werden darf – ausschnittweise zu Protokoll verlesen werden; vgl. FRE Rule 803(18) und Graham v. Wyeth Laboratories, 906 F.2d 1399 (10th Cir.), cert. denied, 498 U.S. 981 (1990). Eingehend zur Darlegung der jeweiligen Grundlagen des Gutachtens im Rahmen der Aussage des Sachverständigen People v. Anderson, 113 Ill.2d 1, cert. denied, 479 U.S. 1012 (1986); zum Kreuzverhör insoweit United States v. A & S Council Oil Co., 947 F.2d 1128, 1135 (4th Cir. 1991).

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Trial und gerichtliche Beweiserhebung

6. Judicial Notice 621

Überhaupt keines Beweises bedürfen nach Maßgabe von FRE Rule 201833 solche Tatsachen, die – vernünftigerweise nicht bestreitbar und – entweder in dem jeweiligen Gerichtsbezirk allgemein bekannt – oder ohne weiteres jederzeit unter Zuhilfenahme anerkannt zuverlässiger Mittel nachprüfbar sind834.

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Dabei kann das Gericht solche Tatsachen grundsätzlich auch von Amts wegen berücksichtigen und muss dies tun, wenn eine Partei einen entsprechenden Antrag stellt und die Umstände, auf die sich der Antrag bezieht, inhaltlich die Voraussetzungen dieser sogenannten judicial notice erfüllen; vgl. FRE Rule 201(b)-(d)835. Vor der Entscheidung über den Antrag ist dem Gegner zur Wahrung von dessen Anspruch auf rechtliches Gehör Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben (FRE Rule 201[e])836. Wird dem Antrag stattgegeben, so hat das Gericht im Zivilprozess die Jury daraufhinzuweisen, dass sie die Tatsachen, die Gegenstand der judicial notice sind, als bewiesen ansehen muss (FRE Rule 201[g])837. 833 Weiter gehend jedoch z. B. CAL. EV. CODE §§ 451, 452, die außer den in FRE Rule 201 genannten Tatsachen (welche nach Maßgabe von CAL. EV. CODE § 452(g) u. (h) nur der fakultativen judicial notice zugänglich sind) eine Reihe von Umständen aufführen, die das Gericht stets beachten muss (CAL. EV. CODE § 451), sowie auch den Anwendungsbereich der fakulativen judicial notice ausdrücklich auf weitere Umstände wie z. B. die Anordnungen von Bundesbehörden sowie Behörden des Bundesstaates Kalifornien ausdehnen (CAL. EV. CODE § 452). 834 So ist z. B. der Nachweis der zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort herrschenden Witterungsverhältnisse jederzeit durch Hinzuziehung der jeweiligen meteorologischen Daten möglich. Zum Verhältnis zwischen judicial notice und Sachverständigenbeweis vgl. State v. Finkle, 128 N.J. Super. 199, aff’d, 66 N.J. 139, cert. denied, 423 U.S. 836 (1974). 835 Zu den Grenzen vgl. Soley v. Star & Herald Co., 390 F.2d 364 (5th Cir. 1968) (keine Tatsachenberücksichtigung von Amts wegen, soweit das Gericht dadurch einer Partei die ihr obliegende Beweisführung vollkommen abnimmt); zur Berücksichtigung nicht formal bewiesener Tatsachen im Rahmen der Prüfung, ob ein ausländisches Unternehmen aufgrund seiner Geschäftstätigkeit im Bezirk des angerufenen Gerichts dessen Entscheidungsgewalt unterworfen ist (eingehend insoweit s. vorst. Rn. 263 – 264), vgl. des Weiteren Potter’s Photographic Applications Co. v. Ealing Corp., 292 F.Supp. 92, 100 (E.D.N.Y. 1968). 836 Dies gilt auch im Rahmen behördlicher Entscheidungen; vgl. Ohio Bell Telephone Co. v. Public Utilities Commission, 301 U.S. 292, 302-303 (1937). 837 Anders jedoch im Strafprozess, wo die Jury durch die Zulassung der judicial notice als solche noch nicht gebunden ist, sondern die davon erfassten Tatsa-

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Der Gang der Verhandlung Niemals ein zulässiger Gegenstand der gerichtlichen Tatsachenberücksichtigung sind allerdings Umstände, die dem entscheidenden Richter lediglich privat bekannt sind, ohne zugleich den Voraussetzungen von FRE Rule 201 zu entsprechen838.

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Im Gegensatz zu allen anderen beweiserheblichen Tatsachen können die der judicial notice zugänglichen Umstände des Weiteren auch noch in der Rechtsmittelinstanz neu ins Verfahren eingeführt werden; vgl. FRE Rule 201(f)839.

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7. Ausländisches Recht Beabsichtigt eine Partei, sich ganz oder teilweise auf die Anwendbarkeit ausländischen Rechts zu berufen, hat sie dies zunächst gesondert schriftlich anzuzeigen (notice of foreign law issue); vgl. FRCP Rule 44.1840. Die Beweisführung erfolgt sodann regelmäßig durch Sachverständigenbeweis – insbesondere in Form von Gutachen und Aussagen von Juristen aus dem jeweils betroffenen Land – sowie gegebenenfalls durch Vorlage rechtswissenschaftlicher Abhandlungen zu dem betroffenen Rechtsgebiet; das Gericht kann aber insoweit auch eigenständige Ermittlungen anstellen und ist an den Rechts- und Beweisvortrag der Parteien nicht gechen lediglich als erwiesen ansehen kann; vgl. FRE Rule 201(g); teilweise anders z. B. auch CAL. EV. CODE § 457, wonach eine solche Belehrung der Jury auch im Zivilprozess nur auf Antrag erfolgen muss, andernfalls jedoch im Ermessen des Gerichts steht. Allerdings ist sowohl in Zivil- als auch in Strafprozessen generell eine Tendenz der Gerichte feststellbar, mit wachsender Erfahrung im Umgang mit bestimmten immer wiederkehrenden Umständen diese als „von Rechts wegen“ (as a matter of law) feststehend zu betrachten und damit der Entscheidung der Jury gänzlich zu entziehen. Vgl. hierzu bereits Isaacs, The Law and the Facts, 22 COLUM. L.REV. 1 (1922). 838 Vgl. u. a. Shapleigh v. Mier, 299 U.S. 468 (1938); In re Bommer, 288 N.Y.S. 419 (1936) (Nichtbeachtung selbst solcher Tatsachen, die dem entscheidenden Richter als einem der Mitverfasser des konkret einschlägigen Gesetzes bekannt sind) und CAL. CODE CIV.PROC. § 170.1(a) (persönliche Kenntnis des Richters von entscheidungserheblichen Tatsachen als Befangenheitsgrund). Umstritten ist, inwieweit Richter auf ihre allgemeine Kenntnis von bestimmten Straßenverhältnissen und ihre Erfahrung als Autofahrer zurückgreifen dürfen; vgl. Belcher v. Buesking, 371 N.E.2d 417, 420 (Ind. App. 1978) (dafür) und Castello v. Cassidy, 210 N.Y.S.2d 46, 47 (Sup. Ct. 1960) (dagegen). 839 Hierzu Communist Party v. Subversive Activities Control Board, 351 U.S. 115 (1956) und Boynton v. Virginia, 364 U.S. 454 (1960). Einschränkend jedoch Melong v. Micronesian Claims Commission, 643 F.2d 10,12 n.5 (D.C. Cir. 1980). 840 Zum Verfahren s. Baicker-McKee, Janssen, Corr, Federal Civil Rules Handbook, Authors’ Commentary on Rule 44.1.

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Trial und gerichtliche Beweiserhebung

bunden841. Die zur Ermittlung des ausländischen Rechts herangezogenen Materialien müssen nicht den allgemeinen beweisrechtlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen entsprechen842. III. Die Entscheidungsphase 1. Belehrung der Jury 626

Entweder vor oder – häufiger – nach den Schlussplädoyers belehrt der Richter die Geschworenen über die anwendbaren Rechtsgrundsätze (jury instructions, jury charge)843. Die Parteien haben das Recht, ihrerseits eigene Belehrungen vorzuschlagen; vgl. FRCP Rule 51. Nach einigen Verfahrensordnungen müssen solche Vorschläge spätestens zusammen mit den aus Anlass der (final) pretrial conference auszutauschenden witness lists und exibit lists bei Gericht eingereicht werden, anderswo ist ihre Vorlage noch bis zum Beginn oder sogar bis zum Ende der Beweisaufnahme zulässig844. Der Richter kann, muss jedoch nicht die von den Parteien gemachten Vorschläge aufgreifen845. Die Fehlerhaftigkeit der instanzbeendenden Entscheidung aufgrund nicht oder nur unzutreffend gegebener Belehrungen der Jury in Bezug auf einzelne Rechtsfragen können die Parteien allerdings nur angreifen, wenn das Gericht einen oder mehrere ihrer eigenen Vorschläge zurückgewiesen hat oder wenn sie ge841 Access Telecom, Inc. v. MCI Telecommunications Corp., 197 F.3d 694, 713 (5th Cir. 1999); Sadeghi v. INS, 40 F.3d 1139 (10th Cir. 1994) und Primavera Familienstiftung v. Askin, 130 F. Supp. 2d 450, 520 n. 73 (S.D.N.Y. 2001). Nach CAL. EV. CODE §§ 310(b) u. 452(f) sind ausländische und internationale Rechtsvorschriften Gegenstand der (fakultativen) judicial notice; allerdings kann das Gericht auch insoweit Sachverständige hören, schriftliche Gutachten anfordern oder sich anderer einschlägiger Informationsquellen bedienen (CAL. EV. CODE §§ 454, 460). 842 Society of Lloyd’s v. Ashenden, 233 F.3d 473 (7th Cir. 2000). Allgemein zur Darlegung des Inhalts ausländischer Rechtssätze Nussbaum, Proving the Law of Foreign Countries, 3 AM.J.COMP.L. 60 (1954). 843 Vgl. z. B. CAL. CODE CIV.PROC. § 608. 844 Vgl. z. B. DISTRICT OF ARKANSAS RULE 51.1 (zehn Tage vor Beginn der Beweisaufnahme), SOUTHERN DISTRICT OF FLORIDA RULE 16.1.L u. CAL. CODE CIV.PROC. § 607a (spätestens zu Beginn der Beweisaufnahme); N.Y.C.P.L.R. § 4110-b (spätestens am Ende der Beweisaufnahme); zur pretrial disclosure und der (final) pretrial conference vorst. Rn. 392 ff. u. 492 ff. 845 CAL. CODE CIV.PROC. § 609. In vielen Gerichtsbezirken sind die am häufigsten vorkommenden Rechtsfragen auch in Muster-Instruktionen niedergelegt, die Parteien und Gericht im Einzelfall heranziehen können. Vgl. z. B. die CALIFORNIA CIVIL JURY INSTRUCTIONS (CACI) UND NEW JERSEY MODEL CIVIL CHARGES.

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Der Gang der Verhandlung

gen die tatsächlich erfolgte richterliche Belehrung unverzüglich nach deren Ende Einspruch eingelegt haben; über einen solchen Einspruch wird sofort und in Abwesenheit der Jury entschieden846. In der großen Mehrzahl derjenigen Zivilprozesse, die die Hürde der summary judgment motion überstehen und auf Antrag einer Partei schließlich mit einer Jury als Tatsachenrichter entschieden werden, konzentriert sich der Streit auf die jeweils maßgeblichen tatsächlichen Umstände; bei den insoweit zur Anwendung kommenden Rechtsgrundsätzen handelt es sich demgegenüber zumeist um solche Konzepte, die auch dem juristischen Laien ohne allzu große Schwierigkeiten nahe zu bringen sind847. Insbesondere diejenigen Verfahren, in denen die Parteien jedoch mit einer komplizierten und vielschichtigen Verknüpfung rechtlicher und tatsächlicher Wertungen zu rechnen haben, werden allerdings selbst dann von vornherein ohne Stellung eines Antrages auf jury trial eingeleitet, wenn vorrangig Tatsachenfragen im Streit sind; dies gilt insbesondere für die rechtlich außerordentlich komplexen Wettbewerbsrechtsstreitigkeiten, und zwar auch dann, wenn diese außer der Unterlassung der wettbewerbsstörenden Tätigkeit auch einen Schadensersatzanspruch des Klägers zum Gegenstand haben, über den im Grundsatz eine Jury entscheiden könnte.

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2. Beratung und Entscheidung der Jury a) Beratung Nachdem der Jury die Sache zur Entscheidung übertragen worden ist (submission), zieht diese sich zur geschlossenen Beratung (jury deliberations) ohne weitere Mitwirkung des Richters zurück. Hat sie allerdings 846 S. hierzu im Einzelnen Medforms, Inc. v. Healthcare Management Solutions, Inc., 290 F.3d 98, 111 – 112 (2d Cir. 2002); Gray v. Genlyte Group, Inc., 289 F.3d 128, 134 (1st Cir. 2002); FHS Properties L.P. v. BC Associates, 175 F.3d 81, 87 (1st Cir. 1999) und Brokerage Concepts, Inc. v. U.S. Healthcare, Inc., 140 F.3d 494 (3d Cir. 1998). Ob und inwieweit ein Rechtsmittelgericht einen Instruktionsfehler auch von Amts wegen berücksichtigen kann, ist umstritten; zu den unterschiedlichen Ansatzpunkten vgl. Monroe v. City of Phoenix, Ariz., 248 F.3d 851, 858 (9th Cir. 2001); Oden v. Oktibbeha County, Miss., 246 F.3d 458, 466 (5th Cir. 2001) und Ford ex rel. Estate of Ford v. Garcia, 289 F.3d 1283, 1288 (11th Cir. 2002). Fehlerhafte Belehrungen, die nicht nachweislich von Einfluss auf die Entscheidung der Jury waren, sind grundsätzlich unbeachtlich; vgl. FRCP Rule 61 und Elwell v. University Hosps. Home Care Servs., 276 F.3d 832, 844 (6th Cir. 2002). 847 Hiervon zu unterscheiden ist grundsätzlich der Bekanntheitsgrad, den einzelne Verfahren schon vor ihrem Abschluss (oder spätestens mit der Entscheidung der Jury) in der Öffentlichkeit erlangen; dass eine Jury-Entscheidung insoweit nationale Signalwirkung haben kann, wird nicht nur in Kauf genommen, sondern ist u. U. sogar durchaus erwünscht.

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Trial und gerichtliche Beweiserhebung

Zweifel hinsichtlich des zur Anwendung kommenden Rechts, kann sie im Einzelfall um erneute richterliche Belehrung bitten; in Bezug auf Tatsachenfragen kann das Protokoll – welches der Jury nicht von vornherein insgesamt zur Verfügung steht – auszugsweise auf entsprechende Bitte verlesen werden848. Von diesen Fällen abgesehen ist jedoch jegliche äußere Einflussnahme auf den Beratungsprozess strengstens untersagt; dies gilt nicht nur für Versuche der Parteien oder ihrer Prozessbevollmächtigten, mit Mitgliedern der Jury in Kontakt zu treten, sondern auch für jeden Dritten sowie gleichfalls für die Verbringung prozessfremden Anschauungs- und Informationsmaterials in den Beratungsraum durch die Geschworenen selbst sowie die anderweitige Berücksichtigung nicht erwiesener Tatsachen durch Mitglieder der Jury, die ebenso wie die versuchte Einflussnahme durch einen der Prozessbeteiligten zur Aufhebung des Verfahrens und Anordnung einer Wiederholung der Beweisaufnahme führen kann849. 629

Die zentrale Mitwirkung einer Jury bei der gerichtlichen Entscheidungsfindung ist zweifellos eines der Merkmale, welche den common law-Prozess am deutlichsten vom Verfahren nach Maßgabe der kontinentaleuropäisch geprägten Prozessordnungen unterscheidet: Während die Letzteren entweder auf die Hinzuziehung juristischer Laien insgesamt verzichten oder doch zumindest ein Zusammenwirken von Laien- und Berufsrich848 Vgl. z. B. CAL. CODE CIV.PROC. §§ 612.5-614.5. 849 S. CAL. CODE CIV.PROC. §§ 611, 612. So ist zwar die Verbringung eines der Tatwaffe gleichenden Messers in den Beratungsraum durch einen Geschworenen in dem bekannten Film Die Zwölf Geschworenen (Twelve Angry Men) szenisch außerordentlich wirksam, hätte jedoch dem Angeklagten in einem wirklichen Verfahren – für den Strafprozess gilt insoweit nichts anderes als für Zivilrechtsstreitigkeiten – einen Bärendienst erwiesen und nicht zu dessen Freispruch, sondern zur Wiederholung des Prozesses geführt. Vgl. z. B. Thomas v. Kansas Power and Light Co., 340 P.2d 379 (Kan. 1959) (von einem Geschworenen hinzugezogenes Fachbuch) und Edelstein v. Roskin, 356 S.2d 38, 39 (Fla. App. 1978) (Kenntnis eines, jedoch nicht aller Geschworenen vom Ort des streitgegenständlichen Verkehrsunfalles). Anders verhält es sich lediglich mit solchen Umständen, die in dem betreffenden Gerichtsbezirk allgemein bekannt sind und damit auch zulässiger Gegenstand der gerichtlichen Berücksichtigung im Wege der judicial notice wären, und Umständen, die zur allgemeinen Lebenserfahrung jedes Menschen gehören. Vgl. vorst. Rn. 621 ff. sowie United States v. Ricciardi, 357 F.2d 91, 95 – 96 (2d Cir.), cert. denied, 384 U.S. 942 (1966); allgemein zum Einfluss der persönlichen Kenntnis der Geschworenen von bestimmten entscheidungserheblichen Tatsachen auf die Entscheidungsfindung der Jury s. Broeder, The Impact of the Vicinage Requirement: An Empirical Look, 45 NEB.L.REV. 99 (1966).

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Der Gang der Verhandlung

tern bei der Urteilsfindung vorsehen850, kommt dem jury trial nicht nur in den Vereinigten Staaten, sondern auch in Großbritannien und anderen common law-Staaten geradezu symbolhafte Bedeutung zu851. Dies gilt uneingeschränkt, obwohl aus der psychologischen Forschung bekannt ist, dass viele Geschworene affektiv, nicht kognitiv denken, dass also ihre Meinungsbildung lediglich von einer Auswahl besonders symbolträchtiger Eindrücke geprägt ist, nicht von der Analyse des gesamten zur Verfügung stehenden Materials. Der Auswahlprozess als solcher unterliegt dabei in maßgeblicher Weise dem Filter der demographischen Grundmerkmale des betreffenden Geschworenen (also dessen Alter, Bildungsstand, sozialem und wirtschaftlichem Hintergrund etc.) sowie seiner Interessen, persönlichen Erfahrungen und Vorurteile. Hat ein Geschworener einmal seine grundlegende Ansicht zu den ihm zur Entscheidung vorgelegten Fragen gebildet, so werden zusätzliche Informationen selektiv in diese eingefügt, soweit sie zu deren Bekräftigung tauglich sind, führen jedoch selten zu einer grundsätzlichen Revision des einmal entstandenen Bildes. Darüber hinaus verläuft der Gruppenberatungs- und Entscheidungsprozess der Jury in ähnlicher Weise wie auch derjenige vieler wirtschaftlicher und politischer Pluralitätsentscheidungen, insoweit als Diskussion und Meinungsbildung von den Beiträgen einiger weniger Meinungsführer (opinion leaders) geprägt ist, deren Ansicht die Mehrheit der übrigen Geschworenen sich letztendlich anschließt. Zu einer nicht einheitlichen Entscheidung wird es regelmäßig nur dann kommen, wenn der Jury ein oder mehrere nicht konsensbedürftige Außenseiter angehören.

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Amerikanische Prozessbevollmächtigte stellen ihren Sach- und Beweisvortrag auf diese dem Entscheidungsfindungsprozess der Jury zugrundeliegenden Umstände in jedem Rechtsstreit aufs Neue ein. Dies betrifft nicht nur die Grundfrage, ob im Einzelfall überhaupt um ein jury trial nachgesucht werden soll – was selbst dann, wenn auf die Hinzuziehung von Geschworenen ein Anspruch besteht, regelmäßig nur bei nicht von allzu komplexen rechtlichen und tatsächlichen Fragen dominierten Verfahren der Fall sein wird; vgl. vorst. Rn. 627 –, sowie die bereits der Geschworenenauswahl und der Ausübung insbesondere der peremptory challenges zugrundeliegenden Erwägungen (vgl. vorst. Rn. 550 ff.), sondern ebenso die Aufgliederung der Zeugenvernehmung in einzelne, gut verständliche Fragen, die jeweils nur eine einzige Tatsache zum Gegenstand haben, sowie die Verwendung von stark aussagekräftigen psychologischen Anknüpfungspunkten wie Labels und Symbolen, der Einsatz visueller Hilfsmittel und die Auswahl solcher Kommunikationsträger – gleich ob Anwalt, Zeuge oder Sachverständiger –, denen die Geschwo-

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850 Vgl. z. B. §§ 22, 23, 29, 30, 75, 76, 105 GVG, 349 ZPO u. 275 StPO sowie CODE DE L’ORGANISATION JUDICIAIRE (Frankreich) Art. 311, 321, 412 u. CODE DE PROCÉDURE PENALE (Frankreich) Art. 240, 355. 851 Vgl. U.S.-Bundesverfassung, Amendment VII (vorst. Fn. ), CAL. CODE CIV.PROC. § 191 („a cherished constitutional right“) und Twining, Rethinking Evidence: Exploratory Essays S. 157 („the paradigm of all trials“). Zu einer vergleichenden Betrachtung der Jury-Systeme mehrerer common law-Länder s. Vidmar, World Jury Systems.

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Trial und gerichtliche Beweiserhebung renen aufgrund ihrer Erfahrung und ihres Aufrichtigkeit und Zuverlässigkeit ausstrahlenden Auftretens vertrauen und mit denen sie sich gegebenenfalls sogar identifizieren können. Nicht zu unterschätzen sind insoweit auch Körpersprache und Gestik der der Jury gegenübertretenden Personen, die für sich allein bereits 60 bzw. 30 % des wahrgenommenen Kommunikationsinhalts ausmachen; lediglich 10 % der Wahrnehmung bleiben insoweit für die eigentlichen verbal vermittelten Inhalte übrig852.

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Aufgrund des Beratungsgeheimnisses sind die Jury-Mitglieder, solange das Verfahren noch anhängig ist, zum Stillschweigen über die Vorgänge hinter der geschlossenen Tür des Beratungszimmers verpflichtet; insbesondere dürfen sie hierzu auch nicht als Zeugen vernommen werden; vgl. FRE Rule 606(b). Ausgenommen sind lediglich Aussagen zu Versuchen Dritter, auf die Entscheidungsfindung der Jury Einfluss zu nehmen. Werden dem Richter noch vor Abschluss des Verfahrens solche Umstände bekannt, kann er allerdings – anstatt sofort das Scheitern des Verfahrens zu erklären und eine Wiederholung der Beweisaufnahme anzuordnen – der Situation auch zunächst durch zusätzliche Belehrung der Jury zu dem Verbot der Heranziehung der beweis-externen Informationen abzuhelfen versuchen.

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Befürchtet der Richter, dass die Geschworenen sich unvermeidlichen äußeren Einflüssen wie insbesondere denjenigen einer extensiven Presseberichterstattung nicht in dem Maße werden entziehen können, das zur Wahrung ihrer unabhängigen Entscheidung nur aufgrund des Verhandlungsverlaufes selbst erforderlich ist, kann er bei über mehrere Tage andauernden Beratungen schließlich auch die völlige Abschottung der Jury von jedem äußeren Kontakt anordnen (jury sequestration). b) Entscheidung

634

Die Entscheidung der Jury, das sogenannte verdict, ergeht grundsätzlich in einer von drei Formen: – Am häufigsten in der Form eines sogenannten general verdict, in dem lediglich der Entscheidungsausspruch als solcher niedergelegt ist; im

852 Ausführlich zur Entscheidungsfindung der Jury und der auf diese zugeschnittenen anwaltlichen Prozessstrategie Vinson, Jury Trials: The Psychology of Winning Strategy, 13, u. Mauet, Trial Techniques; kritisch Gold, Psychological Manipulation in the Courtroom, 66 NEB.L.REV. 562 (1987) u. 65 N.C.L.REV. 481 (1987).

306

Der Gang der Verhandlung

Falle einer zusprechenden Entscheidung auch unter Aufführung der auf die Klage im Einzelnen zuerkannten Summen oder Gegenstände853; – in Form eines special verdict, bei dem die Jury nicht nur die Sachentscheidung als solche, sondern darüber hinaus auch ihre Entscheidung zu jeder streitigen Tatsachenfrage gesondert niederlegt (vgl. FRCP Rule 49[a]); diese Form findet sich insbesondere bei Entscheidungen über sehr komplexe Tatsachenfragen854. Stehen die einzelnen Tatsachenentscheidungen der Jury miteinander im Widerspruch, kann der Richter entweder eine Fortsetzung der Jury-Beratungen anordnen oder das Scheitern des Verfahrens erklären (declare a mistrial) und eine Wiederholung der Hauptverhandlung und Beweisaufnahme anordnen; er darf jedoch seine eigene Entscheidung nicht an die Stelle der Jury setzen855. – oder in Form eines general verdict, dem jedoch gesondert Antworten zu Fragen in Bezug auf mehrere oder alle streitigen Tatsachen beigefügt sind (general verdict accompanied by interrogatories); vgl. FRCP Rule 49(b). Dabei muss der Entscheidungsausspruch der Jury auch in diesem Fall von den Antworten zu den einzelnen Fragestellungen getragen sein; ist dies nicht der Fall, kann der Richter dieselben Anordnungen treffen wie im Falle widersprüchlicher special verdicts856. 853 Die Zulässigkeit eines general verdict wird von den FEDERAL RULES OF CIVIL PROCEDURE implizit vorausgesetzt, ist jedoch in den Prozessordnungen vieler Bundesstaaten ausdrücklich geregelt. Vgl. z. B. CAL. CODE CIV.PROC. § 624. 854 Vgl. z. B. Dinco v. Dylex Ltd., 111 F.3d 964, 969 (1st Cir. 1997). Ausdrücklich angeordnet ist die Entscheidung in Form eines special verdict in CAL. CODE CIV.PROC. § 625 auch für die Zuerkennung von Schadensersatzansprüchen mit Strafcharacter (punitive damages), deren Betrag von etwa weiter zuerkannten Geldsummen getrennt auszuweisen ist. 855 Ramos v. Davis & Geck, Inc., 224 F.3d 30, 32 (1st Cir. 2000); Selgas v. American Airlines, Inc., 858 F. Supp. 316 (D.P.R. 1994). Zur Verfahrensweise in den Fällen, in denen sich die Jury lediglich hinsichtlich einiger Fragen des special verdict nicht einigen kann vgl. Baxter Healthcare Corp. v. Spectramed, Inc., 49 F.3d 1575 (Fed. Cir. 1995) und Baicker-McKee, Janssen, Corr, Federal Civil Rules Handbook, Authors’ Commentary on Rule 49(a). 856 King v. Ford Motor Co., 209 F.3d 886, 895 (6th Cir. 2000); Kerman v. City of New York, 261 F.3d 229, 244 (2d Cir. 2001) und Intermatic Inc. v. Lamson & Sessions Co., 273, F.3d 1355, 1369 (Fed. Cir. 2001). Sind zwar die einzelnen Antworten der Jury nicht untereinander widersprüchlich, wird jedoch der Entscheidungsausspruch als solcher gleichwohl nicht von diesen getragen, kann der Richter auch anstelle des von der Jury ausgesprochenen verdict dasjenige Urteil verkünden, welches von den Antworten der Jury in der Sache am ehesten getragen wird; das Gleiche gilt, wenn bei Geltendmachung mehrerer Klageansprüche die verdicts der Jury zu den einzelnen Ansprüchen nicht mit-

307

Trial und gerichtliche Beweiserhebung

635

Das verdict wird in allen drei Fällen schriftlich niedergelegt, jedoch öffentlich in Anwesenheit der Jury und der Parteien verkündet und zu den Gerichtsakten genommen.

636

Im ohne Mitwirkung einer Jury stattfindenden bench trial hingegen legt der Richter seine Entscheidung in begründeter Form – regelmäßig in einem von dem eigentlichen Urteil getrennten Schriftstück, der sogenannten opinion – unter Angabe der entscheidungserheblichen Tatsachenund Rechtsfragen nieder; vgl. FRCP Rule 52(a)857. Auch die richterliche Entscheidung wird in öffentlicher Verhandlung verkündet, und zwar i.d.R. durch Verlesen der gesamten opinion.

637

Kann sich die Jury nicht einigen – und ist die Mehrheitsentscheidung nicht ausdrücklich zugelassen, vgl. vorst. Rn. 546 –, so werden die Geschworenen entlassen, und der Richter ordnet die Wiederholung der Hauptverhandlung und Beweisaufnahme vor einer neuen Jury an. 3. Urteil

638

Zum Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens wird die Entscheidung der Jury oder des Richters in Urteilsform niedergelegt; vgl. FRCP Rule 54 u. 58. Grundsätzlich kann ein Urteil erst ergehen, wenn der Rechtsstreit insgesamt zur Entscheidung reif ist; jedoch sind Teilurteile hinsichtlich selbständig entscheidungsfähiger Ansprüche oder im Verhältnis zwischen nur einzelnen der am Verfahren beteiligten Parteien zulässig; vgl. FRCP Rule 54(b) und nachf. Rn. 715.

639

Das Urteil gibt lediglich den Entscheidungstenor wieder, es enthält keine eigenen Entscheidungsgründe858. Maßgeblich ist insoweit vielmehr ausschließlich die in öffentlicher Verhandlung verkündete opinion des Richters bzw. das jury verdict, welches seinerseits nur dann Gründe enthält, wenn es sich um ein special verdict handelt oder wenn die Jury zugleich

einander vereinbar sind. Vgl. hierzu im Einzelnen Los Angeles v. Heller, 475 U.S. 796 (1986); Mosley v. Wilson, 102 F.3d 85, 90 – 91 (3d Cir. 1996) und Baicker-McKee, Janssen, Corr, Federal Civil Rules Handbook, Authors’ Commentary on Rule 49(b). 857 Einer solchen schriftlichen Entscheidungsbegründung bedarf es jedoch nach den Verfahrensordnungen einiger Bundesstaaten nur auf Antrag einer Partei; vgl. z. B. CAL. CODE CIV.PROC. § 632. 858 Citizens Elec. Corp. v. Bituminous Fire & Marine Ins. Co., 68 F.3d 1016, 1021 (7th Cir. 1995).

308

Der Gang der Verhandlung

Fragen zu allen oder wenigstens einem Teil der streitigen Tatsachen beantwortet hat859. Der schriftlichen Niederlegung des Urteils bedarf es nur dann nicht, wenn das Gericht einer der nachstehend erörterten ten-day motions nach Verkündung der Entscheidung des Tatsachenrichters (vgl. Rn. 646 ff.), einem Antrag auf Kostenerstattung gemäß FRCP Rule 54(d) oder einem Antrag auf Aufhebung eines vorhergehenden Urteils gemäß FRCP Rule 60 entsprochen hat; vgl. FRCP Rule 58(a)(1). Auf Antrag einer Partei ist das Urteil jedoch stets schriftlich niederzulegen (FRCP Rule 58[d]).

640

Das Urteil wird von dem nicht-richterlichen aktenführenden Beamten des Gerichts (court clerk) vorbereitet und nach Unterzeichnung zu den Akten genommen; mit dem letzteren Vorgang (docketing), über den die Parteien in Kenntnis gesetzt werden, oder spätestens 150 Tage danach gilt das Urteil als erlassen, und die Rechtsmittelfrist beginnt zu laufen (vgl. FRCP Rule 58[b] u. 77[d]).

641

Unterzeichnet wird das Urteil nach Maßgabe von FRCP Rule 58(a)(2):

642

– durch den court clerk, wenn ihm ein general verdict der Jury zugrunde liegt, wenn mit der Entscheidung ein fest bestimmter Betrag oder ausschließlich Kosten zugesprochen werden oder wenn das Gericht die Klageanträge insgesamt zurückgewiesen hat860; – durch den Richter – der das Urteil in diesen Fällen zunächst auch auf seine inhaltliche Richtigkeit zu überprüfen hat –, wenn ihm ein special verdict zugrunde liegt oder wenn die Jury zwar ein general verdict ausgesprochen, darüber hinaus jedoch Fragen zu den streitigen Tatsachen beantwortet hat, sowie in allen anderen nicht ausdrücklich der Unterschriftsleistung durch den court clerk vorbehaltenen Fällen. Rechenfehler und ähnliche in dem Urteil enthaltene offensichtliche Unrichtigkeiten können jederzeit – auf Antrag oder von Amts wegen – nach Gewährung rechtlichen Gehörs berichtigt werden; während der Anhän-

859 S. vorst. Rn. 634. Zu den sich hieraus mit Rücksicht auf die Vollstreckung in Deutschland ergebenden Bedenken vgl. Geimer Rn. 2888 ff. u. Linke Rn. 388 ff., je m. zahlr. w.N., sowie vorst. Rn. 4. 860 Im Gegensatz zu der vor Beginn des trial erfolgenden Klageabweisung (dismissal; vgl. vorst. Rn. 505–506) kommt in der im Rahmen der abweisenden Entscheidung nach durchgeführter Hauptverhandlung gebräuchlichen Formulierung die Zurückweisung der Klageanträge in der Sache selbst zum Ausdruck (denial of relief).

309

643

Trial und gerichtliche Beweiserhebung

gigkeit eines Rechtsmittelverfahrens allerdings nur mit Zustimmung des Rechtsmittelgerichts (FRCP Rule 60[a])861. 4. Anträge nach Urteilserlass 644

Die Prozessordnungen des Bundes wie auch der Bundesstaaten stellen den Parteien bestimmte Mechanismen zur Verfügung, mit denen diese die nachträgliche Korrektur einer unhaltbaren Entscheidung des Tatsachenrichters bzw. des hierauf gegründeten Urteils herbeiführen können. Beispielshaft soll hier die in den FEDERAL RULES OF CIVIL PROCEDURE vorgesehene Regelung beschrieben werden; allerdings ist darauf hinzuweisen, dass die betreffenden Verfahren in ihrer Ausprägung im Einzelnen stark variieren und die bundesrechtliche Regelung nur eines von mehreren gängigen Modellen darstellt862.

645

Zudem können sich insbesondere in Fällen der diversity jurisdiction nach den Grundsätzen der Erie doctrine selbst im Verfahren vor den Bundesgerichten Überschneidungen mit den teilweise deutlich anders ausgestalteten Prozessordnungen der Bundesstaaten ergeben, wobei das Verfahren selbst zwar dann vor dem erstinstanzlichen Bundesgericht geführt wird (und nicht, wie z. B. nach der Zivilprozessordnung des Bundesstaates New York, als Bestandteil der Rechtsmittelinstanz); dieses jedoch seiner abändernden Entscheidung in der Sache im Einzelfall die Grundsätze zugrunde legt, denen eine entsprechende Entscheidung nach dem konkurrierenden bundesstaatlichen System unterliegen würde863.

646

Wollen die Parteien im bundesgerichtlichen Verfahren die Entscheidung der Jury angreifen, so stehen ihnen hierzu nach Maßgabe der FEDERAL RULES OF CIVIL PROCEDURE noch in erster Instanz zwei Anträge zur Verfügung, die beide binnen zehn Tagen nach Urteilserlass gestellt werden müssen und im Grundsatz sowohl einzeln gestellt als auch – wie regelmäßig – miteinander verbunden werden können („ten-day motions“)864.

861 Zur Abgrenzung von nur im Rechtsmittelwege anzugreifenden Verfahrensund Rechtsfehlern vgl. Harman v. Harper, 7 F.3d 1455, 1457 (9th Cir. 1993), cert. denied, 513 U.S. 814 (1994) und In re Craddock, 149 F.3d 1249, 1254 n. 4 (10th Cir. 1998). 862 Vgl. insoweit z. B. insbesondere N.Y.C.P.L.R. § 5501(c): Abänderung in der Rechtsmittelinstanz. 863 Gasperini v. Center for Humanities, Inc., 518 U.S. 415 (1996); allgemein zur Erie doctrine vorst. Rn. 221 ff. 864 Zur Fristenberechnung vgl. Green v. Administrators of Tulane Educational Fund, 284 F.3d 642, 652 (5th Cir. 2002); zur Kombination beider Anträge z. B. Willis v. State Farm Fire and Cas. Co., 219 F.3d 715 (8th Cir. 2000).

310

Der Gang der Verhandlung Während der ersten zehn Tage nach Urteilserlass ist dessen Vollstreckung automatisch gehemmt, vgl. FRCP Rule 62(a); hiervon ausgenommen sind lediglich Urteile auf Vornahme oder Unterlassung einer Handlung; Entscheidungen in Verfahren unter Beteiligung vorläufiger Vermögensverwalter (receivers)865 und bestimmte patentrechtliche Entscheidungen. Nach Ablauf der Zehntagesfrist kann die weitere Vollstreckungshemmung mit Rücksicht auf eine der ten-day motions oder einen Antrag auf Urteilsaufhebung nach Maßgabe von FRCP Rule 60 (s. vorst. Rn. 34 ff.) auch richterlich angeordnet werden (vgl. FRCP Rule 62[b]).

647

a) Motion for a Judgment as a Matter of Law (Motion for Judgment n.o.v.) Die unterlegene Partei kann gemäß FRCP Rule 50(b) erneut einen Antrag auf Erlass eines judgment as a matter of law stellen, vorausgesetzt, sie hat einen solchen Antrag bereits zu einem früheren Zeitpunkt erfolglos einmal gestellt866. Begründet ist die entsprechende motion, die nach ihrem hergebrachten lateinischen Namen auch motion for a judgment n.o.v. (non obstante veredictu) genannt wird, unter denselben Voraussetzungen wie der entsprechende, bereits nach dem Ende der Beweisführung durch die Gegenpartei des Antragstellers angebrachte Antrag; d. h. wenn unter Berücksichtigung der dem Antragsgegner günstigen Beweismittel sowie der unstreitigen und unzweifelhaft erwiesenen Tatsachen keine Entscheidung zugunsten des Antragsgegners hätte ergehen dürfen, weil dieser seiner Beweislast nicht genügt hat.

648

Die Wiederholung einer motion for judgment as a matter of law kommt insbesondere dann in Betracht, wenn das Gericht (wie häufig) den Antrag ursprünglich vor allem deshalb abgelehnt hat, weil es zunächst den Verlauf des trial abwarten wollte, um nicht nach einer gegebenenfalls aufhebenden Rechtsmittelentscheidung doch noch die Hauptverhandlung mit Beweisaufnahme durchführen zu müssen, die es durch den Erlass eines judgment as a matter of law gerade vorzeitig abgebrochen hatte. Aufgrund des Entscheidungsprärogativs der Jury ist der Maßstab insoweit al-

649

865 Zu den Voraussetzungen der Ernennung sowie dem Ernennungsverfahren und dem Umfang ihrer Befugnisse vgl. FRCP Rule 66; CAL. CODE CIV.PROC. § 564-570 und Baicker-McKee, Janssen, Corr, Federal Civil Rules Handbook, Authors’ Commentary on Rule 66. 866 Rinehimer v. Cemcolift, Inc., 292 F.3d 375 (3d Cir. 2002); zu den Ausnahmen von diesem Wiederholungserfordernis (im Wesentlichen bei andernfalls grob unbilligen und materiell ungerechten Ergebnissen oder wenn der Richter ausdrücklich erklärt hat, es bedürfe keiner Wiederholung des Antrages) vgl. C.K Greenwood v. Societe Francaise De, 111 F.3d 1239, 1244 (5th Cir.), cert. denied, 522 U.S. 995 (1997) und Pahuta v. Massey-Ferguson, Inc., 170 F.3d 125, 129 (2d Cir. 1999).

311

Trial und gerichtliche Beweiserhebung

lerdings noch strenger als selbst derjenige, dem bei Stattgabe einer summary judgment motion entsprochen werden muss; letztlich ist eine motion for judgment n.o.v. nur dann begründet, wenn sich die Entscheidung der Jury nicht nur in einem irgendwie gearteten Widerspruch zur Beweislage befindet, sondern wenn sie schlechterdings irrational ist. 650

Hält der Richter den Antrag für begründet, kann er entweder unter (Teil-)Aufhebung der Entscheidung der Jury den Erlass eines entsprechenden Urteils oder die Wiederholung der Hauptverhandlung und Beweisaufnahme anordnen, wenn damit dem Gerechtigkeitsinteresse im Einzelfall mehr gedient ist. b) Motion for a New Trial

651

aa) Zur Wiederholung der Hauptverhandlung und Beweisaufnahme kann es darüber hinaus auch unmittelbar aufgrund eines entsprechenden Antrages der unterlegenen Partei – oder aufgrund einer Anordnung des Gerichts von Amts wegen – kommen, wenn die Entscheidung der Jury der Beweislage klar widerspricht oder dies aus anderen Gründen zur Wahrung der materiellen Gerechtigkeit erforderlich ist; vgl. FRCP Rule 59867. Der insoweit anzulegende Maßstab ist nicht ganz so hoch wie der bei der Antragsstattgabe im n.o.v.-Verfahren zu beachtende; auch insoweit darf der Richter jedoch nicht schlechterdings die Erkenntnisse der Jury durch seine eigene Beweiswürdigung ersetzen, sondern es bedarf der zweifelsfreien Feststellung, dass die Entscheidung der Jury mit der Beweislage in keinem Fall in Einklang zu bringen ist, dass dem Antragsteller erst nach Abschluss der Beweisaufnahme neue erhebliche Beweismittel verfügbar geworden sind oder dass das Verfahren an einem so schwerwiegenden Fehler leidet, dass die hierauf gegründete Entscheidung der Jury schlechterdings nicht hinnehmbar ist868. 867 Typisch insoweit die Aufzählung von Gründen in CAL. CODE CIV.PROC. § 657. 868 Vgl. Byrd v. Blue Ridge Rural Electric Cooperative, Inc., 356 U.S. 525, 540 (1958) (klare Unvereinbarkeit mit der Beweislage); Defenders of Wildlife v. Bernal, 204 F.3d 920, 928 – 929 (9th Cir. 2000) (neue entscheidungserhebliche Beweismittel) und Parker v. Gladden, 385 U.S. 363 (1966) (unzulässige Einflussnahme auf die Jury); zu zahlreichen weiteren Beispielen aus der sehr einzelfallbezogenen Rechtsprechung s. Baicker-McKee, Janssen, Corr, Federal Civil Rules Handbook, Authors’ Commentary on Rule 59(a) Fn. 3 – 13; zur grundsätzlichen Unbeachtlichkeit nicht auf die Entscheidung einwirkender Verfahrensfehler vgl. des Weiteren FRCP Rule 61 und Baicker-McKee, Janssen, Corr, Federal Civil Rules Handbook, Authors’ Commentary on Rule 61 m. w. N.

312

Der Gang der Verhandlung

bb) Hat die Jury eine unhaltbar hohe Schadensersatzsumme zugesprochen, so kann das Gericht auch, anstelle die Wiederholung der Hauptverhandlung und Beweisaufnahme anzuordnen, den Urteilsspruch auf das akzeptable Maß reduzieren (remittitur)869. Wann die Entscheidung der Jury in diesem Sinne unhaltbar ist, unterliegt im Verfahren vor den Bundesgerichten und demjenigen vor den Gerichten der Bundesstaaten zumeist unterschiedlichen Voraussetzungen; der bundesrechtliche Maßstab einer in ihrer Höhe schockierenden Entscheidung (verdict [that] shocks the conscience) wird jedoch unter Berücksichtigung der Erie doctrine auch von den Bundesgerichten nur noch dann angewandt, wenn nicht das im Einzelfall anwendbare Recht eines Bundesstaates einen anderen Maßstab zur Verfügung stellt870.

652

c) Verbindung beider Anträge Werden die beiden ten-day motions miteinander verbunden und vom Gericht nicht einheitlich negativ beschieden, so kommt es bei Stattgabe der motion for a new trial zu einer erneuten Hauptverhandlung und Beweisaufnahme, bei Stattgabe der motion for a judgement as a matter of law zum Erlass eines von der Entscheidung der Jury abweichenden Urteils; wird das Letztere in der Rechtsmittelinstanz aufgehoben, lebt die Entscheidung der Jury im Grundsatz wieder auf. Gibt das Gericht schließlich beiden Anträgen statt, so erlässt es zunächst das beantragte judgment n.o.v.; bei dessen Aufhebung in der Rechtsmittelinstanz kommt es jedoch aufgrund des insoweit gleichfalls stattgebenden Beschlusses des erstinstanzlichen Gerichts ebenfalls zur Durchführung einer erneuten Hauptverhandlung und Beweisaufnahme; vgl. FRCP Rule 50(c).

653

Vergleichbare Anträge wie die beiden vorstehend erörterten stehen dem Kläger auch im Rahmen eines bench trial zu (vgl. FRCP Rule 528[b] und 59[a][2]); allerdings sind diese regelmäßig schon deshalb noch seltener erfolgreich als die entsprechenden Anträge nach Verkündung der Entscheidung der Jury, weil sie regelmäßig nur entweder auf erst nach Abschluss der Beweisaufnahme neu erhältliche Beweismittel gestützt werden können oder der Richter mit ihrer Stattgabe zugleich einen schwerwiegenden eigenen Verfahrensverstoß einräumen muss.

654

869 Ebenfalls als remittitur bezeichnet wird – ohne jeden sonstigen Zusammenhang mit der richterlichen Korrektur einer exzessiven Jury-Entscheidung – die Rückgabe der Sache an das erstinstanzliche Gericht nach Abschluss des Rechtsmittelverfahrens; vgl. z. B. CAL. RULES OF CT. R. 26 (Kalifornien), TEX. R. APP.PROC. R. 46 (Texas) und 25 MCA ch. 21 R. 16 (Montana). 870 Gasperini v. Center for Humanities, Inc., 518 U.S. 415 (1996).

313

Kapitel 9: Parteien- und Anspruchsmehrheit

Weiterführende Literatur: Baicker-McKee, Janssen, Corr, Federal Civil Rules Handbook; Clermont, Civil Procedure; Eichholtz, Die US-amerikanische Class Action und ihre deutschen Funktionsäquivalente; Field, Kaplan, Clermont, Civil Procedure; Klonoff, Class Actions and Other Multiparty Litigation in a Nutshell; Schack, Einführung in das US-amerikanische Zivilprozessrecht; Schneider, Class Actions: rechtspolitische Fragen in den USA und Anerkennung in Deutschland; Siegel, New York Practice; Wright, Miller, Federal Practice and Procedure.

655

Ein wesentliches dem amerikanischen Prozessrecht zugrundeliegendes Bestreben ist die einheitliche Erledigung aller aus einem bestimmten Sachverhalt erwachsener Ansprüche zwischen allen beteiligten Parteien in einem einzigen Prozess. Folge dieses Bestrebens ist nicht nur der Ausschluss sämtlicher nicht geltend gemachter Ansprüche in einem späteren Verfahren, die einer Partei bereits bei Anhängigkeit des früheren Rechtsstreits zugestanden hätten; darüber hinaus sind auch an einem Prozess in deutlich weitgehenderem Maß, als nach §§ 50 ff. ZPO zugelassen, auf beiden Seiten Parteienmehrheiten beteiligt, die im Extremfall der complex litigation zwei- oder gar dreistellige Zahlen benannter Parteien oder im Rahmen von Massenklagen (class actions) sogar eine unbekannte Vielzahl von Personen ausmachen können, deren Rechte durch die in dem Prozess ergehende Entscheidung unmittelbar betroffen sind.

A. Anspruchshäufung 656

Da das Gericht keinerlei Prüfung der Rechtslage von Amts wegen vornimmt, vgl. vorst. Rn. 194 ff. u. 325, liegt es im Wesentlichen bei den Parteien selbst, sämtliche ihnen gegen die anderen Verfahrensbeteiligten zustehenden Rechte und Ansprüche prozessual geltend zu machen. Aus diesem Grunde lassen sowohl die FEDERAL RULES OF CIVIL PROCEDURE als auch die Prozessordnungen der Bundesstaaten die objektive Klagehäufung (und die gleichzeitige Geltendmachung aller potentiellen Einreden des Beklagten) kumulativ, alternativ und im Haupt- und Hilfsverhältnis unbeschränkt zu; vgl. FRCP Rule 8(e)(2) u. 18. Ansprüche, die bei Anhängigkeit eines Prozesses bereits erwachsen waren und von denen die Partei Kenntnis hätte haben müssen – wobei u. U. auch eine dementsprechende 314

Anspruchshäufung

Erkundigungspflicht besteht –, können grundsätzlich in einem nachfolgenden Rechtsstreit nicht mehr geltend gemacht werden, wenn sie notwendigerweise bereits Gegenstand des früheren Verfahrens hätten sein müssen (claim preclusion, s. nachf. Rn. 763 ff.). I. Notwendige Anspruchshäufung Im Prozess vor den Bundesgerichten – und nach den Prozessordnungen einiger, jedoch nicht aller Bundesstaaten auch vor den Gerichten der betreffenden Staaten – müssen grundsätzlich sämtliche aus einem Lebenssachverhalt erwachsenen Ansprüche in ein- und demselben Prozess eingeführt werden, um ihre Präklusion in einem späteren Prozess zu verhindern871. Notwendig ist dabei zwar nicht die Einbringung sämtlicher den Parteien aus einer Vielzahl von Umständen erwachsener Ansprüche, im Grundsatz jedoch derjenigen wechselseitigen Rechte, die im Zusammenhang mit demselben zugrundeliegenden Lebenssachverhalt stehen; vgl. FRCP Rule 13(a). Insbesondere auch der Beklagte ist daher zur Erhebung einer Widerklage verpflichtet, wenn seine gegen den Kläger gerichteter Anspruch in „logischem Zusammenhang“ mit dem Klageanspruch steht872.

657

Ausnahmen von dem vorstehenden Grundsatz gelten nur für die Erhebung einer Widerklage, und nur wenn und soweit:

658

– der Beklagte bereits aufgrund eines auf formelle oder prozessuale Einwände gestützten Klageabweisungsantrages (vgl. vorst. Rn. 350 ff.) obsiegt, ohne sich jemals sachlich auf die Klage eingelassen zu haben, oder wenn der Rechtsstreit bereits vor Zustellung der Klageerwiderung vergleichsweise beigelegt wird, denn FRCP Rule 13(a) schreibt die Erhebung einer Widerklage nur im Rahmen eines pleading vor (also i.d.R. der answer; vgl. FRCP Rule 7 und vorst. Rn. 317 u. 339 ff.). – der dem Beklagten zustehende Anspruch noch nicht entstanden oder noch nicht fällig ist, denn die Regelung in FRCP Rule 13(a) gilt nur für fällige Ansprüche. Wird der Gegenanspruch im Verlaufe des noch anhängigen Verfahrens fällig, so kann er (muss jedoch nicht) mit Zustimmung des Gerichts im Wege eines Nachtragsschriftsatzes (supplemental pleading; vgl. vorst. Rn. 387 ff.) später geltend gemacht werden873. 871 Baker v. Gold Seal Liquors, Inc., 417 U.S. 467, 469 n.1 (1973). 872 Moore v. New York Cotton Exchange, 270 U.S. 593 (1926): „logical relationship“ to the main claim. 873 Zum Verfahren vgl. sodann Baicker-McKee, Janssen, Corr, Federal Civil Rules Handbook, Authors’ Commentary on Rule 13(e).

315

Parteien- und Anspruchsmehrheit

– dem Beklagten ein Drittwiderklageanspruch gegen eine bislang am Prozess nicht beteiligte Partei zusteht, die der Entscheidungsgewalt des angerufenen Gerichts nach den Grundsätzen der personal jurisdiction nicht unterliegt; vgl. FRCP Rule 13(a) u. (h). Von dieser Ausnahme abgesehen, müssen aber auch Drittwiderklagen grundsätzlich im Rahmen des anhängigen Prozesses geltend gemacht werden. – der Anspruch des Beklagten bei Klageerhebung bereits Gegenstand eines eigenständigen Gerichtsverfahrens ist oder war; vgl. FRCP Rule 13(a)(1). Dies dient der Verhinderung solcher Klagen, mit denen der Kläger lediglich die Verlagerung des Rechtsstreits von einem ihm nicht genehmen Forum in ein genehmeres Forum bezweckt. Sind beide Verfahren allerdings vor dem gleichen Gericht anhängig, kann dieses auch von Amts wegen ihre Verbindung anordnen (vgl. FRCP Rule 42[a] und nachf. Rn. 670). – der Kläger den Beklagten im Wege eines nicht auf die Begründung von personal jurisdiction gerichteten Verfahrens in Anspruch genommen hat, insbesondere also im Rahmen von actions in rem und quasi in rem; vgl. FRCP Rule 13(a)(2) und vorst. Rn. 241–242874. Macht der Beklagte allerdings gleichwohl auch nur einen einzigen Anspruch gegen den Kläger im Wege der Widerklage geltend, so kommen die allgemeinen Grundsätze wieder zur Anwendung, d. h. es bedarf dann der Einbeziehung aller ihm gegen den Kläger zustehender Ansprüche. – der Kläger den Beklagten nur im Wege einer Feststellungklage oder auf Vornahme oder Unterlassung einer Handlung in Anspruch nimmt und der Gegenanspruch des Beklagten eine Geldforderung darstellt; diese kann der Beklagte regelmäßig auch in einem Forum seiner eigenen Wahl noch selbständig geltend machen. II. Fakultative Anspruchshäufung 659

Über die Erfordernisse der notwendigen Anspruchshäufung hinaus ist den Parteien die Geltendmachung wechselseitiger Rechte stets auch dann gestattet, wenn diese nicht aus demselben Lebenssachverhalt erwachsen sind; vgl. FRCP Rule 18(a) und 13(a)875. Grenzen ergeben sich insoweit lediglich aus der sachlichen und örtlichen Zuständigkeit des ange874 Baker v. Gold Seal Liquors, Inc., 417 U.S. 467, 469 (1973). 875 Auf der Ebene der Bundesstaaten ist die Anspruchshäufung teilweise ohne jede zwingende Regelung fakultativ zugelassen; vgl. z. B. CAL. CODE CIV.PROC. §§ 427.10 u. 428.10 sowie N.Y.C.P.L.R. § 601(a).

316

Parteihäufung

rufenen Gerichts; insbesondere im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Beschränkungen der gerichtlichen Entscheidungsgewalt (authority to adjudicate; vgl. vorst. Rn. 244 ff.), die im Grundsatz für jeden einzelnen der geltend gemachten Ansprüche bestehen muss876. Zulässig ist im amerikanischen Zivilprozess auch die Geltendmachung von Ansprüchen gegen eine Partei auf der gleichen Seite des anhängigen Rechtsstreits (cross claims, vgl. FRCP Rule 13[g]); allerdings im Verfahren vor den Bundesgerichten nur dann, wenn diese ihrerseits entweder aus demselben Lebenssachverhalt erwachsen sind wie die ursprünglichen klägerischen Ansprüche oder sich auf den streitgegenständlichen Vermögensgegenstand beziehen und wenn die sie geltend machende Partei selbst sich ihrerseits auch Ansprüchen anderer Prozessbeteiligter ausgesetzt sieht877. Zeitlich unterliegt die Erhebung von cross claims keinen Grenzen; sind die allgemeinen Voraussetzungen gewahrt, kann das Gericht diese im Wesentlichen nach freiem Ermessen zulassen878.

660

B. Parteihäufung Wie die Vorschriften über die Anspruchshäufung sind auch diejenigen, die sich mit der Parteienmehrheit befassen, in erster Linie auf die einheitliche Behandlung aller aus einem bestimmten Sachverhaltszusammenhang erwachsener Rechte und Pflichten gerichtet. Auch insoweit ist al876 Zu den Einzelheiten vgl. insoweit Baicker-McKee, Janssen, Corr, Federal Civil Rules Handbook, Authors’ Commentary on Rule 13. 877 Danner v. Anskis, 256 F.2d 123 (3d Cir. 1958). Ein Kläger, der seinerseits nicht selbst (z. B. im Wege der Widerklage) aufgrund des streitigen Sachverhalts in Anspruch genommen wird, ist also im Verfahren vor den Bundesgerichten zur Erhebung eines cross claim gegen einen anderen Kläger nicht berechtigt. Anders z. B. aber N.Y.C.P.L.R. § 3019(b), wonach keinerlei Beziehung zwischen Klagegegenstand und cross claim bestehen muss. S. hierzu Siegel, New York Practice § 227 m. w. N. 878 Allgemein s. Baicker-McKee, Janssen, Corr, Federal Civil Rules Handbook, Authors’ Commentary on Rule 13(b). Die Verfahrensordnungen einiger Bundesstaaten sehen vor, dass auch bestimmte auf demselben Sachverhalt beruhende cross claims u. U. erhoben weden müssen, wenn der Inhaber des Anspruchs insoweit Präklusionswirkungen vermeiden will (vgl. z. B. CAL. CODE CIV.PROC. §§ 426.10-426.60); dies geht jedoch gelegentlich einher mit einer Zusammenfassung von Widerklagen (im ansonsten üblichen Sprachgebrauch counterclaims) und cross claims im engeren Sinne unter dem letzteren Begriff; vgl. CAL. CODE CIV.PROC. § 428.80.

317

661

Parteien- und Anspruchsmehrheit

lerdings zunächst die notwendige (compulsory joinder) von der fakultativen Klagehäufung (permissive joinder) zu unterscheiden; des Weiteren der Regelfall der Verfahrensführung unter Beteiligung ausdrücklich – wenn auch nicht notwendigerweise namentlich, sondern nur nach ihrer Eigenschaft – benannter Parteien von der Massenklage (class action), in deren Rahmen eine gerichtliche Entscheidung gerade auch mit Wirkung nicht unmittelbar am Prozess beteiligter Personen herbeigeführt wird. I. Grundformen der Parteienmehrheit 1. Notwendige Parteihäufung 662

Notwendige Parteien eines Rechtsstreits sind diejenigen Personen, deren Rechte und Interessen so eng miteinander verbunden sind, dass eine Entscheidung in der Sache aus Rechtsgründen nur einheitlich ergehen kann; vgl. FRCP Rule 19(a). Notwendig sind danach diejenigen Parteien, ohne deren Beteiligung dem Klagebegehren nicht vollständig entsprochen werden kann, die im Falle ihrer Nichtbeteiligung selbst der Gefahr erheblicher Rechtsnachteile ausgesetzt wären oder von denen im Falle ihrer Nichtbeteiligung eine solche Gefahr für die bereits am Verfahren beteiligten Parteien (z. B. die Gefahr doppelter Inanspruchnahme) ausgehen würde879.

663

Die Einbeziehung aller nach diesen Grundsätzen notwendigen Parteien erfolgt regelmäßig auf der Beklagtenseite; dies gilt insbesondere auch für diejenigen Parteien, die eigentlich „im Lager“ des Klägers stehen (etwa weil sie mit diesem in Rechtsgemeinschaft stehen), jedoch die gemeinschaftliche Klageerhebung mit diesem abgelehnt haben880.

879 Ebenso i.W. z. B. CAL. CODE CIV.PROC. § 389(a) u. N.Y.C.P.L.R. §§ 1001(a) u. 1003. Zu zahlr. Beispielen aus der insoweit sehr einzelfallspezifischen Rechtsprechung s. desw. auch Baicker-McKee, Janssen, Corr, Federal Civil Rules Handbook, Authors’ Commentary on Rule 19 Fn. 2-10. 880 Ausdrücklich so auch CAL. CODE CIV.PROC. § 382. Lediglich ausnahmesweise gestattet FRCP Rule 19(a) die Einbeziehung einer notwendigen Partei auf der Klägerseite und damit die Umgehung der ansonsten bestehenden Zustellungserfordernisse, wenn der abwesenden Partei die Klage nach den allgemeinen Grundsätzen nicht zugestellt werden könnte, sie jedoch aus Gründen der materiellen Gerechtigkeit am Verfahren beteiligt werden muss. In der Praxis einziger Anwendungsfall dieser Regelung ist allerdings die Durchsetzung von Patent- oder Urheberrechten gegen in diese eingreifende Dritte durch einen vom eigentlichen Inhaber des Rechts verschiedenen Berechtigten (licensee), der auch eine Einbeziehung des Rechtsinhabers selbst auf der Klägerseite begehrt.

318

Parteihäufung Im Rahmen der Bestimmung der bundesgerichtlichen Zuständigkeit nach den Grundsätzen der diversity jurisdiction (vgl. vorst. Rn. 205 ff.) ist jedoch nicht die formale Parteistellung als Kläger oder Beklagter maßgeblich, sondern die tatsächlichen sachlichen und rechtlichen Interessen der Parteien.

664

Führen die auch hinsichtlich der Parteihäufung im Grundsatz voll zur Anwendung kommenden verfassungsrechtlichen Grenzen der gerichtlichen Entscheidungsgewalt (vgl. vorst. Rn. 244 ff.) dazu, dass eine eigentlich notwendige Partei nicht in das Verfahren einbezogen werden kann, muss das Gericht nach FRCP Rule 19(b) unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls eine Billigkeitsabwägung vornehmen, ob es das Verfahren insgesamt beenden oder ungeachtet der Nichtbeteiligung der an sich notwendigen Partei nur mit den bereits beteiligten Parteien fortsetzen will. In die Beurteilung einfließen müssen dabei insbesondere die rechtlichen Interessen der nicht beteiligten, eigentlich aber notwendigen Partei, das Interesse der bereits beteiligten Parteien an einer Verfahrensfortsetzung ohne Einschluss aller weiterhin notwendigen Parteien und das öffentliche Interesse an der effektiven Ausübung der Gerichtsbarkeit; wobei das Gericht auch zu berücksichtigen hat, ob und inwieweit durch gerichtliche Anordnungen im Einzelfall oder Maßnahmen der Parteien selbst ein Ausgleich der widerstreitenden Interessen herbeigeführt werden kann881.

665

Ein Sonderfall der notwendigen Parteihäufung sind schließlich auch die sogenannten Doe defendants, d. h. nicht namentlich, sondern nur nach Maßgabe ihrer Beteiligung an den dem Rechtsstreit zugrunde liegenden Tatsachen benannte Beklagte. Die Zulässigkeit dieser Parteibezeichnung ergibt sich einerseits aus dem grundsätzlichen Erfordernis, alle Ansprüche aufgrund eines bestimmten Lebenssachverhaltes in ein- und demselben Rechtsstreit geltend zu machen, andererseits aus dem hiermit verbundenen Problem, dass Name und Anschrift aller potentiellen Anspruchsgegner dem Kläger nicht immer von vornherein bekannt ist, sondern er hiervon gegebenenfalls erst infolge der discovery Kenntnis erlangt. In dieser Situation ist die gegnerische Benennung der betroffenen Beklagten mit der Bezeichnung

666

Allgemein vgl. Eikel v. States Marine Lines, Inc., 473 F.2d 959, 962 (5th Cir. 1973). 881 Vgl. Baicker-McKee, Janssen, Corr, Federal Civil Rules Handbook, Authors’ Commentary on Rule 19 m. zahlr. w.N. sowie auf der Ebene der Bundesstaaten z. B. auch CAL. CODE CIV.PROC. § 389(b) und N.Y.C.P.L.R. § 1001(b). Führt die gerichtliche Interessenabwägung zu der Entscheidung, das Verfahren insgesamt zu beenden, ändert sich die Bezeichnung der ausgeschlossenen notwendigen Partei von „necessary party“ in „indispensable party;“ hierbei handelt es sich jedoch lediglich um eine Frage der Terminologie, nicht des Abwägungsprozesses als solches. Provident Tradesmens Bank Trust Co. v. Patterson, 390 U.S. 102 (1968).

319

Parteien- und Anspruchsmehrheit „Doe“ (unter Hinzufügung der Zahl der Personen, die maximal insoweit in Betracht kommen, also z. B. Does No. 1 – 10) im Rubrum der Klageschrift sowie ihre nähere Beschreibung nach Maßgabe ihrer tatsächlichen Sachverhaltsbeteiligung in den einleitenden Absätzen der Klageschrift zulässig882. Jedoch muss der Kläger darum bemüht sein, die „Doe“-Bezeichnung alsbald durch die namentliche Benennung bestimmter Personen zu ersetzen; außerdem ist ein entsprechendes Gesuch als Klageergänzungsantrag i.S.v. FRCP Rule 15 zu werten mit der Folge, dass die Benennung von „Doe defendants“ in der ursprünglich eingereichten Klage grundsätzlich nicht verjährungshemmend im Verhältnis zu den namentlich erst nachbenannten Beklagten wirkt883.

2. Fakultative Parteihäufung 667

Über die notwendigen Parteien hinaus können am Verfahren fakultativ stets auch diejenigen Parteien beteiligt werden, denen Rechte aufgrund desselben Lebenssachverhalts wie auch des der Klage zugrundeliegenden zustehen; allerdings nur dann, wenn mindestens eine der streitigen Sachoder Rechtsfragen des anhängigen Verfahrens auch diese Personen betrifft (FRCP Rule 20)884.

668

Nicht stets (aber gelegentlich) um einen Fall der Parteihäufung und fast immer um einen solchen der Klageänderung handelt es sich bei der Einbeziehung des jeweiligen materiell-rechtlichen Inhabers der prozessual geltend gemachten Rechte nach Maßgabe von FRCP Rule 17(a), wonach auf beiden Seiten stets der materiell Berechtigte (real party in interest) 882 Vgl. Dean v. Barber, 951 F.2d 1210 (11th Cir. 1992); ausdrücklich so auch N.Y.C.P.L.R. § 1024. 883 Vgl. Cox v. Treadway, 75 F3d 230, 240 (6th Cir 1996), cert. denied, 117 SCt 78 (1996) u. Wilson v. United State Government, 23 F3d 559, 562 – 563 (1st Cir 1994). Üblich ist es, sowohl um dem Grundsatz eines fairen Verfahrens Genüge zu tun als auch aus Gründen der Prozessökonomie, die Klage spätestens zu Beginn des trial – oftmals jedoch sogar schon davor – mit Rücksicht auf alle nicht namentlich benannten Beklagten mit voll anspruchspräkludierender Wirkung abzuweisen. Weiter gehend im Grundsatz N.Y.C.P.L.R. § 1024; zu den sich dann ggf. ergebenden Vollstreckungsproblemen s. jedoch z. B. Kiamesha Concord v. Pullman, 274 N.Y.S.2d 431 (1966). 884 Ähnlich z. B. CAL. CODE CIV.PROC. §§ 378, 379 sowie im Grundsatz auch N.Y.C.P.L.R. § 1002, allerdings weiter gehend insoweit, als danach auch die Alternativ- bzw. hilfsweise Parteihäufung für den Fall der Unsicherheit über die Person des richtigen Beklagten zugelassen ist. Siehe N.Y.C.P.L.R. § 1002(b) und hierzu Siegel, New York Practice § 134-135; zu weiteren Beispielen aus der stark einzelfallbezogenen Rechtsprechung betreffend Fragen der Parteihäufung desw. Baicker-McKee, Janssen, Corr, Federal Civil Rules Handbook, Authors’ Commentary on Rule 20 Fn. 2-4 u. 8.

320

Parteihäufung

Partei des Rechtsstreits sein soll; nach einer Forderungsabtretung z. B. also der neue Forderungsinhaber und nicht der Zedent. Ist diesem Erfordernis im Einzelfall nicht genügt, so kommt es im Interesse der Prozessökonomie jedoch nicht zur Klageabweisung, sondern den Parteien ist Gelegenheit zu geben, entweder die Zustimmung des materiell Berechtigten zu der Prozessführung herbeizuführen oder diesen ordnungsgemäß als Partei in das Verfahren einzubeziehen885. Ausnahmen von dem Erfordernis der Prozessführung durch den materiell in der Sache Berechtigten selbst bestehen nur im Hinblick auf besondere, kraft gesetzlicher Bestimmungen bestellter oder ermächtigter Interessenvertreter wie z. B. Testamentsvollstrecker, Vermögens- und Konkursverwalter, die Eltern minderjähriger Kinder, Betreuer geschäftsunfähiger Personen sowie im Einzelfall auch im Interesse ihrer Mitglieder handelnde Gewerkschaften886.

669

3. Gerichtliche Verfahrensverbindung und -trennung Im Interesse der Prozessökonomie kann das Gericht – auf Antrag oder auch von Amts wegen – zwei getrennt anhängige Verfahren in ihrer Gesamtheit verbinden (consolidation) oder zumindest eine Verbindung zur gemeinsamen Verhandlung, Beweisaufnahme und gegebenenfalls Entscheidung herbeiführen, wenn diesen in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht dieselben Fragen zugrunde liegen (joint trial); vgl. FRCP Rule 42(a)887. Ebenso kann es im Gegenzug die getrennte Beweisaufnahme und Entscheidung hinsichtlich einzelner Parteien oder Sachfragen anordnen (separate trial, vgl. FRCP Rule 20[b] und 42[b])888 oder den noch weiter ge885 Ebenso auf der Ebene der Bundesstaaten z. B. CAL. CODE CIV.PROC. §§ 367-368.5, während die Zivilprozessordnung des Staates New York dieses Erfordernis als selbstverständlich voraussetzt und sich zum einen auf die Regelung derjenigen Fälle stellvertretender Prozessführung beschränkt, in denen eine Einbeziehung des materiell Anspruchsberechtigten nicht erforderlich ist, zum anderen auf die Regelung des Verfahrens im Falle eines Anspruchsübergangs; vgl. N.Y.C.P.L.R. §§ 1004 U. 1015-1026. 886 Vgl. FRCP Rule 17(c), N.Y.C.P.L.R. §§ 1201-1211 u. CAL. CODE CIV.PROC. §§ 372, 376 (Minderjährige und Geschäftsunfähige) sowie CAL. CODE CIV.PROC. § 369 (alle Vermögensverwalter); Wieburg v. GTE Southwest, Inc., 272 F.3d 302, 306 (5th Cir. 2001) (Konkursverwalter); Lenon v. St. Paul Mercury Insurance Co., 136 F.3d 1365, 1370 n. 2 (10th Cir. 1998) (Verwalter eines trust) und Local 538 United Brotherhood of Carpenters and Joiners of America v. United States Fidelity and Guaranty Co., 70 F.3d 741, 743 (2d Cir. 1995) (Gewerkschaft). 887 Ähnlich z. B. N.Y.C.P.L.R. § 602(a). 888 Ähnlich CAL. CODE CIV.PROC. § 379.5.

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670

Parteien- und Anspruchsmehrheit

henden Schritt der vollständigen Verfahrenstrennung in Bezug auf bestimmte Parteien unternehmen (severance; vgl. FRCP Rule 21)889. II. Beteiligung Dritter am Rechtsstreit 1. Impleader 671

Am ehesten der Drittwiderklage des deutschen Prozessrechts vergleichbar ist der sogenannte impleader, mit dem der Beklagte durch Inanspruchnahme eines bislang nicht am Prozess beteiligten Dritten (und nur eines solchen) den Kreis der Verfahrensbeteiligten erweitert; vgl. FRCP Rule 14. Die Zulässigkeit der Inanspruchnahme eines Dritten auf diesem Wege ergibt sich aus dem Grundgedanken der Prozessökonomie und der Vermeidung eines Folgeprozesses; allerdings ist der impleader (auch third party practice genannt) im Gegensatz zu der vorstehend erörterten Parteihäufung niemals ein notwendiger Schritt, sondern stets nur fakultativ890.

672

Die Zustellung des impleader-Schriftsatzes muss grundsätzlich spätestens zehn Tage nach der Zustellung der sachlichen Klageerwiderung (answer) erfolgen; eine spätere Inanspruchnahme des Dritten bedarf der Zustimmung des Gerichts.

673

Gegenstand des impleader sind zunächst ausschließlich Rechte des Beklagten gegen den in Anspruch genommenen Dritten (z. B. versicherungsrechtliche Deckungsansprüche); niemals unmittelbar Rechte des Klägers gegen den Dritten.

674

Nach der formalen Einbeziehung des Dritten in den Rechtsstreit kann dieser jedoch seinerseits – und muss gegebenenfalls zur Vermeidung der Anspruchspräklusion – eigene Ansprüche sowohl gegen den Kläger (aufgrund des Sachverhalts, aus dem dessen eigene Klageansprüche erwachsen sind) als auch gegen den ursprünglichen Beklagten sowie gegen jede wei889 Dies gilt insbesondere auch im Verhältnis zwischen Klage und Widerklage sowie hinsichtlich der gegenüber einer Mitpartei geltend gemachten cross claims; vgl. FRCP Rule 13(i) und McLaughlin v. State Farm Mutual Automobile Ins. Co., 30 F.3d 861, 870 (7th Cir. 1994), cert. denied, 513 U.S. 1149 (1995). Ähnlich wie die Regelung auf Bundesebene – sowohl zur Verfahrenstrennung als auch zur Anordnung einer getrennten Beweisaufnahme – i. Ü. auch N.Y.C.P.L.R. § 603; vgl. insoweit Siegel, New York Practice § 127 u. § 129-130. 890 Vgl. Fernandez v. Corporacion Insular De Seguros, 79 F.3d 207 (1st Cir. 1996); ebenso N.Y.C.P.L.R. §§ 1007-1011; eingehend zum impleader-Verfahren nach dem Recht des Bundesstaates New York Siegel, New York Practice § 155-167.

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Parteihäufung

tere Person geltend machen, die ihrerseits ebenfalls sodann im Wege der third party practice in den Prozess einzubeziehen ist; vgl. FRCP Rule 14(a). Die vom Drittbeklagten gegen den ursprünglichen Beklagten geltend zu machenden Rechte umfassen insbesondere auch diejenigen, die ihm gegebenenfalls aufgrund von dessen schlechter Prozessführung zustehen. Der Kläger kann nach Zustellung des impleader-Schriftsatzes ebenfalls Rechte geltend machen, die ihm gegen den Dritten aufgrund des der ursprünglichen Klageerhebung zugrundeliegenden Sachverhalts zustehen. Des Weiteren steht einem Kläger, der zugleich Widerklageansprüchen des ursprünglichen Beklagten ausgesetzt ist, das Recht zu, im Rahmen der Verteidigung gegen die Widerklage einen Dritten im Wege des impleader in Anspruch zu nehmen; vgl. FRCP Rule 14(b).

675

Dem impleader-Verfahren verwandt ist die teilweise noch heute fortbestehende common law-Praxis des vouching in, bei dem der Beklagte den betroffenen Dritten lediglich formell über den anhängigen Prozess in Kenntnis setzt und ihm die Möglichkeit eröffnet, die Federführung bei der Verteidigung gegen die Klage zu übernehmen. Es liegt sodann bei dem Dritten selbst, ob er von dieser Möglichkeit Gebrauch macht; selbst wenn dies nicht der Fall ist, ist er jedoch regelmäßig durch die Wirkungen des später ergehenden Urteils gebunden, soweit dieses seine Verpflichtungen gegenüber dem Beklagten betrifft891.

676

2. Interpleader Der in FRCP Rule 22 geregelte interpleader dient der Entscheidung über konkurrierende Ansprüche in ein- und demselben Prozess. Im Gegensatz zur Intervention (vgl. nachf. Rn. 681 ff. und §§ 64 ff. ZPO) wird dabei jedoch nicht der Inhaber des konkurrierenden Anspruchs tätig, sondern entweder leitet der Verpflichtete selbst gegen alle potentiellen Anspruchsberechtigten ein auf Feststellung des tatsächlichen Anspruchsinhabers gerichtetes Verfahren ein; oder wenn er bereits von einem der potentiell Berechtigten auf Leistung in Anspruch genommen worden ist, bezieht er seinerseits den oder die konkurrierend Anspruchsberechtigten – ähnlich der Streitverkündung nach §§ 72 ff. ZPO – durch Zustellung des interpleader-Schriftsatzes in das Verfahren ein892. 891 Allg. hierzu Siegel, New York Practice § 168. 892 Grubbs v. General Electric Credit Corp., 405 U.S. 699 (1972). Ähnlich N.Y.C.P.L.R. § 1006 u. CAL. CODE CIV.PROC. § 386(b); nach CAL. CODE CIV.PROC. § 386(a) kann der Beklagte des Weiteren auch einen ihm zur Haftungsfreistellung verpflichteten Dritten im Wege des interpleader in den Prozess einbeziehen.

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Parteien- und Anspruchsmehrheit

678

Sobald alle potentiellen Anspruchsinhaber Parteien des Rechtsstreits sind, kann das Gericht das Verfahren mit Rücksicht auf den Verpflichteten gegebenenfalls gegen Sicherheitsleistung in Höhe des Wertes des geltend gemachten Anspruchs beenden; der Prozess wird dann – etwa wie beim Gläubigerstreit nach Maßgabe von § 75 ZPO – streitig nur noch zwischen den konkurrierenden Anspruchsberechtigten fortgesetzt893.

679

Gegenstand des Verfahrens können dann nach Maßgabe der allgemein insoweit geltenden Vorschriften auch andere wechselseitige Rechte und Pflichten der Parteien sein, die im Wege der Klageerweiterung, Widerklage oder als cross claims geltend gemacht werden.

680

Im Normalfall ist der interpleader auch im Übrigen den allgemeinen Vorschriften unterworfen; insbesondere also den verfassungsrechtlichen Grenzen der örtlichen und sachlichen Gerichtsbarkeit. Allerdings eröffnet das Bundesrecht in 28 U.S.C. § 1335 in den Fällen, in denen jene Beschränkungen im Einzelfall zum gänzlichen Ausschluss des interpleader-Verfahren führen würden, weil ein für alle potentiell Anspruchsberechtigten ein im Verhältnis untereinander und im Verhältnis zum Verpflichteten zuständiges Forum nicht gegeben ist, ein eigenständiges bundesgerichtliches Forum, wenn der geltend gemachte Anspruch mindestens einen Wert von US$ 500,– hat und im Verhältnis von mindestens zwei Parteien die Voraussetzungen der diversity jurisdiction gegeben, diese also in verschiedenen Bundesstaaten ansässig sind; ohne dass es im Übrigen auf das Erfordernis der complete diversity (vgl. vorst. Rn. 209–210) ankäme894. Zulässig ist unter diesen Voraussetzungen die Zustellung der Klageschrift und des interpleader-Schriftsatzes überall in den USA, jedoch nicht im Ausland (vgl. 28 U.S.C. § 2361); eine venue ist am Wohnort bzw. Geschäftssitz jeder Partei, jedoch nicht an einem anderen Ort gegeben (insbesondere also auch nicht am situs der streitgegenständlichen Sache selbst, wenn dieser verschieden von den jeweiligen Wohn- und Geschäftssitzen der Parteien ist)895. In diesem sogenannten statutory interpleader-Verfahren (im Gegensatz zum Normalfall des rule interpleader unter FRCP Rule 22) muss der Verpflichtete stets entweder die streitgegenständliche Sache selbst 893 Vgl. z. B. In the Matter of Bohart, 743 F.2d 313, 317 (5th Cir. 1984); Southtrust Bank of Florida, N.A. v. Wilson, 971 F. Supp. 539, 542 (M.D. Fla. 1997) sowie grundsätzlich auch N.Y.C.P.L.R. § 1006(f); zum Hinterlegungsverfahren s. FRCP Rule 67 und Baicker-McKee, Janssen, Corr, Federal Civil Rules Handbook, Authors’ Commentary on Rule 67. 894 Ähnlich N.Y.C.P.L.R. § 216. 895 28 U.S.C. § 1397 und State Farm Fire & Cas. Co. v. Tashire, 386 U.S. 523 (1967).

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Parteihäufung

oder Sicherheit in Höhe von deren Wert bei Gericht hinterlegen (vgl. 28 U.S.C. § 1335[a][2]); außerdem kann das Gericht den Parteien gemäß 28 U.S.C. § 2361 die anderweitige Geltendmachung ihres Anspruchs ausdrücklich untersagen. 3. Intervention Wie das deutsche, so gestattet auch das amerikanische Prozessrecht einem Dritten, im Wege der Intervention in einen anhängigen Prozess einzugreifen; vgl. FRCP Rule 24896. Zu unterscheiden ist insoweit diejenige Intervention, die stets zuzulassen ist (intervention of right), von einer solchen, deren Zulassung im Ermessen des Gerichts steht (permissive intervention).

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a) Intervention of Right Einen Anspruch auf Zulassung seiner Intervention hat ein Dritter, wenn das geltend gemachte Interventionsrecht sich entweder unmittelbar aus einem (Bundes-)Gesetz ergibt897 oder wenn die Interessen des Intervenienten an der streitgegenständlichen Sache oder Transaktion durch den anhängigen Rechtsstreit beeinträchtigt werden könnten, soweit sie nicht bereits angemessen durch die Parteien mit vertreten werden (vgl. FRCP Rule 24[a] sowie zur Parteihäufung in diesen Fällen FRCP Rule 19[a][2][i])898. Dabei unterliegen sowohl der Begriff des Interesses als auch derjenige der Beeinträchtigung jenes Interesses einer verhältnismäßig weit gehenden Auslegung; so ist es u. a. schon ausreichend, wenn lediglich die unmittelbaren wirtschaftlichen Interessen des Dritten beeinträchtigt werden, selbst dann, wenn eine solche Beeinträchtigung sich lediglich aus der Bindungswirkung der ergehenden Entscheidung aufgrund der doctrine of stare decisis ergibt899. Auch hinsichtlich der nicht hinrei896 Im Rahmen von class actions, vgl. nachf. Rn. 688 ff., gilt dies auch für bislang nicht unmittelbar und namentlich am Prozess beteiligte Mitglieder der Klasse. Vgl. Marino v. Ortiz, 484 U.S. 301, 304 (1988); Devlin v. Scardelletti, No. 01 – 417, 2002 U.S. LEXIS 4215, 2002 WL 1270617 (2002). 897 Vgl. z. B. 28 U.S.C. § 2403 (Interventionsrecht der Vereinigten Staaten und der Bundesstaaten in den Verfahren, in denen ein Gesetz des betreffenden Souveräns unter Berufung auf einen darin enthaltenen Verfassungsverstoß gerichtlich angegriffen wird). 898 Ähnlich auf der Ebene der Bundesstaaten z. B. CAL. CODE CIV.PROC. § 387(b) sowie im Grundsatz auch N.Y.C.P.L.R. § 1012(a). 899 Vgl. z. B. Utahns for Better Transportation v. United States Department of Transportation, 295 F.3d 1111 (10th Cir. 2002) und Sierra Club v. Espy, 18 F.3d 1202, 1207 (5th Cir. 1994). Enger jedoch z. B. die Regelung des Bundesstaates

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Parteien- und Anspruchsmehrheit

chenden Vertretung seines Interesses durch die vorhandenen Parteien muss der Intervenient lediglich ein allgemein insoweit bestehendes Risiko darlegen. b) Permissive Intervention 683

Über die Fälle der intervention of right hinaus kann das Gericht die Intervention einer Verwaltungsbehörde zulassen, wenn eine der Prozessparteien sich im Prozess auf ein Gesetz beruft, dessen Anwendung zum Zuständigkeitsbereich der betreffenden Behörde gehört, sowie die Intervention jedes Dritten, der Rechte geltend macht, die rechtliche oder tatsächliche Gemeinsamkeiten mit den von den Prozessparteien geltend gemachten Rechten aufweisen; vgl. FRCP Rule 24(b)900. c) Verfahren

684

Die Geltendmachung des Interventionsinteresses erfolgt in allen Fällen durch Stellung eines den Parteien zuzustellenden, entsprechenden Antrages (motion) unter Beifügung eines pleading, aus dem sich die Gründe der Intervention im Einzelnen ergeben; vgl. FRCP Rule 24(c)901. Die Intervention ist grundsätzlich zu jedem Zeitpunkt des Verfahrens möglich, unterliegt zwar insoweit dem Beschleunigungsgebot; dessen Einhaltung wird jedoch vom Gericht nach im Wesentlichen freiem Ermessen und unter Berücksichtigung des grundsätzlichen Bestrebens nach größtmöglicher materieller Gerechtigkeit überwacht902. Nach Zulassung der Intervention hat der Dritte nahezu die vollen Rechte einer Partei, soweit diese nicht – insbesondere im Falle der permissive intervention – durch Gerichtsanordnung im Einzelfall eingeschränkt sind903.

900 901 902

903

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New York; vgl. Siegel, New York Practice § 180 m. w. N. Zur doctrine of stare decisis s. vorst. Rn. 190 ff. Vergleichbar z. B. CAL. CODE CIV.PROC. § 387(a) und N.Y.C.P.L.R. § 1013. Ebenso ausdrücklich N.Y.C.P.L.R. § 1014. Zu den insoweit maßgeblichen Kriterien im Einzelnen Arrow v. Gambler’s Supply, Inc., 55 F.3d 407 (8th Cir. 1995), Jordan v. Michigan Conference of Teamsters Welfare Fund, 207 F.3d 854, 862 (6th Cir. 2000); Caterino v. Barry, 922 F.2d 37, 40 (1st Cir. 1990) und Siegel, New York Practice § 183 m. w. N. Walsh v. Walsh, 221 F.3d 204, 213 (1st Cir. 2000), cert. denied, 531 U.S. 1159 (2001) und Beauregard, Inc. v. Sword Services, L.L.C., 107 F.3d 351, 352 n. 2 (5th Cir. 1997).

Parteihäufung

III. Complex Litigation Eine für den mit dem Prozessverständnis der deutschen Zivilprozessordnung großgewordenen Juristen besonders gewöhnungsbedürftige Besonderheit des amerikanischen Zivilprozesses sind die unter dem Stichwort der complex litigation bekannten Massenverfahren, die vor allem im Rahmen der Prospekthaftung sowie von Produkthaftungsklagen (consumer protection), Klagen wegen umweltschädlicher oder gesundheitsgefährdender industrieller Vorgänge (toxic torts litigation), bestimmten aktienrechtlichen Verfahren (securities litigation) und wettbewerbsrechtlichen Streitigkeiten (antitrust proceedings) von erheblicher praktischer Bedeutung sind und immer wieder auch weltweit für Schlagzeilen sorgen.

685

Zu unterscheiden sind dabei diejenigen Verfahren, in denen dem beklagten Unternehmen eine Vielzahl namentlich benannter und persönlich unmittelbar am Verfahren beteiligter Kläger gegenüberstehen, von den sogenannten class actions, in deren Rahmen der Rechtsstreit nur von einigen wenigen Vertretern der betroffenen „Klasse“ geführt wird, die jedoch in ihrer Wirkung auch alle anderen, nicht persönlich und unmittelbar am Verfahren beteiligten Mitglieder der Klasse erreichen. Sonderfälle der class action sind schließlich die stellvertretende Geltendmachung von Rechten einer Handelsgesellschaft durch einzelne Gesellschafter, wenn die Geschäftsleitung des Unternehmens es pflichtwidrig unterlassen hat, diese Rechte selbst im Namen der Gesellschaft durchzusetzen (shareholder derivative action), sowie die stellvertretende Prozessführung im Namen nicht als juristische Person organisierter Rechtsgemeinschaften wie insbesondere der meisten Gewerkschaften.

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1. Verfahren unter Beteiligung einer Vielzahl benannter Parteien Greift die Handlungsweise des Beklagten in die Rechte einer Vielzahl von Personen ein, ohne dass jedoch die besonderen Voraussetzungen der class action vorliegen, wird das Verfahren im Grundsatz nach den allgemein geltenden Regeln geführt; wenngleich sich auch aus der Komplexität, die mit der Beteiligung einer nicht selten bis zu dreistelligen Zahl persönlich benannter Kläger verbunden ist, bestimmte Erfordernisse ergeben, denen sowohl in den local rules der Gerichte als auch durch verfahrensleitende Anordnungen des im Einzelfall entscheidenden Richters Rechnung getragen wird.

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Parteien- und Anspruchsmehrheit

2. Class Actions 688

Hiervon bereits grundsätzlich zu unterscheiden sind diejenigen Massenprozesse, in denen die Rechte einer unendlich großen „Klasse“ von Betroffenen durch nur einige wenige Vertreter vor Gericht wahrgenommen werden.

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Der offensichtliche Vorteil dieses Verfahrens liegt zum einen in der mit der Prozessführung unter Beteiligung einiger weniger Klassenvertreter für beide Seiten verbundenen Kostenersparnis und der (relativen) Vereinfachung des Verfahrens; für den Gegner der Klasse des Weiteren auch darin, sich aufgrund der Wirkung der verfahrensbeendenden Entscheidung für und gegen alle Klassenmitglieder nicht einer Vielzahl von Folgeprozessen ausgesetzt sehen zu müssen. Auf der Kehrseite stehen jedoch nicht unerhebliche Bedenken aus dem verfassungsmäßigen Recht der Klassenmitglieder auf die Gewährung rechtlichen Gehörs; in erster Linie mit Rücksicht auf ihre angemessene Benachrichtigung über Anhängigkeit und Gegenstand des Prozesses, die sie grundsätzlich in die Lage versetzen muss, zu entscheiden, ob sie sich zur Wahrung ihrer Rechte persönlich an diesem beteiligen oder die ergehende Entscheidung anderweitig für und gegen sich gelten lassen wollen. Auch die Benachrichtigung der Klassenmitglieder über spätere Verfahrensvorgänge wie insbesondere einen Vergleichsschluss und die Verwaltung und Verteilung des Urteilsoder Vergleichsbetrages kann in der Praxis mit beträchtlichen Problemen verbunden sein. Gleichwohl hat sich jedoch die class action seit ihrer Einführung im amerikanischen Prozesssystem voll durchgesetzt und ist aus der heutigen Verfahrenslandschaft schlechterdings nicht mehr wegzudenken904.

a) Voraussetzungen 690

Im Grundsatz liegt es beim Kläger, bereits in der Klageschrift die Behandlung des Rechtsstreits als class action (class certification) ausdrücklich zu beantragen; vgl. FRCP Rule 23(a). Dabei trifft ihn vollumfänglich die Darlegungslast905 für das kumulative Vorliegen der folgenden Voraussetzungen906: 904 Die ganz überwiegende Mehrzahl der class actions wird von Klassenvertretern auf der Klägerseite eingeleitet; ausdrücklich zugelassen ist in FRCP Rule 23 allerdings auch eine class action gegen Vertreter einer Beklagtenklasse. Vgl. insoweit z. B. Ameritech Benefit Plan Committee v. Communication Workers of America, 220 F.3d 814, 819 (7th Cir. 2000), cert. denied, 531 U.S. 1127 (2001) und Consolidated Rail Corp. v. Town of Hude Park, 47 F.3d 473 (2d Cir.), cert. denied, 515 U.S. 1122 (1995); als Beispiel einer class action mit Klassenzulassung auf Kläger- und Beklagtenseite s. Dudley v. Kerwick, 444 N.Y.S.2d 965 (1981). 905 Zinser v. Accufix Research Institute, Inc., 253 F.3d 1180 (9th Cir. 2001). 906 Ähnlich, aber teilweise enger z. B. N.Y.C.P.L.R. §§ 901-902; s. hierzu Siegel, New York Practice §§ 139–142.

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Parteihäufung

– Es müssen mit hinreichender Sicherheit nicht nur das Vorliegen einer Klasse überhaupt, sondern auch die die Klasse ausmachenden, gemeinsamen Merkmale ihrer Mitglieder feststellbar sein907. – Die stellvertretend für die nicht unmittelbar prozessbeteiligten Klassenmitglieder auftretende Partei muss selbst Mitglied der behaupteten Klasse sein; ändern sich die insoweit zugrundeliegenden tatsächlichen Verhältnisse im Verlaufe des Prozesses, ist die Partei durch einen anderen geeigneten Klassenvertreter zu ersetzen908. – Die betroffene Klasse muss so umfangreich sein, dass eine direkte Parteibeteiligung aller ihrer Mitglieder schlechterdings unpraktikabel ist; vgl. FRCP Rule 23(a)(1). Die insoweit vom Gericht vorzunehmende Prüfung ist zwar keine rein numerische, jedoch wird eine Gruppe von 10-11 Mitgliedern regelmäßig zu gering sein909, während die Klageerhebung im Interesse von mehreren Hundert oder gar Tausenden von Mitgliedern die umfangmäßigen Voraussetzungen der class action erfüllt910. In dem zwischen ca. 10 und 100 Personen liegenden Bereich kommt es auf eine Prüfung aller Umstände des Einzelfalles an; insgesamt ist jedoch insoweit die Rechtsprechung nicht ganz einheitlich911. – Es müssen in Bezug auf alle Mitglieder der Klasse gemeinsame Tatsachen- oder Rechtsfragen zur Entscheidung anstehen, was nach Maßgabe von FRCP Rule 23(a)(2) und (b) nur in einer der drei folgenden Situationen der Fall ist912: 907 Tefel v. Reno, 180 F.3d 1286, 1304 (11th Cir. 1999), cert. denied, 530 U.S. 1228 (2000); Simmons v. Poe, 47 F.3d 1370, 1381 – 1382 (4th Cir. 1995) und Berman v. Narragansett Racing Ass’n, 414 F.2d 311, 317 (1st Cir. 1969), cert. denied, 396 U.S. 1037 (1970). 908 East Texas Motor Freight System, Inc. v. Rodriguez, 431 U.S. 395, 403 (1977) und Holmes v. Pension Plan of Bethlehem Steel Corp., 213 F.3d 124, 135 – 136 (3d Cir. 2000). 909 Vgl. z. B. National Association of Government Employees v. City Public Service Board of San Antonio, 40 F.3d 698, 715 (5th Cir. 1994) (11 Mitglieder). 910 Vgl. z. B. Bitinger v. Tecumseh Products Co., 123 F.3d 877, 884 n. 1 (6th Cir. 1997) (über 1.100 Mitglieder). 911 Vgl. z. B. Stewart v. Abraham, 275 F.3d 220, 226 – 227 (3d Cir. 2001), cert. denied, 122 S.Ct. 2661 (2002) (über 40 Mitglieder i.d.R. ausreichend); Hernandez v. Alexander, 152 F.R.D. 192 (D. Nev. 1993) (52 Mitglieder nicht ausreichend) und Grant v. Sullivan, 131 F.R.D. 436, 446 (M.D. Pa. 1990) (14 Mitglieder ausreichend). 912 Zu der außerordentlich reichhaltigen und sehr stark einzelfallbezogenen Rechtsprechung vgl. Baicker-McKee, Janssen, Corr, Federal Civil Rules Handbook, Authors’ Commentary on Rule 23 Fn. 59-78.

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Parteien- und Anspruchsmehrheit

– Wenn die Gefahr bestünde, dass bei individueller Klageerhebung durch einzelne Mitglieder der Klasse deren Prozessgegner jeweils widersprüchlichen Verpflichtungen im Verhältnis zu verschiedenen Klassen-Angehörigen ausgesetzt wäre oder dass die nicht prozessierenden Mitglieder der Klasse erhebliche Rechtsnachteile erleiden würden (z. B. wenn aufgrund gerichtlich ausgesprochener Zahlungsverpflichtungen letztlich nur die Ansprüche der klagenden, nicht jedoch diejenigen aller Berechtigten aus einer Vermögensmasse befriedigt werden könnten); – wenn der Gegner der Klasse sein eigenes Verhalten gerade auf die charakteristischen Gemeinsamkeiten der Klasse eingestellt hat und deshalb eine einheitliche Entscheidung mit Wirkung für und gegen alle Klassenmitglieder angemessen erscheint, insbesondere bei Urteilen auf Vornahme oder Unterlassung einer Handlung (injunctions) und Feststellungsurteilen (dies war z. B. in den Anti-Segregationsprozessen der sechziger und siebziger Jahre der Fall, mit denen die Rassentrennung in Schulen und Universitäten bekämpft wurde); – oder wenn die den Klassenmitgliedern gemeinsamen Tatsachenoder Rechtsfragen diejenigen Fragen, die nur einzelne Mitglieder betreffen, in ihrer Bedeutung übersteigen und die Zulassung der class action unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles den fairsten und angemessensten Weg der Streitentscheidung eröffnet. Dabei bedarf es einer Abwägung zwischen dem Interesse einzelner Klassenmitglieder an der individuellen Geltendmachung ihrer Rechte – insbesondere auch im Rahmen bereits anhängiger Prozesse sowie unter Berücksichtigung der opting-out-Möglichkeit, vgl. nachf. Rn. 694 – und dem Interesse an einer einheitlichen Entscheidung mit Wirkung für und gegen die gesamte Klasse, unter Berücksichtigung insbesondere auch des Ausmaßes der persönlichen Betroffenheit der direkt verfahrensbeteiligten Klassenvertreter, des bereits gerichtlich in das Verfahren investierten Aufwandes, der Geeignetheit des gewählten Forums zur einheitlichen Behandlung des Rechtsstreits (z. B. aufgrund schneller Verfügbarkeit der meisten Beweismittel im Verfahren vor dem jeweiligen Gericht) sowie der administrativen Überforderung des angerufenen Gerichts mit der Durchführung eines als class action zugelassenen Verfahrens. – Die von den Klassenvertretern geltend gemachten Rechte müssen typisch für die Interessen der Klasse insgesamt sein; vgl. FRCP Rule 23(a)(3). Dies wird i.d.R. der Fall sein, wenn den vor- und nachstehend genannten Gemeinsamkeits- und Angemessenheitsmerkmalen Ge330

Parteihäufung

nüge getan ist, und ergibt sich häufig bereits aus der Tatsache, dass es sich bei dem direkt prozessbeteiligten Klassenvertreter selbst ebenfalls um ein Mitglied der Klasse handelt913. – Schließlich muss nach Maßgabe von FRCP Rule 23(a)(4) sichergestellt sein, dass die Vertreter die Rechte der Klasse in angemessener Weise wahrnehmen werden; dies ist nicht der Fall, wenn sie unter dem Mantel der class action in erster Linie die Durchsetzung eigener Interessen verfolgen. Dieses Erfordernis unterliegt wegen seiner missbrauchsverhindernden Funktion einer besonders engen gerichtlichen Kontrolle914. Ein inhaltsgleiches gesondertes Erfordernis besteht nach Maßgabe einer mit Wirkung zum 1.12.2003 neu in die FEDERAL RULES OF CIVIL PROCEDURE eingefügten Vorschrift (FRCP Rule 23[g]) auch hinsichtlich des die Klasse vor Gericht vertretenden Anwalts. Dies dient der Verhinderung solcher class actions, die von den persönlich am Verfahren beteiligten Parteien oder von deren Anwälten in erster Linie im Interesse der direkt verfahrensbeteiligten Parteien geführt werden, da aufgrund der persönlichen Mandatsbeziehung zwischen dem Prozessbevollmächtigten und jenen Parteien regelmäßig auch die Loyalitätsbindungen zwischen diesen Beteiligten – sowie die anwaltliche Kenntnis um die im Einzelfall bestehende Interessenlage – wesentlich deutlicher ausgeprägt sind als vergleichbare Beziehungen zwischen dem Prozessbevollmächtigten und der anonymen Mehrheit der verfahrensunbeteiligten Klassenmitglieder. Bereits nach herkömmlichen Richterrecht muss der die Klasse vertretende Prozessbevollmächtigte jedoch ein gewisses Mindestmaß an forensischer Erfahrung haben sowie über die für die (regelmäßig sehr aufwendige) Prozessführung erforderlichen finanziellen Mittel auch unabhängig von seinem Honoraranspruch verfügen915.

b) Verfahren So bald wie möglich nach Klageerhebung bestimmt das angerufene Gericht, ob die Klage wie beantragt als class action zugelassen werden soll (class certification); vgl. FRCP Rule 23(c)(1)916. Dabei hat bereits die Kla913 Mullen v. Treasure Chest Casino, LLC, 186 F.3d 620, 625 (5th Cir. 1999), cert. denied, 528 U.S. 1159 (2000) u. Robinson v. Sheriff of Cook County, 167 F.3d 1155, 1157 (7th Cir.), cert. denied, 528 U.S. 824 (1999). 914 Mullen v. Treasure Chest Casino, LLC, 186 F.3d 620, 625 (5th Cir. 1999), cert. denied, 528 U.S. 1159 (2000); Retired Chicago Police Association v. City of Chicago, 7 F.3d 584, 598 (7th Cir. 1993), cert. denied, 519 U.S. 932 (1996) und Stirman v. Exxon Corp., 280 F.3d 554, 563 (5th Cir. 2002). 915 In re Joint Eastern and Southern District Asbestos Litigation, 78 F.3d 764, 778 (2d Cir. 1996) und In re Fine Paper Antitrust Litigation, 617 F.2d 22, 27 (3d Cir. 1980). 916 Unklar ist in Ansehung des derzeitigen Standes der höchstrichterlichen Rechtsprechung, ob das Gericht im Rahmen der class certification auch die materiel-

331

691

Parteien- und Anspruchsmehrheit

geerhebung als solche – zumindest bis zur gerichtlichen Entscheidung über die Zulassung des Verfahrens als class action – verjährungshemmende Wirkung für und gegen alle Mitglieder der behaupteten Klasse; lehnt das Gericht die class certification allerdings ab, endet die Verjährungshemmung im Verhältnis zu den nicht persönlich am Verfahren beteiligten Mitgliedern917. Das Gericht kann die Zulassung bestimmten Bedingungen unterwerfen (FRCP Rule 23[c][1]), auf einzelne Tatsachenoder Rechtsfragen beschränken oder die Klasse nach Maßgabe nur teilweise bestehender Gemeinsamkeiten in verschiedene Teilklassen gruppieren (FRCP Rule 23[c][4]). Die gerichtliche Entscheidung ist gemäß FRCP Rule 23(f) nur dann selbständig gerichtlich angreifbar, wenn eine solche Anfechtung vom Rechtsmittelgericht im Einzelfall zugelassen wird, was jedoch nur selten der Fall ist918. 692

Im Rahmen der Prüfung der Zuständigkeit des angerufenen Gerichts werden dabei im Grundsatz nur die namentlich und direkt als Partei am Verfahren beteiligten Parteien berücksichtigt919; insbesondere kommt es auf die gerichtliche Entscheidungsgewalt über abwesende Klassenmitglieder dann nicht mehr an, wenn diese hinreichend über das Verfahren in Kenntnis gesetzt worden sind, die Möglichkeit hatten, sich an diesem zu beteiligen, und von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht haben920. Die Streitwertgrenze der sachlichen Zuständigkeit der Bundesgerichte im Rahmen der diversity jurisdiction (vgl. vorst. Rn. 211 ff.) muss allerdings jeder einzelne von der Klasse geltend gemachte Anspruch erreichen921; wobei nach einem am 18.2.2005 in Kraft getretenen Gesetz („Class Action Fairness Act“) die ausschließliche Zuständigkeit der Bundesgerichte für class actions mit einem Streitwert von mehr als US$ 5 Millionen gegeben ist (vgl. nunmehr 28 U.S.C. § 1711), es sei denn, die überwiegende Mehrzahl der Kläger habe ihren Wohnsitz in einem bestimmten Bundesstaat und auch der Schaden sei dort eingetreten (28 U.S.C. § 1711[a][9]).

917

918 919 920 921

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len Erfolgsaussichten der Klage berücksichtigen darf oder sogar soll. Im Grundsatz dagegen Eisen v. Carlisle & Jacquelin, 417 U.S. 156, 177 (1974); anders jedoch zumindest auf der Grundlage der jeweils entscheidungserheblichen Tatsachen General Telephone Co. of Southwest v. Falcon, 457 U.S. 147,160 (1982) und Coopers & Lybrand v. Livesay, 437 U.S. 463, 469 n. 12 (1978). American Pipe & Constr. Co. v. Utah, 414 U.S. 538, 542 – 543 (1974); das Gleiche gilt, wenn einzelne Mitglieder der Klasse eine Erklärung dahin gehend abgeben, dass sie die Wirkungen des Verfahrensabschlusses nicht gegen sich gelten lassen wollen (opting out), ebda. S. 550 – 551. Coopers & Lybrand v. Livesay, 437 U.S. 463 (1978) und Gardner v. Westinghouse Broadcasting Co., 437 U.S. 478 (1978). Supreme Tribe of Ben Hur v. Cauble, 255 U.S. 356 (1921). Phillips Petroleum Co. v. Shutts, 472 U.S. 797 (1985). Snyder v. Harris, 394 U.S. 332 (1969) und Zahn v. International Paper Co., 414 U.S. 291 (1973).

Parteihäufung

Insbesondere im Rahmen von case management orders kann (und wird) das Gericht eine Vielzahl prozessleitender Anordnungen auch im Verlaufe des Verfahrens treffen, um dieses unter Berücksichtigung seiner Komplexität einerseits und der Interessen insbesondere der nicht persönlich beteiligten Klassenmitgliedern andererseits einer möglichst fairen, zügigen und ökonomischen Erledigung zuzuführen; vgl. FRCP Rule 23(d)922.

693

In Bezug auf class actions, deren Zulassung ausschließlich auf die allen Klassenmitgliedern gemeinsamen Tatsachen- und Rechtsfragen und die Angemessenheit der gemeinsamen Behandlung mit Wirkung für und gegen alle gestützt ist, bestehen zum Schutz der abwesenden Klassenmitglieder gemäß FRCP Rule 23(c)(2) die folgenden weiteren Erfordernisse923:

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– Die nicht persönlich am Verfahren beteiligten Klassenmitglieder müssen über den anhängigen Prozess in Kenntnis gesetzt werden, und zwar „so gut wie unter den Umständen des Einzelfalles möglich“924; insbesondere bedarf es der individuellen Benachrichtigung jedes Klassenmitgliedes, dessen Identität ohne unzumutbar großen Aufwand ermittelt werden kann, wobei die als Vertreter der Klasse im Verfahren auftretenden Parteien die insoweit entstehenden Kosten gemeinschaftlich zu tragen haben925. – Jedes bislang nicht direkt am Verfahren beteiligte Klassenmitglied hat das Recht, dem Verfahren persönlich beizutreten; und zwar auch unabhängig von der gleichfalls insoweit bestehenden Möglichkeit der Intervention (vgl. vorst. Rn. 681 ff.)926. In der Benachrichtigung sind die ab922 Allgemein vgl. insoweit Baicker-McKee, Janssen, Corr, Federal Civil Rules Handbook, Authors’ Commentary on Rule 23; zur vergleichbaren Regelung des Bundesstaates New York s. desw. auch N.Y.C.P.L.R. § 907 m. Erläuterungen bei Siegel, New York Practice § 147. 923 Nach einer zum 1.12.2003 in Kraft getretenen Änderung von FRCP Rule 23(c) gelten diese Benachrichtigungs- und Hinweispflichten nunmehr für alle class actions; hinsichtlich der Verfahren, in denen die class certification auf die Notwendigkeit einer einheitlichen Entscheidung zum Schutz der Klassenmitglieder selbst oder von deren Gegner gestützt ist, allerdings nur gegenüber den Klassenmitgliedern, die ohne übergroßen Aufwand erreichbar sind. 924 Wörtlich: „the best notice practicable under the circumstances.“ 925 Eisen v. Carlisle & Jacquelin, 417 U.S. 156 (1974) und Oppenheimer Fund, Inc. v. Sanders, 437 U.S. 340 (1978). Zur Ausgestaltung der Benachrichtigungspflicht nach Maßgabe des insoweit differenzierteren N.Y.C.P.L.R. § 904 vgl. Siegel, New York Practice § 143. 926 In Ausnahmefällen steht einem bislang nicht persönlich am Verfahren beteiligten Klassenmitglied darüber hinaus das Recht zu, Gerichtsentscheidungen

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Parteien- und Anspruchsmehrheit

wesenden Mitglieder der Klasse auf diese Beitrittsmöglichkeit ausdrücklich hinzuweisen. Das beitretende Mitglied bedarf der Vertretung durch einen Prozessbevollmächtigten. – Jedes nicht persönlich am Verfahren beteiligte Klassenmitglied hat das Recht, sich aus der Klasse ausschließen zu lassen (opting out), um somit der Bindungswirkung der verfahrensbeendenden Entscheidung zu entgehen927. Solchermaßen aus dem Verfahren ausdrücklich austretende Klassenmitglieder haben die Möglichkeit, ihre Rechte weiterhin auch individuell durchzusetzen, verlieren allerdings auch jeglichen Anspruch auf Teilhabe an der in der class action erzielten Urteils- oder Vergleichssumme. Klassenmitglieder, die von dieser Möglichkeit nicht durch ausdrückliche Erklärung Gebrauch machen, bleiben weiterhin durch die Wirkungen der class certification und des Verfahrensausgangs gebunden; und zwar selbst dann, wenn ihre Identität während der Anhängigkeit des Verfahrens nicht bekannt war und sie deshalb die nach FRCP Rule 23(c)(2) vorgeschriebene Benachrichtigung niemals erhalten haben928. c) Beendigung 695

Eine besondere Regelung findet sich in FRCP Rule 23(e) auch in Bezug auf die vergleichsweise Beendigung des Verfahrens, bei der die Gefahr der Außerachtlassung der Interessen der abwesenden Mitglieder der Klasse besonders groß ist. Aus diesem Grunde müssen alle Mitglieder der Klasse zunächst gesondert über den Vergleichsschluss informiert werden929. Des Weiteren bedarf der Vergleichsschluss der gerichtlichen Zustimmung, die im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts aufgrund einer Prüfung der Fairness der Vereinbarungen gerade auch den abwesenden Klas-

im Rechtsmittelwege anzugreifen, wenn der Antrag des Betreffenden, dem Verfahren im Interventionswege beizutreten, zu Unrecht zurückgewiesen worden ist und die angefochtene Entscheidung Bindungswirkung auch ihm gegenüber entfaltet. Devlin v. Scardelletti, No. 01-417, 2002 U.S. LEXIS 4215, 2002 WL 1270617 (2002). 927 Nur fakultativ geregelt ist die Beschränkung des Verfahrens auf die Klassenmitglieder, die nicht von ihrem opting out-Recht Gebrauch gemacht haben, z. B. in N.Y.C.P.L.R. § 903; vgl. hierzu Siegel, New York Practice § 144. 928 Eisen v. Carlisle & Jacquelin, 417 U.S. 156 (1974) und Sperling v. Hoffman-La Roche, Inc., 24 F.3d 463, 470 (3d Cir. 1994). 929 Möglich ist allerdings eine entsprechende gerichtliche Anordnung auch schon zu einem früheren Zeitpunkt, wenn dies zum Schutz der Interessen der abwesenden Klassenmitglieder erforderlich erscheint; vgl. FRCP Rule 23(d)(2).

334

Parteihäufung

senmitgliedern gegenüber und regelmäßig nur aufgrund mündlicher Verhandlung erteilt wird930. Zulässig, jedoch einer besonders strengen Angemessenheitsprüfung unterworfen ist auch die class certification mit besonderer Wirkung nur hinsichtlich des geschlossenen Vergleichs, wenn ansonsten insoweit alle richterrichtlich und in FRCP Rule 23 aufgestellten allgemeinen Voraussetzungen gegeben sind931.

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Wird das Verfahren nicht (wie zumeist) durch Vergleichsschluss, sondern durch gerichtliche Entscheidung beendet, so bedarf jene Entscheidung der möglichst genauen Bezeichnung aller davon betroffenen Klassenmitglieder, mit der Ausnahme lediglich derjenigen, die sich ausdrücklich vom Verfahren haben ausschließen lassen (vgl. vorst. Rn. 694). Die Entscheidung ist nach den allgemeinen Rechtsmittelgrundsätzen angreifbar. Darüber hinaus hat ein nicht persönlich am Verfahren beteiligtes (und nicht auf eigenen Antrag ausgeschlossenes) Klassenmitglied u. U. die Möglichkeit, die Bindungswirkung der Entscheidung in einem nachfolgenden Prozess mit der Begründung anzugreifen, seine Interessen seien durch die Vertreter der Klasse nicht angemessen wahrgenommen worden.

697

Einen Haupt-Streitpunkt bei der Beendigung eines class action-Verfahrens stellen in der Praxis immer wieder die dem Prozessbevollmächtigten der Klasse zuzusprechenden Anwaltskosten dar; nicht zuletzt gerade aus diesem Grunde bedarf es insbesondere auch im Rahmen der gütlichen Einigung fast immer einer mündlichen Verhandlung, in deren Rahmen einzelne Klassenmitglieder Einwände gegen den Inhalt des vorgeschlagenen Vergleichs vorbringen können. Nach Maßgabe einer zum 1.12.2003 in Kraft getretenen Ergänzung der FEDERAL RULES OF CIVIL PROCEDURE (FRCP Rule 23[h]) müssen nunmehr alle jeweils erreichbaren Klassenmitglieder

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930 S. insoweit Durkin v. Shea & Gould, 92 F.3d 1510, 1512 n. 6 (9th Cir. 1996), cert. denied, 520 U.S. 1197 (1997); Hanlon v. Chrysler Corp., 150 F.3d 1011, 1026 (9th Cir. 1998) und County of Suffolk v. Long Island Lighting Co., 266 F.3d 131, 135 (2d Cir. 2001); ähnlich auch N.Y.C.P.L.R. § 908. Nach der zum 1.12.2003 in Kraft getretenen Änderung von FRCP Rule 23(c) ist zustimmungspflichtig insbesondere auch jede bereits vor Zulassung des Verfahrens als class action zustande kommende gütliche Einigung; wobei die nicht persönlich am Prozess beteiligten Klassenmitglieder eine erneute opting-out-Möglichkeit haben, um sich den Wirkungen eines ihren Interessen ggf. nicht in hinreichendem Maße entsprechenden Vergleichs zu entziehen. Ausdrücklich verboten sind außerdem nunmehr Vergleichsschlüsse – insbesondere zu Lasten nicht-amerikanischer Parteien –, die Unterschiede in der zuerkannten Vergleichssumme ausschließlich aufgrund des Wohnsitzes des Klägers machen. Vgl. 28 U.S.C. § 1713 i.d.F. des Gesetzes vom. 18.2.2005 („Class Action Fairness Act“). 931 Amchem Products, Inc. v. Windsor, 521 U.S. 591 (1997) und Ortiz v. Fireboard Corp., 527 U.S. 815 (1999).

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Parteien- und Anspruchsmehrheit über jeden anwaltlichen Kostenfestsetzungsantrag in Kenntnis gesetzt werden, und sie haben sodann das Recht, Einspruch gegen den geltend gemachten Kostenanspruch zu erheben. Bei der Entscheidung über den Kostenfestsetzungsantrag soll das Gericht dann insbesondere auch die Angemessenheit der veranschlagten Kosten im Einzelfall berücksichtigen. Dies gilt im Rahmen der vergleichsweisen Beendigung des Verfahrens ebenso wie nach einer streitigen Entscheidung932.

d) Verteilung 699

Die Verteilung des Urteils- oder Vergleichsbetrages erfolgt nach Maßgabe eines im Einzelfall gerichtlich in der verfahrensbeendenden Entscheidung festgelegten oder von den Parteien als Vergleichsbestandteil vereinbarten Verfahrens, das neben der Befriedigung der individuellen Auszahlungsansprüche insbesondere bei sehr großen Klassen regelmäßig auch die längerfristige Verwaltung des Gesamtbetrages zur Sicherstellung der Ansprüche der abwesenden Klassenmitglieder, eine Fristenregelung für die Geltendmachung von Auszahlungsansprüchen abwesender Mitglieder und gegebenenfalls den Nachweis der Anspruchsberechtigung im Einzelfall vorsehen wird.

700

Gelegentlich finden sich (insbesondere im Zusammenhang mit Konsumentenklagen) auch Regelungen, denen zufolge nach Ablauf der Anspruchsfrist etwa verbleibende Restbeträge in Form von Preisnachlässen an die Öffentlichkeit weitergegeben werden können (fluid recovery)933; dieses Verfahren ist allerdings nicht ganz unumstritten934.

932 Vergleichbar auch N.Y.C.P.L.R. § 909; s. insoweit Friar v. Vanguard Holding Corp., 509 N.Y.S.2d 374 (1986) u. Siegel, New York Practice § 147. Zur gerichtlichen Aufsicht über die Geltendmachung anwaltlicher Honorar- und Kostenerstattungsansprüche bereits nach bisherigem Recht vgl. Blum v. Stenson, 465 U.S. 886, 900 (1984) und In re Cendant Corp. PRIDES Litigation, 243 F.3d 722, 728 – 729 (3d Cir. 2001). Außerdem richtet sich bei solchen Vergleichsschlüssen, die die Zuweisung für ausländische Kläger regelmäßig wertloser finanzieller Gutschriften vorsehen, die Festlegung des Anwaltshonorars nun nicht mehr nach dem Streitwert, sondern ausschließlich nach dem Wert der Gutschriften. Vgl. 28 U.S.C. § 1712 i.d.F. des Gesetzes vom 18.2.2005 („Class Action Fairness Act“). 933 Vgl. z. B. Onofrio v. Playboy Club of New York, 15 N.Y.2d 740 (1965); ähnlich auch Friar v. Vanguard Holding Corp., 509 N.Y.S.2d 374 (1986) (Auszahlung des Restbetrages an den Staat) und CAL. CODE CIV.PROC. § 384 (Auszahlung an gemeinnützige Organisationen, die dem Rechtsschutzziel der jeweiligen class action vergleichbare Zwecke verfolgen). 934 Eingehend hierzu Malina, Fluid Class Recovery as a Consumer Remedy in Anti-Trust Cases, 47 N.Y.U. L.REV. 477 (1972) und Comment, Due Process and Fluid Class Recovery, 53 ORE. L.REV. 225 (1975).

336

Parteihäufung

3. Shareholder Derivative Actions Eine in FRCP Rule 23.1 geregelte, vom Gedanken her der actio pro socio entsprechende Sonderform der class action ist die stellvertretende Geltendmachung von Rechten einer Handelsgesellschaft durch einzelne Gesellschafter im Interesse der Gesellschaft, wenn es die Geschäftsleitung des Unternehmens pflichtwidrig unterlassen hat, diese Rechte selbst durchzusetzen (shareholder derivative action).

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Auf der Ebene der Bundesstaaten von besonderer Bedeutung sind insoweit – mit Rücksicht auf den Sitz der New York Stock Exchange sowie unter Berücksichtigung des Umstandes, dass eine große Anzahl von Handelsgesellschaften nach dem Recht des Bundesstaates Delaware inkorporiert sind – auch die vergleichbaren Verfahrensregelungen der Staaten Delaware und New York; vgl. DE CT. OF CHANCERY R. 23.1 und N.Y. BUS. CORP. L. § 626.

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Insoweit bedarf die Klageerhebung über die allgemeinen Vorschriften hinaus der Beifügung einer eidesstattlichen Versicherung der Richtigkeit der Klagebehauptungen (verified complaint); wobei insbesondere auch zur Gesellschaftereigenschaft des Klägers vorzutragen ist, welche sowohl zum Zeitpunkt der klagebegründenden Ereignisse als auch zum Zeitpunkt der Klageerhebung bestehen muss. Des Weiteren bedarf es des dezidierten, die Grundsätze des notice pleading übersteigenden Vortrages (pleading with specificity, vgl. vorst. Rn. 323) dazu, ob und wie der Kläger gegebenenfalls den Vorstand der Gesellschaft (sowie die Gesellschafterversammlung oder einzelne zustimmungspflichtige Gesellschafter nach Maßgabe des Gesellschaftsvertrages) zur Klageerhebung im Namen des Unternehmens selbst aufgefordert hat935.

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Üblich ist im Zusammenhang mit der Erhebung von shareholder derivative actions die Einberufung eines sogenannten special litigation committee, welches die Frage der Klageerhebung durch die Gesellschaft selbst zu prüfen und entsprechende Vorschläge zu unterbreiten hat. Wird das Kommittee erst im Verlaufe des bereits anhängigen Verfahrens berufen, kann dieses auch noch nachträglich die Übernahme der Verfahrensführung durch die Gesellschaft empfehlen oder auch

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935 Zu den Anforderungen an den klägerischen Vortrag vgl. insoweit Stepak v. Addison, 20 F.3d 398, 400-402 (11th Cir. 1994) und Starrels v. First National Bank of Chicago, 870 F.2d 1168, 1171 (7th Cir. 1989). Entbehrlich ist der Vortrag zur Aufforderung der Gesellschaftsorgane zur Klageerhebung lediglich dann, wenn außer Frage steht, dass eine solche Aufforderung vergeblich gewesen wäre; auch hierzu ist jedoch im Einzelfall dezidiert vorzutragen. Vgl. Kamen v. Kemper Financial Services, Inc., 500 U.S. 90 (1991) und McCall v. Scott, 239 F.3d 808, 816 (6th Cir. 2001).

337

Parteien- und Anspruchsmehrheit den ursprünglichen Kläger ausdrücklich zur Fortführung des Verfahrens ermächtigen936.

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War der Kläger nicht zu allen maßgeblichen Zeitpunkten selbst Gesellschafter oder hat er seiner Verpflichtung, zunächst eine Klageerhebung durch den Vorstand herbeizuführen, nicht genügt, ist die Erhebung einer shareholder derivative action unzulässig937.

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Als Beklagter ist darüber hinaus neben dem unmittelbar Verpflichteten stets auch die Gesellschaft zu bezeichnen, obwohl die Geltendmachung der Rechte im Ergebnis in ihrem Interesse erfolgt.

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Die gerichtliche Zuständigkeit bestimmt sich im Grundsatz nach den allgemeinen Vorschriften; allerdings verbleibt es im Rahmen der Feststellung der Voraussetzungen der diversity jurisdiction i.d.R. bei der formalen Parteistellung der Gesellschaft als Beklagter938. Die Streitwertgrenze wird unter Betrachtung des Werts des gesamten der Gesellschaft zustehenden Anspruchs berechnet. Örtlich zuständig ist über die nach Maßgabe der allgemeinen Grundsätze zur Entscheidung berufenen Gerichte hinaus auch jedes Gericht, in dessen Bezirk die Gesellschaft inkorporiert ist oder in dem sie ihrer Handelstätigkeit nachgeht (vgl. 28 U.S.C. § 1695), sowie jedes Gericht, vor dem die Gesellschaft selbst Klage gegen dieselben (Mit-)Beklagten hätte erheben können (vgl. 28 U.S.C. § 1401). 4. Stellvertretende Prozessführung für nicht inkorporierte Rechtsgemeinschaften

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Eine in FRCP Rule 23.2 geregelte Sonderform der class action ist schließlich auch die Prozessführung durch Vertreter von nicht als juristische Personen organisierten Personenmehrheiten (unincorporated associations). Insbesondere Gewerkschaften nutzen diesen Weg, um unter Vermeidung der ansonsten bestehenden Anforderungen an gerichtliche Zuständigkeit und Klagezustellung mit bundesweiter Wirkung für und gegen ihre Mitglieder Rechte außerhalb etwa bestehender Tarifverträge (collective bargaining agreements) gegen einzelne Arbeitgeber durchzusetzen. 936 Zu den Einzelheiten vgl. insoweit Strougo v. Padegs, 986 F. Supp. 812, 814 (S.D.N.Y. 1997). 937 Rosenbaum v. MacAllister, 64 F.3d 1439, 1443 n. 2 (10th Cir. 1995). Zur Klageabweisung kommt es auch, wenn der Kläger im Verlaufe des Prozesses seine Gesellschaftereigenschaft verliert; vgl. Schilling v. Belcher, 582 F.2d 995, 999 (5th Cir. 1978). 938 Vgl. Smith v. Sperling, 354 U.S. 91, 95 – 97 (1957); allgemein s. insoweit vorst. Rn. 205 ff.

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Kapitel 10: Urteilsanfechtung und -wirkungen

Weiterführende Literatur: Baicker-McKee, Janssen, Corr, Federal Civil Rules Handbook; Casad, Clermont, Res Judicata: A Handbook on Its Theory, Doctrine, and Practice; Childress, Davis, Federal Standards of Review; Clermont, Civil Procedure; Eisenberg, Horvitz, Wiener, Civil Appeals and Writs; Field, Kaplan, Clermont, Civil Procedure; Schack, Einführung in das US-amerikanische Zivilprozessrecht; Siegel, New York Practice; Tigar, Federal Appeals: Jurisdiction and Practice; Wright, Miller, Federal Practice and Procedure.

A. Rechtsmittel und Rechtsbehelfe Der Anfechtung unterliegen im amerikanischen ebenso wie im deutschen Zivilprozess im Grundsatz nur instanzbeendende Entscheidungen, in denen sich das angerufene Gericht abschließend mit den jeweils anstehenden Sach- und Rechtsfragen befasst hat939. Nur im Ausnahmefall stehen Rechtsbehelfe auch zur Anfechtung von Zwischenentscheidungen zur Verfügung. Im Rahmen des Instanzenweges zu unterscheiden ist darüber hinaus die Anrufung der auf der mittleren Gerichtsebene angesiedelten Rechtsmittelgerichte – d. h. der U.S. Courts of Appeals und der intermediate appellate courts der Bundesstaaten; vgl. vorst. Rn. 152 ff. u. 170–171 – mit dem vorrangigen Ziel der Berichtigung von Verfahrensoder Rechtsfehlern des erstinstanzlichen Gerichts (appeal of right; correctness review) von der Anrufung des jeweils höchsten Rechtsmittelgerichts – des U.S. Supreme Court und der state supreme courts – in Verfahren mit grundlegender Bedeutung im Interesse der Rechtsfortbildung (institutional review). Da allerdings ein Rechtsmittelgericht im amerikanischen Zivilprozess niemals eigenständig Tatsachen ermittelnd tätig wird, ist insoweit ein Vergleich mit den im deutschen System vorherrschenden Konzepten nur eingeschränkt möglich; insbesondere auch die Verwendung von termini wie „Berufung,“ die nicht nur das jeweilige Rechtsmittel als solches, sondern auch die verfahrensrechtlichen Eigenheiten des betreffenden Rechtsinstituts bezeichnen, sollte tunlichst vermieden werden. 939 Reiter v. Cooper, 507 U.S. 258, 263 (1993) und Curtiss-Wright Corp. v. General Elec. Co., 446 U.S. 1, 8 (1980).

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Urteilsanfechtung und -wirkungen

I. Appeal 710

Mit dem Ausdruck „appeal“ wird im amerikanischen Prozessrecht die Anrufung der Rechtsmittelgerichte der mittleren GerichtsverfassungsEbene, also der U.S. Courts of Appeals und der intermediate appellate courts der Bundesstaaten, bezeichnet; und zwar ohne Rücksicht darauf, ob es sich bei dem jeweiligen Anfechtungsverfahren um ein gegen eine gerichtliche Endentscheidung gerichtetes Rechtsmittel oder um einen ausnahmsweise zulässigen Rechtsbehelf gegen eine Zwischenentscheidung des erstinstanzlichen Gerichts handelt.

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Während der Anhängigkeit eines Rechtsmittelverfahrens kann auf Antrag des Rechtsmittelklägers (appellant) und gegen Sicherheitsleistung in Höhe der Urteilssumme plus Zinsen940 die Vollstreckungshemmung des erstinstanzlichen Urteils angeordnet werden; vgl. FRCP Rule 62(d). Dies gilt lediglich nicht für diejenigen Entscheidungen, deren Vollstreckung auch während der ersten zehn Tage nach Erlass schon nicht automatisch gehemmt ist, also Urteile auf Vornahme oder Unterlassung einer Handlung, Entscheidungen in Verfahren unter Beteiligung eines vorläufigen Vermögensverwalters (receiver) und bestimmten Patentrechtsstreitigkeiten; vgl. FRCP Rule 62(a), (d) und vorst. Rn. 647.

1. Rechtsmittel a) Endentscheidungen 712

Nach Maßgabe von 28 U.S.C. § 1291 und den entsprechenden Vorschriften der Bundesstaaten sind rechtsmittelfähig in erster Linie die Endentscheidungen der erstinstanzlichen Gerichte; d. h. diejenigen Entscheidungen, die das Verfahren erster Instanz durch Behandlung aller entscheidungserheblichen Sach- und Rechtsfragen zum Ende bringen (finality doctrine)941. b) Collateral Order Doctrine

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In Anwendung der dem Richterrecht entstammenden collateral order doctrine sind selbständig anfechtbar allerdings auch diejenigen Entscheidungen, die eine Tatsachen- oder Rechtsfrage abschließend behandeln, 940 Zur Berechnung und zu den zulässigen Formen der Sicherheitsleistung vgl. Olcott v. Delaware Flood Co., 76 F.3d 1538, 1559 (10th Cir. 1996) und Dillon v. City of Chicago, 866 F.2d 902 (7th Cir. 1988). 941 Eingehend hierzu Digital Equip. Corp. v. Desktop Direct, Inc., 511 U.S. 863, 868 (1994) und Firestone Tire & Rubber Co. v. Risjord, 449 U.S. 368, 374 (1981).

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Rechtsmittel und Rechtsbehelfe

welche nicht dem durch Endurteil zu entscheidenden sachlichen Streitgegenstand selbst angehörig ist und welche im Rahmen der Anfechtung des Endurteils nicht anderweitig der Überprüfung durch das Rechtsmittelgericht unterliegen und somit das Risiko eines nicht behebbaren Nachteils in sich bergen würde942. In ganz besonderen Ausnahmefällen behandeln die Rechtsmittelgerichte darüber hinaus gelegentlich auch solche Entscheidungen als selbständig anfechtbar, die zwar weder den Voraussetzungen einer Endentscheidung noch denjenigen der collateral order doctrine entsprechen, aber aufgrund der Umstände des Einzelfalles besonders stark der obergerichtlichen Prüfung bedürfen943.

714

c) Teilentscheidungen In Verfahren, die eine objektive oder subjektive Klagehäufung zum Gegenstand haben, kann das Gericht darüber hinaus schließlich auch abschließende, ausdrücklich so bezeichnete Teilentscheidungen in Bezug auf einzelne Parteien oder geltend gemachte Ansprüche treffen, wenn und soweit es explizit die vorzeitige Entscheidungsreife feststellt und kein Grund erkennbar ist, die Entscheidungsreife auch des übrigen Streitstoffes abzuwarten (vgl. FRCP Rule 54[b])944.

715

2. Rechtsbehelfe Nicht abschließende Zwischenentscheidungen sind im Verfahren vor den Bundesgerichten – auf der Ebene der Bundesstaaten existieren insoweit hiervon teilweise abweichende Regelungen945 – selbständig anfechtbar in lediglich drei Fällen:

942 Coopers & Lybrand v. Livesay, 437 U.S. 463, 468 – 569 (1978) und Cohen v. Beneficial Indus. Loan Corp., 337 U.S. 541, 546 (1949). 943 Vgl. z. B. Gillespie v. United States Steel Corp., 379 U.S. 148 (1964); einschränkend jedoch Digital Equip. Corp. v. Desktop Direct, Inc., 511 U.S. 863, 868 (1994). 944 Wörtlich: „upon an express determination that there is no just reason for delay and upon an express direction for the entry of judgment;“ zu den Voraussetzungen und zum Verfahren vgl. insoweit im Einzelnen Baicker-McKee, Janssen, Corr, Federal Civil Rules Handbook, Autors’ Commentary on Rule 54(b) m. zahlr. w.N. Weiter gehend z. B. CAL. CODE CIV.PROC. § 579 (Teilentscheidung im Ermessen des Gerichts immer dann, wenn eine solche angemessen ist). 945 Vgl. z. B. CAL. CODE CIV.PROC. § 904.1.

341

716

Urteilsanfechtung und -wirkungen

a) Mandamus 717

Wenn und soweit sich ein untergeordnetes Gericht Entscheidungsgewalt in einer Angelegenheit angemaßt hat, die der Entscheidung durch ein höherrangiges Gericht vorbehalten ist, oder wenn es eine im Einzelfall erforderliche Entscheidung ermessenswidrig ausdrücklich abgelehnt hat, kann das insoweit zuständige Rechtsmittelgericht gemäß 28 U.S.C. § 1651(a) und FRAP Rule 21 Abhilfe schaffen, auch wenn das Verfahren erster Instanz ansonsten noch nicht beendet ist946.

718

Entscheidungen in mandamus-Verfahren und den entsprechenden Verfahren vor den Rechtsmittelgerichten der Bundesstaaten sind häufig daran zu erkennen, dass sich das Rubrum formal durch Verwendung der Einleitung „In Sachen“ („In re“) oder dahin gehend ändert, dass Antragsgegner insoweit nicht die gegnerische Partei, sondern unmittelbar das Gericht erster Instanz ist; während die dem Antrag entgegentretende, durch die erstinstanzliche Entscheidung begünstigte Partei gesondert als „real party in interest“ geführt wird947.

b) 28 U.S.C. § 1292(a) 719

Nach Maßgabe von 28 U.S.C. § 1292(a) sind ohne Rücksicht auf ihren nicht instanzbeendenden Charakter stets selbständig anfechtbar: – Entscheidungen, die sich auf die gerichtliche Anordnung der Vornahme oder Unterlassung einer Handlung beziehen (injunctions) – insbesondere auch im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes – sowie auf die Aufhebung oder Änderung einer solchen Anordnung; – die gerichtliche Einsetzung eines vorläufigen Vermögensverwalters (receiver);

946 In re Nagy, 89 F.3d 115, 116-117 (2d Cir. 1996); ähnlich auf der Ebene der Bundesstaaten im Grundsatz CAL. CODE CIV.PROC. §§ 1067-1110b. 947 Vgl. z. B. In re Nagy, 89 F.3d 115 (2d Cir. 1996). Ausdrücklich abgeschafft ist hingegen auf Bundesebene die dem common law pleading entstammende mandamus-Zuständigkeit der erstinstanzlichen Gerichte; die früher mit solchen Anträgen verfolgten Anliegen sind vielmehr mit den regulär von den FEDERAL RULES OF CIVIL PROCEDURE zur Verfügung gestellten Mitteln, insbesondere im Wege von motions, durchzusetzen; vgl. FRCP Rule 81(b). Im Verfahren vor den Gerichten der Bundesstaaten besteht eine solche mandamus-Zuständigkeit der Gerichte erster Instanz – insbesondere zur Überprüfung von Verwaltungsentscheidungen – allerdings teilweise noch fort; vgl. z. B. CAL. CODE CIV.PROC. §§ 1094.5, 1094.6 u. 1094.8.

342

Rechtsmittel und Rechtsbehelfe

– und gerichtliche Entscheidungen im Rahmen solcher Seerechtsstreitigkeiten, deren Endentscheidungen ihrerseits rechtsmittelfähig wären. c) 28 U.S.C. § 1292(b) Schließlich kann das erstinstanzliche Gericht gemäß § 28 U.S.C. § 1292(b) in pflichtgemäßer Ermessensausübung die Anfechtung einer Zwischenentscheidung im Einzelfall dann zulassen, wenn diese sich auf eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage bezieht, die noch nicht abschließend geklärt ist und kontrovers diskutiert wird oder werden kann948, wenn und soweit die Zulassung der sofortigen Anfechtung der betreffenden erstinstanzlichen Zwischenentscheidung der Erledigung des Verfahrens insgesamt dienlich ist. In diesen Fällen bedarf es über die Zulassungsentscheidung des erstinstanzlichen Gerichts hinaus allerdings auch einer entsprechenden eigenen Entscheidung des Rechtsmittelgerichts, weshalb das Verfahren nach 28 U.S.C. § 1292(b) in der Praxis keine allzu große Bedeutung hat949.

720

3. Verfahren Das Rechtsmittelverfahren richtet sich vor den Bundesgerichten einheitlich nach den FEDERAL RULES OF APPELLATE PROCEDURE (FRAP) von 1968 und den local rules der U.S. Courts of Appeals, vor den Gerichten der Bundesstaaten nach den entsprechenden bundesstaatlichen Prozessordnungen und den local rules der intermediate appellate courts; und zwar im Grundsatz ohne Rücksicht darauf, ob es sich im Einzelnen um die Anfechtung einer Endentscheidung oder diejenige einer im Einzelfall angreifbaren Zwischenentscheidung handelt. Beispielhaft soll hier das Verfahren vor den U.S. Courts of Appeals aufgezeigt werden; dabei ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die zitierten Vorschriften der FEDERAL RULES OF APPELLATE PROCEDURE im Hinblick auf zahlreiche formelle und verfahrensmäßige Einzelheiten durch die local rules der Bundes-Rechtsmittelgerichte ergänzt und abgeändert werden.

948 Wörtlich: „[A] controlling question of law as to which there is substantial ground for difference of opinion;“ ebenso z. B. CAL. CODE CIV.PROC. § 166.1. 949 Zu den Voraussetzungen vgl. insoweit Coopers & Lybrand v. Livesay, 437 U.S. 463, 475 (1978); White v. Nix, 43 F.3d 374, 376 – 378 (8th Cir. 1994) und Klinghoffer v. S.N.C. Achille Lauro Ed Altri-Gestione Motonave Achille Lauro in Amministrazione Straordinaria, 921 F.2d 21, 24 – 25 (2d Cir. 1990).

343

721

Urteilsanfechtung und -wirkungen

a) Rechtsmitteleinlegung 722

Eingeleitet wird das Verfahren gemäß FRAP Rule 3 und 4 durch die fristgerechte950 Einreichung einer Rechtsmittelschrift (notice of appeal), die das angerufene Rechtsmittelgericht, die Parteien des Rechtsmittelverfahrens, die angefochtene Entscheidung sowie den Umfang der Anfechtung bezeichnet; als solche bedarf sie regelmäßig noch keinerlei Begründung. Eine an Formfehlern leidende Rechtsmittelschrift ist insoweit nicht zur wirksamen Rechtsmitteleinlegung geeignet, als sie Gericht und Gegner nicht hinreichend über Parteien und Gegenstand des beabsichtigten Rechtsmittelverfahrens in Kenntnis zu setzen vermag951.

723

aa) Parteien sind im Rechtsmittelverfahren nur die ausdrücklich im Rubrum der Rechtsmittelschrift genannten Verfahrensbeteiligten; lediglich im Zusammenhang mit vom erstinstanzlichen Gericht als class actions zugelassenen Verfahren genügt die Bezeichnung der nicht persönlich am Verfahren teilhabenden Klassenmitglieder durch Verwendung des Kürzels „et al.“ oder Angabe der Klasse952.

724

bb) Ist das Rechtsmittel seinem Umfang nach nicht beschränkt, gilt die Endentscheidung erster Instanz insgesamt sowie alle dieser zugrundeliegenden, nicht selbständig anfechtbaren Zwischenentscheidungen mit angefochten. Bezeichnet der Rechtsmittelkläger das Rechtsmittel jedoch ausdrücklich als ein solches gegen eine bestimmte erstinstinstanzliche Entscheidung (insbesondere z. B. ein antragsgemäß erlassenes summary judgment), so wird regelmäßig nur diese Entscheidung als angefochten zu betrachten sein; es sei denn, die Absicht einer weiter gehenden Anfechtung ergebe sich mit hinreichender Deutlichkeit aus anderen Umständen953.

950 Im Verfahren vor den Bundesgerichten: Grundsätzlich 30 Tage nach Urteilserlass; vgl. FRAP Rule 4(a)(1) und FRCP Rule 58(a), (b) u. 79(a). Binnen 14 weiterer Tage kann sodann der Rechtsmittelbeklagte (appellee, respondent) seinerseits Rechtsmittel einlegen; vgl. FRAP Rule 4(a)(3). Die fristgerechte Anbringung einer ten-day motion nach FRCP Rule 50, 52 und/oder 59 (s. vorst. Rn. 646 ff.) hemmt den Beginn der Rechtsmittelfrist bis zur Entscheidung über den Antrag; vgl. FRAP 4(a)(4). Ausnahmsweise kann das Rechtsmittelgericht die Frist einmal bis auf maximal 30 Tage nach dem Datum des ursprünglichen Fristablaufs verlängern; vgl. FRAP Rule 4(a)(5). Zur Berechnung der Rechtsmittelfrist s. im Einzelnen Baicker-McKee, Janssen, Corr, Federal Civil Rules Handbook § 6.3 m. zahlr. w.N. 951 Smith v. Barry, 502 U.S. 244, 248 (1992). 952 Vgl. FRAP Rule 3(c)(1)(A) sowie Air Line Pilots Ass’n v. Continental Airlines, 125 F.3d 120 (3d Cir. 1997) und Olenhouse v. Commodity Credit Corp., 42 F.3d 1560, 1572 (10th Cir. 1994). 953 Vgl. FRAP Rule 3(c)(1)(B) sowie Newman v. Federal Exp. Corp., 266 F.3d 401, 404 (6th Cir. 2001) und Trotter v. Regents of Univ. of N.M., 219 F.3d 1179, 1184 (10th Cir. 2000).

344

Rechtsmittel und Rechtsbehelfe

Die Rechtsmittelschrift ist grundsätzlich unter Beifügung einer hinreichenden Zahl von Kopien an das Gericht erster Instanz zu richten (vgl. FRAP Rule 3[a]); dieses nimmt sodann die Zustellung an die Parteien vor und leitet eine Kopie der Schrift an das Rechtsmittelgericht weiter (vgl. FRAP Rule 3[d]).

725

b) Record on Appeal und Appendix Die Gerichtsakten eines amerikanischen Zivilprozesses sind ungeachtet der zunächst sehr konzentrierten Darstellung des Streitstoffes nach den Grundsätzen des notice pleading (vgl. vorst. Rn. 317 ff.) regelmäßig auch bei Verfahren von nur durchschnittlicher Komplexität weitaus umfangreicher als diejenigen eines vergleichbaren deutschen Gerichtsverfahrens. Dies liegt zum einen an der Vielzahl der Angelegenheiten, die bereits vor Beginn der Hauptverhandlung im Rahmen eigenständiger motion proceedings erledigt werden; zum anderen daran, dass über jede gerichtliche Verhandlung unabhängig von deren Dauer und Gegenstand ein Wortprotokoll geführt wird, wobei allein das Hauptverhandlungsprotokoll regelmäßig bereits mehrere hundert Seiten umfasst. Das mit der Entscheidung über ein Rechtsmittel befasste höhere Gericht wäre deshalb in aller Regel überfordert, wenn es sich in jedem Verfahren erst durch die Unzahl der erstinstanzlich zu den Akten gelangten Schriftstücke und Verhandlungsprotokolle zu den entscheidungserheblichen Aktenbestandteilen durcharbeiten müsste. Aus diesen Grunde trifft die Parteien – und insbesondere den Rechtsmittelkläger – eine erhebliche Mitwirkungspflicht bei der Zusammenstellung der Aktenbestandteile, die tatsächlich an das Rechtsmittelgericht weitergeleitet und dessen Entscheidung zugrunde gelegt werden (record on appeal)954.

726

aa) Binnen zehn Tagen nach Rechtsmitteleinlegung hat der Rechtsmittelkläger eine Abschrift des Hauptverhandlungsprotokolls erster Instanz (oder bei umfangreichen Protokollen der zur Entscheidung über das Rechtsmittel erforderlichen Protokoll-Ausschnitte) anzufordern, bei Anforderung nur von Ausschnitten aus dem Protokoll verbunden mit einer auch den anderen Parteien zuzustellenden Aufstellung der der Anfechtung zugrundeliegenden Rechtsfragen (statement of issues on appeal); vgl. FRAP Rule 10. Auf der Grundlage der Angaben des Rechtsmittelklägers und mit dessen Unterstützung stellt der aktenführende Beamte des erstinstanzlichen Gerichts dann die für das Rechtsmittel bedeutsamen Akten bzw. Ak-

727

954 Auf vergleichbaren Erwägungen beruht auch die Erstellung von trial notebooks, litigation files und exhibit folders für die Prozessbevollmächtigten in Vorbereitung auf die gerichtliche Hauptverhandlung und Beweisaufnahme; vgl. vorst. Rn. 557.

345

Urteilsanfechtung und -wirkungen tenbestandteile zusammen und leitet diese an das Rechtsmittelgericht weiter (record on appeal); vgl. FRAP Rule 11.

728

bb) Unabhängig hiervon sollen die Parteien sich jedoch auch über eine Zusammenstellung der entscheidungserheblichen prozessleitenden Schriftsätze (pleadings), Registervorgänge erster Instanz (docket entries), der angefochtenen Entscheidung selbst sowie derjenigen weiteren Aktenbestandteile einigen, auf die sie in besonderem Maße das Augenmerk des Rechtsmittelgerichts lenken wollen (appendix to the briefs); kommt eine Einigung zwischen den Parteien nicht zustande, so obliegt die Zusammenstellung dieser Materialien dem Rechtsmittelkläger; vgl. FRAP Rule 30. Dieser hat sodann – binnen zehn Tagen nach Eingang der Akten beim Rechtsmittelgericht – dem Rechtsmittelbeklagten eine Aufstellung der von ihm zur Aufnahme in den appendix bestimmten Aktenbestandteile zuzustellen; daraufhin kann der Rechtsmittelbeklagte seinerseits weitere Aktenteile bezeichnen, die der Rechtsmittelkläger dann den von ihm zusammengestellten Materialien hinzufügen muss (vgl. FRAP Rule 30[b][1]). In ihren Schriftsätzen dürfen die Parteien sodann nur auf die Materialien Bezug nehmen, die Bestandteil des solchermaßen erstellten appendix to the briefs oder des record on appeal sind; nicht jedoch auf andere Schriftstücke, die insbesondere auch grundsätzlich nicht einseitig einer Rechtsmittelschrift beigefügt werden dürfen; vgl. FRAP Rule 28(e).

c) Rechtsmittelbegründung und -erwiderung 729

Nach Eingang der Akten beim Rechtsmittelgericht bestimmt dieses die Fristen, innerhalb deren das Rechtsmittel zu begründen und auf dieses zu erwidern ist (briefing schedule). Die Rechtsmittelbegründung und -erwiderung (parties’ briefs on the merits) unterliegen im Einzelnen jeweils einer großen Zahl formeller und inhaltlicher Anforderungen; soweit jedoch in den local rules des angerufenen Court of Appeals nichts anderes bestimmt ist, muss die Rechtsmittelbegründung (appellant’s brief [on the merits]) nach Maßgabe von FRAP Rule 28(a) mindestens – und zwar in der angegebenen Reihenfolge und mit entsprechenden Überschriften gekennzeichnet – die folgenden Bestandteile enthalten: – Bei Rechtsstreitigkeiten unter Beteiligung börsengängiger Handelsgesellschaften die Angabe des etwaigen Mutterkonzerns sowie aller Gesellschaften, deren Anteile ebenfalls an der Börse gehandelt werden und die ihrerseits mindestens 10 % der Anteile der jeweils prozessbeteiligten Gesellschaft halten (corporate disclosure statement), vgl. im Einzelnen FRAP Rule 26.1; – ein Inhaltsverzeichnis sowie ein Entscheidungs- und Vorschriftenregister und ein Literaturverzeichnis (kollektiv: table of authorities);

346

Rechtsmittel und Rechtsbehelfe

– eine Begründung zur sachlichen Zuständigkeit des erstinstanzlichen Gerichts sowie des angerufenen Rechtsmittelgerichts unter Angabe der relevanten Vorschriften, Umstände des Einzelfalles und Rechtsmittelfristen (jurisdictional statement); – eine Zusammenfassung der der Anfechtung zugrundeliegenden Rechtsfragen (statement of the issues presented for review); – Angaben zu Art und Verlauf des Verfahrens erster Instanz einschließlich des Inhalts der erstinstanzlichen Entscheidung (statement of the case)955; – eine Sachverhaltsdarstellung (statement of facts); – eine knappe Zusammenfassung der Argumente, auf die das Rechtsmittel im Einzelnen gestützt ist (summary of argument); – eine eingehende rechtliche Begründung des Rechtsmittels (argument), einschließlich der Angabe aller aus der Sicht des Rechtsmittelklägers im Einzelfall einschlägigen Vorschriften, Präzedenzentscheidungen und Aktenvorgänge sowie des für jede der Überprüfung des Rechtsmittelgerichts anheimgestellte Rechtsfrage geltenden Prüfungsmaßstabes (standard of review); – einen Rechtsmittelantrag (conclusion bzw. statement of relief sought); – sowie schließlich die Versicherung des unterzeichnenden Anwalts, dass die Rechtsmittelbegründung bestimmten in FRAP Rule 32(a)(7) vorgesehenen Längen- und Drucksatz-Formvorschriften entspricht (statement of compliance). Die Rechtsmittelerwiderung (appellee’s brief oder respondent’s brief [on the merits]) unterliegt gemäß FRAP Rule 28(b) im Grundsatz den gleichen Form- und inhaltlichen Vorschriften; allerdings bedarf sie – soweit der Rechtsmittelbeklagte den diesbezüglichen Vortrag des Rechtsmittelklägers nicht für unrichtig oder unzureichend hält – keiner Angaben zur gerichtlichen Zuständigkeit sowie zu den der Anfechtung zugrundeliegenden Rechtsfragen, zu Art und Verlauf des Verfahrens erster Instanz und zu dem für jede der Überprüfung durch das Rechtsmittelgericht an-

955 Diesem Abschnitt vorangestellt ist in der Praxis häufig eine gesondert übertitelte Einleitung, die das Gericht (ähnlich wie die Einleitung einer motion) mit dem Verfahrensgegenstand und der Position des Rechtsmittelklägers vertraut machen soll.

347

730

Urteilsanfechtung und -wirkungen

heimgestellte Rechtsfrage geltenden Prüfungsmaßstab und schließlich auch keiner eigenen Sachverhaltsdarstellung956. 731

Nach Maßgabe von FRAP Rule 28(c) hat der Rechtsmittelkläger sodann die Möglichkeit, der Rechtsmittelerwiderung durch einen weiteren Schriftsatz (reply) entgegenzutreten, der zumindest ebenfalls ein Inhaltsverzeichnis und einen table of authorities enthalten muss, darüber hinaus aber regelmäßig auch der Argumentation einen kurzen einleitenden und diese zusammenfassenden Abschnitt voranstellen und mit einer Schlussfeststellung (conclusion) abschließen wird.

d) Entscheidung 732

Das Rechtsmittelgericht entscheidet gemäß FRAP Rule 34(a) aufgrund mündlicher Verhandlung durch ein aus drei Richtern bestehendes panel, welches nach einem monatlichen Rotationsprinzip jeweils neu zusammengestellt wird; eine geschäftsplanmäßige Zuweisung der Streitsachen findet nicht statt.

733

Die kurzfristig wechselnde Zusammensetzung der panels hat ihre Ursache zumindest teilweise darin, dass die Richter der U.S. Courts of Appeals – einschließlich ihrer beruflichen Lebensläufe, politischen Orientierung und der bedeutendsten von ihnen mitverfassten Grundsatzentscheidungen – in ihren jeweiligen Bezirken und oftmals sogar darüber hinaus ebenso bekannt sind wie bundesweit ansonsten nur die Richter des U.S. Supreme Court; ein Bekanntheitsgrad, der denjenigen selbst deutscher Richter an Oberlandesgerichten sowie prominenter Vorsitzender landgerichtlicher Berufungskammern um ein Mehrfaches übersteigt. Aus diesem Grunde überwiegt nach amerikanischem Verständnis das Bedürfnis, die Bestimmung der jeweils im Einzelnen sachentscheidenden Richter von jeglicher Einflussnahme durch die Parteien freizuhalten, deutlich das Interesse der Parteien an der frühzeitigen Kenntniserlangung von der Besetzung des jeweils zuständigen panel.

734

In den allermeisten Fällen wird eine Rechtssache den jeweils entscheidenden Richtern dementsprechend auch erst nach der Bildung der panels für einen bestimmten Sitzungstag vorgelegt; das gesamte sonstige Verfahren bis zu diesem Zeitpunkt liegt in der Hand der Gerichtsverwaltung. Lediglich wenn bereits im Vorfeld der eigentlichen Rechtsmittelentscheidung streitige Rechtsfragen auftreten, werden diese gegebenenfalls drei – jedoch regelmäßig von dem später zur Entscheidung in der Hauptsache

956 Ungeachtet dieser Vorschriften wird ein umsichtiger Rechtsmittelbeklagtenvertreter jedoch zumindest das Vorbringen des Rechtsmittelklägers zu den entscheidungserheblichen Tatsachen sowie dem für jede Rechtsfrage geltenden Prüfungsmaßstab nicht unerwidert lassen.

348

Rechtsmittel und Rechtsbehelfe

berufenen panel verschiedenen – Richtern zur gesonderten Entscheidung vorgelegt. 4. Suspensiveffekt Die Rechtsmitteleinlegung hat grundsätzlich vollumfängliche Hemmungswirkung mit Rücksicht auf die vor dem erstinstanzlichen Gericht weiter durchzuführenden Verfahren; soweit ein solcher Suspensiveffekt nicht automatisch eintritt, kann insbesondere die Vollstreckungshemmung auch auf Antrag des Rechtsmittelklägers gegen Sicherheitsleistung vom erstinstanzlichen Gericht oder, wenn dieses eine entsprechende Anordnung ablehnt, von dem angerufenen Rechtsmittelgericht angeordnet werden; vgl. FRCP Rule 62, FRAP Rule 8 und 28 U.S.C. § 1651(a).

735

II. Weitere Rechtsmittel und rechtsmittelähnliche Verfahren Im Grundsatz steht den Parteien nur ein Anspruch auf eine Rechtsmittelinstanz zu (appeal of right; correctness review); eine weitere Anfechtung der Entscheidung des angerufenen Rechtsmittelgerichts findet nur insoweit statt, als der Rechtsstreit von grundsätzlicher Bedeutung ist (institutional review). Dabei ist das Verfahren auf Bundesebene und der Ebene der Bundesstaaten jeweils unterschiedlich geregelt.

736

Freiheitsentziehende behördliche und gerichtliche Maßnahmen können darüber hinaus – soweit sie keiner anderweitigen Anfechtung (mehr) unterliegen – auch im Wege einer petition for [a writ of] habeas corpus vor den Zivilgerichten (!) auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüft werden.

737

1. Verfahren vor den Bundesgerichten a) Petition for En Banc Review Im Verfahren vor den U.S. Courts of Appeals hat die unterlegene Partei zunächst die Möglichkeit, eine Entscheidung des gesamten Gerichts – oder zumindest eines größeren panels als des zunächst tätig gewordenen Dreier-panels – herbeizuführen, wenn die Sache entweder von überragender Bedeutung ist oder die angegriffene Rechtsmittelentscheidung von einer Präzedenzentscheidung desselben Gerichts oder des U.S. Supreme Court abweicht; vgl. FRAP Rule 35(b)957. 957 Unter den im Wesentlichen gleichen Voraussetzungen – nämlich bei überragender Bedeutung der Sache oder zur Erhaltung der Rechtsprechungseinheit

349

738

Urteilsanfechtung und -wirkungen

b) Petition for Certiorari 739

Den U.S. Supreme Court erreichen Verfahren im Wege einer petition for [a writ of] certiorari in zweifacher Weise: durch Anfechtung der Rechtsmittelentscheidung eines U.S. Court of Appeals oder durch Anfechtung der verfahrensbeendenden Entscheidung des höchsten Rechtsmittelgerichts eines Bundesstaaes.

740

aa) Von der Ebene der U.S. Courts of Appeals aus kann jede im Einzelfall beschwerte Partei – grundsätzlich binnen 90 Tagen nach Erlass der angefochtenen Entscheidung – um Zulassung der Sache vor dem U.S. Supreme Court nachsuchen; vgl. 28 U.S.C. §§ 1254(1) u. 2101(c) sowie U.S. S.CT. Rule 13(1) u. (3).

741

Ein solches Ersuchen bedarf nach Maßgabe von U.S. S.CT. Rule 10 regelmäßig außer der Darlegung, dass es sich um eine bundesrechtliche Angelegenheit von überragender Bedeutung handelt, des Weiteren des Nachweises, dass: – die angefochtene U.S. Court of Appeals-Entscheidung einer direkt einschlägigen Entscheidung des U.S. Supreme Court zuwiderläuft, – die dem U.S. Supreme Court zur Entscheidung vorgelegte(n) Rechtsfrage(n) noch nicht höchstrichterlich entschieden und von verschiedenen U.S. Courts of Appeals bislang widersprüchlich behandelt worden sind (sog. circuit split), oder – auch unabhängig vom Widerspruch der angefochtenen Entscheidung mit höher- oder gleichrangigen Entscheidungen zu derselben bundesrechtlichen Frage die vorgelegte Rechtsfrage als solche von so überragender Bedeutung ist, dass sie einer sofortigen Behandlung durch den U.S. Supreme Court bedarf958. des entscheidenden Gerichts – kann auch das ursprünglich zuständige Dreierpanel selbst eine en-banc-Entscheidung herbeiführen (vgl. FRAP Rule 35[a]); in der Praxis wird von dieser Möglichkeit jedoch nur in sehr seltenen Ausnahmefällen Gebrauch gemacht. 958 U.S. S.CT. Rule 10 sieht darüber hinaus die Anrufung des U.S. Supreme Court in solchen Fällen vor, in denen das Verfahren vor dem Untergericht fundamentalen rechtsstaatlichen Grundsätze in schlechterdings nicht hinnehmbarer Weise zuwiderläuft – oder das Rechtsmittelgericht solche groben Verfahrensverstöße durch das erstinstanzliche Gericht geduldet hat – und es deshalb der Ausübung der Aufsichtsgewalt des Supreme Court bedarf. Erfolgreich auf diesen Grund gestützte Anträge sind jedoch noch deutlich seltener als auf einem der anderen genannten Gründe beruhende petitions for certiorari.

350

Rechtsmittel und Rechtsbehelfe

Regelmäßig unbeachtlich hingegen ist die fehlerhafte Würdigung von Tatsachenfragen oder Fragen bundesstaatlichen Rechts durch das Untergericht; dies gilt, wenn das angefochtene zweitinstanzliche Urteil letztlich auf dem Recht eines Bundesstaates beruht, selbst dann, wenn darin zugleich auch – im Ergebnis jedoch nicht entscheidungserhebliche – bundesrechtliche Fragen erörtert sind. Auch bundesrechtliche Rechtsanwendungsfehler werden jedoch regelmäßig nicht zur Begründung einer petition for certiorari ausreichen, soweit sie nicht in eine der vorgenannten Kategorien außergewöhnlicher Bedeutsamkeit fallen959.

742

bb) Wird durch die verfahrensbeendende Entscheidung des höchsten Rechtsmittelgerichts eines Bundesstaates die Wirksamkeit oder Verfassungsmäßigkeit eines Bundes- oder bundesstaatlichen Gesetzes – oder die Vereinbarkeit eines bundesstaatlichen Gesetzes mit übergeordnetem Bundesrecht – in Zweifel gezogen oder macht der Rechtsmittelkläger Rechte unmittelbar aufgrund der Bundesverfassung oder eines Bundesgesetzes geltend, so kann gemäß 28 U.S.C. §§ 1257, 2101(d) und U.S. S.Ct. Rule 13(1) u. (3) des Weiteren auch die Entscheidung eines state supreme court ausnahmsweise binnen 90 Tagen im Wege einer petition for certiorari vor dem U.S. Supreme Court weiter angefochten werden.

743

cc) Der U.S. Supreme Court nimmt eine Sache zur Entscheidung an, wenn mindestens vier seiner neun Richter für die Zulassung der petition for certiorari stimmen (rule of four)960. Das Zulassungsverfahren als solches sowie das weitere Verfahren nach Zulassung richtet sich sodann im Einzelnen nach den RULES OF THE U.S. SUPREME COURT.

744

Der Gerichtshof entscheidet stets in der vollen Besetzung seiner neun Richter; dies gilt für petitions for certiorari genauso wie für die eigentliche Sachentscheidung; auch die mündliche Verhandlung findet dement-

745

959 S. hierzu ausdrücklich U.S. S.CT. Rule 10: „[The writ is rarely granted] when the asserted error consists of … the misapplication of a properly stated rule of law.“ 960 Dies ist statistisch nur in der absoluten Minderheit aller Anträge der Fall; im Schnitt sind unter 2 % aller petitions for certiorari erfolgreich. Vgl. die jährlichen Veröffentlichungen im SOURCEBOOK OF CRIMINAL JUSTICE STATISTICS des amerikanischen Bundes-Justizministeriums: Danach stehen z. B. für das Jahr 2003 einer Gesamtzahl von 6.554 abgelehnten Anträgen lediglich 115 erfolgreiche Anträge gegenüber, s. http://www.albany.edu/sourcebook/1995/pdf/t571.pdf sowie die statistische Übersicht des Administrative Office of the United States Courts für die Jahre 1998-2002: http://www.uscourts.gov/judbus2003/appendices/a1.pdf.

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Urteilsanfechtung und -wirkungen

sprechend stets vor allen neun Richtern statt. Die Bildung von panels wie bei den U.S. Courts of Appeals ist nicht vorgesehen. c) Certification 746

Im Grundsatz kann auch der mit einer Sache im Einzelfall befasste U.S. Court of Appeals dem U.S. Supreme Court einzelne Fragen zur Vorabentscheidung vorlegen (vgl. 28 U.S.C. § 1254[2]); von dieser Möglichkeit wird allerdings in der Praxis nur sehr selten Gebrauch gemacht. 2. Verfahren vor den Gerichten der Bundesstaaten

747

Auf der Ebene der Bundesstaaten finden sich verschiedene Modelle, über die ein Verfahren im Einzelnen den jeweiligen state supreme court erreichen kann; s. hierzu grundsätzlich vorst. Rn. 172 ff.

748

Im Bundesstaat New York z. B. erreicht ein Rechtsstreit grundsätzlich nur dann das oberste Gericht (den Court of Appeals), wenn die vorausgehende Entscheidung des intermediate appellate court (Supreme Court, Appellate Division) gegen die abweichende Meinung zweier Mitglieder der im Einzelfall zuständigen Kammer ergangen ist961 oder – bei Anfechtung erstinstanzlicher Entscheidungen gegebenenfalls auch unter Umgehung des intermediate appellate court – wenn die angefochtene Entscheidung eine erheblich ins Gewicht fallende Frage der Verfassungsmäßigkeit eines Bundesgesetzes oder eines Gesetzes des Bundesstaates New York nach Maßgabe der U.S.-Bundesverfassung oder der Verfassung des Staates New York aufwirft; vgl. N.Y.C.P.L.R. § 5601(a) u. (b). Nur aufgrund besonderer Zulassung durch den intermediate appellate court – oder in einzelnen Fällen auch durch den Court of Appeals selbst – können bestimmte nicht anderweitig angreifbare Entscheidungen vor dem Court of Appeals angefochten werden; vgl. N.Y.C.P.L.R. § 5602. Vorabentscheidungen trifft der New York Court of Appeals nur auf Vorlage einer Rechtsangelegenheit durch den U.S. Supreme Court, einen Federal Court of Appeals oder das höchste Gericht eines anderen Bundesstaates962.

961 Die departments (Kammern) der Appellate Division des New York Supreme Court (der Trial Part des N.Y. Supreme Court ist Eingangsgericht, s. vorst. Rn. 164!) entscheiden in der Besetzung mit fünf Richtern, vgl. CONSTITUTION OF THE STATE OF NEW YORK Art. VI § 4(b). Anders als nach §§ 313, 540 ZPO ist in den USA die Veröffentlichung und gesonderte Begründung abweichender Ansichten einzelner Richter von Kollegialgerichten auf allen Ebenen übliche Praxis (vgl. in Deutschland insoweit lediglich § 30 Abs. 2 BVerfGG – Sondervotum). 962 CONSTITUTION OF THE STATE OF NEW YORK Art. VI § 3(b)(9). Allgemein zum Berufungsverfahren im Bundesstaat New York s. Siegel, New York Practice §§ 524 ff.

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Rechtsmittel und Rechtsbehelfe

3. Die Petition for Habeas Corpus Die petition for [a writ of] habeas corpus ist ein der common law-Tradition entstammendes Sonderverfahren, mit dem anderweitig nicht mehr anfechtbare gerichtliche und behördliche Entscheidungen, die eine freiheitsentziehende Maßnahme zum Gegenstand haben, im Einzelfall einer nachträglichen Rechtmäßigkeitsprüfung zugeführt werden können. Obwohl es sich bei einem Großteil der einem solchen Antrag zugrundeliegenden Entscheidungen um solche der Strafgerichte handelt, gilt das habeas corpus-Verfahren als solches sowohl auf Bundesebene als auch auf der Ebene der Bundesstaaten regelmäßig als ein Zivilverfahren eigener Art963.

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III. Der Prüfungsmaßstab der Rechtsmittelgerichte Der Umfang der Prüfung, die die angefochtenen Entscheidung im Rechtsmittelwege erfährt, richtet sich nach dem vom Rechtsmittelgericht insoweit anzulegenden Maßstab, der seinerseits im Grundsatz nur von der Art der jeweiligen Entscheidung abhängig ist, nicht jedoch vom Rang des angerufenen Rechtsmittelgerichts oder von dessen Zugehörigkeit zum Gerichtssystem des Bundes oder eines Bundesstaates. Je nach der Bedeutung des im Einzelfall zugrundeliegenden Bedürfnisses, die Einheitlichkeit der Rechtsordnung zu wahren oder Ermessensüberschreitungen der untergeordneten Gerichte in Grenzen zu halten, sowie nach dem Maße, in dem das Prärogativ des Tatsachenrichters zum Tragen kommt, greift die obergerichtliche Prüfung mehr oder weniger stark in den Entscheidungsfindungsprozess der Vorinstanz ein.

750

1. Rechtsfragen Grundsätzlich der vollständigen Überprüfung in der Rechtsmittelinstanz (de novo review) unterliegen alle Entscheidungen des Vorgerichts in reinen Rechtsfragen sowie in Einzelfällen auch geltend gemachte Subsumtionsirrtümer. Dies gilt insbesondere für die Entscheidung, ob der Kläger 963 Eine Besonderheit weist das Verfahren dabei insbesondere im Hinblick auf die dem Antragsteller zur Verfügung stehende Instanzenzahl auf: War nämlich das Ausgangsverfahren, wie die ganz überwiegende Mehrzahl der Strafverfahren, vor dem Gericht eines Bundesstaates anhängig, so muss der Antragsteller zwar zunächst die Gerichte jenes Staates – ggf. über alle drei zur Verfügung stehenden Instanzen – im Wege einer petition for habeas corpus anrufen; er kann danach jedoch im Unterliegensfalle unter engen Voraussetzungen einen erneuten Antrag vor dem zuständigen erstinstanzlichen Bundesgericht stellen und auch dessen Entscheidung sodann auf dem bundesgerichtlichen Rechtsmittelweg weiter anfechten.

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Urteilsanfechtung und -wirkungen

nach Maßgabe der Rechtsnatur der geltend gemachten Ansprüche einen Anspruch auf jury trial hat964, für die der Jury vor deren Beratung erteilten Rechtsbelehrungen (jury instructions)965, für die Entscheidung über eine motion for a judgment as a matter of law966 und für die Anwendung ausländischen Rechts967. 2. Tatsachenfragen 752

Im Rahmen derjenigen Entscheidungen, die die tatsächliche Überzeugungsbildung des Tatsachenrichters zum Gegenstand haben oder anderweitig regelmäßig aus tatsächlichen Gründen dem Ermessen des erstinstanzlichen Gerichts überlassen sind, beschränkt sich die Prüfung des Rechtsmittelgerichts demgegenüber auf die Wahrung der äußeren Grenzen eines rechtsstaatlichen Verfahrens. Solche Entscheidungen unterliegen der obergerichtlichen Aufhebung oder Abänderung nur dann, wenn sie eindeutig fehlerhaft sind (clearly erroneous; nach diesem Grundsatz erfolgt z. B. die Überprüfung der Entscheidungen des ohne Mitwirkung einer Jury auch über Tatsachenfragen entscheidenden Richters nach Maßgabe von FRCP Rule 52968) oder auf einer Überschreitung des dem erstinstanzlichen Gericht zustehenden Ermessensspielraums beruhen (abuse 964 Indiana Lumbermens Mutual Ins. Co. v. Timberland Pallet and Lumber Co., Inc., 195 F.3d 368, 374 (8th Cir. 1999). Dies gilt, obgleich das Gericht diese Beurteilung nach Maßgabe des tatsächlichen Klagevortrages vorzunehmen hat; vgl. Dairy Queen, Inc. v. Wood, 369 U.S. 469 (1962). 965 United States v. River Rouge Improvement Co., 269 U.S. 411, 421 (1926) und Advanced Display Systems, Inc. v. Kent State University, 212 F.3d 1272, 1282 (Fed. Cir. 2000); dabei geht das Rechtsmittelgericht von der Vermutung aus, dass eine fehlerhafte Belehrung die hiervon betroffene Partei tatsächlich benachteiligt hat. 966 Murray v. Chicago Transit Authority, 252 F.3d 880 (7th Cir. 2001) und Norville v. Staten Island University Hospital, 196 F.3d 89, 95 (2d Cir. 1999). 967 SEC. v. Dunlap, 253 F.3d 768 (4th Cir. 2001) – vgl. jedoch CAL. CIV. CODE § 1579: „Mistake of foreign laws is a mistake of fact.“ (Hervorhebung durch die Verfasserin). 968 United States v. U.S. Gypsum Co., 333 U.S. 364 (1948) und Gonzales-Caballero v. Mena, 251 F.3d 789 (9th Cir. 2001); reine Rechtsfragen werden allerdings auch in diesem Rahmen vom Rechtsmittelgericht vollständig neu geprüft, s. Brotherhood of Locomotive Engineers v. Springfield Terminal Railway Co., 210 F.3d 18, 30 (1st Cir.), cert. denied, 531 U.S. 1014 (2000). Welcher Maßstab im Rahmen von FRCP Rule 52 auf die Überprüfung von Subsumtionsirrtümern anzuwenden ist, wird von den Gerichten nicht einheitlich beantwortet: Vgl. Ringling Bros.-Barnum & Bailey Combined Shows, Inc. v. Utah Div. of Travel Developm’t, 170 F.3d 449, 461 (4th Cir. 1999) (clear error) und Muller v. Com-

354

Bindungs- und Präklusionswirkung der verfahrensbeendenden Entscheidung

of discretion; so z. B. bei einer Klageabweisung mit Präklusionswirkung entsprechend FRCP Rule 41[b]969, im Rahmen von discovery-Rechtshilfeanordnungen nach Maßgabe von 28 U.S.C. § 1782, vgl. vorst. Rn. 482 ff., und bei der Verwendung von special verdicts970). Je schwerer dabei das auf der persönlichen Anwesenheit während der Beweisaufnahme beruhende Entscheidungsprärogativ des Tatsachenrichters wiegt, desto zurückhaltender wird das Rechtsmittelgericht im Einzelfall in der Ausübung seiner Prüfungsfunktion sein971. Ist das Obergericht der Ansicht, dass es eine eigene abschließende Entscheidung nicht treffen kann, weil es dazu der Feststellung ergänzender Tatsachen bedarf, so verweist es die Sache insoweit (gegebenenfalls unter Aufhebung der Vorentscheidung) an das erstinstanzliche Gericht zurück. Im Rahmen der zurückverweisenden Entscheidung kann es sodann auch Hinweise für das weitere Verfahren erteilen, die für das vorinstanzliche Gericht regelmäßig bindend sind und deren Missachtung ohne weiteres einen selbständigen Rechtsmittelgrund darstellen kann.

753

B. Bindungs- und Präklusionswirkung der verfahrensbeendenden Entscheidung Die abschließende Entscheidung eines Rechtsstreits bindet das in einem Folgeprozess angerufene Gericht dahin gehend, dass es keine von der früheren Entscheidung abweichende Entscheidung treffen darf; die Prozessparteien dahin gehend, dass das Bestehen oder Nichtbestehen der geltend gemachten Ansprüche mit verbindlicher Wirkung zwischen ihnen festgestellt wird, der Kläger dieselben Ansprüche nicht erneut geltend mamittee on Special Education of East Islip Union Free School District, 145 F.3d 95 (2d Cir. 1998) (de novo review). 969 Alvarez-Fonseca v. Pepsi Cola of Puerto Rico Bottling Co., 152 F.3d 17, 23 (1st Cir. 1998), cert. denied, 526 U.S. 1123 (1999); Rodgers v. Curators of the Univ. Of Missouri, 135 F.3d 1216, 1219 (8th Cir. 1998) und In re: Southeast Banking Corp., 204 F.3d 1322, 1331 (11th Cir. 2000). 970 Bills v. Aseltine, 52 F.3d 596 (6th Cir. 1995). 971 Vgl. z. B. McCrary v. Runyon, 515 F.2d 1082 (4th Cir. 1975), aff’d, 427 U.S. 160 (1976) (Glaubwürdigkeit von Zeugen) und Graver Tank & Mfg. Co. v. Linde Air Prods. Co., 336 U.S. 271, 274 (1949) (Sachverständigenbeweis) sowie demgegenüber Hall v. Nat’l Gypsum Co., 105 F.3d 225, 228 (5th Cir. 1997) (stärker eingreifende Prüfung des Rechtsmittelgerichts bei einem im Wesentlichen auf Urkundenbeweise gestützten Urteil).

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Urteilsanfechtung und -wirkungen

chen kann und keine Partei sich nachträglich auf Rechte berufen kann, die sie bereits im Verlauf des abgeschlossenen Verfahrens hätte geltend machen können; das Letztere gilt insbesondere auch für vom Beklagten gegebenenfalls im Rahmen der Vollstreckung erstmalig erhobene Einwände972. 755

Im Hinblick auf die Reichweite dieser allgemein unter der Bezeichnung res judicata zusammengefassten Grundsätze ist zunächst zu unterscheiden zwischen der vollständigen Präklusion der mit der Klage geltend gemachten Ansprüche – einschließlich der jeweils zugrundeliegenden Tatsachen – einerseits (claim preclusion) und der Präklusionswirkung im Hinblick auf nur einzelne Tatsachen- oder Rechtsfragen (issue preclusion). Des Weiteren kommt es für die Ermittlung der Bindungs- und Präklusionswirkung darauf an, ob die fraglichen Rechte von einer der Parteien des abgeschlossenen Verfahrens oder von einem an jenem Verfahren nicht beteiligten Dritten geltend gemacht werden sollen.

756

Besonders zu beachten ist des Weiteren, dass die res judicata-Wirkungen einer Entscheidung nicht erst – wie diejenigen einer rechtskräftigen Entscheidung nach Maßgabe von §§ 322, 511 ff. ZPO – nach Ablauf aller Rechtsmittelfristen eintreten, sondern schon dann, wenn eine sachliche Endentscheidung erster Instanz vorliegt, auch wenn diese ihrerseits noch im Rechtsmittelweg angreifbar ist. Dabei erfassen die Wirkungen der gegebenenfalls auf die Anfechtung hin erfolgende Abänderung oder Aufhebung sodann auch den Umfang der Bindungs- und Präklusionswirkung der betroffenen Vorentscheidung. Im Rahmen der issue preclusion kann des Weiteren sogar eine die betreffende Tatsachen- oder Rechtsfrage abschließend behandelnde Zwischenentscheidung Präklusionswirkungen entfalten. I. Voraussetzungen 1. Wirksamkeit der Vorentscheidung

757

Nur eine wirksame Entscheidung kann Präklusionswirkung nach Maßgabe der res judicata-Grundsätze entfalten. Wirksam ist ein Urteil dann, wenn es keinen Einwänden mit Rücksicht auf die sachliche und örtliche Zuständigkeit des erlassenden Gerichts und die Ordnungsmäßigkeit der Klageerhebung sowie darüber hinaus im Einzelfall keinen Unwirksam972 Grundlegend bereits Cromwell v. County of Sac, 94 U.S. (4 Otto) 351, 352-353 (1876).

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Bindungs- und Präklusionswirkung der verfahrensbeendenden Entscheidung

keitsgründen aufgrund so schwer wiegender Form- und Verfahrensfehler ausgesetzt ist, dass diese den Fortbestand des Urteils insbesondere unter Berücksichtigung der widerstreitenden Parteiinteressen als schlechterdings nicht hinnehmbar erscheinen lassen. Geltend gemacht werden solche Unwirksamkeitsgründe dabei regelmäßig nicht erst im Rahmen des Folgeprozesses, in dem sich die von der Entscheidung begünstigte Partei auf deren Präklusionswirkung berufen will, sondern entweder in Form einer motion for relief from judgment im Rahmen des Verfahrens, in dem die angegriffene Entscheidung selbst ergangen ist, vgl. FRCP Rule 60(b), oder – wenn der Fortbestand des Urteils schlechterdings nicht hinnehmbar ist – im Rahmen einer selbständigen Klage, die ihrerseits entweder auf Feststellung der Unwirksamkeit der Vorentscheidung oder auf die Unterlassung der Zwangsvollstreckung aus jener gerichtet ist und regelmäßig in dem Gericht anhängig gemacht wird, das die angegriffene Entscheidung erlassen hat973.

758

2. Abschließender Charakter der Vorentscheidung Bindungs- und Präklusionswirkung kommt des Weiteren nur einer abschließenden Vorentscheidung zu. Dabei ist „abschließend“ im Sinne der res judicata doctrine allerdings im Gegensatz zum deutschen Rechtskraftverständnis nicht erst eine Entscheidung, die keinerlei Rechtsmitteln mehr unterliegt. Vielmehr kommt im Rahmen der claim preclusion bereits jeder instanzbeendenden Endentscheidung die volle res judicataWirkung zu, selbst wenn die fragliche Entscheidung ihrerseits noch mit Rechtsmitteln angreifbar ist. Erfolgt eine solche Anfechtung und wird die Entscheidung daraufhin aufgehoben oder abgeändert, so erfassen die Wirkungen der Rechtsmittelentscheidung entsprechend auch den res judicata-Effekt der erstinstanzlichen Entscheidung.

759

Im Rahmen der issue preclusion kann darüber hinaus im Einzelfall auch bereits solchen Zwischenentscheidungen Präklusionswirkung zukommen, die aufgrund mündlicher Verhandlung, nach Gewährung rechtlichen Gehörs zu der jeweils streitigen Tatsachen- oder Rechtsfrage und unter voller Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände ergehen. Soweit die betreffende Zwischenentscheidung ausnahmsweise selbständig anfechtbar ist, wirkt eine gegebenenfalls ergehende Rechtsmittelentscheidung dann in entsprechender Weise wie auch hinsichtlich der claim preclusion.

760

973 United States v. Beggerly, 524 U.S. 38 (1998); zu den Einzelheiten vgl. insoweit vorst. Rn. 32 ff.

357

Urteilsanfechtung und -wirkungen

3. Prozessuale Geltendmachung 761

Von der selbständigen Geltendmachung der Unwirksamkeit der Vorentscheidung abgesehen (vgl. insoweit vorst. Rn. 33), müssen sich die Parteien im Folgeprozess ausdrücklich auf die Bindungs- und Präklusionswirkung der Vorentscheidung berufen. Wie hinsichtlich der ganz überwiegenden Mehrheit prozessrechtlicher Einwände und Rechte nimmt das Gericht auch insoweit keine Prüfung von Amts wegen vor; und auf die Wirkungen der früheren Entscheidung gestützte Rechte sind verwirkt, wenn sie nicht rechtzeitig und in zulässiger Form geltend gemacht worden sind974. Die Darlegungslast für das Vorliegen einer Vorentscheidung mit Bindungs- und Präklusionswirkung für das neue Verfahren liegt jeweils bei der Partei, die sich auf die Wirkungen jener Entscheidung berufen will; die Vortrags- und Beweislast dafür, dass jene Entscheidung keine Auswirkungen auf die im Einzelfall geltend gemachten Ansprüche bzw. Rechts- oder Tatsachenfragen hat, bei der hierdurch gegebenenfalls benachteiligten Partei.

762

Unterlässt eine Partei die Geltendmachung ihr günstigeren res judicataWirkungen einer Vorentscheidung und kommt es daraufhin zu einer widersprechenden Entscheidung in dem Folgeprozess, so heben die Wirkungen der späteren Entscheidung im Umfang des Widerspruchs diejenigen der früheren Entscheidung auf (last-in-time rule). II. Reichweite 1. Claim Preclusion a) Grundsatz

763

Der Begriff der claim preclusion bezeichnet den Ausschluss aller mit der Klage tatsächlich geltend gemachten oder geltend zu machenden Ansprüche, wobei jeweils nicht nur die betreffenden Anspruchsgrundlagen und die mit diesen zusammenhängenden Rechtsfragen als solche, sondern, entsprechend dem Verständnis des Klageanspruchs selbst (vgl. FRCP Rule 8[a]), auch die Gesamtheit des jeweils zugrundeliegenden Lebenssachverhalts von der Bezeichnung erfasst wird975. Der claim preclusion liegt somit der 974 Dabei wird der Kläger das Vorliegen einer bindenden Vorentscheidung allgemein im Rahmen einer motion geltend machen, der Beklagte in Form einer affirmative defense (vgl. FRCP Rule 8[c] und vorst. Rn. 349, 376 u. 520 ff.). 975 Cromwell v. County of Sac, 94 U.S. (4 Otto) 351, 352 – 353 (1876); RESTATEMENT (SECOND) OF JUDGMENTS § 24(b) (1982); zu den Grenzen der Sachverhaltseinheit vgl. SEC v. First Jersey Securities, Inc., 101 F.3d 1450, 1464 (2d Cir. 1996), cert.

358

Bindungs- und Präklusionswirkung der verfahrensbeendenden Entscheidung

Gedanke zugrunde, dass der Kläger im Interesse der Prozessökonomie und der Rechtssicherheit in dem von ihm angestrengten Prozess im Grundsatz stets alle ihm gegen den Beklagten aufgrund des jeweiligen Sachverhalts zustehenden Ansprüche geltend machen und sich insbesondere auch daraus keinen unfairen Vorteil verschaffen können soll, dass das Gericht keine Prüfung der ihm zustehenden Rechte von Amts wegen vornimmt. Dabei erfasst die Präklusionswirkung die streitgegenständlichen Tatsachen- und Rechtsfragen des Vorprozesses insbesondere im Hinblick auf

764

– alle dem Kläger entstandenen Schäden und Nachteile, – das gesamte ihm zur Verfügung stehende Tatsachen- und Beweismaterial, – alle in Betracht kommenden rechtlichen Anspruchsgrundlagen; gleichgültig, ob diese alternativ, kumulativ oder im Haupt- und Hilfsverhältnis geltend gemacht werden können, und auch dann, wenn sie in tatsächlicher Hinsicht an widersprechende Voraussetzungen geknüpft sind, – alle dem Kläger zur Auswahl stehenden Klageziele und -arten, – und alle mit dem tatsächlichen Streitstoff eng verwandten Folgeumstände und Nebentatsachen. b) Klageabweisende Entscheidungen Für den Eintritt der Bindungs- und Präklusionswirkung ist des Weiteren nicht stets eine Sachentscheidung im Rahmen des Vorprozesses erforderlich. Res judicata-Wirkung haben vielmehr auch diejenigen Klageabweisungen, die im Ergebnis darauf beruhen, dass der Kläger den von ihm selbst durch Klageerhebung eröffneten Rechtsweg nicht in dem Umfang ausgeschöpft hat, in dem dies im Einzelfall zur Wahrung seiner Interessen erforderlich gewesen wäre. Hierunter fallen insbesondere: – Die Klageabweisung wegen mangelnder Betreibung des Verfahrens (failure to prosecute; vgl. FRCP Rule 41[b] und vorst. Rn. 505 – 506), – die als Sanktion für die Missachtung einer gerichtlichen Anordnung erfolgende Klageabweisung, vgl. z. B. FRCP Rule 37 und vorst. Rn. 403 u. 417, – die Klageabweisung auf eine motion to dismiss for failure to state a claim bzw. einen demurrer (vgl. FRCP Rule 12[b][6] und vorst. Rn. 362 ff.) denied, 522 U.S. 812 (1997) und Interoceanica Corp. v. Sound Pilots, Inc., 107 F.3d 86, 91 (2d Cir. 1997).

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765

Urteilsanfechtung und -wirkungen

– und die Klageabweisung im Rahmen eines summary judgment, eines judgment on partial findings und eines judgment as a matter of law; vgl. FRCP Rule 50, 52 u. 56 und vorst. Rn. 525 ff., 570 ff. u. 648 ff. 766

Die Klageabweisung wegen Verjährung des geltend gemachten Anspruchs hat dann Präklusionswirkung, wenn die wiederholte gerichtliche Geltendmachung denselben Verjährungsregeln (also im Ergebnis demselben bundesstaatlichen Rechtssystem) unterliegt wie der erste Rechtsstreit; nicht jedoch, wenn der Kläger denselben Anspruch in der Folge vor einem Gericht anhängig macht, das die fragliche Verjährungsregelung nicht anwendet. c) Ausnahmen

767

Nicht von der Präklusionswirkung erfasst sind einzelne Ansprüche des Klägers nach alledem nur insoweit als: – ihre Aufspaltung auf mehrere Prozesse (splitting of claims) zwischen den Parteien ausdrücklich vereinbart worden ist; – der Beklagte mindestens konkludent einer solchen prozessualen Anspruchsteilung zugestimmt hat; – der Vorprozess durch Klagerücknahme sein Ende gefunden hat (voluntary dismissal; vgl. FRCP Rule 41[a] und vorst. Rn. 500 ff.); – der Kläger geltend macht, dass die fraglichen Ansprüche in dem Vorprozess aus Gründen der gerichtlichen Zuständigkeit oder aus Verfahrensgründen nicht geltend gemacht werden konnten; allerdings gilt auch dies nur dann, wenn dem Kläger anstelle des tatsächlich gewählten Forums nicht ein Alternativ-Forum zur Verfügung gestanden hätte, vor dem er seine Rechte in vollem Umfang hätte durchsetzen können; – die Klage in dem Vorprozess aufgrund fehlender sachlicher oder örtlicher Zuständigkeit des Gerichts, aufgrund von Mängeln der Klagezustellung oder aufgrund der Nichteinbeziehung notwendiger Parteien abgewiesen worden ist; – die Klageabweisung im Vorprozess auf dem Fehlen einer nach Maßgabe des einschlägigen Richterrechts notwendigen Prozessvoraussetzung beruht; – das im Rahmen des ersten Prozesses angerufene Gericht ausnahmsweise ausdrücklich anordnet, dass seine Entscheidung hinsichtlich einzelner Ansprüche ohne Vorgriff (without prejudice) auf einen etwaigen Folgeprozess sein soll; 360

Bindungs- und Präklusionswirkung der verfahrensbeendenden Entscheidung

– oder das Gericht des Folgeprozesses ausnahmsweise aus überragenden verfassungsrechtlichen Gründen keine Präklusionswirkung der Vorentscheidung annimmt. d) Widerklageansprüche Auch im Wege der Widerklage vom Beklagten tatsächlich geltend gemachte Ansprüche unterliegen im Grundsatz der Präklusionswirkung der verfahrensbeendenden Entscheidung; dies gilt nur dann nicht, wenn der Beklagte im Einzelfall aus Gründen der mangelnden gerichtlichen Zuständigkeit seinen Widerklageanspruch nicht in vollem Umfang geltend machen kann.

768

Widerklageansprüche, die der Beklagte zwar in dem Vorprozess hätte erheben können, jedoch nicht tatsächlich erhoben hat, sind hingegen grundsätzlich nicht von der Präklusionswirkung der Vorentscheidung erfasst. Dies liegt daran, dass dem Beklagten nicht die Forumswahl des Klägers auch zur Geltendmachung seiner eigenen Ansprüche aufgezwungen werden soll, und gilt selbst dann, wenn die dem potentiellen Widerklageanspruch zugrundeliegenden Tatsachen auch Grundlage eines Einwandes (einschließlich einer affirmative defense, vgl. vorst. Rn. 347 ff.) sind, den der Beklagte nach res judicata-Grundsätzen verlieren würde, wenn er ihn nicht ausdrücklich erheben würde.

769

Ausgenommen hiervon sind lediglich solche Widerklageansprüche, die der Beklagte erheben muss, wenn er sie nicht verlieren will (compulsory counterclaims); und zwar gleichgültig, ob sich der Zwang der Geltendmachung aus einer ausdrücklichen normativen Anordnung ergibt (vgl. z. B. vgl. FRCP Rule 13[a]) oder ob es sich um einen Widerklageanspruch handelt, der inhaltlich die genaue Umkehrung des Klageanspruchs darstellt und deshalb bereits traditionell zu seiner Wahrung im selben Prozess wie der entsprechende Klageanspruch geltend gemacht werden musste (common law compulsory counterclaim; z. B. ein Anspruch auf Vertragsrückabwicklung, der einer auf denselben Vertrag gestützten Erfüllungsklage gegenübersteht)976.

770

976 New York Life Ins. Co. v. Deshotel, 142 F.3d 873, 882 (5th Cir. 1998). Nicht alle Bundesstaaten haben das Konzept der compulsory counterclaims übernommen; allerdings entfaltet auch dort das auf die Klage hin ergehende Urteil i.d.R. Bindungswirkung zugleich mit Rücksicht auf etwaige nicht geltend gemachte Widerklageansprüche des Beklagten. Vgl. N.Y.C.P.L.R. § 3019 u. hierzu Siegel, New York Practice § 224-226.

361

Urteilsanfechtung und -wirkungen

2. Issue Preclusion 771

Im Einzelfall kann eine Partei auch außerhalb der Grundsätze der claim preclusion daran gehindert sein, sich auf einzelne Tatsachen- oder Rechtsfragen im Rahmen eines Folgeprozesses zu berufen. Diese sogenannte issue preclusion kommt sowohl zum Tragen, wenn in dem zweiten Prozess dieselben Rechte geltend gemacht werden wie in dem Vorprozess, ohne dass jedoch die Geltendmachung einzelner tatsächlicher oder rechtlicher Argumente bereits nach den Grundsätzen der claim preclusion ausgeschlossen ist (direct estoppel), als auch – und insbesondere –, wenn beide Prozessen insgesamt verschiedene Rechte betreffen, die in dem zweiten Prozess geltend gemachten Rechte jedoch teilweise sachliche oder rechtliche Überschneidungen mit dem Gegenstand des Vorprozesses aufweisen (collateral estoppel)977. a) Grundsatz

772

aa) Um dieselbe Tatsachen- oder Rechtsfrage in beiden Prozessen handelt es sich, wenn ein Klageanspruch oder ein Einwand des Beklagten teilweise auf dieselbe tatsächliche oder rechtliche Begründung oder auf dieselben Beweismittel gestützt ist wie ein Anspruch oder Einwand, der bereits Gegenstand des Vorprozesses war oder hätte sein müssen, und wenn die in den res judicata-Grundsätzen zum Ausdruck kommenden Gedanken der Rechtssicherheit und der Prozessökonomie eine wiederholte Entscheidung insoweit als untunlich erscheinen lassen978.

773

bb) Voraussetzung der Präklusionswirkung ist dabei stets, dass die betreffende Tatsachen- oder Rechtsfrage im Rahmen des Vorprozesses Gegenstand einer streitigen Entscheidung war; aus diesem Grunde sind weder Versäumnisurteile noch Parteigeständnisse und -vereinbarungen geeignet, bindende Wirkung für Folgeprozesse auszuüben979. 977 Vgl. United States v. Shanbaum, 10 F.3d 305, 311 (5th Cir. 1994). 978 Vgl. United States v. Shanbaum, 10 F.3d 305, 311 (5th Cir. 1994). 979 Cromwell v. County of Sac, 94 U.S. (4 Otto) 351, 356 – 357 (1876); Regions Hosp. v. Shalala, 522 U.S. 448, 461 (1998). Streiten die Parteien jedoch nach dem Abschluss eines Vergleichs um dessen Wirksamkeit und Vollstreckbarkeit oder sieht die anwendbare Verfahrensordnung vor, dass der Vergleichsinhalt Gegenstand eines entsprechenden, i.d.R. unmittelbar vollstreckbaren richterlichen Titles sein kann (consent decree), so kann die insoweit ergehende Entscheidung Präklusionswirkung nach Maßgabe der res judicataGrundsätze entfalten; vgl. z. B. Richardson v. Alabama State Board of Education, 935 F.2d 1240, 1244 (11th Cir. 1991).

362

Bindungs- und Präklusionswirkung der verfahrensbeendenden Entscheidung

cc) Des Weiteren muss die betreffende Frage im Rahmen des Vorprozesses entscheidungserheblich gewesen sein; ergibt sich aus der Vorentscheidung, dass diese in der Sache von anderen Erwägungen getragen war, so tritt ebenfalls keine Bindungswirkung ein980. Das Gleiche gilt, wenn der Umfang der die Vorentscheidung tragenden Erwägungen nicht mit hinreichender Deutlichkeit festgestellt werden kann; in diesem Fall können sämtliche nur potentiell entscheidungserheblichen Fragen ohne jegliche Bindungswirkung der Vorentscheidung erneut geltend gemacht werden981. Berufen sich die Parteien im Rahmen des zweiten Prozesses allerdings auf mehrere Tatsachen- oder Rechtsfragen, die sämtlich bereits im Vorprozess klar entscheidungserheblich waren, so erstreckt sich die Bindungswirkung ebenfalls auf alle erneut geltend gemachten Umstände.

774

Umstritten ist die Bindungswirkung solcher Entscheidungen, die auf mehrere alternative Gründe gestützt sind, von denen jedoch jeder einzelne ausreichen würde, um das entsprechende Ergebnis herbeizuführen. Die herkömmliche und in jüngerer Zeit auch wieder neu Verbreitung findende Ansicht spricht in diesem Falle allen im Einzelfall betroffenen Fragen Bindungswirkung zu, während eine zwischenzeitlich sehr weitgehend vertretene Gegenmeinung die Entscheidung hinsichtlich keiner Frage als bindend betrachten würde982.

775

b) Ausnahmen Aus Gründen der Prozessökonomie sowie der Verfahrensfairniss sind den Grundsätzen der issue preclusion insoweit Grenzen gesetzt, als entweder der Zwang zur Geltendmachung bestimmter Tatsachen- oder Rechtsfragen bereits im Vorprozess zu einer unnötigen Überfrachtung des Streitstoffes jenes Verfahrens führen würde oder die von der Bindungswirkung nachteilig betroffene Partei keine hinreichende Möglichkeit hatte, ihre eigenen Rechte bereits in dem ersten Rechtsstreit wahrzunehmen. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der folgenden Situationen: – Die Entscheidung einer reinen Rechtsfrage ist im Rahmen eines Folgeprozesses, der nicht weiter mit dem vorhergehenden Rechtsstreit in 980 Dies gilt insbesondere auch für dicta, d. h. nicht entscheidungstragende gerichtliche Erörterungen und Hinweise. 981 In re Caton, 157 F.3d 1026, 1029 (5th Cir. 1998), cert. denied, 526 U.S. 1068 (1999). 982 Vgl. National Satellite Sports, Inc.v. Eliadis, Inc., 253 F.3d 900, 909 – 910 (6th Cir. 2001), cert. denied, 122 S.Ct. 1127 (2002), auch m. zahlr. w.N. zum Streitstand.

363

776

Urteilsanfechtung und -wirkungen

Verbindung steht, grundsätzlich nur dann bindend, wenn sich eine solche Bindungswirkung aus der doctrine of stare decisis ergibt (vgl. vorst. Rn. 190 ff.); nicht jedoch nach Maßgabe der Grundsätze der issue preclusion983. – Wird der zweite Prozess vor einem Gericht höherer Rangordnung geführt als der erste Rechtsstreit (z. B. vor einem court of unlimited jurisdiction, wenn der Vorprozess vor einem court of limited jurisdiction geführt wurde; vgl. vorst. Rn. 166 ff.), so ist das im Rahmen des zweiten Prozesses angerufene Gericht ebenfalls in keiner Weise an die Vorentscheidung des niederrangigen Gerichts gebunden. – Trifft die im Vorprozess unterlegene Partei hinsichtlich der erneut geltend gemachten Tatsachen- oder Rechtsfrage in dem zweiten Verfahren aufgrund eines unterschiedlichen Sach- oder Anspruchszusammenhangs eine erleichterte Darlegungslast, so ist sie nicht allein aufgrund ihres vormaligen Unterliegens daran gehindert, sich erneut auf die jeweils betroffenen Umstände zu berufen. – Standen der Partei, die sich in dem zweiten Prozess auf die betreffende Tatsachen- oder Rechtsfrage berufen will, in dem ersten Rechtsstreit aus Rechtsgründen keine Rechtsmittel zur Verfügung, ist sie ebenfalls nicht an die Entscheidung des zuerst mit der Sache befassten Gerichts gebunden. – Ausnahmsweise tritt des Weiteren auch insoweit keine Bindungswirkung ein, als der Präklusionseffekt der Vorentscheidung hinsichtlich einzelner Tatsachen- und Rechtsfragen nicht vorhersehbar war und diese Unvorhersehbarkeit in nicht vertretbarer Weise auf die damalige Prozessführung durch die nunmehr benachteiligte Partei Einfluss hatte984. – Schließlich nimmt das im Folgeprozess angerufene Gericht stets insoweit keine Bindungswirkung einer Vorentscheidung an, wenn und soweit dies mit den Grundsätzen eines fairen Verfahrens nicht in Einklang zu bringen ist; insbesondere dann, wenn die benachteiligte Partei

983 Stehen die beiden Prozesse allerdings tatsächlich und rechtlich in Verbindung miteinander, ist die vorausgehende Entscheidung auch hinsichtlich aller reinen Rechtsfragen bindend; vgl. Montana v. United States, 440 U.S. 147, 162 (1979). 984 Cromwell v. County of Sac, 94 U.S. (4 Otto) 351, 356 (1876). Dies wird häufig bei nicht mit der gleichen Intensität wie Streitigkeiten um erhebliche Vermögenswerte geführten Bagatellrechtsstreiten der Fall sein.

364

Bindungs- und Präklusionswirkung der verfahrensbeendenden Entscheidung

keine hinreichende Möglichkeit hatte, ihre Rechte bereits im Rahmen des Vorprozesses wahrzunehmen985. 3. Urteilswirkungen für und gegen Dritte Hinsichtlich der Bindungswirkungen eines Urteils gegenüber Dritten ist grundsätzlich zwischen solchen Dritten zu unterscheiden, die mit den Parteien des Rechtsstreits in einer Rechtsbeziehung stehen, der zufolge die ergehende Entscheidung auch in gewissem Umfang Wirkung für und gegen den betroffenen Dritten hat (privies), und solchen Dritten, die keinerlei Beziehung zu dem Rechtsstreit und seinen Parteien haben.

777

a) Privies Ist ein Dritter mit einer Partei so eng verbunden, dass er als deren privy betrachtet werden muss, entfaltet die ergehende Entscheidung Wirkung für und gegen den Dritten sowohl nach den Grundsätzen der claim preclusion als auch nach denjenigen der issue preclusion986. Allerdings bestimmt sich die Reichweite der Präklusionswirkung im Einzelfall nach der Ausgestaltung der Rechtsbeziehungen zwischen dem Dritten und der Partei; je enger diese Beziehungen sind, desto weiter gehend wird auch der Dritte durch die Wirkungen der Entscheidung gebunden sein.

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Die Stellung als privy einer Partei kann sich sowohl aus prozessrechtlichen als auch aus materiellrechtlichen Vorschriften ergeben. aa) Prozessrechtlich ist ein Dritter stets privy derjenigen Partei, die Rechte stellvertretend für ihn geltend gemacht hat, z. B. die durch den Vermögensverwalter vertretenen Begünstigten im Rahmen eines trust. Darüber hinaus kann sich die Stellung als privy auch daraus ergeben, dass der betreffende Dritte ausdrücklich erklärt, er wolle die ergehende Entscheidung für und gegen sich gelten lassen, oder dass der Dritte (z. B. im

985 Insbesondere bei einer nachträglichen Änderung der Sach- oder Rechtslage; vgl. Montana v. United States, 440 U.S. 147, 159 (1979) (Änderung der entscheidungserheblichen Tatsachen) und Commissioner v. Sunnen, 333 U.S. 591, 601 (1948) (Änderung der Rechtslage). 986 Im Verhältnis zu sogenannten privies ist das Urteil eines Bundesgerichts des Weiteren u. U. auch unmittelbar vollstreckbar, ohne dass es insoweit einer gesonderten Entscheidung bedürfte; vgl. FRCP Rule 71.

365

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Urteilsanfechtung und -wirkungen

Rahmen des vouching in, vgl. vorst. Rn. 676) die Federführung bei der Prozessführung auf der Seite einer Prozesspartei übernimmt987. 780

Gesondert geregelt ist die bindende Wirkung der Entscheidung schließlich im Zusammenhang mit Urteilen auf Vornahme oder Unterlassung einer Handlung (injunctions), die nach Maßgabe von FRCP Rule 65(d) Bindungswirkung entfalten für die Parteien sowie ihre Vertreter (bzw. die Vorstandsmitglieder einer als juristische Person organisierten Handelsgesellschaft), Angestellte und Anwälte sowie alle Dritten, die mit ihnen gemeinsam handeln und von dem Urteil tatsächlich Kenntnis erlangen988.

781

bb) Materiellrechtlich ergibt sich die Stellung als privy aus den dem Prozess zugrundeliegenden Rechtsbeziehungen; insoweit liegt jedoch meistens ebenfalls zumindest im weitesten Sinne ein Fall der stellvertretenden Geltendmachung von Rechten anderer oder eine untrennbare Rechtsgemeinschaft mit dem Kläger vor. Dies gilt insbesondere für die Durchsetzung abgetretener Rechte sowie – u. U. auch nur in beschränktem Umfang – für die Prozessführung durch weniger als alle Teilhaber einer nicht als juristische Person organisierten Gesellschaft oder Rechtsgemeinschaft989. b) Andere Dritte

782

aa) Steht der betroffene Dritte mit keiner der Prozessparteien in einem Verhältnis, das es rechtfertigen würde, ihn als deren privy zu betrachten, so ist er grundsätzlich durch die ergehende Entscheidung auch nicht ge-

987 Ähnlich – aber weiter gehend – CAL. CODE CIV.PROC. § 1908(b), wonach allgemein die Kontrolle des Dritten über die Prozessführung einer Partei maßgeblich ist. 988 Wörtlich: „[T]he parties to the action, their officers, agents, servants, employees, and attorneys, and … those persons in active concert or participation with them who receive actual notice of the order.“ Zu Voraussetzungen und Umfang der Bindungswirkung im Einzelnen vgl. insoweit Regal Knitwear Co. v. National Labor Relations Board, 324 U.S. 9 (1945) und R.M.S. Titanic, Inc. v. Haver, 171 F.3d 943, 957 – 958 (4th Cir.), cert. denied, 528 U.S. 825 (1999). Im Gegensatz zu den übrigen in FRCP Rule 65 enthaltenen Regelungen gelten diejenigen in Absatz (d) nicht nur für Anordnungen im vorläufigen Rechtsschutzverfahren, sondern auch in der Hauptsache; vgl. Reich v. ABC/York-Estes Corp., 64 F.3d 316, 320 (7th Cir. 1995). 989 Hart v. Yamaha-Parts Distrib., Inc., 787 F.2d 1468, 1472 (11th Cir. 1986); Howell Hydrocarbons, Inc. v. Adams, 897 F.2d 183, 188 (5th Cir. 1990).

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Bindungs- und Präklusionswirkung der verfahrensbeendenden Entscheidung

bunden; sein verfassungsrechtlicher Anspruch auf rechtliches Gehör gebietet vielmehr, ihm die Möglichkeit der eigenständigen gerichtlichen Durchsetzung seiner Rechte zu ermöglichen990. bb) Nicht die Stellung eines privy, sondern die eines unbeteiligten Dritten hat dabei insbesondere auch die Partei eines Vorprozesses, die in dem nachfolgenden Verfahren eine grundsätzlich andere Parteirolle einnimmt. So kann insbesondere derjenige, der im Rahmen des Vorprozesses lediglich als Stellvertreter die Rechte anderer geltend gemacht hat, in einem zweiten Verfahren eigene Rechte durchsetzen, ohne dass seine Prozessführung in dem ersten Rechtsstreit durch irgendwie geartete Interessenkonflikte beeinträchtigt wäre und ohne dass er sich dabei bereits eigener, gegebenenfalls auch derjenigen des Vertretenen zuwiderlaufenden Rechte begeben würde.

783

cc) Obwohl ein an dem ersten Prozess nicht beteiligter Dritter durch die dort ergangene Entscheidung nicht zu seinen Lasten gebunden ist, kann er sich auf diese unter bestimmten Voraussetzungen gleichwohl zu seinen Gunsten gegenüber einer Partei des früheren Rechtsstreits berufen; es sei denn, die betreffende Partei habe in jenem Verfahren keine hinreichende Möglichkeit gehabt, ihre jeweiligen eigenen Rechte prozessual durchzusetzen991. Insbesondere kann nach diesen Grundsätzen sowohl der Kläger als auch der Beklagte des Folgeprozesses die Wirkungen der collateral estoppel issue preclusion (vgl. vorst. Rn. 771) gegenüber den Parteien des ersten Rechtsstreits geltend machen; diese sind also hinsichtlich einzelner entscheidungserheblicher Tatsachen- und Rechtsfragen u. U. auch außerhalb der unmittelbar streitgegenständlichen Ansprüche des Vorprozesses gegenüber insoweit begünstigten Parteien des Folgeprozesses gebunden992.

784

dd) Ausnahmen ergeben sich im Hinblick auf die Urteilswirkung zugunsten nicht am Vorprozess beteiligter Dritter nicht nur aus den allgemeinen Einschränkungen der issue preclusion (vgl. vorst. Rn. 776), sondern insbesondere aus dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs. So ist eine Partei des Vorprozesses vor allem dann nicht gegenüber einem be-

785

990 South Central Bell Tel. Co. v. Alabama, 526 U.S. 160, 168 (1999). 991 Blonder-Tongue Laboratories, Inc. v. University of Illinois Foundation, 402 U.S. 313 (1971); Parklane Hoisery Co. v. Shore, 439 U.S. 322 (1979); Bernhard v. Bank of America Nat’l Trust & Sav. Ass’n, 19 Cal.2d 807 (1942). 992 Blonder-Tongue Laboratories, Inc. v. University of Illinois Foundation, 402 U.S. 313 (1971) (Geltendmachung durch den Beklagten) und Parklane Hoisery Co. v. Shore, 439 U.S. 322 (1979) (Geltendmachung durch den Kläger); dies trifft nach Parklane insbesondere auch dann zu, wenn der Vorprozess ohne Beteiligung einer Jury als Tatsachenrichter durchgeführt wurde.

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Urteilsanfechtung und -wirkungen

günstigten Dritten durch die dort ergangene Entscheidung gebunden, wenn und soweit: – Beklagter des Folgeprozesses die Vereinigten Staaten oder eine ihrer Institutionen sind993, – es dem Dritten zumutbar gewesen wäre, sich bereits formal durch Intervention oder in anderer zulässiger Weise formal an dem Vorprozess zu beteiligen994, – die von den Wirkungen der issue preclusion betroffene Partei des Vorprozesses nicht für die Wahl des damaligen Forums verantwortlich war, – sich z. B. aus einer Reihe aufeinanderfolgender, inhaltlich widersprüchlicher Entscheidungen, die untereinander nicht oder nur sehr eingeschränkt Präklusionswirkung entfalten, Zweifel an der Verlässlichkeit und Verbindlichkeit der im Einzelfall in Anspruch genommenen Vorentscheidung ergeben. Dies gilt insbesondere bei aufeinanderfolgenden, in unterschiedlichem Maße erfolgreichen Klagen mehrerer Geschädigter einer unerlaubten Handlung gegen den gemeinsamen Schädiger, in deren Rahmen sich ein nachfolgender Kläger hinsichtlich einzelner Tatsachen- oder Rechtsfragen nicht willkürlich auf die Präklusionswirkung einer ihm zufällig günstigen Vorentscheidung berufen kann, wenn die Klagen anderer Geschädigter abgewiesen worden sind995. 4. Bindungswirkung besonderer Urteilsformen a) Judgments in Rem 786

Die Entscheidung in einem in rem proceeding stellt mit bindender Wirkung für und gegen alle das Eigentum sowie sonstige an der streitgegenständlichen Sache bestehende Rechte fest996. Die Parteien des Verfahrens sind darüber hinaus hinsichtlich der Entscheidung einzelner Tatsachenund Rechtsfragen auch nach Maßgabe der Grundsätze der issue preclusion gebunden.

993 United States v. Mendoza, 464 U.S. 154 (1984); Parklane Hoisery Co. v. Shore, 439 U.S. 322 (1979). 994 Parklane Hoisery Co. v. Shore, 439 U.S. 322 (1979. 995 Parklane Hoisery Co. v. Shore, 439 U.S. 322 (1979). 996 Ausdrücklich so z. B. CAL. CODE CIV.PROC. § 1908(a)(1).

368

Bindungs- und Präklusionswirkung der verfahrensbeendenden Entscheidung

b) Quasi in Rem Judgments aa) Hat das Verfahren die wechselseitigen Rechte und Pflichten der Parteien in Bezug auf die streitgegenständliche Sache selbst zum Gegenstand, so erstreckt sich die Bindungswirkung der Entscheidung im Rahmen der claim preclusion auf die Feststellung dieser Rechte und Pflichten im Verhältnis zwischen den Parteien sowie im Rahmen der issue preclusion auch auf jede einzelne entscheidungserhebliche Tatsachen- und Rechtsfrage.

787

Macht der Kläger in ein- und demselben Verfahren sowohl Rechte hinsichtlich der Sache selbst als auch mit diesen verbundene, nach den Prinzipien der personal jurisdiction einklagbare Forderungen gegen den Beklagten geltend (z. B. die Befriedigung eines fälligen Grundpfandrechts einerseits und den grundpfandrechtlich gesicherten Darlehensanspruch andererseits), so kommen die Grundsätze der claim preclusion hinsichtlich jedes geltend gemachten Anspruchs gesondert zur Anwendung.

788

bb) Handelt es sich um ein Verfahren, mit dem der Kläger die Sicherung und gegebenenfalls Befriedigung eines nicht verfahrensgegenständlichen Anspruchs durch Beschlagnahme eines Vermögensgegenstandes des Beklagten betreibt, so erstreckt sich die Bindungswirkung der Entscheidung lediglich auf das Recht des Klägers, den streitgegenständlichen Vermögensgegenstand zu dem angegebenen Sicherungs- und Befriedigungszweck zu beschlagnahmen, jedoch auf keinerlei weitere Fragen. Insbesondere soweit seine Forderung nach Beschlagnahme und Verwertung des Vermögensgegenstandes noch unbefriedigt bleibt, kann der Kläger diese daher separat gerichtlich geltend machen. Ob der Entscheidung in einem solchen quasi in rem proceeding im Hinblick auf Einzelfragen die Wirkung der issue preclusion zukommen, ist umstritten997.

789

c) Statusurteile Entscheidungen in Statusprozessen sind regelmäßig bindend für und gegen alle998; im Verhältnis der Prozessparteien kommen darüber hinaus auch die Grundsätze der issue preclusion zur Anwendung.

997 Zum Streitstand vgl. Casad, Clermont, Res Judicata S. 196 ff.; s. auch RESTATEMENT (SECOND) OF JUDGMENTS § 32. 998 S. z. B. CAL. CODE CIV.PROC. § 1908(a)(1).

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790

Urteilsanfechtung und -wirkungen

d) Feststellungsurteile 791

Auf Feststellungsklagen ergehende Entscheidungen haben Bindungswirkung zwischen den Parteien lediglich im Umfang der vom Gericht getroffenen Feststellungen, jedoch nicht darüber hinaus; sie schließen also insbesondere eine spätere Leistungsklage aufgrund desselben Lebenssachverhalts nicht aus. Hinsichtlich der einzelnen entscheidungserheblichen Tatsachen- und Rechtsfragen kommen jedoch auch die Prinzipien der issue preclusion zur Anwendung. e) Schiedssprüche

792

Schiedsrichterliche Entscheidungen haben volle Bindungs- und Präklusionswirkung sowohl nach den Grundsätzen der claim preclusion als auch nach denjenigen der issue preclusion. Dies gilt nur dann nicht, wenn das Schiedsverfahren im Einzelfall nicht in hinreichendem Maße gerichtsähnlich ausgestaltet war oder wenn sich aus der Schiedsabrede der Parteien oder aus anderweitig zur Anwendung kommenden Vorschriften ergibt, dass die erneute Geltendmachung der durch Schiedsspruch festgestellten Rechte und Pflichten im Einzelfall zulässig sein soll. f) Entscheidungen der Administrative Courts

793

Auch Entscheidungen der gerichtsähnlichen Institutionen der Verwaltung (z. B. der immigration courts, vgl. vorst. Rn. 162) entfalten im Prinzip dieselbe Bindungs- und Präklusionswirkung wie diejenigen eines der Judikative zugehörigen Gerichts; es sei denn, die Entscheidung sei im Einzelfall nicht im Rahmen eines gerichtstypisch ausgestalteten Verfahrens zustande gekommen oder die Zulässigkeit einer erneuten Entscheidung über dieselben Fragen ergebe sich aus dem im Einzelfall erkennbaren gesetzgeberischen Willen. g) Strafurteile

794

aa) Entscheidungen im Rahmen eines dem Zivilrechtsstreit vorausgehenden Strafprozesses haben im Grundsatz Bindungswirkung nach den Regeln der issue preclusion.

795

bb) Etwas anderes kann im Einzelfall allerdings dann gelten, wenn es sich bei der abgeurteilten Straftat um ein solches Bagatelldelikt handelt, dass der Angeklagte in seine Verteidigung einen deutlich geringeren Auf-

370

Bindungs- und Präklusionswirkung der verfahrensbeendenden Entscheidung

wand investiert hat als in die Verteidigung gegen einen schwerwiegenderen Tatvorwurf; s. vorst. Rn. 776. cc) Einschränkungen ergeben sich des Weiteren insbesondere auch aufgrund der erleichterten Darlegungs- und Beweislastregeln im Zivilprozess, in dem regelmäßig nur ein Wahrscheinlichkeitsmaßstab zur Anwendung kommt (vgl. vorst. Rn. 563 u. 776) – während im Strafprozess die Schuld des Angeklagten jenseits jeden vernünftigen Zweifels festgestellt werden muss –, so dass insbesondere ein Freispruch nicht notwendigerweise bindende Wirkung für einen nachfolgenden Zivilrechtsstreit entfaltet.

796

Kommt es in dem Strafprozess nicht zu einer vollen Hauptverhandlung und Beweisaufnahme, weil der Angeklagte seine Schuld eingesteht (plea of guilty) und allein auf dieser Grundlage verurteilt wird, so fehlt es an der für das Eingreifen der issue preclusion erforderlichen Durchführung eines streitigen Verfahrens999. Das Schuldeingeständnis als solches wirkt allerdings auch im Rahmen des Zivilprozesses als bindendes Geständnis (admission), und der Angeklagte ist in einem späteren Zivilrechtsstreit regelmäßig gehindert, eine seinem Schuldeingeständnis inhaltlich widersprechende Position einzunehmen (equitable estoppel).

797

Im Prozess vor den Bundesgerichten sowie den Gerichten einer Reihe von Bundesstaaten ist darüber hinaus die Beweisführung über die strafgerichtliche Verurteilung einer Partei sowohl hinsichtlich aller insoweit entscheidungserheblichen Tatsachen- und Rechtsfragen durch Vorlage des betreffenden Strafurteils ausdrücklich zugelassen; vgl. z. B. FRE Rule 803 (22).

798

999 Das Gleiche gilt für ein sogenanntes plea of nolo contendere oder plea of no contest, in dessen Rahmen der Angeklagte zwar seine Schuld nicht eingesteht, sich jedoch auch nicht anderweitig gegen den Strafvorwurf verteidigt und auf dieser Grundlage verurteilt wird.

371

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Anhang I

Anschriften Anwaltssuchdienst: Martindale-Hubbell 121 Chanlon Rd. New Providence, NJ 07974 USA Telefon: (001 – 908) 526 – 4902 ext. 8001 Fax: (001 – 908) 771 – 8704 Website: http://www.martindale.com

Martindale-Hubbell International Holden House 57 Rathbone Place London W1 T 1JU Great Britain Telefon: (0044 – 20) 7868 – 4885 Fax: (0044 – 20) 7868 – 4886

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Alaska Bar Association 550 West 7th Avenue, Suite 1900 Anchorage, AK 99501 (PO Box 100279 Anchorage, AK 99510 – 0279) USA Telefon: (001 – 907) 272 – 7469 Fax: (001 – 907) 272 – 2932 E-Mail: [email protected] Website: http://www.alaskabar.org State Bar of Arizona 111 West Monroe, Suite 1800 Phoenix, AZ 85003 – 1742 USA Telefon: (001 – 602) 252 – 4804 Fax: (001 – 602) 271 – 4930 E-Mail: [email protected] Website: http://www.azbar.org Arkansas Bar Association 400 West Markham Little Rock, AR 72201 USA Telefon: (001 – 501 – 375 – 4606) Fax: (001 – 501)-375 – 4901 E-Mail: [email protected] Website: www.arkbar.com

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Anhang I State Bar of California 180 Howard Street San Francisco, CA 94105 USA Telefon: (001 – 415) 538 – 2000 Fax: (001 – 415) 561.8228 E-Mail: [email protected] Website: http://www.calbar.ca.gov/ state/calbar/calbar_home.jsp Colorado Bar Association 1900 Grant Street, Suite 900 Denver, CO 80203 USA Telefon: (001 – 303) 860 – 1115 Fax: (001 – 303) 894 – 0821 E-Mail: [email protected] Website: http://www.cobar.org Connecticut Bar Association 30 Bank Street (PO Box 350) New Britain, CT 06050 – 0350 USA Telefon: (001 – 860) 223 – 4400 Fax: (001 – 860) 223 – 4488 E-Mail: [email protected] Website: http://www.ctbar.org/ Delaware State Bar Association 301 North Market Street Wilmington, DE 19801 USA Telefon: (001 – 302) 658 – 5279 Fax: (001 – 302) 658 – 5212 Website: http://www.dsba.org/ District of Columbia Bar 1250 H Street NW, Sixth Floor Washington, DC 20005 – 5937 USA Telefon: (001 – 202) 737 – 4700 Fax: (001 – 202) 626 – 3471 E-Mail: [email protected] Website: http://www.dcbar.org

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Florida Bar 651 E. Jefferson Street Tallahassee, FL 32399 – 2300 USA Telefon: (001 – 850) 561 – 5600 Fax: (001 – 850) 561 – 5826 Website: http://www.flabar.org/ State Bar of Georgia 104 Marietta St. NW, Suite 100 Atlanta, GA 30303 USA Telefon: (001 – 404) 527 – 8700 Fax: (001 – 404) 527 – 8717 Website: http://www.gabar.org Hawaii State Bar Association 1132 Bishop Street, Suite 906 Honolulu, HI 96813 USA Telefon: (001 – 808) 537 – 1868 Fax: (001 – 808) 521 – 7936 E-Mail: [email protected] Website: http://www.hsba.org Idaho State Bar 525 West Jefferson Street (P.O. Box 895) Boise, ID 83701 USA Telefon: (001 – 208) 334 – 4500 Fax: (001 – 208) 334 – 4515 Website: http://www.state.id.us/isb/ Illinois State Bar Association Illinois Bar Center 424 S. Second Street Springfield, IL 62701 USA Telefon: (001 – 217) 525 – 1760 Website: http://www.illinoisbar.org

Anschriften Indiana State Bar Association 230 East Ohio Street, 4th Floor Indianapolis, IN 46204 – 2199 USA Telefon: (001 – 317) 639 – 5465 Fax: (001 – 317) 266 – 2588 E-Mail: [email protected] Website: http://www.inbar.org Iowa State Bar Association 521 East Locust, 3rd Floor Des Moines, IA 50309 – 1939 USA Telefon: (001 – 515) 243 – 3179 Fax: (001 – 515) 243 – 2511 E-Mail: [email protected] Website: http://www.iowabar.org/ main.nsf Kansas Bar Association 1200 Harrison Street S.W. (P.O. Box 1037) Topeka, KS 66601 – 1037 USA Telefon: (001 – 785) 234 – 5696 Fax: (001 – 785) 234 – 3813 E-Mail: [email protected] Website: http://www.ksbar.org

Maine State Bar Association 124 State Street Augusta, ME 04330 (PO Box 788 Augusta, ME 04332 – 0788) USA Telefon: (001 – 207) 622 – 7523 Fax: (001 – 207) 623 – 0083 E-Mail: [email protected] Website: http://www.mainebar.org Maryland State Bar Association 520 W. Fayette St. Baltimore, MD 21201 USA Telefon: (001 – 410) 685 – 7878 Fax: (001 – 410) 685 – 1016 E-Mail: [email protected] Website: http://www.msba.org/ index.htm Massachusetts Bar Association 20 West Street Boston, MA 02111 USA Telefon: (001 – 617) 338 – 0500 Fax: (001 – 617) 338 – 0650 Website: http://www.massbar.org

Kentucky Bar Association 514 West Main Street Frankfort, KY 40601 – 1883 USA Telefon: (001 – 502) 564 – 3795 Fax: (001 – 502)564 – 3225 Website: http://www.kybar.org

State Bar of Michigan 306 Townsend Street Lansing, MI 48933 – 2083 USA Telefon: (001 – 517) 346 – 6300 Fax: (001 – 517) 482 – 6248 Website: http://www.michbar.org

Louisiana State Bar Association 601 St. Charles Avenue New Orleans, LA 70130 – 3404 USA Telefon: (001 – 504) 566 – 1600 Fax: 504.566.0930 E-Mail: [email protected] Website: http://www.lsba.org

Minnesota State Bar Association 600 Nicollet Mall 380 Minneapolis, MN 55402 USA Telefon: (001 – 612) 333 – 1183 Fax: (001 – 612) 333 – 4927 Website: http://www.mnbar.org

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Anhang I Mississippi Bar 643 North State Street Jackson, MS 39202 (Post Office Box 2168 Jackson, MS 39225 – 2168) USA Telefon: (001 – 601) 948 – 4471 Fax: (001 – 601) 355 – 8635 E-Mail: [email protected] Website: http://www.msbar.org Missouri Bar 326 Monroe St. (P.O. Box 119) Jefferson City, MO 65102 USA Telefon: (001 – 573) 635 – 4128 Fax: (001 – 573) 635 – 2811 E-Mail: [email protected] Website: http://www.mobar.org State Bar of Montana 7 West 6th Avenue, Suite 2B (P.O. Box 577) Helena, MT 59624 USA Telefon: (001 – 406) 442 – 7660 Fax: (001 – 406) 442 – 7763 E-Mail: [email protected] Website: http://www.montanabar.org Nebraska State Bar Association Roman L. Hruska Law Center (P.O. Box 81809) 635 S. 14th St. Lincoln, NE 68501 USA Telefon: (001 – 402) 475 – 7091 Website: http://www.nebar.com State Bar of Nevada 600 E. Charleston Blvd Las Vegas, NV 89104 USA Telefon: (001 – 702) 382 – 2200 Fax: (001-702) 385 – 2878 E-Mail: [email protected] Website: http://www.nvbar.org

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New Hampshire Bar Association 112 Pleasant St. Concord, NH 03301 USA Telefon: (001 – 603) 224 – 6942 Fax: (001 – 603) 224 – 2910 E-Mail: [email protected] Website: http://www.nhbar.org New Jersey State Bar Association New Jersey Law Center One Constitution Square New Brunswick, NJ 08901 – 1520 USA Telefon: (001 – 732) 249 – 5000 Fax: (001 – 732) 249 – 2815 Website: http://www.njsba.com State Bar of New Mexico 5121 Masthead NE Albuquerque, NM 87109 (PO Box 92860 Albuquerque, NM 87199 – 2860) USA Telefon: (001 – 505) 797 – 6000 Fax: (001 – 505) 828 – 3765 E-Mail: [email protected] Website: http://www.nmbar.org New York State Bar Association 1 Elk St. Albany, NY 12207 USA Telefon: (001 – 518) 463 – 3200 Fax: (001 – 518) 487 – 5517 Website: http://www.nysba.org North Carolina Bar Association 8000 Weston Parkway Cary, NC 27513 (PO Box 3688 Cary, NC 27519) USA Telefon: (001 – 919) 677 – 0561 Fax: (001 – 919) 677 – 0761 Website: http://www.ncbar.org

Anschriften State Bar Association of North Dakota 515 1/2 East Broadway, Suite 101 Bismarck, ND 58501 (PO Box 2136 Bismarck, ND 58502 – 2136) USA Telefon: (001 – 701) 255 – 1404 Fax: (001 – 701) 224 – 1621 E-Mail: [email protected] Website: http://www.sband.org Ohio State Bar Association 1700 Lake Shore Drive Columbus, OH 43204 (P.O. Box 16562 Columbus, OH 43216 – 6562) USA Telefon: (001 – 614) 487-2050 Fax: (001 – 614) 487 – 1008 E-Mail: [email protected] Website: http://www.ohiobar.org Oklahoma Bar Association 1901 N. Lincoln Blvd. (P.O. Box 53036) Oklahoma City, OK 73152 – 3036 USA Telefon: (001 – 405) 416 – 7000 Fax: (001 – 405) 416 – 7001 E-Mail: [email protected] Website: http://www.okbar.org Oregon State Bar 5200 SW Meadows Road Lake Oswego, OR 97035 USA Telefon: (001 – 503) 620 – 0222 Fax: (001-503) 684 – 1366 E-Mail: [email protected] Website: http://www.osbar.org

Pennsylvania Bar Association 100 South Street (P.O. Box 186) Harrisburg, PA 17108 – 0186 USA Telefon: (001 – 717) 238 – 6715 Fax: (001 – 717) 238 – 1204 E-Mail: [email protected] Website: http://www.pabar.org Rhode Island Bar Association 115 Cedar Street Providence, RI 02903 USA Telefon: (001 – 401) 421 – 5740 Fax: (001 – 401) 421 – 2703 E-Mail: [email protected] Website: http://www.ribar.com South Carolina Bar 950 Taylor Street Columbia, S. 29202 USA Telefon: (001 – 803) 799 – 6653 Fax: (001 – 803) 799 – 4118 E-Mail: [email protected] Website: http://www.scbar.org State Bar of South Dakota 222 East Capitol Avenue Pierre, S. 57501 USA Telefon: (001 – 605) 224 – 7554 Fax: (001 – 605) 224 – 0282 Website: http://www.sdbar.org Tennessee Bar Association 221 Fourth Avenue North, Suite 400 Nashville, TN 37219 – 2198 USA Telefon: (001 – 615) 383 – 7421 Fax: (001 – 615) 297 – 8058 E-Mail: [email protected] Website: http://www.tba.org

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Anhang I State Bar of Texas 1414 Colorado Austin, Texas 78701 (PO Box 12487 Austin, TX 78711) USA Telefon: (001 – 512) 463 – 1463 Fax: (001 – 512) 463 – 1475 Website: http://www.texasbar.com Utah State Bar 645 South 200 East Salt Lake City UT 84111 USA Telefon: (001 – 801) 531 – 9077 Fax: (001 – 801) 531 – 0660 E-Mail: [email protected] Website: http://www.utahbar.org Vermont Bar Association 35–37 Court Street (PO Box 100) Montpelier, VT 05601 – 0100 USA Telefon: (001 – 802) 223 – 2020 Fax: (001 – 802) 223 – 1573 Website: http://www.vtbar.org Virginia State Bar 707 E. Main Street, Suite 1500 Richmond, VA 23219 – 2800 USA Telefon: (001 – 804) 775 – 0500 Fax: (001 – 804) 775 – 0501 E-Mail: [email protected] Website: http://www.vsb.org

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Washington State Bar Association 2101 Fourth Avenue, Suite 400 Seattle, WA 98121 – 2330 USA Telefon: (001 – 206) 443-9722 Fax: (001 – 206) 727 – 8319 E-Mail: [email protected] Website: http://www.wsba.org West Virginia State Bar 2006 Kanawha Boulevard, East Charleston, WV 25311 – 2204 USA Telefon: (001 – 304) 558 – 2456 Fax: (001 – 304) 558 – 2467 Website: http://www.wvbar.org State Bar of Wisconsin 5302 Eastpark Blvd. Madison, WI 53718 – 2101 (P.O. Box 7158 Madison, WI 53707 – 7158) USA Telefon: (001 – 608) 257 – 3838 Fax: (001 – 608) 257 – 5502 E-Mail: [email protected] Website: http://www.wisbar.org/ index.html Wyoming State Bar 500 Randall Ave. Cheyenne, WY 82001 (P.O. Box 109 Cheyenne, WY 82003) USA Telefon: (001 – 307) 632 – 9061 Fax: (001 – 307) 632 – 3737 Website: http://www.wyomingbar.org

Anhang II

Schaubilder

U.S. Supreme Court 



Petition for Certiorari

U.S. Courts of Appeals 



Petition for En Banc-Review





Appeal

U.S. District Courts ()()

Der Instanzenzug auf Bundesebene  

Berufsrichter Geschworene

Schaubild 1: Der Instanzenzug auf Bundesebene

379

Anhang II

1. Me.

Wash. Mont.

N.Dak.

Ore.

Minn. Idaho Wyo.

Francisco San

9 Nev.

Denver

Utah

Calif.

Ariz.

Wis.

S.Dak.

 Colo. 10

N.Mex.

Nebr.

8 Iowa

Mich.

Kansas Okla.

Mo.

Ind.

 III.

Texas

W. Va.

Ky.



Philadelphia

Richmond

4 Va.

Atlanta

S.C.



N.H. Vt. Mass. R.I. Conn. N.J. Del. Md.

D.C.

 New Orleans Fla.

© Thomson-West Verlag Nachdruck mit Genehmigung aus: Baicker-McKee, Janssen & Corr, Federal Civil Rules Handbook

Schaubild 2: Die Bezirke der United States Courts of Appeal

Federal Washington D.C

Ga. 11

Hawaii Northern Mariana Islands Guam

380



New York

Washington



5 Miss. La.

Pa.

N.C.

Tenn. Ark.

Boston

N.Y.

Cincinati



Ala. 9 Alaska

3

Ohio

Chicago

7 St. Lois

2

1 Puerto Rico Virgin Islands 3

Schaubilder

District of Vermont Northern District of New York

Burtington

Watertown Rutland

Rochester Buffalo

Syracuse Auburn

Utica

Brattleboro Albany

Binghampton

Western District of New York

District of Connecticut Hartford Waterbury

Southern District of New York

New Haven Bridgeport White Plains 

Manhatten

Unionsdale Westbury

Happauge

Brooklin

Eastern District of New York Schaubild 3: Der Bezirk des U.S. Court of Appeal for the Second Circuit

381

Anhang II

Judical Department and Judical Districts

Clinton Franklin St. Lawrence

Essex

Jefferson

See McKinney’s Judicary Law §§ 70 and 140

4th

Lewis Hamilton

5th

Warren Washington

Oswego Oneida

d Chenango th

Chemung Tioga

Broome

Columbia

Greene

Delaware

3rd

Ulster

1st Judical Dept. includes Judical District 1,12 2nd Judical Dept. includes Judical District 2, 9,10,11 3rd Judical Dept. includes Judical District 3, 4, 6 4th Judical Dept. includes Judical District 5, 7, 8

Rensselaer

Schoharne Albany

6

Steuben

Chautauqua

Sche-di nekta

Dutchess th

Sullivan

9

Putnam

Orange Rockland

 

12 th Bronx 1th N.Y. 2th Richmond & Kings

he ste r

Allegany

Tompkins

Otsego

We stc

Schuyler Cattaraugus

He

a Yates

Saratoga

Montgomery Madison

Cayuga

Cortla n

8

Onondaga

Ontario

7th

Sene c

Wyoming th Livingston

Fulton

rki

Wayne

Monroe Genesee

Erie

me

r

Orleans Niagara

Nassau

 © Thomson-West Verlag Nachdruck mit Genehmigung aus: Siegel, New York Practice

Schaubild 4: Die Gerichtsbezirke des Bundesstaates NewYork

382

10th

Suffolk

11 th Queens

Schaubilder

Court of Appeals 



Appelate Division







Supreme Court









Appelate Terms

Country Courts





 N.Y.C. Civil Court

District N.Y.C. Criminal Court Courts

City Courts









Family Court of Surrogates  Court Claims Court





Town Village Courts Courts

© Thomson-West Verlag Nachdruck mit Genehmigung aus: Siegel, New York Practice

Schaubild 5: Der Instanzenzug im Bundesstaat NewYork

383

384 summary judgement motion

motion/allegation/suggestion of lack of subject matter jurisdiction (nur Bundesgerichte)

(motion for judgement on the pleadings)

 motion for failure to state a claim (demurrer)  motion for failure to join a necessary party

reply

Schaubild 6: Die pretrial-Phase des amerikanischen Zivilprozesses

motions  for a more definite statement  to strike  for lack of personal juristiction  for improper vennue  for insufficiency of process  for insufficiency of service of process

answer (+ counterclaim)

case management + settlement conferences

discovery

mindestens 1–2 Monate

{

compliant

20 Tage

{ {

parties’ initial conference

20 Tage

mehrere Monate

Anhang II

Schaubilder

Partei- und Anspruchshäufung





Kläger 1 



Klage (compliant)

cross claims





cross claims

Beklagter 1

sachliche Klageerwiderung (answer) 







Kläger 2

Beklagter 2

Widerklage (counterclaim) Schaubild 7: Partei- und Anspruchshäufung

385

Anhang II

Impleader (Third Party Practice)



Drittbeklagter 2



(wechselseitige Rechte aus dem der Klage zugrunde liegenden Sachverhalt) Beklagter 





age

Kl

s (al ge wer) a l s rk de r an Wi il de Te

impleader 



Kläger

Drittbeklagter 1 





impleader wegen des Widerklageanspruchs

(wechselseitige Rechte aus dem der Klage zugrunde liegenden Sachverhalt)



Inanspruchnahme des/der Drittbeklagten durch impleader



mögliche Ansprüche nach Einbeziehung von Drittbeklagten in den Prozess

Schaubild 8: Impleader (Third Party Practice)

386





ursprünglich geltend gemachte Ansprüche

impleader

Viertbeklagter etc.

Literaturverzeichnis Ahart, Alan M., Enforcing Judgments and Debts (Rutter Group Practice Guide), jährlich ergänzte Loseblattsammlung, St. Paul, Minnesota 2003 Baicker-McKee, Steven, Janssen, William M. und Corr, John B., Federal Civil Rules Handbook, 10. Auflage St. Paul, Minnesota 2003 Bailey, Henry J. III und Hagedorn, Richard B., Secured Transactions in a Nutshell, 4. Auflage St. Paul, Minnesota 2000 Bator, Paul M., Fallon, Richard H., Meltzer, Daniel J., Mishkin, Paul J. und Shapiro, David L., The Federal Courts and the Federal System, 5. Auflage New York 2003 Benda, Ernst, Maihofer, Werner, Vogel, Hans-Jochen, Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Auflage Berlin/ New York 1994 Bergman, Paul Bruce, Trial Advocacy in a Nutshell, 3. Auflage St. Paul, Minnesota 1997 Bermann, George A., Transnational Litigation in a Nutshell, 1. Auflage St. Paul, Minnesota 2003 Bloomenthal, Harold S., Sarbanes/Oxley Act in Perspective, 2. Auflage St. Paul, Minnesota 2003 Brunet, Edward J., Redish, Martin H. und Reiter, Michael A., Summary Judgment: Federal Law and Practice, 2. Auflage St. Paul, Minnesota 2000 Campbell, Dennis und Rodriguez, Suzanne, International Execution Against Judgment Debtors, 1. Auflage Dobbs Ferry, New York 1998 (Ergänzerungslieferungen bis einschließlich 2003) Casad, Robert C., Clermont, Kevin M., Res Judicata: A Handbook on Its Theory, Doctrine, and Practice, 1. Auflage Durham, North Carolina 2001 Casad, Robert C., Richman, William B., Jurisdiction in Civil Actions, 3. Auflage Charlottesville, Virginia 1998 Childress, Steven A. und Davis, Martha S., Federal Standards of Review, 3. Auflage Charlottesville, Virginia 1999 Clark, Charles E., Handbook of the Law of Code Pleading, 2. Auflage St. Paul, Minnesota 1947 Clermont, Kevin M., Civil Procedure, 6. Auflage St. Paul, Minnesota 2001 387

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389

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Literaturverzeichnis Anmerkung: Das vostehende Literaturverzeichnis erfasst nur die Titel der zitierten in Buchform und als Loseblattsammlungen erschienenen Veröffentlichungen; andere Quellen sind vollständig im jeweiligen Zitat selbst nachgewiesen. Amerikanische Quellen sind nach Maßgabe des Bluebook Uniform System of Citation (16. Aufl. Cambridge, MA, 1996) zitiert, und zwar im Einzelnen nach den folgenden Grundsätzen: Das Zitierformat für Gerichtsentscheidungen beginnt jeweils mit dem Namen der Entscheidung (i.d.R. den Parteinamen), gefolgt von Entscheidungsband, Namen der Entscheidungssammlung in abgekürzter Form (gegebenenfalls unter Hinweis auf die jeweiligen Auflage, z. B. 2d oder 3rd), Seitenzahl des Beginns der Entscheidung und gegebenenfalls des zitierten Rechtssatzes sowie (in Klammern), falls nicht bereits aus dem Namen der Entscheidungssammlung ersichtlich, dem entscheidendem Gericht und (stets) dem Veröffentlichungsjahr. Soweit erforderlich, schließt sich sodann ein Hinweis auf für die Geltungsreichweite der Entscheidung wesentliche weitere Vorgänge an, z. B. deren obergerichtliche Bestätigung (affirmed oder kurz aff’d) oder nachträgliche Einschränkung (reversed [rev’d]/overruled on other grounds) oder Aufhebung (reversed [rev’d]/overruled/vacated). Hat sich der Fallname (z. B. durch Parteiumkehrung) in der höheren Instanz verändert, so ist dies durch Hinzufügung des Zusatzes sub nom. (= sub nomine) gekennzeichnet. Beispiele (nach Bluebook Rule 10 – Cases): – Charlesworth v. Mack, 727 F. Supp. 1407, 1412 (D. Mass. 1990), aff’d, 925 F.2d 314 (1st Cir. 1991) – Great W. United Corp. v. Kidwell, 577 F.2d 1256 (5th Cir. 1978), rev’d sub nom. Leroy v. Great W. United Corp., 443 U.S. 173 (1979) Kodifikationen (Gesetze, Verordnungen und rules of court/rules of procedure) sowie kodifikationsähnliche Mustersammlungen von Rechtssätzen (uniform codes, restatements of the law) sind nach Kodifikationsnamen und jeweiliger Vorschrift zitiert. Ist die betreffende Kodifikation allerdings Bestandteil des UNITED STATES CODE (U.S.C.) oder des CODE OF FEDERAL REGULATIONS (C.F.R.), entfällt i.d.R. der Name des Einzelgesetzes; dieser wird ersetzt durch die Angabe des Titels, den dieses innerhalb der jeweiligen Gesetzessammlung darstellt, sowie den Namen der Sammlung. (Werden beide Quellen zitiert, so geht das Zitat der individuellen Kodifikation demjenigen der Gesetzessammlung voraus; zu achten ist dabei darauf, dass sich die Numerierung der Einzelvorschriften bei Aufnahme der Kodifikation in eine Gesetzessammlung häufig verändert.) Gebräuchlich ist bei Gesetzen, Verordnungen und Musterkodifikationen auch die Anfügung des Inkraftsetzungsbzw. Veröffentlichungsjahres; bei restatements of the law darüber hinaus die der jeweiligen Überarbeitung. Beispiele (nach Bluebook Rule 12 – Statutes – und Rule 14 – Administrative Materials): – 42 U.S.C. § 4332 (1994) oder NATIONAL ENVIRONMENTAL POLICY ACT OF 1969 § 102, 42 U.S.C. § 4332 (1994)

391

Literaturverzeichnis – U.C.C. § 2 – 314 (1977) – RESTATEMENT (THIRD) OF UNFAIR COMPETITION § 3 (1985) – 16 C.F.R. § 444 (1995) oder FTC CREDIT PRACTICES RULE, 16 C.F.R. § 444 (1995) Aufsätze in juristischen Fachzeitschriften und ähnlichen Publikationen sind außer Verfassernamen und Titel nach dem jeweiligen Einzelband der Zeitschrift, deren Namen in abgekürzter Form, der Seitenzahlen des Aufsatzbeginns sowie gegebenenfalls des konkreten Zitats und schließlich dem Veröffentlichungsjahr zitiert. Beispiel (nach Bluebook Rule 16 – Periodical Materials): – Epstein, The Supreme Court, 1987 Term – Foreword: Unconstitutional Conditions, State Power, and the Limits of Consent, 102 HARV. L. REV. 4, 44 (1988)

392

Index

Die Zahlen verweisen auf die Randziffern. ABA MODEL CODE 54-140 ABA MODEL RULES 54-140 abstention 232-237 abuse of discretion 752 accord and satisfaction 349 act of state doctrine 24 actual cause 51 adäquater Kausalzusammenhang 51 admiralty 199 admissions 432-436 adversary system 194-196 adverse witness 566 affidavit 301, 528 affirmative defenses 347-349 agency 263 alienage jurisdiction 18, 209 amendment 378-387 American Arbitration Association 10 American Bar Association 18, 46, 54 Amerikanische Patentrechts-Streitigkeiten 9 Amerikanisches Aktienrecht, siehe securities law Amerikanisches Börsenrecht, siehe securities law amerikanisches Gerichtsverfassungssystem 141-178 amerikanisches Wettbewerbsrecht, siehe antitrust amtliche Sammlungen 185 ancillary jurisdiction 231 Anerkenntnisurteil 517, 519 Anerkennung ausländischer Urteile 12-24 Anerkennung von Schiedssprüchen 38-40 Annexzuständigkeit 229-231 Anspruchshäufung 656-660 answer 340-349

answer to cross complaint 317 antitrust 3-9, 38-49 Anwalt als Interessenmittler 66 anwaltliche Treuepflicht 61-78 anwaltliche Verschwiegenheitspflicht 78-89 anwaltliche Werbung 117-120 anwaltliches Hilfspersonal 47, 69 anwaltliches Pfandrecht 136 Anwaltshonorar 126-140 Anwaltsverhalten gegenüber Dritten 109-111 Anwaltsverschulden 51, 512 Anwaltszulassung 46 Anwaltszwang 43 appeal 710-735 appearance 318, 502-507 arbitration and award 349 article I courts 161-162 article III courts 159, 162 ärztliche Untersuchung 415-419, 452 as a matter of course 379 as a matter of law 521-525, 570-572, 648-650 asked and answered 565 assumption of risk 349 attachment 242, 542 attorney dient privilege, siehe anwaltliche Verschwiegenheitspflicht attorney work product 461-464 attorney’s lien 136 audit committee 122, 125 Aufenthaltsort 247-249 Augenscheinsbeweisstücke 426-431, 591-599 ausländische Handelsgesellschaften 263-264, 303-312 Auslandszustellung 306-308, 312

393

Index Aussageverweigerungsrecht 80-87, 453-460 Aussetzung des Verfahrens 11-14, 503-505 Bankgeheimnis 490 bar associations 45-46, 51-54 bar exam 45, 52 bates stamps 430 beauty contests 62, 82 Belegenheit 241-243, 256-260 bench trial 571-592, 636-654 Beschlagnahme 313-315 best evidence 397, 596 Bestreiten 341-349 Beteiligung Dritter am Rechtsstreit 671-680 Betriebsgeheimnisse 426, 456 Beugemittel 30 Beweis 388-499, 534-654 beyond reasonable doubt 563 Bill of Rights 16 Bindungs- und Präklusions-Wirkung 190-193, 754-798 blocking statutes 478-479 boards of immigration appeals 162 Brady material 108 briefing schedule 729 Burford abstention 235 „but for“ causation 51 CANONS OF JUDICIAL ETHICS 146 capacity to litigate 323 caption 321 case management conferences 492-499 certification 175, 746 certiorari 739-745 chain of custody 592 challenge for cause 550 chancery court 537 chicanery at trial 100 Chief Justice of the United States 156, 179-180 circuit split 741

394

circumstantial evidence 584 civil contempt 30 claim 335-338, 362-371, 655-660, 754-798 Claims Court 152, 161 class actions 685-723 clear error 752 clergyman privilege 459 client trust fund account 92 closing arguments 576 CODE OF FEDERAL REGULATIONS 121, 186 code of judicial ethics 146 cognovit note 316 collateral estoppel 349, 771-784 collateral order doctrine 713-714 collective bargaining agreements 708 Colorado River Abstention 237 comity 16 common law 184 common law marriages 459 competence to be a witness 601 complaint 317-329, 330-338 complete diversity 209-210 complete preemption 203 complex litigation 685-708 compound question 565 compulsory joinder 661-666 conditio sine qua non 51 condition precedent 323 conditional appearance 22 conditional relevancy 581 confession of judgment 316 conflict check 62-63 connecting up 581 consent decree 517-518 consolidated motions 352 consolidation 544, 670 consulting expert 396, 466 consumer protection 685 contempt of court 30, 417 contingent fee, siehe Erfolgshonorar continuing legal education 56 contributory negligence 349 corporate disclosure statement 729 correctness review 178, 709

Index counterclaim 374, 658-679, 768-770 county courts 167 court clerk 507-508, 661-662 court martial 161 Court of Chancery 537 Court of Military Appeals 161 court of public opinion 102 Court of Veterans Appeals 152, 161 court reporter 441, 445 courts of equity 536-539 courts of first instance 166 courts of last resort 163, 172-178 courts of law 536-539 courts of original jurisdiction 166 crime-fraud exception 87 criminal contempt 30 cross claim 374, 670-679 cross examination 566-568 cumulative evidence 565 custodian of records 482 Darlegungs- und Beweislast 323-352, 562-575, 729-731 de novo review 751-752 dead man’s statutes 602 default 507 default judgment 508 defendant’s case 573 defenses 347-349 demand for judgment 336 demurrer 362-371 denial of relief 642 denial upon knowledge and belief 345 deposition 437-451 designated deposition testimony 397 Diplomatengeheimnis 453 direct estoppel 111 direct examination 564-565 discharge in bankruptcy 349 disclosure 392-403 discovery 388-499 dismissal 500-506 disregard of the law 38 district judges 149-151

diversity jurisdiction 205-228 docketing 641 doctor-patient privilege 459 doctrine of abstention 232-237 doctrine of stare decisis 190-193 Doe defendants 322, 666 doing business 22, 263-264 domicile 246 doppelte Rechtshängigkeit 11 double hearsay 608 Drittwiderklage 374-375, 658 Drittwiderspruchsklage 37 due process 16, 198 duress 349 duty of confidentiality 79-89 duty of loyalty 61-78 Echtheit von Urkunden 436, 591-597 effective date 384 effects doctrine 41-42, 268-270 eidesstattliche Versicherung 409, 528 Eigentum 241-242 Eilantrag 96, 468 Eingangsinstanz 149, 166 Einreden 323-326, 339-349 Einspruch 412-451, 551, 564-583 einstweilige Verfügung 543-544 Einwendungen 323-326, 339-372 Einwilligung 22, 146 Einzelanwalt 48, 62 en banc review 738 Endentscheidung 638, 712 entgangener Gewinn 51 Entscheidungstenor 639 equitable estoppel 349, 797 equity 536-544 Erfolgshonorar 135 Erfüllung 349 Erfüllungsgehilfen 47 Erie doctrine 221-228 Erkenntnishorizont 51, 525-527 Eröffnungsvorträge 560-561 error of judgment 51 Ersatzzustellung 303-308 ethics wall 69-70

395

Index ex parte communication 146 ex parte proceedings 96 excited utterances 613 executive privilege 453 exhibit folders 557 exhibit lists 397 expert report 395, 465 expert witness 395-396, 616-620 extrinsic fraud 17-20 Fachanwalt 48-50, 119 fact pleading 318 failure of consideration 349 failure to prosecute 505, 765 failure to state a claim 362-371 federal circuits 152-155 federal districts 149-151 federal question jurisdiction 202-204 Federal Trade Commission 162 Fehlberatung 51 Feststellungsklage 542, 658, 791 FIELD CODE 188 finality doctrine 712 fluid recovery 700 focus groups 548 foreign compulsion doctrine 477 Foreign Intelligence Wiretap Court 160 foreseeable losses 51 form interrogatories 421 forum non conveniens 275-279 forum shopping 221, 244 forumsbezogene Aktivitäten 251-253 Forumserschleichung 272 Fraud 323 fraud on the court 36 frivolous claim 98 full faith and credit clause 15 gag order 101 garnishment 29, 542 Gegenseitigkeit der Urteilsanerkennung 16-21 Geheimhaltungspflicht 453-454

396

Geldforderung 540-542 Geldwäsche 91 Geltungsreichweite der amerikanischen Gesetzgebung 41-42 general denial 341 general jurisdiction 166-169, 245-249 general verdict 634 general verdict accompanied by interrogatories 634 gerichtliches Ermessen 717, 750-753 Geschäftssitz 22, 207, 303-308 Geschäftstätigkeit 22, 263-264 Geschäftsunfähigkeit 334, 669 Geschäftsunterlagen 593, 613 Geschäftsverteilungspläne 166, 515 Geschenke des Mandanten 75 Geschworene, siehe Jury Gesetz zur Bekämpfung krimineller Organisationen 91 Geständnis 432-436 Gewaltenteilung 179-182 Glaubhaftigkeit 566-567 Glaubwürdigkeit 566-567 Gleichzeitige Vertretung zweier Parteien 64-67 good law 193 Grundeigentum 241-242, 282 gütliches Einigungsverfahren 168 Haager Zustellungsübereinkommen 306-308 habeas corpus 749 Handelsgesellschaften 207, 303-308, 701-707 Hauptverhandlung 534-654 Hausgenossen 305, 307 hearsay within hearsay 608 Heilbehandlungskosten 516, 589 Herausgabeklage 540-542 hostile witness 566 Identifikationszeugen 610 Illegality 349 immigration courts 162, 793 Immunität 24

Index impeachment 425, 446, 567 impleader 671-676 improper narrative 565 improper venue 355 in controversy 452 in house counsel 53, 428 in personam jurisdiction 240, 282 in rem jurisdiction 241, 257, 282, 658 inability to admit or deny 345, 433 indispensable party 372, 665 initial disclosures 393, 394 injunctions 543-544 institutional review 178, 736 instruction not to answer 443 insufficiency of process 355 intermediate appellate courts 170-171, 710 International Chamber of Commerce 10 Internet 265-270 Interpleader 677-680 Interrogatories 420-425 Intervention 681-684 issue pleading 318 issue preclusion 771-776 Jacksonian Democracy 145 joint trial 670 judgment as a matter of law 570-572 judgment non obstante veredictu 648-650 judgment on partial findings 571 judgment pursuant to the terms of settlement 517 juridical admissions 327 judicial estoppel 327 judicial notice 621-624 JUDICIARY ACT 147, 180 jurisdiction over status 243, 260, 790 jurisdictional allegation 330 jurisdictional statement 729 Juristenausbildung 44-50 juristische Personen 207, 303-308 Jury 545-553, 577, 626-637

Klageabweisung 23, 505 ff. Klageänderung 378-387 Klageforderung 335, 336 Klagehäufung 657 Klagerücknahme 500-504 Klageschrift 330-336 konkurrierende Zuständigkeit 275, 277, 292 Konkursverfahren 349 Kreuzverhör, siehe cross examination Kurzrubrum 322 laches 349 lack ofsufficient knowledge and information to admit or deny 345 last-in-time rule 762 law of the case 527 lawyer advertising 117 lawyer referral service 119 leading questions 566 leave to amend the complaint 367 Lebenszeiternennung von Richtern 143-146 legal certainty test 212 Leumundszeugen 615 license 349 limitation of liability 349 limited appearance 356 limited jurisdiction 166 ff., 356 litigator 48 litigation files 557 local actions 282 local rules 189, 319, 409, 493, 496, 529, 535, 687, 721 long arm statutes 261-263 magistrate judges 151, 498 mandamus 717 marshall 26 mediation 516 memorandum of points and authorities 351 Militärgeheimnis 453 Minderjährige 669 minimum contacts doctrine 218, 245

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Index mistake 323 mistrial 634 Mitverschulden 349, 563, 589 mock trials 548 Modell-Kodifikationen 187 more probable than not 531 motion day 359 motion for a directed verdict 570 motion for a judgment as a matter of law 751 motion for a judgment n.o.v. 648-650 motion for a judgment on partial findings 571 motion for a more definite statement 354, 368 motion for a new trial 651-653 motion for a protective order 467 ff. motion for judgment 350 motion for judgment on the pleadings 363, 365, 520-523 motion for nonsuit 572 motion for relief from judgment 33, 758 motion for summary adjudication 542 motion for summary judgment 520 motion in limine 580-582 motion to compel discovery 402 motion to dismiss 366 f., 370, 765 motion to quash service 355 motion to set aside default judgment 511 motion to strike 354, 383, 580 Multistate Bar Exam 52 Multistate Professional Responsibility Exam 52 Municipal Courts 167 Musterkodifikationen 54 negative choice of law agreement 219 New York Court of Appeals 172, 748 New York Supreme Court 748 Notar 49 notice 289, 311, 313, 318, 323, 354, 621ff.

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notice of appeal 722 notice of dismissal 501 notice of foreign law issue 625 notice of motion 726 notice of removal 289 notice pleading 323, 378 objection 383 offensichtliche Unrichtigkeiten 643 öffentliche Bekanntmachung 308 öffentliche Urkunden 594 Öffentlichkeit 7, 628 offer of judgment 519 offer of proof 583 offer to compromise 519 office of the public defender 140 omnibus motions 352 opening statements 576 opinion 636 opinion leaders 630 opposition 528 opting out 690, 694 ordinary work product 461-464 ordre public 5 Ortsbesichtigung 419, 427 overruled 193 panels 732, 738 paralegals 47 parol evidence rule 598 Parteihäufung 661-669 Patentrecht 10 pendent jurisdiction 230 peremptory challenges 550-553, 631 person most knowledgeable 448 personal jurisdiction 240, 244 ff., 356, 658 petition for review 738 petition for Certiorari 739-745 piercing the corporate veil 264 Plaintiff rests 570 plaintiff’s case 562-570 plea of guilty 797 plea of no contest 797

Index plea of nolo contendere 797 pleading with specificity 323, 703 pleadings 317, 379 ff., 658 power to adjudicate 280 Präklusion 754 ff. preponderance of the evidence 563 present sense impression 613 pretrial 388-391 priest-penitent privilege 459 prima facie case 530 prior inconsistent statements 567 private attorney general 7 privies 777 privileges 489 f. pro bono 140 proceedings at law 536 proceedings in equity 537, 542 process server 297 proximate cause 51 Prozessbetrug 17, 19 Prozessfähigkeit 332-334 Prozessführungsbefugnis 333 Prozessökonomie 668 Prozessrechtsverhältnis 508 Pullmann doctrine 233 Rechtshilfe 27, 468 Rechtsmittel 712-716 Rechtsstaatsprinzip 17, 310 Rechtswahl 218 ff. record on appeal 726 recorded recollection 607 records witness 593 recross examination 569 redirect examination 569 referral fee 139 regional reporters 185 rehearing en banc 156 reifiecation 259 release 349 reliance interest 381 relief at law 236 remand 290 remittitur 652 removal 284

renewed motion for a judgement as a matter of law 575 renvoi, siehe Rückverweisung reply 374, 731 requests for admissions 412, 435 requests for production 412, 430, 432 res judicata 755, 769 respondent 350, 730 RESTATEMENTS OF THE LAW 187 retainer fee 133 revenue rule 24 reverse-Erie doctrine 228 Richterrecht 136, 184-192, 221, 690, 713 Rubrum 321-322 Rückverweisung 183, 290-291 rule of four 744 rule of law 182 sachliche Zuständigkeit 199 ff. Sachverständige 465 f., 616-620 SARBANES-OXLEY ACT 121-125 Säumnis 23, 300, 360, 403, 507-512 Schadensersatzansprüche 323, 452, 477, 543 Scheduling conferences 497 Schiedsgerichtsbarkeit 10, 38-40 Schlüssigkeitsprüfung 525 Schlussplädoyers 558, 576, 626 secretary of state 303 Securities and Exchange Commission 121 securities law 685 seizure 543 separate trial 670 service of process 197, 355 settlement conferences 496, 515 severance 670 shareholder derivative action 686, 701-707 sheriff 26 side bar conference 581 small claims court 167 Socratic method 44 sovereign immunity doctrine 24

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Index special jurisdiction 249 special litigation committee 704 specific denial 342, 343 specific jurisdiction 249 splitting of claims 767 spousal privilege 459 standard of review 729 state supreme courts 172-178, 709 statement against interest 614 statement of claim 335 statement of compliance 729 statement of facts 729 statement of issues on appeal 727 statement of relief sought 729 statement of the case 729 statement of the issues presented for review 729 statute of frauds 349 statute of limitations 349 stay of proceedings 503 Stellvertretung 263, 307 stipulation of dismissal 50 Stockholmer Handelskammer 10 stream of commerce doctrine 253, 266, 279 Streitgegenstand 8, 237, 267, 310, 337, 713 Streitverkündung 677 Streitwertgrenze 211-216 Stufenklage 326 subjektive Klagehäufung 715 submission 558 subpoena 63 sum certain 508 summary judgment motion 365 f., 524-533 summary of argument 729 summons 300 supplemental pleadings 658-660 supplementation 401 supreme court term 157 table of authorities 729 tag jurisdiction 247-251 Täuschung 297, 323

400

Teilentscheidungen 715 temporary restraining order 546 ten-day motions 640, 646 territorial jurisdiction 238 testifying expert 465 third party complaint 317 third party liability 349 third party witnesses 416 toxic torts litigation 685 trademark law 119 transfer of venue 284 transient jurisdiction 247, 251 treble damages 4 trial 382, 534-655 two dismissal rule 503 unclean hands 349 unincorporated associations 708 United States Bankruptcy Courts 161 United States Court of Appeals for the Federal Circuit 147, 159, 709 United States Court of International Trade 159 United States Courts of Appeals 152, Schaubild I S. 379 United States District Courts 149 United States Patent and Trademark Office 119 United States Supreme Court 147, 156-158, Schaubild I S. 379 United States Tax Court 161 unlimited jurisdiction 330, 776 unresponsive 605 up the ladder reporting 122 Urkunden 397, 591-598 venire 547 venue 238 verdict 558, 570, 575, 634-678, 752 Verfahrenstrennung 670 Verfahrensverbindung 670 Vergleich 513-519, 589 verification 329, 409 verified complaint 703 Verjährung 224, 294

Index Vermögensverwaltung 719 Versäumnisurteil 507-511 Verweisung 284-294, 299, 349, 504, 666, 766 Verwirkung Verzicht 84, 349 voir dire 548-553 Vollstreckung 4, 12, 25-34 vorläufiger Rechtsschutz 40 vouching in 676, 779 well-pleaded complaint rule 202 Widerklage 658, 768 witness lists 393, 397

Wohnsitz 246-249 writ 180, 537 Younger Doctrine 236 zealous representation 58 Zeugen 599-615 Zurückverweisung Zustellung 295-308, 379 Zwangsvollstreckung, siehe Vollstreckung Zwischenentscheidungen 709, 716, 724, 760

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